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6335982

Åre 25982

SITEITSBIBLIOTHEEK GENT

900000065228
1

:
BEYTRÄGE

ZUR

GESCHICHTE
DER PHILOSOPHIE .

HERAUSGEGEBEN

VON
1

GEORG GUSTAV FÜLLEBORN,


PROFESSOR AM ELISABET IIANUM IN BRESLAU.

I. B ABD.
IV. S T Ü C K.

I EN A ,
BLY F R I E DRICH FROM MAN N.

UNIV

Andan Prabhindar. Die 3. Hauplitel kön


BEYTRÄGE
ZUR

GESCHICHTE
DER PHILOSOPHIE .

HERAUSGEGEBEN

VON

GEORG GUSTAV FÜLLEBORN .

1. UND II. STÜCK.

NEVE ÜBERARBEITETE AUFLAGE,

ZÜLLICHAU UND FREYSTADT,

BEI FRIEDRICH FROM MANN.

179 6.
D.
1

ich
1
&

Die Aufforderung, von dieſen in den Jah


ren 91 und 92 zuerſt erſchienenen Stük
ken eine zweyte Auflage zu beſorgen ,
war mir eben ſo unerwartet , als ſchmei.
chelhaft und ermunternd : deſto gröſser
åber die Verlegenheit , in die ich bey der
Arbeit ſelbſt gerieth . Von einigen Auf
lätzen konnte mir die ganze Idee , von
andern die Ausführung nicht mehr ge
fallen. Eine völlige Umarbeitung würde
Verwirrung und Miſsſtand in die folgen.
den Stücke gebracht haben .
Ich habe gethan , was ich konnte :
ich habe vieles weggelaſſen und geändert;
und
IV

und durch Zuſätze erläutert , was ich


nicht ändern konnte .
Möchten Leſer und Richter darinn

meine Unpartheylichkeit und meinen gu


ten Willen erkennen , und meine gerin
gen Bemühungen auch fernerhin , wie
bisher , mit Sclionung und Billigkeit auf
nehmen ; zumahl da ich mich von dem
Fehler ganz frey weiſs, deſſen mich ein
Recenſent *) beſchuldigt , als ob ich alles,
was ich ſage , für ſehr wichtig hielte,
und mir einbildete , . 2,0
allein wahre und
ächte Reſultate über Geſchichte der Phi
loſophie gegeben zu haben.
F.

* ) Neue Deutſche Bibl . 10. B. 1. St.


1

ch

Inhalt

n des erſten und zweyten Stücks.


n

>

1
3. Ueber den Begrif der Geſchichte der Philo .
ſophie. Von Herrn Rath Reinhold . Seite 3

2. Ueber die Geſchichte der älteſten griechi


ſchen Philoſophie. Von Fülleborn . 57

5. Xenophanes. Ein Verſuch , von Fülleborn . O


59

4. Ueber die Freyheit. Aus dem Griechiſchen


des Nemefius. Von Fiilleborn . 84

6. Ueber das bisherige Schickſal der Theorie


des Vorſtellungs-Vermögens. Von Herrn
M, Forberg, 91

1
6. Anhang zur vorhergehenden Abhandlung :
Eine kurze Vergleichung der Kritik der
reinen Vernunft und der Theorie des

Vorſtellungs - Vermögens nach ihren


Haaptmomenten. Von Frilleborn , Seite 114

7. Erſtes Buch der Ariſtoteliſchen Metaphyſik,


überſezt von , Fülleborn .
• 143

8. Probo einer Ueberſetzung aus Sextus ; von


!
den Grundlehren der Pyrrhoniker, vom
Herrn Doctor Niethammer. 197

9. Worte der Kritik , von Fülleborn . 239


14
BEYTRÄGE

23 ZUR

GESCHIC
HTE
1

DER PHILOSOPHIE
.

ERSTES
S T ück.

A
!
1
1
ÜBER DEN BEGRIF

DER
i

GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE .

EINE AKADEMISCHE VORLESUNG.

Wären die Philofophen von Profeſsion über


den beſtimmten Begrif der Wiſſenſchaft, von
der fie ihren Namen führen , unter fich einig :
ſo würde ich , um den vorläufigen Begrif der.
jenigen Geſchichte , die ich Ihnen M. H , vor
zatragen die Ehre habe, ſeſtzuſetzen , keines
wegs erſt bey der Frage : Was wir unter
Philofophie zu verſtehen hätten ?
Verweilen dürfen . Ich würde die Antwort
auf diele Frage entweder als allgemein be.
kannt vorausſetzen , oder mich begnügen kön
nen , eine Definition aus dem nächſten beſten
Compendium zu entlehnen , und fie der Ent
wicklung des Begriffes der Geſchichte der
Á2 Phi .
4
bre
Philoſophie zum Grunde zu legen. Allein auch
We
unfre berühinteſten Lehrer der Philoſophie
hind weder unter einander , noch ſogar mit
bei
fich ſelbſt darüber einverſtanden, worinn
denn das eigentliche Object der Wiſſenſchaft,
ch
für deren Kenner und Pleger ſie mit ſo vie
lic
lein Rechte bekannt ſind , beſtehe ; und ich
geſtehe Ihnen , daſs ich noch bis itzt keine %

einzige Definition dieſes Objectes gefunden


habe , die mich befriediget, keine , deren
Unzulänglichkeit ich nicht zu Ihrer völligen
Ueberzeugung darzuthun vermöchte. In vie
len , und zum Theil den vorzüglichſten , Com
pendien wird man ſogar vergebens nach einer
Erklärung der Bedeutung des Wortes : Phi.
e
loſophie nachſuchen . Die Verfaſſer derſel.
n
ben haben ſich die Schwierigkeiten einer ſolo
2
chen Erklärung dadurch erfpart, daſs fie fich
nur auf die Erörterung des Begriffes der Phi
loſophie in einem gewiffen Sinne , oder
nur eines ſogenannten Theiles derſelben
einlieſsen , und damit der Rechenſchaft über
dasjenige, was fie fich unter Philoſophie
überhaupt dachten , auswichen . So habe
ich zum Beyfpiel in den berühmten Plat
nerfchen Aphorismen vergebens Ant
wort auf dieſe Frage erwartet ; wozu ich
frey :
5

freylich durch die beliebte Form dieſes Werks,


welche die Wahl der Materien ganz von der
Willkühr des Verfaſſers abhängen lället, nicht
berechtiget war. Der ſcharflinnige Denker
ſagt uns nur , was er unter Philoſophie im
höheren Sinne dieſes Wortes verſtehe, näm.
lich : „ EineReihe geordneter Unterſuchun
„gen über die Frage : Was iſt die Welt , und
9 was iſt der Menſch mit Rückſicht auf
„ die höchſten Allgemeinbegriffe und Grund
„lätze der reinen Vernunft.ca Aber auſerdem ,
daſs ein Leſer , der durch dieſe Aphorismen
mit dem Weſen " und dem Geiſte der Philo.
ſophie bekannt zu werden wünſchet, im
Eingange des Buches ſchlechterdings nicht
errathen kann , was Herr Platner unter rei
ner Vernunft und unter den Allgemein
begriffen (vermuthlich allgemeinen Begrif
ſen ) und Grundſätzen derſelben gedacht
willen wolle, und in der angegebenen Erkläs
rung die Philoſophie durch etwas erklärt
wird , was noch weit mehr , als das zu Er .
klärende einer Erklärung bedarf: ſo hätte,
uns der Verfaſſer vorher zeigen müſſen , was
er unter Philoſophie überhaupt ver
ſtünde , bevor er von einer höheren han
delte , die noch dazu ſeinem eignen Berichte
A3 zu .
6

zufolge nichts als die Metaphyſik ſeyn ndi


foll. gal
i Wenn Herr Feder in ſeinem Lehrbuche Ke !
der Logik und Metaphyſik die Philoſo jen
phie für den „Inbegrif der wichtigſten kai
,, Erkenntniſſe erklärt , welche durch den blof zu

,,ſen Gebrauch der Vernunft herausge 4 di


bracht werden können " fo mufs ich dieſe
ge
Erklärung in mehr als Einer Rücklicht A
für fehlerhaft erklären . Erſtens ſcheiner
Se zwar die Philoſophie von der Geſchichte :
lo
dadurch zu unterſcheiden , daſs ſie die Erſtere
nur auf dasjenige , was nur durch den Ge
brauch der Vernunft erkannt ( nicht her.
ausgebracht) werden kann , einſchränkt.
Allein da der Begrif der blofsen Vernunft
in der bisherigen Philofophie ſo ſehr vieldeu
tig ift , (durch das Feder (che Lehrbuch iſt er
noch weit- ſchwankender geworden :) und es 31

über das , was durch Vernunft erkennbar iſt,


ſchlechterdings kein anerkanntes Criterium
giebt : ſo erfährt man durch die Federſche
Erklärung genau ſo yiel, als man vorher wuſte,
und nichts von allem dem , was man zu wil
ſen wünſchte. Ja ! da der Verfaſſer ſeine
Erklärung dadurch zu erläutern glaubt , daſs
er die Philoſophie unmittelbar darauf für
„ die
1
die Kenntnis der Natur und ihrer
yallgemeinen Geſetze “ erklärt, zur
Kenntnis der Natur aber auch offenbar das .
jenige gehört, was durch die Sinnen er
kannt wird : fo iſt es durchaus unmöglich ,
zu errathen , was er unter dem , was fich
durch bloſse Vernunft herausbrine
gen lieſse , wohl gemeynt haben dürfte.
Auch wird fein angegebener Begrif dadurch
nur noch unbeſtimmter , daſs er die Phi
loſophie den Inbegrif der wichtigſten Er
kenntniſse nennet. - Alles Unwichtige ,
das fich durch bloſse Vernunft erkennen läſst,
auch ſogar das Wichtigere , was aber
nicht das Wichtigfte iſt , wäre alſo von
dem Gebiethe der Philoſophie ausgefchloſſen ?
Worinn beſtünde aber das Unwichtige und
das weniger Wichtige, das durch blofse Ver
nunft erkennbar wäre ? Oder giebt es über.
haupt etwas durch blolse Vernunft Erkenne
bares , das Unwichtig heiſsen könnte ? i Iſt
nicht jede durch bloſse Vernunft , und folg
Jich nicht durch tändelnde Phantafie oder
leere Spizfindigkeit mögliche Erkenntnis ein
- weſentlicher Theil eines Syſtematiſchen Gan
zen , und in fo ferne gleich wichtig ?

A4 Die
Die Definition einiger Anhänger der Leib. M
nitziſch - Woliſchen Schule , welche die Philo
ſophie in der Wiſſenſchaft der zurei 4

chenden Gründe beſtehen läſst, ſcheint


mir zwar der Wahrheit näher zu kommen,
aber gleichwohl den eigentlichen Begrif , den RE
Sie ausdrücken ſollte , verfehlt zu haben. Denn 8!
die Philoſophie wird in derſelben keineswe
ges genung von der Geſchichte unterſchie . hi
den , welche ebenfalls zureichende Grün. de
de aufſtellt. Diejenigen hingegen , welche die G
philoſophiſchen zureichenden Gründe von den
hiſtoriſchen dadurch genugſam ausgezeichnet
zu haben glauben , daſs fie die Erſtern bald
angebohren , bald a priori beſtimmt, r

bald abſolut nothwendig nennen , ver Lic


geſſen , daſs , da es an einem anerkannten d
Criterium von allen dieſen Merkmahlen fa
fehlet, ihre Erklärung eben das , wornach C
die Frage iſt , und worüber am meiſten ge
1

ſtritten wird , als bekannt und ausgemacht B


vorausſetze . d
Auch der von mir zu meinen Vorleſungen k
gewählte Leitfaden *) geht von keinem be.
ſtimm
* ) Abriſs der Geſchichte der Philofo .
phie von Gurlitt. Ich ziehe denſelben un ..
ter andern auch darum allen mir bekannten ähn
lichen
9

ſtimmten Begriffe aus. Herr Gurlitt ſpricht


nur von gewiſſen Begriffen und Kenntniſlen
„ über den Menſchen , die Welt und die Gott
„ heit, welche den Inhalt der Philoſophie aus
„ machten . " Er ſcheint dabey , und zwar mit
Recht, vorauszuſetzen , daſs nicht alle Be
griffe und Kenntniſſe von den genannten Ge
genſtänden in die eigentliche Philoſophie ge
hören. Allein in ſeiner Erklärung iſt nicht
der geringſte Wink enthalten , welchen , die
Gottheit u. 1. w . betreffenden Kenntniſſen er
den Vorzug der eigentlichen Philoſophia
Ichen einräune. Seine Erklärung iſt alſo
wohl um nichts beſtimmter, als die alte Cice
ronianiſche : die Philoſophie ſey Wiſſen
{ chaft göttlicher und menſchlicher Dinge , und
der Urſachen , durch welche dieſe Dinge zu
ſammengehalten würden. Sowohl Gurlitt als
Cicero verwechſeln die Philoſophie init dem
Inbegriffe aller Wiſſenſchaften ; und aus ihren
Begriffen läſst fich nicht angehen , warum z. B.
die Logik mehr als die Länder- und Völ
kerkunde zur Philoſophie gehören ſoll ; ja,
1 A 5 die

lichen Verſuchen weit vor , weil er die Epo.


chen des Ganges der philofophirenden Ver
nunft nach neiner Ueberzenging allein im Geiſte
der wahren Philoſophie characteriſiret.
10

die hiſtoriſchen Auffcblüffe , die uns die Ge. dans ?


fchichte über den Menſchen und die Welt bune

giebt, müſsten , wenn die Gurlittſche Erklä Verm

rung den wahren Begrif von Philofopbie ent wird

hielte, weit eigentlicher den Namen dieſer Belci


Wiffenſchaft verdienen , als die Ontologie, Weil
welche fich nicht ſo viel init den angegebe heite
nen Objecten Gottheit , Welt und Menſch,
als init den allgemeinften Prädicaten der lal

Dinge überhaupt abgiebt.


Wenn wir von was immer für einer der au

erwähnten Erklärungen ausgiengen : ſo könn


ten wir ſicher ſeyn , daſs wir den Begrif der V

Geſchichte der Philoſophie verfehlen , und


durch denſelben allen unſern künftigen Be
trachtungen einen falſchen Gefichtspunct an
weiſen würden. Die Frage: Was iſt Geſchichte
der Philoſophie ? iſt ſo lange unbeantwortlich ,
als man nicht über die Frage : Was iſt Phi
loſophie ? mit fich felbft einig geworden iſt.
Man nennt die Erkenntnis hiſtoriſch,
in wie ferne fe von eigener oder fremder
Erfahrung, philoſophiſch , in wie ſerne
fie vom Denken abhängt. Das Hiſtori
fche an unfern Erkenntniſſen iſt dasjenige,
was wir an denſelben der Wahrnehmung und
in fo ferne dem Gebrauche unſrer Sinne,
das
1

11

1
1
daś Philoſophifche, was wir dem Rai.
ſonnement und folglich dem Gebrauche der
Vernnnft verdanken . , Wahrgenominen
wird das Daleyn des Dinges und ſeiner
Beſchaffenheiten ; gedacht wird die Art und
Weiſe, wie das Ding mit ſeinen Befchaffen
heiten und andern Dingen zuſam nie n .
hängt . Die Sinne liefern uns das Mannig
faltige , welches den Stoff unfrer Erkennt
niffe von den Gegenſtänden der Erfahrung
ausmacht , die Vernunft fchaft die Einheit
herbey , durch welche. alles Mannigfaltige
unfrer Erkenntniſſe überhaupt zuſammenhängt.
Gleichwie nun unter demjenigen
demjerrigen , was fich
durch den Gebrauch der Sinne in der Erfah
rung wahrnehmen läſst, das Object der
Geſchichte im eigentlichſten Sinne des Wor
tes verſtanden wird : lo mufs unter dem durch
keine Erfahrung beſtimmten und durch den
Gebrauch der Vernunft allein erkennbaren
Zufammenhang der Dinge überhaupt , oder
alles Vorſtellbaren das Object der Philo
ſophie gedacht werden , und Philofophie im
ſtrengſten Sinne des Wortes ift Wiſſenſchaft
des beftimmten von der Erfahrung un
abhängigen Zuſammenhanges der Din
ge. Da man bey dem gegenwärtigen Zuſtande
der
I2

der Philoſophie noch über die Bedeutung (nic


keines einzigen Wortes einig iſt ; ſo weiſs ich mel

ſehr wohl , daſs die Ausdrücke dieſer Erklä kur


rung noch einer nähern Erörterung bedürfen, ihr
durch welche ich wenigſtens mit Ihnen M. H. frie
über den Sinn derſelben einig zu werden hoffe.
Ich fage erſtens : die Philoſophie ſey
ph
Wiſſenſchaft , und erklärè dadurch , daſs be
ich keine Erkenntnis für philoſophiſch halte, ur
die nicht wiſſenſchaftlich iſt , und die fich de
nicht von der gemeinen , unordentlichen und n

unregelmäſsigen Erkenntnis des Nichtphilofo


phen unterſcheidet. Da die Vernunft nicht
anders , als durch die Verknüpfung unſerer
Vorſtellungen wirkt , ſo kann es auch wohl
keinen Menſchen geben , deſſen Vernunft fich
nur einigermaſsen entwickelt hätte , und der
nicht eben dadurch eine mehr oder weniger
richtige und mehr oder weniger ausgebreitete
Erkenntnis von dem Zuſammenhange ſeiner
Vorſtellungen und der durch dieſelben vor.
geſtellten Objecte beſäſse. Allein nicht jede
Erkenntnis des Zuſammenhangs des Vorge
ſtellten verdient den Namen der Philofo.
phiſchen : ſondern nur diejenige , welche
die Frucht abfichtlich und zweckmäſsig an
geſtellter Unterſuchungen iſt. Die natürliche
(nicht
13

(nicht wiſſenſchaftliche) Philoſophie des ge.


meinen Mannes beſteht aus zufälligen Bemer.
kungen , welche die Vernunft bey Gelegenheit
ihrer Beſchäftigung mit den Mitteln der Be.
friedigung ſinnlicher Bedürfniſſe gemacht hat,
während die wirrenfcbaftliche Philolo.
phie blos " die Reſultate eines Nachdenkens
begreift, das die Erkenntnis der Wahrheit
um ihrer Selbſt willen , das geiſtige Bedürfnis
der Vernunft ſelbſt, den beabſichtigten Zuſam
menhang der Dinge zum Zweck hat.
Ich ſage zweytens : die Philoſophie iſt
Wiſſenſchaft des beſtimmten Zuſammen .
hanges. Der Zuſammenhang mehrerer Dinge
iſt beſtimmt, in wie ferne er ſich nicht
anders denken läſst , oder welches eben ſo
vielheiſst, in wie ferne er nothwendig iſt.
So lange dieſe Nothwendigkeit von uns nicht
eingeſehen wird, iſt der Zuſammenhang für
uns unbeſtimmt. Wenn z. B. zwey Körper
unmittelbar neben einander im Raume wahr.
genommen werden : So findet ein Zuſam
menhang zwiſchen denſelben Statt , der aber,
in wie ferne er von der bloffen Wahrnehmung
des Nebeneinanderſeyns abhängt, unbeſtimmt
iſt. Es liegen zwey Steine neben einander,
und ich ſehe ein , daſs jeder derſelben ſeyn
wür
14
rei
würde , was er iſt , wenn ſie auch nicht ne
Guin
ben einander lägen ; ihr Zuſammenhang iſt allo
in ſo ferne blos zufällig , er iſt durch nichts in
le ,
den Steinen ſelbſt erklärbar, er iſt unbeſtimmt.
Allein man nehme an , dieſe Steine werden
Wi
in einem Gebäude zuſammengefügt: dann läſst
Er
fich aus der Figur eines jeden Steines erklä bai
ren : warum er dieſe und keine andere Stelle
aus
einnimint; das Ganze läſst ſich nicht ohne
lie
ſeine einzelne Theile und kein Theil ohne
lic
ſein Verhältnis zum andern denken ; der Zun
da
ſammenhang der Steine iſt beſtim int, in
ri
wie ferne er nothwendig iſt. Auf eben die
ſelbe Weiſe können zwey Begebenheiten in
{ fa
der Zeit unmittelbar nach einander wahrge
le
Rommen werden ; und ihr Zuſammenhang
d.
wird gleichwohl ſo lange unbeſtimmt bleiben ,
CI
als er durch nichts als durch die Wahrneh
mung beſtimmt iſt. h
Er hört nur dann auf,
unbeſtimmtzu ſeyn , wenn der Grund , durch P
1

den eine Nothwendigkeit des Nacheinander .


ſeyns beſtimmt wird , hinzugedacht wird. In
I
wie ferne allo Dinge unter einander durch die
1
blofse Wahrnehmung im Raume und in der
Zeit' zuſammenhängen, d. h . in wie ferné fie
in keiner andern Verbindung ſtehen , als daſs
Sie neben einander und nach einander exifti.
ren,
ren , in fo ferne iſt ihr Zuſammenhang unbe
ſtimmt , weil er zufällig iſt, und die Gegen
ſtände find in fo ferne Objecte der Geſchich
te, nicht der Philoſophie.
Ich fage drittens : die Philoſophie ſey
Wiſſenſchaft des beſtimmten , und von der
Erfahrung unabhängigen Zuſammen,
hanges , und ich bezeichne dadurch die Quelle,
aus welcher die Vernunft die Form des durch
fie erkennbaren Zuſammenhangs ſchöpft, näm
lich die Natur des menſchlichen Geiſtes, oder
das Vorſtellungsvermögen , das zur Erfah
rung in dem vorſtellenden Subjecte voraus
geſetzt wird, und alſo ſo wenig aus der Er
fahrung geſchöpft, als die Erfahrung ſelbſt
ſeyn kann. Daſs jeder Körper eine Subſtanz
d. i. etwas Beharrliches in Rauine, und Ac.
cidenzen d. h. veränderliche Beſchaffenheiten
haben müfle , und folglich in jedem Kör
per das Veränderliche mit etwas Unveränder
lichem nothwendig zuſammenhänge ;
daſs jede Veränderung eine Urfache haben
müſſe, und folglich alles, was entſteht,
mit etwas Anderem , als Wirkung mit ſeiner
Urſache, nothwendig , zuſammenhänge ;
daſs Alles , was im Raume zugleich vorhan
den iſt, als gegenſeitig auf einander wirkend,
und

>
16

und folglich alle erkennbare Subſtanzen in run

war
durchgängigem nothwendigen Zuſammenhange
gedacht werden müſſen ; - alles dieſes läſst zeig
fich durch keine Wahrnehmung , und folglich gelt
auch durch keine Erfahrung, die der Inbegrif bau
von Wahrnehmungen iſt , und ihre Verknü . ten

pfung ſelbſt nur dem Denken verdankt , er kön

kennen . Allgemeinheit, die ſich auf alle


mögliche Fälle erſtreckt , kann fich nicht der
mal
auf Erfahrung gründen , die immer nur eine
gewille Anzahl wirklicher Fälle begreift : ger
ſo wie die Erfahrung nur von dem , was da A

ift, nicht was da feyn mufs , 'nur von der M

Exiſtenz , nicht von der Nothwendige Ic


aus
keit überzeugen kann. Diejenigen Merko
mahle der Gegenſtände hingegen , die in dem WI

Vorſtellungsvermögen ihren Grund haben, me

und urſprünglich nichts , als die Foʻr:


men der Vorſtellungen felbft find, kom alle

men eben daruin den Objecten allgemein Die

und nothwendig zu , weil dieſe nur durch har

fie vorgeſtellt (nur durch die auf ſie be. beg


zogenen Vorſtellungen zu Vorgeſtellten we

erhoben) werden können . ' '


Die Richtigkeit einer Definition muſs sich
durch die Fruchtbarkeit derſelben beſtá
tigen , und die Fruchtbarkeit unſerer Erkla
rung
17

rung der Philoſophie kann ſich uns gegena


wärtig wohl kau.n in einem helleren Lichte
zeigen , als wenn wir aus dem von uns auf
geſtellten Begriffe von Philoſophie über .
haupt die Begriffe der * ) bisher bekann
ten philoſophiſchen Wiſſenſchaften ableiten
können , welches bey keiner bisherigen Defi
nition der Fall iſt. Die richtige Definition
der Philoſophie überhaupt muſs das Merk
mahl der Gattung enthalten , das auf alle fo
genannte . Theile der Philoſophie als auf die
Arten derſelben paſst; ſie muſs der Logik,
Metaphyſik , Phyſik und Moral gemein
fchaftlich zukommen , und es muſs fich
aus ihr begreifen laſſen, warum und in
wieferne alle dieſe Wiſſenſchaften den Na.
men der Philofopliie führen .
Ding in weiterer Bedeutung beiſst
alles , was Object einer Vorſtellung feyn kann.
Die Wiſſenſchaft des nothwendigen Zuſainmen.
hangs der Dinge in dieſem weitern Verſtande
begreiſt alſo auch die Wiſſenſchaft des noth
wendigen Zuſammenhangs unter unſern eig,
nen

* ) Auch die neuen und noch nicht allgemein aner .


kannten z. B. Kritik der Vernunft und Theorie des
Vorſtellungsvermögens . Aber dieſe gehören nicht
in die Geſchichte der bislierigen Philoſophie..
B
18

nen Vorſtellungen , in wieferne wir uns def


ſelben als eines ſolchen bewuſt werden kön
nen . Dieſe Wiſſenſchaft iſt die Logik , wel
che die Geſetze des Denkens vorträgt , durch
welche der Zuſammenhang unter unſern blol.
ſen Vorſtellungen in Rückficht auf ſeine Noth
wendigkeit und Allgemeinheit beſtimmt wird .
Als Wiſſenſchaft des nothwendigen Zuſam
menhanges der Dinge im engeren Verſtan
de , oder der von allen bloſsen Vorſtellungen
unterſchiedenen Objecte begreift die Philo
ſophie 1) Ontologie , oder die Wiſſenſchaft
des nothwendigen Zuſammenhangs der Ob
jecte überhaupt, in wieferne derſelbe durch
ihre allgemeinſten Merkmale beſtimmt iſt.
2 ) Rationale Pſychologie, oder die
wiſſenſchaft des nothwendigen Zuſammenhan .
ges der Merkmahle , durch welche die Seele
oder das Subject des Vorſtellungsvermögens
gedacht werden muſs. 3 ) Rationale Cos
inologie , oder die Wiſſenſchaft des noth
wendigen Zuſammenhangs der Merkmahle,
durch welche die Welt oder der Inbegrif
endlicher Subſtanzen gedacht werden muſs .
4 ) Rationale Theologie , oder die wiſ
ſenſchaft des nothwendigen Zuſammenhangs,
unter welchem die Welt mit einem von ihr
ver
19

- verfchiedenen Weſen als ihrer Urſache, und


der Merkmahle , durch welche dieſes Weſen
gedacht werden muſs. 5) Die reine Phyſika,
oder die Wiſſenſchaft des nothwendigen Zu
faminenhangs, unter welchem die Erkennba
ren Subſtanzen oder die Körper ſowohl in
Rücklicht auf ihre beharrlichen als veränder
Jichen Merkmahle überhaupt gedacht werden
müſſen. 66)) Die Moral , oder die Wiffen .
ſchaft des nothwendigen Zuſammenhangs , der
den willkührlichen Handlungen durch die
Selbſtthätigkeit der Vernunft beftimmt wird.
Da die empiriſche Philoſophie nur aus
der Anwendung der Principien der reinen
Philofophie auf Erfahrung, und folglich aus
der Wiſſenſchaft des ' nothwendigen Zulam
menhanges. der aus der Erfahrung geſchöpf
ten Merkmahle beſteht ; ſo paſst unſre Erklä.
rung auf alle mögliche Theile der ſogenann
ten Erfahrungsphiloſophie nicht weniger , als .
auf die reine. Ich glaube daher , ohne mich
bey einer noch weitläuftigern Erörterung
derſelben aufhalten zu dürfen, zu der wir
im Verfolge unſerer Betrachtungen manche A

Veranlaſſung finden werden , einen Begrif


von Geſchichte der Philofophie fol
genderınafsen ausdrücken zu können : Sie iſt
B 2 der
20

der dargeſtellte Inbegrif der Verano


derungen, welche die Wiſſenſchaft des
nothwendigen Zuſammenhanges der
Dinge von ihrer Entſtehung bis auf
anfre Zeiten erfahren hat.
In dem bisher ganz unbeſtimmt gebliebe
nen Begriffe der Philofophie liegt der haupt
fächlichſte Grund , warum auch der Begrif
der Geſchichte der Philoſophie bisher nicht
weniger vieldeutig und ſchwankend geblieberz
iſt , und warum man die eigentliche Ge
ſchichte der Philoſophie bald mit der Ge
fchichte des menſchlichen Geiſtes ,
bald mit der Geſchichte der Wiſſen
Ich aften überhaupt, bald mit der Gew
schichte einzelner philoſophiſcher
Wiſſenſchaften , bald mit der Ge
fchichte des Lebens und der Meynun
gen der Philoſophen verwechſelt hat.
Ich unterſcheide die Geſchichte der Phi.
loſophie erſtens vun der Geſchichte des
menſchlichen Geiſtes. Man verſteht
unter dem letztern die vorſtellende Kraft des
Menſchen , in wieferne man dieſelbe von der
Organiſation und den in derſelben gegründe
den mechaniſchen Kräften unterſcheidet.
Die Wiſſenſchaft der Veränderungen , welche
das
21

das menſchliche Geſchlechtüberhaupt in Rück .)


Sicht auf feine in Vorſtellenden und Mechani-!
fchen Kräften beſtehende Natur erfahren
hat, iſt die Geſchichte der Menſchheit * ) ;
während die Gefchichte des menſchlichen :
Geiftes eigentlich nur auf die Schickſale des
/
Zuftandes der vorſtellenden Kräfte fichs ein
fchränkt. Sie beſchäftiget ſich mit der Auf
zählung der verſchiedenen und merkwürdigo
ften Stuffen der allmählichen Entwicklung
dieſer Kräfte und den äuſeren in den allge
meinen und befondern Befchaffenheiten der
Organiſation , in den Klimaten , phyfiłcheni
únd politiſchen Revolutionen gegründeten Vero
anlaſſungen derſelben , breitet ſich über die
fortſchreitende, durch die genannten Umſtäns
de bald beförderte bald erſchwerte Ausbil.
dung ſowohl der empfänglichen als der thä
rigen Fähigkeiten des Gemüths , der Sinns
lichkeit ſowohl als der Vernunft aus.
Die Geſchichte der Philofophie hingegen
zeigt uns den menſchlichen Geiſt , beſchäftig
get mit einem einzigen und beſtimmten Zwe
B 3 sts. cke,

*) Ich unterſcheide daher auch die Naturgeo


fchichte des menſchlichen Geſchlechtes von
der Naturbeſchreibung deſſelben . Zur
letztern liefert Herr Meiners ſchätzbare Bey.
träge , aber nicht zur erſtern,
22

cke, im Beſtreben , fich über den Zuſammen ,


hang der Dinge Rechenſchaft zu geben , und
ſeine Begriffe : von demſelben zu erweitern
und zu berichtigen . In wie ferne man nun
unter Geſchichte der Philoſophie nicbt et ,
wan ein trocknes Verzeichnis philoſophiſchen
Meynungen und Syſteme verſtehet ; in wie
ferne dieſe Geſchichte zugleich die hiſtoria
ſchen Gründe der Entſtehung jedes'Syſtes
mes in dem jedesmahligen Zuſtande, des
menſchlichen Geiſtes überhaupt; und insbeſon
dere in dem individuellen Geifte i feines Stif
ters angiebt ;, in wie ſerne fie auch den pſy ,
chologiſchen Urſprungi philoſophiſcher Lehren
beleuchtet, in fo ferpe ſchlieſst ſich dieſelbe
an die Geſchichte des menſchlichen Geiſtes
an , und macht den vornehmſten Theil der's
felhen aus , indem ſie die Epochen der Ents
wicklung der vornehmſten theoretiſchen Kräfte
deſſelben erzählt, aber immer .?nur Einen
Theil , den mari obne Verwirrung weſentlich
verſchiedener Begriffe nie mit dem Ganzen
verwechſeln ikann .
Ich unterſcheide die Geſchichte der Philo.
fophie zweytens von der Geſchichte
der Wirfeinſchaften . Dem erſten Anbli.
cke nach ſollte man dieſe Unterſcheidung für
über

1
23

überflüſsig halten , indem ſchon allein die alle


auf Akademieen allgemein übliche Eintheilung
aller Fächer der Gelehrſamkeit in die Vier
Facultäten , die durch den gemeinſchaftli:
chen Namen der Wiſſenſchaften : bezeichnet
werden , genugſam anzeigt , daſs die Philofo
phie nur als Eine Art der Gattung unterge
ordnet ſeyn müſſe. Allein da die Philoſophie
älter , als alle ſogenannte Brodwiſſen ,
[chaften iſt, da in den früheren Zeiten
der Kultur des menſchlichen Geiſtes alle üb.
rigen Wiſſenſchaften nur von Philoſophen ge
trieben wurden , Philoſophen nicht weniger
die erſten Stifter und Ausleger der bürgerlig S

chen Geſetze, Erfinder und Ausüber der Arza


neykunſt, als die Lehrer und Diener der Re
ligion waren ; und da die Wiffenfchaften
überhaupt den Namen Philofophie führten;
ſo war , zumab) , in der neuerlichen Periode
der Popularphiloſophie, wo die Bedeutung
dieſes Namens um alle ihre Baſtimmtheit ge
kommen iſt , nichts natürlicher , als daſs man
die Geſchichte der eigentlichen Philoſophie
mit der Geſchichte andrer Wiſſenſchaften ver
mengte , und in dieſelbe ohne Unterſchied
aufnahm , was theils nur in die Geſchichte
der Wiſſenſchaften überhaupt, theils
B4 nur
24
nur in die Geſchichte befonderer aufer
dem Gebiethe der eigentlichen Philoſophie ge
legener Willenſchaften gehört. Indem wir es '
alſo bey unſeren bevorſtehenden Betrachtun
gen nur mit der Geſchichte der Wiſſenſchaft
des beſtimmten Zuſammenhanges der Dinge
überhaupt zu thun haben , werden wir uns
um die Schickſale der Mathematik , der Na
turgeſchichte , der Rhetorik und Poëtik ſo we.
nig , als der Arzeney kunde , Rechtswiſſenſchaft
und Gottesgelabrtheit bekümmern ; und da.
durch , daſs wir von unſerem Gegenſtande
ſelbſt alles Zufällige ſorgfältig abſondern , zur
Behandlung des Weſentlichen an demſelben
mehr Zeit gewinnen .
Ich unterfcheide drittens die Geſchichte
der Philoſophie von den beſondern G'e.
fchichten einzelner Theile der Phi
loſophie, und insbeſondere der Merai
phyfik , die man ſo oft und noch heut zu
Tage ſo gewöhnlich mit der Philoſophie über
haupt verwechſelt .' Zwar das ſo auffallende
Unvermögen der bisherigen Metaphyfik , die
groſsen, die Gründe unſerer Rechte und
Pflichten in dieſem und unſerer Erwartung
im zukünftigen Leben betreffenden Probleme,
zur allgemeinen Befriedigung der Selbſtden.
ker 5
25

ker aufzulöſen ; die vier Hauptparthegen , in


welche die Kenner und Pfleger dieſer Willen
ſchaft über jede Frage von Bedeutung zerfal +
len ; und der immer mehr fich verwickelnde
Streit dieſer Partheyen haben es endlich da. $

hin gebracht, daſs man nicht nur aller bishe


rigen , ſondern auch aller möglichen Meta
phyſik den Rang einer Wiſſenſchaft abzufpré !

chen angefangen hat; und daſs man ſelbſt


von den Akademiſchen Kathedern eben die
ſelben Metaphyſiſchen Theoreme, durch wet
che man die Grundwahrheit der Religion und
der Moralität , in der ſogenannten Natürli
chen Theologie und Moral beweiſet ,
in der Ontologie für bloſse Meynungen
erklärt . Allein , wenn die Metaphyfik durch
die Inconſequenz unſerer Empiriker und Pó
pularphiloſophen zu ſehr vernachläſsiget und
zu tief herabgefetzt wird : ſo iſt doch eben
ſo wenig zu läugnen , dafs fie von den Ratio
naliſten und Syſtematikern zu ausſchlieſsend
bearbeitet und zu ſehr erhoben , folglich , daſs
fie von beyden Antipoden gleich verkannt
wird . Als die Wiſſenſchaft der erſten Er.
kenntnisgründe der menſchlichen Erkenntnis,
wie ſie von Baumgarten definirt , als die
Königin aller Wiſſenſchaften , wie sie von ih.
-G 5 Ten
- 26

ren Verehrern geprieſen wird , iſt fie mit


groſsem Unrecht an die Stelle der philoſo
phiſchen Elementarwiſſenſchaft, und ſogar auf
den Thron der eigentlichen Philoſophie ge:
ſetzt worden. Indem wir unter Philoſophie
die Gattung derjenigen Wiſſenſchaft verſte.
hen , von der die Metaphylik nur Eine Art
iſt, wird unſere Geſchichte, der Philoſophie
die Schickſale der Metaphyſik nur in Be
ziehung auf Philoſophie überhaupt' erzählen, ,
und daher die Schickſale , der Naturwiſſen
ſchaft, der Moral und der Logik , in wie
ferne ſie von der Geſchichte der Wiſſenſchaft
des Zuſammenhanges der Dinge unzertrennlich
find , keinesweges von dem Verhältnismäſsigen
Antheile ausſchlieſsen , den fie an den Schick
ſalen der ganzen Philoſophie haben.
Ich unterſcheide viertens die Geſchichte
der Philoſophie von einer Sammlung der
Lebensbeſchreibungen berühmter Phi.
loſophen , dem Auszuge oder der Anzei.
ge des Inhalts ihrer Schriften , ja
auch ſogar von der hiſtoriſchen Angabe
ihrer Lehren und Meynungen aus ih .
ren eigenen Schriften oder den Nachrichten
Anderer. Die Biographie der Philofophen
gehört durchaus nicht in die Geſchichte der
Phi.
27

Philoſophie, die fich blos um die inneren 1

Schickſale der Wiſferifchaft, keinesweges aber


ihrer Pfleger und Beförderer bekümmert.
Nur in den beſonderen Fällen , wo ſich der
Einfluſs des pſychologiſchen oder moraliſchen
Characters eines Mannes, oder gewiſſer Um .
ſtände feiner Lebensgeſchichte auf ſein philo
fophiſches Syſtem beſtimmt angeben läſst,
und zwar , wenn diefes Syſtem an fich merk
würdig , lein eigenes Werk , und der Ein
fluſs jener hiſtoriſchen Daten auf daſſelbe ent
ſcheidend war , nur in dieſen gewis nicht
ſehr häufigen Fällen darf die Geſchichte der
Philoſophie im Vorbey gehen auf die Bio
graphieer Rücklicht nehmen. Anſerdem iſt
die Erzählung der meiſtens ohnehin ſehr we
nig bedeutenden und zumahl bey den Philoſo
phen des Alterthumes aus ſehr unzuverläſsigen
und geringhaltigen Quellen geſchöpften Le.
bensumſtände , in den akademiſchen Vorle
ſungen über Goſchichte der Philoſophie ein
Gunnützer Zeitverluſt, wobey zwar dem Leh
rer und den Zuhörern die Arbeit des Nach .
denkens erſpart, aber den letztern wenigſtens
die Hälfte des Unterrichts entzogen wird ,
den sie von dem erſteren zu erwarten be
rechtiget waren.
Die
28

Die Geſchichte der Philoſophie iſt von der


Literargeſchichte diefer Wiſſenſchaft
wohl zu unterſcheiden , welche letztere in
dem vollſtändigen und genauen Verzeichniſse
der merkwürdigen Werke , die in das Ge
hieth der Philoſophie gehören , und in einer
kurzen aber beſtimmten Characteriſtik des
Weſentlichſten von ihrem Inhalte befrehet.
Die Geſchichte der Philofophie nennet nur
diejenigen Werke, welche in der Wiſſenſchaft
Epochen gemacht, weſentliche Veränderungen
in der Form derſelben hervorgebracht, den je.
weiligen Zuſtand derſelben beſtimmt haben.
Aber auch die Erzählung der Leh.
ren und Meynungen der Philofophen ,
die mit ihren Lebensgeſchichten und einigen
literariſchen Nachrichten zuſammengenommen
in unſeren bisherigen Kompendien den Na
men der Geſchichte der Philoſophie führté,
verdient , ſelbſt wenn fie von Biographie und
Literargeſchichte getrennt iſt, noch keineswe.
ges dieſen Namen. Auch die genaueſte hi
ftoriſche Angabe der Lehren und Meynun.
gen der Philofophen liefert nichts weiter als
bloſse Materialien zur Geſchichte der
Philoſophie , keinesweges' dieſe Geſchichte
felbft. Nicht jede Vorſtellungsart, die ein
Diann
29

Mann wirklich oder angeblich geliabt hat,


der mit Recht oder Unrecht den Namen ei
nes Philoſophen erhielt , gehört in die Ge .
ſchichte der Philoſophie ; ſonſt müſte jeder
abgeſchmackte Einfall blos aus dem Grunde
hinein gehören , weil der Mann , der ihn ge
habt hat , von irgend einem Schriftſteller 2.
B. vom Diogenes Laërtius, unter den
/

Philofophen genannt wurde , ungeachtet


er eigentlich nur unter den Tollhä uslern
genannt zu werden verdient hätte. Nur die
jenigen Vorſtellungsarten einzelner Menſchen
können auf einen Platz in der Geſchichte der
Philoſophie Anſpruch machen , welche ent
weder mittelbar oder unmittelbar den unter
ſuchten Zuſammenhang der Dinge betreffen ,
mit der Philoſophie als Wiſſenſchaft zu .
ſammenhängen , und einen eigentlichen philo
ſophiſchen , folglich auch einen vernünftigen
Sinn zulaſſen . Es iſt eine Ungereimtheit, de
ren fich unſere bisherigen Geſchichtſchreiber
der Philoſophie , zumahl der berühmteſte
unter ihnen , Herr Meiners , bey jeder Ge.
legenheit ſchuldig machen , daſs fíe ihren Ben
ruf damit zu erfüllen glauben , wenn fie die
Lehren der alten Weltweiſen ſämmtlich unter
dem Titel von Meynungen , mit den eige.
nen
30

nen Worten derſelben , oder aus fremden


Quellen anführen , und ſie dann , wenn fich
dieſelben mit ihren eigenen Meynungen
nicht vereinigen laſſen , widerlegen , oder
noch gewöhnlicher als offenbaren Unfinn aus.
Ichreyen , wobey ſich der Geſchichtſchreiber
oft nicht genung wundern kann, wie ein Phi.
loſoph ſo etwas Unphiloſophiſches habe ſagen
können , ich aber mich nicht genung wundern
konnte , wie der Geſchichtſchreiber der Phi.
loſophie dazu kam , ſo etwas für ein Mate:
riale der Geſchichte der Philoſophie zu hal
ten . So führt z. B. Herr Meiners die Zah
lenlebre des Pythagoras als ein Lehrſtück
an , das die Philoſophie dieſes berühmten
Mannes characteriſiren foll ; und erklärt file
dabey unter den nachdrücklichſten Ausrufun
gen gradezu für den abentheuerlichſten Ein
fall, die unerklärbarſte Grille. ' Was muſs
der Mann unter Philoſophie verſtehen ?
oder was muſs er für ein Kriterium ange
nommen haben , nach welchem er einer Vor
ſtellungsart, oder einem Manne in der Ge
ſchichte der Philoſophie eine Stelle einräumt
oder verſagt? Mein Kriterium iſt der phi.
lofophifche Sinn einer Vorſtellungsart.
Läſst irgend ein Lehrſatz , der einem auch
noch
@
31

noch fo berühmten Philofophen zugeſchrie


ben wird, durchaus keinen folchen Sinn zu ,
ſo gehört er gar nicht in das, was ich für
Geſchichte der Philoſophie halte. Läſst er
aber einen folchen Sinn zu , ſo gehört die
Entwickelung deſſelben zu demjenigen , was
ich die Form der Geſchichte der Phi .
loſophie nenne , weil ein Tolcher Lehrſatz
nur durch einen ſolchen Sinn zu einem taug.
lichen Stoffe dieſer Wiſſenſchaft wird .
Die Urſache ,, warum die Geſchichte der
Philoſophie , zumahl der alten , in unfern
Compendien mehr als Geſchichte der
menſchlichen Thorheit, dann als Geſchichte
der Weltweisheit auftritt ; warum die berühm
teſten und oft auch verdienſtvolleften Selbſt
denker des Alterthums in derſelben auf die
unwürdigſte Art gemishandelt , und ibre tief
ſten Blicke ins Heiligthum der Wahrheit als
die platteſten Irrthümer gemisdeutet und ver
fchrieen werden , liegt darinn , daſs man den
vernünftigen Sinn ihrer von den unfrigen frey.
lich ſehr verſchrieenen Vorſtellungsarten nicht
finden konnte , und daſs man ſie in eben
dem Verhältniſſe misverſtand und misverſte .
hen muſte, je genauer man fich bey ihrer
Beurtheilung entweder an die ſpätern
Grund
32
H

Grundſätze Einer von den vier methaphyſi


ſchen Hauptſecten hielt, oder je mehr man
durch die Methode der Popularphiloſophie
gewöhnt wurde , durch die neueſten Orakel
des gefunden Menfchenverſtandes
allen tiefern Unterſuchungen zuvorzukom
men. Der Mann , der die alten Denkmähler
und Quellen der Geſchichte der Pbiloſophie
nicht nur , ſondern alle zur Beleuchtung der
felben nöthige und nützliche hiſtoriſche, phi
Jologiſche, " grammatiſche und logiſche Hülfs
mittel in ſeiner Gewalt hat , iſt gleichwohl
mit aller dieſer Vorbereitung nur zum Samm
ler und mechaniſchen Bearbeiter der
a

Materialien für eine künftige Geſchichte der S


Philoſophie, nicht zuin Erfinder ihres Planes, W
nicht zum Baumeiſter ihres Lehrgebäudes
di
berufen . Wir werden erſt dann einen Ge.
je)
ſchichtſchreiber der Philoſophie erhalten;
zu
wenn wir eine Philoſophie ohne Beya
Ar
namen , eine Philoſophie wat' Foxwv , eine ſel
Philoſophie , die alle Philoſophie en nic
verdrängt hat , und auf allgemeingeltenden fer
Grundlätzen feſt ſtehet , haben werden .
Ge
Allein um auch nur die Materialien der Ge.
me
ſchichte der Philoſophie, mit deren Unter er
ſuchung wir uns bis dahin begnügen müſ:
fte!
ſen ,
33

fen , vorläufig kennen zu lernen , iſt es nicht


genung , daſs die bisher angegebenen Lehren
der Philofophen, durch die aus den Quellen
geſchöpften Beweisſtellen erläutert werden.
Sie müllen ſchlechterdings einerſeits in Rück .
Sicht auf die Gegenſtände, welche fie
betreffen , andrerſeits in Rückficht auf die
urſprüngliche Einrichtung des menſch
lichen Geiſtes nicht weniger , als 'aus dem
beſonderen Zuſtande der einzelnen Köpfe,
aus denen fie entſprungen ſind , genau be
ſtiinmt werden , Wenn der Geſchichtsfor
ſcher der Philoſophie, über die Objecte
der verſchiedenen Vorſtellungsarten der alten
Selbſtdenker nicht mit ſich ſelbſt einig iſt;
wenn er ſelbſt nicht weils , was er über

dieſe oder jene Frage , die fich dieſer oder


jener Weltweiſe za beantworten verſuchte,
zu derken habe ; wenn er nicht diejenige
Antwort gefunden hat , welche die sich
ſelbſt erkennende philofophirende Vernunft
nicht aus dem einſeitigen Geſichtspuncte dies
fer oder jener Secte , ſondern nach den
Geſetzen der urſprünglichen Einrichtung des
i
menſchlichen Geiſtes ertheilen muſs ; ſo wird
er die Lehre , die er beurtheilt , nie ver
ſtehen , ſo wird er das Wahre , ' was fie
C neben
34
neben dem Falſchen enthält , nie angeben ,
ſo wird er ihren vernünftigen Sinn nie ent
decken können . Er wird sie nicht ihres
philoſophifchen innern Characters wegen,
ſondern nur, weil er fie unter dein Namen
einer philoſophiſchen Lehre aufgeſtellt fand,
!

in ſeine Geſchichte aufnehmen . Hat er es


init ſeiner Unterſuchung des Vorſtellungs
Erkenntnis- und Begehrungs Vermögens
1
noch nicht fo weit gebracht, fich über alle
Partheyen zu erheben ; gehörter ſelbſt
noch zu Einer von den Vieren , welche
mit den drey übrigen in einem endloſen
Streite begriffen find ; ſo wird er die Philo
fopheme älterer und neuerer Zeiten , nicht
nach den bisher verkannten allgemeingültigen
Principien der allen Menſchen ge.neinſchaft.
1
lichen Vernunft, ſondern nach den aus un
entwickelten Begriffen gezogenen ſchwanken
den Grundſätzen einer einzelnen Secte beur
theilen ; er wird sie vor dem Richterſtuhle
l'eines in der philoſophiſchen Welt ſtreitigen
Syſtems prüfen ; und daher bald in einer
unbeſtimmten vieldeutigen oder gar falſchen
Behauptung tiefe Weisheit , bald aber in der
feinſten und ſcharfſinnigſten Bemerkung offen
bare Ungereimtheit entdecken , blos weil
die

1
}

35

die Eine Sein Syſtem zu begünſtigen , die


Andere aber daſſelbe umzuſtollen ſcheint.
Ich halte daher die Bekanntſchaft mit der
Natur des menſchlichen Vorſtellungs' Er
kenntnis- und Begehrungs - Vermögens für
eine eben ſo weſentliche Bedingung für das
Studium der Geſchichte der Philoſophie , als
die Kenntnis der alten Quellen und der hi.
ſtoriſch • philologiſchen Hülfswiſſenſchaften ;
und glaube, daſs fich dasjenige , was aus
der erſtern geſchöpft werden muſs, zu dem,
was ich aus den letztern ziehen läſst , wie
der Geiſt der Geſchichte der Philoſophie
zu ſeinem Körper verhalte.

Diels iſt die vorläufige Rechenſchaft, die


ich Ihnen , M. H. von der Art, wie ich die
Geſchichte der Philoſophie zu behandeln ge..
ſonnen bin , geben zu müſſen geglaubt
habe. Wir werden in unſerer nächſten
Betrachtung die Hauptepochen der Verän.
derungen unterſuchen , welche im menſch
lichen Gemüthe vorhergegangen ſeyn muſten ,
bevor die Vernunft den Grad der Entwickea
lung ihrer Kraft erreichen konnte , der zum
Philofophieren , oder Nachdenken über den
Zuſammenhang der Dinge unentbehrlich iſt.
6.2 Tyir
36

Wir werden uns alſo mit derjenigen Periode


aus der Geſchichte des menſchlichen
Geiſtes beſchäftigen , welche den allınäh .
ligen Uebergang dieſes Geiſtes aus dem Zu
ſtande des bloſsen Inſtinctes im ſogenannten
Stande der Natur , bis zu demjenigen nur
im Schooſse der bürgerlichen Geſellſchaft
erreichten Vernunftgebrauche enthält , mit
welchem das Geſchäft der philoſophierenden
Vernunft angieng.
Reinhold.

ÜBER
37

I
1

ÜBER DIE GESCHICHTE

DER

ÄLTESTEN GRIECHISCHEN
PHILOSOPHIE .

Wie alle Geſchichte , ſo ſetzt auch die Ge.


ſchichte der Philoſopbie einen Anfang voraus :
der menſchliche Geiſt muls zu irgend einer
Zeit in einem oder mehreren Individuisan ,
gefangen haben , über die nothwendigen
Gründe und die nothwendige Art
und Weiſe der Verbindung aller
durch innere und äufre Erfahrung
wahrgenommenen Dinge nachzuden :
ken und zwar in der Abſicht , um dieſe
Gründe und dieſe Art und Weile der Ver. -
bindung ſo vollſtändig und gewiſs, als mögº
lich , kennen zu lernen . Iſt der Begrif der
Philoſophie, den ich hiermit andeute , nicht
ganz unrichtig ; ſo werden ſich daraus für !

C 3 die
!

:)

1
1

~
38

die Geſchichte dieſer Wiſſenſchaft überhaupt


und für die älteſte insbeſondre einige ſichere
Beſtimmungen ableiten laſſen .
Es iſt die Frage geweſen : Unter welchem
Volke man jene Individua zu , ſuchen habe ?
In jedem Compendium der philoſophiſchen
Geſchichte findet fich die Rubrik der barba
riſchen Philoſophie : aber jedes mittel
mäſsige Compendium überzeugt uns , daſs
dieſe ſogenannte Philoſophie nichts , als ein
Inbegrif von Dichtungen der Phantaſie ſey,
die fich gröſstentheils nicht einmahl in Erfah
rungen auflöſen laffen , und Beweiſe eben fo
wenig haben , als fe deren fähig ſind. Dieſs
und die Unzuverläſsigkeit der Nachrichten
über dieſe Vorſtellungen , hat die Geſchicht
Schreiber bewogen, ihre Aufmerkſamkeit mehr
auf das Mutterland aller wiſſenſchaftlichen
Kultur zu wenden. Sie haben geglaubt, den
Anfang der Philoſophie bey demjenigen Vol
ke ſuchen zu müſſen , welches unis gelehrt
hat , ohne ſelbſt von einem andern gelernt
zu haben : welches in Rückficht der Bildung
und Fähigkeit zur Philoſophie vor allen ältern
1
und gleichzeitigen Nationen einen unverkenn
baren Vorzug hát : deſſen Sprache von den
früheſten Zeiten an durch Dichter bearbeitet
war :
1
39
war : und von dem die meiſten und ſicher
ften Nachrichten uns gekommen find.
Zu

Ich wüſste nichts, was uns abhalten könnte,


mit dem gröſsten und befren Theile der Ge.
fchichtſchreiber der Philoſophie den Anfang
dieſer Wiſſenfchaft nach Griechenland
zu ſetzen .
Schwieriger iſt die Beantwortung der Frage:
Was eigentlich zu dieſem Anfange zu rech
nen ſey ? welche Vorſtellungen oder Unter
ſuchungen man für die erſte Philoſophie er
klären folle ? Man ſpricht häufig von einer
mythiſchen Philoſophie. Was iſt dieſe ? lſt
Sie abſichtliche Speculation über die nothwen
dige Verbindung der Dinge , unter der Forin
bildlicher Vorſtellungen und Dichtungen ?
oder find es Dichtungen ohne Abſicht auf die
Erkenntnis jener Verbindung mehr aus Re:
dürfnis der Phantaſie als der Vernunft, aber
doch ſo beſchaffen , daſs man darinn die alla
gemeinen Geſetze des menſchlichen Vorſtel
lungsvermögens erkennen und ſie heraushe.
ben kann ? Ich glaube, das letztere : und
eben darum glaube ich auch , daſs die Benen
nung mythiſche Philoſophie unrichtig ſey und
die Sachen mehr verwirre als deutlich mache.
Man hat ſie Stoff der eigentlichen Philoſophie 1

C4 ge
40

genannt ; das muſs bedeuten :' die Vernunft


habe ihre Kräfte zuerſt daran verſucht und
geübt , dieſe finnliche Vorſtellungen in intel
lectuelle und allgemeine aufzulöſen und das
Zufällige derſelben bis zu einer gewiſen
Nothwendigkeit zu verfolgen. So lange man
ſich die dunkel vorgeſtellten Fragen über die
Verbindung der Dinge, nach ihrem Urſprunge,
Seyn , Zweck oder ihrer Gemeinſchaft , durch
Dichtungen und Sagen beantwortete , die aus
zufälligen Bemerkungen bey Gelegenheit ein.
zelner Erfahrungen entſtanden waren und
nur durch die Phantaſie Zuſammenhang und
Anwendung erhalten hatten : ſo lange war
noch keine Philoſophie . Sie begann erſt
dann , als man fich dieſe Probleme deutlicher
dachte , ihre Auflöſung in der wirklichen
oder möglichen Beſchaffenheit der Dinge be
ſtiinmt ſuchte und bewieſs. Ich ſage ſuchte:
denn wie viel würde . die Geſchichte der Phi.
lofophie umfaſſen , wenn ſie bloş diejenigen
Bemühungen erzählen wollte , durch welche
die Auflöſung jener Probleme gefunden wor:
den iſt ? Sie ſoll uns berichten , wie und wo
der menſchliche Geiſt die Erkenntnis der noth.
wendigen Verbindung der Dinge geſucht, ob}
und wo er fie gefunden habe.
Wenn
41

Wenn die Geſchichte der Philoſophie nicht


blos eine Aufzählung philoſophiſcher Mey.
nungen von der erſten bis zur letzten , ohne
Darſtellung der Entwicklung des menfchli
chen Geiſtes, der Veranlaſſung zu gewiſſen
Unterſuchungen , des Fortſchrittes von der
einen zur andern , kurz wenn ſie mehr ſeyn
: , ſoll, als ſogenannte Faſti: ſo wird freylich
das vorangehen, müſſen , was inan mythiſche 1

1 Philofophie , Stoff der eigentlichen Philofo 1

phie , genannt hat, aber nicht als ein Theil


1 der Geſchichte der . Philoſophie, Condern als
ein Stück aus der Geſchichte des menſchli
chen Geiſtes überhaupt. Unter der Rubrik :
Aelteſte Geſchichte des menſchlichen Geiſtes,
werden die erſten ſinnlichen Vorſtellungen
über die Dinge in der Welt , die erſten Dich
tungen über das Entſtehen , die Exiſtenz, den
Zuſammenhang derſelben , erzählt, die Ver
anlaſſungen dazu in den äufern Verhältniſſen
und in der Natur des Menſchen aufgelucht,
und ihre Erweiterung und Entwickelung ge
zeigt werden müſſen . Man wird dieſe Vor
ſtellungen am beften unter den Namen
1
Kosmopoëſie faſſen können : den
Uebergang zur Kosmologie , demjeni
gen Theile der Philoſophie , welcher zuerſt
C.5 he :

1
1
42

behandelt wurde , würde die Joniſche


Schule machen .
Thales war , den Nachrichten zufolge,
der erfte , der über die nothwendige Verbin
dung der Dinge nachdachte . Wenn man den
Grad der Geiſtescultur nicht vergiſst, auf wel
chein er und ſeine Nachfolger ſtanden : ſo
wird man es ſehr natürlich finden , daſs die
Joniſche Schule dieſe , nothwendige Verbin. 1

dung weder auferhalb den Dingen, in blofsen I


Ideen , (wiewohl Anaximander auch hiervon I

nicht ſehr entfernt iſt,) noch in der Natur 1

des menſchlichen Vorſtellungsvermögens, ſon


dern in der Beſchaffenheit der äufern Dinge ha
ſelbſt ſuchten , und zwar , da dieſe ihnen
ſehr zufällig und veränderlich erſchien , in
etwas Elementariſchem , demjenigen , was ih Sti
rer Erfahrung nach nicht ſelbſt wieder zufäl.
lig und veränderlich war , in den lezten ſinn . Ter

lichen Beſtandtheilen der Dinge. In der Jo . der


niſchen Schule äuſerte sich zuerſt das Ver Ich

nunftideal der unbedingten Einheit : die von tole


Erfahrung und finnlichen Vorſtellungen aus. die
gehenden Denker erkannten an dieſem Idea verſt
Je die Natur, das ſichtbare Univerſum ; die ganz
folgenden fanden darinn das denkbare herri
Univerſuin , einige die Gottheit. Es würde eines
eine

!
- ར
43

eine Lücke in dem Gange der philoſophiren


den Vernunft feyn , wenn wir die Joniſche
Schule aus der Geſchichte der Philoſophie
zurück weiſen wollten .
Ich komme auf die Geſchichte der älteſten
griechiſchen Philoſophie überhaupt , und ich
glaube mit Grunde fagen ' zu können , daſs
Sich keine Geſchichte in ihren Darſtellungen
unähnlicher fieht, als diefe . In der einen
1
Bearbeitung erſcheint fie als ein Chaos verwor .
rener Begriffe und bildlicher Ausdrücke , oh
!
ne Plan und Zuſammenhang, blos ' durch den
Rahmen anſehnlicher Citate zuſammenge.
halten. In der andern ſteht fie licht und in
ſchöner Ordnung da : an den Faden einer
Hypotheſe ſind die einzelnen abgeriſſenen
Stücke zu einem Ganzen gereibet. Der eine Ge
ſchichtſchreiber findetlauter Widerſprüche, Un
verſtändlichkeiten , Träumereyen und Unfinn :
der andre fieht ſich allenthalben durch Deut
lichkeit , Ordnung und Verbindung der Phi
lofopheme überraſcht. Der eine beweiſt, daſs
die älteſten Philofophen einander ſelbſt nicht
verſtanden haben : der andre zeigt , daſs im
ganzen Alterthume nur eine Philoſophie ge
herrſchet habe. Man vergleiche die Arbeiten
eines Cudworth , Bayle , Bruker , der Acade.
micia
44
miciens, eines Meiners , Tiedemann , Platner,
Eberhard , Gurlitt , Bardili, Pleſsing u. a. und
inan wird oft kaum glauben , daſs fie alle ei
nerley Gegenſtand behandeln. Wer die
Schwierigkeiten dieſer Bearbeitung kennet,
wird gegen alle dieſe Geſchichtſchreiber ge
recht ſeyn .
Die erſte Schwierigkeit liegt in den Quel
len dieſer Gefchichte. Die älteſten
Philofophen waren nicht ſelbſt Schriftſtel a

-ler die Nachrichten von philofopbiſchen


Schriften eines Anaximanders u. a . And ſehr
unbeſtimmt - wir kennen ihre Lehrmeynun .
gen nur aus den Traditionen ihrer Schüler
und Nachfolger , oder aus den entſtellten und l

oft ganz widerfprechenden Nachrichten ſpä.


1
1

-terer Literatoren ... Der Sachverſtändige weiſs,


daſs die philologiſche Kritik bisher nirgends 1

: weniger gethan hat, als in der philofophifchen 1

- Literatur , Noch iſt die Aechtheit der Frag .


mente der Pythagoräer nicht erwieſen * ): 1

und wir ſind über die Aechtheit vieler Ariſto .


teliſchen Werke , welche bisher zu Quellen
der Geſchichte gedient haben , ſo wenig , wie
über den gefainmten Text dieſer Schriften
ficher.

*) Man vergl. Tiedemann Geiſt der fpecul.


Philoſophie von Thales bis Socrates. S. 89. f.
1

45
ficher. Bey den häufig vorkommenden
Widerſprüchen der Nachrichten hat man fich
genöthiget geſehen , feſtzuſetzen , welches
Schriftſteller's Anſehen in folchen Colliſions :
fällen für überwiegend zu halten ſey. Wer
würde nicht gern mit Bruker , Meiners , Tie
demann u. a. für Ariſtoteles ſtimmen , wenn
nur , wie erwähnt , das Geſchäft der Kritik
an ihm vollendet , und wenn nur ferner die
alte Streitigkeit über die Unpartheylichkeit
dieſes Schriftſtellers völlig entſchieden wä
re * ). Aber davon abgeſehen , ſo weiſs ich
nicht, ob ſich in einem denkenden Kopfe
nicht bisweilen einiges Mistrauen gegen die
Unbefangenheit eines Philoſophen regen ſoll
te, welcher aus einem Verſe Homers **) die
Lehrmeynung dieſes Barden über den Zufam .
menhang zwiſchen Denken und Empfinden
herleiten konnte. Ich ſage Unbefangen
beit ; denn wer die Geſchichte der Home
riſchen Geſänge in ſpätern Zeiten kennt, wird
es

*) Es läſst fich durch die Vergleichung einiger


Stellen in ſeiner Politik mit ächten Fragmenten
anderer Schriftſteller zeigen , daſs Ariſtoteles, in
dieſem Werke hiſtoriſche Data oft nach ſeinen
Abſichten geändert hat. Muretus in ſeinen
Var. Lectt, hat einiges darüber beygebraclit.
**) Ariſt. de An. 3. 3. Ein Beiſpiel aus vielea .
46

es freylich dem Geiſte des Zeitalters zu. 1

ſchreiben , daſs Ariſtoteles den Homer philo


ſophiren läſst: aber er wird ſich doch nicht
erwehren können , zu ſchlieſsen , daſs dieſer
Denker auch wohl in den Ausſprüchen an
drer Weiſen des Alterthums mehr möge ge
ſehen haben, als darinnen lag. - Dennoch
geht es ſich an der Hand dieſes und andrer
ſyſtematiſchen Schriftſteller noch immer fiche.
rer : wo dieſe uns aber verlaſſen , da find
wir blos an die Autorität ſpäterer Sammler i

gewieſen , deren Schriften meiſtens noch ver


ftümmelter und entſtellter ſind , die zum
Theil blos für ſich ſaminelten , ohne auf die
Nachwelt zu rechnen , zum Theil zu unwil
ſend und partheyiſch waren , als daſs ſie mit
Kritik hätten ſammlen und unbefangen ihre
Sammlungen prüfen können. Dieſe Zweife !
und Bedenklichkeiten lieſsen sich noch wei
ter treiben , wenn man fich an alle die
Menſchlichkeiten erinnern wollte , welche auch
den beſten Autoren bey ihren Erzahlungen und
Berichten begegnet feyn können , und wel
che ſich aus Beyſpielen neuerer Zeiten ſehir
glaublich inachen laſſen .
Die andere Schwierigkeit liegt in der
Sprache der älteſten Philofophen.
Sie
47

Sie trugen , wie angeführt, ihre Meynungen


nicht ſchriftlich vor : ihre Sätze wur

den durch Ueberlieferung ihrer Schüler und


Nachfolger bis dahin erhalten , wo he durch
Schrift fixirt werden konnten. Die Fragmen .
te derſelben , welche uns hin und wieder
von Ariſtoteles , Sextus und andern aufbehal .
ten worden find, hind nach der Geiſte des
früheſten Zeitalters , meiſtens poëtiſch , in der
Bilderſprache der alten Welt * ).
Den Sinn eines Dichters zu faſſen , das
heiſt, ſich in ſeine Umſtände zu verſetzen ,
ſeinen Ideenkreis anzunehmen , den Umfang
und die wahre Bedeutung ſeiner Ausdrücke
zu unterſuchen , iſt ohnſtreitig in jedem Fal.
le ſchwer, noch ſchwerer dann , wenn der
Dichter abſtracte Begriffe hat bezeichnen wol,
len . Die ſpätern Philofophen giengen , um
die

* ) Ich habe das in der erſten Aufl. angeführte Bey.


ſpiel aus den Fragmenten des Parmenides
hier weggelaſſen , weil ich darüber im 6ten Stä.
cke der Beytr. umſtändlicher gehandelt 'habe. S
daſ. Pag. 54 f. - In der That aber iſt es nicht lo
wohl das Poëtiſche, das Allegorieen- und My
thenreiche in dieſen Fragmenten , was ihr Ver
ftändniſs erſchwert , als vielmehr die Armath any
Kunſtſprache , wodurch es geſchehen iſt , daſs
verſchiedene Begriffe mit einerley Aus
drücken bezeichnet finde
48

die Satze der älteften zu erklären , der Be .


deutung nach , welche die Ausdrücke der
leztern in der Folgezeit angenommen hatten ;
Sie fuchten lie dadurch aufzuhellen und zu

erklären , daſs ſie dieſelben auf befondre Fal


le anwendeten , aber dieſe Falle hatten fich
geändert, die Gegenſtände waren mehr und
vollkomner erkannt worden , während die
Worte unverändert geblieben waren. Der
Scharfſinn und Witz fand daher von jeher
hier ein freyes Feld : das Angenehme der Be.
ſchäftigung, dunkle Ausdrücke zu deuten ,
wenige Ideen durch Zergliederung zu ver

vielfältigen , lückenhafte zu ergänzen , unzu.


E
ſammenhängende in Verbindung zu bringen, e
multe bald den Schein der Pflichtmäſsigkeit
le
annehmen , und ſo haben wir eine groſse
Menge Deutungen und Commentare über die d
U
älteſten Philoſopheme bekommen : aber, je
ne
der neue Geſchichtſchreiber hat ſich von neu
em zu dieſem Auslegungsgeſchäfte gedrungen
ve
geſehen : " und es kam nun auf ſeine Sprach
de
kenntnis , auf ſeine Vorliebe für irgend ein
be
altes oder neues Syſtem , oft auch auf ſeine :
Orthodoxie an , was die Alten Wahres und Sa

Vernünftiges oder Falſches und Unſinniges


Ich
geſagt haben ſollten. Wer ſich davon über
zeu
49

Zeugen will, darf nur zuſehen , wie die Ge


fchichtſchreiber mit den verdächtigen oder of
fenbaren Atheiſten unter den älteſten Philoſo
phen umgegangen find. Der eine macht ſo
viel Atheiſten , als er kann , um ſich def
to mehr auf die Offenbarung zu gute zu
thun : der andre in der Ueberzeugung , daſs
alle Nationen in ihren Individuis dazu auf
der Erde ſeyn müſten um einen metaphy,
fiſchen Begrif von Gott zu haben , kann es
nicht zugeben , daſs die griechiſchen Weiſen
in Unglauben und Finſternils beharret ſeyn :
ein dritter unterſucht nicht erſt , ſondern
hält es für das Rathſamſte , ,,die ganze Sache
Gott , dem Herzenskündiger zu überlaſſen :"
es iſt unmöglich , daſs diejenigen , welche al.
lenthalben von einer „ verruchten Secte
1
der Gottesläugner" (prechen , bey dieſen
Unterſuchungen unbefangen bleiben kön
nen. Wenn man einmahl zu deuten an
gefangen hat , ſo läſst man ſich nur zu leicht
verführen zu glauben , daſs der Weiſe , mit
deſsen Satz man ſich beſchäftiget, alle die Ne
beri - Ideen gedacht , alle die Folgen ſeines
Satzes gekannt habe, die wir jezt denken
und kennen : eine Täufchung, die um ſo
ſchwerer zu vermeiden iſt, je natürlicher
D viel.
1
50

vielleicht jene Ideen und Folgen mit der


Art verbunden find , wie wir gewiſſe Sätze
beweiſen und anwenden . ' Oft ſchon die Schü
ler uud nächſten Nachfolger eines Philoſophen
ſahen in ſeinen Lehren etwas anders oder
mehr , als er hineingelegt hatte : eine Folge
der fortſchreitenden Kultur der Vernunft und
der erweiterten Erfahrung. Endlich würde

auch hier eine Induction nicht verwerflich


ſeyn ; wenn es ſo ſchwer iſt, aus den phi
loſophiſchen Schriften eines neuern Denkers,
deſſen Sprache wir ſchreiben und ſprechen,
ſeine Meynung ficher und beſtimmt zu fala
ſen : wie viel ſchwerer muſs es nicht ſeyn,
aus poëtiſchen in einer todten Sprache gefaſs
ten Fragmenten eines Alten aus ungebildete
ren Zeiten , ſeine Lehre mit einiger Gewis
heit zu entnehmen...
Alle dieſe Puncte , deren ausführliche
Beweiſe hier unnöthig, und gröſtentheils auch
cinzeln in den meiſten Compendien 'geführt
find, werden jeden , der fich mit der Ge«
ſchichte der älteſten Philoſophie beſchäftigen
will, nicht wenig ins Gedränge bringen. Die
meiſten der bisherigen Geſchichtſchreiber haben
ſie wirklich eingeſehen, aber fie haben ſich es
nicht geſtehen wollen : einigen half das An.
ſe .
51

lehen und die Menge ihrer Vorgänger, an.


dern seine Hypotheſe , noch andern ein Macht
ſpruch über dieſe Schwierigkeiten hinweg .
Wir wollen nicht vergeſſen , dafs Einige phi
lofophiſcher verfahren find.
Wie ſoll man aber bey dieſen Umſtän
den vorgehen ? Soll man dieſen Theil der
Geſchichte der Philoſophie lieber ganz aufges
ben ? Ich glaube , nein . Es würde 'unge
recht feyns von einer Geſchichte der älteſten
Philoſophie mehr zu verlangen , als irgend ei
ne Ceſchichte des grauen Alterthums leiſten
kann. Oder wer kann fich für irgend eine
Geſchichte des erſten Anfanges und Fortgan
ges eines Volkes verhürgen ? Dan wo wir 1

uns nicht durch Aug und Ohren von einem


Factum überzeugen können , muſs ſich der
hiſtoriſche Scepticismus von der äuſern
Möglichkeit , und wenn dieſe nicht era
1 weislich wäre , von der innern Möglichkeit
abweiſen laſſen . Alle Geſchichte erwartet ih
re Beſtätigung , ſo wie ihre Forın , von der
Philoſophie : dieſer muſten von jeher die
Urkunden vorgelegt werden , und fie be
!
ſtimmte , was Geſchichte ſeyn konnte und
was Mythe und Mahrchen war. Sind alſo

die Quellen dieſes Theils der philoſophiſchen


D 2 Ge .
52

Geſchichte berichtiget und beſtätiget, ein


Punct , von dem man auf keinen Fall etwas
nachlaſſen kann : fo können wir daraus die
Pbiloſopheme der Alten entlehnen ; ob fie
wirklich ſo und nicht anders waren , wer
könnte das heute betheuren ? daſs hie es aber
Seyn konnten , diefes anzunehmen haben
wir , glaube ich , immer noch Gründe genug.
Das erſte , was uns dabey zu Hülfe
kommt, iſt die Analogie. Wir finden Data
genug , uns einen Begrif von dem Geiſte des
alteſten Griechenlands und ſeiner Sprache zu
bilden : die Bemühungen eines Heyne , Mei
ners , Tiedemann u . a. haben uns dieſs Ge
Schaft fehr leicht gemacht. Der Werth des
analogiſchen Verfahrens iſt unverkennbar ,
wenn auch vorzüglich nur negativ, daſs mani
ſich hüten lernt , einem Kinde die Muskeln
eines Herkules anzudichten . : Die ſchönſte
Entwickelung eines alten Syſtems verurſacht
Misvergnügen , wenn wir allenthalben genö.
thiget werden , zu fragen : ob denn aber ein
Thales, Anaximenes, Empedocles, in jenen Zei.
ten , bey jenem Grade der allgemeinen Kul
tạr ſo philoſophieren , und ſich ſo ausdrücken
und verſtändlich machen konnte ? Nirgends
läſst sich dies Experiment beſser machen , als
53

in vielen Abhandlungen der Academie der


Inſchriften ." Zu bedauern iſt es , daſs ſich
über diefe Analogie keine ſichere Regeln feſto
fetzen laſſen . Man hat z. B. die Religion
eines Volkes als einen Vergleichungspunct
angenommen : hiergegen iſt von einigen ein
gewendet worden , daſs die Lehren der grie
chifchen Weifen freye Privatmeynungen gewe
fen ſeyn : und dagegen würde ſich wieder
um nicht ohne Grund das Schickſal des
Anaxagoras , Protagoras u. a. einwenden la
fen. In jedem Falle iſt Behutſamkeit nöthig
und der Schluſs von der Kultur einer ganzen
Nation oder eines gewiſſen Zeitalters auf die
Kultur einres Individaums iſt für fich allein
nie ganz ficher and bewährt. Sogar von ein :
zelnen Individuen auf andre gleichzeitige fort.
zuſchläſsen , iſt oft unſtatthaft. Thales
aſtronomiſche Kenntniffe waren " nach den 1

Zeugnissen der Alten nicht unbeträchtlich.


Er fah es ſchon ein , daſs der Mond fein
Licht von der Sonne erhalte * ), erkannte die
Urfachen der Sonn- und Mond - Finſternif
le **), entdeckte die Ecliptik *** ), und gab
D 3 die

*) Plutarch . de Pl. Ph. 2. 28. Stobäus ecl, ph . p. 60 ,


**) Plut. 2. 24. Stob. ib.
***) Diog. L. 1. 24. vergl. Stanl. hiſt. ph. p. 18.
54

die Gröſse der Sonne ziemlich richtig an.


Man ſollte , erwarten , daſs ſein Schüler
Anaximander dieſe Kenntniſſe noch wei
ter ausgebildet babe : aber man erfährt, dafs
er Sonne und Mond für Körper gehalten ha
be , welche das Feuer zu Röhren herausbla.
ſen und hinſter werden , wenn ſich dieſe Röh
ren verſtopfen. Es iſt leicht , âhnliche Bey
ſpiele zu häufen .
Der andre wichtige Umſtand für dieſe
älteſte Geſchichte iſt : daſs die erſten und
älteſten Philoſopheme aus eben der Quelle
gekommen ſeyn nüllen , aus welcher die
Meynungen ſpäterer ſo wie der neueſten Den
ker gefloſſen ſind, aus der Natur des mensch
lichen Vorſtellungsvermögens. 1. Das Ge
ſchäft der Philofophie iſt zu allen Zeiten dal
ſelbe geweſen : die nothwendigen Gründe
und die nothwendige Art und Weiſe der
Verbindung der Dinge aufzuſuchen . Zu al
len Zeiten ſind nur drey, verſchiedene Wege
inöglich geweſen , dieſe Verbindung zu ent
deken : man kann ſie entweder in den Din
gen ſelbſt, ſowohl erkennbaren als blos denk
basen , oder in der Natur des Vorſtellungs
vermögens oder in beyden zugleich gelucbt
haben. 2) Die Natur des menſchlichen Vor
fiel
1
55

lungsvermögens, feine Formen und Hand


lungsweiſen ſind zu allen Zeiten dieſelben
geweſen. Das Mehr oder weniger ibrer
Entwickelung, die Verwechſelung deffen ,
was bloſs Form der Vorſtellung iſt, mit dem
Objecte , oder dieſes mit jenem , oder der
Vorſtellung ſelbſt mit einem von beyden ,
dies macht der Unterſchied der Philoſophie :
en ,und die Darſtellung deſſelben den eigent
lichen Inhalt der ganzen Geſchichte der Phi
loſophie aus . In den früheſten Speculationen ,
hahen fich , wie in den ſpätern die Verſtan :
desgeſetze und die Ideale der Vernunft geäu
ſert : fie müſſen es allenthalben , wa man

ſagen ſoll, daſs Philoſophie zu finden ſey:


der Unterſchied iſt, daſs sie nicht allenthal,
ben auf gleiche Art verſtanden und misver
ſtanden worden ſind. Dieſe Misverſtändniſ
ſe laſſen ſich genau beſtimmen. Die Verſtandes,
1
geſetze werden nemlich nicht für Geſetze der
Erſcheinungen , ſondern der Dinge an, lich, und1
nicht für nothwendige Geſetze, ſondern für em
piriſche Reſultate gehalten. Die Vernunftideale
werden misverſtanden, wenn ſie nicht für blo
ſse Einheitsformen , fürbloſse unſerer Vernunft
weſentliche Bedingungen , um alle Erfahrun
gen unter Eins, unter ein gewiſſes überſehba.
Du res
1 56

res Ganze bringen zu können , ſondern für


Prädicate der Gegenſtände, als Dinge an fich ,
angeſehen , nicht als weſentliche Bedingungen
des Vernunftvermögens, ſondern als erwor.
bene Erkenntniſſe behandelt werden . Nicht
weniger genau "Talfen lich die Folgen dieſer
Misverſtändniſſe angeben . Sie zerfallen in
die beyden Gattungen , Dogmatismus''und
Scepticismus. Der letztre hat nur Ein Prin
cip , die Zufälligkeit der Erfahrung , er
iſt daher im Ganzen nur Einer : er glaubt
keine nothwendige Verbindung der Din .
ge finden zu können. Der erſtre iſt vielfach ,'
In ſofern die Vernunſtideale 'auf Dinge an
ſich bezogen werden , entſteht ein Syſtem
überſinnlicher Erkenntniſſe , deren Stoff die
misverſtandenen Verſtandesgeſetze ſind. Da
nun dieſe, wenn ſie von Dingen an ſich gel
ten ſollen , d. h. von Dingen , die nicht
durch die Formen der Anſchauung ſchon be
1
ſtimmtfind, mit eben dem Rechte Einerleyheit,
wie Verſchiedenheit, Einheit, wie Vielheit, Ure
ſache, wie Wirkung, Unendlichkeit, wie Endo!
lichkeit, Subſtanz , wie Inhäreriz u . I w. fordern
1
können : ſo entſtehet daraus ein fpiritualiſtiſches
und ein materialiſtiſches Syſtem , deren jedes
nach beſondern Modificationen beſondere Ar
ten
57

ten unter ſich enthält, und durch die Ver:


nunftidee des Abſoluten , auf die Verſtandes
begriffe angewendet, den Pantheismus, Theis
mus u. a. erzeugt. Nehmen wir diefs alles
zuſammen , ſo ergiebt ſich a, daſs wir ſchon
a priori eine volle Ueberficht über alle mög.
liche Philoſophieen , und mithin über die gan
ze Geſchichi

eben darum uns allenfalls mit den unvolla


kommenſten Angaben begnügen können , 11m
die Meynung eines alten oder neuern Philo
ſophen richtig aufzufaſſen , ihre Veranlaſſung
und ihren Grund zu beftiminen , ihre Ver.
ſchiedenheit von andern zu erklären ; c . daſs
wir nicht nöthig haben, uns mit ängſtlicher
Genauigkeit an diejenigen finnlichen oder ab
ſtracten Zeichen zu halten , womit die Philo .
Sophen einen Gedanken bezeichnet haben, for
bald wir uns über den Gegenſtand ihrer Leh
ren , ſowohl wie über den Urſprung derfel
ben aus dem menſchlichen Vorſtellungsver:
mögen geeiniger und ausden Datiserleben
haben, daſs hier oder da keine andre Haupt
vorſtellung zum Grunde liegen könne. d .
daſs es ſehr leicht iſt , den Antheil zu bemer.
ken , den die Phantaſie an irgend einem phi
lofophiſchen Dogma gehabt hat, und die Zu
D 5 ſätze
1
1
58

ſätze derſelben abzufondern. - Vier Puncte ,


die , bey allen den angezeigten Schwierigkei
ten , dennoch für die Möglichkeit einer Ge
ſchichte der älteſten Philoſophie ſprechen ;
die den Geſchichtsforſcher eben ſo wenig auf
eine trockne Herzählung , der gefundenen
Nachrichten einſchränken , als hie ihm ein
blos willkührliches Verfahren übrig laſſen und
erlauben.

Bey den alten , wie bey den neuen Phi.


loſophemen hat der Geſchichtſchreiber das
Geſchäft, dieſe Philofopheme in die allgemei
nen urſprünglichen Formen des menſchlichen
Vorſtellungsvermögens aufzulöſen . Dadurch
allein wird es ihm möglich werden , ' aus al
len den Dogmen den philofophiſchen In
halt auszuheben , und dasjenige abzuſondern ,
was nicht in eine Geſchichte der Philoſophie
gehört.

Fülleborn .

XENO
59
1
cina

X E N O P H A N E S.

EIN VERSUCH .

In den Weiſen Griechenlands hat die ſpecu.


lirende Vernunft ihre Kräfte faſt" auf alle
mögliche Art und in ſehr kurzer Zeit durch
verſucht. Binnen weniger, als drey Jahrhun
derten hatte fich Philoſophie von den rohſinn.
lichen Mythen und Vorſtellungen abgelöſet,
war , an der Hand der Erfahrung, oder von
ihrem eigenen Genius geleitet , beynahe das
/
ganze groſse Reich des Meynens , Wiſſens
und Glaubens" durchzogen, hatte ſich bald
aufwärts geſchwungen in die ſchwindelnden
Räume kosmologiſcher und theologiſcher
Speculationen, bald hinab zum Menſchen gelar
ſen, ſeine Seelenkräfte zu erforſchen und in ſei
nem Herzen zu wohnen, und vollendete dann
ihre Wege auf die merkwürdigſte und lehr
reichſte Art in einem allgemeinen und
undurchdringlichen Scepticiſmus.
Unter
1

60

Unter dieſer erhabnen Reihe der Den


ker nimmt die Eleatiſche Schule in Rücklicht
ihrer Verdienſte um Philofophie nicht die
letzte Stelle ein : diefs hat man in den neu
ern ' Zeiten meiſtens anerkannt. Und wenn
auch keine philoſophiſche Sympathie , keine
Aehnlichkeit des Characters , welche in an
dern Fällen neuere Philofophen für die äl
tern gewann , den architectoniſchen
Kopf für den Ariſtoteles, den Mann mit
der göttlichen Tugend Ewogooung für Socrates
weiſe Einfalt bey der Eleatiſchen Schule
einen Berührungspunct abgab : ſo konnte man
doch Männern ſeine Aufmerkſamkeit nicht
verſagen , welche aus einem verworrenen
Stoffe ſinnlicher Bilder und unvollkommener
Erfahrungen eines der gröſsten Probleme der
Vernunft herausarbeiteten : in welchen fich
die Vernunft (tark genung fühlte , einige ih
rer Ideale geltend zu machen , und welche
weit entfernt, ſich von dem Glücke ihrer
erſten Speculationen berauſchen zu laſſen,
bald hinter ein beſcheidenes Exeyw zurück
traten . Das meiſte hat jedoch die philoſophie
ſche Polemik um die Zeiten Spinoza's und
Wolfens für den Ruhm der Elcatiſchen Schu .
le gethan .
Das
1
61

Das Syſtem derſelben iſt oft behandelt


worderi, ich weiſs nicht , ob immer ganz
glücklich. Wenigſtens iſt dieſs der Fall nicht
bey dem Syſteme ihres Stifters. Bruker

fand ſich in der gröſsten Verlegenheit, als er die


mit ſeinem gewöhnlichen Fleiſse geſammelten
Data vor fich nahm , um ſie zu ' ordnen :
fah lauter Unverſtändlichkeiten und Wider
ſprüche , und konnte nichts thun , als ſie mit
Citaten belegen . Andere erlaubten ihrem 1

Witze alles : fie philoſophierten den Kolo


phoniſchen Weifen über zwey tauſend Jahre
hinweg , nicht blos in den Geiſt , wie billig,
ſondern ſo gar in die Sprache des conſe
quenteſten Spinozismus ; andere bewie-.
ſen augenſcheinlich , daſs Xenophanes das al
les noch nicht begriffen habe , was -- jetzt
auf allen Kathedern gelehrt wird. Das
analogiſche Verfahren konnte ebenfalls auf
nichts Beſtimmtes und Gewiſſes führen : das
Syſtem des Xenophanes war von den vor
hergehenden und gleichzeitigen merklich ver
ſchieden. Die Speculation des Thales und
ſeiner Nachfolger gieng den phyfiſchen
Weg * ), und Pythagoras philoſophierte
mehr

* ) Der erſte Weg , den die Speculation einſclilug,


kann , dünkt mir , der plıyfiſche heiſsen . So un
voll.
62

mehr an Faden mathematiſcher Anſchauun .


gen :
Der folgende Verſuch gründet ſich auf
eine Vergleichung der vornehmſten Nachrich
ten * ) ' über das Xenophaniſche Syſtem.
Wäre

vollkommen auch zu den Zeiten eines Thales


die phyſiſchen Kenntniſſe im Ganzen waren , und
+ ſo wenig man im Stande war , den Kräften der
Natur , die ſich durch ſinnliche Wirkungen äue
ſerten , nachzuſpüren ; so lag er doch der Specu.
lation näher , die nothwendigen Gründe der Ver .
bindung der Dinge in Dingen zn ſuchen , welche
zu dem vorliandenen Kreiſe der Erfahrung ge
hörten , d. h. den nächſten Urſachen der Er:
ſcheinungen nachzngehen. Bey der mangelhaf.
teſten Erfahrung mufte ſich die Bemerkung anfo
dringen : daſs alle Form der Natur nichts noih .
wendiges, für fich beſtehendes , ſondern zufällig,
wandelbar ſey'; die Speculation unternahm es al.
ſo , ſo lange an den Formen der Dinge zu ſchei
den , bis fie irgend eine -Materie , eine letzte Sub .
ſtanz übrig behielt, welche wegen ihrer Einfach.
heit zum Grundítoffe alles Uebrigen tauglich
ſchien. Dies war beym Thales Waſſer , bey ei
nem andern Luft u . l. w. Thales Götter find
nichts weiter , als Kinder der ſchönen Täu .
ſchung , womit die Einbildungskraft alle Wirk .
ſamkeit und Bewegung , alles Leben um ſich
her , als Wirkung lebendiger Weſen - Dämo
nen anſieht.

* ) Die Geſchichtſchreiber dieſer Philoſophie erklı.


ren die Fragmente der Ariſtoteliſchen Schrift:
Ueber Xenophanes , Zeno und Gorgi.
as
63

Wäre es mir gelungen , die Meynung des


Kolophoniers richtig aufzufaſſen , und mit be
ſtän

gias für die Hauptquelle dieles Syſtems, Herr


Tiedemann ſogar für die einzige. S. Geiſt der
ſpeculativen Philofophie S. 243. Aber 1
fie haben ſich noch nicht darüber geeiniget ,
welche Abſchnitte dieſer Fragmente eigentlich
vom Xenophanes handeln . Ausführlicher habe
ich die verſchiedenen Meynungen derſelben an
derswo (in meiner akademiſchen Streitſchrift :
Liber de Xenophane , Zenone et Gorgia , Ariſto
teli vulgo tributus , pallim illuftratur. Halae
1789.) dargeſtellt und geprüft. Eben da habe ich
auch zu beweiſen verſucht, das nicht blos das
dritte und vierte Kapitel dieſer Fragmente
wie H. Tiedemann ſchon ehehin und neuerlich
auch in ſeinem Ichätzbaren Werke angenommen
1

hat fondern auch daſs erlte und zweyte von


Xenophanes rede. Seitdem ilt von Hrn. Prof.
Spalding eine gelehrte Schrift erſchienen ;
Commentarius in primam partem li. 1

belli de Xenophane , Zenone et Gor.


gia. Berol. 1793. 8. in welcher mehrere mei.
ner Bemerkungen berichtigt, einige beſtätiget
werden . So ſehr dieſe Schrift meinen Verſuch
an Scharfſinn und Gründlichkeit übertrifft : Co
wird doch der unparthegiſche Richter zugeben ,
daſs meine gegenwärtige Darſtellung der
Ideen des Xenophanes durch dieſelbe nichts lei. 1

det, wie das der gelehrte Verfaſſer auch ſelbſt be


merkt hat. Wenn nehmlich auch in dieſen Frage
menten nicht vom Xenophanes , ſondern vom
Melliſſus' die Rede iſt : ſo hatte ja Meliſſus die
meiſten ſeiner Ideen vom Xenophanes entlehnt,
und alle die Stellen andrer Schriftfteller über
die
64
)

diger Hinſicht auf die Natur des menſchli


chen Vorſtellungsvermögens zu erläutern und
zu ergänzen : ſo bedürfte ich keine weitere
Rechtfertigung für dieſen Verſuch .
Wenn wir den Ideen des Xenophanes
nachgehen , ſo hat er folgendermaſsen philo
ſophiert:
Ich erblicke um mich her eine groſse
Menge Gegenliände. Sie ſind: aber woher
find fie ? Wann haben fie angefangen zu
ſeyn ? Sind fie einmahl gar noch nicht ge
weſen ? Wie und wann find fie geworo
den ? Kann etwas entftehen , was noch
nicht war ? Wie kann überhaupt etwas als
Urfache wirken ? Wo iſt der Uebergang vom
Nichts, vom Nichtſeyn zum Etwas , zum Da
ſeyn ?
Ich bin nicht im Stande zu begreifen,
woher das , was da iſt, geworden ſey , und
doch iſt es da : alſo, inuſs ich annehmen , iſt
es imıner da geweſen , iſt es ewig. Ich fin
de keinen weitern Grund des Daleyns , als
das Daleyn ſelbſt. Geſetzt aber auch , ich
woll

die Lehren des Xenophanes ( S. Brncker, Tiede.


mann , Meiners und meine angeführte Differt. p.
19. f.) beſtätigen dasjenige , was ich in dieſem
Aufſatze.dem Xenophanes beylege , vollkommen,
65

wollte annehmen , daſs nur einiges in der


Welt ewig , und aus dieſem alles andere ent
ſtanden ſey : ſo müſte fich jenes vermehrt,
vergröſsert, verändert, es müſte Zuſätze er.
halten haben , und woher nun dieſes ? Iſt
denn im Kleinen das Groſse , im Wenigen
das Viel ſchon enthalten ? Nein : folglich
müſte das , was nicht ewig iſt, doch immer
wieder aus Nichts entſtanden ſeyn : und die
ſe Annahme alſo , daſs nur Einiges ewig ſey,
bringt mich nicht weiter.
Alles was iſt, und wovon ich das Ento
ſtehen nicht begreifen kann, iſt immer gewe
len , iſt ewig. Es iſt alſo unbegränzt in

der Zeit, denn es hat weder einen Anfang:


nirgends iſt etwas , woraus es entſtanden iſt,
( nirgends eine Zeit denkbar , wann es ents
Itanden ſeyn kann : es müften vor dem Ana
1

fange leere Zeitpuncte vorhergegangen , es

müſten Urſachen da geweſen ſeyn , die vor


her nicht Urſachen waren , weil he doch
vorher nicht wirkten , und sie müſten , alſo
Urfachen ohne Urſachen geworden ſeyn :)
3
noch ein Ende, denn worinn wollte es fich
endigen , da auſer ihm nichts weiter iſt?
Wenn alles ewig und unbegränzt iſt , ſo
iſt es auch nicht mannigfaltig , zertrennt und
unver

1
66

unverbunden , ſondern Alles iſt Eins. Frey.


Jich erſcheint unſern Sinnen alles mannigfal
tig und in der Vielheit , aber dieſs iſt eine
Folge von der Einrichtung unſerer Sinne : die
Vernunft muſs ſich alles als Eins denken.
Alles was iſt, hat Seyn ; mehrere Seyn fich zu
denken , iſt; unmöglich , ſie müſten ſich von
einander unterſcheiden , ſie inüſten fich ein
ander begränzen, und diefs können fie nicht;
ohne eben darum aufzuhören , zu ſeyn.
Alles alſo , · was iſt, iſt Ein abſolutes
Ganze,' mithin fich ſelbſt durchaus gleich,
mithin ohne Veränderung , ohne Wechſel,
ohne Bewegung. Ohne Veränderung und
Wechſel, denn es kann keine andere Eigen ,
[chaften annehmen , kann fich mit nichts an
derem vermiſchen , weil es ewig , für ſich
beſtehend , und Alles und Eins, und weil
auſer ihm Nichts iſt. Ohne Bewegung , denn
wohin wollte es ſich bewegen ? Bewegung
iſt Vebergang aus einem Raume in den ang
dern. Soll es ſich in den leeren Raum be,
wegen ? - dieſer iſt ein Unding ; in den Vol.
len ? Diefs iſt unmöglich. 1

Endlich auch den Fall angenommen , daſs


das Eins durch Miſchung vieler Dinge ent
ſtünde , fo müften doch dieſe viele Dinge
ſeyn :
67

ſeyn : find fie , ſo find fie eben darum,


weil fie ein Seyn haben ; ſchon Eins : és
giebt alſo gar nicht viele Dinge , und dieſe
Annahme iſt mithin alich ohne Sinn. Alles
Viele iſt nothwendiges Accidenz des Einen ,
-und alle Eins. : .
In dieſem ganzen Raiſonnement, deſſen
Hauptlinien in den angezeigten Quellen zu
finden find , iſt, dünkt mir , alles durch die
bündigfte Schluſskette mit einander ver
ſchlungen , und das Princip , von welchem
es ausgeht , gewiſs nichts willkührliches und
träumeriſches. : Oder iſt irgend jemand in
Stande, das Problem von der Urgrunde der
Kräfte und mit dieſem Probleme das groſse
Räthſel der Welt zu löſen ? Hat ein endli
cher Verſtand die volle Einſicht in das Weſen
einer Kraft ? Setzt je die Vernunft eine Her
vorbringung, ein Entſtehen deſſen, was nicht
war , was in keinem Raume und in keiner
Zeit war , voraus ? Und doch ftehet diefs
Problem da , drängt ſich der Speculation lo
oft und ſo nachdrücklich auf; die Vernunft
fragt, kann fie ſelbſt , oder kann ein an.
deres Weſen nicht darauf antworten ? wer

zerſtreuet den Schein , welcher fie unaufhör.


Jich aft und täuſchet ?
Die
68

Die tiefere Unterſuchung des menſchli


chen Erkenntniſsvermögens ein Werk der
kritiſchen Philoſophie hat uns Reſultate
gegeben , welche uns über dieſe und ähnliche
Probleme beruhigen können. Sie hat uns ge
lehret, daſs durch bloſse Vernunft keine Era
kenntniſſe möglich ſind , gelehret alſo, daſs
* uns alle die geprieſerien methaphyſiſchen Ere
kenntniſſe von Gott , Welt und Seele durch
das Unbefriedigende und Widerſprechende,
was ihnen eigen iſt, nicht anfechten und
+

zum Scepticismus verleiten dürfen. Es iſt,


ſagt ſie , unſerer menſchlichen Vernunft we
ſentlich eigen, in alle durch Sinnlichkeit und
Verſrand erworbene Erkenntniſſe eine gewiſſe
Vollſtändigkeit und Einheit:: zu bringen .
Dieſe Einheit iſt die einzige Handlungsweiſe
des Vernunft- Vermöges: darinn beſtehet
ſein ganzes Weſen . Um alſo Einheit in un .
ſere Erfahrungen zu bringen , müſſen wir
das Subject unſerer Vorſtellungen , die Seele,
uns als ein Einziges Subject denken , das
nicht wiederum Prädicat eines andern Subje.
ctes iſt, als Etwas , in welchem sich alle
Vorſtellungen vereinigen , in welchem ſie an.
fangen und aufhören : müſſen wir ferner je
de Reihe von Wahrnehmungen in der Er
Fah
69
fahrung als vollſtändig annehmen , folglich eto
was Unbedingtes hinzudenken , wozu wir
nicht weitere Bedingungen auffuchen dürfen ;
müſſen wir Etwas denken , dem nichts man:
gelt, einen Inbegrif aller Realitäten ; ohne
jedoch im erſten Falle über Einfachheit und
Subftanz , im zweyten über Endlichkeit oder
Unendlichkeit , im dritten über Exiſtenz und
Wefen des vollendeteſten allerrealften Ideals
das Geringſte feſtzuſetzen ; ohne darum zu
glauben , daſs diefe ideale für unfere Bedürf:
niſſe gedachte Einheit auch wirklich aufer"
uns in den ſo gedachten Gegenftänden vor
handen ſey. Geſchieht dieſs letztre , wird
die bloſse Art zu denken auf die Gegenſtân.
de ſelbſt übergetragen, wird die Einheit in den
Begriffen für Einheit in den Gegenſtänden an
geſehen, und nach dieſen Prämiſfen über die
Gegenſtânde etwas beſtimmt und gelehrt: lo
ſtraft die Vernunft fich ſelbſt , denn ſie ge
räth mit fich felbft in Widerſpruch . Wir
ſind durch das Weſen unſerer Vernunft .ge
nöthigt, uns jede Reihe von finnlichen Wabr
nehmungen als vollſtändig zu denken , damit 3

wir irgendwo ausgehen , irgendwo aufhören


können , oder , da alles, was wir erfahren ,
unter der Bedingung der Dependenz ſtehet,
1
E 3 : etwas

$
70'
etwas anzunehmen , was von dieſer Bedin.
gung nicht weiter bedingt iſt. Alle Specula .
tionen von der Xenophaniſchen an bis auf
die letzte, die je geinacht werden wird, bür.
gen für dieſe Forderung der Vernunft als ei
ne Thatſache . Eben ſo beweiſen ſie aber
auch , daſs , wenn dieſes Annebmen von Et
was unbedingtern , dieſes Denken einer Voll
ſtändigkeit nicht für eine uns weſentliche
Vorſtellungsart , ſondern für eine den Gegen
ſtânden ſelbſt zukommende Beſchaffenheit an.
geſehen wird , der auffallendſte widerſpruch
entſtehe. So lange wir nehmlich nur ſagen :
wir müſſen uns vermöge unſerer Vernunft
eine gewiſſe Einheit in der Reihe der Wahr
nehmungen denken ; ſo lange kann uns dieſs
keine Sophiſtik ſtreitig machen , oder etwas
aufſtellen , was unſere Vorſtellungsart wider
legte. Ganz anders iſt es , wenn wir ſagen ,
dieſe Einheit iſt wirklich vorhanden : denn
alsdann können wir uns nicht mehr auf un
ſere nothwendige Vorſtellungsart berufen ,
um diejenigen abzuweiſen , welche dieſe vor.
handene Einheit läugnen : alsdann hat die
Vernunft ein gleiches Recht und gleiche
Gründe , zu behaupten , die Reihen der
Wahrnehmungen ſind endlich , (die Welt
hat
hat einen Anfang, fie iſt dem Raume nach
begränzt, die Elemente der Körper find ein,
fach , es giebt Wirkungen , die einen abſolu ,
ten Anfang haben , die Reiben der zufälligen
Dinge hängen von einem nothwendigen Wes
ſen aby) denn wenn Sie vollſtändig ſeyn ſol-,,
len , fo muſs jede Reihe ein erſtes Glied ha
ben ; und zu behaupten , die Reihen der
Wahrnehmungen ſind unendlich , (die Welt
iſt unbegränzt und ewig , die Elemente ſind
zuſammen geſetzt, es giebt keine frey wir.
kende Urſachen , die zufälligen Dinge hängen
von keinem nothwendigen ab ,) denn wenn
fie vollſtändig ſeyn ſollen , ſo muſs jedes
Glied bedingt ſeyn. Beyde Behauptungen find
richtig, denn fie beruhen beyde auf gleichen
Prämiſfen, sie ſind unwiderleglich , denn hie
flieſsen aus dem Weſen der (misverſtandenen )
Vernunft.
Alle Folgerungen, welche man immer
aus dieſer Behauptung ziehen mag , können ,
ſo wie die Sätze ſelbſt, denjenigen nicht be.
unruhigen , der jene Einheit für nichts weiter
erkennt , als für eine ſubjective Vorſtellungs
art , um ſich die Erfahrungen vollſtändig und
in einer gewiſſen Ordnung und Verbindung
denken zu können , der alſo niemals weiſs
E 4 und
72

und willen kann , ob jene Folgerungen die


Gegenſtände ſelbſt treffen . Die Vernunftideen
find Regeln des Denkens , ob fie in den Din
gen auſer uns vorhanden find , ob die ge
dachte Einheit eine wirklich vorhan
dene ſey, das wiſſen wir nicht , und wer
den es mit unſerm gegenwärtigen Erkennt
nisvermögen nie erfahren .
Die Lehrmeynung des Kolophoniſchen
Weiſen war alſo aus der leicht erklärlichen
Selbſttäuſchung der Vernunft entſtanden, nach
welcher die idealiſche Einheit und Gröſse,
das idealiſche Ganze , die Idee des abſoluten
Subjects für lauter Beſchaffenheiten der Ge
genſtände gehalten werden : ſeine Vorſtellung
#

vom Univerſum iſt alſo 'unter dieſer Vorausa


ſetzung unumſtöslich und ſehr confequent:
und alles, was Ariſtoteles dagegen einwendet,
kann fie nicht treffen und widerlegen. Man
könne , meynt er , einen Regreſs ins Unend.
liche annehmen , die Entſtehung des Einen
aus dem Andern bis auf gewiſſe ewige Ur
!
fachen zurückführen , oder einen Kreis des
Werdens und Erzeugens fich denken , in
welchem eines aus dem andern wechſelſeitig
fich bilde. Man könne nach der Meynung
anderer Philoſophen das All für Eins , und
doch
73

doch die Dinge darinnen für Viel anſehen ,


und ſo könne dies All unendlich , und die
Dinge doch endlich ſeyn * ). Außerdem ſetzt
er dem Syſteme des Xenophanes noch einige
Hypotheſen entgegen , die vom leeren Raume,
von der Bewegung des Weltalls um und in
ſich ſelbſt, von der beſtändigen wechſelſeiti
gen Verwandlung der Dinge ihrer Materie
und Forin nach , u. a . welche alle er mit
dem Satze : die Welt iſt Eins , zu veréinigen
fucht, ohne die Vorſtellungsart des Xenopha.
nes gelten zu laſſen .
Soweit bezieht ſich die Idee des ab.
ſoluten Subjects beym Xenophanes immer
nur noch auf die ausgedehnte Subſtanz. Denn
· wenn er ſagt, die abſolute Subſtanz , wir
wollen ihm indes dieſen Ausdruck leihen , -
ift ohne Empfindung von Schmerz und Be
trübnis : ſo iſt dies offenbar nichts mehr , als
E 5 eine
* ) Ariſtoteles konnte alſo nicht , wie Herr Tiede
nrann glaubt (S. 141. des genannten Werkes) das
Eins des Xenophanes fich erklären als einen
thieriſchen Körper, als Eins wie Menſch und
Thier , ohne Ausſchlaffung von Veränderungen
einzelner Theile , ſo jedoch , daſs das Ganze ſtets
einerley bleibe.“ Denn eben dieſe Vorſtellungs.
art iſt es , welche Ariſtoteles dem Xenophaniſchen
Syfteme entgegenſtellt . S. das 2. Kapitel
der angeführten Fragmente,
74
eine concrete Bezeichnung des Begriffes von
Mangel, Beraubung , Abgang gewiſſer Eigen.
ſchaften , Wechſel überhaupt. Es entgieng
jedoch ſeiner Bemerkung nicht , daſs es auſer
denjenigen Dingen , von denen er Unendlich
keit und Unbegränztheit im Raume , Unbe.
wegſamkeit u. f. f. prädicirte , daſs es , mit
einem Worte , auſer der ausgedehnten Sub
ſtanz , noch gewiſſe Weſen gebe , die ſich
durch ein von allen anſchaulichen Eigenſchaf.
ten unterſchiedenes Prädicat , durch Vorſtel
len , auszeichneten, eine vorſtellende Subſtanz.
Mag es auch ſeyn , wiewohl es unentſchie.
den iſt, daſs er mit dem Begriffe , Vorſtellen,
und den daraus abgeleiteten , des Denkens
und Wollens , den Begrif der Thätigkeit , des
Lebens unmittelbar verband , kurz , er half
fich an den Begriffe Vorſtellung auf ein In
dividuum hinüber , hypoftafirte die Idee
Welt , und nannte fie Gott * ). Das All,
das ewige , unbegränzte, unveränderliche Eins
dachte er fich natürlich als das Vollkommen .
fte , weil er nirgends ein Correlatum annahm,
und da Wirkſamkeit zum Weſen des Voll
koinmenſten gehört, als das Mächtigſtthätig.
ſte,

*) Ariftoteles Metaph. 1. 5. -

1
75
ſte , mit einem Worte , als das Allgenung.
ſamſte.

1
Dieſes individualifirte Univerſum , dieſer
Gott iſt Einer , denn er iſt der Vollkommen
Ite. Wären ihrer zwey oder mehrere , ſo
wäre er nicht mehr der Vollkommenſte , die
andern wären dann eben fo vollkommen .
Ueberträfen Sie einer den andern in man .
chen Stücken , ſo wäre keiner Gott. Wären
ſie einander gleich, ſo wäre keiner beſſer
oder ſchlechter , als der andre , folglich kein
Vollkommenſter. Gott iſt Einer , alſo nicht
endlich , nicht begränzt , in der Art , worinn
es die Erſcheinungen ſind, aber auch nicht
unendlich , wie es das Nichtexifrirende, das
bloſse Gedankending nur ſeyn kann . Er iſt
nicht unbeweglich , (nicht in Ruhe) und auch
nicht beweglich , weil alle Oerter im Univer
fum , diefes alſo in keinem Orte ift. Er iſt kei
nem Dinge ähnlich , keinein unähnlich , weil es
aufer. ihm kein Ding giebt , womit er könnte
verglichen werden . Er iſt ewig , denn aus
Nichts kann er eben ſo wenig entſtanden
ſeyn , als aus gleichem Weſen , denn gleiche
Weſen haben gleiche Eigenſchaften, keines
kann alſo hervorbringen , diefs müften fie
alle können : noch weniger aus ungleichen,
denn
4

76

denn dann müſte aus dem Schwachen das


Starke , aus dem Kleinen das Groſse, allo
etwas aus Nichts entſtehen können. Hiernach
iſt fich Gótt allenthalben ſelbſt gleich , und
hier trat ein Bild der Phantaſie ins Mit
tel, kugelrund * ) Er iſt die vollkom
menſte empfindende und vorſtellende Sub
ſtanz : er hat alle Empfindungen und Vorſtel i

lungen , und hat 'fie überall ** ). Das Univer


fum iſt init Empfindungsvermögen und Denk
1 kraft als ihm weſentlichen Kräften durchaus
erfüllt, die ausgedebnte und vorſtellendo
Subſtanz iſt Eins.
Man rechte mit der Vernunft, wenn man
kann , daſs ſie ſo gerades Weges zum Pan
theismus hinführt, ſobald ſie einmahl ibre
Ideale , insbeſondere das Ideal des abſoluten
Subjects verkennt , es nicht für die Forin ei
ner Vorſtellung , ſondern für ein wirkliches
Ding an ſich hält, und die Nothwendigkeit
des Gedachtwerdens für die Nothwendigkeit
der Exiſtenz des Dinges auſer der Vorſtel
lung anhehet. Eben dieſe Täuſchung , wel.
cher Xenophanes nachgab , und welche in
den

Ovstæv Jeon Geigondý. Diog. IX. c. 2. 3.


**) "Ολον δε έραν και όλον έκσύειν. Ιbid .
---
77

den meiſten Syſtemen der Weiſen des Alter


thums zum Grunde liegt, erzeugte zwey tau •
ſend Jahre ſpäter ein ähnliches , aber wegen
gröſserer Vollkommenheit der Sprache beſſer
geſtelltes und wegen der weitern Ausbildung
mancher philofophiſchen Begriffe vollſtändige
res Syſtem , den Spinozismus. Dieſes Syſtem
iſt bekanntlich in den neueren Zeiten oft
entwickelt, geprüft, angenommen und ver
worfen worden , aber nur demjenigen kann
es gelingen , dieſs ſo wie alle andere Syſteme
richtig, zu faſſen und zu beurtheilen , der es
nicht aus dem einzelnen Gefichtspuncte einer
beſondern Secte , ſondern aus dem allgemei.
nen des urſprünglichen menſchlichen Vor
ſtellungsvermögens anſieht, und indem ich
eine Darſtellung des Spinozismus hier beyzu.
fügen gedenke, kann ich keine beſsere wäh
len , als die von Reinhold * ). Die Freunde
dieſes Philofophen und die Kenner ſeiner
Philofophie hören ihn gewiſs allenthalben gern
ſprechen : diejenigen , die ihn noch nicht ken
nen , mögen aus ſolchen gelegentlichen Proben
1

aufmerkſam auf ihn werden. „ Die ganze


phi
) Neue Theorie des menſchlichen Vorſtellunge
vermögens. S. 546. 649 E.

4
1
78
philoſophiſche Welt , ſagt er , ſuchte bisher
den Grund unſerer Vorſtellung von den Sub
ftańzen nicht da , wo er allein zu finden war, ' '
ſondern dort , wo er ohne Widerſpruch nicht
gedacht werden konnte , auſer dem Vorſtel
lungsvermögen , in dem nicht vorſtellbaren
Dinge an ſich , der Spinoziſt in der Nothie
wendigkeit eines Einzigen Dinges an fich,
welches allein der Gegenſtand der Vorſtellung
eines bleibenden und abſoluten Subjectes iſt.
Das bleibende, fubſtanzielle an den Körpern
iſt Ausdehnung, an den vorſtellenden Weſen
Denkkraft. Das Bleibende der Ausdehnung
und der Denkkraft iſt die in dem Dinge an
fich befindliche Nothwendigkeit , das Unver
änderliche, in welchem die Ausdehnung und
Denkkraft als Attribute im Weſen ihren
Grund haben . Alles , was an den Körpern
veränderlich iſt , iſt nicht ihre Subſtanz , fon :
dern ein bloſses Accidenz ; wenn alſo alles,
was an den Körpern veränderlich iſt, von

ihnen weggedacht wird , bleibt für das Sub


ſtanzielle an ihnen nur die Ausdehnung übrig.
Die bloſse Ausdehnung an dem Einen Körper
iſt von der blofsen Ausdehnung an dem an
dern durch nichts , als ihre verſchiedene
Gröſse und den verſchiedenen Ort im Raume
ver :
1

79

verſchieden . Dieſe beyden Verſchiedenheiten


betreffen alſo nur Prädicate der Ausdehnung,
nicht die Ausdehnung ſelbſt ; die , wenn Sie
von allen ihren Accidenzen unterſchieden
gedacht wird , nur Eine numeriſch Einzige
Ausdehnung ausmacht, Diefs iſt auch bey
den vorſtellenden Welen der Fall. Ihre nu.
meriſche Vielheit iſt nur durch zufällige Ver .
fchiedenheiten , durch lauter Accidenzen be,
ſtimmbar , und muſs hinwegfallen , wenn man
das Subſtanzielle von dem Accidentellen , das
Vorübergehende vom Bleibenden unterſchei.
det. Das Weſentliche in allem iſt Ebendaſ.
ſelbe, Eine und eben dieſelbe denkende Denk
kraft, die fich durch mannigfaltige Acciden
zen in mannigfaltigen Erſcheinungen äufert.
Die einzige Ausdehnung und die einzige
Denkkraft ſind nun freylich von einander
unterſchieden , aber nur , in wie ferne fie
Prädicate (Attribute) des. Bleibenden , nicht,
in wie ferne fie das Bleibende felbft find.
Was an ihnen Subject iſt, das , wodurch fie
ſubfiſtiren , iſt das Bleibende, das Unverän
derliche , das Nothwendige , d. i. ein und
eben daſſelbe Einzige Ding an fich, Oder
man gebe den Unterſchied zwiſchen lem
Bleibenden der Denkkraft und dem Bleiben
den
80

den der Ausdehnung an , der das , was in


ihnen als Subject gedacht werden muſs, be
träfe und nicht auf die Ausdehnung und
Denkkraft als Prädicate eingeſchränkt, und
folglich unabhängig von denſelben als etwas
für ſich beſtehendes beſtimmt wäre. Da allo
zwiſchen den mehreren ſogenannten Subſtan
zen , in wie ferne he mit Recht den Namen
der Subſtanz führen , das heiſst , an demjeni
gen , was an ihnen bleibend , unveränderlich ,
nothwendig iſt, kein Unterſchied denkbar
iſt , da aller an ihnen vorſtellbare Unterſchied
die bloſsen Accidenzen betrift; ſo iſt alles,
in wie ferne es Subſtanz , Ding an lich , ift;
Eins. Was an den Dingen vieles iſt, iſt
bloſſes Accidenz , was an ihnen Eins iſt , iſt
die' Subſtanz ; das Viele find Zufälligkeiteni,
das Eine das Nothwendige: das Viele verän
derlich , das Eine beharrlich ; das Viele end
lich , das Eine unendlich ; das Viele in der
Zeit , das Eine ewig. Allein das Veränder
liche iſt nur im Unveränderlichen, das Zeit
liche im Ewigen , das Zufällige nur im Noth
wendigen , das Endliche nur im Unendlichen,
das Viele nur im Eiren , die Accidenzen nur
in der Subſtanz , welche unveränderlich,
noth
81

tothwendig , ewig , unendlich " und Einzig


ift: Ex Hom way ! «
War auch das Syſtem des Xenophanes
tricht ſo tief und ſcharf gefaſst, wie der
Spinozismus: ſo iſt doch derſelbe Gang , dal
ſelbe Princip in beyden unverkennbar: ein
Beweis mehr, daſs alle die Syſteme der
Vier Partheyen keine neue , fondern von
i
Anfang der Philoſophie längſt angelegte Syo
ſteme find,
Der Unterſchied zwiſchen Xenophanes
und Spinozas Syſtemen liegt vornehmlich ' in
den Beweiſen . Jener , bey der geringern
Ausbildung der philofophirenden Vernunft
und der philoſophiſchen Sprache , leitet zwar
ſeine Hauptideen vom Univerſum aus einem
Princip ab , aber die übrigen Prädicate fol.
gert er eines aus dem andern , und zwar
meiſtens apagogiſch, ganz dem Gange des
men (chlichen Geiſtes in 'ungebildetern Peria
den gemäſs. Dieſer beweiſt ſeine Sätze di
rect. Jener " ganz a priori , ohne auf das
Zeugnis der finnlichen Erfahrung zu achten,
dieſer a priori und oft aus der Erfahrung
zugleich.
Ein andrer Unterſchied beſtehet in den
zu Spinozas Zeiten pornehmlich durch Cartes
F mehr

1
82

mehr entwickelten und ſchärfer unterſchie,


denen Begriffen des Einfachen , der Subſtanz ,
und dem von Spinoza ſelbſt völliger gedach
ten Begriffe. der Nothwendigkeit: lauter Beg
grilfe, welche Xenophanes zwar ahndete;
aber nicht deutlich zu denken und auszu.
drücken , fulglich auch daraus, nichts zu fol,
gern vermochte. Auch fehlte diefem die
mathematiſche Form , deren fich Spinoza zur
Rundung und conſequenten Aufſtellung ſei.
nes Syſtemes mit Vortheil bediente.

Weſentlicher iſt der Unterſchied des Wer


thes , den beyde ihren Syſtemen beylegten.
Spinoza iſt unleugbar der ſtrengſte Dogmati.,
ker , „ Xenophanes, heiſst es in der Ariſto
teliſchen Metaphyſik * ), hat nichts beſtimmt
feſtgeſetzt. “ „ Was ich , diefs ſind ſeine eige
*

nen Worte **) , was ich von Gott und dem


Univerſum ſage, iſt ein Gegenſtand , den noch
kein Menſchenſohn erkannt hat , und keiner
erkennen wird. Denn wäre auch jemand
so glücklich , . es richtig zu erkennen , ſo
würde er es doch nie wiſſen , daſs er es
er

* ) Metaph . 1.5.
**) Beym Sextus S. 380 Fabric, Ausea
83

erkannt hat, Den Menſchen iſt nur Meynen,


Glauben, beſchieden .“ Was wir empfinden,
darauf gründet - fich das Eleatiſche Sy
ſtem iſt wahres reelles Ding , auſer ihm
iſt nichts , aber wir empfinden es ganz an .
ders, als es an sich wirklich iſt. Um alſo
über den Zuſammenhang, der Dinge nachzu .
denken , müſsen wir den Geſetzen der Ver.
nunft folgen : wie dieſe gebeut, ſo iſt die
Erkenntnis für uns richtig, ob fie es an
ſich ſelbſt ſey, wiſſen wir nicht : Aoxes ori
WAO! TITUXTM .

Fülle born .

VON
1
84

1
1

VON DER FREYHEIT.

AUS DEM GRIECHISCHEN DES NIMESIUS.

Nemefius, Anfangs ein heydniſcher Philoſophy


nachher Bifchof von Emela , der wahrſchein .
lich unter Theodoſius und Gratian , um die
Zeiten des Maximus , Bafilius, Libanius , Gre .
gor von Nacianz ú. a. lebte , hat uns ein
Werk : Von der menſchlichen Na .
tur *) , hinterlaſſen , welches nicht nur man .
che Data für die alte und mittlere Geſchichte
der Philoſophie , ſondern auch viel gute eige
ne Bemerkungen enthält. „Es iſt, nach dem
Ur

*) Νεμεσια επισκοπό και φιλοσοφι περι φυσεως αν


θρωπο , βιβλιον εν. Nunc primum in lucem
editus a Nicafio Ellebodio Calletano .
Antverp, 1565 .
85

Urtheil des erſten Herausgebers *), präcis,


licht, und gelebrt , und worauf mehr , als
auf jones , ankomt, auch ſehr fromm ge 1

Schrieben . “ Diels letztere iſt nun freylich


eigentlich zu bedauren , denn der Verfaſſer
kommt oft den beſten Gedanken durch eine
leere Berufung auf die Bibel zuvor : indeſs
iſt es durch die Uinſtände leicht zu ento
ſchuldigen.
Unter die gedachtern Stellen gehört
folgendes Stück : über die Freyheit; eine
lichte Darſtellung der popularen Beweiſe für
den Erkenntnisgrund der Moralität.
„ Bey der Unterſuchung über den freyen
Willen , d . h. über das , was in unſerer Ge.
walt ſtehet , fragt es ficb erſtlich : ob über
baupt etwas in unſerer Gewalt ſtehe, denn
viele beſtreiten dieſs ; i zweytens, was in un
ferer Gewalt (tehe , · worüber wir freyen
Willen haben ? und drittens: warum uns Gotti,
)
unſer Schöpfer , den freyen Willen gegeben
F3 habe ?
* ) Vorrede zur Ueberſ. S. 9. Wie mag es gekom .
wen ſeyn , daſs
dals man zu einer gewillen Zeit , wo
ſo viele Anfalten gemacht wurden , die Lectüre
der Alten zugleich mit dem Unterrichte in Wil.
ſenſchaften zu verbinden , nicht darauf fiel , den
Nemeſius als Compendium der Philoſophie in
die Schulen cinzuführen ?
86

babe ? Wir wollen auf die erfrere Frage zus


rückgehen , und zuvörderſt aus denen Sätzen,
welche die Gegner der Freyheit , zugeben ,
darthun , daſs etwas in unſerer Gewalt ſtehel: 1
„ Die Urfache alles deffen , was geſchieht,
ſagen fie , iſt entweder Gott, oder die Noth:
wendigkeit, oder das Schickſal, oder die
Natur , oder der Zufall, oder die blinde
Willkühr. Nun aber ſchreibt man Gott das
Seyn und die Vorſehung als Wirkungen zu ;
unter der Nothwendigkeit ſteliet die Bewe
gung derjenigen Dinge , die fich immer gleich
bleiben ; unter dem Schickſale die Nothwen ,
digkeit deſſen , was durch daffelbe beſteht,
(denn auch das Schickſals gehört unter die
Nothwendigkeit); von der Natur kommt die
Entſtehung, Vermebrung und der Untergang
1
die Pflanzen und die Thieres vom Zufall das
Seltfame. und Unerwartete . Denn man er
klärt den : Zufall, als das Zuſammentreffen
zweyer willkührlicher Urfacben , die etwas
anders wirken , als Sie ſollten . Ein Beyfpiel
ſey , wenn jemand beym Graben einen Schatz
findet: der den Schatz einilegte, 'that es ge
wifs nicht in der Alficht, daſs ihn dieſer
Gräber finden fallte , und dieſer grub nicht,
un einen Schatz zu finden : ſondern jener
ver :
gräb ihn , wmi'ihn; wann er wollte , einmahi
wieder herauszu nehmen , dieſer grab , um
einen Graben zu machen. Es ereignete ſich
aber etwas anders, als ſie beyde beabſichti
get hatten. Der blinden Willkühr endlich
kommt dasjenige zu , was fichorin leblofen 3

oder unvernünftigen Geſchäpfén ohne Natur .

und Kunlt ereignet. o 16


16 Welcher von allen dieſen Urſachen follen
wir nun die Handlungen der Menfchen zu.
fchreiben , wenn der Menfeh nicht ſelbſt
Brundlund Urſache feiner Handlungen iſt ?

*
Got gewiſs fisichib idenn es giebt ja auch
fchändliche und ungerechte Handlungěn ; der
Nothwendigkeit nicht, denn Handlungen ge
hören nicht unter die Dinge, welche fichi
immer gleich bleiben dem Schickſale nicht,
denn diefs erſtreckt ſich nicht auf zufällige
fondern blós auf nothwendige Dinge; eben
fo wenig der Natur, denn dieſe wirkt nur
in Thieren und Planzen ; noch weniger dem
Zufalle , denn die menſchlichen Handlungen 1
find keine ſeltſame und unerwartete Dinge ;
endlich auch der blinden Willkühr nicht, .

denn diefe hat es mit den Ereigniſfer leblo,


fer und unvernünftiger Gefchöpfer: zu thun .
Es bleibt alſo nichts anders übrig , als daſs
F4 der
88
1

der Menſch , wenn er handelt und wirket,


ſelbſt Urſache ſeiner Handlungen ley und
freyen Willen habe,
... Hierzu kommt, daſs , wenn der Menſch
von keiner feiner Handlungen ſelbſt. Urſaebe
wäre , .: ſeine Ueberlegungskraft völlig über.
lüſsig wäre. Denn wozu braucht der Ueber,
legung , der von keiner Handlung Herr iſt?
Das Schönſte aber und das Vorzüglichſte am
Menſeben für überflüſsig zu erklären , wäre
die gröfte Ungereimtheit. Wenn der Menſch
überlegt, ſo geſchieht es wegen Handlungen
die er thun will , derin diefs iſt der Zweck
aller Veberlegung, ri
: 51
Noch mehr , wenn die Kräfte zu etwas
in uns liegen , ſo müllen auch die Hand
lungen , welche ihnen gemäſs find , von
uns abhängen . ' . Nun aber liegen die Kräfte
zu den Tugenden in uns , folglich hängen
auch die Tugenden von uns ab. Jenes bé .
weiſt ſchon der ſchöne Ausſpruch des Ariſto:
teles über die fittlichen Tugenden : Was wir
durch Thun lernen , das thun wir , wenn wir
es gelernt haben : wenn wir über die Leiden
ſchaften herrſchen lernen , werden wir weiſe :
und wenn wir weiſe geworden ſind , herr
ſchen wir über die Leidenſchaften , Man
kann
89
kann die Sache auch ſo darſtellen : Es wird
>

allgemein zugeſtanden , daſs Denken und ſich


Veben bey uns ſtehe. Gedanken ſind die
Urheber aller Fähigkeiten :. (die Gewohnheit
iſt auch nur eine erworbene Natur ): ift. diefs,
und find ferner die Gedanken in unſerer
Gewalt , ſo muſs es die Fähigkeit auch ſeyn .
Wenn aber die Fähigkeiten von uns abbän
gen , ſo müſſen es die Handlungen , die ſich
auf jene Fähigkeiten beziehen , auch. Denn
die Handlungen find den Fähigkeiten gemäſs.
Wer alſo nun Fähigkeiten zur Gerechtigkeit
bat, i handelt auch gerecht, und eben ſo im
Gegentheile. Es ſtehet bey uns , gerecht oder
ungerecht zu ſeyn...
Daſs etwas in unſerer Gewalt ſtehe , be.

weiſen ferner auch die Ermahnungen und


das Zureden . Kein Menfch wird uns ermah.
nen , daſs wir nicht dürften , hungern , fie. '
gen ſollen : denn das alles ſtehet nicht bey
uns. Alles , wozu ich jemanden ermahnen
kann , muſs auch in ſeiner Gewalt (tehen.
Haben wir keinen freyen Willen , ſo find
auch die Geſetze überflüſsig; und doch bat
jedes Volk von Natur einige Geſetze : denn
es weiſs,
eiſs , daſs es im Stande ley , dem Geſetze
zu gehorchen . Die meiſten Völker ſchreiben
F 5 fogar
go

fogar ihre Geſetzgebungen den Göttern zu,


die Cretenſer dem Japiter : die Lacedämonier
dem Apollo . Von Natur alſo haben alle
Menſchen die Veberzeugung , daſs etwas in
der Gewalt des Menſchen ſtehe . dia

? Was ich hiervon geſagt habe , gilt auch


von Tadel und Lob , und von allem , was

fonſt noch die Meynung widerlegen kann ,


daſs alles durch ein Fatu'm geſchehe.
Zu dieſer Darſtellung gehören noch die
folgenden Kapitel : Ueber das , was 'in anfea
rer Gewalt ſtehe , Warum wir freyen willen
haben , Ueber die Vorſehung, und deren Ge.
genſtände, fo wie die vorliergehenden Ab
ſchnitte : Ueber das Gern und Ungern thun ,
Ueber die Handlungen wider unfern Willen ,
Ueber die Handlungen aus Unwiſſenheit;
Ueber die freye Wahl , Veber die Gegenſtände
der Ueberlegung , Ueber das Fatum u. fo w ;
alles Abhandlungen , die ihren Gegenſtand, 1

wo nicht erſchöpfen , doch ziemlich genau


entwickeln und mit den nah gelegenften
Beweiſen erörtern .
Darf ich dieſen Vortrag des frommen
Bifchofs mit einem frommen Wunſche be
ſchlieſsen , ſo iſt es der : daſs die Philoſophie
bald in Rückſicht auf die Möglichkeit der
Frey .
91

Freyheit dahin kommen möge , wo der ge


meine Menſchen verſtand in Rücklicht ihrer
Wirklichkeit längſt geweſen iſt, und daſs fie
den Erkenntnisgrund der letztern durch den
Beweis der erſtern zu einem philofophiſchen'
Erkenntnisgrunde erheben , und über alle Ein
wendungen ficlern und befeſtigen möchte.
Die zu hoffende Fortſetzung der Reinholdi
fchen Briefe wird dieſem Geſchäfte eine
+

groſse Erleichterung geben. 1972


Fülle born,

iş !! .me time tai

; 1 2 > ‫ܕܕܰܙܳܕ݂ܨ‬ 4 :1 - ‫܀‬ 5

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Atta , insa ,
vinst.or! is
1

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ÜBER
9
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spa

DAS BISHERIGE SCHICKSAL


DER THEORIE
DES

VORSTELLUNGS . VERMÖGENS.

Das Schickſal, welches die Theorie des


Vorſtellungs - Vermögens bisher erfah . 1

ren hat , ſchlieſst fich zu genau an dasjenige


an , welches der Kritik der reinen Ver.
nunft wiederfuhr , als daſs ich hoffen könn
te , über jenes etwas verſtândliches zu ſagen,
ohne an dieſes mit ein paar Worten zu er .
innern. Ein tiefes Stillſchweigen herrſchte
geraume Zeit hindurch über ein Werk , wel.
ches einerſeits nichts geringeres, als den Um .
ſturz aller bisherigen Philoſophie drohte , an
drerſeits aber die menſchliche Vernunft über
das, was ſie Jahrtauſende hindurcb vergebens
beſchäftiget hatte , zur völligen Befriedigung
zu bringen verhiefs. Weder die Prolego
93
mena , in welchen der Verfalfer der Kritik
der reinen Vernunft ſelbſt , die beträchtlich .
ften Schwierigkeiten ſeines Werkes durch ei
1

ne kürzere und faſsliche Darſtellung bin


wegzuräumen fuchte : noch die Erläute
rungen , durch welche Herr Schulz den
dunkeln Gang der Kritik der reinen Vernunft
einigermaſsen zu erleuchten begann, vermoch . 1

ten die Kaltblütigkeit der deutſchen Philofo


$

phen aus ihrem behaglichen Schlummer zu


wecken , und ich erinnere mich noch ſehr
lebhaft der Periode, da inan in irgend einer
ES gelehrten Zeitſchrift die Prüfung der Kritik
der reinen Vernunft blos deswegen empfahl,
ze weil ja doch der Verfaſſer der philoſophi
ro ſchen Aphoriſmen fie in der Vorrede ein 1

wichtiges Werk genannt hätte ! Die Phi.


loſophen, die den Frieden auf dem Gebiethe
ihrer Wiſſenſchaft , mit Aufopferung alles Sy•
ſtematiſchen und mit der Freyheit erkauf!
1 batten , welche fie allen Meynungen und Hy
potheſen angedeihen lieſsen , die die Würde
des geſunden Menſchenverſtandes nicht gera.
de zu verletzten , und die das Gebieth der
S Philoſophie in eben dem Verbältniſſe zu er .
}
weitern ( chienen , in welchem ſie die Grän .
zen deſſelben immer unbeſtimmter , und den
Be.

