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Gabriela Rutecka, Przemysław Dorszewski

Die Studienzeit von Marion Gräfin Dönhoff


an der Universität Frankfurt am Main
in den Jahren 1931-1933/1934

1. Einleitung

1914 wurde in Frankfurt eine Universität gegründet. Im Gegensatz zu


anderen Hochschulen war diese eine Stiftungsuniversität. Die Gründer sorgten für
ihre gute materielle Lage. Von Anfang an zeichnete sie sich durch Liberalität und
Offenheit aus, was schon in der Satzung vorgesehen war: „Die Universität zu
Frankfurt a. M. hat wie die übrigen Landesuniversitäten die Aufgabe, die ihrer
Pflege zugewiesenen Wissenschaften frei von Einseitigkeiten und unabhängig von
Parteien zu lehren und durch selbstständige wissenschaftliche Arbeiten und
Untersuchungen zu fördern.“1 Diese Bestimmungen machten die Universität für
junge Leute attraktiv. Diese Situation bereitete auch guten Boden für die sich in
dieser Zeit entwickelnden Bewegungen. Eine der wichtigsten war die
Frauenbewegung. Sie kämpfte für Frauenrechte und trat für Studiumsrecht für
Frauen ein. Die Aufgeschlossenheit der neuen Hochschule überzeugte viele
Frauen, nach Frankfurt zu kommen.
Das hat auch die junge Ostpreußin Marion Gräfin Dönhoff dazu
veranlasst, sich hier 1931 zu immatrikulieren. Sie verbrachte in Frankfurt nur fünf
Semester. Ihr Interesse beschränkte sich nicht auf Vorlesungen und Seminaren,

1
UAF, Satzung der Königlichen Universität zu Frankfurt a. M.
sondern sie engagierte sich auch in den Diskussionen der Gelehrtenkreise. In der
Zeit begegnete sie einigen der bedeutenden Persönlichkeiten an der Frankfurter
Universität. Die 30er Jahre waren in Deutschland stark durch den Anspruch der
Nationalsozialisten auf die Macht geprägt. Diese politische Situation wurde in den
Gelehrtenkreisen besprochen und löste an der Hochschule Studentenwiderstand
aus. Die junge Studentin zeigte auch ihr Engagement im Kampf gegen die Nazis.
Ihre Erlebnisse bewegten sie auch zum Widerstand gegen Hitler im Zweiten
Weltkrieg. In ihrem späteren Leben erinnerte sie sich oft an diese Jahre.
Ab 1946 begann sie ihre Karriere bei der Hamburger Wochenzeitung „Die
Zeit“. In ihren Artikeln stellte sie ihre Erfahrungen aus der Kriegszeit dar und
äußerte den Wunsch nach internationaler Zusammenarbeit. Sie engagierte sich für
die Versöhnung zwischen Osten und Westen. Für ihre Tätigkeit bekam sie
zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Zu den wichtigsten gehört der
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, der ihr 1971 für ihren Einsatz zur
aktiven deutschen Ostpolitik verliehen wurde. Bis heute erinnert man sich an sie
vor allem als an die ehemalige Herausgeberin der Zeit. Doch nicht weniger
bedeutend sind die Jahre vor ihrer Karriere, die sie geprägt hatten.
Das Ziel dieser Arbeit ist, sich mit den Studienjahren der Journalistin zu
beschäftigen. Es geht hauptsächlich darum, dass die junge Ostpreußin in ihrem
akademischen Umfeld und in der politischen Situation der 30er Jahre darzustellen.
Die wichtigsten Personen, mit denen sie im Kontakt stand, waren die Professoren
Kurt Riezler, Adolph Lowe und Ernst Kantorowicz, wie auch der Bankier und
Professor Albert Hahn. Sie verbrachte ihre Zeit in deren Kreis, aber sie
interessierte sich auch für das studentische Leben, das damals kämpferisch
geprägt war.
Die Grundlage dieser Arbeit bilden die Studentenakte Marion Gräfin
Dönhoff, wie auch andere für die Geschichte der Universität wichtige Dokumente.
Viele Informationen liefern auch die Artikel der Journalistin selbst. Als sekundäre
Literatur dienen vor allem die Arbeit von Notker Hammerstein2 und die Marion
Dönhoffs Biographie von Alice Schwarzer.
Die Informationen über den Kontakt Dönhoffs zu mit Ernst Kantorowicz,
über die Machtergreifung durch die Nazis, wie auch über das Engagement Marion

2
Notker Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am
Main. Von der Stiftungsuniversität zur staatlichen Hochschule, Bd.1 (1914 bis
1950), Frankfurt am Main 1989.
2
Dönhoffs im Kampf lieferte Przemyslaw Dorszewski. Die Darstellung der
Kontakte der Gräfin mit Adolph Lowe und Kurt Riezler sowie die allgemeinen
Angaben zur Gräfin bereitete Gabriela Rutecka vor.

