K L U B Z E I T U N G D E R S Ü D -T I R O L E R F R E I H E I T | 4 - 2 0 2 0 | E R S C H E I N T V I E R T E L J Ä H R L I C H
Stefan Zelger,
Sekretär der Landtagsfraktion
(VER)ORDNUNG MUSS SEIN
Die Slalomläufer
Zugegeben: Tauschen würde ich
mit der Landesregierung zurzeit
nicht wollen. Das Corona-Manage-
ment ist ein Drahtseilakt zwischen
Gesundheit, Wirtschaft, Kultur
und Bildung.
Doch gerade in unsicheren Zei-
ten ist es umso wichtiger, eine
schlüssige Linie auszuarbeiten
und zu vermitteln. Die Bürger
müssen wissen, woran sie sind!
Eine solche Linie sucht man bei
der Landesregierung vergeblich.
In den letzten Monaten jagte eine
„Dringlichkeitsmaßnahme“ die
andere. Stolze 73 trugen bis Ende
November Kompatschers Unter-
schrift. Kohärenz? Fehlanzeige!
Bars um zehn zu, Bars um acht
zu, Bars ganz zu? An einigen Ta-
gen änderte die Landesregierung
mehrmals ihre Meinung. Wer soll
da noch durchblicken? Und als ob
das alles noch nicht genug wäre,
führten Kompatscher und Co. die
ominöse Eigenerklärung wieder
ein – den feuchten Traum eines
jeden Bürokraten.
Ja, viele Regierungen fahren
derzeit notgedrungen auf Sicht.
Mit einem Brett vor dem Kopf
wird diese Fahrt aber nochmal
schwieriger.
POLITIKERGEHÄLTER
Zeit für
klare Regeln
SEITE 9
AUSSCHREIBUNGEN
Auf der
Strecke...
„Lokal kaufen, heimische Wirtschaft stärken“: Das betet die
Landesregierung seit Monaten vor. Gleichzeitig bleiben viele
Betriebe aber auf der Strecke, da millionenschwere öffentli-
che Aufträge an auswärtige Unternehmen vergeben werden.
Fünf Episoden, die aufhorchen lassen.
Verlorene Ausschreibungen: Die Landesregierung kennt das Problem, tut aber nichts dagegen!
Erst vor wenigen Monaten lehnte nische Unternehmen „Tundo“ den
die SVP im Landtag einen Antrag der Transport von Menschen mit Beein-
Süd-Tiroler Freiheit ab, der vorsah, trächtigung durch. Und fast genau- | Unvergessen:
Ausschreibungskriterien zukünftig so lange sorgt das Unternehmen für Die letzte Gesamttiroler Landtags-
so zu definieren, dass verstärkt hei- negative Schlagzeilen. „Neben den sitzung vor 100 Jahren – S. 3
mische Unternehmen zum Zug kom- fehlenden Gehältern berichten die
men. Denn auch wenn EU-Vergabe- Mitarbeiter auch von beschädigten
recht und internationale Abkommen Fahrzeugen, abgenutzten Reifen, de- | Unfassbar:
Grenzen setzen, so gibt es durchaus fekten Bremsen und maroden Fahr- Nach 10 Jahren ist der „Besen-
Spielraum, Ausschreibungskriterien zeugen. Dadurch wird nicht ‚nur‘ die prozess“ (fast) zu Ende – S. 4
und Gewichtungen an lokale Gege- Sicherheit der Fahrer, sondern auch
benheiten anzupassen. Wie nötig das die der Fahrgäste und der Allgemein-
ist, zeigen fünf ausgewählte Beispiele. heit gefährdet“, berichtet Myriam Atz | Unbeirrbar:
Tammerle, Landtagsabgeordnete der Interview mit dem Rechtsanwalt
Liste des Versagens Süd-Tiroler Freiheit. Nicola Canestrini – S. 6-7
Episode 1: Der Behindertentrans- Mehrmals kam es zu Streiks der
port. Seit 2014 führt das süditalie- Bediensteten. Viele von ihnen
Zu viel? Zu wenig? Genau richtig? Die Gehälter der Politiker
erhitzen regelmäßig die Gemüter.
Doch Politiker-Gehalt ist nicht gleich Politiker-Gehalt. Es gibt Unter-
schiede zwischen den Abgeordneten und zwischen den Parteien. Die
Süd-Tiroler Freiheit schlägt deshalb vier Punkte vor, um die Thematik
nachvollziehbar und durchschaubarer zu machen.
W W W . S U E D T I R O L E R - F R E I H E I T. C O M / L A N D TA G
T I R O L E R S T I M M E N 0 4 / 2 0 2 0 | S Ü D -T I R O L E R F R E I H E I T
führen den Dienst oft seit Mo-
naten unentgeltlich und aus Nächs-
tenliebe aus, um den Menschen mit
Beeinträchtigung einen normalen
Alltag zu ermöglichen. Der Landesre-
gierung sind die Missstände bekannt.
Episode 2: Der Schülertransport.
Anstatt Tundo aber endlich zu be-
langen und zurück nach Apulien zu
schicken, darf das Unternehmen ab
nächstem Schuljahr nun auch die
Schülertransporte durchführen. Auf-
tragsvolumen: 27 Millionen Euro!
„Was ist das für eine Landesregie-
rung, die nicht einmal dafür sor-
gen kann, dass große und wichtige
Aufträge in erster Linie heimische
Betriebe erhalten und dass Schüler
sicher und zuverlässig von A nach
B transportiert werden?”, fragt sich
nicht nur Atz Tammerle.
Episode 3: Die Lebensmittel. Bis
2024 wird die Milch in den Groß-
einrichtungen des Landes nicht
von Süd-Tiroler Bauern kommen,
sondern von einem Großbetrieb
aus dem lombardischen Casalmag-
giore. Der Auftrag beläuft sich auf
über sieben Millionen Euro. Beim
Ausschreibungskriterium „Qualität“
schnitten die heimischen und die
italienischen Anbieter gleich gut ab.
Beim Kriterium „Nähe“ punktete der
italienische Anbieter damit, dass er
ein Verteilermagazin in Bozen an-
mietete. Eine Augenauswischerei,
da die Produkte jeden Tag von der
Lombardei nach Bozen gebracht
werden müssen.
Doch damit nicht genug! Auch
RECHT AUF MUTTERSPRACHE
Google besser als Amt für Zweisprachigkeit!
Wer wissen will, wie es um die Zweisprachigkeit in Süd-Tirols Ämtern bestellt ist, dem sei ein Blick in die Dekrete des Amts für Zwei-
sprachigkeit empfohlen. Ausgerechnet dieses liefert Übersetzungen, für die wohl jeder Oberschüler eine Sonderrunde einlegen müsste!
„Restart Südtirol“, nur halt leider oft ohne Süd-Tiroler Betriebe. Vergammelte Butter; Werbekampagnen, die von auswärti-
gen Unternehmen konzipiert werden; Behindertentransporte durch ein Unternehmen, das seine Angestellten nicht bezahlt
und mit Schrottkarren durch die Gegend fahren lässt!
andere Ausschreibungen gingen an
Unternehmen aus Italien: Fleisch
und Wurst werden künftig aus Ri-
mini kommen, Obst und Gemüse aus
Torreglia in Venezien. Buon Appetito!
Episode 4: Die Werbekampagne.
IDM, der Sonderbetrieb von Land
und Handelskammer, fragt auf sei-
ner Webseite: „Was braucht Südtirol,
um trotz Krise wieder wirtschaftlich
durchstarten zu können?“ IDM gibt
auch gleich die Antwort: „Ziel ist es,
Südtirols Wirtschaft mit neuen Pro-
grammen und Impulsen in dieser
schwierigen Zeit effizient zu unter-
stützen und so möglichst schnell und
gestärkt aus der Krise zu begleiten“.
Die heimischen Betriebe auch da-
durch zu unterstützen, indem man
Beispiele gefällig? In einem Dekret
zum Kauf von Onlinewerbung steht
geschrieben: „Das Amt [...] hat in die-
sen Monaten ein Erneuerungsprojekt
der Umgebungen und Dienste von
beide Multisprachzentren für das au-
tonomes Sprachenlernen entwickelt.
Zwecks die meisten Benutzer von den
Neuheiten beider Multisprachzent-
ren, überall die von der Sprachen-
mediathek Meran, in Kenntnis set-
zen, glaubt man notwendig an lokale
Nachrichtenzeitungen die durch das
Web, privilegierte Umgebung wäh-
rend der Covid, anwenden, um die
2
ihnen Aufträge gibt, darauf scheint
man bei IDM nicht gekommen zu
sein. Einheimische Dienstleister
kommen bei IDM oft nicht zum
Handkuss, wie der Handels- und
Dienstleistungsverband (hds) jüngst
kritisierte. Ein Beispiel ist die aktuelle
Werbekampagne, mit der Gästen und
Einheimischen Lust auf Süd-Tirol
gemacht werden soll. Kostenpunkt:
fast 30 Millionen Euro! „Auch bei
großen Aufträgen [...] sollen lokale
Dienstleister berücksichtigt werden“,
meint der hds und liefert auch kon-
krete Vorschläge: Bei allen Kreativ-
Ausschreibungen sollte zuerst in
Süd-Tirol nachgefragt werden, und
die Ausschreibungskriterien sollten
der privatwirtschaftlichen Realität
angepasst werden. Außerdem sollten
öffentliche Dienste von Sprachen-
mediathek Meran zu verbreiten“.
Schon in vorherigen Dekreten war
die Rede vom „Einkauf von einem
Aktenschrank für Bücher und Media
ausleitung, und eine Book Box für
Rückgabe von Büchern und Media
bei die Multisprachenmediath“ oder
von „Auftrag für Erneuerung der Gra-
phik der Multisprachenmediathek in
Meran verwirklichen“.
Alles klar? Aspekt am Rande: Lässt
man die italienischen Texte der De-
krete durch Google übersetzen, er-
reicht man ein viel besseres Ergebnis
lokale Experten aus verschiedenen
Dienstleistungsbereichen eingeladen
werden, die Ausschreibungen mit-
zugestalten bzw. Inputs zu liefern.
Episode 5: Die Butter. Der „Süd-
tiroler Landwirt“ machte kürzlich auf
einen Fall in einem Altenheim im Eis-
acktal aufmerksam. Eine italienische
Firma lieferte Butter, die komplett
verschimmelt war. „Wieder ein Bei-
spiel dafür, wie es nicht laufen sollte“,
konstatierte der Landwirt und fügte
hinzu: „Der Preis darf bei öffentlichen
Ausschreibungen einfach nicht das
ausschlaggebende Kriterium sein –
regionale Qualitätsprodukte sollten
Vorrang haben!“
Die Süd-Tiroler Freiheit meint:
dem ist nichts hinzuzufügen! | SZ
– ganz ohne teure Zweisprachigkeits-
zulage.
Für die Süd-Tiroler Freiheit ist das
ein weiterer Beweis dafür, wie fahr-
lässig mit den autonomen Grund-
rechten hierzulande umgegangen
wird, sogar in Ämtern, deren Aufgabe
es wäre, diese Rechte zu schützen.
Immer öfter werden bei der Landes-
regierung und in den Ämtern Texte
nur noch in italienischer Sprache ge-
schrieben und dann – wenn über-
haupt – notdürftig ins Deutsche über-
setzt. Was dann dabei rauskommt,
sieht man oben! | SZ