{
94

Begrif der Philofophie immer vieldeutiger


nachten dieſe Philofophen muſten noth.
wendig alle Streitigkeiten über ſpeculative
Fragen für eben ſo viele Beweiſe des rohen
Natur zuſtandes , des menſchlichen Geiſtes
erklären , in welchem er ſeine Forderungen
gegen die Anſprüche Andrer durch nichts
als durch Waffen durchzuſetzen wuſste, bevor
er fich durch eine lange Erfahrung von ineh.
rern Jahrtauſenden von der Nothwendigkeit
überzeugt hatte , jedem ſeine Meynungen zų
laſſen , und die Alleinherrſchaft eines
einzigen Syſtemes gegen die Toleranz alo
ler aufzugeben. Der intolerante Verſuch,
ein neues Syſtem , nicht ſowohl neben den
übrigen zu errichten , als vielmehr auf die
Trümmer der bisherigen zu gründen , muſ,
te ihnen ſchon um deswillen lächerlich
vorkominen , je weniger derſelbe ohne Strei
tigkeit durchgeſetzt werden konnte , welche
fie immer an die ehemalige Kindheit des
menfchlichen Geiſtes erinnerte , die dem
glücklichen Frieden ſeiner reifer en Jah
re vorhergehen muſte.
Allein die Beſorgniſſe für das Schickſal
ihrer Syleme überwogen die Friedensliebe 2

der Philoſophen, und ſie entſchloſſen fich um


fo
95

fo mehr, dieſen Kampf einzugehen, je mehr lie


hoffen konnten , daſs es der letzte, wäre, und
daſs ihre Syſteme, wenn ſie die bisher unerhör :
ten Angriffe des Alleszermalmenden aus
gehalten , der Ewigkeit um ſo viel gewiſſer
Trotz bieten würden . Es begann alſo gewil:
ſermaſsen ein Kampf aller Philoſophen gegen
Einen ; man ſah die feindſeligſten Partheyen
fich gefreundſchaftlich alliiren , um dem ge.
meinſchaftlichen Feinde die Spitze zu bieten.
Der Materialiſt hatte nicht weniger Inter
eſſe als der Spiritualiſt mit vereinten Kräften
ein Syſtem zu bekämpfen , welches beyden
un ſo viel gewiſſer den Untergang be .
reitete , je eifriger fie fich uniter einander
felbft aufrieben . Der Naturalift vergaſs
die Fehde , welche ihn ſeit mehr als funfzig
Jahren öffentlich unter den Augen der Cen
ſurcommiſſionen mit dem Supernaturaliſ
ten entzweyte , um ſeine eigene Exiſtenz ge.
gen die Angriffe eines weit fürchterlichern
Gegners in Sicherheit zu ſetzen ! Er hielt
alle über jenen erfochtene Siege für unnütz,
ſo lange es ihm nicht gelungen war , die
Rechtmäſsigkeit ſeines eigenen Beſitzes über
alle Zweifel zu erheben . Der Supernatura .
lift wurde eben ſo bald überzeugt, daſs die
Nie
96

Niederlage des Naturalismus in Kurzem auch


ſeine eigene nach fich ziehen würde , er
( chloſs alſo mit ſeinem alten Feinde Frieden,
um den gemeinſchaftlichen Untergang abzu:
wenden , Die Streitigkeiten , welche ſeit
mehr als zwanzig Jahren in dem Innern der
chriſtlichen Theologie die merkwüro
digſte Revolution hervorgebracht, das Unge.
heuer der Orthodoxie und Intoleranz von
Throne geſtoſſen und dem Reiche der Finá
ſternis die beträchtlichſten Provinzen abge
nommen hatten , ſchienen auf eine Zeitlang
inne zu halten , und aus dem Munde der
Philofophen den Ausſpruch zu erwarten, der
das Schickſal der geſammten Theologie für
immer entſcheiden ſollte .
Einige der berühmteſten Philoſophen
Deutſchlands ergriffen die Fahne der alten
Philoſophie gegen die neue , und fanden je .
der in ſeinem eigenen Syſteme die unüber.
windlichſten Einwürfe gegen das Kritiſche.
Während die Beſtreiter der reinen Vernunft
faſt in allen Puncten unter ſich ſelbſt unei
hig waren , waren he blos darüber einver.
ſtanden , daſs die Kritik widerlegt werden
müſte . Es fanden ſich aber auch eine Menge
von Apoſteln und Waftenträgern des furcht
baren
97

baren Philofophen , welche gröſstentheils


mehr die Worte , als den Geiſt ihres Mei.
ſters auffaſsten , und nicht ſelten unpartheyi
ſchen Zuſchauern Anlaſs gaben zu zweifeln,
ob fie ſich auch allemahl ſelbſt recht ver.
ftanden hätten ? Der Ton , in welchem der
Streit geführet wurde, feng in eben dem
Verhältniſſe an heftiger zu werden , in
welchem die Freunde der Kritik der reinen
Vernunft dié Unmöglichkeit einſahen , mit
den Gegnern über Lehrſätze einig zu werden,
die auf ganz entgegengeſetzten Principien , ge
gründet waren, auf Principien, die bey den Strei.
tigkeiten ſowohl , als in der Kritik ſelbſt mehr
vorausgeſetzt, als entwickelt wurden , und

über welche man ſchlechterdings einig ſeyn
mufte , wenn man nicht in der Folge nichts
als Widerſprüche und Inconſequenzen fehen,
und alſo den wahren Sinn der Kritik gänz.
lich misverſtehen wollte. Daher die mit
Recht ſo oft wiederholte Klage , daſs die
Gegner der Kritik den wahren Sinn derſel
ben faſt durchaus verfehlet, und derſelben
Widerſprüche aufgebürdet hätten , welche doch
blos eine Folge der widerſprechenden Prin
cipien waren , von welchen beyde Theile
ausgiengen , und über welche fie um ſo viel
G
98

weniger fich zu verſtändigen vermochten, weil


über die Principien alles Streitens bey dem
Streite ſelbſt keine Frage ſeyn konnte. Der
Geſichtspunct, aus welchem die Gegner die
Kritik beſtritten , war denjenigen ganz ent,
gegengeſetzt, welchen der Verfaſſer der
Kritik vor Augen hatte , und den man
nothwendig vor Augen haben muſte,
um die Dinge fo zu ſehen , wie er fie fah,
und in ſeinen Anſichten etwas mehr, als Ein
ſeitiges, Schiefes und Verkehrtes zu finden ,
Es war unmöglich , durch die Kritik ſelbſt
fich von der Wahrheit des Kantiſchen Ge .
ſichtspunctes zu überzeugen , weil das aus
1

einein Geſichtspuncte Geſchehene uns nur leh


ren kann , was wir aus dieſem Geſichts.
puncte ſehen ,, keinesweges aber, daſs wir
es aus keinem anderen ſehen dürfen .
Die Vorausſetzungen , auf denen die Kritik
beruhet , hind zwar nach der Ueberzeugung
ihrer Verehrer ohnſtreitig richtig : allein
da fie nicht allgemeingeltend waren , ſo
konnten fie eben darum nicht diejenigen ſeyn,
von welchen sich ein vollkommnes Einver :
ſtändnis der Philoſophen erwarten liefs. Der
Grund eines Gebäudes kann , als ſolcher, un .
möglich durch das Gebäude ſelbſt begründet
wer
99

werden und das Fundament der Kritik


konnte, als ſolches, unmöglich ſeine Feſtigkeit
durch die Kritik ſelbſt erhalten. Es multe
alſo entweder unabhängig feſtſtehen , es mu
fte der letzte Grund alles Begründeten
Leyn : oder es multe wenigſtens näher oder
entfernter auf einem feſten unerſchütterlichen
letzten Grunde beruhen.. Im erſtern Falle

multe der Satz , welcher in dein Syſteme von


Grundſatzen , die das Fundament der Kritik
ausdrücken , der Erſte ſeyn foll, ſelbſt ein
-allgemeingeltender , völlig ausgemachter Satz
ſeyn : im zweyten ,muſte er fich auf einen
ſolchen zurückführen laſſen . Offenbar hat
die Kritik der reinen Vernunft keinen all
gemeingeltenden, völlig aufgemachten erſten
Grundſatz ihres Syſtems aufgeſtellt, einen
Grundſatz , der über alle Einwendungen und
Misverſtändnille erbaben durch ſeine unwi.
derſtehliche Evidenzallen philoſophiſchen
Partheyen , Sceptikern und Dogmatikern,
Empirikern und Rationaliſten einen Beyfall
abzwängè, der ihnen ſelbſt eben ſo unerwar
tet, als für das Schickſal des neuen Syſtems
entſcheidend leyn müſte. Die Wirklich
keit fynthetiſcher Urtheile a priori
iſt nichts weniger , als ein allgemeingeltender,
ganz
!

100

ganz unbeſtrittener Satz ; denn er wird von


allen Gegnern der Kritik beſtritten , und fein
wahrer Sinn kann nur erſt durch die Kri:
rik ſelbſt feſtgeſetzet werden . Daher auch
Herr Schulz in ſeiner vortreflichen Prüfung
der Kantiſchen Kritik der reinen Vernunft
ſich genöthiget ſah , die Priorität des Raumes
vorauszuſetzen , um die fynthetiſche Natur
der geometriſchen Urtheile zu beweiſen .
Der Begrif von Erfahrung , als einer
1

nothwendige'n Verknüpfung finnli


cher Wahrnehmungen , welcher in der
Kritik überall vorausgeſetzt wird , kann eben
ſo wenig den Rang eines allgemeingeltenden
Princips behaupten. Denn eben die Noth
wendigkeit der Verknüpfung der Wahr.
nehmungen iſt es , welche die Gegrier am
Sehärfſten in Anſpruch nehmen , und von
welcher ſie ſich durch die Kritik ſelbſt , in

der jener Begrif nirgends bewieſen wird, und


als das letzte Princip aus der Kritik nicht
bewieſen werden durfte, unmöglich überzeit
gen können . Die Vertheidiger der Kritik
muſten alſo die Prämiſſen des Kantiſchen Syo:
ſtems entweder durch einen Zirkel aus dem Sy*
ſteme ſelbſt ableiten, oder ſie waren gezwun.
gen , höhere Gründe jener Prämiſſen auf
zu-
นะ
101

zuſuchen . Waren aber dieſe höheren Gründe


noch nicht die höchſten , waren fie nicht
an und für fich einleuchtend und allgemein
geltend, muften fie erſt durch andere Grün .
de erwieſen und gegen Misverſtändniſſe geſi
chert werden , ſo vermochten fie eben ſo we
nig , als die Kantiſchen , 'dem Streite ein En .
de.zu machen , ſo waren ſie eben ſo ſehr,
als dieſe , Zweifeln , Einwürfen und Misdeu
tungen ausgeſetzt, und es blieb ihnen kein
anderes Verdienft übrig , als die eigentlichen
Streitpuncte zu fimplificiren , und den Streit
En
ſelbſt ſeiner Entſcheidung einigermalsen näher
n
zu bringen .
Nur durch unmittelbare einleuchtende
he
r
allgemeingeltende Principien war es möglich
m
eine Fehde zu endigen, welche von Tage zu
Tage weitläuftiger und verworrener wurde.
in Je mehr die Zahl der Kämpfer zunahm , de
id
fto mannigfaltiger muſten die Richtungen wer
ht
den , in welchen fich die Specụlationen der
verſchiedenſten Geiſter durchkreutzten , lo
Itº

ik
lange jeder blos von dem ausgieng, was für
ihn ausgemacht war : und je mehr man die
yo
Gründe des Subjectiv ausgemachten auf,
zuſuchen ſich genöthiget fand , deſto dringen .
der muſte fich das Bedürfnis ankündigen, eso
G 3 was
102

was für alle ausgemachtes zu entdecken :


Des ewigen Fragens müde , multe man eś
unentbehrlich finden , etwas zu
zu beſitzen ,
was keiner- Fragebedarf... Vergebens hatte
man verſucht , auf verſchiedenen Wegen zu
Einem Ziele zu gelangen ; anſtatt fich dem
Ziele zu nahern , entfernte man ſich in un
endliche Weiten von einander. Vielleicht
war nur ein einziger Weg noch unterſucht,
der aus Einein Puncte Alle zu Einem Ziele
führte .
Es war dem Verfaſſer der Theorie
des Vorſtellungs - Vermögensi aufbe
halten , dieſen Weg einzuſchlagen , und einen
Verſuch zu machen , ob ich nicht alle Ge
Sichtspunete der Philofophen Einem höchſten
unterordnen', alle Wege der Philoſophen in
Einem vereinigen , und die beſtrittenſten Prin .
cipien auf eiti" unbeſtrittenes - zurückführen
lieſsen." Da alle Philofophen über das Da
leyn der Vorſtellungen einig waren :
to verſuchte er , ob ſich nicht aus dein un .
leugbaren Bewuſstſeyn der Vorſtel.
Jung die urſprünglichen Merkmale derſelben 2

ableiten , und der- allgemeingeltende Sätz, 1

welcher das Bewuſstſeyn als bloſses Factum


ausdrückt, nicht zu dem Range des erſten 1

Grund
103 น

Grundſatzes der ganzen Philoſophie


1
erhoben werden könnte ?
Mit überraſchender Leichtigkeit und höch
fter Evidenz ſah der Verfaffer des gegenwär- ,
tigen Aufſatzes die. Reſultate der Kritik der
reinen Vernunft auf dieſem Wege in ei .
nem Lichte hervorgehen , welches alle Dun .
kelheiten des Kantiſchen in hellen Mittag zu
verwandeln , und alle Streitigkeiten der Phi
lofophen durch einen ewigen Frieden zu be
endigen ſchien. Das Kantiſche Syſtem era
fchien ihm in einer Klarheit , welche ſelbft
manchen Freund deſſelben in Erftaunen fetzte,
und Heere von Einwürfen , die , trotz unzäh .
licher Widerlegungen, immer mit verſtärkter
Macht zurückgekommen waren , verſchwan
den vor dem Lichte der Theorie , wie Nebel
wolken vor den Strahlen der aufgehenden
Sonne. Das geheimnisvolle Dunkel , in wel.
chem der Verfaſſer der Kritik der reinen
Vernunft ſeine Entdeckungen nur ſehr weni
gen Eingeweihten verſtändlich zu machen
1
hoffen durfte , wurde mit einer Faſslichkeit,
Anmuih und felblt Schönheit des Styls ver
tauſcht, welche um fo Beyfpielloſer war , je
weniger dieſen Vorzügen Gründlichkeit und
ſyſtematiſche Ordnung auſgeopfert worden.
An
1

104
1

Am Leitfaden des Bewuſstſeyns wurden


alle Labyrinthe der Speculation mit einem
Glücke durchwandert , welches um ſo mehr
überraſchte , je unglücklicher die zahlloſen
Bemühungen geweſen waren , durch welche
die berühmteſten Selbſtdenker in jene. Fin ,
ſterniſſe Licht zu bringen geſtrebt hatten. Das
Bewuſstfeyn wurde das letzte, unerſchüt
terliche, einzige Princip , des philoſophiſchen
Wiſſens, das: Princip , . das dem bisherigen
Aggregate philoſophiſcher Bemerkungen das
Gepräge der Wiſſenſchaft ertheilte, und allen
philofophiſchen Unterſuchungen das Siegel der
Vollendung aufdrückte. Durch den Satz des
Bewuſstfeyns ſah der menſchliche Geiſt sich
auf den höchſten Standpunct ſeiner Erkennt
nis erhoben , von welchem er den Kreiſs ſei
nes Wiſſens mit Einem Blicke umfaſſen , die
Gränze deſſelben bezeichnen, und die Mögliche
keit oder Unmöglichkeit künftiger Erweiterun .
gen ſeines (jebiethes mit unfehlbarer Zuverficht
voraus beſtimmen konnte . Die ſchwierigſten
Probleme der Philoſophie wurden vor dem .
Richterſtuhle des Bewuſstſeyns zur Befriedi.
3 gung aller Partheyen entſchieden , und in den
verworrenſten Fragen ein Sinn entdecket, der
die Keime der Antwort bereits in ſich ſchlofs: 1
Die


105

Die Reſultate der Kritik der reinen Vernünft


wurden auf eine Art beſtätiget , welche ihnen
die höchſte Garantie, die des Bewuſst
feyns ſelbſt verſchafften . Die Theorie des
Vorſtellungsvermögens enthielt den Schlüſſel
zu den unauflöslichſten Räthfeln der Kritik
der Vernunft. Durch he war man in Stand
geſetzt, die ungebohrnen Gedanken des Ver
faſſers' der letztern noch in ihren Keimen zu
errathen , und ſeine Ahndungen in entwickelte
Grundſätze aufzulöſen . Die : philofophiſche
Sprache enthielt eine Feſtigkeit und Beſtiinmt.
heit , welche mit der bisherigen Verwirrung
eben ſo ſehr , als mit der Trockenheit der
Kantiſchen Terminologie contraſtirte. Der
geiſtige. Mechanismus des Vorſtellungsvermő,
gens wurde mit einer Feinheit und einer
Evidenz entwickelt, welche ſelbſt.die glück
lichften Verſuche der Phyſiologen , die Ge.
heimniſſe des körperlichen zu enthüllen , be
{ chämen könnte. Die verborgenften Tiefen
des Gemüthes wurden mit einer Leichtigkeit
ergründet , die von der vorhergegangenen
Schwierigkeit ſelbſt die Möglichkeit faſt pro.
blematiſch machte . Die Geſetze der Sinnlicha
keit, des Verſtandes und der Vernunft war .
den mit einer Kühnheit aufgeſchlagen, welche
G5 auch
106

auch nur zu ahnden , vor Kurzem noch Ver .


wegenheit geweſen wäre , und in eine Spra
che überſetzt, deren Verſtändlichkeit nicht
weniger entzücken , als die Gröſse der durch
fie entzifferten Geheimniſſe bezaubern inufte.
Die Theorie des Erkenntnisvermögens , wel.
che ſich ſelbſt nicht genungſam zu unterſtü .
tzen vermochte , erhielt durch die Theorie
des Vorſtellungsvermögens überhaupt eine
Einheit, Rundung und Vollendung , welche
die kühnſten Wünſche der Philofophie bey
weitem übertraf; und die Wahrheit ſelbſt
ſchien vor dem glücklichen Auge des Verfaf
fers der Theorie ihr jungfräuliches Antlitz
enthüllt zu haben , um den raſtloſen Eifer
der Sterblichen nach tauſend mislungenen
Verſuchen durch die herrlichſten Auffchlüffe
zu krönen.
· Da die Principien des Reinholdiſchen
Syſtems über alle jene Einwürfe erhaben
waren , welche dem Kantifchen so ſehr
zur Laſt fielen , ſo war man eben ſo ſebr
berechtiget , zu erwarten , daſs die Freunde
der Kantiſchen Philoſophie das Reinholdiſche
$5 Werk mit ungetheiltem Beyfalle aufnehmen ,
und mit Freuden die neue Bahn betreten wür.
den , welche ſie um ſo viel leichter und ſiche
rer

1
107

rer zum Ziele zu führen verhiefs, als daſs


die Gegner fich von den ungeheuren Misver.
ſtändniſsen überzeugen würden , worauf ihre
meiſten Einwendungen beruheten , und deren
verborgenfte Quellen ihnen hier mit uner .
reichbarer Evidenz aufgedeckt worden. Allein
man irrte fich in beyden auf eine etwas un
erwartete Weiſe. Die Theorie des Vorſtela
lungsvermögens wurde freylich allgemein für
ein Product des geübteſten Scharffinnes , für
ein Meiſterwerk des philoſophiſchen Geiſtes
erklärt; allein die Antikantianer vermiſs
ten in derſelben eben ſo ſehr die Beantwor.
tung aller Einwürfe gegen die Kritik der
reinen Vernunft, als die Kantianer die
Beſtätigung aller Reſultate derſelben. Beyde
verkannten faſt immer den Geiſt der Theorie
des Vorſtellungsvermögens ; fie hielten ſie für
einen Commentar der Kritik der reinen
Vernunft, und da fie freylich nicht das in
ihr- fanden , was sie von einem Commentare
zu fordern berechtiget waren , " ſo vergaffen
fie über dem , was die Theorie nicht leiſten
wollte , das , was fie wirklich geleiſtet hatte.
Da die Reſultate der Theorie des Vorſtel
lungsvermögens mit denen der Kritik der
reinen Vernunft völlig übereinſtimmten , ſo
multe
108

muſte man ; wenn man die Verſchiedenheit


der Methode , nach welcher beyde zu den .
ſelben gelangen , aus den Augen verlohr , es
unbegreiflich finden , mit welchem Rechte der
Verfaffer ſeine Theorie eine neue nennen

konnte. Die meiſten Recenſenten begnügten


fich , A u s züge aus einem Werke zu geben,
1

das freylich leichter zu exçerpiren , als zu


beurtheilen war , und überhäuften daſſelbe
mit Lobſprüchen , die ohne Beweis ſeinen
Werth ſo wenig , als Beweisloſer Tadel ſei,
nen Unwerth entſcheiden konnten. Bis jetzt
find nur ſehr wenige eigentliche Beurthei:
lungen der Theorie des Vorſtellungsvermö.
gens erſchienen , und dieſe wenigen find
gröſtentheils nicht zu Gunſten derſelben aus
gefallen . Diejenigen , welche von Antikan.
tianifchen Verfaſſern herrühren , können
nicht im eigentlichen Sinne Beurtheilungen
der Theorie des Vorſtellungsvermögens ges
nannt werden , weil fie fich mehr mit Ein
würfen gegen einzelne , der Theorie mit der
Kritik der reinen Vernunft gemeinſchaftliche,
und der erſteren keinesweges eigenthümliche
Behauptungen , als mit Prüfung des Syſtemes
im Ganzen beſchäftigen.

Von
109

Von den Freunden der Kantiſchen Phi


loſophie find mir bisher nur zwey Recenfio
nen zu Geſichte gekommen , welche auf den
Náhmen von Benrtheilungen der Theo
rie mit mehrerem Rechte Anſpruch inachen
können. Die eine von Herrn Profeſſor, Hey
denreich in den Leipziger gelehrten Zei
tungen No. 46. 1790 , und die andere von
dem ſcharffinnigen Recenſenten der Bey
träge zur Berichtigung bisheriger Misverſtänd
niſſe der Philoſophen in der Allgemeinen Lit.
Zeitung No. 26. 27. 1791. Allein beyde find
mit dem Verfaller der Theorie über die
Hauptmomente ſeines Syſtemes ſo wenig ein .
verſtanden , daſs Sie vielmehr die Theorie des
Vorſtellungsvermögens. überhaupt entweder
für entbehrlich oder gar für unerweislich
erklären . Herr Heydenreich findet es
unmöglich , die Theorie der Gattung nicht
nur vor den Theorieen der Arten aufzuſtel
len , ſondern die letztern gar auf die erſtere
zu gründen. Er hält die Zergliederung des
Begriffes von Vorſtellung und Vorſtellungs
vermögen überhaupt für ein philoſophi
ſches Kunſtſtück , und dem Forſcher des Er.
1
kenntnisvermögens keinesweges unentbehr
lich , und verſpricht, in einem kritiſchen Ver
ſuche
110

fuche über die Theorie des Vorſtellungsver.


mögens dieſe Behauptungen zur Befriedigung
für alle partheyloſe Denker zu erweiſen
ein Verſprechen , deſſen Erfüllung man
2
dem Scharflinne des Herrn Heydenreich, nach
den vortreflichen Erörterungen des Verfaf
ſers der Theorie in den Beyträgen zur Be.
richtigung bisheriger Misverſtändniſſe, etc, uni
ſo eher erlaſſen dürfte , je weniger zu be.
greifen iſt, wie eine philoſophiſche und ſyſte ,
matiſche Theorie der Arten ohne vorausge .
ſchickte Theorie der Gattung zu liefern mögo
lich ſey.

Der Recenſent der Beyträge etc. in der


Allg. Lit. Zeitung findet es ſehr in die Augen
fallend , daſs die Theorie des Vorſtellungs 1

vermögens auf einer ganz andern Art zu


philoſophiren beruhe , als diejenige iſt , wel
che Kant einzuführen geſucht, und daſs die.
ſelbe vielmehr wieder zu einer aus Begrif.
fen demonſtrirten Philoſophie führe, welche
mit den Grundſätzen der Kritik der reinen
Vernunft durchaus nicht zu vereinigen ſtehe
eine Behauptung , die ich mit den Lehren der
Kritik der reinen Vernunft durchaus nicht
zu vereinigen weiſs, nach welchen die Phi
lolo

1
111

loſophie eine Wiſſenſchaft aus Begrif


fen iſt, und das dogmatiſche Verfahren
in derſelben , (welches vom Dogmatismus
genau zu unterſcheiden iſt) in nichts Ande
rem beſtehet, als in ſtrengen Beweiſen aus
Principien a priori , welches doch wohl Bea
griffe find . Noch unbegreiflicher iſt es mir,
wie der Recenſent der Theorie zur Laſt legen
durfte , daſs Sie eine von der Kritik der rei
nen Vernunft ganz verſchiedene , und derſel.
ben , wie der Verfaſſer ſelbſt geſtehet, gerade
entgegengeſetzte Methode befolge, da die
Kritik blos eine Propädeutik des Syfte
mes der reinen Vernunft, die Theorie des
Vorſtellungsvermögen's aber , in der Sprache
der Kritik , ein Organon der Philoſophie
ſeyn ſollte.

Dennoch hat die Theorie des Vorſtellungs


vermögens den groſsen Endzweck ihres Ver
faſſers bisher keinesweges ganz verfehlet,
und die gröſsere Beſtimmtheit, welche ſeit
ihreın Daſeyn in den Begriffen ſowohl, als
in den Ausdrücken der Kantianer wahrge
nommen wird ; der Eifer, mit welchem man
die dornigten Pfade der Kritik zu verlaſſen
an
112

anfängt, , um auf den geehneten Bahrien der


Theorie den Preis ſeiner Bemühungen ohne
jene ungeheure Anſtrengung zu erringen ;
die Sparſamkeit, womit man die Terminolo
gie der Kritik zu brauchen beginnt , um die
Reize des Eingekleideten durch die Faſslich
keit der Einkleidung zu erhöhen ; das Beſtre
ben , die Streitpuncte inmer mehr zu verein
fachen , den Sinn der aufgeworfenen Fragen
der bisherigen Vorſtellungsart immer näher
zu bringen , und das Gebieth der Speculation
weniger unzugänglich , und die Schätze deſ
ſelben minder geheimnisvoll zi machen ; das
Ende mancher Misyerſtändniſfe , yon welchen
bisher faſt kein einziger Lehrſatz der Kritik
der reinen Vernunft verſchont geblieben war ,
und deren Fortdauer nur durch diejenigen
Eigenſchaften ihrer Gegner unterhalten wer
den konnte , wodurch hich z. B. der Verfaf
ſer der Kritiſchen Briefe an Herrn I.
!
Kant in Stand geſetzt fah , Vorſtellung und
Form der Vorſtellung für einerley zu halten ;
der Enthufiasmus, womit fich felbft Männer
aus den höheren Ständen und Damen für

das Studium einer Philoſophie erklären , wel.


che in ihrer vorigen Geſtalt beyden ſchlech
ter
!
113

terdings ungenieſsbar ſeyn multe dieſe


und andere ähnliche Erſcheinungen unſerer
letzten Tage hind offenbar Folgen der Theo
rie des Vorſtellungsvermögens , ei
nes Werkes, dellen Geſchichte nach Jahrhun
derten der vornehmſte Stoff der Geſchichte
der Philoſophie ſeyn wird!

Forberg.

is

*****

H AY

i
wanne
114

i,
jini ?

A N H ANG
ZUR

VORHERGEHENDEN ABHANDLUNG ,

Eine kurze Vergleichung der Kritik der rei


nen Vernunft und der Theorie des Vora
ſtellungs - Vermögens nach ihren
Hauptmomenten .

Einige Leſer des vorhergehenden Aufſatzes


werden aus Ueberzeugung dem beyſtimmen ,
was der Herr Verfaſſer , eben der , deſſen
Scharfſinne wir mittelbar eine wichtige Berich
tigung in der Theorie des Vorſtellungs -Ver
mögens zu danken haben * ), über dieſes
unſchätzbare Werk geſagt hat. Einige were
den wünſchen, ihm beyſtimmen zu können ,
d. h ,
* ) S. Reinholds Beyträge zur Berichtigung der Mis
verſtändniſſe der Philoſophen. Erſter Theil S. 388
115
d. h. fie' werden wünſchen , eine genaue und
gründliche Kenntnis von der Sache zu haben ,
Dazu , glaube ich , wird folgende kurze Ver
gleichung der Kritik der reinen Vernunft mit
der Theorie des Vorſtellungs . Vermögens ei
nige Anleitung geben. Gründlicher hat uns
hierüber Herr R. Reinhold ſelbſt belehret * ).
1. Nach der Idee eines groſsen Theiles der
bisherigen philoſophiſchen Welt gab es eine
Willenſchaft überhinnlicher , Gegenſtände aus
bloſser Vernunft. Die Pfleger dieſer Willen
ſchaft kamen in der Hauptfache, in der Wirk.
lichkeit eines ſolchen Syſtems, mit einander
überein : fie unterſchieden ſich nur durch den
höhern , oder niedrigern Grad der Gewisheit,
den man dieſen Vernunfterkenntniſſen bey
zulegen habe, und durch die verſchiedenen
S
Meynungen über die Anwendung derſelben
und die Beweiſe dafür. , Diefe Wiſſenſchaft
3
enthielt eine Ontologie, eine Wiſſenſchaft
pon objectiven Prädicaten wirklicher Gegen >

ſtände aus blofsem Verſtande, welche für die


S
geſaminte Metaphyſik haftete , indem ſie den. !

jenigen Grundſatz aufſtellte und entwickelte,


1
H 2 aus

*) Eben daſelbe Werk . S. 257 338. Ueber das


Verhältnis der Theorie des Vorſtellungs - Vermö.
>
3 gens zur Kritik der reinen Vernunft.
116 h

aus welchem die übrigen Theile der Meta


phyſik abgeleitet wurden . Dieſer iſt bey
Wolf der Satz des Widerſpruchs, aus wel
ehem der des " zureichenden Grundes un
mittelbar folgte. Wenn dieſer Satz , wie es
eine genauere Prüfung deſſelben augenſchein
1
lich gezeigt hat, nichts mehr , als die noth
wendige Vebereinſtimmung einer Vorſtellung
1 mit' ihren Prädicaten , keinesweges aber die
Uebereinſtimmung der Vorſtellungen mit ih
ren Objecten ausdrückt : ſo iſt es allerdings -
eine wichtige Frage , wie Wolf and nach
ihm die meiſten Philoſophen eine Wiſſenſchaft
der Gegenſtände darauf haben bauen , wie ſie
ſeinen wahren Gehalt haben überſehen kön.
"nen ? Die Haupturſache iſt , glaube ich , die,
dals wolf den Satz des Widerſpruchs als
das Princip des Bewuſstſeynis angeſehen hat.
Blos darum , ſagt er ausdrücklich , find wir
uns unſerer ſelbſt und anderer Gegenſtände
bewuſst, weil wir uns unmöglich denken
können , daſs wir uns zugleich ſollten bewuſst
und auch nicht bewuſst ſeyn. Iſt nun , fo

ſchloſs er weiter , Bewuſstſeyn das Weſentli.


che bey aller Erkenntnis , ſo iſt jener Satz
als Princip des Bewuſstſeyns auch das Prin
cip aller Erkenntnis. Was nun alſo dieſem
Satze ,
UR

Sarze gemäſs von seinem Dinge prädicirt wird ,


muſs dem Dinge auch wirklich zukommen.
Ding iſt alles, was ſeyn kann , és mag wirk
lich ſeyn oder nicht. Das Weſen eines Din
ges iſt das, wodurch ein Ding in ſeiner Art
beſtimmt iſt, nun könnte ein Ding in keiner
Art beſtimmt ſeyn , wenn es nicht möglich
wäre : die Möglichkeit iſt alſo das Wefen ei.
nes - Dinges. Da Weſen dasjenige iſt , was
den zureichenden Grund von Allem dem Dinge
zukommenden enthält , ſo iſt der zureichende
Grund eines jeden Dinges ſeine Möglichkeit.
Alles , was iſt , muſs alſo möglich ſeyn , muſs
einen zureichenden Grund haben. Möglichkeit
iſt etwas nothwendiges, mithin iſt das Weſen
eines jeden Dinges nothwendig. Und ſo iſt
nun aus dem logiſchen Subjecte , aus einem .
denkbaren Etwas , eine metaphyſiſche Sub
ſtanz , aus dem logiſchen ein metaphyſiſcher
Grund gebildet. Was diefen , angewendet auf
beſtimmte Subjecte , für Prädicate zukommen ,
lehren die übrigen Theile der Metaphyfik .
Die rationale Pſychologie lehrt "aus
ſolchen Begriffen die Natur der menſchli
chen Seele a priori kennen , die rationale
Cosmologie und Theologie liefern der
gleichen Kenntniſſe von der Welt und von
H 3 Goit
7

118

Gott Alles ein Ganzes , ein ſchöner Zuſain ?


menhang , fobald die Prämiffen zugeſtan ,
den werden. .
Seit Wolfens Zeiten iſt für die Meta:
phyſik nichts geleiſtet worden. Der eine mag
Sie präciſer gefaſt, in einem beſſeren Zuſam .
menhange vorgetragen , der andere mag Itatt
des Wolfifchen Princips ein anderes , das
fich zu jenem wie Art zur Gattung verhält,
geltend gemacht, ein dritter mag einen alteri
Beweis geſchärft oder mehr ausgeführt, oder:
aus den alten Sätzen einen neuen Beweis ge.
zogen haben : für den Inhalt der Wiſſenſchaft
iſt nichts geſchehen . Oder man müſte denn
dalin rechnen , was die Eleganz einiger Phi.
lofophen gethan hat, welche z . B. die Onto .
logie , um ihr das Trockene zu benehmen ,
und vielleicht auch , um ihr einen gröſseren
Schein von Evidenz zu geben , unmittelbart
an die Pſychologie anſchloſſen , oder der vam
tionalen Pſychologie von der empiriſchen
1

etwas Fleiſch zu geben wuften , oder die


Cosmologie mito aſtronomiſchen und andern .
Kenntniſſen aufſtutzten .
Mehr iſt gegen diefelbe gethan worden.
í
Die Leichtigkeit und Gefälligkeit der Erfah
rungsphiloſophie zog : fie in einen nachtheili
gen
119
gen Contraſt: die Orakel der êrſerui, Erfah
rung und Gemeinverſtand , ſchienen viel 24
gänglicher; ihre höchſte Forderung - Wahr
ſcheinlichkeit leichter zu befriedigen ; fie
war bald fertig , fogenannte Schulſtreitigkeiten
beyzulegen , oder als błofsen Wortftreit
zá verwerfen ; durch eine gewiſſe Willkühre
lichkeit der Sprache, welche ſie einführte,
machte ſie es Jedem leicht, Erfinder zu wer
den ; durch die analogiſche Denkart , welche
fie empfahl, zog ſie alle Wiſſenſchaften und
Künſte in ihren Kreis, und gewann dadurch
einen blendenden Schein von Allgemeinbrauch
barkeit. Gegen diefs alles ſtach die ſyſtema
rifehe trockene -Metaphyſik zu ſehr ab , als
daſs sie nicht hätte fallen follen . ' " 5 !
Wenn Sie ſich aber auch gegen den Em
pirismus hätte halten können, ſo konnte sie
es gegen den Scepticismus nicht. Es iſt be
kannt, was Hume' gethan Iran. Ein Streit
gegen ihn aus den alten Principien konnte
mie entſcheidend werden , denn eben gegen
dieſe waren ſeine Angriffe gerichtet; zudem
batte ſich die Metaphyfik ſelbſt zu weit aus
ihrer Veſte gewagt, um an einen Rückzug
denken zu können , und die Inſtanz , wohin
Humes Gegner den Streit zu ſpielen lucha
H 4 ten ,
I20

ten , durfte er nicht für eine rechtmäſsige


anerkennen.
Es war alſo nicht nur um die bisherige,
ſondern um jede mögliche Metaphyfik geſche
hen , wenn nicht ein Selbſtdenker auftrat,
der , ohne für die oder jene vorbandene Me:
taphyſik intereſsirt zu ſeyn , fich für die Ver .
nunft überhaupt intereſsirte, und , ohne ſich
auf das zu berufen , was ſchon geleiſtet ſey,
von neuem unterſuchte , was überhaupt ge,
leiſtet werden könne. Diefs iſt der Gehchts,
punct , aus welchem Kant arbeitete...
Seine Unterſuchung warf ſich die Frage
vor : Ift und wie iſt.Metaphyfik überhaupt
möglich ? oder : Sind und was find durch
reine Vernunft für Erkenntniſſe möglich ?
Um dieſe Frage beantworten zu können,
muſte die Vernunft von neuem unterſucht
werden , denn weder auſer ihr , noch in dem
bereits unterfuchten und bekannten Gebiethe
derſelben konnten die Data zu jener Antwort
zu ſuchen ſeyn . Weil es aber doch unge
wiſs war, wie die Vernunfterkenntniſſe von
andern ſich unterſchieden oder mit andern
zuſammenhienigen , und weil überhaupt die
Arten fich genauer und ficherer angeben
laſſen , wenn eininahl die Gattung beſtimmt
ift :
121

ift : ſo mufte die Unterſuchung fich noch wei


ter und auf das geſam.nte menſchliche Er
kenntnisvermögen erſtrecken . Die Frage: Was
iſt erkennbar ? bereitete : die vor : Was ' iſt
durch Vernunft erkennbar ? Folgende Darſtel
lung des Ganges der Kritik wird , hoffe ich ,
das Verdienſt der Verſtändlichkeit haben.
Wenn Erfahrung die Vorſtellung der
Wahrnehmung in einem beſtimmten Zuſam
menhange iſt : ſo müſſen wir ein Vermögen
haben , wahrzunehmen , und ein Vermögen,
die Wahrnehmungen in einem beſtimmten
(nothwendigen ) Zuſammenhänge vorzuſtellen .
Jenes heiſstt Sinnlichkeit,
Sinnlichkeit , : dieſes Verſrand .
Alles, was durch jene wahrgenontgen werden
foll, muſs unter gewiſſen Bedingungen vor.
kommen, ohne welche jenes Vermögen nicht
wahrnehmen kann. Dieſe Bedingungen ſind
die nothwendigen Bedingungen alles Vorkom :
mens — wie das Auge die nothwendige Be
dingung alles Sehbaren , als ſolchen , iſt : und
in fo fern kommen sie auch nicht allererſt
mit dem vor , was durch fie vorkommt,
ſo wenig wie das Auge erſt dann entſteht,
wenn es heht. Sie müſlen vor dem ſeyn,
was durch ſie vorkomint , weil es uns gar
nicht vorkommen könnte , wenn es nicht
H5 durch
122

durch fie 'vorkame. Dieſe Bedingungen nun


find Raum und Zeit, jene der äuſern , dieſe
der innern' und aller Wahrnehmung überhaupt .
Alles was durch Sinnlichkeit wahrgenommen
werden ſoll, muls es unter dieſen Bedingungen ';
ſie ſind alſo nothwendige und eben darum vor
aller Wahrnehmung vorhandene Bedingungen ,
wenn fie gleich erſt durch Gegenſtände der
! Wahrnehmung in Thätigkeit geſetzt werden.
Das unter dieſen Bedingungen Wahrge
nommene, in dieſen Formen Aufgefaſte 'iſt
aber noch keine Erfahrung. Ich muſs es in
einem nothwendigen Zuſammenhange vor.
ſtellen können , ich muſs es denken. Den

ken beſtehet im Urtheilen , ein Urtheil iſt ei


ne Handlung des Verſtandes ; durch welche
zwey Vorſtellungen Subject und Prädicat uno
mittelbar mit einander verbunden werden.
Solcher, Verbindungen giebt es vier Arter,
viererley Verhältniſse jener beyden Vorſtel
lungen : das Verhältnis des Subjectes zuin
Prädicate , des Prädicats zum Subjecte , beyo
der zuſammen, und beyder zum Bewuſstſeyn.
Jede dieſer vier Arten enthält drey Claſſen
in fch . 1. Das Subject kann ſich zum Prä .

dicate verhalten , als Eins , als Viele , als Alles


( unbeſtimmt.) 2. Dieſes zu jenem , in ſofern
da .
122

dadurch etwas ins Subject geſetzt , von ihm


genoinmen , geſetzt und genommen zugleich
wird. 3. Begde zuſammen , innerlich als
Merkmahl mitdem Gegenſtande, äuferlich als
Folge mit dem Grunde , innerlich und äuſer
bich zugleich als wechſelwirkend , verbunden.
4. Beyde zum Bewuſstſeyn , als verknüpfbar,
als verknüpft, als beydes zugleich. (Schon dieſe
deutlichere Auseinanderſetzung verdanken wir
der Theorie des Vorftellungsvermögens.) Jedem
E Urtheile muſs eine aus den vier, Claflen der
Haupftformen zukommen , jedes muſs nach
den vier Modificationen beſtimmt feyn . So
iſt z. B. das Urtheil : Viele Körper Sind lang,
(abgeſehen von ſeinem Inhalte) nach den vier
Modificationen beſtimmt des Verhalt
niſſes des Subjects zum Prädicate Vies
le ; des Prädicats zuin Subjecte , es wird in
das letztre etwas geſetzt, find lang ; beyder
zuſammen , als Merkmahls init dem Gegen
1 ſtande; beyder zuin Bewuſstſeyn , find
lang
Wenn alles Denken vom Urtheilsvermö.
1 gen abhängt, so hängt auch alles Denken der
Gegenſtände davon ab. Durch jene Formen
3 der Urtheile wird alſo die Möglichkeit be.
fimmt, Gegenſtände zu denken. Gegenſtän
de
124

de können auf ſo vielerley Art gedacht wer


den , als es Formen der Urtheile giebt. Ge
genftände überhaupt find alſo möglich zu
denken 1 ) als Einer , als Viele , als Allé, 2.)
als Etwas, als Nichtetwas, als Eingeſchränkte
3.) als Subſtanz oder Accidenz , als Grund
oder Folge, als Gemeinſchaftlich , 4.) als
möglich , als wirklich , als nothwendig. Al
les , was gedacht werden ſoll, muſs es unter
dieſen Formen . Aber ſo wie fie da find,
find fie noch auf keine Gegenſtände anwend
bar. Was heiſst z. B. das Etwas iſt möglich ,
wirklich ? Es heiſst nichts , lo lange nicht
etwas hinzukommt, was dieſe Begriffe ver
finnlichet. Dieſs iſt die Zeit. Das Etwas iſt
möglich , heiſst alsdann , das Etwas kann zu
irgend einer Zeit ſeyn, und ſo mit allen
übrigen Denkformen. Sie erhalten durch die
Verſinnlichung der Zeit a priori , Anwend
harkeit auf Gegenſtände in der erfüllten Zeit,
im erfüllten Raume. Aber auch die verlinn .
lichten Denkformen sind noch leer , ohne Be.
deutung , ſo lange nicht Gegenſtände da ſind,
worauf fie bezogen werden. Die Form :
möglich , wirklich u. fo w, macht mir nichts
bekannt, ich muſs etwas bekommen , was
teh möglich ,, wirklich nennen foll: es inüfu
ſen
125

ſen , mit einem Worte , Gegenſtände gegeben


ſeyn , wenn ich he denken ſoll. Gegeben
können ſie nur durch Anſchauung leyn , alſo
beziebt fich aller Gebrauch der Denkformen
{
nur auf Gegenſtände der Anſchauung. Form
der Anſchauung und Denkformen machen,
jene die Wahrnehmung , dieſe die Vorſtel
lung der Wahrnehmungen in einem beſtimm
r ten Zuſammenhange möglich , (fie find alſo
1, beyde a priori), das der Anſchauung Gege.
bene , das Empiriſche macht ſie wirklich,
ch Hieraus ergeben ſich nun die für die Haupt
ht unterſuchung wichtige Reſultate : In der Er
fahrung allein iſt wahre wirkliche Erkennt
Elt niſse. Alle Gegenſtände, die ich erkennen
ZU foll , müſſen unter den Formen der Sinnlich
en keit angeſchaut und unter den Formen des
lie Verſtandes gedacht werden können ; fie heiß
id ſen als ſolche Erſcheinungen d. i. Gegenſtän
it, de der Anſchauung: alles, was nicht unter
in. jenen Formen angeſchaut werden kann, kann
le auch unter dieſen nicht gedacht werden : al
Idio les, was nicht unter jenen Formen ange
1: 1. Ichaut werden kann , heiſst Dinge an fich,
ats
Dinge an fich können nicht angeſchaut und
as alſo nicht unter den Denkformen gedacht
il werden , und ſind mithin nicht erkennbar.
Sie
126

Sie können nicht gedacht werden , heiſst, die


Denkformen können nicht auf fie , als etwas
Gegebenes, bezogen werden .' Können ſie diefs
nicht , ſo ſind ſie leer , mithin iſt alles Den
ken von Dingen an ſich leer und giebt kei
ne Erkenntnis. Die Möglichkeit der Erfah
rung iſt das oberſte Princip für die Wahr.
heit unſerer eigentliclien Erkenntnis. Was
wir nje unter den Fornien unſerer Sinnlich
keit wahrnehmen und in den in der Natur
unſeres Verſtandes beſtimmten , alſo nothwen
digen Zuſammenbange vorſtellen können , das
iſt überhaupt nicht erkennbar . Was ſo wahr
genommen und ſo gedacht iſt, iſt erkannt .
Was ſo erkannt iſt , iſt wahr ; unſere Vor
ſtellungen ſtimmen mit dem erkannten Ob.
jecte überein , denn das Object kann nur
dieſe und keine andere Vorſtellung in uns
erwecken , weil wir unſerer Natur nach die
ſer und keiner andern Vorſtellung fähig ſind .
Was iſt es denn nun aber mit den ge
rühmten Vernunfterkenntniſſen ? Dinge an
fich find nicht erkennbar , und damit be
ſchäftigte ſich doch die Metaphyfilo ? War es
bloſse Täuſchung, oder was find denn die
überlinnlichen Gegenſtände der ' reinen Ver
nunftwiſſenſchaft ? Wenn . fich die Metaphy,
fik
11 127

fik mit Vernunfterkenntniſſen rühmte, ſo


müſſen diefe in der Natur der Vernunft ih
ren Grund haben . Worinn beſteht die Vere
nunft ? In den Vermögen zu ſchlieſsen. Ein
Vernunftſchluſs iſt die Ableitung einer Er
kenntnis aus einem Princip, des beſondern
aus dem Allgemeinen , des Bedingten aus der
1

Bedingung. In dem Principe eines jeden


Schluſſes iſt ein Verhältniſs zwiſchen der Be
dingung und dem Bedingten. ( In dem Schluſ
fe : Alle Metalle werden durchs Feuer
weich , der Molybdaen iſt ein Metall, allo
wird der Molybdaen durchs Feuer weich ,
iſt das Metall als Bedingung des Weichwer
dens , enthalten.) Diels Verhältniſs kann
dreyfach ſeyn , als des Subjectes zum Prädi
des Grundes zur Folge, des Ganzen zu
cate ,
den Theilen. Aber damit iſt noch nichts, als
die Form der Schlüſse, ausgemacht. Wober bę.
kommt nun die Vernunft den Inhalt derſelben ?
Jene kann richtig ſeyn , und dieſer iſt den .
noch falſch , Erzeugen aus hich kann ihn
die Vernunft nicht, denn ſie kann nichis,
als die Form , hervorlyringen : iſt er ihr an.
gebohren ? uninöglich. Inhalt iſt ein Gegen
ſtand, und Gegenſtände können ihr nicht an .
gebohren ſeyn. Sie muſs ihn allo erhalten,
und
128

und woher anders, als von dein Verſtande?


Dieſer liefert ihr Stoff, das heiſst, ſeine Ur
theile und Begriffe. Die Bearbeitung dieſes
Stoffes geſchieht dadurch , daſs die Vernunft
zu zwey Begriffen einen dritten aufſucht,
den ſie als unbedingt annimmt, oder zu dem
fie die weitern Bedingungen bis zur leztmög.
lichen auffacbt. Wenn ihr z. B. der Ver
ſtand das Urtheil : : das Metall Molybdaen
wird durchs Feuer weich , dieſert , ſo ſucht
ſie durch den Mittelbegrif Metall eine alle
gemeine Bedingung auf, und ſpricht: Alle
Metalle werden durchs Feuer weich 'u . ' f.
w . Dieſer Begrif des Unbedingten iſt der
Vernunft urſprünglich eigen , fie kann ohne
ihn nicht ' thätig ſeyn , nicht ſchlüſsen , und
folglich nicht Vernunft ſeyn . Sind nun

aber die Urtheile und Begriffe des Verſtan :


des der Stoff der Vernunft, und ſind dieſe,
wie oben gelehrt , nichts als Bezeichnungen
der Verhältniſſe der Gegenſtände zu unſerem
Erkenntnisvermögen ; ſo kann die Bearbei
tung dieſes Stoffes', die Verbindung jener Ure
theile und Begriffe, uns ebenfalls nichts meh :
Teres von den Gegenſtänden bekannt machen,
durch bloſse Vernunft können wir alſo kei.
ne Erkenntniſſe erlangen und keine er.

wei.
}}

129

weitern . Die Gegenſtände alſo , womit fich


die Metaphyfik beſchäftiget bat , find keine
erkennbaren Gegenſtände, Sie find nichts,
als Ideender Vernunft, das heiſst, gewiſſe
Vorſtellungen des Unbedingten , der höch
ſten Einheit und Vollſtändigkeit, welche aus
dem Wefen der Vernunft entſpringen , die
Erfahrung zu einem überſehbaren Ganzen
zu machen dienen , und alſo blos Bedingun
gen der Vernunft, aber nicht wirkliche Ge;
genſtände auler derſelben find. Der deut
indedir

lichſte Beweis davon iſt der, daſs wenn die


Vernunft nisverſtanden, und die Einheit,
welche se idenkt, für Einheit auſer ihr in
2 den Gegenſtänden ſelbſt gehalten wird,, ein
1 offenbarer Widerſpruch der Vernunft init
1 ſich ſelbſt entſtehet.
Was iſt denn nun aber für eine Metaphy.
fikir möglich ? res' find , wie oben erwieſen,
in unferm Gemüthe gewiſſe Formen aller
1 Erkenntnis : a priori gegeben , durch welche
allein ; alle Erkenntnis möglich wird Die

Darſtellung und Entwicklung dieſer, Forinen ,


der Formen der Anſchauung, der Begriffe
und der Ideen , die darinn weſentlich, und a
priori , beſtimmten Merkmahle alles zu Er
kennenden , ſo, wie alles Denkharen', in Re.
I geln
1130

geln und Geſetze gefaſt, geben eine fichere


und über alle Einwendungen erhabene Meta.
phyſik .
Und hiermit ſind denn nun dem
menſchlichen Erkenntnis - Vermögen ſeine
Grenzen geſteckt. Es iſt auf der einen Seite
erwieſen , daſs es keine Wiſſenſchaft über.
ſinnlicher Erkenntniſſe geben könne , und
auf der andern dargethan , daſs alle die
Verſtandesgeſetze nicht blos zufällige, erwors
bene Erfahrungen , und folglich weder noth:
wendig noch gewils , ſondern wirkliche , zu
aller möglichen Erfahrung nothwendige, in
der Natur des Verſtandes beſtimmte Geſetze,
und die daraus entſtandenen Erkenntniſſe ge :
gebener Gegenſtände wahr und ſicher find.
So weit die Kritik der reinen Vernunft.

Reinholds Unterſuchung faſset einen


noch ausgebreiteteren Geſichtspunct. Er fragt
nicht blos : Wie iſt Metaphyfik , ſondern :
Wie iſt Philoſophie überhaupt möglich ?
Kant hat keinen erſten , in fich ſelbſt
gewiſsen und unbeſtreitbarén ſo wie unbe
ftrittenen Grundſatz ſeiner Unterſuchung
aufgeſtellt und aufſtellen dürfen , da er keine
Wiſſenſchaft des Erkenntnisvermögens, ſon .
dern
IL
131

)
dern eine Unterſuchung deſſelben , keine
I
Theorie , ſondern eine Vorbereitung zur
Theorie biefern wollte. Reinhold fucht einen
Colchen Grundſatz aufzuſtellen , auf dem fich
nicht blos die Kantiſche Kritik , ſondern alle
mögliche ächte , theoretiſche und practiſche
Philoſophie begründen laſſe ,' einen Grund
Tatz, der durch ſeine Gewiſsheit, Evidenz
und Feſtigkeit, der Wiſſenſchaft, welche er
begründen ſoll, eben dieſe Eigenſchaften mit
theile, der nicht ſelbſt aus der Philoſophie
U
oder einem Theile derſelben hergenommen
n fey ,'' keines philoſophiſchen Raiſonnements

bedürfe , um wahr befunden zu werden,
2

e. 'folglich ein Factum ' ausdrücke, der aus kei


d her Erfahrung , äuſerer oder innerer , be
ſtehe und alſo nicht individuell fey , der in
" uns ſelbſt liege ,und alle unſere Erfahrungen
und Gedanken begleiten könne. Alle dieſe
gt Eigenſchaften finden fich nun an dem von
2: ihm aufgeſtellten Satze des Bewuſstſeyns; die
Vorſtellung wird in Bewuſstſeyn vom Vorge
"Itellten " und Vorſtellenden unterſchieden und
auf beyde bezogen.
ng
he Indem alfo Reinhold nicht blos · fragt:
was iſt erkennbar ? indem er die noch fehl
I 2 len.
132

Jenden und eben dadurch die Schwierigkei.


ten der Kritik gröſtentheils veranlaſſenden
Prämillen der Kritik entwickelt , dadurch ,
daſs er den yon . Kant unbeſtimmt gelaſſenen
Begrif. der Vorſtellung überhaupt beſtimmt
indem er fich alſo die Frage vorwirft, nicht:
was iſt wahrnehmbar, denkbar , erkennbar ?
Londern : , was iſt überhaupt vorſtellbar ? fo
findet er in jenem Satze die letzten und all
gemeinſten. Merkmable, alles Vorſtellbaren be.
ftimmt. Er liefert allo im zweyten Buche
1
der Theorie eine Wiſſenſchaft , desjenigen ,
was der Vorſtellung, als bloſſer Vorſtellung,
eigenthümlich iſt, (und den Objecten wie den
Subjecte nur in Beziehung auf; die Vorſtel
lung zukommt). eine Wiſſenſchaft der innern
Bedingungen , der weſentlichen Merkmahle
der Vorſtellung und in ſofern dieſe im Vor .
Stellungsvermögen beſtimmt ſeyn müſſen , die
Wiſſenſchaft des Vorſtellungsvermögens über
haupt.

: Ich habe eine Vorſtellung von E t.


was. Dieſs iſt gleichſam der Text dieſer
Theorie. Ich habe eine Vorſtellung, ich alſo ,
der ich die Vorſtellung habe, bin von der
felben und sie von mir unterſchieden , ich bin
nicht
133

nicht die Vorkellung felbft , und fie iſt nicht


das fch . Ich habe eine Vorſtellung von Etol
was .. Dieſes Etwas iſt alſo wiederum von
der Vorſtellung unterſchieden, es iſt nicht die
Vorftellung felbft; es iſt aber auch von mir,
der ich die Vorſtellung habe, unterſchieden,
das. Etwas iſt nicht. Ich , und Ich bin nicht
das Etwas. Ich muſs aber die Vorſtellung
auf Etwas beziehen , und indem ich sie über
haupt beziehe , fo beziehe ich sie auch auf
mich : ich habe he.

Ich habe eine Vorſtellung von Etwas.


Alſo muſs die Vorſtellung etwas gemein .
Ichaftliches mit mir und mit dem Etwasy
etwas von mir und von dem Etwas haben . 2

(Sonſt könnte ich nicht fagen : ich habe hie:


und nicht, ich habe ſie von etwas.) Das
letztere, das , was fie von dem Etwas hat,
heiſst Stoff, das erſtere , das , was ſie von
mir hat, heiſst Form . Jenes, den Stoff, kann
ich nicht hervorbringen , ich müſte ſonſt er
Schaffen können , es muſs alſo gegeben ſeyn ,
! und in fo fern muſs ich alſo ein Vermögen
haben , das Gegebene zu empfangen (Recepti ,
vität) ; dieſes muſs ich hervorbringen , weil
es zu mir gehört , und ich habe alſo ein Ver .
1 3 mö . '
>

. 134

mögen , die Form hervorzubringen , (Sponta .


neität.) Das was inir gegeben iſt , muſs et
was von mir oder von anderem Gegebenen
zu , Unterſcheidendes, mit verſchiedenen Bea
ſtimmungen , wodurch es ſich unterſcheiden
läſst, verſehen , und folglich ein Mannigfal
riges ſeyn : das was ich daran hervorbringe,
das Unterſcheiden ſelbſt, die Form des Man
nigfaltigen muſs Einheit , Verbindung des
Mannigfaltigen ſeyn. Receptivitât iſt alſo das
Vermögen das Mannigfaltige zu einpfangen,
Spontaneität , diefs Mannigfaltige zu verbin.
den , Einheit daran hervorzubringen. So
wie nun Stoff und Form die weſentlichen
Beſtandtheile der Vorſtellung find : ' ſo find
Receptivität und Spontaneität die weſentli.
chen Beſtandtheile des Vorſtellungsvermögens,
folglich in und mit dieſem gegeben, folglich
vor aller Vorſtellung vorhanden. 1

Diefs wird ſchon hinlänglich ſeyn , um


die Reinholdiſche Idee richtig zu faſſen, und
daraus abzunehmen , wie nun im dritten Bu
che, in ſeiner Theorie des finnlichen , verſtän .
digen und vernünftigen Vorſtellungs . Vermö.
gens, die Forinen dieſer drey Vermögen, die
Kant aufgeſtellt hat, ſich in eben der Zab]
und
135

und Beſchaffenheit , ohne die Articulation des


Kantiſchen Syſtems, und ohne einen einzigen
Kanten eigenthümlichen Beweis ergeben , und
daſs die in der Kritik der reinen Vernunft
geführten beweiſe der Gründe in ſeiner
Darſtellung nur als Folgen auftreten . Ich

will dieſs nur mit einem Beyfpiele erläutern ,


und dann, in Rückſicht auf die vielen Dien.
ſte , welche die Theorie der Kritik geleiſtet hat,
auf die Verſchiedenheiten in einzelnen Pun
cten u. f. w. , auf die obengenannte Abhand
lung des Herrn Reinhold ſelbſt verweiſen .
0 Im Zweiten Buche erweiſet der Verfaf
n fer der Theorie , wie erwähnt, daſs die
d Receptivität des Gemüthes ein Vermögen, ein
i. Mannigfaltiges zu empfangen , oder in der
S, a priori beſtimmten Möglichkeit, durch ein
h Mannigfaltiges afficirt zu werden , beſtehe.
In der Theorie des finnlichen Vorſtellungs
vermögens ( im dritten Buche) zeigt er nung
n daſs die Receptivität bey gewiſlen Vorſtel.
d lungen von a uffen und von innen afficirt
10 werden müſſe. Von auſſen durch Dinge a u.
B fer dem Vorſtellenden , welche durch Ein
je druck das Mannigfaltige, den Stoff liefern . Von
e innen durch die Spontaneität des Gemüthes,
al welche das von auſfen gelieferte Mannigfalti
d 14
136

ge verbindet, auf Einheit bringt, um es


als Vorſtellung dem Bewuſstſeyn zu überlie .
fern ; wobey die von auſſen durch Auſſen
1 dinge afficirte Empfänglichkeit durch die
verbindende (in der Handlung des Verbin
dens begriffene) Spontaneität " von innen afli
cirt wird. Das Vermögen der Receptivität,
von auſſen afficirt zu werden , nennet er
äuſern , von innen , innern Sinn , Der
äufere Sinnerhält den blollen Stoff , " und
folglich, ein bloſſes Mannigfaltige in ſeiner
Mannigfaltigkeit, folglich unverbunden (denn
die Verbindung kann erſt durch das Ver .
bindende , die Spontaneität, geſchehen. Wie
alſo der Stoff von Auſſendingen ins Gemüth
kommen kann , als von auſfen her gegeben
muſs er unverbunden in ſeiner Mannig
faltigkeit auſer einander in dem äuſern
Sinne vorkommen ; der äuſere Sinn iſt
allo das Vermögen , durch ein Mannig .
faltiges auler einander afficirt zu werden ,
und die Vorſtellung des Auſereinander be
findlichen Mannigfaltigen überhaupt , oder
der bloſſen Form des Auſereinanderſeyns iſt
die Vorſtellung, vom blofsen Raum , die von
der Vorſtellung des leeren und erfüllten
-Raumes wohl zu unterſcheiden iſt. Der inne
re
137
xe Sinn erhält ſein Mannigfaltiges durch Ver .
binden, durch diejenige Handlung der Sponta
neität, welche das Auſereinander gegebene Man
migfaltige dadurch auffaſſet, daſs es das Mannig
faltige in allen feinen Theilen aufnimmt , eine
Verbindung deſfelben vornimmt , und folglich 1
fuccelliv einen Theil zum andern binzufügt.
Das Mannigfaltige kann alſo im innern Sinne
nur unter der Form des Nacheinander
Reyns vorkommen , und der innere Sim iſt
das beſtimmte Vermögen , durch ein Man-.
nigfaltiges unter der Form des Nacheinan
derſeyns afficirt zu werden, ſo wie die Vor:
Stellung des bloſſen Nacheinanderſeyns, ohne
nach einander folgende Theile (ohne wirkliche
2 Veränderung) die Vorſtellung der blofsen
Zeit, nicht der leeren und erfüllten
Zeit iſt.

$ Demjenigen , welcher fich durch die


directen Beweiſe dieſes Philoſophen nicht
überzeugt fände , wollte ich ríoch rathen,
auf die indirecten aufmerkſam zu ſeyn , wo
hin ich alle die Ueberſichten und Beurthei.
lungen der bisherigen philoſophiſchen Syſte
me rechne , die wirklich wie Proben bey
Rechnungsexempeln dienen, Ich wollte ihm
rathen , einzelne Bemerkungen , z. B. die S.
1.5 240.
1
138

240. über den von allen bisherigen Philoſo .


phen fchief gedachten Begrif der Wahr
heit, oder der Uebereinſtimmung der
1
Vorſtellung mit dem Gegenſtande, die man
in der Aehnlichkeit der Vorſtellung
mit dem Gegenſtande beſtehen lieſs, aufzu
falſen , und ihrem Gange zu folgen , der
unvermerkt auf die Principien der Reinhol
diſchen Philofophie hinführt. Vor allem an
dern wollte ich ihm vorſchlagen , auf die
Fruchtbarkeit des von Reinhold aufgeſtellten
Grundſatzes alles ächten Philofophirens
zu achten , die fich ſchon in ſeinen Beyträ
gen zur Berichtigung u. f. w. aufs deutlichſte
zeigt : alle Selbfidenker aber würde ich bit
ten , wenn ich in dieſer ehrwürdigen Ver.
ſammlung eine Stimme hätte , die wichti
gen Bemühungen Reinbolds mit unbefange
nem Auge anzuſehen , und ihm , fo viel mög.
lich, zu ſeinem Werke zu Hülfe zu kommen,
welches kein anderes ift , als eine nicht Kan
tiſche, nicht Reinholdiſche, ſondern eine Philo.
ſophie ohne Beynahmen , eine Philoſophie
Xat' 60X4v, zu gründen und einzuführen .

Und
139

Und wie weit iſt dieſes Werk ſeit jener


Zeit gediehen ? Was haben die Philoſophen zu
deſſen Förderung beygetragen ?
Reinhold ſelbſt und einige ſeiner Freun .
de Forberg , Ehrhard , Visbek u. a. haben be.
kanntlich in mehreren Schriften für die Er.
läuterung und Beſtätigung der Theorie gear.
beitet. Gegen diefelbe iſt indeſſen weit mehr
geſchehen. Selbēt unter den ſogenannten
Kantianern fanden ſich einige , welche der
Dogmatismus der Theorie , andere , welche
die metaphyſiſche Unfruchtbarkeit derſelben
beleidigte : der Verfaſſer des Aenefidemus
ſtellte ihr einen eigenthümlichen Scepticismus
entgegen , und mehrere denkende Köpfe,
wie Maimon , Abicht , Fichte , ſuchten
fich eigne Wege, auf denen fie der Theo
rie entweder gar nicht , oder doch als Fein.
de begegneten. Von vielen iſt ſie weder an.
genommen , noch beſtritten , ſondern als ein
metaphyſiſches Kunſtwerk bewundert worden .
Wer die vorſtehende Abhandlung von

Forberg noch einmahl geleſen hat , wird


zwiſchen dem , was fie weiſlagt; und dem,
was geſchehen iſt, ein allzu auffallendes Miſs.
verhältniſs finden , um nicht einen Augen
blick bey der Frage nach deſſen Urſachen ſte.
hen
140

hen zu bleiben. Liegen fie in den Perfonen,


oder in der Sache felbft ? Oder iſt vielleicht
die Theorie überhaupt zu neu , als daſs man
1
über das Schiekfal derſelben ſchon abſpre
cherr könnte ?.
Ich bin zu wenig , - um einer beftimmten
Antwort auf dieſe Frage auch nur einigen
Vorfchub zu thun. Der unbefangne Zuſchau
er wird ſowohl in der Kälte als in dem Wis
derſpruchsgeiſt, womit die Theorie bisher
aufgenommen worden, die raftloſe Thätigkeit
des menſchlichen Geiſtes erkennen , die bey
ihrem Streben nach Wahrheit nichts ſo fehr
1 Scheut, als das Stillſtehen bey einer ausgemach :
ten Concordien - Formel. Er wird aber eben
ſo wenig leugnen können , daſs die Theorie
ſehr viele dunkle Flecke der menſchlichen
/
Geiftesnatur beleuchtet , und die Philofophen
an eine Behutſainkeit und " Genauigkeit in ih
ren Forſchungen gewöhnt hat , die für die
Wiſſenſehaft die wohlthätigſten Folgen haben
muls.

F.
! BEYTRÄGE
ZUR

G E SC HIC Η Τ Ε
DER PHILOSOPHIE .

ZWEYTES STÜCA ,

f
1

' ' ,
143
}

1
2.

ERSTES BUCH

1
DER 1

ARISTOTELISCHEN METAPHYSIK .

Ueber die Aechtheit oder Unächtheit dieſes


Buchs iſt wohl ſo eigentlich noch nicht ent.
ſchieden . * ) Da es indellen eine ziemlich
unterrichtende Ueberſicht der erſten Verſuche
alter Philofophen , ein Grundprincip der Dinge
zu finden , enthält , und alſo einen intereſſan .
ten Beytrag zur Geſchichte der ſpeculativen
Philoſophie liefert: ſo glaubte ich, die Ueber.
ſetzung deſſelben auch dieIsmahl beybehalten
zu können , nachdem ich fie vorher, ſo gut
ich

* ) S. einige Ideen darüber im 5. St. dieſer Beytr.


S. 205 f, die ich jedoch gar nicht für entſchei.
dend ausgebe.
1
144
144

ich konnte, ausgebeſfert hatte. · Verdorben


iſt der Text des Buchs augenſcheinlich an
mehr , als einer Stelle , und ich habe oft
gewünſcht , daſs Hr. Prof. Buhle mit ſeiner
Ausgabe bereits bis zur Metaphyſik gediehen
ſeyn möchte.
F.

IT. Sites

." ، " :

.
stil

ERSTES
145 1

ERSTES BUCH .
Erſtes Kapitel.
Sinnliche 'Wahrnehmung - Erfahrung - theore
tiſche Einſicht Wiſſenſchaft Weisheit.

Alie Menſchen haben von Natur den Trieb ,


etwas zu wiſſen . Ein Beweiſs davon iſt ihre
Liebe zu den Sinnen , die ihnen , ohne Rück !

ficht auf andre Vortheile , fchon um ihrer


ſelbſt willen werth find. Vorzüglich iſt diefs
der Fall mit dem Sinn des Geſichts. Wir
wollen ſehen , nicht bloſs um die Geſchäfte
des Lebens verrichten zu können , ſondern
1
1
auch dann, wenn wir nichts vorhaben. Und
wir halten wohl auf diefen Sinn vornehinlich
darum , weil er uns am meiſten zu Kennt.
niſſen verhilft und uns am deutlichſten unter,
ſcheiden lehrt.
Sinne haben auch die Thiere von der
Natur empfangen . Einige erlangen auch
durch dieſelben ſogar eine Art von Gedacht
K. nifs,
146

nils , und mit dieſem eine beſondere Klugheit


und Gelehrigkeit. (Klug , ohne gelehrig zu
ſeyn, find die Thiere , welche kein Gehör
1
haben ,, 2 , B, die Bienen : gelehrig find alle
die , welche dieſen Sinn und zugleich Ge
dächtniſs haben.) Alle Thiere aber ſind von
der Natur bloſs mit Sinnlichkeit , Gedächtniſs
und unvollkommner Erfahrung abgefunden :
der Menſch hat theoretiſche Einficht und das
Vermögen zu ſchlielsen .
Die Art , wie ſich dieſe Vermögen in ihm
entwickeln , iſt folgende. Durch das Gedächt
nifs erlangt er Erfahrung : denn vielfältige
Erinnerung an eine und dieſelbe Sache macht
Eine Erfahrung aus : ein Analogon von Wil
ſenſchaft und Kunſt. Durch die Erfahrung
gelangt er zur Wiſſenſchaft und Kunſt oder
theoretiſchen Einficht. Erfahrung, ſagt Pow
lus * ), iſt die Mutter der Theorie , Mangel
an Erfahrung erzeugt Zufall. Theoretiſche
Erkenntniſs entſteht, wenn aus vielen Erfah
rungsbegriffen ein allgemeines Urtheil über
ähnliche Fälle abgezogen wird. Das Urtheil
2. B. daſs ein Mittel , welches dem Callias in
dieſer Krankheit zuträglich geweſen iſt, auch
dem

In Platons Gorgias,
147
dem Socrates 'und andern Individuen helfen
werde , iſt ein Erfahrungsurtheil: daſs aber
ein Mittel einer beſtimmten Claſſe von Kran
ken z. B. phlegmatiſchen , choleriſchen , hitzi.
gen Fieberkranken zuträglich ſey , das iſt
ſchon ein Kunſturtheil.
Wie verhalten ſich aber Theorie und Er
fahrung gegen einander ? " In Abſicht auf das
Practiſche ſcheint zwiſchen beyden kein Un
terſchied zu ſeyn : vielinehr ſehen wir , daſs
Empiriker eher ihren Zweck erreichen , als
Leute , die Theorie ohne Erfahrung haben.
Erfahrung nemlich iſt die Kenntnis des Belon
dern , Theorie die Kenntnis des Allgemeinen .
+
Alle Lebensgeſchäfte haben es aber mit dein 1

1
Beſondern zu thun ; der Arzt beilt nicht den
Menſchen im Allgemeinen , er heilt den So.
krates oder Callias oder andre Perſonen , die
Menſchen find , Wer alſo Theorie ohne Er
fahrung hat , und das Allgemeine zwar er:
kennt, das Beſondre aber nicht, der wird
ſehr in der Heilkunde fehlen , denn sie hat
es mit beſondern Individuen zu thun.
Der Hauptunterſchied beſteht , dünkt mich,
darinn , daſs mit der Theorie eigentliches
Wiffen und Erkennen verbunden iſt, und
die Theoretiker inithin weiler find , als die
K 2 Em
148
Empiriker , in ſo fern wir die Weisheit über
1
haupt nach dem wiffen ſchätzen. Und das

darum , weil jene die Urſachen der Dinge


erkennen , dieſe nicht. Der Empiriker weiſs;
daſs etwas iſt, aber warum es iſt, weiſs er
nicht ; jene aber wiſſen die Gründe von dem,
was iſt. Eben darüm halte ich durchaus die
Kunſtverſtändigen für ehrwürdiger, kundiger
und weiſer , als die Handlanger , weil ſie die
Gründe von dem wiſſen , was gemacht wird.
Dieſe thun , was ſie thun , wie lebloſe Weſen ,
ohne es zu verſtehen , wie z. B. Feuer , wel
ches verbrennt : nur daſs lebloſe Weſen das
ihrer Natur nach thun , Handlanger aus Ge.
wolinheit. So iſt alſo der Maasſtab der Weis
heit nicht die Thätigkeit, ſondern das Wilfen
und die Einſicht in die Gründe der Dinge.
Ein allgemein ficheres Zeichen , daſs man
etwas weiſs, iſt , wenn man es lehren kann.
Und auch hiernach iſt die Theorie , dünkt
mich , mehr eigentliche Wiſſenſchaft, als die1

Erfahrung. Theoretiker können lehren, Em


piriker nicht.
Endlich giebt die Sinnlichkeit überall noch,
keine Weisheit. Wenn ſchon durch die Sinne
· vorzüglich
V die Erkenntnis des Beſondern
erlangt wird ; ſo ſagen Sie doch nirgends,
warun
149
warum etwas iſt , warum Feuer warm ift,
fondern blos , daſs es warm iſt.
Gewis wurde der erſte Erfinder irgend
einer Kunſt, die ſich über die gemeine Sinn.
lichkeit erhob , nicht ſowoh } darum bewun
dert , weil ſeine Erfindung nützlich , als viel
1. mehr darum , weil er ein Weifer war , und
alle übrige Menſchen an Einlicht übertraf.
Und wenn dayon die Rede iſt , wein der
Nahme des Weiſen gebühre , ob den Erfin
dern folcher Künſte , die zum Lebensbedürf
nis und Genuſse gehören , oder denen , deren
$
Erfindungen nicht zum Gebrauche find , fo
Itimme ich für die letztern . Auch konnten
erſt dann , als jene Künſte ſchon da waren ,
die Wiſſenſchaften erfunden werden , die we.
der zum Vergnügen noch zum Bedürfniſſe
1
des Lebens nothwendig find ; und zwar zu.
erſt in denen Ländern , wo man Muſse hațte.
3.
So entſtanden die mathematiſchen Willen
kt

je
ſchaften zuerſt in Aegypten , wo das Prieſter
10
volk keine Geſchäfte hat.
1
Ueber den Unterſchied zwiſchen Kunſe

he und Wiſſenſchaft und andre dahin gehörige


e
Gegenſtände habe ich ſchon in der Moral * )
K 3 ge
S, * ) vergl. Ethik ad Nicom . lib. VI.
- 150
gehandelt. Hier bleibe ich bey dem Begriffe,
Weisheit (Philoſophie ) ſtehen , die nach der
1
allgeineinen Meinung fich mit den erſten
Gründen und Prinzipen beſchäftigt. Dem ge
mäls iſt alſo der Empiriker weiſer , als der
blos Sinnliche Menſch , der Theoretiker wei..
ſer , als der Empiriker , der Kunſtverſtändige
weiſer , als der Handlanger , der fpeculative,
Menſch weiſer, als der practiſche. Denn
Weisheit iſt die Wiſſenſchaft gewiſſer Gründe
und Prinzipe.
+

Zweytes Kapitel.
Nähere Beſtimmung des Begrifs - Weisheit.
Und eben dieſe Willenſchaft iſt es, die ich
fuche. Laſſet uns aber zuvörderſt erforſchen ,
welche Urſachen und Prinzipe das find, de
ren Wiſſenſchaft die Weisheit ausmacht. Die
Vergleichung deſſen , was inan fich unter

einem Weiſen denkt, wird hier einiges Licht


geben. ! ;
Ein Weiſer iſt erſtlich der , der alles . weiſs,
ſofern es möglich iſt, ohne daſs er jedoch
von jedem Beſondern eine Erkenntnis hat.
Zwey
15,1

Zweytens der , welcher Dinge verfteht, die


für den menſchlichen Geiſt ſchwer zu verſte
ben ſind. Die blas ſinnliche Erkenntnis iſt
{ allen Menſchen gemein , leicht und noch keine
Weisheit. Ferner der , welcher die Gicherſte
Erkenntnis hat und die Gründe der Dinge
am beſten lehren kann. Unter den Willen .
fchaften halte ich diejenige mehr für Weis.
beit , die man um ihrer ſelbſt und um des
Wiſſens willen wählt , als die , welche man
um andrer Zwecke willen lernt. Eine Haupt
wiſſenſchaft hält man ferner auch mehr für
Weisheit , als eine Hülfswiſſenſchaft. Der
Weiſe muſs nicht gehorchen , er muls gebie
then , er muſs fich nicht von andern rathen
laſſen , ſondern er muls Unweifern Rath er
theilen . Dies find die gewähnlichen Urtheile
über Weisheit und Weiſe .
Was nun erſtens įenes Prädicat der Aller
kenntnis betrift, ſo muſs dies nothwendig
dem zukommen , der die allgemeine Wiſſen
fchaft beſitzt, denn dieſer kennt gewiller
maſsen die ganze Natur. Aber eben dieſe f

Wiſſenſchaft des Allgemeinen iſt zweytens


auch ſchtver, weil fie fich ſo weit von der
Sinnlichkeit entfernt. Am gewilfeſten iſt
drittens die Wiſſenſchaft , die ſich mit den
K 4 erſten
152

erſten Prinzipen beſchäftiget. " Die Wiſſen


ſchaft des Einfachern iſt gewiſſer , als die deš
Zuſammengeſetzten , ſo iſt die Arithmetik ge
wiſſer als die Geometrie. Eben dieſe Wiffen .
į ſchaft iſt viertens auch die , welche das Meiſte
lehrt. Denn lehren heilt, die Gründe jeder
Sache entwickeln . Ferner , das Forſchen
und Wiſſen um der Wiſſenſchaft ſelbſt willen
muſs vorzüglich derjenigen zukommen , die
fich mit den erkennbarſten Dingen beſchäfti
get. Wer eine Wiſſenſchaft um ihrer ſelbſt
willen, lernen will , wählt gewis die , welche
dieſen Namen am meiſten verdient , und das
iſt die Wiſſenſchaft des Erkennbarſten , dieſes
aber ſind die erſten Prinzipe und Urſachen .
Denn durch dieſe und aus ihnen erkennt
man alle andre Dinge , nicht durch die an
dern fie. Die vorzüglichſte Wiſſenſchaft end
lich , und ich möchte ſagen , die Königin aller
andern , iſt die , welche den Zweck einer
今9
jeden Handlung unterſucht. Dieſer Zweck
aber iſt das höchſte Gute in jeder Sachez
und überhaupt das Beſte in der ganzen Na
tur . Aus allem dieſem nun ergiebt fich , daſs
der geſuchte Name Weisheit eben dieſer
wiſſenſchaft zukomme. Sie forſcht nach den
erſten Prinzipen und Urſachen der Dinge,
WO

1
153

wohin das höchſte Gut und der Zweck eben.


falls gehört.
Daſs dieſe Wiſſenſchaft nicht eine practi,
ſche ſey, davon zeuge . die erſten philoſophi
fchen Verſuche. Vom Staunen gieng ehemals,
wie noch jetzt , die Philoſophie aus. ' Anfäng.
lich ſtaunten die Menſchen über leichtere
Dinge, nach und nach giengen lie weiter und
forſchten über wichtigere Gegenſtände , über
die Zuſtände des Mondes , der Sonne , der
Sterne , und über Entſtehung des Weltalls.
Zweifel und Staunen aber ſind Zeichen der
S Unwillenheit. Der Philofoph beſchäftigt fich
-S gern mit Mythen , ' weil ſie wunderbar ſind ,
2. Wenn niun die Menſchen philofophirten , um
it der Unwiſſenheit zu entgehen , ſo hieht man,
daſs fie lediglich aus Begierde nach Erkennt
nis Wiſſenſchaft fuchten und aus keinem
practiſchen Intereſſe . Die Geſchichte beweiſt
dies noch mehr. Erſt, nachdem alles vor /
i handen war , was zum Bedürfniſse und fro
j hen Genuſse des Lebens nothwendig iſt , erſt
dann fiengº man an , nach dieſen Einſichten
; zu ſtreben . 1
Offenbar alſo haben wir bey
dieſer Wiſſenſchaft kein eigennütziges Inte
relle ; ſondern , wie der ein freyer Mann
heift , der von fich , nicht von andern abhängt,
K 5 fo
154 1

fo iſt diefe Wiffenſchaft eine freye , weil fie


um ihrer ſelbſt willen da iſt . Aber eben
darum könnte auch ihr Befitz nicht menfch
lich ſcheinen , denn die menſchliche Natur
ift in den ineiſten Stücken eine Selavin .
Folglich behtzt Gott allein dieſen Vorzugs
wie Simonides ſagt, und dem Menſchen ge .
ziemt es , nur folche wiſſenſchaften zu tres
ben , die ihm zukommen. Wenn alſo die
Dichter wahr reden und die Gottheit des
Neides fähig iſt, ſo muſs ihr Neid beſonders
diefe Wiſſenſchaft treffen , und der Menſch
iſt unglücklich , der höhere Erkenntnis beſitzt.
Aber die Gottheit kann nicht neidiſch ſeyn ,
und die Dichter , fagt das Sprichwort, lügen.
Keine Willenſchaft übertrift dieſe an Würde ;
fie iſt die göttlichſte , mithin die ehrwürdigfte.
Göttlich iſt eine wiſſenfchaft in zweverlei
Rückſicht, in fo fern ſie die Gottheit ſelbſt
beſitzt , und in fo fern fie fich init -göttlichen
Dingen beſchäftiget. Beydes iſt bey dieſer
Wiſſenſchaft der Fall. Gott iſt Urfache und
Prinzip aller Dinge ; Gott muſs fie allein oder
.
doch vorzüglich beſitzen. Nothwendiger als
fie mögen alle übrige výillenſchaften ſeyn,
vorzüglicher iſt keine.

Sie
1
155 !

Sie muſs einen Gang nehmen , der jenen


anfänglichen Unterſuchungen gerade entge
gengeſetzt iſt. Alle Menſchen fangen , wie
geſagt, damit an , daſs fie ſtaunen , ob etwas
wirklich fo fey. Menſchen , die noch nicht !
nach den Urſachen forſchen , ſtaunen über
felbftbewegliche Maſchinen , über Sonnenlauf,
Unmeſsbarkeit des Diameters. Etwas nicht
meſſen zu können , was doch kein Minimum
1 ift, ſcheint allen ſolchen Menſchen ein Wun..
der. Wir müſsen alſo aufs Gegentheil , und,
nach dem Sprichworte * ), aufs Beffere kom
men , wie das auch immer geſchieht, wenn
die Menſchen dergleichen Dinge einſehen
Jernen. So würde ljezt für den Geometer
nichts ſo wunderbar ſeyn , als wenn der
Diameter meſsbar würde.

TUTTI
Soviel von der Beſchaffenheit dieſer Wif
ſenſchaft, die wir ſuchen , und von der Ab
1 Sicht dieſer Unterſuchung und der ganzen
Abhandlung

Drita

* ) Platon de lege. 1.4.


156

1 Drittes Kapitel.
Ueber den Begrif: Urſache. Meynungen der älte .
ften Philoſophen über die Urſachen der Dinge.
Es iſt alſo erwieſen , daſs wir eine wiffen
1
ſchaft der erſten Prinzipe annehmen müſſen ,
(dann erſt dürfen wir ſagen , daſs wir etwas
willen , wenn wir die erſten Urſachen davon
! kennen.) Der Begrif Urſach wird auf vie.
rerley Art beſtimmt. Einmal bezeichnet er
Subſtanz und urſprüngliche Qualität, (das ur
ſprünglich - Erſte iſt das Unbedingte ; Prinzip
und Urſache iſt die Beſtimmung des Urſprüngo"
licherſten ,) zweytens Materie und Subject,
drittens Prinzip der Bewegung , viertens et
was , was diefem grade entgegengeſetzt iſt, 1

nemlich , Zweck und höchſtes Gut (denn


dies iſt das Endprinzip aller Bewegung und
Entſtehung.) Genauer habe ich davon in der
Phyſik * ) gehandelt. Hier will ich diejeni.
gen aufführen , die fich vor mir an die Un
terſuchung der Dinge geinacht und über
die Wahrheit philoſophirt haben . Denn auch
Sie haben gewiſſe Prinzipe angenommen. Die
Darſtellung derſelben aber kann uns bey der
ge

*) vergi. Phyſik II, 3. Metaph. V. 2.

1
- 157
gegenwärtigen Abhandlung zu , Statten kom
denn entweder finden wir eine ganz
andre Urſache , oder wir werden von der
Gewisheit der jezt genannten , mehr über
zeugt.
Unter den älteſten Philofophen haben die
meiſten nur ſolche Prinzipe angenommen, die
in der Form der Materie beſtehen . Dasjenige,
ſagen ſie , woraus alle Dinge ſind, woraus fie
zuerſt entſtehen , und worein fie fich zúlezt
auflöſen , ſo daſs die Subſtanz bleibt und fich
nur nach Zuſtänden verändert, iſt der Grund .
ſtof und das Princip aller Dinge. Darum
glauben fie, entſtehe und vergehe eigentlich
nichts , weil eine ſolche Subſtanz immer
bleibt. Und ſo wie man z . B. nicht ſagen
könne, daſs Socrates an ſich werde , wenn er
rechtichaffen ,' oder wenn er ein Mulikus
wird , oder aufhöre , wenn er dieſe Eigen.
ſchaften verliert, weil das Subject Sokrates
dabey immer bleibe, eben ſo ley es mit al.
lem übrigen . Es müſse alſo Ein Weſen oder
mehrere ſeyn , aus welchen , ohne daſs fie
leiden , alles übrige entſteht. Ueber die Zah !
und Beſchaffenheit dieſes Grundprinzips ſind
fie indeſſen nicht einſtimmig.
Thales, der Anführer in dieſer Philoſophie,
nahm
158 .
nahm das Waſſer als Grundurfache an .

Auch die Erde, ſagte er, ſey über dem Waſſer ;


vielleicht darum , weil er bemerkte, daſs al
le Nahrung feucht iſt, aus derſelben die
Wärme entſteht , und von dieſer alles Les
bendige lebt. Das nun , woraus Etwas ent
ſteht , inachte er, zum Urſtof von allem .
1
Vielleicht gründete er ſich auch darauf, daſs
aller Saainen feuchter Natur , Waffer aber der
Grundſtof der Feuchtigkeit iſt. Auch die äl
teſten Dichter , die lange vor unſerm Men
ſchenalter über die Entſtehung und Verände
rungen der Welt philoſophirten , ſollen faſt
eben ſo wie Thales gedacht haben . Sie
machten den Ocean und die Thetys in ihren
Geſängen zu Eltern der Schöpfung ; die
Götter ſelbſt ſchwören beym Waſſer , (in der
Dichterſprache Styx,) als dem Aelteſten und
folglich auch Heiligſten . Ob dies wirklich die
älteſte Meynung über die Natur iſt, dürfte
vielleicht noch ungewis feyn . Thales indes
ſollfich wirklich über die erſte Grundurſache fo
geäuſert haben. Den Hippon , dieſen ſeichten
Kopf, wird wohl niemand hier einer Stelle
werth halten . Anaximenes und Dioge.
nes halten die Luft für eher , als das Waf
ſer , und machen sie beſonders zum Urſtoffe
der
159

der einfachen Körper. Hippafus von Metapon .


tum und Heraklitus von Ephefus nehmen das
Feuer an.

Empedokles nahm vier Elemente an , denn


er ſetzte zu den genannten noch die Erde
hinzu . Dieſe bleiben immerwährend , und
Jeiden 'keine Veränderung , auſer in Anſer
1
hung der Quantität, indem ſie bald in gröſse
rer bald in kleinerer Menge in Eins und aus
Einem vereinigt oder abgetrennt werden.
Anaxagoras von Clazomene, der Zeit nach
früher, ſeinen philoſophiſchen Verſuchen
1 nach geringer, als Empedokles, behauptete,
e die Grundſtoffe feyen unendlich . Alles
។ gleichartige z. B. Waller und Feuer entſtehe
und vergehe nur auf die Art , nemlich durch
Vereinigung und Scheidung, in einem andern
Sinne werde es weder gezeugt noch vernich
tet , ſondern bleibe ewig. Alle dieſe Philofo
phen alſo nahmen nur ſolche Grundurſachen
an , welche in der Form der Materie beſte.
hen,
Auf dieſem Wege machte ihnen die Sache
ſelbſt Bahn , und nöthigte fie zu weitern For.
ſchungen . Denn wenn alles als Einem
oder Mehrern entſteht und vergeht, lo ent
fteht die Frage , warum geſchieht das und
Was
160

was iſt die Urſache davon ? Die Materie


wirkt doch ihre Veränderung nicht ſelbſt ;
ſo iſt z . B. Holz und Erz nicht die Urſache
ſeiner eignen Veränderung , Holz macht ſich
nicht ſelbſt zum Bette , Erz nicht ſelbſt zur
Statue, ſondern es giebt eine äuſere Urſache
ſeiner Veränderung. Und dieſe unterſuchen,
heiſt ein andres Prinzip ſuchen , eben das,
was ich das Prinzip der Bewegurig nenne.
Diejenigen nun , die anfänglich dieſen Weg
einſchlugen und Eine Materie annahmen,
machten ſich die Sache leicht. Einige unter
ihnen , gleichſam von der Unterſuchung über
wältigt , behaupteten , daſs dies Eins unbe
weglich ſey , und leugneten nicht allein das
Entſteben und Vergehen der ganzen Natur
( dies iſt eine alte und allgemeine Meynung),
ſondern auch alle übrige Veränderung , und
dies haben ſie eignes.. Keiner aber von allen
1
denen , die das All für Eins halten , iſt auf
ein ſolches Prinzip gekommen , auſer etwa
Parmenides , und auch dieſer nur in ſo fern ,
als er nicht Eine, ſondern gewiſſermaſsen
Zwo Grundurſachen annahm . Diejenigen,
welche mehr Prinzipe annehmen z. B. Wår
me und Kälte, Feuer und Erde, können eher
eine dergleichen Urſache angeben , indem ſie
das

7
161

das Feuer an fich als bewegende Kraft, und


Waſſer , Erde u. f. f. als deſſen Gegentheile
aufſtellen .

Da aber alle dieſe Meynungen nicht hin.


reichten , die Entſtehung der Natur zu er
klären , fo muſsten die Philoſophen , wie ge
ſagt, von der Wahrheit ſelbſt genöthigt, zu
einem andern Princip ſchreiten . Daſs die
Dinge in der Welt gut ſind oder werden,
davon kann doch weder Feuer, noch Erde,
noch etwas dergleichen Urſache ſeyng und
fie ſelbſt können das auch nicht geglaubt ha.
ben. Dem Zufall und Ohngefähr ſo etwas
zuzuſchreiben , wäre wieder ungereimt. Der
RS
jenige, der eben wie in den lebendigen Ge 1

ir
ſchöpfen , fo in der Natur ein verſtändiges
) Welen , als die Urſache der Welt und der
1
Ordnung darinn annahm , ſcheint mir gegen
į
jene taumelnden Philofophen gleichſam , wenn
ich ſo ſagen mag , nüchtern. Dies war , ſo
viel wir wiſſen , Anaxagoras : doch ſoll Here
motimus von Clazomene dieſe Meynung noch
früher geäuſert haben. Alle , die ihr bey. 1

traten , ſezten Eine Urſache als Prinzip der

Ordnung der Dinge und als Prinzip der Be.


wegung feſt .

L Viere
162

Viertes Kapitel.
Fortſetzung .
Man kann annehmen, daſs Hefiodus der
erſte gewefen iſt , der dieſe Unterſuchungen
anſtellte , und wer etwan noch auſer ihm
Liebe und Verlangen zum Prinzip der Dinge
in der Welt machte , wie z. B. Parmenides.
Dieſer ſagt , wo er von der Entſtehung des
Weltalls ſpricht :
Von allen Göttern formte fie zuerſt den
Eros .
Und Hefiodus :
Vor der Dinge Beginn war Chaos , dann
wurde die Erde,
Dann ward der Eros , ſchöner, als die
Unſterblichen alle. :1
weil nemlich in den exiſtirenden Dingen ſelbſt
eine Urſache feyn muſs , die hie bewegt und
!
vereinigt. Da fich aber in der Welt auch
das Gegentheil von Gut , nicht blos Ordnung
und Schönheit, ſondern auch Unordnung und
Uebelſtand , mehr Uebel als Güt , mehr Uebel
ſtand als Schönheit , findet; ſo nahm einer
Freundſchaft und Feindſchaft als die Grund
urſachen von beyden an. Wer dies genau
verfolgt, und dem Sinne des Empedokles nach.
geht,
163

geht, nicht bey den Worten , die er da her.


ſtammelt, ſtehen bleibt , wird finden , daſs
derſelbe die Freundcbaft als Urſache des

Guten , die Feindſchaft als Urſache des Böſen


dachte. Man kann alſo mit Recht ſagen ,
dafs Empedokles, und zwar zuerſt, Gut und 3

Böſe als Grundurſachen annahm , Gut als


Urfache des Guten , Böſe als Urſache des
Böſen.
Alle dieſe Philoſophen haben ſo weit nur
zwey Grundurſachen angegeben , wie ich in
der Phyſik auseinandergeſetzt habe, Materie 1

1
und Prinzip der Bewegung , wiewohl ſehr
dankel und unbeſtimmt, ungeübten Streitern 1

gleich, die wild umher laufen und oft tüch


tige Wunden abgeben ; aber ſo wenig diefe
wiſſen , was fie thun , eben ſo wenig wiſſen
jere Philoſophen , was fie ſagen , Sie“machen
auch von ihren Behauptungen faſt gar keine
oder doch nur wenige Anwendung. Selbſt
Anaxagoras betrachtet das verftändige Weſen
nur als eine Maſchine zur Weltſchöpfung,
und bringt es nur dann herbey, wenn er
nicht auszumachen weils , durch welche Kraft
die Welt exiſtirt: Im übrigen macht er eher
alles andre, als das verſtändige Wefen , zur
Urſache der Dinge.
Le 2 Em
164
Empedokles macht zwar mehr Anwen
dung von ſeinen angenommenen Prinzipen,
aber er iſt doch weder beſtimmt noch con,
ſequent. Nach ſeinen Aeuſerungen trennt
oft die Freundſchaft, und die Feindſchaft vers
einigt. Wenn fich z. B. das Univerſum durch
Feindſchaft in Elemente trennt , ſo vereinigen
fich Feuer und alle übrigen Elemente in eins.
Vereinigt es ſich wieder durch Freundſchaft,
ſo müſlen ſich nothwendig die Theilchen ei.
nes jeden wiederum trennen. Er führte in:
deſs unter allen alten Philoſophen zuerſt dieſe
getheilten Grundurſachen auf, und nahm
nicht Ein Prinzip der Bewegung , ſondern
viele und einander entgegengeſetzte an. Aufer:
dem behauptet er zuerſt , daſs es vier for
1 melle Elemente gäbe , doch nimmt er fie
nicht als vier , ſondern nur als zwey , das
Feuer an lich , und die ihm entgegen geſetz
1

ten Erde, Luft und Waſſer, zuſammen , als


von einer Beſchaffenheit. Doch dies kann
jeder ſelbſt aus ſeinen Gedichten lernen. -
Dies die Lehrſätze des Empedokles von den
Grundurſachen der Dinge.
Leucippus und ſein Freund Demokritus nah,
men zwey . Grundſtoffe an , das Volle und
Leere , wovon das eine beſtimmte Beſchaffen
hei.
165

heiten , das andre gar keine hat. Jenes [t


nemlich das Volle und Dichte , dieſes das 1

Leere und Dünne. Doch exiſtiret, das ohne


Beſchaffenheit ebenſo wohl , als das von
beſtimmter Beſchaffenheit , weil auch das
Leere eben ſo exiſtirt, wie die Körper. Dies
find nun die materiellen Grundſtoffe der
Dinge. So wie aber diejenigen , nach deren
Lehrſätzen die materielle Subſtanz Eins iſt,
und alles übrige aus den Zuſtänden derſelben
entſteht, das Dichte und Dünne als Grund
urſachen dieſer Zuſtände annehmen ; ſo ge
ben dieſe die verſchiedenen Modificationen
1
als Urſachen alles Uebrigen an , und beſtim
men derſelben drey : Figur , Ordnung und
Lage. Ein Ding iſt verſchieden , ſagen fie,
e
nach συσμος , διαθηγη , und
τροπη , ρυσμος , Figur ,
S JsaFuy , Ordnung , zgorn , Lage. So iſt a von
n der Figur nach unterſchieden , an von na
3
der Ordnung nach , Z von N , der Lage nach.
Die Frage über die Bewegung , woher und
wie ſie in den Dingen iſt, haben ſie aber
wie die übrigen alle , nachläflig übergangen .
Dieſe ältern Philoſophen haben alſo , wie
geſagt, alle nur zwey Grundurſachen unter.
Lucht.

L 3 Fiinf.
166
1

)
Fünftes Kapitel. I
Fortſetzung
Pythagoräer. Parmenides. Xenophanes. Meliſus.
Unter ihnen aber und noch vorher kommen
die ſogenannten Pythagoräer in Betrachtung.
In der Mathematik geübt, und ich möchte
ſagen , darinn erzogen , gaben fie derſelben
überall den Vorzug , und nahmen mithin ang
daſs die Prinzipien derſelben zugleich Prinzi.
pien der ganzen Natur wären . Da fie nun
in den Prinzipen der Mathematik , den Zah.
len , mehrere Aehnlichkeit mit den Dingen
in der Welt fanden , als ſie in Feuer , Erde
und Waſſer zu bemerken glaubten ( ſo daſs
Gerechtigkeit , Seele , Verſtand , Zeit u. f. f.
jedes eine Affektion der Zahlen ſey) da ſie
ferner die Verhältniſſe und Gründe der Ueber
einſtiinmungen in den Zahlen , und mithin,
alle übrige Dinge den Zahlen gleich fanden ,
Zahlen aber eher , als die ganze Natur , ſeyen ;
ſo kamen sie auf den Satz , daſs die Elemente
der Zahlen die Elemente aller Dinge find,
und hielten das Weltall für eine Harmonie
und Zahl ; und was fie , nun in den Zahlen
und Harmanieen für Uebereinſtiinmung mit
den
1
167
deri Zaſtänden des Weltalls und ſeinen Thei.
len , und der Einrichtung des Ganzen entde.
ken konnten , das ſammelten ſie und wand .
ten es an. Fehlte ihnen etwas , ſo füllten ſie
es ſorgfältig aus , damit ihr Syſtem genau
zuſammenhienge. So z. B. da die Zahl 10
etwas vollkommnes und der Inbegriff aller
Zahlen ſcheint, ſo ſagten Sie, daſs es 10
Himmelskörper gebe. Weil man doch aber
deren nur 9 ſehen kann , ſo nahmen fie
noch eine entgegengeſetzte Erde , als den
1
10ten , an * ). Anderswo habe ich ſchon aus.
lo
führlicher darüber geſprochen . Warum ich
n
hier noch einmahl davon handle , geſchieht,
e um auch von dieſen zu lernen , was fie für
Is Grundurſachen annehmen , und wie ſie auf
fo dieſelben gekommen find .
e
Die Pythagoräer halten ' offenbar die Zahl
für den Grundſtoff, teils als Materie , teils
1
als Zuſtände und Beſchaffenheiten der Dinge.
Der Grundſtoff der Zahlen iſt das Grade und
i Ungrade, wovon das eine endlich , das andere
unendlich , iſt, das Eins aber beſteht aus beyó,
> den , denn es iſt grade und ungrade, aus
! dem Eins aber beſteht die Zahl, und die
L4 ganze

*) I. lib. II. de coelo c. IX. t. 52. c. XII. t. 72.


168

ganze Welt iſt, wie geſagť, eine Zahl. Einige


von ihnen nehmen zehn Prinzipe , die Reihen
der einander entgegengeſezten Beſchaffenhei .
ten , an :

endlich unendlich
ungrade grade
1
eins viel
link recht
männlich weiblich
ruhend bewegt
grade krumm t

licht finſter
gut böle
vierek
oblong
ein Lehrfaz , den ſchon Alcmaeon von Croton
gehabt haben ſoll ,' er mag ihn nun von den
Pythagoräern oder dieſe von ihm angenom .
men haben. ( Denn Alcmäon lebte , als Pythago .
ras ſchon im hohen Alter war .) Seine Meynung
iſt der ihrigen gleich. Er behauptete nemlich ,
alle Dinge ſeyen in zwey Theile getheilt und
nannte dies entgegengeſezte Beſchaffenheiten ,
doch nahm er nur ganz unbeſtimınte , z. Bo
weiſs, ſchwarz
ſüſs, bitter
gut, böſe
klein ,
gros
nicht,
. 169
Einige nicht, wie die Pythagoräer, beſtimmte an .
Leihen Alcmäon alſo ſprach unbeſtimmt darüber ,
enbei die Pythagoräer aber beſtimmten genau, wie &

viel es deren gähe, und was für welches


Von dieſen beyden iſt demnach ſoviel anzu
merken , daſs die Grundſtoffe der Dinge ein
ander entgegengeſezt ſind, von den andern
aber , wieviel und welche es find. Wie

übrigens aus ihren Prinzipien alle die Vera


hältniſſe der Welt erklärt werden können,
das haben sie nicht beſtimmt und deutlich
geſagt; ſie ſcheinen jedoch die Elemente auch
nur formell genommen zu haben , weil aus
ihnen , als in lich beſtimmten , die Subſtanz
Croton beſtebe und ich bilde. Soviel , um die Mey
1 den nungen derjenigen Philoſophen kennen zu
nom lernen , welche mehrere Grundurfachen der.
hago. Natur annahmen.
lung Einige betrachten das Univerſum als Eins,
ich, doch denken ſie weder alle gleich richtig
und noch natürlich genung : Im allgemeinen ge
teng hören fie ſo eigentlich zu meiner gegenwär
Br tigen Unterſuchung nicht. Denn fie verfah 1

ren nicht ſo , wie einige Phyſiker , daſs fie


bey dem Lehrſatze von der Einheit der Natur,
alles aus dieſem Eins als einer Materie ents
ſtehen lalien , ſondern ganz anders. Jene
L 5 neh,
cht
179

nehmen Bewegung an , um das Univerſum


entſtehen zu laſſen , dieſe halten es für unbe
weglich . Nur folgendes' ſchlägt in unſern
Plan ein. Parmenides nehmlich nahm das
Eins intellectuell , Meliſsus materiell , dieſer
erklärte es für endlich , jener für unendlich.
Xenophanes batte zwar ſchon vor ihnen die.
ſen Lehrſaz , (denn Parmenides foll ſein Zu.
hörer geweſen ſeyn, aber er drükte ſich nicht
beſtimmt aus , und ſcheint weder die erſteré
noch die leztere Einheit gemeint zu haben ; er
faſste das ganze Weltall in einen Begriff und
nannte das Eins Gott. Dieſe liegen, wie geſagt,
auſer meinem Plane, beſonders die beyden
gröberen , Xenophanes und Meliſsus. Parmea
nides fah weiter, Da er auſer dem , was
wirklich iſt, ſich nichts denken konnte, was
nicht iſt, ſo hielt er mithin alles, was iſt,
für Eins und Alles. Deutlicher habe ich da
von in der Phyſik * ) gehandelt. Da er aber
die Sinnenwelt nicht auſer Acht laſſen durfte,
und dem Verſtande nach ein Eins , der Sinn.
liclikeit nach ein Mehr annahm , ſo ſezt er
zwo Grundurſachen und Urſtoffe feſt, Warm
und Kalt , d. h. Feuer und Erde , jenes in
Bezie

* ) verg !. I. c . 3.
171

Beziehung auf das Reale , dieſes in Bezie .


bung auf das nicht Reale .
Wir haben alſo von denen Weiſen , die
fich ehemals mit dieſer Unterſuchung beſchäf
tigten , ſoviel zu bemerken , daſs die älteſten
körperliche Grundſtoffe (denn Feuer , Waſſer
u. dgl. find Körper) einige nur Eins , andre
Mehrere annahmen , beyde aber dieſelben in
die Form der Materie ſezten , die übrigen
!!

aber ſowohl dieſe Grundarfachen , als auch


ein Prinzip der Bewegung , einige Eins andre
zwey , lehrten.
Vor und auſer den Italiſchen Philofophen
haben die übrigen alle dieſe Unterſuchung
ſehr ſeicht behandelt, aufer dals fie , wie ge
ſagt, zwey Grundurſachen , und darunter ein
oder mehrere Prinzipe der Bewegung annah
men , Auch die Pythagoräer ſezten zwey
Grundurfachen feſt , aber Tie fügten noch dies
eigne hinzu , daſs Endlich , Unendlich , Eins,
nicht von einer andern Beſchaffenheit, als }

z. B. Feuer, Erde u . f. f. ſey, ſondern das


Unendliche und das Eins ſey eben die Sub
ftanz der Dinge , von denen es prädizirt wird.
Daher ſey die Zahl Subſtanz aller Dinge.
Aufer dieſen Philoſophemen verſuchten
fie zwar auch Lehrſätze und Beſtimmungen
über
172

über das Weſen der Dinge , aber ſie verfuh


ren ſehr einſeitig dabey. Denn fie definirten
obenhin , und das erſte beſte , worauf ibro
Definition paſte, erklärten fie dann für das
Weſen . Wie wenn jemand Zweyfach und
Zwey für einerley halten wollte , weil das
Zweyfache zuerſt in der Zwey gegründet
ſey. Es möchte wohl aber nicht einerley
1 ſeyn ; denn ſonſt wäre das Eins eine Mehre
heit ; eine Verwirrung , in welche ſie auch
wirklich gerietben. Soviel alſo von den älte.
1
ſten Philoſophen und ihren Nachfolgern.

Sechſtes Kapitelo
Fortſetzung
Plato . Summariſche Ueberſicht des vorigen.
Nach den angeführten philoſophiſchen Syſte
men entſtand das Platoniſche , welches in
vielen Puncten dem Pythagoriſchen folgt, aber
auch verſchiedenes hat, was die Italiſchen
2
Philoſophen nicht haben * ). Platon gieng in
frühern Jahren zuerſt mit dem Cratylus um ,
und

* ) Iſt noch deutlicher Metaph. XIII. 4. vorgetra.


gen , ſtellenweiſe mit denſelben Worten , wie
hier,
173 -
und vertraut mit den Heraklitiſchen Lehrfá
tzen , daſs alle finnliche Dinge im beſtändi
gen Fluſse wären , und es mithin dayon kei
ne Wiſſenſchaft gabe , behielt er ſie auch in
I der Folge bey, Sokrates handelte die Sitten,
Jehre ab , 'aber die Phyſik nicht. : In fo fern
er jedoch in jener auf das Allgemeine gieng,
und zuerſt auf beſtimmte Definitionen dachte,
So lernte Platon die Kunſt von ihm , das
Allgemeine aufzuſuchen. Doch überſah er
dabey die finnlichen Gegenſtände, von denen
er einen allgemeinen Begriff darum für uns
möglich hielt , weil fie fich beſtändig verän
dern. Die Weſen der Dinge nun nannte
Platon Ideen , alles finnliche ſey auſer und
nach ihnen gebildet. Durch die Theilneh
mung bekommen die meiſten Individuen von
einerley Gattung einerley Namen mit den
Ideen. Hier braucht er alſo nur ein neues
Wort, denn was die Pythagoräer Nachah-,
mung (der Zahlen) nénnen , nennt Platon
Theilnehmung. Die Beſchaffenheit dieſer
Theilnehmung oder Nachahmung der Ideen
aber haben beyde nicht unterſucht.
1 Ferner nahm er auſer den finnlichen Din
gen uund
n den Ideen , noch mathematiſche
Mittelweſen an , die von jenen beyden ver
(chie
174
ſchieden And , von den finnlichen Dingen
dadurch , daſs fie ewig und unbeweglich,
von den Ideen , daſs ihrer viele einander
gleich find , indeſs jede Idee an fich ſelbſt
nur Eine ift. Da die Ideen Grundſtoffe alles
andern, find , ſo hielt er die Elemente derſell
ben für Elemente aller Dinge , und gros und
klein gleichſam für materielle Prinzipien,
Eins für die Subſtanz. Durch die Theilneh.
mung des Eins entſtünden die Ideen , die
Zablen , das Eins ſey allein Subſtanz, und
weiter könne nichts wirklich exiſtirend ge
nannt werden , wie auch die Pythagoräer
lehrten. ' Uebrigens ſtimmte er mit ihnen
auch darin überein , daſs die Zahlen die Ur
fachen der Subſtanz aller andern Dinge leyen.
Dies eigne hat er , daſs er ſtatt des Unendli
chen , als einer Einheit, eine Dyas annahm
und das Unendliche aus Gros und Klein
werden lies. Auferdem fezt er die Zahlen
auferhalb der Sinnenwelt , die Pythagoräer
aber behaupteten , die Zahlen feyen die Dinge
.
felbſt, - und rechneten die matbematiſchen
Weſen nicht als Mittelweſen .
: Daſs er indes hierin von den Pythagoräern
abwich , und dies Eins und die Zahlen von
den Dingen abſonderte und Ideen annahm ,
war
- 175
war eine Folge von ſeiner Kenntniſs der Dia
lectik , deren die erſtern Philoſophen ganz
unkundig waren. Die Dyas machte er da
rùm zu einem verſchiedenen Weſen , weil

ins
aus ihr , wie aus einem Urbilde , alle übrige
Zahlen , auſer den Einheiten , gebildet were
den. Allein in der That findet ſich das Ge
genrheil, und dieſe ganze Vorſtellung iſt der
Vernunft zuwider . Sie ſagen , aus einer Ma
terie werde viel, aus einer Idee aber nur
Eins. Allein aus Einer Materie wird doch
2. E. nur Ein Tiſch , aber nach einer Idee
kann jemand mehrere Tiſche bilden. Eben
ſo verhält ſiehs mit Mann und Weib. Das
Weib wird durch eine Vermiſchung fchwan .
ger , der Mann aber macht mehrere ſchwan
ger. Dies ſind Platons Lehrſätze.
Es ergiebt fich aus dem obigen , daſs er -
nur zwey Prinzipe annahm , eines , welches
das Weſen der Dinge , das andre, welches
das Materielle betrift. Die Ideen find Grund.
urſachen von dem Weſen aller andern Dinge,
das Eins aber und irgend eine ſubſtanzielle
Materie , wornach die Ideen gebildet ſind,
ift Urſache der Ideen. Iene werden in den
ſinnlichen Dingen , das Eins in den Ideen
prädizirt ; die Dyas iſt das Groſse und Kleine.
Die
- 176
Die Urſachen des Guten und Böſen legte er
beyde den beyden Prinzipien bey , worüber
ſchon einige jener ältern Philoſophen , z. B.
Empedokles und Anaxagoras, tiefere Unter .
ſuchungen angeſtellt haben.
Ich bin 'hier alſo in der Kürze dás Wed
ſentlichſte der Meynungen verſchiedener Phi
lofophen über die Prinzipien und über die
Wahrheit durchgegangen , und habe ſo viel
beinerkt, daſs keiner von ihnen allen etwas
anders geſagt hat , als was ich in den Bü .
chern über die Phyfik feſtgeſezt habe. Sie
ſind alle , wiewohl ziemlich dunkel, auf dieſe
Lehrſätze geſtoſſen ,' Einige nehmen die Ma
terie als Prinzip an , fie mögen ſie nun für
Eins oder für Mehr , für körperlich oder
unkörperlich erklären , wie Platon das Gros
und Klein , die Italiſehen Philoſophen ihr
Unendliches, Empedokles Feuer , Erde, Waf
ſer und Luft, Anaxagoras die Unendlichkeit
des Gleichartigen. Aber dieſe alle und auch
diejenigen , welche Feuer , oder Luft , oder
Waſſer , oder etwas Dichteres als Feuer , und
etwas Dünneres als Luft annehmen , (denn
auch ſo etwas haben einige für den Erſten
Grundſtoff erklärt) find nur bey dem einen
Prinzip ſtehen geblieben. Andre, die Freund
fchaft
177、

ſchaft und Feindſchaft, oder ein verſtändiges


Weſen , oder Liebe zum Prinzip machen, gé.
ben ein Prinzip der Bewegung an . Ueber

das Wesen und die Subſtanz der Dinge hat


keiner etwas deutliches vorgetragen , amn mei.
ften noch die , welche Ideen annehmen .

Denn ſie halten die Ideen und deren Gegen


ſtände nicht für die Materie der finnlichen
Dinge , noch für das Prinzip der Bewegung
( vielmehr für das Prinzip der Unbeweglich.
keit und Beharrlichkeit) fondern die Ideen
geben einem jeden Dinge das Wefen , den
Ideen ſelbſt giebt es das Eins.
Einige ſprechen zwar von einem Zwecke
der Handlungen , Veränderungen , und Bewe.
gungen , aber ſie legen ihm keine Kraft bey.
Diejenigen , welche ein vernünftiges Weſen,
oder die Freundſchaft annehmen , ſetzen
zwar dieſe Prinzipe als etwas Gutes , doch
nicht ſo , als wenn um ihrentwillen etwas
ſey oder werde , ſondern als wenn davon die
Bewegung der Dinge ausginge. Eben fo ma
chen die , welche die Einheit und Subſtantia
lität des Univerſums lehren , dieſe zwar zur
Urſache der Subſtanz , aber gar nicht zum
Endzweck déllen was iſt , oder wird. So
daſs fie alſo das Gute gewiſſermaſsen hall
M für
1
178

für ein Prinzip , halb nicht dafür erkennen .


Denn fie nehmen es nicht an ſich , ſondern
als ein Accidens .
Daſs übrigens meine Beſtimmungen über
die Anzahl und Beſchaffenheit der Grundur
ſachen richtig ſind , davon ſcheinen alle dieſe
Philoſophen Beweis zu geben , indem ſie kei
ne andre Urſache anführen. Auch ergiebt
ſich daraus , daſs wir alle Prinzipe auf dieſe
oder auf eine ähnliche Art aufzuſuchen ha.
ben. Jetzt wollen wir die Meynungen eines
jeden etwas genauer prüfen .

Siebentes Kapitel.
Prüfung und Widerlegung der Lehrlätze jener alten
Philoſophen .
Wie ſehr nun zuvörderſt alle diejenigen irren,
die das All für Eins , für Eine Natur ; für
körperliche und ausgedehnte Materie erklä .
ren , ergiebt ſich augenſcheinlich. Denn fie
geben nur Elemente der körperlichen Dinge
an , nicht aber der unkörperlichen , deren es
doch auch in der Welt giebt; und indem ſie
die Urſachen der Entſtehung und Vernich
tung zu entwickeln ſuchen , und überall phy
fifelie Unterſuchungen anſtellen , fo heben fie
die
Y
179

die Urſache der Bewegung auf. Ferner laſ


ſen fie Subſtanz und weſentliche Qualität für
keine Urſache gelten , und nehmen leichthin 1

jeden einfachern Körper für Prinzip , Fener,


Walfer und Luft , ohne auf deren wechſelſei
tige Entſtehung Rükſicht zu nehmen. Einiges
entſteht nemlich durch Vereinigung , andres
durch Trennung, und darauf kommt in Ab
ficht auf frühere oder ſpätere Exiſtenz ſehr
viel an. Der feinſte Körper , deſſen Theile
die allerkleinſten find , ſcheint am meiſten
elementariſch zu ſeyn ; und damit ſtimmen
ſowohl diejenigen überein , die das Feuer als
Grundſtof annehmen , als die übrigen alle.
Denn keiner von den neuern , die von Einem
1 Grundſtoffe ausgehen , erklärt die Erde für
ein Element, und zwar wegen der Gröſse
ihrer Theile. Alle übrigen drey baben ihre
Vertheidiger gefunden ; (denn einige nehmen
das Feuer , andre das Waſſer , andre die Luft
als Element an .) Warum nicht auch die Erde,
mit dem gemeinen Haufen ? Denn ſchon He
fiodus ſagt, die Erde war der erſte aller
Körper , woraus man auf das Alter und die
Allgemeinheit dieſer Meynung (chlüſſen kann.
Aber aus dem angeführten Grunde irren alle
diejenigen , die ein andres Element aufer dem
M 2 Feuer
180

Feuer , oder ein Etwas , was dichter als Luſt


und dünner als Waſſer iſt, feſtſetzen. Wie
widerſprechend wäre es , das , was der Ent
1
ſtehung nach ſpäter iſt , ſeiner Natur nach
früher zu ſetzen , (nun iſt doch das zuſam
mengeſtoſsene und verbundene ſeiner Entſte
hung nach ſpäter) alſo zu ſagen , Waffer ley
eher als Luft , Erde eher als Waſſer ! Soviel
von denen , welche Eine Urſache annehmen .
Ein gleiches kann man denen entgegen.
ſetzen , die mehrere Elemente gefunden ha.
ben , wie z. B. Empedokles , der vier Körper
als Materie annahm. Sie müſſen ain Ende
auf eben die und noch andre befondre Kon.
ſequenzen kommen. Wir ſehen nemlich ,
daſs jene Dinge aus einander entſtehen , und
können mithin nicht behaupten , daſs Feuer
oder Erde derſelbe Körper bleibe. Doch da.
von habe ich ſchon in der Phyſik gehandelt,
ſo wie über das Prinzip der Bewegung , ob
es eins oder mehrere giebt. Nach jenen
Grundſätzen wird alle Veränderung aufgeho .
ben , Kalt würde nicht aus Warm und um.
gekehrt. Wie ſich die entgegengeſetzten Din
ge zu einander verhalten , und was eigentlich
das Weſen ſey , welches Feuer oder Waller
wird , davon fagt Empedokles nichts .
Anaxa.
181

Anaxagoras nahm im Grunde auch zwey


Elemente an ; er ſelbſt ſah eś zwar nicht ein,
aber er würde es gewiſs eingeſtehen , wenn
wir es ihm zeigen könnten . Es wäre in der
That, ſonſt ungereimt, zu behaupten , daſs
alles von Anfang her vermiſcht ſey ; erſtlich,
weil es ja vorher unvermiſcht geweſen ſeyn
muſs, zweytens, weil die Dinge nicht ſo be.
ſchaffen ſind , daſs fich jedes mit dem andern
vermischen kann , dritiens, weil alsdenn die
Affectionen und Accidenzen von den Sub
ſtanzen getrennt würden , (denn nur einerley
Dinge können getrennt oder vermiſcht wer
den .) . Wenn man jedoch dein , was er ſa :
1 gen wollte , nachginge , ſo würde man viel- ,
1 leicht auf einige neue Ideen treffen . So lan
i
ge nichts geſchieden war , konnte natürlich
nichts von einer Subſtanz beſtimmt prädizirt
werden. Sie war weder weiſs, noch ſchwarz,
noch braun 1. f. f. , ſondern ſie multe' noth
wendig ohne Farbe ſeyn , ſo wie ohne Ge
ſchmack und dergleichen. Sie konnte weder
eine Beſchaffenheit, noch eine Gröſse , noch
ſonſt etwas haben , weil fie ſonſt zum Theil
eine der genannten Formen hätte haben mül
ſen , welches uninöglich war, wenn alles un .
tereinander gemiſcht war , denn alsdenn
M 3 fände
182

1
fände ſchon eine Abſonderung ſtatt. Alles,
fagte er , ſey vermiſcht, nur das verſtändige
Weſen nicht , dieſes ſey allein unvermiſcht
und rein. Folglich nahm er zwey Prinzipien
an , das Eins an fich (welches einfach und
unvermiſcht iſt) und noch ein andres Weſen,
das unbeſtimmte , ehe es beſtimmte Beſchaf
fenheiten und eine Form erhält .. Indes er.
klärt er ſich weder beſtimmt noch deutlich,
obſchon dieſe Lehrſätze den ueuern zieinlich
ähnlich ſind , die noch jetzt Beyfall haben.
Doch dies gehört mehr zu dem Kapitel über
das Entſtehen , Vergehen und die Bewegung.
Denn alle dieſe Philoſophen ſprechen faſt nur
von den Grundſtoffen und Urſachen der Sub
ſtanz', als ſolcher.
Diejenigen , die ſich mit der Betrachtung
der Natur aller Dinge beſchäftigen, und einige
für ſinnliche , andre für unſinnliche halten,
unterſuchen beyde Arten von Prinzipen. Bey
dieſen haben wir uns vorzüglich aufzultalten,
um für unſre gegenwärtige Materie zu prü
fen , was in ihren Behauptungen richtig oder
falſch iſt. Die ſogenannten Pythagoräer be
dienen fich der Grundſtoffe und Urſachen
ganz anders , als die Phyſiker , weil ſie ſie
nicht aus finnlichen Dingen entlehnen . Denn
mathe
183

inathematiſche Gegenſtände , ausgenommen


die , womit fich die Aſtrologie beſchäftigt,
find ohne alle Bewegung. Doch beziehen lie !

alles auf die Natur . Sie laſſen die Welt ent


ſtehen , beobachten das , was fich in ihren
Theilen , Zuſtänden und Wirkungen ereignet ,
wenden ihre Prinzipien und Grundurlachen
darauf an , als ob sie , einſtimmig mit den
übrigen Phyſikern , das für wirklich exiſti >

rend hielten , was den Sinnen erſcheint und


in dem enthalten iſt , was man Welt nennt.
Allein ihre Prinzipien find , wie ich ſchon
angeführt habe, nur für höhere Speculation
gemacht, und paſſender dazu , als zu phyſie
ſchen Unterſuchungen. Wie Bewegung ent
ſtehen kann , wenn man nur endlich und
unendlich , grade und ungrade zum Grunde
legt, oder wie ohne Bewegung und Verände
rung eine Entſtehung, Vernichtung und Thä
tigkeit der Weltkörper möglich ſey , davon
ſagen ſie nichts. Ferner mag man ihnen ent
weder gradehin zugeben , daſs aus dergleichen
Begriffert eine Gröſse beſtehe , oder es mag
auch erwieſen werden , ſo bleibt doch die
Frage , wie nun einige Körper leicht, andre
ſchwer feyn können ? Ihre diesfälligen Hy .
potheſen beziehen ſich nicht ſowohl auf finn
M 4 liche, 2
= 184
liche , als vielmehr auf mathematiſche Gegen TC

ſtände. Daher haben ſie über Feuer , Waſſer DI

und andere dergleichen Körper nichts geſagt,


in fo fern ſie überhaupt , meiner Meynung la

nach , nichts eigentliches über finnliche Dinge V

beſtimmen . 8
Ferner , wie ſoll man das nehmen , daſs €

die Affectionen der Zahlen und die Zahl ſelbſt


Grundurſachen alles deffen ſind , was von An. ' 1

fang an und jetzt in der Welt iſt und vor


geht , und daſs doch die andern Dinge weiter
keine Zahl haben , als die , woraus die Welt
beſteht ? Wenn fie nun fågen , daſs auf diefer
Stelle Meynung, Zeit , etwas weiter oben oder
unten , Ungerechtigkeit , Trennung oder Ver
miſchung ley, und dann beweiſen , daſs jedes
dieſer Dinge eine Zahí ſey : 'und wenn nun
nach dieſer Idee eine Menge beſtimmter Gröſ
ſen vorhanden ſeyn muſs , weil die Affectio
nen eine jede ihre Stelle ſuchen ; iſt das nun
eben die Zahl , die im Weltall iſt, und die
jedes der genannten Dinge ſeyn ſoll, oder
!

giebt es auſer derſelben noch eine andre ?