2. Die Studienzeit in Frankfurt

2.1. Der schwierige Weg nach Frankfurt

Die Entscheidung Marion Gräfin Dönhoffs zu studieren, war nicht so


leicht. Sie stammte aus einer adligen Familie, die schon seit Jahrzehnten in
Ostpreußen ansässig war. Ihr Vater, August Karl Graf Dönhoff, war ein Mitglied
des Preußischen Herrenhauses und Reichstagsabgeordneter. Ihre Mutter, Ria von
Lepel, war eine Palastdame der Kaiserin Auguste Viktoria. Die kleine Marion
wuchs auf dem Familienbesitz Friedrichstein auf. Ihre Eltern führten ein großes
Haus, wo sich die prominentesten Leute, der damaligen Zeit trafen. Zu diesen
gehörte auch das preußische Königspaar. Am Tisch hörte die junge Gräfin
verschiedene Gespräche, die sowohl die politischen als auch die sozialen Themen
betrafen. Langsam begriff sie die Strukturen einer privilegierten Gesellschaft. In
ihren späteren Erinnerungen beschrieb sie die Verhältnisse in ihrem Elternhaus.3
Wie in jeder adligen Familie wurde bei den Dönhoffs Tradition und
Rollenverteilung gepflegt. Die Jungen hatten das Recht, ihren eigenen Weg zu
gehen, aber die Mädchen waren meistens zur Heirat verpflichtet.
Marion Gräfin Dönhoff wollte sich jedoch mit diesem Schicksal nicht
abfinden. Schon in ihrer Jugend zeigte sie großen Wissensbedarf: „In ihren
entscheidenden frühen Jahren wird Marion Dönhoff in der Tat mehr vom Leben
geprägt als von Lehrern. Ihr Leben lang wird sie auch das für Autodidakten so
typische Grundmuster beibehalten: diese ewige Unruhe, zu wenig zu wissen;
diesen unstillbaren Hunger, dazuzulernen; diese unverformte Frische des Zugriffs,
im Denken wie Schreiben.“4 Ihr Interesse richtete sie auf die Bücher, die sie auf
den Regalen zu Hause fand. Dieses Wissen reichte ihr nicht, sie wollte Abitur
machen und studieren. Marions Mutter war streng dagegen. Die adligen Frauen,

3
Vgl. Marion Gräfin Dönhoff, Kindheit in Ostpreußen, Berlin 1988, 10.
4
Alice Schwarzer, Marion Dönhoff. Ein widerständiges Leben, München 2002,
57.
3
ihrer Meinung nach, sollten sich um den Haushalt kümmern. Nur dank der
Unterstützung der älteren Brüder konnte die rebellische junge Frau in die Schule
nach Potsdam gehen. Als einziges Mädchen in einer Jungenklasse bestand sie
1928 das Abitur.
Zu dieser Zeit war es nicht einfach für ein Mädchen, einen Schulabschluss
zu erlangen und ein Studium anzufangen. Die junge Gräfin erwies sich als
zielstrebig und beließ es nicht nur bei dem Abitur. „Marion ist die erste der neuen
Generation. Sie gehört zu der Frauengeneration, die die Früchte der ersten
Frauenbewegung ernten kann. Die historische Frauenbewegung erreichte zum
Beginn des neuen Jahrhunderts ihren Höhepunkt und sorgte mit ihren
spektakulärsten Forderungen – unter anderem denen nach Frauenwahlrecht und
Frauenstudium – für Furore in den Städten und im Berliner Parlament, wo ihre
selbstbewussten Vorkämpferinnen ein und aus gingen. Sogar bis ins hinterste
Ostpreußen drängt ihr Geist – wenn auch anscheinend nur indirekt.“5
Alle ihre Freunde waren erstaunt und beeindruckt. Marions beste Freundin
ist voll Bewunderung für ihren Mut und ihre Entschlossenheit: „Es war
unglaublich, dass sie Abitur machte. Sie war das erste Mädchen! Sie war die erste
überhaupt, die aus dem Haus durfte! Und dann ging sie auch noch studieren...“ 6.
Bevor die Adelstochter das durfte, wartete noch ein Verhandlungsgespräch mit der
Mutter auf sie. Die Palastdame konnte nicht verstehen, warum ihr Kind nicht so
ein Leben führen möchte, wie sie es getan hatte. Sie hoffte, dass Marion nach dem
Abitur nach Hause zurückkommt und sich dem Schicksal der adligen Frauen
unterwirft. Die Gräfin war jedoch von der Studienentscheidung nicht abzuhalten.
Nur auf die Bitte der Mutter hinging sie für ein Jahr auf eine Haushaltsschule in
der Schweiz, wo sie kochen, nähen, stricken lernen sollte. Nur der Gedanke, dass
sie danach studieren darf, machte ihr dieses Jahr erträglich. Wahrscheinlich wusste
sie noch nicht, dass schon 1908 in Preußen das Recht auf das Frauenstudium
eingeführt wurde. Die Zeit in der Schweiz verging schnell und sie durfte endlich
ihren Wunsch erfüllen, sie durfte studieren.

