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SUDOSTEUROPA-STUDIEN

Heft 38

im Auftrag der Südosteuropa-Gesellschaft

herausgegeben von Walter A ltham m er

Klaus Roth - 9783954796977


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Handwerk in
Mittel- und Südosteuropa
Mobilität, Vermittlung und Wandel
im Handwerk des 18. bis 20. Jahrhunderts

Herausgegeben von
Klaus Roth

Im Selbstverlag der
Südosteuropa-Gesellschaft
München 1987
Klaus Roth - 9783954796977
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G edruckt mit U nterstützung des


Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft und V erkehr
und der
H andw erkskam m er für Oberbayern

© 1987 by Südosteuropa-Gesellschaft München


Alle Rechte Vorbehalten!
ISBN 3-925450-03-3

B a y e rle c h •
Staatebittiothek
München

Gesamtherstellung: prograph gm bH , München


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Inhaltsverzeichnis

Klaus Roth
V o r w o r t .................................................................................................................... 7

H ermann Gross
Die Entwicklung des Handwerks in Südosteuropa unter mitteleuropä-
ischen und osmanischen Einflüssen .................................................................. 11

Michael Palairet
The Migrant Workers of the Balkans and Their Villages
(18th C entury — World W ar II) ...................................................................... 23

Josef Ehmer
Die H erkunft der Handwerker in überregionalen städtischen Zentren:
Zürich, Wien und Zagreb zur Mitte des 19. J a h r h u n d e r t s ........................ 47

O ttó Domonkos
Zur Wanderung ungarischer Gesellen im 19. J a h r h u n d e r t ........................ 69
Rainer S. Elkar
Schola migrationis. Überlegungen und Thesen zur neuzeitlichen Ge-
schichte der Gesellenwanderungen aus der Perspektive quantitativer
U n te r s u c h u n g e n ..................................................................................................... 87

Bärbel K erkhoff Hader


Vermittlung von Handwerkstechniken und -formen am Beispiel des Töp-
ferhandwerks ......................................................................................................... 109
Virginia Paskaleva
Die Entwicklung des Handwerks und die kulturelle Vermittlungsfunktion
von H andw erkern bei der ‫ ״‬Europäisierung“ Bulgariens im 19. Jahrhun-
dert ........................................................................................................................... 129

Horst Klusch
Interethnische Beziehungen und Vermittlungsprozesse im siebenbürgi-
sehen Töpferhandwerk des 19. Jahrhunderts ................................................ 137
Fritz Markmiller
Archivalische Quellen und ihre Interpretation zur Differenzierung des
Handwerks in Niederbayern zwischen 30jährigem Krieg und Säkularisa-
tion ........................................................................................................................... 149

R u d o lf Weinhold
Sächsische und Thüringer Keramikproduktion zwischen dem 18. und dem
Anfang des 20. Jahrhunderts — Konstanz und W a n d e l............................... 173
Osman Okyar
Industrialisation and Handicrafts in the 19th C entury O tto m an Empire 183
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Gustav Otruba
H andw erk und Industrialisierung in Österreich im 19. und am Beginn des
20. J a h r h u n d e r t s ..................................................................................................... 195

Klaus Roth
Die Pflege alter H andw erke im heutigen B ulgarien..................................... 217

Peter N icki
Aufgaben und Ziele der Handwerkspflege in Bayern ................................. 231

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Vorwort

Vom 19.—23. N ovem ber 1985 fand in München in den Räumen des Bayerischen
Nationalmuseums ein interdisziplinäres Symposium zum Them a ‫ ״‬H andw erk in
Mittel- und Südosteuropa im 18. bis 20. Jahrhundert“ statt, das gemeinsam von
der Südosteuropa-Gesellschaft, dem Bayerischen Nationalmuseum und dem
Institut für deutsche und vergleichende Volkskunde der Universität M ünchen
veranstaltet wurde. Wirtschafts- und Sozialgeschichtler, N ationalökonom en,
Volkskundler, Handwerksforscher und Praktiker aus Ungarn, Rumänien, Bulga-
rien, der Türkei, der D D R, aus Schottland, Österreich und der Bundesrepublik
Deutschland trugen ihre Forschungsergebnisse vor und diskutierten über Pro-
bleme des historischen und des heutigen Handwerks; einige Kollegen aus süd-
osteuropäischen Ländern konnten der Einladung zur Teilnahme bedauerlicher-
weise nicht Folge leisten. Die während der Tagung gehaltenen 14 Referate sind
in dem vorliegenden Band zusammengefaßt.
Ziel dieses bereits durch seine Themenstellung vergleichend angelegten Bandes
ist es, gegen die noch verbreitete statische Sicht des H andwerks dessen Mobilität
als einen entscheidenden Faktor zu behandeln. In den M ittelpunkt tritt damit
zum einen — als Folge räumlicher Mobilität — die Vermittlungsfunktion des
H andw erks zwischen Stadt und Land, zwischen verschiedenen Regionen, zwi-
sehen Ländern und G roßräum en, wobei hier die Beziehungen zwischen Mittel-
europa und der Balkanhalbinsel im Vordergrund stehen sollen; zum ändern ver-
dient die schwierige, infolge der sozialen und geistigen Mobilität vielfach erfolg-
reiche Anpassung des Handwerks an die durch die Industrialisierung veränderten
Bedingungen Beachtung.
Beziehungen zwischen Mittel- und Südosteuropa sind im Bereich des Hand-
werks — in unterschiedlicher Intensität — vom 12. bis zum 20. Jahrhundert nach-
zuweisen. Vor allem deutschsprachige H andw erker und ihre Organisationen
strahlten, wie Hermann Gross in seinem einleitenden Beitrag zeigt, über Ungarn
und Siebenbürgen aus auf die Balkanhalbinsel. Ihr Einfluß dort wurde jedoch seit
dem ausgehenden 14. Jahrhundert zurückgedrängt, als mit der osmanischen
Herrschaft sich türkische Handwerke und Handwerksorganisationen mit
wesentlich anderen Formen und Strukturen etablierten und für Jahrhunderte die
Entwicklung des Handwerks vor allem in den Städten prägten. Erst im späten
18. und besonders im 19. Jahrhundert konnten sich — als Teil der ‫ ״‬Europäisie-
rung“ Südosteuropas — dort wieder mitteleuropäische und italienische Einflüsse
durchsetzen.
Eine der Grundlagen des Handwerks war die Gesellenwanderung und die —
meist wirtschaftlich erzwungene — Bereitschaft, sich tem porär oder auf Dauer
in der Fremde niederzulassen und eine Werkstatt zu eröffnen. Diese Mobilität
der H andw erker war für die ökonomische, soziale und auch kulturelle Entwick-
lung der Länder Mitteleuropas wie auch der Balkanhalbinsel von Bedeutung, wie
Michael Palairet am Beispiel der südslawischen W anderhandwerker und R ainer
5. Elkar, O ttó Domonkos und Josef Ehmer am Beispiel der Gesellenwanderung
bzw. der Mobilität von Lehrlingen, Gesellen und Meistern aufzeigen. Aufgrund
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ihrer Grenzen überschreitenden Mobilität waren die H andw erker Vermittler in
mehrfacher Hinsicht: Sie brachten, wie Bärbel KerkhoffHader am Beispiel der
Töpfer zeigen kann, ihre Fertigkeiten und ihr technisches Wissen, ihre Arbeits-
kraft und ihre Organisationsformen mit in andere Regionen; sie vermittelten,
wie Horst Kluscb am Beispiel Siebenbürgens nachweist, kulturelle Techniken und
F orm en von einer ethnischen G ruppe in die andere; sie spielten, wie Virginia
Paskaleva am bulgarischen Beispiel zeigt, eine entscheidende Rolle im nationalen
Befreiungskampf und bei der ‫ ״‬Europäisierung“ Südosteuropas; und sie vermittel*
ten schließlich zwischen städtischer und ländlicher Kultur, wie F ń tz Markmiller
an niederbayerischen Archivquellen nachweisen kann.
Mobilität und Vermittlung zwischen Ländern, Regionen, Ethnien und Kultu-
ren scheinen damit wichtige Charakteristika des einstigen H andw erks gewesen
zu sein. Beide wurden eingeschränkt oder gelähmt durch das Vordringen der
Manufakturen und vor allem der Industrie zuerst in Mitteleuropa und dann —
seit dem späten 19. Jahrhundert — auch in Südosteuropa und der Türkei. Dem
Wandel des Handwerks und der Auseinandersetzung des H andwerks mit der
vorrückenden Industrie widmen sich die Beiträge R u d o lf Weinbolds, Osman Oky-
ars und Gustav Otrubas, wobei ihre Untersuchungen über Sachsen/Thüringen,
die Türkei und Österreich deutlich machen, daß das düstere Bild vom Untergang
des Handwerks infolge der Industrialisierung in wesentlichen Punkten korrigiert
werden muß, denn der W ettbewerb zwischen beiden Wirtschaftszweigen hatte
je nach Art und Anpassungsfähigkeit des einzelnen Handwerks und je nach den
sozio-ökonomischen Bedingungen der Region oder des Landes durchaus unter-
schiedliche Konsequenzen. Zahlreiche Handwerke paßten sich an die neuen
Gegebenheiten flexibel an, neue Handwerke entstanden in größerer Zahl, wäh-
rend andere Handw erke dem D ruck der Industrie oder dem Wandel der Bedürf*
nisse zum O pfer fielen. Mit diesen untergehenden H andw erken verschwanden
zahlreiche überkom m ene Techniken und Fertigkeiten — ein Verlust, der die
Handwerkspflege auf den Plan rief. Ihr geht es, wie Klaus Roth am bulgarischen
und Peter N icki am bayerischen Beispiel zeigen, weniger um die D okum entation
als vielmehr um die praktische Wiederbelebung und Fortführung traditioneller
Handwerke, wobei sich tro tz der erheblichen Unterschiede zwischen den Län-
dern und Wirtschaftssystemen erstaunliche Parallelen in den Entwicklungsten-
denzen und Problemen ergeben.
Mobilität, Vermittlung und Wandel im H andw erk sind somit die Schlüsselbe-
griffe dieses Bandes und jeder der Beiträge leistet als exemplarische Studie etwas
zu ihrer Klärung. Es versteht sich aber, daß bei einer so kleinen Tagung zahlrei-
che Bereiche der Handwerksgeschichte und auch Länder ausgespart bleiben müs-
sen.
Sowohl die D urchführung des Symposiums als auch die Drucklegung dieses
Bandes wurde erst möglich durch die materielle U nterstützung von mehreren
Seiten. Dank für die tatkräftige Hilfe bei der Gestaltung der Tagung gebührt an
erster Stelle Ingolf Bauer vom Bayerischen Nationalmuseum, dem Präsidium der
Südosteuropa-Gesellschaft, dem D A A D und dem Gesamtdeutschen Ministerium
in Bonn sowie der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Universität
München. Z u r Finanzierung dieses Bandes trugen neben der Südosteuropa-Ge-
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Vorwort 9

sellschaft das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und V erkehr sowie die
H andw erkskam m er für O berbayern wesentlich bei; ihnen sei an dieser Stelle aus-
drücklich gedankt.

Klaus Roth, München

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Die Entwicklung des Handwerks in Südosteuropa


unter mitteleuropäischen und osmanischen Einflüssen

H ermann Gross, München

Viel länger als in Mittel- und Westeuropa bildete in Südosteuropa die Landwirt-
schaft mit der ihr verbundenen Hauswirtschaft die Grundlage des Wirtschafts-
lebens. U nter Südosteuropa verstehen wir — wie allgemein üblich — die Gebiete
des alten Königreichs Ungarn, Rumänien und Jugoslawien, ferner Bulgarien,
Albanien, Griechenland und die Türkei. Es handelt sich also um sieben Länder,
die ethnisch, entwicklungsgeschichtlich, sozio-kulturell, zivilisatorisch und poli-
tisch von jeher eine für diesen Teil Europas charakteristische besonders große
Vielfalt aufgewiesen haben.
Trotzdem erkennen wir in Entwicklung und Struktur des Handwerks gewisse
gemeinsame Züge für diejenigen Gebiete Südosteuropas, die unter mitteleuropä-
ischen und jene, die unter orientalisch-osmanischen Einflüssen jahrhundertelang
gestanden haben, wobei die ungefähre Grenze entlang der unteren Donau und
Save verlief. Aufgabe der folgenden Ausführungen soll es sein, einen historischen
Überblick über die Entwicklung des H andw erks in den beiden Einflußbereichen
bis zum Zweiten Weltkrieg zu geben. Dies ist n u r in einer stark verallgemeinern-
den to u r d ’horizon möglich. Die Behandlung der speziellen Probleme des Hand-
werks und seiner Lage in Mittel- und Südosteuropa bleibt den Beiträgen über die
einzelnen Länder Vorbehalten.
In den südosteuropäischen Agrarländern bildeten ursprünglich das Hauswerk
und das verlegte H eimwerk die wichtigsten gewerblichen Organisationsformen.
Die im wesentlichen auf Selbstversorgung ausgerichtete arbeitsteilige hausgenos-
senschaftliche Lebens- und Betriebsgemeinschaft fand in der südslawischen und
orientalischen Großfamilie eine günstige Existenzgrundlage. Am höchsten ent-
wickelt waren das Hauswerk und verlegte H eim w erk in den bulgarischen Pro-
vinzen des osmanischen Reiches.
Mit dem Eindringen neuzeitlicher Wirtschaftsformen und Industriegüter sowie
der fortschreitenden Realteilung des Bodens bei starker Bevölkerungsvermeh-
rung verschwindet in dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts diese patriar-
chalische Form der Familienhauswirtschaft. N u r in den Gebirgsregionen und
den verkehrsmäßig wenig erschlossenen Gegenden behält das Hauswerk noch
eine gewisse soziale und wirtschaftliche Bedeutung.
Das Hauswerk, vor allem das häusliche Kunstgewerbe wurde zwar in den süd-
osteuropäischen Ländern aus wirtschaftlichen und nationalen G ründen von
staatlicher und auch privater Seite (z.B. Vereine) durch Errichtung von Lehr-
Werkstätten und Abhaltung praktischer Kurse sowie U nterricht in den Schulen
gefördert. Einen entscheidenden Einfluß auf die wirtschaftliche Stellung des
Haus- und Heimwerks haben diese Bemühungen allerdings nicht gehabt, da die
hausgewerblichen Erzeugnisse immer mehr durch billigere Industrieprodukte
ersetzt wurden.
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12 H erm ann Gross

W ährend es sich bei den hausgewerblichen Produktionszweigen in Südosteu-


ropa um uralte und bodenständige Kunstfertigkeiten handelte, ist die bandwerkli‫׳‬
che Produktion zum großen Teil fremden Ursprungs. Seine größte Entfaltung hat
das H andw erk im 17. und 18. Jah rh u n d ert erfahren, ohne daß es allerdings eine
annähernd gleiche städtebildende Kraft wie im übrigen Europa erlangt hätte.
Eine Ausnahme hiervon machte das historische U ngarn, in dessen N o rd en (Zips)
und Südosten (Siebenbürgen) sich seit dem 12. Jh. und im Süden (Banat, Batschka
und Baranya) sowie in der österreichischen Bukowina im 18. Jahrhundert Bau-
ern, H andw erker und H ändler aus den deutschen Landen angesiedelt hatten. Sie
sind mit ihren Städtegründungen und Zunftorganisationen eines leistungsfähigen
H andw erks auf die gesamte sozio-ökonomische Entw icklung des nördlichen
Südosteuropas von bestimmendem Einfluß gewesen. Wie sehr die ganze wirt-
schaftliche und kulturelle Entw icklung dieser Kultur- und Wirtschaftszentren
des Südostens an der mittel- und westeuropäischen Gesamtentwicklung teilhatte,
zeigt die Tatsache, daß H andw erk und Handel in den deutschen Städten Sieben-
bürgens schon im 13. bis 15. Jah rh u n d ert ihre Glanz- und Blütezeit gehabt
haben. Kronstädter H andw erker und Kaufleute beherrschten damals den süd-
osteuropäischen Markt zwischen Konstantinopel und Wien, N ürnberg, Leipzig,
Breslau. Siebenbürger Sachsen gründeten Städte in der Moldau und führten dort
das H andw erk ein; und Deutsche, die sogenannten ‫ ״‬Sassen“ haben in der Haupt-
sache die ungarischen und serbischen Bergwerke erschlossen. Diese deutschen
Einflüsse sind während der Türkenherrschaft in den besetzten Gebieten zurück-
gedrängt worden und haben sich dort erst im vorigen Jahrhundert — allerdings
nur zum Teil — wieder durchsetzen können.
In den Städten Ungarns war das H andw erk in Zünften nach deutschen, teils
nach italienischen Vorbildern organisiert. Seine Entw icklung verlief, bis zur Ein-
verleibung der Länder der ungarischen Krone in das österreichische Zollgebiet,
ähnlich wie in Mitteleuropa. Zu Beginn der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhun-
derts trat aber eine bedeutende Steigerung des Verkehrs und eine gewaltige Ver-
schärfung des Wettbewerbs ein, dem das ungarische H andw erk wehrlos gegenü-
berstand. Fast gleichzeitig mit dem Wechsel aller materiellen Lebensbedingungen
wurde die Gewerbefreiheit (1859) eingeführt, und der schützende Wall der
Zunftgesetze und Handelsprivilegien brach viel unm ittelbarer zusammen als in
den mitteleuropäischen Ländern.
D em technisch weit m ehr vervollkom m neten und kapitalkräftigeren deut-
sehen und österreichischen W ettbew erb gegenüber war der ungarische Gewerbe-
stand sehr im Nachteil und die Produkte der vom Staat begünstigten
österreichisch-böhmischen Industrie überschw em m ten U ngarn und Siebenbür-
gen sowie den ganzen Balkan. D er ungarische Staat versagte dem Gewerbe bis
in die neunziger Jahre hinein eine durchgreifende U nterstützung; außerdem
wurde es durch die Zollkriege der M onarchie mit Rumänien (1886—1891) und
Serbien (1906—1908), besonders in den G renzprovinzen, aufs schwerste
geschädigt.
U n te r diesen Umständen m ußte das einst blühende H an d w erk in U ngarn all-
mählich verküm mern. Ein großer Teil der H an d w erk er kehrte seinem Vaterland
den Rücken und die Auswanderung aus U ngarn, die früher minimal war, nahm
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Entwicklung des Handwerks in Südosteuropa 13

seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts rapide zu. Durch die Auswan-
derung gingen dem Land wertvolle Arbeitskräfte verloren und es entstand ein
empfindlicher Arbeitsmangel, der sich auf die damals einsetzende Industrialisie-
rung ungünstig auswirkte.
Erst auf G ru n d des Industrieförderungsgesetzes von 1899 fand in U ngarn eine
systematische staatliche Förderung des Kleingewerbes und seiner Genossenschaf-
ten sowie des H andw erks statt. Diese A ktion, die in Verteilung von Maschinen
und anderen Arbeitsbehelfen, in der Errichtung gemeinsamer W erkstätten, in
der Beteiligung des Kleingewerbes an den Submissionen des Staates und in einer
Förderung des Bildungs- und Genossenschaftswesens bestand, hat sich im allge-
meinen wohl bewährt; jedoch k onnte sie sich wegen der beschränkten Mittel nur
auf einen verhältnismäßig kleinen Teil von Betrieben erstrecken. Wegen des
empfindlichen Mangels an gelernten gewerblichen Arbeitskräften wandte der
ungarische Staat (seit 1892) auch dem gewerblichen U nterrichts wesen seine Auf-
merksamkeit zu, das dadurch eine bemerkenswerte H ö h e erreichte.
Die wirtschaftliche Lage des H andw erks in U ngarn war allerdings bei der star-
ken Uberbesetzung der einzelnen Handwerkszweige und bei der scharfen Kon-
kurrenz der Fabrikate der auf einer beachtlichen H ö h e stehenden einheimischen
Industrie sehr ungünstig. D er H andw erkerstand zeigte darum auch nach dem
Ersten Weltkrieg einen Rückgang. T rotzdem war das moderne H andw erk in
Ungarn insgesamt viel stärker vertreten als etwa in den Balkanländern, w o die
handwerkliche Entwicklung anders und ungünstiger verlaufen ist als im übrigen
Europa.
In den unter der Osmanenherrschaft stehenden Gebieten der Balkanhalbinsel, die
von der westlichen Welt weitgehend abgeschlossen waren, haben sich bis zur
Donau herauf byzantinisch-orientalische Einflüsse auf die Entwicklung des
Handwerks und seiner Organisation, den ‫ ״‬esnaf“ , geltend gemacht und die frü-
her dort bestehenden zunftähnlichen Organisationen verdrängt. Die osmanische
Zunft- d.h. esnaf-Organisation ist aus den byzantinischen Organisationen unter
Einfluß der arabischen Zunftorganisation der ‫ ״‬taif“ und administrativen Maß-
nahmen der Behörden gegenüber den verschiedenen H andw erkergruppen — ins-
besondere in der Zeit Suleimans I. (1520—1566) — entstanden und hat sich mit
den O sm anen über den Balkan verbreitet. Diese Zünfte unterscheiden sich von
denen Mitteleuropas dadurch, daß das Bannmeilenrecht, die Wanderjahre und
das Meisterstück als A ufnahm eprüfung fehlten. Sie waren juristische Personen
mit eigener Gerichtsbarkeit. Die Zunftkasse war eine A rt Bank, deren Mittel an
verschiedene Personen gegen Zinsen ausgeliehen wurden.
Zur vollen Entfaltung kam das H andw erk mit seinen esnaf-Organisationen in
Konstantinopel und einigen Teilen Anatoliens sowie in den mohamedanisierten
Gebieten der Balkanhalbinsel — Bosnien-Herzegowina und Teilen Makedoniens
— sowie in Bulgarien, das als ‫ ״‬W erkstatt des Osmanenreichs“ eine Sonderstel-
lung einnahm. Dagegen ist das einheimische H andw erk in den meisten európai-
sehen Regionen des Osmanenreichs zum großen Teil verkümmert, da die Aus-
übung der wichtigsten Gewerbezweige den Moslems Vorbehalten war. N u r auf
den unter venezianischer Herrschaft stehenden Ionischen Inseln und in dalmati-
nischen Städten gab es ein blühendes Gewerbe- und Zunftwesen.
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14 Hermann Gross

W enn auch die osmanischen Beamten und Militärs die wichtigsten Kunden des
H andw erks in den europäischen Provinzen des Osmanenreichs waren, so wurde
das gesamte Gewerbe durch die unzulängliche Verwaltung, die häufigen Epide-
mien und die unsicheren innenpolitischen Verhältnisse zur Zeit des fortschrei‫־‬
tenden Verfalls der Osmanenherrschaft schwer in Mitleidenschaft gezogen.
In den rumänischen Fürstentümern, die mitteleuropäischen Einflüssen stärker
zugänglich waren, konnte sich n u r auf dem Lande das nationale bäuerliche
Gewerbe erhalten und zum L ohnw erk, teilweise auch zum selbständigen Hand-
w erk weiterentwickeln. Die Mehrzahl der Handwerkszweige ist von fremden
H andw erkern gegründet worden, die schon seit Ende des 18. Jahrhunderts dank
besserer Ausbildung, größerer Anpassungsfähigkeit und größerer Kapitalstärke
sich durchzusetzen begannen und zur Europäisierung des Wirtschaftslebens bei-
getragen haben. Beschleunigt wurde dieser Prozeß durch die Ö ffnung der Gren-
zen der Donaufürstentümer auf G ru n d des Friedens von Adrianopel •• von 1829
(durch Abschaffung des Vorkaufsrechts des Osmanenreiches und Öffnung des
Schwarzen Meeres und der D onaum ündungen für den Weltverkehr) sowie durch
die Einführung der Gewerbefreiheit 1834.
So entstand noch während der politischen Abhängigkeit der rumänischen Pro-
vinzen von der H ohen Pforte unter dem Einfluß der Deutschen, Österreicher
und Ungarn im N orden und der Armenier, Juden und Griechen im Süden und
Osten des Landes ein neues, größtenteils aus Frem den bestehendes Handwerk,
das die reichsten Erwerbsquellen in der H and hatte und in Zünften organisiert
war. Nach deren Auflösung (1873) trat eine allmähliche Nationalisierung des
H andw erks ein.
D er rumänische Staat hat dem H an d w erk keinen ausreichenden Schutz ange-
deihen lassen. Erst das Industrieförderungsgesetz von 1912 gewährte auch den
Handwerksorganisationen die gleichen Erleichterungen wie den Industrieunter‫־‬
nehmungen. Im Jahre 1920 wurde ein besonderes Arbeitsministerium errichtet
für die Schaffung von Gesetzen, die eine zweckmäßige Organisation und den
Schutz der gewerblichen Arbeit gewährleisten sollten. D er Staat wandte sich aber
auch in der Folgezeit in erster Linie der Förderung und dem Ausbau der Indu*
strie zu.
Ähnlich wie in Rumänien ist die handwerkliche Entw icklung auch in Serbien
verlaufen. Der junge serbische Staat versuchte zwar schon früh, mit einer Anzahl
von Gesetzen einen einheimischen H andw erkerstand und eine leistungsfähige
Handwerkerorganisation nach deutschem Vorbild zu schaffen; jedoch ist eine
H ebung der gewerblichen Bildung und eine zweckmäßige Regelung der Konkur-
renzverhältnisse innerhalb des berufsmäßigen H andw erks nicht erreicht worden.
Beim Fehlen eines eigenen gut ausgebildeten Handwerkerstandes hat sich
neben den von Bulgaren und Zinzaren ausgeübten Handwerkszweigen nur ein
von Deutschen, Österreichern und U ngarn eingeführtes H an d w erk entwickelt,
das aber unter der K onkurrenz der europäischen Fabrikerzeugnisse, besonders
seit der Erschließung des Landes durch Bahnbauten, keine größere Bedeutung
gewinnen konnte.
In den seit 1878 unter österreichisch-ungarischer Verwaltung gestandenen Pro-
vinzen Bosnien und Herzegowina war das einheimische H an d w erk und Kleinge-
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Entwicklung des Handwerks in Südosteuropa 15

werbe wie auch die Hausindustrie durch die Ü berschwem m ung mit billigen
Fabrikerzeugnissen aus der Monarchie schwer geschädigt worden. Erst unter
dem Einfluß von Frem den und mit U nterstützung der österreich-ungarischen
Verwaltung konnte sich ein modernes H andw erk neben dem alten orientali-
sehen entwickeln.
In Griechenland ist das moderne H an d w erk nach der Befreiung von den Osma-
nen durch H an d w erk er aus Bayern — unter der Regierung König O ttos seit 1833 —
sowie aus den Ionischen Inseln, von Italien und dem übrigen Ausland eingeführt
worden. Das neuentstandene H an d w erk blieb rückständig, da die Zahl der unter-
einander konkurrierenden H an d w erk er in den verhältnismäßig wenigen Städten
immer m ehr anwuchs und sich seit den neunziger Jahren der W ettbewerb der bes-
seren europäischen Einfuhrw aren sehr fühlbar machte. Die schon früh unternom -
menen Versuche des H andw erks, durch Zusammenschluß in Zünften seine Lage
zu heben, sind vom griechischen Staat nicht unterstützt worden.
Neue Impulse erhielten das griechische H andw erk und die Hausindustrie nach
1922 durch die kleinasiatischen Flüchtlinge. Allerdings wurden durch die einströ-
menden H an d w erk er die Existenzmöglichkeiten des Handwerkerstandes stark
beengt und die Konkurrenzverhältnisse außerordentlich verschärft, so daß man-
eher einheimische H andw erksbetrieb zugrunde ging.
In Bulgarien hat das alte, einst hochentwickelte einheimische H andw erk eine
besondere Entw icklung genommen. Seine bemerkenswerte wirtschaftliche Blüte
und der hohe Stand seiner P roduktion unter den Osmanen sind auf besondere
wirtschaftliche und Bevölkerungsverhältnisse seiner Gebiete und auf deren spe-
zielle F unktionen innerhalb des Osmanenreichs zurückzuführen.
In den Gebieten des Balkan- und des Rhodopengebirges sah sich die sehr dicht
gewordene Bevölkerung zu Schaf- und Ziegenzucht, Gärtnerei und Holzschnit-
zerei sowie zu anderen Arten von hausindustrieller und handwerksmäßiger Betä-
tigung gezwungen. Das Weben von ‫ ״‬A b a “‫ ׳‬und feineren ‫ ״‬Schajek“-Wollstoffen
und die ‫ ״‬G a ita n ”■Spinnerei (Besatzschnüre für Volkstrachten) konnten sich auf
G rund der günstigen örtlichen und ausländischen Absatzverhältnisse über den
Hausbedarf hinaus entwickeln. Die an Wäldern und Wasserkraft reichen Gebirge
bargen in sich eine Fülle von Rohstoffen und Brennmaterial; die benachbarten
Wiesentäler mit ihren zahlreichen Schafherden lieferten die nötige Wolle.
Verkehrsgeographisch im H erzen des damaligen Osmanenreiches gelegen,
spielte Bulgarien mit seinem gepflegten Garten- und Gemüsebau, seiner ent-
wickelten Hausindustrie und seinem blühenden in Zünften zusammengeschlos-
senen H andw erk als landwirtschaftliches und vor allem gewerbliches Überschuß-
gebiet für die Versorgung der M etropole und für die Belieferung des osmanischen
Heeres eine sehr wichtige Rolle. D arum hatten die fleißigen und tüchtigen bulga-
rischen H andw erker, tro tz ihres christlichen Glaubens, von den Sultanen beson-
dere Privilegien hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Betätigung erhalten. N icht
nur in Konstantinopel, sondern auch in den übrigen Wirtschaftszentren und auf
den Jahrm ärkten des Osmanischen Reiches arbeiteten bulgarische H andw erker
und waren die bulgarischen Erzeugnisse begehrt und geschätzt.
Diese günstige Stellung der bulgarischen Produkte wurde durch den seit den
siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eindringenden W ettbewerb európai-
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16 Hermann Gross

scher Industrieerzeugnisse erschüttert. Da aber die H auptkonsum enten der hand*


werklichen Erzeugnisse die sehr konservativ eingestellte türkische Bevölkerung
war, wurden die meisten H andw erker und Hausindustriellen nicht zum Uber*
gang zu einer vollkommeneren Betriebsform gezwungen. Dies sollte sich nach
der Befreiung Donaubulgariens von den Osmanen bitter rächen. D enn nun gin*
gen dem bulgarischen Gewerbefleiß seine H auptabnehm er verloren; gleichzeitig
begannen die Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung (Beamtenschaft, Militär und
andere Intelligenz) sich zu verfeinern und die modernen ausländischen Fabriker*
Zeugnisse wurden in steigendem Maße den gröberen inländischen vorgezogen.
Der Absatz der bulgarischen Produkte im Osmanenreich wurde nach der Grün-
dung des Fürstentums durch den nunm ehr von der H ohen Pforte auch auf bulgari-
sehe Erzeugnisse erhobenen Wertzoll (von 8%) allmählich unterbunden. Verderb-
lieh wirkte sich für einige bulgarische Handw erke und Hausindustrien besonders
der Wegfall der großen Lieferungen an das osmanische Heer aus. Auch Rumänien
und Serbien, die früher bulgarische Erzeugnisse (besonders Gaitan-Schnüre) einge-
führt hatten, versuchten, ihre eigene Wollindustrie zu fördern und begannen, sich
gegen den Import abzusperren. Bosnien und die Herzegowina gingen mit der
österreich-ungarischen O kkupation als Absatzmarkt auch verloren.
Der Verlust der Absatzmärkte im In* und Ausland und die mit dem Ausbau
der Verkehrsmittel wachsende K onkurrenz europäischer Fabrikate sowie das
Aufkommen von Großbetrieben in Bulgarien selber haben zum Verfall des
Handwerks und zum Sprengen der Zunftverfassung geführt. Für seine Erhaltung
oder gar Förderung hat die Regierung wenig getan, da sie ihre ganze A ufm erk‫־‬
samkeit auf die Lösung und Regelung politischer Fragen und auf die Herstellung
einer gesicherten Rechtsordnung konzentrieren mußte. Erst das Gesetz von 1910
brachte eine gesündere und zweckentsprechendere Regelung der Handwerker-
frage. Das Industrieförderungsgesetz von 1928 endlich gewährte den Handwer-
kergenossenschaften beim gemeinsamen Bezug der Materialien die gleichen Vor-
züge wie den industriellen Unternehmen.
Im Gegensatz zu Bulgarien bestand in Anatolien das einheimische H andw erk
zum großen Teil aus Andersnationalen. Es hatte bis zum Eindringen der európai-
sehen Fabrikware eine beherrschende Stellung und führte seine Produkte zum
Teil sogar nach Europa aus (z.B. Mohairerzeugnisse aus Angorawolle).
Durch die zollpolitische O hnm acht des Osmanenreiches auf G rund der Kapi-
tulationen war das Gewerbe insbesondere in den Hafenstädten den billigeren
Erzeugnissen der europäischen Massenindustrie schutzlos preisgegeben, und da
eine Umstellung des H andw erks wegen Kapitalmangels und der Unfähigkeit zu
einer inneren Wandlung und Loslösung vom Althergebrachten nicht erfolgte,
büßte es seine Existenzgrundlage zum großen Teil ein.
Dagegen konnte sich in den wenig erschlossenen Gebieten im Innern des Lan-
des das einheimische H andw erk zusammen mit der Hausindustrie auf G ru n d
standortmäßiger Vorteile, niedriger Arbeitskosten und des großen Fleißes der
Haus- und H andw erker zum großen Teil erhalten; so vor allem die Stickerei,
Weberei, Töpferei, Schusterei und Sattlerei sowie die Gold- und Silberschmiede-
kunst, die mehr im kunstgewerblichen Sinne als zu reinen Gebrauchszwecken
betrieben wurden.
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Entwicklung des Handwerks in Südosteuropa 17