Platon behauptet das leztre. Aber auch er
nimmt an , daſs dieſe Dinge und die Grund
urſachen derſelben Zahlen find , doch hält er
dieſe für unfinnlich , jene für finnlich . So viel
von
185

von den Pythagoråern , bey denen wir uns


hinlänglich verweilt haben.
* ) Diejenigen , welche Ideen als Grundur .
fachen der Natur annehmen , führen eben fo
viel Weſen ein , als Dinge in der Natur ſind ,
grade ſo als wenn jemand glaubte , er könne
eine Summe nicht zählen , aufer wenn er fie
gröſser mache. Der Ideen And der Zahl
nach beinahe eben ſo viele oder doch nicht
weniger , als der Dinge , deren Grundurſachen
fie feyn Colleri. " Von jeden Dinge giebt es
eine gleichnamige Art , und auſer den Sube
1

ſtanzen der andern Dinge giebt es ein Eins


ſowohl für dieſe ſelbſt, als für die ewigen
Urbilder. Alle die Beweiſe für die Exiſtenz der
Ideen find indeſs meiner Meynung nach nicht
evident, Bey einigen Dingen darf man über
haupt gar nicht auf Ideen fortſchlüſſen , und
von einigen muſs man Ideen annehmen grade 0
da , wo unſre genannten Philoſophen es nicht
thân . Nach den Grundſätzen der Willen .
ſchaften müſte es Ideen von allen den Dingen
geben , von denen es Wiſſenſchaften giebt.
Ferner inüſte es nach dem Verhälnis des Eins
zu Viel auch Ideen der Negationen , und da
M 5 wir
* ) Kommt wörtlich in der Metaph. XIII, 4. 5.
wieder , mit wenigen Zuſätzen .
186

wir auch die Dinge erkennen , die vernichtet


werden können , Ideen des Vernichtbaren
geben. Denn davon haben wir eine Vorſtel
?
lung. Aus ihren ſicherſten Beweiſen folgt fero
ner , daſs es auch Ideen der Verhältniſſe giebt,
wovon Sie keine Gattung an fich annehmen,
und daſs man noch einen dritten Menſchen
ſtatuiren müſſe. Ueberhaupt aber hebt ihre
Meynung von den Ideen dasjenige auf, was
fie für mehr gelten laſſen wollen , als die
Ideen ſelbſt, denn es folgt daraus , daſs die
Dyas nicht das erſte iſt, ſondern die Zahl ;
und daſs das Verhältniſs eher iſt , als das Ding
an ſich genommen , und ſo folgt, alles das dar
aus , womit einige von denen , die dieſe Lehr.
ſätze annehmen , die Grundurſachen beſtritten
haben . Ferner müſte es nach ihrer Hypo
theſe nicht blos Ideen der Subſtanzen , fon .
dern auch vieler andern Dinge geben . Denn
man hat nicht blos von den Subſtanzen, ſon .
dern auch von andern , Dingen Begriffe und
Wiſſenſchaften ; und ſo kann man noch un
endlich vieles daraus folgern. Allein der rich
tigen Conſequenz und den Lehrfätzen derſel.
bei nach , können , wenn die Ideen theil.
nehmbar sind , nur Ideen der abſoluten Sub
ſtanzen ſeyn. Denn die Theilnehinung daran
iſt
187

iſt nicht accidentell: die mitgetheilte Idee


kann kein bloſses Praedicat eines Subjects
abgeben , wie etwa das , was an dem zwey.
Sachen Theil nimmt , zugleich an dem Unendo
lichen Theil nimmt , jedoch accidental, in ſo
fern das Zweyfache auch unendlich iſt. Folg
lich find die Ideen Subſtanzen , und zwar ſo
wohl finnliche als intellectuelle . Oder was

heiſst es , wenn man ſagt, es ſey etwas auſer


ihnen , Eins in Vielen ? Sind nun aber die
Ideen ſelbſt, und dasjenige , was an den Ideen
Theil nimmt , der Form nach einerley , ſo
müſſen fie etwas gemeinſchaftliches haben.
Denn warum ſollte nur in den Zweyheiten,
die vergehen , und in denen , welche der Zahl
nach viel, aber unendlich ſind , die Dyas Eins
und daſſelbe ſeyn , und nicht auch in jeder
andern ? Sind ſie der Form nach nicht einer
ley , ſo müſſen Sie es blos dem Namen nach
ſeyn , ſo wie wenn man den Callias und ein
Stück Holz Menſch nennen wollte , ohne
+

irgend eine. Gemeinſchaft zwiſchen beyden


zu finden .
Am unerklärlichſten iſt jedoch der Einflus
der Ideen auf die finnlichen Dinge , ſowohl
< auf die, welche ewig find , als auf die , welche
entſtehen und vergeben. Sie find weder die
Ur
188

Urſache ihrer Bewegung, noch irgend einer


Veränderung, lie tragen nichts zur Erkennt.
nis der andern Dinge bey , da fie nicht Suls.
ſtanzen derſelben find , (denn ſonſt müſten he
in ihnen ſeyn ,) noch zu ihrer Exiſtenz , weil
fie nicht in den Dingen find. Vielleicht kön.
nen ſie auf die Art Urſachen heiſsen , wie
'man ſich die Vermiſchung von Weis mit Weis
denkt. Allein dieſe Vorſtellung , die zuerſt
Anaxagoras , dann Eudoxus und einige andre
aufnahmen , iſt ſehr leicht zu widerlegen,
und man kann vieles dagegen auffinden , was
geradezu auf Unmöglichkeiten führt. Kurz , in
( keiner von allen gewöhnlichen Vorſtellungsár
ten ſind die Dinge in der Welt aus den Ideen
abzuleiten. Sagen , daſs hie Originale und die
übrigen Dinge Abbilder ſind , heiſt leer und
in poetiſchen Metaphern reden . Was iſt denn,
in Rüklicht auf die Ideen , thätig ? Es kann
ja etwas ihnen gleich ſeyn und werden, ohne
darnach geformt zu ſeyn. So mag Sokrates
exiliiren oder nicht, inmer kann jemand
der werden , der Sokrates iſt ; ſelbſt, werm
Sokratés ewig wäre. Auch müſten mehrere
Muſter von einer Sache, folglich auch meh
rere Ideen ſeyn , z..· B. vom Menſchen , die
1

Idee Thier , --Zweyfüſsig und zugleich auch


die
189
die Idee Menſch . Ueberdies inüſte es nicht
blos Ideen als Muſter der finnlichen Gegen
ſtände, ſondern auch der Ideen ſelbſt geben,
2. B. die Idee Gattung von der Gattung, folg.
lich wäre Daſſelbe Muſter und Abbild zu
gleich. Ferner kann die Subſtanz und dasje.
nige , wovon he Subſtanz iſt, unmöglich ge
trennt ſeyn. Wie ſollen nun die Ideen , als
Subſtanzen der Dinge , abgeſondert leyn ? Im 1
Phädon heilt es , daſs die Ideen die Urſachen
davon ſeyn , daſs die Dinge find und werden .
Aber wenn nun auch Ideen sind , ſo können
doch die Dinge , die daran Theil nehmen,
nicht werden , ohne eine bewegende Urſache,
und es werden doch viele andere Dinge , 2.
E. Häuſer , Ringe , bey denen wir keine Ideen
annehmen . Hieraus ergiebt ſich , daſs alle
andern Dinge aus eben dergleichen Urſachen
ſeyn und werden können , als die Urſachen
der jetzt genannten find.
Sind die Ideen aber Zahlen , wie können
fie Urſachen von etwas ſeyn ? etwa , weil die
Dinge verſchiedne Zahlen find , eine Zahl der
Menſch , eine andre Sokrates , eine andre Cal
lias ? Aber warum find nun davon die Zahlen
Urſachen ? (Denn darauf kommt nichts an,
ob einige ewig find , andre micht.) Sind fie es
darum,
190

darum , weil die Dinge alle Zahlenverhältniſſe


1
find, wie ein Zuſammenklang , ſo müſſen doch
die Dinge, welche in Verhältniſſen ſtehen, Eins
ſeyn . Iſt dies Materie , ſo müſſen die Zahlen
felbſt Verhältniſſe der Dinge zu einander ſeyn.
Zum Beyſpiel, Callias als Zahlenverhältniſs des
Feuers , des Walfers , der Erde und der Luft,
iſt als Ideal • Menſch die Idee anderer Sub
jecte , und ſo iſt der Ideal . Menſch immer nur
Zahlenverhältnis andrer Dinge , nicht Zahl an
Sich . Folglich find die Ideen nicht Zahlen .
Aus mehrern Zahlen entſteht Eine Zahl,
wie kann aber aus mehrern Ideen Eine Idee
werden ? Sagt man , die eine Zahl entſtehe
nicht aus den Zahlen ſelbſt, ſondern aus den
Dingen , , die gezählt werden , z. B. die Zahl
10,000 aus 10,000 Dingen , wie verhalten ſich
dann die Einheiten ? Sind dieſe von einerley
Idee , ſo folgen Ungereimtheiten ; find ſie es
nicht , ſo find fie ſelbſt, und alle andre Dinge
unter einander verſchieden , und wie können
fie verſchieden ſeyn , da ſie keiner Zuſtände
fähig find ? Dies ſtreitet gegen alle Vernunft
und Erkenntnis . Ueberdies müſte man ja ſür
die Arithmetik eine andre Art Zahlen anneh
men . Und wie können die von einigen ange.
nommene Mittelweſen exiſtiren , welches ſind
ihre
+
191

ihre Prinzipien ? und warum find fie die Mit.


telweſen der finnlichen Dinge und der Ideen ?
Ferner müflen die beyden Einheiten , die in
der Dyas find , aus einer eher geweſenen Dyas
ſeyn , und das iſt unmöglich . Und waruin
iſt denn die zuſammengezälte Zahl ein Eins?
Sind die Einheiten verſchieden , fo multe man
bey der Darſtellung dieſer Meynung eben ſo
verfahren , wie die , welche vier oder zwey
Elemente annehmen . Dieſe nehmen nicht et-.
was allgemeines, wie Körper , ſondern etwas
ſpezielles , wie Feuer oder Erde an , und
denken es ſo , als wenn dieſes Eins án fich ,
(Feuer oder Waſſer ) mit allem übrigen gleich.
artig wäre . In dieſem Falle find die Zahlen
nicht Subſtanzen . Iſt das Eins etwas an ſich
und ein Prinzip , ſo hat es offenbar vielerley
Beſtimmungen .
Da fie alle Subſtanzen auf Grundſtoffe re.
duziren wollen , ſo machen fie Längen aus
Lang und Kurz , aus Klein und Groſs , Flä
chen aus Breit und Schimal, Körper aus Hoch
und Tief. Aber wie kann die Fläche eine
Linie , das Solide eine Line und Fläche enthal.
ten ? Breit und ſchmal , hoch und tief find
verſchiedene . Gatungen. So wie nun alſo
keine Zahl darinn ſeyn kann , weil viel und
wenig
192

wenig davon ganz verſchieden iſt , eben ſo


kann auch kein Oberes im Untern ſeyn.
Breit iſt keine Gattung von Hoch , denn ſonſt
wäre der Körper eine Fläche. Und woher

ſollen denn die Puncte darinn ſeyn ? Plato


Jäugnete ihre Wirklichkeit, . und erklärte fie
nur für einen geometriſchen Lehrſaz. Allein
er nannte ſie doch Grundſtoffe der Linie , und
die Linien ſelbſt .untheilbar . Dieſe müffen

doch irgend eine Extremität haben . Aus eben


den Gründen alſo , woraus man auf die Wirk
lichkeit der Linie ſchließt, folgt auch die
Wirklichkeit der Puncte .
Ueberhaupt haben fie die Grundurſachen
der finnlichen Dinge ganz übergangen , wie
wohl ſie ein Gegenſtand der Philoſophie find.
Sie ſchweigen ganz von dem Prinzip der Ver
änderung. Um die Weſen der Dinge darzu .
ſtellen , führen fie andre Weſen ein , wie aber 7

dieſe die Weſen von jenen ſind , iſt nicht aus.


zumachen , denn ihre angenommene Theilneh
mung bedeutet, wie ſchon gezeigt iſt, ſo viel
als nichts. Von dem Prinzipe aller Wiſſen
ſchaft, von dem Endzweck , warum vernünf.
tige Weſen und die ganze Natur würkt , den
ich auch als eine Grundurfache rechne, kommt
bey ihrer Ideenlehre nichts vor. Aber das
?
korn
193
kommt daher , weil bey den Philoſophen unſ.
rer Zeit die Philoſophie Mathematik geworden
iſt , wenn ſie gleich ſagen , daſs man die lezte
aus andern Abfichten treiben müſſe. Die ans
genommene materielle Subſtanz, das Gros und
Klein iſt mehr mathematiſch , und bedeutet
nur Verſchiedenheiten der Subſtanz- und Ma.
terie , wie es bey den Phyſikern der Fall iſt,
wenn fie Dünn und Dicht als Grundverſchie.
denheiten der Materie annehmen . Denn dieſe
Begriffe bezeichnen ein Uebermaals und einen
Mangel. Sollen fie aber zugleich den Begriff
der Bewegung enthalten , ſo ſind die Ideen
natürlich ſelbſt beweglich. Wo nicht, woher
kamen lie ? Dann fällt alle Phyſik weg. Auch
iſt es noch gar nicht ſo leicht , zu beweiſen ,
daſs alles Eins iſt. Aus ihrem Syſteme folgt es
nicht, und wenn man es zugeben wollte , lo
müſte man annehmen , daſs die Gattung das
Allgemeine ſey , und dies iſt in mehrern Fäl.
len undenkbar. Die nach den Zahlen ange .
noinmenen Längen , Flächen , Solida find ohne
allen Grund , und man ſieht nicht , wie ſie
find oder werden , oder was sie für Einfluſs
haben. Sie können nicht Ideen ſeyn , denn
ſie ſind nicht Zahlen ; fie înd keine Mittel
weſen , denn dieſes find die mathematiſchen
N We
194

Weſen ; ſie können auch nicht endlich ſeyn,


folglich machen fie wieder eine vierte Gats
tung aus.
Ueberhaupt muſs man bey dieſer ganzen
Unterſuchung die verſchiedenen Bedeutungen
deſſen , was man Element nennet , genau un
terſcheiden , zumal wenn die Frage ſo lautet :
aus welchen Grundſtoffen die Dinge beſtehen .
Woraus z. B. Handeln, Leiden, Grade u. f. for
beſteht , iſt unmöglich zu erkennen. Dieſe
Unterſuchung hat allein bey den Subſtanzen
ſtatt. Folglich iſt es falſch , wenn man die
Grundſtoffe aller Dinge aufſuchen will oder
fie zu willen glaubt. Wie will jemand die
Grundſtoffe aller Dinge kennen lernen ? Aus
Vorkenntniſſen ? unmöglich. Wer Geometrie
lernt, kann zwar ſchon manches andere vore
aus wiſſen , aber dasjenige , dellen Wiſſen
ſchaft er erſt lernen ſoll, kann er nicht vora
her wiſſen ; eben ſo in allen andern Fällen .
Eben ſo findet mithin auch bey einer Willen
ſchaft aller Dinge, wenn es eine ſolche giebt,
keine Vorkenntnis derſelben ſtatt. ' (* Allein
alle Wiſſenſchaft beſteht doch aus Vorkennt
nil
* ) Dieſe Stelle kann ich nicht mit dem Ganzen
reimen , wenn ich anders das Ganze richtig ge
faſt habe. Sie ſcheint mir ein Gloſſem .
C

195
niſſen aller oder einiger Dinge, und entweder
aus Beweis oder Dehnition , Denn die Bew
griffe, woraus die Definition beſteht, muſs man
doch ſchon vorher kennen. Und eben ſo bey
der Induction .) Iſt uns dieſe Wiſſenſchaft
angebohren , ſo iſt es doch ſonderbar , daſs
wir uns des Beſitzes einer ſo vortrefflichen
Sache nicht bewuſst Gnd . Ferner wie kann
man die innern Beſtandtheile der Dinge mit
Gewisheit erkennen ? Hier iſt viele Schwie .
rigkeit. Man kann hier eben ſo verſchieden
denken , wie über manche Sylben. Einige
Lagen , daſs die Sylbe Sma aus S M und A
beſtehe, andre nehmen einen ganz andern un
bekannten Ton 'an. ' Noch mehr wie kann je
!
mandi finnliche Dinge erkennen , der keine
!

Sinne dafür hat ? und das müſte doch geſche


hen , wenn die Dinge eben ſo aus Grundſtoffen
beſtehen, wie die Buchſtaben eigentlicheGrund :
ſtoffe zuſammengeſezter Wörter find ?
Aus dieſer ganzen Verhandlung nun erhellt
ſoviel, daſs alle Philoſophen nur dieſe und
keine andre Grundurſache angenommen , und
daſs ich he alſo in der Phyfik vollſtändig ab
gehandelt habe ; nur mit dem Unterſchiede ,
daſs jene fich darüber ſehr unbeſtimmt er.
klärt haben.
N 2 Bey
196

Bey den älteſten Philoſophen find ſie alle


nur gewiſſermaſsen da geweſen. Ihre Philo .
ſophie lag gleichſam noch in der Wiege und
lallt nur .
So legt Empedokles dem Knochen
Vernunft bey , und meint damit Weſen und
Subſtanz . Folglich müſte auch Fleiſch und
ſo weiter Vernunft oder nicht Eins ſeyn ,
Denn dadurch exiſtirt Fleiſch und Knochen
ụ. f. f. nicht durch Materie, wie Feuer, Erde,
Waſſer und Luft find. Er hätte das auch
gewis zugegeben , wenn ihn jemand darauf
geführt hätte , wiewobler fich nicht deut
lich erklärt. Doch davon habe ich oben ge
handelt. Lalſet uns jezt wieder auf die Zwei
fel dagegen kommen , denn daraus kann
vielleicht für unſere folgende Unterſuchung
einiger Vortheil erwachſen.

BROBE
1
197

1
1
PROBE EINER ÜBERSEZUNG

AUS DES

SEXTUS EMPIRIKUS DREI BÜCHERN


YON DEN

GRUNDLEHREN DER PYRRHONIKER .*)

ERSTES BUCH .

1. Kapitel
Von dem Hauptunterſchiede der Philoſophen.
BeimSuchen einerSache ſind drey Fälle mög.
lich. Entweder man findet sie ;: oder inan bey
kennt, daſs man fie nicht gefunden habe und
daſs das Suchen fruchtloſs fey ; oder man hofft
he noch zu finden . Eben ſo geht es auch bei
N3 den
* ) Die Umſtände erlaubten es nicht, mit dem Hrn ,
Verfaſſer über dieſen Beytrag inen Unterhandlung
b
men r läge
heit genomenten, hin und wiede die Vorſch
des Recenſ merkienn der Allg , Lit. Z. 1792. No.
307. mit anzu .
I Der Herausg
198
den Philoſophen . Einige behaupten die Wahr
heit gefunden zu haben , andre verfichern ,
daſs es nicht möglich ſey fie zu finden ; und
andre hoffen noch von ihrem fortgeſezten Sus
chen . Die erſtern , die ich im Belize der
Wahrheit wähnen , führen den Namen der
Dogmatiker. Zu dieſen geboren die Ariftoteliker,
die Epikuräer , die Stoiker und einige andre .
Zu den zweyten , die fich für die Unmöge
lichkeit die Wahrheit zu erkennenlerklären
gehören die Schulen des Klitomachus und Kar.
neades und andre - Akademiker. Die dritten
endlich , die noch nach ihrem Beſize ſtreben ,
find die Skeptiker. Man kann alſo mit gutem
Grunde die Philoſophen überhaupt in drei
Hauptpartheien eintheilen , in Dogmatiker, Akas
demiker und Skeptiker.
Ich überlaſſe 'es andern von den beiden
erſtern Partheiên za ſprechen , und ſchränke
mich darauf ein , das Syſtem der Skeptiker,
meiner gegenwärtigen Einſicht gemals, in einem
kurzen Grundriſs darzuſtellen . Ich erinnere
aber hier voraus , daſs nichts von dem was in
der Folge geſagt wird ſo zu verſtehen ſey, als
hätte ich es für durchaus und nothwendig wabr
ausgeben wollen. Ich gebe von allem, nur ſo wie
ich es iezt einſehe, bloſs hiſtoriſchen Bericht.
ci
199

ng 2. Kapitel.
ad Von den Gefichtspunkten *) bei der Betrachtung
US des Skepticismus.
er Die Betrachtung der Skeptiſchen Philoſophie
er hat einen doppelten Geſichtspunkt, einen alla.
ery
gemeinen und einen beſonderen. In dem erſtern
3
re werden wir zeigen , i'worinn eigentlich die
Skepfis ſelbſt beſtehe. Wir werden den Be
griff von Skepſis beſtimmen ; ihre Principien
und ihre Gründe , ihr Kriterium und ihren
ten
Zwek angeben ; ihre Beweilsarten für das da.
реп,
hin geſtellt ſeyn laſſen , den Sinn' ihrer Skeptio.
em
ſchen Formeln , und endlich ihren Unterſchied
trei
von den verwandten Syſtemen aus einander
ſezen . In dem zweiten beſondern Gefichts .
ika
punkte werden wir hernach unfre Widerle.
den gungen der einzelnen philoſophiſchen Wiſſen
ike
Ich beginne meine Be
ſchaften aufſtellen .
seri trachtung mit dem erſtern Geſichtspunkte,
emi und zwar zuerſt mit Aufzählung der ver :
ere
ſchiedenen Benennungen , welche man der
Skeptiſchen Schule beigelegt hat.
als
ah1

vie N4 3.

* ) Theilen ,
Rec ,
200

3. Kapitel.
Von den verſchiedenen Namen der skeptiker,
Man nennt die Skeptiſche Schule auch – die
Zetetiſche , : Unterſuchende , weil ſie fich mit
Unterſuchen und Prüfen beſchäftiget; die
Ephektiſche, Zurükhaltende , weil der Skepti:
ker nach der Unterſuchung zur Zurükhaltung
feines Urtheils fich genöthiget fühlt; - . die
Aporetiſches Zweifelnde, entweder wie einige
ſagen , weil fie überall noch zweifelt und zu
unterſuchen førtfährt , oder wegen ihrer Un
entſchloſſenheit zum Annehmen oder Verwer .
fen einer Meinung ; die Pyrrhoniſche, leit
Pyrrho , ein Mann von mehr Feſtigkeit und hel.
lerem Blike als irgend einer ſeiner Vorgänger,
in der Skeptiſchen Schule aufgetreten iſt.

4. Kapitel.
Von dem Begriffe der Skepſis.
Die Skepſis iſt das Vermögen , finnliche und
intellektuelle Gegenſtände in jeder Rükficht
untereinander entgegen zu lezen , wodurch
man , wegen des Gleichgewichts der wider.
Iprechenden Sachen und Gründe , zuerſt zum
Unentſchiedenlaſſen , und dann zu der daraus
ent
201

entſpringenden Gleichmüthigkeit gelangt. " Ver.


mögen nehme ich aber hier nicht in einem ein
gefchränkten Sinne; * ) es ſoll nichts weiter als
die Können überhaupt ausdrüken. Unterfinnlichen
mit Gegenſtänden verſtehe ich das was durch die
die Sinnlichkeit vorgeſtellt wird ; von welchem ich
ptic eben darum das durch Vernunft vorgeſtellte un..
terſcheide. In jeder Rükſicht kann es entweder
die auf Vermögen bezogen werden, um anzudeuten
was ich eben angemerkt habe, daſs dieſes
zu Wort im weiteren Sinne zu nehmen ſey. Oder
nu nan kann es auch mit Entgegenfézen verbinden ,
1

er
um alle Arten des Entgegenſezenspe lowohl
elt der finnlichen oder der intellektuellen Gegen
el ſtände unter fich ſelbſt, als beider wechſelſeitig
er
gegen einänder zu bezeichnen. Oder es läſst
ſich auch auf finnliche und intellektuelle Gegen .
ſtände beziehen , und ſoll zu erkennen geben,
daſs wir beides überhaupt in dem gewöhnli
chen Sinn nehmen , bhne zu unterſuchen , wie
jene durch die Sinnlichkeit oder dieſe durch
die Vernunft vorgeſtellt werden . Unter wider .
fprechenden Gründen verſtehe ich, nach der ein
fachſten Bedeutung desWorts , Colche , die ſich
nicht vereinigen laſſen , nicht beſtimmte Ver
N 5 neis

* ) In dem ſchulgerechren Sinne ?


Rec.
202

neinungen oder Bejahungen. Gleichgewicht der


Gründe nenne ich den gleichen Anſpruch der
ſelben auf Glaubwürdigkeit, * ) inwieferne kei
ner von zween entgegenſtehenden Gründen uns
beſtimmen kann , eine Sache als wahr anzuneh
inen oder als falſch zu verwerfen. Die Unent
ſchiedenheit aber iſt der Zuſtand desGemüthesi
+
wenn es unbeſtimmt gelaſfen wird etwas zu
verwerfen oder anzunehmen . Gleichinüthigkeit
endlich iſt das Freiſeyn der Seele von quälen
der Ungewiſsheit und eine ungeſtörte Rube.
Wie aber dieſe aus jenem Unentſchiedenlaf.
ſen unmittelbar entſpringe, das wird unten
bei der Betrachtung von dem Zweke des Skep.
ticismus vollſtändiger entwikelt werden .

5. Kapitel.
Von dem skeptiker.
Durch den Begriff des Skepticismus iſt zugleich
auch der Begriff eines Skeptikers beſtimmt,
Ein Skeptiker iſt nämlich derjenige , der das
Vermögen der Skeplis hat.

6. Kapitel.
Von den Principien der Skepſis.
Die Haupt - Veranlaſſung zur Skephis war wohl
das Verlangen nach einer ungeſtörten Ruhe
des
*) Ueberzeugung Reg.
+
203

des Geiſtes. Einige vorzügliche Köpfernäm :


Jich ſahen die Widerſprüche in der Dingen und
wurden unruhig über die Ungewiſsheit, wel.
che von den widerſprechenden Eigenſchaften
he für wahr annehmen ſollten . Sie fiengen
alſo an zu 'unterſuchen , was Wahrheit oder
Schein an den Dingen ſey , um durch dieſe
Auseinanderſezung ihren Geiſt von den Beuns
ruhigungen des Handherfchwankens zu
befreien : Der Haut- Grundfaz aber , auf dem
das Syſtem des Skeptieismús , beryht, iſt die.
fer : Jedem Grunde fteht ein andter gleich
Wichtiger entgegen . Denn offenbar iſt dies für
und der Beſtimmungsgrund , durchaus nichts
dogmatiſch 'zu behaupten.net
‫کسب‬
20 si
1.100 un
7 Kapitel.
Ob dieSkeptiker dogmatiſche Behauptungen aufftellen ?
Wenn man Dogma in der von einigen angea
nommenen ganz allgemeinen Bedeutung nimmt,
je welcher es nur etwas für wahr halten über
haupt ausdrükt : ſo kann man freilich nicht ſau
gen , daſs die Skeptiker kein Dogma haben .
Denn der Skeptiker hält wirklich die durch
äuſſern Eindruk hervorgebrachte Empfindun
gen für wahr ; er ſagt z. B. nicht , es iſt mir
nicht

.
+

204

nicht heiſs, wenn er Hize fühlt, oder es iſt mir


hicht kalt , wenn er friert. Allein andere vera
ſtehen unter Dogma, das Fürwahrhalten eines
durch Vernunft. unterſuchten nichtanſchaulichen
Gegenſtandes. In dieſem Sinne haben die Skep
tiker kein Dogma , denn he erklären keinen
der nichtanſchaulichen Gegenſtände für wahr.
Selbſt wenn ſie über dieſe Gegenſtände in bea ;
kannten Formeln ihres SyItems, z. B. keiner
mehr , oder ich beſtimine nichts , oder in ähati
chen, von denen in der Folge noch die Rede
ſeyn wird , fich ausdrüken : ſo ſind es doch
keine Dogmen , die ſie aufſtellen . Denn esiſt
ein weſentliches Merkmal der dogmatiſchen Be .
hauptung , daſs hie den Gegenſtand als durcha
aus beſtimmt feſtlezt. Der Skeptiker aber
nimmt ſelbſt jene Formeln nicht als durchaus
beſtimmt an. Denn er ſchlieſst : Wie aus dem
Saze , " Alles iſt falsch, allgemein genommen
auch folgen müſste , daſs er ſelbſt falſch feys
oder der andere , Nichts iſt zahr, eben darum
auch ſelbſt nicht wahr wäre : eben fo würde
auch die Formel, Keines wahrer , durch fich
Selbſt der ihr entgegengeſezten Behauptung
gleiche Rechte zuſchreiben , und alſo in dieſern
weiten Umfange genommen fich ſelbſt mit den
übrigen Behauptungen zugleich aufheben . Eben
dies
205

dies gilt auch von allen andern Formeln der


Skeptiker. Wenn nun zu einer dogmatiſchen
Behauptung nothwendig gehört , daſs der Ge.
genſtand als durchaus beſtimmt behauptet wer .
de ; die Skeptiker aber ihre Formeln la gebrau
chen , als ob ſie durch ſich ſelbſt aufgehoben
werden könnten; ſo kann man offenbar nicht
ſagen , daſs die in folchen Formeln ausgedrük.
ten Säze Dogmen ſeyen . Dies wird noch mehr
dadurch beſtätigt, daſs die Skeptiker durch
ihre Formeln nur angeben wollen , wie ihnen
ein Gegenſtand erſcheint und wie ſie davon zu
urtheilen fich bewogen fühlen , ohne dadurch
etwas als ausgemacht annehmen, noch weniger
etwas über die äuſseren Gegenſtände ſelbſt
beſtimmen zu wollen. '

8. Kapitel.
Ob die Skeptiker eine eigne Sekte ausmachen ,
Wir können dieſe Frage eben ſo wie die vorige
behandeln . Heiſst man eine Sekte das Anneh.
men mehrer Dogmen , die unter fich ſowohl
als mit den Erſcheinungen übereinſtimmen ;
verſteht aber unter Dogma eine Entſcheidung
1
über etwas Nichtanſchauliches : fo machen die
Skeptiker keine Sekte aus. Eine Sekte kann
aber
19

206

aber auch heiſsen eine Vereinigung mehrer


Menſchen zu einem gemeinſchaftlichen Grund
ſaz , den ſie in Rükficht der äuſſern Gegen
ſtände befolgen , welcher zeigt, wie man ver
muthlich recht (d. h. nicht bloſs tugendhaft,
ſondern überhaupt auf die beſte Art) lebe, und
welcher die Ausübung des Unentſchiedenlal
fens befördert. In dieſem Sinne find die Skep
tiker eine Sekte ; denn wir befolgen in Rük .
ficht der äuſsern Gegenſtände einen Grundlaz,
der uns lehrt, nach den Sitten, Geſezen und
Einrichtungen unſers Vaterlandes und nach
unſern eignen Empfindungen uns in unſern
Handlungen zu richten.

9. Kapitel.
Ob die Skeptiker Naturforſcher ſeyen ?
Auf eben die Art verfahre ich auch bei der
Frage : ob die Skeptiker Naturkunde treiben
müſſen ? Inwieferne man nämlich bey dieſer Be
ſchäftigung zur Abficht haben kann , über die
!
von den Naturforſchern aufgeſtellte Dogmen
eine befriedigende Entſcheidung geben zu kön.
nen ; inſoferne werden keine ſolche Unterſu .
4

chungen von uns angeſtellt. Die Naturwiſſen


Schaft darf uns aber doch nicht fremde feyn,
weil
1
1
207
1

weil wir nur durch ſie die Gründe kennen und


angeben lernen , die einander entgegengeſezt
find * ); was' zu unſerm lezten Zwek , der un,
geſtörten Gleichmüthigkeit, unentbehrlich iſt.
In eben dieſer Hinſicht beſchäftigen wir uns
aber auch mit dem logiſchen und moraliſchen
Theile der Philoſophie .

10. Kapitel.
Ob die Skeptiker die Erſcheinungen läugnen .
Man muls offenbar die Skeptiker ganz miſs
verſtanden haben, wenn man ſie þeſchuldigt, daſs
he die Erſcheinungen verwerfen. Denn fürs erſte
läugnen wir nicht , wie ich auch vorhin ſchon
bemerkt habe, das Afficirtwerden unſrer Sinn
lichkeit; dies nöthigt uns aber ein Afficirendes
anzunehmen , welches eben die Erſcheinung iſt.
Fürs zweite aber indem wir zweifeln , ob der
äuſſere Gegenſtand ſo beſchaffen fey, wie er uns
erſcheint, fo geben wir ja eben dadurch ſelbſt
zu , dafs etwas ſey , was erſcheint. Wir zwei 1

feln alſo nicht an dem Gegenſtande der Erſchei.


nung , fondern nur an den Beſchaffenheiten ,
die
*). Damit wir die in derſelben aufgeſtellten Bes ;
hauptungen mit eben ſo ſtarken Gründen beſtrei.
ten können. Reci
208

die einem ſolchen Gegenſtande zugeſchrieben


werden. Dies iſt doch wohl ſehr verſchie .
den ? - Wir geben z. B. zu , daſs der Honig
uns fürs erſcheint, denn wir werden durch die
Empfindung der Süſsigkeit überzeugt; aber ob
der Honig auch , inwieferne er nicht empfunden
wird , die Eigenſchaft des Süſsen habe , daran 1

zweifeln wir. Das heiſst aber nicht die Erſchei


nung ſelbſt, ſondern nur die der Erſcheinung
beigelegte Prädikare bęzweifeln. Wenn wir
aber gegen die Erſcheinungen ſelbſt Zweifels .
gründe vorbringen , ſo geſchieht dies keines
wegs, um die Gewiſsheit der Erſcheinungen zu
läugnen, ſondern um die übereilten Anmaſsun
gen der Dogmatiker auffallend zu machen. Denn
da die Vernunft ſo ſehr trügend iſt, daſs sie fo
gar bei Erſcheinungen beinahe das Zeugniſs
unſrer Sinne uns verdächtig macht: wie nöthig
inuſs nicht erſt im Gebiete des Nichterkenn
baren ein gewilles Miſstrauen gegen ihre Wire
kungen ſeyn , wenn wir nicht durch ihre Ein
gebungen in Irrthum gerathen wollen !

11. Kapitel
Von dem Kriterium der Skeptiker,
Daſs wir uns nach den Erſcheinungen richten,
erhellt aus dem , was ich von dem Kriterium
der
209

der Skeptiker zu ſagen habe. Kriterium kommt


aber in einer zweifachen Beziehung vor : erſt
lich Kriterium der Wirklichkeit oder Nicht
wirklichkeit eines Gegenſtandes davon wird
in dem polemiſchen Theile gebandelt werden ;
zweitens Kriterium des Handelns , nach wel.
chem wir in Rükſicht unſers Lebens beurthei
ler , was wir thun oder nicht thun follen
und von dem leztern wollen wir įezt [pre
chen . Die Skeptiſche Schule hat zu ihrem Kri.
terium die Erſcheinung, worunter fie eigent.
lich die Vorſtellung der Erſcheinung verſtehen .
Diefe iſt freilich , inwiefern ſie in einem Affi
çirtlern und einer unwillkührlichen Empfin
dung gegründet iſt, weiter keinen Zweifel
unterworfen. Es wird daher auch ſchwerlicha
jemand in Zweifel zieben , daſs ein Gegenſtand
ſo oder anders erſcheine ; aber darüber entſteht
die Frage, ob der Gegenſtand fo ſey , wie er
erſcheint. Da wir nun einmal doch nicht ganz ,
unthätig ſeyn können ', ſo richten wir uns mit
unferm Handeln nach den Erſcheinungen ,
ohne über dieſe erſt etwas theoretiſch zu ber
ſtimmen . Wir glauben aber dieſe Erſcheinun ,
gen , welche für uns die Regeln.unſers Lebens
ſind , unter folgenden vier Claſfert, der An
lage unfrer Natur, den Trieben unſrer Gefühle,
den
( 210

den Vorſchriften der Geſeze und Sitten , und


dem Unterricht in den Künſten begreiſen 1

zu können. Die Anlage unſrer Natur in


wieferne wir empfindende und denkende We
ſen find ; die Triebe unfrer Gefühle - inwieferné
wir durch Hunger zum Eſſen , durch Durſt
zum Trinken genöthigt werden ; die Vorſchrif
ten der Sitten und Geſeze mainwieferne wir
durch hè lernen , ein religiöſes : Leben als gut;
ein irreligiöfesi al's böſe zu betrachten ; der. Un
terricht in den Künſten - inwieferne wir da
durch geſchickt werden , in denjenigen Küns
ſten , die wir gewählt haben, etwas auszurich
ten. Doch dies alles ſagen wir , ohne es be
ſtimmt behaupten zu wollen.....

12. ' Kapitel.


互 .
3191.
Von dem Zweke der Skeptiker . grci?
oib

Unfrer Ordnung nach müſfer wir nun auch


von dem Zweke der Skeptiföhen Schule- ſprés
chen. Zuek iſt dasjenige, um deffen willen
alle Handlungen oder alle Unterſuchungen vor
genommen werden , was felbft aber nicht weil
ter uin eines andern willen gewollt wird ; oder
Zwek iſt das Ležte, wornach wir ſtreben. Die
ſer iſt bei den Skeptikern , ſoweit ich bis iezt
ihren
211

ibiren Sinn verſtehe, Ruhe des Geiſtes in Abë


ficht der theoretiſchen Unterſuchungen, und
Gleichmüthigkeit in Abhicht auf die unyermeid .
lichen äuſſern Umſtände. Der Skeptiker fienge
nämlich damit zu philofophiren an, daſs er
die finnlichen Vorſtellungen unterſuchte und
das Wabre an ihnen vom Falſchen unterſcheid
den lernen wollte , um auf dieſem Wege
Sicherheit gegen Ungewiſsheit und Irrthum zu
erlangen . Er fand aber widerſprechende Er
fcheinungen , für welche auf beiden Seiten
gleich ſtarke Gründe ſprachen ; und da er die
ſen Widerſpruch nicht aufzulöſen wuſste , ſo
liels er ſein Urtheil dahin geſtellt feyn. Durch
dieſes Dahingeſtellt feyn laffen abererreichte er
zufälligerweiſe , daſs ſeine. Gleichmüthigkeit
durchkeine theoretiſcheMeinungen geſtörtwird.
1
Freilich wird derjenige , der die Dinge für an
fich gut oder böſe hält, in beſtändiger Unruhe
be feyn . Denn fehlen ihm diefe vermeinten Gür
ter, ſo glaubt er auf der einen Seite durch
1 wirkliche Uebel gepeiniget zu werden , und
23
auf der andern Seite ringt er mit Aengſtlichkeit
nach dem Belize des eingebildeten Gutes * ), Hat
02 er

* ) Er iſt in beſtändiger Unruhe, lowohlwenn ihm


die eingebildeten Güter fehlen , als auch , wenn
1
212

er fe aber errungen , ſo hat er mit neuen größ


fern Unruhen ' zu kämpfen ; neue vernunfte
widrige grenzenloſe Begierden reiſſen ihn mit
Sich fort, und weil er überdies immer in
Furcht iſt, eine unglückliche Kataſtrophe ſei
nes Zuſtandes zu erleben , ſo hat er nichts zu
thun , als Vorſichtsmittel; fich den Befiz ſeiner
eingebildeten Güter zu ſichern , zu erhinnen .
Derjenige hingegen , der es dahin geſtellt ſeyn
läſst, ob die Dinge an ſich gut oder böſe ſeyen ,
der wird eben ſo wenig von heftiger Furcht
vor dieſen , als von ängſtlichem Trachten nach
jenen gequält werden , und folglich ganz ruhig
feyn. Es gieng alſo den Skeptikern gerade ſo,
wie dem Mahler Apelles. Dieſer wollte näm.
lich in einem Gemälde das Schäumen eines
Pferdes darſtellen . Seine Verſuche miſsglük .
ten aber alle ſo ſehr, daſs er voll Miſsmuth deni
Schwamm , womit er die Farben aus ſeinem
Pinſel abzuwiſehen pflegte, gegen das Gemälde
warf. Dadurch entſtand eine febr natürliche
Abbildung des Schaums. So fuchten auch die
Skeptiker die Gleichmüthigkeit des Geiſtes da
durch zu erreichen , daſs fie das Widerſprea
chende

5
er meynt , von phyfifchen Uebeln geplagt zu
werden. Rec.
213

chende der finnlichen ſowohl als der intellek


tuellen Gegenſtände auseinander zu ſezen be.
it mübt waren . Sie konnten aber damit nicht zu
Stande kommen , und lieſsen es alſo unent
ſchieden. Dieſem Unentſchiedenlaſſen folgte
u aber von ſelbſt jener geſuchte Zuſtand des Ge
r müthes, zwar zufällig, aber eben ſo natürlich als
3. der Schatten dem Körper. Wir glauben indeſs
1 nicht , daſs der Skeptiker ganz frei von allen
unangenehmen Empfindungen ſey. Er leidet
t auch unter dem allgemeinen Geſeze der äuf
ſern Nothwendigkeit. Er geſteht ſelbſt, daſs
8
er bisweilen friere , oder dürfte , oder andre
3
Empfindungen von der Art habe. Allein in
dieſen Fällen leidet die gewöhnliche Claſſe von
Menſchen doppelt , eines Theils durch die un 1

angenehmen Gefühle ſelbſt , und dann in ehen


45

1 dem Grade auch dadurch , daſs ſie dieſe Vebel


für etwas an fich Böſes halten . Der Skeptiker
. hingegen verwirft die Meinung, daſs dieſe
9 Zufälle wirkliche Uebel ſeyen, und kommt alſo
5
auch darin leichter davon . In dieſer Rüklicht
1 alſo ſagen wir , der Zwek des Skeptikers ſey
Ruhe des Geiſtes in Abſicht theoretiſcher Unter
ſuchungen, und Gleichmüthigkeit in Abſicht auf
i den Einfluſs äuſsrer Zufälle. Einige berühmte
Skeptiker haben dieſen auch noch beigezählt
O 3 das
214

das Unentſchiedenlaſſen bezweifelter Gegen .


ſtände..

13. Kapitel.
Von den Haupt- Beweiſsarten der Skeptiker.

Ich habe oben geſagt, die Ruhe des Gemüths


entſpringe aus dem Unentſchiedenlaſſen ; ich
will alſo nun auch zeigen , wie wir zu dieſem
Unentſchiedenlaſſen beſtimmt werden. Dies ge
ſchieht um es ganzallgemein auszudrüken
durch das Entgegenſezen der Dinge. Wir ſezen
aber ſowohl finnliche als intellektuelle Gegen
ſtände , unter fich , oder beide untereinander
wechſelſeitig entgegen. Wir ſezen z. B. finn
liche Gegenſtände unter fich entgegen, wenn wir
{ agen : ein und eben derſelbe Thurm ſcheintin
der Ferne rund , in der Nähe aber vierekigt;
intellektuelle Gegenſtände wenn wir dem,
der aus der Ordnung der Geſtirne Beweiſse für
das Daſeyn einer Vorſehung ableiten will, ent
gegenhielten , daſs doch oft die Rechtfehafnen
unglüklich , die Laſterhaften hingegen glüklich
ſeyen, und daraus ſchlöſſen , daſs es keine Vor
ſehung gebe ; Intellektuelle und ſinnliche Gegere.
ſtände aber wenn z. B. Anaxagoras der Be.
hauptung der Schnee ſey weils, entgegenſezte,
der
215

er Gegex der Schnee ſey gefrornes Walfer, das Waſſer


aber ſey ſchwarz und folglich müſſe auch der
1

Schnee ſchwarz ſeyn. In einer andern Rük


ficht fezen wir auch Gegenwärtiges mit Gegen
wärtigem - wie in den angeführten Beiſpie
eptiker.
len - oder mit Vergangenem oder mit Zukünf
Gemüth tigem entgegen . Wenn z. B. jemand einen
Grund gegen uns vorbrächte, den wir nicht auf
cu dielen löſen könnten, ſo würden wir ihm antworten :
Dies g dieſen Grund, der richtig ſcheint nach dem Sy
Küken ſtem , zu dem du dich bekennſt , kannte man
Tir lezer nicht, bevor der Stifter deſſelben geboren war,
z Gegen und doch war er an ſich ſchon vorhanden ; eben
einander So kann auch der dem deinigen entgegenſte
hende Grund an ſich ſchon vorhanden ſeyn, un
Inn Wir geachtet er uns noch unbekannt iſt. Folglich
Teint in dürfen wir diefem Grunde , ſeiner anſcheinen
den Stärke unerachtet , dennoch nicht bei.
demy ſtimmen.
• für
ent Um aber dieſe Arten unſers Entgegenſezens
fner noch deutlicher ins Licht zu ſezen , füge ich die
Beweilsarten bei , welche uns zum Unentſchie ..
Por denlaſſen beſtimmen. . Ich will aber weder in
Rükficht auf die Anzahl noch auf die Ueber **
Ben zeugungskraft dieſer Beweifsarten etwas gewif
8 ſes behaupten, denn es könnte wohl ſeyn, daſs
I
04 dieſe
216

dieſe Aufzählung weder alle , noch gerade die


' wirkſameren umfaſste .

14. Kapitel.
Von den zehen Beweilsarten.

Es werden von den ältern Skeptikern gewöhn.


lich zehen ſolcher Beweiſsarten für die Nothwen
digkeit des Unentſchiedenlaffens angeführt, die
bei ihnen auch unter den gleichbedeutenden
Namen von doyous und Togog vorkommen. Es '
find nämlich folgende : die erſte, aus der Verw
Schiedenheit der Thiere ; die zweite , aus dem
Unterſchied unter den Menſchen , die dritte,
aus der verſchiedenen Einrichtung der Sinn
werkzeuge , die vierte, aus den Umſtänden , die
fünfte , aus Lage , Entfernung und Ort ; die
ſechſte, aus den Beimiſchungen ; die fiebentė,
aus der Gröſse und Beſchaffenheit der Gegen .
ſtände , die achte , aus den Verbältniſſen , die
neunte , aus den bäufigern oder ſeltenern Vor:
fällen ; die zehnte, aus den Schulen , Sitten, Ge
ſezen , Mythen und dogmatiſchen Meinungen .
Die Ordnung, in der wir dieſe Beweilsarten an.
führen , ißt aber keineswegs als nothwendig
anzuſehen .
Dieſe
217

Dieſe zehen Beweiſsarten ſtehen unter fol.


genden drei böhern Arten : die erſte , in Rück
ficht auf das Urtheilende; die zweite , in Rük .
ſicht auf das zu Beurtheilende ; die dritte , in
Rükſicht aufbeide zugleich. Die erſiere dieſer
Beweilsarten vom Urtheilenden , begreift unter
fich die vier erſten der obigen Clalfe, inwieferne
das Urtheilende entweder ein Thier , oder ein :
Menſch, oder ein Sinn, oder etwas * ) in einem
gewillen Zuſtande iſt. Der andern , von der
3 zu Beurtheilenden, ſind die ſiebente und zehnte
S der dritten , von beiden zugleich , die fünfte und
ſechſte und die achte und neunte derobigen Be
weifsarten untergeordnet. Dieſe drei laſſen
! fich aber ſelbſt wieder unter der Claſſe von der
Verhältniſſen zuſammenfaſſen . Man kann alſo 1

é die Beweilsart aus den Verhältniſſen als Gat


e tung , jene drei als die Arten , und obige zehn
als die Unterarten betrachten. Soviel von ih
‫ܪ‬
rer vermuthlichen Anzahl Von ihrer Be.
weilskraft folgendes:

Von der erſten Beweiſsart.


Die erſte Beweiſsart wäre alſo die , aus der
Verſchiedenheit der Thierey · vermöge welcher
! 05 bei
* ) Die Worte : oder etwas , wünſcht der Rec. weg.
218

bey ihnen von einerlei Gegenſtänden nicht


einerlei Vorſtellungen möglich wären . Dies
ſchlieſsen wir aber theils aus der verſchied .
nen Entſtehungsart der Thiere , theils aus der
verſchiednen Beſchaffenheit ihrer Körper.
In Rükſicht ihrer Entſtehung nämlich find
einige durch Begattung erzeugt , andre nicht.
Die leztern entſtehen entweder durch Feuer,
wie die Thiere die man in den Feuerheer.
den antrifft ; oder aus verdorbenem Waſſer,
wie die Müken ; oder aus verſauertem Wein,
wie die Eſsigfliegen ; einige aus der Erde ;
andre aus dem Schlamm , z. B. die Fröſche ‫ܪ‬
andre aus Koth , z. B. Würmer ; andre aus
1
Eſeln , z. B. die Skarabäen ; andre aus Kohl,
z. B. Raupen ; andre aus Früchten , z. B. die
Müken , die der wilde Feigenbaum gebiert ;
andre aus verweſenden Thieren , z. B. Bie
nen aus Ochſen, Weſpen aus Pferden . Die
erſtre Claſſe aber enthält wieder entweder.
Solche, die durch Begattung gleicher Arten
entſtehen , wie die meiſten Thiere, oder fol
che, die durch vermiſchte Arten erzeugt wer
den , wie die Maulthiere. Ferner werden
die gewöhnlichen Thiere entweder als Thiere
geboren , wie die Menſchen ; oder als Eyer,
wie die Vögel; oder als ungebildete Stüken
Fleiſch
219

Fleiſch , wie die Bären. Es läſst ſich alſo ver


mutben , daſs durch dieſe Ungleichheit in der
Art des Erzeugtwerdens groſse Abweichun
gen entſtehen müſſen , woraus ſich auch die
Antipathien , die Unvereinbarkeit und der
Streit unter den Thieren erklären laſſen.
Aber auch die verſchiedne Einrichtung der
Haupt - Theile des Körpers , beſonders der
zum Unterſcheiden und Empfinden beſtimm
ten Organe , muſs bei den Thieren , je nach
dem fie ſo oder anders gebildet find, öfters
ganz widerſprechende Vorſtellungen hervor
bringen. Denn ein Gelbſüchtiger z . B. ſieht
das gelb , was wir weils ſehen , und was der,
der rothunterlaufene Augen hat, roth nennt.
Da nun einige Thiere gelbe , andre jöthlichte,
andre weiſslichte , und wieder andre anders
gefärbte Augen haben , ſo ſcheint es mir ſehr
!
wahrſcheinlich , dals ihnen die Farben ſehr
.
verſchieden erſcheinen müſsen . Eben ſo wenn
wir lange in die Sonne geſehen haben , und
1
darauf in ein Buch ſehen , ſo ſcheinen uns
die Buchſtaben wie von Gold und Aimmernd
zu ſeyn. Nun giebt es aber Thiere , die von 1

Natur leuchtende Augen haben , aus denen


ein feines leicht bewegliches Licht ausſtrömt,
ſo daſs hie auch bei Nacht ſehen konnen ;
man
220
man kann alſo mit Recht annehmen , daſs die
äuſſeren Gegenſtände dieſen nicht eben ſo
wie uns erſcheinen . Eben fo bewirken die
Schwarzkünſtler , daſs die Zuſchauer bald
ſchwarz bald kupferfarbig ausſehen , indem
Sie ihre Lichter in kleinen Abſazen abwech
ſelnd mit Kupferroſt und Sepienſaft beſtrei
chen . Nun find aber den Augen der Thiere
ſehr verſchiedenartige Säfte beigemiſcht; ſollte
man alſo nicht noch mit mehr Grunde ſchlieſ
ſen dürfen , daſs ihre Vorſtellungen von den
Gegenſtänden nicht gleich ſeyen ? Ferner wenn
man das Aug zuſammendrükt, ſo erſcheinen
die Formen und Umriſſe der Gegenſtände
länglicht und ſchmahl. Es iſt alſo wahrſchein
lich , daſs ſolche Thiere , bei denen der Auge
apfel queer ſteht und länglicht iſt , z. B. Zie
gen , Kazen und dergleichen , die Gegenſtände
verſchieden ſehen , und anders als andre Thie
re , die einen runden Augapfel haben . So
ſtellen auch die Spiegel , je nachdem hie ge.
ſchliffen find , die Gegenſtände bald ſehr klein
dar , wie die konkaven , bald aber Jänglicht
und ſchmahl, wie die konvexen. Es giebt
auch einige , in welchen man fich die Füſſe
oben den Kopf unten gekehrt erblikt. Da
nun die Augengefäſse ſo verſchieden gebaut
find,
221

ſind , bei einigen ſehr erhaben und hervor:


hängend , bei andern mehr hohl , bei andern
mehr flach find ; fo läſst ſich vermuthen , daſs
auch die Vorſtellungen dadurch ſehr verſchie .
den modificirt werden , und daſs alſo z. B.
Hunde , Fiſche , Löwen , Menſchen und Heu
febreken die Gegenſtände weder ihrer Gröſse
noch ihrer Geſtalt nach gleich ſehen , ſondern
dem Bilde gemäſs, das jedem ſein Auge von
den Gegenſtänden liefert, von denen es einen
Eindruk empfängt.
Eben ſo verhält es ſich auch bei den anderni
Sinnen . Wer wollte , z. B. behaupten , das
Afficirtwerden des Gefühls der Thiere fey nicht
verſchieden , lie mögen nun eine Schale haben
oder unbedekt ſeyn , mit Borſten oder Federn
oder Schuppen bekleidet ſeyn ? Oder 'wer
wollte glauben , daſs die Empfindungen des
Gehörs gleich ſeyen , der Gehörgang möge noch
lo enge oder noch ſo weit , die Ohren behaart
oder glatt ſeyn ; da doch unſer Gehör ſelbſt
anders afficirt wird , wenn wir die Ohren ball
verſchlieffen , als in ihrem natürlichen Zuſtan
de ? Auch der Geruch der Thiere muls , je
nachdem hie ſo oder anders eingerichtet ſind ,
verſchieden ſeyn. Denn wir können ſelbſt
an uns ſolche Verſchiedenheiten wahrnehmen ,
Wenn
1

222

Wenn wir z. B. durch eine Erkältung uns


einen Schnupfen zugezogen haben , oder an
einer Blutanhäufung im Kopfe leiden , können
Dinge , die für andre einen angenehmen Ge
ruch haben , für uns höchſt widerlich und
zurükſtoſſend ſeyn. Nun findet man aber in
der Natur einiger Thiere mehr feuchte und
ſchleimigte Theile , bei andern mehr Blut , bei
andern mehr gelbe oder mehr ſchwarze Galle.
Man iſt alſo berechtiget zu ſchlieſſen , daſs
die Empfindungen des Geruchs nicht einerlei
bei allen Thieren ſeyn können. Eben ſo bei
dem Geſchinak. . Die Zunge iſt bei einigen
Thieren rauh und troken , bei andern ſehr
feucht. Nun werden wir bei uns gewahr;
daſs im Fieber , wenn unfre Zunge troken
wird , alles was wir verſuchen einen erdiga
ten oder verdorbnen oder bittern Gaſchmak
zu haben ſcheint; dieſe Empfindungen rühren
aber auch nirgend anders her als von der vera
ſchiednen Miſchung der in unſerm Körper
vorhanden ſeyn ſollenden Säfte. Da nun auch
bei den Thieren das Geſchmakswerkzeug ver:
fchieden und mit verſchiednen Säften ange
füllt iſt; ſo müſſen auch bei dieſem Sinn die .
Eindrüke , die ſie von den Gegenſtänden er.
halten , verſchieden ſeyn.
Wie
.
023

7s
vi - Wie nämlich einerlei Speiſe , die wir ge.
in nieſſen , eine Blutader oder eine Schlagader,
en
ein Bein oder ein Nerve oder ein anderes
Glied werden kann, inwieferne fie eine ver
ad ſchiędne Wirkung hervorbringt, je nachdem
11
fie von einem verſchiednen Theile des Kör ,
d pers aufgenommen wird ; wie ein und eben 1

ei daſſelbe Waſſer , das an einen Baum gegoſſen -


2. wird, Rinde oder Zweig oder Frucht- Feige,
Granatapfel, oder eine andrem werden kann ;
el
wie ein und ebenderſelbe Hauch des Flöten.
ſpielers bald lioch bald tief tönt; oder wie
n eine und eben dieſelbe Berührung der Leyer
r
bald einen hohen bald einen tiefen Ton her .
vorbringt : eben ſo müſſen auch die Vorſtel
0
lungen von einem und eben demſelben äuſſe
ya
ren Gegenſtande verſchieden ſeyn , je nach
dem die Sinnwerkzeuge verſchieden ſind,
1

1
durch welche der Stoff zu denſelben gelie .
fert wird.
- Noch einleuchtender beſtätiget dies die ,
Verfchiedenheit delfen , was die Thiere be
gehren oder verabſcheuen. Z. B. Balſam iſt
den Menſchen ſehr angenehm , den Skarabäen
und : Bienen hingegen unerträglich . Oel iſt
für einige Menſchen heillam , tödtet aber Wese ,
pen und Bienen , wenn fie damịt beſprüzt
wer
i
224
werden . Meerwaſſer iſt den Menſchen 'wi
derlich und ſchädlich , den Fiſchen hingegen
das ' angenehmſte Getränk. Die Schweine
wälzen fich lieber im ſtinkendſten Kothe , als
in klarem und reinein Waſſer, Ferner , eie
nige - Thiere nähren'fich von Kräutern , andre
von Stauden , andre von Holz , andre von
Saamen , andre von Fleiſch , andre ' von Milch ,
Einigen iſt in Fäulniſs übergegangne, andern
friſche Nahrung , einigen rohe , andern künfts
lich zubereitete Speiſe lieber, Ueberhaupt iſt
nicht ſelten das , was einigen Thieren ange
nehm iſt, andern unangenehm , unerträglich
und ſelbſt tödtlich .2, B, vom Schierling
werden die Wachteln fett, und von Schweins,
bohnen die Schweine. Den leztern find
auch Salamander , ſo wie vergiftete Thiere
dem Hirſche und Skarabấen der Schwalbe;
eine angenehme Speiſe. --- Ameiſen und Elfig
fliegen verurſachen uns Schmerzen und Bauch .
grimmen , wenn wir ſie eſſen ; der Bär hin
gegen gebraucht ſie als Heilmittel gegen eine
gswiſſe Krankheit. Ferner , die Schlange fällt;
in Betäubung bei der Berührung eines Buchen
zweiges; die Fledermaus beim Berühren eines
Platanusblattes. Der Elephant flieht vor ei
nem Witter , der Löwe vor einein Hahn , der
1 Wall
225 .

Wallfiſch vor dem Geräuſch zerquetſchter Bob


nen , der Tiger vor dem Schall einer Pauke.
Es lieſse ſich noch vieles von der Art anfüha
ren ; allein es wäre vielleicht zwekwidrig,
fich länger damit aufzuhalten .

Wenn nun einerlei Gegenſtände einigen


Thieren angenehm , andern unangenehm find ;
der Grund des Angenehm . oder Unangenehm .
ſeyns aber in der Vorſtellung des Gegenſtan
des liegt: ſo find die Vorſtellungen von den
Gegenſtänden bei den Thieren verſchieden.
Wenn feiner die Vorſtellungen von einer und
eben derſelben Sache nach der verfchiedenen
Organiſation des Vorſtellenden verſchieden
find : ſo iſt offenbar , daſs wir nur angeben
können , wie wir uns den Gegenſtand vorſtel.
len , und daſs wir alſo unentſchieden laſſen
müſſen , wie er an ſich ſey. Denn eines Theils
kommt es uns nicht zu , zwiſchen unſern
Vorſtellungen und den Vorftellungen andrer
Thiere entſcheiden zu wollen ; da wir ſelbſt 1

eine der ſtreitenden Partheien find , folglich


nicht Richter ſeyn können , ſondern vielmehr
ſelbſt einen Richter nöthig haben . Andern
Theils können wir , weder mit noch ohne
Beweiſen , unſern Vorſtellungen von den äuf
P fern


entre 226

ſern Gegenſtanden gröſsre Wahrheit zuſchrei


ben , als den Vorſtellungen der unvernünfti.
gen Thiere. Denn , abgeſehen davon , dafs
vielleicht überhaupt kein Beweils möglich iſt,
wie ich unten zeigen werde ; ſo muſs doch
der ſogenannte Beweiſs uns entweder als
Beweils vorkommen , oder nicht. Im leztern
Falle werden wir ihn nicht mit Ueberzeu,
gung vorbringen können. Im erſtern Falle
aber entſteht da eben über die ſinnlichen
Vorſtellungen der Thiere der Zweifel aufge
worfen iſt, der Beweiſs aber ſelbſt eine Vor
ſtellung iſt, die wir als Thiere haben - über
den Beweiſs ſelbſt derſelbe Zweifel , ob er
als unſre · Erſcheinung richtig ſei. Es wäre
aber ungereimt , das Rezweifelte mit dem Be.
zweifelten beweiſen zu wollen , denn ſo müſste
es zugleich gegründet und ungegründet ſeyn
- Gegründet , inwieferne man es als Beweils
gebrauchen will ; ungegründet , inwieferne es
ſelbſt erſt bewieſen werden ſoll dies iſt
aber ein Widerſpruch ! Wir haben alſo kei
nen Beweiſs, der uns berechtigte, unſern
Vorſtellungen von den äuſſern Gegenſtänden
gröfsre Wahrheit zuzuſchreiben , als den
Vorſtellungen der ſogenannten unvernünftigen
Thiere.
Da
227

Da nun die Erſcheinungen nach der ver.


ſchiednen Organiſation der Thiere verſchieden
find ; und eine Entſcheidung, auf welcher
Seite die Wahrheit ſey , unmöglich iſt : ſo miif
ſen wir unſer Urtheil über die Gegenſtände
auffer uns unentſchieden laſſen .

7
Ob die ſogenannten unvernünftigen Thiere
Vernunft beſitzen ?

Zum Zeitvertreib will ich nun noch zwi.


ſchen den ſogenannten unvernünftigen Thie
ren und dem Menſchen , in Rükſicht ihres
Vorſtellungsvermögens, eine Vergleichung an .
ſtellen, Ich kann mirs um fo leichter erlau
ben , mich über die groſsprahleriſchen Doge
9 matiker ein wenig luſtig zu machen , da ich
bereits 'To nachdrükliche Gründe gegen Sie
angeführt habe.
5

į Sonſt pflegten die Skeptiker ſchlechthin die


unvernünftigen Thiere im Ganzen genommen
1 mit dem Menſchen zu vergleichen. Dagegen
wendeten aber die ſophiſtilirenden Dogmati
ker ein , die Vergleichung habe ungleiche
Gegenſtände. Ich will alſo , um ihre Schwäche
deſto auffallender zu zeigen , nur über ein
P 2 einzi 1
228

einziges ſehr geringgeſchäztes Thier meine


Vergleichung anſtellen , über den Hund –
wenns vergönnt iſt ! Wir werden aber auch
auf dieſem Wege finden , daſs die Thiere,
von denen die Rede iſt , in Rükſicht auf die
Erſcheinungen keine geringeren Anſprüche
auf Glaubwürdigkeit haben , als wir.

Die Dogmatiker geben ſelbſt einſtimmig


zu , daſs der Hund feinere Organe habe als
wir ; einen weit ſchärferen Geruch , durch
welchen er die Spur eines Wildes findet,
ohne es geſehen zu haben ; ein ſchärferes
Geſicht , ein feineres Gehör. Wir wollen alſo
ſogleich zur Unterſuchung über die Vernunft
ſelbſt fortſchreiten . Man kann aber die Ver.
nunft entweder als inneres Vermögen betrach
ten , oder inwieferne he sich durch Sprache
äuſſert. Wir wollen zuerſt von der Vernunft
als innerem Vermögen ſprechen. Nach der
eigenen Erklärung der Stoiſchen Dogmatiker,
die hier unſre hauptſächlichſten Gegner find,
beſteht dieſe im Begehren des Nüzlichen und
Vermeiden des Schädlichen , in der Kennt
niſs der dazu erforderlichen Künſte, und in
der Erwerbung derjenigen Tugenden, die
der Natur nach möglich und den Leiden
ſchaf
1
229

ſchaften entgegen gerichtet ſind * ). Nun fin


den wir aber bei dem Hunde um bei dię .
ſem einzigen Beiſpiele ſtehen zu bleiben 1

erſtens, daſs er ſucht, was ihm gedeihlich


iſt , und flieht, was ihin nachtheilig iſt ; er
läuft nach einer gehoften Mahlzeit, und ento,
{pringt, wenn er die Peitſche zu bekommen
fürchtet ; daſs er zweitens eine Kunſt ver
ſteht, ſeine Neigungen zu befriedigen , näm.
lich die Jagd ; daſs er endlich ſelbſt auch
Tugenden behzt. Wenn es nämlich Gerech
1
tigkeit iſt, jedem zu vergelten , wie ers ver
S dient , ſo hat der Hund offenhar Gerechtig
$
1

keit ; denn er , liebkoſt und bewacht ſeine 11

st Hausgenoſſen und ſeine Wohlthäter , Fremde


1
hingegen und ſolche, die ihn necken, bedroht
10 er. Beſizt aber der Hund die Tugend der
it
Gerechtigkeit, ſo hat er da die Tugenden
ft in einem wechſelſeitigen Zuſammenhang ſte } 1

.
hen auch die übrigen Tugenden , welche,
‫ܙܐ‬ nach dem eignen Ausſpruch der Philoſopher,
! nicht viele Menſchen haben. Er zeigt auch
į Entſchloſſenheit im Rächen erlittener Belei
P 3 digun

Derjenigen Vollkommenheiten , welche der ei.


genthümlichen Natur angemellen find , und ſich
auf die Leidenſchaften beziehen , Rec.
230

digungen , und beweiſst Verſtand. Dies bei


zeugt auch Homer , indem er den Ulyſſes al.
lein vom Argus erkannt werden läſst, wäh.
rend er dem ganzen Hauſe unkenntlich blieb
Der Hund allein wurde weder durch die
Veränderungen an dem Körper ſeines Herrn
getäuſcht, noch durch ſein finnliches Vorſtel
lungsvermögen irre geführt, und bewieſs alſo
in Rücklicht dieſes Vermögens wirklich ei
nen Vorzug vor den Menſchen . Nach Chry
Sipp , dem vorzüglich ſten Verfechter der un
vernünftigen Thiere, verſteht er sogar die ſo
berühmte Dialektik. Dieſer Philofoph ſagt
nämlich , bei einem Kreuzwege gebrauche ,
der Hund die fünfte von den angenommeren
unerweiſslichen Schluſsarten. Denn wenn er
auf zween Wegen die Spur des Wildes nicht
gefunden habe, ſo ſtürze er ohne weitre
Unterſuchung auf den dritten los. Er macht
alſo in der That , ſagt der alte Philofoph,
folgenden Schluſs : Das Wild hat entweder
den erſten , oder den zweiten , oder den drit
ten Weg genommen : nun iſt es weder der
erſte, noch der zweite , folglich der dritte.
Er iſt ferner ſein eigner Arzt , er kennt ſeine
Krankheit und die Linderungsmittel . Hat er
in einen Dorn getreten , ſo eilt er fich davon
Zu
231

be zu befreien , entweder dadurch , daſs er den


al. Fuſs auf der Erde reibt, oder mit Hülfe ſei
ib ner Zähne. Hat er irgend ein Geſchwür, lo
Geb. Jekt er immer ganz ſanft den ausgetretenen
die Eiter ab , indem reinlich gehaltne Geſchwüre
rrn Jeicht heilen , die Unreinlichkeit aber ihre
tel Heilung erſchwert: · Er beobachtet ſogar eine
fo Hippokratiſche Regel ganz genau: Wenn er
ei nämlich am Fuſse verwundet iſt; ſo hält er
pro ihn in die Höhe und foviel möglich unbe
un .
wegt , weil das beſte Heilmittel für den Fuls
lo die Ruhe iſt. Leidet er an übeln Säften , ſo
ot
Friſst er Gras ein Brechmittel für ihn , wo
0

ne durch er alles ungehörige wegſchaft und ge


fund wird. Muſs nun nicht dieſes Thier
T
das wir hier als einziges Beiſpiel aufgeſtellt
It
hahen - welches das Nüzliche ſucht, das
Schädliche fieht ; das eine Kunit verſteht das
ihm zuträgliche zu erlangen das ſeine Krank
heiten ſelbſt kennt und heilt das ſogar Tu
genden belizt; das alſo alles beſizt, was zur
Vollkommenheit der Vernunft als innern Ver
mögens gerechnet wird muſs nicht den
Hunde Vollkommenheit in Rükſicht dieſes
Vermögens zuerkannt werden ? - Gewille
Philoſophen haben wahl aus eben dieſema
P4 Grunde
232

Grunde ſich ſelbſt mit dem Beinamen von die


ſem Thiere beehrt !
Von der Vernunft in der zweiten Rük.
ficht, inwieferne fie das Vermögen der Sprache
enthält , haben wir vor der Hand nicht nö
thig etwas zu ſagen. Iſt doch die Sprache
ſelbſt von gewiſſen Dogmatikern die ih
ren Schülern für die ganze Lehrzeit Still
ſchweigen geboten als Hinderniſs bei
Erwerbung der. Tugenden verdächtig , ge
macht worden ! Ueberdies, nehmen wir einen
[tummen Menſchen niemand wird ihm
. darum Vernunft abſprechen. Allein auch ab .
geſehen davon , fo findet man wirklich meb
rere Thiere , die reden können und ſelbſt
unſre Worte ausſprechen , z. B. die Aeltern
und einige andre. Aber auch dies nicht ge
rechnet , ſo hören wir doch Stimmen von
dieſen angeblich vernunftloſen Thieren . Wir
verſtehen fie freilich nicht , aber ſollte es
darum ganz unwahrſcheinlich ſeyn , daſs fie
unter fich ſprechen , und ihre Sprache nur
uns unverſtändlich ſey ? Wir verſtehen ja
auch Menſchen von fremden Sprachen nicht,
und glauben , wenn wir ſie ſprechen hören,
nichts als einförmige Töne zu vernehmen.
Wir
o 233

Wir hören aber doch , daſs auch bei Hunden


die Stimme verſchiedne Abwechslungen hat ;
daſs ſie anders iſt, wenn fie jemand zurük.
le treiben wollen , anders wenn ſie heulen , an .
derś wenn ſie geſchlagen werden , anders
wenn fie ſchmeicheln. Und überhaupt wenn
jemand darauf Acht haben will , ſo wird er
11 auch bei andern Thieren ſolche verſchiedne
Modificationen der Stimme nach verſchied.
e. nen Umſtänden wahrnehmen und man
könnte alſo mit Recht behaupten , daſs die
fogenannten unvernünftigen Thiere auch die
1. Sprechende Vernunft befizen .

c . Wenn nun die Thiere von uns weder an


D Schärfe noch Feinheit der Sinne , noch an in
De nerem Vernunftvermögen , noch auch (wir
wollen dies zum Ueberfluſs hinzuſezen ) durch
das Vermögen der Sprache übertroffen wer
3 den ; ſo werden fie auch nicht mindre An
3 ſprüche auf Glaubwürdigkeit in Rüklicht der
ſinnlichen Vorſtellungen haben , als wir .
Dies lieſse ich aber von jedem einzelnen
der unvernünftigen Thiere zeigen , mit dem
man eine ſolche Vergleichung anſtellte. Man
muſs z. B. den Vögeln vorzügliche Einſich
P 5 ten,
234 =
tén ; und ſelbſt das Vermögen der Sprache
zugeſtehen , da ſie nicht nur das Gegenwär.
zige , ſondern auch das Bevorſtehendelwillen ,
und denen , die es verſtehen können , durch
ihre Stimme verkünden oder durch andre
Zeichen andeuten .

Ich habe aber wie ſchon oben ange


merkt wurde nur zum Zeitvertreib dieſe
Vergleichung angeſtellt. Denn ich glaube
ſchon vorher hinreichend bewieſen zu haben ,
daſs unſern finnlichen Vorſtellungen der Vor
zug gröſsrer Wahrheit vor denen der unver
nünftigen Thiere mit keinem Grunde zuers
kannt werden könne. Und da nun alſo die
Thiere in Rükſicht der Vorſtellungen auſérer
/
Gegenſtände eben ſo groſse Glaubwürdigkeit
verdienen , als wir ; dieſe Vorſtellungen aber
durch die mannichfaltige Organiſation der
Thiere unendlich verſchieden ſind : ſo wer .
den wir zwar angeben können , wie die
1
äuſſern Gegenſtände uns erſcheinen , aber wie
ſie an ſich ſind, müſſen wir aus den an .
geführten Gründen – unentſchieden laſſen.
6
!

1
Ano 1
to 235

A n hange

Ich möchte gerne manche Erläuterung,


wenigſtens über die Veberſezung als Veber
ſezung , hier beifügen. Ich fürchte aber fie
möchten hier keinen Raum finden , und muſs
fie allo zu einer andern Gelegenheit aufbe
halten , Allein' eine Erläuterung über das
7. Kap. darf ich doch nicht abergehen , weil
man darüber eine Rechtfertigung a'in erſten
erwarten wird. Die Hauptſache hängt in
dieſer Stelle unſtreitig von dem Worte edytow
ab , das ich durch Nichtunſchaulich überſeze.
Der gewöhnliche Sprachgebräuch berechtiget
freilich nicht zu dieſer Erklärung, aber er
widerſpricht ihr doch nicht , und das iſt
hier hinreichend . Denn wo gezeigt werden
kann , daſs ein Wort eine Bedeutung haben,
mufs, da iſt es von dieſer Seite genug, daſs
es hie haben kann. Das leztere erhellt hier
daraus , daſs Nichtanſchaulich mit der gė.
wöhnlichen Bedeutung non manifeſtus genau
übereinſtiinmt, und nur eine nähere Be
ſtimmung davon iſt, die hier im Zuſam
menhang liegt. Das erſtere aber glaube ich
auf folgende Art beweiſen zu können.
1) Kann die gewöhnliche Bedeutung hier
gar
236

gar nicht Start finden , denn „ etwas unbe.


kanntes , oder dunkles , oder gar etwas
4

zweifelhaftes für wahr annehmen , iſt eine


contradictio in adjecto , und ſo konnte alſo
1

dogma nie definirt werden. 2) Daſs das


Wort aber dieſe beſtimmte Bedeutung hat,
zeigt nicht nur der Zuſammenhang an die
ſer Stelle ganz klar durch den Gegenſaz
mit τοις κατα φαντασιαν καταναγκασμενοις παθεσι,,
ſondern es erhellt noch deutlicher aus an.
dern Stellen , in denen Sextus den Ausdruk
braucht z . B. im 10. Kap. wo es den
DaiVOLEVOLG entgegen geſezt wird ; Kap. 14.
ſect. 138. wo die Dinge überhaupt in agedures
und admise eingetheilt werden , u. a . m . O.
Noch mehr wird aber dieſe Erklärung da.
durch beſtätiger, , daſs Sie ganz genau mit
andern Stellen übereinſtimmt , in welchen
das Skeptiſche Syſtem eben ſó dargeſtellt
wird. Die Skeptiker halten keineswegs alles
für falſch , denn es iſt ihre Ablicht das
Wahre vom Falſchen zu unterſcheiden ; noch
weniger halten fie alles für , bloſſen Schein
ohne reale Wirklichkeit , denn ſie ſprechen
von Gegenſtänden , die den Erſcheinungen
Zum Grunde liegen ; fie erklären die Er
ſcheinung für ihr Kriterium der Wirklich
keit
237
anbe . keit ; fie nehmen das an , wovon fie durch
etwas ihre Empfindung überzeugt werden. Sie
eine laſſen aber alles dahingeſtellt ſeyn , wovon
allo
keine Ueberzeugung auf dieſem Wege mög
das lich , alles was blofs geſchloſſen wird , da.
hat, her ſogar auch alles was von den Erſchei
die: nungen geſagt wird , ſobald es Prädikate
enlaz find , die nicht durch Emphndung unmittel
498819 bar wahrgenommen werden können , wie
an . man aus dem 10.u. 14. Kaps beſ. in
11 .

druk der zweiten Beweiſsart ſehen kann . Ich


den begnüge mich , dies hier bloſs angedeutet
16 zu haben , und erſpare die weitere Ausfüh.
zdnia rung zu einer andern Gelegenheit . Daſs
0. ET154221 , auch ſonſt
Vernunfteinſichten ' be
da. deute , iſt bekannt und wird hier durch ſei.
mit nen offenbaren Parallelismus mit φαντασια
shen auffer allem Zweifel gelezt.
jellt
illes Ich habe zu dieſer Probe meiner Ueber
das ſezung den Anfang des erſten Buchs ge
och wählt , weil ich ihn wirklich für das ſchwer.
zein ſte halte was in dieſen drei Büchern vor
hen kommt. Es wäre leicht geweſen etwas
gen mebr allgemeinintereſſantes auszuwählen : es
Er wäre auch vielleicht ſchon um deſswillen
rathſam geweſen , weil ich dabei der Gefahr,
seit ſchon
238

ſchon in der erſten Probe bedenkliche Blör.


ſen zu geben , leicht entgehen konnte . Allein
es war mir um Belehrung zu thun. Gelingt
es meiner Arbeit , fich Beifall zu erwerben ,
fa werde ich erſt noch einige Proben nach
folgen laſſen , ehe die ganze Ueberſezung
erſcheint, 'Urtheile von Kennern werde ich
gerne annehmen und benüzen. Rükſicht auf
die Schwierigkeit einer Arbeit , bey der ſo
wenig vorgearbeitet iſt, wird mir - zwar

nicht Nachficht der Fehler C


aber doch
eine billige Zurechtweiſung erwerben ,
Gotha, den 28. Jul.
1791 .

Friedrich Immanuel Niethammer,


Doctor der Philoſophie.

WORTE
1

239

WORTE DER KRITIK ,

Die Skeptiker hatten verſchiedene Tropen *

oder Puncte ,
worauf fie ihre Enthaltung
von allem Urtheil gründeten , und Worte,
womit ſie dieſe Eroxy äuſerten . Vielleicht
es iſt möglich - ich kann nichts beſtimmen
eins wie das andere
1 ich begreife es nicht
jeder Grund hat einen andern gegen fich
find einige dieſer Worte,

Sextus hat die Tropen und Worte commen


tirt. Man kann beynahe feine ganzen übri.
gen Hypotypoſen entbehren , wenn man die
ſen Commentar gefaſt hat . Es iſt der Geiſt
des geſammten Skepticismus,
Die
240

Die Kantiſche Philoſophie iſt häufig mit


dem Skepticismus 'verglichen worden : ich
werde mich hüten , es von neuem zu thun.
)

Ich benutze nur die Eigenheit des leztern,


ſolche Worte zu führen : nach derſelben habe
ich einige Worte der Kritik aufgeſtellt.

Erſtes Wort.
So erkennet der Menſch .

Die Philoſophie iſt im Menſchen und für


den Menſchen gegeben . Sie ſoll ilin mit
hich ſelbſt bekannt machen , ihm die Be .
ſtimmung der Dinge anzeigen , : und ihm mit
Namen nennen , was wahr und gut iſt: he
coll der Zauber feyn , der alle Beziehungen
um ihn ber verſammelt , und ihn gegen die
ſelben in den rechten Standpunct ſtellt: fie
ſoll ihn zufrieden machen mit der allgeinei
nen Natur , denn es iſt ſo wichtig , mit ihr
zufrieden zu ſeyn : he foll: ihn den Mittel.
weg zwiſchen der Ellipſe und Parabole lehe
ren : fie ſoll ibn durch einen feſten , in hich
ſelbſt wabren und ſtarken Glauben an ſeine
Ver
241

Vernunft und ſein Herz mit fich und der


Welt in Eintracht ſetzen. Sie iſt Wiſſenſchaft
zur Weisheit,
Wiſſenſchaft , nicht Wahn , nicht Trüu
merey , nicht Einbildung. Der Menſch muſs
alſo vieles erkennen : und wiſſen , daſs ers er 1

kannt hat und erkennt.


Ich erkenne nichts, ſagte der Skeptiker. Ich
erkenne vieles, muſs der kritiſche Philoſoph
ſagen. Die Anatomie meines Erkenntnisver
mögens lehrt mich das Wie und Warum ,
ſo gut ichs zu willen brauche.
Der Menſch hat Vorſtellungen , wahre
oder falſche, genung er hat Vorſtellungen. 1

Das leugnet keine Secte : - der Skeptiker


giebt falſche Vorſtellungen nach , der Idea
ť liſt läſst nichts zu , als Vorſtellungen. Kein
2 Dogmatiker kann dagegen auftreten : von

Vorſtellungen geht alle dogmatiſche Philofo


phie aus.
3 Ich ſehe,' alſo habe ich ein Vermögen ,
zu ſehen : ich habe Vorſtellungen , alſo habe
ich ein Vermögen , Vorſtellungen zu haben.
Dieſer Schluſs bedarf keines Beweiſes. In
der Reihe der Erſcheinungen hat jede Wir .
kung eine Urſache.

Q Worinn
242 1

Worinn beſteht denn mein Vermögen zu


lehen ? Doch nicht in wirklichen Gegenſtän
den des Geſichts ? nur in der Form für fol.
che Gegenſtände, in der Art und Weiſe,
Gegenſtände zu ſehen . Eben so ifts mit mei.
nem Vorſtellungsvermögen : es beſteht aus
gewiſſen Weiſen lich etwas vorzuſtellen , aus
Formen für Gegenſtände der Vorſtellungen.
Beym Sehen bin ich leidend und thätig , ich
recipire Eindrüke von Gegenſtänden , und
1

1
ſehe die Gegenſtände. Nicht anders verhält
es ſich beym Vorſtellen : ich empfange einen
Eindruk und nuche ihn zur Vorſtellung.
Allo Möglichkeit zu empfangen (Receptivität)
und Möglichkeit das Empfangne zu ordnen , zu
bilden , ( Spontaneität) find die Grundbeſtand.
theile meines Vorſtellungsvermögens. Mich
dünkt , ' nichts iſt natürlicher , nichts deut
licher .
Was von
der Gattung gilt , gilt auch
von der Art. Erkennen iſt eine Art des -
Vorſtellens.
Wenn Etwas da jſt, was einen Eindruk
auf mich macbt , wenn ich dieſen Eindruk
aufnehme, feſthalte , ihn von andern unter
Scheide, mit andern vergleiche: lo erkenne
ich dieſs Etwas..
Il
243
Iſt denn aber ein Etwas da , macht es
Eindruk auf mich , kann ich dieſen bear.
beiten , wie kann ichs, und woher weiſs
ich , daſs das iſt und daſs ich dies karin ?
So zweite ich noch . ' . Ich will meinen Zwei
fel aus Erfahrungen "löſen .
Wenn ich dieſen Baum ſehe , diefen Ton
höre, dieſen Duft rieche , ſo iſts doch et
was ganz anders , als wenn ich Tugend, Geiſt,
Freiheit denke. Hier iſt nichts , was ich
Gegenſtand nennen könnte , kein Eindruk
auf mich , kein Empfangen des Eindruks :
ich getraue mich nicht zu ſagen , daſs ich
Tugend , Geiſt, Freyheit erkenne. Noch
ſah ich nie etwas , noch erfuhr ich nie
etwas , was Tugend , Geiſt , Freyheit war :
Wenn ich nachdenke , wie mir alles er
ſchien , wie es auf mich wirkte , was ich
fah , hörte , mit einem Worte , was ich
anſchaute , wie alle äuſere Gegenſtände auf
mich Beziehung gewannen : ſo muſs ich fa
gen , fie waren alle aufer , neben , hinter,
vor einander , alle hoch , breit , lang , und
ſo ferner , und wenn ich auch dieſe Eigen
ſchaften zuſammt der Farbe , Geſtalt, Schwe.
re hinwegdenke , fie waren
ausgedehnt,
waren im Raume , d. h. irgendwo , ich nenne
Q2 diels
244

diefs Raun . Dieſs Irgendwo iſt kein ge.


machter Begrif , wie etwa der Begrif Tu .
1

gend : nicht gelegentlich entſtanden , nicht


hier oder dort , nicht abweſend , wenn ich
es
will , und gegenwärtig , wenn ich will :
verläſst mich nicht , ich kann nicht drüber
gebiethen , kann es nicht ändern , es bleibt
was es iſt, und iſt es allenthalben und im,
mer. Eben ſo das Irgendwann , Ich ſage
jezt , ich ſage hernach, vorher : was iſt diefs
Iezt , ' Hernach , Vorher ? Iſt es ein Begrif ,
den ich durch Nachdenken erzeugt habe ?
Iſt einmahl kein lezt und Hernach und
Vorher geweſen ? Einmahl ſage ich , und
indem ich das Wort ſpreche , kommt mir
das Irgendwann wieder unabtreiblich vor
die Seele. Das ſind alſo zwey beſondere
Dinge Gedanken und Begriffe ,
keine
keine Gegenſtände und Wefen , nichts er
kennbares , und doch vorhanden , nichts, -
was ich mir denken kann , und doch vor
handen : Dinge , ohne welche ich weder
erkennen noch denken kann , die aber mei
1

nem Erkennen und Denken entgehen.


Alles was ich je geſehen , oder überbaupt
durch die Sinne wahrgenommen habe , war
irgendwo und irgendwann. Würden die Din .
245
ge alle auch da' und dann ſeyn , wenn ſie
von
1
Niemand wahrgenommen würden ?
würde Raum und Zeit ſeyn , auch wenn
niemand wäre , der in Raum und Zeitſ
wahrrlähme ? Ich weils es nicht , und wer
kann das wiſſen ?
Sind Raum und Zeit Eigenſchaften der
Dinge ? Das wage ich nicht zu behaupten,
ich kenne die Dinge nicht , wie ſie anſer
meiner Vorſtellung find . Was heiſst denn
auch Eigenſchaft ? Accidens ? Keine Subſtanz
iſt in ihrem Acciden's denkbar.
Was find sie nun ? Ich glaube , fie find
gewilfe Beſchaffenbeiten des menſchlichen
Vorſtellungsvermögens. Warun ich das
glaube ? Weil kein Menſch gewiffe Dinge
anders, als im Raume , kein Menſch , was
es immer ſey, anders , als in der Zeit fich
1
vorſtellen kann . Es iſt natürlicher und min
der vorwitzig , zu ſagen : Ich kann nicht
anders als in Raum und Zeit anſchauen , als
zu behaupten : Die Dinge aufer mir können
nicht anders als in Raum und Zeit ſeyn .
Ich kenne ja dieſe Dinge nicht , aufer durch
meine Anſchauung , was ſollte mir ein Recht
geben , ihnen als weſentliche Eigenſchaft zu.
zuſchreiben , was ihnen vielleicht nur zufällig,
Q3 d.'h .

7
245
d. h. in Beziehung auf vorſtellende Weſen
zukommt ?
Es wären alſo ſchon zwey Formen meines
Vorſtellungsvermögens gefunden.
Wenn ich nun aber die Vorſtellung, 2. B.
dieſes Buches, zergliedere , ſo iſt offenbar
noch mehr darinn , als bloſs - . Gegenſtand
im Raum und Zeit vorgeſtellt. Ich kenne

dieſes Buch als : Reinholds Briefe , ich un


terſebeide es alſo von andern Büchern , und
bringe es in meinem Bewuſstſeyn an eine
gewiſſe Stelle , gebe und unterſcheide
dararı Verfaſſer , Inhalt, äuſere und innere
Form .
Ich habe alſo auch ein Vermögen zu un.
terſcheiden , das Unterſchiedene zu ordaen,
und mir eine Vorſtellung von Vorgeſtellten
Gegenſtänden zu machen , die etwas anders,,
als bloſse Auffaſſung des irgendwo und ir
gendwann Erſchienenen iſt. Ich nenne die
ſes Buch Reinholds Briefe : damit äufré ich
die Vorſtellung Buch , ein Buch , dieſes Vera
faffers Buch , ein wirklich vorhandenes Buch .
Woher dieſe vielen Kenntniſſe ? Und woher
dieſs , daſs ich bey allen meinen Vorſtellun.
gen , die ich Erkenntniſſe zu nennen pflege,
vier ſolche oder ihnen ähnliche Vorſtellungen
hege ?
z'n

-기
247

hege? Ein Menſch , viele Menſchen , alle


Menfchen : mehr Klaſſen kann ich nicht
!
denken . Die Luft iſt blau , fie iſt nicht -
grün , sie iſt - nicht gelb, Schwarz, roth
0. f. f. wie könnte man fich noch auf eine
vierte Art ausdrüken ? Diels Buch iſt ſchön,
wenn dieſes Buch ſeinem Zwek vollkommen
11
entſpricht , ſo iſt es ſchön ; Diefs Buch iſt
theils ſchön , theils unvollkoinmen ; man ſage
noch ein Viertes. Der Kranke kann ſterben :
er iſt geſtorben oder ſtirbt ; er muſs ſterben ;
e wer vermag einen vierten Fall zu nennen ?
2 Ueberall alſo nur ſo viel Bezeichnungen , nur
fo viel Arten , mir etwas zu denken. I ſt .
dieſes Verhältnis in den Gegenſtänden auſer
1, mir ? Das kann ich nicht wiſſen , denn ich
kenne die Gegenſtände nur unter dieſen Ver.
5, hältniſſen : wahrſcheinlich ſind alſo dieſe
Verhältniſſe auch wiederum nur meinem Varm
ſtellungsvermögen eigen.
he Dieſer Körper - ein grüner Bauin
erſcheint mir im Raume . Noch iſt die Vor.
1, ſtellung verworren . Ich unterſcheide feine.
r Geſtalt , Farbe , Gröſse von anderer Körper
Geſtalt u. f. f. ich zähle es iſt ein grüner
> Baum ; ich betrachte es iſt ein grüner
1
Baum ; ich verbinde Baum und grün , als
4 Sub .
248
Subſtanz und Eigenſchaft; ich behaupte
es iſt wirklich ein grüner Baum , er exiftirt
hier , vor mir. Das Geſchäft meines Vor
ſtellungsvermögens an dieſen Gegenſtande iſt
nün vollendet: ich erkenne den Körper.
Wie das ? Weil ich ihn im Raume ange.
ſchaut, und unter dieſen Begriffen gedacht
babe. Freylich hat mich nur die Erfahrung
gelehrt , daſs es ein grüner Baum war ;
wüſte ich nicht aus Erfahrung, was grün
und was ein Baum iſt, ich würde dieſen
Körper nicht kennen. Vielleicht hat mich
alſo auch nur die Erfahrung gelehrt, daſs
és ein , ein wirklicher Baum u . f. f. iſt ? Al.
lerdings. Aber es muſs doch in mir die
zu
Möglichkeit vorhanden geweſen ſeyn,
faſſen , was eins, was wirklich u. f. f. iſt;
ich muſs doch empfänglich ſeyn für dieſe
Begriffe ; ich muſs , im Beyſpiele zu ſpre
chen , ' vorher ein Auge baben , ehe ich fe
hen kann , die Anlage , Gegenſtände in einer
gewiſſen Geſtalt zu ſehen , ehe ich Dinge in
dieſer oder jener Geſtalt ſehen kann.
Dieſe Arten , Gegenſtände überhaupt den
ken zu können , ſind folglich wiederum Fore
men meines Vorſtellungsvermögens.

Dieſer

1
249

Dieſer Wein ſchmekt euch " angenehm.


Das iſt ganz empiriſch. Durch Uebung und
Vergleichung habt ihrs ſo weit gebracht, zu
ſagen , dieſs ſchmekt angenehm . Aber das
Vermögen überhaupt ſchmeken zu können,
war, doch früher , als dieſer oder jener an .
genehme Geſchmak ?
Der Raum dieſer Stube iſt empiriſch. Aber
daſs ich mir dieſen Raum vorſtellen kann,
dazu gehört , daſs ich überhaupt im Stande
bin , mir Raum vorzuſtellen , daſs ich der
Vorſtellung : Irgendwo , fähig bin. Diele
Möglichkeit, einen Raum ſich vorſtellen zu
können , - die Vorbildung meiner Sinnlichkeit
zu den Bildern empiriſcher Räume, die
Organiſation , möcht' ich fagen , zu Vorſtel
lungen räumlicher Gegenſtände und empiri.
ſcher Räume , nennt die Kritik die ' reine
Anſchauung des Raums. Warum wollt ihr
um Worte ſtreiten ?
Eine groſse Menge Denker ſpottet der
Kritik , daſs fie ſo viel von reinen nichtern .
piriſchen Eigenſchaften u. f. f. rede. „ Wenn
1
fie von Stoff und Form redet, fagen fie , was
iſts denn , was fie dabey leitet ? Erfahrung.
Stoff und Form haben ſie an empiriſchen Ge
genſtänden kennen gelernt , und tragen fie
Q 5 über
!
1

250

über und nennen ſie nun rein ." Sie habent


Recht. Aber wer hat auch je behauptet,
1

daſs man anders als empirifch , mit empiri.


ſchen Worten und Begriffen , über was.es
immer ſey , philoſophiren könne ? Wolf hat
Beweiſe a priori für das Daleyn Gottes, aber
er hat lie mit Worten a poſteriori vorgetra
gen . Darf man ſagen , es gebe keine reine
Mathematik , weil die Linie eigentlich etwas
empiriſches Ley ?
.

Der Begrif Urſach und Wirkung iſt nur


empiriſch anwendbar. Aber daſs ich mir die
ſen Begrif denken kann , dazu muſs doch eine
Anlage in mir ſeyn :, ich muſs des Begrifs
ſchon fähig ſeyn , ehe ich ihn in der Erfah
rung finden , ehe ich Erfahrung machen kann.
Die Breite iſt eine empiriſche Vorſtellung,
aber mein Auge muſs doch ſchon fähig ſeyn ,
Breite ich vorzuſtellen , ehe es dieſen Tiſch
breit finden kann .
1

Iſt mein Vorſtellungsverīnogen'an fich ſelbſt


ſo beſchaffen , ſo muſs alles, was ihm vorkommt,
ſich nach demſelben -richten , ſo iſt alles grade
ſo für inich , wie es für mich iſt. Es iſt nir.

-1
gends in der Erfahrung Schein , Täuſchung ;
was
1

251

was ich erkenne, erkenne ich richtig, erken


ne es so , wie es für mich erkennbar iſt.
Was es ſonſt ſey , weiſs ich nicht. Ueberall
in der Erfahrung iſt Wirklichkeit, aber, Wirk
lichkeit für den Menſchen. Sey es für Dämonen
und Uebermenſchen Schein , für den Menſchen
ifts Wahrheit,

Der Menſch hat gewille Bedingungen in


fich , unter denen er erkennt , . was dieſen
Bedingungen gemäſs iſt, erkennt er , aber 1

auch nur er .

is . Zweytes Wort.
Auferhalb der möglichen und wirklichen Erfahrung
ift blos Schein .

Daſs in der Erfahrung Wahrheit ſey, haben


Philofophen geleugnet. Optiſehe Täuſchung
erwekte die erſten Zweifel dagegen , bemerkte
Unvollkommenheit vieler menſchlichen Er.
kenntniſſe vermehrte fie , wie ſchwer iſts , der
Zweifelſucht Schranken zu ſetzen .

Schon vor der Kritik haben Philoſophen


die Wahrheit der Erfahrung angenommen und
be
252

bewieſen. Und wie ? Vergleicht , ſagte der


eine , dieſe und dieſe Erfahrung, braucht alle
Sinnen zn einer Erfahrung, vernehmt das Ur.
theil tauſend andrer Menſchen über dieſelbe :
alles trift ein , alles iſt ſo , wie ihrs wahr.
nehmt , alles Wirklichkeit. Aber könnten
nicht alle Sinnen täuſchen , könnten nicht
dieſe tauſend andere Menſchen getäuſcht
ſeyn ? Allgemeine " Täuſchung iſt Wabrheit,
antwortet er. Ein hartes Wort : denn ein
:
Irrthum, wenn ihn auch alle Menſchen haben ,
bleibt doch ein Irrthum.

Die Kritik beweiſt anders. Sie unterſucht


nicht die Erfabrung ſelbſt, fie unterſucht die
Bedingungen und Geſetze in dem Menſchen,
nach denen er Erfahrung machen kann. Sind
dieſe wahr , ſo iſt alles , was ihnen gemäſs
erfahren wird , ebenfalls wahr. Aber wer
bürgt uns , daſs nicht dieſe Bedingungen und
Geſetze ſelbſt Täuſchung find ? – Die Kri.
1
tik läſst hier eine andere Philoſophie antwor
ten . Es bürgt uns , ſagt dieſe, das Bewuſstſeyn
dafür. Ich bin dieſer Baum nicht ſelbſt,
meine Vorſtellung von dieſem Baume iſt auch
weder ich , noch der Baum ſelbſt. Dies iſt
ein Factum , wer darf Facta beweiſen ? Nun,
wenn
1
253

wenn ich alſo etwas anders bin , als dieſer


Baum , und die Vorſtellung von dieſem Baume,
etwas anders , als alle die äuſern Dinge und
die Vorſtellungen davon , was bin ich denn,
in welchem Verhältnis ſtehe ich mit allem ,
dem , was nicht ich iſt ? Wenn ich dieſs un
terſuche , fo leitet mich Selbſtberauſstſeyn, auch .
ein Factum ; ich kann über mich ſelbſt re
flectiren , kann mich mir ſelbſt denken. Das
Bewuſstſeyn für Täuſchung zu erklären ,
wäre kindiſch .

Was iſts denn nun aber mit der möglichen


Erfabrung ? Der Begrif iſt leicht. Mögliche
Erfahrung gründet fich auf die Bedingungen
in uns zur wirklichen Erfahrung: Sie iſt die.
jenige , die einmal wirkliche werden kann.
Dals ein Menſch fich für den Staat opfert,
iſt vielleicht jezt noch nicht wirkliche, aber
es iſt inögliche Erfahrung ; die That wider
ſpricht dem freyen Willen eines Menſchen
nicht , nicht dem Geſetze fittlicher Handlun
gen . Mögliche Erfalırung, Anlage zur wirk
lichen , iſt die Grenze aller wahren Erkennt.
nis. Nach der Beſchaffenheit meines Erkennt.
nis- und Begehrungsvermögens kann ich dieſs
einmahl erkennen oder thun : das iſt das lezte ,
was
254
was der Menſch mit Wahrbeit ſagen darf
und kann .

Alſo wären alle meine Erkenntniſſe von


Gott , der Welt und der Seele , die ich aus
bloffen Begriffen geſchöpft habe , Schein ? Das
find fie. Alle dieſe Dinge ſind und können
nie Gegenſtände einer möglichen , für den Men .
ſchen und deſſen Vorſtellungsvermögen mögli.
chen , Erfahrung ſeyn und werden . Ihr mül
fet aufhören , Menſchen zu ſeyn , wenn ihr
Gott und die Seele und die Welt anſchauen
wollt in Raun und Zeit , als Anſchauungen
denken unter den Kategorien , alſo erkennen,
Was wiffet ihr von der Seele ? Daſs ſie denkt,
vorſtellt, ſchlüſst u. f. f. Aber wer erlaubt
euch , daraus zu beweiſen , daſs ſie einfach,
unendlich u. f. f. iſt ? wer giebt euch das
Recht , aus empiriſchen Wirkungen auf die
reine Beſchaffenheit der Urſache , aus. vorſtell
(
baren Folgen auf das Weſen des nicht vorſtell
baren Grundes zu ſchlüſſen ? Und wo iſt das
a
Verhältnis zwiſchen Einheit der Vorſtellun
(
gen in der Zeit und Einfachheit der Seele in
ihrem Weſen auſer aller Zeitbedingung ?
U

Fraget die Denker , was ſie durch Imma. b


terialismus und deſſen Gegentheil ausgemacht d
haben ?
‫بنا‬
255

rf haben ? Soviel , daſs wir beydes nicht wiſferi.


Hypotheſen , weiter nichts.

Sind denn aber dieſe Vorſtellungen ganz


S leer ? Nicht ganz : aber ihr Inhalt find
nur Begriffe. Die Vorſtellung von Gott
etc, etc. iſt ein Begriff von Begriffen ; es find
viel Begriffe geſammelt, ihre Zuſammenfaſſung
unter einen iſts , was ihr Erkenntnis von Gott
nennt. Ich frage : wenn ihr die Begriffe:
Erde , Waſſer, Menſchen, Thiere, Berge, Thä.
ler u . ſ . w. zuſammennehmt, und dies alles
zuſammen Eldorado nennt, giebts drum ein
Königreich dieſes Namens , oder erkennt,
ihr es ?

Was iſt aber dieſer Begriff von Begriffen ?


iſt er anderer Art , als die darinnen enthalte.
nen ? - Er iſt Produkt der Vernunft, des
Vermögens der Superlative, deſſen Natur
darinnen beſteht , alle Erkenntniſſe in Ein
Ganzes zuſammenzuſaſſen , das Gemüth zu
arrondiren .Eine groſse Menge empiriſcher
Gegenſtände , in ihren Verhältniſſen und Wech
ſelwirkungen , faſst die Vernunft zuſammen
in die Idee Welt : alle wirkliche und denk. :

bare Vollkommenhniten in die Idee Gott :


die vielen Gedanken , Vorſtellungen , Begeh
rungen
256

rungen u. f. f. in die Idee eines Subiects


Seele. Dieſe Ideen ſind aber alle darum nicht
real : fie ſind nur eingebildete Münzſorten ,
groſse Berechnungen zu erleichtern .

Begriffe, die über alle mögliche Erfahrung


hinausgehen , haben keine Wahrheit. Worauf
ſollte ſie ſich gründen ? woraus läſst fie fich
beweiſen ? aus Begriffen ; und woher dieſe ?
aus Analogie der Erfahrung. Wie kann
Analogie zwiſchen Erfahrung und Nichter.
fahrung ſeyn ! Was ich ſehe, iſt ſo : was ich
nicht ſehe , wird auch ſo ſeyn , iſt auch fo :
welcher Schluſs !

Die Skeptiker haben Recht : Jeder Satz


und Beweiſs hat einen Satz und Beweiſs ge
gen fich nemlich in metaphyſiſchen Er
kenntniſſen , wie man ſie bisher gehabt hat.
Wer behaupten will , die Welt ſey unendlich,
wird bald jemanden finden , der das Gegen
theil behauptet : jeder mit gleich ſtarken Grün.
den , ſo lange jeder von der Welt als realem
Gegenſtande redet.

Die Herren , ſagte Diogenes von den Phi


lofophen ſeiner Zeit, ſprechen vom Himmel
ſo beſtimmt und genau , als ob sie da gewe
fen
257
$ ſen wären. " Er hatte Recht , über ſie zu la.
chen : im Ideenlande iſt nur Schein : 'wir fra .
gen : wer iſt da geweſen ?

Es iſt Geſetz der Erfahrung : Nichts ohne


}
Urſache. Beweiſe ein Menſch , daſs es auch
Geſetz der Nichterfahrung ſey.

Betrachtet den Menſchen nach Leib und


Geiſt, unterſucht ſein ganzes Vorſtellungs- und
Begehrungsvermögen : es iſt wirklich nur für
die Erfahrung organiſirt: wenn er sie über
fliegt , liat er nichts mehr , woran er fich hal
ten kann , nirgends Beweiſs , nirgends Gewiſs
7
heit. Und was braucht ers auch. Er iſt ja
vor der Hand nur auf die Erfahrung ange
e.
wieſen : erkennt er , was er kann , und thut
t"
er , was er ſoll, ſo iſt er vollkorner Menſch ;
11.
überlaſst es der ewigen Weisheit, ob ſie mehr
39
7
für ihn bereitet hat , wenn er einſt aus der
7
Erfahrungswelt getreten iſt.

;.
}
R Drita
258

. Drittes Wort.

Der Menſch weiſs grade ſo viel , als er zu wiſſen


braucht. 1

Der Menſch dürfte murren , wenn ihm nicht


ſo viel Licht beſchieden wäre , als er auf dem
Pfade des Lebens braucht. si

Du kennſt, o Menſch , den Lauf der Gę. a

ſtirne, berechneft ihn bis auf Sekunden , zäh n

leſt und arbeiteſt nach dieſen Rechnungen. S


Was brauchſt du zu wiſſen , wann und wie h
fe entſtanden ſind, ob und wann he nicht S
mehr ſeyn werden.
bo
Du kennſt die Beſchaffenheit und den Werth
d

vieler Thiere und Gewächſe um dich her, und [c


verſtehſt sie zu brauchen. Mehr Erfahrung
wird dich mehr kennen lehren : Anlage dazu
fehlt dir nicht. Was hilft dirs zu wiſſen das d
Entſtehen der Thiere und Pflanzen ? Sie find (C
da, brauche fie , und frage nicht nach ih
rem erſten Keim ,
th
Du

>
259
Du lebſt in der Zeit , du wirft , änderſt
dich und hörſt auf in der Zeit. Nimm an,
Zeit ſey Bedingung deines Seyns und Erkena
nens und Thuns, und frage nicht, wie fie
u willen ſonſt ſey. Sie iſt ein Geheimnis der Natur :
nur der Weiſe hat den Schlüſſel dazu .

weil er ſie anzuwenden verſteht.


om nicht sü .

auf dem Du erkennſt, beurtheilſt, verſtehſt , be.


finnſt dichy, vergleicheſt, ſchlüſſelt u. In f;
Halte dich daran , und forſche nicht, wie das
der Ge ausſehe und geſtaltet ſey, woraus , nach dei.
en, zäh. ner Meynung, dieſe Erkenntniſſe', Urtheile,
nungen. Schlüſſe u . f. herausgehen . Erkenne und
und wie handle als Seele und Geiſt, im moraliſchen
e nicht Sinn , und kümmre dich nicht, was Scele und
Geiſt ſey ,, im mataphyfſchen Sinn. Was
brauchſt du diefs zu wiſſen ? Du wirſt
n Werth drum nicht anders erkennen urtheilen,
er, und ſchlüſſen .
fahrung
ge dazu Du weiſst nicht, wie du Frey biſt : aber
len das du weiſst , wie du tugendhaft ſeyn ſollſt.
Sie lind (Garve zum Ferguſon.)
ach itu
Daſs ein Gott ſey , kannſt du nicht ma.
thematiſch beweiſen . Aber dein Herz bedarf
DA R 2 eines

1
)

260

eines Gottes. Sev gut : ſo, wirſt du glauben,


daſs ein Gott ſey. Glaubſt du einen Gott aus
Tugend : ſo ifts ,mehr , als wenn du ihn aus
ſpeculativen Einſichten wüſsteſt.

Du möchteſt gern wiſſen , ob nach dieſer


Zeit noch eine andere für dich bereitet ſey;
du begehreſt Lohn , Vergeltung , Seeligkeit:
aber es bekümmert dich , daſs du die Zu
2
kunft nicht weiſt. Sorge nicht , ob Lohn und
Seeligkeit deiner warte , ſondern fuche fie zu
verdienen. · Es iſt dir gut, daſs du ſie nicht
gewiſs weiſt : du würdeſt ſonſt ungeduldig
hinausſtreben über den Raum diefes Lebens
nach dem Beffern , oder du 'würdeſt über dem
feſten Vertrauen auf die gewille Zukunft un
terlaſſen , fie dir gewiſs zu machen

Viertes Wore.
Der Menſch erkennt nichts ; 'wie es an ſich ifte
/ :)

Das ſcheint wenig Troſt zu geben, Alfo


doch wieder keine genaue , wahre Erkennt
nis , ſelbſt" von dem , was' erkennbar für
uns iſt.
Wir

.
261

Wir wollen uns nicht durch Worte er 3

1
LIS ( chreken laſſen ,
418
Der Menſch erkennt nichts anders als
es für ihn erkennbar iſt , als es ihm er
ſcheint, als es ſeinen Vorſtellungsformen ge
ler
mäls iſt. Das Weſen der Dinge , wie es,
auferhalb der Beziehung auf ihn , beſchaffen
eit:
ift , vermag er nicht zu erkerínen : Erkenn..
barkeit iſt die lezte Beziehung der Dinge
und
auf ihn. Laſset ihn die Gegenſtände, die er
zu
erkannt hat , vergleichen , aus dieſen Ver.
icht
gleichungen Begriffe bilden , dieſe Begriffe
ldig verbinden , trennen , vervielfältigen , wie er
ens
will : er zợcifs deswegen doch von den Ge.
en
genſtänden nichts mehr , er denkt ſich nur
ull
mehr dabey,
Es iſt eitel, wenn sich die Metaphyſik
rühmt, fie kenne Dinge un fich. Bloſse Be
griffe, Ideen , Schlüſſe find keine Gegenflän.
de , 'am wenigſten Gegenſtände an fich .
:
ill
Der Aſtronoin ſieht durch ſeine Inſtru .
All mente den Mond. Diefs iſt die Erſcheinung
ennt
des Mondes . Er berechnet aber aus theorea
für
tiſchen Annahmen ſeine Gröſſe und Entfer

nung ,
und macht Schlüſſe über ſeine Geltalt
R 3 aus
262

aus analogiſchen Gründen . Ihr würdet den


Aſtronomen belachen , wenn er ſagen woll.
te, daſs er durch dieſe Rechnungen und
Schlüffe den Mond an fich erkennen lerne.
Mit der Metaphyfik ifts nicht anders.

Wenn ich dieſe Luft blau ſehe : lo mag


ich Reflexionen und Schlüffe machen , ſo
viel ich kann , ich ſehe fie doch nicht anders,
als blau.

Fünftesi Iort.
Denken iſt noch nicht Erkennen .

Zum Erkennen eines Gegenſtandes gehört


Denken , d . bi verbinden , in einen , Begrif
faffen , unter einem Merkınahle ( Prädicate)
sich vorſtellen , das Unverbundne , in der
Anſchauung erſchienene, noch init keinem
Pradicate bezeichnete.

Wenn ich dieſen Gegenſtand, einen ſchwar .


zen Tiſch , nur blos anſchaue ohne Aufmerk :
famkeit , ohne mir ihn unter dem Begriffe
Tiſch zu fallen , ohne an ihm das Prädicat
mir

1
263

mir im Bewuſstſeyn vorzuſtellen : ſo erkenne


ich ihn noch nicht. Tauſend Dinge ſchauen
wir an , ohne ſie zu erkennen , weil wir fie
nicht denken.

Viel Dinge denken wir , ohne ſie zu er


kennen , weil wir fie nicht anſchauen. Ich
ſpreche hier nicht von dem Gedächtnis.
Wir denken uns Unſterblichkeit einen
Begrif , aus einer Menge Begriffe gebildet,
meift negativer : erkennen wir aber dieſen
Zuſtand? Allgemeine Begriffe ſind meiſt aus
einer Menge Erfahrungsbegriffe entſtanden :
he lind aber darum keine Erkenntnis - je
weiter fe fich von ihrer Quelle entfernen ,
deſto mehr' zerfallen fie in Dunſt. Ange.
rt

rif ſchaute Gegenſtände denken heiſst erkennen :


Begriffe denken heiſst blos denken. Sind 1

er
dieſe Begriffe auf keine Anſchauung gegrüne
det , laſſen fie ſich auf keine Erfahrung an .
wenden : ſo find fie leer , 'ohne Inhalt , ohne
Zwek , ohne Gewisheit.
21
Erkennen kann man nur in der An .
ſchauung vorkommende Gegenſtände Din

le ge im Raume Vorſtellungen in der


Zeit.
ir R4 Den.
264
Denken - wer ſollte fich nicht das Ho..
raziſche Humano capiti denken können ?
Aber wer erkennt es ,, wer darf es einen
wirklichen Gegenſtand nennen ? Man fage
nicht , die Vorſtellung dieſes Unthiers ſey
ja in der Zeit . Sie iſts die Vorſtellung
iſt in der Zeit : aber das Thier ſelbſt iſt nir.
gends . Ihr antwortet : es iſt in der Vorſtel
lung , dieſe iſt in der Zeit, alſo
Wollt ihr behaupten , Vorſtellung und vor
! geſtelltes Obiect ſey eins ? - das widerlegt
euer Bewuſstſeyn . „ Was iſt denn nun aber
dicfs gedachte Unthier ? " Eine Vorſtellung
aus einer Menge Vorſtellungen entſtanden ,
1
deren jede einzelne fich auf einen ein
piriſchen Gegenſtand bezieht : ' aber das Gan
ze , die Zufammenfaſſung dieſer einzelnen
Vorſtellungen iſt - nichts
nichts , weil ſie ſich
auf keinen fo gegebenen" Gegenſtand
gründer.

Wir denken uns die Gottheit ; aber wir


erkennen fie nicht. Wir denken , daſs sie
ſey ; wir haben Gründe , es zu denken , das
Bedürfnis unfers Herzens ; unfrer Moralität,
wir glauben .
Sechu
265
1
1

Ho.
men ?
einen
Sechſtes Jort
fage Die Philofophie iſt im Menſchen gegeben,
ley
Ellung
Unzähliche Philoſophen find aufgeſtanden,
nir. haben gelehrt, geſchrieben , Secten gebildet,
rliela und find gefallen und zum Theil vergeſſen
worden .

vor: r : Was war' es für eine Philoſophie , die


Sie lehrten ? woher entſtanden , wohin ge
erlegt
richtet ?
aber
21. Sie war auch im Menſchen entſtanden ,
ellung
aber der Menſch kennt ſie nicht iſt eitel
nden,
ein
und überfliegt ſeine Spanne leicht. So war
i Gan die Philoſophie der Meiſten auf überinenſchli
che , aufermenſchliche Dinge gerichtet. Nicht
velnen
alle wollten dahin , konnten dahin fie
lich

aliand hörten beweiſen , aber begriffen nicht , sie


ſahen Ueberzeugte , aber zweifelten noch.
Diejenigen fanden immer den allgemeinſten
r Wir Beyfall , die dem Ufer der Erfahrung am
{s lie
nächſten ſteuerten , oder an weiteſten da.
das von auf dem hohen Meere der Metaphyfik
trieben . Eine halb empiriſche , und halb me.
alität,
taphyſiſche Philoſophie gab zu wenig Nabrung
dort
Secks
266

dort für den Verſtand, hier für die geizige


Einbildungskraft.
Die Kritik hat gezeigt , was im Menſchen
iſt, welche Vermögen , welche Anlagen .
Die Kenntnis dieſer Vermögen iſt die einzig
mögliche Metaphyſik. Die Aeuſerung und
Beziehung derſelben auf gegebene Gegenſtände
kennen wir nun beſtimmt, denn wir wiſſen,
! was wir haben , und was uns die Welt geben
kann. Ich kann erfahren , und weiſs, daſs
ich erfahre ;. ich kann glauben , und erkenne,
daſs ich glauben muſs ; ich ſoll wollen , und
kanir es. Siehe da lauter Rühmen , das uns
die Kritik gelehrt hat , und das nicht eitel
iſt, weil es' fich auf eignen feſten Beſitz
gründet!
F.

' ‫ ' ܀‬,.

La 11. ,
生Š

; ‫ ܢ‬. ‫ ; ܀ ܐ ܙ‬:i :
BEYTRÄGE
zige
ZUR

chen
agen.
GESCHICHTE
und -DER PHILOSOPHIE .
ände
Ellen,
eben
HERAUSGEGEBEN
daſs
lenne, VON

und
GEORG GUSTAV FÜLLEBORN
S uns
PROFESSOR AM ELISABETHANUM IN BRESLAV,
eitel
Beſitz

DRITTES STÜCK .

ZÜLLICHAU UND FREYSTADT,


IN DER FROMMANNISCHEN BUCHHANDLUNO

17.9 3 .

i
KUR ZE

GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE .

Der Geſchichtſchreiber der Philoſophie kann


fich über Mangel an Vorarbeiten nicht bekla.
gen . Ohne an die groſse Anzahl von philo
fophiſchen Geſchichten , von Diſſertationen ,
Schediasmen und Spicilegien zu denken , deren
oft fünf auf Einen Philoſophen gehn , -iſt das
Bruker (che Werk allein ſo reich an Materia .
lien , daſs man nicht ſelten , wie Bruker
ſelbſt , über das Ordnen derſelben in Verle
genheit geräth. Unſerm Zeitalter iſt mit fole
chen Sammlungen nicht gedient : wir ver
Jangen kein Inventarium von Stellen , fondern
A2 Rai
4

Raiſonnement über den Sinn des Ganzen,


keine Aufzählung einzelner Meynungen , ſon
dern allgemeine Reſultate : und in der That
ſind es nur dieſe , welche uns die Geſchichte
der Philoſophie , vornemlich der alten , wich
tig und lehrreich machen. Die ſpeciellen Vor :
ſtellungsarten der alten Weiſen find gröſten
theils mit ihrer Nation , Sprache und Zeit
cultur untergegangen : aber der Geiſt ihrer
Forſchungen hat ſich über alle jene Zufällig.
keiten erhoben , und hat in die neuern Zei
ten herübergelebt , als das Band der Ver
gangenheit und Gegenwart.

Ich bin bey ineinem geringen Studium der


Geſchichte der Philoſophie faſt nie aus Mant
gel an Vorarbeiten , ſehr häufig aber dann
in Verlegenheit gekommen , wenn es darauf
ankam , die einzelnen Stüke in ein Ganzes
zu reihen , oder aus zwanzigerley Darſtels
lungen Ein Reſultat zu ziehen. Die Philoſo .
pheme der frühern Weiſen aufzufinden , iſt
bey einiger Sprachkenntniſs und Kritik nicht
fchwer : aber das koſtet Mühe , die Philoſo
phie derſelben daraus zu entwikeln , aus den
Worten den Sinn , aus den Tropen und Bil
dern
1

ng dern den abſtracten Gedanken herauszuheben ,


1. ohne ihnen mehr anzudichten , als ihre Kul
at tur verſtattet. Ich ſage dieſs nicht , um die
te fem ſchwachen Verſuche eine Wichtigkeit zu
ya geben : ich führe es nur an , un ihn der Nach
ficht der Kenner zu empfehlen. Er ſoll eine
331 kurze Ueberficht der Geſchichte geben , aber
ta ich müfte mir ſehr viel zutrauen , wenn ich
21 behaupten wollte , daſs fie allein die wahrſte
und richtigſte fey , die ſeit dem erſten Bruker
in der philoſophiſchen Welt gegeben worden iſt,
1

Es iſt einer der gemeinſten Gemeinplätze,


daſs jede Wiſſenſchaft einmahl ihre Kindheit,
jhr Wiegenalter , erlebt hat. Auch die Phia
11
loſophie war Anfangs ein ſchwaches lallen
uf des Kind , dem man ſeine künftige Entwik
es
lung nicht anfah.
ael
Als die Menſchen , in dem Zuſtande kin
difcher Unwiſsenheit , noch leer an Erfah
lit
rungen und Begriffen , ihre Augen erhoben
zu dem , was über ihnen und uin he war,
Da
12
als fie das groſse Gewölbe des Himnmels mit
}
all den Millionen Sternen ins Auge faſten ,
A 3 als
11
als fie die Seegnungen der Natur , die dieſe
gute Mutter Ihren unerfahrnen Söhnen in rei.
chem Maaſse austheilte , erkennen lernten,
als fie alle die Veränderungen im Himmel
und auf Erden , alle die fehreküchen Natur ,
begebenheiten , Verwüſtungen und Revolu
tionen bemerkten , wodurch fich der junge
Wohnplatz der Menſchen organihrte und
ausbildete : da muſten Staunen , Freude,
Schreken , Zuverſicht und Verzagung abwech
ſelnd in ihren Seelen fich durchſtreifen,
inuften ihre Aufmerkſamkeit fixiren auf das,

was da war und vorgieng, und ſie nach


und nach zu der neugierigen Frage treiben :
woher das ſey und warum das vorgehe?
Die jugendliche Phantafie theilte nun überall
Leben und Perſönlichkeit aus , und dichtete
aus den Begebenheiten Handlungen . Die
Menſchen dachten und erklärten nicht, ſon
dern dichteten und erzählten . Von Mund
zu Mund , von Generation zu Generation
giengen dieſe Erzählungen fort , reitzend
durch ihre Einfalt und Menſchlichkeit , -ehr
würdig durch ihr Alter . Das war die Zeit
der Mythen , die unſere Dichter verſchönern
und unſre Philoſophen commentiren .
Bey

i
Bey dem Fortſchritte der Geſellſchaft war
das Bedürfnis der Geſetze und Verträge im
11, mer dringender geworden. Es fanden fich
el daher einzelne Männer, die von gröſserer
r Erfahrung und geübterm Nachdenken unter:
u. ſtüzt , ihren Mitbürgern Eidrichtung und
ce
Geſetze gaben , ihnen Thätigkeit , Ordnung
ad und Sitten empfahlen , und ſie auf die Folgen
der Laſter und Unordnungen aufmerkfain
cha machten. Es find Lebensregeln und gutge
eng meynte Vorſchriften , die uns das Glük in .
LaS, den Gromen einiger alten Weiſen erhalten hat :
uch nicht tief durchdachte Moral, nicht a}]gemeine
en : Grundſätze des Handelns, ſondern Maximen ,
in der eingeſchränkten Erfahrung entſtanden ,
all und für einen kleinen Kreils von Erfahrungen
ete
brauchbar: geſungen von den ' grauen Vätern
Die der Nation , und in dem Munde der Kinder
on und Kindeskinder erhalten,' als die älteſten
ind Orakel der erſten Geſetzgebung und Lebenss
.on weisheit.
nd
hr So lange die Einbildungskraft das herr
eit ſchende Seelenvermögen iſt und das iſt file
in der Kindheit des einzelnen Menſchen , und
ganzer Nationen immer ſo lange geht die
A4 Auf
8

Aufmerkſainkeit gewöhnlich nur auf das , was


in die Sinne fällt , was auferhalb des Men,
ſchen iſt und geſchieht. Das Kind beſchäftigt
fich eher mit Dingen , die auf ſein Auge,
Ohr und Gefühl Eindruk machen , als init
sich ſelbſt: es gehört ſchon viel Erfahrung,
Nachdenken und Abſtraction zu der Frage :
was bin ich ? was iſt das , was in mir lebt
und denkt ? Darum iſt es ſehr natürliche
daſs die Griechen , unſre erſten Philofophen,

.
den Anfang ihres Philoſophirens mit der Be.
' trachtung über die Welt um fie her, und
deren Entſtehung und Veränderung , machten .
Vorbereitet zu dieſer Art von Unterſuchun
gen durch die Traditionen aus der Vorwelt,
und aufmerkſam gemacht durch die bemerkte
Veränderlichkeit der äuſern Formen und
Beſchaffenheiten der Dinge , richteten Sie
ihr ganzes Nachdenken auf das Problem :
woher iſt dieſe ſichtbare Malle von Dingen ?
wann fieng ſie an ? worąus beſteht fie ? Sie
nahmen den Faden auf, den die alte Tradi
tion fallen liefs , und anſtatt fich mit den
perſönlichen Endurſachen zu begnügen , löſten
fie alles in Folge und Wirkung und Fortdauer
auf, und forſchten nach Urſach , Grund
und
}

was
und Anfang. Um die erſteren zu entdeken,
Allen, zerlegten fie in Gedanken die zuſammenge.
äftigt fezten Weſen in ihre einfachſten Beſtandtheile ,
Auge and fanden dann in den vier Elementen oder
s mit deren phyhſchen Eigenſchaften den Keim des
arung Uriverſums. Einige lieſsen aus dieſen Grunds
Frage: ftoffen das All ſich ſelbſt entwikeln , andere
r lebt nahmen noch eine belebende Kraft an , ' wel
Erlicha che daſselbe gebildet habe. Aber da doch
opheng dieſe Urſtoffe einmahl da geweſen ſeyn müſsen ,
wenn
er be aus ihnen etwas entſtanden ſeyn ſoll,
und und da ſie doch nicht aus einem Nichts gewor
chten. den ſeyn können ; ſo fanden fie den Anfang
chun der Welt - in der Ewigkeit, d. h. Sie nah
-welt, men an , diefst. All fey in ſeinen Grundprin
erkte cipien von je und je da geweſen. Iſt das,
und ſo muſs auch alles , was iſt und wird , in
in fie Einem genauen Zuſammenhange unterlich
blem : ſtehen , als Wirkung Einer Urlaehe, als
ngen ? Theil Eines Ganzen ; ſo kann es fich auch
Sie im Weſentlichen nicht verändern , kann nie
aufhören. An dieſe Vorſtellungen ſchloſſen
den fich natürlich in einzelnen Köpfen Bilder und
öſten Formen an , die den abſtracten Ideen durch
Jauer körperliche Analogie zu Hülfe kamen .
rund
und A 5 Mit
11 Mit der Kosmologie begann alſo das erſte
zuſammenhängendere Nachdenken der grauen
.
Weifen . An dem Schwerſten verſuchte der
junge Geiſt der Philoſophie ſeine erſten Kräfte :
es war ein Ringen mit der Unergründlichkeit
der Natur : kein Wunder, ' wenn er unter
lag ; kein Wunder , wenn die Vorſtellungen
und Philofopheme aus jenen Zeiten manchem
neuern Weiſen unſinnig, elend und lächer
lich vorkommen. Wir ſtehen der Vorwelt
auf den Schultern , und wiſsen in dieſer Rük
ficht zwar nicht inehr, als ſie , aber doch
.

ſo viel , daſs wir nichts wiſfen können.

Alle die erwähnten cosmologiſchen Vor


ſtellungen geriethen nun aber augenſcheinlich
init der wirklichen Erfahrung in Widerſpruch .
In dieſer war überall Entſtehen , werden ,
Vergehn , Zerſtükelung, Mannigfaltigkeit und
Grenze : in jenen herrſchte lauter Ewigkeit,
Ganzes , Einheit , Allheit. Wie vereinten
jene Denker ihre Ideen mit ihren Sinnen ?
Zum Nachtheil der leztern . Der Zuſammen
hang , welchen Sie mit ihrem Verſtande in
das Univerſum hineingetragen hatten , tvar

ibnen zu leicht und natürlich , zu innig ver:


webt
10 31

Mit der Kosmologie begann alſo das erſte webt init dem Zuſaminenhange ihres Denkens,
zulanmenhängendere Nachdenken der grauen als daſs ihnen nicht das Zeugniſs der Sinne
We fen. An dem Schwerſten verſuchte der und die durch Sie erworbenen Vorſtellungen
junge Geiſt der Philoſophie feine erſten Kräfte: hätten verdächtig 7werden ſollen : zumahl,
es war ein Ringen mit der Unergründlichkeit da der optiſchen Täuſchungen zu einer Zeit,
der Natur : kein Wunder, wenn er unter wo dieſer Theil von Kenntniſsen noch ganz
unbearbeitet war , viel mehrere und dieſe
lag ; kein Wunder , wenn die Vorſtellungen
und Philoſopheme ans jenen Zeiten manchem viel unauflöſslicher vorkommen muſten . Was
6
nenern Weiſen unſinnig, elend und lächere ihnen die Sinne vorhielten , konnten fie ent
lich vorkommen. Wir ſtehen der Vorwelt weder gar nicht, oder. doch nicht bis auf
die ' einfachſten Beſtandtheile erkennen lernen :
anf den Schultern , und wiſsen in dieſer Rík
kche zwar nicht mehr, als fie, aberdoch Ideen der Vernunft hingegen lieſsen ſich von
ſo viel , daſs wir nichts willen können allen Seiten ' anſehen , eine in die andere zer
legen , eine aus der andern folgern , eine
1

mit der andern vereinigen , he wurden ganz


Alle die erwähnten cosmologiſchen Vor
hellungen geriethen nun aber augenſcheinlich das Eigenthum deſsen , der fie dachte : wer
fie erfunden hatte , verſtand fie auch , Sie
init der wirklichen Erfahrung in Widerſpruch. waren nur in fo fern da , als hie deutlich
In dieſer war überall Entſtehen, Werden,
Vergeln , Zerſtükelung, Mannigfaltigkeitund waren : folglich und dieſe Folgerung hat
Grenze : in jenen herrſchte lauter Ewigkeiz ja mehr oder weniger auch neuere Denker
Ganzes , Einheit, Allheit. Wie vereinten getäuſcht folglich , fagten fie , ſind die
ene Denker ihre Ideen mit ihren Sinnen? Erkenntniſfe durch die Sinne ungewils und
Cum Vachtheil der leztern. Der Zuſammen. täuſchend , Verſtandeserkenntniſſe allein gewiſs
und wahr. Man fieng an , für die lezteren
uang , welchen Sie mit ihrem Verſtande in
gewille Geſetze und Regeln in der Natur der
as Univerſum hineingetragen hatten , war
uen zu leicht und natürlich, zu innig ver Vernunft zu entdeken und aufzuſtellen , und
webt da
12

da es dem ungebildetern Denker ſo ſchwer


wird , Täuſchung und Trug ' zu enthüllen ;
ſo geſchah es , daſs einige Denker durch auf:
gefundne Antinomnieen und ſcheinbare Conſe-,
quenzen überraſcht, auch an einem groſsen
Theile der Vernunfterkenntniſſe irre wurden :
ein Umſtand , der , wie aller Zweifel, das
Nachdenken übte und den Verſtand für die
Unterſuchung der Wahrheit ſchärfte. Es gefällt
der jugendlichen Philoſophie , fich mit die
ſen Spielen des philoſophiſchen Witzes zu
unterhalten : fie frent fich der künſtlichen
Schlüſſe , womit he blenden und verwirren
kann : die Dialectik kommt alſo empor , und
theilt unter ihre Verehrer den Titel und Rang
der Philoſophen aus.