VOR 100 JAHREN
Lebe wohl
Tirol...
Am 14. Dezember 1920 mussten die Abgeordneten aus Süd-Tirol aus dem Landtag in Inns-
bruck ausscheiden. Die FPÖ hat anlässlich dieses Jahrestages einen Antrag eingebracht,
damit Süd-Tiroler Abgeordnete im Tiroler Landtag wieder ein Rederecht bekommen!
16. November 1920: „Auf Wiedersehen meine Herren aus Süd-Tirol!“ hieß es bei der Trauersitzung des Tiroler Landtages.
An Pathos mangelte es nicht am 16.
November 1920 bei der „Trauersit-
zung“ des Tiroler Landtages und am
14. Dezember 1920, als die Süd-Tiro-
ler den Landtag in Innsbruck endgül-
tig verlassen mussten. Der damalige
Landeshauptmann Josef Schraffl be-
tonte in Anspielung an 1809: „Wenn
die Abgeordneten des deutschen und
ladinischen Süd-Tirol uns verlassen
müssen, so sollen diese Plätze, auf
denen sie mit uns in schweren und
glücklichen Zeiten über die Geschi-
cke des Landes beraten haben, un-
benützt bleiben, in der Erwartung
auf ihr Wiederkommen, wenn das
Unrecht, das uns geschah, wieder
gutgemacht ist.“ Und Schraffls späte-
rer Nachfolger Franz Stumpf schickte
hinterher: „Auf Wiedersehen, meine
Herren aus Süd-Tirol!“
Als die Süd-Tiroler Abgeordneten
den Tiroler Landtag verlassen muss-
ten, haben sie sich geschworen, die
Fremdbestimmung durch Italien nie-
mals zu akzeptieren. „Von diesem
Versprechen ist nichts mehr übrig“,
kritisiert der Landtagsabgeordnete
Sven Knoll. „Kompatscher und Co.
„Die Sonntagsreden von der Europa-
region Tirol und einem grenzenlosen
Europa offenbaren sich als Floskeln“
beweisen mit ihrer Politik, dass sie
die Teilung Tirols verinnerlicht ha-
ben und zu willfährigen Italienern
geworden sind!“ Die Unrechtsgren-
ze am Brenner teile die Tiroler Lan-
desteile noch immer und sei derzeit
nicht einmal für Familien passierbar.
„Die schönen Sonntagsreden von der
Europaregion Tirol und einem gren-
zenlosen Europa offenbaren sich als
inhaltsleere Floskeln“, gibt Knoll zu
bedenken.
3
T I R O L E R S T I M M E N 0 4 / 2 0 2 0 | S Ü D -T I R O L E R F R E I H E I T
In dieselbe Kerbe schlagen auch
die Vertreter der FPÖ-Tirol. Sie ha-
ben einen Antrag für ein Rederecht
für Süd-Tiroler im Tiroler Landtag
eingebracht. „Wir möchten halb-
jährlich eine
Süd-Tirol-
Stunde im
Landtag mit
Süd-Tiroler
Abgeordne-
ten, welche
sich mit Themen beschäftigten, die
beide Landesteile betreffen“, erklärt
der FPÖ-Landeschef Markus Abwerz-
ger. FPÖ-Nationalrat Peter Wurm ist
davon überzeugt, dass mit solchen
Signalen die Landesteile wieder
stärker zusammenwachsen und die
Zerreißung des Landes ein weiteres
Stück sinkt.
Es wäre dies nach 100 Jahren der
Trennung ein starkes Zeichen! | SZ
EIGENERKLÄRUNG
Arnos
Wisch
„Zettel, Zettel, Zettel…“ hat
der Liedermacher Sepp Mess-
ner-Windschnur einst gesun-
gen und hatte dabei die Lacher
auf seiner Seite. Weniger zu
lachen ist das Zettelwerk des
Landeshauptmanns.
Ob für dringende Fahrten zur
Arbeit, zu Pflegebedürftigen oder
einfach für einen Spaziergang ums
Haus: Nicht weniger als vier ver-
schiedene Eigenerklärungen hatte
das italienische Bürokratiemonster in
der Corona-Zeit zwischen März und
Mai hervorgebracht. Dank der Süd-
Tiroler Freiheit wurde das unsinnige
Zettelwerk am 8. Mai hierzulande
abgeschafft.
Vorerst. Denn mit der zweiten
Corona-Welle kam auch die zweite
Bürokratiewelle. Anstatt auf die un-
sinnige Eigenerklärung zu verzichten,
führte Landeshauptmann Kompat-
scher diese mit seinen Verordnungen
wieder ein. Wer die eigene Wohn-
gemeinde im zweiten Lockdown
verließ, brauchte schon wieder eine
Eigenerklärung. Gleiches gilt für die
noch immer geltenden nächtlichen
Ausgangsbeschränkungen. Vorbei
der eigene „Süd-Tiroler Weg“. Mit
diesem Landeshauptmann hat sich
Süd-Tirol buchstäblich verzettelt. | SZ
DOKUMENTATION
Bayerische
Bomben
Für die Durchführung der Feu-
ernacht bekamen die Süd-Tiro-
ler u.a. Hilfe aus Bayern.
Eine sehenswerte Dokumentation
des Bayerischen Rundfunks (BR)
beleuchtet erstmals dieses Kapitel
der Zeitgeschichte. Unter dem Titel
„Bomben gegen Rom: Bayern und
der ‚Freiheitskampf‘ in Südtirol“ wird
aufgezeigt, wie aus Bayern nicht nur
politischer Rückenwind und Geld für
die Freiheitskämpfer kamen, son-
dern auch Waffen und Sprengstoff.
Der Film ist noch ein Jahr lang in
der Mediathek des BR abrufbar. | SZ
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10 Jahre: Im Jahr der „Besenkampagne“

Straßburg: Die Süd-Tiroler Freiheit
ereigneten sich u.a. die Loveparade-Ka-
will nun vor dem Europäischen Ge-
tastrophe in Duisburg, das Zug-Drama im
richtshof für Menschenrechte für
Vinschgau und die Explosion der Bohrinsel
die Meinungsfreiheit einstehen.
„Deepwater-Horizon“. Zeitgeschichte.

„BESENPROZESS“

Ausgekehrt?
Es ist amtlich! Nach zehn Jahren Rechtsstreit wurden nun Vertreter der Süd-
Tiroler Freiheit für das berühmt-berüchtigte „Besen-Plakat“ rechtskräftig
verurteilt. Die Süd-Tiroler Freiheit hat im Vorfeld dieser letzten Verhandlung
bewusst auf das Recht auf Verjährung verzichtet, um vor den Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte ziehen zu können.