D u rch die Deportation der Armenier im Ersten Weltkrieg sowie die Flucht
und den Abzug der Griechen während und nach dem türkischen Befreiungs-
kam pf 1922 sind dem Land zahlreiche wertvolle Handwerkskräfte verloren
gegangen. Jedoch sind dadurch der Türkei bei ihrem damaligen niedrigen w in-
schaftlichen Entwicklungsstand keine nachhaltigen Schäden auf die Dauer ent-
standen. In der Folgezeit wurden die armenischen und griechischen Handwer-
ker durch aus Griechenland und Bulgarien — auf G rund des Bevölkerungs-
austausches — rückgesiedelte Türken, sog. muhacirs, sowie durch Einheimische
längst ersetzt und hat sich eine neue Generation von modernen H andw erkern
gebildet.
Die bemerkenswerte volkswirtschaftliche Entwicklung der Türkischen Repu-
blik durch Mechanisierung der Landwirtschaft, Motorisierung des Verkehrswe-
sens, fonschreitende Industrialisierung und Elektrifizierung hat zum Entstehen
neuer Handwerkszweige wesentlich beigetragen. Tüchtige unternehmungsfreu-
dige Arbeiter, die zunächst in Fabriken als Angelernte tätig waren und dort zu
Fachkräften aufgestiegen sind, haben sich öfter durch G ründung eigener Werk-
Stätten, zumeist Reparatur- und Mechanikerbetriebe, selbständig gemacht. In die-
sen Fällen erfolgte also eine U m kehrung des historischen Entwicklungsganges,
nämlich vom H andw erk zur Manufaktur und schließlich zur Fabrik, indem nun-
m ehr die Fabrik zur Ausbildungsstätte und zum Lieferanten m oderner Hand-
w erker wurde. Diesen Vorgang finden wir insbesondere in Entwicklungslän-
dern. Er ist der Beweis, daß auch die Industrie auf ein leistungsfähigeres Hand-
werk angewiesen ist, d.h. daß sich Industrie und H andwerk in ihrer Entwicklung
gegenseitig bedingen. Aus dieser Erkenntnis haben inzwischen auch die sozialisti-
sehen Staaten in ihrer Wirtschaftspolitik gegenüber dem H andw erk Konsequen-
zen zu ziehen begonnen.
In Istanbul haben sich diejenigen Handwerkszweige, die sich auch in der kapi-
talistischen Wirtschaft behaupten können, erhalten; sie sind noch größtenteils
(etwa zwei Drittel der Gewerbetreibenden) in den esnaf-Verbänden organisiert.
Diese Organisationen haben hie und da schon angefangen, in genossenschaftli-
eher F orm gemeinsam Maschinen anzuschaffen und moderne genossenschaftlich
organisierte Industriebetriebe zu errichten. Damit ist ganz allgemein der Weg
gewiesen, den das Handwerk auch in Südosteuropa gehen sollte, um im Kampf
gegen die inländischen wie ausländischen Fabrikerzeugnisse bestehen zu können.
Genossenschaftliche Organisationen mit Verbandsbildungen und Zentralstel-
len haben sich in Bulgarien und Ungarn, in geringem Ausmaß in Rumänien,
Jugoslawien, Griechenland und der Türkei entwickelt. Auf ihre Bedeutung, die
von Land zu Land recht verschieden ist, müßte in einem eigenen Beitrag einge-
gangen werden.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß im letzten Drittel des vorigen Jahrhun-
derts dem H andw erk in Südosteuropa seine frühere Stellung als der die breite
Volksmasse neben der Landwirtschaft erhaltende Produktionszweig größtenteils
verloren gegangen ist. Ähnlich wie in der westlichen Welt, hat auch das südosteu-
ropäische H andw erk die Herstellung von Massenartikeln an die Industrie des In-
und Auslands abgegeben und sich auf die Deckung des individuellen und örtlich
gebundenen Bedarfs sowie auf Reparaturarbeiten beschränken müssen.
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18 Hermann Gross

Bevölkerungspolitisch bedeutete diese Entwicklung, daß der Handwerkerstand


nicht n u r nicht in der Lage war, seine zahlenmäßige H öhe zu halten, sondern
daß durch seinen Niedergang auch zahlreiche Existenzen ihre Lebensgrundlage
verloren haben. Da der Verfall des Handwerks mit der Entstehung der fabrikmä-
ßigen Produktion im Südosten zeitlich im allgemeinen nicht zusammenfiel,
m ußte ein großer Teil der brotlos gewordenen H andw erker entweder auswan-
dern oder zugrunde gehen. N u r in wenigen Teilen Südosteuropas, hauptsächlich
in U ngarn und vereinzelt in Bulgarien, konnten sich Teile des H andw erks aus
eigener Kraft und mit heimischem Kapital zur Fabrikindustrie entwickeln; es
waren dies vor allem Textil-, Leder-, Holzverarbeitungs-, Maschinen- und Seifen-
fabriken.
Somit machte sich seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts außer von der Land-
Wirtschaft auch von dem Niedergang des alten Gewerbestandes her ein verstärk-
ter Bevölkerungsdruck in den südosteuropäischen Ländern geltend.
Erschwert wurde die Lage des Handwerks durch seine Zersplitterung, die man-
gelhafte fachliche Ausbildung und die Vernachlässigung durch den Staat, der sein
H auptaugenm erk auf eine möglichst schnelle Entwicklung der Industrie konzen-
trierte. O b w o h l sich die Regierungen aller südosteuropäischen Staaten nach der
Jahrhundertw ende um die Förderung der gewerblichen Ausbildung mehr oder
weniger bemühten, blieb diese doch ungenügend und wenig effizient. Außerdem
aber kam das Bestehen einer auch größeren Zahl von gewerblichen Schulen dem
Gewerbestand selbst vielfach nicht zugute, da ein Großteil der Absolventen ihre
Fachausbildung nicht in der Ausübung eines Gewerbes anwendete. Vielmehr
versuchten sie, bei dem allen Balkanvölkern eigenen Drang zur Beamtenstellung
.möglichst im Staatsdienst unterzukom men; das gleiche galt und gilt zum großen
Teil auch für die Absolventen der technischen und landwirtschaftlichen Schulen
und Hochschulen.
Als Fazit ergibt sich, daß auch in Südosteuropa nur ein allgemein und tech-
nisch gut ausgebildetes und durch Genossenschaften finanziell sowie marktmäßig
gekräftigtes H andw erk von der steigenden Verwendungsmöglichkeit des Klein-
m otors und mechanischer Hilfsmittel Gebrauch machen und seine Stellung
gegenüber der Fabrikindustrie behaupten und stärken sowie der einheimischen
Industrie die in zunehmendem Maße erforderlichen gelernten Arbeitskräfte zur
Verfügung stellen kann. D arum müßte es die Aufgabe aller Staaten, insbesondere
aber der noch verhältnismäßig wenig ausgereiften Volkswirtschaften sein, alles
ihnen mögliche zur Ausbildung und Erhaltung eines leistungsfähigen Hand-
werks zu tun.

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Entwicklung des Handwerks in Südosteuropa 19

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The Migrant Workers of the Balkans and their Villages


(18th Century — World War II)

Michael Palairet, Edinburgh

T hroughout the nineteenth century, about four fifths of Balkan households


engaged in subsistence farming. But even subsistence farmers need cash and as
population rose, surpluses of livestock, the traditional source of money income,
diminished relatively. So most peasant properties augmented their cash incomes
by the sale of grain, wine or truck crops. But migrant w o rk o r cottage industry
frequently provided an alternative source of money income in villages where it
was difficult to produce crop surpluses or to market them. T hroughout the
Balkans there were settlements whence a sizeable proportion of the able bodied
m anpow er spent their working lives in periodic labour migration, leaving the
w om en and the aged to tend the farms. In the Yugoslav lands periodic migrants
were called pecalbars, and in Bulgaria, by their occupational designations1. Ob-
viously, many pecalbar villages were located in mountain country, but as popula-
tion grew, so periodic migration spread into lowland villages which were never-
theless becoming excessively populous. Such villages were especially likely to
send out pecalbars if they lay within easy reach of active labour markets. Con-
versely, many mountain areas failed to send out labour migrants, because
demographic pressures were contained by other means, o r because the local
cultural milieu inhibited a positive response to immiseration2.
There were clear regional concentrations of pecalbar villages, making it possi-
ble to speak of a continuous pecalbar belt which in the late 19th century extended
from the western borderlands of Bulgaria and the adjacent regions of southeast
Serbia to the west and south through Old Serbia (Kosovo), the Macedonian
vilayets and the Pindus. O th er significant concentrations of pecalbar villages were
to be found in central Bulgaria, particularly in the okrag of Veliko T ãrnovo, in
the Stara Pianina and Sredna Gora, and in the Rhodope, especially to the n o rth
of Komotini. In Bosnia there was less com m itment to migrant w ork, but
substantial numbers of migrant workers from the Hercegovina engaged in
miscellaneous trades in the western Balkans3.
There is no satisfactory way of establishing by how much pecalbar activity ex-
panded during the nineteenth century. Most authors assume there was rapid ex-
pansion from the 1890s onward, but it is probable that they underestimate the
extent to which the phenomenon had already developed. It is clear from

1 The term gãrbetcija is occasionally employed.


2 See M .R . Palairet: The C u ltu re o f Econom ic Stagnation in M ontenegro. In: The M aryla n d
H istorian, 1986.
3 Jevto Dedijer: Hercegovina. Antropogeografske studije. In: Naselja srpskih zemalja V I (Belgrade
1909) 6 3 -6 6 .
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24 Michael Palairet

qualitative evidence that periodic migration was practiced on a significant scale


in the later eighteenth century, and that by the mid nineteenth century it was
becoming a mass phenom enon. At this time Constantinople acted as a magnet
which drew in many migrants from coastal Croatia, Dalmatia and Montenegro4,
and Bulgaria. In 1863, some 32,550 Bulgarians were w orking in the city and its
immediate environs5. It was long to remain open as a high-pay labour market
for pecalbar^. There were also the beginnings of a northw ard drift towards
Romania and Serbia, and by the early 1860s, Serbia received an annual inflow
of 5,000 migrant workers from the T urkish provinces7. By 1872 their number
may have risen to 80,ООО8, though this estimate is probably exaggerated. Subse-
quently, Serbia declined as a labour market for foreign pecalbars, and the flow
of them diverted itself first to Romania and (in the 1880s) to Bulgaria as well9.
Various authors provide regional data on pecalbar num bers in 1911 and 1913, and
with the caveat that most of it is unverifiable, we can compose an estimate of
the scale of pecalbar activity at this time. T he territories annexed from the Ot-
tom an Empire by Serbia in Macedonia and O ld Serbia probably sent out 92,800
pecalbars10 who would have comprised about 27 percent of the male labour force.
Most came from the m ountainous west of Macedonia, from villages and towns
alike, especially from the kazas of Tetovo and Debar, where pecalbar activity oc‫־‬
cupied 66 percent and 69 percent o f the m a n p o w e r11. N o t surprisingly, in this
region the earnings of migrant labour had a greater effect than the proceeds of
the harvest on the local cash e c o n o m y 12. This n u m b er seems, however, to have
been more o r less stable since 1889, since in that year the n u m b er of pecalbars

4 D jo rd jc D . Pejovié: Iseljavanja crnogoraca и xix vijeku. T ito g ra d 1962, pp. 103— 9.


5 N . Načov: Carigrad kato kulturen centãr na bãlgarite do 1877 g. In: S bornik B A N 19 (1925) 176.
6 See examples, Agram er Tagblatt X X I I (1912) 74; M iliv o je M . Savie: Zanati i industrija и prisajedin-
jenim oblastima i zanati и starim granicama kraljevine Srbije. Belgrade 1914, p. 210.
7 Report o f Consul-General L o n g w o rth on the Trade o f Servia in the Year 1863, (C. 3478 o f 1865)
p. 239, Pari. Papers 1865 L III.
* Paris. A rchive des Affaires Etrangers, Correspondance Com m erciale et Consulaire, Belgrade, tome
5, fo 50, 30 Dec. 1872.
9 V. Angelov: Buržoazijata i emigracijata. In: N o v o vreme X V II (P lovdiv 1914) 557.
10 Estimate based on a list fo r Macedonia in D uško H . K onstantinov: Pecalbarstvo. Bitola 1964, p.
90, plus 2,000 pecalbars fro m Pčinja (Preševo) see M .M . Savié: Zanati i industrija, p. 110. Konstan-
tin o v ’s figures appear to derive fro m tw o estimates in Savié, pp. 275— 82 and in D . Iaranoff: La
Macédoine économique. Sofia 1931, p. 134. F o r Kosovo we have used Rastko S. Purić: R abotnički
jug. Skoplje 1937, pp. 116— 7 prorated upwards in p ro p o rtio n to the in te rw a r reduction in numbers
disclosed by com paring the K onstantinov figures w ith those given fo r the Macedonian okrãgs in
Purić.
11 T aking the 1914 population o f these te rrito rie s at 1,496,000, and extrapolating a 0.66 percent an-
nual increase backward to 1900. M a rvin Jackson: C om paring the Balkan Dem ographic Experience,
1860 to 1970. In: Journal o f European Econom ic H is to ry X II (1985) 241,288. F o r the individual
provinces, estimated pecalbar numbers are compared w ith the population statistics fo r Macedonia
fo r 1894/5 in Vasil Kančov: Izbrani proizvedenija II. Sofia 1970, pp. 581— 3, dated on pp. 436— 7.
12 Izveštaj b itoljskog konsulata о p rivre d i, trg o v in i i saobračaju и b ito ljsko m vilajetu za 1894tu
godini. In: Srpske novine 11 Feb. 1895, 158.
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The Migrant Workers o f the Balkan and Their Villages 25

leaving the vilayet of Monastir (Bitola) was put at 30,ООО13 while the same ter-
ritory sent out 33,200 in 1911/13.
The northw ard extension of the pecalbar belt into the okrugs of Vranje, Pirot
and T im ok in southeast Serbia included about 53,400 migrants14 or about 45 per-
cent of their m anpow er on the basis of the 1900 census15. In 1892, the adjacent
Trãn okrãg of Bulgaria supplied a further 3,574 pecalbars, mainly builders, or
about 19 percent of its m a n p o w e r16. F o r the southern extension of the belt into
present day Greece we lack numerical data. The other major pecalbar zone in the
okolijas of G. Orjahovica, Elena and V. T ãrnovo in north central Bulgaria sent
out 11,960 migrants in 190017, mainly as market gardeners, a figure which then
rose steadily to a peak of 21,620 by 190918. D uring the interwar years, increased
political stability in Macedonia, land reform, economic depression and the
nostrification of labour markets reduced the volume of migrant labour activity19.
Southern Yugoslavia (including Serbia’s pre-1913 territory) is estimated to have
sent out an annual average of 50,095 pecalbars in 1920—3520. The supply was
potentially much greater, for in times of serious unemployment, many would
be discouraged from seeking w ork, so during the economic upswing of the late
1930s, numbers may have returned to around 100,ООО21.

Pecalbar occupational structure

Konstantinov claims that some 45 percent of pecalbars from Yugoslav Macedonia


worked as general labourers, in farm w ork, road mending and factory labour.
This is probably an overestimate since farm labouring was not a characteristic
occupation am ong pecalbars from Macedonia. According to the same writer, the
building trade occupied 35 percent, while 20 percent engaged in various commer-
cial, artizanal and catering activities22. East Serbia’s pecalbars engaged mainly in
building and ceramic w ork, as did those of west Bulgaria. Building workers also
came to Serbia from Osata in eastern Bosnia, though in diminishing numbers23,

13 Repon fo r the Year 1889 on the Trade o f the C onsular D is tric t o f Salonica, p. 23, P.P. 1890— 91,
L X X X V III.
14 M y estimate based on D ju ra Z la tko vié -M ilié : Z ia vremena. M onogrāfijā Lužnice (1876— 1945).
Babušnica 1967, p. 104 and o th e r data.
15 Assuming m anpower at 25 percent o f population.
16 Izloženie za sãstojanieto na T rā n sko to okražie prez 1891— 1892 g. Sumen 1892, p. 48— 9.
,‫ י‬H r. St. H in k o v : Statističeski svedenija otnositelno stranstvujuštite gradinari ot Tam ovskija okrág.
In: Spisanie na Bälgarskoto ikonom ičesko družestvo V II (1903) 1— 2, pp. 91-2, n .l.
18 Izloženie za sãstojanieto na T ã rn o vsko to okražie prez 1908— 1909 g. V. Tãrnovo 1909, p. 31.
19 Petar S. Jovanovié: Poreče. In: Naselja i p o re klo stanovništva X X V III (Belgrade 1935) 287.
20 Purić: R abotnički jug, p. 117.
21 Rastko S. Purić: Analiza sastava radnistva i radnog tržista južne Srbije. In: Socijalni A rh iv V (1939)
p. 140.
22 Konstantinov: Pcčalbarstvo, p. 30.
23 L ju b o m ir Pavlovié: Kolubara i Podgorina. Belgrad 1907, p. 423; V la d im ir Karić: Srbija. O pis zemi-
je. Belgrade 1887, p. 416; M. D j. M ilicevié: Kneževina Srbija. Belgrade 1876, p. 116.
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26 Michael Palairet

while those of Popovo Polje in the Hercegovina specialized in stonem asonry24.


The main migrant occupation of n o rth central Bulgaria was market gardening,
but building w ork and pottery predom inated among the migrant w orkers of the
G abrovo villages. In the eastern R hodope builders were the most numerous in
a group which also included coppersmiths, tailors and confectioners25.
Before 1914, most pecalbars w orked in gangs. Farm labour was usually organiz-
ed by recruiters, dragomans, w ho had previously contracted to supply m anpow er
at an agreed price with interested landowners. The labourers were maintained
at the expense of the employer, and were paid a contract wage by the
dragoman26. Building, brickmaking and market gardening workers, however,
usually formed their own locally based artels, which comprised w orkers with dif-
fering skills and experience. T heir members were organized according to a hierar-
chy of masters, journeymen, and apprentices, and each, according to his status,
received a share in the net earnings of the artel. Builders* artels w ould normally
contract their w ork by the job27. Those of market gardeners w ould take a lease
on a garden plot and a market stall28. In the building trade, the gang leader or
neimar would either spend the w inter in the area where his gang w ould work,
o r visit it before Easter, to sign up clients. H e then returned to his village (or
sent an intermediary) to gather up the men and lead them as a party to the place
where they would begin w o r k 29. An arrangement widespread among the
Bulgarian builders, (at T rän 30, probably at Trjavna31, and in the R hodope)32 was
for the artels to dispose a particular to w n o r territory where they alone enjoyed
the right (or jurija) to practice their trade. T he artels lived, w orked, slept, and
ate communally, their maintenance being treated as an overhead charge against
gross receipts. The members were paid at the end o f the season in the form of
a dividend. Some of this money might be paid in advance, in which case it was
sent directly to the families of the w o rk ers33, either by a m em ber of the artel or
by a courier (saidžija), whose function was also to maintain informational contact
between the artel and its home village34.

24 M ile n ko S. F ilip o vic & Ljubo M ičevic: Popovo и Hercegovim . Sarajevo 1959, pp. 130— 33.
25 Stavri Zaprjanov: Iz m inaloto na Zlatograd (5 parts). In: R odopi 7 (1977), 29— 30.
26 Vlad. N ik o lic : О pečalbarima iz iztocne Srbije. In: G lasnik Etnografskog muzeja и Beogradu V I
(Belgrade 1931) pp. 14— 15.
27 Pavlovié: Kolubara, p. 423.
28 M arin St. Sirakov: G radinante ot T ãrnovsko v stranstvo. V. T ã rn o vo 1922, p. 16.
29 Konstantinov: PeČalbarstvo, p. 28; Petar ConČev: Iz stopanskoto m inalo na G abrovo. Sofia 1929,
p. 37.
30 G rig o r Vasilev: D julgerskite sdružavanija iz Trānsko. In: Spisanie na Bälgarskoto ikonom ičesko
družestvo V II (1905) pp. 697— 8.
31 Asen Vasiliev: M ateriali za trjavnenskite narodni m ajstori stro ite li i rezbari. In: Izvestija na In-
stituta po gradoustrojstvo i a rh ite ktū ra p ri B A N , 1952, 219— 21.
32 Tanja Boneva: Proizvodstven b it na djulgerite o t srednite R odopi prez vtorata polovina na xix i
načaloto na xx vek. In: Bälgarska etnogrāfijā III (1978) 2, pp. 40— 1; St. N . Siskov: D julgerskite
sdružavanija v Rodopite. In: Rodopski napredak I I I (1905) 173— 4. In the Rhodope, the system was
also applied in the coppersmiths' trade, see Zaprjanov: Zlatograd I (7) p. 29.
33 G. Vasilev: D julgerskite sdružavanija, 699.
34 M ile n ko S. F ilipovic: Debarski D rim k o l. Skoplje 1939, p. 50; Berissav A rs itc h : La vie économique
de la Serbie du sud au x ix ‫־‬e siècle. Paris 1936, pp. 152— 3; K onstantinov: PeČalbarstvo, p. 49.
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The Migrant Workers o f the Balkan and Their Villages 27

In the first half of the nineteenth century, most demand for the services of
agricultural labour gangs emanated from the latifundia (cifliks) in Eastern
Bulgaria, the D obrudža, and the environs of Thessaloniki, Adrianople and Con-
stantinople. At least till the 1840s much of this labour was impressed. The migra-
tion was not created artificially, however. In 1839, 3,000 harvest workers were
sent from T ãrnovo okolija to the Dobrudža. It was claimed that if only they were
paid honestly, according to their contract, “ these harvesters would go to the
harvest in future o f their ow n volition.” The same point was made the following
year35. Free labour was willing to travel huge distances to the estates, as for exam-
pie the peasants from the sandžak o f Niš, w ho in the 1850s, travelled each year
in gangs 200—500 strong to the environs of Constantinople, a walk of 20 days,
to reap, thresh, plough, and sow and then to retu rn 36. After mid century,
Romania drew increasingly heavily on its Balkan neighbours for pecalbar labour.
In the 1860s, Bulgarian businessmen took short leases on estate lands in Romania
which they would farm as large scale undertakings, using the migrant labour of
their fellow c o u n try m e n 37. At the tim e of Bulgaria’s liberation the num ber of
such workers going to R om ania from northern Bulgaria was around 40,ООО38 but
as large numbers of peasants were gaining land of their own, so numbers declined
to 15,000 in 189239, and recruiters widened their catchment into Zaglavak in
eastern Serbia. Here, a hitherto p o o r but sedentary peasantry welcomed the op-
p o rtu n ity so presented40, and dragomans operating in eastern Serbia would put
together gangs of 100—300 labourers41, by which means they provided the
Rom anian estates with an estimated 30—40,000 workers a year on the eve of
W orld W ar I42. Significant numbers were also beginning to migrate from Serbia
to H ungary for estate labour at this time, as pay and conditions there were more
attractive43. 1,500—2,000 came each year from the Mačva, in northwest Serbia44.
Though agricultural tasks probably occupied the largest group of pecalbars,
these were the occupation only of a continually shifting fringe group which lack-
ed any specific skill to offer, and in villages long established in periodic migration
most labour migrants specialized in more skilled and remunerative occupations,
particularly building. Southeast Serbia’s pecalbars were mainly farm workers in
the mid nineteenth century, but these were exceptional by 1912, when nearly

35 D o k u m e n ti za bãlgarskata istorija, III. Sofia 1940, documents 452 and 473.


36 Za položenieto i stopanskata dejnost na bãlgarskata emigrācijā väv Vlaško prez xix vek. In: D.
Kosev et al.: Bãlgaro-Rumãnski vrãzki i otnosenija prez vekovcte. Izsledvanija I (xii-xix v.) Sofia
1965, pp. 3 4 5 -5 7 .
38 L ’agriculture et l ’exp lo ita tio n du sol en Bulgarie. France. Bulletin consulaire, 1884, p. 757. The
figure o f 50,000 is given, but generous allowance is made fo r the probable num ber o f market
gardeners included w ith in it.
39 Sirakov: G radinarite, p. 52, n. 1.
40 D ragoljub K. Jovanovic: Iz T im o čke krajine. KnjaževaČki okrug. In: Glasnik srpskog učenog
društva L X X (Belgrade 1889) 156— 7.
41 V la d im ir M . N ik o lic : Iz Lužnice i Nišave. In : Srpski etnografski zb o rn ik X V I (Belgrade 1910) 37.
42 Dragiša Lapčevic: Položaj radnicke klase i sin d ika ln i pokret u Srbiji. Belgrade 1928, p. 288.
43 N arodna skupština. X III redovni sastanak 30 maja 1912. Stenografski zapisnici, p. 10.
44 Slavoljub Panic: MaČvanski pečalbari. Belgrade 1912, pp. 11— 12, 16, 19.
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28 Michael Palairet

nearly all had switched to the building and pottery trades45. H itherto passive
regions to the north subsequently supplied most of the labour for the Romanian
estates. But even in these regions which had been newly brought into labour
migration, workers were soon seeking better paid w ork in the building trade46.
T h e building craft appears to have been communicated to Bulgaria and Serbia
from west Macedonia. This region probably provided the largest concentration
o f Balkan builders, till the late nineteenth century. In certain west Macedonian
settlements, building was a skilled trade of several centuries standing. Later in
this essay, we will take one such settlement, the township of Galičnik near
Debar, as a case study of the experience of a classic pecalbar village. Pecalbars
from west Macedonia, and in particular, the Dibrailije, the migrant builders of
D ebar to w n and its outlying villages, were famed for their architectural skills,
o r at least for their ubiquitous availability as constructional labour. When the
Danube-Black Sea railway was built in the 1870s, most of the masons were
“ Christians from Albania w ho swarm(ed) all over European Turkey and
return(ed) home in the winter m onths,” but faithfully returned each year47. In
the course of their migrations, they would pick up unskilled assistance in the
areas they worked. They also tended to emigrate, and resettle when favourable
opportunities occured. By both these means, they communicated their skills, and
som ething of their architectural style to most of what were to become the major
Balkan building centres of the nineteenth century. The builders craft at Trän was
learned from the Dibrailije**, as also at G abrovo49, and Momčilovci in the
R hodope50, and woodcarving at Trjavna51, most probably through the recruiting
o f assistant workers at these places, while Debãrstica village52 and Bracigovo
tow n acquired the craft directly through immigration from west Macedonia.
Bracigovo builders in turn took assistants from Trjavna and Drjanovo, Bulgarian
mountain townships which were also to become noted building centres53, and
from Smolsko village (Zlatica district)54, which subsequently specialized in the
trade. Trjavna thence communicated its skill in turn to other centres55. Builders

45 Petrovic: Pecalbari, pp. 20— 22.


46 M a rin k o T . Stanojevic: Zaglavak. Antropogcografska prouČvanīja. In: Naselja srpskih zemalja IX
(Belgrade 1913) 16» 123.
47 H e n ry C. Barkley: Between the Danube and Black Sea. London 1876, pp. 56— 7.
48 R. T o d o ro v : Träncaninät kato stroitel. In: S bornik Tränski kraj, ed. R. T o d o ro v. Sofia 1940,
p. 462.
49 Cončev: G abrovo, p. 38.
50 K onstantin Kanev: M in a lo to na selo M om čilovci, Smoljansko. Prinos kam is to ria ta na srednitc
Rodopi. Sofia 1975, pp. 437— 8.
51 D . Jaranov: Preseličesko dviženie na Bälgari ot M aķedonija i A lbānijā kam izto čn itc Bãlgarski zemi
prez XV do x ix vek. In: Makedonski pregied (Sofia 1932) 2— 3, p. 73.
52 Ibid.: 80, 108.
53 Peju N . Berbenliev & V .H . Partčev: Bracigovskitc majstori stroiteli prez x v iii i xix vek i tjahnoto
a rh ite k tu rn o tvorčestvo. Sofia 1963, p. 13— 15, 20, 148.
54 S bornik o t statistiČeski svjedenija za stopanskoto položenie na Zlatiskata o k o lija (Sofijsko okražie).
Sofia 1888, p. 19.
55 Asen Vasiliev: Bãlgarski vāzroždenski majstori. Sofia 1965, pp. 19, 101.
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The Migrant Workers o f the Balkan and Their Villages 29

from west Macedonia also communicated their skills to Serbia. The woodwork*
ing craft was learned from the Dibrailija sawyers in the Ibar valley56, and the
building craft reached southeast Serbia by similar means57.
T hanks to their acquired skills, the Balkan building neimars could build not
only cottages, but also the public works of the period, including stone bridges,
administrative buildings and above all, the O rthodox churches which were reap*
pearing in the O tto m an Balkans, structures often of considerable artistry, com-
plete with finely carved doors and iconostases, murals, frescos, and icons. At
Trjavna, some building artels included the full range of skills needed for such
w ork. A village church could be run up by them for as little as £ 18 sterling58.
T he art of the Balkan building artels may also be seen in the elegant facades and
interiors of the tow n houses they built for the rising Christian bourgeoisie.
Markets for the building trade were quite as diffuse as for agriculture, since
much of the w ork was to be found in the Balkan villages, where building jobs
were usually combined with agricultural work, at least if no building w o rk were
available59. A few builders from Macedonia were at w ork in Serbia in the 1830s,
though the authorities regretted there were not more of them, but by the 1860s,
their numbers had grown so much that the threat they posed to domestic crafts-
men led to restrictive measures being taken against them 60. By 1872, their remit-
tances from the country had attained £ 200,000 sterling61, a consideration which
also excited the complaint that they caused a shortage of m oney and created debt
problem s62. Till the 1870s, some 5,000 of these builders were Bulgārs from Trän,
w h o came to Serbia each sum mer63, but this flow reversed itself in the 1880s and
’90s, when all within reach of Sofia, including the Serbians of Pirot, converged
for building w ork in that rapidly expanding new capital city64. At first the
rebuilding of Sofia depended on Italian artizans, but the builders from Bulgaria
and Macedonia w ho assisted them were quick to pick up their skills and to
displace them 65. The great attraction of work in Sofia, at least for west Bulgarian

56 R adom ir M . Ilic: Ibar. Antropogeografska proučvanija. In: Naselja srpskih zemalja III (Belgrade
1905) p. 565.
57 Rista T . N ik o lić : Krajište i Vlasina. In: Naselja srpskih zemalja V III (Belgrade 1912) 55.
58 A . Vasiliev: Vazroždenski majstori, pp. 17— 8, 102.
59 Ljub. V. Jankovic: Iz narodnog života и p irotskom okrugu. Pečalovina. In: Srpski književni
glasnik V II (1902) 59; Petrovic: Pecalbari, p. 17; Rista T . N ik o lić : Poljanica i Klisura. In: Naselja
srpskih zemalja III (Belgrade 1905) p. 50; V e lim ir Vasic: PeČalbarstvo istočne Srbije. unpublished
Ph. D . Belgrade 1950, pp. 48— 9; D . Usta-GenČov: Žetvarskite zadrugi n iz Tarnovsko. In: S bornik
za narodni um otvorenija, nauka i knižnina V II (1892) 485.
60 Ljubisa D o klcstik: Makedonskite vo Srbija i n iv n o to uČestvo vo nejziniot stopanski i opštestven
život vo xix vek. In: Glasnik na in s titu to t na nacionalna istorija X III (1969) 14— 15.
61 Report by Consul-General L o n g w o rth on the Trade o f Servia fo r the Year 1872, Belgrade 26 N o v .
1873, p. 343, P.P. 1874 LXVI.
62 Svetozar M arkovié: Celokupna dela. Belgrade 1912, pp. 66, 69— 70, 74.
63 K onstantin Jireček: Knjažestvo Bālgarija. Plovdiv 1899, II, p. 506.
64 Delčo Sapundžiev: B itovi kooperativni sdruženija. Sofia n.d. pp. 96— 7; Petrovic: Pecalbari, pp. 20,
2 4 -5 .
63 K ra tk o izloženie po zemledelieto i zanajatite v Bãlgarija. Sofia 1889, p. 21; Jovan C vijic: Osnove
za gcografiju i ģeoloģiju Makedonije i stare Srbije III (Belgrade 1911) p. 1010.
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migrants, was that they could now w o rk w ithout interruption at their trade, in-
stead of winning fitful building jobs along with less well paid general labouring66.
But despite the attractions of Sofia, there was no lack of alternative outlets.
Rhodope builders preferred to w ork on the Aegean coast and in the islands67.
Most of the 2—3,000 Bulgarian building pecalbars w h o began to depart from the
G abrovo villages68, and the carpenters and masons of T rojan69 went, like the ma-
jority of those from Macedonia, to Romania. Belgrade too remained a significant
market for pecalbars, who still dominated the building trade there as late as
190770. Most were now Serbian nationals, for the boom which had drawn foreign
builders into the country was past. Belgrade nevertheless attracted some
755—1042 seasonal building workers from Macedonia in 1897—190571.
Closely related to the building skills were those of w orkers in ceramic. The
largest concentration of the brick and tile making craft was at Svrljig and
Vlasotinci in southeast Serbia. The trade was practiced by gangs of 6—8 men
whose leader would contract with the ow ner of a brickyard to produce at an
agreed rate per hundred bricks, or would lease the brickyard himself, and deliver
the product at a contractual price72. Before W orld W ar I, brickmakers had little
trouble finding w ork, even though their techniques were usually backward,
because demand for builders’ supplies was expanding73, and they found w ork in
H ungary, Bosnia, Romania, Bulgaria, and Serbia itself74. Brickmakers from Pčin*
ja found higher pay working in Austria75. In Macedonia the trade centred on
Veles and its villages, which sent out 5,000 brickmakers a year76.
The major Balkan focus of the potters craft was southeast Serbia. T w o
Bulgarian centres, Businci, Trãn okrãg77, and Elena (at least in the 1830s)78
specialized in finer pottery. Coarse pottery also engaged 66 percent of the men
in six G abrovo villages. In summer they would load their carts with pots and
barter them in northern Bulgaria for the quantity o f grain that the vessels would
hold79. In southeast Serbia it was the lower lying villages which specialized in

66 H erbert W ilh e lm y: Hochbulgarien, I. K iel 1935, pp. 284— 5.


67 Siškov: D julgerskite sdružavanija, 172; Kanev: M o m č ilo v c i, p. 447.
61 Cončev: G abrovo, p. 38.
69 F. Kanitz: La Bulgarie danubienne et le Balkan. Paris 1882, p. 247.
70 Dragiša Lapčevic: О D ržavnom Budžetu. Belgrade 1907, p. 28.
71 G lig o r T odorovski: M igracioni pokreti u M akedoniji od Berlinskog kongresa do početka prvog
Balkanskog rata 1912 godine. In: Jugoslovenski istoriski časopis, 1970, 3— 4, pp. 125— 6.
72 Vasic: PeČalbarstvo, pp. 150— 1, 167.
73 Stenografski zapisnici, 1912, p. 10.
74 R .T. N ik o lié : Krajiste i Vlasina, 56— 7; M iliv o je M . Savie: Nasa industrija i zanati I. Sarajevo 1922,
p. 296; Stenografski zapisnici, 1912, p. 10.
75 Savié: Zanati i Industrija, 277. Pčinja was a fragment o f Serbia rem ainine w ith in T u rk e y after 1878.
76 Ibid., pp. 2 8 0 -1 .
77 S.D. Petričev: U slovija za razvitie na moderno grlnčarstvo v vrãzka s m ineralnite bogatstva na
Trãnsko. In: Sbornik transki kraj, p. 471.
78 S.S. Bobčev: Elena i Elensko prez vrcme na O sm anskoto vladičestvo. Sofia 1937, p. 15.
79 Cončev: G abrovo, pp. 493— 6.
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The Migrant Workers o f the Balkan and Their Villages 31

ceramic w ork, probably because these disposed supplies of suitable clay80, but as
their product was coarse and bulky, most potters had to migrate to w ork. In the
1880s they w orked their way round the villages81, but increasingly traded in the
tow ns82. Though the masters might return to their villages in winter, they would
usually bring an assistant whose task it was to sell off the produce which remain-
ed from the sum m er w orking season, so many of these shops, to be found in
most Serbian provincial towns, became permanent pottery businesses83. At
Kruševac there was an entire street of potters, all pecalbars from the Pirot
region84. Markets for Serbian potters also included Bulgaria and Romania, where
they encountered and undercut competition from Bulgarian workers. Romania
was a favoured market especially during the spring pomana festival w hen pottery
was a traditional gift85.
Pecalbar labour also extended to a wide range of miscellaneous occupations,
often the specialty of a single village or locality. F rom the Suva Pianina in
Kosovo Cartwrights would set out for Serbia86. From G olo Brdo, in the Albanian
borderland, w oodw orkers of Steblevo village fabricated wooden implements as
pecalbars in R om ania87, and from Klenje village itinerant tailors sewed from
house to house in nearby D rim k o l88. Cooperage is a frequently mentioned
pecalbar skill, associated especially with Gara village in Vlasina (southeast Ser-
bia)89. At Trjavna in central Bulgaria, icon painters would practice their art in
their w orkshops in winter, and set out each summer to sell their products90. At
Janjevo, a Catholic tow nship of 400 houses in Old Serbia, the one time mining
and smelting industry of N o v o brdo had given way to the small scale casting of
bronze trinkets, especially icon lamps, rings and bracelets. In February the men
would fill their saddle-bags with these artefacts and distribute them throughout
the Balkans, together with miscellaneous textile goods. This trade continued up
to W orld War I, though by then Janjevo bronzeware was being displaced by fac-
tory goods, causing 200 families to emigrate to Pittsburg and Chicago91.