Einige phyſiſch -cosmologiſche Ideen über


das Entſtehen und die Grundbeſchaffenheit
des All ; Zweifel an der Gewiſsheit eines
groſsen 'Theiles der menſchlichen Erkenntniſs ;
und einige fyllogiſtiſche Vorübungen , find
alſo der Ertrag von den Bemühungen der
älteſten Denker , ' Wahrheit zu finden . Und
er iſt in der That anſehnlich genung , wenn

man die Langſankeit einer jeden Selbſtbil


dung
13
12

da es dein ungebildetern Denker ſo ſchwer dung, die groſse Macht der Phantahe wäli
wird , Tauſchung und Trug‘zu enthüllen : rend der Minderjährigkeit der Vernunft, die
ſo geſchah es, daſs einige Denker durch auf: Unvollkommenheit und das Sinnliche der Spra
gefundne Antinomieen und ſcheinbare Conſe che in Anſchlag bringt , die auch dem ab
quenz in überraſcht, auch an einem groſsen {tractdenkendſten KopfeFeſſeln'anlegen muſste.
Theile der Vernunfterkenntniſſe irre wurden :
ein Umſtand , der , wie aller Zweifel, das
Nachdenken übte und den Verſtand für die So wie ſich die geſelligen und bürgerlichen
Verhältniſſe und Pflichten nach und nach ſo
l'interſuchung der Wahrheit ſchärfte. Es gefällt
der jugendlichen Philoſophie, fich mit die. vervielfältigten und verwickelten , daſs die
poſitive Religion , die ohnehin auf Herz und
len Spielen des philoſophiſchen Witzes zu
unterhalten : fie frent fich der künſtlichen Leben nur wenig Einfluſs hatte , zur Leitung
1

Schlulle, womit fie blenden und verwirren der Menſchen nicht mehr zulangte : trat ein
kanu : die Dialectik kommt alſo empor, und Mann von ächtem Wahrheitsfinne und inniger
Theilnahme an der Menſchheit auf, und
theilt unter ihre Verehrer den Titel und Rang
rufte die Denker von jenen überhnnlichen
der Philoſophen aus. und bloſs theoretiſchen Speculationen ab , in
Einige phynhiſch -cosmologiſche Idaefefnenhüebietr dem er fie auf dasjenige aufmerkſam machte,
das Entſtehe und die Grundbeſch was der Menſchheit näher , faſslicher und

des All ; Zweifel an der Gewiſsheit eines ſeeliger ſey. Socrates wiels der Philoſophie
hen
großen Theiles der menſchlic Erkenntnils; ihre Arbeit unter den Menſchen an , auf den
e
und einige fyllogiſtiſch Vorübungen, find Marktplatze menſchlicher Handlungen , Leis
n
allo der Ertrag von den Bemühunge der denſchaften und Wünſche , in dem Getümmel
älteſten Donker ,' Wahrheit zu finden. Und bürgerlicher und geſellſchaftlicher Verbindun
gen und Verhältniſſe. Glaube an einen Gott
or iſt in der That anſehnlich genung, wenn
it
man die Langlainke einer jeden Selbſtbil. aus der Betrachtung der weiſen und gütigen
Ein
dung

6
14

Einrichtungen in der Natur , Verehrung die


ſes Gottes durch treue und gewiſſenhafte Er
füllung aller Pflichten des Menſchen und
Bürgers , Mäſsigung der Begierden und Wün
fehe , Eifer für das Wohl des Ganzen : dieſe
und ähnliche Ideen waren es , die er zu
verbreiten ſuchte , und hat er gleich auf
ſeine Zeitgenoſſen nicht ſogleich und nicht
unmittelbar gewirkt, ſo hat er doch durch
ſeine Schüler und mehr noch durch ſeinen
Nachruhm , der ihm auch in den ſpäteſten
Zeiten Verehrer und Schüler erworben hat,
groſsen und unverkennbaren Nutzen geſtif
tet. Von ihm an datirt fich die Bearbei. ,
tung des practiſchen Theils der Philoſophie,
der bis dahin den theoretiſchen Speculationen
nachgeſtanden hatte : und wir finden kurz
nach ihm eine Menge denkender Philoſophen ,
die fich mit der Aufſuchung und Beſtimmung
des höchſten und lezten Princips der Moral
beſchäftigten . Eine Parthey derſelben lauſchte
allein auf die Stiinine ihrer Triebe, : . und
liels das ſtärkere finnliche Gefühl den Aus
ſpruch thun : Sinnenluſt , Schmerzlofigkeit,
Freyheit von Seelenkummer und bittern Em
pfindungen , finnliche Zuneigung und ſinnli
ches
15
14
Einrichtungen in der Natur, Verehrung die ches Wohlgefallen am Moraliſchguten find die
viererley Grade , wornach sie den Werthi
les Gottes durch treue und gewiſſenhafte Er und die Verbindlichkeit der Handlungen zu
füllung aller Pflichten des Menſchen und beſtimmen luchten . Es war vielleicht nicht
Burgers, Mäſsigung der Begierden und Wün
bey allen Syſtem , es war nur Raiſonnement
ſche , Eifer für das Wohl des Ganzen : dieſe
über die Handlungen der Menſchen , ſo wie
und ahnliche Ideen waren es, die er zu Sie find und entſtehen ; nicht Princip der
verbreiten ſuchte, und hat er gleich auf allgemeiner Sittlichkeit , ſondern Maxime für
ſeine Zeitgenoſſen nicht ſogleich und richt einzelne Situationen des Lebens ; nicht Pro.
unmittelbar gewirkt, ſo hat er doch durch duct des angeſtrengten Nachdenkens , ſondern
ſeine Schüler und mehr noch durch ſeinen
Frucht der zufälligen Beobachtung mitten im
Nachruhm , der ihm auch in den ſpäteſten Kreiſse frölicher Menſchen und in den Stun.
Zeiten Verehrer und Schüler erworben hat, den des Wohlbehagens . Die Moral freyer
groſsen und unverkennbaren Nutzen geſif
Menſchen , die keine Verketzerung fcheueng
Von ihm an datirt fich die Bearbeia
n trägt immer das Gepräge ihres Temperaments :
t , des practiſche Theils der Philoſophie,
tuteng und die Griechen waren ein fröliches Volks
der bis dahienn den theoretiſchen Speculationen Indeffen finden wir bald nach jenen finnli
nachgeltand hatte : und wir finden kurz chen Moraliſten , welche das Genüſſen zum
nach ihin eine Menge denkender Philoſopheng Motto des Lebens wählten , andere , die alle
die hch mit der Aufſuchung und Beſtimmung Weisheit und Glükfeeligkeit im Entbehren
des böchſten und lezten Princips der Moral fanden , die , von Bedürfniſſen und conven.
beſchäftigten. Eine Parthey derſelben lauſchte tionellen Verhältniſſen immer freyer und una
allein auf die Stimme ihrer Triebe, und abhängiger , und von Tage zu Tage mehr
liels das ſtärkere finnliche Gefühl den Aus ſein eigen zu werden , als das lezte und
it
ſpruch thun : Sinnenluſte, r Schmerzlohgke einzige Ziel des wahren Weilen zur erreichen
m
Freyheit von Seelenkam und bittern Ein ſtrebten, ohne jedoch vorauszuſehen , daſs
pfindungen, finnliche Zuneigung und linnli. einige
chos
16

einige ihrer Nachfolger dieſe Freyheit von


Bedürfniſſen in thieriſcher Blölse , dieſe Un
abhängigkeit von aller Convention in wilder
Unanſtändigkeit, dieſe Selbſtheit in Grobheit
und Verachtung aller andern Menſchen fan
chen würden ,

Unterdeſſen hatte die ſpeculative Philofo


phie nicht unbearbeitet gelegen. Jene cosmo
logiſchen Räth fel lokten 'immer wieder von
neuem den Vorwitz der Denker an : aber

nach dem Verhältniſſe der gröſsern Kultur


waren die verſuchten Auflöſungen ſchon mehr
zuſammenfti.mmend und metaphyſiſch. So
wie in frühern Zeiten einige Forſcher den
Urſprung des All in den phyhſchen Elemens
ten oder deren Eigenſchaften gefunden zu
baben glaubten , fo ſuchten ihn jezt die foge
nannten Atomiſten noch weiter hinaus , in
dem , was ſelbſt früher , als alle Elemente
gedacht werden müſle , in kleinen einfachen :
Stoffen , die im unendlichen Raume vorhan
den geweſen. Find und durch Bewegung und
Zuſammenſtoſs gebildet haben , was gewor.
den iſt. Dieſe Hypothele Scheint mehr eine
Beruhigung für den unbefriedigten Forſchungs
triels,
16 17

nije ihrer Nachfolger dieſe Freyheit von trieb , ein Mittel, zu der allein wünſchens.
Bedürfniſſen in thieriſcher Blüſse , dieſe Un würdigen Ei9upice auch in dieſem Stüke zu
'shangigkeit von aller Convention in wilder gelangen , als eine Auflöſung des Problems,
L'nanſtändigkeit, dieſe Selbſtheit in Grobheit ſelbſt in den Augen ihrer Erfinder , geweſen
und Verachtung aller andern Menſchen fau zu ſeyn : und wirklich iſt fie durch alle die
chen würden ,
Schwierigkeiten der Aufgabe der leichteſte
Ausweg Für unumſtöſslich gewils konnte
Unterdeſſen hatte die ſpeculative Philolo. fie wenigſtens der beſcheidne Forſcher nicht
phie nicht unbearbeitet gelegen. Jene cosmo ausgeben , der fich überzeugt hatte, daſs
logiſchen Räthſel Jokten 'immer wieder von nirgends feſte Gewiſsheit ſey und daſs die
Deuem den Vorwitz der Denker an : aber Wahrheit in einer tiefen unzugänglichen Höle
nach dem Verhältniſſe der gröſsern Kultur verborgen liege , der ſelbſt in den morali
waren die verluchten Auflöſungen ſchon mehr fchen Scepticismus fiel, und alle Begriffe
zulumuenſtimmend und metaphyſiſch . Są von Recht und Unrecht für bloſse Producte
wie in frühern Zeiten einige Forſcher den der bürgerlichen Verabredung hielt: auch

U.ſprung des All in den phyfſchen Elemen der furchtſame Denker nicht, der es offen
ten oder deren Eigenſchaften gefunden zu herzig geſtand , er könne nicht ſagen , ob
haben glaubten , fo luchten ihn jezt die foges es Götter gebe oder nicht , weil ſowohl die
nannten Atomilten noch weiter hinaus, in Nichterkennbarkeit dieſer, Şache , als die
dem , was felbft früher, als alle Elemente Kürze des menſchlichen Lebens jeden Sterb
gedacht werden mülle , in kleinen einfachen lichen abhalten müſſe , hierüber beſtimmt zu
Stollen , die im unendlichen Raume vorhan fprechen.
den gewelin hind und durch Bewegung und
Zuſammenstoſs gebildet haben , was gewor. Bey einer allgemeinen Ueberſicht, wie
den iſt. Diele Hypothele ſcheint mehr eine dieſe , kann man nicht bey jedem einzelnen
Berulnigung für den unbefriedigten Forſchunlygs Manne und deſſen Vorſtellungsarten verweilen ,
trie B Aber
28

Aber ein Socrates und Plato laffen kch nicht


füglich ins Ganze verrechnen : fie ſtehen in
ihrer Art iſolirt da , und wirken auffallender.
Plato hat , weit entfernt, ein philoſophi
Sches Syſtein aufzuſtellen , in ſeinen Dialogen
eine Menge pbiloſophiſcher Ideen ausgeſtreut,
die theils ungeſchinükt da liegen, theils unter.
der Hülle der Allegorie oder Mythe verbor
gen find , und zu allen Zeiten viel Aufmerk
ſamkeit erregt haben. Die Hauptideen , von
denen er ausgeht, und auf die er zurük
kommt , find : der Unterſchied zwiſchen
Vernunft - Weſen und Sinnen - Weſen , wovon

er fich jene als allgernein vollkomne Ideale,


dieſe als einzelne , unvollkomn
unvollkomnee , veränder
Jiche Kopieen von jenen dachte : der Glaube
an ein allervollkommenſtes Weſen , welches
alle Realitäten in fich vereinigt , welches
die Welt ausgebildet hat und im Groſsen wie
im Kleinen für ſie ſorgt: die Gewiſsheit der
überfinnlichen Erkenntniſſe oder Vernunft.
wahrheiten , und die lezten Gründe der all
gemeinen menſchlichen Pflichten , in der mo
ralifchen Vervollkomnung. Die Leichtigkeit
und Gewandtheit , womit er dieſe Ideen
verarbeitete , die lebhafte und blühende Dar
fteil
!
18 mm 19

Aber ein Socrates und Plato laffen hch nicht ſtellung, welche überall in ſeinen Werken
fizlich ins Ganze verrechnen : fie ſtehen in herrſcht, und die Aehnlichkeit ſeiner Manier
ihrer Art iſolirt da , und wirken auffallender. mit der Socratiſchen , hat auf ſeine Zeitge
Piato hat, weit entſernt, ein philoſophie noſſen und Nachfolger einen ſehr vortheilhaf.
ſches Syſtem anfzuſtellen, in ſeinen Dialogen ten Einfluſs gehabt, indem fie von ihm gleich
eine Menge pbiloſophiſcher Ideen ausgeſtreut, fam freyer und dreuſter mit philoſophiſchen
die theils ungeſchmükt da liegen, theils unter Ideen uingehen , und ſie auf mehrere Gegen
der Hülle der Allegorie oder Mythe verbor. ſtände anwenden lernten. Sein Werk über
gen find , und zu allen Zeiten viel Aufmerke Staatsverfaſſung und Geſetzgebung öfnete der
ſamkeit erregt haben . Die Hauptideen , von Philoſophie eine neue Bahn , und verſchafte
denen er ausgelit, und auf die er zurük. ihr einen Antheil an den Thronen der Erde;
kommit , hind : der Unterſchied zwiſchen eine Stimme bey den Conſtitutionen der Staaten .
Vernunft. Weſen und Sinnen -Weſen, wovon
er fch jene als allgeinein vollkomne Ideale Jezt waren alſo die moraliſchen Begriffe
dieſe als einzelne , unvollkomne, veränder mehr aufgeregt und in Umlauf gebracht, die
liche Kopicen von mjmeenneſntedsachte : der Glaube cosmologiſchen Probleme von einer andern
lko
an cin allervol Weſen, welches Seite bearbeitet, und das Philoſophiren ſelbſt
t e n in fich vereinigt, welches Es lagen
alle Realitä freyer und mächtiger geworden.
t
die Welt ausgebilde hat und im Groſsen wie reichlich Materialien ausgeſtreut, die nur auf
t
in Kleinen efnür fie ſorgt: die Gewiſshei der die geſchikte Hand eines Künſtlers warteten ,
li ch ille
überhnn Erkenntn oder Vernunft der fe zu behandeln und in ein Ganzes zu.
en
wahrheit , und die lezten Gründe der all ſammenzuſtellen verſtände.
hen
gemeinen menſchlic nPfglichten, in der mo.
omnu . Die Leichtigkeit
raliſchen Vervollk
eit Dieſer Künſtler war Ariſtoteles , ein fpe
und Gewandth , womit er dieſe Ideen
te
verarbeite , die lebhafte und blühende Dar € ulativer und ſtrengſyſtematiſcher Kopf, der
B 2 die
Stel
20.

die verſchiedenen Gegenſtände der Philofophie


abtheilte und in Grenzen einſchloſs , alle die
Meynungen ſeiner Vorgänger fleiſsig ſammelte,
ordnete , prüfte und berichtigte oder vorwarf,
ſeine eignen Meynungen gründlich und ana- «
lytiſch entwikelte und bewieſs, und , im
wahren Sinne , das erſte Compendium der
geſammten Philoſophie entwarf. Er ſcheidet
zuerſt die Philoſophie überhaupt in theoreti
ſche und practiſche, und theilt ſodann jene
in Mathematik , Phyſik (der Körper und
Seelen) und Theologie, dieſe in Ethik , Po
litik , Oekonomik und Kritik der Kunſt:
Wahrheit und Wahrſcheinlichkeit find ihm
die Zweke , wornach die einzelnen Theile
der Wiſſenſchaft ſtreben müſſen : Erfahrung
und vernünftige Prüfung und Vergleichung
der Erfahrungen nach den allgemeinen Geo
ſetzen des Denkens, die Mittel zu jenen
Zweken . Die Regeln , welche er für die
3
Beurtheilung und Auflöſung aller Schlüſſe und
Trugſchlüſſe aus der Natur des Verſtandes
entwikelte , dienten ihn ſelbſt , die Fehl
urtheile und täuſchenden Conſequenzen alte
rer Denker zu beleuchten und umzuſtoffen,
und führten ilin bey der Entwikelung ſeiner
eige
21
20

die verſchiedenen Gegenſtände der Philoſophie eigenen Begriffe an dem Bande ſchulgerechter
abtheilte und in Grenzen einſchloſs, alle die Deduction . In der Phyſik der körperlichen
Meynungen ſeiner Vorgänger fleiſsig ſammelte, Natur, die bey ihm auch nichts anders , als
ordnete, prüſte und derichtigte oder vorwarf, Kosmologic iſt, baute er nur aus den Trüm .
mern älterer Hypotheſen ein neues Syſtem ,
ſeine eignen Meynungen gründlich und ana
worinn er eine bloſs denkbare , allgemeines
kitſch entwikelte und bewieſs, und , in
noch nicht mit beſtiinmten Eigenſchaften ver
wahren Sinne , das erſte Compendium der ſehene Materie als den Urſtoff annahm , der
gelamınten Philoſophie entwarf. Er ſcheidet
ſich zu beſtimmten Beſchaffenheiten , dadurch
zuerſt die Philoſophie überhaupt in theoreti. zu Elementen , und durch dieſe zuin All
ſche und practiſche , und theilt ſodann jene entwikelt habe. Die allgemeine Natur der
in Mathematik , Phyhk (der Körper und
Seelen) und Theologie, dieſe in Ethik, Por Dinge beſteht in Ausdehnung und Kraft, dem
Princip aller Bewegung. Mehr als hier,
litik , Oekonomik und Kritik der Kual
Wahrheit und Wahrſcheinlichkeit find ihm leiſtet er in der Pſychologie; wo er durch
die genaue Unterſcheidung zwiſchen Empfin
die Zweke, tornach die einzelnen Theile
den und Denken , die ſinnliche Erkenntnis
der Willenſchaft ſtreben müſſen : Erfahrung
von den Verſtandesvorſtellungen , die Recep
und vernünftige Prüfung und Vergleichung tivität von der Spontaneität , ſchärfer, als
der Erfahrungen nach den allgemeinen Ge einer feiner Vorgänger abſchnitt. Ueber ſeine
ſetzen des Denkens, die Mittel zu jenen
2 weken Die Regeln , welche er für die
Theologie hat er uns ain ungewiſſeſten gelaſ
ng fen , aber in ſeinen practiſchen Werken hat
Beurtheilu und Aufölung aller Schlülle und
l l e er bewundernswürdig viel geleiſtet: fie find
Trugſchlü aus der Natur des Verſtandes
reich an den treflichſten pſychologiſchen Be.
entwikele , dienten ihm ſelbſt, die Fehle
en merkungen , ein Schatz gereinigter morali
urtheile und täuſchenden Conſequenz ale ſcher Begriffe und Maximen , ein Handbuch
n
rer Denker zu beleuchte und umzuſtollen; populärer Lebensweiſsheit. - Er und ſeine
and fiihrten ilin bey der Entwikelung ſeiner B 3 Nach

1
22

Nachfolger waren übrigens nichts weniger,


als ſtrenge Dogmatiker : Kritik iſt der Geiſt
der ganzen Peripatetiſchen Secte , Prüfung
aller Meynungen für und wider , Aufſuchung
der erſten Principien , und Rechtfertigung
einer jeden Behauptung der unterſcheidende
Character der Ariſtoteliſchen Philoſophie.

Ariſtoteles brach durch ſeine Unterſuchun .


gen einer Menge von Denkern neue Bahnen .
Aber auch die Vorſtellungsarten früherer
Weiſen fanden jezt wieder Freunde, welche
fich das Geſchäft machten , fie wieder zu
beleben , zu ergänzen und zu erweitern .
Dahin gehöret das Syſtem des Epikur über
die Gewiſsheit der menſchlichen Erkenntniſs,
.
für deren Kriterien er innere und äuſere
Wahrnehmung , und ſubjective Vorſtellungen
a priori annahm : über die moraliſche Ver
bindlichkeit , die er in angenehmen Empfin .
dungen des Geiſtes und Körpers fand , und
über die Entſtehung des Univerſums, welche
er ebenfalls aus dem Zuſammenſtoſse kleiner
einfacher Stoffe erklärte. Ihin war bey ſei
nem hellen Geiſte und unbefangenem For
Ichungstriebe die Bemerkung des Antheils
nicht
23

Nachfolger waren übrigens nichts weniger, nicht entgangen , welclien das Finnliche Vors
als ſtrenge Dogmatiker: Kritik iſt der Geift. - teħlungsvermögen an der menſchlichen Era
der ganzen Peripatetiſchen Secte, Prüfung kenntniſs und Begehrung hat: aber er fehlte
a'ler Meynungen für und wider , Aufſuchung darinn , daſs er dieſen Antheil zu' hoch an
der erſten Principien, und Rechtfertigung ſchlug, und die Grundſätze und Geſetze der
einer jeden Behauptung der unterſcheidende reinen Vernunft ebenfalls nur für Producte
Character der Ariſtoteliſchen Philoſophie. der Sinnlichkeit nahm .

Ariftoteles brach durch ſeine Unterſuchun Man kann die Bemerkung in der Geſchichte
gen einer Menge von Denkern neue Bahnen. der Philofophie oft machen ;' daſs fich den
Aber auch die Vorſtellungsarten früherer Vertheidigern des einen Extrems immer zuż
Weilen ſanden jezt wieder Freunde, welche rechter Zeit Verfechter des andern gegenüber
fich das Geſchäft machten , he wieder zu { tellten , um den Mittelweg den Nachkom
beleben , zu ergänzen und zu "erweitern. men deſto leichter zu machen. Hatte Epidur
Dahin gehöret das Syſtem des Epikur über vornehmlich die ſinnliche Seite des Menſchen
die Gewiſsheit der menſchlichen Erkenntnili, hervorgehoben : ſo fahen die Stoicer nichts,
für deren Kriterien er innere und äulere als feinen geiſtigen Theil. Die finnlichen

Wahrnehmung, und ſubjective Vorſtellungen Norſtellungen hatten eben ſo wenig Werth in


a priori annabm : über die moraliſche Ver. ihren Augen , als die ſinnlichen Triebe und
Begehrungen , und ſo wie ſie die höchſte
bindlichkeit, die er in angenehmen Emphr
dungen des Geiſtes und Körpers fand , und Wahrheit und Gewiſsheit in die Verſtandes
über die Entſtehung des Univerſumse, welche begriffe und die Denkbarkeit eines Gegen.
toſs einer
er ebenfalls aus dem Zuſammenſ kl ſtandes ſezten , fo erklärten Sie nur die ver
einfacher Stofte erklärte. Ihn war ebmey leir
a nünftige Willensbeſtimmung für die höchſte
en
nem helleebne Geiſte und unbgeſang For Würde , und die innern Vorzüge des Geiſtes
i
Ichungstr die Bemerkun des Antheils für das höchſte Gut des Sterblichen . ' Die
nicht B 4 leztere

1
24

leztére Idee wird, unter gewiſſen Modifica


tionen , zu ewigen Zeiten der Stolz der Phi
loſophie und der Triumph einer wahren Le
bensweiſsheit bleiben. Gegen die erſtere
Behauptung ſtanden ſchon damals ſtarke Wi
derſacher auf. Wenn ihnen Carneades gründ.
lich darthat , daſs es für uns keinen Satz
gebe , deſſen Gewiſsheit von aller, auch
der geringſten Furcht , auch der Möglichkeit
des Irrthums frey ſey ; ſo war die vermeynte
Sicherheit ihrer Verſtandeserkenntnils be
trächtlich erſchüttert, und ſie hätten geſte:
hen müſſen , daſs fie die Natur der menſche
lichen Erkenntniſs noch nicht tief genung,
noch nicht von allen Seiten unterſucht hatten.
:1 Treffender widerlegten fie einen Arcehlaus ,
der ihnen die Behauptung in den Weg ſtellte:
daſs es bey jedem Satze gleich viel und gleich
Starke Gründe dafür und dagegen gebe.

Ich habe hier einen Satz angeführt, der


mehr als ein zufälliger Einwand , der das Motto
?
eines allgemeinen Scepticismus zu ſeyn ſcheint,
Schon oft hatte die Philoſophie mit einzelnen
aufſteigenden Zweifeln gerungen, aber jezt
näherte fie fich immer mehr und mehr eineint
Zeit
25

leztere Idee wird , unter gewiſſen Modifica: Zeitpuncte, wo ſie den Zweifeln ganz anter
tionen , zu ewigen Zeiten der Stolz der Phi ļiegen zu müſſen ſchien . Pyrrhon , ein Mann,
loſophie und der Triumph einer wahren Ler der, wie ich mir es denke , aus reinem

bensweiſsheit bleiben. Gegen die erſtere Triebe nach Wahrheit und endlicher Beruhi
Behauptung ſtanden ſchon damals ſtarke W gung, alle Syſteme und Meynungen früherer
derſacher auf. Wenn ihnen Carneades gründ. Weiſen durchſucht und geprüft, aber allent
lich darthat , daſs es für uns keinen Satz halben nur halbe Wahrheit, überall Wider
gebe , deſſen Gewiſsheit von aller, auch ſpruch und Uneinigkeit angetroffen hatte,
der geringſten Furcht , auch der Möglichkeit ſagte fich zulezt von aller beſtimmten Mey,
nung gänzlich loſs , und entrifs fich der
des Irrthums frey ſey; ſo war die vermeynte
Sicherheit ihrer Verſtandeserkenntniſs ba ſchwankenden Ungewiſsheit, in die er gera
trächtlich erſchüttert, und ſie hätten gelte then war , durch allgemeinen Zweifel. Alle
hen müſſen , dals hie die Natur der inenſch Gegenſtände, die uns umgehen , find weder
lichen Erkenntniſs noch nicht tief genung durch Erfahrung, noch durch Vernunft er
noch nicht ron allen Seiten unterſucht hatten, kennbar : jeder Satz läſst fich mit gleich
Treffender widerlegten fie einen Arcefilaus ſtarken Gründen vertheydigen und widerle
gen : Sinnlichkeit und Vernunft widerſtrei
der ihnen die Behanptung in den Weg ſtelle:
ten sich in allen Fällen ; es läſst ſich kein
daſs es bey jedem Satze gleich viel und gleich
Starke Gründe dafür und dagegen gebe. 4 ficheres lallgemeingültiges Kriterium der Wahr
heit auffinden ; was bleibt alſo dein Geiſte ,
der nach Ruhe ſchmachtet , übrig , als fich
Ich habe hier einen Satz angeführt, det
mehr als ein zufälliger Einwand, der das Motto in Sachen der Speculation überall ſeines Ur
eines allgemeinen Scepticismus zu ſeyn ſcheint. theils zu enthalten , nichts zu bejahen und
nichts zu verneinen , in Sachen des practi
Schon oft hatte die Philoſophie mit einzelnen
( chen Lebens aber der Leitung der Natur ,
aufſteigenden Zweifeln gerungen , aber jezt
näherte fe fich immer mehr und mehr einen der Leidenſchaften , der Gewohnheiten und
Zasta
B 5 der
26

der Convention zu folgen ?" Die Sceptiker


find in jeder Rükſicht merkwürdige Denker,
und der Scepticismus ſelbſt ein wichtiger
Punct in der Geſchichte des menſchlichen
Geiſtes: nicht als etwas Unnatürliches und
Verdainmliches, ſondern als eine natürliche
Folge der zu hoch getriebenen Wiſsbegierde,
und als ein nothwendiges Mittel , den philo
ſophiſchen Geiſt rege zu erhalten. Sey er
ein Wahnwitz , wie ihn einige genannt haben ,
fo iſt er doch für den Wahnwitzigen ſelbſt
ein glüklicher Zuſtand , und für alle , die
noch ihre Vernunft haben , eine Warnung,
ihre Kräfte zu ſchonen , und ihre Fibern
nicht zu üherſpannen .

So weit die älteren Griechen. Ihre Zögo


linge, die Römer , haben wenig mehr gethan,
als verſchiedene Ideen von jenen überarbeid
tet und ausgeſchmükt : wodurch hie uns in
hiſtoriſcher Rüklicht wichtig geworden find. i
:
Dic allmählige Vermiſchung alter Lehre
meynungen mit falſchen Religionsbegriffen und
ſchwärmeriſchem Aberglauben , und der ganze
Zeit
26 27

der Convention zu folgen ? - Die Sceptiker Zeitraum der ſcholaſtiſchen Philoſophie, läſst
hnd in jeder Rükſicht merkwürdige Denker, sich hier ſehr föglich übergehen. Der Gang
und der Scepticisinus ſelbſt ein wichtiger dieſer Wiſſenſchaft hat , in Rükſicht auf uns,
Punct in der Geſchichte des menſchlichen dieſe Periode überſprungen : das Entſtehen
Grikes : nicht als etwas Unnatürliches und des Supernaturalismus ausgenommen , welcher
Verdainmliches, ſondern als eine natürliche ſich auch in neuere Zeiten fortgepflanzt hat.
Fo'ge der zu lioch getriebenen Wiſsbegierde, Anſtatt bey derſelben zu verweilen , will
und als ein nothwendiges Mittel, den philo jch einen Verſuch machen , ein Inventarium 1

ſophiſchen Geiſt rege zu erhalten. Sey er des Nachlaſſes zu entwerfen , welchen die
ein Wahnwitz , wie ihn einige genannt haben, /
alte Philoſophie, der neueren übergeben hat.
fo iſt er doch für den Wahnwitzigen felbut Er, beſteht vielleicht in Folgendem :
ein ghiklicher Zuſtand, und für alle, die
noch ihre Vernunft haben , eine Warnung 1) In einer allgemeinen Idee von Philofo
ihre Kräfte zu ſchonen, und ihre Fibera phie , als einer beſondern Wiſſenſchaft, und
in der Zerlegung derſelben in einzelne Theile,
nicht zu überſpannen. vornemlich : Dialectik , Phyſik und Ethik.
Einen beſtimmtern Begrif, als etwa den von
So weit die älteren Griechen. Ihre Zögu einer vernünftigen Forſchung nach den Grün
linge , die Rüiner , haben wenig mehr gethan, den des Erkennbaren und Denkbaren , haben
a's rerſchiedene Ideen ron jenen überarbei. fie uns nicht gegeben.
kt
tet und ausgeſchmü : wodurch he uns in
2. In der Unterſcheidung zwiſchen Er
hiſtoriſcher Rüksicht wichtig geworden hindi
fahrungs- und Vernunft- Erkenntniſs, einigen 1

g
Die allmählige Vermiſchun alter Lehre Gründen für die gröſsere Gewiſsheit der einen
iffen
ineynungen mit falſchen Religionsbegr und
vor der andern , und mehreren Zweifeln ge
chem gen beyde.
ſchwärmeriſ Aberglauben , und der ganze
.
3

Zeit
28

3. Verdanken wir ihnen eine vollſtändige


Sammlung der analytiſchen Grundſätze, der
Regeln des Denkens , und der Formen der
· Vernunftſchlüſſe , jedoch ohne ein allgemei
nes Princip derſelben ,

4. Lehren ſie uns die Antinomie der Ver


nunft über die Idee eines Univerſums, ſobald
man dieſe Idee für etwas wirkliches , auſer
halb der Vorſtellung Vorhandenes annimmt.
Daher die Behauptung des Einen Theils , von
dem Niclitanfange , des andern , von deir
1
Anfange des All. Sie haben uns hier alle
der Vernunft denkbare Wege gezeigt, die
bey dieſer ganzen Unterſuchung offen ſtehen.
Die Welt iſt, ſo wie fie jezt iſt, der Mate
rie und Form nach von Ewigkeit her gewe
fen : fie iſt der Form nach nicht ewig , ſon
dern entſtanden , aus einfachen Urſtoffen,
aus äbnlichen Theilchen , aus den Elementen ,
durch Entwikelung , natürliches Wachsthum ,
Zuſaminenſtofs , Verwandlung, Bildung von
einem unterſchiednen höhern Weſen . Dieſe

einzelnen Vorſtellungen erſchöpfen das, was


ch , aus jenem Gehchtspuncte über dieſs
Problem erdenken läſst. Eben ſo haben Sie
für
28 29

3. Verdanken wir ihnen eine vollſtändige für die Frage über die Begränzung der Welt
Sammlung der analytiſchen Grundſätze, der in Rauin und Zeit , über Beweglichkeit,
Regeln des Denkens , und der Formen der Dauer, und Endlichkeit oder Unendlichkeit
Vernunftſchlüſſe , jedoch ohne ein allgemei. faſt alle Hypotheſen durchverſucht.
nes Princip derſelben.
5. Der phyficotheologiſche Beweiſs und
Lehren he uns die Antinomie der Ver einige Züge zu dem cosmologiſchen für das
nunft über die Idee eines Univerſums, ſobald Daſeyn und die Vorſehung Gottes.
man dieſe Idee für etwas wirkliches, auſer.
halb der Vorſtellung Vorhandenes annimmt. 6. Einige Verſuche, das Uebel in der

Daher die Behauptung des Einen Theils, von Welt zu erklären , aus den materiellen Bee
dem Nichitanfange , des andern , von dem ſtandtheilen des All , und der nothwendigen
Anfange des An. Sie haben uns hier alle Einſchränkung und Unvollkommenheit der
Weſen .
der Vernunft denkbare Wege gezeigt, die
bey dieſer ganzen Unterſuchung often ſtehen.
Die Welt iſt, ſo sie fie jezt iſt, der Mate “ 7. Bemerkungen über grobe Körperlich
rie und Form nach von Ewigkeit her gewes keit und Unkörperlichkeit der Seele. ( Die
len : he iſt der Form nach nicht ewig, for neueren Begriffe von Einfach und Materiell
dern entſtanden , aus einfachen Urloffer find hier noch nicht.) Verſchiedene Träume
aus ähnlichen Theilchen , aus den Elementen über ihren Urſprung, Wohnhtz , und ihre
Geſtalt.
durch Entwikelung, natürliches Wachsthan
Zulaminenſtols, Verwandlung, Bildung von
einem unterſchiednen höhern Weſen. Dieſe * 8. Beweiſe für die Freyheit des Willens,
einzelnen Vorſtellungen erſchöpfen das, was und deſſen Unabhängigkeit von äuſern und
vorhergehenden Urſachen . Behauptung der
hich, aus jenem Gefichtspuncte über diels
Problem erdenken läſst. Eben ſo haben fie ? Dependenz des Willens vom Schikſal und
für einer
30

einer allgemeinen Nothwendigkeit. Mittelweg


zwiſchen beydem durch die Annahme bey
tretender , aber nicht wirkender hervorbrin
gender Urſachen der Handlungen.
9. Gründe für die Forrdauer der menſche
lichen Seele , aus dem Begriffe der Seele,
als eines in fich ſelbſt lebendigen und bewege
Jichen Weſens, aus ihrer Verwandſchaft mit
einem allgemeinen göttlichen Weltgeiſte, aus
den vielen Anlagen und Kräften derſelben,
und ihrem Vorſtreben in die Zukunft. Die
Uebereinſtiminung der meiſten Menſchen über
dieſe Lehre , ſo wie über die Exiſtenz Gottes.
1

10. Vier Principien der Moral , körperli


ches Vergnügen , geiſtiges Wohlbefinden , bey.
des zuſammen Glükſeeligkeit , und innere
Vollkommenheit ohne Rükſicht auf Glükleelig.
keit. Trefliche Ideen über die menſch
lichen Triebe und Leidenſchaften , ihre Aus
artung , ihre Mäſsigung und Leitung, über
das Sittlichgute überhaupt , über die beſondern
Tugenden , und andere moraliſche Begriffe.
11. Zweifel gegen alle and jede dogmati
ſche Behauptungen .

Und
30 31

einer allgemeinen Nothwendigkeit. Mittelweg Und wie hat nun die neuere Philoſophie
zwiſchen beydem durch die Annahme bey mit dieſen ererbten Ideen gewuchert ? ina
tretender, aber nicht wirkender hervorbriz wiefern bat he dieſelben ergänzt,, verbeſſert,
gender Urſachen der Handlungen. geändert , vermehrt ? Iſt hie der lang geſuch
Gründe für die Fortdauer der menſch ten Wahrheit näher gekommen ? Diefe
9. Fragen gründlich und allgenügend zu beant
lichen Seele , aus dem Begriffe der Seele,
worten , iſt über meine Kräfte : ich kann
als eines in fich ſelbſt lebendigen und bewegi
Ichen Weſens , aus ihrer Verwandſchaft mit nur einige Ideen zu einer vollſtändigern Be
antwortung beytragen.
einem allgemeinen göttlichen Weltgeiſte, aus
den vielen Anlagen und Kräften derſelben,
und ihrem Vorſtreben in die Zukunft. Die Anfänglich ſchien die neuere Philoſophie
die Bahn der alten gänzlich verlaſſen zu wol
Lebereinſtiminung der meiſten Menſchen über len. Die Naturlehre und ihre Theile waren
dieſe Lehre, ſo wie über die Exiſtenz Gottes
durch Beobachtungen ſehr anſehnlich berei
10. Vier Principien der Moral, körperlis chert worden : diefs veranlaſste zu der Probe :
shes Vergnügen, geiſtiges Wohlbefinden, beya ob nicht auch in dem Reiche der Philoſophie
des zuſainmen Glükſeeligkeit, und innere durch bloſse Erfahrung und Beobachtung
it ohne Rükſicht auf Glükleelig
Valikommenhe wichtige Entdekungen zu machen wären.
keit. Trefliche Ideen über die menſch. Der þekannte Baco war es , der einen allge
lichen Triebe und Leidenſchaften , ihre Au meinen Plan dieſes Verfahrens entwarf. Aber .
artung , ihre Mäſsigung und Leitung, über dieſer Plan , fo mangelhaft er auch immer
das Sittlichgute überhaupt, über die beſondere aſt, war doch für den ſchwachen Menſchen
Tugenden , und andere moraliſche Begriffe. zu groſs, und würde in jeder Rükſicht für
mehrere Menſchenalter kaum auszuführen
11. Zweifel gegen alle and jede dogmazó
ſeyn : überall aber würde man mitten auf
n
(che Behauptunge . dem Wege der Beobachtungen und Verſuche
Und ſehr
32

ſehr oft von dem Mangel feſter und leitender


Principien aufgehalten werden. Gott, die
Natur und der Menſch , find die Gegenſtände
der Philoſophie. Die Philoſophie der Natur
iſt theoretiſch , Phyfik und Metaphyfik , und
practiſch , Mechanik und Magie. Die Philo .
ſophie des Menſchen betrachtet ihn als bloſsen
Menſchen und als Mitglied der Geſellſchaft.
Die Ontologie iſt das Inventarium der allge
meinen Grundſätze der geſunden Vernunſt.
Uebrigens findet, Arzneykunde , Athletik ,
Malerey , Taſchenſpielkunſt ſo gut, wie Ma
thematik , einen Platz in der Philoſophie.
Wie viel auch Baco durch einzelne ſcharf
finnige Ideen ſonſt genuzt haben mag : fo

viel iſt gewils, daſs er der Philoſophie ſelbſt


durch ſeinen Entwurf keinen weſentlichen
Nutzen . verſchaft hat.

Ein alter Weiſer ſagte einſt: Im Zweifek


liegt etwas Göttliches. Niemand hat wohl
die Wahrheit dieſes Satzes inniger und leben
diger gefühlt, als des Cartes, der im Zweia
feln die Ueberzeugung fand , daſs er denke
und ſey , Für manche Menſchen giebt es
keinen ſtärkern Beweils von der Unſterblich
keit
33

ſehr oft von dem Mangel feſter und leitender keit der Seele , als den , daſs ſie im Stande
Principien aufgehalten werden . Gott; die : find , an dieſer Unſterblichkeit zu zweifeln .
Natur und der Menſch , find die Gegenſtände Da hebt fich gleichſam das Groſse und Gött
der Philoſophie. Die Philoſophie der Natur liche und Ewige ihres Geiſtes hervor , und
ilt theoretiſch , Phyhk und Metaphyfik, und findet in ſeinem Vermögen zu zweifeln, das
Recht zu hoffen . So Cartes , wenn er
practiſch , Mechanik und Magie. Die Philo.
Sophie des Menſchen betrachtet ihn als blolsen in dem Bewuſstſeyn , daſs er zweifeln könne,
Menſchen und als Mitglied der Geſellſchaft die volle Ueberzeugung fand , daſs er ſey.
Aber durch einen leicht zu erklärenden Irr.
Die Ontologie iſt das Inventarium der allge
thum nahm er das , was eigentlich nur Eine
meinen Grundſätze der geſunden Vernualu Vorſtellung iſt , für zwey , für Grund und
L'ebrigens findet, Arzneykunde, Athletik,
Folge , und anſtatt nur zu ſagen : Ich bin
Malerey, Taſchenſpielkunſt ſo gut, wie Mas
denkend , ſchloſs er : ich denke , alſo bin
thematik , einen Platz in der Philoſophie
Wie viel auch Baco durch einzelne ſcharfe ich. Indem er aber in eben dieſem Zweifeln
6
auch zugleich ſeine Unvollkommenheit fühlte,
haben mag: ſchloſs er auf ein vollkommenſtes Weſen :
finnige Ideen ſonſt genuzt
viel iſt gewiſs, daſs er der Philoſophie ſelbſt ein Schluſs , der ihn ſelbſt ſo ſehr über
durch ſeinen Entwurf keinen weſentlichen
raſchte , daſs er fich anzunehmen genöthigt
Nutzen verſchaft hat. fand , er ſey ihm von eben dieſem vollkoin
menſten Welen mitgetheilt. Wenn dieſes
Ein alter Weiſer ſagte einſt: Im Zweifel Weſen alle Vollkommenheit in fich vereinige,
liegt etwas Göttliches. Niemand hat wohl
So müſſe es nothwendig Exiſtenz, als die
die Wahrheit dieſes Satzes inniger und leben erſte Realität , haben : müſſe folglich auch
diger gefühlt, als des Cartes, der in Zwei
ng die Quelle aller Wahrheit , das Princip
feln die Veberzeugu fand , daſs er denke aller Philoſophie ſeyn . Dieſs iſt die Grund
und ler. Für manche Menſchen giebt es lage des Carteſaniſchen Syſtems: ein Satz
keinen härkern Beweils von der Unſterblich als
keit
34
als Princip aller Evidenz , der ſelbſt noch
groſser Beweiſe bedarf. Es braucht nicht
erinnert zu werden , wie wenig die Philo.
ſophie bey dieſem Syſteme gewonnen hat.
Wenn wir die Gelegenheit zu Entwikelung
mancher Begriffe in der folgenden Zeit , die
Aufregung und Beſchäftigung denkender Män
ner , wozu die damaligen Streitigkeiten ver
anlaſten , hinwegrechnen, fo bleibt weiter
nichts in Anſchlag zu bringen übrig. Cartes
,
der Text aller Philoſophie iſt , die Frage :
wo und was iſt Wahrheit ? wenig befriedi
gend : Wahrheit iſt in Gott , und alle Erkennta,
niffe , die ſich aus den Begriffe von Gott aba
leiten laſſen , find Wahrheit.

Spinoza glaubte die Beantwortung dieſer


Frage in dein Weſen der Vernunft gefunden
zu haben . Es war die in der Vernunft
gegründete Idee des Unbedingten und Höchſt
vollendeten , worin er den Zuſainmenhang
alles Erkennbaren und Denkbaren antraf:
und ſo wie jene Idee eine einzige Allheit
aller Mannigfaltigkeiten iſt ; lo ſah er auch
den Inbegrif aller erkennbaren und denkba.
ren
35
34
a's Princip aller Evidenz , der ſelbſt noch ren Weſen nur als Ein All , welches in fich
groſser Beweiſe bedarf. — Es braucht nicht Ielbſt vollendet, ewig , und mächtig iſt,
erinnert zu werden , wie wenig die Philo. mit zwey unendlichen Attributen , Ausdeh ,
ſophie bey dieſem Syſteme gewonnen hat. nung und Denkkraft verſehen , Welt und
Wenn wir die Gelegenheit zu Entwikelung Gott , Alles und Eins.
mancher Begriffe in der folgenden Zeit, die Mit dieſen Verſuchen wurde die allgemeine
Aufregung und Beſchäftigung denkender Män Philoſophie um nichts weiter gebracht : denn es
per , wozu die damaligen Streitigkeiten vero ſind nur Ideen , aus der Mitte herausgegriffen ,
anlaſten, hinwegrechnen, ſo bleibt weier ohne Vorgang derjenigen Unterſuchung, wel.
nichts in Anſchlag zu bringen übrig. Cartes che allein ein Syſtem ficher begründen kann,
beantwortete alſo die groſse Frage, welche der Unterſuchung nach den Gründen und Prin
der Text aller Philoſophie iſt, die Frage: cipien der menſchlichen Erkenntnis. Keiner
wo und was iſt Wahrheit ? wenig befriedis dieſer Philofophen und ihrer Nachfolger hat
gend: Wahrheit iſt in Gott, und alle Erkend i ſich die Frage: was Erkenntnis ſey, und wor. 與

nilje, die fich aus dem Begriffe von Gott ala auf fie beruhe, im Ernſte vorgelegt: und ſo
viel auch z. B. Cartes von Gewiſsheit und
leiten lajen, find Wahrheit.
Evidenz ' redet , ſo iſt es ihm doch nicht ein ,
Spinoza glaubte die Beantwortung diele gefallen , dieſe Begriffe zu beſtimmen . Tie .

Trage in dein Weſen der Vernunft gefunden fer griffen einige Moraliſten in dieſe Unterſu .
Es war die in der Vernunft chung ein , wie Hobbes , deſſen Syſtem auf,
gzeugrhüanbdeent.e Idee des Unbedingten und Höchs einer Deduction der Quellen aller menſchli.
n
vollendete , worin er den Zulainmenhang chen Erkenntnis beruht ; und wenn er gleich
n re n
alles Erkennba und Denkbare antral durch die Annahme bloſs finnlicher Erkennt
und lo trie jene Ideen eine einzige Alheit nis zu einſeitig verfuhr, fo machte er doch
e
eit
aller Mannigfaltigk iſt; elno ſah er auch, einige Denker auf dieſen Punct aufmerkſam ,
den Inb egrif er ennbar
all erk ów
und denk Jezt wurde der Grund zu einer pbiloſophie
ren fchen

1
36

fchen Wiſſenſchaft gelegt, welche ſich die


Alten nie als abgeſondert gedacht oder worü.
ber fie vielmehr gar nicht reflectirt hatten,
zum Naturrechte. Die Speculation der erſten
Entdeker deſſelben fiel natürlich auf die äuſern
Verhältniſſe des Menſchen , welche die Erfah
tung darbiethet, und äufre Sittlichkeit wurde
als die Quelle aller Rechte angeſehen . Indeſſen
geſchah doch bald Anfangs ſo viel , daſs ſelbſt
das Gebieth der Moral beträchtlich erweitert
wurde.

Den erſten Schritt zu einer nähern Kritik


der menſchlichen Erkenntnis that Locke. Die
fer ſcharflinnige Denker ſah es bald , daſs
von einer Unterſuchung des Urſprungs und
der Gewiſsheit unfrer Vorſtellungen aļle wahre
Philoſophie ausgehen müſſe : er zerlegte da
her alle unſre abſtracten Begriffe in ihre lez
ten Beſtandtheile, und fand dieſe in der
Erfahrung. Die Wahrnehmung der durch
äufere und innere Empfindung gegebenen Ges
genſtände iſt der Stoff aller Vorſtellungen,
felbft der fogenannten Verſtandesvorſtellun
gen , und wenn wir dieſe bis auf die. lezten
empiriſchen Wahrnehmungen aufgelöſt haben ;
ro
- 36 37
ſchen Wiſſenſchaft gelegt, welche ſich die fo haben wir zugleich das Kriterium ihrer
Alten nie als abgeſondert gedacht oder worü: Gewiſsheit gefunden. Es beſteht in den
ber hie vielmehr gar nicht reflectirt hatten Einfachen , welches sich in keine Vorſtellun
zum Naturrechte. Die Speculation der erſten gen weiter zerlegen läſst.
E::deher deneben hel natürlich auf die äulere
Verhältnille des Menſchen , welche die Erlalu Allein abgerechnet, dafs kein Menſch
tang darbiethet , und äufre Sittlichkeit wurde Г bey, einer ſolchen Auflöſung gefichert iſt, ob
fienun wirklich zu Ende gebracht und ob
als die Quelle aller Rechte angeſehen. Indellen
geſchah doch bald Anfangs ſo viel, daſs ſelba es' für alle Menſchen ganz unmöglich ſey;
das Gebieth der Moral beträchtlich erweitert he noch weiter zu verfolgen , fo ſcheinen
doch ſelbſt die Vorſtellungen von Kräften
und Handlungen der Seele, und die bekann
wurde.
Den erſten Schritt zu einer nähern Kritik ten Vernunftideen , nichts weniger , als aus
en
der inenſchlich Erkenntnis that Lacke. Die finnlicher Wahrnehmung entſtanden zu feyn.
e
fer ſcharfſinnig Denker ſah es bald, daſs Das war es auch , was ein anderer Philoſoph
der Lockiſchen Hypothefe entgegen ſtellte.
ron einer Untei lachung des Urſprungs und
n Leibnitz nemlich nahm dieſe ganze Materie
der Gewiſsheit unfrer Vorſtellunge alle wahre von neuem vor, und , da ihn die Entwik .
Philoſophie ausgehen mülle : er zerlegte dai
her alle unſre abſtracten Begriffe in ihre leza ; lung des denkenden Engländers nicht befrie .
le
ten Beſtandthei , und fand dieſe in der digte ,, bemühte er ſich , den Gründen der
ng Erkenntnis tiefer nachzuforſchen , i- 'Auch er
Erfahrung Die Wahrnehmu der durch
anatomirte die menſchlichen Vorſtellungen bis
fulere und innere Emphndung gegebenen Ger
genfände ilt der Stoll' aller Vorſtellungen auf ihr leztes einfaches Weſen , und erklärte
tellar nun diejenigen , die nicht weiter zufammen
kelft der ſogenannten Verſtandesvorſ
gen , und wenn wir dieſe bis auf die Jezten gelezt waren , für angebohren , und eben
ngen aufgelölt haben; darum für nothwendig und allgemein. Die +

empiriſchen Wahrnehmu C 3 For


lo

1
!
38

Formel, unter welcher er dieſe Nothwen


digkeit und Allgemeinheit aufſtellte, war der
bekannte Satz des Widerſpruchs. Mit die
ſem verband er das Princip des zureichenden
Grundes , womit er der natürlichen Theo
logie einen ſyſtematiſchern Zuſammenhang
gab . Indem fich ihm dabey das groſse Pro
blem der Welt von neuem aufdrängte , yer
ſuchte er auch hier eine Deutung, die ſei
nen übrigen Vorausſetzungen angemeſſen war.
In allem Zuſammengefezten erblikte er ge
wiſſe einfache Elemente , welche als Théile
Eines groſsen Ganzen , ein jedes für fich,
das Ganze ſelbſt enthalten . Da in dem All
durchaus Zuſammenhang gedacht werden
muſs, ſo muſs jedes einfache Element des
All, jede Monade , dieſen Zuſammenhang
darſtellen : das vollkommenſte Weſen erblikt ,
alſo in jeder einzelnen Monade die ganze
Welt. Wie nun aber aus dieſen Elementen
die Erſcheinungen der Körperwelt entItehen,
darüber wagte Leibnitz keine Vermuthung.
Zuſammenhang war die groſse Idee , welche
er überall ſuchte , wie in den Abſichten und
Zweken des Univerfums, fo in den Theilen
des menſchlichen Weſens, und wenn er,
um
38 39
Formel, unter welcher er dieſe Nothwen um den leztern zu erklären , zu einer von

digkeit und Allgemeinheit aufſtellte, war der Gott fchon von Ewigkeit her gemachten Ein
bekannte Satz des Widerſpruchs. Mit dies richtung ſeine Zuflucht nahm , fo hat er
ſem verband er das Princip des zureichenden uns durch dieſe Hypotheſe ſtillfehweigend
Grundes, womit er der natürlichen Theo daran erinnert , daſs fich über Gegenſtände
logie einen ſyſtematiſchern Zuſammenhang - dieſer Art von Menſchen nichts ausmachen
gab. Indem fch ihm dabey das groſse Pro und beſtimmen laſfe. Unleugbar iſt es , daſs
ver Leibniz und fein groſser Nachfolger Wolf
blem der Welt von neuem aufdrängte,
ſuchte er auch hier eine Deutung, die feis mehr , als alle die vorhergehenden Philofo
nen übrigen Vorausſetzungen angemeſſen war. phen , einer eigentlich wiſſenſchaftlichen Phi.
lofophie vorgearbeitet haben . Durch den
In allem Zuſammengeſezten erblikte er fer
wille einfache Elemente, welche als Theile leztern bekamen alle Theile der Philoſophie
Eines groſsen Ganzen , ein jedes für Fraky eine Planmäſsige Verbindung , welche auf
das Ganze ſelbſt enthalten. Da in dem Al zwey Grundſätze zurükgeführt, unerſchüt
terlich beſtehen müfte , wenn dieſe Principien
durchaus Zuſammenhang gedacht werden
!

muſs, ſo muſs jedes einfache Element des ſelbſt vollkommen zulänglich wären , d. h .
All, jede Monade, dieſen Zuſammenhang wenn der Satz des Widerſprạchs wirklich +

darſtellen : das vollkommenſte Weſen erbliku unſer Erkennen , und nicht bloſs unſer Den
alſo in jeder einzelnen Monade die gange ken , begründete , und wenn der Satz der
Wie nun aber aus dieſen Elementen Cauſſalität ſich eben ſo gut auf alle denkba .
en
dWeieltE.rſcheinung der Körperwelt entlehem ren Gegenſtände ausdehnen lieſse , wie er
darüber wagte Leibnitz keine Vermuthun von den Objecten der Erfahrungserkenntnis gilt.
ang 1.

Zuſammenh war die groſse Idee, welche Die allgemeine practiſche Philofophie fand
4

er überall ſuchte , wie in den Absichten und nicht weniger ſcharfſinnige Bearbeiter , als
s Auf verſchiednen Wegen
Zweken des Univerſum , ſo in den Theiler die theoretiſche,
hen elens und wenn es ſuchten dieſelben ein feftes und ficheres Prin
des menſchlic W ,
C4 cip
40

cip zu finden , worauf ſich die ganze Wif


ſenſchaft von den PAichten und Rechten des
Menſchen gründen lieſse. Hutcheſon glaubte
daſſelbe in einem angebohrnen Gefühle für
das Sittliche , Search in einem natürlichen
Egoismus , · und Wolf in dem Streben nach
Vollkommenheit zu entdeken. Der Grund
aller Moralität, die Freyheit , wurde bey
dieſen Unterſuchungen nicht übergangen ; fię
wurde vertheidigt und beſtritten . Gänzliche
Unabhängigkeit des Menſchen von allen,
oder doch von den äuſern Beſtimmungs
gründen ſeiner Handlungen , und Dependenz
deſſelben von einem allgemeinen Zuſammen .
hange der Dinge , oder von der Einrichtung
desjenigen , der dieſen Zulanmenhang von
je und je geordnet und beſtimmt hatte,
find die Hauptpuncte der verſchiednen Mey.
nungen . Eben ſo getheilt waren die Philo:
ſophen über das Weſen der Seele. Seitdem
Cartes den Begriff der Einfachheit beſtimm .
ter ausgedrükt hatte , waren die Syſtema
des Immaterialismus und Materialismus be
ſtimmter abgeſondert worden : der leztere
ward insbeſondere von einigen Phyſiologer
aufs eifrigſte unterſtüzt.
Wolf
41

cip zu finden , worauf fich die ganze Wit Wolf unternahm die Aufſtellung einer
finſchaft von den Pflichten und Rechten des Metaphyfik , in welcher nicht nur die all
Venſchen gründen lieſse. Hutcheſon glaubte gemeinen Prädicate denkbarer Gegenſtände
daſe be in einem angebohrnen Gefühle für in Zufammenhange entwikelt , ſondern auch
das Sindliche , Search in einem natürlichen aus denſelben die Prädicate befondrer Ge.
Egoismus, und Wolf in dem Streben nach dankendinge , der Begriffe von Seele, Welt
Vollkommenheit zu entdeken. Der Grund und Gott hergeleitet und in willenſchaftli
cher Form abgehandelt find . Indem dieſer
aber Moralität, die Freyheit , wurde bey
dieſen Unterſuchungen nicht übergangen; hie Philoſoph aber nach dem vorausgeſchikten
wurde vertheidigt und beſtritten. Gänzliche Principe Denken mit Erkennen verwechſelte,
L'nalhángigkeit des Menſchen von allen glaubte er eine Wiſſenſchaft des Ueberhinn.
lichen zu liefern , welche von dieſen Ge.
oder doch von den äuſern Beſtimmung
genſtänden etwas zu erkennen gäbe ,
ſtatt
gründen ſeiner Handlungen , und Dependenz
delieben von einem allgemeinen Zuſammen, daſs er eigentlich nur eine Entwiklung ab
ſtracter Begriffe , eine Zergliederung der
hange der Dinge, oder von der Einrichtung
Vorſtellungen von blos denkbaren Objecten
derjenigen , der dieſen Zulanmenhang ran
geliefert hat. Uebrigens haben wir die.
je und je geordnet und beſtimmt hatte
ſem Manne das erſte allgemeine Syſtem der
had die Hauptpuncte der verſchiednen Meso
nungen. Eben lo getheilt waren die Philo Philoſophie zu verdanken , worinnen alle

ſophen über das Weſen der Seele. Seitdem Probleme der Vernunft aufgeſtellt , und , nach
t ſeiner Anſicht, unterſucht sind. Durch ihn
” der Einfachhei belumn
kt wurden in der Folge mehrere Denker veran
tCear teasusdgendrüBegrifhaftte , waren die Syltem
des Immaterialismus und Materialismus ben , laſst , die Philoſophie auf Gegenſtände anzu
rt wenden , welche bis dahin noch wenig phi
ſtimmter abgeſonde worden : der leztera
er e loſophiſch behandelt waren , wie die Theo ...
ward insbeſond ron einigen Phyhologer rie der ſchönen Künſte , die Theorie der
C5 Em .
aufs cifriglie unterſtüzt.
Empfindungen , und die natürliche Religion.
Mit Wolfens ſtreng ſyſtematiſcher Methode
wuſten einige die leichtere Beobachtungsme
thode zu verbinden , und verbreiteten dadurch
ſeine Grundſätze allgemeiner : wiewohl Man
che zu weit hierinn giengen und über der
Bemühung leicht und verſtändlich zu philoſo
phieren die Gründlichkeit und Beſtimmtheit
vernachlaffigten. Andere gab es , welche
von Wolfens Grundſätzen völlig abwichen,
und in einer willkührlichen Erläuterung der
Spinoziſchen Ideen die Veranlaſſung zu einem
ſupernaturaliſtiſchen Syſteme fanden , in wel
chem alles Erkennen auf bloſsen Glauben,
und deſſen Erkenntnisquelle auf höhere Offen
barung zurükgeführt wurde.

Die neuere Philoſophie kann ein Syſtem


aufſtellen , welches in dieſer Allgemeinheit
bis dahin noch nicht vorgekommen war. Der
Berkleyfche Idealismus leugnete die Wirklich
keit aller Erſcheinungen und erklärte fie für
bloffe Vorſtellungen des anſchauenden Subjects,
welches ebenfalls in dem , was an ihm Er
ſcheinung iſt, unter die bloſſen Vorſtellan
gen gehört.
Da
43
42
Empfindungen , und die natürliche Religion. Da jedoch ein allgemeiner Idealismus um
Mie Wollens ſtreng ſyſtematiſcher Methode des Unnatürlichen willen , was ihm eigen
wufen einige die leichtere Beobachtungsme iſt, nicht leicht Eingang findet; ſo war von
thode zu verbinden , und verbreiteten dadurch dieſem Syſteme viel weniger zu fürchten ,
ſeine Grundſätze allgemeiner: wiewohl Mar al's von dem Humifchen Scepticisinus. Weit
che zu weit hierinn giengen und über der eingänglicher iſt die Behauptung des leztern,
Bemühung leicht und verſtändlich zu philolo daſs alle unſre Principien und Geſetze nichts
plieren die Gründlichkeit und Beſtimmtheit weiter , als Beobachtungen aus einzelnen
Andere gab es, welche Erfahrungen ſind , und eben deshalb keine
von Wolfens Grundſätzen völlig abwichen Nothwendigkeit und allgemeine Gewiſsheit
und in einer willkührlichen Erläuterungder enthalten , und eben deshalb keine philofo
Spinoziſchen Ideen die Veranlaſſung zu einem phiſche Wiſſenſchaft geben oder begründen
ſupernaturaliſtiſchen Syſteme fanden, in wel können . Die Einwendungen dagegen , wel
chein a ?les Erkennen auf bloſsen Glauber che aus den Urtheilen des gemeinen Menſchen
verſtandes hergenommen wurden , waren
und deſſen Erkenntnisquelle auf höhere Ofer
rt offenbar nicht treffend , und verfehlten das
barung zurükgefüh wurde. Ziel. Hume erſchütterte die Gewiſsheit der

Die neuere Philoſophie kann ein Sylen menſchlichen Erkenntnis gänzlich , indem
er die Grundſätze , worauf fie ruht , für
muffiellen , welches in dieſer Allgemeinbeit
en
bis dahin noch nicht vorgekomm war. Der bloſs zufällige Bemerkungen erklärte , wel
h e s
Berklerſc Idealismu leugnete die Wirklich che auf die bloſs zufällige Erfahrung. aber
gen weiter nicht , anwendbar wären . Keines
keit aller Erſcheinun und erklärte he fi
en n der vorhandenen Syſteme konnte ihn wi
blolle Vorſtellung des anſchauende Subject
was an ihm Et derlegen , weil fie alle von eben den Grund
s ls
ſwcehlecihneungebileni,fal untienr ddeime ,blollen Vorſtellur fätzen ausgiengen , welche er als unzuläng
lich dargethan hatte.
Diels
Do
gen gehört.
44
Diefs veranlaſte eine der wichtigſten Un
terſuchungen , welche je von einem Philo .
Sophen geſchehen iſt. Kant zergliederte das
geſammte menſchliche Erkenntnisvermögen ;
forſchte nach , wieviel von unſern Erkennte
niſſen dieſem Vermögen , und wieviel den
Gegenſtänden zugehört ; entdekte die allge
meinen in der Natur unſers Weſens gegrün.
deten Geſetze und Wirkungsarten von jenen,
und die allgemeinen auf unſre Natur zu be.
ziehenden Verhältniſſe 'von dieſen ; und fand
in dem Weſen des Gemüths ſelbſt die Grena
zen unſers Wiſſens : die Grundſätze unſers
Denkens und Erkennens : die Principien
unſers Handelns und Hoffens. Die allgemei.
nern Prämiſfen dieſer kritiſchen Unterſuchun.
gen verſuchte Reinhold in einem ſyſtematiſchen
Zuſammenhange aufzuſtellen und es iſt zu
hoffen , daſs die Philoſophie in allen ihren
Theilen endlich einmahl eine feſte Wiſſen .
ſchaft werden müſſe , die nicht jedem Anlaufe
eines flüchtigen Einfalls oder Zweifels Preifs
gegeben iſt.

Wieviel übrigens in den neuern Zeiten


die practiſchen Theile der Philoſophie, Natur
recht,
45
- 44
Diels veranlaſte eine der wichtigſten Vuu recht, Moral, beobachtende Seelenlehre u.
merſuchungen , welche je von einem Philo a . durch Philoſophen , wie Mendelsſohn , Lef
fing , Reimarus ,' Garve , Plattner , Eber
. Kant zergliederte das
Suphen geſchehen iſt hard , Meiners , Feder , " Engel , Ulrich , und
geſammte menſchliche Erkenntnisvermögen;
forſchte nach , wieviel von unſern Erkeunta durch die Anwendungen der Kantiſchen Ideen
willen dieſem Vermögen , und wieviel den von Hufeland , Iacob , Schmidt u. a. gewon
Gegenſtänden zugehört; entdekte die alge nen haben , kann hier nicht im Detail aus
meinen in der Natur unſers Weſens gegrün geführt werden ,
delen Geſetze und Wirkungsarten von jenen,
>

Vielleicht ſteht folgender Verſuch einer


und die allgemeinen auf unſre Natur zu beu tabellariſchen Ueberficht der vornehmſten phi
ziehenden Verhältniſſe von dieſen ; und fand loſophiſchen Meynungen aus den neuern Zei
in dem Weſen des Gemüths ſelbſt die Grer ten hier nicht am unrechten Orte.
zen unſers Wiſſens: die Grundſätze unfer
Denkens und Erkennens: die Prince
1. Speculative Philoſophie.
unſers Handelns und Hoffens. Die allgeunin
nern Pramillen dieſer kritiſchen Unterſuchun Quellen und Gewiſsheit der menſchlichen
gen verſuchte Reinhold in einem ſyſtematiſchen Erkenntnis.

Zuſammenhange aufzuſtellen und es iſt za Erfahrung allein . Baco. Hobbes. Locke.


Vernunft allein . Berkley.
hoffen, daſs die Philoſophie in allen ihres
Theilen endlich einmahl eine felte Willen Erfahrung der undeutlichen , Vernunft der
deutlichen. Wolf.
ſchaft werden mülle, die nicht jedem Anladi
eines flüchtigen Einfalls oder Zweifels Preis Angebohrne Begriffe. Cartes. Leibniz.
Alle dieſe behaupten Gewiſsheit der Er
gegeben ilt. kenntnis , Hume leugnet fie. Die Superna.
Wieriel übrigens in den neuern Zeiten turaliſten kennen nur Glauben .
die practiſchen Theile der Philoſophie, Natur Uin .
recht
46

Uinfang derſelben.
Die Erfahrungserkenntnis verbreitet ſich durch
Fortſchlüſſe auf nicht empiriſche Gegen
ſtände. Locke.
Die Vernunfterkenntniſs umfaſt blofs über
finnliche Gegenſtände. Berkley .
Die Vernunft macht die Sinnenerkenntnis
deutlicher , und hat Objecte der Erkennt
niis , welche über das Sinnliche hinaus
gehn . Wolf.
Die Erkenntnis , welche von angebohrnen
Begriffen ausgeht, erhebt lich über die
Erfahrung Cartes . Leibniz .
Keine Erkenn tnis erſtrek t ſich über das Er
fahrungsgebieth. Hume,

Erkenntnisgrund .
Das lezte Einfache der Wahrnehmungeri.
Locke.
Die Ordnung und der Zuſammenhang im
Denken. Berkley
Der Satz des Widerſpruchs, und des zurei
chenden Grundes. Leibniz , Wolf.

Die Nothwendigkeit eines allervollkommen


Iten Weſensi Cartes.

Alle
· 46 47

Umfang derſelben. Alle Erkenntnis iſt zufällige Beobachtung ,


Die Erfahrungserkenntnis verbreitet fich darch giebt kein Princip. ; Hume.
Fortſchlulle auf nicht empiriſche Gegen
Metaphyfik .
bande. Locke .
Die Vernunfterkenntnils umfaſt blols über Pſychologie.
Es giebt bloſs eine Wiſſenſchaft der Beobach
fonliche Gegenſtände. Berkley.
Die Vernunft macht die Sinnenerkenntes tung über die Aeuſerungen der Seele.
Locke .
deutlicher , und hat Objecte der Erkents
nis, welche über das Sinnliche hinaus
Es giebt eine Erkenntnis a priori von dem
Weſen der Seele . Wolf.
gein . Wolf. Eine ſolche iſt nicht möglich . Hume.
Die Erkenntnis, welche von angebohrne Die Seele iſt ein einfaches Weſen. Cartes .
1

Begritien ausgeht , erhebt ſich über die Leibniz. · Wolf. Reimarus . Mendelsſohn .
Erfahrung. Cartes. Leibniz. Sie iſt materiell. Search . Helvetius. Co
Keine Erkenntnis erſtrekt ſich über das in
ward. Bonnet .
fahrungsgebieth. Hume. Beweiſe aus der Einfachheit für die Unſterb .
lichkeit der Seele. Die genannten Denker,
Erkenntnisgrund. Aus den Trieben und Anlagen der Seele.
Das lezte Einfache der Wahrnehmunget Mendelsſohn .
Aus dem Begriffe der Tugend . Garve.
Locke. Aus dem allgemeinen Fortſchritte in der Na
Die Ordnung und der Zuſammenhang w
tur . Herder.
Denken. Berkley.
Der Satz des Widerſpruchs, und des zuzer Die Seelen find immer geweſen , in den Saa.
chenden Grundes Leibniz. Wolf. menthierchen . Leibniz .
Die Nothwendigkeit eines allervollkomme Sie werden fortgepflanzt. J. Tliomalius.
Sennert.
ſten Weſens. Cartes.
Sie
48

Sie werden jedesmahl erſchaffen .


Die Seele ſteht mit dem Körper in Verbin.
dung , durch wechfelſeitigen Einfluſs;
und zwar materiellen . Cartes .
Durch unmittelbaren Einfluſs der Gottheit.
Malebranche. Sturin.
Durch ewige göttliche Vorherbeſtimmung der
Zuſammenwirkung. Spinoza Leibniz.
Bilfinger. Wolf.

Cosmologie.
Ewigkeit der Welt. · Spinoza. Nothwendig .
keit.
Anfang. Wolf. Ewige Schöpfung. Zufäl
ligkeit.
Beſte Welt . Urſprung des Vebels aus der
nothwendigen Einſchränkung der Dinge.
Metaphyfiſches Uebel . Leibniz . Meier.
Bonnet.
Einfache Elemente der Dinge. Zuſammen

gelezte.
Begränztheit der Welt im Raume. Unbe .

gränztheit.
Endlichkeit der Welt. Unendlichkeit.

Theo
C
- 48 49
Sie werden jedesmahl erſchaffen . Theologie. :?
Die Seele ſieht mit dem Körper in Verbin. Beweiſs der Exiſtenz Gottes aus dein Begriffe
dung, durch wechſelſeitigen Einflus; eines allervollkommenften Wefens.' Car
‫ܕ‬

und zwar materiellen . Cartes . tes. Malebranche. Leibniz .“ Verändert


Durch unmittelbaren Einfluſs der Gottheit von Mendelsſohn. Sulzer.

Malebranche. Sturm . Aus der Zufälligkeit der Welt. Leibniz .


Durch ewige göttliche Vorherbeſtimmung der Wolf. Bonnet. Reinarus. Mendelsſohn .
Zuſammenwirkung. Spinoza. Leibniz. Aus der Ordnung und Schönheit der Natur.

Billinger. Wolf. Aus dem Begriffe der Tugend- und Glükſee


ligkeit ." Ĝarve .
Gott und Welt Eins.
Spinoza.
Cosmologie Regierung Gottes über die Welt , nach ewi
Ewigkeit der Welt . Spinoza. Nothwendiga gen Geſetzen. Leibniz . Wolf.
Vorſehung Gottes durch unmittelbare Ausbel
Anfakenitg.e Wolf. Ewige Schöpfung. Zulä.
ſerung von Zeit zu Zeit. Newton. Clarke.
der Zweifel gegen , alle dogmatiſchen Lehren der
Belilie gkWeeiltt.. Urſprung des Vebels aus Theologie. Hume.
d i g e n nk un g
nothwen s Ei
nſchrä der Dinga Erkenntnis Gottes nur aus Offenbarung mög
Metaphyhſche Vebel. Leibniz. Meier.
lich. Supernaturaliſten .
Beweiſe für die Unſterblichkeit der Seele
heetEl. emente der Dinge. Zulaması
EinfBoacnn aus den Eigeriſchaften Gottes. Mendels
foha. Jeruſalem .
Begrgeänleztztheeit r lt ume
. de We im Ra . Undan " It '
2. Practiſche Philoſophie .
eihteit keit
Endlgircähnkzt d.er Welt. Unendlich Freyheit des Willens. "Gänzliche Unabhängig
keit von allen Beſtimmungsgründen . Daries.
There D Une
50

Unabhängigkeit von äuſeren . Leibniz , Wolf.


Nichtfreyheit. Locke. Dependenz von den
Geſetzen der Bewegung:
Von der ewigen Beſtimmung. Hobbes.

Hartley
Strenge Nothwendigkeit. Schulz .
Freyheit nicht durch Vernunft , ſondern durch
göttliches Licht.
Mittelweg zwiſchen Freyheit und Nothwen
digkeit. Baſedow . Eh
Ehl rs.. Ulrich .
leers

Grundſatz der Moral und des Naturrechtss


Beſtimmung der Geſellſchaft Erziehung -
Gewohnheit. Montaigne . Mandeville .
Hume .
Moralifches Gefühi. Hutcheſon ,
Eigenruz . Helvetius.
Wille Gottes . Cruſius.
Wolf.
Vervollkommung
Nach Kant fängt alle Erkenntnis mit der
Erfahrung an : in der Natur des Gemüths
liegt die Möglichkeit, Erfahrung zu machen.
Diejenigen Bedingungen und Geſetze in dem
Gemüthe , welche dieſe Möglichkeit enthal
ten , find die einzigen Erkenntniſſe a pripri.
Sie
50 51

C'nabhängigkeit von äuſeren. Leibniz, Wolf. Sie laſſen fich aber ihrem Weſen nach nicht
Nichtfreyheit. Locke. " Dependenz von den weiter , als auf Gegenſtände möglicher und
wirklicher Erfahrung anwenden : angewen .
Geſetzen der Bewegung.
Hobbes. det auf dieſe, geben fie Gewiſsheit. Weiter
Von der ewigen Beſtimmung.
ausgedehnt, find sie leer . Die angeführten
ngetleNoythwendigkeit. Schulz.
StreHar pſychologiſchen, cosmologiſchen und theolo
Freyheit nicht durch Vernunft, ſondern durch giſchen Darſtellungen geben alſo keine Er.
kenntnis von Gegenſtänden. Sie beziehen
göttliches Licht.
Mittelweg zwiſchen Freyheit und Nothwen fich nur auf allgemeine Vernunftbegriffe, und
. Baſedow . Ehlers. Ulrich. find leer, inſofern ſie von dieſen etwas Ob
digkei t jectiviſches ausſagen. Unſterblichkeit und
Grundſatz der Moral und des Naturalesa Exiſtenz Gottes . laſſen sich nicht beweiſen ,
ſondern find Gegenſtände eines vernünftigen
Beſtimmung der Geſellſchaft - Erziehung Glaubens : die Freyheit iſt eine nothwendige
t
Gewohnhei . Montaigne. Marderile
Vorausſetzung, aber ſie läſt fich nicht erklä
es
ren , und das Princip der Moral iſt in dem
MoraHluimſceh. Gefühl. Hutcheſon. Weſen der Vernunft gegründet , und begreift
Eigennuz. Helvetius. allo , nach der unbedingten Allgemeinheit
Cruhus. dieſes Vérinögens, die Möglichkeit einer all
Wille Gortoems.mung
Vervollk . Wolf. gemeinen Geſetzgebung.
Nach Kant fångt alle Erkenntnis mit der A

Erfahrung an : in der Natur des Gemila


F.

liegt die Möglichkeit, nErfahrung zu machez


e
Diejenigen Bedingung und Geſetzet in der
i
Geinüthe , welche dieſe Möglichke enthal
e
ten , find die einzigen Erkenntniſſ a prin
D 2 ÜBER
.
1

52
1
ü BTB

DEN EINFLUS ANDERER WISSENSCHAFTEN


UND

ÄUSERER VERHÄLTNISSE
AUF DIE PHILOSOPHIE

UND DIESER AUF JENE.

Einige Bemerkungen .

Wenn auch dasjenige, was man in den

ne ue rn Zeit en unte dem Namen Geſchichte


r
der Menſchheit verarbeitet hat , noch ſo man
gelhaft und unbeträchtlich wäre : fo würden
wir doch den Unterſuchungen dieſer Art
ſchon dafür Dank wiffen , daſs fie uns zuerſt
und nachdrüklich auf den genauen Zuſam
menhang der phyfiſchen , politiſchen und
lite
1

my 52 53

literariſchen Verhältniſſe bey einzelnen Vol


kern und der Menſchheit im Ganzen auf
merkſam gemacht haben . Dieſer Zuſammen .
hang eröfnet 'ohnftreitig eine groſse und weite
Ausſicht, 'und giebt einer Menge von gering
ſcheinenden Umſtänden , welche ſonſt ganz
überſehen worden find , Wichtigkeit und
DEN EINFLUS ANDERER WISSENSCHAFTEN Intereſſe. Nach der Idee deſſelben läſst ſich

VND
nun die Geſchichte einer jeden Wiſſenſchaft
in einer doppelten Hinficht behandeln , ein
ÄUSERER VERHÄLTNISSI mahl, wenn man die Wiſſenſchaft als
IE
AUF DIE P HILOSOPH iſolirt und für fich beſtehend, in ihre ver.
ſchiedenen Perioden begleitet , und nur dar
UND DIESER AUF JENE, auf fieht, was fie an Inhalt und Form , gleich
viel wie und wodurch , gewonnen hat , und
dann , wenn man fie in Verbindung mit
allen den Umſtänden betrachtet , welche auf
Einige Bemerkungen fie eingewirkt, und welche von ihr Einfluſs
Wenn auch dasjenige, was man in der erfahren haben.
neuern Zeiten unter dem Namen Geſchichte Ich will hier den Verſuch machen , einen
der Menſchheit verarbeitet hat , noch lo maz. Beytrag zu einer Geſchichte der Philoſophie
gelhaft und unbeträchtlich wäre : fo würde in der leztern Hinſicht zu geben.
wir doch den Unterſuchungen dieſer Art
Schon dafür Dank willen , daſs fie uns zuerí
In der Zeit ,
und nachdrüklich auf den genauen Zufar
in welcher noch keine

menhang der phyhſchen, politiſchen mod eigentliche Philofophie , im weitläuftigſten


D 3 Sinne
54
Sinne des Worts , vorhanden war , kommen
natürlich mur diejenigen Umſtände in Be
trachtung , welche Philoſophie veranlaſſen , d .
h. den Verſtand aufmerkſam machten und
zum Nachdenken ſchärften , Das erſte und
weſentlich ſte darunter iſt das Entſtehen einer
Geſellſchaft, deren Mitglieder in eine Wech
ſelwirkung treten , welche ihrem Thun und
Laſſen mehr Allgemeinheit und ein gröſseres.
Intereſſe giebt. Dadurch wird der Geiſt ver.
anlaſst, über allgemeine Regeln nachzuden.
ken , wodurch die Handlungen der einzel
nen Glieder immer mehr auf das Ganze hin
geleitet und einer gröſsern Beziehung unter
warfen werden. Man fängt dabey an , die
augenſcheinlichfren Folgen der Handlungen
zu bemerken , ihren Einfluſs auf Andere zu
beobachten , und ſo die erſten Materialien
zur Geſetzgebung und Lebensweisheit zu ſam .
meln. Practiſches Bedürfnis iſt alſo die erſte
Veranlaſſung der Philoſophie. Die nächſte
iſt ganz theoretiſch , und entſpringt aus der
Mythologie.

Man darf nur die Fragmente der älteſten


Philofopheme der Griechen mit einiger Kritik
unter
54 55

Sinne des Warts, vorhanden war, kommen unterſuchen , um ſogleich zu bemerken , daſs
naturiich nur diejenigen Umſtände in Ben Sie entweder Fortſetzungen oder Commentare ,
trachtung, welche Philoſophie veranlaſſen, de oder wenigſtens Abkömmlinge mythiſcher
h . den Verſtand aufmerkſam machten und · Vorſtellùugen find. Die Philoſophen der
zum Nachdenken ſchärften . Das erſte und älteſten Zeit dachten fich von den Elementen,
Helentüchſie darunter iſt das Entſtehen einer die doch im Grunde der erſte Stoff aller
G -jellychaft , deren Mitglieder in eine Wechs Mythologie waren , das Perſönliche hinweg,
ſelwirkung treten , welche ihrem Thun und welches ihnen die Einbildungskraft des finn
Lallen mehr Allgemeinheit und ein grüljeres lichen Menſchen geliehen hatte, und ſtatt
. Dadurch wird der Geift rer den Erzählungen von dem Perſönlichen dieſer
anlaſsreſſ
Inte e überbt allgemeine Regeln nachzuders
t , gie Stoffe nachzugehn , verſuchten fie eine Er-.
ken , wodurch die Handlungen der einze klärung des Urſprungs und Zuſammenhangs
nen Gieder immer mehr auf das Ganze him und Wirkens derſelben aus ihrer phyfſchen
.
geleitet und einer gröſsern Beziehung unies Beſchaffenheit . Die bisherige Mythologie hatte
dia vorneinlich das Entſtehen der Dinge zu deu
worfen werdehſnte . n Man fängt dabey an,
augenſch ei nl ic Folgen der Handlungen ten geſucht: die Traditionen von groſsen
zu be m e r k e n , ih n Einfluſs auf Andere z
r e Evolutionen und Umkehrungen in der Natur
beobachten , und so die erſten Materialien gehörten mit in dieſen Geſichtspunct. Was
g
zur Geſetzgebun und Lebensweisheit zu la war natürlicher , als daſs nun auch die erſte
ineln . Practiſches Bedürfnis iſt allo die erle Philoſophie ſich mit der Unterſuchung vom
Veranlaſſung der Philoſophie . Die nächée Entſtehen der Dinge, alſo mit" Cosmologie,
iſt ganz theoretiſch, und entſpringt aus der anheng ? Die Beobachtung der phyſiſchen Er
ſcheinungen , welche den ſtärkſten Eindruk
auf die Sinnlichkeit der Menſchen machen ,
Mythologie.
Man darf nur die Fragmente der älele beſchäftigte die Denker faſt allgemein : bey
e
Philoſophein der Griechen mit einiger Kri einigen trug fie bloſs dazu hey , den Verſtand
D4 zu
56

zu üben und zu ſtärken , bey andern gieng


Sie ſichtbar in ihre philoſophiſchen Ideen über,
und der Verfaffer des erſten Buchs der fo
genannten Ariſtoteliſchen Metaphyſik hat offen
bar: Recht, wenn er den Geiſt der Philofo
phie des Pythagoras, aus den mathematiſchen
Vorkenntniſſen dieſes Mannes herleitet. Phi
loſophie und Mathematik , ;hingen in den
älteſten Zeiten noch genau zuſammen , beyde 1 ,
waren nur einzelne Kenntniſſe , noch nicht
Wiſſenſchafti, beyde arbeiteten einander wech
ſelſeitig zu.

Da einmahl ein Grund zu philoſophiſchen .


Speculationen gelegt war : ſo würden hie von
Zeit zu Zeit immer allgemeiner , und be#

ſchäftigten mehrere Köpfe. Die Männer,


welche ſolche Unterſuchungen anſtellten und
mittheilten , genoſſen neben einer ausgezeich
neten Achtung , der ungeſtöhrteſten Gewiſſens
freyheit , ſobald fie nicht öffentlich die Re.
ligionsmeynungen , worauf die Geſetze und
Einrichtungen des Staats gegründet waren;
verſpotteten oder verwarfen . Ihre Ideen
blieben immer nur in einem engern Kreiſse
von Menſchen , welche derſelben fähig was
!
ren ,
56 57 .

2.4 üben und zu ſtärken , bey andern gieng ren , Sie kainen nicht durch Schriften , die
he hchtbar in itire philoſophiſchen Ideen über, ohnedem nicht wären allgemein geleſen won
und der Verfaller des erſten Buchs der for den , unter das groſse Publicum , und erhiel
pypannten Ariſtoteliſchen Metaphyſik hat offen ten hch , wie eine Art von Myſterien , unter
bar Recht, wenn er den Geiſt der Philolom der kleinen Zahl der Geweihten, Die Mey!
phie des P.thagoras aus den mathematiſchen nung des einen wurde von ſeinem Freunde
Vorkenntniſſen dieles Mannes herleitet. Phi oder Schüler noch reiflicher überdacht, geänz
"

bufophie und Mathematik bingen in den dert , erweitert, und ſo der vermehrten
atelieu Zeiten noch genau zuſammen, berde Einficht eines dritten übergeben , der fe ent
waren nur einzelne Kenntniſſe, noch nicht weder ; : , wie die war , oder ebenfalls i von
Willenſchaft, beyde arbeiteten einander wech neuem , ausgebelfert weiter überlieferte . Es
Jäſt fich vermutben , daſs diejenigen Männer,
[eiſeitig zu . deren Geiſt fich bis zu abſtracten und zu
Da einmahl ein Grund zu philoſophiſchen ſammenhängenden - Speculationen über das
Speculationen gelegt war : ſo wurden he von Univerſum ausgebildet hatte , auch in den
Zeit zu Zeit immer allgemeiner, und be übrigen Verhältniſſen des Leben'san Scharflinn
Ichäftigten mehrere Köpfe. Die Männer, und Klugheit ilire Mitbürger übertrafen , und
gen
welche ſolche Unterſuchun anſtellten und
daſs, alſo dieſe Eminenz verbunden mit einer,
den Griechen natürlichen , Wiſsbegierde einen
mittheilten , genollen neben einer ausgezeich
ten
neten Achtung, der ungeſtöhrteſ Gewife iminer gröſsern Wetteifer erregte , fich im
Philoſophiren hervorzuthun. Hierzu kam
frerheit, ſobaldn ſie nicht öffentlich die Re
nge
ligionsmeynu , worauf die Geletze bid der Umſtand , daſs bey der damaligen Lage
n
Enrichtunge des Staats gegründete wareinn der Sachen Philoſophie auch wirklich das ein .
zige eigentliche Studium war. Die Geſchichte
Ihr Idee
verſpotteten oder verwarfen . und Geographie waren noch von zu geringein
bliehren immer nur in einem engern Kreiße Umfange, die Landesſprache war bis zu einem
von Menſchen , welche derſelben fähig w D5
Tel
gram
58

grammatiſchen Studium noch nicht herange


reift, die Religion beſtand ineiſtens nur in
Ceremonien , wozu nur Uebung gehörte , die
Geſetzkunde blieb durch alle Zeiten ganz ein
fach , Poëſie und Bered ſamkeit waren mehr
Naturproducte , als Gegenſtände des fpecu
Jativen Nachdenkens , und das Studium der
Phyſik hat bey den Alten niemals einige Voll
kommenheit 'erlangt. Selbſt , als die Bered
ſamkeit wichtiger und künſtlicher zu werden
1

anfieng, war keine andere und beſſere Vor


bereitung dazu , als das Studium der Philo
ſophie , und wäre es auch nur Studium dia
dectiſcher Spitzfindigkeiten geweſen.
'1

Die erſtern Weiſen Griechenlands waren ,


ſo wie viele der folgenden , nicht Philoſophen
von Profeſsion. Die Philoſophie war keine
Facultäts- keine Brodwiſſenſchaft, fie machte
nicht eininahl ein zuſammenhängendes Syſtem
aus. Es waren Gedanken und Betrachtun
gen von Männern , die Bedürfnis ihrer Ver:
nunft zum Nachdenken trieb , und die ihre
Meynungen entweder aufzeichneten oder ihren
Vertrauten mündlich in Geſprächen mittheil.
ten . Und diefe Männer waren Geſetzgeber,
Staats

+
58 59 1

grammatiſchen Studium noch nicht herang.e Staatsbeamte , Feldherrn , freye Bürger und
reift, die Religion beſtand ineiſtens nur in Logar Fürſten ,
Ceremonien, wozu nur Uebung gehörte, die Ob und wieviel das Klima überhaupt und
Geſetzkunde blieb durch alle Zeiten ganz ein bey den Griechen insbeſondere auf Philofo
fach , Poëſie und Beredſamkeit waren mehr phie wirkte , iſt für mich zu ſchwer zu be
Naturproducte, als Gegenſtände des fpecu ſtimmen . Der Einfluſs der Sprache iſt ficht
lativen Nachdenkens, und das Studium der licher * ). Eine ſinnliche und ganz poëtiſche
Phyſik bat bey den Alten niemals einige Vol Sprache giebt den Speculationen der Denker,
kommenheit erlangt. Selbſt, als die Bereda wären fie auch noch fo abſtract , iramer
ſamkeit wichtiger und künſtlicher zu werden einen Anſtrich von Dichtung : ' oder vielmehr,
1
anfieng , war keine andere und beltere Voru da unſere Gedanken immer nur durch Worte
bereitung dazu , als das Studium der Philom da find , ſo macht eine ſolche Sprache alle
fophie , und wäre es auch nur Studium die Teine Abſtraction unmöglich . Daher die 1

Bilder und Dichtungen ', unter denen die


lectiſcher Spitzfindigkeiten geweſen . älteſten Weiſen ihre Ideen mittheilten : daher
4
s die Kühnheit und Abentheuerlichkeit mancher
Die erſtern Weiſen Griechenland waren
ſo wie viele der folgenden, nicht Philoſophen Darſtellungen , welche einige unbillige Rich.
von Profeſsion. Die Philoſophie war kesa ter als baaren Unſinn weggeworfen haben ,
haft
Facultăts - keine Brodwillenſc , he mach ohne ſich an die Aufſuchung des 'vielleicht
endes en
nicht einmahl ein zuſammenhäng Sylt ganz ſchlichten und wahren Gedankens zu
n
Es waren Gedanke und Betrachtur wagen , der darunter verborgen liegt. Nach
gen von Männern , die Bedürfnis ihrer Vers und nach wurde freylich auch die griechi
ken rieb nd e re
nunft zuin Nachden t , u di ih fche
en ten
Meynung entweder aufzeichne oderihres
n n
Vertraute mündlich in Geſpräche mittbel * ) Hierher gehört auch der Einflus,
die Lectüre der Dichter hatte,
welchen
Und dieſe Männer waren Geletzgeber
Staar

ten .
1

60

ſche Sprache mehr philoſophiſch , immer


aber behielt ſie eine gewiſſe Armuth an Aus
drüken für die mancherley Abſtufungen und
Nuancen der allgemeinen Begriffe. Das wird
man nirgends mehr gewahr , als bey Platon
und Ariſtoteles.

Wenn die Reifen der alten Philoſophen,


„ und die Bekanntſchaften der. Griechen init
.

andern Nationen auch vielleicht die eigentli


che Philoſophie, nicht vermehrt oder beför
dert haben : ſo muſten fie doch durch andre
Kenntniſſe , von Menſchen , Staatsverfaſſun
gen , Sitten 1. ff. den Beobachtungsgeiſt auf
regen , den Blik denkender Männer gleich
ſam erweitern und ihnen eine gewiſſe Gewandte
heit mittheilen , die noch heute ein Ertrag
erweiterter Bekanntſchaften ift.

Die demokratiſche Regierungsform hatte


auf die Philoſophie nicht minder weſentlichen
Einfluſs. Durch fie war Beredſamkeit über

aus wichtig geworden , und durch dieſe ge


wann , wie ſchon erwähnt , die Philoſophie
an Anſehen und Ausbreitung. Eben dieſe
Regierungsform latte auch die natürliche Folge,
dals
61
бо

bhe Sprache mehr philoſophiſch, immer daſs die Stände weniger getrennt, gute Kennt.
aber behielt he eine gewille Armuth an Aus niſle, geläuterter Geſchmak und edle Grund
elruhen für die mancherley Abſtufungen und ſätze mehr und leichter in Umlauf zu brin
Nuancen der allgemeinen Begriffe. Das wird gen , und die Philoſophen alſo nicht bloſs
man nirgends mehr gewahr, als bey Platon auf Catheder und Compendien, eingeſchränkt
waren , Selbft den wildeſten Eroberern und
und Ariſtoteles Tyrannen der Griechen fieht man es an , daſs

Wenn die Reiſen der alten Philoſophen he einmahl den Unterricht der Philofophen
ur die Bekanntſchaften der Griechen mit
d genoſſen hatten. - Die demokratiſche Regie
sudern Nationen auch vielleicht die eigenelia rungsform erzeugt und begünſtigt manche
che Philoſophie nicht vermehrt oder beſör Lafter, und Unordnungen, welche andere
dert haben : So muſten he doch durch andre Verfaſſungen weniger kennen : diefe' gaben
Kennuille, ron Menſchen, Staatsverfáltur der Philoſophie reichlichen Stoff, über mora
liſche Kuren und Präſervative nachzudenken ;
gen , Sitten u. 6. f. den Beobachtungsgeiſt auſ.
reyen , den Blik denkender Männer gleiche eine Beſchäftigung, welche ihr um, ſo wohl.
thätiger war , je mehr fie fich immer an das
lam erweitern und ihnen eine gewille Gewando
wirkliche Leben : anſchlieſſen und mit ſteter
heit mittheilen , die noch heute ein Entry
Rükſicht auf die ſchwebenden Verhältniſſe
erweiterter Bekanntſchaften ilt. die Menſchen nehmen muſte , wie ſie waren .
he rm
Die demokratiſc Regierungsfo halle
Hieraus entſtanden mehrere Verfuche über

auf die Philoſophie nicht minder weſentlichen die beſte Art, einen Staat zu verwalten , Prü.
it
Einfluſs . Durch fie war Beredſamke über fungen der vorbandnen Geſetze und Einrich ,
alls wichtig geworden , und durch dieſe gem tungen und Vorſchläge zu Verbeſſerungen.
wann , wie ſchon erwähnt, die Philoſophie
Als sich nach und nach die Philoſophen
en Anſchen uand Ausbreitung. Eben diele
ori in einen beſondern Stand abſonderten , half
Regierungsf hatte auch die natürliche Folge
Aemu .
dals
62

Aemulation und Eiferſucht dazu , die Köpfe


aufzuregen und in ſteter Thätigkeit zu erhal
ten .Man bemühte fich , zahlreichere Schu
len zu haben , und critifirte die Syſteme
anderer Secten . Freylich wurde die Philo
ſophie nun auch bey einigen Gegenſtand der
Gewinnſucht und Prahlerey , aber dieſer
Miſsbrauch ward nicht allgemein , und dauerte
nicht lang .
,
Griechenland hatte eine Hauptſtadt, wo
fich allmählich die beſten Köpfe zuſammen .
fanden , ſich näher mittheilten , und an ein
ander reiben konnten , wo sie leicht Aufe
merkſamkeit erregten , und in ihren äuſern
Verbältniſſen leben durften , wie fie wollten ,
wenn sie die öffentliche Ruhe nicht ſtöhrten .

Hier wurden denn auch die Philoſophen


Erzieher der Jugend. Man übergab ihnen
Jünglinge zum Unterrichte und zur . Bildung :
'die 'vornehmſten Staatsbedienten waren Schü .
ler der Philofophen : geweſen : die Gröſten im
Staate machten ſich eine Ehre daraus , im
Philoſophenmantel einherzugehen , und Philo
Tophen an ihren Höfen und Tafeln zu haben.
Mit

!
63
62

Aemulation und Eiferſucht dazu, die Köpfe Mit dem Fortſchritte der Kultur waren
3
eine beträchtliche Anzahl von ſchönen Kunſt.
aufzuregen und in ſteter Thätigkeit zu erhal.
Man bemühte hch , zahlreichere Schu rerken , ſowohl aus der bildenden , als aus
lenn.
te zu haben , und critifrte die Syſteme der Dichtkunſt , zuin Vorſchein gekommen .
Dieſe wurden mehr und mehr Gegenſtände
anderer Secten . Freylich wurde die Philo.
fophie nun auch bey einigen Gegenſtand der der philoſophiſchen Reflexionen : beſonders
Gewinnſucht und Prahlerey, aber dieler gaben die Dichter , und unter ihnen Homer,
reichlichen Stoff dazu . Auch die Sprache
M.Qbrauch ward nicht allgemein, und dauerte
fieng an in das Gebieth der Philoſophie gezo
gen zu werden .
nicht lang.
Griechenland hatte eine Hanptſtadt, w
hich allmählich die beſien Köpfe zuſammer Einer der wichtigſten Puncte, welche hier
bey in Betracht kommen , iſt das Verhältnis
fanden , hch näher mittheilten, und an eis
wo sie leicht Auto der Religion zur Philoſophie. Bey Griechen
derſamk
anrk
me iben
reei enn,, und in ihren äulen
t erkorenngtte und Römern waren fie beyde verſchiedne
Verhältniſſen leben durſten , wie he wolterg Dinge. Die Religion beſtand in ihrem theo.
retiſchen Theile aus dem Glauben an eine
weun he die öffentliche Ruhe nicht ſtöhrten.
Menge“ übermenſchlicher Weſen und an alle
Hier wurden denn auch die Philoſopher die Erzählungen , welche von ihnen gäng und
Erzieher der Jugend. Man übergab ihat gebe i waren ; in ihrem practiſchen , aus
einer unermeſslichen Anzahl von Ceremonien
Junglinge zum Unterrichte und zur Bildan
en nten und Gebräuchen , wie Opfer, Auſpicien u.
die vornehmſt Staatsbedie waren Schie
ler der Philofophen. geweſen : die Gröſen in d . g ., deren Verläumung oder Verletzung
pofitive Strafen nach fich ziehe. Da mit die
Staate mnachten llich eine Ehre daraus,
e
mant en ſen Ceremonien ſo Manches in der Staats.
Philoſophen einherzugeh , und Philo und Gerichtsverfaſſung genau verbunden war,
Typhen an ihren Höfen und Tafeln zu haben,
und
64

und poſitive Religion überall zur Leitung und


Beherrſchung des Volks unuingänglich nöthig -
iſt: fo wachte der Staat allerdings über ihrer
Aufrechthaltung , und beſtrafte diejenigen,
welche das Gebände der Volksreligion wan
kend machen wollten , Aber , ſo lange die
Philoſophen diefs nicht thaten , war es ihnen
Föllig unbenommen , über die Religion zu
1
urtheilen und Meynungen zu nähren , wie
und welche fie für gut fanden: ja man ver .
traute oft den entſchiedendſten Heterodoxen,
geiſtliche Aemter an . Die Philoſophen wa.
ren auch meiſtens ſo beſcheiden , das Aeuſere
der Volksreligion mitzumachen , ſo wenig he
1

daran « glaubten : Socrates , Plato , die Stoi.


eer und ſelbſt Pyrrhon geben Beweiſe. Die
Stoicer unterſchieden ſehr genau zwiſchen
philoſophiſcher , politiſcher und poëtiſcher
Religion , wovon die leztre öffentlich durch
Schauſpiele dem Gelächter des Volks Preiſs
gegeben wurde. Ueberhaupt war die alte
Religion nicht Lehrerin des Volks, ſondern
ein bloſser Zügel und Popanz: fie ſorgte
nicht für innere Moralität, ſondern für äufero
Ruhe : fie wirkte nicht aufs Herz, ſondern
auf die Einbildungskraft. Der denkende Mann
machte
65
64
machte alles mit , was Staatsgeſetz war :
und pohtive Religion überall zur Leitung und
zum Beſten des Volkes , ſagt Cicero , und
Beherrſchung des Volks unuingänglich nöthig .
zum groſsen Vortheile des Staates behält man
ift : ſo wachte der Staat allerdings über ihrer
die Religion , : Liturgie , das Augurat, und
A ufrechthaltung , und beſtrafte diejenigen,
das Anſehn des Collegiums noch aus dem
welche das Gebände der Volksreligion war Alterthume bey. Die Conſuls P. Claudius
kend machen wollten, Aher, ſo lange die 3
und Junius find daher ſehr ſtraffallig, daſs
Philoſophen diefs nicht thaten , war es ihne 2
he gegen alle Aufpicien abgereiſt find. Denn
rúllig unbenommen , über die Religion 22 man muſs einmahl der vaterländiſchen Reli
mertheilen und Meynungen zu nähren, wie 1

gion und Sitte gehorchen , und ſie nicht ſo


und welche fe für gut fanden : ja man reço trotzig bey Seite ſetzen." - Auſer den Stoi
traute oft den entſchiedendften Heterodores
cern finden wir keine Philoſophen , welche
geiſtliche Aemter an . Die Philoſophen w
Ten auch meiſtens ſo beſcheiden, das Aeufere
in die Religion des Staates Philoſophie hin
einzutragen verſucht hätten.
der Volksreligion mitzumachen , ſo wenig de In ein näheres aber ſchlimines Verhältnis
daran glaubten: Socrates, Plato, die Soin traten Religion und Philoſophie in den Zeiten
eer und ſelblt Pyrrhon geben Beweile Die
nach Ausbreitung und Verderbung der chriſt
Stoicer unterſr chieden ſehr genau zwileber Jichen Lehre. Die Neuplatoniſche Philoſo .
e
philoſophiſch , politiſcher und poëtiſcher phie lieh der Religion Hypotheſen und Spitz
Religion , wovon die leztre öffentlich durch
findigkeiten , und entlehnte von ihr Aber
Schauſpiele dem Gelächter des Volks Preis.
glauben und Schwärmereyen , die ſich ſogar
gegeben wurde. Ueberhaupt war die album
in der philofophiſchen Sprache abdrükten.
Religion nicht Lehrerin des Volks, ſondern Das Ungeheuer der Hierarchie fellelte den
ein bloſser Zügel und Popanz: fie Forghe freyen Unterſuchungsgeiſt, und brauchte die
nicht für innere Moralität, ſondern für äulen
Philoſophie nur als Dienerin der Möncherey.
Ruhe : he wirkte nicht aufs Herz, ſonder
raft Um der Gefahr zu entgehen , fielen einige
auf die Einbildungsk . Der denkendeMotree Dia
h mac
66

Dialecticer auf die Ausflucht , eine doppelte


Wahrheit anzunehmen , wovon die eine der
andern ſehr wohl widerſprechen könne. -
Wenn in unſern Zeiten die Philoſophen mehr
dein Beyfpiele der griechiſchen Weiſen gefolgt
wären : fo würden fie , ohne ſo auf einmalil
gegen fich einzunehmen , mehr Nutzen ge
ſtiftet haben. Es iſt waglich , mehr zu ſagen .
Das Schikſal der Nacht theilte die Philo .
fophie in der mittlern Zeit mit allen Willen .
fchaften . Der erſte wohlthätige Einfluſs auf
fie kam von der Sprachkunde her , durch
welche die Schriften alter Weifen wieder be
kannt und genauer ſtudiert wurden. Auch
Geſchichte , Mathematik und Phyſik wirkten
auf ihre Verbeſſerung : jene , indem fe -über
haupt den Beobachtungsgeiſt rege machte und
die Schätze der Vorwelt an den Tag fördern
half, dieſe beyden , indem ſie durch ihre
Bündigkeit und wichtigen Reſultate die Bear
beiter der Philoſophie von flachen und leeren
Hypotheſen und Spitzfindigkeiten abruften,
und ihnen manche Vorurtheile benahmen .
Einrichtung öffentlicher Bibliotheken .
Der Einfluſs der Staats- und Weltbegeber
heiten , auf dieſe, wie auf ahe übrigen Wil
ſen
66 67

Dialecticer auf die Ausflucht, eine doppelte ſenſchaften , iſt unverkennhar. Eine aus
Wahrheit anzunehmen , wovon die eine der führliche Geſchichte der Philoſophie würde
andern ſehr wohl widerſprechen könne. -- dieſen Punct nicht zu übergehen haben .
Heun in unſern Zeiten die Philoſophen mehr Ich erinnere blocs daran , wie viel der
dein Beyfpiele der griechiſchen Weiſen gelolg 1
Uinſtand gewirkt hat , daſs auf den errich
waren ; ſo würden fie, ohne ſo auf einmahl teten Academieen die Philoſophie zu einer
gegn fich einzunelmen , mehr Nutzen ga r Facultätswiſſenſchaft gemacht wurde. Die be
biltet haben. Es iſt waglich , mehr zu ſagen. ſtimmten Curſus verlangten Syſteme und Com
Das Schikſal der Nacht theilte die Philo pendia : dieſe ſchränkten die Wiſſenſchaft ein
ſophie in der mittlern Zeit mit allen Willer und gaben ihr eine gewiſſe Einſeitigkeit: un
Ichalten. Der erſte wohlthätige Einfuls auf ter den Lehrern entſtand Neid und Rivalität,
he kain von der Sprachkunde her, durch unter den Zuhörern Sectengeiſt. Häufig wurde
wel he die Schiridien alter Weiſen wieder be die Philoſophie nur als. Propädeutik zu den
kannt und genauer ſtudiert wurden. Auch eigentlichen Brodwiſſenſchaften empfohlen ,
Gefikichle , Mathematik und Phyſik wirkten oder man hörte Collegia drüber , ihres wich
auf ihre Verbeſlerung: jene, indem fie über tigen Namens wegen .
fi rupt den Beobachtungsgeiſt rege machte vad Zu einer gewiſſen Zeit wirkte in Deutſch
rder land die Philoſophie auf die Theorie des Schö
die Schatze der Vorwelt an den Tagfö
bull , dieſe beiden , indem hie durch it. nen , und dieſe wieder zurük auf Philoſophie.
Bundizkeit und wichtigen Reſultate die Bein Man fieng an , ſchön zu philofophieren , über
beiter der Philoſophie ron flachen und leeres alles , was vorkam , aber oft vergaſs man
n iten
Hypotheſe und Spitzfindigke abrufe dabey der Gründlichkeit, und überredete
e
und ihnen manche Vorurtheil benahmen fich , daſs ein wohlklingendes Geſpreche
g worinn die Ausdrüke Beobachtung , Men
Linrichtun öffentlicher Bibliotheken.
Der Einfluſs der Staats- und Welbegeht ſchenkenntnis , Geiſt, Geſchinak u. f. f. häu.
fig vorkamen , wirkliche Philoſophie ſey.
keiten , auf diele , wie auf ahe übrigen 17 E 2 Den
68

Dennoch haben in derſelben Zeit , auch die


Staats- Erziehungs- und Sprach - Kunft ſehr vie
les gewonnen , wofür fie der Philofophie Dank
ſchuldig find : fo wie fich auch das gröſsere
Publicum wegen der Popularität , womit fie
anfieng behandelt zu werden , ihrem Heilig
thume mehr näherte . Hierher gehört der
Artikel vom Schreiben in der deutſchen Mut
terſprache, von Zeitſchriften , Journalen u. d.
Jezt wurde die Philoſophie auf alles ange
wandt , und ihre auswärtige Macht wuchs,
während ihr eigenthümliches Gebieth ver
nachläſsigt wurde und immer mehr abnahm .
Die Bekanntſchaft der Deutſchen mit der
ausländiſchen Literatur , und ihre Ueberſetzungs
ſucht iſt ein wichtiges Moment für die deut
Sche Philoſophie.
In den neuelten Zeiten iſt die Aufinerk
ſamkeit wieder anf die Philoſophie in ihrem
eigenen Gebiethe gelenkt worden . Lange iſt
fie wieder einmahl Mode des Zeitalters ge
weſen : und hätte die neueſte Revoluton
ſonſt nichts Gutes hervorgebracht, ſo ver•
danken wir ihr doch einen kritiſchen Geiſt,
der allmählich in alle Wiſſenſchaften übergeht.

Es
69
- 68
Dennoch haben in derſelben Zeit, auch die
beſte Würdigung der Phi
Es würde die beſte
Staats . Erzichungs- und Sprach-Kunſt felır vid loſophie ſeyn , wenn man beſtimmen könnte,
les gewonnen , wofür hie der Philoſophie Dank aber es iſt ſehr ſchwer zu beſtimmen , wie
ſchuldig find : ſo wie ſich auch das gröſsere und wie ſehr die Philoſophie auf den Geiſt
Publium wegen der Popularität, womit he eines jeden Zeitalters gewirkt habe , auf den
anheng behandelt zu werden, ihrem Heiligen literariſchen ſowohl, als auf den moraliſchen .
Hierher gehört der Bey der alten inachen uns die vielerley Sec
thume mehr näherte. ten * ) und Staatsveränderungen , bey der
Artikel vom Schreiben in der deutſchen Mute
terſprache, von Zeitſchriften , Journaler u. d. neuern das Anſehen und der Einfluſs der
Theologie ein ſicheres Reſultat fchwer. Ueber
Jezt wurde die Philoſophie auf alles anga
wandt , and ihre auswärtige Macht wuchs
haupt greifen in den neuern Zeiten die Wir
tährend ihr eigenthümliches Gebieth ver
fenſchaften alle ſo in einander , und haben

nachläſsigt warde und immer mehr almaks einen ſo gleichen Grad von Bildung und Ge
haft er eutſchen t r ineinnützigkeit erreicht, oder wechſeln auch
Die Bekanntſc d D mi de
en to oft init der Oberherrſchaft ab , daſs man
ausländiſch Literatur, und ihre Ueberfetzung»
fich nicht getrauen kann , mit Sicherheit zu
fucht iſt ein wichtiges Moment für die deuts
beſtimmen , welche uns auf diefe oder jene
ieten Stufe der Cultur vornehmlich erhoben ' habe.
ſcheIn Phdielnoſonpehuel. Zeite iſt die Aufinerí
n a

famkeit wieder auf die Philoſophie in ihres F..

eigenen Gebiethe gelenkt worden. Lange i


he wieder einmahl Mode des Zeitalters en * So viel Einfluſs als die Epicuriſche iind Stoi.
welen : und hätte die neueſte Revolution ſche Philoſophie einſt hatten , hat vielleicht
acht Keine mehr erlangt.
fonſt nichts Gutes hervorgebr , lo ser
danken wir ihr doch einen kritiſchen Geri
lten ergelt
der allmählich in alle Willenſcha üb
E 3 NEU. ,
1
70

NEUPLATONISCHE PHILOSOPHIE.

Es iſt eine Bemerkung , die man oft genung


zu machen Gelegenheit hat , daſs die Beleh
rungen einer reinvernünftigen Philoſophie für
den gröſten Theil der Menſchen nichts we
niger als beruhigend find . Die Speculation
wird. ewig eine Mutter des Zweifels bleiben :
mitten auf dem Wege der glüklichſten For
ſchungen ergreift einen oft der Zweifel wie
ein Geſpenſt: aber iſt denn nun auch alles
so, wie wir da fchlieſsen und denken ? iſt
es mehr, als bloſser Wahn und Traum ?
was wird mir für meine Hofnungen Bürge ?
Da ſtehen wir oft und verlieren uns in un
ſern Gedanken , bis wir nichts mehr denken
und wenn wir erwachen , preifen wir alle
die
79
die glüklich , die da glauben , was wir
nicht zu faſſen vermogen . Freylich find das
bey Manchem nur vorübergehende Augen
blicke , aber bey vielen werden ſie zur blei
benden Stimmung, und dann iſt der erſte
Schritt zum ſchwärmeriſchieſten Myfticismus'
gethan.
ONISCHE HILOSOPHIE
AEL'PLAT P Aus dieſer Bemerkung ſchon würde fich
die Entſtehung und Verbreitung des bekannten
Neuplatonismus erklären laſſen , wären auch
nicht ſo viele andere Umſtände zuſammenge
Es iſt eine Beinerkuntg, die man oft genný troffen , dieſe Verirrungen des menſchlichen
zu machen Gelegenhei hat , daſs die Beleh Geiſtes zu erzeugen und zu nähren.
en
rungen einer reinvernünftig Philoſophie für
den größten Theil der Menſchen nichts *** Die Philofophie hatte faſt alle Wege der
niger als beruhigend find. Die Speculation Speculation betreten , und dennoch vermochte
fie nicht , den troſtloſen Zweifel zurükzu
wird ewig eine Mutter des Zweifels bleiben
mitten auf dem Wege der glüklichſten Fur halten , dennoch war ſie nicht in Stande,
· ſchungen ergreift einen oft der Zweifel wie den Geiſt des Zeitalters gegen den eindringen
elen Aberglauben zu beſchützen , Das Volk
ein Geſpenſt: aber iſt denn nun auch alles
wurde abergläubiſch durch misverſtandne Re
To , wie wir da ſchlieſsen und denken ? 3
es mehr, als bloſser Wahn und Tram ! ligion , die Gelehrten wurden es , aus Ver
zweiflung an der Philoſophie . Vielwiſſerey
was wird mir für meine Hofnungen Bürge
Da ſtehen wir oft und verlieren uns in ut
und Vielleferey hatte ihre Köpfe mit Hypo
n theſen und Meynungen überhäuft, die ſich
fern Gedanke , bis wir nichts mehr denker
gemeiniglich ſelbſt widerſprachen ; fie wuſten:
und wenn wir erwachen, preilen wir alla fichi
de E 4
72

sich nicht mehr herauszufinden aus dem


Schwalle von Qraceln , und fanden eines
wie das andere trüglich. Unglüklicherweiſe
trafen fie an Einem Orte zuſammen , der bey,
nahe von allen Nationen der Erde beſucht
war , und wo alſo eine unzähliche 'Menge
verſchiedener Religionen und Schwärmereyen
zu Markte gebracht wurde; unter einein
Volke , deſſen Charakter von Natur finſter
und melancholiſch und folglich zu myſtiſchen
Schwärınereyen äußerſt geneigt war,

Ein weiſer Menſchenbeobachter macht ir


gendwo die Bemerkung daſs jeder Menſch in
feinem Herzen einen gewiſſen ſchwarzen Punct
habe , der bey einigen mehr oder weniger
sichtbar werde die Begierde zu herrſchen .
So könnte man ſagen , daſs , zwar nicht .
alle, aber doch die meiſten Menſchen einen
Colchen ſchwarzen Punct in ihrem Kopfe mit
ſich herumtragen , die Neigung zu ſchwär.
men . Unter Umſtänden , wie die waren,
die ſich in dem Alexandriniſchen Zeitalter
vereinigten , muſs dieſer ſchwarze Punct un
ſich greifen und die geſündeſten Theile an
freffen .
Ich
1
23
72
fich nicht mehr herauszufinden aus dem Ich habe das Meiſte geleſen , was in die
Schwalle von Oraceln , und fanden eines ſen Zeiten philofophitt worden iſt : " oft bin
ich dem Unfinne und den Abentheuerlichkeiten
wie das andere trüglich. Unglüklicherweile
tralen he an Einem Orte zuſammen, der beso dieſer Träumer beynah untergelegen . Ein
nahe von allen Nationen der Erde beſucht treuer Bericht davon würde hier überflüllig
war , und wo allo eine unzähliche Menge oder zum wenigſten ermüdend ſeyn *). Statt
dellen will ich daher lieber verſuchen , den
verſchiedener Religionen und Schwärmereſen
natürlichſten Gedankengang in den Köpfen
7u Markte gebracht wurde ; unter einen
Volke, dellen Charakter von Natur Anlier der Neuplatoniker aufzufaſſen , und in der
Perſon eines Ammonius, oder Plotinus ,
und melancholiſch und folglich zu myſtiſchen
oder Porphyrius, oder Jamblichus, oder
Schwarinere yen äußerſt geneigt war, wen man ſich ſonſt dabey denken will , einen
eobachter cht
Ein weiler Menſchenb ma in neuplatoniſchen Traum niederſchreiben.

gendwo die Bemerkung daſs jeder Menich in Mein Geiſt erhebt sich zuerſt zu dem
ſeinem Herzen einen gewiſſen ſchwarzen Panet, Weſen , das über alle Weſen iſt, zum Ur
habe , der bey einigen mehr oder weniger heber alles Seyns. Zwar will inein Denken
fichtbar werde - die Begierde zu herrr ſchen yor dieſem Unendlichen zu Grunde gehen,
zwa nicht
Salole ,könabnetre dmocahn diſeagmeeni,ſtednaſMse,nſchen einen aber ich wag : es doch in ſeine Tiefen zu
ſchauen. Da feh ich dann , wie mit ver
Colchen ſchwarzen Punct in ihrem Kopfe moi klärtem Auge , den Inbegriff alles Wirklichen
- die Neigung zu Icheri und Möglichen , aus welchem das göttliche
ter en ſtänden , siehendie waren
ſich heruUmntrag Um, iniſc
E 5 Ver
die fich in dem Alexandr Zeitaler
en
vereinigt , muſs dieſer ſchwarze Punct wa
mcn.
*) Vergl. den treflichen Beytrag von Meiners,
en
Sich greifen und die geſündelt Theile » zur Geſchichte der Denkart in den erſten Jahr
kunderten nach Chriſto 1782.

frellen .
74

Verſtandesweſen und die Seele der Gottheit


entſpringt: eine heilige Dreyheit, die ſich
in dem Mittelpuncte einer unendlichen Licht
quelle vereint. Er der Unendliche , der im
mer war , machte ſein eignes Weſen , und
lieſs es ausgehen aus fich , denn er bedurfte
és nicht für ſich , weil er war , ehe das
Weſen wurde. Aus fich , durch lich und
in fich , ewig und allgenugſam :
aus ihin ,
durch ihn und von ihin alles was iſt , wie
.)
die Lichtſtralen von der Sonne. : Es iſt nichts
geworden , was iſt, es iſt ausgegangen aus
dem Ewigen von Ewigkeit. Als er das Un
theilbare init dem Theilbaren , das Unwan
delbare mit dem Veränderlichen harmoniſch
vereinigte , da floſs der Weltgeiſt aus ihin,
und wurde der Führer des All , mit den
das unaufhörliche Leben begann.

Tadelt ' mich nicht , ihr Unverſtändigen!


was ich ſehe , iſt Wahrheit, oder es giebt
keine. Denkt ihr euch nicht auch die Gött

heit als ewig , als allgenugſam ? Was heiſst


ewig anders , als Seyn vor allem Seyn , was
iſt allgenugſain anders, als alles aus fich und
in fich ſeyn ? alles aus fich und durch fich .
wer
- 74 75
Verlandeswelen und die Seele der Gottheit werden laſſen , was da wird ? Iſt die Gott
entſpringt : eine heilige Dreyheit, die fick heit ewig , ſo muſs es das Weltall auch ſeyn,
in dem Mittelpuncte einer unendlichen Licht denn es iſt aus dem Weſen der Gottheit , und
quele vereint. Er der Unendliche, der in diefs Weſen iſt ewig. Und die heilige
mer war, machte ſein eignes Weſen , und Dreyheit ? o eure Augen find zu blind , diels
liels es ausgehen aus fich, denn er beduria Geheimnis zu durchſchaun . Die Gottheit iſt
es nicht für ſich , weil er war , ehe das das Weſen , das Ewigvollkomne , alſo hat
Weſen wurde. Aus fch, durch lich und es -Verſtand und Leben , es lebt im Wefen
in hch, ewig und allgenugſam ; aus ihip, und im Verſtande , und Weſen und Verſtand
Wid find iin Leben .
durch ihn und von ihin alles was iſt,
die Lichtſtralen von der Sonne. Es iſt nichts
In allmähligen Abſtufungen floſs das All
gruorden , was iſt, es iſt ausgegangen as
aus von deni Urweſen . Ihm zunächſt die
vlein Lwigen von Ewigkeit. Als er das Un
theilbare mit dem Theilbaren, das Unwar überweltlichen Götter, die ohne Körper und
delbare mit dem Veränderlichen harmonia Materie leben , hoch über alle Welten erha
ben , Unter ihnen war der Demiurg, der
vereinigte , da Boſs der Weltgeiſt ausih
in

und wurde der Führer des Al , mit den diele fichtbare Maſse von Weſen ſchuf, d. h.
ausgehen liels durch sich aus Gott. Sie has
i che
das unaufhörl Leben begann. ben nichts Irdiſches an fich , ewige ſeelige
Tadelt mich nicht, ihr Unverſtändigen! Götter sind fie , nur unſere Gebethe , neh
men fie an,
was ich ſehe , ilt Wahrheit, oder es giedi
keine. Denkt ihr euch nicht auch die Got
heit als enig, als allgenugſam ? Was heil
un .
Dann folgten die Götter der Welt ,
zählig , wie die Geſtirne am Himmel, und
ewig anders , nals Seyn vor allem Seyn, w
iſt allgenuglai anders, als alles aus hch od die Kräfte und Wirkungen der Natur. Sie
in fich lern ? alles aus ſich und durch fick beherrſchen dieſe Welt nach allen ihren Thei
wer len ;
76 !

len ; Kraft und Leben , Empħnden und Den


ken leiten und erhalten Sie , der Erde ver
wandter durch Körperlichkeit, von der Gott
heit entfernter durch ihre Schwachheit.

Aber noch iſt der Raum von dieſen Göt.


tern bis herab zuin Menſchen zu groſs .' Ihn
füllen alſo die Geiſter aus , als Mittelweſen
Zwiſchen ihnen und uns Je weiter herab,
$ deſto ſchliminer , und weh dein , welchem
ein böler Dämon zürnt , er giebt ihm böſe
Gedanken und Begierden ein , und ſtraft ihn
mit Krankheit. Aber der Gottesverehrer

vermag ihn zu bannen durch heilige Myſte.


rien : er iſt gegen alle Anfälle geſichert,
denn er ſteht unter dem Schutze der Gott.
heit. Aus dieſen Geiſtern geſellte das
Urweſen einem jeglichen Menſchen ſeinen
Genius 'zu , der ihn regiert und beſchüzt,
oder verleitet und zuin Böſen treibt : denn
es giebt gute und böſe Genien.

Ihr lacht dieſes Glaubens , Schwachſin


nige ? Findet ihr nicht auch in der gar
zen Natur Succeſsion und Abſtufung, nir
gends einen Sprung , nirgends Leere ? Und
der

3
76 ;;
77

len ; Kraft und Leben , Empfinden und Den der unermeſsliche Abſtand von dem Urweſen
ken leiten und erhalten he, der Erde ver bis zu uns ſollte leer und unausgefüllt ſeyn ?
wandier durch Körperlichkeit , von der Gott im Je näher der Sonne , je mehr Licht und
bait entfernter durch ihre Schwachheit. Wärme : je näher dem Ewigen , je mehr
Güte und Heiligkeit. Darum werden die
Aber noch iſt der Raum von dieſen Gör Weſen iminer unvollkomner, je weiter fie
tern bis hierab zuin Menſchen zu groſs. Ihm entfernt find von der Quelle aller Vollkom
Ruilen alſo die Geiſter aus, als Mittelwelen mnenheit. Sollen aber alle dieſe Götter und
Je weiter heral Geiſter unthätig ſeyn ? oder weleh edleres
zwiſochen lih menr und uns,
imne Geſchäft können fie haben , als Regierung
delt Ich , und weh dein , welcher
der Welt und Auflicht über den Menſchen ?
en buler Dánon zürnt , er giebt ihm bõle
Gedanken und Begierden ein , und ſtraft iho Erklärt uns doch ' des Menſchen Hang zum
mit Krankheit. Aber der Gottes verehrer Böſen , alle die Gedanken , die in ihm ent
vermag ihn zu hannen durch heilige Miku ſtehen , er weiſs nicht woher, Träume und
er iſt gegen alle Anfälle geſichert Ahnungen , groſse Empfindungen und nie
deon er ſieht unter dem Schutze der Gott
drige Begierden. Wahrlich , das iſt der
rien :
heit . Aus dieſen Geiſtern geſellte das Finger eines Genius !
Urwelen einein jeglichen Menſchen ſeinen
Unreiner als alle die Götter und Dämo .
der ihn regiert und beſchüzy
oder sverleitet und zum Böſen treibt; dena · nen iſt der Menſch , denn er iſt der weite
Genia zu , fte vom Urquell, Aber auch er hat groſse
es giebt gute und böſe Genien . Kräfte empfangen : denn ſeine Seele iſt Aus
s r
Ihr lacht dieles Glauben , Schwache fluſs aus der göttlichen Materie , und lange
nige ? - Findet ihr nicht auch in der er vorher , ehe sie in dieſen Körper gehüllt
on g wurde, lebte fie in reinern geiſtigern Zonen,
zen Natur Succeſsi und Abltufun , mai
s von denen fie herabſtieg von Stufe zu Stufe
gends einen Sprung, nirgend Leere ? UH
bis
78
bis in den Körper . In der ganzen Natur
herrſcht Anziehungs- und Zurükſtoſsungskraft,
Sympathie und Antipathie : alle einzelne
Theile. ſtimmen zuſaminen zu einer ewigen
Harinonie , das Irdiſche iſt verbunden init
dem Himmliſchen , das Himmliſche mit dem
Ueberhimmliſchen , das Sichtbare mit dem
Unifichtbaren . Welcher Menſchen die Göt
ter das Auge verklärten , den Sinn verfei
nerten , dieſe ewigen Sympathien und Anti
pathien zu ſehen und zu empfinden , der iſt
Herr der Natur. Er ſpricht ein geheimnis.
volles Wort, ' ; und die Eleinente gehorchen
ihm , Götter und Geiſter erſcheinen und ver
ſchwinden , die Zukunft wird ihm Tag, und
die Ordnung der Naturſteht ſtill und än
dert fich .
Aber warum ſtiegen die Seelen hernieder
in die Körper , und verlieſsen die reinern
Zonen des göttlichen Aethers ? Entfernter
von Gott , neigten ſie fich zum Sinnlichen
herab , und ſündigten in ihrer Schwachheit:
daruin wurden ſie geſtraft durch Einkörpe
Tiing , wo ſie jedoch , wenn fie edel und
rechtſchaffen find , die göttlichen Naturen
offenbaren und preiſen .
Denn
79
78
In der ganzen Natur Denn die reine Seele behält als ein ſtetes
his in den Körper.
herrſcht Anziehungs- und Zurükſtoſsungskraft, Eigenthuin Neigung zum Guten : ihre Sünden,
Sunpathie und Antipathie: alle einzelne wofür he geſtraft wurden , waren nur Sün
Theile ſtimmen zuſammen zu einer ewigen den im Vergleich gegen die allervollkom
Harinonie , das Irdiſche iſt verbunden mit menſte Heiligkeit des Urwefens, und mit

dom Himmliſchen , das Himmliſche mit dem ihrem Eintritte in den Körper ſtrebte der
L'berhimmliſchen , das Sichtbare mit den reine Wille wieder empor zum Lichtquell,
l'nnchtharen . Welchem Menſchen die Grum durch die Antipathie des Irdiſchen erhob fich
ter das Auge verklärten , den Sinn verfer die Sympathie zuin Himinlifchen.
Wieder zurük zum Ewigen , wieder nahe
nerten , dieſe ewigen Sympathien und Aus
dein Urwefen ſtrebt die Seele im Körper.
pathien zu ſehen und zu empfinden, deri Sie verehret die Gottheit iin reinen Verſtande,
Herr der Vatur. Er ſpricht ein geheimnis
und ſtrebt ihr ähnlich zu werden : Gebethe
volles Wort, und die Eleinente gehorches
find für die überweltlichen Götter , Opfer
ihm , Götter und Geiſter erſcheinen und er
Thuinden , die Zukunft wird ihm Tag, and für die Götter der Welt: die groſse Gottheit
kann nur in Geiſte angebethet werden. Da
die Ordnung der Natur ſteht ſtill und är
klimint dann die Seele mehr und mehr hinauf;
er rum ſtiegen die Seelen hernier in der Anſchauung ewiger Wahrheiten nähert
dertAbfich. wa
in die Körper, und verlieſsen die reiners
fie ſich dem Unendlichen , und ſteigt heraus.
aus den Banden der Materie. Sie fängt ihre
Zonen des göttlichen Aethers ? - Entfernt
von Gott, neigten lie fich zum Sinnlieber Reinigung an mit den fittlichen Tugenden,
und fo gereinigt verweilt hie in der Betrach,
berab, und fündigten in ihrer Schwachheim
tung der Wahrheit und in der Uebung theur .
darum wurden he geſtraft durch Einkörpe
wenn hie edel giſcher Werke. Jede Weilſagung, jede Ban
ten nung der Götter und Geiſter entrükt fie mehr
rTeicnhgtſ, chawf o ſiefinjde,dochd,ie göttlichen Nature
und mehr dem Staube der Wrde. Weg alle
Freu
offenbaren und preiler Devi
80

Freuden der Welt, aller Genuſs finnlicher


Ergötzungen , zu dir hinauf, du Quelle der
reinſten Freude , in dich verſenkt, in dich
zurükgefloſſen , frey von des Körpers Feſſeln,
ganz. Geiſt und ganz ſeelig. Was mich um
giebt, iſt irdiſch und veränderlich , es zieht
die Seele abwärts zur Materie , es giebt kei
nen reinen dauernden Genuſs, es giebt keine
ewige beſtändige Liebe. Zu dir hinauf du
Gotteskraft, höchſte Reinigkeit, reinſte Freu
de , ewige Liebe. Breclit ihr Feſſeln des
Leibes !
' So weit der Trauin. Und nun kann man
fragen , ob Ideen , wie dieſe , von der ewi
gen Verwandſchaft mit dein Urgeiſte , von
dem genauen Verhältniſſe mit Göttern und
Geiſtern , von der groſsen Herrſchaft über
Natur und Dä:nonen , von einem Hinaufſtei
gen zur reinen Gottheit, durch Wahrheit
und Zauber , nicht den ſchnellſten und all
gemeinſten Eingang finden muſten , den man
fich denken kann . Da iſt Beſchäftigung
der üppigſten Phantafie , froher Genuſs für
das Herz , überall Wärme und Leben . Zwi.
fchen allem , was auf Erden und über der
Erde webt , herrſcht Zuſainmenhang und
Har
81
- 80 -
Freuden der Welt, aller Genuſs finnlicher Harmonie , und über allen dieſen Zuſammen
Ergotzungen , zu dir hinauf, dn Quelle der hang gebeut der Menſch , deſſen Seele gerei
reinfen Freude, in dich rerſenkt, in dich nigt iſt durch Anſchauen und Gebeth , und
hinanſtrebt zur Annäherungan den Quell
zurukschollen , frey von des Körpers Fellelm
alles Heils. Da ſchwinden alle die Nichts
ganz Geiſt und ganz ſeelig. Was mich um
giebt, iſt irdiſch und veränderlich, es zieht würdigkeiten und Kränkungen dieſer Erde,
alle Gefahren und Leiden der Sterblichkeit :
die Seele abwärts zur Materie, es giebt kei
nen reinen dauernden Genuſs, es giebt keina der Geiſt fliegt auf, betrachtet aus erhabnern
Kreiſsen den Rundlauf der Welt , und freut
euize beſtandige Liebe. Zu dir hinauſde
fich des Todes , der ihn vom Körper löſt
Goreskiaſt , höchſie Reinigkeit, reinſte Freso
de , ewige Liebe. Brecht ihr Felleln der und dem Urgeiſte zuführt. Ich würde
jeden beneiden , der dieſen Träumen fo feſt
nachhängen kann , daſs ihn kein Zweifel
LeibSeso !weit der Trauin . Und nun kann nusa
ſtöhren darf.
fragen , ob Ideen, wie dieſe, von der poi
t Wenn übrigens aus dieſer Philoſophie Magie,
gen Verwandſchaf mit lde e
in Urgeilte,
m a u
de gen - Ver e n h ä l t n i l mit Göttern und Divination , and M’underkraft Stoff und Be
Geiſtern, von der groſsen Herrſchaft al er glaubigung erhielten , wenn damals Prophe
ten und Geiſterbanner und Wunderthäter in
Natur und Dä :nonen , von einem Hinanir
ganzen Schaaren auftraten : ſo iſt das keine
gen zur reinen Gottheit, durch Wahrhe'
auffallende Erſcheinung. Ich will eine Paral.
und Zauber, nicht den ſchnellen und 2 lele her ſetzen , welche viel auffallendere
gemeinſen Eingang hinden muſten, den mag
Dinge enthält *).
fich denken kann. Da iſt Beſchäftige Die
der üppigſten Phantaſe, froker Genuls hi
das Herz , überall Wärme und Leben. Ze * ) Aus Herrn Drüks Rede über die Aehnlichkeit,
ſchen allem , was auf Erden und über
der Verirrungen des menſchlichen Verſtandes
ng in zwey verſchiedenen Zeitaltern 2786.
Erde webt , herrſcht Zulainmenha v F
82

: - Die Nachwelt durchgehe die Annalen


unſers Zeitalters , des vergangren Jahrzehends,
und finde darin : hier eine Zauberin , wegen
angezauberter Krankheiten enthauptet und
verbrannt , dort ein Geinälde eines neuern
Künſtlers in einer der erſten Städte Deutſch
lands, welches ſeine Augen lo deutlich
hewegt , daſs Tauſende von herbeyeilen
den Menſchen es ſehen : dort ganze Heere
von Geiſtern , welche die erſchroknen und
fliehenden Landlente verfolgen : oder sie
ſchlage unfre Meſsverzeichniſſe auf, und
finde fie reichlich verſehen mit inagiſchen
Büchern , die nichts geringeres , als die
Kunſt verſprechen , aus Bley Gold und den
menſchlichen Körper unſterblich zu machen ;
angefüllt mit philoſophiſchen Büchern in dem
Tone eines aſtrognoſtiſchen Endurtheils oder
des Buchs über Irrthum und Wahrheit .
Man hört die Namen : Gaſnerianer , Martie
milten , Schwedenborgianer , Inſouciants , Mef
merianer , Somnambuliſten , Caglioſtraten ,
Schröpferiſche Magier , Roſenkreuzer , Kab .
baliften und wie viele andere ? Die '

Nachwelt frage einſt nach ihren Bedeutungen ,


und erſtaunen wird fie , zu hören , daſs dio
Ei
82 83

Die Nachwelt durchgehe die Annalen Einen von ihnen die Kunſt verſtanden ,
unſers Zeitalters, des vergangren Jahrzehend,s Zahlen , Buchſtaben und Worten Geheimniſſe
und hnde darin : hier eine Zauberin, wegen der Natur und Staaten zu entdeken ; daſs
angezauberter Krankheiten enthauptet und die Andern die Kunſt verſtanden , einen
verbrannt, dort ein Geinälde eines neuern Heinrich den Vierten , einen Voltaire , und
Kurklers in einer der erſten Städte Deutſch einen Montesquieu aus der andern Welt her
lards , welches ſeine Augen ſo deutlich über an die Tafel einer franzöffchen Dame
bewegt, daſs Tauſende von herbereiland zu nöthigen ; daſs die Dritten das Geheimnis
den Menſchen es ſehen : dort ganze Heere belaſsen , in ihrer Hand dem Magnete die
von Geiſtern , welche die erſchroknen ize Kraft zu ertheilen , durch die er init dem
fiehenden Landleute verfolgeſſne: oder die einen Pole Geſundheit in die fiechen Körper
ſchlage unſre Meſsverzeichni auf,, und zurükſtiefs , und mit dem andern Pole Gold
finde lie reichlich verſehen mit magiſchen anzog ; ja fogar , daſs ſie mit einer erhöh
B.ichern , die nichts geringeres, als die tern Kraft des Magneten die Seele ſelbſt aus
Kunſt verſprechen, aus Bley Gold und des dem Körper nur nicht ganz entführten , da
menſchlichen Körper unſtherenblich zu machen mit dieſe ihren , in Zerrüttung gebrachten,
angefillt mit philoſophiſc Büchern in der Leib in ſeinen innerſten Theilen nach Bequem
chen durtheils
Tune eines aſtrognoſtiſ En oder lichkeit durchſpähen , und die Hilfsinittel
des Buchs über Irrthum und Wahrheit. - gegen ſeinie Zerrüttungen ſelbſt angeben könnte.
er
Van hört die Namen : erGaſnerian , Marzo Erſtaunen würde die Nachwelt, zu hören ,
orgian nſouciants r
niſten , Schwedenb , nI , de daſs unter einem von jenen Namen , wie
mbuliſte
1

neria ner , Somna raves


, Cagliolu unter einer Fahne , fich eine Anzahl von
ſche agier, Roſenkreuzer, Kas
Schröpferi M Menſchen um einen Mann her verſammelt,
balilien - und wie viele andere ? - D welcher ein wunderthätiger Arzt , von Ges
Nachwelt frage einſt nach ihren Bedeutuneet burt ein Aegypter, gebohren zur Zeit der
und erlaunen wird he, zu hören, dals & "Pyramiden und getauft iſt ſeit 60 Jahren : der
E yon
1
84

Ton niemand nimmt , ſeinen Kranken Gold


giebt, aber dieſes Gold in einer trinkbaren
Geſtalt, und es für sich behält unter einer
folidern . Erſtaunen würde die Nachwelt , zu
hören , daſs in dem achtzehnten Jahrhunderte,
der eine böſe Geiſter austreibt , der andre
in den vertrauteſten Umgang mit immateriel
len Weſen fich eingedrungen hat , der andre
aus einem Buche, das nie exiſtirt hat , und
aus einer phyſiſchen Beſchaffenheit des Erd
balls , wie sie nie geweſen iſt, den Unter
gang von halb Deutſchland voraus ſagt, wo•
bey ein Drittheil von Deutſchland fich fürch
tet u. f. w .

Es iſt wahr , diefs alles wird die Nach


welt hören , aber he wird auch zugleich be
merken , daſs während dieſer Dunkelheit
auf der einen Seite deſto helleres Licht auf
der andern leuchtete , und daſs jene Ver.
irrungen nur vorübergehend und nicht im
mindeſten im Stande waren , eine reine for
fchende Philoſophie zu verdrängen oder auch
nur zu hindern. Sie wird dabey die Ee
merkung von neuem beſtätiget finden , daſs
die heiſse Sehnſucht nach Wahrheit dem Men .
(chen
85
84
von niemand nimmt, ſeinen Kranken GOM [ chen gefährlich ſey , wenn ſie hch der Ge.
fühle bemeiſtert , und durch dieſe in die
giebt, aber dieſes Gold in einer trinkbarez
Geluit, und es für ſich behält unter einer leicht zu verhitzende Phantaſie aufſteigt, und
Lolidern. Erſtaunen würde die Nachwelt, za daſs folglich die beſte Philoſophie diejenige
buren , daſs in dem achtzehnten Jahrhunderte, ſeyn müſſe , welche Verſtand und Herz auf
der eine böſe Geiſter austreibt, der andre
gleiche Weiſe beſchäftigt, ohne einem von

in den vertrauteſten Vingang mit immateriel beyden das Uebergewicht zu geſtatten,


len Wefen fich eingedrungen bat, der andre
aus einein Buche , das nie exiſtirt hat, and
aus einer phyhſchen Beſchaffenheit des Erdo
1
balls , wie ſie nie geweſen iſt, den Veteran
gang von halb Deutſchland voraus ſagt, WTV
bey ein Drittheil von Deutſchland fich fürch

tet u . [ w .
Es ilt wahr , diels alles wird die Nasi
welt hören , aber he wird auch zugleich be
merken , daſs während dieſer Dunkelber
auf der einen Seite delto helleres Lichts
der andern leuchtete, und dals jene te ,
irrungen nur vorübergehend und nicht is
mindeſten im Stande waren , eine reine le
ſchende Philoſophie zu verdrängen oder azo
Sie ird ahey e
e k u n g nodnerneuem eſwtätigetd findendi, du
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mnu zu hiv . n b
cht ach ahrheit em er
die heilse Sehnſu n W d H
1 F 3 ARI.
86

li
1
.