Rückblick: Anlässlich des 90. Jahr-
tages der Annexion Süd-Tirols durch
Italien wurde mit einem Besen der
Kehraus dargestellt, um zu verdeut-
lichen, dass Süd-Tirol auf Italien
verzichten kann. Der Besen sollte
symbolisieren, dass Süd-Tirol einen
Großteil seiner Kraft dafür verwen-
det, die Probleme zu beseitigen,
die Italien schafft.
Vertreter der Süd-Tiroler Frei-
heit wurden wegen Schmähung
der italienischen Fahne angezeigt.
Sven Knoll und Eva Klotz – damals
Landtagsabgeordnete – und Wer-
ner Thaler – rechtlicher Vertreter
der Bewegung – wurden in einem
jahrelangen Rechtsstreit erst ver-
urteilt, dann freigesprochen, und
wieder verurteilt. Am 26. Novem-
ber fiel vor dem Kassationsgericht in
Rom nun letztinstanzlich der Richter-
hammer und verdonnerte die drei
Angeklagten zu einer Geldstrafe von
jeweils 3.000 Euro. Damit endete der
Prozess fast genau 3.700 Tage nach
Start der Aktion.
Auf Verjährung verzichtet
Klotz, Knoll und Thaler hätten es
sich leicht machen und eine Verjäh-
rung beantragen können. Auf dieses
Rechtsmittel wurde aber bewusst
verzichtet, um auf die Missstände
in Italien aufmerksam zu machen.
„Diese unendliche Prozess-Geschich-
Rechtsanwalt
Nicola Canestrini:
Nicht jedes der Macht un-
beliebte Verhalten verlangt
nach dem Strafrichter!
te ist ein besonders anschauliches
Beispiel für die Benachteiligung der
Süd-Tiroler als Angehörige einer
nichtitalienischen Volksgruppe im
Staat Italien aufgrund ihrer Sprache,
Kultur und Tradition, die sich von
der des Mehrheitsvolkes klar unter-
scheidet“, kritisiert die ehemalige
Landtagsabgeordnete Eva Klotz in
Bezug auf den Begriff des „Kehraus“.
„Besondere sprachliche und kulturel-
le Feinheiten werden bekämpft und
herabgewürdigt! Insofern trifft der
Kehraus auch in dieser Hinsicht ins
Schwarze“, betont Klotz.
„Criticism is not terrorism!“
Wenig Verständnis für das Ur-
teil bringt der weithin bekannten
Rechtsanwalt Nicola Canestrini
auf, der die Süd-Tiroler Freiheit
vertritt: „Es gehört in einer offenen
und demokratischen Gesellschaft
dazu, Kritik zuzulassen und Ab-
weichler nicht mit dem Strafrecht
mundtot zu machen – nach dem
Gericht für Menschenrechte sogar
dann, wenn sie Irrlehren verbreiten
oder ihre Äußerungen dumm, un-
10 Jahre „Besenprozess“ – Die Pressekonferenz im Video:
suedtiroler-freiheit.com/besenprozess
anständig, provozierend oder gar
schockierend sind. Nicht jedes der
Macht unbeliebte Verhalten verlangt
nach dem Strafrichter“, ist Canestrini
überzeugt.
Auf nach Straßburg!
Es wurde auch deshalb auf die
Verjährung verzichtet, um vor den
Europäischen Gerichtshof für Men-
schenrechte ziehen zu können. Das
ist nur möglich, wenn der innerstaat-
liche Instanzenweg ausgeschöpft ist.
Ob der Gerichtshof die Klage zulässt,
ist nicht sicher. „Darum zu kämpfen,
ist es wert“, betont Knoll, „denn das
Recht auf freie Meinungsäußerung
muss mehr gelten als ein Paragraf
aus der Faschistenzeit!“
Für die Süd-Tiroler Freiheit gilt das
Motto des Plakates gerade jetzt mehr
denn je: „Auf Italien kann Süd-Tirol
verzichten!“ | SZ

4
 1
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Anfragen der Süd-Tiroler Freiheit
| Die Abgeordneten der Süd-Tiroler Freiheit
wollten in Erfahrung bringen, wie viele Drogen-
delikte in den letzten drei Jahren im Bozner
Bahnhofspark registriert wurden.
Eine Aufschlüsselung nach Alter und Herkunft
der Delinquenten und nach dem genauen Ort des
10 8
ZAHL DES
MONATS
all jenen Kandidaten kurzfristig ein Termin angebo-
ten, die eine objektive Notwendigkeit nachweisen
können, z.B. Teilnahme an Wettbewerben oder
Aufnahmeprüfungen. Nach Corona überlege man,
die Wartezeiten durch Strafzahlungen bei Nicht-
erscheinen, computergestützte Prüfungen sowie
durch mehr Personal zu verkürzen.

6
Vergehens liege nicht vor, antwortete Landeshaupt-

4
mann Kompatscher. Laut Regierungskommissariat Immer wieder
wurden 2017 in Bozen 90 Personen, im Jahr 2018 | Seit Jahren wird beanstandet, dass die deut- werden im Bozner
140 Personen und im Jahr 2019 212 Personen auf- sche Sprache auf der Brennerautobahn in Süd-
grund von Drogendelikten angezeigt. Insgesamt in Tirol nur zweitrangig behandelt wird. Sämtliche
Bahnhofspark Raz-

9
den vergangenen drei Jahren somit 442 Personen. Aufschriften, Verkehrsschilder usw. erfolgen zien durchgeführt,
primär – und zuweilen auch ausschließlich – in und immer wieder
| U.a. für öffentliche Stellen ist in Süd-Tirol italienischer Sprache. Die Landesregierung hat werden die Polizei-
bekanntlich ein Zweisprachigkeitsnachweis bereits mehrfach angekündigt, dies ändern zu
erforderlich. Doch wer die Prüfung ablegen will wollen, geschehen ist bisher aber nichts. Sven
kräfte fündig. Allein
bzw. muss, braucht Geduld. Die Süd-Tiroler Frei- Knoll wollte wissen warum. im Jahr 2020 wurden
heit wollte wissen, wie lange man zurzeit von der Die Detailregelung sei in einem Staatsdekret von im Bahnhofspark 10
Anmeldung zur Zweisprachigkeitsprüfung bis 1988 festgelegt, erklärte Landeshauptmann Kom- Kilogramm Drogen
zur Ablegung derselben ungefähr warten muss. patscher. Man werde diese Bestimmungen auch in
Landeshauptmann Kompatscher antwortete, dass die nächste Konzession schreiben, über die noch
konfisziert. Das geht
die Wartezeiten derzeit bei der Zweisprachigkeits- verhandelt werde. Man habe der Brennerautobahn aus einer Anfrage der

0
prüfung bei neun Monaten und bei der einspra- bereits ein entsprechendes Schreiben übermittelt, Süd-Tiroler Freiheit
chigen Prüfung bei knapp sieben Monaten liegen. wonach bei der Beschilderung die Mehrheit der im Landtag hervor.
Durch die Corona-Einschränkungen würden die jeweiligen Bevölkerung ausschlaggebend sei. Die
Wartezeiten noch länger werden. Allerdings werde Süd-Tiroler Freiheit wird genau hinschauen! | SZ
Schneegarantie gibt
es in Bozen anschei-

2 5
nend nicht nur im
Winter. (SZ)

BAHNHOFSPARK

Der kurze Arm des Gesetzes…

Wenn jemand für ein Vergehen zur Rechenschaft gezogen wird, spürt er der Redewendung nach „den
langen Arm des Gesetzes“. Bis in den Bozner Bahnhofspark scheint der Arm aber oft nicht zu reichen. CORONA-KONTROLLEN