80 M .M . Savié: Naša industrija I, p. 296; Vasié: PeČalbarstvo, p. 112; Borivoje M . D robnjakovié:


Jasenica. In: Naselja i po reklo stanovništva X I I I (Belgrade 1923) 218.
81 M. D j. M ilicévié: Kraljevina Srbija. N o v i krajevi. Belgrade 1884, p. 243.
82 Karic: Srbija, p. 408.
83 V .M . N ik o lic : Iz Lužnice, p. 29.
84 Olga Savie: Kruševac i njegova uticajna sfera. Belgrade 1969, p. 85.
85 Vasié: PeČalbarstvo, pp. I l l , 167.
86 Lj. St. Kosier: Srbi, H rv a ti i Slovenci и A m erici. Ekonom sko socijalni problem i emigracije.
Belgrade 1926, p. 8.
87 M ile n k o S. F ilip o vic: G o lo brdo. Beleske о naseljima, poreklu stanovnista, narodnom živo tu i
obiéajima. Skoplje 1940, p. 48.
88 F ilip o vic: G o lo brdo, p. 50; Idem: Debarski D rim k o l, p. 48.
89 R.T. N ik o lic : Krajište i Vlasina, 57.
90 Iv. GoŠev: V T rjavna prez vrem eto na poslednite tãrnovski grãcki vladini (1820— 1870). In: Bälgar-
ska istoričeska biblioteka III (1930) 201— 2.
91 Ivo Strahonja: Janjevo. Jedino hrvatsko mjesto na kosmetu. In: M atica iseljenicki kalendar, 1956,
184— 6; T o d o r P. Stankovic: Putne beleske po staroj S rbiji 1871— 1898. Belgrade 1910, pp. 93— 4;
Savié: Zanati i industrija, p. 277.
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32 Michael Palairet

M any of these pecalbar activities were of a business nature, and pecalbars were
to contribute significantly to the formation of a business class in the Balkans.
T he Cincars o f the Macedonian mountains and the Pindus were — at least by
origin — transhum ant sheepraisers w ho migrated between the sum mer grazings
in their homelands and winter pastures near the Aegean shore. Their high villag-
es around Kastoria and Monastir had no other economic function than as secure
grazing bases for the families, for the Cincars rarely engaged in agriculture. The
nomadic life developed their awareness of the opportunities which existed for
trading between regions of differentiated resources and culture. Their sheeprais-
ing origins showed up in an especial inclination towards the dairying trades, car-
rying, the keeping of inns and cafes, thence towards commerce in general. They
seem however to have eschewed manual labour. They would characteristically
remain away from their villages for an entire working lifetime, normally 30 years
(the Kruševo gurbet) subsequently to return and live by usury from their
savings92. Villagers of other ethnic groups emulated them, and among these,
especially the Albanians, we find a whole range of pecalbar trades associated
mainly w ith catering, including bakery work, the making and vending of
sweetmeats and soft drinks93. Here is another migrant trade which appears to
have been diffused through the Balkans from Macedonia. The villagers of Žednja.
southwest Bulgaria, were taken on in the 1840s as assistants by halva makers
from Macedonia. Later they formed their own artels which leased shops in the
towns, where they made halva by night and distributed it on the streets by day94.
Before 1914, catering migrations were confined mainly to the Balkans, though
we also find restaurateurs from Macedonia established in Egypt95, and Prilep men
rather less well established, making and selling sweetmeats at street corners in
Leipzig and Vienna96. There was no mistaking the business proclivities of the
pecalbars91, and the enterprise attitudes they displayed were much at odds with
the then prevailing social values of south Slavdom. O f the Hercegovinian
pecalbars, another group similar to the Cincars, whose long range trade activity
probably evolved from origins in transhumance, it was observed that unlike
most Dinaric peoples, w ho “ valued heroism more than wealth,” they regarded
poverty as shameful, and responded by distinguishing themselves in business
th ro u g h o u t the Balkans98. A contem porary disparagingly associates the pecalbar
lifestyle with the “ small shopkeeper spirit” , and “ an earnings psychosis of in-
satiable greed” 99. Seen in a developmental light, it was just such a “ psychosis”
which was needed to overcome the immobilities of a subsistence culture.

92 D.J. Popovié: О C incarim a. 2nd ed. Belgrade 1937, pp. 85— 6.


93 Jovan C vijié : La péninsule balkanique. Géographie humaine. Paris 1918, pp. 410— 11.
94 N . K o n stantinov: Stopanski fo rm i i tehnika na industrijata v Bãlgarija predi osvoboždenieto. In:
Spisanie na Bälgarskoto ikonom ičesko družestvo V I (1902) 274.
95 Josip Z ib ilic h : Egipat i jugoslavenski iseljenici и njemu. In: Matica iseljenicki kalendar 1956, 182.
96 Jovan Hadži-Vasiljevic: Prilep i njegova okolina. Belgrade 1902, p. 44.
97 Purié: R a b o tn icki jug, p. 121.
9* Jovan C vijié : Metanastazicka kretanja. N jih o v i uzroci i posledice. In: Naselja i po reklo stanov-
ništva (Belgrade 1922) 61.
99 V la d im ir D v o rn ik o v ié : Karakterologija Jugoslovena. Belgrade 1939, pp. 664— 5.
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The Migrant Workers o f the Balkan and Their Villages 33

The periodic migrants of the Veliko Tãrnovo villages in Bulgaria were a highly
distinctive group. Most were market gardeners, but gardening was not a skill in-
digeneous to this area. Migrants from the Tãrnovo villages are claimed to have
learned their trade by working for the Karamanli gardeners w ho supplied the
Constantinople market with its vegetables. In about 1754, one group, led by a
certain Cani Bradvička, frustrated by its exclusion from the Constantinople
gardeners’ guild, began instead to practice the gardening trade at Kronstadt (now
Brasov), in Transylvania100. Its success encouraged emulation and the diffusion
of gardeners tajfas from Tãrnovo okrãg through the tow ns of Romania, Serbia
and Hungary, and later in Russia. By 1914, this was their fastest expanding
market, and 4,512 Bulgarian gardeners were then at w o rk there, mainly in the
Ukraine and the Caucasus101. Disposing a skill which was in short supply,
Bulgarian gardeners faced little native competition in the countries where they
worked, and enjoyed considerable prosperity. They introduced their trade to
Serbia in the early nineteenth century and for a long time they enjoyed an effec-
tive m onopoly there*02. Early in the twentieth century, they were arriving in the
U.S.A., where a num ber of Bulgarian market gardens were established103, and
between the World Wars in Brazil and Uruguay*04, but in the Americas they fail-
ed to make much impact as gardeners. Rather they merged quickly into the
general labour market.
Nearly all pecalbars were male. The women stayed in their villages, where they
worked on the land. This represented a less than perfect but nevertheless rational
division of labour which harmonized with the patriarchal values of the village.
Though in Serbia, Bosnia, and Montenegro, it was unthinkable for a w om an to
work away from h o m e 105, young unmarried women in Bulgaria and Macedonia
could become, in effect, pecalbars. A widespread practice was for girls to take part
in organized harvesting gangs which went out each year to the latifundia round
Thessaloniki106 and in southeastern Bulgaria107. These were very short term
migrations, even though they involved movement over considerable distances,
but longer term migrations for domestic service were also undertaken. Girls
from Vakarel in western Bulgaria, and from the ethnic Bulgarian villages round
Bosiljgrad108 (annexed by Yugoslavia) were customarily sent to the cities for
domestic service. At Vakarel, the servant trade is said to have originated from

100 C. Gincev: N e k o lk o durni ot istorijata na naseto gradinarstvo (bahčovandžilak) i za uredbata na


gradinata. In: T ru d 1 (V. Tãrnovo 1887) 1184— 6.
101 Sirakov: G radinante, p. 13.
102 K lim ent Džambazovski: Bugarski bastovani kao pecalbari и kneževini S rbiji. In: Balcanica IV
(1973) 22 5 -3 6 .
103 25-godišen jubileen almanah na v‫־‬k ‫ ״‬Naroden glasfł i Bãlgarite v A m e rika, ed. Vasil Stefanov.
G ranite C ity , III. 1933, pp. 255— 7.
104 M arija Salaverova & Vasil M utafov: Po sveta za kãsce hljab. Sofia 1977, pp. 25— 6; N ik o ła j
Georgiev: Bãlgari v južna Am erika. Sofia 1965, pp. 55— 65.
105 Vasié: PeČalbarstvo, p. 96.
106 E.M . Cousinery: Voyage dans la Macedoine. Paris 1831, I, pp. 93— 6.
107 Usta-Gencov: 2etvarskite zadrugi 484— 95; Cončev: G abrovo, pp. 38— 43.
108 Vasié: PeČalbarstvo, pp. 97— 9.
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34 Michael Palairet

the practice of the T u rk s at Samokov of inducing the peasants to send the girls
as servants. This encouraged the subsequent growth of the trade, and at Vakarel
in 1920, 70 percent of all girls between 14 and 20 years of age were in service,
mainly in Sofia109. Moreover the early textile factories round G abrovo drew on
young female labour from the surrounding villages110, a supply side advantage
which gave them an edge over their competitors in regions where only male
labour was offered111.
As comm unications improved, pecalbar activity ceased to be confined to the
Balkans. By 1914, almost all regions identified with periodic migration, especially
west Macedonia, were sending emigrants to the U.S.A. Some 27,000 persons
from Macedonia migrated there between 1903 and 1909112. They were regarded
in their villages simply as pecalbars, and in fact most of them were young men
w ho sent heavy remittances back to their families, and a high proportion of them
duly retu rn ed 113. F o r example, the villages of Sirinačka Żupa in O ld Serbia sent
5—600 emigrants to N o rth America between about 1890 and 1914. They were
claimed to be earning 2,000 dinars a year each, and most are said to have returned
within 2—6 years114. Some of these pecalbar immigrants maintained their distinc-
tive trades in the U.S.A., but as they needed to find employment quickly, most
worked initially on railroad construction115, or as factory and railroad round-
house labour116. The increasing numbers w ho abandoned their original commit-
ment to return subsequently moved massively into business, notably in the cater-
ing trades. Pecalbars were beginning also to find w ork in western Europe: Pirot
peasants were reported to be working in France as tailors, and in G ermany in
the metal trades117. T he oil industry at Baku also attracted migrants from
D ebar118.
Between the wars, the international market for pecalbar labour virtually col-
lapsed. N o t only was the U.S.A. closed as the “pecalbar eldorado,” but so too
was Greece in 1927, and during the slump virtually every other former labour
market. Even worse for pecalbars, who were accustomed to migrating long
distances, a Yugoslav law of 1928 hit their interests by giving priority in employ-
ment to locally resident labour119. Even so, pecalbars presented themselves

109 G . Gunčev: Sluginstvoto v Vakarelsko. In: Spisanie na Bälgarskoto ikonom ičesko družestvo
X X X II (1933) 9 3 - 4 , 99.
110 Cončev: G abrovo, pp. 539— 41.
111 A . Rakovska: Ženskijat naemno-rabotniški tru d v Bāl gari ja i negovoto razvitie. In: N o v o vreme
IX (1905) 7 1 4 -5 .
112 Emigrācijā Makedonaca. In: Stampa X (1911) 356, p. 1.
113 This is discussed fu rth e r in Michael Palairet: The 4New* Im m igration and the Newest: Slavic
M igrations fro m the Balkans to Am erica and Industrial Europe since the Late N ineteenth C entury.
In: The Search fo r W ealth and Stability: Essays in Econom ic and Social H is to ry presented to M .W .
F linn, ed. T .C . Smout. London 1979, pp. 43— 51.
114 Savie: Zanati i industrija, pp. 275— 6.
115 B. Zografov: Bãlgarite v A m erika. In: Otec Paisij IX (1936) 22— 3.
116 Stoyan C hristow e: T his is M y C o u n try. N ew Y o rk 1938, p. 57.
117 M .M . Savié: Naša Industrija I, p. 298.
118 Rastko S. Purić: О pečalbarima južne Srbije. In: Radnička zastita X V I (1934) 170.
1,9 Teofan Ristie: Najam na radna snaga и našoj poljoprivredi. Belgrade 1939, p. 22.
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The Migrant Workers o f the Balkan and Their Villages 35

anywhere that a transient demand for labour might occur. In 1933 Debar
peasants started to go out to Persia for highly paid rail construction w o r k 120, and
an estimated 2,000 Yugoslavs were working there in 1937121. But the great ma-
jority were forced to w ork in their own countries. U ntil about 1927, this was
no great hardship, for opportunities were opening up in reconstruction, com-
munications, and factory w ork, but the consequences of the slump were par-
ticularly severe for a labour force which found itself marginalized for the benefit
of the regular urban workforce, and which was particularly dependent for its
em ploym ent on construction. During the interwar years, pecalbar w ork was
gradually changing in character. The old artel system was declining, as improved
communications, cheap w o rk m e n ’s fares, and labour exchanges made it easier for
individuals to seek employment directly, and to a much larger extent than hither-
to, pecalbars found w ork in industry.
Pecalbar industrial employment was no new thing. As early as the 1840s, the
woollen mill at Dermendere near Plovdiv recruited mostly pecalbar type labour,
characteristically unaccompanied men from distant places122, and as noted above,
the later Gabrovo mills drew similarly on rural, (in this case female) labour. The
Sofia sugar mill123, Bajloni’s Belgrade brewery and several mining companies124
also used pecalbars, at least for seasonal work. In cotton spinning, the British
ow ned mill at Varna recruited girls from the distant Balkan uplands with attrae-
tive promises125. Pecalbar labour was also an obvious weapon for breaking
strikes126. If the factory was still exceptional as an outlet for pecalbar labour, this
was only because there were still few factories. There is no evidence to suggest
that pecalbars eschewed factory (and mining) w ork, and in Belgrade in 1940, some
2,000 pecalbars were employed in brickyards, and 2—300 from the Zaječar
villages had regular w ork at the breweries, while the textile and leather industries
used a further 2,000 peasant migrants, many of the w o m e n 127.
Pecalbar pay was usually expressed in terms of net earnings at the end of a
season, since that is the way most pecalbars were remunerated. The earnings of
the dragoman-organized workers on the Romanian estates were relatively low.
As they were unskilled labour, and many of them very young, the dragomans
were able to pocket part of the arbitrage between the going wage rates on the
Romanian estates and those pertaining in the Balkan villages128. As the demand
for labour was constantly growing, so in order to avoid having to bid the wage

120 F ilip o vic: Debarski d rim k o l, p. 37.


121 L . Trnjcgorski: Jugoslovenske manjinc и inostranstvu. Belgrade 1938, p. 8.
122 N ik o ła j Todorov: Za naemnija tru d v Balgarskite zemi kam sredata na xix vek. In: Istoričeski
pregled X V (1959) 21— 2.
ш Petrovic: Pecalbari, p. 26.
124 Stenografski beleški, 1912, pp. 8— 9.
125 Rakovska: Żenskijat trud, 717.
126 See A rh iv Srbije, M U D (P) 1914. 19. 80 no 11640; Vasic: PeČalbarstvo, p. 191 fo r examples.
127 O d Djurdjeva do M itro va dana и Beogradu radi i zivi o k o 12,000 sezonskih radnika. In: Zem lja
I (1940) 5, p. 8.
128 Nasi pecalbari. In: Pravda IX (1912) 32, p. 1.
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36 Michael Palairet

level upwards, the dragomans continually recruited into new areas where the
peasants were as yet ignorant of labour market mechanisms129. A well established
technique was to get the peasants into debt, and thereby to bind them into the
dragom an’s service130. T h e conditions of employment, reflecting the low level of
business ethics which pervaded Romanian society, were the subject of shrill and
frequent criticism13*. H ow ever, the normal earnings expectation in the early
tw entieth century was of between 40 and 140 Serbian dinars for about six
m onths work*32. Men w ho went out independently of the dragomans could
return about 100 dinars better off than the gang labourers, but the dragomans
were alleged to connive with the authorities to prevent individual travel papers
from being issued133.
The members of artels in the building, brickmaking, and gardening trades fared
far better than these, at least after they had served their apprenticeship. Between
the early 1860s and 1912 the purchase power of their earnings more than doubl-
ed134. This was probably not because of any significant improvement in builder’s
day rates. If we take builders day wages in Belgrade as a benchmark, these only
advanced by about 17 percent in real terms*35. This implies either that the work-
ing season lengthened by 78 percent, or that less time was spent in search of
w ork, o r filled with low paid field labouring. A round 1900, a skilled man would
earn 200—240 dinars, a journeym an 100—200136, but by 1910—13 these rates had
improved sharply to 300—800 and 200—400 respectively137. Earnings of brick
and tile makers fluctuated within a lower range, between 140 and 300 dinars,
while their assistants earned as little as 40—60138. Bulgarian gardeners probably
enjoyed their greatest prosperity during the years before 1878, when earnings
equivalent to several thousand Bulgarian leva were com m onplace139, but by the
end of the nineteenth century, they were feeling the pressure of international
c o m p etitio n 140. Skilled men were now bringing home 200—500 leva at the end of

129 V. N ik o lié : О pečalbarima, 74— 6; Pasié i Rum unija. In: Srpska zastava II (1906) 132, p. 2.
130 Vasic: PeČalbarstvo, p. 141; V .M . N ik o lié : Iz Lužnice, 36— 7.
131 F o r example: A rg a ti. In: RadniČke novinc II (1902) no. 7, p. 1.
132 Stanojevié: Zaglavak. 17.
133 Stenografski zapisnici, 1912, pp. 7— 8.
134 Based on figures fo r 1860/5 and 1912 in Petrovié: Pecalbari, pp. 18, 26, deflated by index o f Ser-
bian export prices in M . Palairet: T h e Influence o f Commerce on the Changing Structure o f Serbia’s
Peasant E conom y, 1860— 1912. Unpublished Ph. D . thesis, U n ive rsity o f E dinburgh, 1976, p. 37.
135 Belgrade b u ild in g wages arc available annually fro m 1862 in the Državopis Srbije and Statistički
godišnjak k r. Srbije serials.
136 R. Kosiadinovié: C rn a trava i C rn o tra vci. Leskovac 1968, p. 79 n. 17; Jankovié: Pečalovina, p.
61; C vijié : O snove III, pp. 1010, 1051; V. N ik o lié : Iz Lužnice, p. 29.
137 petrovié: Pecalbari, p. 26; Savié: Zanati i industrija, pp. 277, 279.
' 3‫ י‬B orivoje M iloje vié : Radjevina i Jadar. Antropogeografska ispitivanja. In: Naselja srpskih zemalja
IX (Belgrade 1913) pp. 664, 718; V .M . N ik o lié : Iz Lužnice, p. 29.
139 Iv. Ev. Gešov: Našite gradinarski družestva. In: Periodičesko spisanie X X V II (Sofia 1893) p. 335.
140 Izloženie za sãstojanieto na T ä rnovskoto okražie prez 1901— 1902 god. V. T ã rn o vo 1902, p. 20.
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The Migrant Workers o f the Balkan and Their Villages 37

an eight m onth season, the less skilled 100—200141. (The dinar and the lev both
traded close to their parity with the French franc.) T hough emigrants in the
U.S.A. and gang leaders in the Balkans enjoyed much bigger earnings than these,
it may be taken conservatively that adults working in the Balkans in the artel
trades would return home with cash (or its equivalent in purchases of clothing,
jewels and household goods)142 amounting to about 250 dinars o r £ 10 sterling
after a 6—8 m onth season. (A wartime survey by the Bulgarians in Macedonia
estimated an eve of war figure of 1,000 francs, which seems too high but affirms
that wages were rising very sharply at that time)143. Securing these sums required
pecalbars to endure long hours and living conditions which might seem harsh to
the outsider, though they probably lived better at w ork than those w ho stayed
in the villages144. T o express these earnings in modern terms is difficult but their
foreign exchange value would compare favourably with what their present day
equivalents could expect to put by after a similar period away from hom e on fac-
to ry o r construction w ork in their own countries.

The pecalbar village community

Pecalbar households strove to maintain a balance between receipts in cash and


consum ption in kind, especially in those villages whose isolation reduced the
substitutability between money and produce. In southeast Serbia especially,
cereal production was consciously restricted (at least till the opening of the
railway in 1888) because high transport costs made its export impossible145, and
surpluses th ro w n up by good harvests were burned off in the fields146. Converse-
ly food could be prohibitively expensive to import, on the backs of men and
mules147. So pecalbar families tried as far as possible to procure their food from
their ow n farm plots, but without aiming for a surplus, and to devote their earn-
ings in cash to the procurement of commodities which they could not provide
for themselves, to meeting their tax bills, and to accumulating savings. The ex-
tent to which they could be self-sufficient in foodstuffs depended not only on
local resource availability, but also upon the amount of labour which could be
devoted to subsistence farming. The comm itment of a large part of the able
bodied male labour force to periodic migration could leave the farms with too

141 Iv. O rm anov: G radinari ili gradinarski rabotnici? In: N o v o vreme X V II (1914) 500; M . M oskov:
Emigracijata ni v svrãzka s stopanskija ni život. V. Tãrnovo 1911, p. 7; H ris to St. H in k o v :
G radinarskitc sdružvanija v Tãrnovskija okrãg. In: Periodičesko spisanie L X V (1904) p. 246.
142 F ilip o vic: Debarski D rim k o l, p. 50.
143 D . Iaranoff: Macedoine, p. 177.
144 Z la tk o v ic -M ilic : Zia vremena, p. 118.
145 Public Record O ffice, F O 105 36. Baker’s report fo r year ended 29 Sep. 1882.
146 J.H . Skene: F ro n tie r Lands o f the C hristian and the T u rk . London 1853, p. 411.
147 Vasic: PeČalbarstvo, p. 91.
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little labour to optimize subsistance production, and therefore required the


pecalbar to try to minimize the effect on farm o u tp u t of the removal of his
labour. There were a num ber of ways this was done. O n e way would be to
migrate in the w inter months, and w ork the farm in summer. W ork was to be
found in the larger tow ns for sawyers148, and their trade became identified with
the T etovo district149, but w inter w ork was badly paid, and “ overwintering”
became virtually synonym ous w ith seeking the bare means for survival150. So
most pecalbars migrated in summer, though, if it were feasable to do so, a man
might interrupt his migrant business to help complete the farm tasks at home
during the harvest season151. Bulgarian gardening tajfas might send home one
m em ber to do the same on behalf of his associates152. In Zaglavak srez, it was not
u n co m m o n for a father to place a 12—13 year old child w ith the dragomans
rather than go to Romania himself, calculating that it was to his advantage to
apply his ow n w o rk on his holding153. If necessary farm labour would simply
have to be hired in (at a relatively low price) to replace the absent pecalbar, and
pecalbars in southeast Serbia not infrequently hired labour from neighbouring
villages for harvesting154. A m ong the Bulgarian gardeners, any house which sent
all its men away had to hire a hand for the entire su m m e r155. C ontem porary
writers w h o lacked understanding of the marginálist practical economics that the
pecalbars themselves applied complained that excessive periodic migration led to
unnecessary neglect of tillage — and believed it resulted from “ an inbuilt laziness
towards agriculture” 156.
The need for a balance between cash and kindly income explains w hy pecalbar
activity rarely flourished alongside cottage industry in a rural milieu, though
both offered means of procuring cash independently of the productive powers
of the land. T he principal difference was that most cottage industries employed
female labour to produce goods (mainly textiles) which could bear high transport
costs, while most products and services requiring male labour were intrinsically
bulky and immobile (bricks, tiles, earthenware, buildings, sawn timber) and had
to be produced at o r near to the point of consum ption. In the small towns of
Macedonia and Bulgaria cash and produce were relatively substitutable, and so
in an urban milieu pecalbar migration and cottage industry were frequently

148 B orivoje 2. Milosevic: Visoke planine и našoj kraljevini. Belgrade 1937, pp. 203-4; C vijié: Osnove
III, 1010 - 11 .
149 Sreten L. Popovié: Putovanje po novoj Srbiji. Belgrade 1950 (re p rin t), pp. 556— 7.
150 M ile n k o S. F ilip o v ic : O dlaženje na Prehranu. In: G lasnik geografskog drustva X X V II (1947) 85;
Milosevic: Visoke planine, p. 244.
131 Petrovié: Pecalbari, p. 20; F ilip o v ic : Debarski d rim k o l, p. 38.
132 G inčev: G radinarstvo, 1196— 7.
153 Rad socijalističkog parlamenta na T im o k u . Belgrade 1914, pp. 11— 12.
134 Petrovic: Pecalbari, pp. 40— 1; R .T. N ik o lié : Krajište i Vlasina, 63.
135 G incev: G radinarstvo, 1196— 7.
136 Hadži-Vasiljevic: Prilep, p. 44; Rastko S. Purić: О pečalbarima, 170; C v ijic : Péninsule balkanique,

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associated157. But in the villages com m itm ent of both sexes to the cash economy
could create a large subsistence deficit, and thereby generate unnecessary transac*
tion costs. Ciprovci and several neighbouring villages in west Bulgaria were
orientated to carpet weaving, at which the w om en w orked tirelessly for low
rem uneration. T he men farmed their small infertile plots, a task which did not
em ploy them intensively. By the beginning of the tw entieth century, they began
to migrate as pecalbars to the U.S.A. T he remittances flowed home, and the
carpet trade prom ptly declined, as the w om en now had an alternative cash in-
come source and could tu rn their industrial efforts to providing their ow n homes
with textile products rather than supplying the m a rk et158. In the Pirot villages,
where the men migrated on building w ork, the w om en were draw n increasingly
from 1890 to W orld W ar I into weaving woollen cloth for the market. The
reward — about 120 dinars for six months w o rk — was but half what a similar
period of building labour would yield, but m any w om en chose to weave, so that
they could keep their husbands at home for longer periods. Significantly, they
turned most of the m oney over to the men to buy land w ith i t 159. In west
Macedonia, signs of cottage industry could be detected here and there. Tresonce,
a Dibrailija village, sold fine woollen cloth (sukno) and striped cloth (kiásni) but
these were produced for the market by “ m any poor w om en, widows and
deserted w o m e n ” — presumably those w ho were not being supported by
pecalbars160. But if opportunities for making a significant contribution to familial
subsistence in agriculture existed, then the women were more rationally
deployed w orking in the fields, as was generally the case. This did not, however,
prevent the unmarried girls from seeking harvesting w o rk on the latifundia in
summer, because several weeks would elapse before the mountain crops had
ripened. Paym ent was often in kind, and helped feed the families through
winter*61.
T he outcome of these devices to balance cash and subsistence production
varied considerably. There were areas in Bulgaria — for example Vakarel, and
in many of the T ãrnovo villages, where significant crop o r livestock surpluses
supplemented the cash incomes of the pecalbars. Southeast Serbia as a whole was
self-sufficient in grains162, and even the expressly pecalbar villages were usually
only in slight deficit, and some exported small surpluses163. In Macedonia most

157 See discussion o f economic patterns in the pre-liberation Bulgarian textile townships in M .
Palairet: The Decline o f the O ld Balkan W oollen Industries 1870— 1914. In: V ierieljahrsschrift fü r
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte L X X (1983) 340— 1.
13* Jordan Zahariev: C iprovci. PoseÜstno-geografski proučvanija s istoričeski beležki. Sofia 1938, pp.
220 - 1.
159 Vasic: PeČalbarstvo, pp. 65— 9.
160 C vijié : Osnove III, p. 1016.
161 Konstantinov: PeČalbarstvo, pp. 69— 70.
162 The grain surplus and deficit map o f Serbia is calculated fo r the years 1896— 8 in M . Palairet,
Thesis, Fig. I l l (i), p. 143.
163 Petrovic: Pecalbari, pp. 23, 35— 6; V .M . N ik o lié : Iz Lužnice i Nišave, 26— 7.
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pecalbar villages seem to have grown a substantial part of their subsistence. Even
the high level pecalbar villages of Golo brdo usually raised about half their food
requirem ent164, and those with no crops usually managed to export livestock
products. This partial or total self sufficiency in foodstuffs meant that
disbursements of pecalbar earnings for basic essentials were small. Pecalbar
families also had to pay their taxes, but as the direct tax base in the Balkans was
land rather than labour, their exposure to direct taxation was usually lo w 165.
T hey also had relatively little difficulty in meeting the direct taxes which were
demanded of th e m 166. Like most peasants, pecalbars sometimes had recourse to
usurers, and earnings were needed to service debt. In many cases, it was debt pro-
blems which first drove men into w ork migration167, but migrant earnings could
be very effectively used to discharge debts in usury168. Thus in most cases
pecalbar families disposed a significant part of their cash earnings for discre-
tionary purposes, including savings.
Pecalbars saved a high proportion of the cash they earned169. Like similar
groups the world over, they built themselves prestigious and comfortable homes.
In southeast Serbia and central Bulgaria they also strove to furnish them attrae-
tively170, though in Macedonia, because of relative poverty or cultural backward-
ness, the internal appointments even of the most solid looking pecalbar houses
left much to be desired171. But saving was also directed to maintaining self suffi*
ciency and reducing dependence on migrant earnings. Most obviously, this could
be achieved through the purchase of land, which was consequently chased up to
prices unrelated to its fertility172, and the acquisition of draft stock to cultivate
i t 173. Some returning pecalbars from west Macedonia would even bring back
American agricultural machinery174. Less obviously, self-sufficiency was sought
through the payment of high bride-prices175. In a society where the very institu-
tion of pecalbar migration left the villages short of farm labour, the bride-price
represented compensation paid by the household which would gain labour by
marriage to that which would be left short-handed by the transaction176. The go-
ing rate for brides in west Macedonia before World War I was £ 15—25 ster-

164 F ilip o vic: G o lo brdo, p. 41.


165 Lazar Bjelić: О pečalbarima. In: Borba V (1914) knj. 8, no. 13, p. 30.
166 See Palairet: Thesis, p. 562.
167 V .M . N ik o lié : Iz Lužnice, p. 35.
168 Gincev: Gradinarstvo, 1191; Petrovié: Pecalbari, p. 37; Reports o f the Im m ig ra tio n Com m ission
4. Em igration C onditions in Europe, W ashington, D .C . 1911, p. 413.
169 Purić: R abotnički jug, pp. 62— 3.
170 Kostadinovié: C rna trava, p. 69; Sirakov: G radinante, p. 36.
171 Purić: R abotnički jug, p. 136.
172 Jankovic: Pecalovina, p. 58.
173 Lj. Stojovié: Kako se ide и pecalbu. In: P o litika (1938) 10931, p. 13.
174 Iaranoff: Macedoine, p. 44.
175 K onstantinov: PeČalbarstvo, p. 10.
176 Purić: R abotnički jug, p. 104.
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ling177, about tw o years net earnings from pecalbar building work. Savings were
also put by to provide security in retirement, leading to the appearance in the
pecalbar villages of sleepy shops and kafanas which provided retired pecalbars
with a little income during their declining years178.
We can therefore reject with some confidence T r o u to n ’s assertion that
pecalbars earned only enough to buy bread and pay taxes and interest179. Indeed
pecalbars came from relatively well to do homes as well as poorer ones180. But
it is difficult to generalize as to whether the pecalbar villages were well o r badly
off, compared with the farming villages. The average pecalbar’s 250 dinar earnings
can be compared with the 290 dinars of cash which the Avramovic enquiry of
1911 showed to be earned by median five hectare farm properties in Serbia181,
and it seems unlikely that the pecalbar farm would produce as much as the
average agricultural property in subsistence goods. Against that, many pecalbar
properties would have sent out more than one migrant at a time, their exposure
to land taxes would be low, and many might have significant incomes from the
sale of animal products. There is a consensus in the literature that pecalbar
villages (at least those which specialized in specific поп-agricultural trades) en-
joyed greater material prosperity than their sedentary counterparts. The
evidence does not, however, support the idea that pecalbar villages were better
off than lowland villages which were actively involved in market agriculture.
But where pecalbar activity was combined with intensive agriculture, the result
could be outstanding prosperity. This is evident from the experience of the
market gardening region of Veliko Tãrnovo. Gardeners’ earnings may have been
lower than those of Macedonia’s building workers, but their villages were un-
equivocally prosperous. The impulse to labour migration here was not the quali-
ty of the land, rather the density with which it was settled. Though the holdings
were small, cultivation techniques were progressive, and very intensive. The
pecalbar region, Ljaskovec district especially, was described variously as the most
intensively, and best cultivated corner of Bulgaria182. Gardening techniques were
seldom applied directly, but the region was early to adopt horse ploughing, the
potatoe, and the sowing of artificial grasses183. To some extent, field agriculture
gave way to the vine, and to certain garden crops, such as onions, spring onions,
and paprikas which passed into trade throughout Bulgaria on the Ljaskovec carts.
A nursery trade also developed184. As most of the men were away at w ork,

,‫ יי‬Purić: R abotnički jug, p. 135.


