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Das unglücklicheBewußtsein

Seine B e d e u t u n g f ü r Hegels P h i l o s o p h i e 1 )
Von
Jean Wahl (Lyon)
Was ursprünglich im Innersten der Seele des Verfassers der L o g i k
lebte, war eine christliche Schau des Kreuzes und eine „Boehmesche"
Schau vom Zorn Gottes. Diese zwei Mysterien sind das, was im Inner-
sten der Seele dieses Rationalisten lebt; in der Seele dieses Optimisten
dieser doppelte Schmerz. Der Zorn Gottes erscheint als das Prinzip der
Dialektik und jener Bewegung des Zurückgehens in sich, in welcher sich
die Dialektik vollendet (Rosenkranz S. 547).
Das unglückliche Bewußtsein — mehr als irgendein anderer hat uns
Einer sein Wesen entschleiert, insoweit es von uns gefühlt wird, und
dieser Eine ist Pascal. Vielleicht aber kann man in der Spekulation noch
weiter gehen als e£, wenn man mit Boehme vom Schmerz des Sohns bis
zum Schmerze des Vaters aufsteigt2).
Die Theologie Meister Eckharts, die gedankenreichen Träume Boeh-
mes verschmelzen in Hegels Weltanschauung mit der lutherischen Er-
fahrung des Heils. Weit entfernt von dem Glauben, die Hegeische Philo-
sophie sei eine rein rationalistische, möchten wir eher sagen, sie sei ein
Ringen um die Rationalisierung eines Grundes, den die Vernunft nicht
erreicht. Trotz allem, was Hegel mitunter sagt, gibt es für die Vernunft

*) Im Einverständnis mit dem Verfasser und dem Verlag geben wir hier das zu-
sammenfassende Kapitel in,dem Buche „Le m a l h e u r de l a c o n s c i e n c e d a n s
la P h i l o s o p h i e de H e g e l" (Editions Rieder, Paris 1929) in deutscher Über-
tragung.
Die H e g e l - Z i t a t e beziehen sich auf die erste Gesamtausgabe von Hegels
Werken, Berlin 1832, besonders Bd. I und II; ferner auf Rosenkranz, Hegels Leben,
Berlin 1844; und auf die Theologischen Jugend Schriften, hrsg. von Herman Nohl.
2
) Hier ist anzumerken, daß Hegel schon in der Phänomenologie in den Anschau-
ungen Boehmes bloß „Vorstellung" sieht, die „des Begriffs entbehrt" (S. 582).

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384 Jean Wahl

keine völlig durchsichtigen Symbole. Das Licht leuchtet in den Finster-


nissen ; die Symbole sind da mit ihrem zähen, widerstrebenden Dasein, von
Lichtern getroffen, die sie in düsterem Glanz erbrennen lassen.
Erst dann wird die Endlichkeit zum Bewußtsein des Glücks gelangen,
wenn Gott, der die unendliche Totalität ist,« diese Endlichkeit zerbrechen
und sie eben dadurch trösten und über sich entrücken wird (vgl. Rosen-
kranz S. 193). Anderseits wiederum ist „jede relative Totalität, auch die
geringste, in ihrem Lebenslauf selig". Und wenn es so ist, dann macht
eben jene Endlichkeit, kraft deren die Einzelheit aus dem Ganzen ab-
strahiert ist, aus dieser Einzelheit etwas nicht Abstraktes, ein Herz, das
ein Herz aufruft. Derart, daß, was an ihr negativ ist, etwas Positives ist.
In Hegels E r s t e m S y s t e m (Rosenkranz S. 111—112) sah man
eine Sehnsucht der dunklen Monaden nach dem Gott, der sie geschaffen
hat, und diese Unruhe der Monaden ist bereits das unglückliche Be-
wußtsein. Sich aufzehrend, mühend,, stöhnend werden sie der Freude
entgegengehen, dem Augenblick, wo alle isoliert und fixiert erscheinenden
Teile sich ins Ganze des Lebens auflösen werden, jeder sich weitend in
sein Entgegengesetztes, jeder die absolute Unendlichkeit in sich dar-
stellend (Rosenkranz S. 115). Es wird sich für Hegel darum handeln,
zu einer synthetischen Schau des Unglücks sowohl des menschlichen, wie
des göttlichen Bewußtseins zu gelangen, und sie in einem einzigen Unglück
zu sammeln. Hier noch einmal sehen wir, wie das Bild des Kreuzes und
die Idee der Negativität derselben Forderung gehorchen und so erweisen,
daß das Unglück Gottes und das Unglück des Menschen ein und das-
selbe Unglück sind.
Eben hierdurch ist das unglückliche Bewußtsein auch das glückliche
Bewußtsein; denn wenn die Natur das Erzeugnis der Negativität Gottes
ist, dann ist Gott die Negativität der Natur, und — wie ihr Unglück — so
ist auch das Glück Gottes und das Glück des Menschen eines, dank jenem
Bilde des Kreuzes und jener Idee der Negativität selbst. Es ist dies, was
Hegel schon am Ende von G l a u b e n u n d W i s s e n S. 157 erklärt
hat. „Der reine Begriff aber, oder die Unendlichkeit . . . muß
den unendlichen Schmerz, der vorher nur in der Bildung ge-
schichtlich war", ausdrücken: „rein als Moment, aber auch nicht
mehr denn als Moment, der höchsten Idee bezeichnen". Und als
festen Grund des religiösen Gefühls der neueren Zeiten sieht er die
christliche Bejahung, vorzüglich unter der Form, die sie bei L u t h e r
und P a s c a l annimmt. Gott selbst ist tot, „was gleichsam nur empirisch
mit Pascals Ausdrücken ausgesprochen war: la nature est teile, qu'elle
marque partout un Dieu perdu et dans l'homme et hors de Thomme".