ARISTOTELES

NATÜRLICHE THEOLOGIE.

Der Streit über die Theologie des Ariſtote


les iſt ſchon alt. Einige haben ihn zum offen.
baren Atheiſten gemacht, andre haben zwar
einige Aeuſerungen deſſelben über Gott und
Vorſehung angenommen , aber fie bey dem
Widerſpruche andrer von ſeinen Hypotheſen
für bloſse Nothbehelfe erklärt, womit er
einem üblen Argwohn zu entgehen geſucht
habe : die Meiſten geben die ganze Unter.
ſuchung auf. Ariſtoteles iſt ein zu wichtiger
und zu ſyſtematiſcher Philofoph , als daſs

dieſer Punct in ſeinem Syſteine nicht eine


genauere Erörterung verdiente.
Zuerſt
86 87

Zuerſt müſſen wir uns darüber vereinigen,


aus welchen von ſeinen Schriften wir die
Beweiſsſtellen zu entlehnen haben.

Das erſte Buch ſeiner Metaphyſik iſt ſchon


längſt als unächt dargethan. Eine eigentliche
Theorie von der Gottheit enthält das zwölfte

ARIST OTELES (nach den ältern Ausgaben ) beſonders vom


ſechſten Capitel an. Es wäre das leichtelte,
NATÜRLICHE THEOLOGIE diefes Buch , eben wegen der Widerſprüche
der darinn vorgetragnen Theorie mit andern
Meynungen gradehin für unächt zu erklären,
aber es wäre auch eine petitio principii, die
Der Streit über die Theologie des Arifto man uns nicht erlauben würde. Wir wollen
les iſt ſchon alt. Einige haben ihn zum offer es alſo als Ariſtoteliſch gelten laſſen. Wenis
baren Atheiſten genmacht, andre haben zwa ger Bedenklichkeiten find gegen ſeine Bücher
einige Aeuſerunge dellelben über Gott und vom Himmel und gegen die Phyſik.
Vorſehung angenommen , aber hie ber den
e
Widerſpruch andrer von ſeinen Hypotheke Hiernächſt kämen die Nachrichten ſpäte,
e
für bloſse Nothbehelf erklärt, womnit ! rer Schriftſteller in Betrachtung Beſonders

einem üblen Argwohn zu entgehen geach gehören hierher einige Stellen aus Cicero über
habe : die Meiſten geben die ganze Uisten die Natur der Götter (z. B. 2. 37. I. 13.).
ſuchung auf. Ariſtoteles iſt ein zu wichure Ich will Cicero ſeinen hiſtoriſchen Glauben
und zu ſyſtematiſcher Philofoph, als de nicht abſprechen , aber was insbeſondre die
dieſer Punct in ſeinem Sylteine nicht es erſte Stelle anlangt, ſo iſt im ganzen Ariſto
ng reles keine Spur von dem zu finden , was
genauere Erörteru verdiente. F4 ihm
88
!!
ihin Cicero ' beylegt : auch die zweyte iſt aus
einem verlohrnen Werke des Stagiriten entu
lehnt. Eben darauf ſcheint die Stelle beyin
Sextus Empiricus (adv. Math. 9. 2. 20.) fich
zu beziehen ,
91

Drittens kann nan wohl ſo viel vojaus


feſtſetzen : daſs Ariſtoteles Syſtem , ſo wie
die Syſteme anderer , auch neuerer Philofo
phen , nicht auf einmahl entſtanden ſey, daſs
er manche ſeiner frühern Ideen in der Folge
geändert und berichtiget habe , und daſs viele
Meynungen, welche für ſich beſtehen konn ,
teng in das Ganze des Syſtems, nicht paſten,

und daher etwa nur gelegentlich von ihm


erörtert worden ſind. Freylich können wir
heute nicht inehr mit Gewiſsheit ausmachen,
welche von ſeinen Schriften älter oder jün
ger find , aber jene Vorausſetzung iſt darum
doch nicht leer und unftatthaft.

Nach allen den Stellen nun , welche im

Ariſtoteles ſelbſt oder in fpätern Schriftſtel


lern vorkommen , hätte er behauptet:
1. Der Begrif von Gott ſey aus zwey Bee
merkungen entſtanden , aus der Betrachtung
über
88
89

nin Cicero beylegt : auch die zweyte ilt aus über die menſchliche Seele und aus dem An
cinein verlohrnen Werke des Stagiriten ents ſchauen des Himmels. " Das Vorherſehungs
Tehnt. Eben darauf ſcheint die Stelle beya vermögen der Seele , Selbſt in Träumen
Sextus Empiricus (adv. Math . g. 2. 20.) hich habe auf den Schluſs geführt, és müſſe ein
Welen exiſtiren , welches mit der Seele Aehna
zu beziehen . lichkeit und die allgemeinſte vollkommenſte
Drittens kann man wohl ſo viel voraus Erkenntnis habe. Die Beobachtung des or
friletzen : daſs Ariſtoteles Syſtem , fo wie dentlichen und geſetzmäſsigen Laufs der Sonne
de Syſteme anderer , auch neuerer Philolo und der Geſtirne habe die Menſchen auf einen
plien , nicht auf einmahl entſtanden ſey, cui Urheber und Regierer dieſer Ordnung und
er banche ſeiner frühern Ideen in der Fuse Geſetzmäſsigkeit fortſchlieſsen laſſen
geändert und berichtiget habe, und daſs viele +
is
Meynungen , welche für ſich beſtehen konn * 2. Es exiſtire ein Gott. Denn : erſtlich
ten , in das Ganze des Syſtems,nicht palts könne die Bewegung in Univerſum nicht
ihn
und dalier etwa nur gelegentlich rob unendlich ſeyn , fie müſſe ein gewiſſes Prin
er Srtert worden find. Freylich können wi cipium haben , von welchem he ausgegangen
heute nicht mehr mit Gewilsbeit aucmachar Tey, und welches felbft weiter keinen Grund
welche von ſeinen Schriften älter oder jünk feiner Bewegung auſer fich habė. : Zweytens 4

ger find , aber jene Vorausſetzung ilt darun ſey der Schluſs von der weiſen Einrichtung
des Univerſums wahr und richtig
doch nicht leer und unſiatthaft.
e
welch in
achlesilen en tellen un 3. Die Gottheit ſey Eine , ewige , unverän .
AriſNtote a ſelbſdt odeSr in ſnpäte,rn Scbriline!
derliche, fúnkörpärliche Subſtanz, welche ,
en
lern vorkomm , hätte er bebauptet: das feeligfre Leben in der Beſchauung ihrer
eigenen Vollkommenheiten führe , und die
1. DeernBegrif vonenGott ſey aus zwey be Maſse des Univerſums in ſteter fortgehender
merkung entſtand , aus der Betrachte
F 5 Be
go

Bewegung erhalte. Eine ſey hie , weil die


Bewegung der Welt nur Eine ſey , und weil
!
die Regierung der Welt von mehreren Beherr
ſchern nicht ſo gut ausfallen würde. Die
Ewigkeit derſelben bewiefs- er daraus, daſs
die Bewegung keinen Anfang und kein Ende
haben könue . Eben dieſs zeuge auch für
die Unveränderlichkeit der Gottheit. Der
Anfang aller Bewegung könne nicht aus end
lichen Theilen beſtehen , allo ſey die Sub
Stanz unkörperlich . Sie wohnt in der höch
Sten Höhe , iſt aber durch das ganze Weltall
ausgebreitet.

4. Unter dieſer Gottheit ſtehen eine groſse


Menge Untergötter , welche die Geſtirne be
herrſchen und von der ewigen Subſtanz ab
hängig , obgleich ſelbſt ewig ſind .

Beyin Cicero (de N. D. I. 13.) wird dein


Ariſtoteles der Vorwurf gemacht, er hahe
bald einem Geiſte alle Gottheit beygelegt,
bald die Welt ſelbſt Gott genannt , bald ein
adres Weſen angenommen , welches die
Bewegung leite , bald ein himmliſches Feuer
als Gottlieit angegeben , Entweder diefs
find
go 97

Bewegung erhalte. Eine ley he, weil die -find abſichtliche * ) Misverſtändniſſe " und Ver.
Bewegung der Welt nur Eine ſey, und weil drehungen , oder Ariſtoteles müſte der ver.
de Regierung der Welt von mehreren Beberro wirrteſte Kopf geweſen ſeyn , der je philo
kvern nicht ſo gut ausfallen würde. Die -fophirt hat.
Ewigkeit derſelben bewieſs er daraus, das
die Bewegung keinen Anfang und kein Ende: Angenommen alſo , Ariſtoteles hat die ge
haben könne. Eben dieſs zeuge auch für nannten vier Puncte wirklich behauptet: wie
die l'nveränderlichkeit der Gottheit. Der ſtilnmen fie mit ſeinen übrigen Meynungen ,
Anfang aller Bewegung könne nicht aus eo und warum hat er ſie nicht ausführlicher,
lieben Theilen beſtehen , allo ſey die Suba ( warum nicht in Verbindung mit dem ganzen
ch
Itanz unkörperli . Sie wohnt in der hách Syſtemer vorgetragen ? 1

fien Hole, ilt aber durch das ganze Well


;... Was die erſtere Frage betrift, ſo iſt ſo
t viel únbeſtritten , daſs dieſer Philoſoph die
ausgebreite . ·Ewigkeit der geformten Welt lehrte ,
4. Unte dieſer Gottheit ſtehen eine grabe
r daſs
r
Monge Untergötte , welche die Geltirne be jer Materie und Form als die Principien des
All anſah , und daſs er ein fünfres, von
herrſchen und von der ewigen Subſtanz a. den natürlichen Elementen verſchiedenes We
hängig, obgleich ſelbſt ewig hind. fen aufnahm , welches alle Vollkommenheit
Berin Cicero (de N. D. I. 13.) wird das und Göttlichkeit in fich /vereinige , und wel- ,
er hali ches er bald Aether , bald Wärme , bald
s
Ariliotele mder Vtoerwurf gemahcehitt, es Licht , bald Geiſt oder Seele nennt. Dieſe
b a l d e e Geiſ alle Gott beygel
i n
Hypo
bald die Welt ſelbſt Goit genannt, balde
men
mdres Weſen angenom , welecshes de
g
Bewegu leite, bald ein himmliſch Fete
n * ) Dafür erklärt'fie der Zuſammenhang. S. Hrn .
er Kindervaters Anim .
Entwed dies
n
als Gottheit angegebe .
C
g2

Hypotheſen ſollen, nach der gemeinen Mey*


nung, jenen theologiſchen Ideen widerſpre
chen . Ich glaube das nicht. Für alle
Denker des Alterthums iſt die Idee eines An
fangs deſſen , was noch nicht war , ein wah
rer Abgrund ihrer Gedanken. Das Geſetz
der Kaufsalität, welches auch die einge
{ chränkteſten Erfahrungen fo nachdrüklich,
predigen , wieſs fie von einem Grunde iinmer
wieder auf einen andern zurük . Aber ſo
wie auf der einen Seite ein Rükgang ins Un
endliche das Räthfel löſen ſollte , ſo machte
doch auf der andern eben dieſer Rükgang
die Forſchungen zu unablehlich , ein Anfang
war für ihr Denken zu klein , ein Nichtan
fang zu groſs. Sie ſuchten beyden Extremen
zu entgeha , indem Sie beyde vereinigteng
indem fie zwar einen Anfang dachten , aber
denſelben durch keine Zeit beſchränkten.
Wenn alſo Ariſtoteles auch die göttliche Sub
Stanz als den Anfang aller Bewegung dachte,
to hielt er doch dieſe Bewegung ſelbſt für
eben ſo ewig , als die Urſache derſelben .
Wir vermiſsen in dieſer Darſtellung Beſtimmt
heit und Harmonie, wir erklären einen ewi.
gen Anfang für eine contra lictio in adjecto:
aber
92 93
Hlypotheſen ſollen , nach der gemeinen Mey. aber wir find doch eben fo wenig im Stande,
nung, jenen theologiſchen Ideen widerſprou einer Antinomie der Vernunft zu entgehen,
clien . Ich glaube das nicht. Für alle
wenn wir die Welt als ein auſer unſrer Idee.
Denker des Alterthums iſt die Idee eines Are für ſich beſtehendes Object vorausſetzen..
fargs deſſen , was noch nicht war , ein wah. Ariſtoteles rükte den Anfang in das Unablehe
her Abgrund ihrer Gedanken. Das Geletu liche hinaus , aus dem Gefichtskreiſse des
der Kautsalität, welches auch die eings menſchlichen Denkens : er dachte ich eine

Curränkteſten Erfahrungen ſo nachdrüklich ewige Subſtanz, er ' multe ihr Wirkungen


predigen, wiels he von einem Grunde immer beylegen , und wie konnten dieſe Wirkungen
wieder auf einen andern zurük. Aber b anders , als ebenſo ewig ſeyn , wie ihre
Urfache ? Es iſt lange Zeit eine Streitfrage
wie auſ der einen Seite ein Rükgang ins Uru
endliche das Räthſel löſen ſollte , ſo machte chriſtlicher Caſuiſten geweſen , was die Gott
duch auf der andern eben dieſer Rükgeg heit gethan habe , ehe ſie dieſe Welt erſchuf,
gen ch
die Forſchun zu unablehli , ein Anfang ob fie thätig oder unthätig geweſen ſey ? Eine
war für ihr Denken zu klein , ein Nichtarı ähnliche Frage ſcheint dem Ariſtoteles vor
. Sie luchten beyden Extremen geſchwebt zu haben , als er der ewigen
ehn em e igten Subſtanz ewige Wirkungen beylegte , die
fzaung eznutggroſ,s ind Sie begyd verein
indem ke zwar einen Anfan dachten, aber Formung und Bewegung der Welt, deren
en r einfachſte denkbare Stoffe Materie und Form
denleib durch keine Zeit beſchränkte -
s find , und durch welche ſich von Ewigkeit
Wena allo Ariſtotele auch die göttliche Sueb
dacht eine lebendige Kraft und ein belebender Geiſt
lianz als den Anfang aller Bewenggung verbreitete , die Principien der denkendên
to hielt er doch dieſe Bewegu felbl lit
eben ſo ewig, als die Urſache derſelbes und der empfindenden Theile des Univerſuins.
g
Wir vermiſsen in edieſer Darſtellun Beltirom
n i e n
heit und Harmo , wir erklär einen eril Die Untergötter, welche er annahm ,

gen Anfang für eine contri " ctio in adjecm find entweder Modificationen dieſer lebendi
ahar gen
is

94

gen Kraft, oder ſie find eine Hypotheſe, die


er ſeinem Lehrer nachdichtete , und in der
Folge vielleicht ganz aufgegeben hat.'

Wem indeſſen die vorhin entwikelte Gea


dankenreihe unſers Philoſophen zu unnatür.
lich und gezwungen ſcheint, der kann ſehr
leicht alle Schwierigkeiten umgehen , wenn
er fich daran erinnert , daſs Ariſtoteles die
ganze Frage über das Univerſum aus einem
phyfifchen Geſichtspuncte anfieht. Die einfach .
Ite Vorſtellung , wovon er dabey ausgeht,
iſt Bewegung : das Princip der Bewegung
aufzufinden , das lezte Ziel ſeiner Forſchun
gen. Es war alſo eine Art von ſpeculativer
Verzweiflung, wenn er sich in der uner
meſslichen Cauſſalreihe der Bewegung ein er
ſtes Principium dachte , eine regulative Idee
nach Kants Ausdruk , keine conſtitutive.

Wenn er fich übrigens in vielen Stellen


der Ausdrüke Glük , Nothwendigkeit , Zufal}
und Schikſal bedient, fo kann man dieſen
Wörtern ſehr leicht eben den Sinn unterle
gen , welchen ſie bey den orthodoxeſten
Schriftſtellern unſerer Zeit haben .
Die
95
94
gen Kraft, oder fie find eine Hypotheſe, die Die zweyte Frage beantwortet ſich aus
dem Angeführten von ſelbſt. Auf eine The
er feinein Lehrer nachdichtete, und in der
ologie iſt es, wenigſtens in den vorhande
Fulze vieileicht ganz aufgegeben hat.' nen Werken des Ariſtoteles, durchaus nicht
Wem indellen die vorhin entwikelte Gex
angelegt. Ueberhaupt beſteht, dünkt mich,
einer der wichtigſten Unterſchiede zwiſchen
dankenreile unſers Philoſophen zu unnatūra
l.ch und gezwungen ſcheint, der kann ſehr der alten und neuen Philoſophie darinn , daſs
die leztre die Exiſtenz Gottes und die Un
leicht alle Schwierigkeiten umgehen, wenn frerblichkeit der Seele als die lezten Zweke
er ſich daran erinnert, dals Ariſtoteles die
aller Forſchungen anhieht, die erſtre hinge
ginze Frage über das Univerſum aus einem
gen beyde Probleme gewöhnlich nur als' Ne
gdy jeden Gelichtspuncte angeht. Die einfache benideen gelegentlich behandelt.
fte Vorſtellung, woron er dabey ausgebat,
iſt Bewegung: das Princip der Bewegung Hiernach könnten denn ' alſo die vier oben
arzunden , das lezte Ziel ſeiner Forſchun
angeführten Sätze unſers Weifen als die ſeini.
fen. Es war alſo eine Art von ſpeculativer gen beſtehen , und müſſen alle diejenigen
Verzweiflung, wenn er ſich in der uner zufrieden ſtellen , denen es genung iſt, wenn
meſslichen Cauſalreihe der Bewegung ein er fe nur in den Schriften der alten Philoſopher
ſtes Principium dachte, eine regulative Idee die Ausdrüke Gott , Ewig , Unveränderlich
nachi Kants Ausdruk, keine conftitutire. n . f. f. antreffen . Wenn wir aber den vor

Wenn er þch übrigens in vielen Stellen


getragnen Begriffen weiter nachgehen , ſo wird
it és fich leicht zeigen , daſs der Deismus des
der Ausdrüke Glük , Nothwendigke , Zufall 4

Stagiriten wenig zu. bedeuten hat.


und Schiklal bedient, ſo kann man deler
Wörtern ſehr leicht eben den Sinn anteria
Einmahl die Idee eines Gottes iſt bey ihm
gen , welchen lie bey den orthodoxeles
nur auf dem Wege der phyfiſchen Betrach.
llern nſerer it ben
Schrifilie u Ze ba . tung
96

tung erlangt: fie dient ihm nur zum Schluſs


ſteine eines unendlichen Regreſsus der Bewe
gungen. Aber ſie war auch dazu nicht ein .
mah ) nöthig , denn ſobald ich einmahl eine
ewige Bewegung denke , bedarf ich ganz und
gar keiner Urſache derſelben , da der Begrif
einer Urſache immer ein Seyn vor der Wir
kung in fich ſchlieſst.
V

Als ein phyfiſcher Behelf hat denn nun


auch zweytens die ganze Idee lauter phyfi.
ſche Attribute , die aus Negationen der ' ge.
wöhnlichen Eigenſchaften natürlicher Körper
zuſammengefezt find. Ariſtoteles behauptete
1
felbft, die Gottheit könne keine moraliſchen
Tugenden üben , und was iſt eine Gottheit
ohne diefs ? Der Gott , auf den unſere Ver.
nunft hindeutet , den unſer Herz fordert,
muſs als der Inbegrif aller ' moraliſchen Voll
kommenheiten gedacht werden : nur dadurch
wird er der unſrige, nur dadurch wird er
eine Idee voll Leben und Einfluſs.

Wenn wir überhaupt einen Blik auf die


geſamimte Theologie der alten Philoſophen
werfen : ſo erſcheint, uns die Idee von Gott
vor.
96 97
ng t
tung erla : he dient ihm nur zum Schlal. vornehmlich in folgender Geltalt : Die mei
ſteine eines unendlichen Regreſsus der Bewe ſten Syſteme kennen ihr nur als Weltbaumeis
gungen. Aber ſie war auch dazu nicht ein. ſter, der entweder aus der vorhandenen
mahl nöthig, denn ſobald ich einmahl eine Materie die Welt , wie fie jezt iſt, gebauet,
ewige bewegung denke, bedarf ich ganz und alſo nur die Form hervorgebracht, oder bey.
gar keiner Urſache derſelben, da der Begrif des Materie und Form ſchon gefunden und
einer Urſache immer ein Seyn vor der Wir folglich nur vereiniget habe. An dieſe Vor
ſtellung ſchlieſst fich die von einem Weltbele.
kung in ſich ſchlieſst. 1

ber genau an , einem Wefen , welches die


Als ein phyfſcher Behelf hat dena su noch todte Welt belebt und in Bewegung
auch zweytens die ganze Idee lauter phyſ gelezt habe , und noch immer belebe , und
durch ſein Leben tind- Weben die Bewegung
ſche Attribute , die aus Negationen der gen
mühnlichen Eigenſchaften natürlicher Körper in dem All erhalte. Beyde Ideen find ganz
zulmmengeſezt find. Ariſtoteles behauptete mechaniſch : die Gottheit iſt nicht mehr,
leift, die Gottheit könne keine moraliſchen als ein weiſer Architect , oder eine unendli
Tugenden üben , und was iſt eine Gottheit che Maſse von Lebenskraft. In der leztern
ohne diel ? Der Gott, auf den unſere Ver Rükſicht iſt Welt und Gott nur Eins , eben
So wie Körper und Seele Eins find. Als
nundi hindeutet, den unſer Herz fordert
muſs als der Inbegrif aller moraliſchen volt Welturheber oder Weltſchöpfer erſcheint die
kominenheiten gedacht werden: nur dadurai Gottheit bey den Alten nicht: eine Schöp
wird er der unſrige, nur dadurch windo fung, d . h. Hervorbringung aus Nichts , war
ihnen undenkbar. Moraliſcher Weltregierer
eine Idee voll Leben und Einfuls.
iſt ſie nur bey wenigen , bey Socrates , Plato
Wenn wir überhaupt einen Blik auf die «. und den Stoicern : doch leiten auch dieſe
e e
geſammt Theologi der alten Philoſopher die Eigenſchaften derſelben mehr aus der
werfen : lo erſchei t uns die Idee von Gott
n Einrichtung des Univerſums, als, aus dem
mart
98
moraliſchen Bedürfniſſe der Menſchheit ab ,
Gröſtentheils iſt die Gottheit in den Philoſo .
phemen der Alten nur ein Begrif für die
Speculation ,' weniger für das Leben.

F.;

PHI
99
- ‫ و‬-

1
I
inoraliſchen Bedürfniſſe der Menſchheit ab.
Grüſtenteils iſt die Gottheit in den Philofon
phemen der Alten nur ein Begrif für die sha LODEO
Speculation , weniger für das Leben.
singles moins tre. I totes
B. és Soros 90 :21.17
PHILOSOPHISCHE VORLESUNGEN );
« shisia sib
‫ وزوال‬2‫! اب‬ 1911 ) Isu
‫ع‬ ، ‫ا‬1.
‫ ل‬:
Erfte Vorleſung
Ein groſser Theilvon ihnen, meinegeliebe
teſten Freunde, iſt noch unbekannt init der
Zwietracht und den Streitigkeiten , welche
von jeher in der philoſophiſchen Welt ge
herrſcht haben noch unbekannt mit den
mancherleyHypotheſen, Träumen und Dich'
tungen, worüber ınan geſtritten hat. Viel
leicht hat noch keiner von Ihnen an den
Wahrheiten gezweifelt, welche für die Phi.
G 2 lolos

*) Ihrem weſentlichen Inhalte nach , mit Wege


laſſung der ausführlichen Bio- und Bibliogra.
phie und alles deffen , was fonft ' doch der
mündliche Vortrag verlangt:
100

lofophennoch immer nicht ausgemacht ſind:


Vielleicht halten Sie ſogar allen Zweifel dar
an für unmöglich . Ein gewiſſes lauțredendes
Gefühl, entwikelt und geſtärkt durch den
Unterricht Ihrer Lehrer , verbunden mit den
Ueberzeugungen aus der Religion die ich
Ihnen nicht anben werde hat bisher bey
Ihnen die Stelle philoſophiſcher Beweiſe ver
treten , oder dieſen Beweifen wenigſtens einen
ſehr unbedeutenden Platz angewieſen.

Aber Sie werden nicht immer in jener


glüklichen Unbekanntſchaft, in dieſer zwei
felfreyen Ruhe bleiben. Der Jüngling, iſt
ganz beſonders zur Scephs aufgelegt: es iſt
als rechnete er auch hier auf ſein längeres
teben , WO er noch Zeit genung zu haben
hoffet, sich mit ſeinen Meynungen zur Ruhe
zu ſetzen . Ein Buch zu früh geleſen , ein

Wort aus dem Munde eines wichtigen Man.


nes kann ihm ſeine ganzen Ueberzeugungen
und init ihnen ſeine Ruhe rauben : , 'er ſtrebt,
das Verlohrne auf einem andern Wege wie
der zu erlangen : der eigenthümliche Reiz,
den die Speculation mit fich führt, die Sucht
za orhinden , der Hang zum Widerſprechen,
alles
100 101
1

uſuphen noch iinmer nicht ansgemacht ſind: alles das vereinigt fich- alsdann , den jungen
Vielleicht halten Sie fogar allen Zweifel dar Denker entweder zu dem hartnäckigſten Saep
ticismus , oder zu einem ſpizhndigen Dago
an für unmöglich. Ein gewiſſes lautredendej
Gefahl, entwikelt und geſtärkt durch den matismus zu führen , welche beyde , wie
Unterricht Ihrer Lehrer, verbunden mit den alle Extreme , den einzigen Fehler i haben ,
L'eberzeugungen aus der Religion -- die ich daſs das Wahre und Gute zwifchen ihnen
Ihnen nicht rauben werde hat bisher bey liegt.
Ihnen die Stelle philoſophiſcher Beweiſe vero
treten , oder dieſen Beweiſen weniglenseinen 1
Ihnen eine kurze Ueberſicht der bisheri.

ſelor unbedeutenden Platz angewieſen. gen Uneinigkeiten unter den Philoſophen zu


geben , ' . Sie auf das aufmerkſam zu machen,
Aber Sie werden nicht immer in jezer was wir nicht wiſſen und worüber : wir alſo
t
glüklichen Unbekanntſchaf , in dieſer zeci auch nicht ſtreiten können , mit Ihnen den
lellreyen Rube bleiben. Der Jüngling i wahren Zweck und den richtigen Geſichts
punkt der Philoſophie aufzuſuchen : diefs fey
ganz beſonders zur Scephs aufgelegt: esi
als rechneie er auch hier auf ſein längerti der Gegenſtand dieſer wenigen Vorleſungen.
halus Ich habe ſie unter dem Namen Kantiſcher
Leben , wo er noch Zeit genung zu Philoſophie, angekündigt: denn ich muſs Ih
hoffer, lich mit ſeinen Meynungen zur Box
nen im Voraus ſagen , daſs keine Art zu
Ein Buch zu früh geleſen,e
zWuorſtetzaeuns. dem Munde eines wichtigen Le philoſophiren beſſer über die Meynungen der
des kann ihn ſeine ganzen Veberzeugung
en Denker urtheilen , genauer die Grenzen des
und mit ihnen ſeine Ruhe rauben : erfarin menſchlichen Wiſſens beſtimmen , und rich
das Verlohrne auf einem andern Wegeer tiger das eigentliche Weſen der Philoſophie
finden lehrt , als diejenige, die Kant , unter
der zu erlangatenio: n der eigenthümliche R
den die Specul mit hch führt , die Sache dem Namen der kritiſchen , der philoſophie
za erfinden , der Hang zum Widerlprentes ſchen Welt mitgetheilt hat. Dies Lob gehört
G 3 der
102

der Kritik : ich verweiſe Sie an dieſe , wenn


ich durch Ineinen Vortrag dieſen Lobſpruch
nicht rechtfertige. ‫و در‬

Wir wollen nicht in die Gefchichte der


alten Philoſophie zurük gehen ; wir wollen
uns näher an unſre Zeit halten . Des Cartes
macht den Anfang der neuern Philoſophie:
und dies init Recht. Er war es, der ſich
von Allein dem losmachte , was vor ihm

gedacht und fyftematifirt worden war, und


der, mit Wegwerfung des Alten , ein neues
Syſtem aufbaute , welches aus Zweifeln und
Dichtungen zuſammengeſezt, aber doch nicht
arm ari Wahrheiten und nicht ohne durch.
dringenden Scharfſinn geordnet und verbun
den war. Was doch ſonſt das allgemeine
Feldgeſchrey der Ungewiſsheit iſt, das war
ihm das Motto ſeiner Veberzeugungen : Ich
zweifle , In der That , nichts ſpricht ſo
nachdrüklich von unſern eigenthümlichen
Vorzügen, von 'unſern Anlagen , mit einem
1
Worte , von unſerer Humanität , als das

Vermögen , zweifeln , aus Gründen leugnen ,


aus Gründen widerlegen zu können : und
wir laffen alſo Des Cartes geru fo feurig
Schlier
102 103

der Kritik : jch verweiſe Sie an diele, wenn Schlieſſen : ich zweifle , alſo bin ich . Wenn
ich durch meinen Vortrag dieſen Lobſpruch er aber aus dieſen Zweifeln und der zum
Grunde liegenden menſchlichen Unvollkom 1

nicht rechtfertige
menheit den Beweis für das Daſeyn eines
Wir wollen nicht in die Geſchichte der vollkommenften Weſens, und aus dieſem

alten Philoſophie zurük gehen : wir woler Beweiſe alle übrige Wahrheit ableiten wollte :
uns nåler an unſre Zeit halten. Des Cartes ſo lieſs er fich offenbar eine petitio principii
inachu den Anfang der neuern Philofophie: zu Schulden kommen , welche alle die fei.
Er war es, der ſich nen Uebergänge und ſcharflichtigen Specula
end dies mit Recht.
was vor ihm tionen ſeines Syſtems nicht verſtecken kön .
von Allein dem losmachte ,
gedacht und fyftematifirt worden war, and nen . Ich bin , alſo iſt ein Gott ; welcher
der , mit Wegwerfung des Alten , ein neues Sprung iſt in dieſem Schluffe, oder vielmehr,
Syftem auſbaute, welches aus Zweifela nad wie viel Mittelſchlüſse müſfen noch hinzii
t
Dichtungen zuſammengeſez , aber doch miest kommen , um die Kluft zwiſchen den bey.
arm an Wahrheiten und nicht ohne darbha den Exiſtenzen auszufüllen : Schlülfe , die
dringenden Scharfinn geordnet und verbes unter allen Denkern Cartes ſelbſt, als Zweif
Was doch ſonſt das allgemeit der ; grade am wenigſten wagen und unbe }

dFeelndgweaſrcihrey der Ungewiſsheit ilt, das we dingt hinſtellen durfte. Auf dem Wege die
ſer Speculation ſtiels Cartes' auf den Begrif
ihm das Motto ſeiner Veberzeugungen
In der That, nichts ſprichtb' des Einfachen , und er iſt es , der dieſe
h
nzaicrheidfreü.klic von unſern eigenthümlicher Idee am ſchärfſten gefaſst und entwickelt hat :
von unſern Anlagen , mit eins ob er ihr gleich ſelbſt, wenigſtens da nicht
erer anitüt treu blieb , WO ' er voin . Sitze der einfachen
Vorzügenn,von unſ Hum , als die Seele in einem materiellen Theile des Gehirns
VWeorrmtöeg, e , zweifeln ,' aus Gründen Teugues
Theo redet , oder wo er den Einfluſs der Seele
aus Grunenden woiderlegen tzesu können : auf den Körper durch die Communication
wir lall alſ Des Car geru to learn
6

G4 des
104 ,
des Nervenſafts erklärt, Wäre die Mühe
belohnend genung , das heiſst, wäre hie für
uns zwekmäſsig: ſo könnten wir noch ſein
ganzes Syſtem durchgehen , und wir würden
die Beſtätigung deſſen finden , was Voltaire
von ihin und Malebranchen ſagte : es waren
groſse Männer , von denen man wenig lernt.
Aber lernen wir auch aus Cartelens Philoſo.
phie nur wenig, ſo kann uns doch die Ge.
ſchichte ſeines Kopfes lehrreich werden. Ge
nie und Wiſsbegierde ebneten ihm Anfangs
den Zugang zu allen Wiſſenſchaften : er ſtu
dirte Alles , aber ohne Plan , ohne fich Zeit
zum Prüfen zu nehmen : er faſste ſchnell,
aber er verwarf noch ſchneller : eine rege
Einbildungskraft trieb ihn von Idee auf Idee:
er war fertig mit allen Theorien und Hypo.
tbeſen , als er ſich ſelbſt frug, was er nun
wille , und ich von Zweifeln und Bedenk
lichkeiten ſo umringt fand , daſs er den Ent
ſchluſs faſste, alle Wiſſenſchaft aufzugeben,
und fernerhin nur fich , die Menſchen und
die Natur zu ſtudiren . Aber auch hier fand
er der Abweichungen und Irrthümer fo viel,
auch hier ſah er ſo wenig Gewiſsheit vor
fich , daſs er dieſe Lehrer bald wieder ver
Kers.
105
104 .
des Nervenlafts erklärt. Wäre die Mile liefs. Ich will vergellen , alles was ich ge.
ng
genu , das heiſst, wäre he für lernt habe , fagte er zu fich , um zuſehn ,
end
be s hn
unlo zwekmäſsig: ſo könnten wir noch ſein wohin'ich , für mich allein , durch mein
ganzes S; ſtern durchgehen, und wir würden eignes Denken gelangen kann – und wohin
die Beſtätigung dellen finden, was Voltaire gelangte er ? wahrlich zu keiner unerſchüt.
von ihm und Malebranchen ſagte: es waren terlichen Gewiſsheit, Sehen Sie hier an einem
grulse Männer, von denen man wenig lernt. Beyſpiele, wie nöthig imd heilſam es iſt,
Aber lernen wir auch aus Cartelens Philolo. hich zeitig nach einem Plane und weiſen Füh
phie nur wenig, fo kann uns doch die Gem rer des Studiums umzuſehn , fich zeitig ge.
ſchichte ſeines Kopfes lehrreich werden. Geo! wille Principien der Beurtheilung zu ſammeln,
und die Grenzen kennen zu lernen , die
nie und Wilsbegierde ebneten ihm Anfang
den Zugang zu allen Wiſſenſchaften: er he Wirklichkeit und Möglichkeit, Wiſſen und
dirte Alles, aber ohne Plan , ohne fch'le Meynen von einander trennen .
zum Prufen zu nehmen : er faſste ſchoek
aber er verwarf noch ſchneller: eine reine Wie , Sich Cartes in den ſpizhindigſten Er.
kraft
Einbildungs trieb ihn von Idee auf Ide" klärungen der Vernunftprobleme verlohr :
er war fertig mit allen Theorien und Hype ſo verlohr fich Spinoza in der Unerklärlich
keit dieſer Aufgaben. Er unterlag der grof
tbelen , als er ſich ſelbſt frug, was er op
ſen Frage nach der Beſchaffenheit und dem
wille, und ſich von Zweifeln und Bedenk.
Zuſammenhange des phyfſchen und morali
lichkeiten ſo umringt fand, 'dals er den Es ſchen Univerſums. Woher iſt alles ,
aft was
ſchluſs falste, alle Willenſch aufzugeber was iſt die Kraft , die im All wirkt,
iſt ?
und fernerbin nur hich, die Menſchen be
und woher iſt fie ? wirkt ſie durch fich ,
die Natur zu ſtudiren. Aber auch hier for
gen oder durch eine andre Kraft, und woher
er der Abweichun und Irrthümer iftor
auch hier ſah er lo wenig Gewiſshe vi
iſt dieſe ?war fie einmal nicht, wenn fieng
fie an zu ſeyn ? was heiſst, anfangen zu
fich , daſs er dieſe Lehrer bald wieder te
G 5 ſeyn ?
106

ſeyn ? wie kann etwas werden , was noch


nicht war ? ſo forſchte Spinoza und Niemand
konnte ihın Antwort geben. Er ſelbſt ant
wortete fich : Alles was iſt, war immer ſo,
iſt immer ſo und wird ſo bleiben , es iſt

Eins : es iſt in fich ſelbſt Kraſt und Wirkung,


Jauter Seyn , kein Anfangen , kein Enden.
Das groſse All und Eins hat zwey eigenthüm
Jiche Attribute , Ausdehnung und Denkkraft,
die durch alles verbreitet , wovon alle Dinge
nur Modificationen sind : Willſt du dies All
und Eins Gott nennen ; fo ' kannſt du ; nur
denke dir nicht das Eins und den Gott be
fonders : es giebt nur eine Subſtanz , und es
kann nur eine geben , denn Subſtanz iſt, was
in und durch fich ſelbſt beſtimmt iſt , nichts
bedarf, von nichts abhängt. Was ſagen
Sie zu dieſen Gedanken ? Laſſen Sie ſich
das Antike derſelben nicht täuſchen , lallen
Sie ſich von dein Poetiſchen derſelben nicht
blenden ; aber hüten Sie fich auch , Spi
nožan ſofort als einen ruchloſen Atheiſten
zu verdamñen. Es iſt Wahrheit in ſeiner
Meynung , ' ' viel Wahrheit, wenn és nehinlich
wahr und ausgemacht iſt , daſs die menſch
Eche Vernunft an fich ſelbſt im Stande ilt,
i über .
Senaste
106 107

Sisn ? wie kann etwas werden, was noch überfinnliche Gegenſtände zu erkennen , daſs
nicht war ? ſo forſchte Spinoza und Niemand fie das Recht hat , über dieſe Dinge ſo weit
konnte ihm Antwort geben. Er ſelbſt ant fort zu Ipeculiren , als ſie will, und daſs dieſe
wortete hich : Alles was iſt, war immer lon ? Speculationen nicht blofs Ideen , fondern Era
if immer ſo und wird ſo bleiben, es ilt kenntniffe find. Aber dieſs iſt nicht ausges
Ens: es iſt in ſich ſelbſt Kraſt und Wirkung, macht , und wir werden in der Folge ſehen ,
lauter Seyn , kein Anfangen, kein Enden. wie weit die Grenzen der Vernunft gehen . 1

Das groſse All und Eins hat zwey eigenthúna Nennen wir übrigens jeden Denker , der
Prie Attribute, Ausdehnung und Denkkral, eine von der Welt verfchiedene , he beherr
die durch alles verbreitet, wovon alle Dige fohende , nächtige und weife Urfache nicht
Willſt du dies Al annimmt , einen Atleiſten : ſo können Sie
en
sur Modihcation neſinnd . 1
Spinozan dieſen Namen geben , aber verdam
und Ein Got nen : ſo kannſt du;
s t
men dürfen Sie ihn nicht. Sein Leben ver
deuke dir nicht das Eins und den Gott be.
rieth keine Spur von Atheismus: ſein Irthum
Tonders : es giebt nur eine Subſtanz, und ei
war nicht Werk der Bosheit, und iſt für
hann nur eine geben , denn Sulltanz il, w die Welt 'warnend und lehrreich geworden .
in und durch ſich ſelbſt beſtimmt iſt, nico
Die Gottheit , ſagt Montaigne, iſt eiferſüch
bedarf, ron nichts abhängt.– Was lager
Sie zu dieſen Gedanken ? Laſſen Sie kell tiger auf unſere Handlungen, als auf unfer
das Antike derſelben nicht täuſchen, lader Meynen,
n
Sie fich von dem Poetiſche derſelben niek
Schüchtern gemacht durch die Verirrun
blenden : aber hüten Sie ſich auch, Spa
gen dieſer und anderer Denker in dem Las
nozan ſofort als einen ruchloſen Atheiltes
t
Es iſt Wahrhei in ſeine
byrinthe der Speculation , ' und ſchon durch
n g e i t
Meynu da, mmvieenl Wahrht , wenn es nebelt Nation , Beruf und eigene Bildung mehr fürs
zuhrver d sg.emach Practiſche geſtimmt, verliefs Locke den Boden
wa un au iſt, dals die menlik
t der wirklichen Welt nicht. Sein treflicher
liche Vernunf an ſich ſelblt im Stande si Ver .
r
lite
108

Verſuch über den menſchlichen Verſtand führt


alles von der Erfahrung aus , und auf de
zurück . Nach ihm giebt es keine reine , vor
der Erfahrung vorausgehende, aangebohrne
Erkenntniſs : alle abftracten Vorſtellungen
ļöfen ſich in einzelne empiriſche auf. Alle
überſinnlichen Kenntniſſe find nur Schlüſſe
aus den finnlichen , aber eben darum aucla
gewiſs und ficher. iDieſe Darſtellung hat ohn
ſtreitig viel Annehmliches : fie verwahrt vor
ſcholaſtiſchen Grübeleyen , iſt für jeden ver .
ſtändlich und läſst fich beffer , als die meta
phyſiſchen Syſteine, ins Schöne arbeiten.
Die Philoſophie ſoll nur beobachten , und Er.
fahrungen zergliedern ; fie foll fich nichtmehr
in Syſteme und Schulen einſchränken , fon
dern in die Welt treten . wmp Dieſe Anſicht
verſchafte der lokiſchen Philoſophie vielen
und groſsen Anhang: aber man vergaſs, dals
Erkenntniſſe, die bloſs aus Erfahrung (tam
men , doch immer nur das find , was ihre
Quelle ſelbſt iſt zufällig , nicht ſo apodic
tiſch gewiſs und nothwendig, wie fie die
Vernunft wünſcht, und wie fie feyn müſsten,
wenn Sie eine Wiſſenſchaft ausmachen ſollen.

Leibniz
108 109

Verjue's über den menſchlichen Verſtand fübut • 1 . Leibniz ftellte fich von dieſer Seite dem
ales von der Erfahrung aus, und auf be Empirismus entgegen : er bemühte fich , die
zurück. Nach ihm giebt eskeine reine, var Philoſophie wieder auf Grundſätze zurükzus
führen . Er fah , daſs alle Grundſätze deri
der Erfahrung vorausgehende, angebohrne
E kenntniſs : . alle abſtracten Vorſtellungen ſelben von eitiem erſten Princip ausgehn mül
lolen fich in einzelne empiriſche auf. Alle fen , welches in fich ſelbſt beſtimmt, eins
uberfinnlichen Kenntniſſe find nur Schlüfte leuchtend, allgemein walir und- annehinlich
aus den finnlichen , aber eben darum auch Teyn, keiner Erklärung, keines Beweiſes
bedürfen müſse. Zwar hat er ſelbſt kein
Rawils und hoher. . Dieſe Darſtellung hatohne
Streitig viel Annehmliches : fe verwahrt for vollſtändiges Syſtem erbaut, zwar beſchwerte
er die Philoſophie mit manchen unnützen
[cholaſtiſchen Grübeleyen , ilt für jeden rer
ſtändlich und läſst ſich beſſer, als die metr Hypotheſen',; líunter welchen heut zu Tage
phoshile hen Syſteine, ins Schöne arbeiten wohl jeder Denker ſeine vorherbeſtimmte
Harmonie oben anfellt: aber dennoch batte
Die Philoſophie ſoll nur beobachten, and Ev
er groſſe Verdienſte um die Wilfenichaft und
fahrungen zergliedern : fe foll hch nichtmehr
in Syſteme und Schulen einſchränken, ha hinterliels ſeinem grollen Nachfolger Woif
Diele Antich manchen brauchbareu Stoff zu dem Syſteme,
deerrſnchainſtedieerWelotkitrſcetheenn . iloſophie e 'welches dieſer aufgeſtellt hat. Es iſt der
v d l Ph s viel ſtrengſten Wahrheit gemäſs,'und läſst fich
vergal ,dai
und groſsen Anhang: aber man ohne Mühe beweiſen , daſs die Leibniziſch
Erkenntnille, die blols aus Erfahrung fu
, was ihr Wolfiſche Philoſophie das erſte eigentliche
men , doch immer nur das find , Syſtem" war, auf einein Principe erbaut,
Quelle ſelblt ilt - gufällig, nicht ſo apodio alle Theile der Wiſſenſchaft unfaſsend , in
g
tiſch gewiſs und nothwendi , wie he di fich beſtimmt und vollendet . Der Grund.
Vernunft wünſcht, und wie he leyn mülki
haft ausmachen ſollen. fatz des Widerſpruchs, von welchem in der
wenn he eine Wiſſenſc
Folge noch die Rede feyn wird , iſt das Fan
da
1-10

dainent deſselben : der Grundſatz der Kaula.


lität giebt, ibm Erweiterung und Anwendung.
Metaphyſik , Moral, Naturrecht und ihre
angewandten Theile hind genau und vollſtän
dig : ahgehandelt :,: Sprache und Einkleidung
haben das Gepräge der ſtrengſten Willenſchaft;
den Forſchungen iſt durch keine abſprechende
Hypotheſe , wie die des Spinoza, ein enger
Raum eingezäumt: das ganze groſſe Reich
der Möglichkeiten liegt offen daz jene Grund
fåtze ſollen nar, die Wegweiſer in dieſem
Reiche feyg : die Speculation lat groſse Rechte
bekommen , ohne daſs die Beobachtung die
ihrigen , verlohren hat : die Metaphylk erhält
einen hohen feſten Rang) , ohne daſsdie Erp
fahrungsphiloſophie unterdrükt,wird wWas
etwa der Wohſche Vortrag Troknes undDoe
trinales hatte , das iſt unter der , eleganter
Bearbeitung ſeiner Nachfolger verſchwunden:
Sie haben die Lüken in der Speculation durch
Reflexionen ausgefüllt , und die Schwerfäl
ligkeiten der metaphyſiſchen Beweiſe durch
Berufung auf den gemeinen Menſchenverſtand,
durch Beläge aus der Erfahrung , durch einem
gewiſsen, zuverſichtlichen Ton und andre Mit
tel zu umgehn gewuſst:
1
So
111

damnent delselben : der Grundſatz der Kaufe So ſchien denn beynahe die Arbeit ge
lität giebe ibi Erweiterung und Anwendunge ſchloſſen , und eine feſte allgemein befriedi
Metaphyfik , Moral , Naturrecht und ihre gende Philoſophie gefunden zu: ſeyn : als
angewandten Theile find genau und vollfär plötzlich ein Denker auftrat, und mit eben
alig abgehandeh : Sprache und Einkleidung der Zuver fichtund Ruhe, womit jene auf
haben das Geprige der ſtrengſten Willenſchaft: gebaut hatten , das Gebäude wieder einriſs.
den Forſchungen iſt durch keine abſprechende Der Engländer Humne, ein gebohrner Zweif,
ler, bewiels mit ſehr einleuchtenden Grün .
Hypotheſe , wie die des Spinoza, ein enger
Rajin eingezäumt: das ganze grolle Reich den , daſs alle die ſogenannten Vernunftprin:
der Juglichkeiten liegt offen da; jene Grande cipien nichts mehr als einzelne Erfahrungen
Saize fullen når die Wegweiſer in dieler wären , nicht angebohren , ſondern erwor
Reiche ſeyn : die Speculation hat groſse Rechte ben , nicht nothwendig und gewiſs, ſondern
bekommen , ohne daſs die Beobachtung die zufällig und unſicher, nicht allgemein ,gältigi
ihrigen, verlohren hat: die Metaphykk erhält ſondern nur auf einzelne Fälle anwendbar,
als geſchikt,
und folglich nichts weniger, " als,
einen luhen feſten Rang, , ohne dals die bo
ophie eine Wiſſenſchaft zu begründen. Er bewieſs,
fahrungsphiloſ unterdrükt wird
etwa der Wolhſche Vortrag Troknes und Des daſs es gar keine, Philoſophie im ſtrengen
trinales hatte , das ilt unter der eleganta Verſtande , geſchweige denn eine Metaphyfik
geben und alles , was man ihm yon gelun .
Bearbeitung leiner Nachfolger verſchwunder dem Menſchenverſtand vorſagte , : vermogte
fie haben die Lüken in der Speculation dir ſeine Gründe nicht zu widerlegen. Cartes
, und die Scherertio
Rliegfkleeixtieon nednerauisgneeftaülphltyliſchen Betweile dansk -- und Spinoza , Locke und Leibniz hatten ge
d die Vernunft ward mit ihren An
Berufung auf den gemeinen Menſchenyerlan
träumt:
{prüchen an Erkenntniſs und Gewiſsheit ab
durch Beläge aus der hEernfahrung, durch eist gewieſen : und nichts hinderte den Humifchen
lic on nd dre
gewiſsen zuverhcht T u an B Scepticismus, die vorhandenen Syſteine zu
Yer:
tel zu umgelin gewulst

1
7
112

verdrängen , als die Gleichgültigkeit und


ſtolze Ruhe , womit man ihn anhörte : er

war einer von den wenigen Zweiflern , die


nicht zweifeln , blofs um Aufſehn zu machen
und andere Menſchen zu ſtöhren , ſondern
denen es mit ihren Meyriunger Ernſt iſt,
die Alles von allen ihnen bemerklichen Sei
ten erwogen haben , die wie fich Hume
ſelbſt ausdrükte nun einmal nicht anders
können , die Seelenſtärke genung haben , bey
ihren Zweifeln auszuhalten und ruhig zu ſeyn,
die, iſt anders Denken und Forſchen ein
Theil der Menſchlichen Beſtimmung; in den
Augen einer höbern Weisheit eben fo ange
fehn feyn müſsen , als fie den Augen der
meiſten Sterblichen verächtlich und verdamm
fichi vorkommicn . Ich empfehle damit nicht
den Scepticismus, denn er iſt jezt aufgebro
ben, ich empfehle nur die Schonung aller Arten
von philoſophiſchen Meynungen , denn ſie
gehören alle zu dem groſſen Berufe derMenſch
heit , nach Wahrheit zu ſtreben , fie find

alle verſchiedne Wege zu einem Ziele , ob


nah oder ferni , ob grade oder verzogne , ob
richtige oder falſche - das kann die voll
kommenſte Intelligenz allein untrüglich be
( time
113
112

verdtangen, als die Gleichgültigkeit und ſtimmen : die menſchliche Vernunft kann
ſtolze Ruhe , womit man ihn anhörte: en nur ſagen , wie es ihr vorkommt.
war einer ron den wenigen Zrveiflern, die
nicht zweifeln , bloſs um Auſſehn zu macher Vielleicht haben Sie bey dieſer Erzählung
und andere Menſchen zu ſtöhren, fondéra ſchon verſchiedentlich gedacht : daſs die ge
nannten Philoſophen , und insbeſondre Leib
denen es mit ihren Meynungen Ernftif
die Ales von allen ihnen bemerklichen Ser niz , wohl allzuviel Werth auf diejenigen
ten errogen haben , die wie ſich Hume Sätze gelegt haben , die wir Grundſätze,
Principien , nennen. Vielleicht ſcheint es
re' f ausdrükte nun einmal nicht anders
Ihnen wunderlich , wie man alle die groſsen
konen , die Seelenſtärke genung haben, de
Ihren Zweifeln auszuhalten und ruhig zu lern und wichtigen Ueberzeugungen, alle die viel
de, iſt anders Denken und Forſchen ei umfaſſenden Kenntniſſe , welche die Philolo .
phie zu gewähren unternimmt , von einem
Theil der inenſchlichen Beſtimmung, in das
Augen einer höbern Weisheit eben lo za
.. ſo einfachen und beſchränkten Satze , wie
fehn feyn müſsen , als fe den Augen die z. B. der Satz des Widerſpruchs iſt, ablei
ten , oder fie darauf gründen könne. Sie
meiſten Sterblichen verächtlich und verdamm
berufen ſich auf die Unleugbarkeit gewiſſer
lich vorkommen. Ich empfehle damit sit Wahrheiten , ihre Nothwendigkeit, ihre All
den Scepticismus, denn er iſt jezt aufgets gemeinheit. Sie verlangen keine Principien
ben, ich empfehle nur die Schonung allerArts für Erkenntniſſe , die beynahe angebohren
son philoſophiſchen Meynungen, denn í Icheinen . Aber laſſen Sie uns nicht zu ſchnell
. gehören alle zu demegirtollen Berufe derMens
heit , nach Wahrh zu ſtreben, fie bil abſprechen. Die Frage: giebt es Principien
e der Philoſophie ? bedeutet nichts weniger
alle verſchiedn Wege zu einem Ziele, als : Woher weiſs ich denn gewiſs, daſs
mah oder fern , ob grade oder verzogne, ich dieſe oder jene Gegenſtände erkenne , daſs
das kann die res
meine Beobachtungen walır , meine Schlüſſe
kriocmhtmiegne ſotdeerInftealllſcigheenz-allein untrüglichder H rich
114

richtig, mein Wiſſen kein bloſses. Muthmaſsen,


meine Hoffnungen kein leeres Hirngeſpinſt
find ? Giebt es keine ſolche Principien , die
für jeden denkenden Menſchen einleuchtend,
an ſich ſelbſt gewiſs und nothwendig find,
hat Hume in ſeinen Behauptungen recht:
nun ſo giebt es , fo kann es auch keine phi
loſophiſche Erkenntniſs, keine Gewiſsheit
es kann keine Philoſophie geben .

Zweyte Vorleſung.

Die Metaphyfik ſagt Voltaire, enthält zwey


Theile. Der eine begreift das , was jeder
Menſch ohnedent weils : der andere belchäf
tiget fich mit Dingen , die Niemand willen
kann. Ob die leztere Hälfte dieſes Urtheils
wahr ſey , werden wir in der Folge zu un
terſuchen haben : die erſtere iſt es gewiſs nicht,
Welches ſind denn diejenigen Gegenſtände
der Metaphyſik , die jeder Menſch ohneder
weiſs ? Heiſst nicht willen fo viel , als, aus
feſten unumſtöſslichen Gründen von etwas
überzeugt ſeyn ? und worauf können ſolche
Gründe
{

115

richtig , mein Wiſſen kein bloſses Muthmaſser, Gründe anders beruhen , als auf eben ſo

meine Hoffnungen kein leeres Hirngeſpials feften und unumſtöſslichen Grundſätzen ? Fra .
find ? Giebt es keine ſolche Principien, die gen Sie die Geſchichte der Philoſophie , wo
fur jeden denkenden Menſchen einleuchtend dieſe Gründe und Grundſätze anzutreffen find.
an hch ſelbſt gewils und nothwendig had,
haat Hume in ſeinen Behauptungen recht: Gefühle können eine Erkenntnis nicht be.
sun lo giebt es , ſo kann es auch keine pha gründen. Abgerechnet , daſs alle Gefühle
luluphiſche Erkenntniſs, keine Gewilsheit – doch immer von Vorſtellungen ausgehen und
erzeugt werden , ſo laſſen ſie ſich ja in kei
¢ kann keine Philojophie geben.
nem Falle beweiſen und mittheilen , hängen
von ſo vielen individuellen Umſtänden ab,
und find ſelbſt ſo individuel, daſs fie niemals

Zweyte Vorleſung allgemeine objective Wahrheitsgründe abgeben


können .' "Mag Jemand in ſeinem Gefühle der
Die Metaphyhk fagt Voltaire, enthäl ze Lebensluſt und des Weiterſtrebens für sich
Theile. Der emine begreift das, was jeder den überzeugendſten Beweis von der künfti
Menſch ohnede weiſs : der andere belcsás gen Fortdauer haben : er kann dies Gefühl
riget ſich mit Dingen, die Niernand wila nicht um fich her austheilen , er kann es

kann. Ob die leztere Hälfte dieles Urte ?. nicht befeſtigen : es wird leicht ſeyn , ihm
wahr les , werden wir in der Falge 28 29 daſſelbe als blofses Werk des Studiuins und
terſuchen haben : die erſtere ilt es gewils mit der Künſteley verdächtig zu inachen. Wer
Welches Find denn diejenigen Gegenſtände ſeine Ueberzeugungen auf bloſse Gefühle baut,
ik
der Metaphıyl , die jeder Menſch ohimedes iſt auf der einen Seite der zügelloſeſten Schwär
eljs ? Heilst nicihcthewnijen ſo viel, als, a merey nahe, und auf der andern in Gefahr,
sl
felten unumlöſ Gründen von els ſeine Ueberzeugungen mit ſeinen Gefühlen
überzeugt leyn ? und worauf können folie einzubüſsen.
Gründe H 2 Dies

5
116

Dies zeigt fich nirgends mehr , als in dem


Theile der Philoſophie, der mehr als ein
andrer , mit dem Leben zuſammenhängt, in
der Moral. Wird dieſelbe den bloſsen Gefüh
len überlaſſen : ſo eignet fich die Sinnlichkeit
das erſte Recht über die Handlungen der
Menſchen zu , und es kommt nur auf Um.
ſtände an , ob die geſammte Moral ein Com .
pendium der raffinirten Sinnlichkeit, oder
der Weg zu einer myſtiſchen Verbindung
mit höhern Welen werden ſoll . In jenem
Falle hat fie es bloſs mit dem Angenehmen
zu thun , vergiſst die höhere Würde des
Menſchen und kriecht an der Erde hin , ohne
Kraft fich auszubreiten durch das groſse Gew
biet des moraliſchen Reichs, ohne Luſt am
Guten , ohne Aufflug zu reiner Tugend. Im
andern Falle erzeugt hie gemeiniglich Phan
fafterey und Aberglauben , die Schlachtopfer
des Betrugs. Moraliſche Begriffe dürfen
nie den Emphindungen und Launen der Men
ſcher Preiſs gegeben werden : es iſt alles
verlohren , wenn sich die Vernunft die höchſte
Gewalt über das Sittliche , d. h . ihre geſetze
gebende Macht entreiſsen läſst; die lezten
Gründe unſerer Plichten , unſerer Rechte
und
1

117
116

Dies zeigt hch nirgends mehr, als in da und unſerer Hoffnungen find und können nur
Tbeile der Philoſophie, der mehr als ei durchs Denken da leyn : und alles Denken
undrer, mit dem Leben zuſammenhäng,t 1 iſt ſchwankend und ungewiſs, wenn es nicht
der Mural . Wird dieſelbe den bloſsen Gel von erſten und feſten Grundſätzen ausgeht.
Ich darf weiter nichts hinzuſetzen . Die ganze
len uberlaſſen : lo eignet fich die Sinnlichke
das erlie Recht über die Handlungen de Materie iſt eine von denen , die durch ' weit
Veuleben zu , und es kommt nur auf(s läuftige Erläuterungen gewöhnlich nur noch
verwickelter werden. Sie iſt an fich ſelbſt klar.
Cande an , ob die gelummte Moral ein lit
pendium der talnirten Sinnlichkeit, 1

Grundſätze alſo find zu aller Erkenntniſs


der Weg zu einer myſtiſchen Veräise;
des Wahren und Guten unentbehrlich. Sind
init höhern Welen werden loll. In
fie aber auch in der Beſchaffenheit , '' worin
Folie hat fe es bluſs mit dem Angezeit
zu thun, vergiſst die höhere Würdet wir hie verlangen , möglich ? Wie in der
ganzen Natur {tetes.Wandeln und Wechſeln
Menſchen und kriecht an der Erde hin, at
iſt , ſo iſt es in dem Reiche der Begriffe
Kiafi lich auszubreiten durch das große é nicht anders. Meynungen drängen ſich auf
biet des moraliſchen Reichs, ohne Lobo
Meynungeri, Syſteme anf Syſteme. Kaum
Gaten , ohne Aufflug zu reiner Tugend. lebt ein Syſtem auf, ſo droht ihm ein ande
audern Falle erzeugt he gemeiniglich , res nahen Untergang: hört es nicht ganz
raſterey und Aberglauben, die Schlache auf, ſo wird es zum wenigſten verwandelt.
tles Betrugs. Moraliſche Begrife di Wie kann man bey dieſen Erfahrungen auf
gen
nie den Empfindun und Launen der I ewige Principien rechnen ? Wir wollen
Ichen Preils gegeben werden : es la nicht zu ſchnell fortſchlieſsen :' oder haben
verlohren , wenn fich die Vernunft die būs
wir etwa Grund , anzunehuien , daſs dieſe
Gewalt über das Siutliche, d. h. ihre get Kraft , die in uns denkt , veränderlich fey
gehende Jacht entreilsen läſst; die la und fich umwandele, wie ihr Werkzeug fich
Grinde unſerer Pflichten, unlerer Bei H 3 ver
118

verändert und ihr Wirkungskreis - täglich ein


andrer wird ? daſs die Geſetze , nach wel..
chen fie denkt , einmal aufhören und ganz
neuen verſchiedenen Geſetzen weichen wer .
den ? daſs eine Zeit kommen könne , WO
der menſchliche Verſtand fich das Ganze ohne
Theile , Urſache ohne Wirkung , Wirkung
ohne Urſache denken wird ? Eine Kraft
hört auf zu ſeyn , was fie iſt , sobald he
andere Geſetze bekommt, nach denen fie
wirken ſoll. Wir würden nicht mehr Men
ſchen ſeyn , wenn unſerer Denkkraft ein neues
Geſetz gegeben würde. Sie kann fich mehr
entwikeln , fie kann fortſchreiten von Licht
žu Licht : aber fe kann dies nur nach den
erſten und weſentlichen Geſetzen , durch die
Sie ward , durch die fie iſt, was sie iſt.

Sind wir nicht ein bloſses Spiel des Zufalls


und der Täuſchung : fo muſs es in dem Ge.
biete der Erkenntnis etwas unveränderliches.
geben , es muſs ſich finden , muſs ſich in
Worte faſsen und an die Spitze alles Denkens
und Forſchens ſtellen laſſen .

Die Weifen aller Zeiten haben ſich bemüht,


dies Unveränderlicke aufzuſuchen und in
Grund
118 119

verändert und ihr Wirkungskreis täglich aus Grundſätze darzuſtellen . Aber fie ſind unter
andrer wird ? daſs die Geſetze, nach we einander noch nicht einig , was es ſey und
chen fie denkt, einmal aufhören und ger wie es lauté.
neuen serſchiedenen Geſetzen weichen wer.
den ? daſs eine Zeit kommen könne, Bey Locken iſt es das aus der Erfahrung
der menſchliche Verſtand ſich das Ganze aber urſprünglich Geſchöpfte , eine Sammlung von
Theile, Urſache ohne Wirkung, Wirken einfachen Vorſtellungen , die, wie er ſagt,
ohne Urliche denken wird ? - Eine frei primitive Wahrnehmungen des durch äuſere
hurt auf zu ſeyn , was fe ift, Sobaldi und innere Senſation Gegebenen , und eben
andere Geſetze bekommt, nach dener darum gewiſs, unvermiſcht und von allen
wirken Coll. Wir würden nicht mehr Zuſätzen der Phantaſie unabhängig find. Sie
ſchen ſeyn, wenn unſerer Denkkraft ein met find die erſten , und laſſen ſich daher nicht
Geſetz gegeben würde. Sie kann heb ik fie find die lezten , und
weiter ableiten :. Sie
entwikeln , he kann fortſchreiten von Lit können daher nicht mehr zergliedert werden.
zu Licht: aber fie kann dies nur nach de Hat Loke mit dieſer Darſtellung Recht? Ich
erften und weſentlichen Geſetzen, durch& zweifle. Einmal, woran erkennt man denn
he ward, durch die fie iſt, was besi die Einfachheit dieſer Vorſtellungen ? Sie kön
Sind wir nicht ein bloſses Spiel des Zei nen , ſagt Loke, nicht zergliedert werden,
Niemals ? von keinem Menſchen ?
und der Täuſchung: ſo muſs es in dem e
unter
keinen Umſtänden ? Dieſs müſste erſt aus
biete der Erkenntnis etwas unveränderlid
geben, es muſs ſich hnden , muls fichi gemacht ſeyn , und wer kann es ausinachen ?
Dann aber , find die einfachen Vorſtellungen
Worte faſsen und an die Spitze alles Desks
wirklich reell, d. h . ſtellen sie wirkliche
und Forſchens ſtellen lallen . Eigenſchaften der Gegenſtände dar : ſo mül
Die Weifen allerckZeeiten haben ſichbezi ſen dieſe Eigenſchaften urſprüngliche ſeyn.
i
l
dies Un veränder au fzuluchen und Aber woran erkenne ich , daſs hie diefs find ?
H4 An
120

An der Einfachheit meiner Vorſtellung. Und


woran dieſe ? Sie ſehen , diefs führt in
einen Zirkel der nirgends übler 'angebracht
iſt , als wo es auf Principien ankommt.

Nach Leibniz beſteht diefs Unveränderliche


der menſchlichen Erkenntnis in angebohrnen
Vorſtellungen , die ſich auf gewiſse Grund
ſätze zurükführen laſsen , unter denen einer
der erſte und ausgemachteſte iſt. Sie kennen
den Satz des Widerſpruchs : Sie werden ohne
Weigern zugeben , was derſelbe ausſagt
die Unmöglichkeit, dafs etwas zugleich sey
und nicht ſey. Deſto auffallender iſt es , daſs
ſchon ältere Denker dieſen Satz als Grund
Catz der Philoſophie beſtritten , und daſs er
beſonders jezt ſo viele Einwendungen erfah
ren muſs. Ich wili Ihnen kurz erzäblen,
was die kritiſchen Philoſophen von ihm ſagen.
Einmal bemerken ſie , daſs dies ſeyn eine
doppelte Bedeutung exiſtiren und gedacht
werden . haben könne , und daſs folglich
dieſer Satz vieldeutig ſey. Eben ſo kann
auch das Wort unmöglich , ſo viel ſeyn, als
nicht exiſtiren könnend und als undenkbar. Nan
giebt es aber Dinge , die gedacht werden kön.
nen

$
120 121

An der Einfachheit meiner Vorſtellung. Und nen und doch nicht exiſtiren : und dieſs
woran dieſe ? - Sie ſehen, dieſs führt in würde offenbar einen groſsen Unterſchied
1
einen Zirkel der nirgends übler angebracht abgeben ! nicht alles was wir als wirklichi
iſt, als wo es auf Principien ankomint. denken , iſt wirklich. Zweytens behaupten
Sie , daſs dieſer Satz nicht , wie bey Leib
Nach Leihai : beſteht diels Unveränderlich niz , reale , fondern blos' logiſche Wahrheit
der menſchlichen Erkenntnis in angebobren begründen , das heiſst nur von den Vorftel
Vorjtellungen , die fich auf gewiſse Gram lungen , nicht von den Gegenſtänden gelten
ſatze zurükführen laſsen , unter denen eisz könne , daſs er alſo nur fo viel bedeute :
Ich kann mir eine Sache , der ich das Prä
der erſte und ausgemachteſte iſt. Sie kenme
den Sacz des Widerſpruchs: Sie werden olue dicat rund beylege , nicht zugleich als vier.
ekigt denken , wind warum nicht? eben,
Weigern zugeben, was derſelbe avslag --
weil ich ſie mir fchon als rund denke. Wenn
die Unmöglichkeit, daſs etwas zugleich je
und nicht fer. Deſto aufiallender ilt es, di dem Subjecte ein Prädicat widerſprechen
1

ſchon ältere Denker dieſen Satz als Grund foll : fo muſs das Gegentheil dieſes Prädi
cats ſchon in dem Subjecte enthalten ſeyn:
[urz der Philoſophie beſtritten, und dale
beſonders jezt ſo viele Einwendungen erët aber woher , weiſs ich das ?: daſs dem Qua .,
Ich wili Ihnen kurz erzäble drate das Prädicat rund widerſpricht, iſt !
rweans dmiuelsk.ritiſchen Philoſophen rợn ihm laser nicht Folge jenes Satzes, ſondern des Um-,
ſtandes , dafs das Prädicat viereckigt fchon
Einmal bemerken lie, daſs dies ferm Per
exijtirer und graduate im Begriffe des Quadrats da ift. : Ich denke,
te ung
wdeoprpdeeln -Behdaebuetn könne , und das follo inir dies Pferd grün : was grün iſt, kann
nicht zugleich auch eine andre Farbe haben :
dieſer Satz vjeldeutig ſey. Eben ſo kiss Diels wäre ja
folglich iſt diefs Pferd grün.
auch das Wort urmöglich, ſo viel leyn, i
richtig geſchloſſen , aber giebt es ein grünes,
nicht allen könnend und als undenkbar. Pferd ? Mit andern Worten : der Satz des
giebt es aber Dinge, die gedacht werden bir
H 5 Win
1-22

Widerſpruchs lehrt mich niemals , ob das


Prädicat irgend eines Subjects wahr ſey , fon
dern er hindert mich nur , dem Subjecté
ein Prädicat zu geben , was demjenigen,
welches ihm einmal beygelegt iſt, wider
Spricht. Mich dünkt die kritiſchen Philoſo
phen haben Recht, wenn he behaupten , daſs
dieſs Princip nur das Unveränderliche im
menſchlichen Denken aber nicht in der menſch
lichen Erkenntniſs bezeichne.

Alle Streitigkeiten der Philoſophen gehen


zulezt immer auf dieſen Punkt zurük . Ihre
Speculationen wären nur darum ſo unficher,
und ſo unaufhörlich neuen und verſchiedenen
Angriffen ausgeſezt, weil fie fich noch nicht
darüber geeinigt hatten, was denn nun das
lezte , das Ewighichre und Ewigwahre in
der menſchlichen Erkenntniſs ſey . Sie ſehen, 4

Lokens und Leibnizens Antworten find nicht


befriedigend : die Geſchichte der Philoſophie
beſtätigt es wenigſtens , daſs fie nicht allge
mein geltend find.

Was iſt Wahrheit ? Diefs alſo iſt das groſse


Problem , welches die Denker aufzulöſen
ſtreb :
123
122

Widerſpruchs lehrt mich niemals, ob das ſtrebten , zu deffen Auflöſung die Metaphyſik
Praticat irgend eines Subjects wahr ley , ſon den Grund legen ſollte. Es iſt einerley' mit
dern er bindert mich nur , den Subjecte der Frage : Giebt es Gewisheit in der
menſchlichen Erkenntnis und wo fift fie ge
ein Pradicat zu geben , was demjenigen
welches ihm einmal beygelegt iſt, wider gründet ?
ſpricht. Mich dünkt die kritiſchen Philad
Erkenntniſſe beſtehen aus Vorſtellungen
phen haben Recht, wenn he behaupten, das
von Gegenſtänden . Man hat daher vornehm
diels Princip nur das Unveränderliche in
menſchlichen Denken aber nicht in der men.ch lich zwey Wege verſucht, um das Gewiſſe
darin zu entdeken : man forſchte nach dem
lichen Erkenntniſs bezeichne. Weſen der Gegenſtände, oder man unterſuchte
en die Beſchaffenheit der Vorſtellungen . Sind die
Alle Streitigkeit der Philoſophen geben
Gegenſtände, die fich uns darſtellen , wirk
zulezt immer auf dieſen Punkt zurük. Ihre
en lich , oder nicht ? und was find hie ? Dieſe
Speculation wären nur darum lo unficher
ch Frage läſst ſich , wie fie " da ſteht, nicht
und ſo ananihörli neuen und verſchiedenen
beantworten : denn alle Gegenſtände find nur
Angriffen ausgelezt, weil fie fich noch niche
in ſo fern für uns da , als wir Vorſtellungen
dariber geeinigt hatten, was denn nun das von ihnen haben. Es iſt alſo nur eine Art
lezie , das Ewighchre und Ewigwahre in zu philoſophiren die richtige , die , daſs man
hen Erkenntniſs ley . Sie fahes
der menſchlic die Beſchaffenheit der Vorſtellungen ſelbſt zu
s n
Lokens und Leibnizen Antworte hind mich
ergründen verſucht. Die Philofophen fanden
befriedigend : die Geſchichte der Philofophie gleich bey dem Anfange dieſer Unterſuchung
beltarigt es wenigſtens, daſs fie nicht aligo einen weſentlichen Eintheilungsgrund : finnliche
und Verſtandesvorſtellungen , drangen fich
mein gseltendhfrihned.it els lo s ow ihnen als zwey verſchiedne Arten der allge.
Wa iſt Wa ? Di al ilt da gr
m s meinen Gattung auf. Aber bier entſprang
P r o b l e , w e l c h e die Denker aufzulöles auch
Itrebi
124

auch ſofort wieder eine neue Quelle der Un .


einigkeit. Die finnlichen Vorſtellungen haben
es allein mit wirklichen Gegenſtänden , die
in der Erfahrung vorkommen , zu thung:-
lehrten die, welche man Materialiſten nennt,
He find es daher allein , die uns Gewiſsheit
gehen , der Verſtand kann nichts, als den
Zuſainmenhang unter jenen Erkenntniſſen be
merken . Eine andere Parthey erklärte fich
dagegen and behauptete : : daſs finnliche Vor
ftellurigen nur dunkel und ſchlechterdings nicht
im Stande wären , uns etwas vonden Weſen
der Dinge zu lehren , diefs könne der Ver
ſtand und die Vernunft allein.: Man dürfe
alſo nur die Grundgeſetze dieſer beyden Ver
mögen auffuchen und darnach weiter und
weiter fortſchreiten , ſo entdeke man eine
eigne Welt, erhaben über die finnliche, reich
an Güthern für den intellectuellen Menſchen,
eine Welt der Weſenheiten , das Reich me
taphyſiſcher Wahrheit. Wirklich haben dieſe
Philoſophen uns den Grundriſs dieſer neuen
Welt gezeichnet , fie haben uns eine Wiſſen
ſchaft geliefert, die aus einigen wenigen Ge
ſetzen und Begriffen Gott, die Welt und die
Seele genau beſchreibt, ihr Weſen und ihre
Ei
125
124
auch ſofort wieder eine neue Quelle der Us Eigenſchaften, ihre Kraft und ihren Zufam
cini keit. Die fnnlichen Vorſtellungen haben menhang kennen lehrt , und gegen alle Ein 1

es allein mit wirklichen Gegenſtänden, die wendungen geſichert ſcheint.


in der Erfahrung vorkommen , zu thun,-
lehrten die , ' welche man Materialiſten nenn Wenn ich noch diejenigen Denker erwähne,
fe hind es daher allein , die uns Gewilsbad die gradehin leugneten , daſs fich über die
felven, der Verſtand kann nichts, als da Vorſtellunge > etwas ausmachen laſſe, und
diejenigen , welche alles , was der Menſch
2 : (unmenhang unter jenen Erkenntniſlen be
werken. Eine andere Parthey erklärte fich, Gegenſtände nennt , für bloſse Vorſtellungen
degeren und behauptete: dals finnliche Vor erklärten : ſo find die vier wichtigſten Mey
4

feiungen nur dunkel und ſchlechterdings nicht nungen über dieſen Gegenſtand angeführt.
im Sande wären , uns etwas von dem W'elet
der Dinge zu lehren , diels könne der Ver Ich übergehe alle die Uebergänge und
ſtand und die Vernunft allein. Man din Mittelſpeculationen , die zu der eigentlichen
i'lo n : r die Grunn dgeſetze dieſer beyden l'er. höhern Philoſophie , dem lezten Ziele aller
in sen anſluche und darnach weiter und Forſchungen, hinführen. Laſſen Sie uns
ten
weiter fortſchrei , ſo entdeke man eie bey dieſer verweilen .
cigne Welt, erhaben über die honliche , reu
llen
an Guthern für den intellectue Menſchen Gott, Welt und Seele ſind die drey groſsen
en Gegenſtände, auf welche alles Nachdenken
eine Welt der Weſenheit , das Reich w
n . Wirklich haben die der Philoſophie , ihre Axiome und Hypotheſen,
h e r s
tPahpihlyolſioſpc WuanshrhdeenitGrundriſ dieſer neuer ihr Behaupten und Zweifeln fortarbeitete.
n e t Philofophen wollten das Daleyn Gottes demon .
W'er gezeich , he haben uns eine Wille :
li hale geliefert, die aus einigen wenigen G* ſtriren : Philoſophen glaubten 'das Nichtſeyn
n
Tanzen und Begriffe Gott, die Welt und die eines ſolchen Wefens beweiſen zu können .
t
Svele genau beſchreib , ihr Welen und ihre Einige fanden die Beweiſe in der Vernunft,
212•
E
126

andere auler derſelben. Noch andere getrau


ten ſich nicht, über diefs oder jenes das
Geringſte zu beſtimmen . Philoſophen lehr
ten die Ewigkeit der Welt : Philofophen be
haupteten ihre Zufälligkeit: einige erklärten
fie für endlich : andere für unendlich . Phi

lofophen zeigten , die Seele ſey einfach , un


theilbar, unſterblich : Philoſophen bewieſen
fie ſey körperlich , theilbar , vergänglich :
einige wollten ihren Sitz , ihre Entſtehang
entdekt haben : andre verſicherten , dieſe
Puncte liefsen fich nicht ausmachen . Frey
heit und Nothwendigkeit , Fatum und Natur
zwang , Wahlfähigkeit und blinder Trieb ,

3
beydes hat gleichviel Vertheidiger gefunden:
und es iſt keine Behauptung denkbar , der.
nicht von Philoſophen gradehin widerſpro
chen , die nicht als falſch verworfen , oder
von einer andern Seite gefaſst , verneint,
halb verneint und bejaht , mit einem Worte,
durch alle Feuer geworfen worden wäre.
Iſt man über den erſten Grundſatz der Moral
und des Naturrechts einig ? Erziehung, Con.
vention , Vergnügen , Glückſeeligkeits, gött
licher Wille , Vollkommenheit alles das
find verſchiedene Principien , die von ver
ſchie .
127
126
ſchiedenen Denkern angenommen , Vertheia
andere anfer derſelben. Noch andere getran.
digt und verbreitet wurden. Iſt man auch
ten ſich nicht, über diels oder jenes das
Geringſte zu beſtimmen . Philoſophen lebro nur über die Bedeutung der wichtigſten phi
ten die Ewigkeit der Welt: Philoſophen be loſophiſchen Ausdrüke einig ? Nirgends
herrſchte mehr Willkührlichkeit, als hier :
haupteten ihre Zufälligkeit: einige erklärten
he für endlich : andere für unendlich. P : beynahe jeder philoſophiſche Schriftſteller
brauchte die Worte im anderen Sinne. Und
lolophen zeigten , die Seele ſey einfach, un
inwiefern hat man fich denn über den Geiſt
theilbar , unſterblich : Philoſophen bewieler
älterer Syſteme verglichen ? Spinoza iſt in
he ley körperiich, theilbar, vergänglich:
einige wollten ihren Sitz, ihre Entſtehung unſern Tagen wieder aufgenommen , mit der
entdekt haben : andre verſicherten, die Offenbahrung ausgeföhnt, und -- auf zweyer
ley Art misverſtanden worden,
Pancte lielsen fich nicht ausmachen. Frete
heit und Nothwendigkeit, Fatum und Natur
Aber was hat denn nun die Welt bey
zwang , Wahlſähigkeit und blinder Trieb
alle dem verlohren ? Was hat die Moralität,..
beydes hat gleichviel Vertheidiger gefunden. was die Glükſeligkeit der Menſchen bey den
und es iſt keine Behauptung denkbar, die Streitigkeiten einzelner Schriftſteller, bey den
nicht von Philoſophen gradehin widerſpro Abweichungen der Compendien -Weisheit ge
chen , die nicht als falſch verworfen, aber litten ? Sie hören es an dem hämiſchen die
von einer andern Seite gefaſst , verneing
ſer Frage , daſs Sie ein Einwurf iſt, der die
halb verneint und bejaht, mit einem Worte! Bemühungen der Philoſophen , wo möglich,
durch alle Feuer geworfen worden wäre herabwürdigen ſoll. Man ſagt es hin und
If man über den erſten Grundſatz der Mord
s her , daſs die philoſophiſchen Schriftſteller
und des Naturrecht einig ? Erziehung, Cia fich weit mehr Wichtigkeit beylegen , ihrer
keit
vention , Vergnügen , Glünchkeſeietlig , gultas Wiſſenſchaft weit mehr Einfluſs zutrauen , als
e
licher Wille, Vollkomm - alles dedals die Erfahrung rechtfertigen könne. Ich will
ne
find verſchiede Principien, die von nem nicht
128

nicht wiederholen , was in allen Zungen zum


Lobe der Philoſophie geſagt worden iſt: laſsen
Sie uns nur zugeben , daſs Männer. von bel
Jem Geiſte und einnehmender Darſtellungsgabe
die Beweiſe für das Daleyn eines Gottes,
' und für die Hoffnung einer Unſterblichkeit,
umſtoſsen , ohne neue zu geben , laſsen Sie
folche Männer in deutlichen , allgemein faſs
Jichen Schriften das Thema von der Noth
wendigkeit der menſchlichen Handlungen
behandeln , laſsen Sie alſo folche Sätze: es

iſt kein Gott , es giebt keine Zukunft, die


menſchlichen Handlungen hängen nicht von
den Menſchen, ſondern von äußeren Uin
( tänden ab , laſsen Sie ſolche Sätze allgemein
werden , und was wäre leichter, als
Ueberzeugungen zu verbreiten , die der Sinn
lichkeit der Menſchen ſo willkommen , ſo
(chmeichelhaft ſind ? follte die Welt nichts
verlieren ? Sollte die Moralität nichts leiden ?
Und wäre diefs wirklich auch bisher nie der
Fall geweſen ? Nur wenig Seelen find ſtark
genung, ſich bey ſolchen Gedanken , ich
inöchte ſagen , noch oben auf zu erbalten,
die meiſten gehen unter ,, in dem Sumpfe
unreiner Lehre. So währ es auf der einen
Seite
1

129
Seite iſt , daſs das practiſche Leben mancher
nicht wiederholen , was in allen Zungen zun
Lobe der Philoſophie geſagt worden iſt: Tales Menſchen ſehr oft ihren theoretiſchen Grund
ſätzen , im guten und im ſchlimmen Sinne
Sie uns nur zuceben , daſs Männer. von bel
lein Geile und einnehmender Darſtellungegale widerſpricht: eben ſo wahr, eben ſo ausge
macht iſt es doch wohl auf der andern Seite,
die Beweile für das Daleyn eines Gurtesy
daſs das Wollen vom Erkennen , die Hand
und für die Hoffnung einer Unſterblichkea
lungen von den Einſichten , das Herz vom
umfoſsen , ohne neue zu geben, laſenS
Verſtande geleitet wird , oder , wie einige
fuiche Manner in deutlichen , a.lgemein kir Was kann ſchaden ,
licien Schriften das Thema von der Note wollen , ganz abbängt.
wendigkeit der menſchlichen Handlungen wenn es eine falſche Philoſophie nicht kann ?
Laſſen wir alle Axiome der Mathemathik ver
behandein , laſsen Sie alſo folche Sätze
drehen und misdeuten , mag Geſchichte , als
ilt kein Golt , es giebt keine Zukunft, de 1 folche , verfälſcht und geändert werden ,
menſchlichen Handlungen hängen nicht nur mag ſonſt eine Wiſſenſchalt , welche es will,
den Venſchen , ſondern von äuleren is
in die Hände boshafter Bearbeiter gelangen :
tanden ab , laſsen Sie ſolche Sätze allgemei die Moralität der Menſchen wird nicht Ge .
werden , und was wäre leichter, fahr laufen . Aber wir wollen der Welt
en
C'eberzeugung zu verbreiten, die der Sie nur ein halb Jahrzehend' vorphiloſophiren,
hchkeit der Menſchen ſo willkommen,
ft was uns Zweifler und Sinnlichkeitsphiloſophen
Schmeichelha find ? follte die Wel nom
gelehrt haben : bald , bald wird Religion und
ferieren ? Sollte die Moralität nichts leide
Moral, wie einſt Aſträa, ganz von der
L'ind wire diels wirklich auch bisher nied Erde fiehen .
Fill geweſen ? Nur wenig Seelen find lips
Renung, lich bey ſolchen Gedanker, So lange die Philoſophen über die wich
inochte lagen, noch oben auf zu erbak tigſten Probleme noch uneinig find , nimmt
die meiſten gehen unter , in dem Sury fich jeder das Recht heraus, fühlt fich jeder
anreiner Lehre. So wahr es aufder ei I
130

gedrungen , ſeinen eigenen Weg zu verſuchen,


und fich eine Philoſophie nach ſeinem Gefal
len und Behagen zu erfinden. Ob dieſs wohl
ſo heilſam und erſprieſslich ſeyn mag , als
manche Schriftſteller uns überreden ' wollen ?
Der Speculationsgeiſt iſt ein raſcher, wilder
Jüngling, der ſeinen ſtärkſten Trieben folgt,
ob fie ihn auch in einen Abgrund führten.
Er braucht fremde Erfahrung und Vormund
ſchaft, wenn er weiſe und gut werden ſoll.

Die Fragen über die Rechte und Befuge


nille der Menſchheit, über die Grenzen der
Gewalt , die den Groſsen verliehen iſt, über
die Grenzen des Gehorſams der Untergebnen,
über Freyheit und Eigenthum - wo gehören
fie anders hin , als vor den Richterſtuhl der
Philofophie ? Sollte nichts darauf ankommen,
ob dieſer Richter beſtochen iſt, ob er nach
Launen und Einfällen , oder ob er nach feſten
Grundlätzen entſcheidet ?

Daſs wir die Philoſophie in Schutz neh


men müſſen , beweiſt, daſs man nicht ein
mal über den Werth und Einfluſs - derſelben
Und wie wollte man das, da bis
einig iſt.
jezt
130 131

gedrungen , ſeinen eigenen Weg zu verſuchen jèzt noch nieht einmal feſt ſteht, was Philo
und hch eine Philoſophie nach ſeinem Gele fophie eigentlich ſey ? Ich will hier nicho
len und Behagen zu erfinden . Ob dieſs wohl alle die mannigfaltigen Erklärungen dieſes Be
lo heulam und erſprieſslich ſeyn mag, a griffes wiederholen *) : jede hat verſchiedene,
manche Schriftſteller uns überreden ' wolle? meiſt unbeſtimmte Merkmahle , keine erſchöpft
Der Speculationsgeiſt iſt ein raſcher, wila den Begriff vollkommen . Giebt es aber noch
Jángüing, der ſeinen ſtärkſten Trieben fok keine beſtimmte, und vollſtändige Dehnition
ob he ihn auch in einen Abgrund föhrs einer Willenſchaft: ſo kann es gewiſs auch
Er braucht fremde Erfahrung und l'oroza mit der Beſtimmtheit und Vollſtändigkeit der
werden his
Ichaft, wenn er weiſe und gut Wiſſenſchaft ſelbſt nicht ſehr weit ſeyn .

Die Fragen über die Rechte und Bez Wenn wir denn nun einen Blick auf die
niſſe der Menſchheit, über die Grenzen de Geſchichte der Philoſophie zurükwerfen :
Gewalt, die den Groſsen verliehen iſt, ik wenn wir all das Streben der Denker ſeit
die Grenzen des Gehorſains der Untergelina ſo vielen Jahrhunderten und unter ſo ver
uber Freybeit und Eigenthum — wo getico fchiedenen Himinelsſtrichen betrachten : nirer
he anders hin , als vor den Richterſtuhl.de
gends Uebereinſtimmung und Feſtigkeit fin
Philoſophie ? Sollte nichts darauf ankomes den : nirgends die wichtigſten Aufgaben ein.
ob dieſer Richter beſtochen ilt , ob er müthig und befriedigend gelöſt ſehen ; muſs
Launen und Einfällen, oder ob er nach lista uns dann nicht die Furcht anwandeln , daſs
n es wohl überall mit dem Erkenntniſsverinö .
Grundſatze entſcheidet ?
gen des Menſchen eine ſehr ungewille , mils
Daſs wir die Philoſophie in Schutz ** I 2 liche

men müllen , beweiſt, daſs man nicht


mal über den Werth und Einfluji derley *) s. Beyträge zur Geſchichte der Philoſophie
oinig iſt. Und wie wollte man das, de 2tes Stück.
132

liche Sache ley, daſs es dein Sterblichen


wohl nicht verliehen ſey , die Wahrheit,
wärs auch nur hinter dem Schleyer menſch
licher Schwäche und Unvollkommenheit, an
zuſchauen , daſs er die Vernunft mit ihrem
ganzen Forſchungseifer nur dazu habe , un.
beſchäftigt zu feyn , nicht aber , um Auf
fchluſs und Ruhe zu finden ? Muſs uns dann
nicht das Unternehmen eines Mannes kühn
und eitel dünken , der uns aus der Vernunft,
Befriedigung über den Kummer unſerer Ver
nunft ; Licht und Beruhigung verſpricht? -
Gewils, jene Muthloſigkeit hat ſchon Man
chen ergriffen , hat ſchon Manchen in die
Arme der Betrogenen oder Betrüger geführt,
die mit geheimer Weisheit und alter Tradi
tion prahlten , welche groſses Licht über das
Dunkel der Welt verbreite und den forſchen
den Geiſt über Dinge belehre , die in keines
Diels
Ungeweihten Herz gekommen ſind.
alles würde nicht geſchehen , wenn die Men
fchen nur Losſagung genung hätten ,
davon überzeugen zu laſſen : was fie in kei
?

nem Falle , . auf keinem Wege riffen können,


und was ſie dann auch , ſo lange fie Men
fchen find, nicht zu willen brauchen ,
Phi
133
- 132
Philoſophie , welche diefs í ausmacht, thut
liche Sache ſey , daſs es den Sterblichen
wuhl nicht verlieben ſer , die Wahrhei, der Menſchheit einen weit gröſsern Dienſt,
als die , welche 'fie mit leeren Beweifen und
wårs auch nur hinter dem Schleyer enleh.
liches Schwäche und Unvollkommenheit, as
Hypotheſen hinhält und " ihr mit Einfchten
zuſi hauen , daſs er die Vernunft mit ihrem ſchmeichelt, die sich von Einbildungen blol's
dadurch unterſcheiden , daſs Sie in ſchulge.
ganzen Forſchungseifer nur dazu habe, ur
be chaſtigt zu ſeyn , nicht aber, um de rechter Form abgehandelt, und mit wichti
kchiul und Ruhe zu finden ? Muſs uns dara gen Worten ausgedrükt ſind. Iſt gleich die
nicht das Unternehmen eines Mannes kiba Vernunft in ihrem Streben nach Wahrheit,
und eitel dunken, der uns aus der Veravus Hyperbel mit ihrer Aſymptote: die Hyperbel
Befriedigung über den Kummer unſerer Tan nähert ſich der Aſynıptote immer mehr und
mehr , aber fie kann und darf fie nie errei
nunſt, Licht und Beruhigung verſpricht ?
chen : - fo giebt ſie dennoch gerade ſo viel
Gewils, jene Muthlohigkeit hat ſchon b Licht, als der Menſch ertragen kann und
chen ergritten, hat ſchon Manchen in it
nöthig bedarf.
Arme der betrogenen oder Betrüger gefing
die mit geleimer Weisheit und alter Tribe
tion pralılten , welche groſses Licht über di
Dankel der Welt verbreite und den forlite
Dritte Vorlefunga
den Geilt über Dinge belehre, die in keis
L'nzeweihten Herz gekonumen find.-- Di Wir wollen einen Menſchen , deſſen Seelen
alles würde nicht geſchehen, wenn dielo verinögen die gehörige Bildung haben , auf
fehenn nur Lozeslugagen ung genung hätten, s den groſsen Schauplatz der plyffchen und
daro siber zu lallen : Was he is le moraliſchen Welt führen : wie wird fich
nem Falle , auf keinem Wege wilſen köze
Å

wohl ſeine Betrachtung orientiren ? Wird er


und was ſie dann auch , ſo lange fie.M ſich damit begnügen , einzelne Gegenſtände,
Ichen find, nicht zu willen brauchen I 3 Be
134
Begebenheiten und Handlungen zu beſehen;
wie Spielſachen ? und würde er in dieſem
Falle behalten , was er geſehen hat, oder
das geringſte Intereſſe dafür gewinnen ? Wür:
den Sie an einem Schauſpiel Gefallen finden ,
deſſen erſter Act in Aſsyrien , der zweyte
in Berlin , der dritte in Petersburg , jener
vor Chriſti Geburt , dieſer im achtzehnten ,
der lezte im zwölften Jahrhunderte , jeder
mit verſchiedenem Inhalt, ſpielte? Unmögo
hich. Das Erſte und Weſentliche , wornach
der denkende Menſch , in jeder Reihe von
Dingen nach Zeit oder Raum , nachforſcht,
was ihn gleichfam feſtſetzt mit feinen Vor
ſtellungen und Urtheilen , iſt Zuſammenhang.
Im Kleinen und Groſsen , in Phyfiſchen und
Moraliſchen , allerthalben miſcht fich , auch
unbemerkt und dunkel, die Vorſtellung von
Zuſammenhang ein . · Man könnte ſagen , der
menſchliche Geiſt iſt zu dieſer Vorſtellung
organihrt. Ein Menſch , der einmal ohne
Uebergang von einem Gegenſtande auf einen
andern ganz heterogenen ſpringt, koinmt 1

uns ſchon wunderlich vor : wer es immer


thut , iſt der Verrückung nah .

In
235
134
Begebenheiten und Handlungen zu beleben In allen Erfahrungen und Erkenntniſlen
wie Spiellachen ? und würde er in dieſen find, wir durch uns ſelbſt berufen , nach Zu
Falle behalten , was er geſehen hat, oder fainmenhang zu fragen. Dieſer Satz iſt bey ,
das gering'te Intereſſe dafür gewinnen ? Wir nahe ein pſychologiſches Axiom : Sie werden
den Sie an einem Schauſpiel Gefallen finden ſehen , daſs er wenigſtens fruchtbar iſt.
dellen erſter Act in Aſsyrien, der zweite
in Berlin , der dritte in Petersburg, jezer Der Zuſammenhang unter den Dingen,
ror Chriſti Geburt, dieſer im achtzehtes die wir erkennen oder denken , iſt, der
der lezte im zwölften Jahrhunderte, jealer Hauptabtheilung nach , dreyfach . Bey ein
mit verſchiedenem Inhalt, ſpielte? Unzie zelnen Gegenſtänden oder Begebenheiten oder
lich . Das Erſte und Weſentliche, word: Handlungen , frage ich entweder nach dem
der denkende Menſch, in jeder Reihe nie allgemeinen Grunde , Woraus ich einſehn

Dingen nach Zeit oder Raum , nachloric , könnte , daſs fie ſo ſeyn und geſchehen
was ihn gleichſain feſtſetzt mit ſeinen Vin muften - Geſetz- oder Regelmäſsigkeit: oder
ſtellungen und Urtheilen, iſt Zuſammenbag nach der Abſicht, welche dadurch erreicht
werden ſoll oder erreicht iſt Zwekinäſsig
Iin Kleinen und Groſsen , in Phyhſchen e' keit. Bey dem Anblicke aller erkennbarer
Moraliſchen , allerthalben miſcht fich, ar
unbemerkt und dunkel, die Vorſtellung a und denkbarer Gegenſtände, Begebenheiten
g ụnd Handlungen , bey dem Gedanken des
Zuſammeehan ein. Man könnte ſagen, d
menſchliche Geiſt ilt zu dieſer Vorlei groſsen , phyſiſchien und moraliſchen Ganzen ,
. Ein Menſch, der einmal al frage ich nach der lezten inöglichen und zwar
ng de moraliſchen Ablicht, welche dadurch zu ere ,
oUregbaenrigfait von einem Gegenſtan auf ei reichen ſteht, nach Endzwek. Einfacher aus.
andern ganz heterogenen ſpring,t koms
h
uns ſchon wunderlic vor : wer es imet
gedrükt , lauten dieſe Fragen ſo : Wie kommt
das ? wozu ſoll es ? und wo wird das alles
thut, ilt der Verrückung nah . endlich hinaus ? Kann der menſchliche
I 4 Geiſt
136

Geiſt ſich dieſe Fragen genügend beantwor


ten ? Wir wollen ſehen .

Um der Geſetzmäſsigkeit der Dinge nach


zuforſchen , find in dein Wefen des menſchli
chen Verſtandes gewiſse feſte und allgemeine
Geſetze gegründet, ohne welche er nicht
Verſtand ſeyn , d. h. nicht, denken und ur
theilen könnte. Dahin gehört z. B. das Ges
fetz : daſs er in der Reihe der Erſcheinune
gen zu jeder Wirkung eine Urſache, zu je
der Folge einen Grund aufſuchen nüſse , daſs
keins ohne das Andere gedacht werden könne.
Mit dieſen allgemeinen und nothwendigen
Verſtandesgeſetzen trit der Menſch in die Er
fahrungswelt,' und von ihnen geleitet ſucht
er in der Natur , wie in der Moral , nach

den allgemeinen Gründen , · woraus er das

Seụn und Werden der Dinge fich erklären,


und das Recht nehinen kann , zu ſagen : dieſs
rnuls fo ſeyn , es iſt recht, es iſt geſetzmä
[ sig. Ich will fagen : der Menſch trägt ſeine
Verſtandesgeſetze in die Welt über , die Ver
bindung , welche unter ſeinen Vorſtellungen
herrſcht, wird für ihn Verbindung und Zu
ſammenhang unter den Dingen auſer ibın .
Ins
136 137

Geiſt fich dieſe Fragen genügend beantwor Ins Innere der Natur dringt darum freylickr 1

tea ? Wir wollen ſelen. kein erſchaffner Geift : aber feine Urtheile
über dieſelbe können doch nicht ganz falſch ,
l'n der Geſetzmäſsigkeit der Dinge nacho ganz verwerflich feyn ; wozu hätte ihn ſonſt
Tuforſchen , find in dein Weſen des menſe die gütige Vorficht gerade dieſe und keine
chen l'eiftandes gewiſse feſte und allgemaz andere Geſetze des Denkens mitgetheilt? and
Geſetze gegründet , ohne welche er niet wie wärsi auch möglich , daſs viele ſeiner
Verliand ſeyn, d. h. nicht denken und er Kenntniſse wie die mathematiſchen und phy.
t eilen konnte. Dahin gehört z . B. das 6: Sicchen , durch Confequenz und Einſtimmung
[muz : dils er in der Reihe der Erſcheine der Natur ſelbft, fich fo auffallend bewähren ?
fon zu jeder Wirkung eine Urſache, zu " Ein allgemeines Verſtandesgeſetz war es, was
der Folge einen Grund auſſuchen mülse, da Newton bey ſeinen himmelhohen Forſchun
keins ohne das Andere gedacht werden kic gen leitete , und was fich bey ihm, durch
einen beſondern Fall beſtimmt, in eine beſon
Vt diclen allgemeinen und nothwendis 7

Verſtandesgeſetzen trit der Menſch in dies


dere Formel auflöfte . Allgemeine Verſtan
fahrungswelt, und von ihnen geleiterLet desgeſetze find es , die von je und je die
er in der Natur , wie in der Moral, a wichtigſten Beobachtungen der Phyſiker und
den allgemeinen Gründen, woraus er Mathematiker veranlaſst und geordnet haben.
Sein und Werden der Dinge fich erkala Und wenn auch der menſchliche Geiſt nicht
überall , . nicht bey jeder Erſcheinung ſagen
und das Recht nehmen kann, zu lager: é kann , wie das komme ; ſo hat er doch
muls ſo ſeyn , es iſt recht, es ilt geleza
einen allgeineinen Führer in fich , dieſem
big. Ich will leagen : der Menſch trägt B
ſetz Wie nachzugehen , ſo iſt ja auch der Kreis
Verſtandesge in die Welt über , die le
n g der Erfahrungen unermeſslich und das Leben
bind , welc unter ſeinen Vorfellur
u h e
der Individuen nur eng, begränzt, ſo hat ja
herrſcht , wird für ihn Verbindung und?
gewiſs auch die Vorſehung ſelbſt, über ſo
faminenhang unter den Dingen auler is I 5 man 3
138

manche Geſetze und Regeln ihres groſsen


Syſtems , mit Abficht einen Schleyer gewor.
fen , den eine Menſchenhand nicht heben
foll. So viel iſt gewiſs and genung , WO
Geſetzmäſsigkeit zu ergründen iſt, mit dem
menſchlichen Verſtande, wo er fie gefunden
zu haben glaubt, da kann er ficher darauf
halten : es iſt ſeine Geſetzmäſsigkeit , eine
andere kann er nicht denken ; die er alſo
denkt, iſt für ihn die einzige , iſt für ihn
wahr. Für den menſchlichen Aſtronomen
wäre die Erſcheinung der Sonne am hohen
Himmel zur Mitternachtsſtunde nicht geſetz
mäſsig : er würde fie , nach ſeinen Geſetzen,
für ein Wunder erklären müſſen , ob fie
gleich für den Aſtronomen einer höhern Welt
vielleicht ſehr natürlich ſeyn könnte.
+
Aber 1

die Verſtandesgeſetze , die der Menſch hat;


find nur allgemeine Principien : er muſs for
ſchen und ſuchen , um das Befondre zu fin
den , was er darunter ſubſumiren kann.

Zweck und Ablicht deſſen , was iſt und


wird , das iſt eine zweyte Aufgabe für den
denkenden Geiſt. Kann ſich ein Menſch der
Vernunft rühinen , der nie 'nach Zwecken
denkt,
138 139

anche Geſetze und Regel ihres groſsen denkt, ſpricht, handelt ? Eben ſo will auch,
skeini, mit Abficht einen Schleyer gewor". wer Vernunft hat , bej Allem , was da iſt
Je , den eine Menſchenhand nicht bewer und geſchieht, einen Zweck willen : diefs
I ob So viel iſt gewiſs and genung, w iſt Aeuſerung der Wilsbegierde, und dieſe,
ſagt man , iſt ein Grundtrieb im Menſchen ,
(referzmassigkeit zu ergründen iſt, mit dem
Oft erkennt er nur relative Zwecke , Nutzen
nenckichen Verſtande, wo er he gefunden
za hauen gaubt, da kann er hcher darza und Zuträglichkeit, aber immer ſtrebt er
nach der Einficht höherer Abſichten , innerer
haren : es iſt ſeine Geſetzmäſsigkeit, ex
andere kann er nicht denken; die er al Zweckmäſsigkeit. Hier lag der Keim zu ſo
denkt, iſt für ihn die einzige, iſt für ür manchen Wiſſenſchaften , die jezt in herrli
wahr. Für den menſchlichen Aſtronome cher Blüthe ſtehen ; hier iſt das Thema zu
den intereſſanten Naturbetrachtungen , die
wäre die Erſcheinung der uSnodnene as hulle
Himmel ternachtsſt
zur Mit nicht gler überall Beziehung ſehen , und ihn zum Herrn
der Erde krönen ; hierdurch entſtand die
mabiz: er würde fie, nach ſeinen Gelezea
für ein Wunder erklären müllen, ok weile Haushaltung des Menſchen mit dem ,
gleich für den Aftronomen einer höhern Wa. was um ihn iſt, die Benutzung eines Mittels
vielleicht ſehr natürleich ſeyn könnte. Als zu vielen , eines kleinen Mittels zu groſsen
ſ etz Zwecken . Hiermit begann auch die glükliche
die lerſtandesge , die der Menſch bei
Stimmung zu Theodiceen , ſo give he einem
find nur allgemeine Principien : er mul de
Sterblichen geriethen. Die fromme Begierde,
ft hen und ſuchen, um das Beſondre zuf.
überall auch gute Abfichten , wohlthätige
dea, wis er darunter ſubſumiren kann.
Zwecke aufzuſpüren ; das nachfichtige ſcho
nende Urtheil über das Uebel auf Erden , ich
Zwreck und Ablicht deſſeen , wase in
wi d , das ilt eine zweyt Aufgab fürdie
r möchte das alles die Freude in Gott nennen
nden eilt ann ich in enlos
Gewiſs die Betrachtung der Zwecke , die
denke G . K l e M
t Theologie, iſt eine reiche Troftquelle : wie
Vernunf rühmen , der nie nach Zwrecka fie
dert
- 140

fie den Blick erhebt und ihn immer höhern


und höheren Zuſammenhang ſehen und ahn
den läſst ; fo macht ſie das Herz froh und
fanft und gut : wie ſie die ganze Natur
gleichſam lebendig macht und dem Menſchen
zuführt, daſs er ſich ihrer freue ; ſo gewinnt
Se ſein Herz für das alles, was ihn umgielt,
und für den , der das alles gab.

Aher mehr als einzelne Zwecke beküm


mert den denkenden Geiſt der lezte groſse
Endzwek , auf den nun das Ganze hinſtrebt.
Warum iſt das alles , was ich ſebe und
nüſse ? warum bin ich ? wie wird ſich der
Zuſammenklang dieſer Millionen von Inſtru
menten endlich einmal auflöſen ? welches iſt
3 der Endzwek der ganzen Schöpfung, des
ganzen Menſchengeſchlechts? Dieſe Frage
dringt in die entferntefte Zukunft vor , an

das Ende alles Mittels, alles relativen Zwekes.


Sie faſst die phyfiſche und moraliſche Welt
zuſaminen , die Vergangenheit und die Ge.
genwart , Natur und Freyheit. Der Menſch,
das muſs und darf fie annehmen , der Menſch
iſt Endzwek der Schöpfung, aber welches
iſt der Endzwek des Menſchen ? Iſt er auſer
ihm
=
140 141

fe den Blick erhebt und ihn immer böhero ihin oder in ihn ? Kann er erreicht werden ,
ad luberen Zuſammenhang ſehen und abn und wann wird ers ? Hier ſteht die Ver
dia last ; fo macht ſie das Herz froh und nunft an dem jähen Ufer des unergründli
Lankt und gut: wie Sie die ganze Natar chen Zeitenſtromes , fie ſieht ihm ängſtlich
f.richilam lebendig macht und dem Menleben nach , wo er fich enden wird , aber hie
zhurt, daſs er ſich ihrer freue ; fo gewice erblikt nichts als Himinel und Meer. So

lie ſein Herz für das alles , was ihm umgies bleibt ihr denn nichts übrig , als ſich aus
ihren eignen Anlagen , aus der Beobachtung
urdur den , der das alles gab.
und Erfahrung einen Endzwek zu denken ,
Aber mehr als einzelne Zwecke bekür bey dem fie Zuſammenhang , und im Zu
mert don denkenden Geiſt der lezte große ſammenhang Beruhigung finden mag.
Edzuek , auf den nun das Ganze hindrex
l'aum iſt das alles, was ich ſehe unde Aus ihren eigenen Anlagen, ſage ich , und
160 ? warun bin ich ? wie wird fich die hier bin ich bey der allgemeinen Entſchei
ang
Zuſammenkl dieſer Millionen von Iales dung , die uns die Philoſophie giebt. Alle 1

menten endlich einmal auflöſen ? welches i unſere Urtheile und Ideen über den Zuſam .

der Endzwek der ſcghalnezcehntsSchöpfung, e menhang der Dinge ſind immer nur Producte
ganzen Menſchenge ? Diele Fias unſerer eigenthümlichen Vermögen und Anla
e
dringt in die entfernteli Zukunft vor ? gen , immer nur Anſichten nach unſerer Art
das Ende alles Mittels, alles relativen Zweis zu ſehen , Deutungen eines groſsen Räthfels
niach unſerin Scharffinne. Die Gottheit hat
Sie falst die phyſiſche und moraliſche Mis
t
zuliuummen, duire Vergangehnehieti und die uns auf dieſe Erde geſezt, wie Anſiedler in
gel art, Vat und Frey . Der Meali , ein beſtimmtes Land : fie hat uns Kräfte ge
das muſs und darf fie annehmen, der Man geben und Werkzeuge , diefs Land anzubauen
und darinnen froh zu werden :
ilt E..dewek wedekr Schöpfunhge,n aber wein
fie hat uns

iſt der Ende des Menſc ? Ilt er az von ihrem Geiſte initgetheilt, ſo viel wir für
dies
142

dieſen Raum bedürfen : fie hat uns angewie.


ſen auf dieſen Platz , aber fie hat uns auch
Ahndungen und Hoffnungen eingeflöſst: die
fich weiter erheben. Den Grund dieſer Ahn
dungen und Hoffnungen hat ſie in unſre Ver
nunft beygelegt , in der groſsen Idee des
Zuſammenhangs. Alle Philoſophie iſt nichts,
als eine Anwendung und Entwikelung dieſer
Idee , nach Maasgabe unſerer Kräfte und nach
dem Verhältniſse unſeres Standpunkts.

Der Zuſammenhang unter den Dingen,


welche ich mit meinen Sinnen anſchaue, wo'
hin meine Beobachtung reicht, iſt erkannt :
er iſt nicht Gegenſtand der Philoſophie. Dieſe
hat es nur mit dem gedachten , durchs Den
keni beſtimmten Zuſammenhange der Dinge
zu thun . Jenes iſt der zufällige, dieſer
der nothwendige. Nothwendig aber nur da.
durch , daſs er in den Geſetzen und Formen
unſers Geiſtes gegründet , und von ihnen
übergetragen iſt.

Schon hieraus erhellt, daſs das philofo


phiſche Wiſsen von keinem groſsen Umfange
ſey. Nur die Geſetze unſers Gemüths willen
wir,
143
142 -
dieſen Raum bedürfen : fie hat uns angemie
wir , durch unſer Bewuſstſeyn :' angewendet
ſen auf dieſen Platz , aber fe hat uns auch auf Gegenſtände der Erfahrung geben fie Er.
kenntnis : auf nicht empiriſche Gegenſtände
Ahndungen und Hoffnungen eingelöſ:t dit
hich weiter erheben. Den Grund dieſer Air bezogen , liefern lie nur Gedanken , Ideen
des Zuſammenhangs, mehr nicht. Um uns
dangen und Hoffnungen hat he in unfre Ver
z. B. die groſsen Reihen der Erſcheinungen
nun beygelegt , in der groſsen Idee des
im Zuſainmenhange zu denken , erzeugen
Zujsmmendangs. Alle Philoſophie iltnieta wir die Idee einer Welt , eines Inbegriffs
ais eine Anwendung und Entwikelung dieks
alles deſsen , was iſt: wir umfaſsen die un
Idee, nach Maasgabe unſerer Kräfte und was zählichen Theile und Individua mit einem Ge.
dein Verhältniſse unſeres Standpunkts. danken . Wenn aber nun Philoſophen von
dem Anfange oder Nichtanfange , von der
Der Zuſammenhang unter den Dingen Gränze , oder Nichtgränze , von der End
wel ie ich mit meinen Sinnen anſchaue, pul lichkeit oder Unendlichkeit der Welt mit Be.
hin weine Beobachtung reicht, ilt erkour ſtimmtheit ſprachen , und für jenes und die
er iſt nicht Grgenſtand der Philoſophie. ſes Beweiſe vortrugen : ſo nahmen fie das,
hat es nur mit dem gedachten, durchs Des was blos Gedanke der Vernunft iſt , für einen
ken beſtimmten Zuſammenhange der Dia wirklich vorhandnen Gegenſtand auſer ihr. Wir
Jenes iſt der zufällige, del müſsen uns eine Welt denken , aber wir
dze tno . ige. Nothwendig aber nur de
u r h utnh w e n d
können nie ſagen , dafs ſo etwas exiſtire ,
durch , dals er in den Geſetzen und Forme was wir Welt nennen . Nur einen kleinen
unſers Geiſtes gegründet, und vor ile Theil aller der Erſcheinungen vermögen wir
agen zu erkennen : das Uebrige iſt Zuſatz unſerer
übergetr iſt. Vernunft .
Schou hieraus erhellt, daſs das philos So wäre denn aber auch das moraliſche
phiſche Wifen von keinem groſsen Umlar Geſetz , was in uns geſchrieben ſteht, nichts
ſey. Nur die Geſetze unſers Gemüths wil
mehr,

1
144
mehr, als ein bloſser Gedanke ? nichts reel
les ? Freylich nur ein Gedanke , aber
ein ſolcher , der ſich durch die Erfahrung
realifren kann und foll. Nummermehr kön
nen wir hier erfahren , was die Welt iſt ;
aher Handlungen , welche dem Sittengeſetze
gemäſs find , können in der Erfahrung vor.
kominen , und beſtätigen durch die Erfah
rung die Wahrheit ihres Princips. Das mo
raliſche Princip iſt als Idee aufgegeben durchs
Denken : aber es läſst ſich als reel bewähren
durchs Handeln .

Vergeblich iſts , nach alle dem zu for


Ichen , " was uns die Metaphyſk bisher vor
gelegt hat : fie liat fich geirrt, fie hat das
für Gegenſtände gehalten , was 'nur Begriff
von Begriffen iſt, das für erkennbar und
erkannt angeſehen , was nur denkbar ' und
gedacht heiſsen kann .

Ich würde zu einer Erläuterung dieſes


Satzes die metaphyſiſchen Beweiſe für das
Daleyn Gottes anführen , wenn nicht dieſer
Punct zu vielen Misdeutungen unterworfen
wäre. So viel iſt einleuchtend und kann nicht
mis,

1
145
mohr , als ein bloßer Gedanke ? nichts reel misverſtanden werden : wenn Cartes von
les ? - Freylich nur ein Gedanke, aber dem Möglichen als einem Grunde, auf das
ein folcher , der hch durch die Erfahrung Daſeyn Gottes als eine Folge ſchloſs , wenn
rea.ihren kann und foll. Nimmermehr ki er allo zuerſt einen Begriff von einem mög.
1

nen wir bier erfahren , was die Welt it lichen Wefen , in welchem alle Vollkommen .
aiver Hand'ungen, welche dem Sittengelette heiten vorgeſtellt werden , erdachte , und
greras hnd , können in der Erfahrung For nun das Daleyn als eine Vollkommenheit hin
hun nen , und beſtätigen durch die Erfah zuſetzte , ſo war das ein Sprung , den ſchon
rung die Wahrheit ihres Princips. Das m» ältere Philoſophen bemerkt und als unphilo
Taülche Princip iſt als Idee anſgegeben dari Sophiſch dargethan haben. Die Vereinbarung
Draken : aber es läſst ſich als reel bewähre aller Vollkommenheiten in dieſem gedachten
Weſen war ja auch nur gedacht, nur will
dardis Hardeln . kührlich ; durch mein Denken aber kann
Vergeblich iſts, nach alle dem 21 ich einem Weſen niemals Exiſtenz geben. Der
n , was uns die Metaphykk bisher se,
Se fut Schluſs lautete ſo : Es iſt ein Weſen nöglich,
ko t
hrat: fe hat ſich geirr , he hat del welches alle Vollkommenheiten in fich ver
fur Gegenſtände gehalten, was 'nur Bari einigt: Daſeyn iſt auch eine Vollkominenheit,
von Begriffen ilt, das für erkennbar / alſo exiſtirt ein vollkommenſtes Weſen.
erkannt angeſehen , was nur denkbara In dieſer und andern metaphyfiſchen Deduce
tionen wurde mit dem Begriffe des Möglichen
gedacht heiſsen kann. piel geſpielét und lo lange daran gekünſtelt
Ich würde zu einer nErläuterung und zugeſezt, bis fich unvermerkt die Vore
he
Satzes die metaphyflc Deweile für ſtellung der Wirklichkeit einſchlich.
L

Dalen Gulles anführen , wenn nicht die 1

n
Punct zu vielen Misdeutungde untermice
Laſſen Sie mich über die Leerheit und

wäre. So viel iſt einleuchten und kanntak Nichtigkeit der bisherigen Metaphyſik auch
in
146
im Puncte der Seelenlehre das Urtheil eines
Mannes anführen , der in der Folge noch
mehr erörtert hat , was er damals im allge
meinen angah * ) : Ich weiſs wohl , ſagt er,
daſs das Denken und Wollen meinen Körper
bewege, aber ich kann dieſe Erſcheinung,
als eine einfache Erfahrung, niemals durch
Zergliederung auf eine andre bringen , und
fie daher wohl erkennen , aber nicht einſe
hen . Daſs mein Wille meinen Arm bewegt,
iſt mir nicht verſtändlicher , als wenn jemand
ſagte , das derſelbe auch den Mond in ſei
nem Kreiſe zurükhalten könnte ; der Unter
ſchied iſt nur dieſer : daſs ich jenes erfahre,
diefes aber nie in meine Sinne gekommen iſt.
Iclı erkenne in mir Veränderungen , als in
einem Subject was lebt, nehmlich Gedanken,
Willkühr u. f. f. und , weil dieſe Beltim
mungen von andrer Art find , als alles, was
zuſammengenommen meineri Begrif vom Kör
per macht , ſo denke ich inir billigermaſsen,
ein unkörperliches und beharrliches Weſen.
Ob dieſes auch ohne Verbindung mit dem
Kör

*) Kans Träume eines Geiſterſehers. S. 121, f.


1

147
im Puncte der Seelenlehre das Urtheil eines Körper denken werde , kann vermittelſt die
Mannes anluhren , der in der Folge noch ſer aus Erfahrung erkannten Natur niemals
mehr eröriert bat, was er damals im alge geſchloſſen werden. Ich bin mit meiner Art
tu.ciren anah : Ich weils wohl, ſagt es Weſen durch Vermittelung körperlicher Ge
daſs das Denken und Wollen meinen Körper ſetze in Verknüpfung, ob ich aber auch
bewee, aber ich kann dieſe Erſcheinung fonſt noch andern Geſetzen , welche ich pneu
a's eine einfache Erfahrung , niemals dont matiſch nennen will , ohne die Vermittelung
Zergrederung auf eine andre bringen, und der Materie in Verbindung ſtehe oder jemals
de daber wohl erkennen , aber nicht einde ſtehen werde , kann ich auf keinerley Weiſe
hea . Dals mein Wille meinen Arm bewet aus demjenigen ſchlüſſen , was mir gegeben
ilt mir nicht verſtändlicher, als wenn jemu iſt. Alle ſolche Urtheile können niemals mehr
fire , daſs derfelbe auch den Mond indie als Erdichtungen ſeyn. Die Begreiflichkeit
nem Kreiſe zurükhalten könnte; der Line verſchiedener wahren oder angeblichen Er
ſebied iſt nur dieſer : daſs ich jenes erfia ſcheinungen aus angenommenen Grundideen
dieles aber nie in meine Sinne gekommer i dienet dieſen zu gar keinem Vortheile. Denn
Ich erkenne in mir Veränderungen, 251 man kann leicht von allem Grund angeben,
einenu Subject was lebt, nehmlich Gedantes wenn man berechtigt iſt , Thätigkeiten und
W kuhr u. l. l. und , weil dieſe Belia Wirkungsgeſetze zu erhnnen , wie man will,
mungen von andrer Art hnd, als alle,s 13 Faſſen wir nun alles bisher geſagte zu
n
enomme ineri grif ka
zuſammeng me Be vom ſammen , ſo werden ſich folgende Sätze auf
per macht, ſo denke ich mir billigermaßis ſtellen laſſen , die zugleich als eine Anleitung
es
eio unkörperlich und beharrliches Weis für die richtige Beurtheilung der Kantiſchen
Os dieſes auch ohne V'erbindung mit die Philoſophie dienen können.
1 ) Die Grundvorſtellung des menſchlichen
Geiftes, de
der Stoff alles Nachdenkens , die
ers
U Kane Träume eines Geilierfol . S. 121,6 K 2 Trieb
148
Triebfeder aller Speculation iſt die Vorſtel
lung des Zuſaminenhangs.
2) Unter ' den Erſcheinungen der Sinnen .
welt kann der Menſch einen Zuſammenhang
wenn auch nicht die innere Art und Weiſe
delfelben , vermöge gewiſſer ihm eigenthüm .
licher Verſtandesgeſetze erkennen .
3) Da dieſer Zuſammenhang aber nur ein
zeln und zufällig iſt , ſo leitet die Beſchaffen
heit der menſchlichen Vernunft darauf, einen
allgemeinen und nothwendigen Zuſammenhang
zu denken
4 ) Die Philoſophen bis Kant hielten den
lezten ebenfalls mehr oder weniger für wirk
liche Erkenntnils , und gaben daher eine
Philoſophie des Veberſinnlichen , in welcher
fie gedachte Inbegriffe für eściſtirende Subſtan.
zen , gedachte Prädicate für reelle Eigen
ſchaften nahmen.
5 ) Kant hat dieſe Subſtanzen und Acci
denzen aufgelöſt und gezeigt , daſs ſie nichts
als Begriffe von Begriffen , nichts als Rahmen
find , womit wir in Gedanken die Bilder
unfrer finnlichen Erkenntnifs zuſammen halten.
6 ) Nur derjenige Zuſainmenhang, welchen
fich die Vernunft unter den menſchlichen
Hand
148 - 149

Triebſeder aller Speculation iſt die Vorlieb, Handlungen denkt,' iſt mehr , als ein bloſser
lung des Zuſammenhangs. Begriff, weil er in der Wirklichkeit vorkom
2) L'nter den Erſcheinungen der Sinners men, weil der Menſch fo bandeln kann ;
weit kann der Menſch einen Zuſammenhang wie es dieſem gedachten Zuſammenhange ge.
mean aush nicht die innere Art und Well mäſs iſt.

deleben , vernüge gewiſſer ihm eigenthir Und hierher gehörte denn auch der merk
licher Verfiandes eletze erkennen. würdige Satz :
Da dieſer Zuſammenliang aber nur ei 7) Daſs alle diejenigen Ideen , ohne wel:
re'n und zulällig iſt, fo leitet die Beſchaia che dieſer ſogenannte practiſche Zuſammen
bei der menſchlichen Vernunft daran ,ez hang nicht denkbar wäre , eben dadurch

allgemeinen und notwendigen Zuſammenhar Realität erlangen ; und als Poftulate angenom
men werden müſsten . Ohne die Ideen von
zu *denDkieen . Philoſophen bis Kant kielten er Gott, Unſterblichkeit und Freyheit iſt fchlech
lezten ebevfalls mehr oder weniger für mi"l terdings kein ſolcher Zuſammenhang unter
den menſchlichen Handlungen denkbar , wie
liche Erkenntniſs, und gaben daher é
Philoſophie des Veberſinnlichen , in welco ihn die Vernunft vermöge ihrer Natur dena
ken muſs : folglich ſind dieſe Ideen reell,
lie gedachte Inbegriffe für exiſtirende Soké
zen , gedachte Prädicate für reelle Fire ich muſs das Daſeyn Gottes , Unſterbliehkeit
und Freyheit annehmen .
ſcha5)ftenKana
nthmhaent . dieſe Subſtanzen mellom Bey der fe allgemein verfchrieenen Dune
kelheit der Kantifchen Philoſophie , kann es
denzen auſgelöſt und gezeigt, dalije bila
nicht ſchaden , ihre weſentlichen Momente
als Begrille ron Begriffen, nichts alBoy auf verfchiedenen Seiten anzuſehen , in ver
find , womit wir in Gedanken die ſchiedenen Formen darzuſtellen . Auch fol
s
unſrer finnlichen Erkenntniſ zulanunen bis
g gende Darſtellung wird wenigſtens das Ver
6) Nur derjenfitge Zuſammenhan , well dienſt der Deutlichkeit habert.
lich die Vernun unter den menſchloss
K 3 In
150

In allen Lebensverhältniſſen muſs der


Menſch bey ſeinen Unternehmungen auf die
Kräfte Rüklicht nehmen , von deren wirk .
lichem Behtze er durch Proben überzeugt iſt.
Unter den Kräften des Gemüths giebt es zu .
nächſt keine , von deren Realität wir ſo ver
fichert wären , als die , welche wir durch
Erfahrung bewähren können. Daſs ich die
des Buch als Buch erkenne , davon überzeugt
inich mein Bewuſstſeyn , welches dieſen Ge
genſtand unterſcheidet , und ihn , durch eine
Menge Erfahrungen belehrt , unter die Ru
brik Buch einſtellt. Daſs ich das Vermögen
wirklich beſitze , Dinge , die ineinen Sinnen
gegeben find , zu unterſcheiden und in einer
gewiſſen Ordnung mit einem gewiſſen Prä
dicate zu denken , das kann mir keine So
phiſtik abſtreiten. Aber wer giebt mir nun
das Recht , von Dingen , die mir nicht ge
geben find , die bloſs als Abſtracta von einer
Menge concreter Vorſtellungen , blofs als
Wörter in meinem Kopfe exiſtiren , zu ben
haupten , daſs ich ſie erkenne ? Meine wirk
lich erprobten Kräfte reichen nur auf die Er.
fahrung : ich kann alſo mit ihnen nichts un
ternehmen , was dieſe überſteigta Schlülle
von
150 151

In allen Lebensverhältniſen muſs der von jenen auf dieſe, und wären Sie in beſter
Menſch bey ſeinen Unternehmungen auf die Form abgefaſst, ſind nichts mehr als Schlüſſe.
Kralte Rikhicht nehmen , von deren wil Ich muſs, dabey iminer vom Sinnlichen aus
Ibum Belize er durch Proben überzeugt i gehen , ſinnliche Begriffe leiten mich , finn
l'ater den Kralien des Gemüths giebt es zu liche Ausdrüke müſſen fie fixiren ; aber wer
Darhú keine , von deren Realität wir fores ſagt mir denn , daſs die unſinnliche Welt
A best waren , als die, welche wir die mit der Sinnlichen die geringſte Aehnlichkeit
Erfahrung bewahren können. Das ist de habe ? Durch Ideen kann ich meine Erfah .

frs B.ich als Buch erkenne , davon überzia rungs - Erkenntniſſe ordnen und vereinigen
inich nen Bewuſstſeyn, welches dielen 6 aber ich kann fie nicht vermehren.
t
land unterſcheide , und ihn, durchex Sätze , die ſo augenſcheinlich find , wie
Venge Erfahrungen belehrt, unter die ho dieſe , konnten nur darum überſehen wer
brik Buch einſtellt. Daſs ich das Verme den , weil die menſchliche Vernunft den ihr
wirklich behtze, Dinge, die meinen Size eigenthümlichen Hang zur Speculation aus
den
eben find , zu unterſchei und in eine Mangel an Unterſuchung nicht dahin richtete,
gonillen Ordnung mit einem gewilea Ps wohin er eigentlich abziehlt , `auf das Practi
dicate zu denken , das kann mir keines ſche ;, weil fie , unabhängig von der Moral,
Ideen fixiren wollte , die nur durch die leza
philik abſtreiten. Aber wer giebt mir
Here , Inhalt und Beſtätigung erhalten ,
das Recht, von Dingen , die mir nich
gesen hind , die blols als Abſtracta vores F.
Venze concreter Vorſtellungen, bloki
Wörter in meinem Kopfe exiſtiren ,7
baupten, daſs ich ſie erkenne ? Meine Fit
lich erprobten Kräfte reichen nur auf dizi
fahrung: ich kann allo mit ihnen nicht
ternehmen , was dieſe überſteigte Serra .K 4 AE
152

AENESID EM U S.

Nos et refellere fine pertinacia et refelli fino


iracundia parati fumus.
Cicero.