178 Kruševo nekad i sad. In: Vardar III (1934) 171 p. 3; Stojovic: Kako se ide, p. 13; C v ijic : Osnove
III, p. 1015.
179 R uth T ro u to n : Peasant Renaissance in Yugoslavia 1900— 1950. London 1952, p. 46.
1,0 Petrovic: Pecalbari, p. 27.
181 Sec recalculation o f the A vram ovic data in M. Palairet: Fiscal Pressure and Peasant Im poverish-
ment in Serbia before W o rld W ar I. In: Journal o f Econom ic H is to ry X X X IX (1979) 724.
182 Jireček: Knjažestvo Bãlgarija, p. 250; Sirakov: G radinante, p. 35.
183 Gesov: G radinarski družestva, 340.
184 M . M oskov: Ljaskovec. M in a lo to i badninata mu. V. T ãrnovo 1920, pp. 19, 28.
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maintenance of these farms placed a heavy burden on the w om en, so the


gardeners supplied their families “ with every technical convenience for the
sm allholding. . . in the district of G orna Orjahovica there is hardly a family with
more than 30 decares of cultivable land which does not dispose a half-iron
plough, an iron cart, and a winnow ing machine. Stronger properties also have
iron harrows and steam threshers” 185. Notw ithstanding the use of machinery,
the intensification of the farming system rendered it increasingly dependent on
the hiring of farm workers from outside. Such was the shortage of labour, they
were advertizing in the press for it186. It therefore appears that migrant market
gardening experience provided both the knowledge of technique, and the capital
to develop a high-yield capital intensive agriculture in the province, which in
tu rn provided a rich subsistence base to be supplemented by the incomes which
were earned by the gardeners. The old tim ber and adobe houses disappeared, to
be replaced by stone buildings, while tastes in clothing became more expen-
sive187.
Gardeners’ wives began to follow fashion; the acme of style was to be “ be-
jewelled like a fine Ljaskovec l ady188‫ ״‬. These villages were clearly differentiated
by their prosperity from the general r u n 189. Progress went deeper than this,
however: in 1905, the gardening districts were also the most literate in Bulgaria,
and as Sirakov points out, this was an active literacy, prom oted by the families
themselves because it was needed for their businesses190.
While migrant w ork provided economic stability for villages which would
otherwise face distress, it was also a dynamic force which was bound to disturb
existing cultural patterns. As such it was regarded equivocally o r with hostility
by contem porary observers. Most emphatically, the village w om en hated the
practice of periodic migration, for it separated them from their menfolk for long
periods, during which they had to fend singlehandedly for their families. A jour-
nalist captures the moment in Vevčani village in west Macedonia in 1938 as the
bus arrives to take the pecalbars away to w ork, while the whole population turns
out to see them off. After the bus has left, “ long columns of weeping women
go home, as if from a funeral” 191. They had some cause to weep, for their men
would not all return in health and with money. Some women would be left
destitute, probably w ithout ever knowing why. Men might die abroad, though
fewer than was believed, for some would choose not to return, o r to remit back
to their families, and these would be assumed to have died ” in exile” . Fear of

185 Sirakov: G radinante, p. 34.


186 M . M oskov: Emigrācijā, p. 10.
1,7 M oskov: Ljaskovec, pp. 19— 20.
188 Salaverova & M utafov: Po sveta, pp. 49— 50.
189 2. D im o v : Bãlgarskata emigrācijā v Am erika. In: Säkrateni p ro to k o li na Varnenskata tärgovsko-
industrijalna kamara X V I (1907) 61.
190 Sirakov: G radinante, pp. 37— 8.
191 S. Carevic: Pecalbari odlaze. In: P o litika (1938) 10714, p. 8.
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abandonm ent gnawed at the lonely women. Though every y o u n g pecalbar might
have it impressed on him that his duty was to w ork and save money for the fami-
ly at home, and return as soon as he had done so, the sentimental ties of youth
are unpredictable. “ And those men w ho have lived over there for years, and so
are no longer tied by affection to their village — do they belong to the people
over there or to us? W hen they return — if they return — full of admiration for
everything over there, these men find it hard to adjust to their deserted wives” 192.
In particular, the successful and upwardly mobile w ould have least to gain as
perpetual migrants, so paradoxically it was the most successful pecalbar com-
munities which would be most severely racked by the insecurity which arose
from emigration. It was all too likely that pecalbars w ho prospered in trade
would tend to settle where they worked. Cincar communities were especially af-
fected by the continuous drain of their elites193. Permanently settled colonies
originating from Macedonia accumulated in all the Balkan cities, and subsequent-
ly in the United States as well. The Bulgarian census of 1893 showed that bet-
ween 38,000 and 40,000 persons of Macedonian birth were then living in
Bulgaria194. In Belgrade in 1863, immigrants from Macedonia accounted for 5,000
out of a population of 14,ООО195, and in 1934, some 60,000 out of 242,ООО196. Be-
tween 1920 and 1935, 21,312 persons from the pecalbar zones of southern
Yugoslavia were reckoned permanently to have removed, o r had not returned
to their former homes after 15 years197. Some men would intermarry away from
home, and others would bring their wives away from their villages, a prospect
that these women, utterly ignorant of the wider world save only of its real or
imagined hazards, would tend to shun. A nd the pecalbar village would begin to
die. Those houses, so laboriously built, would fall silent and empty, decaying
m onum ents to misplaced investment198. In the Bulgarian gardener villages no
such rundow n occurred, since they were not isolated nor was their land infertile.
Even so they experienced high outward migration, and many gardeners resettled
in the places where they did business199, often becoming vegetable merchants200
— like Nedjelko Gačov, described in 1936 as the biggest greengrocer in
Bordeaux201. At Ljaskovec itself, home of old Cani Bradvička, and the archetypal
gardener village, market gardeners had prospered so much that their descendants

192 Julija Lazarevié-Tatié: PeČalbarsko selo. In: Ѵгеше (1936) 5025, p. 6.


193 F o r an example see: H i Kleisoura. In: M akedonikon H im e ro lo g io n I (1925) 118.
194 Vasil Kančov: Maķedonija. Etnogrāfijā i statistika. Sofia 1900, p. 24.
195 L o n g w o rth ’s report fo r 1863, p. 232.
196 РигІс: О pečalbarima, p. 170.
197 Purić: R abotnički jug, pp. 112— 3.
198 Kostadinovic: C rna trava, p. 93; H i Kleisoura, p. 118.
199 Salaverova & M utafov: Po sveta, p. 73.
200 H in k o v : G radinarskite sdružavanija, p. 248.
201 Salaverova & M utafov: Po sveta, p. 22.
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no longer needed to go out on gardening w ork. In 1888, Ljaskovec had sent 1,086
gardeners abroad, by 1914 “ a few tens,” as the population was said to have mov-
ed into “ trade and usury” 202. T ru c k cropping also furnished comfortable in-
comes, while the well educated young people increasingly sought official
em p lo y m en t203.

Galičnik — the archetypal pecalbar com m unity

The history of Galičnik in west Macedonia captures in an exaggerated form the


essentials in the evolution o f a pecalbar com m unity. With about 3,300 in-
habitants in 1888204, Galičnik stood 1,200 metres above sea level in a roadless
tangle of bleak m ountain spurs, and disposed no land which was capable of
cultivation. Those w ho stayed at hom e were said never to have seen a plough,
a wheeled vehicle n o r a field o f c o rn 205. In origin Galičnik was probably a
sheepraising settlement. It held 60—70,000 sheep on the eve of W orld War I206.
F orm erly it was said to have disposed 180,000, but sheepraising was in decline
because of acute political insecurity in this turbulent region of interethnic ten-
sion between Albanian and Slavic villages207. U ntil 1912, the sheep were brought
dow n to overw inter in the plains rou n d Thessaloniki and in Thessaly; surpluses
were probably sold there, and the flocks were brought back in spring to the high
sum m er pastures round Galičnik208. The sheep still generated small surpluses of
cheese, wool, and smoked meat which were sold in D ebar209, but few Galičnik
families could live solely as proprietors of flocks, and in 1922, 90 percent of the
able bodied males were said to w o rk as pecalbars2,0.
Experience of long range transhumance is a good apprenticeship for com-
merce, and thus it was that the Galičnik men took up the dairying trade, especial-
ly at Thessaloniki, always the prime focus of their migrations21J, but also in
Belgrade, Sofia, Bucharest212 and, as always, in C onstantinople213. It took little
for a pecalbar to set up as a dairyman and cheesemaker. “ W ith a few implements
and vessels he installs a shop and becomes a small businessman” 214. But the men

202 Ib id ., p. 31.
203 M oskov: Ljaskovec, p. 28.
204 Kančov: Izbrani proizvedenija, II, p. 563.
205 R. O gnjanovic: G a ličn ik. In: Juzna Srbija II (1922) 399.
206 Savie: Zanati i industrija, p. 280; O gnjanovic: G a ličn ik, p. 364.
207 M .M . Velj: D ebar i njegova okolina. In: Bratstvo V III (1899) 36.
201 Svetozar T o m ic : Skoplje — T e to vo — G ostivar — M avrovo — G a ličn ik. In: Bratstvo X V II (1923)
226.
209 Y elj: Debar, p. 35.
210 O gnjanovic: G a ličn ik, p. 403.
2,1 M . Savie: Zanati І industrija, p. 280.
212 G a lič n ik — Jedinstveno selo u svetu. In: Zem lja I (1940) 9, p. 8.
213 P urić: О pečalbarima, p. 170.
214 O gnjanovic: G a ličn ik, p. 397.
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of Galičnik were adaptable to changing market conditions, and their occupations


became as diversified as the places where they practiced them. T hey were noted
variously as excellent bakers215, as confectioners, cafe keepers, and spicers, and
were reputed to w ork o r trade th roughout much of the world. Between the wars,
they were numerous in petty commerce in Egypt and Greece, and a fair num ber
had gone to the United States as factory and mining labour216. As was
characteristic of the Dibrailije, many were building workers “ in all continents”
skilled in masonry, woodcarving, and cabinetmaking217. Galičnik pecalbars built
churches and mosques throughout the Balkans218, and were noted for wooden
sculpture and iconostase carving219. All seemed to develop some commercial
specialty, and they were claimed never to resort to agricultural labouring220.
They were able to range so far afield because, unlike most pecalbar villages,
Galičnik had no cultivated land which would draw men back for seasonal tasks.
Consequently it was customary for them to stay away tw o o r three years at a
time, to return in July if they could bring at least 3—400 dinars of earnings221.
Even then they were but short stay guests in their own homes, for their visit
would last only four weeks222. D uring this time, there would be feasting and mar-
riages, which would result in conspicuous expenditures at the village store. Louis
Adamic, when he visited Galičnik in the sum m er of 1932, had no doubts that
this was “ a well to do village” — o r had been before the slump had hit it223. Its
prosperity was manifested by its spacious, solidly built storeyed urban type
houses, some embellished with external facades, of diverse styles which reflected
the variety of places where the Galičani had laboured224. But then D ebar village
housing was recognized to be the best in Macedonia225.
As the men of Galičnik earned better incomes than most pecalbars and as there
was little farm w ork to be done, the w om en were not heavily burdened with out-
door toil. As at neighbouring Tresonce, some fine cloth was sold on the market,
but this was a trade for the support of widows226. T o the men, the w om en were
more a consumer’s good than a source of labour, and this probably explains w hy
the bride-price, so prevalent in pecalbar villages, was not paid at Galičnik227. But
their redundancy as labour made these w om en very vulnerable to desertion, par-

215 Purić: Rabotnički jug, p. 119.


216 C vijic: Péninsule balkanique, pp. 449— 50; O gnjanovic: G aličnik, p. 396.
217 Louis Adamic: The N a tive ’s R eturn. London 1934, p. 115.
218 A. Vasiliev: Vāzroždcnski m ajstori, pp. 149— 50.
219 Iaranoff: Macedoine, p. 136.
220 Ognjanovic: G aličnik, p. 396.
221 Savié: Zanati i industrija, p. 280.
222 G aličnik, (in: Zemlja).
223 Adam ic: N a tive ’s Return, p. 118.
224 Purić: Rabotnički jug, p. 125.
225 KanČov: Maķedonija, p. 33.
226 M. Savié: Zanati i industrija, p. 190.
227 Ognjanovic: G aličnik, p. 363.
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46 Michael Palairet

ticularly as they were only likely to see their men at infrequent intervals. O th er
means were therefore needed to ensure their loyalty. Galičnik women, it was
claimed, took care to preserve their looks: light work, a good climate and a milk-
rich diet no doubt helped them in this. They spent much of their time in
needlework, and no doubt the elaborate archaic costumes they made for
themselves were also supposed to enhance their personal attractions, and en-
courage their men to return to them. But there is a certain defensiveness in the
repeated statements that Galičnik men never — well, hardly ever — deserted their
wives o r the com m unity. As Adamic was told, the women reserved their
worst condem nation for men w ho “ forgot” their village228. As the lonely wives
of west Macedonia w ould sing, “ O d o n ’t let him ever see paradise — he w ho re-
mained abroad . . . far, far away in Alexandria” 229.
But emigrate they did. Immigrants from the Debar villages were numerous
enough to have their ow n quarter in Thessaloniki230, and in 1934, 17 Galičnik
families were resident in Sarajevo231. There were probably 508 houses in Galič-
nik in 18 8 8232, and 450 in 1914233. The census of 1931 shows 3,200 inhabitants,
but the first postw ar census in 1951 shows an abrupt decline to 900. By 1971
Galičnik was virtually uninhabited.

* * * *

Periodic migration made the Balkan settlement viable economically. It proved


no barrier to eventual depopulation, for it provided a bridge between village and
tow n. Still, it made the relocation of population rather less painful than if the
only expelling force had been distress. It did not cease after World W ar II, and
the availability of large numbers of workers orientated to pecalbar labour
facilitated the mobilization of a workforce to execute the ambitious construction
projects of the C om m unist planners.

228 Adam ic: N ative's R e tu rn, pp. 118, 120; G aličnik, (in: Zemlja).
229 C eko Stefanovic: Pečalba bez pečalenja. In: Narodna odbrana X (1935) 566.
230 Kančov: M aķedonija, p. 27.
231 Purić: О pecalbarima, p. 170.
232 K ānčov’s figure o f 3,300 population in 1888 assumes 6.5 per house, — Käncov: Izbrani pro-
izvedenija II, p. 563.
233 Savie: Zanati i industrija, p. 280.
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Die H erkunft der Handwerker


in überregionalen städtischen Zentren:
Zürich, Wien und Zagreb zur Mitte des 19. Jahrhunderts

Josef Ehmer, Wien

In der neueren handwerksgeschichtlichen Forschung gewinnen Massenquellen


ein zunehmendes Gewicht. Gerade für den Bereich der H andw erkerm igration
bieten sie die Möglichkeit zu systematischen Untersuchungen und zur Überwin-
dung einer eher anekdotischen, den spektakulären Einzelfall hervorhebenden
Betrachtung1. Zugleich bestehen aber auch für die quantifizierende Forschung
einige ältere Probleme der Handwerksgeschichte weiter. Eines davon liegt m.E.
darin, daß wichtige sozialgeschichtliche Fragestellungen — wie etwa die nach der
räumlichen Mobilität der H andw erker — vor allem für die Gesellen, kaum für
Lehrlinge und Meister untersucht werden. Diese K onzentration erschwert es, die
W anderung von Gesellen als ein Element der gesamten handwerklichen Sozial-
Verfassung zu interpretieren und nicht als isoliertes Phänom en zu erfassen. Insbe-
sondere die Wechselbeziehungen zwischen regionaler und sozialer Mobilität tre-
ten bei der Beschränkung auf eine G ruppe innerhalb des H andw erks n u r schwer
in das Blickfeld.
Was die Gesellen selbst betrifft, so bergen auch die bevorzugt verwendeten
Massenquellen — wie Wanderbücher oder Gesellenverzeichnisse der Zünfte —
nicht nur höchst wertvolle und unverzichtbare Informationen, etwa zu Wander-
routen oder Aufenthaltsdauer, sondern auch — wie das ja bei jeder einzelnen
Quelle der Fall ist — bestimmte Beschränkungen. W anderbücher erfassen über-
wiegend Gesellen, die in der jeweiligen Stadt — dem Standort des Archivs —
geboren oder freigesprochen wurden bzw. die sich hier als Meister etablieren
konnten. Dies kann zu einer Ü berbetonung städtischer Gesellen, die städtische
Meister wurden, führen und insbesondere Fragen nach den Stadt-Land-
Beziehungen im H andw erk in den Hintergrund treten lassen. G anz allgemein
lenken Zunftarchivalien den Blick eher auf die Besonderheiten eines oder mehre-
rer Gewerbe und machen es m itunter nicht leicht, diese Besonderheiten zur
Gesamtheit des Handwerks in Beziehung zu setzen2.

1 Als neuere Beispiele der Auswertung von Massenquellen vgl. Rainer S. E lkar: Wandernde Gesellen
in Oberdeutschland. Q uantitative Studien zur Sozialgeschichte des H andw erks vom 17. bis zum
19. Jahrhunden. In: U lric h Engelhardt (H g.), H andw erker in der Industrialisierung. Stuttgart 1984,
262— 293; H e lm u t Brauer: Gesellenmigration in der Zeit der industriellen R evolution. K arl-M arx-
Stadt 1982.
2 Vgl. die entsprechenden Hinweise zur Q uellenproblem atik bei Brauer: G esellenm igration, 11; und
Elkar: Wandernde Gesellen, 291.
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48 Josef Ehmer

Ausgehend von der Beobachtung dieser Probleme wird im folgenden der Ver-
such gemacht, eine zusätzliche Quelle, die bisher vor allem in der historischen
Familienforschung und Dem ographie Verwendung fand, für handwerksge-
schichtliche Fragestellungen nutzbar zu machen. Es handelt sich um Volkszäh‫־‬
lungslisten, die seit dem 17. Jah rh u n d ert in ganz Mitteleuropa in breiter Streuung
vorliegen. N atürlich zeichnet sich auch dieser Q uellentyp durch eine Reihe
grundsätzlicher Beschränkungen aus3. Sein Vorteil besteht aber darin, daß er die
gesamte Bevölkerung erfaßt — für unsere konkreten Fragestellungen also Lehr-
linge, Gesellen und Meister aller H andw erke — und daß er es ermöglicht, verschie-
dene soziale Merkmale wie z.B. Beruf, H erk u n ft, Alter, Stellung im Haushalt oder
Familienstand miteinander zu verknüpfen. W o für einen O rt mehrere solcher
Listen erhalten sind, besteht auch die Chance, den zeitlichen Querschnittscharak-
ter zu überwinden und die Dimension des Wandels einfließen zu lassen.
F ü r die vorliegende U ntersuchung stand eine umfangreiche Sammlung von
Volkszählungslisten in maschinenlesbarer und damit mittels EDV analysierbarer
Form zur Verfügung4. Aus diesem Bestand w urden mit Zürich, Wien und
Zagreb drei Städte ausgewählt, in denen das H an d w erk in einer gemeinsamen
Tradition der mitteleuropäischen Zunftverfassung stand, noch zur Mitte des 19.
Jahrhunderts die gewerbliche P roduktion dominierte und das H andw erk insge-
samt einen wesentlichen Teil der Erwerbstätigen beschäftigte. Zugleich unter-
schieden sich diese Untersuchungsgebiete grundlegend nach Größe, Wachstum,
ökonom ischem Entwicklungsstand und Sozialstruktur. Das Sample Zürich 1836
umfaßt die ‫ ״‬kleine Stadt“ , also das links der Limmat gelegene Altstadtviertel, ein
in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts noch überwiegend kleinbürgerlich
geprägtes, kaum von Unterschichten bewohntes Viertel5.
Ergänzend konnten für ganz Zürich auch einige Angaben herangezogen wer-
den, die Bruno Fritzsche aus einem umfangreichen, die Jahre 1866 bis 1880
betreffenden Forschungsprojekt veröffentlichte6. F ü r Wien wurden für die vor-
liegende U ntersuchung drei Gebiete herangezogen: zunächst Teile der Vorstädte
G u m p en d o rf 1827 und Schottenfeld 1857, die beide zu den wichtigsten gewerb-

Eine ausführlichere Diskussion dieses Q uellentyps bei Josef Ehm er: Ein ‫ ״‬intellektueller T ot-
p u n k t"? Z u r Aussagekraft von Volkszählungslisten und zu r ‫ ״‬W iener Datenbank zur europäischen
Familiengeschichte“ . In: Bericht über den 16. österreichischen H isto rike rta g in Krems 1984. Wien
1985, 634-643.
Ebenda ein Ü b e rb lic k über die in der ‫ ״‬W iener Datenbank zu r europäischen Familiengeschichte“
zusammengefaßten Bestände.
V gl. dazu B runo Fritzsche: Das Q u a rtie r als Lebensraum. In: W erner Conze, U lric h Engelhardt
(H g.), Arbeiterexistenz im 19. Jahrhunden. Stuttgart 1981, 95.
Daten zu r H e rk u n ft der Gesellen und erste Ausw ertungen bei B runo Fritzsche: Handwerkerhaus-
halte in Z ü ric h 1865— 1880. Eine Bestandsaufnahme. In: Engelhardt (H g.), H andw erker, 110 ff. Die
von B runo Fritzsche veröffentlichten Daten erfassen alle Gesellen, die in den Jahren 1866— 1880
in Z ü ric h gemeldet waren, unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts. Sie sind nicht vö llig m it
den aus der V olkszählung 1836 gewonnenen zu vergleichen, da Fritzsche nur Angaben zu den in
den Meisterhaushalten mitlebenden Gesellen vorlegt. Einige Branchen — v o r allem die Baugewerbe
— sind dam it in seinem Sample weniger vertreten als im Volkszählungssample 1836.
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Die Herkunft der Handwerker in städtischen Zentren 49

liehen Vorstädten zählten, in denen sich traditionelles H andw erk mit hausindu-
strieller und manufaktureller T extilproduktion vermischte7. Das dritte Gebiet
vom V orort Hernals 1880 gehörte — außerhalb der Verzehrsteuergrenze gelegen
— vor 1891 nicht zum eigentlichen W iener Stadtgebiet. U m 1880 war dies eines
der am raschesten wachsenden Viertel der Agglomeration Wien, in dem neben
der industriellen Arbeiterschaft kleine Handwerksbetriebe ihren Platz behielten.
Zagreb, die Hauptstadt des Königreichs Kroatien u nd Slawonien, bot zur Mitte
des 19. Jahrhunderts das Bild einer zentralen Handels-, Handwerks- und Verwal-
tungsstadt, in der Industrialisierungstendenzen noch kaum zu spüren sind8. Das
verwendete Sample Zagreb 1857 umfaßt mit Ausnahme einiger V ororte das
gesamte Stadtgebiet.
Diese drei Städte wiesen also in Bezug auf die Tradition des H andw erks und
seine Bedeutung zur Mitte des 19. Jahrhunderts Gemeinsamkeiten auf, die eine
vergleichende Betrachtung sinnvoll machen und den Blick auf allgemeine Struk-
turm erkm ale des Handwerks lenken. Die Unterschiede zwischen den Samples
sollen es dagegen ermöglichen, die Abhängigkeit der allgemeinen Strukturen von
der jeweiligen ökonomischen, sozialen und demographischen U m w elt zu disku-
tieren. Weniger leicht sind die Einflüsse der jeweiligen Gewerberechtsverhält-
nisse in Betracht zu ziehen, da diese sich ja nicht n u r aus den Rechtssatzungen
selbst, sondern vor allem aus ihrer praktischen A nw endung durch die Zünfte
und Obrigkeiten ergaben. Formal bestand in Wien und Zagreb bis 1860 eine
Zunftverfassung, die jedoch zwischen den Gewerbegruppen differenzierte und
vor allem durch die — örtlich unterschiedlich gehandhabte — Verleihung von
Gewerbebefugnissen durchlöchert w ar9. In Zürich war das Zunftwesen seit 1798
schrittweise zurückgedrängt und 1837 endgültig aufgehoben w o rd e n 10. Es hat
jedoch den Anschein, daß formale gewerberechtliche Bestimmungen wenig
bedeuteten im Vergleich zu den tatsächlich praktizierten, durch Traditionen ver-
festigten Verhaltensweisen einerseits und den realen wirtschaftlichen Spielräu-
men und Herausforderungen andererseits11.

7 A usführlich zu r E n tw icklu n g des H andw erks in W ien Josef Ehmer: F a m ilie n stru ktu r und Arbeits-
organisation im frühindustriellen W ien. W ien 1980.
* A rn o ld Suppan: Die Kroaten. In: D ie Habsburgerm onarchie Bd. 1П/1. W ien 1980, 691; Emanuel
Turczynski: D ie städtische Gesellschaft in den Staaten des Donauraumes. In: Klaus-Detlev G ro th u -
sen (H g.), D ie w irtschaftliche und soziale E n tw ic k lu n g Südosteuropas im 19. und 20. Jahrhunden
— Südosteuropa-Jahrbuch 9. M ünchen 1969, 67 f.; zum Entwicklungsstand der kroatischen W in -
schaft vgl. Igor Karaman: Die E n tw ic k lu n g der M anufakturen beziehungsweise der frühen Industrie
in Kroatien 1750— 1850. In: H e rb e n K n ittle r (H g.), W inschafts- und sozialhistorische Beiträge.
Festschrift fü r A lfre d H offm ann. W ien 1979, 236— 246.
9 Z u r D urchlöcherung der Zunftbestim m ungen vgl. H arald Steindl: Entfesselung der A rb e itskra ft.
In: lus C om m une, Sonderheft 20 (1984) 122 ff.
10 Fritzsche: Handwerkerhaushalte, 107; K a rl D ä n d like r: Geschichte der Stadt und des Kantons
Z ü rich , Bd. III. Z ü ric h 1912, 272 ff.
11 Zu dieser in der handwerksgeschichtlichcn Forschung dom inierenden Sichtweise vgl. zusammen-
fassend K arl H e in ric h Kaufhold: G ew erbefreiheit und gewerbliche E n tw ic k lu n g in Deutschland im
19. Jahrhundert. In: Blätter fü r deutsche Landesgeschichte 118 (1982) 111.
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50 Josef Ehmer

Die Interpretation der Ergebnisse ist darum bemüht, die H erkunft der Lehr-
linge, Meister und Gesellen im Gesamtzusammenhang der handwerklichen
Sozialverfassung zu verstehen und zugleich damit einige modellhafte Überlegun-
gen zur Wechselbeziehung zwischen der räumlichen und der sozialen Rekrutie-
rung der H andw erker im 19. Jahrhundert zu entwickeln.

II

Auch die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung — wie sie in den Tabellen
im Anhang dokum entiert sind — unterstreichen die bekannte Tatsache, daß die
H erkunft der Lehrlinge, Gesellen und Meister verschieden ist, also die regionale
Mobilität mit der jeweiligen sozialen Position im H andw erk zusammenhängt.
Dies macht es notwendig, die einzelnen G ruppen zunächst getrennt zu behan-
dein, auch w enn das H andw erk als soziales Gesamtsystem im M ittelpunkt unse-
res Interesses steht.
Mit Ausnahme von Hernals 1880 sind in allen unseren Samples die Meister am
ehesten in ihren W o h norten auch geboren. Diese räumliche Persistenz können
w ir als Indiz für soziale Selbstrekrutierung werten. Dabei ist aber weniger an indi-
viduelle K ontinuitäten zu denken, wie etwa die Übernahm e eines väterlichen
Gewerbes durch den Sohn, als vielmehr an kollektive Privilegien bei der Vergabe
von Bürger- und G ew erberechten12. Zugleich machen die Daten deutlich, daß
diese Selbstrekrutierung keinesfalls eine ausschließliche war: In allen Samples
stammen große Teile der Handwerksmeister nicht aus der Stadt selbst. Auch dabei
ist die W irkung rechtlicher Faktoren nicht auszuschließen, etwa in Zürich, wo die
Stadt seit 1831 gegenüber dem übrigen Kanton nicht privilegiert war. Neunzig
Prozent der Meister stammen hier aus Stadt und restlichem Kanton Zürich.
Wichtiger zur Erklärung unterschiedlicher Selbstrekrutierung erscheinen aller-
dings die jeweiligen wirtschaftlichen Möglichkeiten: Expandierende Märkte
erhöhten die Niederlassungsmöglichkeiten für Zuwanderer (— und sicherlich
auch die Neigung der Behörden zur Vergabe von Gewerbebefugnissen). Dement-
sprechend läßt die Stadt Zagreb bei geringem wirtschaftlichem Wachstum einen
sehr hohen Grad der Selbstrekrutierung erkennen. In Wien liegt er dagegen am
niedrigsten, wobei der Anteil der aus der Stadt selbst stammenden Meister zudem
kontinuierlich zu sinken scheint: Er liegt 1827 (Gumpendorf) bei 43%, 1857
(Schottenfeld) bei 33%, und 1880 (Hernals) bei 24%. Die Bedeutung der Zuwan-
derung für die R ekrutierung der Meister hatte zwar in der Großstadt Wien eine
lange Tradition, die Enwicklung im 19. Jahrhundert läuft jedoch parallel zum
ökonomischen Trend, der durch eine Expansion der handwerklichen Produk-
tion im dritten Viertel des Jahrhunderts gekennzeichnet ist13. Dabei darf aller-

12 Z u r geringen K o n tin u itä t des handwerklichen Familienbetriebs vgl. Michael M itterauer: Z u r fami-
lienbetrieblichen S tru k tu r im zünftigen H andw erk. In: K n ittle r (H g.), Beiträge, 220— 235.
13 Ehmer: F am ilienstruktur.
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Die Herkunft der Handwerker in städtischen Zentren 51

dings — wie bei allen Aussagen zur Entwicklung des H andw erks im 19. Jahrhun-
dert — die Differenzierung zwischen den einzelnen Branchen nicht außer acht
gelassen werden: Der Trend zeigt auch eine Umschichtung zu den Massengewer-
ben an, die sich schon in der vorindustriellen Stadt eher aus Zuwanderern rekru-
tierten als die kleineren und wohlhabenden H an d w e rk e14.
Von den Meistern, die nicht in der jeweiligen Stadt selbst geboren wurden, sind
sicherlich zahlreiche als Lehrlinge oder Gesellen, die sich nach der Wanderzeit
etablieren konnten, in die Stadt gelangt. Vor allem der Zusammenhang zur
Zuw anderung der Lehrlinge dürfte hoch sein, da ja die Volkszählungslisten den
O r t der G eburt und nicht den der Freisprechung angeben, so daß die H erkunft
der Meister eine bereits vor dem A ntritt der Lehre vorgenommene Ortsverände-
rung abbilden mag. In diese Kategorie kann die Zuwandererung aus der näheren
Umgebung fallen, die in Zürich und Zagreb sowohl für Meister als für Lehrlinge
bedeutsam war. Diese Übereinstimmung scheint in Zunftsatzungen ihre Entspre-
chung zu finden, in denen ja häufig nicht aus der Stadt stammende, aber hier aus-
gelernte H andw erker eine Mittelstellung zwischen Bürger- bzw. Meistersöhnen
einerseits und fremden Gesellen andererseits einnahmen.
Was die Beziehung zwischen den Herkunftsorten der Meister und jenen der
Gesellen betrifft, so werden auch hier Überlagerungen sichtbar, wenn auch kei-
nesfalls von großem Ausmaß. Parallelitäten zeichnen sich etwa in der Zuwande-
rung von Deutschen in das vormärzliche Wien ab; der Anteil der aus Deutsch-
land Stammenden ist in G um pendorf 1827 bei Gesellen und Meistern hoch. Eine
ähnliche Überlagerung zeigt sich in den späteren Wiener Samples bei den aus
Böhmen kom m enden H andw erkern, was in geringerem Ausmaß auch in Zagreb
der Fall ist. Eine expandierende Handwerkswirtschaft wie die Wiens zur Mitte
des 19. Jahrhunderts hat sicherlich die Möglichkeiten zur Niederlassung für
fremde Gesellen erhöht. Trotzdem erscheint der Zusammenhang zwischen der
H erkunft von Meistern und Gesellen stärker als negativer: Es kom m en offen-
sichtlich keine Meister aus Regionen, aus denen nicht auch Lehrlinge bzw. Gesel-
len stammen.
Wie wenig eine positive Entsprechung vorhanden sein muß, zeigt am besten
das Beispiel Zürich. Hier stammt zwar die Mehrheit der Gesellen, aber kaum ein
Meister aus nichtschweizer Gebiet. In kleinerem Ausmaß k o m m t dies in Zagreb
bei den Zuwanderern aus der Steiermark zum Ausdruck, die unter den Gesellen
einen bedeutenden, unter den Meistern einen sehr kleinen Anteil einnehmen.
Bei der Einschätzung dieses Sachverhalts sind wiederum zwei Faktoren zu
berücksichtigen. Zum einen sind die gewerberechtlichen und ökonomischen
Verhältnisse der jeweiligen Stadt gegenüber jenen des Herkunftsgebiets der
Gesellen abzuwägen, also die Chancen, sich an einem auf der W anderung passier-
ten O r t niederzulassen in Relation zu den Chancen, die ein Geselle bei der etwai­

14 Nach einem Verzeichnis von 1742 sind z.B. 15% der W iener Schuhmachermeister und 13% der
Schneidermeister in der Stadt gebürtig, dagegen 56% der Buchbinder und 48% der Goldschmiede;
M itterauer: Fam ilienbetriebliche S truktur, 197 ff.
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52 Josef Ehmer

gen R ückkehr in seinen Geburts- oder Lehrort erwartete. Diesem Problem wird
noch im folgenden Teil ausführlicher nachgegangen werden.
Z um anderen ist der Q uerschnittscharakter der Quelle zu berücksichtigen, der
soziale Vorgänge aus verschiedenen Perioden in einer M omentaufnahme erstar-
ren läßt. Das höhere Alter der Meister gegenüber Gesellen und Lehrlingen
drückt nicht n u r eine bestimmte soziale Position und Stellung im Lebenszyklus
aus, sondern auch die Zugehörigkeit zu einer Generation, die in bereits vergange-
nen Zeiten aufwuchs. W ährend die H erkunftsorte von Lehrlingen und Gesellen
Ausdruck aktueller Verhältnisse sind, ist im H erk u n ftso rt der Meister ein viel-
leicht zwei oder drei Jahrzehnte zurückliegendes Verhalten festgefroren — für
eine U m bruchsperiode wie die Mitte des 19. Jahrhunderts ein durchaus langer
Zeitraum. Deutlich spiegelt sich dies in den Tabellen bei der Entwicklung der
W iener Z uw anderung aus Deutschland. 1827 liegt der Anteil der Meister und der
Gesellen gemeinsam knapp unter einem Viertel der Gesamtheit. 1857 hat sich bei
den Gesellen das W anderverhalten geändert, aus Deutschland führen nun keine
massenhaft beschrittenen R outen nach Wien, sondern nur mehr individuelle
Wege. Bei den Meistern scheint dagegen das frühere Verhalten noch durch. Wie-
derum eine G eneration später — in Hernals 1880 — hat sich nun eine Angiéi-
chung auf dem niedrigen Niveau durchgesetzt.