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Das unglückliche Bewußtsein 385

Gleichzeitig also gelangt man zu den Ideen der absoluten Freiheit und
des absoluten Leidens, zur Idee des „spekulativen Karfreitags" oberhalb
der Sphäre von Geschichte und Gefühl. Denn was sich als Geschichte dar-
stellte, darf uns nicht vergessen lassen, daß in Wirklichkeit das Reich der
Geschichte schon überschritten ist. Man muß die beiden Ideen der Dauer
und der Ewigkeit zugleich im Geiste haben, um zu sehen, wie sie sich in
der Anschauung einer Dauer und einer Veränderung im Ewigen ver-
einigen3).
Feiert man den spekulativen Karfreitag in seiner ganzen Zerrissen-
heit, in seiner ganzen Verlassenheit, in der Härte dieses Gottestodes,
dann wird man ihn nicht mehr in einer Opferung der sinnlichen Welt
erblicken, wie Kants und Fichtes Schüler es meinten, sondern dann wird
man aus dieser Härte die tiefste Süßigkeit quellen sehen, die höchste
Totalität, die höchste Idee in ihrem ganzen Ernst und ihrer heitersten
Freiheit; denn das Glück ist ein Sturmvogel; es wird geboren aus dem
Unglück, es lebt im Unglück; es ist der Gegenalkyon; es ist der Sturm
selber, der seiner selbst im rasenden Zentrum, aber auch in allen Win-
dungen seines Wirbels bewußt wird.
Nicht anders die Flamme, wenn sie ihre Substanz dauernd wandelt
und sie in ihrer bleibenden Form bewahrt. Die Bewegung ist Ruhe, das
unendliche Wort ist Schweigen. Nicht anders die absolute Bewegung und
die absolute Negation, die eins sind mit der sich selbst genügenden
und in sich ruhenden Substanz. Nicht anders jene Mänaden, deren
Tumult die Bewußtwerdung des Tumults der Natur aus ihr selbst heraus'
bedeutet, und die sich den olympischen Göttern einreihen, ohne etwas
von ihrer Bewegung zu verlieren; da sie aus dieser Bewegung einen
ruhigen Reigen bilden, ja etwas wie einen stillen Gesang.
Nicht nur ist der Schmerz der Seele Zeugnis des Geistes, nicht nur
ist er durch den Glauben die Bejahung der göttlichen Erscheinung,
deren wir bedürfen (Philosophie der Religion II, S. 239), nicht nur hat
das unglückliche Bewußtsein seine Stelle im glücklichen Bewußtsein, gleich-
wie jeder überholte Moment sich im letzten Moment wiederfindet — wir
dürfen vielleicht noch sagen, daß es das bloß verdunkelte Bild des glück-
lichen Bewußtseins ist.» Denn es ist Übergang von einer Entgegengesetzt-
heit zur anderen und dadurch irgendwie deren Einigung. Es ist wie der
rückgeworfene Strahl der Flamme des glücklichen Bewußtseins, ist das
3
) Der Gedanke Herders, der auch der Goethes war, und nach dem das Ziel immer
und niemals erreicht ist, kommt mit einer Intuition der Mystik, vorzüglich Meister
Eckharts überein, die von der unendlichen Bewegung und der ewigen Ruhe der Gottheit
spricht.

