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CASH Nr. 42 Š 19.

Oktober 2001 Š Seite 33

Korrigiert Keynes!
Werner Vontobel
zur Diskussion, wie die Politik die Wirtschaft regulieren muss

[Werner Vontobel, geb. 1946, ist Mitglied der Chefredaktion beim Schweizer Wirtschaftsmagazin CASH und
einer der bekanntesten Wirtschaftsjournalisten im deutschsprachigen Raum. Er studierte Volkswirtschaft und
war Korrespondent verschiedener Zeitungen in Brüssel und Bonn. Vontobel setzt sich mit wirtschaftspolitischen
und -theoretischen Grundsatzfragen auseinander und hat zu diesem Thema mehrere Bücher veröffentlicht.
1998 hat er mit dem Essay „Die Wohlstandsmaschine. Das Desaster des Neoliberalismus.“ (Elster Verlag, Baden-
Baden und Zürich) ein Plädoyer für den politischen Liberalismus und gegen den neoliberalen Verrat an der
Marktwirtschaft geboten. Er zeigt, wie neoliberale Argumente den Kapitalhaltern Wohlstand verschaffen,
indem demokratische Entscheidungsprozesse ausgehebelt werden. Mit Philipp Löpfe veröffentlichte er 2005
„Der Irrsinn der Reformen. Warum mehr Wettbewerb und weniger Staat nicht zu Wohlstand führen“.]