2.2. Der schöne Anfang

Das Recht der Frauen zu studieren war Anfang der 30er Jahre relativ neu.
5
Ebd., 81.
6
Ebd., 81.
4
Die damaligen Universitäten respektierten dieses Recht, aber die Anwesenheit
der Studentinnen war trotzdem außergewöhnlich. Die Frankfurter Hochschule
zeigte sich in diesem Punkt als modern.
Die Universität wurde für ihre soziale Ausrichtung bekannt. Nicht ohne
Bedeutung blieb dafür die Vorläuferin der Universität – die Akademie für Sozial-
und Handelswissenschaften zu Frankfurt am Main. Die „fünfte Fakultät“
(Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät) übernahm den guten Ruf der
Akademie. Sie gewann für ihre Tätigkeit bedeutende Gelehrte und sorgte für die
Vermehrung der Lehraufträge. „Professoren wie Carl Pribram, Franz
Oppenheimer, Karl Mannheim sowie Adolph Lowe prägten die >>fünfte
Fakultät<< und zogen Studenten scharenweise in die Stadt.“7 Deswegen fiel auch
die Entscheidung Marion Gräfin Dönhoffs auf die Universität Frankfurt am Main.
Sie reichte am 2. November 1931 ihre Anmeldekarte für Studierende ein und
nahm ab Wintersemester 1931/32 ihr Volkswirtschaftsstudium auf8. Die Wahl des
Studienfaches erwuchs aus den Erfahrungen der Wirtschaftskrise während der
20er Jahre. Sie selbst begründete später ihre Wahl mit diesen Worten: "Dieses
Studium ergab sich bei mir ganz klarerweise, weil ja auch ökonomisch sehr
schwierige Verhältnisse waren. Und ich wollte einfach mehr begreifen von den
Zusammenhängen, auch für Friedrichstein."9 Friedrichstein war ein Großbesitz in
Ostpreußen, zu dem mehrere Dörfer und Felder zählten. Zuerst wollte sie nur die
Verhältnisse verstehen, aber wie es sich später ergab, verwaltete sie den
Familienbesitz.
In Frankfurt wohnte die 21jährige Studentin bei Familie von Metzler in der
Wissenhüttenstraße 11.10 Diese Familie gehörte zu den einflussreichen Bankiers in
Frankfurt. Sie ermöglichten Marion Dönhoff Kontakt zu Professoren und anderen
Persönlichkeiten, die oft zu ihnen nach Hause eingeladen wurden.
In der Stadt traf sie wieder ihre Kindheitsfreunde – Cousine Sissi und
Cousin Heini Lehndorff, mit denen sie die glücklichsten Momente ihrer Jugend
verbrachte. Sie lernte die beiden im Alter von 12 Jahren kennen. Da Marions
Geschwister viel älter als sie waren, wurde sie zusammen mit den beiden