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386 Je*" W a h l

Bewußtsein des Glücks, übertragen ins Individuelle und Wechselnde, und


wird — so verzwiefacht — zum Bewußtsein des Unglücks. Sobald es
nur — nach dem Bilde Schillers — den Spiegel, in dem es sich umkehrt
und zerlegt, verschwinden läßt, sehen wir wieder die ganze große Flamme,
Es ist die göttliche Ungleichgewichtigkeit, die das Gleichgewicht aus-
baut, und der dunkle Grund wird zur Durchsichtigkeit selber. Das un-
glückliche Bewußtsein ist an sich (nur an sich) die Vernunft; es braucht
nur einfach der Tatsache bewußt zu werden, daß es Vernunft ist (vgl.
Phänomenologie S. 496, Rosenkranz S. 116), es darf sich nur nicht
in sich selbst einsperren, darf nur nicht sein wie die Seele des Novaiis, em
Duft, dauernd verschlossen im Busen der blauen Blume, aus Furcht, sich
zu verflüchtigen.
Von nun an wird das Unmittelbare mittelbar, das Individuelle all-
gemein, das Unglück Glück; und wenn es so ist, wenn das wahrhaft Un-
mittelbare mittelbar ist, wenn die Bejahung und die Verneinung einander
einschließen, dann sehen wir nicht nur die notwendige Bewegung des
Geistes, die das Netz der Beziehungen webt und im Kern der Beziehungen
selbst den Grund des Unmittelbaren aufblitzen läßt, sondfern dann haben
wir in dem, was an der Kohle unverderbbar ist, den Diamanten gesehen,
dem unser Auge — um die Sprache der Neüplatoniker zu übernehmen —
sich angleicht; wir haben das konkrete Allgemeine erreicht. Die Auf-
hebung der Trennung ist, um ein Wort Schillers in der T h e o s o p h i e
d e s J u l i u s zu gebrauchen, die Hervorbringung von Gott selber4).
Über der eigentlich christlichen Anschauung und über der eigentlich
Boehmeschen Anschauung, von denen wir sprachen, lebt in der Seele
Hegels, und in naher Verwandtschaft mit diesen beiden Sehweisen eine
dritte Anschauung; jene, die B l a k e — freilich in sehr anderer Form —
gleichzeitig in mehreren Gedichten ausspricht, uhd die Hegel in den
Zitaten Mosheims, die er für sich selbst abschrieb, vorfand: „der gute
Minsch ist der ingeburne Sune Gates, den der Vater eweclyken geburen
h a t . . . Es ist etwas in den Seelen, das nütt geschaffen ist und ungescheffe-
lick; und das ist die Vernünftigkeit... Was die heilige Schrift gesprichet
von Christo, das wird alles vor wahr geseit von einem jeglichen gottlicken
Menschen5)" (Nohl S. 367). Jeder Mensch ist Licht und brennende
4
) Bringt man die Gedanken der Julius-Theosophie mit denen der Abhandlung
„Über naive und sentimentalische Dichtung" zusammen, so kommt man dazu, die ganze
Welt — verglichen mit der ursprünglichen Einheit — in einem sentimentalen Zustand
zu erblicken, dann kommt man zur Idee des unglücklichen Bewußtseins.
5
) Was Christi schöner Seele gefehlt hat, ist die Kühnheit, der Stolz, die Tapfer-
keit (S. 26) in der Welt durchzuhalten und sie zu besiegen. Er setzt sich wie eine

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Das unglückliche Bewußtsein 387

Flamme. Um Gott zu lieben, muß man seinesgleichen sein. Es gibt im


Menschen ein göttliches Fünklein (S. 75), wie die alten Stoiker und die
deutschen Mystiker sagen. Es sind die Gedanken Meister Eckharts, die
— vermittelt durch die Bulle Johanns XXII. und des orthodoxen Histori-
kers Mosheim— auf den Frankfurter Theologen wirkten (vgl. Edition
critique des pieces du proces d'Eckart par le P. Thery, Archives
d'Histoire doctrinale et literaire du Moyen-Age 1926, S. 159, 167,
.168, 210).
Der Augenblick kommt, wo eine universale und wahrhaft philo-
sophische Religion erscheinen wird; dann wird der wahre Geist der
Religion offenbar werden, der nach den eigenen Gesetzen der Geschichte
in keinem früheren Zeitpunkt sich zeigen konnte, der aber in jedem von
ihnen im Keime lag (Werke I, Verhältnis S. 311). Dann wird die dritte
Religion verw irklicht sein, die zweite gute Botschaft, die die Lücken, die
Brüche im Text der ersten ausfüllt, das ewige Evangelium, an das — frei-
lich in recht anderer Form — manche Mystiker und, in Erneuerung
montanistischer Ideen, Rationalisten wie Lessing gedacht haben. Dann
wird die Tiefe der christlichen Versöhnung mit der Schönheit griechi-
schen Schauens sich einen, ohne daß es not täte, auf die Boehmesche
Schau und auf den Stolz mancher Eckhart-Schüler zu verzichten, auf
die göttliche Negativität und auf die menschliche Bejahung.
Der Geist ist die Kraft, welche die Negativität in Bewegung setzt und
zugleich trägt; er ist der Schmerz und zugleich die Kraft, den Schmerz
zu tragen (Philosophie der Religion II S. 249).
Es ist dieses Kommen und Gehen eine Anabasis und Katabasis, eine
Prozession, eine Extase und gleichzeitig eine Verinnerlichung, die am
Ende zusammenfallen (Phänomenologie S. 29).
„Gott", so sagt Hegel (Rosenkranz S. 192), „ist die ewige Weisheit
und Seligkeit, insofern er, aber mittelbar, in dem Prozeß des Universums
als eines zugleich Ruhenden und Werdenden versenkt ist, d. h. insofern er
die absolute Idealität ist", und er fügt hinzu: „Das Gericht, in das der
Einzelne geführt wird, kann eben, weil der Einzelne beschränkt ist, nicht
abstrakt richten. Gott als Richter der Welt muß, weil er die absolute
allgemeine Totalität ist, das Herz brechen. Er kann sie nicht richten, er

Antithesis und nicht wie eine Synthesis, oder doch nicht als Synthesis von zulänglicher
Kraft. Er bat nicht zu einer Religion des Volkes gelangen können, sondern nur zu
einer auf Individuen oder kleine Gruppen beschränkten Religion. Er hat nicht die Fülle
der Kraft besessen (S. 284), obwohl viele seiner Worte von erstaunlicher Unerschrocken-
heit sind (vgl. S. 290). Über die Bedeutung der Tapferkeit, den „Kranz aller Tugenden"
siehe Rosenkranz, S. 131, Naturrecht, S. 387 und Nohl, S. 367 und 277.