Gut zehn Jahre nach dem endgültigen DOCH DIESER RÜCKGRIFF auf eine ferne
Zusammenbruch des Kommunismus ist nun Vergangenheit bringt uns nicht weiter. Das
auch beim deregulierten globalen Kapitalismus Arsenal der politischen Einflussnahme auf die
der Lack ab. Der Zusammenbruch der Wirtschaft ist heute viel grösser als damals, und
Aktienbörse, der Mutter aller kapitalistischen inzwischen sind diese Mittel auch praktisch
Märkte, der drohende Konjunktureinbruch und erprobt. Jetzt braucht die Welt kein Revival des
das Attentat von New York haben die Keynesianismus, sondern eine grundsätzliche
Gesichtspunkte verschoben: Das, was der Markt Diskussion darüber, wie die Politik die Wirtschaft
vielleicht bieten kann, nämlich noch mehr regulieren muss. Dabei geht es auch nicht in
Bruttosozialprodukt, erscheint nun plötzlich erster Linie darum, neue direkte staatliche
weniger begehrenswert als das Plus an Eingriffe zu beschliessen, sondern darum, die
Sicherheit, das man sich vom Staat erhofft. Der bestehenden Institutionen vermehrt auf die
fromme Glaube, dass sich aus der globalen wirklich wichtigen Ziele auszurichten.
Summe der Entscheide aller sechs Milliarden Nehmen wir die Zentralbanken, eine eminent
privater Nutzenmaximierer automatisch eine politische Institution, die seit Keynes stark
heile Welt mit hohem BIP-Wachstum und tiefer ausgebaut wurde. Dass Zentralbanken Geld- und
Arbeitslosenquote ergeben könnte, ist Zinspolitik betreiben müssen und der Staat somit
geschwunden. Und selbst wenn dies so wäre, einen wichtigen Markt reguliert, wird heute von
wer wollte sich denn in einer rein kommerziellen niemandem bestritten. Die Frage ist bloss, zu
Welt ohne politische Auseinandersetzungen und welchem Zweck dieses Instrument eingesetzt
Entscheide langweilen? wird. In der EU ist dieser Zweck ausschliesslich
Damit ist also wieder einmal fast allen klar, die Stabilität des Geldwertes bzw. der Kampf
1
dass die Politik steuernd in die Wirtschaft gegen die Inflation. In den USA muss das Fed[ ]
eingreifen und Ungleichgewichte, insbesondere noch für Vollbeschäftigung sorgen, und es tut
auf dem Arbeitsmarkt, korrigieren muss. In dies auch, indem der Realzins mittelfristig der
dieser Lage erinnert man sich an einen, der dies realen Wachstumsrate des Bruttoinlandprodukts
auch schon einmal gesagt hat, Lord John angepasst wird. Es ist vielleicht kein Zufall, dass
Maynard Keynes. „Wir sind heute alle sich die USA wirtschaftlich genau seit dem
Keynesianer“, titelte kürzlich sogar die Zeitpunkt besser entwickeln als die EU, als die
neoliberale „Financial Times“. Gemeint ist damit, Realzinsen der beiden Blöcke auseinander zu
dass der Staat durch Steuersenkungen und driften begannen.
Mehrausgaben die Wirtschaft auf Kurs halten
soll, so, wie dies Keynes 1936 vorgeschlagen hat
und wie es die US-Regierung heute praktiziert. 1
[Fed – Kurzbezeichnung für „Federal Reserve
Board“, die Zentralbank der USA]
DOCH DIE ZENTRALBANKEN sind nicht die einzige
politische Regulierungsinstanz der BISHER HAT MAN DIE LÜCKE vor allem auf zwei
Kapitalmärkte. Andere politische Institutionen Arten geschlossen – durch einen riesigen
wie die Bank für Internationalen Werbeaufwand und durch eine Zunahme der
Zahlungsausgleich oder die nationalen Freizeit. Seit Keynes ist etwa ein Viertel der
Bankenaufsichten entscheiden drüber, wie viel zunehmenden Produktion für eine Reduktion der
Risiken die Banken bei der Kreditgewährung Lebensarbeitszeit verwendet worden. Freizeit ist
eingehen können. Diese Instrumente dienten mit Abstand das wichtigste einzelne Produkt,
ursprünglich ausschliesslich der Sicherheit der dass uns die Wirtschaft bietet. Die Stabilität der
einzelnen Banken und deren Gläubiger. Wirtschaft hängt damit in erster Linie davon ab,
Inzwischen weiss man besser, wie sich die ob es gelingt, die Nachfrage nach mehr Freizeit
Spielregeln der Bankenaufsicht auf die Stabilität zu organisieren. Schätzungsweise muss die
des gesamten Wirtschaftssystems auswirken. wöchentliche Arbeitszeit alle zehn Jahre um zwei
Sehr wichtig sind ebenfalls die Kartellbehörden, bis drei Stunden sinken.
die darüber entscheiden, wie viel oder wie wenig Zu Keynes` Zeiten durfte man noch
Wettbewerb auf dem Markt für annehmen, dass dieses Ergebnis allein durch das
Bankdienstleistungen herrscht. Auch das kann Spiel der individuellen Nutzenmaximierung zu
für die wirtschaftliche Stabilität entscheidend Stande kommen würde.
sein. Ein moderner Keynesianismus wird deshalb
auch auf diesem Klavier spielen müssen.
Der anhaltende Börsencrash sowie die Keynes` Pfahlbauermethoden
Währungs- und Finanzkrisen in zahllosen sind als Notnagel immer noch
Ländern haben gezeigt, wie viel Unsicherheit von richtig. Doch die Ökonomie
den Kapitalmärkten ausgehen kann und wie
sehr es auf die richtigen Regulierungen hat Fortschritte gemacht.
ankommt. Dennoch ist nicht der Kapital-,
sondern der Arbeitsmarkt mehr denn je der Inzwischen haben die Ökonomen Spieltheorie
kritischste Gefahrenherd für die wirtschaftliche gelernt, und sie kennen das so genannte
Stabilität. Hier führt der Preismechanismus Gefangenendilemma. Der Arbeitsmarkt ist dafür
grundsätzlich nicht zum Gleichgewicht von ein typisches Beispiel. Entscheidet jeder für sich
Angebot und Nachfrage. Tiefere Löhne allein, so wird viel zuviel Arbeit angeboten, und
bewirken, dass mehr statt weniger Arbeitskraft es entsteht Arbeitslosigkeit. Eine (zusätzliche)
angeboten wird. Je kleiner der Stundenlohn, Regel, die das verhindern kann, ist beispielsweise
desto mehr Stunden müssen gearbeitet werden, die Abmachung zwischen Arbeitgebern und -
damit das Einkommen nicht sinkt. Deshalb nehmern, dass im Falle einer Krise bis zu 15
besteht ständig die Gefahr, dass sich schon ein Prozent der ausfallenden Arbeit umverteilt wird.
bisschen Arbeitslosigkeit zur grossen Krise Der Staat kann als dritter Partner dazustossen
auswächst. und beispielsweise den Lohnausfall teilweise
Es ist deshalb kein Zufall, dass gerade der mittragen. Solche Regelungen haben sich bereits
Arbeitsmarkt in hohem Masse reguliert ist. Es bewährt. Sie führen nicht selten zur Erkenntnis,
gibt Gesamtarbeitsverträge, Mindestlöhne, dass die gewonnene Freizeit mehr wert ist als
Arbeitszeitregelungen, Kündigungsschutz, der durch den Lohnverzicht bedingte
Gewerkschaften usw. Dieses Gestrüpp von Konsumausfall.
Regeln und Vorschriften ist zweifellos ineffizient. Keynes in Ehren. Er war der führende
Es ganz abschaffen und die Arbeitsmärkte Ökonom der Dreissiger- und der Vierzigerjahre,
„deregulieren“ zu wollen, wäre jedoch der und als Notnagel sind seine Pfahlbauermethoden
falsche Weg. Nötig ist vielmehr eine ständige immer noch richtig. Doch inzwischen hat selbst
Feinanpassung der Regulierungen, und damit die Ökonomie ein paar Fortschritte gemacht. Die
darf man das grundlegende Dilemma der Keynes der Neuzeit warten nur darauf, entdeckt
modernen Marktwirtschaft nicht aus den Augen zu werden. Š
verlieren. Es besteht darin, dass die Produktivität
der Wirtschaft schneller zunimmt als die Aktuelle Artikel des Autors:
Bedürfnisse der Kunden. http://www.blick.ch/news/wirtschaft/vontobel

Werner Vontobel Š Korrigiert Keynes! Zur Diskussion, wie die Politik die Wirtschaft regulieren muss.

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