Nach meiner geringen Einſicht iſt für die


Geſchichte der neueſten Philoſophie unter den
zahlreichen gegneriſchen Schriften keine ſo
wichtig, als der nicht längſt erſchienene
Aenefideinus , oder über die Fundamente der
von Reinhold gelieferten Elementarphiloſophie.
Es gehört nicht in meinen Plan , Recenſionen
philoſophiſcher Werke zu geben ; ich will
daher auch dieſe Schrift nicht eigentlich beur
theilen : ich will nur ; da fie vor allen in
der Geſchichte der Philoſophie Epoche må
chen wird , einige Bemerkungen darüber
mittheilen .
Der
153
152
*** Der Verfaſſer nennt ſich einen Sceptiker.
Es iſt werth , '' hier anzuinerken , was er
vom Scepticismus'fagt. Ganz der Geſchichte
der Philoſophie gemäſs behauptet er , die
Entſtehung, verſchiedener dogmatiſcher Syſtem
me der Philoſophie ſey durch den Geiſt des
EMUS
AENESID Scepticismus vorzüglich mit vorbereitet und
bewirkt worden , und das Weſen der fcep
Nos et refellere fine pertinacia et refelli í tiſchen Philoſophie beſtehe eigentlich in nichts
iracundia parati ( umus. Anderein , als in der der menſchlichen Vernunft
n
Ciceme
eigenthümlichen Handlungsweiſe. Ihm iſt

alſo der Scepticismus die Behauptung , dafs


in der Philofophie weder über das Dafeyn und
Nach meiner geringen Einficht iſt für i Nichtfeyn der Dinge, an fich und ihrer Eigena
fchaften , noch auch über die Gränzen der
Geſchichte der neueſten Philoſophie unter de
zahlreichen gegneriſchen Schriften kein í menſchlichen Erkenntniskrüfte etwas nach unbe
wichtig, als der nicht längſt erſchieza Streitbar gewiſſen und allgemeingiltigen Grund
Mesefidemus , oder über die Fundamente de Sätzen ausgemacht worden ſey. Er iſt alſo,
fährt dieſer Denker fort; nichts weniger,,
vor Reinhold gelieferten Elementarpkillari
Es gehört nicht in meinen Plan, Recen for als eine kunſtmäſsige und ſcientifiſche Unwil
fenheit , die in keinem Theile der menſch
philoſophiſcher Werke zn geben; ich s*
daher auch dieſe Schriſt nicht eigentlich ber lichen Einfachten Zuverläſsigkeit und Sicher
da lie vor allen: heit annimmt. Das Daleyn der Vorſtellungen
und die Gewiſsheit alles deſſen , was unmit
der Geſchichte der PhiloſophinegeEpnoche s telbar im Bewuſstſeyn ſelbſt vorkommt und
chen wird , einige Bemerku deri
durch daſſelbe gegeben iſt , hat noch kein
K 5. Scep
n
mittheile .
154

Sceptiker bezweifelt. Eben ſo wenig erklärt


auch der Scepticismus die Fragen , welche
die Vernunft über das Daleyn und Nichtſeyn
der Dinge an fich , über ihre realen und
objectiven Eigenſchaften und über die Grän
zen der Erkenntniskräfte aufwirft, für
ſchlechterdings und ewig unbeantwortlich.
Er ſezt über das, was die Vernunft im Felde
der Speculation leiſten kann, und vielleicht
dereinſt auch noch leiſten wird , ganz und
gar nichts feſt. Er bezweifelt blos dasjenige,
was die Dogmatiker über die Dinge an fich
und über die Gränzen der Macht und Ohn
inacht des Erkenntnisvermögens bereits zu
wiſſen und allgemeingiltig beweiſen zu kön
nen vorgegeben haben . Er läſst es völlig
dahin geltellt leyn , ob die mehr gereifte
und männlichere Denkkraft die Auflöſung
der Probleme, welche die Vernunft über das
Dafeyn und die Beſchaffenheit der Dinge an
fich aufwirft, dereinſt finden werde , oder
nicht, und zernichtet ganz und gar nicht
alle Hofnung , daſs dieſe Auföſung könne
zu Stande gebracht werden , Anſtatt allo
leere und unfruchtbare Declamationen über
das natürliche Unyermögen der menſchlichen
Ver
155
154
Vernunft anzuſtellen , unterzieht er fich Ver
. Eben ſo wenig erklärt
Sceptiker bezweitifecilt
smus en che ſuchen mancherley Art , un , wo möglich ,
auch der Scep die Frag , wel
den Funken der Gottheit in uns , oder die
die Vernunft über das Daleyn und Nichtleya
Vernunft zu einer wahren Erkenntnis ihrer
der Dinge an fich , über ihre realen und
ſelbſt zu bringen. Endlich ſchränken fich
ob activen Eigenſchaften und über die Grár
ten der Erkenntniskräfte aufwirft, fie auch die Zweifel des Scepticismus durchaus
lerechterdings und ewig unbeantwortlich nur auf dasjenige ein , was man in der Phi..
E: bezt über das, was die Vernunft im Felde loſophie zu wiſſen vorgegeben hat , und ge.
der Speculation leiſten kann, und vielleicht ben die übrigen Theile der menſchlichen Ein
fichten , inſofern ſolche nicht aus den Philo
dereipft auch noch le:ſen wird , ganz wal
gir nichts felt. Er bezweifelt blos dasjenig ſophieen über das Ding an fich ſchöpfen , gar
nichts an .
was de Dogmatiker über die Dinge an het
und über die Gränzen der Macht und Ohr
ens Sein Urtheil über die Kritik der Vernunft
wache des Erkenntnisvermög bereits u
iſt der Hạuptſache nach folgendes : daſs hie
wlen und allgemeingiltig beweiſen zu kór die philoſophierende Vernunft auf den Mane
wen vorge jeben haben. Er läſst es võlli
gel der Selbſterkenntnis, der ſo viele aben
dahin geſiellt ſeyn, ob die mehr gereille
ere Denkkraft die Aufólie theuerliche Hypothefen erzeugt hat, aufinerk
und männlich
e ſam gemacht , und einen dem menſchlichen
der Problem , welche die Vernunft über de
heit Scharflinne Ehre bringenden Verſuch geliefert
Delern und die Beſchaffen der Dinge 3
habe , die Macht der Fähigkeiten des Erkennt.
Ich aufwirft, dereinſt finden werde, we
nisvermögens ihrem Umfange und ihrer
mich
nicht , und zernichtet ganz und gar wahren Beſtimmung nach recht genau auszu
alle Hofnung, daſs dieſe Aulölung kóza. meſsen . Wenn man alſo , fährt er fort,
24 Stande gebrachtbarweerden Anoſtneatnt ali blos auf das fieht, was durch die kritiſche
trere ad unfrucht Declamati ik um dein
n Philofophie bereits geſchehen iſt,
das natürliche Unvermöge der menſchliches Gange
156

Gange der menſchlichen Vernunft in ihren


Speculationen über die Kenntnis des Mögli
chen und Wirklichen nehrere Sicherheit vor
Irrwegen und täuſchenden Vernünfteleyen zu
geben , wenn man nur dasjenige erwägt, was
der tranſcendentale Idealismus dazu beytragen
muſs, daſs die dialectiſchen Anmaaſsungen
der ihre eigne Macht verkennenden Vernunft
dereinſt zerſtöhrt und beſchränkt werden , und
dabey auf dasjenige gar nicht Rükſicht nimmt,
was noch zu leiſten übrig iſt, um die Philofn .
phie zur Königin aller Wiſſenſchaften zu era
heben , welche allgemeingiltige Principien
über das , was wir wiſsen und hoffen kön
nen , aufſtellt ; ſo kann man wohl überzeugt
zu werden, anfangen , daſs die Vernunftkri
tik bereits alles geliefert habe , was nöthig
iſt, um die in der philoſophiſchen Welt bis
her herrſchende Uneinigkeiten zu beendigen,
und die Probleme der theoretiſchen und prac
tiſchen Weltweisheit auf eine unbeſtreitbare
und für jeden denkenden Kopf befriedigende
Art zu beantworten . Uebrigens behauptet
or , daſs durch dieſelbe weder der Humiſche
Scepticismus, noch der Idealismus widerlegt
worden ſey.
Der
?

i
156 157

an der menſchlichen Vernunft in ihren Der übrigen Einwendungen gegen die Kri
Speculationen über die Kenntnis des Mogi tik nicht zu gedenken , iſt ſeine Hauptab .
chen und Wirklichen mehrere Sicherheit rar ficht gegen die Reinholdſche Elementar- Phi
Iirur en und täuſchenden Vernünfteleyen u loſophie gerichtet. Alles , was er dagegenz
firben, wenn man nur dasjenige erwägt, we aufſtellt, zeugt von einem genauen Studium
der tranſcendentale Idealismus dazu beytraza und von ausgezeichnetern Scharfſinn . Den
muls, daſs die dialectiſchen Anmaalsungen Grundſatz des Bewuſstſeins erklärt er für
der ihre eigne Macht verkennenden Verasal keinen abſolut erſten , für, keinen durch ſich
dereink zerftohrt und beſchränkt werden, und ſelbſt durchgängig beſtimmten , für keinen
allgemeingeltenden Satz , und für keine von
darey auf dasjenige gar nicht Rükſicht ninc,
u as noch zu leiſten übrig iſt, um die Philum allein Raiſonnement unabhängige Thatſache.
1
plie zur Könizin aller Wiſſenſchaften zu er Hieraus läſst fich von ſelbſt abnehmen ,
heben, welche allgemeingiltige Princjus was für ein Urtheil die Elementar- Philofo
Über das, was wir wiſsen und hoffen kár phie erhält. Niemand kann es mit dieſem
nen , puſſiellt; ſo kann man wohl überzez wichtigen Feinde beſser aufnehmen , als der
zu werden anſangen, daſs die Vernunfikri Urheber dieſer Philoſophie ſelbſt. Ich ſchäme
tik bereits alles geliefert haibeſc,henwas mich nicht , zu bekennen , daſs ich dieſes
iſt, um die in der philoſoph Welt di Philoſophen Antwort erſt abwarten muſs , bea
ſ c h e n d e i g k e i t e n
e
h hr e r r U n e i n z n beendig
u vor ich die im leztern Stüke angefangne Ue.
und die Probleme der theoretiſche und pa berhicht der Entdekungen fortſetze. Wie dieſe
eit
tilchen Weltweish auf eine unbeltreitur Antwort auch ausfalle , ſo wird Aenefide
und für jeden denkenden Kopf befriedigen . s
mus gewils eine nüzliche und beilſame Be .
Uebrigen behayeri richtigung mancher Ideen veranlaſst haben .
en
oAr t, dzauſs bdeuarncthwodriteſel. be weder der Humilele
s Ein Werk , wie dieſes, inacht der deut
Scepticismu , noch der Idealismus widerleş
ſchen Philoſophie Ehre ; es gehört mit zu den
Ver
De
worden lev. /
158

Verdienſten der Kritik , folche Unterſuchun


gen veranlaſst zu haben.

In Beyträgen zur Geſchichte der Philoſo


phie muſte das genannte Werk auch ſchon
darum angeführt werden , weil es , meines
Bedünkens eine neue Art , zu philoſophieren,
eine neue Anſicht des Scepticismus liefert,
2

bey welcher die Philoſophie überhaupt offen


bar gewinnen muls.

F.

ÜBER
159
158 1
Verdienſten der Kritik , folche Unterlacho
gen veranlaſst zu haben.

In Beyträgen zur Gekchichte der Philolo


p !ie multe das genannte Werk auch lehen
darum angeluhrt werden, weil es, meine ÜBER DAS INTERESSE
Bedunkens eine neue Art , zu philoſophieren
eine nene Anfcht des Scepticismus liefert AN DER

bey welcher die Philoſophie überhaupt ofa KANTISCHEN PHILOSOPHIE


bu gewinnen muſs.

Die neuelie Philoſophie beſchäftiget zwar


noch immer eine beträchtliche Anzahl von
Denkern : noch immer erſcheinen Wider
legungen und Apologieen , Ueberſichten , Aus
züge und Erläuterungen. Dennoch ſcheint
fe von der allgemeinen Theilnahme zu ver
lieren und mehr Privatfache einer kleinen
Clalle des Publicums werden zu wollen,

Die Urſachen davon liegen nicht fern.


Zehn Jahre ſind nun verfloſsen , ſeit die Kri.
tik der reinen Vernunft auſtrat : und noch
iſt der Streit über die erſten Sätze derſelberi
nicht
. " , 160

nicht entſchieden. Ein berühmter Philoſoph


hat die Prämiſſen dazu aufgeſtellt, um dieſe
Entſcheidung zu beförğern: und hat wenig
mehr , als neue Streitigkeiten bewirkt. Das
Publicum muls ' ermüden , an einer Philofo
phie Theil zu nehmen , über welche die
Philoſophen felbſt ſich nicht einigen können.
Auch ſcheint es bedenklich , daſs eine
Philoſophie , die von ihren Freunden für lo
überaus menſchlich und apodictiſch wahr aus
gegeben wird , doch ſo wenig faſslich und
allgemein verſtändlich ſeyn ſollte. Man kann
es nicht glauben , daſs die Wahrheit fich nur
unter einer beſtimmten Terminologie finden
Jaffe : man fieht nicht ab , wie ein immer:
währender Streit über Raum und Zeit, fyn.
thetiſch und analytiſch , Kategorieen und
Schemata einen Gewinn für die Menſchheit
geben oder vorbereiten könne : man hat auf

einen Weltbegriff der Philoſophie gehoft und


noch iſt der Schulbegriff derfelben nicht feſt
geſtellt. Viele Schriften aus der Kantiſchen
Philoſophie machen durch populäre Titel oder
gefälligen Styl Hofnung zuin leichtern Ver
ſtändnis und erfüllen fie nicht. Die meiſten
find
160 161

nicht entſchieden. Ein berühmter Philoſoph find deutlich , fo lange Sie widerlegen : wo
hat die Prămiſlen dazu aufgeſtellt, um diele fie die Sätze der Kritik aufſtellen , werden
Eo : ſcheidung zu befördern : und hat wenig. fie auf einmal wieder dunkel und ſchwer.
mehr, als neue Streitigkeiten bewirkt. Das Diefs alles muſs Veranlaſſung geben , hich
Paicum muſs ermüden , an einer Philolom von dieſer räthſelhaften ſchwerfälligen Wiſſen
pie Theil zu nehmen , über welche die ſchaft wegzuwenden , und die leichtverſtänd
Pinolophen felbft fich nicht einigen können. liche Erfahrungsphiloſophie aufzuſuchen , die
aus Geſchichte und Beobachtung Nahrung
Auch ſcheint es bedenklich, das eine für Geiſt und Herz bereitet und uns die
Philoſophie, die von ihren Freunden för h Kunſt zu leben lehrt.

über aus menſchlich und apodictiſch wahr 28.?


Jahrtauſende hat der menſchliche Geiſt in
Begeben wird , doch ſo wenig faſslich ux? 1

verſchiedenen Individuen und unter verſchie


a " emein verfiándlich ſeyn Polite. Mekaan
es nicht glauben , daſs die Wahrhez as wur denen Himmelsſtrichen philofophirt: und
unter einer beſtimmten Terminologie in noch ſollen die wichtigſten Probleme nicht
lale : man fieht nicht ab, wie ein inneho aufgelöſt, ſollen erſt jezt ihrer Auflöſung
nahe ſeyn ? Dieſs macht die neueſten For
währender Streit über Raum und Zeit,i
ſchungen täglich verdächtiger.
thetiſch und analytiſch, Kategorier
Schemata einen Gewinn für die Mezi
geben oder vorbereiten könne: man bil Die Philoſophen ſelbſt geſtehen , der Zeit
punct ſey für menſchliche Augen noch fern ,
einen Welebegriff der Philoſophie gehaksı wo der Genius der Nationen ein Mitarbeiter
noch iſt der Schulbegriff derſelben niat und Gehülfe , nicht aber ein Widerſacher der
. Viele Schriften aus der Kantiles
oſophie hen h läre Philoſophie ſeyn wird, der glükliche Zeit
gPehfiilellt n mac durc popu Tieli punct , wo die Reſultate dieſer Wiſſenſchaft
getallige Styl Hofnung zum leichtern! ins Leben eingehen und in den Städten und
ſtändnis und erfüllen fie nicht, Die man I. Häu
162
Häuſern der Menſchen wirken werden : fie
Klagen , daſs die Periode der höchſten Ver
nünftigkeit noch nicht anbrechen will. Die
Geſchichte vermehrt unſern Kumier. Es

war eine Zeit in Griechenland , wo der Geiſt.


der Nation der Philoſophie in die Hand ar
beitete : aber die Philoſophie vergaſs, danke
bar zu ſeyn , oder sie war zu ſchwach ,
jenen guten Die Sitten
Athens verdarben , trotz den unzählichen
Philofophen , die in ihren Mauern lehrten.
Eine ungünſtige Perſpective für die neueſten
Forſchungen !
Was etwan von den kritiſchen Unterſum
chungen ins gröſsere Publicum gekommen
iſt , ſcheint mit der poſitiven Religion zu col
lidiren : und diefs wird nicht überall nach
geſehen. Wenn in Griechenland nur die öfe
fentliche Religion nicht beſchimpft und dadurch
Parthey gegen den Staat ſelbſt gemacht wurde :
lo durfte die Philofophie behaupten , was he
wollte. Socrates ward mehr ein Opfer von
Perſönlichkeiten. Epikur lehrte ungehindert
2
in Athen Sätze, die ihn ſpäterhin ins Ge
fängniſs gebracht haben würden. Der gröſte
und allgemeinſte Zweifler Pyrrho war hoher
Prie
- 161 163

Ha..fern der Menſchen wirken werden : fi Prieſter in ſeiner Vaterſtadt. Sie alle leugne
kagen, daſs die Periode der höchlien Ver ten die Wahrheit der Religion , aber sie
nilijkeit noch nicht anbrechen will. Dit machten ihre Gebräuche mit :: fie gaben der
Gulchichte vermehrt unſern Kummer. B Vernunft die Ehre , aber fie hatten Achtung
war eine Zeit in Griechenland, wo der Gil für. Herkominen und politiſche Anſtalten;
der Vation der Philoſophie in die Hard 2 Ihre Schriften blieben nur in einem engen
berzete : aber die Philoſophie vergaſs, dula Zirkel von Denkern : ihr Leben , welches
bur zu ſeyn, oder ſie war zu ſcores Jederinann ſah , war untadelhaft. In dem
jenen guten Geiſt zu erhalten. Die Sin mittlern Zeitalter half inan sich mit einer
Ashens verdarben, trotz den unzählige Dinſtinction zwiſchen theologiſcher und phi
Philoſophen, die in ibren Mauern lebris Joſophiſcher Wahrheit : eine konnte der an
Ene ungiinliige Perſpective für die neueta dern widerſpreclien. Jezt ſcheint die Sa
che ernſter zu werden : die Philoſophie redet
etnw!an ron den kritiſchen Unters
s ge
'aun
ForſTch von den Gründen aller Erkenntnis ; die Re-.
erungen ins gröſsere Publicum gakompa ligion macht auch auf Erkenntnis Anſpruch :
foll ſie diefelbe der Kritik unterwerfen ? Dann
ili, ſcheint mit der pofitiren Religion za
Lidiren : und diels wird nicht überall wait würde die Philoſophie in öconomiſcher Rük
d
Erleben . Wenn in Griechenlan murder licht gefährlich.
fentliche Religion nicht beſchimpft und dedes Sollte nicht auch bey vielen die Gefahr in
Parthey gegen den Staat ſelbſt gemacht mit Anſchlag kommen , die dem guten Geſchmake
zu drohen ſcheint ? Ein treflicher Denker
lo durfte die Phislofophie behaupten, hat neulich darauf aufmerkſam gemacht *) ; er
wollte. chSkoecirtaetne ward mehr ein Oplers
Perſonli . Epikur lehrte ungehits L 2 hat
in Allien Sitze , die ihn ſpäterhin inst
t
Pangnils gebrach haben würden. Der your * ) Neue Bibl. der ſch . Wiſs. (Rec.'von Thüm.
ine mels Reiſen in das ſüdliche Frankreich.)
und allgeme Zweifler Pyrrho war bus
2 >
164

hat noch vergeſſen zu ſagen , daſs es weit


leichter ſey, eine Reihe Kantiſcher oder
Reinholdſcher Ideen aufzuſtellen , ſelbſt ohne
fie zu verſtehen , aber dennoch mit einem
gewaltigen Anſchein von Gründlichkeit, der
auf die Rechnung der Ausdräke gehört; als
ein ſchönes Kunſtwerk zu liefern , wozu der
Stuff aus dein Menſchen und die Form aus
der Kunſt genommen iſt, welches den Men
ſchen , die es ſehen und genüſsen , Freude
macht und fie ohne Paragraphen in lauter
Scherz und Freude belehrt.
Einen beträchtlichen Theil der allgemei
nen Aufmerkſamkeit fordert jezt eine Bege.
benheit , die gewils für die Menſchheit ſehr
wichtig iſt. Veränderungen in groſsen Staaten
und Nationen intereſsiren Mehrere und dieſe
lebhafter ,als Veränderungen in Begriffen
und philoſophiſchen Syſtemen . Es bedarf
des Spottes eines gewillen Schriftſtellers nicht:
daſs der Satz des Bewuſstſeyns der Franzöſi
ſchen Revolution vorgebeugt haben würde :
wo . von ſolchen Bewegungen die Rede iſt,
wie die Franzöfiſche war , da vergiſst man
leicht die Bewegungen der Philoſophen über
Principien.
Dieſs
265
1
- 164
but noch vergeſſen zu ſagen, daſs es wait Diels alles zuſammen rechtfertiget, oder
leichter ley, eine Reihe Kantiſcher oder erklärt wenigſtens, die verminderte Theil
nabme des Publicums an der neueſten Philos
Reinholdſcher Ideen aufzuſtellen , ſelbſt ohne
ke ze verſtehen , aber dennoch mit einem fophie.
f ***alizen Anſchein von Gründlichkeit, der
Es iſt meine Abſicht nicht, jene Bedenk .
aal die Rechnung der Ausdräke gehört; a lichkeiten , die aus der Wiſſenſchaft ſelbſt
ein ſchönes Kunſtwerk zu liefern, wozt de
entſtehen , durch innere und äuſere Gründe
S: 11 aus dein Menſchen und die Form 19
zu heben : vielleicht würden auch meine
det kanſ genoınmen iſt, welches den Hoe Kräfte dazu nicht ausreichen. Ich verſuche
ſchen , die es ſehen und genüſsen, Frede nur einige Gedanken über die Frage : Ob
macht und fie ohne Paragraphen in late die neueſte Philoſophie eine allgemeine Auf
Scherz und Freude beenlehrt. merkſamkeit und Theilnahme verdiene ?
Einen beträchtlich Theil der allere:
eit
nen Aulinerkſamk fordert jezt eine beso Die Kantifche Kritik der reinen Vernunft
benheit, die gewiſs für die Menſchheit le hat es zunächſt mit der Metaphyſik zu thun.
n
wichtig ilt. Veränderunenge in grolsen Sex Diele Scienz iſt noch aus denen Zeiten her
and Nationen intereſsir Mehrere und die
. " verdächtig , wo ſie eine Sainmlung fpitzfiit.
lebhaftier, als Veränderungen in Bepuis diger Unterſuchungen oder ein Repertorium
and philoſophiſchen Syſtemen. Es become
allgemeiner Sätze ohne Leben und Geiſt war,
des Sputtes eines gewillen Schriftliellers at und dabey die Königin der Wiſſenſchaften
s
dels der Satz des Bewuſstleyn der Frau hiels. In ſpäteren Zeiten nannte man das
n
ſchen Revolutio vorgebeugt haben wist Studium derſelben ein kleines Vebel. Wenn
wo ron folchen Bheewegungen die Rede! es dir auch keine reelle Kenntniſſe einbringt,
c
wie die Franzöhſ war , da' vergilt e fagte Hume , ſo iſt es doch gut, einmahl
n
leicht die Bewegunge der Philoſophen a Sberzeugt zu werden , daſs du nichts wich
L 3 tiges
Principien.
166

tiges darauts lernen kannſt: nach dieſer Ar


beit kannſt du allen Unruhen der metaphy,
fiſchen Welt gleichgültig zuſehen , ohne dich
darum zu bekümmern , auf welche Seite
fich der Sieg neigt. Man ſchlug ihren Nutzen
nicht höher an , als auf die Fertigkeit , alle
gemeine Begriffe zu anatomiren, Will fie
weitere Anſprüche machen , will fie Königin
der Wiſſenſchaften ſeyn , ,, dann , ſagte man,
iſt ſie entweder die Tochter oder die Vor
läuferin der finſterſten Barbarey , des ent
ſcheidendſten Parthey - Eiſers , des unverſchäin,
teſten Bekehrungsgeiſtes; dann kann fie fich
nicht anders , als auf den Ruinen des guten
Geſchmaks und dem gänzlichen Verfall der
Men ſchenkenntnis gründen ; dann verwildert
fie den Genius ganzer Zeitalter , und hinter: 1

läſst den ſtaunenden Enkeln ein Gemälde


von Aberwitz , das eben ſo wenig, wie die
abgeſchmakteſte Geſchichte der Heiligen Glau.
ben finden würde , wenn ſie nicht noch hin
, und wieder redende Beyfpiele anträffen .“
Man iſt verſucht zu fragen ; wie kann Me.
3
taphyfik ſolche groſse Dinge thun ?
Die kritiſchen Unterſuchungen haben alle
bisherige Métaphyfik für leer und vergeblich
er
160 167

1.9 dara'ts lernen kannſt : nach dieler A erklärt : diefs iſt eine Freude für ihre Halser.
lwit kannſt du allen Unruhen der metaphra Aber fe haben den Grund zu einer neuen Me.

falen Wert gleichgültig zuſehen, ohne dich taphyſik gelegt , und dieſe will man ſich nicht
diram za bekümmern , auf welche Seit gefallen laſſen ,
. Man ſchlug ihren Nutzen
feb der Siez neizt Die gewöhnliche Metaphyſik rühmte fich
8. st bo an , als auf die Fertigkeit, ali
'e r
gemeine Begriffe zu anatomiren, w vieler Erkenntniſse , die der Menſchheit wich
wetere Anſprüche machen , will he Kica tig ſeyn müſsen. Sie erwieſs die Einfachheit
der Wenſchaften leva, „, dann, fagte ist der Seele , und aus der Einfachheit ihre Un.
if fie entweder die Tochter oder die lis ſterblichkeit und aus beyden ihre Freyheit.
Sie bewieſs das Daleyn Gottes und ſeine Ei
is verin der finfierften Barbarey, des e
genſchaften . Sie inachte den Menſchen das,
kielenditen Panther - Eilers, des unverlisilo
Willen nicht ſohwer ; fie lehrte ihn mehr ,
selien Bekehrungsgeiſtes: dann kann kew
als - er begreifen konnte. Wäre fie nie
Licht anders , als auf den Ruinen desire
s und dem gänzlichen Verfal is. angetaſtet worden , ſo würde ihr jetziger
Grimakke nntnis
Jenſchen gründen ; dann verwüter" Umſturz noch allgemeinere Aufmerkſamkeit
erregen : aber der Materialiſm hat ihr viel
he den Genius ganzer Zeitalter, und lite von ihrem Anſehen geraubt : eine populäre
16 den ſtaunenden Enkeln ein Geria
Philoſophie hat ihre ſpeculativen Beweiſe ent
von Aberwitz , das eben ſo wenig, we behrlich gemacht. Man hatte ſchon die De
e
abgeſchmaktelt Geſchichte der Heiligen Gas
mnonſtrationen für die Immaterialität der Seele
ben finden würde , wenn fe nicht moet
und wieder redende Berſpiele anträts wenigſtens unbefriedigend gefunden : die onto
logiſchen und cosmologiſchen Beweiſe für das
Van in verſucht zu tragen ; wie kann )
Daſeyn Gottes waren ſchon den Beweiſen die
taphufik fiche gnroſso Dingheuntgheunn ? die Natur und das menſchliche Herz darreicht,
De kritiſche Unterſuc haker a längſt gewichen , als die Kritik fie aus Grün
diskerige Metaphysik für leer und verein L4 den
168

den zu widerlegen begann. Der leichtfaſs.


liche Determinismus lieſs keine neuen Gründe
für das Gegentheil vermuthen .

3
Und auſer jenen Beweiſen für dieſe drey
wichtigen Probleine, ſagte man , hat die
Metaphyſik ja keine Jdeen übrig , die auf
das handelnde Leben und unſer practiſches
Wohlverhalten einen unmittelbaren oder nur
fichtbaren Einfluſs haben : ; Ideen , welche
bey Entwürfen unſerer künftigen Lebensart,
bey plötzlichen Entſchlieſsungen in wichtigen
und zweifelhaften Zufällen oder bey den Ge
wohnheitshandlungen ſich der Seele darſtellen,
ihr auf die eine oder die andere Seite eine
Neigung geben und verſtekt mitwirken .

Sie haben Recht , die diefs behaupten ::


aber fie werden nicht leugnen können , daſs
alle Philoſophie , fie mag ſo ſchön klingen,
ſo blumicht ausſehen , ſo frey ſcheinen, als
fie nur will, doch immer auf gewiſse Grund
ſätze fich ſtützen muſs , wenn sie nicht in
Gefahr kommen will , für bloſses Werk der
Phantafie gehalten , oder von dem erſten be
{ ten Zweifer umgeſtoſsen zu werden. Laſset
den
168 769
dan zu widerlegen hegann. Der leichtfalia den Moraliſten vom moraliſchen Gefühl, von
liche Determinismus liels keine neuen Gründe innern Geſetzen der Tugend noch ſo entzü
kend ſprechen : ift er nicht im Stande, ſein
for das Gegentheil vermuthen. -
Raiſonnement auf fichere Principien zurükżu
lnd auſer jenen Beweiſen für diele drey führen, ſo möchte ich ſehen , womit er die
wichtigen Probleine, ſagte man , bat de Einwürfe eines Mandeville oder Montaigne
Imaphrik ja keine Ideen übrig, die ar abhalten will , fehen , ob nicht die Philoſo
do bardelnde Leben und unſer practices phie dieſer leztern ſelbſt den geſunden Men
W * 'verhalten einen unmittelbaren oder zu fchenverſtand gar bald anf ihre Seite bekoma
fetaren Einfluſs haben: Ideen , wedie inen wird, Ich darf keine Beyfpiele mehr
beş E ilwürfen unſerer künftigen Lebenser : anführen : die Geſchichte der Philoſophie liegt
da , komm und fiehe !
bey plotzlichen Entſchlieſsungen in wichtia
und zweifelhaften Zufällen oder bey den te
n
wohnheitshandlunge fich der Seele darlies Iſt alſo (Metaphyfik im weiteſten Sin
i
ne
ir auf die eine oder die andere Seite ei das Repertorium der erſten und allge
meinſten Grundſätze des philoſophiſchen Wif
Neizung geben und verliekt mitwirken.
Tens, ſo iſt jede Bemühung eines Denkers,
Sie haben Recht , die diels behandlere fie zu prüfen , zu berichtigen , zu befeſtigen
eine Bemühung für das Intereſse der Menſchheit.
aber he werden nicht leugnen können,
aile Puiloſophie, he mag ſo ſchön klipas Ob das , was wir bis auf Kant unter dem
lo blumicht ausſehen, ſo frey ſcheinen, Namen Metaphyfik gehabt haben , einer ſol
he nur will, doch immer auf gewilse Grue
chen Prüfying , Berichtigung oder Befeſtigung
Ldtze fich fützen muſs, wenn fie nicht
bedurfte : darüber kann , ſelbſt nach den
Gefahr kommen wil, für bloſses Werte
angeführten Urtheilen neuerer Philoſophen,
Phantafe gehalten , oder von dem erſten
n faſt keine Frage mehr ſeyn . Die Grundſätze,
ften Zweiffer uingeſtoſse zu werden. De L 5 wel.
170

welche hie aufſtellte , hatten an fich den Ge.


halt und Umfang nicht , der ihnen beygelegt
wurde. das Princip des Widerſpruchs, wel.
ches nur von unſern Vorſtellungen gilt, war
auf die Gegenſtände, und der Grundſatz
der Cauſsalität, der nur von der Welt der Er
!
Scheinungen gilt ,, auf die Welt auſerhalb un .
ſerer Erfahrung übergetragen und ausgedehnt
worden. Ein Zweifier ſprach dem leztern
Grundſatze ſeine Nothwendigkeit ab , mit
mehr Grunde , als die Metaphyfiker fie be
hauptet hatten. So war das ohnedem unfichre
Gebäude der Philoſophie vollends untergraben.

Man darf nur einmahl in ſeinem Leben


ein Spiel des Zweifels geweſen ſeyn , un

den groſseu Werth erſter ficherer Grundſätze


anzuerkennen . Nicht des Zweifels, der

dem Pyrrhon zu Theil ward , und ihm dieje.


nige Gemüthsruhe gewährte , die der Zwek
alles Philoſophirens iſt: zu dieſem erhabe
nen Grade des Scepticismus können nur we
nige Menſchen fich aufſchwingen , und dieſe
wenigen fordern unſere Achtung. Die Wün
ſche der Menſchen haben zugenommen , und
was der Zweifel auf der einen Seite zu er
ſchüt
171

#ache he anfftellte , hatten an fich den Go ſchüttern ſucht , das hält auf der andern das
Bedürfnis wieder, Man kann ſagen : die
halt und L'infang nicht , der ihnen beygeleg
wurde das Princip des Widerſpruchs, web Welt iſt jezt unruhiger geworden , mit den
ches nur von unſere Vorſtellungen gilt, wat wachſenden Kenntniſsen in andern Fächern
nimmt die Unlicherheit in dein Puncte zu,
auf die Gegenſtände, und der Grundlaz
der Caubalildt , der nur von der Welt derEr über welchen das bange Sehnen des Endli.
l'citungen gilt, auf die Welt auferhalb es chen gern Sonnenhelle Gewisheit haben möchte.
Ich nyeine alſo den Zweifel, den die Specida
ſerer Erfahrung übergetragen und ausgedet
wurden. Ein Zweifler ſprach dem lezera lation aufdringt , und das Gefühl zyrükweiſt,
den das Nichtdenkenkännen erzeugt und das
Grundlaze ſeine Nothwendigkeit ab,<
mehr Grunde, als die Metaphyfker fe le Şehnen und Wiinſchen wieder unterdrükt, das
Schwanken zwiſchen Nicht einfehen und Doch
haiptet hatten . So war das ohnedem unbedie
hoffen .Nicht alle Menſchen haben es erfah .
Gel aude der Philoſophie vollends untergrais ren , aber es iſt einem doch bisweilen , als
ſtünde man ifolirt in dem . Ganzen ; binter
Man darf nur einmahl in ſeinem Lexi
uns nichts , wo unſer Denken anfangen könnte,
ein Spiel des Zweifels geweſen ſeyn, ? )
vor ims kein Ziel, wohin es reichen , wa
den groſseu Werth er /ter ficherer Grucis. es enden kann, Der Menfch ſteht zwiſchen
Nicht des Zweifels, etc
n e n zwey Unbegreiflichkeiten, der Vergangenheit
adnezmuePrykrernhon .zu Theil ward , und ihop det !
he und Zukunft, in der Mitte : feine Gegenwart
nige Gemüthsruirensgewährte, die der Zoo iſt eng und klein , und doch ſcheint ſie mit
ales Philoſoph iſt : zu dieſem erba's
zwey Ewigkeiten zufammenzuhängen , denn
mus
nen Grade hdeens Scepticis uwinkgöennnen nur F er ſtrebt, jene zu erklären und diefe zu
nize Menſc hch aufſch , und dă
ahnden . Aber wenn er ſich in diefen Ge.
trenigen fordern unſere Achtung. Die
n danken und Ahnungen gleichſain verliehrt,
Iche der Menſchen haben zugenomme , s wenn die Unbegreiflichkeit gröſser wird , als
was der Zweilel auf der einen Seite zu e. die
172

die Hofnung: dann wird es ihm noth wer


den um einen Grundſatz , der ihn beyin
Denken leite und beym Hoffen unterſtütze.
Sind und wodurch find denn , foi wird er
fragen, dieſe lebendigen Gefühle, dieſe regen
Hofnungen in mir gerechtfertigt ? Kann ich
fie bis zur Erkenntnis, bis zum Wiſſen ent
wikeln ? Darf ich fie nähren und wie weit ?

Was muſte der Philoſoph thun , der ſich


der wohlthätigen Arbeit unterzogen hatte;
folche Grundſätze aufzuſuchen , die das Er
kennen , Thun und Hoffen des Menſchen
ficher begründen könnten ? Forſchen , ob
vielleicht in der Natur des Menſchen ſelbſt
dergleichen Principien vorhanden wären , un
terſuchen , wie fie darinn vorhanden ſind,
und wie weit fie reichen .

Und was verdient alſo wohl mehr Auf


merkſamkeit und Theilnahme, als eben dieſe
Forſchungen ? Was geht den Menſchen näher
an , als Er ſelbſt ? Die neueſte Philofo
phie legt uns ein Inventarium unſeres innern
1

Hausraths vor , und lehrt uns den Gebrauch


deffelben . Sey es auch , daſs die Sprache
die
173
172
de Honung: dann wird es ihm noth were :
dieſer Philoſophie etwas ſchwer iſt, daſs der.
den ein einen Grundſatz, der ihn beta Vorbereitungen zu der Unterſuchung des
Derico leite und beym Hoffen unterſtütze menſchlichen Vermögens viele und dieſe nicht
S1.d und wodurch hnd denn, ſo wird er wenig dunkel find : das ſchrekt einerſeits
Itzen, dieſe lebendigen Gefühle, diele regar die unberufenen Arbeiter zurük , andrerſeits
Hungen in mir gerechtfertigt? Kann inh giebt es dem Geiſte derer , die ſich dieſer
he bis zur Erkenntnis, bis zum Willen en Wiſſenſchaft weiben , Schärfe und Elaſticität.
#ikein ? Darf ich hie nähren und wie wet?
Wäre aber auch der Ertrag der neueſten
Philoſophie nicht beträchtlich ,
Was multe der Philofoph thur, der Site wären auch

der wohlhätigen Arbeit unterzogen kan durch dieſelbe die groſsen Probleme der Den
Liche Grundſätze aufzuſuchen , die das E ker nicht ihrer Auflöſung nahe gebracht : lo
kennen , Thun und Hoffen des Menletes or würde doch ſchon die bloſse Art und Weiſe,

fcher begründen könnten ? Forſchen,it zu philofophiren , die durch Kant zuerſt ge


rielleicht in der Natur des Menſchen lehrt iſt, ein allgemeines Intereſſe verdienen .
Kritik iſt das wahre Leben aller Wiſſenſchaft :
dergleichen Principien vorhanden wäres, e
n
terſuche , wie fie darinn vorhanden
das Unterſuchungsloſe Annehmen und Nach
ſprechen vorhandener Sätze erzeugt zulezt
und wie weit fe reichen. Lethargie des Geiſtes: es tritt eine Art vori
Despotismus ein , wo Dogmatismus der Phi
L'nd was verdient alſo wohl mehr &
hme lofophie und anderer Wiſſenſchaften überhand
merk lamkeit und Theilna , als eben de
gen
Forſchun
genoinmen hat.
? Was geht den Menſchen nier
an , als Er ſelbli ? Die neueſte Phili /

ium Iſt das aber nicht , wenden hier einige


phic legt uns ein Iuventar unſeres in
hs
Hausrat vor, und lehrt uns den Gebroek Gegner der neueſten Philoſophie ein , iſt das
n oder wird das nicht der Fall ſelbſt mit dies
dellelbe . Sey es auch, daſs die Server ſer
174

fer geprieſenen Kritik werden ? Wir berufen


uns nur auf die Beurtheilungen philofophiſcher
Schriften in den gröſten und beliebteſten Zei
tungen und Journalen : läſst inan da nicht
jedem Werke, deſſen Verfaſſer es mit der
kritiſchen Philoſophie ganz oder halb hält,
alle Gerechtigkeit wiederfahren , während
jeder , der gegen dieſe Kritik ſchreibt; zu
rükgewieſen und verachtet wird ?. Sind nicht,
um aus der Wiſſenſchaft ſelbſt ein Beyſpiel
anzuführen , die Kategorien wahre Ketten
für den Denker , die allen Unterſuchungen
einen gewiſſen Raum umziehen , über, wel
chen er nicht . wagen darf überzufliegen ?"
Ich habe mir dieſe Einwendungen nicht etwan
blos erdacht, im fie widerlegen zu können :
fie find mündlich und ſchriftlich von Denkern
geäuſert worden , aber ich nenne nicht gern
Perſonen , um der Sache nicht zu ſchadert.
Ich glaube nicht , daſs die kritiſche Methode
die philoſophiſche Gewiſſensfreyheit unter
drülen wird. Sie lehrt , immer und in allen
Fallen der Quelle aller menſchlichen Erkennt
niſfe nachgehen , ihren Urſprung und ihre
Lauterkeit erforſchen : ob dieſe
prüfen ,
oder jene Meynung einen Grund in dem
inenſch
175

fer geprieſenen Kritik werden ? Wir berulan menſchlichen Vorſtellungsvermögen habe, und
uns nur auf die Beurtheilungen philoſophiſcher wiefern fie mit dieſem Vermögen zuſammen .
ſtimmt, d. h. ob ſie mehr oder etwas anders
Schriften in den gröſten und beliebtelen Ze» 1

tunya und Journalen : läſst man da midt enthält , als fie nach Verhältnis der menſch
jeden Weihe , deſſen V'arfaller es mit der Hichen Fähigkeit enthalten kann. Was nun
aber dieſen Vermögen gemäſs und in ihrer
chea Piniloſophie ganz oder halb ke
ae Gerec.iheit wiederſahren, während Natur gegründet iſt, das' annehmen müſſen ,
heiſst nicht, despotiſirt werden oder hal.
Jeder, der gegen dieſe Kritik ſchreibe; ten Philoſophen das für wahre Gewiſlens .
kuielen und verachtet wird ? Sind
um aus der Wilienſchaft ſelbſt ein Berlin freyheit, ſelbſt die Wahrheit nicht glauben
zu dürfen ? Die Schikſale philoſophiſcher
anzufahren , die Kategorien wahre Kites Schriften hängen freylich zum Theil von der
fur den Denker, die allen Unterſuchen
Philoſophie ſelbſt, groſsentheils aber auch
enen gewillen Raum umziehen, tiiber e von Menſchen ab : und es iſt in der That
che er nicht wagen darf überzufigera faſt unmöglich , bey einiger Ueberzeugung
k ! have mir dieſe Einwendungen nicht eira von der Wahrheit und Gültigkeit der neueſten
blos erdacht,licum egen
h he widerltlich zu kieze Philofopheme , ſo manche Schriften , welche
be find münd und ſchrif von Desta
gegen dieſelben gerichtet ſind , ohne Verdruſs
gei'vlert worden, aber ich nenne nicht und Unwillen zu leſen oder zu beurtheilen.
Pro, 30 * , um der Sache nicht zu ſchalen
Laſſet die Gegner vorſichtiger und beſcheidner
Ich glaube nicht, daſs die kritiſche Metben fprechen : die Urtheile über fie werden es
ſche ewillensfreyheit
die phniloſophi G auch werden. Darüber aber klagen , daſs
drüke wird . Sie lehrt, immer und inde
en die einzigen und allgemeinen Formen alles
Filen der Quelle aller menſchlich Erkes Denkens ficher und vollſtändig aufgezählt
nille nachgehen , ihren Urſprung und die find ,und man nun im Stande iſt, alles
n
Luterkeit erforſche : prüfen, ob de Denken mit dieſen Formen zu' vergleichen
n g
oder jene Meynu einen Grund in und
1

176
und darnach zu ordnen , diefs iſt faſt eben
ſo viel, als darüber klagen , daſs es Land
charten giebt, die uns das Reiſen erleichtern,
indem sie die Wege vorzeichnen .
Es iſt ſchon von Andern bewieſen wore
den , und ich darf es alſo blos anführen,
daſs die Kritik alles das Wahre in den ver
fchiedenen Syſteinen der Philoſophen vor ihr,
gewiſsenhaft aushebt und unter Einen , aus
dem Weſen des menſchlichen Erkenntnisver
mögen aufgefaſten , Geſichtspunćt zuſammen
ſtellt. Diels, iſt ein Beweiſs , daſs fie ihren
Nainen mit Recht führt : Sie hat die Vernunfc
ſelbſt kritiſch unterſucht, fe hat dieſelbe in
allen Syſtemen der vorherigen Philoſophen
wieder gefunden. Man hat in ihr das Walırſte
und Belte , was in den verſchiedenen Secten
1

zerſtreut lag, und man wird überzeugt, daſs


es das Wahrſte und Beſte ſey.
Endlich aber kann ich auch den Umſtand
zur Einpfehlung dieſer Philoſophie nicht über
gehen , daſs Sie die wichtigſten Probleme der
Menſchheit von der Speculation unabhängig
inacht. Wer die Geſchichte der Philoſophie
vergleicht , wird finden , daſs die intereſsan.
ten Fragen über Gott , Freyheit und Unſterb»
lich
1,6 - 177

und darnach zu ordnen , diels iſt falt ehen lichkeit durch Hülfe der Speculation bejaht
lo viel , als darüber klagen, daſs es Lande und verneint,' unterſtüzt und aufgehoben
charten giebt , die uns das Reiſen erleichtern worden sind . Dieſelben Principien taugen
inden he die Wege vorzeichnen. für den Dogmatiker und für den Sceptiker :
Es iſt ſchon von Andern bewielen won dieſelbe Form der Vernunftſchlüſſe giebt dem
den , und ich darf es alſo blos anführen einen Beweiſe für, dem andern gegen die
daſs die Kritik alles das Wahre in den ver Sache. Die Kritik hat jene Probleme an die
huoc dozen Srſtemen der Philoſophen vor ih, Moral geknüpft, und die Moral ſelbſt auf
ein in der menſchlichen Vernunft vorhandnes
grw.benhaft aushebt und unter Einz, iš
dem Welen des menſchlichen Erkenntziter Geſetz gegründet , welches keiner Speculation
bedarf, um verſtanden und anerkannt zu
men anfgelaſten , Geſchtspunct zolano
Ielit . Dies iſt ein Beweils, das heis werden. Ich kann über dieſen Punct nichts
Namen mit Reclit führt: Sie hat die Ver Beſſeres ſagen , als was Hr. R. Reinhold in ſei-,
nen Briefen vorgetragen hat.
forma kriuilch unterſucht, he hat diebus
Um nun aber ein ächtes Intereſſe an die
een Siſtemen der vorherigen Piilupa
ſer Philoſophie zu veranlaſſen und zu beleben,
wieder gefunden. Man hat in ihr das Wer
und Belte, was in den verſchiedenen Seus
müſſen vorher noch folgende Bearbeitungen
vorausgehen. Erſtlich müſſen alle ſcharflin
ze ſtreut lag, und man wird überzeugt,a
nige Einwürfe denkender Schriftſteller kurz
as das Wcahhrſie und Belie ſey. und bündig zuſammengeſtellt und, ohne Bit
Endli aber kann ich auch den Ums
g terkeit und Groll, kurz widerlegt und ge
zur Enplehlun dieſer Philogſſotpehnie nicht is hoben werden . Die Gegner würden fiches
gehen , daſs Sie die wichti Problemati
it zur Pflicht machen , die Wahrheit um der
Me nſchhe von der Spe culation unable
hte Wahrheit willen , anzuerkennen , und ihre
mache. Wer die Geſchic der Philady
t Einwendungen nicht aus Eigenfinn länger zu
vergleich , wird finden, das die interes
behaupten. Zweytens wäre ein Werk zu
ten Fragen über Gott, Freyheit und Ums M wün .
178

wünſchen , welches die Hauptmomente der


Kritik in möglichſter Deutlichkeit darlegte,
die Beweiſe dazu direct und indirect, aber
ohne Sprünge und Digreſsionen , in einer
leichtverſtändlichen Sprache entwikelte , und
allenfalls zu ciner beſſern Vergleichung die
Kantiſchen Ideen mit den Meynungen anderer
Philoſophen vor ihin , ohne weitere Einpfeh
lung confrontirte. Dadurch würden dieſe
Ideen einen allgemeinern Eingang finden, und
darf ich einen Blik in die Zukunft thun , der
Geiſt des Zeitalters würde offenbar gewinnen.
Streitigkeiten über Gegenſtände, welche alles
menſchliche Wiſſen überſteigen , werden gänz.
hich hinwegfallen , die reinen moralifcben
Grundſätze und Lebensregeln werden nach
und nach in die Handlungen übergehen, die
Religion wird weder ſceptiſche Feinde , noch
ſchwärmeriſche Anhänger mehrerzeugen,
und es kann nicht mehr. Gefahr ſeyn , daſs
auch nur der entfernteſte Grad von Neupla
tonismus, theoretiſch oder practiſch, in den
Köpfen der Menſchen Wurzel falfe.
F.

GE
158 - 179
1
wünſchen , welches die Hauptinomente der
Kritik in möglichſter Deutlichkeit darlegre
die Beweiſe dazu direct und indirect, aber
ohne Sprunze und Digreſsionen, in einer
leicht reiſtandiichen Sprache entwikelte, und
allería's zu ciner beſſern Vergleichung die
Kantiſc'sen Ideen mit den Meynringen andere GESCHICHTE
Pauiluphen vor ihm, ohne weitere Eples
MEINES
lug confrontirte. Dadurch würden där
Ideen einen allgemeinern Eingang findes, red PHILOSOPHISCHEN STUDIUMS .
darf ich einen Blik in die Zukunft thun, der
Geift des Zeitalters würde offenbar gerie
Streitigkeiten über Gegenſtände, welche di
menſchliche Willen überſteigen , werden som Ich will hier ein methodiſches Selbſtbekennt
hich hinwegfallen , die reinen moralis nis niederſchreiben , welches vielleicht eini

Grundlaze und Lebensregeln werden zu gen jungen Freunden der Philoſophie nüzlich
und nach in die Handlungen übergeben, ſeyn kann , ohne die geringſten Anſprüche
für meinen unbedeutenden Namen. Wenn
Religion wird weder ſceptiſche Feinde,
Schwarmeriſche Anhänger mehr erzego moraliſche Confeſsionen eigentlich nur Sache
und es kann nicht mehr Gefahr lero, der ſtillen Einſamkeit und geheimer Privat
auch nur der entfernteſte Grad von Ver abrechnung mit unſerm Genius find , und
ind durch ihre Bekanntmachung gemeiniglich
tonismus, theoretiſch oder practiſch, mehr ſchaden als nützen ; ſo find hingegen
Ripien der Venſchen Wurzel falle. literariſche oder methodiſche man erlaube
mir den Ausdruk - eher für das Publikum ,
find weniger gefährlich , und können beleh
M 2 rend
180

rend ſeyn , von wem fie auch kommen . Ich


will etwas von meinem philoſophiſchen Stu
dium erzählen : man hört ja wohl auch in
Geſellſchaften einein Manne ohne Unwillen
zu , der ein Viertelſtündchen von ſich ſelblo
redet , wenn er som sich nur nicht lobt.

In meinem erſten Univerſitätsjahre lernte


ich durch zufällige Erwähnung Kants Kritik
der reinen Vernunft kennen : inan nannte

inir es das beſte Kompendium der Philoſophie:


noch hatte ich keine philoſophiſchen Werke
von Bedeutung geleſen. Natürlich war mit
dieſs Buch bey der erſten Lectüre ſo gut,
wie Hieroglyphenſchrift: ja fie machte mir
noch peinlichére Empfindungen , weil ich
denn doch hin und her wenigſtens etwas ver
ſtand. Ich entſchloſs mich , bloſs darinn
zu blättern , um vielleicht aus der Mitte ei
nen guterà, Griff zu thun , weil es mit dem
Anfange nicht fort wollte. Allein dieſs Ver
fahren verwirrte mich noch mehr : ich fieng
im Ernſt an , Kanten für einen Atheiſten zu
halten , und legte das Buch bei Seite. In
deſsen führte mich der eigenthümliche Reiz,
den jede Schwierigkeit hat, und die Eitel
keit,
781
180

Ierid lern , von wem ſie auch kommen. les keit, über einem Buche angetroffen zu wer .
wil edwas von meinem philoſophiſchen Sta den , welches für ſo ſchwer gehalten und
d'on erzahlen : man hört ja wohl auch in von ſo wenigen geleſen wurde , dieſer Lec
Gerhaiten einein Manne ohne Unweiten türe von neuem zu. Ich verſuchte ein neues
20 , der ein Viertelſtündchen von fich felbs Mittel mir das Verſtändnis zu erleichtern :
ich fuchte mir aus der Kritik einen kleinen
ſich nur nicht lobt.
rede!, wenn er Abſchnitt aus , ſchrieb ihn ab , und blätterte
e nun im ganzen Buche herum nach Stellen ,
In meinein erſten Univerfitätsjahr leite welche mit dieſem Abſchnitte Aehnlichkeit
ich durch zuſäilige Erwähnung Kants ka hatten , ein Wort in derſelben erklärten
der reinen Vernunſt kennen : man sedan oder umfchrieben ,
1

oder gar ein Beyfpiel


inir es das beſte Kompendium der Philobytes dazu hergaben . Alles das Geſammelte
necil hatte ich keine philoſophiſchen Were wurde nun in eine Abhandlung zuſaminenge
von Bedeutung geleſen. Natürlich syrr ſtoppelt, welche Hr. Prof. Cäfar in feine
dieb Esch bey der erſten Lecture / philoſophiſchen Denkwürdigkeiten aufnahm,
wie Hieroglı phenſchrift: ja he mache e', nicht weil er fie gut fand , fondern wohl
nuch peinlichere Empfindungen, salt nur , um mich zu ermuntern . Dieſe gedruks
denn duch hin und her wenigſtens erste ten Blätter ſchienen mir das Diplom zu feyn ,
Ich entſchloſs mich , bloks welches mich unter die Philoſophen mit Sitz
zſtuanbdä.ttern , um vielleicht aus der Miz! und Stimme einfezte : ich las mit erneutem
nen guten Griff zu thun, weil es mit de
Eifer , und las nichts , als die Kritik .
Anlange nicht fort wollte. Allein dies
e
fahren verwirrt mich noch mehr : ids Davon waren denn nun die unmittelbaren
im Ernſt an , Kanten für einen Atheilie Folgen : eine fortdauernde Unbekanntſchaft
halten , und lezte das Buch bei Seite mit den Werken anderer Philofophen , eine
delsen fülre mich der eigenthümliche 3 thörichte Selbſttäuſchung und ein erbärmli
eit
den jede Schwierigk hat, und die M 3 cher
182

cher Styl. Die gröſte Dunkelheit, beſtän:


diger Gebrauch der Kantiſchen Terminologia
und eine ſorgfältige Vermeidung erläutern,
der Beyſpiele galt wir für Gründlichkeit ;
ich konnte mich nicht überreden , daſs ein
wahrer Philoſoph fich herablaſsen könne, deut:
lich und faſslich zu ſeyr. Es war mir ho
her Selbſtgenuſs , ſo zu ſchreiben , daſs ich
mich ſelbſt nicht verſtand , .fo oft ich ein
!
Punctum ſchloſs , wenn mir es auch im Ang
fange gedämmert hatte , als wüſt ich, was
ich wollte. Kein Wort kam übrigens aus
1
meiner Feder , das nicht in eben ſolcher
Verbindung in der Kritik ſtand. Ein bereit
williger Verleger und es wären ein Paar
Finnloſe Bücher mehr in der Welt.

Damals gab Hr. Prof. Jacob feine Prüfung


heraus. Sie verſprach , mehr Deutlichkeit
über die Kritik zu verbreiten : aber , ſoll
ich aufrichtig ſeyn , le brachte mich nicht
viel weiter , fie : flöfte mir nur noch inelır
knechtiſche Ehrfurcht vor der Kritik ein,
Sonſt hatte ich doch noch manchmahl gezwei
felt : - jezt wagte ichs nicht mehr. Die Bibel
und die Kritik ſagte mir der Dir. Heineke
in
182 183

cher Sel. Die größte Dunkelheit, beſtir in Leipzig , (der, ſo viel ich mich erinnere,
diger Gebranch der Kantiſchen Terminologia die Kantiſchen Schriften auf feinem Tiſche
und eine ſorgfältige Vermeidung erläuterum angenagelt hatte ) weiter giebt es kein
der Beyfpiele galt wir für Gründlichker: Buch in der Welt: fo dachte ich jezt auch ,
ich konnte mich nicht überreden, dabei und hielt eins wie das andere für erhaben
walter Plilofoph fich herablaſsen könne , des über allen Zweifel.
hiche und halslich zu ſeyn. Es war mir bu
ber Sc. zenpls, ſo zu ſchreiben, dasa Etwas nur halb oder Stäkweiſe zu ver
mich lebt nicht verſtand , lo oft ich die {tehen , iſt ein unruhiger Zuſtand für die
Pinctum ſchloſs , wenn mir es auch im Au Seele , wie das halbe Licht fürs Auge pein .
fan kedammert halle , als wült ich, lich iſt. Ich rang unermüdet mit allen den
ich wollte. Kein Wort kam übrigens Dunkelheiten und Schwierigkeiten , die fich
meiner Feder, das nicht in eben fire gegen mich auflehnten , aber ich ſiegte nicht.
Verbindung in der Kritik ſtand. Ein besi Einige ungünſtige Aeuferungen gegen die Krie
iger Verleger -- und es wären ein fa tik von Meiners, Eberhard und Feder mach

Annloſe Bucher mehr in der Welt. ten mir noch bänger : ich hatte beynah ein
1 geiſtiges Fieber , Hitze und Froſt ſchüttelten
mich abwechſelnd.
Damals gab Hr. Prof. Jacob feine Prika
heraus. Sie verſprach, mehr Deutlicke
Nun erſchienen Hrn. Raths Reinhold Briefe
wer die Kritik zu verbreiten : aber, 1
im deutſchen Merkur , und ich hofte Gene
ich aufrichtig ſeyn , he brachte mich se fung Die aus der Geſchichte der Zeit auf
viel uciter , fie flöſte mir nur noch mit
he t gefaſten Thatfachen , die deutlichen und ſchö
kechiſc Ehrfurch vor der Kridik
l nen ' Parallelen zwiſchen ältern und neuern
Sunit hatte ich doch noch manchmah gert
Philoſophen , der reine Enthuſiasınus, WO
le!: jezt wagte ichs nicht mehr. DieB mit fich der Verfaſſer für Kant erklärte , alles
lagte mir der Dir. Has M 4 das
und die Kritik
184
I

das gab mir neue Flügel. Beinahe jeder Brief


führte mich dem Puncte nahe , aber wenn
ichs ergreifen wollte , war von etwas Andermi
die Rede. Reinhold ſtellte nur Reſultate auf,
und ich wünſchte Licht über die Prämiſsen .
Uebrigens machten mich ſeine unterminologi
ſche Sprache , ſeine Berufung auf andere
Philoſophen , und ſeine Anfichten der Reli
gion und Moral; auf das Armſelige meines
vorigen Studiums aufinerkſam , ob ſie mich
gleich auf der andern Seite verwöhnten ; ich
war durch dieſe Briefe in die groſsen Myſtem
rien zugelaſſen , ohne vorher durch alle Pro
ben in die kleinen geweiht zu ſeyn. Nunmehr
kamen Leibniz , Loke , Platner und Jakoli
an die Reihe : fie wurden eiligſt geleſen :
fie waren alle ſo deutlich : fe ſchienen mir
alle Recht zu haben , und ſollten es doch
von Rechtswegen nicht. Das war eine neue
Noth. Die Kritik mochte ich nicht mehr leſen.

Die ganze Philoſophie wurde bey Seite


gelegt , un Reinholds Theorie des Vorſtel
lungsverınögens abzuwarten , welche den
Schlüſſel zur Kritik zu geben verhieſs. Sie
erſchien , und ſo wie inir bey der Vorrede
und
185
184
und dein erſten Buclie iminer leichter und
das gab mir neue Flügel. Beinahe jeder Biel 1

fuhrte mich dem Puncte nahe , aber men freyer wurde: " ſo ſank'ich bey den folgens
ichs ergreifen wollte, war von etwas Andere den Büchern deſto tiefer in die alte Beklem
die Rede Reinhold ſtellte nur Relnitate al inung ein . So haarſeinen Speculationen konnte
und ich wünſchte Licht über die Prinze ich ohne Verſinnlichung nicht folgen, und
Licorigens inachten mich ſeine unterminos jede Verſinnlichung 'machte 'mich nur noch
mehr irre. Ich wendete die Lehrlätze auf
lese Sprache, ſeine Berufung auf zuen
Painophen , und ſeine Anfchten des gegebene Fälle an ,: und fie paſten nicht , ich
ſuchte in mir ſelbſt nach Beweiſen , und
Riu mud Moral, auf das Armſelige Reinhold hat , wie alle origi
fand keine .
vorigen Studiums aufinerkſam , ob he built
e
nal Den ker , ſeine eignę Manier : man ver
gleich auf der andern Seite verwöhntes, e,
ſteht ihn nur fo lange , als man in ſeine
wa durch dieſe Briefe in die groep
rien zugelallen , ohne vorher durch alt Manier mit hinübergeht ; will man ihn her
ausheben , ſo wird és faſt unmöglich , ihn
ben in die kiriner geweiht zu ſeyn. Nu
zu faſſen . Man kann jeden ſeiner Sätze nur
konen Leibniz , Loke , Platner undis
auf Eine auf feine - Art denken und
an die Reihe: he wurden eiligheten
he waren alle ſo deutlich: fie ſchienos ausſagen ; man muſs die Theorie auswendig
lernen , wenn man fie ficher haben will :
a'le Recht zu haben , und ſolltenes man kann mit den Ideen derſelben nicht nach
ron Riechtswegen nicht. Das war eine
ſeinem individuellen Bedürfniſſe (chalten. Da
Norb. Die Kritik mochte ich nicht metra
bey iſt natürlich auch Gefahr, um das Selbſt
denken zu kommen : denn man denkt doch
Die ganze Philoſophie wurde berdie
s wahrlich nicht ſelbſt, wenn man eines An
peieg ', un Reinhold Theorie des Paris
lun. rerinögens abzuwarten , welche
dern Darſtellung gut gefaſst hat und richtig
wieder mittheilt . - Und wie ſteht es auch unit
Sch ' ( o zur Kritik zu geben verhiels die Mittheilung ? Wenn man ſchreibt , und
er ſchier , und lo wie mir bey der V M5 folg.
186

folglich nicht für jeden Satz auf der Stelle


Rechenſchaft geben , nicht allenthalben erläu.
tern und deutlich machen darf : ſo ift fie
freylich leicht. Aber verſucht nur , die
Reinholdſch en Ideen mündlich vorzutragen ,
einen Zuhörer dafür zu gewinnen , ſeinen
Fragen über diefs und das genügend zu ante
worten , und ihn beſtändig am Faden zu
erhalten : hier wird es ſtocken .

Nach allen dieſen Erfahrungen entwarf ich


mir den Plan zu einem neuen Curſus, dein
ich folgte .. Bekannt mit den Phiłoſophemen
der Alten , nahm ich die Theorieen der
Neuern vor , von Cartes an bis auf die Schrif
ten der neueſten deutſchen Philoſophen : die
Syſteme verſuchte ich , in einen Auszug zu
bringen , der mir folgendes ganz gemeine
Reſultat lieferte : daſs die bisherigen Philofophen
zu viel auf gewiſſe allgemeine Ideen gebaut,
und meiſt' bloſse Zergliederungen einer Idee in
zehn verwandte , für wirkliche Erkenntniſſe,
Beweiſe eines Begriffes für Beweiſe eines Geo
genſtandes gehalten hatten. Ich fand viele Ro.
mane und Möglichkeiten , wenig Wirklichkeit.
Eine andere Bemerkung war eben ſo natür
lich:
186 187

folk ich nicht für jeden Satz auf der Stelle ch : daſs dic Philofophen , über kein einziges
Rechenſchaft geben, nicht allenthalben erlän Problem unter fich einig find , weder über den
tern und deutlich machen darf: to its Inhalt der Aufgabe, noch über die Möglich.
Aber verſucht keit und Art des Beweiſes. Es muſte fich
nur, de
fre; üch leicht
n
. indeffen , das ſah ich bald , aus allen ihren
Rencod ic he Ideen mündlich vorzures
einen Z'horer dafür zu gewinnen, kiu Behauptungen zuſammengenommen etwas Gan
Fragen über diels und das genigend za zu zes machen laſſen , , wenn man ein bewähr:
tes Princip finden könnte , nach welchem
wonien , und ihn beſtändig an Fade sa
erhalen : hier wird es ſtocken. man die philoſophiſchen Entdekungen wür
diger und ordnen könnte. Die bisherigen
Syſteine hatten entweder kein oder ein will
Nach anen dieſen Erfahrungen entwal'a
mir den Pian zu einem neuen Curlus, a ' kührliches oder ein ſolches Princip , welches
ish fugten Bekannt mit den Philoſophez? erſt nach der Vollendung des Syſtems gefun
der Alen , nahm ich die Theories den und den aufgeſtellten Ideen ange.
Neuern vor , ron Cartes an bis auf die hele paſst war.
ten der neuelien deutſchen Philofophen: Jezt wurde mir die Kritik etwas ganz
Siſteme verſuchte ich , in einen Ausze
anders , als sie mir vorher geweſen war.
bringen , der mir folgendes ganz gemene
Ich' ſalı fie an , als Kritik der Syſteme , und
Relulut lieferte: daſs die bisherigen Pause
legte den allgemeinen Ausdrüken : Dialectik
zu viel auf gezile allgemeine Ideen goede des Verſtandes, Antinomie der Vernunft. 11.
asd meiſt bloſse Zergliederungen einer laders' f. f. Namen von Philoſophen unter , deren
behu rerwandte, für zurkliche Erkecute,
Meynungen unter eine ſolche -Rubrik gehör.
Beseſ eines Begriffes für Beweile eikel
s ten . So gewann das Ganze Leben und Zu
genſtande gehalten hattetnen . Ich fand siebe] Iſt es
kei
mane und Möglich ,wenig Wirklichis ſammenhang mit den Lebendigen .
wahr , was man ſofort aus der Lectüre der
g
Eine andere Bemerkun war eben lo se Phi

/
188

Philofophen erfieht, daſs jeder von ihnen die


Wahrheit wenigſtens von Einer Seite geſehen
hat, ſo iſt eine ſolche Kritik der Syſteme
immer zugleich auch eine Kritik aller Erkennt
nis überhaupt: und eine ſolche Anfieht der
Vernunftkritik verrükt dein Leſer alſo den
Geſichtspunet nicht. + Je mehr ich dieſer Idee
folgte, deſto deutlicher wurde mir alles : ich
glaubte mich nun in den Stand gelezt, über
die Abſicht und Gränzen der Kantiſchen Be.
mühungen urtheilen zu können, Sie beſte

hen wohl in nichts anderem , als den Philo


fophen zu zeigen , daſs fie fich in Rükficht
ibrer' metaphyſiſchen Erkenntniſse ſelbſt täu
[ chen , daſs ſie blos gedachte Wahrheit mit
wirklich erkannter verwechſeln , und die Ge
ſetze des Denkens,> die ihnen Blos für den
engen Raum der Erfahrung gegeben waren,
auf Dinge anwenden , die über alle Erfah
rung entrükt find. Dieſs zeigt ihnen Kant,
indem er zuerſt das unterſucht, was wir

haben Erfahrung Alle Erfahrung, ſagt


er , iſt Wahrnehinung von dem was iſt, in
einem nothwendigen Zuſammenhange,
einer feſten beſtimmten Verbindung. Dieſer
"Zuſammenhang, dieſe Verbindung liegt viel
leicht
188 189

Pilphen erheht, daſs jeder von ihnen die leicht nicht ſelbſt in dem , was da iſt; diefs
Walsheit wenigſtens von Einer Seite gelesen zu behaupten , müſten wir aus uns heraus
hat , ſo iſt eine Ciche Kritik der Sefere gehen und die Dinge ſehen können , wie ſie
iunier zugreich auch eine Kritik aller Erker auch dann ſind , wenn wir Sie nicht ſehen ; 1

n's verhaupt : und eine ſolche Anfeltde fondern ſie liegt wohl in der Wahrnehmung
Verganſkritik rerrükt dein Leler alle din deſsen , der da fieht, was iſt: nicht in den
Cróchtspunet nicht. Je mehr ich dieler like Gegenſtänden , fondern in dem Auge des
litr , delio deutlicher wurde mir alles Beobachters . Wiſsen wir alſo nur , wie

Eshte mich nun in den Stand gelez, ile diefs Auge beſchaffen iſt , und ob es richtig
de Ansicht und Gränzen der Kantiche 2 und gut ſieht, ſo wilfen wir auch , wie die
muhungen urtheilen zu können. Se mere Gegenſtände beſchaffen ſind , in ſofern fie
dieſem Auge vorkommen , willen , ob fie 1

E soll in nichts anderem , als den


als ſolche wirklich find oder nicht. · Um dieſs
fplen zu zeigen, daſs fie fich in hit
auszumachen , unterſucht er, was allen
ihrer metaphyliſchen Erkenntniſse feluri
feren , daſs lie blos gedachte Wahrheit Wahrnehmungen unter allen Verhältniſſen
n gemein ſey, und legt nun diefs Gemeinſame
ik erkannter verwechſel , und &
1

feeze des Denkens , die ihnen blos for aus natürlichen Gründen dem Auge des Beob.
en son Raum der Erfahrung gegeben er achters als Eigenſchaft bey : was nun aber
n
auf Dine anwende , die über alle fil dieſer Eigenſchaft nicht entſpricht, das liegt
Diels zeigt ihnen si offenbar aufer unſerein Gehichtskreiſse. Unſer
Sinnliches Senſorium iſt nur für Gegenſtände
rung entrükt find. t
indem er zuerſt das unterluch , ! der finnlichen Wahrnehmung gemacht , unſer
g
halen - Erfahrun . g Alle Erfahrung,
nun geiſtiges für die Zuſammenfaſſung und An.
er , iſt Iahrnehi en von dem wagseil,
ig ulammenhan ordnung dieſer Wahrnehmungen . Meines Be
einem nothwend Z , dünkens hat noch kein Philofoph einleuchten .
en g
einer feſtehn anbegſtimmt Verbindun der pbiloſophirt. Laſſet uns mit uns ſelbſt
n g
Zuſamme , dieſe Verbindun kemer auf.
190

aufrichtige Rükſprache halten , ob das , was


uns die Metaphyſik lehrt , etwas anders ſey,
als Begriff von Begriffen , Schlüſſe von der
Erfahrung auf das , was nie Erfahrung wer
den kann. Seele iſt ein bloſser Begriſ, unter
welchen wir das , was in uns denkt, zu •
ſammenfaſsen denn ob ſo etwas , was die
Philoſophen Seele nennen , wirklich exiſtire
wer kann das ausmachen ? Die Eigenſchaf
ten einfach , ſubftanziell u. f. f. find wiede
Tum nur Begriffe , ' zum Theil aus einer New
gation entſtanden , zum Theil von der Erfah
rung entlehnt : und was giebt mir denn nun
diefs Alles für Erkenntnis , was weiſs ich
denn nun von der Seele mehr , als ich vor
her gewuſst habe ? Ich kenne nur meine
Gedanken , Empfindungen und andere Aeu
ſerungen deſsen , was man Seele nennt : wie
das Subject derſelben beſchaffen fey , werde
ich nie erfahren , bis es mir einſt verliehen
wird , mit verklärteren Augen zu ſchaun.
Und ſo iſt es mit allem , was die Metaphy
fik uns lehren will.
Wenn Kant in der Kritik gezeigt hat: daſs
der Menſch mit dieſen ſeinen Anlagen und
was
Kräften nichts zu erkennen vermöge ,
ihm

1
191
190
aufrichtigen Rikſprache halten, ob das, was ihm in keiner Erfahrung vorkommt: fo hat
er dabey noch nicht unterſucht: wie denn
uns die Metaphyſik lehrt, etwas anders les
als Begriff von Begriffen , Schlüſſe ron der der Menſch überhaupt etwas erkennen könne ?
Erfahrung auf das , was nie Erfahrung ver wovon alle ſeine Erkenntnis ausgehe und wor
den kann . Seele iſt ein bloſser Begri, si auf lie fich gründe ? Dieſe Frage iſt es , wel
che fich Reinhold in ſeiner Theorie vorge
welchen wir das, was in uns denkt, ??
ward worfen hat. Ich will nicht wiederholen,
denn ob ſo etwas , was ſchon ſo oft geſagt iſt, nur ſo viel iſt
faenben le
Lamplolenoph
Pni See nennen, wirklich ents
genung : Reinhold beruft ſich auf das allen
wer kann das ausmachen ? - Die Ergeulis
len einfach , ſabftanziell u . 1. E. find me
Menſchen gemeine Bewuſstſeyn , vermöge
deſſen jeder Menſch bey jeder Vorſtellung
rum nur Begriffe, zum Theil aus einer la
eines Gegenſtandes, fich ſelbſt von dieſem
gaz.on entſtanden, zum Theil von derE Y

Gegenſtande, und von beyden die Vorſtel


Tang emlehnt: und was giebt mir denie lung ſelbſt unterſcheidet, und wiederum
diels Alles für Erkenntnis, was wir
alles zuſammen verbindet. Um alſo zu finden,
dena nun von der Seele mehr, als icóri".
wie ein Menſch überhaupt erkennen könne,
ber gewuſst habe ? Ich kenne mur 3 zergliedert er dieſen Actus des Unterſchei
Gedanken , Empfindungen und andere te dens und Verbindens , und in ſofern es aus
ferungen deſsen , was man Seele nenn' gemacht iſt, daſs ich nichts unterſcheiden
das Subject derſelben beſchaffen ler, ** kann , auſer was viel, mannigfaltig, iſt,
ich nie erfahren , bis es mir einlt reza nichts verbinden , aufer was in eine Einheit
n
wird , mit ‘verklärtere Augen zu beke gebracht werden kann : ſo erhellet, daſs
Und Lo iſt es mit allem , was die dieren alles , was ich erkennen ſoll, mannigfaltig,
und das Erkennen ſelbſt, Einheit ſeyn müſse.
fik onsnnlehrnent will. r tik eigt /
We Ka in de Kri gez hat! Jenes das Mannigfaltige iſt entweder auſer
der Venich mit dieſen ſeinen Anzen oder nacheinander , u. f. f.
Kräften nichts zu erkennen vermöge, Es
192

Es iſt nur mein Privaturtheil, was ich


über dieſe Bemühungen unſerer Philoſophien
fälle, das Reſultat meines Studiums, wel.
ches vielleicht nicht das rechte geweſen iſt.
Ich glaube nerolich , daſs die Kantiſche Kri
tik nicht blos dazu beygetragen hat , den
philoſophiſchen Geiſt unſeres Zeitalters wie
der aufzuregen , ſondern daſs Sie in der That
durch Widerlegung der bisherigen Metaphy
fik der Philofophie eine wahrere und ange
meſsnere Richtung gegeben , den voreiligen
Speculationen : Maaſs und Ziel geſezt, und
die Denker eine Methode gelehrt hat , nach
welcher ihre Forſchungen nicht leicht die
Gränze der menſchlichen Erkenntnis überflie
gen können , Die beſtändige Rükfrage nach
den Geſetzen unſeres Erkenntnisvermögens,
nach den Privilegien des Denkens, wenn ich
fo ſagen darf, auf welche fie überall dringt,
hindert das Grundloſe Argumentiren aus lec
ren Begriffen : und indem fie gleichfam die
Prozeſsacten der Metaphyfik abſchlieſst, giebt
fie unfern Denkern . freyere Macht, ihren
Fleiſs auf Erfahrungswiſsenſchaften zu wenden,
hey welchen ſie für fich und die Welt mehr
gewinnen können , als bey ontologiſchen
Spes
193
192
Es iſt nur mein Privaturtheil , musik Speculationen , zumahl da fie dieſelben mit
Principien verſieht. Wenn es aber dabey
über dieſe Bemuhungen unſerer Philofophus
nicht zu leugnen iſt , daſs dieſe Kritik auf
laie, das Reſultat meines Studiums, w ?
keinem in eine Formel gebrachten und aus
cles vieileicht nicht das rechte geweſen i
gedrükten Grundſatze beruht: ſo hat Rein 11

Ich glaube nemlich , daſs die KantiſcheAns


hold das Verdienſt, einem dergleichen Grund
ek nicht blos dazu bergetragen bat, ſatze nachgeſpürt zu haben. Seine Theorie
philoſopliſchen Geiſt unſeres Zeitalters * iſt die Gattung, die Kritik die Art : er hat
der arizurezen , ſondern dals Sie in der
an der Vorſtellung überhaupt verſucht, was
durch widerlegung der bisherigen Wetzen Kant an der Vernunfterkenntnis that, he in
Fin der Poſophie eine walırere undes ihre erſten denkbaren Beſtandtheile aufgelöſt.
melonere Richtung gegeben , den var
Speculationen Maaſs und Ziel geler, Es wäre Zeit , dieſe Materien aufs Reine
die Denker eine Methode gelehrt hat,5 . zu bringen. Je länger ſich die Philoſophen !
1

weicher ihre Forſchungen nicht leich ſtreiten , deſto mehr muſs auf der einen Seite
Gauze der menſchlichen Erkenntnis et das Anſehen der Speculation finken , wäh.
Die beſtändige Rökfrat rend fie auf der andern übermäſsig erhoben
fdeedn hGoenlneernz.en unſeres Erkenntnisse wird . Das ſehen doch alle Philoſophen ein,
nach den Privilegien des Deenkens, daſs ihre Wiſſenſchaft gleichſam eine Beylage
lo faren darf, auf welch he überal de erſter ficherer Grundſätze haben muſs, auf
n
hii din das Grundloſe Argumentire welche fie , wenn ihre weitern Speculatio
ren Begriffen : und indem fie gleichlis nen den Faden verliehren , zurükkommen,
n
Pruzelsacie der Metaphyfk abſchlies ,
1

an denen sie die Wahrheit und Gültigkeit ih


he unlern Denkern ſsferneſycehraelieMnacht, rer Philoſopheme bewähren können. Aber
ri
Feils aui Erfahrungst zu er dieſe Art von Metaphyhk iſt daruin nicht
bey welchen fie für hoch und die Welt die einzige Philoſophie : ſie muſs auch der.
feu innen können, als beyond N jeni.
194

jenigen ihre Rechte laſſen , welche die Spe


culationen für das Leben verarbeitet, wel.
hen Menſchen, wie er iſt, über
che über den
inenſchlic

nen , mit einem Worte , über das curhve


Leben philoſophirt, aus welcher man Rath,
* Troſt und Maximen holen kann , und wel.
che ihren Verehrern und Freunden den Ti.
tel Philoſophen in dem ehrwürdigen Sinne
ertheilt, worinnen ihn die Alten nahmen,,
wenn ſie einen Mann bezeichnen wollten,
der über den kleinen Geiſt der Menge erbia
ben in fich ſelbſt groſs und glüklich iſt.

Der Geiſt der Zeit wird täglich gewaltiger,


denn es iſt kein guter Geiſt. Er hat keine

höhere Macht , die er fürchten müſte , wenn


ihn die Philoſophie nicht bannen kann . “
Wir wollen über der Speculation nicht ver
geſsen , daſs der Menſch handeln ſoll !

Ich kann dieſen Aufſatz nicht paſsender


ſchlieſſen , als wenn ich noch einige Bemerkun
gen über dieſe Beyträge hinzuſetze. Meine Ab
ficht bey ihrer Herausgabe habe ich im erſten
Stüke nicht aus den Augen verlohren. Das

Zweyte
194 195
jeni, on ihre Rechte laſſen, welche die Spen Zweyte iſt während den Stöhrungen äuſerer
Sudiusen für das Leben verarbeitet, we
Verhältniſſe mehr zuſammengeworfen , als 1

che über den Menſchen , wie er ili, liber. zuſammengetragen worden : die Veberſe
meridiche Verhältniſse im Groſsen und hier
tzung des Ariſtoteliſchen Buchs hat auſer denen
nen , mit einem Worte , über das curbia
in der Allg. Lit. Zeit. No. 307. v. d. J. gea
Leon ploplirt, aus welcher man Rai rügten , noch den Fehler , daſs ich ihr
Truft und Maximen holen kann, under:
durch eine gewiſse Holprigkeit in der Sprache
the ihren Verehrern und Freunden den einen Anſtrich von Antiquität zu geben wähnte.
te! Pilephen in dem ehrwürdigen S3 Die Ueberſicht, welche eben daſelbſt angefan
entheit , worinnen ihn die Alten s . 1
gen iſt, iſt offenbar zu weitläuftig angelegt.
wain he einen Mann bezeichnen und Und die Worte der Kritik kommen mir jezt,
der uber den kleinen Geiſt der Mas einige Stellen ahgerechnet, wie eine Art von
ben in hch ſelblt groſs und glüklich i Epopee vor , die in einem philoſophiſchen
Paroxismus gedichtet iſt. Die wenigen Stel
Der Geiſt der Zeit wird täglich gewis len , welche ich darinn noch dulden kann ,
denn es iſt kein guter Geilt. Er hat de ! müſsen mich wegen des Uebrigen tröſten .
bere Macht, die er fürchten müle, 19
ilin die Philoſophie nicht bannen ker' Doch indem ich eben über die frühern
Wir wollen über der Speculation mich? Stüke ein tadelndes Urtheil fälle, ſtehe ich
geben , daſs der Menſch handela fall! im Begriffe, dieſe leztern Aufſätze wegzu. i

ſchiken , und kann nicht hoffen , ſie wieder


Ich kann dieſen Aufſatz nicht pales zu ſehn , ohne nicht auch an ihnen Stoff
Echellen , als wenn ich noch einige Bene zum Tadel zu finden .

Gen uber diele Beyträge hinzuletze deie


ficht bey ihrer Herausgabe habe ich im Dieſes literariſche Selbſtbekenntnis kann
Süle vielit aus den Augen verlohren allo. auch noch den Nutzen haben , daſs es
N 2 einige
196
einige jüngere Leſer gelegentlich an d
delbarkeit menſchlicher Einfichten u
nungen , und an diejenige langſame
ſamkeit im Schreiben erinnert , ohn
kein Geiſtesproduct einen Grad von
menheit erreichen kann .

Chemnitz ,
gedruckt bey. Johann Carl W
1

196
em junger Lefer gelegentlich an die Ware
e
de barkeit menſchlicher Einfichten und Mes
mun ,pl, und an diejenige langſame beha:
Imkeit im Schreiben erinnert, ohne welke
kein Geiſtes product einen Grad von Volkes .
mecbeit erreichen kann.
I n hals.

Seite 5
Kurze Geſchichte der Philoſophie.

2. Ueber den Einfluſs anderer Wiſſenſchaf.


ten und auferer Umſtände auf die
52
Philoſophie, und dieſer auf jene.

$. Neuplatoniſche Philoſophie. 70

4. Ariftoteles natürliche Theologie.

5. Philoſophiſche Vorleſungen. 99

252
itz 6. Aenefidemus.
Chemn ,
t
gedruck dus Johann Carl Heinlit N 3 .
1

cony Ueber das Intereſſe an der Kantiſchen

Philoſophie 159

& Geſchichte meines philoſophiſchen Stu


diums.
179

Alles vom Herausgeber.


.

4
*
ul .

19
Neue Verlagsbücher der Frommanniſchen
Buchhandlung in Züllichau im Jahre
1792 .

1.

Nathan Bayley conpleat engliſh Dictionary , oder


vollſtändiges Engliſch - Deutſches und Deutſch
Engliſches - Wörterbuch . Achte Auflage. Med .
8. auf Schreibpapier 5 Thlr. 12 Gr.
auf Druckpapier 3 Thlr. 12 Gr.
Dieſe Auflage zeichnet ſich unter einigen Verbeſ
ſerungen , durch eine groſse Correktheit, durch
einen guten Druk und ein ſchönes weiſses Papief
vor den vorigen ſehr vortheilhaft aus.

2 , G. G. Fülleborn Beyträge zur Geſchichte der Phi


lofophie 2tes Stück kl. 8. 10 Gr ,.
Dies zweite Stük dieſer ſchätzbaren Beiträge ent
hält; 1. eine Ueberſetzung des erſten Buchs der Meta
phyſik des Ariſtoteles vom Herrn Prof. Fülleborn .
Sie iſt ſo treu und zugleich ſo fieſsend , daſs , wer
das Original ſelbſt geleſen hat , hier ſeinen Ariſto
N 4 teles
teles ganz wieder findet und der Lage kaum ahnden
wird , daſs er eine Ueberſetzung liefet. II, Probe
einer Ueberſetzung aus des Sextus Empirikus drey Bii
chern von den Grundlehren der Pyrrhoniker von dem
Herrn D. Niedhawmer in Gotha. Dieſe Ueber

ſetzung iſt ſo cla siſch , daſs wir es als einen wah


ren Gewinn für die Literatur anſehen würden , wenn
der Verf, fie ganz vollendet dem Publicum geben
ſollte ; und das um ſo mehr , da Sextus Empirikus
wirklich viele Schwierigkeiten hat. Die Erklärung
und Ueberſetzung des allerdings dunkeln und fchwe
ren Worts aondwv hat unſern ganzen Beyfall und die
iſt ſo natürlich , daſs wir ihr allgemeine Beyſtim .
/

mung verſprechen zu dürfen glanben. III. Verſuch


einer Ueberſicht der neueſten Entdekungen in der Plui
1
loſophie, von Fülleborn , a ) in Abſicht der Sprache
der Philoſophie. Der Philoſoph darf auf das löblicho
und zur Toleranz im gemeinen Leben unentbehrliche:
in verbis fimus faciles , gar nicht achten , denn in
der Philoſophie giebts im ſtrengern Sinne des Worts
keine Synonima. Nähere Beſtimmung einzelner
Worte iſt alſó wahrer Gewinn für die Philoſopluie
ſelbſt. Kant , Reinhold und andre -liaben ſich auch
von dieſer Seite groſse Verdienſte um dieſelbe er.
worben. Durch fie haben die Worte : Vorſtellung,
Empfindung , Anſchauung , Begriff. Idee u. f. w.
melır Beſtimmtheit erhalten ; andern liaben ſie eine
paſſendere Bedeutung gegeben ; einige vergeſſene und
doch Ausdrukvolle ſind durch ſie wieder in Gang
gebracht; andre haben ihre urſprüngliche Bedeutung
bekommen ; für neue Begriffe find neue Worte auſ. "
i ahnden genommen , die beſtimmter und zwekmäſsiger ge
II. Probe worden . b ) Begriff und Eintheilung der Philofophie.
drey Bio Schon der Begriff der Philofophie gehört unter die
von dem neuſten Entdekungen ; indem keine bisher gegebene
le Lebere Definitiou oder Defcription den Begriff derſelben
when who erſchöpft. Man ſcheint ihn jezt gefunden zu haben
und die Frnchibarkeit deſſelben erltellet ſchon aus
'n gebou der hier verfiichten Anwendung deſſelben efon
auf dere
die
Impunit einzelnen Theile der Philoſophie. c ) Insb
Inlog Jüritik der reinen Vernunft. Hier ſoll das Wefent
erá fechament liche der Kritik kurz aber lichtvoll dargeftelleť wer
e conde den , und der kleine Anfang den Hr. F, hier macht ,
läfst von der Fortſetznug viel erwarten . IV , Worte
der Kritik . 2) So erkennt der Menfch !. 2) Auſser
halb der möglichen und wirklichen Erfahrung iſt
blos Schein . 3 ) Der Menſch •weifs gerade fo viel,
‫اندر‬
als er zu willen braucht. 4) Der Menſch erkennt
nichts , wie es an fuh ist. 5) Denken iſt noch nicht
Erkennen . 6 ) Die Philoſophie iſt im Menſchen ges
geben . Alle dieſe aus der Kantiſchen Kritik ausge
hobene Sätze find mit einer eben ſo groſsen Eleganz
als Popularität auseinander gefezt.
This
5. 6. 7. Gallus Geſchichte der Mark Brandenburg
für Freunde hiſtoriſcher Kunde. 2te verbe / erte
und vermehrte Auflage. Erſter Band. 8. auf
Holl. Ppr, 1 Thlr. 8 Gr. auf Drk . Ppr. 20 Gr.
7 le e
Times Die erſte Auflage dieſer Brandenburgiſchen Ge
ja li
Schichte iſt mit eben fo verdientem als allgemeinen
Beyfall aufgenommen worden und eben denſelben
ident
kann man dieſer 2ten Aufl. zuſichern , Sie enthält
N 5 wirk ,
wirkliche Verbeſſerungen und Vermehrnngen , als
einen angenehmen Beweils vom fortdauernden rühm .
lichen Eifer des Verf. und iſt reiner und beſler gea
druckt als die erſte Auflage. : Dieſer erſte Band be
greift die älteſte Geſchichte bis zu Ende der Luxem .
burgiſchen Herrſchaft , und enthält alſo den ganzen
erſten und 9 Bogen vom zweyten Theile der erſten
Auflage , ſo , daſs dieſe Aufl. auch ;weit wohlfeiler,
als jene ift.

4. Geſänge zum Lobe Gottes und zur Ermunterung


des Menſchen bey ſeinen Gange durch dieſe Zeit.
Geſammelt von einer Standesperſon 8. 8 Gr.
Dieſe Sammlung iſt in vier Rubriken getheilt,
1) Lob. Gottes und Ermunterung aus der Betrach
tung ſeiner Eigenſchaften. 2) Ermunterung zu mei
nen Plichten . 3) Ermunterung in Leiden und Be
kümmerniſſen. 4 ) Ermunterung auf die Zeit des
Ueberganges in das künftige Leben . Sie unterſchei.
det fich von andern Liederſammlungen , denn : 1.
ſie iſt ganz zum Privatgebrauch beſtimmt. 2. Sie
enthält nicht ganze Geſänge, ſondern nur einzelne
Verſe aus guten Geſängen. 3. Sie iſt von einer Standes
perſon verfaſst. Man ſollte bey den Andachtbüchern
immer mehr gewiſſe beſtimmte Klaſſen vọn Leſern
und ihre Erbauung ſich zum Augenmerk machen , ſo
würde man ſichrer zum Zwek kommen . Wenn
daher eine Standesperſon ſich damit beſchäftiget, ein
Werk dieſer Art herauszugeben ,' ſo kann man {chon
zum Voraus ſchließen , daſs dieſes Werk vorzüglich
zur Befriedigung der Bedürfniſſe der höhern Stände
die .
als dienen müſſe und um ſo ſicherer dienen werde , da
alum. der Verf. aus eigner Empfindung weiſs , was Perſo
7 Den nen ſeines Standes an intereſsanteften , nüzlichſten
und erbaulichfien iſt. · Aus allen dieſen Rüklichten
mpfehlen wir nun dicſe, kleine Schrift als einen
ſchäzbaren Beytrag zur hänslichen Erbauung und
verlichern nur noch , daſs der Herausgeber die beſten 1

Liewer - Dichter alter und neuer Zeit dabey benuzt hat,


*
5. M. J. G. Heym , vollſtändige Sammlung von
Predigten fiir chriſtliche Landleute über alle Sonn
IC und Feſttags - Evangelia des ganzen Jahres. Zur
Bu häuslichen Erbauung und , zuni Vérleſen in der
Kirchen . Ste Auflage. 1264 Bogen in 4to.
1 Thlr. 6 Gr.
}

6. Defelben Predigten über die Epiſteln . 2te Auflage


3 verbeſſert und mit einer Vorrede begleitet heraus
gegeben , von C. F. K. Herzlieb. 111 Bogen in
4to . 1 Thlr. 6 Gr.
Beyde Predigt - Sammlungen find wegen ihrer
Brauchbarkeit und äuſserſten Wohlfeilheit allgemein
bekannt und verbreitet , Die über die Evangelien
ſind neu unverändert abgedrukt, die über die Epi
* Steln haben aber durch Herrn Herzliebs Durchſicht
und den eingedrukten Lutheriſchen Text der Veber
ſetzung noch einen Vorzug mehr vor der iften
Ausgabe.
?

7. Neues Magazin für Prediger. Herausgegeben und


mit einer Vorrede über Plan und Zwek des Werks
ba-.
begleitet von D. W. A. Teller, ' iften Bandes
aſtes Stiik mit Spaldings Portrait nach Graf von
28 Gr.
Lips geſtochen gr. 8 .
Deſſelben iſton Bandes ates Stük gr. 8. 18 Gr.
Plan und Ausführung , Herausgeber und Mitar
beiter (genannt ſind die Herrn Reinhardt , Löffler,
Herzlieb , Troſchell , Bolte ,) alles vereinigt ſich
dieſem Magazin gleich beym erſten Bande den allge
meinſten Beyfall zu ſichern und für die fortdauernde
Zwekmäſsigkeit und Brauchbarkeit deſſelbeň zu bür
So viel und ſo viel Vorzügliches enthält wohl
gen.
keine ähnliche Materialien Sammlung. I. Stiik. Inn
halt. Erſte Abtheilung. I. Was alles geſchehen muſs
um zu dem Verſtande der Zuhörer zıl reden. II. Anzei
gen von Speneri praefatio tabulis Hodof. B. Dannhaueri
praemiſa und Spaldings Nutzbarkeit des Predigtamts
Gre Aufl. III. Angaben einiger auszuführenden Ma
terien . Zweyte Abtheilung : 15 Entwürfe über Evane
gelien , 4 über Epiſteln , 1 über freyen Text, ' 1
Einführungsrede. Dritte Abtheilung : Vier Homilien
über Evangelien. Vierte Abtheilung : Auszug aus
dem allgemeinen Geſetzbuch für die Preuſs. Staaten .
II. Stik. Innhalt. Erſte Abtheilung : I. Einige Be
merkungen über das Ueberſpannte in den gewöhnli
chen moraliſchen Predigten . II. Anzeigen von W.
Marpergers Lehr-Elenclins urd A. Niemeyers populaire
Theologie. III. Gedanken über die Herzlichkeit in
Predigten . Zweyte Abtheilung : 13 Entwürfe, über
Evangelien , 6 über Epiſteln , í über freyen Text,
5 Vorbereitungs - Reden , i Leichen . ' 1 Ernte . I
Erziehungs- 1 Almoſen Predigt . Angabe einiger
Texte
Texte und Materialien . Dritte Abtheilung : Vier
afroa Homilien über Evangelia. Vierte Abtheilung : I.
186. Actenmäſsige Nachricht von dem Geſangbuch zum
G. öffentlichen Gebrauch in den Königl. Preuſs. Landen ,
Mitar.
II. Nachrichten von geiſtlichen Angelegenheiten aus
Luffen dem Gothaiſchen . Der Herr Herausgeber ſagt am
fil Schluſs ſeiner Vorrede und wir mit ihm : So werde
th
11

denn auch dieſes Magazin ein Hülfsmittel zur Beföra


/
allem
derung wahrer chriſtlicher Weisheit und Tugend,
!
zal der nüchternen heitern Weisheit , die den Verſtand
mit ihrem reinen Lichte erlellt , wie der beſchei.
jih las denen Tngend , die , indem fie durch Gelinnungen
das Herz veredelt , ohne Geräuſch um ſich her und
T. JE ohne aufgetragene Farbe einer falſchen Andächteley,
uch das Glük des Lebens und der Geſellſchaft erhöhet.
digter
den 8. Papiere aus Henos Nachlaſs. Herausgegeben von
TEC feinem Vetter. Züllichau in der Frommanniſchen
Buchhandlung. in 8. mit einem geſtochenen Tittel
Time blatt und einer Vignette von Penzel. 20 Gr.
Edle , groſse Gedanken und Wahrheiten , wahre
Simone Lebensphiloſophie , feiner Spott, lachender Witz
und muntre Laune , wechſeln in dieſen Papieren
1 mit ſchöner Mannigfaltigkeit, und machen fie , bey
mu leichter claſsiſch reiner Sprache, zur intreſsanten
Lectüre für den Philoſophen wie für den Weltmann,
für die Dame wie für das häusliche Weib. I. Meine
Eheflandslagen. Die Beſchreibung dreyer ſchlechten
Ehen , treffend und wahr., III. Marlon . IV .

Betrachtungen bey der Leiche eines Pudels. ,,Wohl


mir jo daſs ich über einen Pudel weinen kann , ſagt
TA
der Verf. und wir mit ihm , uns freuend des Ge
nuſses den das feinere Gefühl gewährt; doch wehe
dem , dem Seelenſtärke dabey fehlt , ſein Glük iſt
Schwankend und unſicher. Wem dieſe Seelenſtärke
aber ward , der freut ſich des Reſultats ſeiner Ueber
zeugungen und ſpricht mit Marlon : Jede meiner
Thaten gehört mir zu , ſie iſt ein Stiik vom Gänzen;
fie 'war mein , ehe ich lie that und mein als fie gè
than war . Sprecht mir nicht von determinirenden
Umſtänden , das iſt eleſider Behelf vor ehrlichen
Leuten ." IX ., Die Schlaubergias, eine komiſche
Epopee voller Witz , Laune und Anſpielungen auf
modiſche Thorheiten und thörigte Moden. XI. Der
erfte Geſang der Odyſsee ſehr glüklich traveſtirt.:-
Genung von dieſem ſchönen Produkt eines unſerer
beſten Schriftſteller , der in einem andern Felde
Möge er es
ficli verſchiedene Lorbeeren erworben .
auch hierin nicht bey dieſem erſten Verſuch laſſen.
Der Geſchmakvolle Druk mit didotſchen Lettern
macht der Weſſelhöftſchen Offizin fo wie Zeichnung
und Stich der Vignette Herrn Penzel Ehre.

9. Kleine lateiniſche Sprachlehre oder 70 nach logiſch


granımatiſchen Regeln geordnete Uebungen des Ausa
legens und Lateinſchreibens. Für Lehrer in der
untern Klaſſen der Gelehrten - Schulen und den
hïuslichen Unterricht. Zur Philephebiſchen Schul
Encyclopädie gehörig gr. 8 . 5 Gr.
Der Verf. hat die Abſicht , durch dieſe Uebun .
gen des Auslegens und Lateinſchreibens den Schüler
dahin zu bringen , daſs er sich feina Grammatik
ſelbſt
1
;

felbſt gemacht zu liaben ſcheine, indem er mit


Hülfe des Lehrers die Sprachregeln aus den Fällen
} der Sprache ſelbſt abſtrahirt. Wie dies bewerkfielli.
get werden müſte, zeigt er ſehr einleuchtend in der
Vorerinnerung zum Gebrauch dieſer Grammatik , die
für die Lehrer ſehr inſtructiv iſt. Dieſe Grundſätze
des Verf. hierüber ſind ſchon in dem Anhange zum
Methodenbuch der Vorſchriften angegeben und das
Buch ſelbſt hängt mit ſeinem ſchon erſchienenen
dic cur hic genan zuſammen und ift gewiſſermaſsen
als eine Fortſetzung deſſelben (wobey er aber die
gewöhnliche Ortographie wieder angenommen ) zu
betrachten. Mit Vergnügen bemerkt man den be
Jiarrlichen Muth des patriotiſchen Verf., der ſich
weder durch ſchiefe Urtheile abſchrecken , noch durch
die mit der Arbeit felbft verbundene Schwürigkeiten
create
ermüden läſst , das vorgeſtekte ſchöne Ziel unverrükt
zu verfolgen , nämlich : der ſtudirenden Jugend,
nicht nur eine ihr unentbehrliche Sprache leicht zu
machen , (denn das wäre immer nur wenig) ſondern 3
zugleich durch das Lernen derſelben ſelbſt ihre Fä . '
higkeiten , ihren Verſtand und ihr Herz zu vervoll.
komnen , daſs ſie mit den nützlichſten Kenntniſlen
bereichert und mit ſo manchen edlen Grundſätzen
ausgeſtattet , ein Feld verlaſſe , auf welchem viele
nur Dornen brechen ; andre ſclinell verwelkende

Blümchen ſammeln ; wenige aber Nahrung für ihren


Verltand und ihr Herz mitbringen.

20. Verſuch über den Platonismus der Kirchenvüter,


oder Unterſuchung über den Einfluſs der Platoni
ſchen
fehen Philoſophie auf die Dreieinigkeitslelire in
den erſten Jahrhunderten . Aus dem Franzöſiſchen
überſetzt und mit Vorrede und Bemerkungen be
gleitet von J. F. Chr. Löffler., Zweite mit einer
Abhandlung welche eine kurze Darſtellung der
Entſtehungsart der Dreieinigkeitslehre enthült, ver
1 Thlr. 8 Gr.
mehrte Auflage gr. 8 .
Als dieſe Schrift 1700 ziierſt im Original erſchien,
erwekte ſie ein allgemeines Aufſehen ; weil ſie die
Behauptung aufſtellt ; dals die athanalianiſche Tri.
nitätslehre das Werk platinifirender und den Plato
und Johannes misverſtehender Kirchenväter ſey. Und
da man damals die athanafianiſche Vorftellungsart
weniger als heutiges Tages von der bibliſchen Lehre
vom Vater , Solin iind Geiſt zu unterſcheiden pflege
te : fo fiel der Eifer der Journaliſten und Theologen
über den damals unbekannten Verf. (Souverain) her
und nur Basnage de Beauval in der Hiſtoire des Ouvra.
108. lies in einem
ges des Savans Mars 1.6700 p. 97
getreuen Ausznge , der Gelehrſamkeit eines Mannes
Gerechtigkeit wiederfahren , deſſen Behauptungen
mit den Behauptungen des gröſsten Litterators unter
den Theologen des damaligen Zeitalters , des berühm
ten Clericus, zuſammen ſtimmten . Denn auch die
ſer hatte in der Hauptſache dieſelben Bemerkungen
vorgetragen und die Schwäche der Kirchenväter
nicht minder anfgedekt. Durch das Geſchrey der
Theologen , die dieſes Buch ſtets als eines der ge
fährlichſten brandmarkten , (anch Vogt Catalog. libr.
Tal . nerunt es liber peſtilentiſſimus) wurde es um
deſto eifriger geſucht, ſo , dafs es heutiges Tages
unter
in
unter die Seltenheiten in den Bibliotheken gehört
und ſo wenig auch die älteſten Theologen es zu citia
ren wagen ; ſo iſt es doch immer in den Compen
dien der Geſchichte der Philoſophie imit Achtung
genannt worden : Als in Deutſchland iti der lezten
EG
Hälfte dieſes Jahrhunderts eine liberalere Theologie
aufblühte ; welche auch die Geſchichte der kirchlia
chen Dogmen und ihre Entſtehungsart zu entwickelır.
wagte ; ſo ſchien dieſes der Zeitpunkt zu ſeyn , wo
niclit ohne Vortheil an den Inhalt dieſer Schrift erins
nért werden durfte ; und Hr. L. gab ſie in einer
dentſchen Ueberſetzung mit einer ausführlichen Eins
leitung : über die vermeinte Schädlichkeit der platos
niſchen Philoſophie für die Kirche heraus. Wie
wenig allgemein aber jener geglaubte Zeitpunkt in
Deutſchland damals ſchon eingetreten war , bewies
der Umſiand , daſs der damalige Cenfor des Leipzia
ger Meſskatalogus fogar dem Titel dieſes Buches;
einen Plaz in dieſen allgemeiner Büchérverzeichniſſe
verweigerte. Ganz anders uirtlieilte ein freylicli ?
weit competenterer Richter , der fel. Di Semler :
Dieſer fand die Erſcheinung dieſer Ueberſetzung ſo
zwekmäſsig , daſs er in der Vorrede zu der 3teit
Samml. ſeiner theol. Briefe ( Leipzig 1782) erklärte
daſs er in der Fortſetzung dieſer Briefe die aber
nicht erfolgte.- fich über dieſe Schrift genaner cine
lallen und ſeine eigenen Sammlungen über die vora

nelmlten Aufgabeii mittheilen wollte: Jezt erſcheint
dieſes Werk in einer zweyten Auflage mit einer Aba
landlung vermehrt , welche die Aufmerkſamkeit
ga der theoretiſchen und praktiſchen Theologen verdieitt,
O und
-
und welche eine kurze Darſtellung der Art, wie die
kirchliche Dreieinigkeitslehre entſtanden ili , enthält
Dieſe Abhandlung hat zwey Theile. Der erſte prüs
fet den exegetiſchen Grund dieſer Lehre und zeigt:
dals in dem neuen Teſtamente keine einzelne Stelle
vorhanden ſey , welche die Trinitätslehre genau ud
yollſtändig enthalte ; daſs Jeſus ſelbſt ſich Gott nie
gleich ſetze oder eine vorweltliche Exiſtenz auf eine
zweifelhafte Art beylege; daſs Johannes unter dem
Logos die perſonificirte ewige Weisheit , welche
damals ſo wohl 50016 als doyas hieſse , verſtehe, die
er ſich mit Jeſu vereinigt dachte ; und daſs Paulus
ihn nur als den zum Herrſcher der Kirche und viel.
leicht der ganzen Geiſterwelt erhabenen Meſsias dar
ſtelle ; und daſs eben ſo wenig eine Stelle vorhanden
ſey , welche die individuelle Perſönlichkeit des Gein
1 ſtes Gottes auſser Zweifel ſetze. Ausführlich liud
beſonders die Erläuterungen über den Johannes, aus
den Apocryphen und dem Bhilo. - Der zweyte
Theil iſt hiſtoriſch und ſtellt die Entſtehungsart dic
ſer Lehre ſelbſt dar. Die hich ift in drey
Perioden abgetheilt. In der erſten , bis auf Juſtin
den Märtyrer oder Klemens von Alexandrien , herſcht
Unbeſtimmtheit und Allegorie ; in der zweyten von
Clemens bis Origines , wird die Behauptung , daſs
der Logos eine Subſtanz ſey , zur kirchlichen Recht.
gläubigkeit erhoben ; ' und in der dritten , von Ori.
gines bis auf das niceniſche Concilium , wird hiu
zu geſezt: daſs dieſe zweyte der erſten , der Solin
dem Vater , völlig, auch ių der Dauer der Exiſtenz,
gleich ſey. - Die Ars , wie dieſes auseinander

1
geſezt, die Syſteme der einzelnen Gelehrten ent
wikkelt , und die Fortſchreitung des öffentlichen
prüe Lehrbegriffs klar gemacht iſt, iſt nicht nur äuſserft
ſcharfſinnig , ſondern die ganze Idee ſelblt ſcheint.
cale ſehr wahr zu ſeyn. Wenigſtens - wenn man ſich
a mene auch noch ſo zweifelhaft ausdrüken wollte müſste
man lie doch als die einzige haltbare Hypotheſe an
erkennen , die Entſtehung einer lo ſonderbaren Lehre
zu erklären . In der Unterſuchung, ob dieſe Lehre
ſchon in der Bibel enthalten ift ? iſt vor allem die
Einfachheit und Freymüthigkeit der Darftellung und
in dem Ganzen die Art des Vortrags zu bewundern,
die ſo wenig Gelehrſamkeit unmittelbar zeigt und
doch überall eine ſo ſehr groſse fühlen läſst. Diefs
wird dieſer Schrift vorzüglich auch einen weitern
Kreis von Leſern verſchaffen , den sie denn auclı
mit gröſstem Rechte verdient,

11. Hebräiſche Vorübungen des Leſens und Veber's


ſetzens, nebſt '50 granmatiſchen Aphorismen,
Auch ein practiſcher Beytrag zur Methodik der
hebräiſchen Sprache für Lehrer und Schüler kl. 8.
e
i denn 4 Gr.
Es iſt ausgemacht , daſs man bey Erlernung der
liebräiſchen Sprache die jungen Lente fehr gewöhin .
a had lich mit den grammatiſchen Subrilitäten anfhält und
ihnen eben dadurch das ganze Studium oft auf im
in be mer verleider. Man ſollte nur wenige Sprachregeln
voranſchiken , ſogleich zum Leſen und Ueberſetzen
STE fchreiten , und dabey die grammatiſchen Regeln be.
2
kannt machen , Dann erſt , wenn ſo die junger
02 Leute
1
Leute ſchon einige Bücher durchgeleſen hätten , Tollte
man die Grammatik der Sprache mit ihnen ſyſtemas
tiſch und philoſophiſch durchgehn und die ſclion
geſammelten Regeln in ein Ganzes bringen. Recen
ſent freut ſich daſs dieſe Grundlätze , wenigſtens
die erſtern , gerade dieſelben find , nach welchen
dieſe hebräiſchen Vorübungen bearbeitet find. Es
iſt dies Werk eigentlich keine Grammatik , ſondern
mehr Beytrag dazu. Mit andern Worten , der Verf,
þat durch dieſe Vorübungen dem Lehrer und Schüą
ler ein bequemeres Buch in die Hand Spielen wollen,
wornacir die nöthigfien grammatiſchen Regeln der
hebr. Sprache ex ily und doch zugleich nach einem
wohl durchdachten Plane erlernt werden können,
1
Und dieſs liąt er , nach des Rec. "Einſicht, fo gliik,
ſich geleiſtet, daſs er dafür den warmen Dank derer
verdient , für die er arbeitete,

12, E. G. Woltersdarf, franzöſiſches Handbuch für


die junger. Töchter. Erſter Theil, die Anfangs
gründe der Sprachlehre und leichte Lesübungen,
nebſt einer Anweiſung zum Gebrauch des Buchs
enthaltend, oder: E. G. Woltersdorf inanuel de
la langue françaiſe à l'uſage des Cadettes. Mit
Tabellen , 18 Gr.
Es fehlt uns zwar nicht an franzöfi ſche n Leſe.
büchern , Chreſtomathien 11, d. aber wohl an
cinem Buche in dem für Mädgen die Elemente der
franzöfiſchen Sprache leicht ,und faſslich entwikels
qind bey der Wahl der Lefeltüke nicht blos auf ihr
Fallungsvermögen . - ſondern auch zugleich auf die
Bil
Bildiing ihres Verſtandes und Herzens Pükſicht gee
14 nommen wäre ; an einem Buche, welches zugleich
( vorzüglich vor Erzicherinnen) Vinke über Methode
und Hülfsmittel zur Erlänterung ( da wenig Gouvera
nantinnen 'beyder Sprachen ganz mächtig find) ente
hielte, Ein ſolches Buch hat Hr. W. in dieſem
mannel geliefert und damit dieſe Lüke fehr glüklich
da ausgefüllt. Eine kurze Darlegung ſeines Inhalts wird
dieſe Behaupting am beſten rechtfertigen.
Es iſt dieſer Theil für die erſten Anfängerinnen
und ihre Lehrer oder Lelirerizinen beltimmt und
allo ein für ſich beſtehendes Ganze . Er enthält : 2 )
in der ( zum Beluf der leztern franz. gefchriebenen ),
Vorrede eine kurze und zwekmäſsige Anleitung, wio
theils anfänglich die Erlernmg der Sprache, Kindern
könne erleichtert und angenehm gemacht werden ,
theils wie nach junen Vorübungen dies Buch zu gez
brauchen ſey , theils auch Erläuterungen und An
Wendungen der folgenden grammatiſchen Regelui. 2 )
Die nöthigſten und für Anfänger hinlänglichen Left
regeln mit hinreichenden Beyfpielen , fo , daſs zur
Ausſprache derſelben blos die Anwendung der vor
ans gegangenen' Liegeln erforderlich iſt. Die darauf
folgende Sammlung faſt gleichlautender Wörter wird
auch bey Geübtern eine ſeltene Fertigkeit der Sprach .
organe befördern. 5) Die Elemente der Sprachlehre
in kurzen und fafslich ausgedrukten Sätzen und Er:
kläruigen ; zwar nicht in gewöhnlicher grammati ,
fcher Orduung , aber deſto leichter für die Anfänger
die noch keine Grammatik kennen . Die Vorübun .
gen über avoir , die Tabellen über die Fürwörter
und

19
und die vier Tafeln über die Conjugationen ſind ſehr
zwekmäſsig und leztere ein Hauptvorzug dieles
Buclis. 4 ) Die Leſeſtike. ſelbſt , aus den beſten
franz. Schriftſtellern f. d. Jugend gewählt, z. B. aus'
Monget, Berquin, de la Fite, Trembley , Bonnet etc.
Sie find nicht allein der Fallungskraft der Anfänge
rinnen angemeſſen , ſondern auch gleich nüzlich und
zwekmäſsig zur Bildung des jungen weiblichen Her
zens und Verſtandes. Die Mannigfaltigkeit des bald
moraliſchen bald phyſicaliſchen Inhalts , der mit
leichten Verſen und Räthſeln abwechſelt, wird den
jungen Leſer nicht ermüden laſſen . Die kurzen
deutſchen Worterklärungen dienen eben ſo ſehr zur
Ermunterung des Fleiſles der Jugend , als zur Un
terſtützung ihrer Lehrerinnen , und werden beyden
gleich willkommen ſeyn. Der Druk des Buchs
befördert auch den Reichthum des Inhalts' , ein
Hauptvorzug , wie ſchon das Inhalts Verzeichnis
angiebt. Man wird zwar dies Handbuch auch
-

mit Nutzen beym erften Unterricht der Knaben ge.


brauchen können , vorzüglich aber empfehlen wir
es allen Eltern und Gouvernantinnen zum Unterricht
der Mädgen . Es iſt mit fteter Hinſicht auf dieſe
ausgearbeitet und wir haben kein ähnliches , welches
ihm an . Brauchbarkeit und Zwekmäſsigkeit gliche.
BEYTRÄGE
3

2 UR
-2

GESCHICHTE
DER PHILOSOPHIE .

ve
HERAUSGEGEBEN

VON

GEORG GUSTAV FÜLLEBORN .


ELISABETHANUM IN BRESLAU ,
PROFESSOR AM

VIERTES STÜK .

relation

ZÜLLICHAU UND FREYSTADT,


FROMMANNISCHEN BUCHHANDLUNG
DER

1794
W
1

I ν ι α e 1

1. Ueber Chriſtian Thomaſius Philoſophie.


Mit Auszügen aus ſeinen philoſophi
Schen Schriften , Seite
1

Ueber Geſchichte der philofophiſchen


Kunſt- Sprache unter den Deutſchen , 116
3

3. Einige allgemeine Reſultate aus der


Geſchichte der Philoſophie, 145

4. Kurze Geſchichte der Logik bey den


Griechen , 260
5. Plan
5. Plan zu einer Geſchichte der Phi.
lofophie, Seite 180

6. Von der Verſcliedenheit der alten und


neuen Philoſophie. 187

Alles vom Heransgeber,

( : .. -

‫تی ۔‬
UEBER

$
18 .

ber.
O BER

CHRIST. THOMASIUS PHILOSOPHIE.


Mit Auszügen
aus seinen philoſophiſchen Schriften ,

Eine vollſtändige Biographie des verdienſt


vollen Thomahus iſt dem Zweke dieſer Bey
träge nicht gemäſs * ). Eben ſo wenig iſt es
meine Abſicht, zu unterſuchen : inwiefern
Thoinafius durch die Anwendung ſeiner phi
lo

*) So viel ich weiſs, iſt noch keine beſſere und


vollſtändigere vorhanden , als die von Schrökh
gelieferte , Allg. Biog. Fünfter Theil. S. 266 f.
gewiſs mehr , als bloſser Verſuch , wofür fie
der Hr. Verfaſſer ausgiebt,
A
lofophiſchen Ideen ein Wohlthäter leines Zeit
alters lowohl , als der deutſchen Nation
überhaupt geworden ſey. Ich habe mir nur
die Frage vorgelegt : Welches find die Ver.
dienſte Chriſtian Thomafius um die Philofophie,
als Wiſſenſchaft ? Da aber die Beantwortung
dieſer ſpeciellen Frage ſo vortheilhaft nicht
ausfallen kann , wie eine Unterſuchung über
die geſammten Verdienſte unſers Philoſophen :
ſo wird eine Verwahrung gegen mögliche
Vorwürfe der Ungerechtigkeit und Verklei
herungsſucht vielleicht nicht ganz unnöthig
ſeyn. Dazu mag folgendes Urtheil von
Schrökh dienen , welches gewiſs jeder Un
partheyiſche mit mir unterſchreibt: ,, Ein
Mann , ſagt er *) , der weiter nichts Groſses
„ ausgeführt hätte , als daſs er die Freyheit
, 2u denken , zu lehren und zu ſchreiben,
mit einem ſolchen Kampfe ſo hoch gebracht
„hätte , wie Thomafius, würde ſchou darum
man eine unaufhörliche Dankbarkeit der Nach
„welt Anſpruch machen können . Aber wer
auch ſo viel Licht in mehrere Wiſſenſchaf
„ ten

* ) Ang. B. S. 392 &


i

sten einzuführen , ſo viele Vorurtheile zu


„ ſtürzen , und überhaupt ſo unermüdet und
„ glüklich zum Beſten der Gelehrſamkeit und
„ der Menſchen - Rechte zu arbeiten wüſte,
zwie er': der würde mit gleichem Vertrauen,
„ wie Thomafius , ſich auf dasjenige berufen
„ können , was er gethan hat ; wenn gleich
smanches davon nur innerhalb Verſuche ſte
hen geblieben iſt.“
1

Aus der Lebens- und Zeit - Geſchichte un


fers Philoſophen iſt natürlich bey dieſer Un
terſuchung nur wenig mitzunehmen. Wir
]ܶ‫ܐ‬ fragen nicht: Wie Thomafius das geworden
fey , wofür wir ihn anerkennen , nichts
warum er nur ſo viel, und nicht mehr ge
23
leiſtet habe ? fondern , was er, Zeuge lei.
ner vorhandnen Schriften , wirklich geleiſtet
habe. Da fich aber die Eigenheiten des Gei
ftes und der ganzen Individualität eines Man
. nes vor allen in ſeinen philofophiſchen Wer
ken, zumahl wenn dieſelben auf Originalität
Anſpruch machen , deutlich abdrüken , und
darauf weſentlichen Einfluſs haben : lo inüf.
fen hier voraus einige allgemeine Puncte be
rührt werden , die den Geiſt und Character
die
4
dieſes Mannes angehen, und in ſeine Bemű
hungen für die Philoſophie übergegangen hnd.

Erſtens eine Idee von dem Zweke der Ge.


Lehrſamkeit überhaupt. Die Gelehrſamkeit,
ſagt er *), iſt eine Erkenntniſs, wodurch
der Menſch geſchikt gemacht wird , das
Wahre von dem Fallchen , das Gute voti
dem Böſen zu unterſcheiden , und deſſen
wahre oder wahrſcheinliche Urſachen anzu
geben , uin dadurch ſeine und andrer Men
ſchen zeitliche und ewige Glükſeligkeit zu
befördern **). Ich halte den für einen ge
lehrten Mann , der etliche wenige Wahrhei
ten gewiſs weiſs , die er zum gemeinen Na
tzen anwenden und daraus in andern Wilfen
fchaften mancherley Wahrheiten herleiten
kann , der übrigens aber wohl weiſs, daſs
die Welt voll leeren Wahnes fey, und da
her ſeine Wahrheiten ſowohl, als dieſen
leeren Wahn der Welt Andern deutlich vor
Au

* ). Einl. zur Vernunft . Lehre S. 1. Vierte Aul.


v. J. 1711 .

**) Ebend. S. 5 .
5

Augen ſtellen kann * ). Alle Gelehrſamkeit


hand zerfällt in zwey Theile : Gottesgelahrtheit !
und Weltweisheit , wovon die erſte ihre
Quelle, in der Offenbarung, die leztre im
menſchlichen Verſtande hat ** ). Alles das

dun jenige iſt keine Gelehrſamkeit zu nennen,


was weder im menſchlichen Leben Nutzen
hat , noch zur Seeligkeit anführt. Gemein
nützigkeit alſo , d. h. augenblikliche Brauch
barkeit der Kenntniſſe im gemeinen Leben
iſt ihm der Zwek aller Gelebrſamkeit , und
alle Kenntniſſe , die dieſen Zwek nur mittel
bar oder langſam befördern helfen , 2. B.
Sprachſtudium find in ſeinen Augen gering
und von keinem ſonderlichen Werthe . Aus
ch
dieſer Idee entſprang , oder erklärt fich
wenigſtens,
Zweytens der Eifer , womit er die Schola
ſtiſche Philofophie zu verdrängen ſuchte. Man
weiſs ja wohl, ' wie es den Syſtemſtürmern
.
in allen Wiſſenſchaften zu gehen pflegt. Sie
werfen gemeiniglich das Gute mit dem Schlech
A 3 ten

. ) S. 6. f.
**) S. 11. f.
ten zugleich über Bord , und ſuchen überall,
wenn nicht den entgegengeſezten , doch einen
andern Weg zu gehen . Sie bekommen all
mählig , auch wenn ſie die beſten Menſchen
find , einen gewiſſen Reforinator: Stolz , der
ihnen nicht erlaubt, auch nur im Mindeſten
ſich dem bekriegten Syſteme wieder zu nä.
hern , und der fie zulezt auch gegen alle
andere Syſteme auſbringt. Heftigkeit, Spot
terey und entſcheidender Ton finden ſich un.
vermerkt ein , und machen einen ſolchen
Reformator zulezt für alle billigen Urtheile
unzugänglich. Dieſs war ohnſtreitig auch bey
Thomafius der Fall . Da er die Ariſtoteliſche
oder Scholaſtiſche Philoſophie theils wegen
ihrer ſyſtematiſchen Sclaverey , theils wegen
ihrer { pizfindigen , ſchweren und nichtge.
meinnützigen Speculationen haſste und zu zero
ſtöhren ſuchte : ſo bemühte er fich dagegen,
eine gewiſſe Freyheit im Philoſophiren gemein
zu machen , und , mit Uebergehung aller
Speculation , über allgemeine Gegenſtände fo.
leicht, verſtändlich und angenehm , als mög.
lich , zu ſchwatzen . Aber alles practiſche
Philofophiren wird ſchal und leicht, wenn
es ſich nicht auf vorhergegangne gründliche
Spe
7

ntrale Speculation gründet, und um für die Welt


euraa recht gemeinnützig raiſonniren zu können ,
muſs man für feh ſehr Spizfindig fpeculirt
haben . Heut iſt der erklärteſte Gegner aller
bloſs ſpeculativen Wiſſenſchaften doch wenig
delle ſtens billig genung, zuzugeben , daſs es gut
und vortheilhaft fey , wenn eine beſondre
‫ܐܳܐ‬ Klaſſe von Gelehrten ſich damit abgebe und
. gleichſam eiv Fribunal der erſten Principien
ausmache. Aber Thomafus erklärt durehaus
ſolche Beſchäftigungen für unnütz , Thorheit
1-3 und Mülhggang. Daher kam es ,. daſs er
beſonders in den Theilen der Philoſophie ,
die ohne Speculation nicht gründlich behạn
2 delt werden können , äuſerſt ſeicht und ober
flächlich raiſonnirt , und alle , ſelbſt die
wichtigſten Fragen , bey deren Unterſuchung
eine gewiſſe Subtilităt unvermeidlich ist,
leichtfertig übergieng. Er erklärt ſich hier
über ziemlich artig : „Ich würde es wahr
lich nicht lefen , wenn auch hundert Bände
„über die Frage geſchrieben wären : ob die
2, Bewegung oder das Licht der Sonne wärmt ?
„oder ob das Licht der Sonne die Urfache
der Bewegung , oder dieſe die Urſache von
mjenem ſey ? Ich würde mich in Einfalt des
A4 „Lichts
„ Lichts und der Wärme der Sonne bedienen,
„und andre unterdeſſen bey einem Kamin
„ feuer oder Wachslicht darüber disputiren
glaſſen. Ein hungriger Wandrer iſst im Gaſt
shofe die Speiſe, die ihm vorgeſezt iſt, und
„ läſst unterdeſſen die Philoſophen unterſchied
wner Syſteme ſtreiten : ob der Geſchmak in
der Speiſe oder in der Zunge ſtecke? *)
Alles zu ſeiner Zeit und an ſeinem Orte,
würden wir dagegen ſagen können , aber
Thomafius glich in der That einen hungrigen
Wandrer , der fich immer bald zu Tiſche
ſetzen will. Zu dieſem Eifer für Popularität
geſellte sich dann

Drittens ſeine Gleichgültigkeit in Rükſicht


der philoſophiſchen Sprache. So gut auch die
Anmerkungen ſind , die er; in ſeiner practi
ſchen Logik über die Beſtimmtheit der Aus
drüke beybringt **) ; ſo wenig befolgt er fie
in ſeinen philoſophiſchen Schriften ſelbſt. Es
iſt

*) Ausüb, der Sittenlehre S. 546. Dritte Aufl. .


J. 1704

***) Ausüb. der Vern. 3. Hauptſtük. Nach der


Ausg . v . J. 1710.
9

ienet iſt einerley , ob du es ſo oder anders nennſt;


CH bemühe dich dieſe Tugenden auszuüben , und
ſtreite nicht über ihre Benennung ; mögen
es andere nach ihrem Gefallen nennen ; ich
‫ܕܐ‬ îtreite mich nicht um ein Wort oder Aus
druk ; binde dich in Definitionen nicht an
cm3 die Worte ; die Wahrheiten zu unterſchei.
uke?" den , magſt du Namen brauchen , welche
du willſt: diele und ähnliche Aeuſerungen
finden fich auf allen Bogen ſeiner Lehrbücher.
web
In unfern Zeiten iſt es überflüſfig , das
Seichte und Schädliche einer ſolchen Facilitas
in verbis erſt erweiſen zu wollen , und Tho.
mafius felbſt würde , wenn er unbefangner
geweſen wäre, durch ſeine eigne Erfahrung
belehrt worden ſeyn , daſs Worte und Be.
griffe genauer zuſammenhängen , als er glaub
te . Wir haben gelernt , wie wichtig z. B.
die Unterſcheidung der Wörter : Empfindung,
Vorſtellung, Idee , Gedanke , Begrif, Er
kenntnis u. a. iſt, die er alle zuſammen für
gleichbedeutend nimmt , und wir ſuchen alle
Wortſtreite eben dadurch zu vermeiden , daſs
tebut
wir die Wörter vorher beſtimmen , fo wie
er ' im Gegentheil ſolchen Streitigkeiten da .
Nil
durch zu entgehen glaubte , wenn er einem
A 5 jeden
jeden die Erlaubnis gäbe , Wörter zu brau
chen , welche er wolle . Ich will hier nicht
bey der Frage verweilen : Ob die deutſche
Sprache damals auch ſchon von der Beſchaf
fenheit war, daſs ein philoſophiſcher Schrifts
( teller , der fich ihrer beynab zuerſt bediente,
eine ſolche Beſtimmtheit einführen oder auch
ſelbſt nur ahnden konnte. Thomafius hat
gezeigt , daſs er ſeiner Sprache Herr werden
konnte , wenn er wollte , und kein Schrift
ſteller pflegt gewöhnlich peinlicher in ſeinen
Ausdrüken zu ſeyn , als der, welcher in
einer noch nicht zubereiteten und hinlänglich
reichen Sprache ſchreibt, wie das Beyſpiel
Ciceros und Wolfens beſtätigt." Aber , wie
erwähnt , hier iſt immer nur die Rede da
von : l'as hat Thomafius, Zeuge ſeiner
Schriften , gethan , nicht : warum hat er

es nicht beſſer gemacht ?


Ein wichtiger Punct iſt viertens ſeine reli
giöſe Veberzeugung , ſeine feſte Anhänglichkeit
an das Syſtem ſeiner Kirche, die zudezt in
Myſticisinus ausartete. Ich will gar nicht
unterſuchen , in wiefern überhaupt die An
hänglichkeit an ein poſitives Religionsſyſtem
einem Philofophen hinderlich oder beförder
lich

1
11

lich ſey , die Wahrbeit zu finden. Bey


!

bras
Thomaſius war he ohnſtreitig das erſtre. Er
brachte zu wenig Zutrauen auf die menfch
liche Vernunft und Willenskraft zu der Un.
SO terſuchung dieſer Seelenvermögen mit , und
G24 hielt es daher für umütz oder vergeblich ,
tiefer in ihre Natur einzudringen . Dem Kir.
ESS chenhiſtoriker prägt er in einer ſeiner Schrif
TEV ten fehr nachdrüklich die Regel ein : ſeine
Religion ganz zu vergeſſen , ſo lang er un
terſuche und ſchreibe ; er hätte fie auch bey
ſeinem philoſophiſchen Studium befolgen ſol.
len. Es iſt uns heut faſt unbegreiflich , wie
Thomafius bey ſeinen vollkommen Regelgläu
bigen Aeuſerungen dennoch verketzért wer
den konnte . Bey den Bemerkungen über
Seine Sittenlehre wird dieſer Punct näher
erläutert werden .
Fünftens darf ich auch ſeine Streifereyer
durch alle Wiſſenſchaften und Künſte nicht
unberührt laſſen , von denen er beſtändig
einige Beute für die Philoſophie nach Hauſe
‫نور‬ brachte : von welcher Art , davon zeugen
‫ھ می‬
inehrere Beyfpiele. Eine chymiſche oder
phyſiologiſche Eintheilung veranlaſte ihn fo
gleich , in der Philoſophie auf etwas ähnli
ches
12

ches zu denken : ein anatomiſcher Lehrſatz,


gab ihm Gelegenheit , irgend eine philoſophi
wiewohlėer
ſche Hypotheſe aufzuſtutzen ,
ihn nie lange verfolgte , und die Ueberein
ſtimmung mehrerer Wiſſenſchaften in der
Zahl gewiſſer Divifonen oder Klaffificationen
war ihm ſchon ein halber Beweis für die
Richtigkeit ſeiner Eintheilungen in der Logik
oder Moral * ). Sogar ein zufällig gewähltes
Beyfpiel aus einer andern Wiſſenſchaft führt
ihn oft durch fortgeſezte Vergleichungen auf
Behauptungen , die er ohne dieſes Beyſpiel
kaum gewagt haben würde .
Endlich gehört hierher ſeine Begierde
nach Originalität, die ihn oft abhielt, das
/
was andre vor ihm und zu ſeiner
Gute ,
Zeit lehrten , zu benutzen und in lein Syſtem
aufzunehmen . Man weiſs z . B. wie hart er
über Tſchirnhauſen u. a . urtheilte.
welche in einer
Viele andre ' Puncte ,
Characteriſtik Thomnafius des Gelehrten oder
des Menſchen Plaz finden müſten , gehören
in

* ) S : zum Beyfpiel Auszug der pract. Moral J. 14.


13

in den gegenwärtigen Verſuch nicht, Ich

propolit wage es , zu der Beantwortung der oben


angegeben Frage fortzugehen , wenn ich
vorher noch mit Thomafius Worten ſeine
Schilderung eines ächten Philoſophen einge
rükt habe * ).
„ Ich verſtehe unter einem ächten Welt
»weiſen einen Mann , der einen ſcharf
„ſinnigen und durchdringenden Verſtand :
,, hat, der ſtets richtig und bündig ur
stheilt : der mit dem allgemeinen und
„höchlinöthigen Werkzeuge aller Willen
„ ſchaften , der Geſchichte , genau be
„ kannt iſt: der ſeine Philofophie von
„der Selbſterkenntnis anfängt und durch
„ die Dämpfung ſeiner Leidenſchaften ſein
„höchſtes Gut , die innere Gemüthsruhe,
„ ich zu verſchaffen bemüht iſt: der die
,, Bosheit der Welt kennt, und durch
„ eine tägliche und auf fichre Regeln ge
„ gründete Erfahrung allen Menſchen , mit
„ denen er umgeht , wenn fie lich auch
w noch ſo ſehr verſtellen , bis ins Innere
fieht :

Dedication der Einl. zur Vern . S. 3.


14

„ ieht: der geſchikt iſt, eine ſeinem


,,Geiſte gemäſse Lebensart zu erwählen,
„ und die dazu gehörigen Güter des Le
„ bens , welche ſelbſt ſeiner Tugend (mehr
,, Gelegenheit geben , rechtmaſsig zu er
wwerben , zu erhalten , zu vermehren
und anzuwenden : der in allen ſeinen
„ Handlungen ein rechtmäſsiges Decorum
„ Zeigt, ohne welches alle Philoſophie
%
„eitel und bloſse Pedanterey ſeyn würde.

Diere , an ſich gewiſs nicht ſchlechte,


Schilderung kann zuvörderſt Statt vieler an
dern Stellen zum Belage dienen , was Tho
mafius in ſeinen Begrif von Philoſophie zu
ſammenfaſte.

Man ſieht allenfalls aus einem Rüchtigen


Studium ſeiner Schriften , daſs er ſich die
Philoſophie ſo eigentlich gar nicht als Wif
ſenſchaft dachte , das heiſst , als einen In
begrif gewiſſer eigenthümlicher, von andern
z. B. mathematiſchen und hiſtoriſchen Kennt
niſſen unterſchiedener Erkenntnille , die für
fich ein Ganzes ausmachen , und auf Einem
Grunde beruhen , „ Die Weltweisheit, ſagt
sger,

f
15

26 wer ) , die über die Kreaturen raiſonnirt,


„ érſtrekt ſich über gegenwärtige und ver
gangne Dinge," und er hat in dieſer hin
INTE geworfenen Aeuſerung die beſtimmteſte De
19
finition ſeines Begrifs von Philoſophie gegeben ,
mann wie er aus allen ſeinen Schriften hervorleuch
tet. Wenn er ferner die Vernunftlehre und
NP
Geſchichte die beyden Inſtrumente der Welt.
weisheit nennt ** ) : lo fieht inan leicht , daſs
er ſich dabey durchaus kein beſtimmtes Sy
ften einer wiſſenſchaftlichen Philoſophie ge
dacht habe. Sie iſt ihm eine Sammlung von
Bemerkungen und Raiſonnements über Wahr
und Falſch , Gut und Böſe , wozu die Ver
nunftlehre die Regeln , und die Geſchichte
den Stoff liefert. Man darf alſo nicht erwar
ten , daſs er zu einer beſſern Beſtimmung
des Begrifs von Philoſophie oder zu einer
‫و دستگ‬
ſyſtematiſchern Anordnung des Ganzen und
deſſen Theile beygetragen habe.

‫کن‬
Was die Metaphyſik angeht, ſo nahm er
ſie in ſeinen philoſophiſchen Curſus gar nicht
185 auf.