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388 Jean Wahl
kann sich nur ihrer erbarmen/1 Mag auch diese Versöhnung für Hegel,
wie an gewissen Stellen des E r s t e n S y s t e m s , manchmal fast den
Charakter der Ironie annehmen oder den der Verzeihung, wie in der Phäno-
mcnologie: sie erscheint ihm immer als die Wesensidee der Religion.
So ist Entwicklung nur deshalb notwendig für Hegel, weil es sich
darum handelt, von Einheit zu Einheit weiterzugehen.
All dies darf nicht die realistische und klassische Einstellung des
Hegeischen Denkens vergessen lassen. Das unglückliche Bewußtsein ist
das Bewußtsein als Subjekt. Es ist das Moment der unendlichen Be-
sonderheit. Aus dem Selbstbewußtsein einen Gegenstand machen, vom
Subjektiven zum Gegenständlichen übergehen, sich aus dem. „Romantizis-
mus" der Sehnsucht retten, um einen Klassizismus der Welt zu schaffen,
der gerade darum vollständigen Welt, weil sie unvollständig und unvoll-
ständig, weil sie vollständig ist — das ist letzter Gesichtspunkt des Hegel-
schen Werkes. Der Geist muß Wirklichkeit sein; der Geist muß Gegen-
stand sein und mit den Gegenständen eins werden (Phänomenologie
S. 504; vgl. S. 496). Das heißt, die Philosopie zum eigensten Ausdruck
des Protestantismus machen, soweit dieser seinen Stützpunkt im Subjekt
nimmt. Aber es heißt zugleich, über dessen engere Form hinausgehen. Es
gilt, aus der Vernunft eine Religion zu machen und aus der Religion eine
Vernunft; über die Romantik hinauszugehen, dadurch, daß man sie klas-
sisch, und über die Klassik dadurch, daß man sie romantisch macht; es
gilt die Subjektivität, die Unruhe oder restlose Bewegung, die romantische
Verneinung der Objektivität mit der Vollendung der klassischen Seele zu
vereinen, um — wie gesagt worden ist — zur Idee einer unendlichen Ent-
wicklung der vollendeten Vernunft zu gelangen8); es gilt das Thema der
AVesensentzweiung fühlbar zu machen, das in der Philosophie des späten
Schelling und Schopenhauers nachklingen wird, es gilt, der Apotheose des
unglücklichen Bewußtseins den Triumph des glücklichen Bewußtseins
entgegenzustellen und die wirkliche und göttliche Tragödie zu offenbaren.
Das wahre Glück ist nicht ein unbeschriebenes Blatt, eine Seligkeit,
ohne Leid; es ist das männliche Glück7), ist Lucifer, der zurücksteigt zum
Himmel, ist die Einzelnheit, die sich öffnet und, unter dem negativen Ein-
fluß der Vernunft, ihre Allgemeinheit freimacht. Das lutherische Thema
e
) Über den Gegensatz von Klassik und Romantik vgl. das schöne Buch von Fritz
Strich „Klassik und Romantik oder Vollendung und Unendlichkeit". Über ihre Verbin-
dung vgl. Korff (Geist der Goethezeit I, S. 41).
7
) Vgl. Croce (Cio ehe e vivo e cio ehe e morto della filosofia di Hegel, Bari 1907)
über die Art, wie Hegel über Optimismus und Pessimismus hinausgeht, und Royce,
Spirit of modern philosophy, S. 211.

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Das unglückliche Bewußtsein 389