Regelmäßig beklagen sich Anwoh-
ner, Passanten und Geschäftsleute
über die Zustände in und um den
Bahnhofspark. Schlägereien, Drogen-
handel, Sachbeschädigungen, Belei-
digungen – fast immer begangen von
Einwanderern – sind keine Seltenheit,
wie zwei kürzlich erfolgte Episoden
zeigten.
Was war passiert? Ende Oktober
hatte ein Ausländer am helllichten
Tag in der Nähe des Bahnhofsparkes
herumgeschrien und die Türschei-
ben eines Büros eingetreten. Als die
Polizei kam, um den Mann zur Rede
zu stellen, kniete sich dieser mitten
auf die Straße hin und blockierte den
Verkehr, um zu Allah zu beten. „Der
Täter wurde wegen seiner Gewalt-
tätigkeit nicht einmal verhaftet und
durfte ohne Mund-Nasen-Schutz
einfach wieder gehen“, berichtete
Tobias Innerhofer, Mitarbeiter der
Landtagsfraktion der Süd-Tiroler
Freiheit, der die Szenerie beobach-
tete. Für den Landtagsabgeordne-
ten Sven Knoll stellt der Vorfall auch
eine Ungleichbehandlung gegenüber
der einheimischen Bevölkerung dar:
„Während die Stadt Bozen Polizisten
in Zivil herumschickt, um Bürger zu
strafen, die im Freien keine Maske
tragen, haben einige Ausländer offen-
bar Narrenfreiheit!“
Kürzlich „durfte“ die Bozner Stadt-
rätin Johanna Ramoser dies am eige-
nen Leib erfahren. In einem Durch-
gang beim Bahnhofspark stieß sie auf
eine Gruppe von Migranten, die sich
nicht an die Corona-Regeln hielten.
Sie machte einen der jungen Män-
ner darauf aufmerksam, die Maske
hochzuziehen. Daraufhin hagelte es
für die Stadträtin Beleidigungen und
Drohungen. Die jungen Ausländer
umzingelten und bedrängten Ramo-
ser. Erst nach Eintreffen der Polizei
Im Video – Ausländer betet auf der Straße nach Vandalenakt:
suedtiroler-freiheit.com/randalierer
konnte sie aufatmen.
Für die Süd-Tiroler Freiheit ist klar:
es braucht endlich ein Abschiebe-
zentrum, in das die oft illegalen Ein-
wanderer bis zu ihrer Abschiebung
verwahrt werden müssen. So kann
es in Bozen nicht weitergehen! | SZ
Mekka? Bozen! Ein Ausländer betet
mitten auf einer Straße.
„Das geht zu
weit!“
Schockierend, inakzeptabel,
übertrieben: Diese Worte
findet der Abgeordnete Sven
Knoll zur Entscheidung der
Stadt Bozen. Was ist passiert?
Der Stadtrat entschied, Polizisten
inkognito auf die Straße zu schicken,
um Bürger besser strafen zu können,
die im Freien keine Maske tragen.
„Die Politik hat nicht das Recht,
Bürger mit solchen Methoden zu ter-
rorisieren“, betont Knoll. „Es geht
nicht darum, die Bürger besser stra-
fen zu können, sondern darum, sie
zu überzeugen, dass es jetzt wichtig
ist Abstand zu halten und eine Maske
zu tragen, wenn ein Mindestabstand
zu anderen nicht eingehalten werden
kann“, ist Knoll überzeugt. Bozen
sieht das offenbar anders. | SZ

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INTERVIEW MIT Dr. Nicola Canestrini

„Grenzen der Meinungs-

freiheit sind Gradmesser für
die Demokratie!“
Wenn es um aufsehenerre-
gende Gerichtsverfahren, um
Grundrechte und um Mei-
nungsfreiheit geht, dann ist
er meist nicht weit: Nicola
Canestrini.

Der weithin bekannte Rechtsan-

walt doziert an der Universität Trient
über EU-(Straf)Recht, Strafprozess-
recht und Auslieferungsrecht. Er ist
u.a. Mitglied der „European Crimi-
nal Lawyer Association“, des „Legal
Experts Advisory Panel“ von „Fair
Trials International“ und Gründer
des italienischen Zentrums für Frie-
densforschung.
Die Tiroler Stimmen haben mit Ca-
nestrini u.a. über seinen berühmten
Vater Sandro, über Grundrechte in
Corona-Zeiten, über seine Ausein-
andersetzung mit Salvini und über
den „Besen-Prozess“ gesprochen.

Herr Canestrini, Sie stammen aus

einer Welsch-Tiroler Anwaltsfami-
lie, die sich seit über 150 Jahren
für das Recht einsetzt. War für Sie
immer klar, diesen Weg fortzuset-
zen und in die großen Fußstapfen
Ihrer Vorfahren zu treten?
Ich wollte seit meiner Jugend
immer schon Rechte verteidigen.
Anwalt, und schließlich Strafvertei-
diger, wurde ich aus Leidenschaft,
wobei ich allerdings nicht genau be-
werten kann, wie sehr unsere lange
Familientradition dabei eine Rolle
gespielt hat.
Ihr Vater Sandro war in der
„Resistenza“, verteidigte unter
Anfeindungen u.a. Süd-Tiroler
Freiheitskämpfer und war bei
Missbräuchen der Geheimdienste,
der Terroranschläge der „bleier-
nen Jahre“, den Dammkatastro-
phen von Vajont und Stava oder
dem Nato-Krimi um den Flugzeug-
absturz über Ustica an der Seite
der Opfer. Haben Sie diese Fälle
Nicola Canestrini stammt aus einer alten Welsch-Tiroler Anwaltsfamilie. Er machte sich im internationalen, europäischen
und italienischen Strafrecht und in der Strafverteidigung einen Namen. Canestrini sagt über sich selbst: „Ich verteidige Rechte.
Nicht nur im Gerichtssaal“.
als Heranwachsender mitbekom-
men, und was hat Ihnen Ihr Vater
mit auf den Weg gegeben?
Für meinen Vater gab es kaum
einen Unterschied zwischen berufli-
„Bei einer auch noch
so außerordentlichen
Ausnahmesituation
muss immer die
Verhältnismäßigkeit der
Beschränkungen geprüft
werden“
chem, persönlichem und politischem
Engagement. Da er seine Arbeit im-
mer mit nach Hause nahm, haben
wir Kinder natürlich seine Berufs-
erfahrungen miterlebt. Es waren bei
weitem nicht immer positive oder er-
freuliche Berichte, aber eins war uns
immer schon klar: Manche Kämpfe
sind es wert, ausgetragen zu werden,
auch wenn eine Niederlage droht!
Denn: Man darf nicht wegschauen,
wenn jemand eine Ungerechtig-
keit erleidet. In solchen Situationen
bringt Schweigen Mitschuld mit sich,
auch wenn dies berufliche und sogar
persönliche Risiken mit sich bringt.
Und: Ich habe schon in meiner Kind-
heit erlebt, dass der Strafverteidiger
einen zur Gefahr neigenden Beruf
ausübt. Von außen kann man sich
kaum vorstellen, welche Fülle von
Konflikten dieser Beruf mit sich
bringt.
Herr Canestrini, kommen wir
zum Heute. In ganz Europa erle-
ben wir aufgrund der Corona-Pan-
demie Einschränkungen unserer
Grundrechte, die wir uns noch vor
einem Jahr nicht haben vorstellen
können. Wie bewerten Sie als Ju-
rist diese Einschränkungen? Und
kann man das Spannungsfeld zwi-
schen dem Recht auf Gesundheit
und den anderen Rechten über-
haupt aufheben?
Jedes Grundrecht kann natürlich
(nur) vom Verfassungsrecht, und ins-
besondere von anderen Grundrech-
ten, beschränkt werden. Die Freiheit
der Person, die Versammlungsfrei-
heit und die Bewegungsfreiheit kön-
nen z. B. zum Zweck, die Ausbreitung
der Infektion zu verhindern, und da-
mit das Recht Anderer auf Leben und
Gesundheit zu schützen, beschränkt
werden. Allerdings: Bei einer auch