*) Einl, zur Vern. $. 7,


** ) Ibend. S. 8.
16

auf. Freylich war ſie unter den Händen


der ſcholaſtiſchen Philofophen nichts weiter,
als ein Wörterbuch ſubtiler Kunſtwörter und
Unterſcheidungen geworden , und Thomaſius
haſte die ganze Secte mit allen ihren Subtili
täten *). Einen Theil der Ontologie nahm er
in die Logik ( drittes Hauptſtül ) auf, die
natürliche Theologie war ihm gegen die geof.
fenbarte zu gering und unbedeutend , um
ihr ein beſonderes Studium zu widmen. Er
erklärt fich hierüber in der Moral beſtimmt
und richtig ( S. Auszüge $. 8. f .). In Ruk
ficht der Pneumatologie , die damahls einen
wichtigen Theil der Metaphyfiki ausmachte,
liefs er ſich durch die Schriften der ſoge
nannten Moſaiſchen Philofophen zu Träume
regen

* ) Von der Metaphyfik , fagt er , habe ich mir


eine widerwärtige Impreſſion gemacht, indem
ich mir eingebildet , daſs die darinn enthaltenen
Grillen fähig ſind , einen geſunden Menſchen
ſolchergeſtalt zu . verderben , daſs ihm Würmer
im Gehirne wachſen , und daſs dadurch der
meiſte Zwieſpalt in Religionsſachen entſtanden,
und noch erhalten werde. Scherz- und erſte
hafte Gedank en .
Gedanken. Mon. März. Vergl. Seine
Cautelen Kap. 12,
reyen und Paradoxieen verleiten , die ins Ab
geſchmakte fallen . Zwar geht er von dem
beſcheidnen und richtigen Urtheile aus, daſs
die Vernunft von dem Weſen eines Geiſtes
nichts wille , aber eben darum glaubt er , 1

dieſe Kenntnis aus der heiligen Schrift ſóhöp.


fr : fen zu müſſen . Hier fand er alſo Grund zu
der Meynung von einem allgemeinen Welt
do : geiſte' und von zwey Geiſtern im Menfchen ,
dem guten und böſen . Sein ganzer Verſuch
voin Weſen eines Geiſtes iſt eine Sammlung
von myſtiſchen und bibliſchphyficaliſchen
Subtilitäten , und ſcheint, wie aus ſeinem
übrigen Gedankenſyſtem , gleichſam abgerif
fen zu feyn. Wenn man nach ſeiner Pfycho
logie fragt : ſo darf ich zu ſeiner Ehre auf
die Erklärung verweiſen , die er in der Lo
gik ( S. Ausz. §. 6.) thut : eine Pſychologie
‫ال‬
aus bloſser Vernunft bielt er für unmöglich,
und er erholte ſich auch dafür in ſeinen
myftiſchen Speculationen.
Kein denkender Mann , und das war doch
Thomaſius gewiſs, kann nur einen Schritt in
irgend einem Theile der Philoſophie thun ,
ohne auf die Fragen zu ſtofsen : Welches
find die Gründe , Grundſätze und Gränzen
B der.
18

menſchlichen Erkenntnis ? Warum nénnen


wir diefs wahry jenes falſch ? Was berech
tigt uns zu Urtheilen und Schlüſsen ? u. d. m .
Wir rechnen jezt die erſten Unterſuchungen
über dieſe Fragen zur Metaphyfik , inwiefern
fie die erſten Principien des Erkennets auf.
ſtellen und prüfen ſoll. Thomafius hat fie,
wie mehrere ältere Philoſopheny in der Los
gik abgehandelt , urid ich darf ohne Scheu
ſagen , daſs dieſer Theil feiner Logik gewiſs
nicht der ſchlechteſte ifta Die folgenden
Auszüge werden jeden unpartheyifchen Leſer
davon überzeugen., Nicht tur der gemachte
Unterſchied zwiſchen leidenden and thätigen
Vorſtellungen ( er nennt es Gedanken ), fort
dern die geſamte Entwikelung der Art, wie
wir Erkenntnis erlangen, ſeine Diſtinction
zwiſchen Empfindlichkeit und Verſrand ( Re
ceptivität und Spontaneitat), und vor allen
das aufgeſtellte Princip der Erkenntnis, ilty
dünkt mich , foächt philoſophiſch , daſs
mehrere Leſer eine groſse Annälterung ari
die Kantiſchen Darſtellungen finden werdem
Der ganze Abſchnitt von den Gegenſtänden
der Erkenntnis zeugt von einer beſcheidnen
und, faſt möchte ich ſagen, critiſchen Art
2u
1

19

zu philoſophieren , wie man ſie ſonſt an kei


nem Philofophen jener Zeit findet. Es wäre
di zu wünſchen , daſs Thomaſius, durch irgend
einen Umſtand veranlaſst , dielen angefange
nen Unterſuchungen weiter nachgegangen
ſeyn möchte , oder daſs hie Wolfens Aufmerk .
ſamkeit auf fich gezogen hätten. Vielleicht

wäre dann ſchon früher eine kritiſche Durch


forſchung des menſchlichen Erkenntnisvermö.
gens veranlaſst worden .

So ſehr auch dieſer Theil der Logik un.


ſers Thomafius den Beyfall und die Achtung
denkender Leſer verdient ; ſo wenig hat er
doch für die eigentliche Logik , in unſerm
Sinne , etwas Neues oder Merkwürdiges ge
leiſtet. Sein ganzes Verdienſt beſchränkt fich
auch hier vornemlich nur darauf, dals' er
die Wiſſenſchaft von Subtilitäten · reinigen
‫وم‬
half * ) , die Aufmerkſamkeit des unfcholafti
B 2 fchen

* ) In der Logica glaube ich nicht , daſs fünf Präs


WIN
dicabilia , zehn Prädicamenta und drey Figurä
Syllogismorum leyn. Ich halte dafür , daſs die
.
Logik, die wir in Schulen und Academieen ler.
nen , zur Erforſchung der Wahrheit ja ſo viel
helfe,
20

fchen Publicums dafür gewann , und dabey


Gelegenheit nahin , manche für ſeine Zeit
trefliche und heilſame Wahrheiten zu fågen,
und durch eine Art von wiſſenſchaftlicher 7
Deduction eingänglicher zu inachen.
Alle in der Folge mehr beyläufig gefällten
Urtheile über den Unwerth und die Un
brauchbarkeit der damaligen Philoſophie über
haupt, hatte er in einem früher erſchienenen
Werke : Einleitung in die Hof- Philoſophie
(wir könnten ſagen , Lebensphilofophie) aus•
führlicher und gründlicher auseinandergelezt.
Er zeigt bier mit vieler Laune und Bitterkeit,
wie wenig die damalige Metaphyhky Logik
und Moral Einfluſs auf das wirkliche Leben
habe , entwikelt die Fehler der Ariſtoteliſchen
und Cartefianiſchen Philoſophie, und empfiehlt
vor allen die Bearbeitung der Vernunftlebre
oder Denkwiſſenſchaft. Zu ſehr eingenom
men gegen die Pedanterey der Gelehrten und
für den Ton der groſsen Welt, und überall
von der Idee der Gemeinnützigkeit geleitet,
Ver

helfe , als wenn ich mit einem Strolihalm ein


Schiff - Pfund aufheben wollte. Ebend.
21

daber
verfehlte er auch in dieſem Werke die rich ;
tige Mittelſtraſse , , and ſo intereſsant auch
ein Auszug daraus zur Kenntnis des damali,
gen Tons unter den Gelehrtea ·und der Be
handlung der Wiſſenſchaften ſeyn würde , lo
wenig ſchien er mir für den gegenwärtigen 1

Zwek pafſend ). Die wiſſenſchaftlichen Bes


merkungen hat er ohnedem in feine beyden ,
im Auszuge gelieferten , Lehrbücher mit auf
genommen .
Was ſeine Sittenlehre anbetrift: ſo haben
fich auch hier die Eigenheiten feines Geiſtes
und Characters deutlich abgedrükt. Den
Syſteme der geoffenbarten Religion treu und
$ ein abgeſagter Feind der Ariſtoteliſchen und
Züm Theil auch der Cartefifchen Philofophie,
erklärt er das Zutrauen auf die Kräfte der
menſchlichen Vernunft und des Willens für
ungegründet, und die ſubtilen Speculationen
B 3 ſei

*) Thomaſius hat dieſs mit allen Reformatoren


gemein , daſs er überall lieber einreiſst, als
aufbant. Auch in dieſem Werke kann er vor
lauter Streitigkeiten und Widerlegungen nicht
dazu kommen , ſeine eignen Ideen gründlich
und ausführlich auseinander zu ſetzen,
{ einer Vorgänger für unbrauchsar. Ueberall
bemüht , das Unpractifoke , oder wie er es
oft nennt , den Uurath aus der Gelahrtheit
fortſchaffen zu helfen , fucht er die Sitten
lehre nach Möglichkeit zu vereinfachen und
für das practiſche Leben anwendbar zu ma
chen. Darinn ſtimmt er zwar mit den
Meiſten der frühern Moraliften überein , daſs
das höchſte Gut des Menſchen Glückfeeligkeit,
d. h. wahre Gemüthsruhe fey. Aber in der
Beſtimmung des Princips der Moral, oder
wie er fich ausdrükt, des Mittels zu dieſem
Zweke , unterſcheidet er ſich von ihnen.
Ein groſser Theil der Moraliſten glaubte, die
ſes Princip in der Selbſtliebe gefunden zu
baben , in dem allgemeinen Triebe der Mene
1
ſcben , ihre Glükſeeligkeit zu befördern. Sie 1

ſahen in dieſem Triebe nicht nur den Grund


alles Handelns , ſondern auch den lezten
Zwek deſſelben . Ich will bey dieſem Prin.
cip nicht verweilen , aber wäre es auch noch
fo
reinigkeit unſern Thomaſius verleitet haben,
es zu verwerfen : es würde vielmehr feiner
Idee von der Verdorbenheit des menſchlichen
Willens trelich zu Statten gekommen ſeyn. 1

Soll '
23

Soll ich mir ſelbft eiten Entwurf machen ,


wie er auf ſein Princip gekommen ſeyn kann :
fo würde ich ohngefahr Folgendes am wahr
Vivah
fcheinlichften finden . Es war ibin einleuelja
tend , daſs das Wohl des Garzen der Zwek
der Handlungen eines jeden Inlividui leyn
müſſe , und daſs jedes einzelne Mitgind ſein
eignes Wóbl durch das Ganze . befördra
Ueberall und zu jeder Zeit ſeinen Neben
menſchen nützlich zu werden , das war die
allgemeine wohlgemeinte Abſicht aller ſeiner
Bemühungen , und er, konnte ſelbſt : diejeni
gen Kenntniſfe nicht leiden , die fich nicht
fogleich für die Welt brauchbar machen lies
fsen Da 'er nun jede gute Aeuſerung und
Abſicht des Willens Liebe nannte : .. fo giebt
‫ܙܵܝ‬ er auch dem Beſtreben , für das Wohl des
Ganzen thätig zu ſeyn , den Namen Liebe.
Da er ferner in ſeinen Begrif . von Liebe
durchaus zwey Subjecte aufnahm , eins, wel.
ches liebt, und das andre, welches geliebt
1

wird , ' oder nach ſeinen Ausdrüken , da die


Liebe auſer fich geht: ſo war es natürlich ,
dals er die Selbftliebè nicht als allgemeines
und erſtes Princip auſſtellen konnte. Alle
Liebe geht auf Dinge auſer uns , und da
B4 aufer
84

auſer und um uns nichts Edleres und mit


uns Verwandteres da ift , als der Menſch,
auf andre Menſchen . Nun können wir aber
die Menſchen , (um mich eines neuern Aus
druks zu bedieren ) entweder als Zwek oder
als Mittel lunen : die erſtre Liebe iſt die,
welche Thomafius die vernünftige nennt.
Lieben wir die Menſchen als Mittel, lobe
trachten wir Sie offenbar als Mittel zur Be
friedigung unſrer Sinnlichkeit. Alle finnlichen
Neigungen find theils von frühern Moraliſten,
theils in der Bibel * ), unter die drey Klar
ſen , der Wolluſt , des Ehrgeizes und der
Habfucht gebracht. Folglich erſcheinen diele
drey Hauptneigungen bey Thomafius unter
die
dem Namen der unvernünftigen Liebe
zwar ebenfalls die Abficht bat, Gemüthsruhe
zu befördern , aber ſtatt deren nichts, als
Unruhe , hervorbringt.
Ein ſehr wichtiges Hindernis, welches
ſich bey Thomafius einer tiefern und gründ.
lichern

* ) Hierauf beruft er ſich ausdrüklich Sitt. Th. 2.


8. 536. ( Augenluſt, Fleiſchesluſt und hoffarti
ges Leben .)
25

lichern Unterſuchung der " practiſchen , i wie


der theoretischen Philoſophie entgegenſtellte,
26 / iſt die Gleichgültigkeit, womit er die Sprache
As behandelte. Seinerſeits feſt überzeugt , daſs
es auf die Wörter gar nicht ankomme, wenn
man nur , wie er oft ſagt, über die Beſchaf
fenheiten einig ley , braucht er Gemüthsnei
gung , Affect, Leidenſchaft , Paffion , Trieb ,
Verlangen und Begierde , eins für das andre,
und ohne dieſe ganz verſchiednen Begriffe
auch «nur einigermalien zu unterſcheiden .
ri Die erſtern drey find ihm fogar mit Laſtern
beynahe, ganz ſynonym . Daher kann derje ,
nige , welcher fich einen Unterſchied bey
dieſen Begriffen feſtgeſtellt hat, falt in jedem
2 Paragraphen des Verfaſſers Widerſprüche und
Irrthümer finden. Daher wird es einleuch
tend , warum er ganz und gar keine Rük .
ficht auf die in der Natur des Menſchen ge
gründeten Triebe nimmt, warum ihm die
groſse Verſchiedenheit zwiſchen Trieb und
Leidenſchaft gar nicht in den Sinn kommt,
und warum er ſo manche wichtige Themata,
die in unſern Ethiken abgehandelt werden ,
1 unberührt läſst. Er hat immer ſchon die
volle Leidenſchaft vor Augen ,, und hat fich
B 5 alſo
26

alſo der Mühe entübrigt, den erſten Keines


derſelben nachzufpüren und hie in ihrem
Wachsthum zu belauſchen. Seine Idee von
Genüthsruhe , die im Grunde eine Stoiſche
Apathie iſt, erlaubt ihm nicht, an irgend
einem Triebe etwas Gutes zu finden , weil
ihm jeder fehon Leidenſchaft, d. h. unruhige
Bewegung iſt. Seine Beſchreibungen der Leia
denſchaften find nichts , als Charactere wol
lüftiger, ehrgeitziger und hablüchtiger India
viduen ) | gemeiniglich ſehr richtig, aber im .
mer auf das ſtärkſte gezeichnet. Das einzige,
was auch dieſer Characterihrung ſchadet, iſt
daſs er die Leidenſchaften zu abgeſchnitten
und iſolirt nimit, und dalier oft der einen
allein beylegt, was die übrigen eben ſo wohl
an fich , haben . I
Die Unbeftimmtheit in der Terminologie
rächt ſich an ihm auch in dieſem Theile ſei
ner Philofophie. Alle Augenblike ſieht er
fich genöthigt, ſeine Benennurgeň zu recht
fertigen , und vorhergehende Ausdrüke in
der Folge einzuſchränken oder zurükzuneh
jpen. Wenn er z . B. Anfangs behauptet,
Freude und Schmerz ſeyn keine Leidenſchaf
ten , und ſie demohnerachtet gegen das Ende
unter
22
und anter dieſer Geſtalt aufführt, ſo muſsen
ires ſeine Zuflucht zu einer Künfteley nehmen,
welche viel ſubtiler und fpizfindiger iſt, als
manche andre , die er an frühern Moraliſten
bitter tadelt. Und wenn er fo oft ſeinem
Leſer zuraft : Nenne es fooder fo , nur
ſtreite nicht im Worte ; fo haben ihm meh
lid rere feiner Gegner gezeigt, daſs er eben
durch dieſe Willfährigkeit wahren Sachen
Streit, wenn ich ſo ſagen darf , veranlaſst
habe, 2.0

Eins der ſchwerſten und wichtigſten Pro


bleme, die Frage über die menſchliche Frey
beit, hat er äußerſt ſeicht abgefertigt. Aber
er iſt zu entſchuldigen. Denn da er bey
allen feinen philofophifchen Unterſuchungen
immer das Syfterin der geoffenbarten Religion
vor Augen behielt: fo mufste es ihm unnütz
fcheinen , einen Gegenſtand zu unterfuchen ,
über welchen ihm die Bibel ſchon ganz ah .
geſprochen zu haben ſchien . Er erklärt ſich
darüber ausdrüklich fo : „ Zu der Erkennt-.
„ nis des natürlichen Unvermögens und Unzu.
länglichkeit der nenſchlichen Kräfte haben
mich ſo viel klare Sprüche, die in
dans
Büchern heil. Schrift ſtehen , durch Gottes
Gnade
28

„Gnade gebracht, und gewieſen , wie die


„ mir noch anklebende gemeine Lehre unſrer
„Leute von dem freyen Willen des Menſchen
damit nichtbeſtehen könne * ).“ „ Gott , ſagt
ser in ſeinem Glaubensbekenntnis , iſt allein
der Urheber und Vollender der höchſten
„ Glükſeeligkeit , und der Menſch trägt dazu
mnicbts bey , als Hindernis und Widerſtand,
„und , wenn es hoch kommt, Unterlaſsung
dieſes Widerſtandes **). Er verſteht alſo
unter Freyheit eigentlich die freye Macht des
menſchlichen Willens, beller zu werden,
ohne göttlichen Beyſtand , aus und durch
fich ſelbſt ; und es iſt daher conſequent,
wenn er , ohne dem Menſchen freyen Willen
zu laſſen , dennoch eine Zurechnung annimmt.
Aber wohl zu merken , nur eine Zurechnung
des Böſen zur Strafe , nicht aber des Guten
zum Lobe auch dieſes, wie mir dünkt , ſeis
nem übrigen Syſteme vollkommen gemäſs ***).
Wie

* ) S. 531.
1
** ) S. 543.

***) In der Folge hat er zwar dieſe Behauptungen


( in den Çautelen Kap. 14. S. 361. £.) einigera
maſsen,
3

29

Wie leżcht es fey, bey einer ſelbſtgemach


ten philoſophiſchen Terminologie die Mey
nungen Andrer falſch zu finden und zu wi
derlegen , beweiſt ſeine Moral ebenfalls. Da
in ſeiner Sprache , wie erwähnt, die Be
nennungen der Triebe und ihrer Grade alle
fynonym find , da er fie ein für allemahl
nur als unvernünftige Liebe gelten läſst; fo
hat er mit der Widerlegung der Peripateti
ker , Stoiker , Epicuräer und Cartefianer
( im zweyten Hauptſtüke der pract. Moral )
leichtes Spiel Ich habe in dieſem ganzen
Abſchnitte nichts gefunden , , was eine kriti
ſche und unbefangne Prüfung verriethe .
Daſs

maſsen zurükgenommen. Aber der Grund die


ſer Aenderung iſt eben nicht der feſteſte. Er
so that
unterſcheidet nemlich ( in den Fundamentis Ju .
ris Nat. et G. Kap. 1. n. 97. 118 und Kap. 2. 11.
104. f .) zwiſchen Freywilligkeit und Freyheit
des Willens , und will durch dieſe Unterſchei.
dung die Kräfte des Menſchen ſowohl, wie die
Nothwendigkeit eines höhern Begltandes retten .
Die Freywilligkeit nennt er in dem lat. Werke
libertas arbitrii , die Freybeit fpontaneitas , und
man ſieht alſo , ohne mein Erinnern , worauf
die ganze Beſtimmung binauslauft,

}
30

Daſs er übrigens ſeine phyfiologiſchen


Lemmata beynahe nur zur Ausſchmükung
gebrauchte , und bey der erſten Gelegenheit
fallen liefs , iſt ſchon oben erinnert worden.
Der Verſtand , ſagt er in der Logik , wird
durch die Bewegungsgeiſterchen in den Senn
Adern ( Nerven) gerührt. Der Wille , er
klärt er in der Moral , wird durch die Le.
bensgeiſter in dem Geblüte in Bewegung ge
fezt. Wäre er mit dieſer Hypotheſe weiter
gegangen und hätte er ſie bey der Erklärung
der Triebe und Leidenſchaften zum Grunde
gelegt: fo müſte ſeine ganze Darſtellung eine
andre Wendung genommen haben . Er be.
dient fich ihrer blos dazu , zu zeigen, daſs
die natürlichen und eigenwilligen Eindrüke
der äufern Dinge, ( unter jenen verſteht er
folche , die aus der Natur der Gegenſtände,
unter dieſen folche,, die aus der Beſchaffen.
heit des Herzens oder der Einbildung ein
zelner Menſchen herrübren ) völlig einerley
feyn , und daſs folglich zwiſchen Naturinſtinct
und Leidenſchaft kein Unterſchied Statt finden
könne. Allein eben da, wo man die nähere
Beſtätigung dieſer Idee verlangt, weiſt er
uns mit einer Vergleichung ab und ſezt hinzu:
Die
31

Die Gemüthsbewegungen werden deutlicher


empfunden als beſchrieben .
| Was nun den Werth dieſer Thomnafiusſchen
Sittenlehre überhaupt betrift: ſo iſt dasjenigen
was der Verfaller ſelbſt davon rühmty . freyo
13
lich nicht eben ſehr bedeutend. Vorausge
[ezt, was er überall lehrt, daſs der Wille
über den Verſtand, nicht dieſer üher jenen
herrſchen und daſs der Wille des Menſchen
durchaus verderbt fey, kann nach ſeinem
Urtheile eine Sittenlehre, zur Beſſerung des
Menſchen nur wenig beytragen : Sie kann nur
fo viel bewirken, daſs der Menſch vor dem
Schlimmerwerden ſich hüten lerne , daſs er
fich felbft und Andre genauer ſtudieren und
aus dieſem Stndium Regeln des Umgangs ab.
ziehe. - Ausdräklich beſtimmt er ſeine Sitten 1
ީ‫ޖ‬
ަ‫ނަމ‬ Jehre nur für Verführte und Verführer , als
einen Spiegel, worinn fie fich betrachten
follen . Haben Sie darinn ihre Fleken erblikt,
ſo verweiſt er fie auf die heilige Schrift , wo
fie lernen ſollen , unter dem Beyftande der
göttlichen Gnade fich von dieſen Fleken zu
reinigen und zu der chriſtlichen , allein durch
den Glauben möglichen , Vollkommenheit auf
Erden zu gelangen. Wenn wir jezt über die
Ver
52

Verdienſte dieſer Moral eine Unterſuchung


anſtellen : ' ſo fallen wir die Frage allgemei
ner : Hat Thomafius ein gültigeres Princip
der Moral aufgeſtellt ? Hat er paſſende Mo
tive zum Handeln gegeben ? Hat er die
fchwere Aufgabe von der menſchlichen Frey
heit ‫ ܐ‬ihrer Entſcheidung näher gebracht?
Hat er neue Einſichten in die moraliſche Na
tur des Menſchen gehabt oder veranlaſst?
Hat er insbeſondre das Begehrungsvermögen
des Menſchen tiefer “, unterſucht und zerglie
dert? Auf dieſe und ähnliche Fragen wird
Jeder, der ſeine Werke ſtudiert hat, dreeft
mit Nein antworten können , wenn er gleich
eben lo zuverſichtlich nachgeben kann, daſs
Thomafius auch in dieſem Stüke zu einem
freyern Nachdenken über Moral und Sittlich
keit beygetragen und manche ſehr richtige
Bemerkungen über menſchliche Charactere
geliefert hat, deren weitre Unterſuchung und
Anwendung für die ſogenannte Philoſophie
des Lebens gute Folgen gehabt hat. Darf
ich mein Urtheil über dieſes Gleichnisreiche
Werk mit einem Gleichniſſe ſchlieſsen : ſo
iſt der theoretiſche Theil der Thomafiusſchen
Moral keine Anatomie oder Phyfiologie , und
'der
33

der practiſche keine auf jene gegründete Hei 4

lungs- oder Geſundheitslehre, ſondern das


Por Ganze iſt eine Beſchreibung der vornehmſten
Krankheiten und ihrer Zeichen , mit Klagen
über die menſchliche Gebrechlichkeit und
regi einigen diätetiſchen Regeln durchwebt, ind
febrer mit der Anweiſung beſchloſſen , einen tüch
tigen Arzt um Rath zu fragen , wenn man
rengi
mit dieſen Krankheiten behaftet ſey * ).

Mit der Moral unſers Verfaſſers ſcheint


nd eine
fich am beſten der Beytrag verbinden zu laf
reer
fen , den er zu einer practiſchen Anthropo .
logie geliefert hat , die neue, Erfinduug einer
zohlgegründeten und für das gemeine Weſen
höchftröthigen Wiſſenſchaft , das Verborgne des
Herzens andrer Menſchen , auch wider ihren
3

Willen , aus der täglichen Umgange kennen zu


lernen . Schon ältere Gelehrte wollten das
Prä.

*) Ein Hauptfehler iſt auch dieſer , daſs Th, fich


nicht einmahl eine beſtimmte Gränze zwiſchen
theoretiſcher und practiſcher Moral lezte. In
ſeiner Ausübung kommen viele Puncte vor , die
eigentlich in die theoretiſche Einleitung gehöret
hätten .
lige

1
G
34

Prädicat einer neuen Erfindung 'nicht gelten


laſſen , und beruften ſich auf das hundert
Jahr früher erſchienene Werk des Petrus
Pontius, deſſen Ideen und Methode fie logar
leichter , einfacher und nüzlicher fanden.
Doch wir haben uns hier nicht auf Literatur
einzulaſſen . Thomafius ſucht zu beweiſen,
daſs die von ihm gerühmte Phyfiognomik
möglich ſey, daſs man nach gewiffen in der
menſchlichen Natur gegründeten Regeln erſte .
lich den Hauptaffect eines Menſchen , dann
die beſondern Leidenſchaften deſſelben ere
gründen , und hieraus ſowohl ſeine Brauch
barkeit für den Staat , als beſonders ſeine
Geſinnung gegen uns felbft erkennen könne.
Daſs eben dieſe Kunſt aber auch gewiſs fey,
erhelle theils aus dem Zuruf jenes Weiſen :
Loquere , ut te videain ! iheils aus der Er
fahrung , welche uns feine Köpfe genung
aufſtelle , die einen Menſchen aus einigen
Mienen , beym Spiele , bey Tafel und bey
andern Gelegenheiten vollkominen kennen
lernten , theils auch daraus, daſs alles Thun
und Laſſen , wodurch Menſchen ihre Affec
ten zu verbergen ſuchen, affectirt ſey und
dergleichen Affectation nie lange dauern oder
im .
35

immerwährend gleich bleiben könne. Tho.


mafius felbſt rühmt fich , dieſe Kunſt fo
Pets ziemlich inne zu haben , und erklärt ſich
zu Proben bereit. Was er indeſſen in den
beyden hierher gehörigen Schriften ſagt, iſt
1877 abermahls nichts weiter , als Schilderung der
verſchiedenen Aeuſerungen menſchlicher Lei
denſchaften , mit den Vorzügen und Fehlern ,
die wir ſchon bey der Sittenlehre angemerkt
haben . Seit ſeiner Zeit iſt über Menſchen
kenntnis und Phyſiognomik ſchon ſo manches
Gute geſchrieben worden , daſs ein Auszug
aus dieſen Werken , den ohnedem der Ausa
zug aus der Sittenlehre ſchon überfüffig
macht , - keinen ſonderlichen Beyfall finden
würde. Auch nahm er in der Sittenlebre
‫میرو‬
Manches wieder zurük.

‫می زن‬
Ueber das Naturrecht waren ſeine Ideen
Sich nicht gleich. In frühern Zeiten legte er
nad das Puffendorfiſche Princip der Geſelligkeit
dhe
zum Grunde , aus welchem fich , wie es
ſcheint, ſein Grundſatz der vernünftigen Liebe
entſpann. In der Folge verwarf er jene
Meynung, und ſtellte dagegen den Grundſatz
auf: Man muſs dasjenige thun , was das
C 2 Le.
36

Leben der Menſchen dauerhaft und glüklich.


macht , und im Gegentheil f. w. Hier url
terſcheidet er drey Grundſätze , der Moral
( Honeſti ), des Wohlſtandes ( Decori ) und
des Naturrechts (Juſti ) Der erſte lautet :
Was du willſt , daſs dir die Leute thun fol
len , das thue du dir auch . Man heht, ohne
mein Erinnern , wie wenig dieſes Princip
mit ſeiner Sittenlehre ſtimmt . Der zweyte :
Was du willſt , daſs dir die Leute thun fol.
len , das thue du ihnen auch ; und der dritte :
Was du willſt, daſs dir die Leute nicht thun
follen , das thue du ihnen auch nicht Ich

weils ſehr wohl , was in den neueſten Zei


ten einige Philofophen , und vor allen Kant
ſelbſt * ), gegen dieſe Maxime eingewendet
1
haben . Aber ich kann mich von der Rich.
tigkeit dieſer Einwendungen nicht überzeu 1

gen . !! Weder der. Unbarmherzige, noch der


zum Tode geführte Verbrecher können ſich
hinter dieſen Grundlatz flüchten , da er offen
bar die Beſtimmung : ' unter denſelben Umſtän ,
den , in fich faſst. - Und wenn alſo der reiche
Unbarmherzige heh entſchuldigen wollte , dals
er

* ) Grundlegung ztur-Metaph. der Sitten S ..68.


37
er keine Wohlthaten an Arme auszutheilen
brauche , weil er von Andern keine erwarte ;
fra
ſo dürfen wir ihn nur fragen : ob er nicht,
wenn er arm und ladürftig wäre , dergleichen
erwarten würde ? Bey der groſsen Faſs:
lichkeit dieſer Regeln winde es Thomahos
‫ܐ‬
leicht geworden ſeyn , ein deutliches und
݂‫ܟ‬
brauchbares Syſtem des Naturrecies daraus
abzuleiten , wenn ihn hier nicht aber nahls
einige ſeiner Lieblingsmeynungen auf allerley
Nebenwege und Paradoxieen geleitet hätten,
T die dem Ganzen ſchaden . Die Lehre von
der Unterthänigkeit des Verſtandes unter den
Willen tritt auch in ſeinem Naturrecht allen
philoſophiſchen Beſtimmungen in den Weg,
und ſeine Unbeſtimmtheit über die Freyheit
des Menſchen läſst ihn zu keiner Entſchei
dan dung über die Gültigkeit der menſchlichen
Rechtsanſprüche kommen . Selbſt die Lehre
et
Ber vom Gewiſſen verwirft er als' faſt ganz un
brauchbar fürs Leben , und der feſtgeſézte
Unterſchied zwiſchen innerer und äuſerer
Verbindlichkeit , ( wovon die erſte den Men
Het is ſchen tugendhaft , die leztre aber ' gerecht
mache ) iſt offenbar ſehr ſchwankend . Dieſe
Ideen gehören jedoch nicht eigentlich zum
C3 Na

3
38

Naturrechte , und, wenn Thomafius, nach


Hufelands Beinerkung * ), die Principia ho
neſti et decori ganz weggeſchnitten båtte, fo
würde ihm die Ebre zu l'heil geworden
ſeyn , die ſein Schül.c Gundling durch ge
ringe Mübe erworlen hat , daſs man mit ihm
eine neue Epoche in der Geſchichte dieſer
Willenſchut eröfnen würde.

Ich darf die groſsen Kenntniſſe nicht ver


gelfen , welche Thomafius in der philoſophie
Ichen Geſchichte beļals , und auf welche er
ſich ſelbſt etwas einzubilden ſchien ** ). Viel
dayon hatte er geſtändlich den Handſchriften
feines Vaters Jacob Thomaſius zu verdanken.
Seine Geſchichte des Naturrechts iſt noch jezt
ein brauchbares Werk , und ſeine gelegent
lichen Bemerkungen ſowohl, als die beſon
dern Abhandlungen über Puncte aus dieſer
Geſchichte zeugen , daſs es ihm nicht an
hiſtoriſchen Datis , wohl aber an derjenigen
Unpartheylichkeit fehlte , welche zu jeder
Art

* ) Verſuch über den Grundſatz des Naturrechts.


7 S. 23. Vergl. S. 63 und gif.
**) S. Vorrede zur Einl, in die Vern . S. 56.
39
Art von Geſchichtſchreibung unentbehrlich iſt.
Schon der gehäſsly . Name Sectirer, den er
faſt allen philoſophiſchen Schulen beylegs,
worunter er einen eingebildeten und unduld.
famen Vielwiſſer verſteht, und d. Kennzei
chen der Sectirerey , welche er ( z. B. in
den Cautelen Kap. 6. S. 113.) angiebt, und
welche grade in den Hauptlehren der Syſte
me ſelbſt beſtehen , muſten ihm den ganzen
3
Geſichtspunct bey dieſem Studium verrücken.
Wie dem aber auch ſey , ſo machte er doch
die Gelehrten darauf aufmerkſam , wie viel
aus der Geſchichte der Philofophie für die
Bearbeitung dieſer Wiſſenſchaft ſelbſt zu holen
fey , und wer die Schriften unſers Philofo
phen und die Geſchichte des gelehrten Bruker
geleſen hat , wird wiſſen , wie manche Bes
merkungen der leztre ihm verdankt, wenn
er gleich nicht immer die Quelle nennt.

Da die Philoſophie in jenem Zeitalter an


Leibnitz und Wolf * ) zwey ſo wichtige
! C4 und

13 * Leibnitz ſtarb 1716. Thomaſius 1728. Wolf


2754. Des leztern erſter Aufenthalt zu Halle
fällt von 1701 bis 1721.
40
und eifrige Bearbeiter gefunden hatte : ſo
von ſelbſt auf: was
dringt ſich uns die Frage
Thomafius von der Bemühungen dieſer Den
ker gehalten boe ? Offenbar zeigte er gegen
die Leibnituiſchen eine auffallende Gleichgül.
tigkeits und in Rükſicht deſſen , was Wolf
1 1

his dabin verſucht hatte, äuſerte er ſeine


Unzufriedenheit laut. Er tadelte die Wolf .
ſche Abhandlung über die Moral der Sineſer
Scharf und bitter , und zog den Hochmu
th
der Mathematiker durch , die ſich erkühnten ,
die Philoſophie und insbeſondre die natürli
che Theologie nach den mathematiſchen
Grundſätzen zu verbeſſern , oder vielmehr
zu verderben u. f. w. * ). Wer indeſſen die
oben angeführten allgemeinen Puncte über
den Geiſt und Character des Thomafius ' ver
gleicht , und dazu niinmt, daſs er , gegen
die lezte Zeit beſonders, ſeine Thätigkeit an
zu vielerley und verſchiedne Gegenſtände
wenden muſte , den kann dieſes Benehmen
weiter nicht befremden : gewiſle Menſchlich
keiten nicht einmahl gerechnet, von welchen
der gute Mann fich ſelbſt nicht freyſpricht.
Die

* ) S. deſſen Anhang zu den Gemiſchten Händelu.


41 .
* Die mittelbaren Verdienſte dieſes unver
geſslichen Mannes um die Philoſophie zu un
terfuchen , iſt hier meine Abficht nicht. Ich
habe daher von ſeinen Schülern und Nach
folgern , von dem Einfluſse und der Verbrei
a tung ſeiner Philoſophie nichts zu ſagen. Viel.
al leicht würde auch eine Erörterung dieſer
Art ſehr ſchwer ſeyn , und ohne vollſtändi
gere Zeitgeſchichte nicht gründlich ausfallen .
Thomaſius wird überall gelobt, aber we.
nig geleſen. Sein Styl und ſeine ermüdende
Weitſchweifigkeit mögen viel Schuld daran
haben. Ich glaubte daher , keine unnütze
und zwekwidrige Arbeit zu unternehmen,
wenn ich aus ſeinen beyden Werken über
Logik und Moral einen kurzen und körnich
ten Auszug lieferte , und das , was er zur
Berichtigung einiger Ideen in den Cautelen
nachgebracht hat , hinzuſezte. Daſs ich da
bey Styl und Sprache reformiren muſte , ver
‫زومی‬ ſtand fich von ſelbſt : aber ich habe mich
ſehr gehütet , ſeinen Ausdrüken , beſonders
in wichtigen Sätzen , ſolche neue unterzu
fthieben , die ihm etwa zugleich neue Be
griffe andicbten könnten. Wo ich daber
einen heute gebräuchlichern philoſophiſchen
C 5 Kunſt
42

Kunſtausdruk gebraucht habe , iſt der des


Thomafius zugleich mit bemerkt. Jeder Le.
ſer , der ſich die Mühe nimmt , dieſe Aus
züge mit den Schriften ſelbſt zu vergleichen,
wird mir das Zeugnis einer treuen Ueber
ſetzung nicht verſagen können. Einzelne
Tehr trefliche Bemerkungen und Ideen des
Verfallers haben mich für die Mühe belohnt.

Einleitung zu der Vernunft - Lehre u. 1. w .


Vierte Auflage. Halle 1711. 8.
Ausübung der Vernunft - Lehre u. f w .
Halle 1710. 8.
Von der Kunſt vernünftig und tugendhaft
zu lieben , oder Einleitung zur Sitten
Lehre u. l. w. Halle 1710. 8.
Von der Arzeney wider die unvernünftige
Liebe , oder Ausübung der Sitten
Lehre u. [. w. Halle 1704. 8.
Höchſtnöthige Cautelen , welche ein Stu•
diolus Juris u. L. W. Halle 1729. 8.

AUS .
43
1

Ile
A US Z UG

247 AUS 1

CHR . THOMASIUS VERNUNFT -LEHRE .

Die Vernunftlehre hat die Abſicht, die


Menſchen zu unterweiſen , wie ſie ihre Ver .
nunft in der Erkenntnis der Wahrheit überhaupt
recht und gemeinnützig gebrauchen ſollen . Sie
iſt in der Natur der menſchlichen Vernunft
. ſelbſt gegründet. Die Regeln , welche fie
giebt, find ganz allgemein , über den Ge
3
brauch der Vernunft überhaupt zur Nachfor
ſchung ſowohl als Erforſchung der Wahrheit :
die Anwendung dieſer Regeln iſt andern Wif
ſenſchaften überlalſen .
Sie hat zwey Theile. Der erſte enthält
die allgemeinen Begriffe von Vernunft, Wahr,
heit,
44
heit , Principien' und Kriterien der Wahrheit.
Der zweyte begreift eine Anweiſung Zur Er
forſchung und Mittheilung der Wahrheit , ſo
wie zum Verſtehen , Beurtheilen und Wider
legen fremder Meynungen .

Theoretiſche Logik,
I. Von der menſchlichen Vernunft.

S. .
Um die Vernunft gehörig brauchen zu
lernen , muſs man erſt wiſſen , was eigent
lich Vernunft ſey. Um diefs zu wiſſen,
muſs man vorher unterſuchen , was der
ganze Menſch ſey.

S. 2.
Der Menſch gehört unter das Geſchlecht
der Thiere. Aber er iſt von allen Thieren
unterſchieden , nicht ſowohl durch ſein Aeu.
ſeres und der Bau ſeines Körpers : als viel
mehr durch innre Eigenſchaften .
$. 3.
1 Der auffallendſte Unterſchied beſteht in
der Rede. Rede iſt die Bezeichnung menſch
Jicher
45
licher Gedanken ( Vorſtellungen ). Gedanken
fand innerliche Reden . Wenn ich denke,
fo rede ich mit mir ſelbſt über die Formen ,
Vorſtellungen ( Bildungen ), welche durch die
Bewegung äuſerer Körper vermittelſt der Or
gave meinem Gehirne eingedrükt werden.
Unter äuſern Körpera iſt alles das zu
verſtehen , was auferhalb meines Gebir
nes iſt.

$. 4.
Die Sinnlichkeit iſt doppelt , äufere , wenn
das Gehirn unmittelbar durch äufere Körper
vermöge der Organe afficirt wird , und innre,
oder Bewuſstſeym
Im gemeinen Leben verſteht man un .
ter äuſerer Sinnlichkeit die Sinnorgane,
Allein dieſe haben keine wirkliche Sinnlich
keit , weil dieſe nie ohne Erkenntnis , und
Vorſtellung feyn kann.
i de
Zum innern Sinne gehören Einbildungs
kraft und Gedächtnis .

5. 5.
s Die Gedanken ( Vorſtellungen ) find ent
weder leidend oder thätig. Jenes ſind die
Vor

1
46
Vorſtellungen der äuſern Sinnlichkeit. Dieſe
beſtehen darinn , daſs der Menſch die em .
pfangenen Eindrükê zuſammenſezt, ordnet,
unterſcheidet. ( Receptivität und Spontanei
tät. )
1. Wahrſcheinlich geht das Denkgeſchäft
im ganzen Gehirn vor. Man würde viel.
leicht durch Microscope die Eindrüke
der Forinen im Gehirn entdeken , ſelbolt,
ohne den Menſchen zu töd.
wenn man ,
ten , ihm die Hirnſchale abſägen könnte,
die Bewegungen beym Denken im Ge.
hirne entdeken können .
2. Unterſchied der Vorſtellungen und Hand
lungen der Thiere. Nächſt dem , was
Inſtinct und Gewohnheit thut, baben fie
wohl eine Art von innerem Bewuſstſeyn,
aber wir kennen dieſs ſo wenig, wie
das innre Weſen andrer Dinge.

§. 6 .
Der Menſch iſt ein körperliches Weſen,
wel s fich bewegen und denken kann. Er
che
Die Seele iſt der
beſteht aus Leib und Seele .
Weiter " kann ich vor
Theil , welcher denkt.
der Seele nichts ſagen ,
47

§. 7.
Die Gedanken des Menſchen beſtehen in
zwey verſchiednen Arten , Verſtand und
Willen .
Verſtand heiſst auch fonſt Vernunft,
wir brauchen dieſe Ausdrüke einen für
den andern. Defters umfaſst das Wort,
Vernunft, Verſtand und Willen zuſammen ,
1
S. 8.
Der Verſtand iſt die leidende oder thätige
Vorſtellung vom Weſen und der Beſchaffen
heit der Dinge.
goede
Die Wirkungen des Verſtandes, in Rük.
ficht der äuſern Dinge , find entweder zwei
felhaft oder von allem Zweifel frey . Bey jenen
· fragt der Menſch immer nach etwas : die
leztern bejahen oder verneinen etwas be
ſtimmt.
1
Sie gehen auf ein äuſeres Ding entweder
an und für ſich , oder in Verhältnis mit an.
dern Dingen. In jenem Falle wird das Seyn,
Wefen und die Beſchaffenheit eines Dinges
überhaupt oder der Theile dellelben , auf
die Fragen : Ob , Wenn , Wo , Wie , In
wiefern ? unterſucht. Im leztern wird eine
Gleich
48
Gleichheit oder ein Unterſchied , auf die Fra
gen : Wie viel, Wie groſs ,, Wie gleich ?
betrachtet . Außerdem kommt der Dinge
Bewegung , Dauer , Urſprung und Wirkung auf
die Fragen : Woher , Wohin , Woraus , zu
was Ende ? in Unterſuchung,

$. 9.
Bey allen dieſen Vorſtellungen werden
dem Gehirne Formen (Bildungen ) eingedrükt,
welche durch die Bearbeitung des Verſtandes
Abſtractionen werden . Die Auffaſsung dieſer
Abſtractionen , wie ſie von vorhandnen Din.
gen an und für fich veranlaſst wurden, ilt
Gedächtnis. Die Zuſammenſetzung oder Un
terſcheidung derſelben nach eigner Willkühr
Aus erka . nn
iſt Werk der Einbildungskraft.
ten Abſtract ione n unerkannte hervorſuchen,
iſt das Vermögen zu ſchlieſsen ,

$. 10.
Dieſe Wirkungen des Verſtandes , oder Er
kenntniſſe , find klar 1. f. w. Eine klare Er
kenntnis iſt die , welche dem Verſtande, von
vorhandnen ſinnlichen Gegenſtänden , durch
die aufern Sinne und durch eine ſtarke Bes
we
1

49

wegung mitgetheilt wird. Dunkel iſt fie ,


wenn der Gegenſtand von den Sinnen ent
fernt iſt , oder fie nur ſchwach afficirt.
Deutlich , wenn ich die Theile eines Ganzen
erkenne. Undeutlich , wenn ich nur das
Ganze (Mannigfaltige ) mir vorſtelle.

1.19
II. Von logiſchen Kunſtwörtern
S. 11 .

Kunſtwörter find allgemeine Begriffe von


dem Weſen der Dinge überhaupt.

8. 12.
Ein Ding, Etwas iſt das , wodurch ich
alles, was in und auſer dem Menſchen war,
iſt und ſeyn wird , verſtehe. Das Gegentheil
ift Nichts. Was leyn kann , iſt ein möglich
Ding , was bloſs in der Vorſtellung iſt, heiſst
ein Gedankending, was auſer der Vorſtellung
wirklich iſt , heiſst ein reelles Ding. Jedes
reelle Ding ift. Das Seyn eines Dinges iſt
das , wodurch des Menſchen Sinnlichkeit ,affi.
cirt wird, Das Seyn iſt überall Einerley,
das Weſen iſt ſo vielfältig , wie die Dinge
felbft .
Alles
50.

Alles übrige , wie in den gewöhnli.


chen Ontologieen .

III. Von der Wahrheit.

$ . 13.
ng
Wahrheit iſt die Uebereinſtimmu der
menſehlichen Gedanken ( Vorſtellungen ) mit
der Beſchaffenheit der Dinge auferhall) der
Gedanken .
Muſs der Verſtand mit den Dingen,
}
oder dieſe init dem Verſtände überein
ſtimmen ? Dieſe Uebereinſtimmung wird
von beyden zugleich vorausgeſezt, die äu
fern Dinge machen nur gleichſair den An
fang dazu . Denn die äuſern Dinge find
'ſo beſchaffen , daſs ſie von den Menſchen
erkannt werden können , und der Ver
ſtand iſt ſo beſchaffen , daſs er die äuſern
* Dinge erkennen kann . Die äuſern Dinge
afficiren die Receptivität (Empfindlichkeit)
; des Verſtandes : dieſer nimmt die Eindrüke
auf , vergleicht und unterſcheidet fie.
e : Die Nichtübereinſtimmung zwiſchen Ge
danken und Gegenſtänden erzeugest das Falſche.
enes
Ein für wahr gehalt Falſch iſt Irrthum .
Die
D 2
$

51

Die Schuld der Irrthümer liegt mehr .am


Verſtande , als an den Dingen.

$. 14 .
Das Wahre iſt entweder unſtreitig zeahr,
oder nur wahrſcheinlich.
Unſtreitig wahr iſt das , von deffen Ueber
einſtimmung jeder vernünftige Menſch , dem
wir es mit deutlichen Worten erklärt haben,
mit uns vergewiſſert iſt. Wahrſcheinlich , wenn
der innere Beyfall mit dem Gedanken verge
fellſchaftet iſt , daſs die Sache fich anders
verhalten könne.
re Dieſe Unterſchiede des Wahren rübren

3
von der verſchiedenen Beſchaffenheit der Ver
nunft in einzelren Subjecten her.
Alle unſere Vorſtellungen ſind nur wahr
oder falſch , in Beziehung auf etwas aufer
ihnen .

A IV . ' Von den Grundwahrheiten und all


gemeinen Principien.
S. 15.
Eine Wahrheit iſt mit der andern ver
knüpft , und ſo lange eine Wahrheit aus der
D 2 an.
52

andern erwieſen wird , iſt jene nie der Haupt


grund . Eine Grundwahrheit muſs unerweiſs
lich' ſeyn , d. h. weder bewieſen werden
können , noch dürfen . Man nennt ſie Prin
cip , indeſſen iſt Grundwahrheit und Princip
unterſchieden .

6. 16 .
Ein Princip iſt ein unerweiſslicher , allge
meiner , einziger Grundſatz , welcher den
Grundbegrif aller wahren Erkenntnis enthält.
Es heiſst : Alles was init der Vernunft des
Menſchen übereinſtimint, iſt wahr . " Alles, was
ihr zuwider iſt , iſt falſch .

$. 17.
Aber worinn beſtehet diefe Uebereinſtim
mung ? - Wir haben geſagt , daſs alle Gedan
ken ( Vorſtellungen ) entweder leidend oder
thätig find . Jenes die Anſchauungen ( Sinnen ),
dieſes die Jdeen des Verſtandes ; Begriffe.
Mithin zerfällt jenes Princip in zwey be
fondre :
Was der menſchliche Verſtand durch die Sinne
Was den Sinnen zile
erkennt , iſt wahr.
wider iſt, iſt falfchos Es
1

53

Es wird vorausgeſezt, daſs der Menſch


gute Sinnen habe und in dem Zuſtande
des vollen Bewuſstſeyns ſey.
Die Sinne trügen nicht. Man unterſcheide
nur die Vorſtellungen von den Gegenſtän,
den ſelbſt. Jene täuſchen uns niemals,
dieſe können an fich ganz anders ſeyn , als
unſre Vorſt. von ihnen. Die Schuld fol.

cher Täuſchung liegt keinesweges an den


Sinnen , ſondern an der Voreiligkeit un
ſers Urtheils.
Wir müſſen die Erkenntniſſe ( Vorſt .)
von einem Objecte nicht dem Objecte
ſelbſt zuſchreiben , wenn fie sich ver
1

mittelſt der Sinne bey uns verändern


z . B. Wärme.
Wir müſſen eben darum nie abſolut,
ſondern relativ von ſolchen Vorſtellun
Let
gen urtheilen .
des
Die Begriffe ſtehen mit den Anſchauungen
( Sinnlichkeiten ) in der engſten Verbindung.
Die Sinnlichkeit ſtellt mir lauter Individua
vor, ' ohne Ordnung und in Mannigfaltigkeit.
Die Verknüpfung und Unterſcheidung dieſer
Eindrüke iſt eine Wirkung des Verſtandes,
welche theils vorher im Vermögen des Men
D 3 ſchen
54.
ſchen geweſen ſeyn muſs , theils nachher aus
eigner Willkühr entſteht.
Ohne Verſtand würde der Menſch nicht
Menſch ſeyn . Ohne Sinnlichkeit würde ſein
Verſtand nicht thätig ſeyn können. Die Be.
griffe Setzen durchaus Anſchauungen voraus.
Nihil eſt in intellectú , quod non prius fuerit
in ſenſu . Begriffe find Definitiones ,rerum,
d. h. allgemeine Beſtimmungen der Dinge.
Allo lautet der zweyte Satz :
Was mit den Begriffen , welche fich der
menſchliche Verſtand von den durch die
Sinne ihm vorgeſtellten objecten macht,
Was ihnen zu
übereinkoinint , iſt wahr.
wider iſt, iſt falſch .

Von den apodictiſchen Wahrheiten und Uns


wahrheiten , die durch die erſten Prin
cipien erwieſen werden .
18. 1

Das aufgeſtellte Princip wird ſchlechtweg


verſtanden. Und mit ihm ſind alle Wahrhei.
Will ich alſo andre Wahr.
t.
verknüpffe
ten en
heit begrei n , fo muſs ich ihre Verknüp
fung mit dem erſten Princip begreifen .
6. 19
55

CUP $. 19 .
Beweiſen heiſst darthun , daſs und wie
eine Wahrheit mit dem erſten Princip ver,
knüpft ſey.
S. 20 .

Es iſt ein groſser Unterſchied zwiſchen


Wahr und Falſch ſeyn , und zwiſchen Er
kennen , daſs etwas wahr oder falſch ſey :
zwiſchen erkennen , daſs etwas falſch ſey,
und etwas Falſches erkennen. Jenes heiſst
einſehen , daſs ein Subject und Prädicat fich
widerſprechen : dieſs heiſst, zwey wider
ſprechende Begriffe als nichtwiderſprechend
T: begreifen wollen.

V. Vom Nichterkennbaren .

S. 21 .

Etwas iſt nicht erkennbar , entweder für


die Vernunft überhaupt, oder für einzelne
Menſchen . Unter das erſtre gehört z. B. der
Begrif von Gott. Die Vernunft erkennt , daſs
ein Gott ſey, aber das Weſen deſſelben er
kennt ſie nicht : Sie kann nur ſagen ,' was
Gott nicht ſey. Die leztre Art des N. iſt an
sich deutlich .
D4 VI.
56

VI. Vom Wahrſcheinlichen .

$. 22 .
Wahrſcheinlich iſt , wobey der Verſtand
einfieht, daſs es eine bloſse Meynung ley,
die er zu keiner Gewiſsheit bringen kann.
( Ueber eigne und fremde Erfahrung; von
der hiſtoriſchen Glaubwürdigkeit .) 1

Aller Beweiſs iſt nur wahrſcheinlich , wenn


der Grund delfelben auf fremder Erfahrung
1
oder Induction beruht..

VII. Von den Gegenſtänden der Er


kenntnis.

$. 23.
Der Menſch will erkennen , entweder die
Dinge auſer ihm , oder fich ſelbſt.

I. Dinge auſer ihin .


Hier kommt zuerſt in Betrachtung, ob
he gegenwärtig , vergangen oder künftig hed?
Von abweſenden Dingen iſt unſre Er
kenntnis nur wahrſcheinlich und dunkel,
weil wir fie nicht durch die Sinnlichkeit
Eben fo ver
uns vorſtellen können.
gangne und künftige Dinge.
Ein
57

Ein gegenwärtiger und hinlänglich na


her Gegenſtand allein giebt klare und
deutliche Erkenntnis , und zwar um ſo !

mehr , je länger diefer Gegenſtand vor


uns dauert.

. 24.
Der Menſch hat keine gewiſſe Erkenntnis
von ſeiner Subſtanz , ſondern nur von den
Accidenzen .
Die Accidenzen können unter zwey Klaf.
ſen gebracht werden , Körperlichkeit und
Bewegung . Von beyden haben wir klare
und deutliche Erkenntnis . 1

Alle B :weife ſetzen eine Subſtanz voraus,


von welcher etwas prädicirt wird. Aber
nicht die Subſtanz ſelbſt , ſondern nur die
Accidenzen werden demonſtrirt.
Wir erkennen an den Dingen die Materie,
inſofern Sie uns afficirt, klar und deutlich ;
die Form , d. h . die Vereinigung der Theile
in der Subſtanz nicht ſo . Wir erkennen die
vorhandne Wirkung einer Subſtanz , den Ur.
Sprung nicht immer. Es giebt eine erſte wir .
kende Urſache, aber ihr Weſen erkennen wir
nicht. Die Endzweke nur wahrſcheinlich .
D 5 $. 25.
58

$. 25.
Die Eintheilung in geiſtige und körperli
che Subſtanzen fällt weg , ſo lange man nach
der bloſsen Vernunft verfährt. Der Verſtand
kann fich von Geiſt keinen Begrif machen .

S. 26.
Eben ſo wenig darf man die körperlichen
Subſtanzen in einfache und zuſammengeſezte
theilen . Das Einfache kann der Menſch nicht
erkennen . Alle Gegenſtände unſrer Erkennt
nis find zulaininengeſezt.
Ueber die Eingeſchränktheit unſrer
phyſiſchen Kenntniſſe .

$. 27 .
II. Der Menſch ſelbſt.
Der Grund aller Wahrheiten liegt im Menu
en
ſch ſelbſt und der Menſch hat von fich
die gewiſſeſte und meiſte Erkenntnis .
Nur inſofern nicht, als er ein Weſen
hat, welches mit den Dingen auſer ihm

eine Gemeinſchaft hat.


Der Menſch kann vermöge ſeines Ver
ſtandes viele Wahrheiten erfinden , und be
fizt Kunſtfertigkeit. Zwar
59

Zwar weiſs er nicht , was feine Seele


ſey , die in ihm denkt , aber er weiſs , was
die Gedanken ſeyn , die in ihm von der
Seele gewirkt werden.
Von andern Dingen erkennt er die Zweke
nur wahrſcheinlich : ſeinen eignen Endzwek
unſtreitig gewiſs.
Eben ſo gewiſs, kennt er das Princip ſei
nes Thuns- und Laſſens.
Er kann ſogar andrer Menſchen Gedanken
und Eigenheiten kennen lernen , und weiſs
ſeine Beſtimmung auf Erden .

VIII. Von Erfindung neuer · Wahrheiten .


$. 28.

;
Die Erfindung neuer Wahrheiten iſt die
Ableitung neuer Schlüſſe aus bekannten Mit
tel -Sätzen .- Experire , Defini, Divide .
Definition iſt eine Beziehung der Gedan
ken von allgemeinen Begriffen. Sie iſt ent
weder nòminal , d. h . ſie ſtellt das Allge
meine der , als ein mit andern verbund .
nes ' oder in Theile theilbares Ganze über
haupt : oder " real, d. h . fie ſtellt es vor,
als ein mit andern nähern Ganzen verbund.
nes
60

nes und in die vornehmſten Theile theilba.


res Ganze .

Man kann keine Definition haben , wenn

man nicht das Ganze zuvor in Theile getheilt


hat. Definition und Divifion find alſo genau
verbunden. Derin man kann wiederum , ohne
zu definiren , kein Genus in ſeine Species
theilen . Jede neue Theilung giebt eine neue
Wahrheit.
1
Ueber hypothetiſch , affirmativ, ne
gativ u. f. w.

IX . Vom Irrthum .

$. 29.
Irrthümer haben ihren Grund a) in der
natürlichen Unvollkommenheit des Menſchen
von Kindheit an. Alles muſs dem Kinde
durch andre Menſchen beygebracht , oder in
ihm entwikelt werden , und dieſe Menſchen
find ſelbſt voll Irrthümer . b) in der Neu
gierde, welche felten Aufmerkſamkeit und
ruhige Betrachtung zuläſst , und ſtets mit Uns
geduld verbunden iſt, daher wir Schein mit
Wahrheit , Vorſtellungen mit Objecten verº
wech.
61

ele ‫ܘܬ݂ܳܐ‬ wechſeln . c ) in allzugroſser Sinnlichkeit und


Leichtgläubigkeit.
Man nennt die Irrthümer Vorurtheile ,
theils, weil ſie gewöhnlich dann entſtehn,
'wenn die Urtheilskraft noch nicht reif iſt,
AH
theils, weil der Menſch eher , urtheilet, als
er geprüft hat.
Es giebt Vorurtheile des Anſehens und
der Uebereilung. Jene find älter und ſchwe
rer loſs zu werden. Gewöhnlich ſind fie

beyde vereiniget. Nachläſsigkeit , Eigenliebe,


Gewohnheit, Furcht vor Neuerung , Ehrgeitz
und Herrſchſucht bekräftigen und ſtärken he.

Practiſche Logik.
T. Von der Erforſchung der Wahrheit.
$ . 30 .
zi
1) Hebe die Hinderniſſe weg, und bew
ſtreite die Vorurtheile.
Zweifle. Zweifeln heiſst entweder fragen ,
ob etwas in der Welt wahr oder falſch , oder
ob nicht vielmehr, alles bloſs wahrſcheinlich
fey ? oder fragen , was denn wahr oder
falſch oder wahrſcheinlich fey ? Jenes ile
der
62

der ſceptiſche ,' dieſes der dogmatiſche Zwei


fel. Der erſtre ‘iſt Thorheit , der leztre,
Weg zur Weisheitars
Woran ſoll man zweifeln ? Nicht an den
erſten Grundwahrheiten oder Principien , denn
dieſe bedürfen keines Beweiſes. Sondern an
den Folgerungen aus den Principien. Zwci.

feln heiſst nemlich , die Principien aufſuchen,


und darnach alle Vorſtellungen prüfen. Es iſt

alſo einerley mit fragen und ſuchen.


Zweifeln iſt nicht : gradehin etwas für
falſch halten . Denn in ;
a) was man für falſch hält , deſſen Geo
gentheil erklärt man für wahr. Iſt diels

ſo könnte man nicht ſagen, daſs man die


Wahrheit noch ſuche in
b ) die Sceptiker ſelbſt, welche an allem
zweifelten , hielten alles für wahrſcheinlich
oder unwahrſcheinlich , nie für falſch, denn
ſonſt hätten ſie das Gegentheil für wahr er
klären müſſen .
c ) Etwas anders iſt, eine Sache für falſch,
und fie nicht für wahr halten. Etwas anders

blind ſeyn und nicht ſehen:


2)
63

2 ) Verlaffe dich in Erforſchung der Wahr


heit niemals auf das Anſehen irgend eines
Menſchen .
Unfre Handlungen ſollen wir nach dem
Willen andrer einhichtsvoller Menſchen ein
richten : der Verſtand aber iſt keinen Geſetzen
unterworfen .
3 ) Hüte dich einer Sache als unſtreitigen
Wahrheit Beyfall zu gehen , wenn du die
ſelbe nicht mit allen Umſtänden unterſucht
**
und geprüft haſt.
4 ) Lerne unterſcheiden , was Wahrheit
und Wahrſcheinlichkeit iſt, was wir gewiſs
erkennen und was wir bloſs wahrſcheinlich
einſehen können .
5 ) Unterſcheide nüzliche und beluſtigende
Wiſſenſchaften . Unter jenen lerne vor allen
die , welche dich glüklich macht.
Die wahre Weisheit ſuche in dir,
nicht. auſer dir.
Lerne dich ſelbſt erkennen ! Das .
heilst :
1 ) Siehe unter dich , betrachte den Un
terſchied zwiſchen dir und den Thieren.
13 2) Siehe um dich , und bemerke deine
707
Verhältniſſe mit andern Menſchen .
3)

64
3 ) Siehe über dich , auf Gott.
Nach dem Einfluffe auf dieſe Weisheit,
nicht nach ihren erſten Grundſätzen und ih
rer Gewiſsheit , beurtheile den Werth einer
jeden Wiſſenſchaft. >

II. Von der Mittheilung der Wahrheit.


(Mehr eine Anweiſung für Jugendlehrer,
als eine allgemeine Methodik . Folgende
einzelne Ideen ſchienen mir des Aushe
bens werth .)

5. 31...
Man ſagt oft, die allgemeine Ruhe würde
verlezt werden , wenn die Unterweiſung der
Menſchen , wie ſie die Finſternis ihres Ver
ſtandes vertreiben ſollen , ( Aufklärung ), Je
dem frey ſtünde. Allein Menſchen , die
dieſs behaupten , wollen mit Fleiſs das Reich
der Finſternis vertheidigen , weil ſonſt ihr
Intereſſe und Anſehen litte. Die allgemeine
Ruhe kann durch die Lehre der Weisheit
fie hat vielmehr
nicht verletzet werden ,
keine feſtere Stütze , als dieſe , und keinen
gefährlicheren Feind , als den Irrthum .
Der

1
God Der Verſtand läſst sich nicht zwingen :
wer ihn von Irrthümern reinigen will , muſs
tatzen
es wie ein Arot machen. Der Arzt erzürnt
fich nicht, wenn ſein Kränker nicht geſund
wird. Wir dürfen Andere, die wir beleh .
ren wollen , nicht verfolgen , und Niernan
den unſre Meynungen mit Gewalt aufdringen .
Wer andre wegen ihrer Irrthümer nicht-dul
den will , gleicht einem Arzte, der in eine
Stadt voll Kranker käme, und verlangte,
Sie ſollten alle fort gehn oder gefund werden.
Aber man inacht hier einen Unterſchied zwi:
Schen gemeinen und anſtekenden Krankhei
ten . je gefährlicher eine
Ich antworte :
Krankheit, deſto treuer ſey der Arzt. Der
reen
Irrthum kann der Wahrheit nicht ſchaden ,
wenn ſie einmahl Raum gewonnen hat.

Catering III. Vom Verſtehen fremder Meynungen.


$. 32 .

( Voraus eine Anweiſung zur Benutzung


des Unterrichts.)
Allgemeine Regeln der Hermeneutik :
1) Betrachte die Perſon , welche ſpricht,
udi nach allen ihren Verhältniſfen .
E 2)
66

2) Vergiſs nicht, wovon eigentlich der


Autor reden will. Nimm alſo auf das Vor- ,
hergehende und Nachfolgende Rükſicht.
3 ) Unter zwey Auslegungen einer Stelle :
iſt die vernünftigſte vorzuziehen , ausgenom ,
'men , der Autor habe nicht vernünftig ſchrei..
ben wollen .
4 ) Man muſs der Auslegung folgen , wel
che mit den Principien und der Abficht eines
Autors am beſten ſtimmt,

IV . Vom Beurtheilen fremder Meynungen .


$. 33.
1 ) Urtheile nicht von Andrer Meynungen ,
wenn du nicht in deinem Kopfe aufgeräumt
haſt.
2 ) Urtheile nicht über Schriften aus einer
Wiſ ſchaft , welche du nicht verſtehſt.
ſen
nn
3 ) Urtheile nicht von einem Buche, we
du es nicht geleſen haſt, und zwar mit geo
höriger Aufmerkſamkeit.
( Man fällt gewößnlich über die Titel
der Bücher her . Je auffallender dieſe
Sind , deſto beſſer ſcheint das Buch felblt.
Ein politiſcher Maulaffe oder Feuermauer
keh
67

eigen: kebrer verkauft fich reifsend: Eine Dis


putation, welche nebſt dem lateiniſchen
Titel noch einen deutſchen hat , verkauft
fich beſſer , als andre. Wenn das Wort
curiös oder Curioſitäten auf dem Titel
ſteht, ſo glauben die Verleger , daſs ſie
das Buch deſto eher lofs werden .)
4 ) Urtheile nicht von einem Buche , wenn 1
du nicht Hermeneutik verſtehſt.
5 ) Urtheile nicht , wenn du das Buch
nicht mit gehöriger Unbefangenheit und Kalt
De
blütigkeit geleſen haſt.

Kennzeichen eines kritiſchen Ca


ra lumnianten.
‫سے م‬
1) Ein Calumniant dichtet einem Schrift.
ſteller einen Verſtand an , den er nie
vies
im Sinne gehabt.
Terning
2 ) Ein Cal. hebt zweydeutige Ausdräke
aus dem Zuſammenhange , läſst Wörter
aus', und rükt eigne ein.
3 ) Ein Cal. rechnet die Fehler des Ueber .
er die
ſetzers dem Autor , des Schülers dem
‫من ج‬
Lehrer , des Buchdrukers dem Verfaf
2 ſer zu .
E 2
68

4 ) Ein Gal. giebt für die Meynung des Ver


faſfers ſelbſt aus , was dieſer andern Per.
fonen in den Mund legt.
5 ) Ein Cal. ſieht nicht auf die wahre Ab .
ficht des Verf., ſondern ſchiebt ihm eine
erdichtete unter.
6 ) Ein Cal. vergleicht nicht die dunkeln
0 - Stellen eines Autors mit den deutlichern .
7 ) Ein Cal. legt einem Autor ſeine alten Irr
thümer immer von neuem zur Laſt.
8 ) Ein Cal. macht irrige Conſequenzen aus
dem Satze eines Autors.
9 ) Ein Cal. legt das Stillſchweigen ſeines
Gegners als Bekenntnis , daſs er über
wunden ſey , aus.
10 ) Ein Cal. richtet fich nach Andrer vor.
läufigen Urtheilen .

V. Vom Widerlegen Andrer.


( Das Gewöhnliche über Disputiren und
Streitſchriften , mit ſcharfen Ausfällen
auf die Streitigkeiten der Gelehrten .)
1

AUS.
69

ie wahr !

AUSZUG i
‫ܐ‬ AUS

CHR . THOMASIUS SITTEN - LEHRE.

1. Einleitung
8.1 .
Wahr und Falſch, Gut und Böſe beziehen
fich nur auf die Verhältniſſe der Dinge gegen
/
einander. Wahrheit beſteht in der Ueberein
ſtimmung der äuſern Dinge mit dem menſch
lichen Verſtande. Gut überhaupt heiſst,
wenn zwey Dinge übereinſtimmen , böſe,
re
wenn ein Ding dem andern zuwider iſt.
: .. Uebereinſtimmen heiſst hier , wenn ein
Ding das andre in ſeiner Subfiſtenz erhält,
und deſſen Weſen vermehrt.
E 3 Das

yo
Das Gute bedeutet alſo die Uebereinſtim
mung der Dinge mit einander überhaupt,
Die Dinge , von denen man fragen kann,
ob ſie in Rükficht des Menſchen 'gut oder
böfe find , find entweder in und an , oder
auſer ihm .

5
5.
Die Dinge in und am Menſchen ſind gut,
weil fie zu ſeinem Weſen gehören , ( den
Die auſer ihm find
Willen ausgenommen ).
1 an fich für ihn weder gut noch böſe, he
werden es erſt durch Beziehung auf ihn.
Das allgemeine Gut des Menſchen iſt die
Subfiſtenz , und dieſe iſt gut. tenz
was die Subfif des Gan.
Alle s o,
zen alſ
oder eines Theils , als den Grund
. ,
des Guten , ſtöhrt oder vernichtet, iſ
böle .
a) Alle Dinge ſind alſo gut oder böle,
je nachdem die Subfiſtenz des Men
Schen dadurch erhalten oder geſtöbrt
wird .
b) Ein kurzes Gute , welches mit ei
nem langen Vebel verbunden iſt, iſt
böſe . c)
71

c ) Das Gute , welches ' die Subfiftenz


einer menſchlichen Kraft befördert,
und der andern fubfiftentern Kraft
verringert , iſt böfe.
Alles , was des Menſchen Weſen und
Kräfte am dauerndſten erhält und ver
mehrt , iſt gute

Der Menſoh ſoll ſich bemüher , das Gute


zu erlangen. Die Anweiſung dazu giebt die
practiſche Philoſophie. Sie iſt alſo die Wil.
ſenſchaft, welche den Menſchen unterweiſet,
wie er glükſeelig werden ſoll. 1

Wir inüſſen aber erſt wiſſen , was Glük 1

feeligkeit iſt , und dann die Hinderniſſe hin


wegräumen , die ihre Erlangung hindern .
Dieſe Hinderniſſe kommen entweder aus uns
ſelbſt , d. h. aus unſern Leidenſchaften
ge davon handelt die Sittenlehre oder von
auſsen , theils durch Mangel Haushal

tungskunſt.- , theils durch Furcht vor Ge


het walt und Liſt Politik,

E4 II.

1
star
72

II.2 . Von der höchſten Glükfeligkeit.


8. 4 .
Dię Sittenlehre iſt die Wiſſenſchaft, wel.
che den Menſchen unterweiſet , worinnen
ſeine wahre und höchſte Glükſeligkeit beſteht,
wie er diefelbe erlangen , und die aus ihm
entſpringenden Hinderniſſe überwinden und
hinwegräumen folle.

8. 5.
Glükſeelig ſeyn, heiſst, das wahre Gut
befitzen . Die höchſte Glükſeeligkeit iſt ent
weder der Beſitz des edelſten Gutes, oder
der Befitz aller Güter insgeſammt .
Das Leben , oder die Vereinigung des Lei
bès und der Seele , iſt der Grund alles Gutes
des Menſchen .
Unter den Gütern des Leibes und der
Seele find die leztern die vorzüglichern.
Die wahre und größte Glükfeetigkeit des
Menſchen beſteht in einem ruhigen Verlangen
Sie iſt ein
gem
undlbe igten Vorſ
äſsden tellungen.
Woh fin , welches darinn beſteht, daſs
der Menſch weder Schmerz noch Freude
über etwas empfindet, und in dieſem Zu
de ſtan
73

ſtande fich mit andern Menſchen von gleicher


Stimmung zu vereinigen trachtet.
Sie flieſst aus einer vernünftigen Liebe zu
andern Menſchen , welche das eigentliche We.
ſen des Menſchen ausmacht. Denn , der
Menſch iſt ein geſelliges Thier , und ſein
höchſtes Gut iſt , wenn es andern , die er
liebt, wohlgeht. ? isrie

S. 6.
Der Grund aller Moralität iſt vernünftige
Liebe zu andern Menſchen , nicht Selbſtliebe.
Aber ſollte nicht z. B. ein Geitziger,
Wollüſtling hich ſelbſt mehr als andre
lieben ? Nein , er lieber nicht fich , ſon
dern die Gegenſtände feiner Laſter.
no 8. .
In der zweyten Bedeutung iſt die Glük
‫دور‬ feeligkeit Inbegrif der Geinüthsruhe mit den
weſentlichen Gütern , welche dazu nöthig ſind,
Weisheit und Tugend. Andre Güter , Ge
pal ſundheit, Reichthum , Ehre , Freundſchaft
ụ. a. ſind nicht weſentliche Beſtandtheile die
ſer Glükſeeligkeit.

‫دردوم‬ E 5 III .
74
III. Von Got't.

S. 8 .
Ohne die Erkenntnis von Gott iſt keine
vollkommne Gemüthsruhe möglich,

S. gw 8

Von dem Daleyn eines Gottes überzeugt


uns die ganze Natur. Er iſt Schöpfer und
Erhalter des Ganzen , wie ? darüber wollen
wir nicht grübeln , ' ſondern mit Ehrfürcht
anbethen. Die menſchliche Vernunft ſteht in
dieſer Erkenntnis Gottes ſtill , und hütet fich,
daſs ſie nicht weiter gehe , " als in ihren Ver
mögen iſt. Aber he bemüht ſich , ihre Be
griffe von Gott zur Beförderung der Gemüths
ruhe anzuwenden.

$. - 10 .
So findet ſie, daſs der Menſch ſchuldig
ley , ſeine Handlungen nach dem Willen
Gottes , als des höchften Gutes und des Ge
bers alles Guten , einzurichten : diels unbe
greifliche Wefen zu lieben : und ihm zu ver
trauen. Dieſes aus Liebe und Vertrauen her.
rührende Beſtreben , nach Gottes Willen zu han.
deln,
- 75
deln , erkennt ſie als den einzigen wahren Got
tesdienſt : von äuſern Ceremonien weiſs fie
nichts,
6. 11 .

Wer glaubt , daſs er zu dieſem Gehorſam ,


dieſer Liebe, dieſem Vertrauen nicht verbuna
den ſey, entweder weil er an Gott und Vor
ſehung zweifelt, oder weil er fich Gott als
internet abhängig, als Inbegrif der Kreaturen u. f. w.
denkt , der iſt ein Atheiſt einer der gröften
und iinglüklichſten Thoren.
Wer etwas für Gott hält, was unmög-.
lich Gott ſeyn kann , iſt ein Abgötter. Der
leztre iſt in practiſcher Rükſicht ſchlimmer,
als der Atheiſt.

der i Atheismus und Aberglauben ſtöhren und


hindern die Gemüthsruhe : innerer Gottes
dienſt allein 'befördert und ſtärkt fie .

IV . Von der vernünftigen Liebe zu an


den dern Menſchen überhaupt.
unds
6. 12.
diet
Die Mittel zur Gükſeeligkeit find in der
vernünftigen Liebe zu andern Menſchen ent
halten .
19 6. 13 .
.

76
$. 13.
Liebe iſt ein Verlangen des Willens, 'lich
mit dem , was der Verſtand für gut erkennt,
zu vereinigen , oder in dieſer Vereinigung zu
bleiben :
Man kann fich alſo nicht ſelbſt lieben.
Selbſtliebe iſt entweder Einbildung, oder
Mangel eigentlicher Liebe.
Vereinigung mit Menſchen beſteht da.
rinn , daſs wir unſre Seele , beſonders
den Willen , mit andern ſo vereinigen,
daſs Ein Wille daraus werde, und kei
ner ſich eine Herrſchaft über den an.
dern anmaſse.

§ 14 .
Dieſe Liebe iſt entweder vernünftig, oder
unvernünftig . Die unvernünftige iſt a) ein
unruhiges und hitziges Verlangen , welches
· unfre Vernunft übermeiſtert. b) fie geht auf
Dinge , die mehr ſchädlich , als gut find.
c) fie ſucht eine unmögliche Vereinigung, Z.
B. eine Vereinigung mit Gott , wie etwa mit
Menſchen . Sie verlangt, daſs Gott ſeinen
Willen nach dem unſrigen richte. Sie will
über den Willen andrer Menſchen herrſchen;
oder
77

oder ſie unterwirft ihren Willen Andern


ganz. Sie liebt Jebloſe und unvernünftige
Dinge , wie Menſchen . Sie wird zur Sclavin
deffen , was hie liebt. d ) he liebt mehr den
Körper, als die Seele , oder den Körper
ganz allein .

$. 15.
Die vernünftige Liebe iſt das einzige Mit
tel zur Glükleeligkeit, d. h. zur wahren
e TELO
Gemüthsruhe.
Aber wo Liebe iſt , da befindet ſich
auch Eiferſucht und Unruhe. Ich ant

worte , wo Eiferſucht iſt , da iſt Miſs


trauen , und wo Miſstrauen ' herrſcht,
da iſt keine vernünftige Liebe.
Wenn andre Philoſophen die Tugend
als ein ſolches Mittel preiſen : ſo iſt die
ſer Begrif dunkel und unbeſtimmt. Denn
was heiſst Tugend anders, als der Mit
telweg ; aber wie unbeſtimmt iſt dieſer
Begrif ! ” Die Liebe iſt das 'rechte Maaſs
aller Tugenden , wer nach Liebe han:

Cart delt , findet immer das rechte Maaſs.


In der Liebe kann man nie zu viel
thun,
Andre
i 78

Andre fagen , die Liebe Gottes fey


5 das Mittel zur höchſten Glükſeeligkeit.
Aber Gott weiſt uns durch die Vernunft
auf die Liebe zu den Menſchen , als
den einzigmöglichen wahren Gottesdienſt,
und je vernünftiger man die Menſchen
liebt, deſto iñehr liebt man Gott. Ce
remonien und Speculationen über Gott
find keine Gottesliebe.
Aus der Liebe zu Menſchen entſpringt
auch die wahre Liebe zu Thieren.

V. Von der allgemeinen Menſchenliebe:


S. 16.

Die Menſchen find vermöge ihrer Natur


alle einander gleich. Sie haben einerley Ur.
{prung, Bedürfniſſe, Unvollkommenheit, Fä.
higkeit , Schikſal, Beſtimmung und Ende:
fie haben einerley Liebe und einerley Rechte
bey Gott fich zu verſprechen . Darauf grün.
det ſich eine allgemeine Liebe zu allen Men•
ſchen , welche alle Menſchen in ſo weit ver
bindet , daſs Sie einander ſo behandeln , wie
fie von einander behandelt ſeyn wollen.
!
79

Es giebt noch einige ſpecielle Verhältniſſe


der Gleichheit, z. B. des Geſchlechts , Alters,
Standes , der Einficbt, des Vaterlandes , der
Neigungen. Diels hnd Beförderungsmittel der
Liebe , aber nicht wahre Gründe derſelben ,
re Die allgemeine Liebe iſt mehr negativ , Ab
weſenheit des Halles. is
Keine Ungleichheit der Menſchen kann .
ihrer Natur nach ſo viel wirken , daſs ein
Menſch den andern deswegen haſſen ſollte. 4
th

S. ' 17
Die allgemeine Menſchenliebe begreift fünf
Tugenden in fich
1) Leutſeeligkeit, oder die Bereitwilligkeit,
állen Menſchen , die es bedürfen , mit Din
gen beyzuſtehen , deren Mittheilung uns nicht
ſchwer ankommt. Dieſe Tugend iſt leicht,
und darf keine Dankbarkeit fordern; man
kann uns aber auch nicht dazu zwingen, duſer,
arent
wenn jemandes Bedürfnis fo grofs iſt, daſs
er ohne ſolche Leutſeeligkeit verderben müſte,
und wenn er fich an Niemand ſonſt, als an
uns wenden kann .
2 ) Wahrhaftigkeit, oder die Verbindlichkeit, 1
allen Menſehen wyler Verſprechen treu zu
W
B
hal.
80

halten , welches wir mit Wiſſen und Willer


gethan haben.
Dieſe beyden Tugenden find poſitive Tu.
ģenden der Gleichheit. Die folgenden zwey
find negativ , he'hindern die Ungleichheit.
3 ) Beſcheidenheit beſizt der, welcher alleh
Menſchen menſchlich begegnet, ihnen glei.
ches" Recht mit · fich verſtattet, und ſich
nichts mehr heraus nimmt, als ihm von
Rechtswegen gebührt.
Trotz alles Unterſchiedes des Standes
? und Vermögens. Der Gebrauch des Wil.
tens iſt das einige , was der Menſch für
wirklich ſein halten kann , und warnach
fich hoch zu achten oder zu verachten
Urſache hat.
- Man muſs Beſcheidenheit nicht mit
Demuth verwechſeln . Demuth iſt keine
Tugend , die die Vernunft kennt oder
empfiehlt ; denn die Vernunft fiebt
nicht ein , warum fich ein Menſch ſelble
für geringer halten follie , als 'andre.
4 ) Verträglichkeit iſt diejenige Tugend,
nach welcher ein Menſch Andre das Ihrige
in Ruhe genüſsen läſst, und ihnen in nichts
20
81

zu ſchaden lucht, oder , :: wenn diefs zus


fällig geſchehen wäre , Erſatz leiſtet.
5 ) Geduld ( Nachficht, Lindigkeit , Bil.
ligkeit) iſt die Bereitwilligkeit , Beleidigungen
aus allgemeiner Liebe zu verzeihen , und fich
ſeiner natürlichen Rechte , um des allgemei
nen Friedens willenį zu begeben .

Dieſe Tugend iſt . keine Tugend der


Gerechtigkeit , ſondern bloſs der Liebe.
Beweiſs , daſs nicht Rache und Gerech
tigkeit , ſondern Geduld die Gemüthsruhe
erhalte, Geduld inacht Frieden , und i

el - gewinnt das Herz des Beleidigers. Aber


Geduld iſt nicht Furcht. Wer aus Furcht
geduldig iſt , iſt es eigentlich nicht:
denn er wollte ſich gern rächen , wenn
er nur ficher könnte. Eben ſo wenig
iſt fie Niederträchtigkeit.
Leutſeeligkeit und Geduld find die edel
ften dieſer Tugenden , denn es iſt dabey
auch nicht der mindeſte Zwang denkbar.
Zu den übrigen kann man wenigſtens eini
germaſsen gezwungen werden.

VI.
82

VI. Von der Liebe gegen Einzelne.


$. 18.
Die beſondre Liebe iſt die Vereinigung
zweyer tugendbafter Seelen , die durch wech
Selsweiſe Gefälligkeit und Aufmerkſamkeit
geſucht, durch wechſelsweiſe Gutthaten er. 1

langt , und durch Gemeinſchaft aller Güter


erhalten wird .

S. 19.
Die verſchiednen Geſchlechter machen kei
nen Unterſchied. Denn es kommt hier auf
die Vereinigung der Seelen an. ' Der Unter
ſchied , den einige zwiſchen Freundſchaft und
Liebe machen , iſt unnütz und leer.
Ueber den Umgang beyder Geſchlech
ter . Entfernung reizt zur anordentlichen
Liebe , und hilft bey liftigen Perſonen
doch nichts. Ihr ſagt: Gelegenheit macht
Diebe. Ich antworte : durch Gelegenheit
probieret man einen ehrlichen Mann.
S. 20.
Man halte ſich nicht an die Zahl Zwey.
Je mehr tugendhafte Seelen vereiniget hnd
deſto gröſser iſt ihre Glükſeeligkeit.
Bes
83

Bey vernünftiger Liebe kann keine


Eiferfucht Statt haben . Hat nicht Jeder
das Recht , zu lieben, was wir lieben ?
Wer eine Perſon liebt, die ich liebe,
liebt mich auch , Wir dürfen alſo auf
eine geliebte Perſon nicht zürnen , wenn
fie fich noch von Andern lieben läſst.
Sind dieſe Andern tugendhaft: ſo iſt
dadurch unſre Gemüthsruhe befördert.
Sind fie laſterhaft, ſo verdient jene Per
fon , die fich von ihnen lieben läſst,
unſre Liebe nicht.
Die zu vereinigenden Seelen dürfen 臺

fich nur in der Neigung zur Tugend,


nicht eben auch in den Graden der Tu.
a
gend gleich ſeyn.

S. 21 .

Der Grund aller tugendhaften Liebe iſt


Hochachtung , d . h. die Meynung , nach wel.
cher wir einen andern nach ſeinen Hand
lungen ſo lange für. tugendliebend halten,
bis wir uns vom Gegentheile überzeugt haben.
Aus dieſer Hochachtung fliefst
1) Gefülligkeit und Aufmerkſamkeit, wenn
man auf des andern geringſte Handlungen
F 2 Ach
84
Achtung giebt , theils um ihn immer mehr.
kennen zu lernen, theils um ihin den Un
terſchied zu zeigen , den man zwiſchen ihn
und andern macht. Damit iſt die Bereitwil.
ligkeit verbunden , dem Andern allerley kleine
Dienſte zu leiſten , die er uns nicht zumų.
then würde .
Diefs iſt das Zeichen einer angehen.
den Liebe. Ueber die Auszeichnung
gewiller Perſonen in einer Geſellſchaft,
ohne auffallende Zurükſetzung der Ues
brigen.
Ein kleiner Dienſt , der uns gemeini.
glich nichts koſtet, iſt von groſser Wire
kung , und gewinnt oft allein das Herz
Wer ſie entweder nicht be.
einer Perſon . 1

merkt , oder ein and ermahl wieder for.


dert, iſt zur wahren Liebe ungeſchik.t
Nicht weniger auch die, welche ſie nicht
annehmen oder auf der Stelle erwiedern.
Jene geben uns zu verſtehen , ihre Liebe
als daſs wir fie mit
ſey zu koſtbar ,
ſolchen Kleinigkeiten gewinnen könnten.
Dieſe ſuchen unſer Nichts mit einem
gleichen Nichts zu bezahlen , welches
aber noch unzähligemahl geringer ili,
als
85

als das Nichts eines Danks . Man kann


einen Menſchen nie mehr beſchimpfen,
als wenn man ſeine kleinen Dienſte
nicht annimint .
a ) So lange zwey Perſonen fich dieſe
Aufmerkſamkeit noch beweiſen , fo
ſuchen fie erft Liebe .
b) Haben ſie diefelbe erlangt, ſo hört
diefe Gefälligkeit auf.
c ) , Perſonen , die uns lieben , und den.
ňoch dieſe Gefälligkeit weiter verlan
gen , lieben uns nicht wirklich..
2) Vertrauliche Gutthätigkeit ( Wohlwollen,
Wohlthätigkeit ), eine Tugend , welche uns
antreibt, einer Perſon , von deren Liebe
1
wir verſichert find , unfre Liebe und Ver.
tranen in allen guten und erlaubten Fällen
‫کین‬
be
und ohne Eigennutz , ſelbſt mit Aufopferung,
zu beweiſen.
Kontakt
Groſse Wohitlaten gegen Perſonen ,
die man noch nicht kennt, und die uns
'noch nicht lieben , ſind nie wahre Gut
thaten , ſondern Wirkungen des Eigen
nutzes .

Eben : ſo unvernünftig find Gutthaten


gegen Menſchen , die uns halſen, oder
F 3 ihre
86
Denn es iſt der
ihre Liebe verſagen.
Vernunft zuwider , - etwas zu lieben,,
was wir nicht erhalten können.
Alle Gutthaten , die mehr unfer eige.
nes Intereſſe befördern , oder uns ſelbſt
Vergnügen machen , find nur ſcheinbar.
Bey allen wahren Gutthaten kommt es
auf die Gefinnung an .
Der Gutthätigkeit folgt die Dankbar
die theils blolse
keit auf dem Fuſse ,
Empfindung, theils thätige Aeuſerung ilt.

3) Gemeinſchaft der Güter und alles Thuns


und Laſſens.
Dieſe hebt den Unterſchied der Stände,
Nur die
und die Arbeit nicht auf.
Stände, die auf Thorheit und Eitelkeit
abſehen ,
würden dabey leiden, und
diefs iſt gut.
Ebenſo wenig hebt dieſe Gemeinſchaft
das Eigenthum und mit ihm die bürger
s
liche Geſellſchaft auf. Da Eige
nthum
iſt eher geweſen , als die Geſellſchaft,
und dieſe kann ohne Eigenthum beſtehen
Ueberhaupt bringe nur erſt vernünf
tige Liebe in die Menſchen , die Gemein
Ichaft

i
87
fchaft der Güter wird keine ſchlimmen
Folgen haben .

VII. Von einigen Arten der beſondern


Liebe.
1

( Voraus viel ermüdende Subtilität über


gleiche und ungleiche Liebe , nach ihren drey
Graden und Kennzeichen , woraus folgende
Fragen beantwortet werden :)
1 ) Giebt es mehr Vergnügen , zu lieben,
oder geliebt zu werden ?
Beydes muſs zuſammen ſeyn.
2 ) Ist die plözlich entſtandne , oder die
langſame Liebe ſtärker und dauerhafter ?
Die leztre .

3 ) Iſt es einem Frauenzimmer ſchimpflich ,


zuerſt zu lieben ? Nein , wenn dieſe 1

Liebe vernünftig iſt. Warum ſoll der


Mann den Antrag thun , und fich ge .
wiſſermaſsen erniedrigen ?
i 4 ) Darf ein weiſer Mann Frauenzimmer
lieben ? Wenn Sie tugendliebend find, ja.
Aber gewöhnlich verliebt er ſich nicht
F4 zuerit,
88

zuerst , und ſeine Liebesbezeugungen


find' ſeiner Weisheit angemeſſen.

VIII. Von der vernünftigen Selbſtliebe.


$. 23
Aus Liebe zu andern Menſchen müſſen
wir uns ſelbſt lieben , d . h. uns bemühen ,
alles zu thun , wodurch unſer Leben nach
den Regeln der Vernunft , andern Menſchen
zum Beſten , nicht verkürzet werde.
Unter Leben iſt hier auch Leben der
Seele , d. h. ihre Vollkommenheit zu
verſtehen .
Unſer Leben muſs aber der Liebe ge.
gen Andre nachſtehen .
Zu dieſer Liebe gehört die Tugend
der. Mäſsigkeit , Reinlichkeit, Arbeit
ſamkeit , Tapferkeit,
IX . Von der Nothwendigkeit der Fer
nünftigen Liebe in den vier mepſch
lichen Geſellſchaften .

8. 24 .
Es sind vier Geſellſchaften ' 1) zwiſchen
Eheleuten 2) Eltern und Kindern 3) Herr
und
89

und Diener 4 ) Obrigkeiten und Unterthanep.


Keine dieſer Geſellſchaften kann ohne Liebe
bestehen . Die beyden leztern find theils
aus Mangel an Liebe , theils aus Furcht vor
Andrer Bosheit entſtanden.
11

(Ueber Ehe , Eheſcheidung , Polyga.


mie , und allgemeine Ideen über die
übrigen Geſellſchaften , in ſeiner gewöhn
lichen Terminologie .)

Practiſche Moral.

1. Von den Urſachen des allgemeinen


Mangels an Glükſeeligkeit.
de
$. 1.

Die Menſchen find faſt alle ſo glüklich


nicht , als he ſeyn könnien , denn die ver
nünftige Liebe iſt ſélten.. In allen Verbin
dungen der Menſchen herrſcht Elend.

$. 2
Die Urſache davon liegt in dem Men
fchen ſelbſt , theils in ſeinen Vornrtheilen
und Irrthümern , theils in ſeinem verderb
ten Willen , welcher auch gewöhnlich Schuld
F 5 ar
90
an jenen 'iſt, Ueberhaupt , der Grund , alles
Uebels iſt die unvernünftige Liebe. Denn aus
dieſer entſpringt die Gemüthsunruhe .

. 3.
Die unvernünftige Liebe iſt das Verlangen
des Willens , fich mit dem , was der Ver.
ſtand , wenn er nicht von dieſem Verlangen
verleitet wäre , für höfe erkennen würde,
- !

zu vereinigen , und in dieſer Vereinigung


fich immer zu verändern ,

6. 4.
Der Wille hat eben ſo , wie der Ver
ſtand, ſeine Vorurtheile , nemlich das Vor
urtheil der Ungeduld und der Nachahmung.

§. 5.
Das Vorurtheil der Ungeduld verleitet
den Willen , allem dem nachzuſtreben , was
ſeine Sinnlichkeit augenbliklich und lebhaft
afficirt. Diels Vorurtheil iſt allgemein, alle
Menſchen ſtreben nach Veränderung und
Contraſt.
Das Vorurtheil der Nachahmung verleitet
den Menſchen , nach dem zu ſtreben , was
er
91

er von andern ſuchen und begehren fieht,


ohne daſs er erſt ſelbſt prüfet.

II. Von den Affecten , nach den Mey


nungen der Gelehrten .

s der's . 6.
>

Vien (Ueber die Meynungen der philoſophi


ſchen Secten von den menſchlichen Leiden
ſchaften , bis auf Carteſius. Nur zur Probe
folgende eigene Ueberſetzungen lateiniſcher
Benennungen :) Invidentia , die Beneidung.
Aenulátio , die Misgunſt , Obtrectatio , die
Eiferſucht. Pudor , die Blödigkeit. Male
1

volentia , der Schadenfroh . Delectatio , das


Sanftethun . Indigentia , der Nimmerſatt .
‫܂ ܬܐ‬
Liguritio , Schlekerey . Cupedia , Kinderey .
Indignatio , Ungewogenheit. Jactatio , das
Kälbern .

Tete
EN III. Eigne Meynung von den Affecten.
am
8. 7.
leres
Die Gemüthsneigungen find Bewegungen
des menſchlichen Willens nach angenehmen
oder unangenehinen Dingen , welche abwe
ſend
92

ſend oder künftig find; und dieſe Bewegun


gen entſtehen aus den ſtarken Eindrüken
äuſerer Dinge und der daraus erfolgten an
ferordentlichen Bewegung des Bluts,
Streitigkeit gegen Carteſius u, a .

IV . Eintheilung derſelben,
$. 8.
Es giebt einen Hauptaffect , der alle ur .
ter fich begreift , das Verlangen , oder die
Begierde. Das Verlangen geht entweder auf
das Gute oder Böſe, jenes heiſst Liebe die
ſes Hafs ( ein Verlangen , das Böſe los zu
werden , und davon entfernt zu bleiben . )
Freude und Schmerz find an fich
keine Affecten , ſondern Empfindungen,
fie werden aber dazu.
Unbeſtimmtheit der bisherigen Defini
tionen von den Affecten.
Man kann nun die einzelnen Affecten un
terſcheiden
1 ) Nach der Nähe oder Ferne des Guten
oder Böſen .
Miſstrauen und Furcht find Begierden , das
entfernte Gute zu erlangen , und das nahe
Böle

í
-93
Böſe los zu werden . Hofnung , das Gute
und Böſe , welches nicht allzufern und nicht
allzunah iſt , zu erlangen und zu vermei
den , u. fo w.
1
2 2 ) Nach der Schwierigkeit oder Leich
tigkeit , das eine zu erlangen , das andre
zu vermeiden. Hofnung entſteht, wenn ich
mir einbilde , das Gute bald und ohne
Schwierigkeit zu erlangen. Das Gegentheil
Furcht u, f. w.

3 ) Nach dem ſtarken und plözlichen Ein .


druk einer Empfindung.
Beſtürzung iſt eine, ſtarke und plözliche
Hofnung: Schreken eine ſtarke und plöz
liche Furcht 1. f. w.
4 ) Nach dem mittelbaren oder unmittel
baren Eindruk. I
Neid iſt die Begierde , daſs ein Andrer,
den wir nicht lieben , feines Guts beraubt
‫مر‬ werden möge .
Zorn entſteht, wenn mir ſelbſt etwas zu ,
Leide geſchieht. Aergernis oder Bekümmer
nis über den Unfall eines Andern .
5) Nach der Dauer.
So unterſcheiden ſich Geldbegierde , und
Geldgeiz , Lüſternheit und Geilheit u . m.

$. 9.
94
$. ;
9:
Alle' Affecten find nur verſchiedne Grade
oder Aeuferungen der Liebe und des Halles.
Man kann Liebe und Hafs entweder nach
ihrem Zweke, oder den Mitteln betrachten.
Der Zwek iſt Streben nach Gemüthsruhe :
die meiſten Menſchen aber ſuchen ihn in der
Gemüthsunruhe.

$. 10.
Nach den angeführten Aeuſerungen der
Liebe , nemlich Gefälligkeit, Gutthätigkeit
und Gemeinſchaft der Güter , giebt es nun
alſo Abwege , auf denen der Menſch ſeine
Ruhe ſucht , aber Unruhe findet, und mit
hin vier Hauptaffecte , d . h. vier verſchiedne
Arten der Liebe und des Halles :
1. Die vernünftige Menſchenliebe und Hals
der Irrthümer und des Laſters.
2. Liebe der ſtolzen Ebre , Hals der Be
fcheidenheit.
3. Liebe der finnlichen Luſt, Haſs der
Enthaltſamkeit.
4. Liebe des Geldes , Haſs der Armutb
and Gemeinſchaft der Güter.
Nach
95
Nach den Mitteln betrachtet man die Affec.
ten , inſofern fie entweder antreibend find,
zunehmend und abnehmend ( Hofnung, Ver .
trauen , Kühnheit) oder inſofern fie darnach
ſtreben , die erlangten Mittel zu behalten,
und allen Hinderniſſen Widerſtand zu thun .
Einige Affecten haben es mit den Mitteln
zu beſondern Endzweken jener vier Arten
yon Liebe zu thun : man kann fie Neben
Affecten nennen . So find Faulheit , Ver
ſchwiegenheit , Unbarmherzigkeit Neben - Al.
fecten der Wolluſt , der Ehrgier , und des
Geitzes .
Einige Affecten find aus Liebe und Hafs
zuſammengeſezt, z. B. Eiferſucht.

V. Sind die Affecten etwas Gutes oder


etwas Böſes ?
ed
$. 11 .

1 ) Sind ſie überhaupt gut oder böſe , 'oder


keines von beyden ? 2) Sind alle Arten von
Affecten indifferent oder böſe ? Zwey Fra
gen , die man unterſcheiden muſs.

. 121
96
$. 12.
Alle Menſchen finden von Kindheit an
bey ſtärkern Reizungen ihrer Sinnlichkeit
mehr Vergnügen , und gewöhnen fich nach
und nach viel unordentliche Begierden an,
die ihnen die Gemüthsruhe rauben , und
folglich dieſelben in einen böfen Zuſtand ver
ſetzen . Des Menſchen Sache iſt es, aus un
ruhigen Affecten allmählig in ruhige über«
zugehn.
Ueberhaupt find alſo die Affecten indiffer
rent;' in Anſehung ihrer Arten aber ſind fie
entweder gut , die uns zur Ruhe, oder
böſe , die uns zur Unruhe führen.
Woran ſollen wir Sie erkennen ?

Erſte Regel : Alle Affecten , welche den


Menſchen auſer fich felbft ſetzen , und ein
andres Ziel haben , als die Vereinigung mit
Ruheſuchenden Menſchen , find böſe. Da
gegen u. f. w.
Zweyte Regel : Jeder Affect , der mit
einer ſo lebhaften Bewegung verbunden iſt,
daſs dadurch entweder der Leib geſchwächt,
2
oder der . Wille in gröſsere Unruhe kommt,
it böſe. Wo dieſe Folgen nicht ſind, da
il
97

iſt die Bewegung , wo nicht gut, doch auch


nicht böſe .

VI. Gegeneinanderhaltung der vier


Haupt - Affecten.
བོད
$. 13.
8.6
Die vernünftige Liebe iſt nur Eine : die
I‫ܚܐ‬ unvernünftige hat drey Arten. Es iſt nur

Eine grade Linie , aber viel krumme , eine


einzige Tugend , aber viele Lafier,

$. 14.
Man kann dieſe drey Arten der unver
::: ; nünftigen Liebe auch noch anders , als ge
ſchehen iſt, deduciren. a ) Nach der Politik.
Alles Uebel der Staaten iſt entſtanden , aus
ed dein Unterſchiede der Geburt und der Auf
relat
hebung der Güter -Gemeinſchaft. Alſo Ehr
geiz und Geldgeiz, und daraus Wolluſt.
b) Nach der Phyfik . Unſer Körper beſteht
aus Schwefel, Salz und Quekfilber , als
feinen Elementen. Schwefel erwekt Ehrgeiz,
Quekſilber führt zur Wolluſt , das ſchwere
Salz zieht zum Geldgeiz. Eben ſo entſpre
G chen
$
98
chen die vier Elemente , das Feuer dem
Ehrgeitze, das Waſſer der Wolluſt, die kalte
Erde dem Geitze , und die reine Luft der
reinen Liebe. Nicht weniger gehören auch
die Temperamente hierher. Man ſchreibt
auch dem Menſchen drey Bäuche zu ; im
Kopie herrſcht der Ehrgeiz, im Herzen der
Geldgeiz , im Unterleibe die Wollaſt. c) Nach
den Ständen. Der Nährſtand leidet am meie
ſten von der Wolluſt , der Wehrſtand vom
Ehrgeiz und der Lehrſtand vom Geldgeiz.
( Die Aerzte haben ſich vor der Wolluſt, die
Rechtsgelehrten vor dem Ehrgeiz , und die
Theologen vor dem Geldgeiz zu hüten.)

VII. Alle Tugenden kommen aus der


vernünftigen Liebe.
$. 15.
Denn Sie erhält das Ebenmaaſs der Vera
ſtandeskräfte, iſt verſchwiegen , offenherzig,
freygebig , freundlich , herzhaft, mäſsig und
keuſch , ſparſam , geſchäftig und munter,
geduldig, groſsmüthig und dienſtfertig.
VIII.
99

VIII. Von der Wolluſt und den daraus

flieſsenden Untugenden .
els
8. 16.
Die Wolluft iſt eine Leidenſchaft, die ihre ,
che
Ruhe in ſtets veränderlicher Beluſtigung des
Verſtandes und der Sinnlichkeit , hauptſäch
hiemand
lich des Geſchmaks und Luftgefühls vergebens
1
ſucht, und nach Vereinigung mit gleichgear
teten Menſchen ſtrebt.

Tabellariſche Ueberſcht der Folgen und


Aeuſerungen der Wolluſt * ).
1. Unbedachtſame Klätſcherey .
Liederliche Verſchwendung.
3. Knecbtiſche Submiſſion .
4. Ungeduldige Zaghaftigkeit.
5. Verſoffne fräſsige Geilheit.
6. Verſchwendung.
7. Fauler Mülliggang.
8. Jähzornige Weichherzigkeit.
9. Kuppler und Spielmanns - Dienſte.
10. Ingenieuſe Erfindung.
G 2 IX.

* ) Dieſe und die folgenden Tabellen ſind in eini.


gen Puncten geändert, in ſeiner Prudentia Icto .
rum conſultatoria. Kap. 4.
100

IX . Vom Ehrgeitze.
$. 17 .

Der Ehrgeiz iſt eine Leidenſchaft, die


ihre Ruhe in ſteter veränderlicher Hochach

tung und Gehorſam andrer , beſonders gleich


gefinnter Menſchen , durch Hochachtung'ſei.
ner ſelbſt, und Unternehmung liftiger oder
gewaltſamer Thaten vergebens fucht, und
nach der Verbindung mit gleichgearteten
Menſchen ſtrebt.

Tabelle.
1. Hartnäkige Stökiſchheit.
2. Eitle Verſchwendung:
3. Verächtlicher Hochmuth ,
4. Grimmige Tollkühnheit.
5. Stoiſche Faſte und Unempfindlichkeit.
6. Genauigkeit.
7. Wachſame Arbeitſamkeit.
8. Zornige Rachgier. :

9. Banditen · Dienſtfertigkeit.
10. Judiciöſe Entſcheidung.

X.
101

X. Vom Geldgeitze.

8. 18 .

Der Geldgeiz iſt eine Leidenſchaft , die


ihre Ruhe in ſteter veränderlicher Beſitzung
von allerhand Dingen , die unter dem Men.
ſchen find , und mit Gelde angeſchaft werden
können , vergebens ſucht, und mit ſolchen
Dingen , oder gar mit dem Gelde allein
durch deſſen Erlangung und Verwahrung Sich
zu vereinigen ſtrebt.
+

Tabelle.

1. Tükiſche Lügen und Simulirung.


2. Unbarmherzige Filzigkeit und Knikerey,
3. Närriſche Aufgeblaſenheit. Schmarotzer .
4. Hämiſche Grauſamkeit.
5. Schindhündiſcher Haſs des Weibes.
6. Lauſerey.
7. Mühſame Eſelsarbeit.
8. Verbeiſsende Nachtragung.
9. Neidiſcher Schadenfroh. i
10. Ungemein Gedächtnis.

G 3 XI .

香$
V
102

XI. Affecten , die aus der Vermiſchung


der drey Haupt- Laſter entſtehen.
§. 19 .
Wolluft und Ehrgeiz in gleichem Maaſse
gemiſcht ,': geben eine der vernünftigen Liebe
ziemlich ähnlichſcheinende Miſchung. Die
Kätſcherey der Wolluſt und die Stökiſchhelt
des Ehrgeitzes gemiſcht und von einander
temperirt, gleichen der verſchwiegnen Offen
herzigkeit der vernünftigen Liebe. Eben fo
kommt die Erniedrigung der Wolluſt und der
Hochmuth des Ehrgeitzes, zuſammen, der
gleichmüthigen Freundlichkeit ziemlich nah.
Iſt die Miſchung von einem von beyden
ſtärker , ſo werden die Affecten theils ſchlim .
mer , theils beſſer. Z. B. mehr von der Wol
luſt zugemiſcht, macht freundlicher, ver
träglicher , gutherziger, artiger u . l. og
mehr vom Ehrgeiz macht zurükhaltender,
empfindlicher, rauher , ernſthafter u. d. ni.
Durch den Zutritt des Geldgeitzes wird
z. B. die Offenherzigkeit eine Art von Heu
cheley ( in der Welt Klugheit genannt ) , die
ſcheinbare Freygebigkeit und Sparſamkeit
eine Art von Knikeréy , ( Haushältigkeit ge
nannt),
103 mm

‫ܞܠ‬ aannt ). ' Die ſcheinbare Freundlichkeit wird


im Glüke ſehr intonirt , und im Unglüke ſebr
[ claviſch , ( inan nennt das Menſchlichkeit).

5. 20.
Ehr . 'und Geldgeiz : zuſammengemiſcht
macht Menſchen , die man fürchtet und re .
fpectirt. Die Stökiſchheit des erſtern ' und
tükiſche Simulirung des leztern giebt etwas,
was die Welt kluge Zurükhaltung nennt u. f. f.
Auch hier kommt es darauf an , welcher
ton beyden mehr zu der Miſchung giebt,
Iſt z . B. der Ehrgeiz ſtärker, ſo wird ein
Menfch die Kunſt , fich zu infinuiren , mit
mehr Scharfſinn und Verſtellung treiben. Iſt

der Geldgeiz ſtärker , fo wird die Schmei


cheley merklicher . Kommt.gar noch etwas
1

von der Wolluſt hinzu , ſo wird die affectirte


Freundlichkeit der wahren ſehr ähnlich ſchei.
nen . Solche Leute dienen treflich , wo es
heiſst , es ſey ecclefia preffa !

$. 21
Wolluſt und Geldgeiz geben eine elende
Miſchung Ein ſolcher Menſch wollte gern
lügen , aber aus Unbedachtſamkeit verſchnappt
6 4 er
104 .

er fich leicht. Im Glükę ift er ein Prahler,


der keinen Menfchen achtet, im Ungläke ein 1

verzagtér Speichelleker.: Er puzt ſich nicht


wohlfeil , aber es hat alles keine Art, weil
er an dem einen Stüke einbringen will, was
ihm das andre zu viel koſtet. Er fährt bald
in Zorne auf, aber , wenn Andre nichts .

drauf geben , läſst er bald nach .

$. 22 :
Man muſs aber auch bey diefen Miſchun.
gen auf Alter , Stand , Glük , Gelegenheit
urid andre Puncte Rükſicht nehmen . Ein
junger Wollüftling iſt bey weitein fo verächt
lich nicht, als ein alter. Ein alter Geizhals,
der verliebt iſt , welch eine elende Perſon !
Nicht die Miſchung der Leidenſchaften ändert
fich mit dem Alter , ſondern das Alter än.
dert nur ihr Auffallendes. So iſt ein junger
Geizhals yiel verächtlicher , als ein alter. Ein
ähnliches Verhältnis iſt es mit den Ständen.
Ein Privatmann , der wollüſtig und geizig
iſt , ſpielt eine elende und unſchädliche Rolle :
er ſchadet nur ſich ſelbſt. Ein Fürſt aber,
von dieſem Temperamente , wird ein Caligula
und Domitian u . f. w .
9. 23.
105 online

6. 23.
2 ). Wir dürfen dalier nie aus den åuſern
Schein auf jemandes Character ſchlieſsen . Es
kann nur eine fcheinbare Miſchung ſeyn , oder
1
es fehlt ihm an Gelegenheit , ſeine Laſter zu
zeigen u. f. w.
2) Wir müſſen auf die verſchiedoen Stån.
de Rüklicht nehmen , die dein Character ein
anderes Anſehen geben.
3 ) Wir müſſen uns vor dem Schluſſe hü
ten , als ob eines Menſchen Character fich
ändre .

8. 24.
Die vernünftige und unyernünſtige Liebe
laffen fich nicht mifchen , ſo wenig wie Tag
und Nacht, wie Feuer und Waſſer. ( Tu
· gend und Laſter ſind einander entgegengeſezt,
aber die Lalter unter fich find alle verwandt. ) 1

Wo fie beyſammen find , da ſtreiten he ent


weder gegen einander , oder halten einander
unter , oder die eine vertilgt die andre.
Bey allen Menſchen ſteht die vernünftige
Liebe unter an , und wird von den drey Haupt
Laſtern um viele Grade , mehr oder weniger,
jibertroffen . i
G 5 Die
106

Die Miſchung der drey Hauptlaſter iſt nicht


bey allen Menſchen gleich. " Immer herrſcht eins
von ihnen über die beyden andern.
Es ſind dieſer Miſchungen fechſerley Arten :
1. Ehrgeiz , Geldgeiz , Wolluſt.
2. G. E. W.
3. W. G. E.
4. , G.
5. W. E.
6. E. W. G.
( Werden nach Unzen berechnet .)
Es iſt die Pflicht der Selbſterkenntnis, zu
unterſuchen , welches von dieſen Laſtern in
uns das herrſchende ſey. Eben darauf hat
man auch beym Umgange mit Andern zu
ſehen

XII. Von den äuſern Kennzeichen der


Leidenſchaften überhaupt, insbeſon
dre aber von den Kindern der drey
Hauptlaſter.
S. 25.
Es iſt ſchwer , den Menſchen ganz ken
nen zu lernen , aber eine hinlängliche Kennt
nis Andrer kann man ſich doch erwerbeng
wenn
107

wenn man 1) ein gutes Ange hat , d. h. einen


p Vorurtheilfreyen Verſtand und Selbſterkennt.
nis ; 2) wenn man unbefangen Andre beob
achtet; 3 ) nicht eine oder die andre , fons
dern ſo viele Handlungen Andrer , als mög.
lich iſt, beinerkt und vergleicht; 4) ſie dann
zu belauſchen weiſs, wenn ſie ſich an we:
nigſten verbergen.

S. 26.
Zum Beyfpiele follen die Kennzeichen des
Müſſiggangs dienen. Der Müſliggang beſteht
in einem ſolchen Thun und Lallen eines Men .
Ichen , wobey er überall und allein fein Ver
gnügen oder einen Zeitvertreib zur Abhicht
hat. Er iſt entweder grob oder fein. Selbſt
manche Art zu ( tudieren iſt ein feiner Mül
ſiggang, wenn man blos zu ſeinem Vergnü
gen lieſt a. f. w.

§ 27
Der Zorn , oder die Begierde , fich zu rä
chen ( wovon das Zeitwort nicht zürnen , ſon .
dern zornig feyn iſt ), iſt nicht indifferent,
ſondern immer bäſe, ( Veber die Ausdrüke :
Gottes Zorn , Gott iſt zornig , wofür man
lie .
108

lieber Eifer brauchen will: beydes ſey inder


fen einerley: Zwiſchen , der göttlichen und
menſchlicben Natur iſt ein zu groſser Unter
fchied , als daſs etwas , was beym Menſchen
Tugend iſt, z. B. Gehorſam ; es auch bey
Gott ſeyn könnte , und fo umgekehrt, Strei
tigkeit gegen Lactanzens Meynung vom Zorn.)

S. 28.
Der Neid oder die Betrübnis über Andrer
Glük , iſt eben ſo wenig indifferent. Aus
ihm flieſst Eiferſucht, oder die Pein darüber,
daſs unſre geliebte Perſon einen andern liebt
und von ihm gelieht wird . (Aus welchen
Laſtern fie am gewöhnlichſten gemiſcht ſey,
und wie ſie ſich in dieſer Miſchung äußert.)

XIII. Von der Kunſt, böfe Leidenſchaf


ten zu dämpfen.
$. 2g .
Zuerſt inuſs die Cur auf die herrſchende
Leidenſchaft gerichtet werden , die gewöhn
lich jeder Menſch am liebſten hat , und mit
der Schwäche der menſchlichen Natur zu
entſchuldigen weiſs.
Da
109

Daher hat man vor allen Dingen dieſe


Hauptleidenſchaft erſt in fich aufzuſuchen,
d. h. unter den übrigen Leidenſchaften ſo
wohl , als unter dem Scheine von Tugend
hervorzuholen . Man kann ſich dabey etwa
die Fragen vorlegen : Würde ich eher die
Liebe einer ſchönen Frau , oder die Gnade
eines Groſsen , oder eine reiche Erbſchaft
verlieren ? Aber ' wir müſſen nur dann ent : .
ſcheiden , wenn unſre Hauptleidenſchaft grade
nicht auf ihrer Hut iſt, und gleichſam nicht
merkt , daſs wir ſie belauſchen wollen. Be
ta
fonders paſſe man fich in den Augenbliken
auf, wo man den Träumereyen ſeiner Phan
tahe nachhängt , wo man fich mit ſeinen
Gedanken gleichſam auf ſeine Hand etwas
zu gute thut.

. 3o.
Hat man dieſen Hauptaffect gefunden , lo
nehme man fich ernſtlich vor , allen Vorur
theilen , die ibn bisher genähret haben , ent
gegen zu arbeiten , Die Vorſtellungen , daſs
bey derſelben unmöglich wahre Gemüths
in
ruhe zu finden ſeyn könne , aus eigner und
fremder Erfahrung beſtätigt und fich recht
oft
1

1 1
110

oft wiederholt , werden dabey gute Dienſte


thìun .. Bey dieſem Geſchäfte aber müſſen
wir uns nicht übereilen , und nicht ſogleich
den Muth verlieren , wenn es langſam geht.

S. 31 .
Hiernächſt greife man dieſe Leidenſchaft
ſelbft unmittelbar an , nach der Regel : Sus.
tine et abstine , enthalte ſich aller Gelegen .
heit , vermeide ſchlimme Beyſpiele und Ge
ſellſchaften , und ſuche dagegen gute auf.
Zu Zeiten prüfe man fich , wie weit man
zugenommen habe, wie ein Kranker, der
einmal den Verſuch macht , ob er auſer dem
Bette bleiben könne : aber mit Vorſicht, da.
mit man nicht durch zu frühes Aufſtehen
oder zu langes Auſsenbleiben die Krankheit
(chlimmer mache , als fie je war. Nach

einer ſolchen Probe achte man darauf, ob


fie uns ſchwer oder leicht geworden ſey.

$. 32. 7

Wir wollen dieſs an dem Beyfpiele des


Wollüſtigen zeigen . Der Wollüſtige muls
alſo 1) oft über denk en , wie leer und nich
rig im Grunde der Genuſs von Speiſen und
Ge

9
111

Getränken und der Genuſs des Weibes ſey ;


2) überlegen , daſs in einem nüchternen und
keuſchen Leben ein viel wabreres und gro
[ seres Vergnügen zu finden ſey ; 3) das Un.
angenehme eines wollüſtigen Lebens zuſam .
men rechnen ; 4 ) auf die möglichen Folgen
dellelben oft Rükſicht nehmen ; 5 ) die Ge.
ſellſchaft wollüſtiger Männer und Weibsper
fonen , ja fogar , nur ſchöner und artiger
Weiber fliehen ; 6) dagegen die Geſellſchaft
ernſter und keuſcher Männer allein aufſu
chen ; und 7) durch Arbeitſamkeit und Thä
tigkeit fich von allen argen Gedanken los
reiſsen .
Immer vorausgeſezt, daſs er den Vor.
ſaz hat , fich zu beſſern , den ihm kein Sit
tenlehrer geben kann.

XIV . Von der Unzulänglichkeit der Ver


nunft zur Dämpfung der Leiden
ſchaften .

$. 33.
Haben die Menſchen hinlängliche Kraft
des freyen Willens , zu einem tugendhaften
Leben zu gelangen ? Es iſt falſch und ge.
on fährlicia
pers 1

:
112

Sährlich , init Cartefius oder Ariſtoteles einen


freyen Willen anzunehmen , und die Zulang.
lichkeit deſſelben zu lehren. Dies natürliche
Vermögen des Menſchen iſt zwar nicht zuläng.
-lich , die böfen Affecten zu dämpfen , aber
die Lehrfätze aus der Vernunft von der Däm.
pfung der Leidenſchaften find auch nicht ganz
aus den Augen zu ſetzen. Der Wille regiert
den Verſtand, und der Wille iſt böſe und
verderbt. Und wenn Wille durch ' Willen
bezähmt werden ſoll , woher ſoll denn der
Menſch den guten Willen nehmen ? Er kann
eine Leidenſchaft durch die andré bekriegen,
er kann manchmal ſeine guten Vorſätze
durchſetzen . Aber es wird nie etwas Gan.
żes daraus werden. Der Laſterhafte ift
krank , er kann ſo wenig tugendhaft wer
den , als ein Kranker als ſolcher geſund wer
den kann , Beym Lalter' aber giebt es niclit,
wie · bey der Krankheit , Arzneyen vor
auſen . Die angeführten Lehrſätze und de:
ren Befolgung hilft aber dazu , dals er nicht
ſchlimmer werde , und iſt das , was bey
dem Kranken gute Diät iſt : fie mindert die
Heftigkeit der Paroxismen , und hält den
Kranken in einem leidlichen Zuitande hin.
$. 34
213

S. 34.
a
Folglich findet auch bey Tugend oder
Laſter eine Zurechnung Statt. Aber, wenn 1

1 der Menſch etwas Gutes thut ,, verdient er


kein Lob ; denn im Grunde thut er nie et .
was Gutes , ſondern lauter Böſes, höchſtens
thut er nur weniger Böſes , als er thun kounte.
Lob aber ſchadet nur , indem es zu Heuche.
ley und Verſtellung veranlaſst,

S. 35.
Die Sittenlehre zeigt , wie die menſchli
chen Affecten gedämpft werden ſollten : lie
zeigt aber auch zugleich , daſs he durch un.
ſer natürliches Vermögen nicht gedämpft wer
den können . Alle wahre Philoſophie ſoll
nichts anders ſeyn , als eine Leitung zur
wahren Theologie , und wo die Sittenlehre
aufhört , da tritt die göttliche Weisheit in
die Stelle. Die Sittenlehre geht nicht weiter,
als daſs fie dein Menſchen den Zuſtand der
Thierheit zeigt , und ihn zum Stande der
Menſchheit leitet. Wie er von dieſer zum
Chriſtenthum geleitet werden ſolle , das zeigt
die heilige Schrift.

RA
114

/
Befchluſs .
Von der Uebereinſtimmung dieſer Sitten
lehre mit der heiligen Schrift. Dieſe Moral
iſt für Verführte und Verführer geſchrieben,
gebeſſerte Chriſten brauchen fie nicht. Com
mentar über die Bergpredigt Chriſti . Trüg.
lichkeit einer ſpäten Bekehrung . Glaubens
bekenntnis des Verfaffers . Ueber die ver
ſchiednen Wege Gottes bey Bekehrung der
Menſchen , welche Betrachtung zur Toleranz
führt. Vortheil dieſer Sittenlehre in der
Phyhk und in der Politik . Alle heidniſche
Ethiken und Politiken find , mit Luther zu reo
weil ſie der
den , ſchlimmer als gar keine ,
Gnade Gottes und der chriſtlichen Tugend gra.
dezu entgegen find.

Berichtigung
einiger Lehrſätze der Sittenlehre , aus
feinen Cautelen etc. Kap. 14.
(Cautelen bey dem Studium der Sittenlebre.)
Auch die vernünftige Liebe kann nicht
Die guten Affecten düro
ohne Affect ſeyn.
fen nicht ausgerottet werden . Die
115

Die vernünftige Liebe iſt kein beſondrer


Affect , ſondern he entſteht aus der gehörigen
Einſchränkung der drey Hauptleidenſchaften.
Das Verlangen nach Eigenthum , Ehre und
Vergnügen iſt an ſich indifferent.
Den drey Hauptaffecten , welche im Ex
cefs beſtehen , ſtehen drey Lalter entgegen ,
die aus dem Defect entſpringen , Unemphind
lichkeit , Unſchamhaftigkeit und Betteley.
Die Hauptabſicht der heilenden Moral
muſs dahin gebn : die excedirenden und
ſtärkern Leidenſchaften zu dämpfen , die
Schwächern und mangelhaften emporzubrin
gen , und ſo alle Begierden in ein gleiches
Verhältnis zu bringen , worinn eigentlich die
vernünftige Liebe beſteht.
Die Beſſerung unſrer ſelbſt iſt nicht un
möglich. Man unterſcheide nur Freywillig
keit und Freyheit des Willens. Die philo
Sophiſchen Tugenden lind mithin auch wahre
Tugenden , nemlich nach dem Verhältniſſe
menſchlicher Schwäche. Die beſte Zeic
der moraliſchen Kur iſt diejenige , in wel
cher die Leidenſchaften ruhig find , 2. B.
nach ihrer Sättigung.

Hz UE

>
116

UEBER GESCHICHTE

DER

PHILOSOPHISCHEN KUNST - SPRACHE

UNTER DEN DEUTSCHEN .

Die Deutſchen erhielten bekanntlich ihre


Philoſophie in dem Gewande der lateiniſchen
Sprache , und die erſten deutſchen Philoſo
phen , von allerley Secten , ſebrieben und
Auch Luther
lehrten in derſel ben Sprache.
und Melanchthon bedienten ſich ihrer bey de
nen Schriften , die zur Philoſophie gehören,
und das Wenige , was der erſtre mebr gele
hat
gentlich in deutſcher Sprache vortrug ,
erſt in der Folge einen wohlthätigen Einfluſs
gehabt. Je weniger die älteren deutſchen
n
Philofophe auf ächtes Latein hielten , und
je
. 117

je bequemer dieſe Sprache war , um durch


harbariſche Zuſammenſetzungen und Formen
eine Menge feiner Diſtinctionen und Beſtim
mungen zu erfinden , wie das Beyfpiel der
Scholaſtiker lehrt; deſto ſchwerer muſste
es den deutſchen Gelehrten ſcheinen , dieſe /

Benennungen und Wendungen in ihre Mut


terſprache zu überſetzen , wenn Sie auch

nicht allgemein davon überzeugt geweſen wä .


ren , daſs aller wiſſenſchaftliche Unterricht
durchaus lateiniſch abgefaſst ſeyn müſte. In

der That würde es auch ſobald nicht zu ei


ner deutſchen Bearbeitung der Philoſophie
gekommen ſeyn , wenn nicht ein Denker
mit der Verwerfung der geſammten Syſteme
damaliger Zeit fich auch von den Feſſeln ih . .

rer Sprache loſs gemacht hätte , und Tho.


mafius würde ſeine Lehrbücher unmöglich
haben auch nur ſo gut deutſch ſchreiben
เป็น können , wenn er ein Anhänger der Scho

laſtiker oder Carteſianer geweſen wäre. Wir


haben es doch heute zu einer ziemlichen
Vollkommenheit in der Sprache gebracht,
aber wir würden dennoch oft verzweifeln
müſſen , die Schriften der Scholaſtiker in
verſtändliches Deutſch überzutragen .
H 3 Von
118 $

Von Chriſtian Thomafius haben wir alſo die


Geſchichte einer deutſchen Kunſtſprache für
die Philoſophie anzufangen *). Sein Eifer
für Gemeinnützigkeit und Popularität veran
laſte ihn zu der Unternehmung, über Phi
lofophie deutſch zu ſchreiben und zu lehren:
und ſein Umgang mit vielen gebildeten Men
ſchen , auch ſeine fleiſsige Lecture franzöfi.
ſcher Werke erleichterte ihm diefs Geſchäft.
Eine der vornehmſten Urſachen , ſagt er,
sj warum ich dieſe meine Philoſophie in deut
„, ( cher Sprache ausgehen laſſe, iſt, um
„ durch die That zu beweiſen , daſs in
„ Sachen , die durch die allen Nationen
» gleichförmig eingepflanzte Vernunft erkannt
„ werden , die Kenntnis ausländiſcher Spra.
chen nicht nöthig ſey. Die Weltweisheit
„iſt ſo leicht, daſs hie von allen Leuten aus
,, allen Ständen begriffen werden kann. So
„ſchrieben auch nicht die griechiſchen Philo.'
„ ſophen hebräiſch , noch die Römiſchen grie
chiſch , ſondern jeder bedient sich ſeiner
9
Muts

*) Einige frühere Verſuche waren theils zu ein.


zeln , theils von zu wenigem Einfiuſfe auf die
philoſophiſche Welt.
7
119

3 „ Mutterſprache. Die Franzoſen willen fich


„dieſes Vortheils heut zu Tage ſehr wohl zu
, bedienen . Warum ſollen denn wir Deut
ſchen uns beſtändig deswegen auslachen laſ
» ſen , als ob die Philoſophie und Gelehrſam
keit nicht in unſrer Sprache vorgetragen
werden könne ? Daſs man vor dieſem die
„ deutſche Sprache nicht gebraucht hat, kommt
wohl daher , weil man glaubte, Ariſtoteles,
Thomas , Scotus , Cartefius , Gaſſendi u.
„f . w. feyn der Probierſtein der Wahrheit,
und man müſſe folglich die Sprache behal
sten , worinn dieſe Männer geſchrieben ha
ben * ).
Was Thomafius that , iſt immer ein gu.
ter Anfang Sein Styl wimmelt zwar von
fremden Wörtern , und viele Kunſtausdrüke
hat er ohne Noth lateiniſch beybehalten . So
finden wir Concept, ' ſtatt Begriff oder Vor
{tellung, diſtinct , confus , Impreſhon , Al
fect , Connexion 11. a.Einige find nicht be
ſtimmt genung überſezt, wie Senſus, bald
H4 durch

* ) Vorrede zur Vernunftl. S. 13 f. Ich habe im


‫مي‬ Styl einiges geändert.
120

durch Sinnlichkeiten , bald durch Empfind


lichkeiten , bald durch leidende Gedanken.
Sehr viele aber hac er mit -Glüke umgeſchaf
fen ; da fie in der Folge von Wolf und an
dern beybehalten worden ſind , ſo will ich
he hier nicht erſt aufzählen. Gegen die Thor
heit, alle Kunſtwörter zu verdeutſchen , ei
fert 'er aus guten Gründen und mit vieler
Laune. Ich glaube , Manchem einen Ge
fallen zu thun , wenn ich eine Hauptſtelle
bier ganz einrüke *) :
van Ich weiſs wohl, daſs von etlichen we.
s, nigen , die bisher einerley Zwek mit mir
„ gehabt haben , darinn nicht wenig verſto
fsen worden , daſs fie die Kunſtwörter alle
„ in die deutſche Sprache überſetzen wollen,
,, wodurch fie entweder Gelächter oder Ver
„ druſs ' bey dem Leſer erweken . Wenn aus
,, ländiſche Sprachen zu uns überkommen,
„lo kommen auch bey den meiſten auslän
„ diſche Namen mit , und naturaliſiren fich
Eben
» gleichſam in unſerer Sprache . i . .
ſo iſt es auch mit den Künſten und Wiſſen.
rn
ſchaften bewandt , die uns von ande
» Völs

*) S, ebend . S. 14 F.
121

„ Völkern mitgetheilt werden. Wer in Cice


„ ros Schriften bewandert iſt , wird wiſſen ,
re », daſs er in philoſophiſchen Gegenſtänden öfters
» griechiſche Wörter , die er nicht gut latei
niſch geben konnte , beybehält.
„ Es iſt aber nichts deſtoweniger auch nicht
„ zu lengnen , daſs verſchiedne Kunſtwörter
ins. Deutſche überſezt, und durch öftern
„ Gebrauch der Gelehrten in Schwung ge
bracht worden , deren man lich zu ſchä .
» men , nicht ferner Urſache hat. Man inuſs
hierinn feinen Verſtand brauchen , und die
‫امینعمد‬
Mittelſtraſse gehen. Daher , ſo wie
:
„ ich mich nicht entbrechen werde , zuwei
„ len von dem Selbſtſtändigen Weſen , von
dem Gegenſtand eines Dinges , von dem
» Stoff u. L. w . zu reden , eben ſo werde ich
‫میرم مه‬
s mich auch manchmal der Ausdrüke Obiect,
Subſtanz, Materie u. f. w. bedienen ; aber
s
iet , niemals werde ich anſtatt Subiect Unter.
„ lage, oder ſtatt Natur die Zeugemutter al
„ ler Dinge brauchen. Ich erinnere mich
„ hierbey einer Logik , die im Jahr 1621 zu
,, Cöthen gedrukt iſt , und den Titel hat :
„ Kurzer Begrif der Verſtand - Lehre zu der
Lehr- Art. In dieſer hat der Verfaſſer alle
H 5 Kunli
122

„ Kunſtwörter deutſch geben wollen , welches


soft ſo luſtig und dunkel heraus kommt , daſs
„ man ſich des Lachens unmöglich enthalten
qkann. Ich will jezt nur das Vornehmſte in
„Geſtalt eines Briefes , den ein Sohn an ſeinen
,, Vater ſchreibt, dem Lefer zu Gefallen mit
theilen :
Geliebter Vater ! Ich habe nun nach an.
„ gewendetem ſauren Fleiſs die Verſtand - Lehre
„ gelernt, und habe zu deffen Beweils ohn
längſt öffentlich eine aus dieſer Lehre her:
„ genommene Streitſchrift als ein Beantworter
„ vertheidigt; unſers Nachbars Söhne hind Gem
» genſetzer geweſen. Der älteſte bat folgende
,,Fragen aufgeworfen : Ob ' der Menſch eine
sunterſte Art fey , und ob er nicht vielmehr
zu den Geſchlechten , oder doch zum we
„nigſten zu den untergeordneten Arten gehöre?
„ Was die Urſache fey ; daſs allein die Men
„ ſchen und etliche Thiere , nicht aber alle
,,Dinge eigentliche Einzele wären ? Ob das
„ Vernilnftliche in der Beſchreibung des Men.
„ ſchen ein theilender oder Artınachender Uns
„ terſchied ſey ? Ob Vater und Sohn zu dem
,,Orden des Selbſtſtändigen oder des Gegenbliks
„ gehöre ? Oh Froſt und Hitze widerwärtig
oder
123

,,oder benehmlich - Entgegengeſezte wären ? Er


wollte ſich auch zu den Nachorden wenden,
„ und aus denſelben die Weiſen des Fördern und
„Hintern unterſuchen. ... Sein Bruder be.
„ rührte' den Stoff von den Ausſprüchen mit
„ ſeinen Gegenſätzen . Er wollte behaupten ,
„daſs die Unterlage manchmal weitläuftiger
„ſeyn könne , als das Ausgeſagte , daſs der
bedingte Ausſpruch beſſer wäre , als der ein
seren
„ fache, und der Maſshubende deutlicher , als
,,der Nichtmaſshabende, ingleichen , daſs ein
,,allgemeiner bejahender Ausſpruch allezeit ſchlecht
umgewendet werden könne : dieweil er aber
.
„öfters Schlufs- Reden von vier Enden machte,
,,das initlere Ende zuweilen in den Beſchluſs
,, einmiſchte, auch manchmal Schluſs - Reden
„ vorbrachte , die in der erſten Geſtalt ſeyn
07 .
„ſollten , und doch zu keiner Weiſe gerech
„net werden konnten , auch öfters der klei.
gnere Fürſatz verneinend war , anderer Be.
„ trugs - Schlüſſe zu geſchweigen : ſo habe ich
‫ܕܕ‬
„ihn dergeſtalt mit Auflöſungen , Grundſätzen,
„ Eintheilungen , Anfügungen und Begränzungen
„zurük getrieben , daſs mein Herr Vorfitzer
14. f. w . Viele von dieſen Verdentſchun .
gen , ſezt Thomaſius hinzu , find gut und
niin
i
124

punmehr im Umlauf, aber die meiſten find


dunkel und lächerlich ,

Da Thoinaſius einmahl die Bahn gebro.


chen hatte , ſo folgten ihm bald mehrere
philoſophiſche Schriftſteller nach , die ich
jedoch übergehen kann , weil ſie nichts Vor
zügliches geleiſtet haben.