7
Michael Maaser, >>Mich zog es zu den Roten, weil nur sie den Kampf gegen
die Nazis ernsthaft und kompromisslos führten<< Die Frankfurter Studienjahre
der >>roten Gräfin<< Marion Dönhoff, in: Forschung Frankfurt 3, 2002, 96.
8
Archiv Studentensekretariat, Studentenakte Marion Gräfin Dönhoff.
9
Alice Schwarzer, Marion Dönhoff..., 95.
10
Archiv Studentensekretariat, Studentenakte Marion Gräfin Dönhoff.
5
Verwandten unterrichtet. Sie verbrachten der zwei Jahre miteinander. „Vetter
Heinrich und seine Schwester werden zu Marion Dönhoffs besten Freunden. Sie
galoppieren über die Sandwege und weiten Wiesen, sie erleben Abenteuer; die
unbändige Lebensfreude der jungen Lehndorffs wirkt ansteckend.“11 Diese
unbeschwerte Zeit endete mit einem schweren Autounfall.12 Danach wurde Heini
auf ein Internat geschickt und Sissi auf ein Pensionat für höhere Töchter in der
Schweiz. In Frankfurt finden sich die drei wieder zusammen. Sissi machte dort
eine Ausbildung als Krankenschwester. Die beiden Mädchen entwickelten ihre
Freundschaft weiter. Die Cousine half Marion beim Kauf ihres ersten Wagens, an
dem sich nach vielen Jahren die Journalistin so erinnerte: „Die Vorbesitzerin hatte
anscheinend gefroren. Jedenfalls hat sie sich so einen Aufbau, wie ein
Schilderhäuschen, drauf gesetzt. Das sah ziemlich komisch aus. Der Opel fuhr nur
ganz langsam. Als ich mal mit dem nach Ostpreußen fahren wollte, musste ich auf
Westwind warten, weil der Wagen bei Gegenwind 20 Kilometer langsamer
war...“13

2.3. Das akademische Umfeld

Die meiste Zeit während ihrer Studienjahre verbrachte die Gräfin im Kreis
von Gelehrten. Wie schon ihre Cousine und beste Freundin beobachtete, hatte
Marion >>ja immer schon den Drang zu geistig höher Stehenden und war noch
nie ein Flirt<<14. In Frankfurt nahmen die junge Studentin drei Professoren unter
ihre Aufsicht auf. Diese waren Prof. Kurt Riezler (der Kurator der Universität
Frankfurt von 1928 bis 1933), Prof. Ernst Kantorowicz (ein berühmter Historiker
des Mittelalters) und Prof. Adolph Lowe (Nationalökonom an der Wirtschafts-
und Sozialwissenschaftlichen Fakultät). „An jenem Abend [im Riezlers Haus] traf
ich auf einen Freundeskreis – eine Vierergemeinschaft – mit der ich in Zukunft
viel zusammen sein sollte.“15 Die Herren nannten sie „Stüdchen“ und nahmen sie
mit auf ihre „Weinproben“. Wie die Gräfin sich erinnert: „Heute geht man in die
11
Haug von Kuenheim, Marion Dönhoff, Hamburg 1999, 16.
12
Vgl. Marion Gräfin Dönhoff, Kindheit..., 214.
13
Alice Schwarzer, Marion Dönhoff..., 96.
14
Ebd., 97.
15
Marion Gräfin Dönhoff, Ernst Kantorowicz, in: Benson L./Fried J. (Hrsg.),
Ernst Kantorowicz, Stuttgart 1997, 11.
6
Diskothek, damals ging man ins Weinlokal“16. Marion war von den Treffen
begeistert und hörte gern zu, was die „höher Stehenden“ besprachen. Aber auch
die Professoren unterhielten sich gern mit ihrer Begleiterin.
Kurz nach ihrer Ankunft in Frankfurt wurde die Studentin Dönhoff in den
Kreis von Kurt Riezler aufgenommen. „Ich glaube, es amüsierte die gelehrten
Herren, einen Menschen von Land- frisch aus Ostpreußen importiert, durch
Herkunft in mancher Weise welterfahren, gleichzeitig aber naiv – in ihren Kreis
aufzunehmen.“17 Riezler gehörte damals zu den wichtigsten Personen an der
Universität. Nach einer glänzenden Karriere in der Diplomatie wurde ihm 1928
der Kuratorenposten an der Frankfurter Hochschule gegeben. Er erwies sich
schnell als begabter, führender Mann. Seine bewusste Berufungspolitik zeigte die
Offenheit der Universität und des Kuratoriums.18 Sein Verdienst beruhte nicht nur
auf dem Gebiet der Verwaltung, er erbrachte auch eine große Leistung als
Honorarprofessor in der Philosophischen Fakultät. Er beschäftigte sich vor allem
mit Geschichtsphilosophie. Er pflegte gute Kontakte zu vielen Professoren:
„Rasch bildete sich um ihn ein eigener, eigentümlicher Kreis [...] Dieser Kreis
erstrebte, die Universität zu einer der besten im Reich auszubauen.“ 19 Mit seiner
Frau führte der Kurator ein offenes Haus, wo sich das „Gesprächskränzchen“
(Professoren, Assistenten und Studenten) traf. Dort wurden sowohl
wissenschaftliche Probleme als auch die politische Situation besprochen. Manche
hielten diese Gruppe für das Machtzentrum der Universität.
Zu den Treffen im Riezlers Haus kam auch die Studentin Marion Gräfin
Dönhoff. „Ich war noch nicht lange dort [in Frankfurt] – es mag im Spätherbst
jenes Jahres gewesen sein – als ich, bei dem Kurator der Universität, Kurt Riezler,
zum Abendessen eingeladen wurde. Riezler war ein ungewöhnlich interessanter
Mann, umfassend gebildet, ein Meister des Gesprächs, ein Kenner der Philosophie
des Altertums und der Neuzeit, ein vielgereister, politisch versierter Denker, der
immer wieder über die Grundzüge der Weltpolitik nachgedacht und geschrieben
hat.“20 Nach Jahren erzählte sie darüber so: „Ich war für sie ,der Stud. und sie
waren für mich aufregend interessante Professoren und gleichzeitig ganz einfach