III

Auch die H erk u n ft der Lehrlinge läßt sich nur im Zusammenhang mit der sozia-
len R ekrutierung des H andw erks interpretieren. Sie kom m en zu einem beträcht-
lieh geringeren Teil als die Meister aus der jeweiligen Stadt selbst und nehmen
in dieser Hinsicht eine mittlere Position zwischen Meistern und Gesellen ein (—
w enn auch nicht notwendigerweise, wie das Beispiel Schottenfeld 1857 zeigt).
Die H e rk u n ft aus der Stadt selbst ist abhängig davon, wieweit die Handwerks-
meister bestrebt waren, ihre Zunft — oder das H andw erk insgesamt — durch
eigene Kinder zu reproduzieren, wobei man auch hier wieder weniger an indivi-
duelle N ach k o m m en als vielmehr an Angehörige der sozialen G ruppe zu denken
hat. D er Befund dazu ist widersprüchlich: O h n e Zweifel wurde mit Zunftbestim-
mungen versucht, den eigenen N achw uchs zu privilegieren; andererseits man-
gelte es durchaus nicht an Bestrebungen, diesen nicht in das H andw erk, sondern
in höhere soziale Positionen zu führen. Im späten V orm ärz ist es geradezu ein
Topos der Handw erksliteratur, daß Bürger und Meister — vor allem die besser
situierten — ihre Söhne weniger für das eigene G ewerbe als für sozialen Aufstieg
bestim m ten15. Auch aus den Volkszählungslisten wird die tatsächliche Bedeu-

фф

15 Jörg Jeschke: Gewerberecht und H andw erksw irtschaft des Königreichs H annover im Übergang
1815— 1866. G ö ttin g e n 1977, 242. F ü r Z ü ric h im 18. Jahrhundert verweist R u d o lf Braun auf den
hohen Stellenwert der geistlichen Laufbahn als Aufstiegschance fü r reichere H andw erker; R u d o lf
Braun: Das ausgehende Ancien Regime in der Schweiz. G öttingen 1984, 173, 197.
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Die H erkunft der Handwerker in städtischen Zentren 53

rung etwa der schulischen Ausbildung oder sozial höherer Berufe für Handwer-
kersöhne sichtbar16. Wieweit allerdings sozialer Aufstieg realisiert werden
konnte, w ar natürlich nicht n u r vom Willen der Betroffenen abhängig, sondern
wesentlich von der Sozialstruktur der Stadt, dem Entwicklungsstand des Schul-
wesens, des Handels, der Verwaltungsberufe etc. Eine wenig differenzierte
Sozialstruktur, wie sie im Vergleich zu Zürich und Wien in Zagreb herrschte,
verringerte sicherlich Motivation und reale Chance zum Verlassen der sozialen
G ruppe. Dies mag ein F ak to r sein, der den hohen Anteil der aus Zagreb selbst
stamm enden Lehrlinge erklärt. Allerdings handelt es sich hier um einen Pro-
blemkreis, der mit den zugrundeliegenden Quellen und den angewandten Metho-
den nicht ausreichend zu untersuchen ist.
N eben den sozialen Bestrebungen haben auch die demographischen Verhält-
nisse des H andw erks seine Selbstrekrutierung behindert. H ohes Heiratsalter,
häufiges Heiraten von W itwen oder älteren Frauen bewirkten insgesamt eine
niedrige Fruchtbarkeit und in der Folge geringe Kinderzahlen.
Aus all dem wird deutlich, daß zwar durch Privilegien dem eigenen Nach-
wuchs gute Einstiegsbedingungen in das Gewerbe gesichert werden sollten, die-
ser aber trotzdem nicht ausreichte, um den zahlenmäßigen Fortbestand des
H andw erks, vor allem aber seinen Bedarf an Arbeitskräften, zu gewährleisten.
Die R ekrutierung aus anderen sozialen Schichten war unumgänglich, und wie
unsere Zahlen zeigen, bedeutete dies auch die R ekrutierung von außerhalb der
Stadt. In Zürich und Wien waren zwischen 75 und 87% der Lehrlinge zugewan-
dert, in Zagreb immerhin m ehr als die Hälfte.
D er hohe Anteil nicht aus der Stadt stammender Lehrlinge und deren soziale
H erk u n ft wirft eine Reihe von Fragen auf: Reichten die Söhne städtischer Unter-
schichten zur Befriedigung des Lehrlingsbedarfs nicht aus oder bevorzugten die
Meister Kinder aus ländlichem Milieu? Handelte es sich um Söhne von Land-
handw erkern, die vielleicht zur Lehrlingsausbildung nicht berechtigt waren oder
eine städtische Ausbildung höher schätzten, oder kamen Lehrlinge aus bäuerli-
chen oder unterbäuerlichen Schichten? Dies sind Fragen, die sich beim gegenwär-
tigen Forschungsstand nicht umfassend beantw orten lassen und die auch mit den
hier zugrundeliegenden Quellen nicht zu erfassen sind17.
U n ter den Zuwanderungsgebieten überwog in Zürich und Zagreb die nähere
Umgebung: in Zürich der Kanton, in Zagreb das Komitat und das angrenzende
Komitat Varaždin. In beiden Fällen scheinen D örfer zu dominieren. Zuwande-

16 Das t r if f t auf die hier verwendeten Listen, insbesondere auf Z ü ric h 1836 zu, w ird aber auch dar-
übcrhinaus sichtbar. W eitere Beispiele bei Josef Ehmer: Ö konom ischer und sozialer S trukturw an-
del im W iener H andw erk. In: Engelhardt (H g.), H andw erker, 104 ff.
17 Für Regensburg 1780— 1800 betonen G rieß inger und R eith den Zusammenhang zwischen reģiona-
1er und sozialer R ekrutierung: je niedriger das Lehrgeld, je kü rze r die Lehrzeit, allgemein je geringer
die Zulassungsbedingungen, desto höher der A n te il der Lehrlinge aus den umliegenden O rtschaf-
ten; Andreas G rießinger, R einhold Reith: Lehrlinge im deutschen H andw erk des ausgehenden 18.
Jahrhunderts. Arbeitsorganisation, Sozialbeziehungen und alltägliche K o n flik te . In: Zeitschriften
fü r historische Forschung 13 (1986) H e ft 2, 156 ff., insbes. 158.
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rung aus größerer Entfernung spielte für Lehrlinge eine geringe Rolle, außer in
Wien, w o aus dem umliegenden Niederösterreich absolut und relativ nur wenige
Lehrlinge stammen und die Sudetenländer zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein
anscheinend unerschöpfliches Reservoir bildeten.
Die räumliche N ähe der Herkunftsgebiete der Lehrlinge verweist auch auf den
T y p ihrer Wanderung. Diese war eine einmalige Ortsveränderung, der Übertritt
vom Haushalt der Herkunftsfamilie in den Meisterhaushalt, und kein längerer
Dauerzustand wie bei den Gesellen. Es handelt sich allerdings um Einzelwande-
rung. Die Q uellen bieten keinen Hinweis, daß ein bemerkenswerter Teil der
nicht aus der jeweiligen Stadt stammenden Lehrlinge etwa gemeinsam mit ihrer
Familie zugewandert wäre. Trotzdem ist zu vermuten, daß die W anderung der
Lehrlinge an bereits bestehende soziale oder verwandtschaftliche Beziehungen
anknüpfte oder in anderer Form in institutionalisierten Bahnen erfolgte: zwi-
sehen Böhmen und Wien etwa durch Händler und Fuhrleute, die auf ihren regel-
mäßigen Fahrten in den böhmischen Dörfern Kinder aufsammelten und an
bestimmte Meister in der Stadt ablieferten18.

IV

Bei den Gesellen, die in unseren Samples fast immer die große Mehrheit der hand-
werklichen Arbeitskräfte stellen, ist Zuwanderung die bei weitem wichtigste
Rekrutierungsquelle. Ein extremes Beispiel bietet Zürich, wo kaum einer der
Gesellen aus der Stadt selbst stammt. In den übrigen Untersuchungsgebieten liegt
der Anteil der einheimischen Gesellen ziemlich gleichmäßig bei einem Viertel.
Auch bei den Gesellen ist natürlich ihre H erkunft bis zu einem bestimmten Grad
von der H erk u n ft der Lehrlinge abhängig. Die einheimischen Gesellen haben
höchstwahrscheinlich auch ihre Lehre am Geburtsort absolviert, und sicherlich
ist auch ein Teil der aus der näheren Umgebung stammenden Gesellen nicht
nach, sondern vor ihrer Lehrzeit in die jeweilige Stadt gelangt. Aufgrund der grö-
ßeren Zahl der Gesellen nehmen allerdings die aus dem Umland Stammenden
einen wesentlich geringeren Anteil ein, als dies bei den Lehrlingen der Fall ist.
Auch in absoluten Zahlen liegen die aus der Nähe kommenden Gesellen unter
den Lehrlingen, ein Hinweis dafür, daß unsere Städte nicht nur fremde Gesellen
anzogen, sondern auch — wenn auch in vergleichsweise bescheidenem Ausmaß
— einheimische auf Wanderschaft schickten.
Bei den Gesellen, die nicht aus Stadt und Umland stammen, zeichnen sich zwei
Herkunftskreise ab. Z um einen die Fernwanderung auf weitreichenden, vermut-
lieh seit langem bestehenden Routen, wie sie die aus den norddeutschen Territo-

18 Einen Ü b e rb lic k über Form en der Zuwanderung nach Wien gibt H einz Faßmann: A Survey o f
Patterns and Structures o f M ig ra tio n in Austria 1850— 1900. In: D ir k H oerder (ed.), Labor Migra-
tio n in the A tla n tic Economies in the Period o f Industrialization. C o n trib u tio n s in Labor H is to ry
16 (W estport 1984) 6 9 -9 3 .
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Die H erkunft der Handwerker in städtischen Zentren 55


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rien nach Zürich oder überhaupt aus deutschen Ländern nach Wien oder Zagreb
kom m enden Gesellen erkennen lassen. Diese Form der W anderung steht m.E.
am ehesten in der langen Tradition zünftigen Gesellenwanderns, das nicht nur
arbeitsmarktpolitische Funktionen erfüllte, sondern auch vom Streben nach all-
gemeiner, beruflicher und im 19. Jahrhundert sicherlich auch politischer Bildung
getragen w a r 19. Wie aus den Herkunftsorten hervorgeht, erfolgte diese Fernwan-
derung überwiegend zwischen größeren städtischen Zentren: Aus Berlin, Ham-
bürg oder Leipzig kamen 1836 jeweils mehrere Züricher Gesellen. In quantitati-
ver Hinsicht ist allerdings nur ein kleiner Teil der Gesellen diesem W andertyp
zuzurechnen. In Zürich stammte 1836 knapp mehr als ein Zehntel der Gesellen-
schaft aus deutschen Territorien, die nicht an die Schweiz angrenzen. Dieser
Anteil scheint jedoch bis in die 1880er Jahre stabil geblieben zu sein. In Wien
wird dagegen — wie bereits erwähnt — ein Bedeutungsverlust der Fernwande-
rung aus Deutschland sichtbar. Kamen in G um pendorf 1827 noch m ehr Gesellen
aus deutschen Ländern als aus Böhmen und Mähren zusammen, so erscheint
Wien in den mittleren Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bereits von den Massen-
und Fern Wanderrouten der deutschen Gesellen abgekoppelt. Dies k om m t
sowohl in einem allgemeinen Rückgang zum Ausdruck, als auch in einer zuneh-
menden Verengung ihres Herkunftsbereichs auf Bayern: Von dort kam 1827 nur
ein kleiner Teil, 1857 und 1880 mehr als die Hälfte der deutschen Gesellen in
W ien20. Zagreb wurde von der Fernwanderung deutscher Gesellen zur Mitte des
19. Jahrhunderts nur (noch?) am Rande berührt.
Q uantitativ wesentlich stärker als Fernwanderung und Zuw anderung aus dem
städtischen U m land fällt ein dritter Einzugsbereich ins Gewicht. R und ein Drit-
tel der Züricher Gesellen stammt aus Baden und — vor allem — W ürttemberg;
vierzig bis fünfzig Prozent der Wiener Gesellen kom m en zur Jahrhundertm itte
aus den Sudetenländern, insbesondere aus Böhmen. In Zagreb herrscht unter
dem insgesamt nur knapp über die Hälfte ausmachenden nicht-kroatischen Ein*
zugsbereich eine breitere Streuung. In bescheidenem A usm aß ist allerdings die
Steiermark — und hierunter vor allem die Untersteiermark — als Schwerpunkt
erkennbar.
H ier zeichnen sich verdichtete Beziehungen zwischen den untersuchten über-
regionalen städtischen Zentren auf der einen Seite, und bestimmten bevorzugten
Herkunftsgebieten in meist mittlerer Entfernung auf der anderen Seite ab.
Sicherlich ist die Dichte dieser Beziehungen nicht nur von einem F a k to r allein,
sondern von verschiedenen Ursachen abhängig: Die geringe Zahl bayerischer
Gesellen in Zürich könnte etwa von religiösen Motiven beeinflußt sein; der
Anteil Zagreber Gesellen aus ungarischen Komitaten — unter denen die west-
ungarischen dominieren — mag ethnisch bestimmte Migration ausdrücken; das

19 Ein bekanntes Beispiel fü r politische Interessen bietet der Magdeburger Schneidergesellc W ilh e lm
W eitling, der in den 1830er Jahren in W ien und Z ürich arbeitete.
20 D er Rückgang der deutschen Gesellen in W ien w ird auch in Z unftarchivalien einzelner Gewerbe
deutlich. Z u r H e rk u n ft der W iener Tischlergesellen 1820— 1906 vgl. Ehmer: S trukturw andel, 99.
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56 Josef Ehmer

Ausscheiden Wiens aus den deutschen Fernw anderrouten ist sicherlich von poli-
zeilichen M aßnahm en und dem politischen Auseinanderrücken Österreichs und
der deutschen Territorien beeinflußt. T rotzdem scheint mir, daß der zahlenmä-
ßig bedeutende T y p der Gesellenmigration im Kraftfeld von überregionalem
Z en tru m und bevorzugter H erkunftsregion mittlerer Distanz mit den zentralen
A rgum enten der handwerksgeschichtlichen Diskussion, die vor allem Ausschlie-
ßungsbestrebungen der städtischen Meister und eine breite Palette kollektiver
und individueller Motive als Ursachen der Gesellenmigration hervorhebt, nicht
vollständig erklärt werden kann. D azu scheint vielmehr ein sozialökonomisches
Modell notwendig zu sein, das die Stadt-Land-Beziehungen im H andw erk in den
M ittelpunkt stellt. Dies ist allerdings ein Problembereich, dem von der hand-
werksgeschichtlichen Forschung erst sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt
wurde. Im folgenden kann deswegen n u r versucht werden, einige Elemente eines
derartigen Modells zu skizzieren.

Ausganspunkt meiner Überlegungen ist die A nnahm e eines strukturellen Land-


Stadt-Gegensatzes, der schon das traditionelle H andw erk prägte. Auf einem Pol
befand sich das städtische Z unfthandw erk, das bestrebt war, die Zahl der Meister-
stellen auf einem Niveau zu halten, das zu niedrig war, um den Bedarf an Arbeits-
kräften außerhalb von Krisenzeiten oder gar in Konjunkturen abzudecken.
Zusätzlich benötigte Arbeitskräfte gelangten als wandernde Gesellen in die
Städte, ohne sich hier dauerhaft niederlassen zu können. In dieser Sichtweise
konstituierte die Gesellenmigration neben der fixen Arbeitskraft der ansässigen
Meister einen flexiblen A rbeitsm arkt21.
Einen anderen Pol bildete das Landhandwerk, das Chancen zur selbständigen,
w enn auch meist außerzünftigen Niederlassung bot, aber außerhalb der verlegten
Hausindustrie keinen Produktionsum fang erreichte, der die Beschäftigung
unselbständiger Arbeitskräfte in größerem Ausmaß nötig oder auch möglich
gemacht hätte. Vielmehr w urde es selbst meist mit oder neben einer agrarischen
Tätigkeit betrieben und leitete daraus seinen flexiblen Charakter ab22.
Diese beiden Pole scheinen nun bestimmenden Einfluß auf die Migration von
H andw erkern genom m en zu haben: Städte zogen Lehrlinge, vor allem aber
Gesellen vom Land an, verteilten und bewegten sie untereinander, und entließen

21 G rundlegend dazu Klaus J. Bade: A ltes H a n d w e rk, Wanderzwang und G ute Policey: Gesellenwan-
derung zwischen Z u n ftö k o n o m ie und G ew erbereform . In: VSW G 69 (1982) 1— 37. F ü r frühere
Perioden vgl. ferner K n u t Schulz: Handwerksgesellen und Lohnarbeiter. Sigmaringen 1985,
2 6 8 -2 7 4 .
22 A ls breiten Ü b e rb lic k zu r Geschichte des Landhandwerks vgl. Helga Schultz: Landhandwerk im
Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus. B e rlin /D D R 1984.
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Die Herkunft der Handwerker in städtischen Zentren 57

die meisten von ihnen wieder — vielleicht in städtische Lohnarbeiterschichten,


zum Teil aber sicherlich in eine bescheidene Existenz als Landmeister23.
Dieses Land-Stadt-Verhältnis scheint sich im 18. Jahrhundert herausgebildet zu
haben unter den Bedingungen restriktiver Bestrebungen des städtischen Hand-
werks auf der einen und einer Ausdehnung des ländlichen Gewerbes in fast allen
deutschen und österreichischen Territorien auf der anderen Seite. Im 19. Jahr-
hundert hat es sich m.E. verschärft: G anz allgemein wird zwar in Mitteleuropa
das zweite und dritte Viertel des Jahrhunderts von einem starken Anwachsen des
H andwerks geprägt — es vollzog sich allerdings unterschiedlich in Stadt und
Land24. Das Landhandwerk wuchs eher ‫ ״‬in die Breite“ , in F orm einer zuneh-
menden Zahl von Landmeistern, die jedoch nicht nur eine tatsächlich gestiegene
Nachfrage nach Gewerbeprodukten ausdrückt, sondern auch das Wachstum
ländlicher Bevölkerungsschichten, die nicht m ehr in der Landwirtschaft und
noch nicht in der Industrie ihre N ah ru n g fanden. Das städtische H andw erk
expandiene dagegen ‫ ״‬in die Tiefe“ : N eben der durch den Urbanisierungsprozeß
selbst angeregten Nachfrage wurden vor allem in den größeren Städten einzelne
Branchen vom Verlagswesen erfaßt, das nicht nur die ökonom ische Selbständig-
keit der Meister in Frage stellte, sondern zugleich damit die G renzen der lokalen
Märkte überwand. Differenzierung, K onzentration und schließlich eine allge-
meine Erhöhung der Betriebsgrößen sind die charakteristischen Entwicklungs-
merkmale des städtischen Handwerks im 19. Jah rh u n d ert25.
Das Ergebnis dieser unterschiedlichen Entwicklung ist eine disparitätische Ver-
teilung der Arbeitskräfte, die in allen verfügbaren Statistiken des 19. Jahrhun-

23 Die W anderung von Lehrlingen und Gesellen vom Land in die Stadt reicht w eit zurück und ist
an vielen Beispielen dokum entiert. Z u den Lehrlingen vgl. M itterauer: Fam ilienbetriebliche Struk-
tur, 214; Jeschke: Gewerberecht, 243; ferner K u n W esoły: Lehrlinge und Gesellen am M itte lrh e in .
Ihre soziale Lage und ihre Organisation vom 14. bis zum 17. Jahrhunden. F ra n k fu rt 1985; zu den
Gesellen vgl. neben den zitierten Arbeiten von E lka r und Brauer auch Klaus Schwarz: D ie Lage
der Handwerksgesellen in Bremen während des 18. Jahrhunderts. Bremen 1975, 45 ff.; Franz Ler-
ner: Eine Statistik der Handwerksgesellen in F ra n k fu rt a.M. vom Jahre 1762. In: VSW G 22 (1929)
174-193.
Die Rückwanderung von Gesellen auf das Land, um sich d o rt ständig niederzulassen, ist dagegen
noch wenig erforscht. W ichtige Hinweise auf diese Stadt-Land-Wanderung in marginale Selbstän-
digkeit geben Eckart Schremmer: Standortausweitung der W arenproduktion im langfristigen W irt-
schaftswachstum. Z u r Stadt-Land-Arbeitsteilung im Gewerbe des 18. Jahrhunderts. In: VS W G 59
(1972) 15; K arl H e in rich Kaufhold: Das Gewerbe in Preußen um 1800. G öttingen 1978, 350 f. Daß
vor den in die Stadt wandernden Lehrlingen die Perspektive der Landmeisterexistenz stand, verm u-
ten R eith /G rie ß in g e r: Lehrlinge, 157; und Jeschke, Gewerberecht, 243.
24 Z u r globalen Einschätzung der H andw erksentw icklung im 19. Jahrhundert vgl. die Beiträge von
Karl H e in ric h Kaufhold: H andw erk und Industrie 1800— 1850, 321— 368; W o lfra m Fischer: Berg-
bau, Industrie und H andw erk, 527— 562; W erner Conze: Sozialgeschichte 1850— 1918, 602— 684;
alle in: Handbuch der deutschen W irtschafts- und Sozialgcschichte Bd. 2, Stuttgart 1976.
25 Z u r besonders dynamischen E n tw icklu n g des städtischen H andw erks vgl. Jürgen Bergmann: Das
Berliner H andw erk in den Frühphasen der Industrialisierung. Berlin 1973; Friedrich Lenger: Polari‫־‬
sierung und Verlag. Schuhmacher, Schreiner und Schneider in Düsseldorf 1816— 1861. In: Engel-
hardt (H g.), H andw erker, 127— 145; Ehmer: S trukturw andel.
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58 Josef Ehmer

derts zum Ausdruck kommt: U n ter den H andw erkern auf den Dörfern und
Marktflecken überwiegen die Meister bei weitem, und unter den H andw erkern
der Städte dominieren die Gesellen — und zwar umso mehr, je größer die jewei-
lige Stadt26.
Es handelt sich dabei natürlich nur um ein abstraktes Schema, das dazu dienen
soll, bestimmte Züge der Handwerkermigration zu erklären. Etwas konkreter
kann es werden, wenn wir nun die einzelnen bevorzugten Herkunftsgebiete
mittlerer Distanz in die Betrachtung einbeziehen.
Baden und W ürttem berg waren schon um 1800 jene deutschen Territorien mit
dem dichtesten Landhandwerk. Bis zur Mitte der 1840er Jahre wuchs das Hand-
w erk insgesamt stark an, wobei zwei Differenzierungen für uns wichtig sind: Das
ländliche Kleingewerbe wuchs schneller als das städtische, und zumindest in
manchen Perioden stieg die Meisterzahl rascher als die der Gesellen, etwa in
W ürttem berg in den 1830er Jahren27. Diese Region scheint demnach das Beispiel
einer Handwerkerlandschaft zu bieten, die selbständige Niederlassung — wenn
auch meist in Form einer ländlichen Grenzexistenz — ermöglicht, zugleich damit
aber einen Überschuß an unselbständigen Arbeitskräften produziert.
Die Lage des Handwerks in Böhmen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
ist weniger gut erforscht. Schon im ausgehenden 18. Jahrhundert war Böhmen
allerdings von einem dichten N etz textiler Hausindustrie überzogen, und es ist
durchaus anzunehmen, daß die von Helga Schultz konstatierte ‫ ״‬Parallelität“ und
‫ ״‬positive Wechselwirkung“ in der Entwicklung von Exportgewerbe und ländli-
ehern H andw erk auch hier durchschlug28. Für den Vormärz verweisen verschie-
dene Berichte auf die Überbesetzung der Gewerbe in den kleinen Landstädten,
wo die Meister zum Teil als Taglöhner arbeiten müßten, und zwar viele Lehr-
linge annähmen, aber zu arm wären, diese dann auch als Gesellen zu halten.

26 Vgl. etwa die Angaben bei Gustav Schmoller: Z u r Geschichte der Kleingewerbe im 19. Jahrhun-
dert. H alle 1870; fü r eine Reihe einzelner Gewerbe Georg v. Viebahn: Statistik des zollvereinten
und nördlichen Deutschlands, T eil 3. Berlin 1868, 559, 589 (Bäcker), 595 (Fleischer), 671 (Schneider)
usw.; Paul Voigt: D ie Hauptergebnisse der neuesten deutschen H andw erkerstatistik von 1895. In:
Jahrbuch fü r Gesetzgebung, V erw altung und V olksw irtschaft im Deutschen Reich 21 (1897), insbe-
sondere 240, 245, 248 ff. U n te r den neueren A rbeiten bringt dasselbe Ergebnis fü r Rheinhessen
A nne J. MacLachlan: D er Übergang vom H andw erker zum U nternehm er in M ainz 1830— 1860.
In: Engelhardt (Hg.), H andw erker, 155.
27 Z u W achstum und V erteilung des Kleingewerbes in Baden in den Jahren 1809 bis 1829 vgl. W o lf-
ram Fischer: D er Staat und die Anfänge der Industrialisierung in Baden. Berlin 1962, 287— 291; zur
H andw erksentw icklung in W ürttem berg 1829— 1844 vgl. W olfgang von H ippel: Bevölkerungsent-
w icklu n g und W irtschaftsstruktur im Königreich W ürttem berg 1815/65. In: U lric h Engelhardt u.a.
(H g.), Soziale Bewegung und politische Verfassung. Stuttgart 1976, 320. Z u r Landhandwerkerdichte
um 1800 Angaben bei Schultz: Landhandwerk, 33 f., 170; allgemein zu r G ew erbeentw icklung in
Baden und W ürttem berg vgl. auch Schmoller; Kleingewerbe, 104 ff. und 109 gg.
28 Schultz: Landhandwerk, 31. D ie weite V erbreitung der böhmischen Hausindustrie und der fü r den
überlokalen M a rk t arbeitenden ‫ ״‬Kom m erzialgewerbe“ dokum entiert fü r die Jahre 1766— 1797
Gustav O tru b a : Die älteste M anufaktur- und Gewerbestatistik Böhmens. In: Bohemia. Jahrbuch des
C ollegium C arolinum 5 (1964) 104— 241. Gerade fü r Böhmen ist allerdings eine weitere regionale
D ifferenzierung erforderlich; vgl. dazu Schultz: Landhandwerk, 53.
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Die Herkunft der Handwerker in städtischen Zentren 59

Auch die disparitätische Verteilung der Arbeitskräfte (Meister auf dem Land —
Gehilfen in den größeren Städten) ist für Böhmen belegt29. T rotzdem scheinen
sich hier die Verhältnisse etwas anders zu gestalten als in Baden und W ürttem-
berg: Arbeitskräfte wurden zwar in großem Maß exponiert, zumindest die Wie-
ner Daten weisen aber darauf hin, daß die böhmischen Gesellen eher daran inter-
essiert waren, sich dauerhaft in der Fremde niederzulassen, als in ihre Heimat
zurückzukehren. O b dies zur Mitte des 19. Jahrhunderts der besonderen Anzie-
hungskraft und dem enormen Wachstum Wiens zu danken ist, oder ob umge-
kehrt die Existenzbedingungen für Landhandwerker in Böhmen zu schlecht
waren, um Rückwanderung zu motivieren, kann gegenwärtig noch nicht ent-
schieden werden.
Zagreb bietet zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein negatives Beispiel für unser
Modell. Hier spielte die Zuwanderung der H andw erker eine geringere Rolle. Das
städtische Kleingewerbe war noch nicht von dem für Zürich und Wien charakte-
ristischen Wachstumsschub erfaßt worden, beschäftigte eine vergleichsweise nur
geringe Zahl von Gesellen und war wenig differenziert. Dazu kom m t, daß auch
in den ländlichen Gebieten im Einzugsbereich Zagrebs zur Mitte des 19. Jahr-
hunderts die wirtschaftliche und soziale Differenzierung nur wenig fortgeschrit-
ten war. In Kroatien, vor allem in den Gebieten der Militärgrenze, hatte noch
die Zadruga Bestand30. Stark belasteter landwirtschaftlicher Kleinstbesitz, der
schon in den 1850er Jahren eine Abwanderungswelle erzwang, war dagegen für
die slowenische Bevölkerung Krains und der Untersteiermark kennzeichnend31.
Dies mag eine höhere Zuwanderung aus diesen Regionen nach Zagreb begrün-
den, wobei allerdings nicht zu übersehen ist, daß das ländliche H an d w erk hier
nur eine marginale Rolle spielte. Vielleicht erklärt dies wiederum, daß vor allem
in den Baugewerben (Maurer, Zimmerer) der Anteil der aus Krain und der Steier-
mark eingewanderten Gesellen besonders deutlich zur Geltung kom m t.