6

Geduld ist mit der italienischen Justiz gefragt: Eine Verhandlung im „Besen-Prozess“
im Jahr 2014 (v.l.: Stefan Zelger, Eva Klotz, Sven Knoll, Nicola Canestrini und der
damalige Oberstaatsanwalt in Bozen Guido Rispoli).
noch so außerordentlichen Aus-
nahmesituation muss immer die
Verhältnismäßigkeit der Beschrän-
kungen geprüft werden, und die Be-
schränkungen sollten im Verhältnis
zueinander schlüssig sein. Angst ist
bekanntlich die Zwillingsschwes-
ter des Bösen, wie es der Soziologe
Bauman so treffend gesagt hat. Um
also das Rechtsstaatlichkeitsprinzip
nicht zu umgehen, darf der Staat nur
in unsere Grundrechte eingreifen,
wenn dies zum Schutz der Gesund-
heit verhältnismäßig ist. Es sind also
nicht alle Maßnahmen, die zum
Infektionsschutz getroffen werden
oder theoretisch getroffen werden
können, automatisch rechtmäßig.
Je tiefer der jeweilige Grundrechts-
eingriff, desto erfolgversprechender
und alternativloser muss eine Maß-
nahme diesem Zwecke dienen. Und
„Strafverteidigung ist
Kampf: Kampf um die Rech-
te des Beschuldigten im
Widerstreit mit den Orga-
nen des Staates“
die Maßnahmen, die die Ausbreitung
einer Krankheit verhindern sollen,
dürfen die Grundrechte nur so wenig
wie möglich beschränken. Es geht
also immer um eine Abwägung der
betroffenen Rechtsgüter. Beschrän-
kungen kann ich mir also vorstellen.
Verfassungsrechtlich hochproblema-
tisch ist allerdings, dass alle Abwä-
gungsentscheidungen der Exekutive
überlassen werden, oder besser, den
Exekutiven auf den verschiedenen
Ebenen unseres Verwaltungsappa-
rates (Ministerpräsident, Minister/
innen, Regionen und autonomen
Provinzen, Bürgermeistern/innen).
In einer Demokratie bedürfen doch
alle wesentlichen Freiheitsbeschrän-
kungen einer parlamentarischen Le-
gitimation, die nicht nur in Italien,
auch in der sogenannten zweiten
Welle der Covid-19-Pandemie, wenn
überhaupt, mehr Form als Substanz
hat. Und: Das Verhältnismäßigkeits-
prinzip verlangt, dass die Beschrän-
kungen zeitlich begrenzt sind, solan-
ge es sie braucht. Wirksame strenge
Hygienevorschriften sind deshalb in
der Auswertung des Gesundheitsri-
sikos und in den damit zusammen-
hängenden Beschränkungen fast in
Echtzeit zu berücksichtigen. Zweifel
an der Geeignetheit und Erforder-
lichkeit einzelner Maßnahmen zur
Durchbrechung der Infektionswelle
haben z. B. in Deutschland zu der
gerichtlich anerkannten Rechtswid-
rigkeit von Beherbergungsverboten
geführt. Und zuletzt: Gefehlt hat mir
eine klare Kommunikation der Be-
schränkungen und deren (auch poli-
tisch priorisierten) Sinn. Denn ohne
Klarheit schleichen sich Unsicherheit
und Willkür in die Auslegung ein, und
dies kann zu Missbräuchen führen.
Sie verteidigen vor Gericht
schon mal Pestizidgegner, IS-Sym-
pathisanten oder die Süd-Tiroler
Freiheit im Kampf gegen vermeint-
lich übermächtige Gegner. Nicht
selten ist dieser Gegner der Staat.
Was reizt Sie an solchen Fällen?
Strafverteidigung ist Kampf: Kampf
um die Rechte des Beschuldigten
im Widerstreit mit den Organen des
Staates, die dem Auftrag zur Verfol-
gung von Straftaten zu genügen ha-
ben, wie es Prof. Dr. Hans Dahs es so
schön gesagt hat. Und in der „Human
Rights Defense“, in der Verteidigung
also, die sich auf Grundrechte beruft,
wird dem Rechtsstaat auf den Puls
gefühlt.
Sogar mit dem späteren Innen-
minister Matteo Salvini hatten
Sie 2015 einen Disput, als Sie die
Verteidigung eines jungen Pakis-
taners, eines vermeintlichen IS-
T I R O L E R S T I M M E N 0 4 / 2 0 2 0 | S Ü D -T I R O L E R F R E I H E I T
Sympathisanten, übernahmen.
Was war damals geschehen, und
wie ging es mit dem jungen Mann
weiter?
Der junge Mann, der bestens in die
Süd-Tiroler Gesellschaft integriert
war, wurde binnen 48 Stunden als
vermeintliche Gefahr für die öffent-
liche Staatsordnung abgeschoben.
Seine Abschiebungsgründe sind
offiziell Staatsgeheimnis, wie es in
den Prozessakten formal erklärt wird,
wurden mir aber von einem Journa-
listen detailliert geschildert! Bis heute
warten wir auf die Überprüfung der
Rechtmäßigkeit der Abschiebungs-
verfügung des Innenministers. Das
Leben des jungen Mannes ist aller-
dings ruiniert, obwohl es nicht ein-
mal zu einer strafrechtlichen Ermitt-
lung kam. Und ich wurde wegen der
Tatsache, dass ich die Verteidigung
übernommen habe, Ziel Tausender
von Hatern.
Gibt es einen Fall, der Sie in all
den Jahren besonders berührt und
bewegt hat?
Im Moment warte ich auf den
Entschluss der Staatsanwaltschaft
Trapani, ob im Fall des seit August
2017 beschlagnahmten deutschen
„Die Grenzen der Meinungs-
freiheit sind Gradmesser
der Stärke einer Demokra-
tie, die auch ätzende Kritik
dulden muss, wenn sie dar-
auf orientiert ist, objektive
Missstände aufzuzeigen“
Rettungsschiffes „Iuventa“ gegen 10
Seenotretter/innen aus ganz Europa
wegen angeblicher Beihilfe zu illega-
ler Einwanderung Anklage erhoben
werden wird. Bei dem Prozess auf
Sizilien drohen ihnen bis zu zwanzig
Jahre Haft! Aber es geht mir um mehr:
Nicht die Besatzung der Iuventa soll-
te vor Gericht stehen, sondern ein
weltweit sehr verbreitetes System,
das die Rettung von Menschenleben
zur Straftat erklärt.
Als Strafverteidiger kommt man
auch in Situationen, in denen man
Verbrecher verteidigen muss, die
womöglich schlimme Vergehen
begangen haben. Wie begegnet
man Menschen, von denen man
annimmt, dass sie Mörder, Ver-
gewaltiger oder Drogenhändler
sind?
Ein Strafverteidiger wird oft ge-
fragt, wie man Schuldige verteidigen
7
könne. Die Antwort ist – wie so oft
– komplex und hängt zudem sehr
von der Sensibilität eines jeden Ein-
zelnen ab. Dies in wenigen Zeilen zu
erklären, ist leider unmöglich, aber
dennoch möchte ich einige Denk-
anstöße thematisieren. Der Europäi-
sche Gerichtshof für Menschenrechte
hat erklärt, dass den Rechten der Ver-
teidigung in einer demokratischen
Gesellschaft eine so große Bedeutung
beigemessen wird, dass das Recht
auf wirksamen Rechtsbeistand unter
allen Umständen gewährleistet sein
muss. Einen Angeklagten zu vertei-
digen bedeutet nicht, sich mit ihm
zu identifizieren. Anwälte dürfen
nach den Vereinten Nationen bei
der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht
mit ihren Mandanten oder den An-
gelegenheiten ihrer Mandanten iden-
tifiziert werden. Ein Strafverteidiger
verteidigt nämlich nicht das Verbre-
chen oder den Verbrecher, sondern
die Rechte aller. Außerdem verlangt
die Unschuldsvermutung, dass der
Angeklagte als unschuldig gilt, bis
er unwiderruflich verurteilt ist. Wie
könnte der Anwalt die Verteidigung
allein aufgrund der Anschuldigung,
die sich von der Verurteilung unter-
scheidet, ablehnen? Jeder hat daher
das Recht, verteidigt zu werden, im
Interesse einer Rechtsstaatlichkeit,
die Schnellverfahren, Hexenjagden,
Urteile, die wenige Stunden nach den
Fakten in der Presse veröffentlicht
werden, ablehnt oder ablehnen soll-
te. im Interesse einer demokratischen
Gesellschaft.n.
Zurück zur Politik: Nach zehn
Jahren wurden Exponenten der
Süd-Tiroler Freiheit wegen des
„Besen-Plakates“ verurteilt und
wegen des „Ärzte-Plakates“ steht
womöglich der nächste Prozess
an. Verstehen Sie die Beweggrün-
de der Staatsanwaltschaft? Und
kennen Sie auch im europäischen
Ausland ähnliche Fälle?
Als Verteidiger verstehe ich die
Staatsanwaltschaft prinzipiell nie.
Scherz beiseite, die Grenzen der Mei-
nungsfreiheit sind Gradmesser der
Stärke einer Demokratie, die auch
ätzende Kritik dulden muss, wenn sie
darauf orientiert ist, objektive Miss-
stände aufzuzeigen. Den Kritikern
mit Gegenargumenten entgegenzu-
treten, ist Aufgabe des freien Diskur-
ses in einer couragierten Zivilgesell-
schaft, nicht aber des Staates in Form
von Handschellen, Durchsuchungen
und Strafverfahren.
Herr Canestrini, vielen Dank
für das Gespräch! (Das Interview
führte Stefan Zelger).
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PARTEIÜBERGREIFENDE INITIATIVE

Weg mit den

digitalen Grenzbalken!
„Geoblocking“ – die Sperrung von Internetinhalten aufgrund der
geographischen Herkunft – ist für viele ein Reizwort. Netflix und
Co. gibt es hierzulande (wenn überhaupt) oft nur in italienischer
Sprache. Eine parteiübergreifende Initiative will das nun ändern.

Ob Serien und Filme auf Netflix,
iTunes oder Amazon Prime; ob E-
Books, Podcasts oder die Mediathe-
ken der „klassischen“ Fernsehsender:
die Mediennutzung im Internet wird
immer beliebter und wichtiger. Aber
wie in den 1960er- und 1970er-Jahren
um den Empfang der deutschspra-
chigen Sender hierzulande gerungen
werden musste, muss heute um den
uneingeschränkten Zugang zu den
Online-Dienste gestritten werden.
Denn viele Inhalte stehen oft gar
nicht oder lediglich in italienischer
Sprache zur Verfügung.
Durch „VPNs“, „Proxy-Server“
oder „SmartDNS“ kann man die Län-
derbeschränkungen im Internet zwar
umgehen, allerdings deuten diese
Begriffe schon an, dass man tech-
nisch versiert sein muss. Zudem sind
einige dieser Lösungen mit Kosten
verbunden.
Landeshauptmann Arno Kom-
„In einem vereinten Europa
muss es möglich sein, In-
halte in der Muttersprache
abrufen zu können – unab-
hängig davon, in welchem
Land der EU man lebt!“
patscher bestätigte auf Anfrage der
Süd-Tiroler Freiheit, dass man in
Sachen Geoblocking den Finger in
eine offene Wunde lege. Außerdem
sagte der Landeshauptmann, dass
„die EU-Kommission und das Euro-
Auch im Internet spielen Staatsgrenzen noch eine Rolle.
päische Parlament eigentlich sehr
viele Hebel in den Händen hätten.“
Die Junge Süd-Tiroler Freiheit,
die Junge Generation in der SVP, die
ASGB-Jugend und die Bauernjugend
wollen nun gemeinsam gegen das
Geoblocking vorgehen. Mit einem
Brief an die Tiroler EU-Abgeordneten
Barbara Thaler (ÖVP) und Herbert
Dorfmann (SVP) wollen die Jugend-
organisationen dem Ziel näherkom-
men. Die Abgeordneten sollen sich
im EU-Parlament dafür stark ma-
chen, dass den Süd-Tirolern der un-
eingeschränkte Zugriff auf deutsche
Inhalte im Internet gewährt wird.
Die vier Jugendorganisationen sind
sich einig: „In einem vereinten Euro-
pa muss es möglich sein, Inhalte in
der Muttersprache abzurufen – un-
abhängig davon, in welchem Land
der EU man lebt!“ | SZ

NEUES AUS EUROPA

Krieg um den „gebirgigen schwarzen Garten“

Europa und Krieg: Das waren über viele Jahrhunderte zwei Begriffe, die zusammengehörten.
Seit dem Zweiten Weltkrieg schien der alte Kontinent aber zu einer friedlichen Oase gewor-
den zu sein. Doch gerade an den Rändern Europas brennt es auch heute noch!