16
Alice Schwarzer, Marion Dönhoff..., 84.
17
Marion Gräfin Dönhoff, Ernst Kantorowicz..., 11.
18
Vgl. Notker Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität..., 80-81.
19
Ebd., 81.
20
Marion Gräfin Dönhoff, Ernst Kantorowicz..., 11.
7
ungewöhnlich liebenswerte Menschen“21.
Im Umfeld des Kurators lernte die Gräfin Ernst Kantorowicz, den
Mediävisten kennen. Dank Riezlers Bemühungen wurde er im August 1930 zum
Honorarprofessor ernannt. Zwei Jahre später bekam er den Lehrauftrag für
Mittlere und Neuere Geschichte. Zugleich wurde er zum Direktor des
Historischen Seminars.22 Unter den Historikern machte er sich durch sein Werk
Kaiser Friedrich der Zweite (1927) bekannt. Das Buch löste in der Forschung
heftige Auseinandersetzungen aus. Dem Autor wurde oft vorgeworfen, dass er der
erzählenden Sprache der Quellen zu großen Wert beigemessen hat. „Vielleicht ist
sein Hang zum Mythos, der wohl aus der Beziehung zu Stefan George stammte,
der Anlass für die Wahl der spezifischen Themen gewesen, die ihn
wissenschaftlich und schriftstellerisch beschäftigten.“23 Als Antwort auf die
kritischen Äußerungen veröffentlichte Kantorowicz 1931 den zweiten Band des
Werkes, wo nur Anmerkungen zu dem ersten enthalten waren.
Im George-Kreis, dem Kantorowicz angehörte, trafen Anfang 20.
Jahrhunderts die bedeutendsten Künstler und Wissenschaftler zusammen. Stefan
George war ein Dichter. Seine Lyrik wuchs aus dem Symbolismus heraus. Später
wurde sie zu einer „gemeinschaftsbildenden Spruch- und Gedankendichtung“.
1892 wurden die Blätter für die Kunst gegründet. Seit dieser Zeit bildete sich um
den Dichter ein Freundeskreis. Die Mitglieder des Kreises wurden auch vom
charismatischen George beeinflusst, was in ihren Werken zu sehen ist. Neben
Kantorowicz gehörte auch Riezler zu den Bewunderern des Lyrikers.
In Marions Studienzeit spielte auch der Professor Adolph Lowe große
Rolle. Seinetwegen ist sie nach Frankfurt gekommen: „Für mich heißt er immer
noch Adolph Löwe, so wie seinerzeit an der Frankfurter Universität, wo ich das
Glück hatte, ihn zum Lehrer zu haben.“24 Er wurde 1930 auf den Lehrstuhl für
Wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftlichen Fakultät berufen. In seiner Forschung beschäftigte er
sich mit der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft. Er bezog sich in seiner Arbeit
21
Ebd., 11.
22
Vgl. Eckhart Grünwald, Ernst Kantorowicz und Stefan George. Beiträge zur
Biographie des Historikers bis zum Jahre 1938 und zu seinem Jugendwerk
„Kaiser Friedrich der Zweite“ (Frankfurter Historische Abhandlungen 1982,
Bd.25), 111.
23
Marion Gräfin Dönhoff, Ernst Kantorowicz..., 12.
24
Marion Gräfin Dönhoff , Der philosophische Ökonom. Zum 100. Geburtstag
von Adolph Lowe, in: Die Zeit, 02.02.1993, 64.
8
auf zahlreiche Gebiete wie Geschichte, Philosophie und Theologie. 1990 erschien
in Deutschland sein Buch Hat die Freiheit eine Zukunft? In diesem Werk stellt er
fest, dass für den Erfolg der Gesellschaft die Änderung der Einstellung der
Menschen notwendig ist. „Sie müssen sich klar darüber sein, >>das die
Gesellschaft nicht aus den Menschen besteht, die heute da sind, sondern dass
Gesellschaft ein kontinuierlicher Prozess ist, in dem es eben so eine Zukunft wie
eine Vergangenheit gibt.<<“25 An der Universität trat der Professor für die Reform
des Studiums ein. Er schlug vor, das Studium in zwei Stufen zu gliedern.26
Lowe fand in Frankfurt schnell Zugang zu Gelehrtenkreisen. Seine
Freunde mochten ihn als Gesprächspartner. In den Diskussionen vertrat er immer
die Meinung, dass man nie die Realität aus dem Blick verlieren soll. Er wurde zu
den Diskussionen im Riezler-Kreis eingeladen, wo auch die junge Studentin
Dönhoff mit dem Professor über Nationalökonomie und Wirtschaft diskutieren
konnte.