von der Demut und vom Triumph ist hier wieder aufgenommen. Gegen-
über den Reflexionsphilosophien hatte die Romantik die Idee der Person ins
Licht gerückt; aber diese Idee selbst lief Gefahr, sich zu verflüchtigen,
wenn man die Reflexion· nicht neu in sie hineinstellte. Die Person, der
Staat, werden zum konkret Allgemeinen nur, wenn die Reflexion rings
um das lebendige Feuer kreist, dessen bewegtes Maß sie ist.
Es gilt, aus der Substanz ein Selbstbewußtsein zu machen und aus
dem Selbstbewußtsein eine Substanz. Die Doppelbewegung vereint sich
im konkret Allgemeinen. Die Substanz ist Selbstbewußtsein, weil sie
Übergang zum Entgegengesetzten, weil sie Bewegung ist; das Bewußtsein
ist Allgemeinheit, ist Substanz, weil es sich eben in diesem Entgegen-
gesetzten ruhig aufhält. Aber diese Substanz ist Selbstbewußtsein; sie
ist Geist.
Wenn man sagen kann, es sei das Ziel des Hegelianismus, aus dem
Subjekt eine Substanz zu machen — im Gegensatz zur ersten Konzeption
Fichtes —> so ist es nicht weniger sein Ziel, aus der Substanz ein Subjekt
zu machen — im Gegensatz zu Schelling. Gleichzeitig aber besteht dies
Ziel darin, über all die falsch geschaffenen Gegenüberstellungen des un-
glücklichen Bewußtseins zu triumphieren: über die Gegenüberstellung des
Endlichen und Unendlichen, des Scheins und des Seins, des Diesseits und
des Jenseits. Das Unendliche stellt sich dem Endlichen nicht gegenüber.
Es enthält es in sich, erlöst und sublimiert. Jenes harte Wort „Gott ist
tot" ist zugleich das holdeste Wort. Die gleiche wechselseitige Trans-
formation der Themata läßt sich ohne Unterlaß vernehmen. Vom Blick-
punkt des Geistes, der sich bereits als göttlich fühlt, ist jene Sicht Gottes,
die sich von ihm getrennt zu haben schien, mit ihm versöhnt; das Sinn-
liche wird etwas Allgemeines; sein Tod ist Auferstehung im Geiste.
Dies „Anderssein", diese sinnliche Gegenwart wird zurückgenommen,
wird verneint, wird ein Allgemeines und eint sich dem Wesen selbst
(Phänomenologie S. 584). Von der Individualität ausgehend, mündet
man bei der Allgemeinheit des Geistes, „der in ihrer Gemeinschaft lebt,
täglich in ihr stirbt und täglich in ihr aufersteht8)". Dies ist nicht mehr
der Tod im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern der Tod der Einzel-
heit, die in dem Allgemeinen aufersteht (ebd.) oder — von der anderen Seite
gesehen — der Tod der Abstraktion, der Abtrennung vom göttlichen
Wesen (S. 590), die Verneinung der Verneinung und der Tod des
Todes9).
8
) Vgl. Schelling, Vorlesungen über die Methode, Erste Gesaratausg. V, S. 287, 294.
e
) Vgl. Werke, Bd. VI, S. 321: „Das Allgemeine in seiner wahren und umfassen-
den Bedeutung ist übrigens ein Gedanke, von welchem gesagt werden muß, daß es Jahr-

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390 Jean Wahl

Der gesamte unsichere Bezirk des „Meinens" kommt dahin, seine


Einzelheit zu verneinen und gelangt zum Denken, das Allgemeinheit ist.
Die g e d a c h t e Einzelheit verschwindet, aber eben dadurch, daß sie
d e n k e n d ist, kann dieEinzelheit nicht mehr ganz und gar verschwinden.
Denn ist nicht Christus eben die denkende Einzelheit schlechthin, die auf
Golgatha den Tod erlitten hat — ein Gedanke, der die Welt trägt?
Im antiken Olymp fanden wir ein Selbst, das sich auf nicht-wesen-
hafte Weise an das Wesen heftete und unwesenhaft blieb. Hier, kraft
eines ontologischen Faktums, heftet sich das Denken an das Einzel-
wesen selbst. Das „Dieses" wird allgemeine Wesenheit, und seine Nega-
tivität ist nicht mehr die unfruchtbare Negativität des Sinnlichen, sondern
die fruchtbare Negativität des Denkens. Der Geist ist wirklich. Christi
Tod erscheint von hier aus als die Verwandlung des Sinnlichen, worin
dies verschwindet; von der anderen Seite gesehen aber auch als Symbol
der Dialektik des Intelligiblen, worin die Momente des Sinnlichen „auf-
gehoben" sind..
Die gesamte P h ä n o m e n o l o g i e i s t eine Bewegung der Entleib-
lichung des Einzelnen, die sich aus der Umkehrungsbewegung erklärt,
kraft deren das Allgemeine sich verleiblicht hat und deshalb wahrhaft all-
gemein geworden ist, weil es einzeln geworden ist, weil es sich verleiblicht
hat. Die Phänomenologie ist Reflexion über eineTranssubstantiation10), über
die Anstrengung des arbeitenden Geistes, der zu sich selbst geboren wird,
der sich selbst offenbar wird: sie ist der Schmerz des Gebarens, der
schwarze Rauch des Feuers, aus dem der Phönix neu entsteht; ist der
Schmerz und die Sehnsucht, die all diese Formen durchdringen. Hegel
nimmt hier eine seiner frühesten Ideen wieder auf: „Wie die Arigst der
Gebärerin in Freude verwandelt wird, wenn sie einen Menschen in die
Welt geboren hat, so wird der Kummer, der euer wartet, einst in Seligkeit
übergehen" (Nohl S. 127). Das unglückliche Bewußtsein erscheint nun
nicht mehr als die Bewegung, die auf die Religion der Schönheit, auf
Stoizismus und Skeptizismus folgt — sie ist in ihnen gegenwärtig.. Die
antike Welt im Moment ihrer Blüte ist vergebliches Streben; die Komödie
ist Tragödie, und das Glück, nach dem Hölderlin schmachtete, ist schon
an sich, seines ersten Eindrucks ungeachtet, bei dem wir früher verweil-
ten, das allermeiste Unglück. Soll eine Idee genannt werden, die in sich
all diese Momente birgt, ausgenommen das der Offenbarung der Ver-
tausende gekostet hat, bevor derselbe in das Bewußtsein der Menschen getreten und
welcher erst durch das Christentum zu seiner vollen Anerkennung gelangt ist" (zitiert
bei Royce, Lectures on Modern Philosophy, S. 223).
10
) Dilthey, Die Jugendgeschichte Hegels, Ges. Sehr. IV, S. 81.