Es sind diese Flammen, die viele alte Höfe
in der Region Bergkarabach verschlangen. An-
gezündet nicht etwa durch Artilleriefeuer oder
feindliche Truppen, sondern unter Tränen von
den eigenen Besitzern. Die Bilder der Bauern,
die ihr Hab und Gut lieber vernichteten, als
es den vorrückenden Aserbaidschanern in die
Hände fallen zu lassen, gingen um die Welt.
Nach dem Konflikt im Osten der Ukraine ist
der Krieg um Bergkarabach der zweite Krieg in
Europa innerhalb nur weniger Jahre.
Umkämpftes Grenzland
Bergkarabach – was so viel heißt wie „gebir-
giger schwarzer Garten“ – ist eine mehrheitlich
von katholischen Armeniern bewohnte Region
im Südosten des Kleinen Kaukasus zwischen
Armenien und Aserbaidschan.
Das Gebiet von Bergkarabach war in der Ver-
gangenheit oft Teil Armeniens, mehrfach aber
auch des heutigen Aserbaidschan. Nach der
Eroberung durch die Rote Armee entschieden
die Kommunisten im Juli 1921, das Gebiet von
Bergkarabach aufzuteilen und den größten Teil
an die Aserbaidschanische SSR anzugliedern.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion erklär-
te auch Bergkarabach am 3. September 1991
seine Unabhängigkeit. Der Konflikt eskalierte
daraufhin zu einem drei Jahre dauernden Krieg
zwischen Armenien und Aserbaidschan, mit bis
zu 50.000 Toten. Bergkarabach und angren-
zende (aserbaidschanische) Gebiete wurden
zu einem armenischen Protektorat.
Der Krieg ist zurück
Die Abwesenheit von Krieg bedeutet nicht
automatisch Frieden und so brach der Konflikt
im September dieses Jahres wieder aus. Am 27.
September griff Aserbaidschan mit Unterstüt-
zung des NATO-Mitglieds Türkei Bergkarabach
an, mit dem Ziel, die Region und sieben um-
liegende Provinzen zu erobern. Im November
stimmten Aserbaidschan und Armenien einem
Waffenstillstand unter russischer Führung zu.
Armenien hat den Krieg verloren: große
Gebiete Bergkarabachs gingen an Aserbaid-
schan. Aber auch die rund 2.000 russischen
Soldaten konnten bisher nicht verhindern,
dass die Gewalt immer wieder aufflammt.
Auch wenn Opferzahlen schwer zu bestim-
men sind, gehen Beobachter von ca. 5.000
Toten im jüngsten Konflikt aus. Auf beiden
Seiten kam es zu Kriegsverbrechen. In einem
Video, das „Amnesty International“ vorliegt,
sind beispielsweise zwei Männer in aserbaid-
schanischen Uniformen zu sehen, die einem
älteren Mann, der um sein Leben fleht, die
Kehle durchschneiden. Andere Videos belegen
armenische Verbrechen. Von Frieden ist der
„gebirgige schwarze Garten“ weit entfernt! | SZ

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UNENDLICHE DISKUSSION?
„Politikergehälter sauber
und transparent lösen!“
Sie kehrt so sicher und regelmäßig wieder wie die Jahreszeiten: die Diskussion um die Politikergehälter. Für die Einen zu viel, für die An-
deren viel zu viel und wieder Andere würden Politiker am liebsten gratis arbeiten sehen. Die Süd-Tiroler Freiheit setzt sich für klare und
nachvollziehbare Regeln in Sachen Politikergehälter ein und schlägt vier diesbezügliche Punkte vor.
Die Regelung über die Politikergehälter wird im Regionalrat entschieden. Eine klare Lösung ist notwendig.
Jüngst sorgten Meldungen aus dem
Regionalrat für Wirbel. Die Regional-
ratsabgeordneten sollen mit 1. Jänner
2021 eine Gehaltserhöhung von fast
500 Euro im Monat erhalten. Eine
gesetzliche Regelung schreibt eine
jährliche automatische Anpassung
der Amtsentschädigung an die Infla-
tionsrate vor. Weil diese Anpassung
aber seit sechs Jahren nicht mehr vor-
genommen wurde, können sich die
Abgeordneten außerdem über eine
rückwirkende Inflationsnachzahlung
freuen. Die Aufregung in der Bevöl-
kerung – gerade jetzt in Corona-Zei-
ten – war groß und nachvollziehbar.
Problem wird verschleppt
Die Süd-Tiroler Freiheit hatte
schon vor einem Jahr im Regionalrat
gewarnt, dass die neue Regelung der
falsche Weg sei und stattdessen ge-
fordert, dass ein sauberer und trans-
parenter Umgang mit den Gehältern
und Renten der Abgeordneten gefun-
den werden muss. Die Mehrheit war
aber gegen diesen Vorschlag.
„Das Problem wird seit Jahren ver-
schleppt und eine Lösung damit un-
nötig verkompliziert, zumal für den
Bürger nicht mehr nachvollziehbar
ist, was ein Abgeordneter monat-
lich effektiv an Reallohn bekommt
und welche Beträge durch Abgaben,
Pensionsversicherungen usw. vom
Nettolohn noch abgezogen werden“,
kritisiert der Landtagsabgeordnete
Sven Knoll.
Es gibt einige Aspekte, die in dieser
Hinsicht zu beachten sind: So gibt es
für die Abgeordneten z.B. keinen 13.
und 14. Monatsgehalt. Außerdem gibt
es verschiedene „Kategorien“ von Ab-
geordneten. Wer vor der Wahl als öf-
fentlich Bediensteter tätig war, behält
seine alte Arbeitsstelle reserviert und
die Pensionsbeiträge werden weiter
eingezahlt. Abgeordnete, die zuvor
nicht im öffentlichen Dienst tätig
waren, haben hingegen keinen reser-
vierten Arbeitsplatz und bekommen
auch keine automatischen Pensions-
einzahlungen. Die berühmten Leib-
renten, die seit Jahren die Gemüter
erhitzen und Gerichte beschäftigen,
wurden abgeschafft.
Anders als in den meisten Ländern
Europas gibt es in Italien – und auch
in Süd-Tirol – keinerlei Parteienfi-
nanzierung. D.h., die Aktionen, An-
T I R O L E R S T I M M E N 0 4 / 2 0 2 0 | S Ü D -T I R O L E R F R E I H E I T
gestellte, Bürospesen usw. müssen
komplett durch Spenden finanziert
werden. Die Abgeordneten der Süd-
Tiroler Freiheit, Sven Knoll und Myri-
am Atz Tammerle, geben ein Drittel
ihres Nettogehalts an die Süd-Tiroler
Freiheit ab, die anders nicht zu finan-
zieren wäre. Und auch die ehemalige
Landtagsabgeordnete Eva Klotz steht
Parteien hierzulande finanzieren sich vor allem über Abgaben der Abgeordneten.
Eine Parteienfinanzierung wie in anderen Ländern Europas gibt es nicht.
9
der Bewegung nicht „nur“ mit Rat,
sondern auch finanziell zur Seite.
Süd-Tiroler Weg nötig
„Es sollte den Abgeordneten des-
halb ein fixes Monatsgehalt aus-
bezahlt werden, von welchem ein
Anteil in eine Pensionskasse fließt,
so wie bei jedem normalen Arbeiter
auch“, schlägt Knoll vor. Die Süd-Ti-
roler Freiheit erneuert daher ihren
Vorschlag, um die Politiker-Gehälter
und Renten sauber zu lösen:
1. Der Süd-Tiroler Landtag über-
nimmt die Gehälter und Renten der
Süd-Tiroler Abgeordneten.
2. Alle Abgeordneten werden
gleichgestellt und beziehen ein fixes
Monatsgehalt.
3. Von diesem Monatsgehalt wird
– so wie bei jedem normalen Arbeiter
– ein bestimmter Anteil automatisch
in eine Pensionskasse einbezahlt.
4. Die Parteienfinanzierung muss
eigenständig geregelt werden, da-
mit die Abgeordneten nicht auf dem
Papier mehr verdienen müssen, um
durch Abgaben die Parteien zu fi-
nanzieren.
Knoll ist überzeugt: „In der aktu-
ellen Krisenzeit muss die Politik Ver-
antwortung übernehmen und darf
nicht den Anschein erwecken, sich
selbst zu bereichern!“ | SK / SZ
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LANDESHAUPTMANN ZIEHT SEIN DING DURCH

Kein Entrinnen Dr. Cristian Kollmann ist

PRATO DRAVA vor „Alto Adige“ Toponomastikexperte der Landtagsfraktion

der Süd-Tiroler Freiheit.