2.4. Machtergreifung durch die Nationalsozialisten und Wechsel


nach Basel

Die schöne Studienzeit endet für Marion Gräfin Dönhoff mit dem Anfang
des Jahres 1933, der Machtergreifung durch die Nazis. Im Januar erlebte sie, wie
die Nationalsozialisten in die Stadt einmarschierten: „Ich [...] stellte mich unter
eine der Linden, die den Straßenrand säumen, und wartete. Der ferne Marschtritt
kam immer näher, wurde immer lauter und lauter, schien ganz unausweichlich,
hypnotisierend. Ich hätte nicht einfach aufsitzen und davon radeln können.
Schließlich war die Kolonne auf meiner Höhe, eine Hundertschaft der Braunen
zog an mir vorüber: steinerne Gesichter, zu allem entschlossen. In diesem
Augenblick stand das Kommende plötzlich deutlich vor mir: diese Stiefel würden

25
Marion Gräfin Dönhoff , „...so wurde ich fast unmerklich zu einem kritischen
Weltbürger erzogen.“ Laudatio für Adolph Lowe, in: Forschung Frankfurt 3,
2000, 146.
26
Vgl. Notker Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität..., 138.
9
alles, was ich liebte und achtete, zertreten.“27
Ein Teil der Frankfurter Studenten stürzte sich in den Kampf gegen die
Nazis hinein, unter ihnen auch Marion. Vor allem waren das die Kommunisten,
mit denen die Gräfin zusammenwirkte. Ihre Haltung brachte ihr den Spitznamen
„rote Gräfin“ ein. „Mich zog es zu den Roten, weil nur sie den Kampf gegen die
Nazis ernsthaft und kompromisslos führten.“28 Als die NSDAP im März 1933 die
Wahl gewann, veränderte sich schnell die Situation an der Universität. Der NS-
Studentenbund hisste die Hakenkreuzfahne auf dem Hauptgebäude der
Universität. Marion Dönhoff reagierte: „Ich fand, die müssen wir da
runterholen!“29 Sie kletterte mit einem Kommunisten aufs Dach, um die Fahne zu
entfernen. Wie es sich herausstellte, war sie mit Schlössern abgesichert. Auf dem
Weg herunter gelang es „der Kämpferin“, nur ein Plakat mit den Namen der
jüdischen und linken Dozenten abzureißen. Ab und zu verteilten die
widerständigen Studenten Flugblätter gegen die Hitleranhänger. Einmal bewarfen
sie auch die im Hof der Universität versammelten Nationalsozialisten mit Stühlen
aus den Fenstern.
Trotz aller Bemühungen der widerständischen Studenten übernahmen die
Nazis die Führung an der Universität. Mehr als ein Drittel der Professoren und
Dozenten wurde entlassen. Unter denen befanden sich auch Marions „Freunde“.
Noch vor der Machtergreifung wurde in der Zeitung der NSDAP („Frankfurter
Volksblatt“) die „Verjudung der Frankfurter Universität“ betont. Das führte zur
Schließung des Instituts für Sozialforschung. Riezler wurde vorgeworfen, dass er