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Das unglückliche Bewußtsein 391

nunft, dann muß sie »das unglückliche Bewußtsein" heißen (Phänome-


nologie S. 566). So kann die Allgemeinheit dieser Idee gar nicht über-
trieben werden: alles, was nicht das konkrete Allgemeine ist:— so wie das
Frühchristentum, das Lutheranertum und der Hegelianismus es definiert
haben —, ist das Unglück des Bewußtseins. Diese Idee ist ein beweglicher
Begriff, der je nachdem, wie man ihn faßt, einen kürzeren oder längeren
Abschnitt der Geschichte in sich begreift: In seinem engsten Sinn nur das
Mittelalter, breiter gefaßt, Mittelalter und gesamtes Christentum, endlich
rückwärts erweitert, auch das Judentum und das klassische Altertum.
Das unglückliche Bewußtsein ist also die antike Welt, insofern es Ab-
straktion und zugleich dumpfes Bewußtsein davon ist, daß es noch etwas
anderes gibt als Abstraktion; es ist aus demselben Grunde die jüdische
\Velt und ist schließlich die christliche Welt dann, wenn die Sehnsucht
zugleich der heidnischen und der jüdischen Welt in den Schrei umschlägt:
Gott selbst ist gestorben.
Auf die moderne Welt übertragen, bedeutet das unglückliche Be-
wußtsein die Aufklärung und den Kantianismus sowie die Reaktion gegen
Kantianismus und Aufklärung; eben diese Ausweitung] und diese Um-
kehrung der Begriffe ist ein Grundzug des Hegeischen Denkens, das
Thesen, die für den ersten Eindruck gegensätzlich sind, im selben Moment
angreift und eben im Moment des Angriffs von ihnen bewahrt, was in
Hegels Augen ihr Wesen ausmacht.
Wollen wir aber" diese Ideen in abstraktere Ausdrücke übersetzen,
dann ist dies unglückliche Bewußtsein die Dualität des Bewußtseins selbst,
welche für den Begriff des Geistes notwendig sein wird, jene Dualität, die
noch nicht zum Ergreifen ihrer Einheit gelangt; es ist das Bewußtsein als
Subjekt gegenüber einem Objekt (Phänomenologie S. 590). Denn das
Schmerzhafte der Subjektivität hat seine Ursache in dem Gefühl des
gegenüberstehenden Objekts; das Objekt macht das Unglück der Liebe
und der Religion aus. Das unglückliche Bewußtsein ist auch das Mittel-
bare und die Negativität.
Die gesamte Bewegung des Geistes ähnelt jenem Vorgang .im Kinde,
das zuerst Götter außerhalb seiner selbst stellt; Götter, die es fürchtet;
mehr und mehr sondert es sich von ihnen, kehrt aber gerade dadurch in.
seine eigene Einheit zurück, jene Einheit, die unentwickelt und unentfaltet
war, und sich durch die Trennung bereichert hat Es kommt zu einer
Einheit, die es selbst schafft und selbst fühlt, und es erkennt, daß die Gott-
heit in ihm ist; es erkennt sich als Sohn Gottes. Es ist sich zum anderen
geworden nur, um sich in sich wiederzufinden (vgl. Rosenkranz S. 584).
Nach den Worten Hölderlins (Hyperion, Ausgabe Joachimi, Bd. III/n6)

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392 Jean Wahl

»,ani Ende söhnt der Geist mit allem uns aus". „Wir trennen uns nur, um
inniger einig zu sein, göttlicher, friedlicher mit allem, mit uns. Wir ster-
ben, um zu leben" (ebd. Bd. IV/I45). Und er vergleicht die Dissonanzen
der Welt mit dein Zwiste der Liebenden; „Versöhnung ist mitten im
Streit, und alles Getrennte findet sich wieder"' (Hyperion Bd. IV1i45)11).
Abstraktion und Unglück sind Synonyma; das konkret Allgemeine
wird die Freude des Geistes sein, die Idee wird uns nicht mehr erscheinen,
als wäre sie über ein fremdes Wesen geworfen, sondern als ganz nah von
uns, als unser Werk (Nohl S. 71), und zugleich als die Kraft, die uns
schafft und die unsere Substanz ist. Die Erkenntnis, die zunächst als
Fälschung und Trennung erschien, ist Offenbarung und Einigung.
In dem als Dreiheit gefaßten Gott erblicken wir den 'erst noch un-
bestimmten und allgemeinen Begriff; dann wird er einzeln gegenüber
anderen Individuen, endlich vollbringt er im Geiste die Einigung des Ein-
zelnen und des Allgemeinen und gelangt zur wahrhaften Individualität.
So findet Hegel jene Idee der Dreieinigkeit, des Dreiecks der Dreiecke
wieder, wie er sie unter Baaders Einfluß gefaßt hatte, nun aber auf andere
AVeise vertieft.
Mehrmals sahen wir, wie Hegel sein Ziel fast schon berührte, nahe
schon jener erfüllten Unendlichkeit, von der Schiller gesprochen hatte;
jedoch Liebe und Leben, wie er sie zunächst faßte, konnten ihm nicht
völlig Genüge tun. Das Leben schleppt das Viele mit sich, zum Tod und
zur Liebe gehört ein Gegenstand, und die Liebe kann unglücklich sein.
Aber muß man darum wirklich im Unbewußten versinken ? Einen Augen-
blick lang — wir sahen es — hat Hegel es geglaubt. Aber wenn es wahr
ist, daß Objekt und Subjekt sich dank dem bejahten Schicksal versöhnen
können, wenn es wahr ist, daß die .wahrhafte Liebe —- fern davon, den
Begriff zu verneinen — vielmehr der höchste Begriff ist; wenn das Spiel
des Hegeischen Denkens — durch die Thesen und Antithesen Platos und
Kants in Bewegung gesetzt -«-. schließlich in ihnen das Wesen der Ver-
nunft selbst entdeckt hat, dann sehen wir, daß die drei Worte Schicksal,
Liebe und versöhnte Antinomie uns offenbaren, was die Vernunft ist. Die
Vereinigung der Tugenden, deren eine alle anderen herbeiruft, der lebende
Organismus, die Beziehung des Baums zum Ast, des Auges zum Licht, und
Gottes zu Gott, die Versöhnung mit dem Schicksal, die Verschmelzung