Ettore Tolomei hatte für seine Anne-
xionsgelüste die Katastralgemeinden
Sexten, Innichen, Innichberg, Vier-
schach und Winnebach gar nicht im
Visier. Sie gehören zum Einzugsgebiet
der Drau und passten daher nicht in
das Konzept der irredentistischen Na-
turgrenztheorie.
Als Italien aus militärstrategischen
Gründen diese Gebiete dennoch an-
nektierte, mussten pseudoitalienische
Ortsnamen her: Aus Winnebach wurde
„Prato alla Drava“, also die „Wiese an
der Drau“.
Mit einer „Wiese an der Drau“ hat
der Name „Winnebach“ nichts zu tun.
Der Ort hat seinen Namen vom gleich-
namigen Bach. Der Bachname enthält
das mittelhochdeutsche Verb winnen
„toben, wüten“. Der Winnebach ist so-
mit der „tobende, wütende Bach“.
„Care altoatesine e cari altoatesini!“ Mit dieser
Anrede wendet sich der Süd-Tiroler Landeshaupt-
mann Arno Kompatscher an die italienischspra-
chigen Bürger Süd-Tirols. Unlängst tat er dies
beispielsweise in seinem persönlichen Aufruf zur
Einhaltung der Coronabestimmungen, der in allen
Süd-Tiroler Gemeinden ausgehängt wurde. Der im
Dezember letzten Jahres vom Süd-Tiroler Landtag
gefasste Beschluss, den Begriff „Alto Adige“ bzw.
die Ableitung „altoatesino“ in der Landesgesetz-
gebung durchdrücken zu wollen, zeigt seine Aus-
wirkungen auf allen Ebenen. Zur Erinnerung: Die
Landtagsfraktion der Süd-Tiroler Freiheit konnte
erwirken, dass beide Begriffe zumindest im Euro-
pagesetz durch die verfassungsmäßigen Bezeich-
nungen „(della) provincia (autonoma) di Bolzano“
ersetzt werden, woraufhin der Landeshauptmann,
nach heftigen Protesten von italienischer Seite,
zurückruderte. Seit seinem Rückzieher wird mehr
denn je deutlich: Mit „Alto Adige“ und „altoatesi-
no“ will der Landeshauptmann ein klares Signal
aussenden: Süd-Tirol soll von den Italienern kei-
nesfalls mit Tirol in Verbindung gebracht werden,
sondern als „Hochetsch“ wahrgenommen werden.
Und die Süd-Tiroler Bürger italienischer Zunge
sollen sich als „Hochetschbewohner“ fühlen.
Mit einer derart verfehlten und nur scheinbar
politisch korrekten Namenpolitik leistet der Süd-
Tiroler Landeshauptmann einen entscheidenden
Beitrag zur Aufrechterhaltung und Vertiefung der
Spaltung Süd-Tirols und seiner Bewohner: Auf der
einen Seite gibt es Süd-Tirol und die Süd-Tiroler,
auf der anderen Seite gibt es das Alto Adige und die
altoatesini. Wenn zweimal das Gleiche gemeint ist,
ist es noch lange nicht dasselbe. Eigentlich wären
von einem Landeshauptmann Mut und Weitblick
zu erwarten. Mut, indem er sich klar und deutlich
von der vom Faschismus herrührenden imperia-
listischen Toponomastik distanziert und sich nicht
weiterhin von fanatischen Faschismusverstehern
und -verteidigern treiben lässt. Weitblick, indem
er erkennt, dass es gilt, langfristig das kleine Land
Süd-Tirol und dessen Bevölkerung zu einen statt
zu spalten. Dabei es wäre es doch so einfach: es
gibt nur ein Süd-Tirol oder Südtirol, ein Sud Tirolo
oder Sudtirolo, ein South Tyrol, demnach mit dem
Konzept „Süd“ und „Tirol“. Ein „Hochetsch“ ist
völlig fehl am Platz!

KATAKOMBENLEHRERIN

Vermächtnis und Auftrag:

Vor 90 Jahren starb Angela Nikoletti
Sie war mutig, lebensfroh, feinsinnig, unbeugsam: Angela Nikoletti. Vor 90 Jahren, am 30. Oktober 1930, endete das Leben Nikolettis
mit nur 25 Jahren. Sie setzte sich als Katakombenlehrerin in der dunklen Zeit des Faschismus für den Erhalt der deutschen Sprache und
der Tiroler Kultur in Süd-Tirol ein. Ihr Leben und ihr Tod sind Vermächtnis und Auftrag!

Lehrerin werden: Das war der
Traum, der in Margreid geborenen
Angela Nikoletti. Doch die Epoche
sollte ihr eine normale Anstellung
verwehren. Nach der Machtergrei-
fung der Faschisten, der „Lex Gen-
tile“ und dem Verbot der deutschen
Schule wurden Süd-Tiroler Lehrkräf-
te entlassen und durch Italiener er-
setzt. Mutige Frauen und Männer um
Kanonikus Michael Gamper wehrten
sich gegen die kulturelle Vernichtung
und unterrichteten die deutsche
Sprache geheim: in Dachkammern,
Kellern, Bauernstuben. „Jede Hütte,
jedes Haus muss zum Schulhaus, jede
Stube zur Schulstube werden“, laute-
te der eindringliche Appell Gampers.
Eine, die diesem Aufruf beherzt
folgte, war Nikoletti. Immer wieder
wurde sie für ihren Ungehorsam und
ihren Katakombenunterricht von den
Faschisten aufgespürt, verhört, be-
droht, eingesperrt und ihres geliebten
Heimatdorfes Kurtatsch verwiesen.
Und immer wieder trotzte sie den
Machthabern. Für ihre angeschla-
gene Gesundheit war das alles aber
zu viel: Am 30. Oktober 1930 endete,
nach jahrelanger Krankheit, Nikolet-
tis junges Leben.
Die Landtagsfraktion der Süd-Ti-
roler Freiheit erinnert in Dankbar-
keit und Demut an den Menschen
Nikoletti, an ihr Opfer und an ihr
Vermächtnis. Dieses Vermächtnis,
und jenes der fast 500 Katakomben-
lehrerinnen und -lehrer, ist für die
Süd-Tiroler Freiheit Mahnung und
Auftrag: „Die hart erkämpfte deut-
sche Schule darf nicht dem Zeitgeist
geopfert und durch langfristig un-
umkehrbare Sprachexperimente ge-
fährdet werden. Das Recht auf den
Gebrauch der eigenen Muttersprache
muss verteidigt und jeden Tag aufs
Neue behauptet werden“, betonen
die Landtagsabgeordneten Sven
Knoll und Myriam Atz Tammerle.
Angela Nikoletti ist in einem Eh-
rengrab in Kurtatsch beigesetzt. In
Margreid und Kurtatsch tragen Stra-
ßen ihren Namen und seit 2009 auch
ein Platz in Bozen. | SZ

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ZUGVERBINDUNG MALS-LANDECK

Reschenbahn ist nun

tirolweit Thema!
Die Reschenbahn wird dank der Süd-Tiroler Freiheit nun auch im Bundesland Tirol immer mehr zum Thema. Damit das auch so bleibt,
haben die Landtagsklubs von FPÖ-Tirol und Süd-Tiroler Freiheit auf einer Pressekonferenz in Innsbruck weitere Maßnahmen zum Bau
dieser wichtigen Zugverbindung vorgestellt. Derweil ist auch die SPÖ im wahrsten Sinne des Wortes auf den Zug aufgesprungen.