für das Holen der jüdischen Dozenten an die Hochschule verantwortlich sei. Er
wurde für kurze Zeit verhaftet und schließlich im Januar 1934 zum Rücktritt
gezwungen. Später wanderte er nach USA aus.
Ein ähnliches Schicksal ereilte auch Ernst Kantorowicz, der jüdischer
Abstammung war. Als Teilnehmer am 1. Weltkrieg wurde er vom
„Arierparagraphen“ des „Gesetzes zur Wiederherstellung des
Berufsbeamtentums“ (vom 7. April 1933) geschützt und konnte von der
Universität nicht entlassen werden.30 Trotzdem wollte er nicht länger an der
Universität bleiben. Im April 1933 bat er um seine Beurlaubung. Im
27
Marion Gräfin Dönhoff, Menschen die wissen, worum es geht, Hamburg 1976,
33.
28
Marion Gräfin Dönhoff, Ernst Kantorowicz..., 12.
29
Alice Schwarzer, Marion Dönhoff..., 95.
30
Vgl. Eckhart Grünwald, Ernst Kantorowicz und Stefan George..., 113-114.
10
Wintersemester 1933/34 nahm er die Lehrtätigkeit wieder kurz auf. Seine
Veranstaltungen wurden jedoch von den nationalsozialistischen Studenten gestört.
Das veranlasste ihn dazu, seine Emeritierung zu beantragen. Kurz vor dem
Ausbruch des Krieges (1938) verließ er Deutschland.31
Professor Adolph Lowe hielt seine letzte Vorlesung im Wintersemester
1932/33, die auch von Marion Dönhoff besucht wurde. Er hatte vor, diese
Vorlesung im nächsten Semester fortzuführen, deshalb verabschiedete er sich mit
diesen Worten: „ Auf Wiedersehen im Mai“32. Aber wie es sich ergab, setzte er
seine Lehrtätigkeit in Frankfurt nie weiter. Das „Berufsbeamten“- Gesetz vom
April 1933 zwang den Professor zur Flucht vor den Nazis. Um der Verhaftung zu
entkommen, ging er nach England. Für ihn änderte sich nicht nur sein ganzes
Leben, er „bekam“ einen neuen Namen. Marion Dönhoff erinnert sich daran in
ihrem Artikel: „Als ich in Frankfurt studierte, hieß er Löwe - der Umlaut ging
versehentlich verloren, weil die englische Behörde, die ihm einen neuen Pass
ausstellte, keinen Umlaut auf ihrer Maschine hatte.“33
So wurde der Freundeskreis der Studentin zerschlagen. Bald fand sich
auch ihr Name auf der schwarzen Liste der Nazis. Die „Säuberung“ an der
Frankfurter Hochschule, die Entlassung der ihr nahestehenden Menschen, hielt sie
nicht mehr in der Stadt zurück. Sie bekam ihr Abgangszeugnis am 2. Mai 1934 34
und wechselte nach Basel, wo sie mit ihrer Dissertationsarbeit bei dem
Nationalökonomen Edgar Salin anfing. Mit ihrem Studium in Frankfurt war sie
somit fertig.
1937 kehrte sie nach Ostpreußen zurück, wo sie die Verwaltung der
Familiengüter übernahm. Damit verwirklichte sie den auf der Anmeldekarte
angegebenen Berufswunsch.

3. Schlussfolgerung

Die Jahre in Frankfurt spielten in Marions Leben eine große Bedeutung.