VI

W erner Conze hat für das H andw erk des 19. Jahrhunderts festgestellt, daß mit-
unter auch gesamtwirtschaftlich zutreffende Feststellungen unzureichend oder
sogar irreführend sind, da ‫ ״‬die soziale Wirklichkeit sich uneinheitlich und wider-
sprüchlich ausnahm “ 32. Von daher leitete er für die Sozialgeschichte die N otw en-
digkeit einer nicht nur regionalen, sondern auch branchenspezifischen Differen-
zierung ab. Auch hier soll demnach noch ein kurzer Hinweis auf branchenspezi-
fische Differenzierungen versucht werden. Unser Erklärungsmodell beruht ja auf

29 Hinweise fü r die Zeit vom V orm ärz bis in die 1860er Jahre bietet Peter Heumos: Bruderlande und
proletarischer Tabor. Soziale Bedingungen von A ktions- und Organisationsform en tschechischer
kleingewerblicher A rb e ite r in Böhmen 1850— 1870. In: VSW G 69 (1982) 342, 346.
30 Suppan: Kroaten, 662.
31 Janko Pieterski: D ie Slowenen. In: Die Habsburgermonarchie Bd. 1II/2. W ien 1980, 812 ff.
32 Conze: Sozialgeschichte, 616.
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60 Josef Ehmer

der Annahm e, daß Gesellen zwar in den Städten als A rbeitskräfte gebraucht, aber
in der dauerhaften Niederlassung behindert wurden. Diese Voraussetzung t r if f t
nun v o r allem fü r diejenigen Gewerbe zu, in denen zur M itte des 19. Jahrhun-
derts die Gesellen noch nicht heirateten und einen eigenen Haushalt gründeten,
sondern beim Meister, vielleicht auch als U nterm ieter, Bett- oder Tischgänger
lebten. Insgesamt handelt es sich bei den hausrechtlich abhängigen, im Haushalt
des Meisters lebenden Gesellen in Z ü rich 1836, Zagreb 1857 und Schottenfeld
1857 um die M e h rh e it33. Einige Gewerbe waren aber in besonderem Maße von
diesen Verhältnissen bestimmt: die Nahrungsm ittelgewerbe (Bäcker, Fleischer),
die Schuster, in geringerem Ausmaß auch Schneider und Tischler. Es sind denn
auch diese hausrechtlich verfaßten Branchen, die ein besonders dichtes Migra-
tionsnetz zwischen Z ürich und Baden und W ürttem berg, zwischen W ien und
den Sudetenländern erkennen lassen.
E in anderes M igrationsverhalten zeigen diejenigen handw erklichen Branchen,
in denen eine lange T ra d itio n der Lohnarbeit bestand und es auch fü r Gesellen
üb lich w ar, zu heiraten, einen Haushalt zu gründen, dauerhaft in der jeweiligen
Stadt ansässig zu sein. Sie rekrutieren sich in wesentlich höherem M aß als die
beim M eister wohnenden Gesellen aus der jeweiligen Stadt selbst: Dies w ird deut-
lieh bei den M aurern und Zim m erern in Zagreb, die zu 33 bzw. 40% aus der
Stadt selbst stammen, oder bei den T extilhandw erkern in W ien-Schottenfeld, bei
denen der A n te il der in W ien geborenen sogar zwischen 61 (Weber) und 86%
(Bandmacher) liegt.
A uch diese allgemeine Regel unterschiedlichen M igrationsverhaltens zwischen
lohnarbeitenden und hausrechtlich verfaßten Gewerben t r if f t allerdings nicht in
jedem Fall zu. Betrachten w ir etwa die Textilhandw erker in W ien-G um pendorf
1827, so zeichnen sich die Zeugmacher durch die bereits konstatierte hohe Ansäs-
sigkeit aus, bei den Webern überwiegen dagegen die Zuwanderer — sogar stärker,
als dies bei der Gesamtheit der Gesellen der Fall ist. Auch hier sind also die kon-
kreten Verhältnisse der einzelnen Gewerbe, vo r allem deren regionale und lokale
K o n ju n k tu re n zu berücksichtigen. Eine weitere Besonderheit fä llt bei der Her-
k u n ft der M aurer in Z ü rich auf: V o n ihnen stammt 1836 kein einziger aus der
Stadt selbst, und nur wenige aus dem U m land. Dagegen kom m en große Teile aus
V orarlberg, T iro l und Liechtenstein — alles Herkunftsgebiete, die in den anderen
Gewerben kaum eine Rolle spielen. W ir haben es hier m it Saisonwanderern zu
tu n , die aus eng begrenzten Regionen — etwa dem T iro le r Paznauntal — stam-
men, in größeren G ruppen gemeinsam nach Z ü rich wanderten, d o rt zusammen
in denselben Q uartieren lebten, und zum Ende der Saison wieder zu ihren Fami-
lien zurückkehrten.
A u f der Ebene der einzelnen Gewerbe in den einzelnen Städten w ird demnach
eine große V ielfalt konkreter Migrationsverhältnisse sichtbar. T ro tz dieser Viel-

33 In Z ü ric h lebten 1836 60%, in Zagreb 1857 55% und in W ien-Schottenfeld 1857 52% aller Gesellen
im Haushalt ih re r Meister.
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Die Herkunft der Handwerker in städtischen Zentren 61

falt lassen sich jedoch allgemeine Aussagen zur H e rk u n ft der H an dw e rker in


allen drei untersuchten Städten form ulieren — die abschließend nochmals zusam-
mengefaßt werden sollen:
— Räumliche H e rk u n ft und soziale R ekrutierung der einzelnen Handwerks-
gruppen gehen eine enge Wechselbeziehung ein, die bestim m t ist von dem
Ausmaß der sozialen K o n tin u itä t und E xklusivität der dauerhaft ansässigen
Selbständigen einerseits und deren Bedarf an unselbständigen fluktuierenden
A rbeitskräften andererseits.
— Räumliche H e rk u n ft ist nicht beliebig gestreut, sondern von verdichteten
Migrationsbeziehungen zwischen der jeweiligen Stadt und anderen Räumen
geprägt. Verdichtete Migrationsbeziehungen sind von der w irtschaftlichen
und sozialen S tru k tu r beider Pole, sowohl der Stadt als auch der bevorzugten
Herkunftsgebiete, abhängig.
Dieses gemeinsame G rundm uster gibt auch die Folie ab, auf der die Unterschiede
in der H e rk u n ft der H andw erker in den drei untersuchten Städten K on tu re n
gewinnen und durch jeweilige soziale, ökonomische oder vom Stadtwachstum
bedingte Ursachen erfaßt werden können. Dabei erscheint Zünch als das Beispiel
einer kleinen Stadt m it zentraler w irtschaftlicher Bedeutung und starkem w irt-
schaftlichem W achstum, in der eine hohe E xklusivität der Meisterstellen, eine
Beschränkung auf Bürger von Stadt und Landschaft und zugleich ein großer
Bedarf an Gesellen, die aus den südwestdeutschen Regionen verdichteten Land-
handwerks fü r kurze Zeit in die Stadt wandern, vorherrscht.
Zagreb, von Industrialisierungstendenzen zur M itte des 19. Jahrhunderts noch
weitgehend unberührt, zeigt ebenfalls eine hohe Selbstrekrutierung der Meister,
die aber einen relativ geringen Bedarf — und verm utlich auch ein geringes Ange-
bot — an unselbständigen A rbeitskräften erkennen lassen und ihre Gesellen aus
einem w eit gestreuten Herkunftsgebiet rekrutieren.
Wien schließlich ist in unserem Vergleich die einzige Großstadt und zur M itte
des 19. Jahrhunderts von einer expandierenden kleingewerblichen P ro d u k tio n
geprägt. Seinen enormen Bedarf an A rbeitskräften deckt das H a n d w e rk zuneh-
mend aus den Sudetenländern, vo r allem aus Böhmen. Zum indest in den Massen-
handwerken verlie rt die Position des selbständigen Handwerksmeisters jede
soziale E xklu sivitä t, und die räumliche H e rk u n ft von Lehrlingen, Gesellen und
M eistern gleicht sich an.

Hinweise zu den Tabellen:

D ie Angaben in den Tabellen beruhen auf der Ausw ertung von U rm aterialien von Volkszählungs-
listen. Diese Q uelle läßt nicht im m er eine scharfe Abgrenzung des H andw erks und der sozialen Posi-
tio n der H andw erker zu. Für die Ausw ertung g ilt, daß die in den Tabellen enthaltenen Kategorien
‫ ״‬Geselle“ , ‫ ״‬L e h rlin g ‫ ״‬und ‫ ״‬M eister“ im wesentlichen nur solche Personen umfassen, die auch in der
Q uelle so bezeichnet sind. Fehlt in der Q uelle diese Bezeichnung, so w urde sie n ich t fü r die Gesamt-
heit, sondern n u r fü r die Massenhandwerke der Schneider, Schuster, Tischler, Schlosser, Bäcker, Flei-
scher, Z im m erer und M aurer rekonstruiert. Dies t r if f t zu fü r die Meister in Z ü ric h 1836 (der Begriff
Meister findet hier keine Verwendung), fü r Gesellen und Meister in W ien-G um pendorf 1827 (die
Zahl der Lehrlinge w ar hier zu gering, um aufgenommen zu werden) und fü r die Lehrlinge in W ien-
Schottenfeld 1857.
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62 Josef Ehmer

W eiterhin w urden die folgenden Ausweitungen der Kategorien vorgenom m en: Z u Gesellen wurden
auch ‫ ״‬G ehilfen“ und ‫ ״‬Knechte“ gezählt, wenn deren Berufsbezeichnung eindeutig handw erklichen
C harakter tru g (z.B. ‫ ״‬Bäckerknecht“ ). Z u M eistern w urden auch ‫ ״‬befugte“ und ‫ ״‬bürgerliche“ Hand-
w erker gerechnet. In den Tabellen m it den w ichtigsten Einzelgewerben sind Träger bloßer Berufs-
bezeichnungen (‫ ״‬Tischler“ ) dann zu Gesellen gerechnet, wenn weitere Angaben in der Q uelle dies
gerechtfertigt erscheinen ließen.
In den W iener Textilgewerbcn w ird m ehrheitlich n u r die Berufsbezeichnung (‫ ״‬W eber“ , ‫ ״‬Band-
macher“ ) angeführt, ohne weitere soziale Bestimmung. In dieser Branche w urden deshalb alle Berufs*
träger in den Tabellen zusammengefaßt.

Tabelle 1: H erkunft der Handwerkert Z ünch 1836

H e rk u n ft der ‫ ״‬Gesellen“
Gesellen Lehrlinge M eister2 1866— 1880 (nach B. Fritzsche)3
% % % %

Stadt Z ürich 14 2,7 25 19,8 50 43,5 160 1,5


Kanton Z ürich 57 10,9 62 49,2 54 47,0 1.374 12,6
Kanton Aargau 20 3,8 5 4,0 ‫י‬ 733 6,7
Kanton Thurgau 21 4,0 4 3,2 ► 0 7 450 4,1
* Q /,0Л
Kanton St. Gallen 18 3,4 1 0,8 353 3,2
Sonstige Kantone 63 12,0 14 11,1 J 1.677 15,3

Schweiz zusammen 193 36,8 111 88,1 112 97,4 4.717 43,1

Baden 62 11,8 8 6,3 1 0,9 1.524 13,9


W ürtem berg1 104 19,9 2 1,6 1 0,9 2.413 22,1
Bayern 19 3,6 1 0,8 535 4,9
Sachsen 19 3,6 *‫י‬ 185 1,7
Hessen 11 2,1
‫־‬ 818 7,6
7
N o rd d t. Staaten 31 5,9

D t. Staaten zusammen 246 47,0 11 8,7 2 1,7 5.493 50,2

Vorarlberg 19 3,6
T iro l 27 5,1
Sonst. Österreich 10 1,9
Ф»
Österreich zusammen 56 10,7 421 3,8

Liechtenstein 17 3,2 1 0,8


Sonstige Staaten 2 0,4 291 2,7

N ic h t zuordenbar 10 1,9 3 24 1 0,9

Zusammen 524 100,0 126 100,0 115 100,0 10.922 99,8

1 einschließlich H ohenzollern
2 N u r Meister der Schneider, Schuster, Tischler, Schlosser, Bäcker, Fleischer
3 vgl. A n m . 6
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Die H erkunft der Handwerker in städtischen Zentren 63

Tabelle 2: H erkunft der Handwerksgesellen in den wichtigsten Emzelgewerben> Zünch 1836

Schuster Schneider Schlosser Tischler Bäcker u. Maurer Zim m erer


Fleischer

Stadt Z ü ric h 2 2 1 1 1
K anton Z ü rich 9 11 — 5 3 6 4
Sonstige Kantone 26 16 2 5 5 5 16

Schweiz zus. 37 27 4 11 9 11 21

Baden 19 21 7 1 1 2
W ü rte m b e rg 1 39 23 1 6 11 —
2
Bayern 7 2 —
3 3
Sachsen 3 3 1 —

Hessen 4 1 2 2
N o rd d t. Staaten 3 5 1 4 3
D t. Staaten zus. 75 55 5 22 12 4 7

V orarlberg 1 13 1
T iro l 25
Sonst. Österreich 1 1 4
ф Ф

O sterr. zus. 1 2 42 1

Liechtenstein 16
Sonstige Staaten 1 1

N ic h t zuordenbar 1 3 1 3

Zusammen 115 86 10 37 21 73 30

1 einschließlich H ohenzo lern

Tabelle J: H erkunft der Handwerker 2, W ien-G um pendorf Î827

Gesellen Meister
% %

G um pendorf 5 6,9 2 9,5


Sonstiges W ie n 1 13 18,1 7 33,3
W ien zusammen 18 25,0 9 42,8

Niederösterreich 9 12,5 1 4,8


Böhmen 8 IM
Mähren 6 8,3 3 14,3
Schlesien 3 4,2
Sonst. Ö sterr. K ronländer 6 8,3
* ♦

Ö sterreich zusammen 50 69,4 13 61,9

Länder d. ungar. Krone 3 4,2 1 4,8


Deutsche Staaten 16 22,2 5 23,8
Sonstige Staaten —

1 einschließlich V o ro rte
N ic h t zuordenbar 3 4,2 2 9,5 2 n u r Schneider, Schuster,
Tischler, Schlosser, Bäcker,
Zusammen 72 100,0 21 100,0
Fleischer, M aurer, Z im m erer
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64 Josef Ehmer

Tabelle 4: H erkunft der Handwerksgesellen in den wichtigsten Einzelgewerben , W ien-G um pendorf 1827

Schneider u. Tischler u. Bäcker u.


M aurer ‫ ״‬W eber“ 2 ‫ ״‬Zeugmacher“ 3
Schuster Schlosser Fleischer

G um pendorf — — 2 3 11 5
Sonstiges W ie n 1 10 2 — 1 24 17

W ien zusammen 10 2 2 4 35 22

Niederösterreich 2 4 3 1 14 3
Böhmen 2 3 2 1 35 3
Mähren 2 2 1 1 29 1
Schlesien 1 1 11 —

Sonst. O sterr. K ronländer 3 3 4 1

Österreich zusammen 20 15 8 7 128 30

Länder d. ungar. Krone 3 4 1


Deutsche Staaten 4 7 5 22 —

Sonstige Staaten — — — — 1

N ic h t zuordenbar 1 1 — 1 4 3

Zusammen 25 26 13 8 158 35

1 einschließlich V o ro rte
2 überwiegend ‫ ״‬W eber“ , aber einschl. -gesellen, -meister, bei. od. bgl. Weber.
3 überwiegend ‫ ״‬Zeugmacher“ , aber einschl. -gesellen, -meister, bef. od. bgl. Zeugmacher.

Tabelle 5: H erkunft der Handwerker, Wien-Schottenfeld 1857

Gesellen Lehrlinge2 M eister


% % %

Schottenfeld 34 11,1 6 4,8 16 11,9


Sonstiges W ie n 1 46 15,0 10 7,9 28 20,7

W ien zusammen 80 26,1 16 12,7 44 32,6

Niederösterreich 37 12,0 18 14,3 9 6,7


Böhmen 83 27,0 57 45,2 28 20,7
Mähren 41 13,4 13 10,3 12 8,9
Schlesien 19 6,2 7 5,6 2 1,5
Sonst. Ö sterr. K ronländer 16 5,2 5 4,0 6 4,4
••
Österreich zusammen 276 89,9 116 92,1 101 74,8

Länder d. ungar. Krone 12 3,9 10 7,4


Deutsche Staaten 15 4,9 1 0,8 19 14,1
Sonstige Staaten 1 0,3 — 1 0,7

N ic h t zuordenbar 3 1,0 9 7,1 4 3,0

Zusammen 307 100,0 126 100,0 135 100,0

1 einschließlich V o ro rte
2 n u r Schneider, Schuster, Tischler, Bäcker, Fleischer, M aurer, Z im m e re r
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Die H erkunft der Handwerker in städtischen Zentren 65

Tabelle 6: H erkunft der Handwerksgesellen in den wichtigsten Einzelgewerben, Wien-Schottenfeld 1857

‫ ״‬Band* »Zeug-
Schuster Schneider Schlosser Tischler Bäcker Fleischer Maurer
macher2‫ ״‬macher‘‘3

Schottenfeld 5 1 2 8 3 39 29
Sonst. W ie n 1 10 1 5 10 2 3 10 29 29

W ien zus. 15 2 7 18 2 6 10 68 58

Niederösterr. 12 3 3 11 3 2 3 2 5
Böhmen 19 9 9 40 4 3 5 3 5
Mähren 9 9 7 13 1 2 2 2
Schlesien 8 1 1 3 2 —

Sonst.
••
O sterr. K ro n l. — 1 3 7 — — 1 4
Ф»
Ö sterreich zus. 63 25 30 92 9 14 20 76 74

Länder der
ungar. K rone 3 4 3 8 — 2 — 2 2
D t. Staaten 2 2 4 8 3 4 1 1 1
Sonst. Staaten — — ‫״‬ 1 — — — — —

N ic h t
zuordenbar — — 2 1 — — 1
Zusammen 68 31 37 111 12 21 21 79 78

1 einschließlich V o ro rte
2 überwiegend ‫ ״‬Bandmacher“ , aber einschl. -gesellen, -meister, bef. od. bgl. Bandmacher.
3 überwiegend ‫ ״‬Zeugmacher“ , aber einschl. -gesellen, -meister, bef. od. bgl. Zeugmacher.

Tabelle 7: H erkunft der Handwerker , W ien-Hemals 18801

Gesellen Lehrlinge Meister


% % %
Hernals 42 9,7 14 11,1 14 13,1
Sonstiges W ie n 2 62 14,3 18 14,3 12 11,2
W ien zusammen 104 24,0 32 25,4 26 24,3

Niderösterreich 56 12,9 18 14,3 15 14,0


Böhmen 142 32,8 33 26,2 35 32,7
Mähren 60 13,8 28 22,2 15 14,0
Schlesien 16 3,7 1 0,8 2 1,9
Sonst. O sterr. K ronländer 17 3,9 4 3,2 2 1,9
Österreich zusammen 395 91,2 116 92,1 95 88,8

Länder d. ungar. Krone 22 5,1 9 7,1 8 7,5


Deutsche Staaten 16 3,7 1 0,8 4 3,7
Sonstige Staaten —

Zusammen 433 100,0 126 100,0 107 100,0

1 nur H andw erker m it eindeutig zuordenbarer H e rk u n ft.


2 einschließlich der V o ro rte
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66 Josef Ehmer

Tabelle 8: H erkunft der Handwerker , Zagreb 1857

Gesellen Lehrlinge M eister


% % %

Stadt Agram 106 23,2 113 44,0 143 60,1

K o m ita t Agram 43 9,4 45 17,5 18 7,6


K o m ita t Warasdin 23 5,0 24 9,3 4 1,7
andere kroatische K o m ita te 1 48 10,5 34 13,2 20 8,4

K roatien zusammen 220 48,1 216 84,0 185 77,7

K ra in 27 5,9 10 3,9 10 4,2


Steiermark 60 13,1 17 6,6 6 2,5
Niederösterreich 14 3,1 1 0,4 3 1,3
Böhmen 35 7,7 2 0,8 9 3,8
Mähren 9 2,0 2 0,8 1 0,4
Schlesien 9 2,0 — 2 0,8
» Ф

Sonst. O sterr. K ronländer 22 4,8 — — —

• »

O sterr. K ro n ld . zusammen 176 38,6 32 12,5 31 13,0

Länder d. ungar. K rone 39 8,5 5 1,9 16 6,7


Deutsche Staaten 9 2,0 1 0,4 2 0,8
Sonstige Staaten 3 0,6 — — —

N ic h t zuordenbar 10 2,2 3 1,2 4 1,7

Zusammen 457 100,0 257 100,0 238 100,0

1 einschließlich Slawonien; kroat. u. slaw. M ilitärgrenzbezirke; sowie der kroati-


sehen, aber nicht eindeutig auf ein bestimmtes K o m ita t festlegbaren H erkunftsbe-
Zeichnungen.

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Die H erkunft der Handwerker in städtischen Zentren 67

Tabelle 9: H erkunft der Handwerksgesellen in den wichtigsten Einzelgewerben, Zagreb 1857

Schuster Schneider Schlosser Tischler Bäcker Fleischer M aurer Z im m erer


Stadt Agram 14 19 5 9 1 4 18 19

K o m ita t Agram 5 5 4 1 2
andere kroat.
K o m ita te 1 16 15 5 4 1 3 1 6
Kroatien zus. 35 39 10 17 3 7 19 27

K rain 7 1 1 5 2 1 6 9
Steiermark 14 5 8 5 14 10
Niederösterreich 2 3
Böhmen 5 11 1 5 1 2 2
Mähren 4 3 1 1
Schlesien 2 3 — 1 — 1
sonst.
O sterr. K ro n l. 3 4 3 5 1 3
Österreich zus. 37 30 6 25 8 4 26 19

Länder der
ungar. Krone 4 11 3 2 2 2 —

D t. Staaten 2 —
2 1
Sonst. Staaten — 1 — 7 —

N ic h t
zuordenbar 4 — —
2 — ----

Zusammen 80 82 20 44 13 15 54 47

1 wie Tab. 8.

Samples:

Z ürich 1836: Quelle: Bevölkerungsaufnahme Z ü ric h 1836, Kantonsarchiv Z ü rich . Das Sample
um faßt die A ltstadt lin ks der L im m a t, N « 4 .9 7 5 Personen.
W ien: Quelle: K o n s k rip tio n G u m p e n d o rf 1827, K o n s k rip tio n Schottenfeld 1857, V olkszäh‫־‬
lung Hernals 1880, alle: W iener Stadt- und Landesarchiv. Das Sample G u m p e n d o rf
umfaßt einen Stadtteil nahe dem L in ie n w a ll, N - 2.349 Personen; das Sample Schot-
tenfels um faßt einen Stadtteil angrenzend an die Vorstadt Neubau, N * 4 .8 7 5 Perso-
nen; das Sample Hernals einen Stadtteil angrenzend an den L in ie n w a ll, N - 4 .1 7 3 Per-
sonen.
Zagreb 1857: Quelle: K o n s k rip tio n Zagreb 1857, Stadtarchiv Zagreb. Das Sample um faßt die
gesamte Stadt m it Ausnahme einiger Vorstadtgassen, N * 8 .0 2 0 Personen.
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69

Zur Wanderung ungarischer Gesellen im 19. Jahrhundert

O ttó DomonkoSy Sopron/Ö denburg

Meine Arbeitsstätte befindet sich schon jahrzehntelang im Ö denburger Museum,


das über bedeutende H andw erkserinnerungen verfügt. Neben den zunftge-
schichtlichen Gegenständen und D okum enten beherbergt dieses In s titu t vo ll-
ständig eingerichtete W erkstätten m ehrerer Gewerbezweige. D ie Stadt Ödenburg
wurde seit dem M itte la lte r das westliche T o r des Landes genannt und ist es noch
bis zum heutigen Tag. D ie Stadt kam nie unter Türkenherrschaft, und so konnte
sie sich während der ganzen Z e it auch gut entw ickeln. Schriftliche Ü berlieferun-
gen der Handwerksgeschichte blieben uns daher in verhältnismäßig größerer
Zahl erhalten als im Landesdurchschnitt. Ö denburg w ar eine w ichtige Station
des Ost-Westhandels und der Gesellenwanderung. Viele tausend Eintragungen in
den Herbergsbüchern veranlaßten m ich zur Prüfung dieser Beziehungen. Das
Endergebnis war, daß ein reger und ununterbrochener Handels- und H andw er-
kerverkehr der Zentren m it dem deutschen Sprachraum bestand.
D ie Faßbinder haben m it ih re r A rb e it die W einbauern der königlichen Frei-
stadt bedient, die Tischler gestalteten die W o h n k u ltu r des Bürgerstandes; im
Gesundheitswesen und der Bekleidungsindustrie waren die Seifensieder bzw. die
H utm acher tätig, die B uchbinder repräsentierten die K u ltu r. Derartige Angaben
machten die A usw ertung der Statistiken m öglich. O b w o h l die Eintragungen im
Fall der Buchbinder und Tischler in der 2. H ä lfte des 17. Jhs, bei den H utm achem
und Seifensieder erst vom letzten D r itte l des 18. Jhs erforscht werden zu können,
ist es w ert, einen kurzen E in b lic k in diese Periode zu nehmen, da die Spuren
doch bis zur M itte des 19. Jhs verfolgbar sind. Mehrere 10.000 Eintragungen die-
ser vie r angeführten Branchen beweisen n icht nur, wie bedeutend der D urch-
zugsverkehr der Stadt war, sondern machen auch auf Mißstände des Landes auf-
merksam. In der Frühperiode, d.h. während der Türkenbelagerung und u n m it-
telbar danach, kom m en 80% ausländische Gesellen in die Stadt, n u r 20 % sind
Einheimische. Diese P rop ortion en ändern sich langsam bis zur zweiten H ä lfte
des 18. Jhs zugunsten der Einheim ischen. Dieser Vorgang beschleunigte sich in
den ersten Jahrzehnten des 19. Jhs und gegen 1840 hatten die Einheimischen m it
60% bereits die Oberhand. Ausnahm efall w ar das Gewerbe der Buchbinder, das
sich zw ar von 95 : 5% auf 75 : 25% verbesserte, aber in den 1830er Jahren wieder
auf 90 : 10% zugunsten der Ausländer z u rü c k fie l1.
Diese P rop o rtio n e n lassen die Mißstände und die E ntvö lke run g des Binnenlan ‫־‬
des während der Türkenbelagerung deutlich erkennen und weisen darauf hin,
daß sich dieser Landesteil erst nach einem Jahrhundert erholen und sich langsam

1 D om onkos, O ttó : A kisiparok néprajzi kutatása (D ie ethnographische Untersuchung des Hand-


werks). In: Ethnographia 85 (1974) 18— 37.
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70 O ttó Domonkos

Kopfleiste eines Zunftbriefes um 1770. — Sopron

dem westlichen und nördlichen T e il des Landes angleichen konnte. D ie T ü rke n


hatten fast 150 Jahre lang zwei D r itte l des Königreiches besetzt; dieses Gebiet
w ar in der E n tw ic k lu n g bedeutend zurückgefallen. Nach der V ertreibung der
T ü rke n w ar fü r die Besiedelung dieses Gebietes die E inw ohnerzahl des Landes
zu gering.
V om 17. Jh an begannen vereinzelt G roßgrundbesitzer, später dann verm ehrt
Agenten m it H ilfe der Zentralregierung des K ön ig- und Kaiserreiches, hauptsäch*
lieh aus dem deutschen Sprachraum Siedler anzuwerben. D ie Einwanderer genos-
sen bedeutende U nterstützungen und Steuerbegünstigungen. Z u r gleichen Zeit
haben aber die Einheimischen, die in solche Gebiete zogen, diese Privilegien
nicht genießen können, da sie ihren G utsherren als Leibeigene und Häusler ent-
flohen waren. Das Resultat einer solchen Besiedlung sind das Gebiet der Slova-
ken in der ungarischen Tiefebene und die ungarischen Ortschaften der südlichen
K om itate am Ende des 18. Jhs. V orran g hatte bei der Besiedlung die W iederauf‫־‬
nähme des Ackerbaus, aber man m ußte rasch erkennen, daß die A rb e it der
H andw erker, ihre P ro d u k tiv itä t unentbehrlich ist.
Eine bewußte und dringende Lösung dieses Problems w o llte der Landtag im
Jahr 1724 durch die Ansiedlung bestim m ter M eister in den entvölkerten Gebie-
ten herbeiführen. D er städtische H andw erkerstand w ar wegen der strengen V o r-
Schriften seiner Z ü nfte und des Mangels an K apital n icht im Stande, seine Waren-
p ro d u k tio n schnell zu vermehren oder den G üterbedarf der E in w o h n e r zu
decken. D ie m ittelalterlichen Städte besaßen bis zum Ende des 17. Jhs große
G üter, die ihre Zentren noch ausbauten. D ie feudalen Produktionsverhältnisse
erm öglichten die Ausgabe der Z u n ftp riv ile g ie n und die Ü be rp rü fu n g und Fest-
Setzung der Zahl der Meister. A b e r es w urde auch m öglich, daß solche Gewerbe-
zweige, die fü r die Versorgung der Leibeigenen m it G rundbedarfsm itteln zustän-
dig waren, in den M a rktfle cken gefördert w urden. Das Gutsinteresse verschaffte
diesen Zentren das Recht zu r H a ltu n g von Jahrm ärkten, w odurch die M arkt*
rechte der m ittelalterlichen Städte eingeschränkt wurden. Das w ar A nlaß zu gro-
ßen Auseinandersetzungen zwischen den Z ü n fte n der Städte und den M a rkt-
flecken und w irk te nachteilig auf die H a n d w e rke r der Städte, die neben ihrem
Beruf bem üht waren, ein Stück A ckerland oder W eingarten zu bewirtschaften.
Andererseits kamen in die neubesiedelten Landesteile zahlreiche Im p orte aus
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Zur Wanderung ungarischer Gesellen im 19. Jh. 71

Ö sterreich, Böhmen, Mähren und den schlesischen Gebieten. Diese Verhältnisse


w irk te n verlockend auf die H andw erker, auf die Gesellen aus mitteleuropäischen
Städten, die n icht n u r m ehr A rb e it, sondern auch die M ö g lich ke it zur G ründung
eigener W erkstätten zu finden hofften. D ie begrenzte Meisterzahl der ungari-
sehen Städte zwang auch die ungarischen Gesellen in steigendem Maße seit der
M itte des 18. Jhs in R ichtung dieser Gebiete.
Bezüglich der Gesellenwanderung können w ir aus den schriftlichen Uberliefe-
rungen der ungarischen Z ünfte in den schon erwähnten Herbergsbüchern, aus
vereinzelten Eintragungen und vom A nfang des 19. Jhs an aus den Wanderbü-
ehern In fo rm a tio n e n gewinnen. Das die Geschichte des Handwerks erforschende
A rbe itsko m ite e der Ungarischen Akadem ie der Wissenschaften in Veszprém hat
v o r 10 Jahren das Quellenm aterialkataster der ungarischen H andw erkerzünfte in
zwei Bänden herausgegeben2. Daraus ist leicht festzustellen, daß unser Quellen-
material sehr armselig und zufällig ist. W ir kennen n u r einige hundert Wander-
bûcher im heutigen Ungarn. Bedeutende Eintragungen dieser Bücher sind nur
die Stationen der im Westen wandernden Gesellen, die sie in dieser Z eit besucht
haben. Herbergsbücher kennen w ir n u r zwei D utzend, die fortlaufend größere
Perioden dokum entierten. Ich selbst fand in sächsischen und thüringischen
A rch ive n ähnliches Quellenm aterial in tausendfacher Menge.
D ie innere M ig ra tio n in R ichtung der zurückeroberten Gebiete, in die Kämme-
rergüter, in das Temeser Banat und in die M ilitär-G renzstädte kann so zumeist
n u r in d ire k t verfolgt werden. A u fg ru n d der gegebenen M öglichkeiten möchte
ich die Tendenzen der südosteuropäischen Gesellenwanderung charakterisieren.
D e r Werdegang der ausgewählten H andw erke und O rte ist sehr verschiedenartig.
D ie M ig ra tio n in die von den T ü rke n zurückeroberten Gebiete kann anhand der
Eintragungen in den W anderbüchern n icht bestim m t werden, denn diese genü-
gen nicht fü r die statistische Messung. Es bietet sich dafür aber eine andere w ich-
tige M ö g lich ke it: die Untersuchung der M eisterbücher der Hauptladen. M it gro-
ßer A ufm erksam keit muß man das N e tz der Landmeister verfolgen. Entschei-
dend ist hier der W ettstreit zwischen Preßburgy der Hauptstadt in der T ürkenzeit,
und (nach Budas Einnahme) den durch die Käm m ererzentren unterstützten
Z ü nften in Buda und später auch in Pest. Sie w o llte n ihren E in flu ß auf die in
den neuorganisierten südöstlichen Gebieten außerhalb der Z u n ft arbeitenden
Meister und Gesellen ausüben, bei denen die A bsicht der W erkstattgründung
durch Gesellen vorhanden war. Dieser seit der M itte des 18. Jhs zu verfolgende
Vorgang gibt teilweise ein Bild vom V o rd rin g e n des Handwerks in das D o r f und
von der V erm ehrung der Handwerksberufe auf dem Lande; w ir können dabei
auch die potentiellen Wanderer einiger Gewerbezweige kennenlernen wie z.B.
aus den M eisterbüchern der Hauptlade der Weißbäcker aus Buda, der Rotgerber,
Schön- und Schwarzfärber (Blaufärber), Glaser und Glashändler, Kammacher und
Lebzelter, und können so die M ö g lic h k e it eines Überblickes über größere
Gebiete geben. D ie W irkungsm öglichkeiten innerhalb dieses Kreises oder das

2 A magyarországi céhes kézművesipar forrásanyagának katasztere, I. Budapest 1975 und II. 1976.
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72 O ttó Domonkos

Eingetragene Herkunftsorte in den Herbergsbüchern der Soproner Hutmacherzunft


zwischen 1779—1890
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2 « r Wanderung ungańscher Gesellen im 19. Jh. 73

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A U S lS ^ D ĪŠ C N L GÜLUlfcKJ IN^ÖPRON

1665 1730 1Ô00 1636 1670

Anteil der ungarischen und der ausländischen Gesellen in den Soproner Herbergen.
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74 O ttó Domonkos

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Z usam m ensetzung der W eißbäckerzunft in O fen 1697—1857.


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Zur Wanderung ungańscher Gesellen im 19. Jh. 75

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Die Entw icklung der G laser/G lashändlerzunft in Pest 1737—1854.


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76 O ttó Domonkos

H e rk u n ftso rte der Wandergesellen der Leinweber in G ran (Esztergom) 1756—1873.


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Zur Wanderung ungańscher Gesellen im 19. Jh. 77

H eim atorte der Webergesellen aus Félegyháza 1765—1873.