Es iſt zu bedauern , daſs Leibnitz fich der


deutſchen Sprache in ſeinen philoſophiſchen
Werken aus mehreren Gründen nicht bedie.
nen konnte . Einer Seits wollte und muſste

!
er auch für Ausländer ſchreiben , und andrer
Seits hätte ihn die Sprache ſelbſt bey ſeinen
Unterſuchungen zu ſehr aufgehalten. Er fand
fie , nach ſeiner ausdrüklichen Erklärung *),
für abſtracte Begriffe nach zu arm , aber daſs
er , wenn es die Umſtände gewollt bätten,
fie ſelbſt hätte bereichern können , zeigen
mehrere von ihm verdeutſchte Kunſtwörter,
Z.

* ) S. deſſen unvorgreifliche Gedanken etc. einge.


rükt in den Beyträgen zur deutſchen Sprach
kunde von der Academie in Berlin. 2. Th.
S. 19 und 25 .
125

z. E. abgezogene Erkenntniſſe, Schluſsform ,


Grundregel, Denkkunſt, Weſenlebre , Be.
grenzung u. a. * ). Auſerdem zeigte er zwey
Quellen an **), aus welchen die philoſophi.
ſche Sprache anſehnlich vermehrt werden
könnte , die Schriften gelehrter Theologen
und der Schwärmer , welche leztern , wie
er ſich ausdrükt, gewilfe ſchöne Worte und
Reden brauchen , die man als güldene Ge.
fäſse der Egypter ihnen abnehmen , von der
Beſchmiztheit reinigen , und zu dem rechten
Gebrauche widmen könnte : welchergeſtalt
wir den Griechen und Lateinern hierinn ſelbſt
würden Trotz biethen können .“

‫در م‬ Die wichtigſte Periode für die deutſche


Edont Terminologie der Philoſophie begann indeſſen
mit Wolf. Ueber dieſes groſsen Mannes Ver
dienſte um unſre Sprache überhaupt , iſt ſchon
ſo viel geſchrieben worden , dafs ich einer
nähern Entwiklung derſelben entübrigt 'ſeyn
kann. Ohnſtreitig hat er auch für die philo
ſophi

*) Ebend. S. 21.

**) Ebend. S. 12 .

A
126

ſophiſche Sprache mehr gethan , als he bloſs


durch Ueberſetzung fremder Kunſtwörter
oder Erfindung neuer bereichert : er hat ihr
eine gewiſſe Beſtimmtheit und , ich möchte
ſagen , eine Manier gegeben , durch welche
fie erſt fähig wurde, ein Organ der Philo.
Sophie abzugeben. Seine Vorſichtigkeit und
geſammte Verfahrungsart iſt muſterhaft. Die
vor ihm gebrauchten deutſchen Wörter be.
hielt er bey , und ſuchte fie , ſo viel mög.
lich , zu beſtimmen . Bey den Umformun.
gen der fremden nahm er genau auf den Geiſt
der deutſchen Sprache Rükſicht , und über
ſezte nicht , wie die, deren Thomaſius ſpot
tet ,wörtlich * ). Die deutſchen Wörter,
woraus er Kunſtwörter bilden wollte , unter
ſuchte er vorher nach ihrer eigentlichen Be.
deutung , und entwikelte aus dieſer die tech
niſche, immer mit der möglichſten Annähe.
rung an den Sprachgebrauch. Es war freya
lich unvermeidlich , und mehrere ſeiner Gego
ner

*) Alſo nicht: mitleres Ende einer Schluſsrede,


ſondern : Mittel . Glied eines Schluſſes. Nichr
Beſchluſs ( Conclufio ) ſondern Hinter- Satz eines
Schluſſes,
127

ner klagten darüber , daſs durch dieſe Aen,


derungen und Neuerungen mancherley Mis
verſtändniſſe veranlaſst wurden , von Seiten
derer , die einmahl an die bisherigen Bedeu.
fungen der Ausdrüke gewohnt, fie in dem
vorigen Sinne nahmen , und auf die Art
Wolfens Ideen zum Theil alt , zum Theil
12 !
widerſprechend und verwirrt fanden ; und
der gute Jo. Lange war nicht der einzige,
der deshalb den Stab über Wolf brach . Bey
ſpiele von allem dem anzuführen , wird um
1
ſo weniger nöthig ſeyn , da jeder Leſer aus
den Regiſtern bey Wolfs deutf -hen Lehrbü
chern und am vollſtändigſten aus den Samm
lungen bey Ludovici *) fich leicht überzeugen
ten
kann , wie vorſichtig und groſsentheils un
. übertreflich Wolf die Sprache der Philoſophie
reformirt hat. Viel davon verdanken wir
der mathematiſchen Methode , deren er fich
ier te
bediente , und die ihn mehr , als den Tho ..
DE
maſius ſein populaires Raiſonnement , an Be
ſtimmtheit und Deutlichkeit erinnerte. Man
che
e
Gat * ) Hiſtorie der Wolfiſchen Philoſophie. 1. Theil.
D. 99 f. 2. Theil. I. 329 for Vergl. 5. Theil.
S. 331.
128

che ſeiner Nachfolger fanden ſich ebenfalls


berufen , an der Sprache zu arbeiten , und
nicht alle thaten es ohne Glük. Das Ver
zeichnis bey Ludovici *) enthält siele trefi
che Beyträge , welche von Wolfianern der
damaligen Zeit geliefert wurden .
Von Wolfens Zeiten an,, machte die deut
ſche philoſophiſche Sprache Rieſenſchritte,
1
beſonders durch das Studium der Ausländer
und die mancherley Verſuche im äſthetiſchen
Fache. · Gottſched kommt auch in dieſem
Stüke vorzüglich in Betrachtung , und ob
gleich mehrere ſeiner Ausdrüke die Probe
nicht halten , ſo veranlaſten fie doch manchen
nachfolgenden Denker zu neuen Verſuchen.
Ein Jeruſalein , Darjes , Crufius, Gellert wer.
den auch hier unvergeſslich ſeyn , und die
Verdienſte , welche fich vor ihnen Reimarus
uin die Behandlung der Logik und natürli.
chen Theologie erwarb , find allgemein aner
kannt . Die erſtere zeichnet sich unter den
vielen Lehrbüchern dieſer Wiſſenſchaft, be
ſonders durch ihre Sprache , vortheilbaft aus,
und

*) Beſonders f. 2. Theil 5. 329 f.


129

und die leztere hat die Kunſtſprache ſo weiſe


und unvermerkt in die Sprache des Lebens
und der Empfindung eingewebt , daſs fie be
ſtändig für dieſe Art , von Behandlung ein
Mufter bleiben wird . Eben das kann man
von Jeruſalem rühmen . Cruſius Schriften aus
der theoretiſchen Philofophie leſen fich auch
heute noch angenehm , und man darf nur
den Vorbericht von den philoſophiſchen Kunſt
wörtern vor ſeiner Logik , und das fünfte
Kapitel dieſes Lehrbuchs vom Gebrauche der
Begriffe und den Wörtern ſtudieren , um zu
ſeben , welche trefliche Ideen dieſer Denker
über Sprache überhaupt hatte , und wie ge
wandt er mit den Kunfrwörtern der Philo
fophie umzugehen wuſte. Das Recht der
‫اسی‬
Gelehrten , ſagt er * ) , neue Wörter und
Bedeutungen zu beſtimmen , beſteht in Fol
biometre gendem : 1 ) man foll den Sprachgebrauch
nicht ohne hinlängliche Urſache verlaſſen ;
6
2 ) folglich die Wörter nicht um einer bloſs
ch grammatiſchen Aequivocation willen verwer
fen. 3 ) Wenn man eine ſchwankende Be
deu

*) Weg zur Gowiſsheit. Ausg. 2747. S. 406.


I
13o

deutung genauer beſtimmt, ſo ſoll man des.


wegen die andern nicht ſogleich verwerfen,
fördern , wo es angeht , die übrigen zugleich
mit beſtimmen . 4 ) Neuentdekten Begriffen
darf man neue Namen geben , aber die Na.
men müſſen bequem , und die Begriffe wich.
tig ſeyn. Meiers Anfangsgründe der ſchönen
Wiſſenſchaften und alle Schriften dieſes Man
nes , lo troken fie auch im Ganzen genom
inen find , werden dennoch immer für die
Geſchichte der philoſophiſchen Sprache wich.
tig bleiben. Es gelang ihm in dem erſtern
Werke gewiſs nicht übel, die feinen Nüan
cen der Empfindungen und der Aeuſerungen
des Geſchmaks zu bezeichnen , und ſein Styl
iſt durchweg , zwar wälferig , aber mög.
lichiſt reini. Wie könnte ich hier die ehrwür:
digen Namen Sulzer, Baſedowe *), Lambert,
Mendelsſohn ; Leſſing, Iſel in ,, Feder , Garve,
ifelin'
Plats

*) Dieſer originale Kopf verfuhr mit der Sprache


der Piniloſophie oft etwas gewaltſam , aber er
gab ihr doch durch ſein analytiſches Verfahren
viel G -wandtheit und Schärfe. Vergl. ſein
Theoretiſches Syſtem der gefunden Vernunft,
und das Elementarwerk vi. Th.
131

Platner *) , Eberhard , Meiners , Tétens **),


urid Engel ***) vergeſſen , unter deren Hän
den die Philoſophie und ihre Sprache ſo uns
endlich viel gewonnen hat ! Was auch man
' che allzufeurige Anhänger der neueſten Phi
loſophie einigen dieſer Männer anhaben wol
len : he können ruhig ſeyn, und ſich mit
dem Bewuſstſeyn erheben , daſs Deutſchland
I 2 nie

* ) Man machte ,dieſem ſcharfſinnigen Philoſophen


***
bey ſeiner erſten Ausgabe der philoſophiſchen
Aphorismen den Vorwurf, daſs er oft ohne
Noth von der hergebrachten Terminologie ab .
weiche, Manche ſeiner neuen Ausdrüke hat er
ce
jezt mit philoſophiſcher Entſagung zurükgenom .
men , , und in jedem Falle hat er doch dazu
beygetragen , daſs ſeine Leſer und Schüler die
‫این مه‬ Begriffe ſelbſt, die er umgekleidet hatte , nun
wieder auf einer neuen Seite beſahert , und das
iſt immer Gewinn für die Wiſſenſchaft.
an
** ). In feinen Unterſuchungen herrſcht viele Kraft
der Sprache, und manche neue Wendungen
der' Begriffe hať er ſehr glüklich bezeichnet.
***) Das meiſte Verdienſt hat ſich dieſer trefliche
Denker um die Sprache der Pſychologie und
l Aeſthetik erworben , Seine Mimik iſt un .
mode
ſchäzbar,
132

nie ſo weit zurükſinken wird , ihre Namen


unter der Zahl ſeiner größten Wohlthäter un
dankbar zu vergeſſen .

Um indeſſen kein bloſses Namen - Regiſter,


oder , welches noch unfchiklicher wäre, eine
leere Declamation zu liefern , wollen wir
hier einen Augenblik verweilen , und einen
Blik auf den bisherigen Gang der philoſophi
ſchen Kunſtſprache werfen.
Wenn eine Wiſſenſchaft in dem Gewände
einer fremden Sprache zu einer Nation

kommt , deren Sprache mithin noch nicht


dafür zubereitet iſt : ſo kann natürlich die
Bemühung derer , welche diefe Wiſſenſchaft
in ihrer Sprache bearbeiten wollen , Anfangs
nur aufs' Ueberſetzen gerichtet ſeyn. Wir

können daher den Zeitraum von Thomafius


bis auf Wolf füglich die überſetzende Periode
nennen . Wo eine wörtliche Ueberſetzung
nicht möglich oder undeutlich ſeyn würde,
werden gewöhnlich in einer ſolchen Periode
die fremden Wörter beybehalten , und zum
Theil durch Endungen , wie Thomaſius fich
Es hat
ſehr richtig ausdrükt, naturaliſirt.
auch damit um fo weniger einige Schwierig.
keit,
1
133

keit , weil die Gelehrten dieſe fremden Aus


drüke verſtehen , und die Ungelehrten fie
noch nicht zu verſtehen brauchen. Dabey
behält die Sprache in wiſſenſchaftlichen Bü
chern noch eine gewiſſe Fremdartigkeit, in
Räkficht der geſammten Manier , welche fich
ſobald nicht verliehrt. Oft , wenn man Tho
mafius Schriften lieſt , glaubt man eine Schü
lermäſsige Ueberſetzung aus dem Lateiniſchen
zu leſen : lo genau iſt Conſtruction und Wen
dung des Lateins in ſeinen Styl übergegangen.
‫ܫ‬
‫به ه‬ Die zweyte Periode könnte man , in Be
‫مانی‬ ziehung auf uns , die verdeutſchende nennen ,
d. h. eine folche , wo auf der einen Seite
nicht mehr bloſs die Wörter einer Willen
ſchaft überſezt, fondern die ganze Wiſſen
ſchaft gleichfam in die Form unfrer Sprache
eingepaſst wurde , und wo man auf der an
dern Seite die ſchon vorhandnen Wörter,
wie Münzen nicht mehr blofs durch ein Zei
chen zum Gebrauche der Wiſſenſchaft eignete,
ſondern einen ganz neuen und paſſenden
.
Stempel machte , womit nun neue und gül
tige Münzen ausgeprägt wurden. Dieſer Zeit
raum geht, mit einigen Modificationen , von
I 3 Wolf
- 134
Wolf bis auf die lezten Freunde feiner Phi
loſophie in den neuern Zeiten. Die Modif
cationen ſelbſt beſtehen erſtens in der gröſsern
oder geringeren Puriſterey ( Leibnitz ſagt Rein
dünkel) einzelner Schriftſteller. Wir finden
auch hier Grillen und Lächerlichkeiten. Ei
nige bemübten fich , durchaus rein deutſch zu
(chreiben : andre fanden in dem Gebrauche
fremder Kunſtwörter mit deutſchen Endungen
eine gröſsere Gründlichkeit und einen philo
ſophiſchern Anſtrich , So kamen zu einer
gewiſſen Zeit die Wörter Tendenz , Proba
bilität, Perfectibilität, und eine ganze Menge
logieen und tiken ohne Noth in Umlauf, und
die meiſten philoſophiſchen Schriftſteller ver
mieden die gebräuchlichen deutſchen Wörter
recht abſichtlich , um nicht das Anſehen zu
haben , als ſagten fie etwas Gemeines und
Bekanntes . 'Andre ſchufen ſtatt der ſchon
üblichen deutſchen Benennungen neue deut.
fche , oder gaben jenen ſolche Bedeutungen,
die ſie zu neuen zu inachen ſchienen . Die.
ſes Schikſal hat beſonders die Moral und Plg
chologie , nicht weniger die Theorie der ſchö
nen Künſte erfahren : wo faſt kein Kompeli
dium init dem andern eine gleiche Sprache
redet.
135

redet. Diefs führt mich zu dein zweyten


Puncte , der hier in Betrachtung kommen
inuſs, die verſchiedenen Syſteme der Philo
fophie und ihre noch verſchiednere Belrand .
lungsart. In jedem Syſtem und ſogar in jedem
des Kopfe nehinen die pbiloſophiſchen Wahrhei
ten eine eigne Form an , nach welcher sich
folglich auch die Bezeichnung ' richten inuls.
Und es macht einen groſsen Unterſchied , ob
ein Philoſoph einen Satz für Philoſophen er
weiſen , oder ihn einem gemiſchten Publicum
deutlich und angenehm vortragen will. Wer
das Leztre kann , verſteht nicht immer das
Erſtre, und ich zweifle ſehr, ob Gellert
ein brauchbares Lehrbuch der Metaphyfik zu
ſchreiben im Stande geweſen wäre. Unſer
Lue
Zeitalter hat fich bisher vorzüglich durch die
allgemein verſtändliche Bearbeitung der Phi
loſophie ausgezeichnet, und man könnte da
،‫܀‬ her , von Sulzer an , eine populäre Periode an
nehmen , ( im beſten Sinne des Wortes ) die
vielleicht der Wiſſenſchaft, als ſolcher , ge
ſchadet hat , aber zur Aufklärung und Bil
dung der Nation überaus wohlthätig geweſen
iſt. Wem fallen nicht eine Menge neuerer
Schriften ein , in welchen philoſophiſche Sätze,
I 4 ohnz
'136 1

ohne alle Kunſtſprache vorgetragen und er


läutert find ? Ich weiſs wohl , wie ſehr die
Freunde der ſcientifiſchen Methode damit un
zufrieden , und wie ſehr fie deshalb für die
Verderbung der Wiſfenſchaft ſelbſt bange
find * ). Es käme hier auf die Frage an :
Iſt ohne Kunſtſprache keine Gründlichkeit
möglich , und giebt es nicht auch eine po
puläre Gründlichkeit ?

Ich gehe zu der neueſten Periode fort,


für die ich keinen Namen habe. " Vielleicht
iſt nie an der feinen Beſtiminung der pbilo
fophiſchen Terminologie ſo eifrig und glük.
lich gearbeitet worden , als ſeit Kants Refor.
men in der Philofophie. Daſs er eine ganze
Menge neuer Wörter d . h . alter mit neuen
Beſtimmungen , zu ſeinen Entwiklungen nö
thig hatte , daſs er in der Wahl und Erfin.
dung derfelben überaus glüklich war , daſs
er , wie Wolf, - durch dieſe Aenderungen
auch mancherley Misdeutungen und Klagen
ver

*) Schon längſt klagte Kant in ſeinen Briefen au


Lambert darüber, S. die Sammlung von Ber•
noulli.

1
--
A

137

verurſachte , das alles iſt bekannt genung.


Nach ihm hat indeſſen wohl kein Denker
mit ſolchem Scharſhnne an der Beſtimmung
und Feſtſtellung der philoſophiſchen Sprache
gearbeitet, als ' Reinhold , deſſen Analyſis der
Ausdrüke oft fo fein und ſcharf iſt , daſs
man erſtaunen muſs. Kein Wort entfällt
ihm , ' welches nicht bey einer grainmatiſch
philoſophiſchen Anatomie aushalten könnte,
und oft , lo ſcheint es inir , oft find ganze
Lehrſätze und Ideen nur durch die Auflö .
fung und Beſtimmung eines Wortes entſtan .
den. Und ſo wie Kant manchmal der Rei.
*
nigkeit der deu:ſchen Sprache zu viel ver
geben hat : ſo bemüht ſich Reinhold , wo es
iet ſeyn kann , fremde Wörter zu umgehen.
Im Ganzen iſt freylich der Sty? der kriti
ſchen Philoſophen felir bunt , und wenn

dieſe ganze Reforine nicht in einen Zeitpunct


träfe , wo Dichter , Geſchichtſchreiber und
Aeſthetiker ſo vielen Fleiſs auf die Sprache
wenden , fo würde für die leztre ſehr viel
/

zu fürchten ſeyn. Unbeſtritten aber iſt


jezt grade der Zeitpunct , wo die philoſo
phiſche Sprache eben fo' reich und bequem
ป iſt für die feinſten theoretiſchen Speculatio
I 5 nen ,

}
738

nen , wie für die populäre Darſtellung phi


loſophiſcher Wahrheiten : und die groſse
:

Menge von Freunden der ſyſtematiſchen Phi


loſophie wird es verhindern , daſs die Po
pularität nicht in leichtes und leeres Ge.
ſchwätz ausarte .
„ Alſo iſt es doch möglich, daſs die Kan.
tiſchen Ideen , die wir bisher immer we
gen der eignen Sprache nicht verſtanden
haben , mit der Zeit einmahl falslich und
für Jedermann können dargeſtellt werden ?
Iſt nicht auch die Wolfiſche Philoſophie durch
neuere Schriftſteller für alle Stände und Ge.
ſchlechter lesbar und verſtändlich gemacht
worden ? Hat man ſie nicht in Briefen , Geo
fprächen , Erzählungen , Romanen und Ge
dichten ſogar auf Toiletten zu bringen gewuſt?
Und kann denn irgend ein Syſtem wahrhaft
gut und von Werth ſeyn , welches nur einer
kleinen Auswahl von Geweihten begreiflich,
allen übrigen aber ein verſiegeltes Buch iſt ?"
Ich glaube, die Antwort auf dieſe Fragen
läſst lich ſehr kurz faſſen. Nicht die Wola
fiſche Logik , Metaphyſik und Moral felble
war es , die neuere Schriftſteller zur unter
haltenden Lectüre machten : es waren nur

Ben

Il
>
- 139

Betrachtungen über gemeinwichtige Gegen


ſtände, wozu he den Stoff aus jenen Syſte
men entlehnten , und die fie mit ſteter Rük
1

ficht auf die Principien , welche Wolf aufge


ſtellt hatte , verarbeiteten . Das Syſtem ei.
nes Philoſophen , wenn es wirklich auf ſpe
culariye Principien gegründet und davon mit
ſyſtematiſcher Gründlichkeit abgeleitet iſt,
Jäſst fich durchaus weder ohne Kunſtſprache
vortragen , noch zur Volkslectüre verdeut
lichen . Nur die gerneinnützigen Reſultate
deſſelben können unter den Händen geſchik
ter Köpfe à la portée de tout le monde wer
،‫ܕ‬ den. Lichtenbergs Nachrichten vom Him
mel find eine unterhaltende Lectüre für Je
· Ere
dermann , und paſſen in ein Taſchenbuch,
aber ſie find nur Reſultate einer groſsen Reihe
tiefer Unterſuchungen und künſtlicher Rech
nungen , die er , bey aller ſeiner Laune und
Popularität , nie zu einern allgemeinfaſslichen
angenehmen Aufſatze würde einkleiden kön
4‫܀‬ nen .
Es giebt nur drey Mittel , wie man
dergleichen Speculationen populär darſtellen
könnte : entweder man überſezt die fremden
Kunſtwörter , den Sinne nach , ins deutſche :
oder man bedient fich ſtatt der Wörter fellyfi
dei
1
a 140
en
der Definition derſelben ; oder man ſucht
:
überall , ſtatt der Theoreme , in lauter Beyſpie
len zu philoſophiren. Das erſtre iſt von kei
nem ſonderlichen Werthe. Denn abgerechnet,
daſs die deutſchen Kunſtwörter immer Kunſt
wörter bleiben , ſo ſind ſie gemeiniglich durch
ihre halbe Verſtändlichkeit nur noch unver
was Form iſt,
ſtändlicher. Was Denken ,
glaubt der deutſche Leſer zu verſtehen , eben
darum wird es ihm noch ſchwerer werden,
einzuſehen , was eine Denkform iſt. Er
was Sinnlichkeit bedeutet , würde
weiſs ,
ſich auch bey überſteigend etwas denken,
aber eine überſteigende Sinnlichkeitslehre
würde ihm gewils etwas anders zu ſeyn
ſcheinen , als Kants transcendentale Aeſthetik
Das zweyte iſt überaus weit
ſa ge n g
läufti ,wi u. nd der Leſer würde durch dieſe
ll
Weitläuftigkeit ſehr verwirrt werden : nicht
zu gedenken , daſs in Definitionen ſo manche
Wörter vorkommen , die erſt durch das De
finitum felbſt ihre beſtimmte Bedeutung be
kominen . Wenn wir ſtatt Sinnlichkeit ſagen
wollten : die Art und Weiſe , wie unſer Geo
!

müth afficirt wird , ſo würde dem Leſer,


der jenen Ausdruk nicht verſteht, eben ſo

>
141
unbegreiflich ſeyn , was Gemüth und was
Afficiren des Gemüths bedeutet : er würde
la fich höchſtens leidenſchaftliche Bewegungen
darunter denken. Die dritte Verfahrungsart
iſt noch waglicher. Beyſpiele zur Erläute
rung ganz abſtracter Begriffe zu finden , iſt
kein leichtes Geſchäft: und wenn ſie auch
noch ſo gut gewählt wären , ſo müſſen Sie
Le doch immer empiriſch ſeyn. Dadurcb wird
aber der Leſer allmählich von der abſtracten
Idee abgeführt, und indem er das Beyfpiel
fich möglichſt verdeutlichet und verfinnli-.
WEISS chet , hört, er auf, den abſtracten Satz zu
denken , oder verwirrt ihn ganz und gar.
Welches Beyfpiel würde im Stande ſeyn , ei
‫کهمی‬
nem Layen deutlich zu machen , was Kant
unter reiner Sinnlichkeit verſteht ?
Kunſtſprache bleibt immer ein weſentli
ches Stük einer Wiſſenſchaft oder Kunſt , und
og haner es iſt eine unverſtändige Forderung , zu ver
‫ہیکیاہ‬
langen , daſs der Matheinatiker , der Philo
foph , der Bildhauer, oder irgend ein andrer,
uns ſeine Wiſſenſchaft oder Kunſt ohne Kunſt
ſprache lehren und deutlich machen ſolle.
1
Freylich iſt die, welche der Künſtler ange.
#

nommen hat, von der philoſophiſchen ſehr


ver
142

verſchieden : er kann vorzeigen oder zeich


nen , was er mit ſeinen Ausdrüken meynt:
in der Philoſophie iſt Wort und Begriff fo
genau verbunden , daſs man den leztern
nicht immer mit andern Ausdrüken faſſen
kann. Der Lehrling der Kunſt nimmt mit
dem Kunſtworte zugleich ein Bild des Gegen
ſtandes auf: bey dein Lehrling der Philoſo
phie kann es oft geſchehen , daſs er nichts
als das Wort aufnimmt, und mit demſelben
einen Begriff zu haben glaubt; wenn man
ihn auffordert , den Begriff zu entwikeln,
ſo zeigt fichs, daſs er nur das Wort gelernt
1)
habe . Hieraus entſtehen mancherley Nach
theile für die Wiſſenſchaft ſelbſt. Die Schu.
len , ſagt Herder * ); wählen fich gewille
1
Lieblingswörter , die fie als Spaziergänge
brauchen , uin eine Materie nach Belieben
zu betrachten . Man hat einige Grundfaden,
die zu allen Schriften dienen müſſen , und
in die man nachher nur die 'veränderten Fi
guren hineinwirkt. Daraus entſteht eine geo
wille Bequemlichkeit im Denken ; man könnte
frey
* ) Ueber die neuere deutſche Lit. Dritte Samm .
S. 48 f.
143

freylich von allen Seiten herumgehn , um


den Gegenſtand aus allerley Geſichtspuncten
zu betrachten ; allein man ſezt ſich auf diefs
oder jenes Wort , als eine alte Ruheſtatte,
und ſieht, was andre vor uns ſahen und
nach uns ſehen werden. Oder man ſchich

tet ſeine Materie nach gewillen alten Einthei


lungen , die ſich auf Schulen vererben , und
ein beſchwerliches Joch im Denken auflegen.
Eben lo wahr iſt es * ), daſs die latei-
niſche Sprache, in der wir die Philoſophie
bekommen haben , einen mächtigen Eindruk
auf den philoſophiſchen Vortrag gemacht,
und in die deutſche Sprache der Philoſophie
einen gewillen Zwang gebracht hat , der dem
Ganzen eine fremde Geſtalt giebt. Lehrbá.
cher und Streitſchriften haben dazu das Meiſte
beytragen helfen . Hiſsmann ſchob die Schuld
auf einen einzigen Mann , auf Wolf, aber
Lien
die Urſache liegt wohl in dem ganzen Gange
der wiſſenſchaftlichen Bildung unſerer Nation.
Se mere
Kann indeſſen irgend eine Art zu philo
i
ſophiren dem Unweſen des Wörterkrams fo រ

kur wohl,

*) Ebend. S. 117. Vergl. Erſte Samml, S. 175 f.


144

wohl , als dieſem Fehler des Latinismus nach


und nach ahhelfen : ſo iſt es gewiſs die kri
tiſche. Die vorhin genannten deutſchen Phi
loſophen, haben für die practiſchen Theile
der Wiſſenſchaft ſehr viel geleiſtet.
viel ,
Wir dürfen von den kritiſchen Philofopben
für die Theorie ein Gleiches hoffen. Da die
Kritik immer auf die Prüfung der erſten
Principien einer Behauptung dringt , und ei
nen Gang nimmt, der fich von dem bisheri
gen merklich unterſcheidet', ſo iſt weniger
für philoſophiſchen Pfittacismus zu fürchten,
und die Wiſſenſchaft muſs allmählig aus der
lateiniſchen Form heraustreten. Im Anfange
war freylich , wie überall bey dem erſten
Auftritt eines originalen Kopfs, Nachbethe
rey und Glauben an die Worte unvermeid
lich. Man muſte erſt Kants . Gedanken ler
nen , ehe man in ſeinem Syſteme denken ler
nen konnte,

>

EL

1
145

* , ho

EINIGE
using
ch
? ALLGEMEINE " RESULTATE

AUS

DER GESCHICHTE DER PHILOSOPHIE.

ini bos

; -.. ‫ ' ! ܨ‬.. : "


‫گرد‬
Die Geſchichte der Philoſophie würde ſchon
dann ein belohnendes Studium leyn , wenn
he uns auch nur mit einer groſsen Menge
menſchlicher Meynungen bekanntmachten
und uns daran einen Stoff zur Vebung des
Scharflinns und der Urtheilskraft vorlegte.
Aber ihr Nutzen iſt unftreitig viel gröſser.
Sie gewöhnt uns an Bibigkeit und philolo .
phiſche , Duldſamkeit , indem fie uns den
Quellen der Meynungen und Träumeregen
nachforſchen lehrt. Sie macht vorſichtig
K gegen
146

gegen die mannigfaltigen Arten des Aberglau


bens und der Schwärmerey , indem fie war.
nende Beyſpiele aus der vorigen Zeit aufſtellt.
Sie macht gegen prahleriſche Ankündigung
neuer Erfindungen miſstrauiſch. Sie zeigt an
unzählichen Beyfpielen die Urſachen philoſo
phiſcher Streitigkeiten , die Macht der Vorar
theile, und die Hinderniſſe, welchejede neue
1 Wahrheit zu überwinden hatte , ehe ſie eine
allgemeinere Aufnahme fand. Sie giebt uns
mancherley Proben, wie gering und zufällig
oft die Urſachen der wichtigſten Entdekun.
gen im Reiche der Wahrheit geweſen find,
und erinnert uns dabey nachdrüklich an eine
höhere Hand , welche die Entwikelung des
menſchlichen Geiftes unſichtbar aber weiſe
leitet. Sie ſtellt uns Märtyrer der Wahrheit
auf, an deren Beyfpiel wir eben ſowohl Be
hutſamkeit, als Standhaftigkeit lernen kön
nen . Anderer individueller Vortheile nicht
zu gedenken,
Ich will bier bey reinigen allgemeinen Re
ſultaten ſtehen bleiben , welche fich aus der
geſamten Geſchichte der Philoſophie 'ergeben.
Es iſt nichts néues , was ich zu ſagen habe,
aber es iſt, vielleicht nicht ganz ohne Nutzen.
T Wel
147
Welche Wahrheit lehrt uns dieſe Ge
ſchichte nachdrüklicher , als die : daſs der
menſchliche Geiſt zur Philoſophie berufen iſt.
Troz aller glüklichen und unglüklichen Ver
ſuche der Vorgänger unterlieſsen die Nach
folgenden ihre Forſchungen nicht, weder
rolig mutblos gemacht durch die anſcheinende Voll
kommenheit der erſtern , noch durch das
Gefährliche und Troſtloſe der leztern abge
febrekt. Kaum hatte ein denkender Kopf
eine Meynung geäuſert, als ſogleich eine
groſse Menge beſchäftigt war , fie zu erläu .
1

tern , auszuführen , und weiter anzuwenden, .

eine andere , fie zu widerlegen , und noch


eine andere , fie durch neue Ideen zu ver
drängen. Hier ſtanden Männer auf, die
eine beträchtliche Zahl von Erkenntniſſen und
Einſichten ausbothen : dort erhoben fich an
dré , die alle Erkenntniſs für ungewiſs und
täuſchend erklärten. Dennoch lieſsen fich
andere nicht irre machen , von neuem nach
Erkenntnis und Wahrheit zu forſchen . Jezt

verſuchte man auf dem Wege der bloſsen


Speculation , jezt auf dem der Erfahrung,
ins Reich der Gewiſsheit zu dringen. WO

für ſollen wir das halten ?: Für einen kindi


K 2 ſchen
148

ſeben Vorwitz , der in einer Art von Erb


übel ſeinen Grund hat ? Für eine ſtrafbare
Lüfternheit, die Tiur um des Verboths ' wil.
len , nach der Frucht vom Baume des Er:
kenntniſſes begehrt ? Ohne daſs uns die
Philoſophie ſelbſt zu beweiſen braucht, daſs
der menſchliche Geiſt in ſeiner eignen Natur
alle Anlagen zum Philofophieren hat, lehrt
uns die philoſophiſche Geſchichte, daſs dieſe
Anlage, i dieſer Beruf fich unter keinen Um
ftänden und zu keiner Zeit verleugnet hat.
Oder Collte der Schluſs zu gewagt ſeyn:
Was der menſchliche Geiſt ſo viele Jahrhun.
derte hindurch unter verſchiednen Himmels.
ftrichen , troz aller Hinderniſſe und Schwie
rigkeiten , mit raſtloſem und unermüdetem
Eifer gethan hat , dazu muſs er durch ſeine
innere Beſchaffenheit fähig , und durch ſeine
Beſtimmung berufen ſeyn ? Doch , wer hat
je "geleugnet , daſs Denken die wahre Be
Stimmung der menſchlichen Vernunft fes,
and was heiſst Philoſophieren anders, als
heden "
Dinge denken ? Wert das gelenguet bat?
Mich dünkt, alles diejenigen , welche den
Gebrauch der Vernunft nur auf die gewöhn.
lichen
149

lichen Vorfälle und Verhältniſſe unfres irdi


ſchen Lebens einſchränken wollen : alle die
jenigen , welche eine Ohnmacht der Vernunft
in Rüklicht derjenigen Kenntniſſe behaapten,
welche den Kreiſs des Sichtharen überſteigen :
alle diejenigen , welche uns auf Belehrungen
und Offenbarungen von auſsen verweiſen : alle
diejenigen alſo, welche eben aus der Geſchichte
der Philoſophie das allgemeine Reſultat zie
hen , daſs der menſchliche Geiſt zur Er.
..
kenntnis der Wahrheit aus und durch fich
ſelbſt nicht beſtimmt ſey. Hoffentlich wird
fich dieſe Folgerung aus einigen der folgen .
den Puncte hinlänglich herichtigen laſſen .
Hier bleibe ich nur dabey ſtehen , daſs, wenn
der menſchliche Geiſt zur Philofophie berufen
iſt , kein Gegenſtand ſo hoch oder heilig
feyn könne , zu dem fich nicht die Philoſo
phie erheben dürfte. Und gefezt, daſs ſeit
einer beſtimmten Zeit höhere Offenbarung
uns vollſtändig über Gegenſtände belehrt
hätte , denen vorher die Philofophie allein
nachforſchen muſte : Warum waren denn
grade jene Menſchen, dazu beſtimint, adem
jenigen mühſam nachzaforſchen , was wir

ohne alle Mühe erkennen ſollen ? Und find


K 3 denn
150

denn durch dieſe auferè Belehrung wirklich


alle inneren Zweifel bey allen , denen ſie zu
Theil geworden iſt, aufgehoben und ver
nichtet ? Iſt es bloſs Verſtoktheit und Bos
heit, daſs die Menſchen auch ſeit jenem
Zeitpuncte nicht aufgehört haben , mit ihrer
Vernunft über jene Gegenſtände nachzufor
fchen ? Oder beweiſt es nicht vielmehr, dals
die Gottheit wirklich den Menſchen zum
Philofophieren berufen hat , inden Sie ſogar
da , wo sie ſich näher offenbart, immer noch
keine vollſtändigen Aufſchlüſſe giebt, und
damit der eignen Forſchung der Vernunft
keine beſtimmte Grenze fezt ? Doch, wenn
alle dieſe Fragen und Anfichten nicht hinläng
lich ſeyn ſollten , die Wahrheit unſers Satzes
zu beſtätigen , ſo führt uns die Geſchichte
der Philoſophie noch auf eine andre Bemer
kung , die fich nicht zurükweiſen läſst, daſs
nemlich in eben dem Verhältniſſe, in welchem
das Studium dieſer Wiſſenſchaft ſtieg oder
ſank , die Geiſtescultur eines Volkes über
haupt zu- oder abnahm , und daſs von die
ſem Studium ,' ſelbſt die richtige Einhcht in
die Lehren einer höhern Offenbarung zu aller
Zeit mit abhieng. Oder war es nicht die
Pbilo
151

: Philoſophie ,' die allen ſchwärmeriſchen und


‫ܪ ܕܨ‬ myſtiſchen Auslegungen dieſer Lehren in den
Weg trat? die alle erkünftelte Deutungen
zerſtöhren half ? die durch ihre belfern Be
griffe von dem göttlichen Weſen alle die un
würdigen Vorſtellungen aufhob , welche
der bloſse Wortverſtand erzeugte und begün .
ſtigte ? die manche von Menſchen erdachte
Dogmen erſt verdächtig machte , und dann mit
Hülfe andrer Wiſſenſchaften aus dem Wege
ſchafte ? Ich weiſs wohl , wie ſehr man dar
üher klagt , daſs die Philoſophie fich zu viele
more Rechte angemaſst hahe , aber das würde in
keinem Falle ihre wahren Verdienſte aufhe
ben . Und wenn noch je eine gereinigte gei
ftige Religion allgemeiner werden kann : Do
iſt das blos von dem Beyſtande der Philofo
phie zu erwarten .
Ein anderes wichtiges Reſultat iſt die Be
trachtung , daſs die traſtreichen Lehren der
Vernunft durchaus mehr Freunde und Vertheidi.
ger , als Gegner und Leugner gefunden haben.
Gegen einen , der dagegen Zweifel erhob,
fanden fich zehn andre , die fe in Schutz
nahmen ; und der gehäſsige Naine eines Athei
ften erſcheint demjenigen , der Geſchichte
K 4 der
152

der Philoſophie ſtudiert, bey weitern in keie


nen fö gehäſsigen Lichte , wie einemandern,
der ihn auſer dem Zuſammenhange ausſpre:
chen hört. Bey keinem Philofophen war ſein
Atheismus boshafter Unglaube, oder verzwei
feltés Wegwerfen aller Wahrheit. Sie jagten
alle der Erkenntnis eines Gottes nach , aber
he wurden entweder von bangen Räthfelu
und Unauflöslichkeiten aufgehalten , und wago
ten nicht zu beweiſen , was fie doch im
Herzen wünſchten und glaubten ; oder fie
glaubten Gott nur da zu finden , wo ſein
Werk iſt, im All faben fie das Eine und in
Einen das.All.- Es iſt unſtreitig kein ganz
verwerHiches Argument , welches man zum
Theil für die Begründung gewiſſer Wahrhei
ten angeführt hat, daſs fie von allen , nor
einigermaſsen gebildeten , · Völkern geglaubt
worden find.
Wenigſtens bürgt es für die
Allgemeinheit des Bedürfniſſes folcher Wahr
heiten , und ſelbft die kritiſche Philoſophie
bedient fich in einem gewiſſen Puncte des
Bedürfniſſes einer Wahrheit als einer Art von
Beweiſs dafür . Angenehm und troftreich iſt
es , zu beinerkeii , wie bemüht die Denker
von jeher geweſen fund , für das Daleyn eines
Gat
1

153

Gottes und die Fortdauer unfrer Seele Be


weiſs auf Beweils zu erfinden , bald aus Be
griffen und Syllogismen für die Speculation,
bald aus Gefühlen , Hofnungen und Erfah.
rungen für den gemeinen Menſchenverſtand.
Alle Bedenklichkeiten und Zweifel dagegen
waren nur Aufforderung , die Leweiſe immer
feſter zu machen , und neue Wege der De
monſtration auſzuſuchen . Aber iſt nicht
vielleicht dieſe Bemühung mehr die Wirkung
eines philoſophiſchen Phlegmag “ welches fu
gern Ruhe hat , oder der pofitiven Religionen,
die. neben der Philoſophie beſtanden , und
I.
denen die Denker nicht gern nachſtehen woll
ten ? Mag es: ich brauche nicht zu wider,
{ treiten . Auch in dieſem Fall bleibt das Be.
dürfnis unverkennbar. Aber haben denn
alle dieſe Bemühungen für die Auflöſung je
ner Probleme etwas Erhebliches geleiſtet ?
Sind jene Hofnungen oder Glaubensartikel bis
zur höchſten Evidenz erwieſen ? Wir können
die leztere Frage verneinen , ohne die erſtre
verneinen zu dürfen.. '. Höchſte Evidenz ſoll
und kann bey Gegenſtänden dieſer Art dein
menſchlichen Geiſte nicht zu Theil werden,
aber, was ihr am nächſten kommt, das hva.
K 5 hen

1
154
ben die Forſchungen der Denker geliefert.
Allerdings ſind die Beweiſe für jene Aufga.
ben , welche die Philoſophen aufſtellen, nur
Entwiklung der Gefühle, welche jeden den
kenden Menſchen zum Glauben an Gott und
Unſterblichkeit faſt unwillkührlich drängen:
und der , welcher aus der Verpflichtung zuma
Guten , oder aus dem Misterhältnis zwi.
ſchen Tugend und Glükſeeligkeit, auf die
Nothwendigkeit eines Gottes und einer Fort
dauer ſchlieſst, fagt ſo wenig etwas Neues,
als ein andrer , der an den Himmeln die
Ebre Gottes erkennen lehrt, und aus den
Geſetzen der Natur die Unvergänglichkeit
des Geiſtes folgert. Aber es iſt auch nicht
die Beſtimmung der Philoſophie, den menſch
lichen Geiſt Dinge zu lehren , die ihm neu
und fremd find , ſondern , aus den in ihm
vorhandnen Fähigkeiten und allgemeinen An
lagen zum Denken die beſondern Gedanken
und Wahrheiten herauszubuchſtabiren.
Endlich aber , hat denn nicht die Kritik alle
die bisherigen Gründe für jene tröſtlichen
Artikel ſo gut, als aufgehoben , hat ſie nicht
ihre Unzulänglichkeit dargethan , und folge
lich die ſchönſten Früchte einer ſo vieljähri
gen
155

gen mühſamer Arbeit mit Einemmable zer


ſtöhrt ?Ich darf auf dieſe Einwendung nur
an das erinnern , was bekannt genung iſt,
und keiner weitern Ausführung bedarf, daſs
die Kritik den bisherigen Beweiſen zwar
apodictiſche Gewiſsheit , aber nicht Zulang
lichkeit zur Ueberredung abſpricht, und daſs
Sie es eines jeden individuellen Bedürfniſſen
und Gefühlen überläſst , welche Argumente
er zu den ſeinigen machen will. So wahr
alles iſt , was ſie z. B. gegen den phyfico.
- theologiſchen Beweiſs aufſtellt, ſo wenig wird
darum ein Menſch , der Sinn für die Natur
und ächte Einpfindungen hat , dieſen wahr
haft ehrwürdigen und erbaulichen Beweils
fahren laſſen. Was ihm an ſpeculativer Bün
digkeit abgeht , . erſezt unſer lebendiges Ge.
fühl. In der That hat die Kritik uns erſt
gelehrt , welchen Gebrauch wir von allen den
früher aufgeſtellten Beweiſen für jene Ver
nunftprobleme machen ſollen , indem , fie uns
zeigt , daſs wir mit ihnen nicht die ſtolze
A: Ruhe des Willens , ſondern die ergebne Be
ruhigung des Glaubens begründen ſollen ,
j Endlich glaube ich auch die Bemerkung
durch die Geſchichte der Philoſophie beſtätigt

'y
156

gefunden zu haben : daſs fich die Wahrheit


dem menſchlichen Geiſte nie ganz und auf eine
mahl zeige. Wäre je der Zeitpunct da gewe.
ſen, oder wäre er es jezt, wo alle Den
kér ohne Ausnahme mit ibren Unterſuchungen
fertig werden , und ſich dreuſt rühmen könn
1

ten , die Wahrheit ganz und ohne den mins


deſten Zuſatz von Irrthum und Zweifel ent
dekt zu haben : ſo würde ein Stillſtand ein
treten , der der Menſchheit nicht anders als
gefährlich werden müſte.“ Nur die fort
dauernde Möglichkeit immer neuer Entdekun.
gen , die Ungewiſsheit und Zweifelſucht auf
der einen , und das Streben nach Gewiſsheit
anf der andern Seite verinag den Geiſt rege
und -feine Kräfte in beſtändiger Thätigkeit zu
erhalten . Ich will damit nicht ſagen: daſs
der Menſchheit gar keine Wahrheit vergönnt
ſey Die Geſchichte der Philoſophie lehret
vielmehr, daſs jede philoſophirende Parthey
wenigſtens Eine Seite der Wahrheit entdekte,
und dafs der Grad vori Licht und Erkenntnis,
den gewiſſe Zeiten oder Nationen unter hch
vertheilten , auch finner zur individuellen
Glükſeeligkeit derer - Zuréichte , die ihn zu
brauchen verſtanden . Die Vorſehung bat da.
für
157

für geſorgt, daſs jener Stillſtand des Geifies


nicht leicht eintreten könne. Das Menfchen .
geſchlecht ändert fich beynahe täglich , und
mit ihm ſeine Bedürfniſſe, ſeine Anſichten 1

und ſeine Hofnungen. Wir haben ſelbſt in


den neueſten Zeiten Begebenheiten erlebt,
“总 welche den trotzigſten Dogmatiker, der ſein
Syftem von Natur- und Völker - Recht längſt
geſchloſſen glaubte, zu einer Reviſion ſeiner
Philoſophie bewegen muſten . Und ſo wird
es in der Geſchichte der Menſchheit nie an
neuen Schwierigkeiten fehlen. Alle Philofo .
phie aber hat den Zwek , Schwierigkeiten
aufzulöſen . Eben fu werden einzelnen Indi
viduis nie die iminer neuen Gegenſtände des
Intereſſe ausgehen , und init jedem neuen
Intereſſe entſtehen in uns neue Anfichten ,
oder , wenn ich ſo ſagen darf, neue dunkle
Fleke , die erleuchtet ſeyn wollen. Alle
Philoſophie aber gewinnt eben dadurch Werth
und Zuſpruch , daſs sie unſre dunkeln und
unentwikelten Ideen , aufhellt und entwikelt,
und über die ſchattigten Gegenden unſers Ver
ſtandes Licht verbreitet. Eine Menge Ideen,
die vor Jahrhunderten für Denker und Nach
bether beruhigend und vollkommen genügend
W2
158

waren , würden heute kaum das Volk mehr


zufrieden ſtellen , und vielleicht wird ſich
eine ſpäte Nachwelt ſehr wundern , wenn
fie ihre Erkenntniſſe mit denen vergleicht,
die wir für allgemein gültig und beruhigend
ausgeben und annehmen . Ich leugne nicht,
daſs die allgemeinen Geſetze des Denkens im
Menſchen von jeher fo da geweſen ſind, wie
he es noch heute find , und daſs he eben fo
unveränderlich bleiben werden : aber daraus
folgt nicht, daſs ſich mit den Gegenſtänden
und Verhältniſſen die Anwendung derſelben
nicht ändern , das heiſst, entweder erwei
tern oder verengen ſollte. Newton dachte
nach keinen andern Formen und Geſetzen,
wie. Tycho de Brahe, dennoch hat er Ent
dekungen gemacht , die der leztre nicht abn
dete .*** Dürften wir nicht, ohne zu abſpre•
chend zu urtheilen , aus dieſen Bemerkungen
auch den Schluſs ziehen , daſs die Bemühun
gender kritiſchen Philoſophie wohl nie allge
mein werden anerkannt, und ihr aufgeſtell
tes Syſtem nie zu einem allgemeinen und
unbeſtrittenen Glaubensſymbolum fich erheben
werde ? Vielmehr darf man ſagen , daſs das
Verdienſt dieſer Philoſophie eben darinn bes
ſtehe,
159

ſtehe, daſs ſie die Denker an eine beſtändige


Prüfung und Durchforſchung alter und neuer
Ideen erinnert, und es ihnen zur Pflicht
inacht , nie auf gutes Glük zu behaupten
und zu verneinen .
Und in dieſer Rükſicht macht , ſelbſt nach
dem Zeugniſſe ihrer Gegner , die Kritik eine
der merkwürdigſten Epochen in der Ge.
ſahichte der Philofophie.

‫م‬

ra
3

KUR
160

K U R 2 E

GESCHICHTE DER LOGIK

BEY DEN GRIECHEN .

So wie die Sprache einer Nation ſchon eine


geraume Zeit im Gange geweſen und zu einem
anſehnlichen Grade von Bildung gediehen ſeyn
muſs , elle an eine förmliche Grammatik der
ſelben gedacht werden kann : eben ſo müſſen
ſchon viel und mancherley Uebungen und
Verſuche im Denken vorausgegangen ſeyn,
bevor es einem ſcharfſinnigen Kopfe einfallen
kann , über die Natur und Regeln des Dens
kens einige Betrachtungen anzuſtellen. Wir
würden es mit Zuverlicht für eine Erdichtung
oder für ein Misverſtändnis erklären dürfen,
wenn irgend ein alter Schriftſteller uns die
Nach
161

Nachricht gäbe , daſs Thales ein vollſtändiges


Syſtem oder auch nur einige richtige Ideen
yon Logik oder Dialektik gehabt habe.

Lange Zeit hatte fich das Nachdenken der


älteſten Forſcher init Betrachtung der äuſern
Gegenſtände , mit Fragen über ihren Urſprung
und Zuſammenhang und ähnlichen Puncten
beſchäftigt. Man war unvermerkt , aber
i
ſehr natürlich auf die Frage über die Wahr
heit finnlicher Erkenntniſſe gekommen , ſchon
gab es einige , welche dieſelbe beſtritten , und
dagegen der Erkenntnis durch Vernunft oder
Nachdenken mehr Gewiſsheit und Zuverläſsige
keit ' zuſprachen . Man hatte Verſuche ge
macht , zu beweiſen , und zu widerlegen.
Dadurch wurde das Bedürfnis gewiller Re
geln fühlbar , nach denen fich das Nachden.
ken bey dem Erweiſe eines gefundnen Be.
griffes oder bey der Widerlegung eines an
dern dagegen aufgeſtellten richten könne. Je .
der Nachdenkende war ich ſolcher Regeln
PU
bewuſst, und die Bündigkeit , womit z. B.
Xenophanes aus dem Grundſatze: aus Nichts
wird Nichts, eine ganze Menge Folgerungen
TÁLE ‫و‬ ableitete , würde uns leicht auf den Gedan
L ken
162

ken "bringen können , daſs er die Theorie


der Schlüſſe wiffenfchaftlich ſtudiert habe.
Aber wir haben zu dieſer Meynung ſo wenig
Grund , wie zu der Behauptung , daſs Ho
mer oder Ariſtophares ihre Sprache gramma
tiſch unterſucht haben .

" Die Frage iſt nur dieſe : Welcher grie.


chiſche Philoſoph hat zuerſt. Regeln und Ge
ſetze des Denkens , Urtheilens und Schlüſſens,
wenn auch nur rhapſodiſtiſch , aufgeſtellt?
In den erſten , und wenn man will , incon.
ſequenteſten Philoſophemen , webt das Prin
cip des Widerſpruchs und des Grundes: aber
wer dürfte , um bey unſerm Gleichniſſe ſte
hen zu bleiben , die Geſchichte einer Gram
matik mit den Schriftſtellern anfangen, die
Şubject und Prädicat in richtigen Beziehun.
gen verbunden haben ?

Nach einer Anmerkung des Sextus *) legte


Ariſtoteles in einem verlohrnen Werke die
erſten Verſuche in der Rhetorik , dem Ge
genſtük der Dialectik , wie er hie nennt, dem
Em

* ) Adv. Math. VII, 6 .

!
}

163

Empedocles bey. Sextus hält auch den Parme.


nides für keinen Layen in diefer Wiſſenſchaft,
und ein fpäterer Schriftſteller läſst ihn , ich
weiſs nicht, nach welcher Nachricht, in
einem Felfen wohnen , und dort als einen
philoſophiſchen Aſceten den Regeln der Lo
gik nachgrübeln *). Einmüthiger nimmt man ,
nach Ariſroteles Angabe ** ), den Zeno von
· Elea für den erſten Erfinder der Dialectik an .
Die Data hierüber find nicht ſehr vollſtäns
dig und deutlich . Nur ſo viel ergiebt fich
aus allem , daſs Zeno gewille täuſchende
re ‫ܠܳܐ‬ Kunſtgriffe ausgedacht hatte , einen Gegner
irre zu führen , und dureh allerley verſtekte
Fragen ſo weit zu bringen , daſs er wider
ſeinen Willen die Wahrheit der gegneriſchen
Meynung eingeſtehen muſte , ſelbſt ohne da
1

‫ܬ‬ von überzeugt zu ſeyn . Eine Probe davon


giebt ſeine Meynung von der Bewegung , die
er durch vier blendende Schlüſſe wegleug.
nete. Ich erinnere mich nicht , dieſen Punct
1
vollſtändiger und mit mehrerm Scharffinne
I. 2 behan

* ) Johannes Sarisber. Metal, 2 , 2.


**) Sextus lo c . 7. und Diog Laërt. 9 , 25. 8 , 57.
164
behandelt gefunden zu haben , als bey Tie.
demann *) , und ich kann alſo dahin ver.
weiſen . Ein unbefangner Leſer dieſer Ent
wiklung wird eingeſtehen , daſs Zeno über
allen Glauben fein grübelt, und ſeine Spe
culation in die ſchärfſten Schlüſſe einkleidet.
Dennoch war dieſes dialectiſche Verfahren,
wie es ſcheint, mehr eine zufällige Form
dieſes Kopfes , als die Folge eines wiſſen
ſchaftlichen Studiums. Er fand die Ideen
nicht vermittelſt des Schlüſſens, ſondern er
gerieth auf dieſe Schlüſſe durch ſeine Ideen,
und wir können nicht einmahl entſcheiden,
ob nicht Ariſtoteles , der fie am ausführlich
ften mittheilt , ihnen erſt die fyllogiſtiſche
Form geliehen habe.
Die Einrichtung des Staats und der öf.
fentlichen Geſchäfte machte Beredſamkeit
al di s e
nothwendig , und Beredſamkeit ,
konnte
Kunſt zu überreden und zu lenken ,
ohne gewiſſe Kunſtgriffe in der Darſtellung
der Materien nicht beſtehen . So lange eine
Nation noch auf der Stufe Homeriſcher Zeit.
cultur

* ) Geift der ſpec. Phil. Th . 1, $. 290 f .


.
165
;

‫܀‬. ; ! cultur fteht, da vermag freylich die bloſse


Fertigkeit im Ausdruke , mit Berufung auf
alte Begebenheiten und tägliche Erfahrung,
ſo ſehr auf die horchenden Zuhörer zu wir
‫ܝܢ‬
ken , dafs hie ſchweigend da ſitzen , und die
Rede des gewaltigen Sprechers anſtaunen .
Aber die Griechen wurden feiner , einfichts
voller und redfertiger ; ihre Staatsverhält
.
nille wichtiger und verwikelter , und ein
zelne Partheyen bedeutender. Beredſamkeit
ward alſo ein Studium , worauf faſt alle 1

übrigen Wiffenfchaften Hosarbeiteten , *Mit


den öffentlichen Lehrern der Beredſamkeit,
den Sophiſten , begann daher der Zeitraum ,
den man eigentlich den dialectiſchen nennen
‫ܘܐ܂‬ kann .
Die mancherley künſtlichen Wendungen,
denen dieſe feinen Köpfe nachſpürten , zum
Behuf öffentlicher Vorträge, drängten fich
ihnen natürlich auch bey ihren philofophi
fchen Unterſuchungen auf, und das Syſtem
eines Protagoras oder Gorgias über die Rela
tivität der menſchlichen Erkenntnis entſtand
augenſcheinlich aus dem Raffinement, womit
fie politiſche Streitfragen auf alle Seiten zu
drehen , und in verſchiedenem Lichte darzu
el L 3 ſtellen
166

ſtellen wuften . Die Dialectík ,, inmer nur


als Kunſt zu beweiſen und zu widerlegen
betrachtet, mufte durchaus auf den Satz ge
baut werden , daſs fich alles beweiſen und
alles widerlegen laſſe, oder mit andern Wor
ten : daſs és über jeden Gegenſtand zwey
einander grade widerſprechende Vorſtellungs
arten gebe. Auch damals ſchon , hatte man
häufig die Erfahrung gemacht, daſs die Men
ſchen über alle Gegenſtände des Denkens
verſchieden , und doch nicht alle ganz falſch
urtheilten . In den auffallendſten Behauptun
gen war doch immer eine Spur von Wahr.
beit, und man fand keinen Gegenſtand, der
nicht mehr und ganz entgegengeſezte Sei
ten und Beſchaffenheiten hatte. Von dieſer

Beobachtung bis zu dem Lehrſatze von der


6
Relativitat aller menſchlichen Vorſtellungen
war der Schritt nicht groſs und gewaltſam.
Aber eben dieſer Lehrſatz war auch das eino
zige Prinzip des dialectiſchen Verfahrens,
und inachte eine eigentliche . Wiſſenſchaft die
ſes Namens unmöglich . Immer blieb es nur
dem Scharfſinne eines Jeden , ſeiner Kennt
nis von dem ſchwebenden Gegenſtande des
Streits , und ſeiner Fertigkeit in Wendungen
über
167
überlaſſen , wie er ſeinem Gegner die Rela
tivität ſeiner Meynung deutlich und dadurch
die Idee ſelbſt verdächtig machen konnte.
Mit Recht haben daher die hierher : gehöri.
out gen neuern Schriftſteller für dieſen Zeit
raum die Ueberſchrift : Logik , als Kunſt ge
wählt, - und ſchon an dem Verfahren des
Socrates mit den Sophiſten erwieſen , wie
wenig fichre Gründe für ihre Behauptungen
und Beweiſe die leztern haben muſten .

Eben dieſer Gegner der Sophiſten erſcheint


ar
in Platons Dialogen als ein fertiger Dialecti
ker , er unterſucht da. mit groſser Genauig
keit und Strenge die vorgelegten Definitionen
la
und Eintheilungen , zerlegt Syllogismen ,, und
ſtellt die fubtilften Wortforſchungen an .
Aber wir wiſſen , daſs Platon's Socrates ei
gentlich Platon ſelbſt iſt , und wir haben al
fo diefen Namen hier einzutragen. : Wer
auch nur ſeinen Parmenides geleſen hat
wird willen , mit welcher Schärfe Platon
Begriffe theilt und unterſcheidet. Seine Sub
tilitäten werden für heutige Leſer oft uner
träglich : für die fyſteinatiſche Bearbeitung
einer Logik hat er nur Materialien geliefert.
L 4 In
168

Indeſſen ward ſeit ſeiner Zeit die Eintheilung


der geſammten Philoſophie in Phyfik , Ethik
und Dialectik in Gang gebracht, Sextus legt
fie ganz beſtimmt dem Schüler Platons dem
Xenocrates bey. Durch dieſe Abtheilung
muſte natürlich der erſte Grund zu einer be.
ſondern und zuſammenhängenden Abhand
lung der Logik gelegt werden , und man
fieng an , die Fragen über Wahrheit und
Kriterien der menſchlichen Erkenntnis, , die
Kapitel vom Beweiſen und Schlüſſen, und
eine Art von philoſophiſcher Sprachforſchung
unter dieſem Namen ? zu bearbeiten. Eine
der Socratiſchen Schulen , die Megariſches
gab durch ihre Künſteleyen und Streitigkei
ten dem ganzen Studium einen wichtigen
Stoſs. Es iſt bekannt, wie fehr Euclides
und feine Anhänger ſich mit Erfindung liſti
1.
ger Trugſchlüſſe beſchäftigten , und wie ge.
fährlich ihre Eriſtik den damaligen Dogmati.
kern werden Die sieben Trug
muſte .
Schlüſſe * ) , welche Eubulides erfand und
Priser Stíl.
1

* ) $. Diog, 2 , 10. 4. Sie ſind unter den Namen


des lägenden , des täuſchenden . der Electra,
des verhüllten , des Sorites , des gehörnten und
des

i.
169

Stilpon benuzte , machten viele Philoſophen


irre , oder ermunterten andre , auf eine
Auflöſung derſelben zu ſtudiren .
Es würde leicht ſeyn , aus Sextus und
Diogenes ein langes Verzeichnis von Philofo
phen hierher zu ſetzen , die über logiſche
Gegenſtände gelehrt und geſchrieben haben .
Aber die blofsen Titel ihrer Abhandlungen
geben uns zu wenig Kenntnis von den Fort
ſchritten der Wiſſenſchaft ſelbſt.
Sowohl um die Künſte der Eriſtiker zu . '
vernichten , als überhaupt gegen alle fernern
Angriffe einer überfeinen Dialectik geſichert
zu ſeyn , wendeten die Stoiker vielen Fleiſs
an , die Dialectik auf beſtimmte Regeln zu
bringen und in einem zuſammenhängendern
Ganzen aufzuſtellen . Folgende Puncte mach
ten den Hauptinhalt ihrer Dialectik aus :

1) die Unterſuchung über den Urſprung und


‫ا‬ ii
po pot
die Wahrheit der Begriffe , und die Kenn
zeichen des Wahren , 2) eine Aufſtellung der
verſchiedrien Schluſsformen und Beweiſsarten,
L 5 3)

des kahlen bekannt." Ihre Auföſung hat belona


ders Gallendi verſucht.

>
170

3) grammatiſche Forſchungen über den Ur.


ſprung, die Bedeutungen und Formen der
Wörter , als Zeichen der Begriffe , wobey
zugleich die Lehre von Definition , Eintbei
lung und Unterſcheidung abgehandelt wurde.
Der erſte Theil war es vornemlich , den fie
gegen alle Arten von Sceptiķern als Ballwerk
brauchten . Wir rechnen heute zwar die
Frage von der metaphyſiſchen Wahrheit der ,
Erkenntnis nicht zur. Logik , aber bey den
Alten ward lie durchaus dazu gezäblt, um
ſo natürlieber, da wenige ihrer Philoſopher
einen ganz 'deutlichen und beſtimmten Unter
ſchied zwiſchen metaphyhſcher und logiſcher
Wahrheit machten oder benuzten. Die bey
den Partheyen der Academiker ſtellten der
Stoą zwey ſehr wichtige Probleme entgegeny
Carneades die Frage : ob es für uns irgend
einen Satz gebe , deſſen Gewiſsheit ſo apo
dicțiſch ſey, daſs an gar keine-Möglichkeit
eines Irrthums gedacht werden dürfe, Arce:
filas die: ab- wir bey jedem Satze gleich viele
und gleich ſtarke Beweiſe für und wider ba
ben ? Die Stoiker behaupteten das erſtre und
verneinten das lezţre, Şie nabmen allgemeine
erſte Grundbegriffe an , die aller Erkenntnis
Zum
అంత themes
పలు
171

zum Grunde liegen und unſern Schlüſſen Si


cherheit geben. Aber ihre ganze Entwiklung
dieſer Ideen gehört nach unſerer Grenzbe
ſtimmung der Wiſſenſchaften eigentlich in die
Metaphyfik , Für die Geſchichte der Loyik
iſt ſie wichtig, als ein nicht unbeträchtlicher
Verſuch , den Quellen der Begriffe und Ur:
theile tiefer nachzuſpüren , und durch die
Feſtſtellung des Begriſs von inaterialer. Wahr
heit auch die formale zu beſtimmen , Beyde
‫میں‬
Arten felen in dem Syſteme der Stoiker .na
türlich zuſammen , inſofern ſie zum Krite
rium des obiectiv.Wahren die fubiective Be
greiflichkeit annahmen . Die Stoiker, und
namentlich Chryfipp , vermehrten auch die
Syllogiftik mit einigen · Erfindungeri, wohin
der Schluſs vom Hauſen gehärt. Gegen die
ganze Dialectik der Stoa trat in der Folge
Epikur als Gegner auf, Richtiger , als fie,
internet
gab er den Urſprung der menſchlichen Er
M kenntnis an , und bey der Einfachheit ſeiner
park Kriterien der Wahrheit , ( Sinnliche Empfin
dung , reine Vorſtellung a priori- und Ge
dal
fühl der Luft und Unluft ),muſten von ſelbſt
auch ſeine Regeln über Unterſuchung der
Wahrheit, über Beweils und Widerlegung
viel
do 172
172

viel einfacher ausfallen . Seine Kanonik , wor.


inn er eine Art von Elementarphilofophie ab
handelte , enthält, ſo viel wir noch dayon
urtheilen können , einen ſehr guten Abrils
der Logik , ( als Kanon des Verſtandes, nicht
als Organon betrachtet. )

Bey der veränderten Geſtalt, welche die


philoſophiſchen Wiſſenſchaften in den neuern
Zeiten bekommen haben , finden fich für
den Geſchichtſchreiber einer ſolchen Willen
ſchaft mannigfaltige Schwierigkeiten vor.
Entweder er ſelbſt kann fich nicht leicht er
wehren , der Beſtimmung eingedenk zu blei
ben ,' womit man in neuern Zeiten den In
halt und die Grenzen dieſer Wiſſenſchaft feſto
geſezt hat , und dann iſt er in Gefahr, wi
der ſeinen Willen die Nachrichten der Alten
zu verfälſchen oder zu deuteln ; oder die
Leſer , die beſtändig die neuere Wiſſenſchaft
vor Augen haben , vermiſſen in ſeiner Er
zählung Vollſtändigkeit und Befriedigung,
ſowohl, wenn er ſich getreu an den Namen
hält und nur alles das mitnimmt, was die
Alten unter dem Namen der Wiſſenſchaft
begriffen , als, wenn er , ohne auf dieſen
zu
173
zu achten , bloſs auf die Sachen Rükſicht
nimmt, welche nach unſerer Vorſtellung
dazu gehören. Die Geſchichte der Logik ,
um hierbey ſtehen zu bleiben , läſst ſich auf
zwey Arten behandeln. Einmahl , wenn wir
die Frage uns vorwerfen : Was nannten die
Alten Logik , was rechneten fie dazu , mit
Recht oder Unrecht, wer bearbeitete fie,
und welchen Werth legte man ihr bey ? Wie ,
wann und wodurch ward sie vermehrt , ver.
engt , umgeſchaffen ? Zweytens , wenn wir,
init ( teter Rükſicht auf unſern Begriff von
Logik , die Unterſuchung anſtellen : Wann
und von wem ſind Sätze aufgeführt und Spe
culationen unternommen worden , die in
unfre. Logik gehören ? Wo findet ſich die
‫میر‬ erſte Spur einer Idee , die der unſrigen nahe
kommt ? Wie viel haben die Alten unſern
am
Logikern vorgearbeitet ? Die erſtre Frage
läſst sich , meiner Meynung nach , in der
Kürze ſo beantworten : Bis auf Ariſtoteles 1

muſs man drey Perioden unterſcheiden . In

der erſtern zeigen ſich Spuren eines logiſchen


Verfahrens in Urtheilen und Schlüſſen über
ut 1

Gegenſtände der Speculation , ohne daſs man


jedoch diels Verfahren auf befondre deutlich
ge 1
174 ,

gedachte Regeln brachte. In der zweyten


feng der Scharfſinn an zu ſchwelgen, und
1
fich in Spitzfindigkeiten zu gefallen. Man
überliefs fich allerley feinen und täuſchen
den' Raiſonnements , ohne dem Princip der
felben nachzuſpüren , die mehr gebildete
Sprache that zu Wortverdrehungen und Wort
ſpielen guten Vorſchuh ; Mangel an ruhiger
and tiefer Unterſuchung lieſs die Sprünge in
Urtheilen und Schlüſſen , weniger bemer
ken. In der dritten Periode fiengen die
Philoſophen an , dieſer Fertigkeit fich mehr
zur Unterſuchung der Wahrheit , als zu blen.
denden Raiſonnements zu bedienen , und ſtatt
fich von der Scheinbarkeit der Syllogismen
betrügen zu laſſen , wagten fie fich an die
allgemeine und erſte Forſchung über obiective
Wahrheit. So wie man in jener Periode
durch abgeriſsne Syllogismen die Vorderſätze
der Wiſſenſchaft entweder überſprang oder
uinſtieſs : [ o fieng man jezt an , aus gülti
gen Prämiſſen Schlüſſe zu leiten und eine
Theorie zu begründen . Die erſtre Periode
characteriſirt fich alſo durch Uebung des lo
giſchen Vernunftvermögens, ohne Theorie
und Regeln , die zweyte , durch Vebung des
+ Ver
175
Verſtandes an fyllogiſtiſchen Spizfindigkeiten ;
die dritte , durch Unterſucung über das We
ſen des Verſtandes , über Erkenntnis , Wahr
heit und Irrthum , mit logiſcher Anwendung
dieſer Prämiſfen auf vorkommende Probleme
der Philoſophie.
Die andre Frage, die man bey einer
Geſchichte der Logik vorlegen kann , wird
fich am beſtimmitelten beantworten laſſen , 2

wenn wir unſre Aufmerkſamkeit auf das


richten , was Ariſtoteles verſucht und ausge
führt hat. In ſeinen hierher gehörigen Schrif
ܸ‫ܗܸܪ‬
ten findet ſich alles weiſlich geſammelt und
geordnet, was von frühern Denkern ent
dekt worden war ; an einzelnen Namen
kann uns bey einer ſolchen Geſchichte we.
nig liegen.
‫و می‬ Ariſtoteles iſt wohl ohne Zweifel der
erſte , der fich den Unterſchied zwiſchen
de metaphyſiſcher und logiſcher Wahrheit am
ver beſtimmteſten dachte , und auf die Idee ei
nes Organons der Philoſophie gerieth : eina
$
Name, welchen daher Neuere der Samm
lung Ariſtoteliſcher Schriften beygelegt ha
ben , die zur Behandlung der Logik gehöv
‫ ܕܕܬ‬3 ren ,

Ge.

1
176

Genau hatte Ariſtoteles Empfindungsvero


mögen und Denkkraft unterſchieden . Zur
leztern rechnet er Vorſtellungsvermögen und
Urtheilskraft, und ſchreibt ihr die unbe.
dingteſte Allgemeinheit, d. h. das Vermögen
zu , Alles denkbare zu denken . Immer ein
1
gedenk des Unterſchiedes zwiſchen Materie
und Form , der ihn faſt überall bey ſeinen
Unterſuchungen leitete , unterſchied er ſebr
richtig auch bey Begriffen und Urtheilen das
was dem Verſtande, und was den Eindrü.
ken zugehört , und ſo wie er das Vorſtel
lungsvermögen an ſich mit einer leeren Ta.
fel vergleicht, auf welche erſt die Eindrüke
äuſerer Gegenſtände eingetragen werden, so
fand er in dem Weſen der Urtheilskraft das
Vermögen , beſtimmte Formen anzunehmen.
Freylich hat er dieſs Vermögen nicht aus.
drüklich reinen Verſtand , und die Art und
Weiſe ſeiner Thätigkeit nicht reine Stamm.
begriffe genannt ; aber man wird es nur zu
deutlich gewahr , daſs ihm eine dunkle Idee
von der Priorität der Allgemeinbegriffe und
Urtheilsformen vorſchwebte. Neuere Philo
ſophen haben dieſe Priorität aus ihrer Noth
wendigkeit und Allgeineinheit geſchloſſen,
Ari
177

Ariſtoteles ſah dię leztren beyden ebenfalls


deutlich ein , aber er folgerte daraus gerade
zu nichts , ſondern verſuchte nur , dieſel
ben aus der Natur der Sprache , nicht des
Urtheils überhaupt , zu erklären. 4

Von den allgemeinſten Namen , womit


wir Gegenſtände, überhaupt bezeichnen , geht
:
er zu den allgemeinen Begriffen fort , unter
welchen wir alle denkbaren Gegenſtände
i ‫وید‬
denken , ( Von Kategorieen ) Subſtanz , Quan.
tität, Qualität , Relation u. f. w. Wenn
" ผู้
s er gleich , nach Kants Bemerkung , mehrere
le
empiriſche Beſtimmungen unter dieſe Katego
rieen aufnimmt , und von keinem fichern
Princip ausgeht: ſo iſt doch bey dieſer gan:
le
zen Darſtellung ſein nicht gemeiner Scharfe
finn unverkennbar . Aus Verbindung eines
nas Subiects und Prädicats entſtehen Sätze oder
Urtheile . Vorläufig handelt er alſo , gewiſ,
ſermaſsen grammatiſch , das Kapitel von der
verſchiednen Form der Sätze oder Urtheile
ab ( Von der Interpretation ), Aus der Ver
gleichung zweyer Begriffe mit einem dritten
V entſpringen Schlüſſe . Davon handeln die
Analytica Priora. Hier entwikelt er mit
5
M gros

‫وع‬
178 strain
groſsem Scharffinn das Weſen eines Schluſſes,
bildet aus der Stellung des Mittelbegrifs die
drey fyllogiſtiſchen Figuren , ſtellt einfache
Regeln über Gegeneinanderſetzung , Umkeho
rung und Zergliederung der Schlüſſe auf,
und wendet dieſe Lehren auf das Kapitel
vom Beweiſen , als dem wichtigſten, in den
Analyticis Poſterioribus an . Aufer dieſen
Schulgerechten Arten zu beweiſen giebt es
aber noch mancherley , die fich auf Erfah
rưng , Aehnlichkeit , zufällige Bemerkungen
3. d. gl. gründen , und , wenn auch nicht
evidente Gewiſsheit , doch wenigſtens Wahr
fcheinlichkeit bervorbringen . Davon wird
in den Topicis ausführlich gehandelt. Der
Widerlegung falſcher Schlüſſe und Beweile,
die theils im Ausdruke, theils in der Vers
wirrung der Begriffe ihren Grund haben, iſt
die Abhandlung Elenchus Sophiſtarum gen
widmet.
Ohne ſich in metaphyſiſche Unterſuchun
gen über die Natur der Seele, über die
Quellen und Arten der Erkenntnis, über
Einfluſs des Körpers auf das Denken und
ähnliche Materien einzulaſſen , betrachtet Ari
eles bloſs, das Denken ſelbſt, als vorhan
denes
179
denes und unleugbares Factum. Diefer ifo .
2. lirten Anfcht haben wir zwar einer Seits
die Vollſtändigkeit ſeiner Logik, andrer Seits
aber auch den Mangel eines erſten Princips
zuzuſchreiben , welches in der That ſeiner
Darſtellung mehr Zuſammenhang und Be
ſtimmtheit gegeben hätte .
Von Ariſtoteles an kann alſo die Logik
erſt als Wiſſenſchaft gelten , und ſeit Ariſto
22
teles hat fie , nach dem Urtheile Kants * ),
ber
im Weſentlichen keine Fortſchritte gemacht.
Sextus hat der Widerlegung oder Beſtrei
tung der Logik einen beträchtlichen Theil
ſeiner Schrift gegen die dogmatiſchen Philo
fophen gewidmet , und da er das ganze Feld
der griechiſchen Logik vor fich ſah , ſo ift
für den , welcher die Logik der Alten ganz
genau kennen lernen will , das 7. und 8.
Buch deſſelben adverſus Mathematicos , wel.
ches gegen die Logiker gerichtet iſt, der
beſte Leitfaden .

* ) Kritik der reinen Vernunft. 2te Aufl. Vorr. VIII.

beradi

M 2 PLAN
180

PLAN

ZU EINER GESCHICHTE

DER PHILOSOPHIE

Plar
läne und Entwürfe zu Bearbeitung literari
ſcher Gegenſtände find gewiſs nicht ganz
Verdienſtlos. Sie dienen dazu , manchen
allzudreuſten Kopf abzuſchreken und an ſeine
Unfähigkeit zu erinnern : Sie machen auf die
Mängel und Unvollkommenheiten in ſchon
vorhandenen Werken aufmerkſam , und kön
nen für denjenigen , der fich an die Bear.
beitung wagt , einen Leitfaden abgeben. Ich
wünſchte , daſs die folgenden Bemerkungen
wenigſtens einen von dieſen Vortheilen geo
währen möchten .
Alle
181

Alle bisherigen Werke über Gefcbichte


der Philoſophie find entweder Compendia
zum Unterrichte , oder Bändereiche mit Li
teratur , Biographien und kritiſchen Unter.
ſuchungen angefüllte Werke , oder raiſonni
rende Darſtellungen ohne Beläge. Die er
ſtern geben nur Materialien zum weitern For• .
ſchen , und bey den leztern iſt man nie fi
cher , was Gefchichte iſt und was dem Ver
PIT
falfer zugehört. Kritik , Literatur und po
litifche Geſchichte find bey einer vollſtändi
gen Bearbeitung der philoſophiſchen unent . 1

behrlich , aber fe unterbrechen die Erzäh


lung , verwirren den Leſer , und erſchwe
ren ihm die Ueberſicht. Am beſten ſcheint
es mir daher zu ſeyn , wenn die Geſchichte
der Philoſophie in Vier Haupt - Theilen bear
beitet würde , wovon jeder ein für fich be
ftehendes Ganzes ausmachte .

Der erſte Theil müſte die Literatur und

ini die kritiſchen Unterſuchungen über die Quel


len und Hülfsmittel ( beſonders der alten Ge
as
ſchichte ) enthalten, Literariſck -kritiſche Vor
arbeiten

M 3 I.
182

! 1. Neuere Literatur .
a ) Werke, die eine allgemeine Geſchichte
der Philoſophie enthalten . Stanley,
Brucker
Compendia , Büſching , Gurlitt, Eber.
hard 1

b ) Beyläufige Erläuterungen derſelben;


Huet , Bayle , Platner -
e) Abhandlungen über einzelne Secten
und Syſteme , Epicur, Stoa, Spino
za u. f.'f. über die Philoſophie einzel
ner Nationen.
d ) Entwikelungen einzelner Lehrſätze,
wie in den Memoires de l' Ac. des
Inſcr. u . a .
e) Allgemeine Geſchichte philoſophiſcher
Lebren , Meiners , Bardili, Werder
mann

f) Specielle Geſchichte philoſophiſcher


Lehren , wie Tennemanns Unſterb
lichkeitslehre der Socratiker, 2. m.
g ) Abhandlungen über einzelne Perſonen,
Begebenheiten u. f. f. in Beziehung
auf G. d. P.
Beurtheilung ihres Werths. Die Geſichts
puncte der Verfaſſer , ihr eigenthümlicher
Leit

1
183

Leitfaden durchs Ganze. Haben fie Kritik ,


oder bloſs Sammlung oder ſchöne Darſtel
1
lung ? - Ihre Mängel und deren Urſache.
II. Literatur und Kritik .
a ) Bücherkritik . Aechtheit der Quellen,
woraus man die alte Geſchichte ſchöpft,
ihre Verfaſſer , ihr Alter , ' ihr Text.
3
Verſchiedne Bearbeitungen derſelben
aus neuern Zeiten.
b ) Hiſtoriſche Krítik .
X'
1 ) Philofophen , deren Meynungen und
Syſteme wir aus ihren eignen Schrif
ten ſchöpfen. Zuvörderſt: Aus wel.
er 4
chen von ihren Werken ? Läſst fich
unter denſelben eine Zeitfolge be
ſtimmen ? In welcher Manier ſchrei.
ben fie , und was ſoll man auf dieſe
LI
Manier abrechnen ? Wollten he ein
Syſtem geben , oder nur über ein
zelne Puncte philoſophieren ? Sind
fie Erfinder , oder Bearbeiter eines
Syſtems ?
2 ) Schriftſteller , die andrer Philoſo
phen Behanptungen anführen. Sind
ihre Nachrichten treu ? Haben Sie
vielleicht ihre eignen Gedanken un
M 4 ter
184
tergeſchoben ? Sahen ſie die Ideen
Andrer aus dem rechten Geſichts
puncte an ? Faſsten ſie den Sinn,
oder hielten ' fie fich blas an Aus.
drüke ? Welchen Denkern ſcheinen
fie am wenigſten hold zu ſeyn?
Wer hat im Collifionsfalle die meiſte
Glaubwürdigkeit für ſich ?
3) Bey den Compilatoren , Diogenes,
Stobäus , Suidas u . a. find zuerſt
die Fragen zu beantworten : 'Wann
aus welchen Werken
lebten Sie ?
haben , ſie hier und dort compilirt ?
mit welchen Abſichten ? ( beſonders
iſt darauf bey den Kirchenrätern
Rüklicht zu nehmen wie hoch
darf man ihre Glaubwữrdigkeit an.
ſchlagen ?
Der zweyte Theil würde der hiſtoriſche
biographiſche ſeyn .
a) Geſchichte der Völker , bey welchen
Philoſophie geblüht hat, luminariſch,
mit ſteter Rükſicht auf diejenigen po
litiſchen und literariſchen Verhältniſle,
welche auf die Philoſophie Einfluſs
hatten .
6 ) Bio
1

1
集1

185

b ) Biographieen der wichtigſten Philoſo ,


phen , mit mehrerer Gründlichkeit,
als die von Fenelon , Dupont Bertris
oder gar Saverien.
Der dritte Theil enthielte die eigentliche
Geſchichte der Philofophie.
Beſtimmung des Begrifs. Einleitung
von der Entwiklung und allmähligen Bil
dung des menſchlichen Geiſtes zur Phi 3

lofophie.
Die Geſchichte ſelbſt nach Völkern ,
1
und Syſtemen , chronologiſch , die lez
;
tern am Ende in einer Ueberſicht nach
ihrer Verwandtſchaft za fainmengeſtellt.
Bey jedem wichtigern Abſchnitte ein
Rükblik auf den Fortgang und die Schik
ſale der Wiſſenſchaft. Soll man hey
den Alten die eignen Worte der Philo
ſophen anführen ? Bey den mehr poe
tiſchen iſt es beſſer, den Sinn heraus
zuheben , aber durch Beläge zu recht
fertigen . Ariſtoteles, Plato und ähn
liche müſſen ſelbſt reden , wenigſtens
müſſen Hauptſtellen wörtlich beygefügt
werden. Geſchieht dieſs nicht , ſo iſt
der Leſer nie gewiſs, ob er die Behaup
M 5 tung
i

1
186

tung des Philoſophen oder pur eine Idee


des Geſchichtſchreibers hat. (Man über,
ſezt z. B. wysig durch Sinnlichkeit, Ap.
ſchauung , Empfindung : alle drey Wör.
ter geben aber einen ganz verſchiednen
Sinn , und ſo iſt es in mehrern Fällen .)
Gute Ideen über die Behandlung ſelbſt
. in Gurlitts Vorrede zu ſeiner Geſch.
der Philoſophie.
Man hüte ſich vor Künſteleyen in der
Theilung und Benennung der verſchie.
denen Perioden .
Ein vierter Theil, welcher die ſpecielle.
Geſchichte der Theile der Philoſophie und
einzelner wichtiger Lehren in sich faſste,
würde zur Ergänzung des dritten dienen.
Muſter dazu in Reinholds Briefen .
Dals bey diefer Trennung unnütze Wien
der ungen vorkommen würden , iſt nicht
hol
zu fürchten ; und durch Berufungen des ei
nen Theils auf den andern würde keiner
aufhören , ein für fich beſtehendes Ganzes zu

feyn.

VON
.
perne

VON DER VERSCHIEDENHEIT

DE R
‫܀‬x
ALTEN UND NEUEN PHILOSOPHIE .

Falt alle Schriftſteller , welche eine Ver


gleichung der alten und neuen Philoſophie
angeſtellt haben , find in eines von den bey.
den Extremen verfallen , entweder der alten
Philofophie allen Werth abzuſprechen , oder
fie auf Unkoſten der neuern Bernühungen
übermäſsig zu erheben . Das erſtre war der
Fall bey einer groſsen Anzahl philoſophiſcher
Geſchichtſchreiber , die , auſer einigen Ideen
eines Socrates , Plato , Ariſtoteles und der
Stoa , alles Uebrige geradehin für Träume
reyen erklären , oder mit einem ftolzen
Rük
188

Rükblik'aụf Offenbarung die armſeeligen Spe.


culationen einer fich ſelbſt überlaſſenen Ver.
9
Ich will dabey
nunft initleidig beſpötteln.
nicht erſt an diejenigen erinnern , welche
aus Mangel an Kritik und voll frommen Ei
fers den alten Denkern allen Ruhm der Er
findung abſprachen und fie eines Plagiats aus
den heiligen Büchern der Offenbarung be
ſchuldigten . Dieſer Parthey entgegen ſteht
eine andere , welche eben ſo zuverſichtliche
aber mit mehrerm Scheine von Wahrheit be.
hauptet , daſs das Verdienſt der neuern Phi
1

loſophie bloſs auf die genauere Beſtimmung


und vollſtändigere Entwiklung und Erläute
rung der von den Alten gefundnen Wahrheit
eingeſchränkt ſey. Diejenigen , welche ihr
einräu
noch einen beträchtlichern Vorzug ,
men , · ſchreiben ihn den Lehren und Auf.
klärungen der Offenbarung oder den Fort
Ich kann
ſchritten in der Naturkenntnis zu.
mich begnügen , zwey Schriften dieſer Art
zu nennen : Dutens recherches ſur l'origine
des decouvertes attribuées aux modernes
( Paris 1766 2 Voll.) und Büſchings Verglei
chung der griechiſchen Philoſophie mit der
Beyde haben zwar
neuern (Berlin 1785 ). nicht
189
nicht denſelben Plan , aber doch einerley
Ablicht, die alte Philoſophie in einem hel.
lern Lichte darzuſtellen . Dutens erzählt die
Meynungen der Alten in ſeiner Sprache und
in einem hinzugedachten Zuſammenhange an
genehm und deutlich , und erlaubt fich hin
und her, unvermerkt von dem Seinigen hin .
zuzuthun . Büſching reiht eine Menge phi.
loſophiſcher Grundſätze und Wahrheiten auf,
und bringt bey einer jeden die Stellen bey,
worinnen alte Philoſophen daſſelbe oder et
was Aehnliches ſagen. Bald iſt es Ariſto .
teles , bald Plotinus , bald Cicero , bald
Plutarch , bald Sextus u. f. w. , mit deren
Stellen er das Alter jener Erfindungen er
1

hey 后 weiſst, und ſo ſchäzbar ſeine Geſchichte der


Philoſophie im Ganzen iſt, ſo leer und un
bedeutend iſt dieſe Zuſammenſtellung. Ich
bin nicht der erſte , der diefs Urthel fällt,
und kein unpartheyiſcher Leſer wird es hart
finden .
Wenn wir auch nur auf die Zeitkultur,
Religion, Sprache und die äuſern Verhält ,
niſſe der Alten Rükficht nehmen * ): ſo muſs
6
1 es

* ) S. hierüber einige Bemerkungen im dritten


Stüs 52 f .
190

es uns von ſelbſt einleuchten , daſs ihre Phi


loſophie von der unfrigen durchans verſchie.
den ſeyn müſſe. Die Philoſophie entſteht
eben ſo , wie die Poeſie , aus Bedürfniſſer,
und nimmt , wie dieſe, die Farbe der Zeit
und des Nationalcharacters an , und ſelbſt,
wenn ſie auf den leztern zurükwirkt, kann
fie es nur dadurch , daſs ſie etwas von ihm
angenommen hat. Was insbeſondere die
Sprache betrift, fo bemerkte auch Büſching
( Vorr. S. V. ) fehr richtig die dabey eintre
Das ſchwerſte
tenden Schwierigkeiten.
war , ſagt er, die griechiſche philoſophiſche
Sprache mit der unfrigen zu vergleichen:
denn obgleich die meiſten griechiſchen Wör
ter und Ausdrüke , auf eine ähnliche Weiſe
in die deutſche Sprache , entweder unmit.
telbar , oder welches von den meiſten gilly
nach dem Vorbilde der lateiniſchen überge
tragen worden : ſo haben doch neuere Phi
lofophen Ausdrüke eingeführt, bey welchen
ob hie etwas - ſchon
man nachdenken muſs ,
Bekanntes oder etwas Neues fagen .“ Dieſer
Nachſatz iſt leer ; wir würden ſtatt deſſen
ſagen können : ſo iſt doch zwiſchen einer
alten und neuen Sprache überhaupt ein ſo
gro.
1
191

groſser Unterſchied , daſs man , beſonders


bey Ausdrüken für abſtracte Begriffe fich oft
nur überreden'muls , den wahren Sinn des
alten Wortes durch das ähnliche deutſche ge
troffen zu haben . Wir denken uns jezt,
2010
nachdem wir ſo viel durchfpeculirt haben ,
bey einem philoſophiſchen Ausdruke ſo man
cherley , woran die Alten nicht denken konn.
ten , und leihen daher dieſen mit unſern
Ansdrüken nur allzuoft auch unſere Begriffe.
Werden nun dieſe nach unſerm Ideengange
e data
weiter fortgeführt, ſo ſteht auf einmahl mit
ten aus den Ruinen der alten Philoſophemen
ein modernes und zuſammenhängendes Sy*
Item auf.
Vorausgeſezt alſo , was kaum eines Be
weiſes bedarf, daſs Örtliche und perſönliche
Verhältniſſe aller Art bey der Erfindung und
Ausbildung einer Wiſſenſchaft eine ſehr wich
tige Rolle ſpielen , und daſs mithin auch die
Philoſophie vermöge -dieſer Verhältniſſe bey
den Alten etwas anders ſeyn und werden
mufte , als ſie bey uns iſt: lo entſtehet nun
die Frage : Worinn beſtehen dieſe Unter.
( chiede ? Wenn ich einen Verſuch mache,
darüber einige Ideen mitzutheilen , fo merke
ich

}
192

' ich im Voraus an , daſs ich hier , abgeſehen


von den äuſern Verſchiedenheiten , bloſs die
h
ịnnern in Betrachtung nehme. Jene ſollen
nur zur Erläuterung dienen . Alles kommt
vornemlich darauf an : daſs wir dasjenige
was alle oder doch die meiſten
ausheben ti
, gſten
und wich Secten der Alten mit einan.
der in dieſer Beziehung gemein haben. Ei
nige Bemerkungen über die Aehnlichkeiten
dieſer Willenſchaft in beyden Zeiten mögen
hn
ergeig
vorhEs ze t. fich bald , daſs der Hauptzwek
philoſophiſcher Forſchungen, bey den Alten
derſelbe war , der die heutigen belebt , Aufs
klärung der Vernunft über wichtige Prow
bleme und Beruhigung des Herzens, Weil
heit und Zufriedenheit. Wer von gemeinen
Vorụrtheilen frey , ' feine Glükſeeligkeit auf
einein Wege ſuchte , den der Haufe nicht
wer manche Güther und Freuden
betrat
tbeh,ren
en , oder auch nur mit Ueberlegung
genü ſſ en lernte , konnte auf den Ehrennamen
eines Philoſophen Anſpruch machen: und
noch heute iſt màn geneigt , jede Entfernung
von der allgemeinen Art zu denken und 24
handeln , inſofern Sie eine Folge von Erfabo
rung
193
1 : rung und Nachdenken iſt , durch dieſen

€.
Namen , ich weiſs nicht , ob auszuzeichnen
oder zu verlachen. Auch das leztere wäre
ſo eigentlich keine Eigenheit der neuern Zei
ten . Denn es war ſchon im Alterthum nichts!
feltenes, daſs es unter den ſogenannten Phi
loſophen eitle , ruhmſüchtige, ſtolze und ab
geſchmakte Thoren gab , die ihrem Titel
Schande machten und ihrer Lehrerin man.
cherley Verdacht zuzogen , und das Wort
Sophiſt z . B. bedeutete zu verſchiedenen Zei
ten einen Weiſen und einen Wiſsling. Ve
berhaupt iſt die Aehnlichkeit unter alten und
neuen Philofophen 'ſehr auffallend. Hier,
wie dort , herrſchte Sectirerey , Eitelkeit,
Widerſpruchs- und Verfolgungsgeiſt : bier,
wie dort , ward oft der reine Eifer für das
Wahre und Gute durch menſchliche Leiden
ſchaften und Schwachheiten verfälſcht und
erfezt. Und wenn Plato ausdrüklich,
allen unmoraliſchen und unwiſſenden Men
(chen das Philoſophieren unterſagt * ), so
7

a dürfte ein ähnliches Verboth wohl aucli in


‫ܕܐܰ܀‬
uin

* ) Lysis. Ed. Bip. V. S. 241.


un N
194
unſern Zeiten nicht ganz unnütz ſeyn. Ei
war aber auch im Alterthume nichts feltnes,
daſs man weiſe Zurükhaltung von den Thor
heiten der Welt , vernünftigere Urtheile und
Anſichten der Dinge , und ein ſtilles Zurük:
ziehen in den engen Kreiſs eines denkenden
und fühlenden Selbſt ſonderbar und lächer
lich fand. Nur darinn unterſcheiden hich die
neuern Zeiten von den alten , daſs jezt kein
..Philoſoph durch ţhieriſche Naktheit dem Voro
1

urtheile der Kleiderpracht, durch Hunde


kolt der Thorheit der Schwelgerey, und
durch die Wohnung in einer Tonne oder
unter freyem Himmel den Albernheiten der
Wir
Baupracht , öffentlich Hohn : [pricht.
ſtimmen vielmehr allgemeiner dein Urtheile
Plutarchs bey ; daſs derjenige , der größte
Philoſoph ſey , der am wenigſten darnach

ausſehen wolle * ).
Auch in Anſehung der Hauptgegenſtände
der Philoſophie (timmen wir mit dem Alter
Der Menſch , die Welt
thum zuſammen . die wich
und Gott waren einſt , wie jezt ,
tig

* ) Sympos. 2. 1
195

tigſten Beziehungspuncte aller Forſchungen :


wir unterſcheiden uns in Rükſicht des erſtern
darinn , daſs wir den Menſchen in mehre.
ren Verhältniſſen gefaſst und betrachtet ha
ben , Wir widmen dem menſchlichen , dem
intellectuellen und dem moraliſchen Theile
des Menfchen , der Unterfuchung ſeiner
PAichten , der Beſtimmung feiner Rechte und
der Beſtätigung feiner Hofnungen beſondere
Speculationen : ein Recht der Natur kann
ten die Alten gar nicht. Von der Betrach
tung der Welt haben wir alle phyficaliſche
Anfichten in eine eigenthümliche Wiſſenſchaft
vereinigt ;' wir unterſuchen in der Philofae
phie nicht die Beſchaffenheit der Naturer
ſcheinungen aus gegebenen Datis , ſondern
denken über den Zuſammenhang des Uni
Saythat verſums aus bloſsen Vernunftbegriffen. Von
der Theologie' nachher,

.. Eben fo inannigfaltig und verſchieden ,


wie ehedem , find noch jezt die Wege , auf
welchen die Denker fich der Wahrheit zu
nähern ſuchen, Behauptung und Zweifel,
Erfahrung und reine Vernunft, Glauben und
Erkenntnis. Nur das Vertrauen auf äulere
N2 Offen
196
Offenbarung iſt eine neue Quelle philoſophie
ſcher Einſicht, die die Alten nicht kennen
konnten . Uebrigens haben fie, wie die
Neuern , die Grenzen , in welchen die Ver
nunft bleiben ſoll, überſchritten , und die
Ideen derſelben zu Erkenntniſſen “ erhoben.
Auch waren , wie in neuern Zeiten , ſolcher
Rationalphilofopben jinmer Mehrere.

Wollen wir endlich einzelne Meynungen


und Ideen alter Philoſophen mit denen der
neuern zuſammenſtellen : ſo iſt die Aehn
lichkeit noch auffallender . Zur Probe nur
einige , und zwar folche , die ſich ani mei.
ften den Sätzen der kritiſchen Philoſophie
Epikur : z. B. lehrte ausdrüklich:
nä he rn .
daſs die Sinne nicht täuſchen , weil ſie nicht
urtheilen . Platon behauptete : dals dasjenig,e
was wir durch die Sinne empfinden, nicht
das Ding an ſich , ſondern nur Erſcheinung
Ley * ). Noch beſtimmter erklärt ſich über
dieſen Puńct Sextus ** ). Und was kann mit
der

2 Theät. B.2. S.144. Vergl. Sextus adv. Logo 1

1. 145.
**) S. das zweyte Stük d. B. S. 70.71,
197
der Kantiſchen Theorie : daſs die Sinnlicb .
keit nicht in der bloſsen Organiſation beſtehe,
ſondern ein Theil des Vorſtellungsvermögens
fey , auffallender zuſammenſtimmen , als die
Aeuferung des Ariſtoteles ( de Mor. 6, 2. ):
das Gemüth enthält drey Grundvermögen
aller Thätigkeit und Erkenntnis , Sinnlich
ob
keit , Vernunft und Begehrungsvermögen
(aiSuois , voūs, peças ) und Platons Satz (Plu- -
tarch . de pl. 43.8.) die Sinnlichkeit iſt
ein Vermögen des Gemüths, die Organe ge
hören zum Körper, ( ý ajueig dúyægtis tuxñca
od da opravoy ocu & toc). Ganz ähnlich der Kan
1. ‫ܕܐ‬ tiſchen Lehre : daſs alle Erkenntnis von der
Erfahrung anfange , find die Worte Ariſtote
les :ουδέποτε νοέι άνευ φαντάσματος και ψυχή * ).
Der Kantiſchen Receptivität und Spontaneität
der Sinnlichkeit, könnte die Ariſtoteliſche
Meynung gegen übergeſtellt werden : daſs das
Gemüth bey finnlichen Eindrüken nicht bloſs
‫ولی در‬ Jeide , ſondern auch thậtig fey ( de An, 2,
ÁLTA 4. 5.) , und den Unterſchied zwiſchen Em
pfindung oder finnlicher Anſchauung und
-N 3 Er

1 ) De An , 5 ,
198
Erkenntnis giebt ſchon Platon an ( Theät. S.
και επισημη ταυτόν. Ariſto
144. ουκ αισθησίς τε κι
teles de An. 3 , 3. où Tåutbv si td al féventos
sou to vouv).
1 Sextus bemerkt die Verſchie
denheit zwiſchen Gedachtwerden und Wirk
lichſeyn ausdrüklich ( adv. Phys. 1 , 49. OM
πάν το υπονοούμενος και υπάρξεως μετέφεν, αλλά
δύναται τι επονοεί θαη μεν , μη υπάρχειν δε ). Und
wie leicht läſst fich der Satz des Ariſtoteles:
Ohne Seele giebt es keine Zeit, (Phys.4o 14)
mit der Kantiſchen Idee , daſs die Zeit eine
urſprüngliche und reine Form des Vorſtel
lungsvermögens ſey , zuſammenpaſſen?
Sind nicht auch die kosmologiſchen Grande
fütze der neuern Philoſophie bey den Alten
anzutreffen ? Die Natur thut nichts verge
bens. ( Ariſtot. de rep. 1 , 2 jenden sí queu
ποιά μάτην ). In der Natur geſchieht nichts
anim.
durch einen Sprung. ( Ariſt. de part
4 , 5. και φύσις μεταβαίνει συνεχώς κ. Ε. π .) Bey
aller Erzeugung giebt es ein Erſtes ( Arillo
Met . 2 , 2. συκ απείρος και γένεσις επί των άνω).
ſc heidenden
Den Satz de's Nichtzuunter liell
Cicero auf ( Lucull. 17. 18. ), die Begrite
der Möglichkeit , Zufälligkeit und Nothwen
digkeit find ſchon bey den Alten beſtimmt,
199

wenn wir auf die Worte ſehen . Doch wo:


zu eine Aufzählung mehrerer Ideen , worinn
alte und neuere . Philoſophen beynahe wörtò
lich zuſammenſtimmen ? Nur wer mit flüch

tigem und unkritiſchem Auge dergleichen


Zuſammenſtellungen anſieht, kann auf den
Gedanken " kominen , deſshalb den neuern
Beinühungen ihren Werth abzuſprechen,
oder ihn , wie Büſching thut , einzuſchrän
ken . Hoffentlich wird ſich dieſs aus dem
Folgenden beſſer beurtheilen laſſen..
‫مه‬
Einer der weſentlichen Unterſchiede zwi
fchen alter und neuer Philoſophie beſtehet
ohnſtreitig darinn , daſs die Alten ihre Phi
loſophie nicht mit der Unterſuchung des
menſchlichen Erkenntnisvermögens anfiengen.
Selbſt diejenigen Philofophen , welche eine
dergleichen Unterſuchung anſtellten , z. B.
Ariſtoteles , betrachteten fie nicht als die
uit
Grundlage aller. Philoſophie , ſondern als ci.
nen Theil derſelben . Ich leugne nicht, daſs
z. B. die Eleatiſchen Philofophen , daſs Plato,
Ariſtoteles, Epicur und Pyrrhon mehrere
ſcharffinnige Gedanken über Erkenntnis durch
die Sinne und die Vernunft , deren Gewiſs
‫انا‬ N 4 beit
7
200

heit oder Trüglichkeit , über den Unterſchied


zwiſchen Empfinden und Erkennen , zwi:
fchen Anſchauen und Denken und verwandte
Gegenſtände vorgetragen haben ; - aber ich
kann dreuft behaupten , daſs keiner von ih
nen auch nur etwas Ganzes und Vollſtändi
ges (gleichviel, ob es wahr oder falſch ler)
geliefert , daſs keiner dieſe Uuterſuchungen
für das Erſte und Wichagſte anerkannt, kei
ner endlich auf ſeiñen diefsfälligen Ideen forto
gebauet habe. Wie bekannt, giebt es bey
dieſer ganzen Unterſuchung zwey Wege:
entweder die ſchon vorhandnen , erlernten
oder " erzeugten Vorſtellungen zuſammenzus
nehmen und ihre Richtigkeit durch Analogie,
durch Nachforſchung in das Innere derſel
hen , durch ihre Vergleichung mit einander
zu prüfen , und aus dieſer Prüfung auf die
Erkennbarkeit überhaupt fortzuſchlieſsen:
oder , von allen vorhandnen Vorſtellungen
abgeſehen , nach der Leitung des Selblibe
wuſstſeyns zu unterſuchen : worinn über
haupt ein Erkenntnisvermögen beſtehen mülle,
was der Menſch , der erkennen ſoll , für
Anlagen haben müſle , um es zu können?
Der erſte Weg iſt abne Zweifel der unh
cher
201

cherfte , :, und er iſt es eben , den die alten


Denker betreten haben . Aus der Zuſammen ,
haltung, einzelner finnlicher Wahrnehmungen
ſchloſs der eine auf die Trüglichkeit aller
Erkenntnis durch die Sinne : aus der innern
Confequenz einer Reihe Vernunftſchlüſſe ent
ſchied der andre für die Sicherheit aller Er
kenntnis durch Vernunft : . und ſelbſt dieſe
Reſultate waren hey ihnen mehr eine Art
von Pſychologie , als Metaphyfik des Er
kenntnisvermögens: fie ordneten fie als phi
lofophiſche Wahrheiten , nicht als Grundla .
gen aller Philofophie. Oft genung ſtieſsen fie
auf eine ſolche Kritik ; aber es iſt, als ob
ſie ihre Tiefe geſcheut hätten ; bey den
Streite z. B., den die Stoiker und Academi
ker führten , ward die Frage : über die Grän.
zen und die Befchaffenheit des Erkenntnis ,
vermögens , oft berührt , aber eben , wenn

man ein tiefres Eindringen erwartet , trist

plötzlich eine Erfahrung oder Analogie das


zwiſchen , und der Streit geht von neuem
an .
Einem kritiſchen Leſer der Ariftoteli
fchen Schriften muſs es ein ſehr unangeneh
mes Gefühl verurſachen , ihn bey der Prü
fung fremder Meynungen in einer Staubwolke
von
N5
202

Diftinctionen um den Punkt herumtummeln


3

zu ſehen , den er oft genug nicht trift, in


dellen wir mit einein Grundſatze aus der
Natur des Erkenntnisvermögens die ganze
Schwierigkeit löſen könnten * ). Immer
mehr

* ) Wenn daher der eben to einlichtsvolle, als


billige Recenſent des dritten Stückes. d. B. ir
der Allg. Lit. Zeit. wünſcht, daſs in der Abe
handlung über Ariftoteles Theologie S. 86 f.
mehr : Rükſicht auf Ariſtoteles Ideen über das
Vorſtellungsvermögen und deren Einfluſs auf
ſeine Theologie genommen ſeyn möchte: lo
ſey es mir erlaubt , dagegen zu bemerken , daſs
ich zwiſchen jenen Ideen und den anderwei.
tigen metaphyſiſehen Behauptungen dieſes Phi.
lofophen keinen ſolchen Zuſammenhang ent
decken kann , daſs ich dieſe aus jenen erlâu.
tern könnte , ohne etwas hineinzulegen.lu
der That fand doch Ariſtoteles ſeine Ideen von
Gott , wie in jener Abhandlung S. 94 und gó
bemerkt iſt , bloſs anf dem Wege der Welt.
betrachtung; er ſuchte nur ein erſtes Glied
der Kette. Es war ilim nicht um einen Er.
kenntnisgrund des Daleyns einer Gottheit zu
thun , auch will er dieſe Exiſtenz nicht wei.
ter beweiſen , als durch die Unmöglichkeit
eines Regreſſes ins Unendliche ; infofern die
* 203

: arr inehr mit dem Subiect des Erkenntnisvermo


gens , der Seele , als mit dieſem Vermögen
1 felbſt befchäftigt, nahmen faſt alle ihre Un 1

terſuchungen einen Weg , auf denn es nicht


möglich war , i zu beſtimmten Grundſätzen.
über die Beſchaffenheit und Einſchränkung
des menſchlichen Erkenntnisvermögens zu
gelangen. Der Antheil, welchen die äuſere
Sinnlichkeit daran hat , ward gemeiniglich
zu hoch oder zu niedrig angeſchlagen , und
über

Vernunft dabey ermüdet, und durchaus etwas


haben will, wobey fie ſtehen bleibe. Dieſe
Eigenſchaft der Vernunft , ( das Suchen nach
‫܃ܕ‬ dem Unbedingten ) hat er in ſeinen Unterſukai
chungen nicht entwickelt, es war melir dun ,
kles Gefühl derſelben , welches ilin z. B. bey
dieſer Cosmotheologie leitete. Ich halte es
bare en für zu gefährlich , den alten Philoſophen einen
Ideengang, wie der unſrige, unterzuſchieben.
Wir würden allerdings bey einer Behauptung,
wie dieſe Ariftoteliſche, fragen : Warum läſst
ſich die Vernunft keinen ſolchen Regreſs ge
fallen ? iſt es ihrer Natur entgegen ? worinn
ris beſteht dieſe ? darf ich ein Erftes Unbeding
tes annehmen , und was berechtigt mich dazrı ?
Ariftoreles fragte ſo nicht.
204

über die Natur und Entſtehung der abſtrac.


ten Begriffe , eines der weſentlichſten Stüke
diefer ganzen Unterſuchung, haben ſogar
die Stoiker nichts Beſtimmtes angegeben.
Anſtatt eines ausführlichern Beweifes dieſer
Bemerkungen kann ich auf die Darſtellung
verweiſen , welche Tiedemann (Geiſt der
fpecul. Phil. Th 2.) von Ariſtoteles und der
Stoiker Pſychologie und Logik giebt. Dieſer
ſcharfhinnige Geſchichtſchreiber der Philofor
phie hat auf die Lücken in -beyden , und
die darinn häufigen Widerſprüche aufmerk.
ſam gemacht, ſo wie er uns Data genung
liefert, wodurch wir bewogen werden , den
Scharfſinn jener Weltweiſen zu bewundern
Kaum darf ich es ausdrüklich erinnern , dals
dieſer Mangel der alten Philoſophie fich
durch den natürlichen Gang der Ausbildung
des menſchlichen Geiſtes erklären und recht
fertigen läſst. Alle Geiſteskräfte entwikela
fich durch Verſuche auf Gerathewohl: die
philofophirende Vernunft verſtieg fich überall
hin , und dachte , ſchlols, abțirahirte, verglich,
behauptete, leugnete , ohne ſich zu prüfen,
ob ihre Natur und Kräfte diefs erlaubten,
ob ihr nicht vielleicht ein andrer beſtimmter
205

Erkenntniskreiſs ángewieſen Tey , und : ab


HER das', was ſie auf ihrem Wege entdekt hatte,
wirklich Erkenntnis oder nur Form des
Denkens ſey ? Wie es lange vorher Dichter ·
und ſchöne Künſtler geben mufte , ehe je:
mand auf den Gedanken kominen konnte,
nach dem Weſen und den . Gränzen der ſchön
nen Kunſt zu fragen : eben ſo war es bey
der Philoſophie. Nur daſs jene . Verſuche
auch ohne eine ſolche Theorie beſſer gelin
gen , als die philoſophiſchen , wobey weder
Sinne , noch Geſchmak leiten und entſchei
den .
Zweytens iſt es wohl univerkennbar , daſs
der alten Philoſophie das Syſtematiſche feblt;
ich , meyne damit nicht , allen Zuſammenhang
der Sätze und Ideen unter einander , ſondern
die Verbindung des Ganzen , die von Einem
Grundſatze ausgeht und alle Theile genau zu.
ſammenhält. Oder um es näher zu beſtim
men , einmahl fehlt es . den Lehrgebäuden
der Alten entweder ganz an einem Principes
oder es iſtnicht hinlänglich angewendet. Die
ter
Behauptung ſcheint vielleicht etwas hart zu
ſeyn ; denn man darf ja nur z. B. im Ariſto :
teles blättern , ſo findet man ( Metaph. 3 , 3.
4.):
206

4.): der gewilfeſte Grundſatz unter allen iſt:


Nichts: kann zugleich feyn und nicht ſeyn
( άυτη επιβεβαίστάτη των αρχών πασών, αδυνατού
te intellece em makina ne shiver ), oder (Analyt. poſt
2 17. ): - Jede Wirkung hat ihre Urſache
( ότε υπάρχει το αιτίατον, και το αίτιον υπάρχει
Vergl. Dlato Tim . Cic. de Univ. 2. Omne
quod gignitur , ex aliqua cauſa gigni necelle
eſt). Erkennt nicht Ariſtoteles die Nothwen
digkeit eines erſten Grundſatzes ſelbſt, (Anal.
poſt.:" 13": 2,) wenn er allen Beweils nur aus
eineinc unmittelbaren Satze ( demos, como o
isov Gran Apotépe ) geführt willen will? Und
wie allgemein iſt nicht unter andern der
Grundfatz : Aus Nichts wird Nichts, in den 1

philofophifchen Schulen der Alten gelehrt und 1

zum Principe ihrer Forſchungen angenommen


worden ? Ihrer Cosmologie allerdings, aber
dieſe iſt nur ein Theil der Philofophie. Und
was die oben angeführten Grundſätze betrift,
Lo haben ſie nie - bey den Alten die Stelle der
erſteur Principien bebauptet, fie dienten nicht
zu Erkenntnisgründen der Wahrheit, ſondern
zu gelegentlichen Berichtigungen des Irrthums,
nicht zum Beweiſe , ſondern zur Erläuterung.
-Aber vielleicht fahen die alten Philofophen
ein,
207
ein, daſs dieſe Sätze zu erſten Principien
nicht tauglich find ? In keinem Falle kann
dieſer Mangel an Grundſätzen ihnen zum
Vorwurfe gereichen. So lange der menſchli
che Geiſt damit beſchäftigt iſt, zu erfinden,
raft 'er. Materialien zuſammen , wie und wo
er fie findet; erſt: wenn eine Menge Ideen ,
wahre oder falſche, , vorhanden ſind , und
geprüft oder zuſammengeſtellt werden ſollen,
fangen die Denker an , nach dem erſten
Gliede der Kette zu fragen , woran. he dieſe
honest Ideen reihen wollen . Immer muſs das Sam
meln dem Ordnen vorangehen. Und eben

darinn liegt ein Unterſchied zwiſchen der alten


und neuen Philoſophie. Zweytens fehlt der
erſtern auch ein genauer Zuſammenhang ihrer
einzelnen Theile . Zwar : find dieſe noch
nicht ſo genau und ſcharf abgeſondert';, " wie
in der neuern : alles was den Menſchen an.
geht, faſst. die Logik und Moral in fich , die
Kenntnis der Dinge auſer dem Menſchen iſt
3 :39 der Inhalt der Phyfik . Aber alle drey grei.
fen in keinem Syſteme der Alten in einander,
aus dem Grunde, weil fie nach keinem ge
meinſchaftlichen Erkenntnisgrunde, philoſophi
fcher Wahrheiten forſchten . Die Eintheilung
der
208

der Willenſchaft und ihrer einzelnen Theile


in reine und empiriſche fehlt 'bey ihnen
gänzlich. Denn wenn ſie auch von theore
tiſcher und practiſcher Philoſophie ſprechen,
ſo verſtehen fie unter der erſtern die Betrach
tung der Welt , unter der andern die Art
und Weiſe , fein Leben einzurichten , knyghu
und prov Daher kommt es , dals die Meio
ften von ihnen die Logik nicht als einen
Theil der Philoſophie, nicht als einen Haupt
endzwek , fondern als Mittelzwek anlahen ).
:] Ich

* ) Ich kmuls hierbey


nen
der treflich en Geſchichte der
Logi erwäh , e welch Hr. Pr. Platner in
ſeinen philoſ. Apliorismen 1795. Th . I. 8. 19 .
gegeben , hat. Zur Ergänzung des vorhergelen
den Aufſatzes fey es mir erlaubt, folgende Stela
len daraus hier eirizurücken . S. 22. Ariſtoteles
macht huinetder der Dialectik und Logik keinen
Unterſc erſt 'die Sammler und ältern Aus.
3 lege ſeiner logiſchen Schriften unterſchieden die
r
Logik von der Dialectik ; wie einen Theil vom
Ganzen ; indem fie nemlich dieſe Schriften , mit
ng ifs gik n
Vorausſetzu des Gattungsbegr Lo , ei
theilten in enAnalytik , welche von den frans
apodıktiſch , und in Topik oder Dialectib,
welche yon en rhetoriſclé wahrſcheinlichen
Schlük
209

Ich habe nicht nöthig , zu erweiſen , wie


nothwendig eine ſolche Eintheilung der phi
loſo .

Schlüſſen und Beweiſen handelt , bey denen


man nicht von den höchſten Grundſätzen der
Vernunft , ſondern von den allgemeinen unter
den Menſchen angenommenen Meynungen aŭs
geht (évdosov). Aber auch hier bleibt der Bee
grif der Dialektik noch ziemlich in ſeiner vor .
maligen Weite ; zumahl wenn man bedenkt,
daſs in dem Organon die Lehre von den Prädi.
kamenten , ( auch von den Prädikabilien ) ganz,
und die Lehre von den Sätzen zum Theil dazu
gehört, und ſelbſt die Lehre von der Definition
in der Dialektik enthalten iſt. Die Analytik
( wirklich eine Erfindung des Ariftoteles ) ver .
hält fich zur Dialektik , ohngefälır , wie dieſe
zur äſthetiſchen Rhetorik , S. 25. Die Stoiker
handelten in einem der wichtigſten und ausführ ,
lichſten Hauptſtücke dieſer Wiſſenſchaft, unter
dem Titel partiola , alle Arten von Vorſtelluna
‫بودهاند‬
gen und Begriffen ab : die funliche Vorſtellung
( Davraciu ki SXT1X ) in Verbindung mit der
Frage : ob ſie ein wirklicher Abdruck der Ge.
genftände ( TÚTWOIS ) oder nur eine geiſtige Ver .
änderung der Seele ( Étegolwors ) ſeg. Sie un
terſuchten die Begriffe des Verſtandes , φαντασίας
.
abyixal , und die darauf beruhenden allgemeinen
ple Grundſätze, ngoan bers , ferner die überſinnli .
0 chen
210

loſophiſchen Wiſſenſchaften für die richtige


Behandlung einer jeden für fich , und für
den genauen Zuſammenhang des Ganzen iſt.
So lange man nicht zwiſchen reiner und
empiriſcher Philoſophie unterſcheidet, iſt es
nicht möglich, etwas Beſtimmtes und Voll
ſtändiges zu liefern .
Drittens die neuere Philoſophie hat in den
Problemen über Freyheit, Unſterblichkeit
und Gott den gemeinſchaftlichen Beziehungs.
punct aller ihrer Forſchungen *). Die Lehre
von

chen Ideen ai dide της διανοίας φαντάσιαι,


wobey fie alle mögliche Arten und Grade, alle
mögliche Merkmahle der wahren und der fala
( chen Ueberzeugung anzugeben bemüht waren.
- *) Folgende Aumerkung ſcheint hier nicht am
giunrechten Orte zu ſtehen : Es iſt merkwür.
dig genung , ſagt Kant , ob es gleich natür
licherweiſe nicht anders zugehen konnte, daſs
die Menſchen im Kindesalter der Philoſophie
davon anfiengen ;" wo wir jezt lieber endigen
möchten , nemlich , zuerſt die Erkenntnis Got.
tes , und die Hofnung oder wohl.gar die Ben
ſchaffenheit einer andern Welt zu Studierem
Was auch die alten Gebräuche , die noch vou
dem rohen Zuſtande der Völker übrig waren,
für
21 )

von Materialität oder Immaterialität der Seele


würde uns ſehr gleichgültig ſeyn , wenn Sie
02 nicht

für grobe. Religionsbegriffe eingeführt haben


mochten , ſo hinderte dieſes doch nicht den
aufgeklärtern Theil , fich - freyen Nachforſchun .
gen über dieſen Gegenſtand zu widmen , und
man lah leicht ein , daſs es keine gründliche
und zuverläſsigere Art geben könne , der un
ſichtbaren Macht , die die Welt regiert , zu
gefallen , um wenigſtens in einer andern Welt
. glüklich zu ſeyn , als den guten Lebenswan
del. Daher waren Theologie und Moral die
zwey Triebfedern , , oder beller, Beziehungs.
puncte zu allen abgezogenen Vernunftforſchun
: ‫فتنی‬ gen , denen man fich nachher jederzeit gewid.
met hat. Die erſteré war indeſſen eigentlich
das , was die blos fpeculative Vernunft naclı
und nach in das Geſchäft zog , welches in
der Folge unter dem Namen Metaphyſik lo
‫من‬ berühmt geworden . " S. Kritik der reinen
Vern . S. 380. Zw . Auf Mit aller Achtung
gegen den groſsen Urheber dieſer Idee fey es
mir erlaubt, einige Bedenklichkeiten darüber
i äuſern . Es ſcheint mir nicht natürlich zu
ſeyn , und die Geſchichte ſelbſt widerſpricht
der Meynung , daſs die älteſte Philoſophie von
den genannten Forſchungen angefangen habe.
Nicht die Erkenntnis Gottes , ſondern die Spe
cula .
21 %

nicht mit der Lehre von der Unfrerblichkeit


zuſammenhịnge. Und die Streitigkeit über
Be

culation über Urſprung und Zuſammenhang der


ſichtbaren Welt, (und beydes iſt doch weit
verſchieden ) war es , womit ein Thales und
nachfolgende Denker fich beſchäftigten. Das
Problem der Unſterblichkeit kam wohl in den
religiöſen Myſterien , aber nicht in der Philo
ſophie der älteſten Welt vor, Oder wollten

wir hier auch nur analogiſch ſchlieſsen : 0


läſst es ſich ganz natürlich vermuthen , daſs
jene älteſten Philoſophen , bevor ſich ihr Geift
zu feinerer Speculation ausgebildet hatte, vor.
läufig zufrieden mit den gemeinen Religions.
lehren , die ihnen wenigſtens Götter zum An
bethen gewährten , ihre Aufmerkſamkeit zuerſt
auf das , was ſie umgab , richten muſten.
Daſs Götter die Welt erſchaffen hätten , davon
ſagte ihnen die mythiſche Religion nichts: fie
liefs vielmehr Elemente annehmen , aus denen
das Univerſum zuſammengeſezt worden war:
fie gab Geſchichte , aber keinen phyſiſchen
Aufſchluſs. Und dieſer war es vornemlich,
welchen die älteſte Philoſophie ſuchte: exft
da fie auf dieſem Wege lange vergeblich ger
forſcht hatte , betrat fie den der bloſsen Spe.
culation aus allgemeinen Grundſätzen . Nicht
mit der Idee , Gott zu finden , ward ihre Kose
molo
213
Beſchaffenheit und Grenzen der Vernunfter
kenntnis würde nicht ſo hitzig geführt wer :
03 den,

mologie angelegt ; einige Denker fanden ihn


bey der Forſchung nach einem Erſten . Und A

wie lange dauerte es , ehe ein Denker darauf


fiel , diefe Urſache der Urſachen von der mo
zaliſchen Seite anzuſehen , ihr Wohlgefallen
zur Bedingung der Glükſeeligkeit, und einen
guten Lebenswandel zur Bedingung ihres Wohl.
gefallens zu machen. Socrates war der erſte,
und er und Plato die einzigen , die einen ſol.
chen Zuſammenhang zwiſchen Moral und Theo
logie lehrten. Nach ihnen glitten die philo
ſophiſchen Speculationen wieder in das bloſs
*** ſpeculative Gebieth aus , und jene Probleme
calisi
wurden als Gegenſtände der Forſchung mitge
nommen , aber nicht zu ihren vornelimſten
Beziehungspuncten gemacht. Ariſtoteles Moral
hat mit ihnen nichts zu ſchaffen , fie kommen
A10,271 nur in ſeinen ſpeculativen Unterſuchungen vor ,
und ſo treflich die Ideen der Stoa darüber ſind,
ſo wenig hängen fie doch mit ihrer übrigen
Philoſophie zuſammen , gefchweige dafs fie die
Beziehungspuncte der leztern , ausmachten.
‫کار با‬ Was insbeſondere die älteſte Unſterblichkeits
lehre anbetrift , ſo ſind die Zweifel, welche
Platner S. 655 Ph . Aph , aufwirft, ſehr wich .
was das
tig : ob auch genau beſtimmt fey .
heiſse,
{
214
den , wenn nicht die Erkenntnis Gottes als
dás lezte Ziel den Philoſophen vor Augen
( chwebte. Nicht ſo bey der alten Philoſo
phie. Hier ward z. B. das Problem der
Freyheit nicht als Erkenntnisgrund aller Mo
ralität, ſondern als eine metaphyſiſche. Auf
gabe angeſehen : den wenigſten Moraliſten
fiel bey der Unterſuchung : was der Menſch
1

thun folle, die Frage ein : ob ers auch kön.


ne ? Die beyden andern Probleme ſind den
Alten gröſstentheils nur Zugaben ihrer Specus
lationen : das leztre insbeſondre hat für he
mehr ein ſpeculatives, als practiſches Inter
efle , fie ſehen in der Gottheit mur die erſte
Urſache der unerme(slichen Reihe der Er
ſcheinungen , nicht den moraliſchen Geſetze
geber , das Centrum aller Weisheit und Liebe,
die ſchöne Auflöſung des groſsen Räthſels der
Welt , den höchſten Troft im Leben und Tod.
Alle Prädicate , die fie dieſem Inbegriffe aller
Rea

heiſse , die Unſterblichkeit der Seele glauben ?


ob Yuxu allezeit das denkende Weſen des Mens
ſchen , und á Icvetov eine geiſtige Unſterbliche
keit , und nicht auch fehr oft nur die physiſche
Unzerſtöhrbarkeit anzeige ?
215

Realitäten beylegen , ſind etwan Ewigkeit,


Einheit , Verſtand und Allgenugſamkeit, alle
aber aus der allgemeinen Idee einer erſten
Urſache entwikelt und mit Antropomorphis
mus ausgeführt. Ich glaube , daſs auch in
dieſer Rükſicht die neuere Philoſophie ſehr
viel der chriſtlichen Religion verdankt , die
ſo ganz den moraliſchen Begrif der Gottheit
auffaſste und allgemein machte. Den Alten
ort
war der Goit ihrer Religion und der Gott
ihrer Philoſophie nicht Ein Weſen , und
konnte es natürlich nicht ſeyn. Den neuern
Philoſophen iſt der Gott , den Chriſtus ver
kündigtě , derſelbe, den ſie als Poſtulat der
reinen practiſchen Vernunft anerkennen , und
die Philoſophie hat in dieſem Puncte der Re
ligion eine ihrer ſchönſten und wohlthätigſten
Verbeſſerungen zu verdanken. Denn offen
bar iſt eben dadurch der theoretiſche und
practiſche Theil derſelben aufs genauſte ver .
‫ܗܲܪܳܐ‬ bunden , jede Speculation wird von einein
hohen Intereſſe der Menſchheit geleitet und
belebt , und es iſt, als würde jede Mühe
der Nachforſchung leichter , wenn wir nur
am Ende Gott finden . iſt nicht zu leug
nen , daſs neuere Philoſophen aús eben die
04 ſem
216

ſem Grunde nur allzuoft auch in Inconſequen


zèn geriethen : Locke z. B. ſah fich genöthigt,
von ſeinem Syſteme abzuſpringen , als er auf
dieſen Begrif ſtieſs, und Cartes nahm ihn
von ſeinem allgemeinen Zweifel mit einer
Art von Gewaltſamkeit aus ; da hingegen ein
1

Epicur oder Pyrrhon auch bis auf dieſen Ge


genſtand ihrer Forſchung fich gleich blieben.
Aber das find Ausnahmen , die nur noch

mehr für das allgeineine und unverleugbare


Intereffe jenes Vernunftproblems Zeugnis ge
ben. Und dürfen wir nicht Teleologie
und Theodicee mit zu den Vorzügen der
neuern Philoſophie rechnen ? Sie verdankt
zwar allerdings den Stoff dazu einer Menge
anderer Wiſſenſchaften , aber die Verarbei.
tung deſſelben iſt ihr. Bey den Alten hat hie
wenig vorgefunden .
Den entſchiedenſten Vorzug' hat viertens
die neuere Philoſophie in den empiriſchen
und practiſchen Theilen, Studium des Men
ſchen und menſchlicher Verhältniſſe iſt einer
von denen Gegenſtänden , welche erſt in
neuern Zeiten mit Fleiſs und Glük bearbeitet
worden ſind . Bey den Alten kann nur die
Geſchichte und Dichtkunft darauf einigen An
Spruch
217

{pruch machen , beſondre Bearbeiter hat dieſe


Materie nur wenige gefunden , und ſelbſt
dieſe liefern uns nicht ſowohl Beyträge zur
C. Kenntnis des Menſchen überhaupt, als viel
imeo mehr zur Kenntnis des Griechen oder Römers
insbeſondere . Je gröſser und ausgebreiteter
.
die Geſchichte und Erdkunde ward , deſto
mehr nahm dieſer Theil der Philoſophie an
Allgemeinheit und Wichtigkeit zu. Ich kann
fogar hinzuſetzen , daſs ſelbſt die geſellſchaft
lichen Verhältniſſe der Menſchen in neuern
Zeiten verwikelter geworden find. Die Mo
ral der Alten , deren Unterſchied von der
neuern von einem unſrer gröſsten Denker
entwikelt worden iſt , mag im theoretiſchen
220 Theile viel Vortrefliches enthalten : der prac .
tiſche iſt ohne Zweifel ziemlich dürftig. Wie
unbeſtimmt und flüchtiy z. B. die Materie
von Collifion der Pflichten , von den Alten
behandelt iſt , bedarf keines nähern Erweiſes.
Wie wenig fie den Menſchen und Bürger
unterſcheidet , wie wenig fie auf die niedern
Claffen des Volkes Rükſicht nimmt, iſt
ſchon von Garve angemerkt worden. Die
neuern Philoſophen haben , manche vielleicht
zu viel, bey der Phyfologie und Pathologie
05 Un
218

Unterricht geſucht: Sie haben den Menſchen


von Seiten des Körpers zu einem Gegenſtande
ihrer Unterſuchung gemacht , und die Erfah
rungsſeelenkunde iſt ein eben ſo wichtiger
und intereſsanter Theil der Philoſophie, als
er der neuern ganz ausſchlieſslich zugehört
Von ihr hat hinwiederuin die Arzneykunde
manche weile Lebre bekoinmen ; erfahrne
Aerzte werden in vielen Fällen ihre Kur
mehr auf die Seele , als den Körper richten.
Wir haben eine Phyſik der menſchlichen Na
tur , wozu wir von den Alten kaum einige
Ideen entlehnen konnten : kein Theil, keine
Handlungs- und Aeuſerungsweiſe des.Men.
ſchen iſt der philoſophiſchen Beobachtung
entgangen , und der Vinfang der Philofophie,
wenigſtens in Rükhcht ihrer Anwendung, ift
unbegränzt. Ich weiſs nicht, ob ich darüber
mit einigen neuern Philoſophen klagen ſoll.
Wenn man auch über dieſer mannigfaltigen
Anwendung dieſer Wiſſenſchaft ihren eigent
lich wiſſenſchaftlichen Theil wirklich einiger
maſsen vernachläſsigt hat; ſo hat doch die 1

Aufklärung des gröſsern Theils der Menſchen


fo hat doch eine Menge andrer Wiſſenſchaf
ten unendlich viel dabey gewonnen, und
die
219

weil die hcherſte und zuſammenhängendfte Meta


mobile phylik , ( die ich übrigens in allen Ehren
halte ) würde nur ein todter Schatz ſeyn,
‫ ; !ܢ ܀‬: wenn ich ihre Reſultate nicht für das Leben
anwenden lieſsen .
Diefs find einige Verſchiedenheiten , die
mir beſonders auffallend ſcheinen . Diejeni
gen , welche mehr in der Darſtellung ſelbſt
be liegen , übergehe ich. Das ganze Thema
iſt von groſsen Intereſſe , ich wünſchte ,
daſs dieſer kleine Aufſatz einen tiefern Ken
ner der alten und neuen Philoſophie veran
laſſen möchte , daſſelbe ausführlicher zu be.
3
handeln .

F.
!
in Soup
:
| cit

pers
op
Chemnitz ,
gedruckt bey Johann Carl Welfellöft.
I

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