u
) Vgl. Ich-Roman, Ausgabe Joachimi, S. 177.
Eins der grundlegenden Probleme Hölderlins ist in der Tat das Problem der Tren-
nung (Thalia-Fragment, ebenda S. 158, 171; Empedokles S. 41 u. 89) und der Versöh-
nung (Hyperion Bd. IV/I54; Thalia-Fragment S. 175;.Empedokles S. 130).

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Das unglückliche Bewußtsein 393

der Reflektion mit ihrem Gegenstand; die Verbindung der Verbindung und
der Nichtverbindung — alles dies nichts als Symbole auf dem Weg jener
Einswerdung des Vielen mit dem Einen, auf dem keine Allgemeinheit
mehr bestehen bleibt, all dies nichts als Symbole des Konkret-Allgemeinen.
Der synthetische Charakter des Lebens und der synthetische Charakter der
Liebe sind von nun an fest gegründet, da sie als identisch mit dem synthe-
tischen Charakter der Vernunft erscheinen. Nun werden wir endlich
jenem steten Abgleiten entgehen, das uns bald in das unglückliche Bewußt-
sein, bald in das Unbewußte stürzen ließ. Unser Sinnen über Antigone
und Ödipus auf Kolonos, über die Dialektik der Reinen Vernunft und des
Parmenides und über das Evangelium wird uns einsehen lassen, in welcher
Richtung wir die Natur der wahren Idee, des Begriffs zu suchen haben.
Es ist nicht nur richtig zu sagen: für Hegel sei der Begriff das, was
für die orientalischen Religionen das Sein, für Griechenland und Juda die
schöne oder erhabene Wesenheit, ja was der Gegenstand des Christentums
war, sondern ebenso richtig ist es, zu behaupten: für Hegel, der hierin der
Nachfolger der Gesamttradition der deutschen Mystiker ist, bedeute der
Begriff auch das, was er Vater, Sohn und heiligen Geist nennen würde; be-
deute er das Wesen, erst als Insichsein und dann als Außersichsein; be-
deute er endlich die Erkenntnis des Selbst im Anderen und das Fürsich-
sein; er bedeute die Liebe, die Identität des Vater und des von ihm Ge-
zeugten und daß diese Einheit G e i s t ist: der Geist, „indem er die drei
Elemente seiner Natur durchläuft; diese Bewegung durch sich selbst hin-
durch macht seine Wirklichkeit aus" (Phänomenologie S. 591, vgl. S. 576;
vgl. auch Philosophie der Geschichte S. 408, 413; Geschichte der Philo-
sophie III, 22, 107, 115, 150). So geschieht es, daß er oberhalb des Ab-
strakten, ja selbst oberhalb der Dialektik zum Positiven gelangt, zum „Spe-
kulativen", dessen Identität mit dem negativen dialektischen Element
unsere Erforschung des unglücklichen Bewußtseins und die Reflexion
über Gottes Tod uns begreifen ließen.
Solange das Bewußtsein einzig und allein ein Jenseits seiner hervor-
bringt, das es umsonst zu erreichen trachtet, kann der Geist keine Ruhe
finden (Phänomenologie S. 575); er ist zu klein für sich selber, weil er
größer ist als er selbst t
\Vie Hegel es in seinem E r s t e n S y s t e m aussprach (Rosenkranz
S. in): „Das höchste Wesen hat die Welt erschaffen, die für dasselbe von
ätherheller Durchsichtigkeit und Klarheit ist; aber diese ist für sich selbst
finster." Das Dunkel; selbst muß sich durchleuchten, ohne etwas von jenem
ursprünglichen Grunde zu verlieren, den es besitzt. Das unglückliche Be-
wußtsein ist „aufgeboten". Es erscheint, einer Insel gleich, die im Sonnen-
Archiv für Geschichte der Philosophie (Band XL, Heft 3) 26