Die SPÖ im Tiroler Landtag woll- mationsbroschüre zur Reschenbahn

te die Tiroler Landesregierung mit
einem Antrag dazu auffordern, die
Umsetzung einer grenzüberschrei-
tenden Bahntrasse von Landeck nach
Mals mit einer Machbarkeitsstudie
zu prüfen. Aus der Behandlung im
Landtag wurde aber vorerst nichts.
Da zwischen der Einreichung des An-
trages und der Behandlung desselben
die zweite Corona-Welle auch Öster-
reich erfasste – gefolgt von einem
strengen Lockdown ähnlich jenem
im Frühjahr – beschlossen die Land-
tagsklubs erstmals nur dringende,
mit Corona zusammenhängende
Themen zu behandeln. Der Antrag
zur Reschenbahn wurde deshalb von
der Tagesordnung genommen.
Für die Süd-Tiroler Freiheit bedeu-
tet aufgeschoben aber nicht aufgeho-
ben. Auf einer Pressekonferenz am
28. Oktober in Innsbruck bekräftigten
Bahn-Befürworter: Fabian Walch (Pressesprecher FPÖ-Tirol), L.-Abg. Evelyn
Achhorner (Verkehrssprecherin FPÖ-Tirol) und L.-Abg. Sven Knoll.
die Süd-Tiroler Freiheit und die FPÖ-
Tirol ihre Überzeugung vom Projekt
Reschenbahn. „Als nächstes werden
wir uns mit Touristikern und Gemein-
devertretern aus dem Oberen Gericht
und dem Obervinschgau treffen, um
Überzeugungsarbeit zu leisten und
um offene Fragen zu diskutieren“,
betonte der Landtagsabgeordnete
Sven Knoll.
Außerdem wurde allen Abgeordne-
ten des Tiroler Landtages eine Infor-
Die Pressekonferenz und der Filmbeitrag zum Nachsehen:
suedtiroler-freiheit.com/pk-reschenbahn
übermittelt. Darin werden umfang-
reiche Informationen bzgl. der ver-
kehrstechnischen Hintergründe,
die historischen Entwicklungen, die
bereits fertiggestellten Streckenab-
schnitte und moderne Tourismus-
konzepte zur Nutzung der Reschen-
bahn aufgezeigt.
Bis zur Verwirklichung der Re-
schenbahn ist es noch ein langer
Weg. Dennoch trägt der Einsatz
der Süd-Tiroler Freiheit schon erste
Früchte: Neben der angefachten Dis-
kussion in ganz Tirol hat die schwarz-
grüne Tiroler Landesregierung an-
gekündigt, im nächsten Jahr einen
Schnellbus zwischen Landeck und
Mals einzuführen. | SZ

Das Recht auf Selbstbestimmung...

In der Rubrik „Das Recht auf Selbstbestimmung…“ werden Hintergründe, verschiedene
Aspekte und aktuelle Entwicklungen rund um das Selbstbestimmungsrecht der Völker
beleuchtet. Heute: Woodrow Wilsons (gescheiterte) Weltordnung.

Die Ursprünge des Selbstbestimmungs-
rechtes gehen zurück auf die Amerikanische
Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1776 und
auf die Französische Revolution 1789. Den
Durchbruch schaffte der Begriff des Selbstbe-
stimmungsrechts nach dem Ersten Weltkrieg
und den Umwälzungen in Europa.
Größter Verfechter der Selbstbestimmungs-
Idee war aber kein Europäer, sondern ein
Amerikaner: der 28. US-Präsident Woodrow
Wilson (1856–1924). Am 8. Januar 1918 stellte
Wilson vor beiden Häusern des Kongresses
sein berühmtes Vierzehn-Punkte-Programm
vor. In diesem umriss er die Grundzüge einer
Friedensordnung für das vom Ersten Weltkrieg
erschütterte Europa und gleichzeitig für eine
neue Weltordnung.
Zwei wichtige Aspekte stachen aus Wilsons
Punkte heraus: Neben der Idee eines Völker-
bunds (Vorgänger der Vereinten Nationen) als
Garanten der neuen Ordnung sollte die andere
Säule das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts
sein. Den zerrütteten Nationen Europas soll-
ten nach dem großen Krieg Möglichkeiten zur
Selbstbestimmung und damit zur freien Ent-
wicklung gegeben werden.
Macht schlägt Moral
In den Pariser Friedensverhandlungen klang
das Konzept der Selbstbestimmung zwar durch,
und Wilson erhielt dafür später den Friedens-
nobelpreis, echte Selbstbestimmung der Völker
kam allerdings nicht dabei heraus.
So mussten die Kriegsverlierer u.a. deutsch-
sprachige Gebiete wie Süd-Tirol, das Sude-
tenland, das Memelland und Danzig abtre-
ten. Auch Ungarn musste mehrheitlich von
Magyaren besiedelte Gebiete im Vertrag von
Trianon aufgeben. Ganz zu schweigen von
den Angelegenheiten in Übersee: Die vielen
Kolonien der Europäer spielten bei den Selbst-
bestimmungs-Überlegungen keine Rolle.
Das Scheitern von Wilsons Visionen hatte
mehrere Gründe. Der amerikanische Senat
lehnte noch 1919 die Ratifizierung des Ver-
sailler Vertrages ab und konzentrierte sich der
Monroe-Doktrin folgend wieder ganz auf den
eigenen Kontinent. Dem Völkerbund traten die
USA niemals bei. Ohnehin war die Position der
USA in Paris, verglichen mit jener der Briten
und Franzosen, schwächer und gerade letztere
hatten keinerlei Interesse an Wilsons Visionen.
Es galt den Erzfeind Deutschland zu schwächen
und einzukreisen. Selbstbestimmung wurde
gewährt und verwehrt, wo es geostrategisch
nützlich erschien. Macht ging vor Moral. Wil-
son hatte damals realpolitisch unerfüllbare
Erwartungen geweckt! Es bleibt aber sein Ver-
dienst, das Recht auf Selbstbestimmung auf die
internationale Agenda gebracht zu haben. | SZ

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T I R O L E R S T I M M E N 0 4 / 2 0 2 0 | S Ü D -T I R O L E R F R E I H E I T

DIGITALE IDENTITÄT
Meine
Muttersprache „SPID“ bald einfacher
ist und auf Deutsch!
Deutsch Ob Schuleinschreibung, Familiengeld, medizinische Vormerkung, Grundbuch oder Landes-
beitrag: sehr Vieles ist nur noch mit der „digitalen Identität“ (SPID) möglich. Bisher war das
Anmeldeverfahren nur in italienischer Sprache gestaltet. Das könnte sich bald ändern.
Ich mache von
meinem Recht, Der Behördengang führt im- mit der Post und anderen Anbie-
mer öfter nicht mehr aufs Lan- tern – bisher nur in italienischer
DEUTSCH des- oder Gemeindeamt, son- Sprache möglich war. „Wo das
zu sprechen, dern ins Internet. Viele Dienste Internet anfängt, hört die Auto-
sind in den vergangenen Jahren nomie nicht auf“, wiederholt die
Gebrauch! digitalisiert worden. Und so wie Bewegung gebetsmühlenartig.
man sich auf einem Amt mit der Nun kommt endlich Bewegung
Beschwerden bei sogenannten Identitätskarte aus- in die Sache: Landeshauptmann
Verletzungen der weist, geschieht dies im Internet Kompatscher hat den Gemein-
Zweisprachigkeits- mit dem „Sistema Pubblico di denverband gebeten, in den
pflicht: Identità Digitale“. Gemeinden SPID-Schalter ein-
Seit nun zweieinhalb Jahren zurichten. Die Süd-Tiroler Frei-
ist SPID aktiv und ebenso lange heit lobt Kompatschers Initiative:
Tel.: 0471 41 39 25 setzt sich die Süd-Tiroler Freiheit Durch die Ansiedlung bei den Ge-
E-Mail: landessprachen. dafür ein, dass das Anmeldever- meinden kann den Bürgern die
buergerrechte@provinz. fahren auch in deutscher Sprache Einrichtung der digitalen Identität
angeboten wird. Mehrmals hatte kostenlos, in der Muttersprache
bz.it
die Süd-Tiroler Freiheit deshalb und vor Ort ermöglicht werden.
im Landtag interveniert, da die Gut Ding braucht anscheinend Digitalisierung bedeutet oft leider
Anmeldung – trotz Abkommens oft Weile. | SZ auch Italianisierung.

Der Zopf Termine IMPRESSUM

Eigentümer und Herausgeber
Süd-Tiroler Freiheit / Landtagsfraktion Süd-
Tiroler Straße 13, 39100 Bozen

12.-15. Jänner: Süd-Tiroler Freiheit / Regionalratsfraktion

Sitzungswoche des Landtages. Laubengasse 9, 39100 Bozen

Presserechtlicher Verantwortlicher
20. Jänner: Stefan Zelger, BSc, BA
Sitzung des Regionalrates.
Redakteure dieser Ausgabe
Stefan Zelger, BSc, BA (SZ)
2.-5. Februar: Dr. Cristian Kollmann (CK)
Sitzungswoche des Landtages. Sven Knoll (SK)

Fotos
23. Februar: Shutterstock (S. 1, 2, 4, 9, 12), Facebook /
Sitzung des Regionalrates. Südtiroler Landwirt (S. 2), Facebook / IDM
(S. 2), Pier Andrea Perini (Titelfoto S. 6),
Nicola Pasotto (S. 6), Pixabay, Süd-Tiroler
Ende März: Freiheit
Nächste Ausgabe der „Tiroler Stimmen“.
Druck
Effekt GmbH (Neumarkt)

Sprechstunden: Eintragung
Eingetragen im Register der
Aufgrund der Corona-Krise sind zur- Druckschriften des Landesgerichts Bozen
zeit auch keine Sprechstunden möglich. Nr. 1/2015 vom 5.3.2015
Fragen und Anregungen können weiterhin
gerne an landtag@suedtiroler-freiheit.com
gesendet oder unter 0471 94 61 70 gestellt
Politische Leitsprüche sind ja von Land zu Land werden.
verschieden: in den USA „Keep America great“ (Do-
nald Trump), in Österreich „Macht braucht Kont-
rolle“ (Norbert Hofer), in Süd-Tirol „Da müssen wir
erst Rom fragen“ (Arno Kompatscher).

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