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78 O ttó Domonkos

Erstarken der späteren Zentren, der Landm eisterfilialen, können w ir in diesen


M eisterbüchern nachweisen. Solche neuen Zentren konstituierten sich in Kees-
kém ét, Szeged, G yula, A rad, Pécs, Nagykanizsa, Mohács, Szabadka (Subotica),
Z o m b o r, Ú jv id é k auf dem Gebiet des Königreiches U ngarn; w e ite rh in in Temes-
vár, Lugos, Zenta, Versec, Vinga, Orsova, im Temeser Banat; später auch im ser-
bischen Gebiet und in Slavonien, Eszék, Varasd, sowie im m ilitärischen Grenzge-
biet Pétervárad, K a rlo vic, Karánsebes, Fehértem plom (W eißkirchen) usw.3. D ie
E rforschung der letzteren Q uellen ist aber Sache unserer jugoslawischen und
rumänischen Kollegen. Ihre Forschungsergebnisse werden wahrscheinlich
gew innbringend fü r die südosteuropäischen Beziehungen sein.
G leichfalls gutes Q uellenm aterial enthalten die A ufding- und Freisprechbü-
eher, die auch den H e rk u n fts o rt eines Lehrjungen angeben. W enn ein Z entrum
aus einem größeren Bereich Lehrlinge aufnahm, dann ist meistens auch der
S tam m ort des Filialm eisters verm erkt. W ir können das in den Hauptladebüchern
der Kammacher aus O fen aus den Jahren 1802— 1871 nachlesen.
W ie sich eine W anderung im 18.— 19. Jh. in die bedeutenderen Zentren des
Landes gestaltete, das geht aus den Gesellenbüchern hervor. V o m südlichem
Raum, dessen B ew ohner hauptsächlich Deutsche, Ungarn, Serben, Kroaten, Sia-
vonen, Sachsen und Rumänen waren, wanderten von den d o rt gegründeten Zen-
tren aus die Gesellen in das Innere des Landes und absolvierten so ihre Wander-
p flic h t. Diese Bewegung begann in der M itte des 18. Jhs, was ich m it der Wander-
karte der Knopfmacher aus Győr demonstrieren möchte. Zwischen 1728— 1774
waren 614 Knopfmachergesellen in G y ő r, unter ihnen 18 Ö sterreicher aus W ien,
die dieses ehrbare H an dw e rk in der in W ien ansässigen ungarischen Knopfm a-
cherzunft lernten4. Varasd übertraf m it seinen 33 Gesellen alle Städte, doch es
tauchen auch aus Eszék, Pétervárad und Temesvár im m er m ehr H andw erker auf.
W ie speziell ungarisch dieses H andw erk war, das beweist die Tatsache, daß kein
anderer Ausländer in seinen Reihen zu finden war. Das Posamenthandwerk war
bekanntlich von Deutschen dom iniert.
Interessant ist es festzustellen, wie unterschiedlich die Zusammensetzung der
Wandergesellen eines Handw erks in der gleichen Periode sein kann. A ls Beispiel
seien die Weber in Esztergom und Félegyháza angeführt. In den Herbergszentren
sind n u r 6— 10 M eister beschäftigt. In Esztergom (Gran) haben von 1756 bis 1873
835 Gesellen (im Jahresdurchschnitt 10,3) die Herberge besucht, un te r ihnen 50%
Ausländer, 30% U ngarn und 20%, bei denen man nach den Namen die H e rk u n ft
nicht eruieren kann. V o n 418 Ausländern sind 50% aus Mähren und Böhmen.
Zwischen 1800 und 1873 sind von 190 Gesellen bereits 116, d.h. 60% U ngarn und
74 Ausländer (40%), von denen wieder 60% aus Mähren stammen5. 150 km süd-

J Budapest T ö rté n e ti M uzeum — Kiscell, In v.N o . 441, 15312, 12947, 8440, 13092. Bp. Fővárosi Lt.
1211. — D o m o n ko s, O ttó : A főcéhek vonzáskörzetei (Einzugskreise der Hauptladen). In: V.
Kézm üvesipartörténeti Szim pózium , Veszprém 1984, november 20— 21. Veszprém 1985.
4 Xántus János M úzeum — G y ő r, In v .N o . 72.15.2
5 Balassa Bálint M úzeum — Esztergom, In v.N o . 1954-296-1
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Zur Wanderung ungańscher Gesellen im 19. Jh.

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Herbergsdaten der Knopfmacherzunft von Raab (Győr) 1732—1776.


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O ttó Domonkos

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Landm eister der H utm acherzunft aus Debrecen 1818—1867.


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Zur Wanderung ungańscher Gesellen im 19. Jh. 81

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Daten der Szegediner Seilerzunft in den Herbergsbüchern 1743—1809.


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82 O ttó Domonkos

lich in Félegyháza besuchten zwischen 1765 und 1852 1377 Gesellen die Herberge
(Jahresdurchschnitt 15,8), unter denen sich n u r 3 Böhmen befanden, während
alle übrigen ih r H andw erk im Land gelernt haben.
F ü r die ersten Jahrzehnte des 19. Jhs soll von den Städten im südlichen Raum
Szabadka (Subotica) m it 41 Gesellen erwähnt werden6. Daß die Zahl der Gesellen
in den zwei oben genannten Städten so verschieden ist, ist dam it zu erklären, daß
in Esztergom Leinweber, in Félegyháza die ungarischen W eber ih r Leinen
erzeugten. D ie Q ualität w ar sehr unterschiedlich.
Bei den ungarischen Kepemeckschneidem, die m it ih re r A rb e it den Bedarf der
Landbevölkerung an M änteln und Jacken deckten und fü r deren Verzierung
sorgten, w ar der Qualitätsmaßstab so hoch gesteckt, daß die Z u n ft in Debrecen
verordnete, die Gesellen dürften nicht in die Fremde ziehen, w eil nirgends die
A rb e it so gut verrichtet werde w ie in Debrecen. U n w e it von Debrecen, in Nagy •
kalló, finden w ir in den Kürschner-Herbergsbüchern zwischen 1819 und 1872
104 Personen aus 56 O rtschaften verzeichnet, darunter aber n u r eine Person aus
Debrecen. E in Pole war aus Krakau, die ändern Gesellen kamen aus den nördli-
chen und östlichen K om itaten nach K a lló 7.
Debrecen, die große Bauernstadt, erlebte um die Wende vom 18. zum 19. Jh.
eine m erkw ürdige Veränderung. Bis zum Ende des 17. Jhs beschäftigte die Stadt
im Land die meisten H andw erker. D ie während der Türkenherrschaft entvölker-
ten Randgebiete, Ackerland und Wiesen, erwarb die Stadtgemeinde im 18. Jh. Im
letzten D ritte l des 18. und am A nfang des 19. Jhs wurden diese Gebiete dann
unter der Bevölkerung gemäß dem Bürgerrecht und der Größe ih re r G rund-
stücke aufgeteilt. So kamen viele H andw erker zu 20— 30 ha A ckerland und zu
großen Wiesen. Viele verließen daraufhin ihren gelernten Beruf und widm eten
sich in der G e tre id e ko n ju n ktu r ihrem Ackerland. D ie einstige Handwerkerstadt
wurde so zu einer großen Bauernortschaft8. So arbeitete z.B. von 1800— 1878 in
den Schmieden 40— 30 M eister; der Jahresdurchschnitt der Gesellen w ar 25, was
fü r den ganzen Zeitraum 1419 Personen ausmachte. U n te r ihnen ist n u r ein Aus-
länder aus Böhmen9. Diese R ückentw icklung hat den Handwerkerstand der
umliegenden Städte zur Bewegung genötigt.
Charakteristisch ist es fü r die ungarischen Stadtbewohner, daß sie den die
M ode bringenden deutschen H utm achem kein Recht auf Niederlassung gewähr-
ten; diese mußten sich vielm ehr in der M itte des 19. Jhs ih r H eim in einer E ntier-
nung von 30— 50 km aufbauen.
In Südungarn entw ickelte sich Szeged als ein wichtiges H andw erkszentrum in
der M itte des 18. Jhs. Wegen seiner m ilitärischen Bedeutung hatte während der
Besetzung das Zunftleben aufgehört, doch war die Neuorganisation schnell
erreicht worden. M it H ilfe der Zentralregierung wurde in der Bačka und im

6 K iskun Muzeum — Kiskunfélegyháza, In v .N o . 63.508.1


7 Szabolcs megyei levéltár — N yíregyháza, 54/e
8 Debrecen története 2. Debrecen 1981.
9 Hajdú-Bihar megyei levéltár — Debrecen, I X . 17/10
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Zur Wanderung ungańscher Gesellen im 19. Jh. 83

-1869- 19 г о

H erk u n ftso rte der Blaufärbergesellen in Pápa 1869 1920.


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84 O ttó Domonkos

Temeser Banat ein bedeutender Anbau von N utzpflanzen unternom m en, bzw.
Anbauversuche gefördert. E in gutes Ergebnis erzielte man beim Flachsanbau,
was das Seilerhandwerk in Schwung brachte. Szeged war ein wichtiges Bearbei-
tungszentrum und es mußten außer den Fuhrw erken auch die Fischerei und die
S chiffahrt m it Seilen versorgt werden.
A m A nfang des 19. Jhs finden w ir natürlich in den entstehenden vereinigten
Z ü n fte n überall die Seiler. V on den nach Szeged kommenden Wandergesellen
sind 65% Ausländer, v o r allem aus Österreich, Böhmen, M ähren, Sachsen, Bay-
ern usw.; n u r 30% kom m en aus heimischen Städten und aus den Bergwerksstäd-
ten, die viele Seile brauchten und auch anfertigten. Zu diesen 30% trugen die aus
den südlichen Landesteilen (Slavonien, Temeser Banat, Bačka) kom menden
Gesellen ein D ritte l bei. A n der Spitze standen Temesvár, Eszék und A patin.
N ach der A ufhebung der Zunftorganisation (1872) wurde die in Szeged gegrün-
dete Flachs- und Jutefabrik landesweit b e rü h m t10.
In der Gesellenherberge der Schmiede und Wagner des bedeutenden M a rkt-
fleckens Miskolc haben zwischen 1831 und 1859 405 Personen aus 120 O rtschaf-
ten des Landes logiert und hier A rb e it erhalten. Das gibt einen sehr niedrigen
Jahresdurchschnitt von n u r 14 Personen, was der Zahl der Meister entspricht. So
m ußten die M eister in vielen Fällen ohne Lehrlinge und Gesellen n u r m it H ilfe
der Fam ilienangehörigen arbeiten. Ausländer w ar unter den Wandergesellen nur
ein Geselle aus Krakau. Im Jahre 1857 forderten die Gesellen, statt um 4 U h r erst
um 5 U h r frü h die A rb e it beginnen zu dürfen, was aber die M eister geschlossen
ablehnten11. D ie von M iskolc wandernden Gesellen orientierten sich im 19. Jh.
in R ichtung Temeser Banat und auch in die südlichen Städte.
G roße A ufm erksa m keit verdient in den 1860er Jahren das W irkungsfeld der
auf M anufakturebene gehobenen Blaufärberei in Pápa. D ie Aufzeichnungen
umfassen auch die ersten zwei Jahrzehnte unseres Jahrhunderts, als die Färberei
schon als K le in fa b rik produzierte und 200 Wandergesellen beschäftigte. U n te r
den 6 W erkstätten der Stadt lag sie an der Spitze. 27 Personen sind hier Ausländer
(aus Ö sterreich, Böhm en und Mähren), die übrigen sind einheimische Ungarn.
D ie wandererfahrenen Gesellen arbeiten hier als Lohnarbeiter im U nternehm en
und haben A rb e it fü r Jahre. D ie Geschichte dieser Fabrik ist bestim m t durch
großen Patriarchalismus, ein Erbe der früheren Zunftverfassung12.
Zwischen 1870 und 1880 verm indert sich landesweit die Zahl der Gesellen,
aber es werden viele kleine W erkstätten gegründet. D ie Dauer der W anderung
von 10— 20— 30 Jahren ist am meisten in jenen Berufen sichtbar, die Investitionen
verlangen, z.B. die Schön- und Schwarzfärberei, die Rotgerberei und das Schmie-
dehandwerk. Bei den letztgenannten H andwerken wandern entweder die Gesel-
len oder sie bieten ihre Dienste den Gemeindeschmieden auf dem Land an.

10 Somogyi K ö n y v tá r — Szeged, Céhek 337.


11 Bodgál, Ferenc: A m isko lci kovács-kerékgyártó céh (D ie Schmiede- und W agner-Zunft von Mis-
kolc). In: A H erm an O ttó M uzeum évkönyve V. M iskolc 1965.
12 D om onkos, O ttó : Fejezetek a nyugatmagyarországi kékfestés történetéből. (Aus der Geschichte
der westungarischen Blaufärbcrei). Ethnographia 72 (1961) 200— 236.
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2.ur Wanderung ungańscher Gesellen im 19. Jh. 85

D ie Industriealisierung beginnt erst spät in der M ü hlenindustrie und die K lei-


d e rko n fe ktio n ie ru n g k o m m t erst gegen 1870 in Schwung, aber von A nfang an
hatte dieser Industriezweig m it dem Im p o rt zu k o n k u rrie re n . D ie Lage w ird
dadurch noch ungünstiger, daß in der 1. H älfte des 19. Jhs die H an dw e rker von
den Städten und M arktflecken auf das Land wandern. Diese W anderung steigert
sich noch nach der A ufhebung der Z ünfte (1872). D ie Folge w ar sehr w eitver-
breitet der sogenannte ‫ ״‬D oppelberuf“ (H andw erk-Feldarbeit), der durch die Sta-
tis tik des Jahres 1880 sehr deutlich belegt w ird und einen Niedergang des Hand-
w erks m arkiert: In den W erkstätten arbeiten 62% der M eister allein oder m it
Fam ilienm itgliedern, 21% m it einem Gesellen, was eine hohe Zahl von Selbstän-
digen (291.890 oder 83%) ausmacht13. Diese große Zahl der K leinunternehm er
gibt uns auch A n tw o rt darauf, wie die dörfliche Tracht, die bäuerliche W o h n k u l-
tu r, überhaupt dieses bunte B ild im Verlaufe des 19. Jhs geschaffen wurde und
sich bis in das 20. Jh. erhalten konnte.
Erhalten blieben auch die charakteristischen Werkzeuge der H an dw e rker des
18.— 19. Jhs, von denen unsere Museen eine bedeutende Sammlung besitzen14.
D ie aufbewahrten M usterbücher und Rezeptbücher dokum entieren auch den
E in flu ß der Wandergesellen auf die Techniken, die M o tiv e und auf die Mode. D ie
Gesellen waren auch V e rm ittle r verschiedenen Z unftbrauchtum s und von Re-
• •

densarten. Im Gesellenbuch der Odenburger Seifensieder stehen mehrere solcher


weisen Redensarten:
‫ ״‬W enn Seiffensieden wäre so süß,
A ls wen ich eine Jungfrau küß
So w ill ich im er Seiffensieden
und bey keiner Jungfrau liegen.“
D ie Wandergesellen mußten die Wahrzeichen kennen. In Ö denburg w ar in der
Schwelle des Rathauses ein kinderkopfgroßer Q u arzit eingetieft, in G y ő r stand
auf dem H au ptp la tz der ‫ ״‬Stock am Eisen.“ A u f dem Kundschaftsbrief der Stadt
Semlin in Slavonien ist im Jahr 1770 die Ansicht der Stadt gedruckt, unter der
steht:
‫ ״‬W ann die Gesellen wandern ein,
Sollen sie betrachten ein bein
A u f dem Stadthaus von ein Riesen
Welches genugsam ist bewiesen.“
D ie weitere Forschung im südöstlichen Raum muß in kleineren Regionen
erfolgen, w o das Quellenm aterial erschlossen und aufgearbeitet werden kann.
Erste Ergebnisse aus Ungarn und den Nachbarstaaten liegen bereits vor.

13 M atlekovics, Sándor: Magyarország közgazdasági és közművelődési állapota ezeréves fennállásakor


. . . V III. Budapest 1898.
14 D om onkos, O ttó : Kézművesipari m űhely- és szerszámkataszter (Kataster der H andw erks-W erk-
statten und -Werkzeuge). In: A magyarországi céhes kézmüvesiapar forrásanyagának katasztere, I.
Budapest 1975, 162— 179.
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SCHOLA MIGRATIONIS
Überlegungen und Thesen zur neuzeitlichen Geschichte
der Gesellenwanderungen aus der Perspektive
quantitativer Untersuchungen

R ainer S. Elkar , Siegen

D ie Studien zur Geschichte der Gesellenwanderungen sind in den letzten Jahren


zahlreicher geworden. Eine größere N eigung zu quantifizierenden Untersuchun*
gen hat zugleich der Handwerksgeschichte im allgemeinen nicht n u r von w irt-
schaftshistorischer, sondern auch von sozialgeschichtlicher Seite neuen A n trie b
gegeben und den ersten, wegweisenden statistischen A rbeiten von Schanz,
A m m ann, Lenhardt und Lerner ihre gebührende W ertschätzung erwiesen,
wobei etliche von ihnen benutzte Q uellen durch K riegseinw irkung verloren gin-
gen1. In te rd is z ip lin ä rs t ist geboten: v o r allem zur Volkskunde und Literaturge-
schichte, zu r Soziologie und E thnologie sind Brücken geschlagen w orden2; und

1 G. Schanz: Z u r Geschichte der Gesellenwanderungen im M itte la lte r. In: Jahrbücher fü r N ational-


Ökonomie und Statistik 28 (1877) 313— 343. — H . Lenhardt: 150 Jahre Gesellenwandern nach
F ra n k fu n a.M. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des deutschen H andw erks nach den Fremdenbü-
ehern des F ra n kfu rte r Buchbinderhandw erks von 1712— 1868. F ra n k fu n a.M. 1938. — F. Lerner:
Eine Statistik der Handwerksgesellen zu F ra n k fu n a.M. vom Jahre 1762. In: VSW G 22 (1929)
174— 193. — H . A m m ann: Gesellenwanderungen am O b e rrh e in im späten M ittelalter. In: Probleme
der Geschichte und Landeskunde am lin k e n O berrhein. N iederschrift über die Tagung der Arbeits-
gemeinschaft fü r westdeutsche Landes- und V olksforschung Bad Bergzabern 1965, Masch., Bonn
1966, S. 65— 80. — A u f eine vollständige B ibliographierung sei an dieser Stelle verzichtet; stattdessen
sei verwiesen auf die folgenden jüngeren V eröffentlichungen m it entsprechenden Literaturhinw ei-
sen: E. S om kuti, I. E ri, P. Nagybákay (Red.): Internationales handwerksgeschichtliches Symposium
Veszprém 20.— 24.11.1978, hg. v.d. Ungarischen Akadem ie der Wissenschaften — Veszprémer Aka-
demische Kom m ission. Veszprém 1979. — Z. Fülep, P. Nagybákay, É. Som kuti (Red.): II. Interna-
tionales handwerksgeschichtliches Sym posium Veszprém 21.— 26.8.1982, 2 Bde, hg. v.d. Ungar.
Akad. d. Wiss. — V A K . Veszprém 1983. — W . Reininghaus (Hg.): Quellen zur Geschichte der
Handwerksgesellen im spätm ittelalterlichen Basel. Basel 1982. — R.S. Elkar: Wandernde Gesellen
in und aus Oberdeutschland. Q u a n tita tive Studien zu r Sozialgeschichte des Handwerks vom 17. bis
19. Jahrhunden. In: U . Engelhardt (H g.): H andw erker in der Industrialisierung. Lage, K u ltu r und
P o litik vom späten 18. bis ins frühe 20. Jahrhunden. Stuttgan 1984, S. 262— 293. — H . Schultz:
Ü berblick und Fallstudie M ecklenburg-Schwerin. B e rlin /O s t 1984. — K. Schulz: Handwerksgesel-
len und Lohnarbeiter. Untersuchungen z u r oberrheinischen und oberdeutschen Stadtgeschichte des
14. bis 17. Jahrhunderts. Sigmaringen 1985. — K. W esoly: Lehrlinge und Handwerksgesellen am
M itte lrh e in . Ihre soziale Lage und ihre O rganisation vom 14. bis ins 17. Jahrhundert. F ra n k fu n
a.M. 1985. — H . Brauer: Handwerksgesellen in sächsischen Städten des 15. und 16. Jahrhunderts.
Untersuchungen zu ihrem sozialen Platz, ih re r O rganisation und gesellschaftlichen Bewegung.
Diss. Prom. В (Masch.) Leipzig 1986.
2 Vgl.: R.S. E lkar (H g.): Deutsches H a n d w e rk in Spätm ittelalter und Früher Neuzeit. Sozialge-
schichte — V olkskunde — Literaturgeschichte. G öttingen 1983.

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88 Rainer S. Elkar

gerade in diesem kulturwissenschaftlichen Zusammenhang ist es auffallend, wie


sehr R u d o lf Wissells noch aus dem eigenen Erleben erwachsene These vom B il-
dungswert der Wanderschaft sich nachgerade zu einem Topos um bildet:
‫ ״‬D ie W anderjahre waren einst die Hochschule des Handwerks, eine A r t
H ochschulstudium in der freien Schule des Lebens, von einer entsprechenden
O rganisation in bestim m ten fachlichen Bahnen gehalten — ein Hochschulstu-
dium , w ie es fü r das H andw erk, ja fü r die M ehrzahl aller Berufe durch nichts
m ehr ersetzt werden kann“ 3.
N ic h t selten w urde Wissells Bemerkung als eine umfassende Funktionsbeschrei-
bung von Gesellenwanderungen verstanden, so daß zu fragen ist, ob denn der
M ig ra tio n von abhängigen (d.h. nicht selbständigen) handwerklichen Arbeits-
kräften n ich t weitere und umfassendere Antriebsm om ente, M o tive und Ausprä-
gungen zu eigen waren, als sie hier sichtbar werden, ob sie nicht besser durch
ein Bündel von E in flu ß - und Bestimmungsgrößen dargestellt und e rklä rt werden
könne, ein Gesamtzusammenhang, in dem Bildung und Ausbildungsergänzung
n u r einen bestim m ten A n te il verkörperten.
Solchen Fragen soll nunm ehr in drei Schritten nachgegangen werden:
— Z u m ersten sind grundlegende Dim ensionen der Gesellenmigration zu
beschreiben, ih r langfristiger Frequenzverlauf, die regionale M o b ilitä t sowie
demographische Einflüsse.
— Z u m zweiten ist zu überprüfen, inw iefern die Gesellenmigration durch Span-
nungen und Krisen des politisch-ökonom ischen Systems und des Arbeits-
marktes gesteuert w ird . ‫י‬
— Z u m d ritte n bleibt zu überlegen, inw iew e it handwerksspezifische Erfahrun-
gen, die wesentlich m it handw erklicher Produktionsweise, G ru p p e n k u ltu r
und Sozialisation Zusammenhängen, die Gesellenmigration bestimmten.

1. Grundlegende Dim ensionen der Gesellenmigration

Serielle Quellenbestände liefern wichtige Basisinformationen, an die sich weitere


Analysen anschließen lassen. D ie langfristige E n tw icklu n g und die Schwankun-
gen der Gesellenzahlen sowie die regionale Ausdehnung der M ig ra tio n werden
in der Regel gut sichtbar, demographische Zusammenhänge bieten sich als ein
weiteres Untersuchungsfeld an.
Nach einer ersten A usw ertung umfangreicher quantifizierbarer Q uellenreihen
aus Bamberg, Leipzig, M arburg, N ürnberg, Regensburg, Schwäbisch H a ll und
Tübingen, m it vorerst weiterreichenden Untersuchungen der H a lle r und N ü rn -
berger Q uellengruppen4, läßt sich bemerken, daß die statistisch grundlegende

3 R. Wissell: Des alten H andw erks Recht und G ew ohnheit. 2. Ausg., erw. u. bearb. v. E. Schraepler,
Bd. 1, B e rlin /W e st, S. 301.
4 Einen T e il dieser Q uellen (v.a. zu N ürnberg und Regensburg) habe ich ausgewertet in meinen Bei-
trägen zu dem Sammelband von Engelhardt (wie A n m . 1) und in meinem eigenen Sammelband (wie
A n m . 2), d o rt unter dem T ite l: Umrisse einer Geschichte der Gcsellenwanderungen im Übergang

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Schola migrationis. Zur Geschichte der Gesellenwanderung. 89

Forderung nach vergleichbaren und homogenen Q u e lle n stru ktu re n selbst inner-
halb des historischen Zusammenhangs auch n u r einer Stadt v o r dem 19. Jahrhun-
dert n u r m it beträchtlichen Abstrichen einlösbar ist5. Verallgemeinernde
Schlüsse über ‫ ״‬die“ W alz, undifferenzierte geographische Ausdehnungen des
Beobachtungsraumes und nachfolgende Generalisierungen, zum al wenn sie nicht
hinreichend durch quantifizierende Studien abgesichert sind, bedürfen von vorn-
herein einer skeptischen Einschätzung.

1.1. Lange Zeitreihen


Lange Zeitreihen, die ein oder mehrere Jahrhunderte um greifen, erweisen sich
als seltene Glücksfälle fü r migrationsgeschichtliche Untersuchungen, zumal
wenn sie — w ie die Totenbücher der Reichsstadt H a ll 6 — noch eine verhältnismä-
ßig einheitliche ‫ ״‬Hand des Schreibers“ zeigen.
D ie T otenbücher der größten H a lle r Pfarrei St. M ichael, die als tra dition elle
H a u p tkirch e das städtische Kerngebiet rechts des Kochers zum überwiegenden
T e il abdeckte, verzeichnen im Zeitraum von 1606 bis 1807 1455 H andw erker.
Lediglich 22,9% dieser H andw erker waren n icht in der Fremde gewesen, über
drei V ie rte l hatten eine Wanderschaft unternom m en. Übrigens teilten auch
Frauen die E rfahrung von zeitw eiliger M o b ilitä t, jedoch in anderer Weise. Viele
kamen vom Land in die Stadt und traten d o rt in Dienste; 84 heirateten H a lle r

von der Frühen Neuzeit zur Neuzeit, S. 85— 116. Ich verzichte daher an dieser Stelle auf ausführli-
che Q uellenzitate. Eine Ausw ertung der übrigen Quellengruppen w ird in K ürze folgen; ich gebe
jedoch schon in diesem Zusammenhang erste Hinweise.
5 Eine nützliche Übersicht über serielle Q uellen zur Geschichte der Gesellenm igration und den ent-
sprechenden bisherigen Forschungsstand bietet: W. Reininghaus: Wanderungen von H andw erkern
zwischen H ohem M itte la ltc r und Industrialisierung. Ein Ü b e rb lick über Ergebnisse der Forschung.
Beitrag zur Tagung des Ludw ig-Boltzm ann-Instituts fü r historische Sozialwissenschaft (Salzburg)
und der Internationalen Gesellschaft zur Erforschung der materiellen K u ltu r des M ittelalters
(Krems) unter dem Thema ‫ ״‬H orizontale M o b ilitä t und M igration vom M itte la lte r bis zum Ende
des Ancien R egim e", Salzburg 3.— 5. O k to b e r 1985. Ein entsprechender Tagungsband ist in Vorbe-
reitung.
6 So sind folgende Pfarreien und Zeiträum e im StadtA Schwab. H a ll d o kum entiert: St. Michael
(1606-1807), St. Katharina (1635-1807), St. Johann (1635-1702), St. N ic o la i (1703-1805), St.
U rban (ehemals ‫ ״‬Unser liebe Frau“ — ‫ ״‬ecclesia suburbana“ , 1635 bis Ende 18. Jhdt.). St. Katharina
und die ehemalige Johanniterkirche befinden sich in der Katharinenstadt lin ks des Kochers; in den
dortigen Pfarren wie in St. N icolai waren einstmals die ärmeren H andw erker beheimatet. St. U rban
lag außerhalb. Es wäre reizvoll gewesen, gerade diese Handw erkerschicht in die Analyse einzubezie-
hen, doch w ar die Datenbasis nicht m it der von St. Michael vergleichbar. Im Bereich von St.
Michael wiederum w ohnte — auf der rechten Seite des Kochers — der größte T e il der Bevölkerung
einschließlich der wohlhabenderen Schichten; es war die H auptkirche der Stadt. Ü b e r die Bevölke-
rungsgeschichte von H all liegt eine — m it Einschränkung — gelungene Studie vo r, die auch die Ana-
lyse der Totenbücher einbezieht: G. W under: D ie Bürger von H a ll. Sozialgcschichte einer Reichs-
stadt 1216— 1802. Sigmaringen 1980. Leider fehlen in dem W erk die A nm erkungen, so daß nuan-
ciertere Fragestellungen zur Geschichte der Gesellenwanderungen auf keinem wissenschaftlichen
Apparat aufbauen können. Aus diesem G ru n d wurden alle Daten der im Sprengel von St. Michael
verstorbenen H andw erker von neuem in die Datenverarbeitung eingegeben, ein Weg, den W under
einst nicht beschritt. Dem Landeskirchlichen A rc h iv in Stuttgart danke ich fü r die Fernleihe folgen-
der M ik ro film e : KB H a ll 1387— 1390.

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90 Rainer S. Elkar

Bürger, die meisten kehrten jedoch wieder in ihre H eim at zurück. Im m erw äh-
-rende Seßhaftigkeit gehörte also keineswegs zu den Lebenserfahrungen der H ai-
1er Bürgerschaft; fü r die H a n d w e rke r war sie zw eihundert Jahre lang eher ein
Ausnahm efall.
D ie Gesellen verkörperten das m obilste Elem ent, dessen zahlenmäßiger A n te il
in den meisten Städten schwer zu bemessen ist — gerade wegen dieser M o b ilitä t.
Lerners Statistik der F ra n k fu rte r Handwerksgesellen bietet gleichsam n u r eine
M om entaufnahm e aus dem Jahre 1762. Demnach stammten n u r 15% der Gesel-
len aus F ra n k fu rt am M ain, 85% waren Fremde m it geringen Aussichten auf
Dauerbeschäftigung7. Solche Gesamteinsichten sind selten, in der Regel ist man
darauf angewiesen, Frequenzreihen fü r einzelne Berufe zu e rm itte ln .
In den beiden Städten N ü rn b e rg und Regensburg bieten die Gesellenlisten der
Zinngießer, Goldschmiede, Lebküchner und Kürschner sowie der Drechsler und
Zeugmacher besonders langfristige E in b licke 8. In der Z e it zwischen 1589 und
1815 kamen bei den Regensburger Drechslern 93,3% der Gesellen aus der
Fremde, bei den Zeugmachern waren es n u r 82,2% zwischen 1660 und 1804. In
N ü rn b e rg wuchs die A nza hl frem der Gesellen bei den Zinngießern von 76,9%
zwischen 1612 und 1640 auf 86,5% zwischen 1687 und 1743 an. Eine ähnliche
E n tw ic k lu n g verzeichneten die Lebküchner: Zwischen 1646 und 1746 kamen
75,2% aus dem weiteren U m kre is, zwischen 1849 und 1868 schließlich 85,1%.
Bei den Kürschnern (1709— 1799) und bei den Goldschmieden (1674— 1799)
betrugen die entsprechenden K ontingente gar 93,6% und 94,6%, doch handelt es
sich offensichtlich um Q uellentypen, die hauptsächlich auswärtige Gesellen
erfaßten. Selbst diese einzelnen Eindrücke verstärken das B ild, daß in der Tat
während der frühen N euzeit m it einer hohen Anwesenheitsdichte frem der
Gesellen in verschiedenen oberdeutschen Städten zu rechnen w ar und daß die
fremden Gesellen die ortsansässigen bei weitem übertrafen.
D ie genannten A n te ile auswärtiger Gesellen fügen sich übrigens auf unter-
schiedliche Weise in den gesamten Frequenzverlauf der jeweiligen Branchen ein.
Bei den N ü rn b e rg e r Zinngießern nahm die Gesamtzahl tendenziell ab, die
A n te ile frem der Gesellen wuchsen hingegen an. Bei den N ü rn b e rg e r Lebküch-
nern hingegen blieb die Gesamtzahl annähernd unverändert m it ebenfalls stei-
genden Prozentsätzen an auswärtigen A rbeitskräften. In Regensburg verm inder-
ten sich die Frequenzen im allgemeinen. In N ü rn b e rg deutete sich in verschiede-
nen Bereichen eine Zunahm e an, so bei den K ürschnern, Schustern und G old-
schmiedegesellen, n ich t aber bei den Goldschmiedelehrjungen.
Schon auf einer so schlichten Analyseebene rücken gewerbetypische und
lokale E igentüm lichkeiten der G esellenrekrutierung und des Wanderverhaltens
in den V ordergrund.

7 F. Lerner: Statistik (A n m . 1).


8 Quellenangaben bei E lkar: W andernde Gesellen (A n m . 1). Zeitrahm en: N ü rn b e rg , Zinngießer
1612— 1867, Goldschm iede 1673— 1799 (Lehrjungcn: 1630— 1829), Lebküchner 1646— 1868, Kürsch-
ner 1720— 1863; Regensburg, Drechsler 1589— 1815, Zeugmacher 1660— 1804, Zim m erleute
1694— 1754, Kupferschmiede 1724— 1805.