Wie schon ihre Cousine Sissi erkannte, zeichnete sich die Gräfin durch eine starke

31
Vgl. Kay Schiller, Gelehrte Gegenwelten. Über humanistische Leitbilder im
20. Jahrhundert, Frankfurt a. Main 2000, 59.
32
Marion Gräfin Dönhoff, „...so wurde ich..., 144.
33
Ebd., 146.
34
Archiv Studentensekretariat, Studentenakte Marion Gräfin Dönhoff.
11
Persönlichkeit aus. Sie wusste von Anfang an, was sie wollte. Sie stellte sich ein
Ziel und nichts konnte sie davon abhalten. Sie „kämpfte“ mit ihrer Mutter, um
ihren eigenen Weg zu gehen. Mit der Ankunft in Frankfurt fängt ihr eigenes
ereignisvolles Leben an.
In Frankfurt kam sie schnell zurecht. Schon nach wenigen Wochen wurde
sie in den Riezler-Kreis aufgenommen, wo sie auch Freundschaften fürs Leben
schloss. Sie lernte die prägenden Professoren der Universität nicht nur in dem
Gelehrtenkreis kennen, sondern ging mit ihnen auch zu „Weinproben“ und zum
Kegeln zusammen. In dieser Zeit kristallisierte sich unter dem Einfluss dieser
Herren ihre Weltansicht.
Die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten zerstörte ihre kleine
Welt. An der eigenen Haut erlebte sie, was Verfolgung und Hetzerei bedeuten.
Ihre kommunistischen und jüdischen Freunde und Bekannten wurden von den
Nazis als Staatsfeinde betrachtet und „eliminiert“. Sie selbst lehnte den
Nationalsozialismus ab und stürzte sich in den Kampf hinein. Als 1933 bekannt
wurde, dass die NSDAP die Vollmacht in Deutschland übernommen hatte, änderte
sich die Situation an der Uni. Ihre Gelehrtenfreunde mussten aus Deutschland
fliehen. Sie fürchtete selbst vor den Verfolgungen und beschloss Frankfurt auch zu
verlasen.
Die Erlebnisse dieser Jahre prägten ihr späteres Wirken. Als Journalistin
setzte sie sich mit den schwierigen Themen der Kriegsereignisse auseinander. In
ihren Artikeln erinnerte sie sich immer wieder an die Leute, die von der
Nazipolitik betroffen wurden. Sie pflegte Kontakte zu Kantorowicz und zu Lowe
auch nach dem Krieg. Sie engagierte sich auch für die Versöhnungspolitik. Ihre
Tätigkeit sicherte ihr einen festen Platz unter den großen Persönlichkeiten des 20.
Jahrhunderts. Die Johann Wolfgang Goethe-Universität kann stolz sein, so eine
Studentin gehabt zu haben.

Zusammenfassung

Marion Gräfin Dönhoff gehörte zu den wichtigsten Persönlichkeiten des


20. Jahrhunderts. Sie wurde vor allem als Herausgeberin Der Zeit bekannt. Für
ihre journalistische Tätigkeit spielte die Studienzeit eine große Rolle.
Schon als Jugendliche spürte die Gräfin das Verlangen nach Wissen. Sie

12
wollte „die Zusammenhänge“ verstehen. Dank der Frauenbewegung am Anfang
des 20. Jahrhunderts konnte die Adlige ihr Familienhaus verlassen und ihren
eigenen Weg gehen. Sie wählte die Universität Frankfurt am Main, die als offen
und modern galt, um hier bei dem Nationalökonomen Adolph Lowe zu studieren.
Hier erneuerte sie auch die Kindheitsfreundschaft mit Sissi und Heini Lehndorff.
Als geistreiche Studentin fand sie Aufnahme in den Kreis um den damaligen
Kurator Kurt Riezler. In seinem Haus lernte sie auch den Professor Ernst
Kantorowicz kennen. Sie begleitete die Herren bei ihren Diskussionen und
gemeinsamen Ausflügen.
Als die Nationalsozialisten die Macht ergriffen, stürzte sich die „rote
Gräfin“ in den Kampf gegen sie. Ihre Professoren und Freunde zugleich wurden
von der Uni „verjagt“. Um selbst den Verfolgungen zu entflehen, wechselte sie
nach Basel, wo sie 1935 auch promovierte.

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