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394 Jean Wahl

licht brennend eine selige Wolke zu werden scheint (vgl. Rosenkranz


s. 197).
Je tiefer die Zerreißungen, die Abgründe, um so vollständiger werden
sie ausgefüllt werden. Die Dissonanzen des Leidens (vgl. Ästhetik II,
S. 146) werden aufgelöst werden. Genau so, wie der Schluß des Heinrich
von Ofterdingen oder des Empedokles, die notwendigen Dissonanzen auf-
lösen sollte. Dem wildesten Kampf, sagte Schiller, entsteigt der Frieden,
die göttliche Harmonie. Die immer tieferen Mahnungen der Momente des
Schmerzes nähern sich den Momenten der größten Sänftigung, vermöge
einer Art paradoxen Verdichtung der Dauer, wie in einer gewaltigen
Symphonie.
Mitunter ist die Weltanschauung Hegels nicht sehr verschieden von
der Goethes, und der Geist spricht in einem Hegelfragment ganz ähnlich,
wie er zu Faust sprechen würde (Dilthey, Jugendgesch., S. igö)12).
Aber im Unterschied von der Goetheschen Natur, die — auf den ersten
Blick wenigstens — alle Widersprüche und Leiden in ihrem breiten Strom
mitreißt, ohne durch sie aufgehalten zu werden, und innerhalb deren die
Trennungen vielleicht bloße Scheinbarkeiten bedeuten, hat das Hegeische
Absolute in sich: „den Ernst, den Schmerz, die Geduld und die Arbeit des
Negativen", gemäß den schon früher zitierten Ausdrücken der Vorrede zur
Phänomenologie. Das Hegeische Absolute enthält Gegensätzlichkeiten;
sie sind in ihm gegenwärtig, wie Felsen, an die es in höheren Wogen
ringsum aufprallt. Die Reflexionen über die Antinomien des Denkens und
über den Schmerz der christlichen Seele haben Hegel zur Idee eines ge-
spannteren Absoluten geführt, zu einem tragischeren Bewußtsein dieses
Absoluten. Genau so zeigt die Neunte Symphonie — die zwar, gleich der
P h ä n o m e n o l o g i e , mit Schillerschen Worten endet — die Tiefe des
Schmerzes als notwendig für die Höhe der Freude. Die Hegeische Idee
des S c h i c k s a l s , geboren aus Reflexionen über die griechische Tra-
gödie, vertieft durch Reflexionen über die Mysterien der Religion und der
Philosophie, wird unschwer zur Tragödie zurückbiegen können und — zu
einem guten Teil wenigstens — Ursache der Schöpfungen eines Hebbel
und Wagner werden. Denn wenn Hebbel die Hegeischen Begriffe auf das
Drama anwendet, so muß man in Betracht ziehen, -daß diese Hegeischen
Begriffe, wie Rosenzweig betont (Hegel und der Staat, S. 64), an sich
schon tragische Begriffe sind. Es ist dies, was Solger sehr wohl gesehen
hat, wenn er von tragischer Ironie spricht.
12
) Bei beiden die gleiche Vereinigung des Inneren und Äußeren, der Entwickelung
und des Gesetzes, der Bewegung und Ruhe, der Idee vom Tode des Individuums und
der Unvergänglichkeit des Ganzen, der Verbindung von Trennung und Einung.

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Das unglückliche Bewußtsein 395

Wie Caroline Günderode, die so repräsentativ für alles Tiefste der


Romantik ist, wie Nietzsche und Wagner hat auch Hegel eine Synthese
von Lust und Schmerz gesucht, in der beide verschmolzen und „aufge-
hoben" wären. Eine der'Formen, in der dieses Problem sich ihm stellte,
\var also folgende: Auf welche Weise muß man seines Schicksals bewußt
werden, um zum Glück zu gelangen? Hier wie bei Nietzsche finden
wir als Losung die Liebe zum Schicksal (vgl. Nohl, S. 341). Über
dem unglücklichen Bewußtsein strahlt die Schönheit der Goetheschen
Seele und noch über ihr die Schönheit Heinrichs von Ofterdingen.
Der düstere Glanz aber, den man wie oberhalb dieses süßen Leuchtens
wahrnimmt, ist ätnahafte Röte und die Versöhnung des Empe-
dokles mit seinem Schicksal; in den unterirdischen Flammen findet
er das Funkeln der Gestirne und des Äthers zugleich mit dem
des Ozeans wieder, und sein Leben entzündet sich an der Flamme
seines Todes. Kraft dieses Schmerzes, an dem er sich berauscht —
Schmerz der Mitternacht, Lied der Nachtigall im Dunkeln — greift der
Mensch, für Hölderlin, höher als die Götter. Und höher vielleicht noch
als Empedokles, steht — wenigstens in einem Sinne — die Seele des Dichters
und des Philosophen, vor deren Auge die Bewegungen dieser Hoffnung und
dieser Verzweiflung sich ineinander verwandeln. Da sie wahrnimmt, wie
der Geist, der sich in der Zeit erobert, sich von innen her über aller Zeit
selbst besitzt, und wie das in der Zeit geknotete Drama in einer lebengefüll-
ten Ewigkeit ewig entknotet wird, in einer Vermählung der Jahrhunderte,
jener gleich, die Novalis erträumt hatte, „Sie ist der Geist, sie ist die ein-
fache Bewegung dieser reinen Momente" (Phänomenologie, S. 572).
Alles durchdringt sich unendlich, sagt Hölderlin, „in Schmerz und
Freude, in Streit und Frieden, in Bewegung und Ruhe, in Gestalt und Un-
gestalt".

Autorisierte Übersetzung aus dem Französischen


von Gertrud Kantoroivicz.

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