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Schola migrationis . Zur Geschichte der Gesellenwanderung, 91

1.2 Regionale Mobilität


Räumliche Einzugs- und Ausdehnungsbereiche stehen meist im M itte lp u n k t
m igrationsgeschichtlicher Abhandlungen. Fast alle seriellen Q uellen lassen
genauere E in b licke in die Beziehungen zwischen Stadt und Land, zwischen ein-
zelnen Städten und Regionen zu, geben eine V orstellung von der A rbeitskräfte-
re kru tie ru n g aus den Nahbereichen, aus m ittleren Distanzen und aus w eit ent-
fernten Regionen. Städte übten eine S ogw irkung aus. Viele Landhandw erker
hofften in der Stadt einen angeseheneren Status und ein besseres E in ko m m e n zu
erzielen; und doch läßt sich das Stadt-Land-Verhältnis n ich t ausschließlich in die-
ser R ichtung beschreiben, vielm ehr müssen gewerbespezifische Unterschiede
und Uberbesetzungsprobleme berücksichtigt werden. So w ar fü r die F ra n k fu rte r
Faßbinder (K ü fe r/B ö ttc h e r) im Unterschied zu den Schlossern der Reichsstadt
eine starke N ahw anderung aus ländlichen, kleinstädtischen und dö rfliche n Berei-
chen typisch9. Stadt-Land-Beziehungen konnten infolge von B ranchenkonjunk-
turen auch um kippen: Bei den N ürnberger Lebküchnern erfolgte nach einer
Wanderschaft in die Stadt häufig eine Niederlassung auf dem Land. V o r allem
im späten 18. und im 19. Jahrhundert konnte das Landhandw erk durchaus m it
dem Stadthandwerk an Q u a litä t und Absatzchancen k o n k u rrie re n 10. Bei den
Schuhmachern ist das B ild n ich t ganz einheitlich: grundsätzlich handelte es sich
um ein besonders starkes Landhandwerk, das gerade auf dem Land und kaum
noch in der Stadt Niederlassungschancen bot; gleichw ohl gibt es Beispiele fü r
einen besonders starken Zuzug in die Städte; N ü rn b e rg einerseits, Braunschweig
und W o lfe n b ü tte l andererseits sind solche Beispiele11.
Eine Stichprobenanalyse von 42.956 m igranten A rbeitskräften, die sich zw i-
sehen 1823 und 1881 in Bamberg einfanden, ergibt — bei insgesamt 90 Hand-
werksberufen — ein allgemeineres Bild der M o b ilitä t: n u r wenige unter ihnen bil-
deren Kontingente, die über 2% des Gesamt hinausreichten, meist lagen die
W erte unter 1% 12. D ie V erteilung der 14 Spitzenreiter lieferte folgende Rang-
Skalierung:
1. Schneider 12,6 % 8 . Weber 3,8%
2 . Schuhmacher 11,2 % 9. M ü lle r 3,3%
3. Schreiner 8,7% 10. Bierbrauer 3,2%
4. Schlosser 6 ,2 % 11. H afner 3,2%
5. K ü b le r (K üfer) 4,3% 12. M aurer 2,7%
6 . Bäcker 4,0% 13. Buchbinder 2 , 1%
7. Schmiede 3,6% 14. Metzger 2 ,0 %

9 K. Wesoly: Lehrlinge und Handwerksgesellen (A n m . 1), S. 263— 290.


10 M . Ebert: Geschichte des N ü rn b e rg e r Lebkuchens vom H andw erk zu r Industrie. In: M itte ilu n g e n
des Vereins f.d. Geschichte d. Stadt N ü rn b e rg 52 (1963/64) 491— 531. — E lkar: Wandernde Gesellen
(A n m . 1), S. 281 ff.
11 Das zeigen Auswertungen der Einschreibbücher der Schustergesellen im N ürnberger Landgebiet:
StadtA N ü rn b e rg E 5 I — Schuhmacher 30 und 31. — T . Penners: Bevölkerungsgeschichtliche Pro-
bleme der Land-Stadt-Wanderung, untersucht an der ländlichen Abw anderung nach Braunschweig
und W olfe n b ü tte l um die M itte des 18. Jahrhunderts. In: Braunschweigisches Jb. 37 (1956) 56— 134.
12 StadtA Bamberg С 9 / 21. Eine vollständige D arstellung der Ergebnisse ist fü r 1987 vorgesehen.

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92 Rainer S. Elkar

Allgem eine Gegebenheiten — w ie die starke Überbesetzung der drei ersten


Berufe — und regionale Besonderheiten — w ie die große Bedeutung der Bierbrau-
erei in Bamberg m it Folgew irkungen fü r die Faßherstellung —‫ ־‬k o n k u rrie rte n in
Bamberg w ie auch anderswo m iteinander, so daß einige grundsätzlichere Bemer*
kungen über die branchentypische D im ensionen der Wanderschaft angebracht
sind:
» •

Ü b e ra ll gehörten die Metallhandwerker zu den weitgereisten Gesellen; edelmetall-


verarbeitende Branchen und technisch höher entw ickelte Berufe wie U h r- und
Instrum entenm acher ragten besonders h e rv o r13. A uch im Bauhandwerk wurden
w eite Distanzen zurückgelegt, jedoch n ich t im m er: Im Landhandwerk
beschränkte man sich auf geringere Entfernungen, dasselbe g ilt fü r verkehrsferne
Regionen w ie z.B. das Siegerland und das W ittgensteiner Land14. Eine ausge-
prägte Fernwanderung zeigten die Buchbinder 15, die sich gern an den großen
buchproduzierenden Zentren o rie n tie rte n , den Universitätsstädten und Residen-

13 Belegt bei E lkar: W andernde Gesellen (A n m . 1). — Ders.: Umrisse einer Geschichte der Gesellen-
Wanderungen im Übergang von der Frühen N euzeit zu r N euzeit. In: Elkar: Deutsches H andw erk
(A n m . 2), S. 85— 116. — A . Bartelmeß: Geschichte des N ürnberger Schlosserhandwerks bis 1945.
In: Ders., R. K ahsnitz (Bearb.): Das N ü rn b e rg e r Schlosserhandwerk von den Anfängen bis 1985.
N ü rn b e rg 1985, S. 27 ff. — Reininghaus: Q uellen (A n m . 1) — V o r allem bei den Goldschmieden
waren die Beziehungen besonders weitreichend und zum T e il international, dies belegen eine Reihe
von Ausstellungskatalogen, die auch die ältere L ite ra tu r referieren: G . Spies: Braunschweiger G old-
schmiede, in: Ders. (H g .), M . Puhle (Red.): Brunsw iek 1031 — Braunschweig 1981. Braunschweig
1981, S. 275— 338. — G . Schiedlausky: D ie N ü rn b e rg e r Goldschm icdckunst als Forschungsaufgabc.
In: G . B ott (H g.): Wenzel Jam nitzer und die N ü rn b e rg e r Goldschm icdckunst 1500— 1700. M ün-
chcn 1985. — A u ffä llig ist auch die hohe Bereitschaft unter den Goldschmieden, ihren Berufsnach-
wuchs in der Fremde in die Lehre zu geben. V gl. hierzu: Lehrjungenbuch der Goldschmiede zu
Leipzig (1550— 1848), StadtA Leipzig Goldschmiede В 2: eine Ausw ertung w ird augenblicklich zur
V e rö ffe n tlich un g vorbereitet.
14 V gl.: Lerner: Statistik (A n m . 1). — W . Gerber: D ie Bauzünftc im alten H am burg. H am burg 1933.
— H . Moser: D ie Steinmetz- und M aurerzunft in Innsbruck von der M itte des 15. bis zur M itte
des 18. Jahrhunderts. Innsbruck 1973. — Es ist jedoch n ich t grundsätzlich von einer weiten Wände-
rung der Bauberufe auszugehen. W o Z im m erleute fü r den gesamten Hausbau zuständig waren,
ko nnten die spezifischen Bauordnungen — zumal in verkehrsfernen Regionen — einengend auf die
E ntfaltung des H andw erks in überregionale Räume w irk e n ; das H andw erk im Siegerland und im
W ittgensteiner Land lie fe n h ie rfü r Beispiele: R.S. E lkar: Umrisse einer Handwerksgeschichte in
W ittgenstein und Siegcrland vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. In: J. H endricks (H g.): A lte und
neue A rbeitsw elt im Siegerland und in W ittgenstein. M ünster 1985, S. 16— 38. Im Gegensatz zu die-
sen ‫ ״‬engen“ K om m unikationsräum en stehen die weiten Verbindungen der spätm ittelalterlichen
und fruhneuzcitlichen Bauhütten, die durch eine wahre L ite ra tu rfü lle belegt sind; hierzu unlängst:
B. Schock-Werner: Das Straßburger M ünster im 15. Jahrhundert. Stilistische E n tw icklu n g und H ü t-
tenorganisation eines Bürger-Dom s. K ö ln 1983; sowie die Beiträge derselben Verfasserin in: A . Leg-
ner (H g.): D ie Parier und der Schöne Stil 1350— 1400, Bd. 3. K ö ln 1978, S. 55— 65. Eine Folie fü r
die In te rpretation m öglicher Gesellenwanderungen liefern: G. Binding, U . M ainzer, A. Wiedenau:
Kleine Kunstgeschichte deb deutschen Fachwerkhaus. Darm stadt 1975.
15 Aus dem B uchbinderhandw erk sind eine beachtliche A n za h l von Einschreibbüchern erhalten, die
z.T. bereits ausgewertet w urden; fü r F ra n k fu rt a.M.: H . Lcnhardt: 150 Jahre (A n m . 1). — M arburg:
K. R um pf: V om ‫ ״‬ehrsamen“ H a n d w e rk und den ‫ ״‬lö b lich e n “ Gesellenbruderschaften. In: Hess.
Bll. f. V olkskunde 55 (1964) 59— 107. — M inden: M . Krieg: Einschreibbuch der kunstliebenden
Buchbindergesellen. In: M in de n e r H e im a tb ll. 4 (1926) H . 9. — Allgem ein: H . H elw ig: Das deutsche
B uchbinder-H andw erk, 2 Bde. Stuttgart 1962/65. — W eitere Einschreibbüchcr sind u.a. aufzufin-
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Schola migrationis. Zur Geschichte der Gesellenwanderung. 93

zen sowie den wohlhabenderen Reichs- und Landstädten. In den Bekleidungsge‫׳‬


werben , in den leder- und pelzverarbeitenden Berufen 16 bestand eine große N ei-
gung zu ausgedehnter Wanderschaft, wobei die Kürschner herausragten. Bei den
Schuhmachern und Schneidern, die in den meisten Herbergen reichlich vertreten
waren, läßt sich dennoch der E in d ru ck unterschiedlich m igranter G ruppen
gewinnen: ein T e il bewegte sich im Nahbereich, ein T e il in fernen Distanzen.
D ie starke Uberbesetzung w irk te sich so aus, daß etliche m it sicherer A n b in d u n g
an den H e rk u n fts o rt auf Stör- und Gelegenheitsarbeit hofften.
Unsere Stichprobe zeigt, daß die oftm als attestierte geringe M o b ilitä t in den
Nahrungsmittelberufen nicht verallgemeinert werden so llte 17. Spezialisiertere
H andw erke — wie Lebküchner, K o n d ito re n und Zuckerbäcker — bewegten sich
ohnehin in weiteren Regionen. Bemerkenswert ist schließlich das W anderverhal-
ten der Doppelberufe: In Bamberg w ie in Schwäbisch H a ll verband sich der
B eruf des Brauers o ft m it dem des K ü fe rs18; v o r allem in H a ll zeichnet sich unter
dieser Voraussetzung der E indruck ab, daß die starke M o b ilitä t der holzverarbei-
tenden Berufe sich dann auswirkte.
D ie Tischler bzw. Schreiner, die Drechsler und Ebenisten brachten weite Wan-
derrouten h in te r sich19. Je näher das H a n d w e rk in die Dim ensionen der Kunst

den in Braunschweig, Lüneburg, Regensburg und Tübingen (von den beiden letzteren sind
E D V -A usw ertungen in Vorbereitung bzw. abgeschlossen). D ie (v.a. h in sich tlich der Wanderschaft)
dünnere Quellenlage in den übrigen D ru ck- und Papierberufen hat dementsprechend weniger Stu-
dien hervorgebracht, umso auffälliger sind die vorzüglichen A rbeiten von J. R ychner, von ihm
zuletzt: J. Rychner: Genève et ses typographes vus de Neuchâtel 1770— 1780. Genève 1984.
16 Z u den Kürschnern, Färbern, S tru m p fw irke rn s.: E lka r (A n m . 1 u. 12). — Z u den Schuhmachern:
G. Jaritz: Gesellenwanderungen in Niederösterreich im 15. und 16. Jahrhundert unter besonderer
Berücksichtigung der T u lln e r ‫ ״‬Schuhknechte“ . In: S om kuti u.a.: Internat, handwerksgesch. Symp.
1978 (A n m . 1), S. 50— 61. — Z u den Schneidern: Wissell: Des alten H andw erks (A n m . 3),
S. 454— 457; auch: K.-S. Kram er: A ltm ü n ch cn cr H andw erk. Bräuche, Lebensformen, Wanderwege.
In: Bay. Jb. f. Volkskunde 1958, S. 111— 137. — Das unterschiedliche M igrationsverhalten der
Schneider und Schuhmacher hängt w om öglich m it den unterschiedlichen Bedingungen des Stadt-
und Landhandwerks zusammen und den M öglichkeiten der Störarbeit; H inw eise fü r diese
Annahm e ergeben sich aus den N ürnberger Q uellen und den Bamberger Gesellenregistern.
17 Vgl. G. Emig: D ie Berufserziehung bei den H andw erkerzünften in der Landgrafschaft Hessen-
Darmstadt und im G roßherzogtum Hessen vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis zu r E in fü h ru n g
der G ewerbefreiheit. F ra n kfu rt 1967. — F. Lerner (Red.): Lebendiges Fleischerhandwerk. Ein B lick
in Vergangenheit und Gegenwart, hg. v. Deutschen Fleischer-Verband. F ra n k fu rt a.M. 1975. — A .
Bartelmeß, G . Läm m erm ann (Bearb.): C h ro n ik des N ürnberger Bäckerhanderks 1302— 1982, hg.
v. Bäckerinnung N ürnberg. N ürnberg 1981, S. 38 ff.
IS Totenbücher H a ll (wie A n m . 6). — Gesellenregister Bamberg (wie A n m . 12).
19 Z um W andern der Schreiner/Tischler, auch der B ü ttn e r/B ö ttc h e r/F a ß b in d e r/K ü fe r w ichtige
Hinweise bei Wissell: Des alten Handwerks (A n m . 3), S. 338— 350. — M . Fehring: Sitte und Brauch
der Tischler unter besonderer Berücksichtigung hamburgischer Quellen. H am burg 1929. — Z u den
internationalen Verbindungen des H ofhandw erks und der Ebenisten: M . Stürm er: H andw erk und
höfische K u ltu r. Europäische M öbelkunst im 18. Jahrhundert. M ünchen 1982. M . Stürm er befaßt
sich dabei ausführlich m it der Roentgen-Werkstadt. H ie rzu die sehr gründliche P u b lika tio n von
D . Fabian: K in z in g und Roentgen U hren aus N euw ied. Leben und W e rk der U h rm achcrfam ilien
K in zin g und der Kunstschreiner Abraham und D avid Roentgen. Bad Neustadt 1983. A u fg ru n d
bestim m ter konfessioneller Einflüsse bestanden enge Bindungen in die Schweiz (s.a. unten A n m .
15) und nach H errenhuth.
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94 Rainer S. Elkar

rückte, um so internationaler w urde die Wanderschaft. D ie M usikinstrum enten-


macher, v o r allem die Lauten- und Geigenbauer aus Schwaben20, gründeten in
Ö sterreich und Italien ganze H andw erkerdynastien, die w iederum in ein m itte l-
europäisches K om m unikationssystem in teg rie rt waren. Ä hnliches g ilt fü r die
chirurgischen und optischen Instrum entenm acher, die Zirkelschm iede und K om -
pantenm acher21. K unst und Wissenschaft erhöhten das Sozialprestige einzelner
Berufe, dessen suchten sich auch die zum T e il recht w enig angesehen Bader und
W undärzte zu versichern. Sie wanderten m it spezifischen Ausbildungsinteressen
in die Universitätsstädte22, bei ihnen ist auch häufiger eine regelrechte Auswan-
derung aus dem H a n d w e rk ins M ilitä r oder in den H ofd ie nst zu beobachten.
V ie l zu w enig w urden bislang die Wechsel und Austauschbeziehungen zw i-
sehen einzelnen Regionen beachtet, die allgemeinere Einsichten über die K om -
m unikationsstränge des frühneuzeitlichen H andw erks versprechen. A m einfach-
sten lassen sich noch die Ladenverbindungen erkennen. Sie waren in Sachsen
besonders ausgeprägt, o rie n tie rte n sich doch die meisten M itte l- und Kleinstädte
an den Hauptladen in Dresden, Leipzig, C hem nitz, frü h e r auch Z w ic k a u 23. A hn -
liehe, fre ilic h noch n ic h t durch quantifizierende Untersuchungen belegte Ein-
sichten dü rfte n sich fü r den württem bergischen Raum gewinnen lassen24.
Das Erschließen größerer K om m unikationsräum e bereitet deshalb Schwierig-
keiten, w eil Austauschbeziehungen n u r bei deckungsgleichen Q uellen belegt
werden können. Solche Reihen lassen sich besonders günstig unter den Hand-
werksakten der B uchbinder finden. Abgeschlossen kon nte bislang eine D etailun-
tersuchung über die Wechselbeziehungen zwischen den Leipziger und N ü rn b e r-
ger Kürschnergesellen werden. Sie erstreckt sich auf den Z e itra um von 1733 bis
1799. In diesem Zusammenhang ließ sich feststellen, daß es bei den Kürschnern
eine ausgeprägte Ost-W est-W anderung in R ich tun g Franken gab. Dabei lassen
sich die Beziehungen zwischen Franken und Sachsen erst dann umfassend inter-
pretieren, wenn ein w eiterer Raum einbezogen w ird : Schlesien. Sachsen und
Schlesier machten in N ü rn b e rg zwischen 1709 und 1799 50,77% aller fremden

20 V gl.: W .L . von Lütgendorff: D ie Geigen- und Lautenmacher vom M itte la lte r bis zur Gegenwart,
N achdr. d. 6. durchges. A u fl., 2 Bde. T u tz in g 1975. — A . Layer: D ie A llgäuer Lauten- und Geigen-
macher. Augsburg 1978.
21 StadtA N ü rn b e rg E 5 I — Zirkelschm iede 28. — Ü b e r Instrum entenbau: G . Adams: Geometrische
und graphische Versuche, ausgew., bearb. u. erläutert v. P. D am erow , W . Lefèvre. Darm stadt 1985.
22 Entsprechende H inw eise danke ich Sabine Sander, In s titu t fü r Geschichte der M edizin, Robert
Bosch S tiftung Stuttgart, die augenblicklich eine U ntersuchung über die A usbildung und das Migra-
tionsverhalten w ürttem bergischer Bader und W undärzte im 18. Jahrhundert anfertigt. — Ü ber das
W andern der Bader nach N ü rn b e rg : StadtA N ü rn b e rg E 5 I — Bader 3,4,5. W ährend in N ürnberg
n u r eine langfristige U m s tru k tu rie ru n g der W andertraditionen aufscheint, stellt S. Sander eine grö-
ßere F le x ib ilitä t fest.
23 D ie Ladenorganisation w ird meist schon durch den Aufbau des Q uellenm aterials ersichtlich. Die
großen Hauptversam m lungen im sächsischen H a n d w e rk werden über die Laden organisiert, wobei
Z w icka u in den neuzeitlichen Q uellen kaum noch als Hauptlade v o rk o m m t. Z u le tzt s.: H . Brauer:
Handwerksgesellen (A n m . 1).
24 J.F.C. Weisser: Das Recht der H andw erker nach allgemeinen Grundsätzen und insbesondere nach
den H erzogl. W irtem bergischen Gesezen. Stuttgart 1780.
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Schola migrationis.. Zur Geschichte der Gesellenwanderung . 95

Gesellen aus, alle übrigen K ontingente folgten in weitem Abstand, darunter auch
die T h ü rin g e r m it n u r 8,01%. In Leipzig betrug der A n te il der Schlesier ein
wenig m ehr als in N ü rn b e rg (21,50% zu 22,29%); die Franken hingegen waren
eine unbedeutende G ruppe. V o n einer ausgewogenen Wechselbeziehung konnte
also gar n ich t die Rede sein25.
W ährend allgemein — m it Ausnahmen — die süddeutschen Gesellen wenig
nach N orddeutschland wanderten, verschoben sich die Verhältnisse gerade im
sächsischen Raum. E r verkörperte eine Drehscheibe zwischen N o rd , N o rd o st
und Süden. D ie alte Am m annsche These der T renn un g zwischen dem N o rden
und dem Süden in den Gesellenwanderungen greift hier also n ic h t26.
O hne auf genauere Details einzugehen, muß noch darauf hingewiesen werden,
daß auch Äußerungen der handw erklichen G ru p p e n k u ltu r M ig ra tio n srich tu n -
gen beeinflußten: V errüfe einzelner oder mehrerer Städte, unterschiedliche
A nerkennung von E h rb a rke it störten oder förderten bestim m te Wanderungs-
ströme und K o m m u n ika tio n e n .

1.3. Demographische Einflüsse


Es liegt nahe, die unterschiedlichen Frequenzen der Gesellen auf dem H in te r-
grund bevölkerungsgeschichtlicher E n tw icklun ge n zu interpretieren. V o r allem
die Uberbesetzung des H andw erks im 19. Jahrhundert scheint eng m it dem gro-
ßen Anstieg der Bevölkerungszahlen seit der M itte des 18. Jahrhunderts zusam-
menzuhängen.
Bei genauerem Hinsehen fä llt indessen auf, daß direkte K orrelationen zwischen
demographischem Zuwachs und Gesellenfrequenz eher unw ahrscheinlich sind.
In Bamberg w urden zum Beispiel zwischen 1824 und 1869 42.956 m ännliche
migrante A rb e itskrä fte registriert, die meisten von ihnen waren Gesellen. Ange-
sichts der hohen Gesellenzahlen zwischen 1844 und 1846 (1225, 1225, 1150)
sowie zwischen 1861 und 1864 (1313, 1362, 1371, 1336) und einem dazwischen
liegenden sowie einem nachfolgenden rapiden Rückgang auf 754 und 875 Gesel-
len läßt sich ein u n m ittelb are r Zusammenhang m it dem steten Bevölkerungs-
Wachstum von 17.250 im Jahr 1818 auf 25.559 im Jahr 1864 n icht erkennen27.
D ie v ö llig unterschiedlichen Tendenzen der Gesellenzahlen in den einzelnen
Berufen und an verschiedenen O rte n , sogar das A bsinken der Frequenzen in ein-
zelnen H andw erken läuft der V orstellung d ire kte r Einflüsse vollends zuw ider.

25 A ußer den bei E lkar: Wandernde Gesellen (A n m . 1), aufgeführten Q uellen wurden zusätzlich aus-
gewertet: StadtA Leipzig, K ürschner В 52, В 54, С 17; Bäcker В 5; Barbiere В 1, В 11; Barett- und
Strum pfm acher A 1; Beutler С 3; G ü rtle r В 9, В 13, В 16; Kammacher В 9, В 10; M aurer В 1; Schlos-
ser В 1; Stellmacher В 1; T ö p fe r С 4; Zinngießer В 1; Z in n - und Silberplattenknopfgießer В 3; Far-
ber В 1, В 2, В 6, В 7; Tuchbereiter С 3; G old- und Silberarbeiter В 3. D em Handwerksgeschichtli-
chen A rbeitskreis an der U niversität Leipzig danke ich fü r w ichtige H inw eise anläßlich der 2.
Tagung zur sächsischen Handwerksgeschichte. H ie rzu demnächst: R.S. E lkar: Sachsen und Fran-
ken — Zw ei Zentren der Gesellenwanderungen. Bindungen und Verbindungen vom 17. bis zum
19. Jahrhundert.
26 H . A m m ann: Gesellenw‫׳‬anderungen (A n m . 1).
27 Gesellenregister Bamberg (w ie A n m . 12).
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96 Rainer S. Elkar

Anders verhält es sich m it den demographischen Störfaktoren: Kriege und Seu-


chen zur Z eit des Dreißigjährigen Krieges bew irkten in N ü rn b e rg D ezim ierun-
gen im handwerklichen N achwuchs und A rbeitskräftepotential. A uch die Schle-
sischen Kriege w irk te n sich spezifisch auf die Gesellenwanderung nach Leipzig
und nach N ü rn b e rg aus. In beiden Städten läßt sich beobachten, daß der Beginn
des Siebenjährigen Krieges 1756 schlagartig die Wanderbereitschaft abbremste,
daß im Kriegsverlauf jedoch W anderbereitschaft und -Zurückhaltung ebenso
schwankten wie in anderen, ruhigeren Perioden, fre ilich bei einem deutlich nie-
drigeren M obilitätsniveau. A u ffä llig ist schließlich, daß während dieses Krieges
(1756— 63) die A nzahl von Sachsen in N ürnberg abnim m t, daß dieser Rückgang
aber n icht so deutlich ausfällt w ie in Leipzig selbst. D er Schluß liegt nahe, daß
die Sachsen einerseits in der Fremde verharrten und andererseits ihre H eim at
n ich t verließen. D er Krieg veranlaßt also die Gesellen nicht zu einer Landflucht,
sondern senkte die W a n d e rw illig k e it28.
Fassen w ir die Ergebnisse dieses ersten und wegen der zu beschreibenden
Grundlagen längsten Betrachtungsabschnittes zusammen:
O ffensichtlich treten schon auf einer phänomenologischen Ebene bei einer
Untersuchung der Gesellenwanderungen sehr individuelle Züge handw erklichen
M igrationsverhaltens und handw erklicher A rbe itskrä fte rekrutie run g hervor,
in d ivid u e ll deshalb, w eil lokale, regionale und gewerbetypische Ausprägungen
von Gesellenwanderungen n icht n u r vorherrschen, sondern auch in ih re r Ver-
schränkung Vergleichbarkeiten erschweren. Dennoch handelt es sich stets um
denselben T y p von M o b ilitä t. Es liegt daher nahe, im H in b lic k auf die Gesellen-
Wanderungen von einer k o lle k tiv e n Individualität zu sprechen, deren Steue-
rungsmechanismen noch genauer zu bestimmen sind.

2. Gesellenmigration und die ‫ ״‬Ö ko n o m ie des Mangels“

W enn der B egriff der ko lle ktive n In d ivid u a litä t nicht n u r offenkundige D ysfu n k-
tionalitäten zusammenbinden soll, ohne sie tatsächlich aufzuheben, bedarf es
einer inhaltlichen und theoretischen Absicherung und Ausgestaltung. Dabei ist
es durchaus denkbar, daß die beschriebenen W idersprüchlichkeiten in der Ent-
w icklu n g der Gesellenfrequenzen, daß die unterschiedliche Intensität von M o b i-
litä t n u r deswegen so betont hervortreten, w eil sie von keinem systematisieren-
den, theoriegeleiteten Ansatz e rklä rt werden.
Abgesehen von einer Reihe geografischer und soziologischer Theorien, die
sozialgeschichtliche E ntw icklungen allenfalls am Rande berücksichtigen, haben
H is to rik e r selbst sich bislang wenig m it einer theoriebezogenen In terp re tatio n

2* Vergleich auf der Basis von E lkar: Wandernde Gesellen (A nm . 1), und StadtA Leipzig, A k te n des
Kürschnerhandwerks (A n m . 25).
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Schola migrationis. Zur Geschichte der Gesellenwanderung. 97

der Gesellenmigration befaßt29. Das bestechendste und durchdachteste Konzept


wurde v o r n icht allzu langer Z eit von Klaus J. Bade vorgetragen, der die Gesel-
lenwanderungen — ve rkü rzt gesprochen — in den Zusammenhang einer ‫ ״‬Ö ko -
nomie des Mangels“ b rin g t30. D ie w irtschaftlichen G rundvorstellungen stammen
von Labrousse und A b e l31. D ie A rgum entationslinie, daß durch die verschiede-
nen w irtschaftlichen Krisen europäischen Ausmaßes das ‫ ״‬A lte H a n d w e rk“ selbst
in eine Existenzkrise gedrängt wurde, in der es schließlich unterging, diese Sicht
auf den ‫ ״‬H erbst des A lte n H andw erks“ , begegnet auch bei Michael Stürm er, des-
sen Erkenntnisse wesentlich Bade beeinflußten32. Es ist notwendig, die G rund-
these k u rz zu referieren:
Eingeleitet wurde der Niedergang des H andw erks von einer Nachfrage- und
Absatzkrise um die M itte des 17. Jahrhunderts, als ein Mangel an Güternachfrage
das H andw erk in eine erste w irtschaftliche Bedrängnis brachte. D ie M eister regu-
lierten bei starrem Marktgefüge ihre Ertragslage durch eine flexible Beschäfti-
gungspolitik. Im H in b lic k auf die letzte und entscheidende Krise des H andw erks
im 18. Jahrhundert muß nach Bade zunächst festgehalten werden, daß die erste
Jahrhunderthälfte von einer ausgesprochenen handw erklichen Prosperität und
einer guten Beschäftigungs- wie auch Einkommenslage fü r die Gesellen gekenn-
zeichnet war. In der zweiten Jahrhunderthälfte führte der Bevölkerungsdruck
und bestimmte Bewegungen auf dem A g ra rm a rkt zu H ungerkrisen und zu einer
scharfen Uberbesetzungskrise im H an dw e rk; es ist jener Zeitraum , in dem ein
scharfer W anderzwang die Gesellen auf der Straße hielt, in dem die M eister häu-
fig die Gesellen ‫ ״‬über den Rand“ der sozialen und ökonom ischen Sicherung hin-
ausstießen.
Gerade fü r diese späte Periode der Gesellenwanderung hält Bade ein Bündel
von Indikatoren und Argum enten bereit, die seiner These angemessen sind.
U nterstellt man die tendenzielle Verelendung des Handwerks in der zweiten
H älfte des 18. Jahrhunderts, so diente — w ie zum T e il schon in früheren Zeiten
— die Gesellenmigration als Spannungsabfluß. D ie Verlängerung der W anderzeit
je nach der Uberbesetzung des H andwerks, die schikanösen K o n tro lle n der
Anzahl von Wanderjahren in der A bsicht, bei den geringsten N orm abw eichun-

29 Einen w ichtigen Im puls zur historischen M igrationsforschung gibt: P. M oraw (Hg.): Unterwegs-
sein im Spätm ittelalter. Berlin 1985 (Zschr. f. historische Forschung, Beih. 1). Demnächst auch der
Tagungsband ‫ ״‬H o rizo n ta le M o b ilitä t‘ * (A n m . 5), der insbesondere auf die M igrationstheorie von
H.-J. H o ffm a n n -N o w o tn y eingehcn w ird : Ders.: M ig ra tio n . Ein Beitrag zu einer soziologischen
Erklärung. Stuttgart 1973.
30 K.J. Bade: Altes H andw erk, Wanderzwang und G ute Policey: Gesellenwanderung zwischen
Z u n ftö ko n o m ie und Gewerbereform. In: VSW G 69 (1982) 1— 37.
31 Hauptsächlich: W . Abel: Massenarmut und H ungerkrisen im vorindustriellen Europa. Versuch
einer Synopsis. H am burg, Berlin 1974. — C.E. Labrousse: Esquisse du mouvement des p rix et des
revenus en France au X V Iie siècle, 2 Bde. Paris 1933 (u. spätere Arbeiten). — W ich tig nunm ehr:
P. Kriedte: Spätfeudalismus und Handelskapital. G öttingen 1980, der auch kritisch die anglom arxi-
stische Debatte (D obb, Sweezy, Thom pson u.a.) reflektiert.
32 M. Stürm er (H g.): Herbst des A lte n H andw erks. Q u ellen z u r Sozialgeschichte des 18. Jahrhun-
derts. M ünchen 1979. *

HyS&T)
V München /
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98 Rainer S. Elkar

gen die Jahreszählung von neuem beginnen zu lassen, die Gebührenerhöhungen


fü r fremde Gesellen m it Niederlassungsabsichten bei entsprechend hohen Ver*
günstigungen fü r einheimische Meistersöhne, die mangelnde Bereitschaft, vor*
schriftsmäßig gewanderte Gesellen auch aufzunehmen, all dies hielt die Gesellen
m o b il, verdrängte sie aus dauernden Beschäftigungsverhältnissen und verhinderte
schließlich die M eisterwerdung selbst.
Bades A rgum entation ist stringent, aber dennoch problematisch:
Zunächst bereitet die Übernahm e der Abelschen Konjunkturgeschichte selbst
Schwierigkeiten: Sie ist im wesentlichen auf synoptischem und weniger auf induk-
tivem Wege entstanden, sie zieht v o r allem Einsichten aus unterschiedlichen
Regionen zusammen und erstellt auf diesem Wege ein Gesamtbild fü r Europa wie
fü r Deutschland. D am it werden aber regionale K o n ju n ktu re n , welche die deut*
sehe W irtschaftshistorie des 18. Jahrhunderts so vielfältig und so verw irre nd
machten, harm onisiert. A u f handwerksgeschichtlicher Ebene verfährt Bade —
notgedrungen — ähnlich, er fügt empirische Belege zusammen, die seine Theorie
stützen, die aber zum Z e itp u n k t seiner Studie n ich t in allzu reicher Zahl Vorlagen
und kaum unter größeren systematischen Zusammenhängen entstanden.
W enn schon, wie sich zeigen ließ, der Bevölkerungsdruck nicht überall und
nicht in gleicher Weise auf den Gesellenzahlen unterschiedlicher Handwerksbe*
rufe lastete, so kann auch nicht von einem vergleichbaren D ru c k der ökonom i*
sehen Krisen des ‫ ״‬type ancien“ ausgegangen werden. Dies behauptet natürlich
auch Bade nicht, vielm ehr weist er ausdrücklich darauf hin, daß es beträchtliche
lokale und regionale Unterschiede in der N u tz u n g des Instrum ents ‫ ״‬Wander-
zwang“ gab. Ö ko n o m ie und A rb e its m a rk t des A lte n Handwerks waren indessen
vielfältiger s tru k tu rie rt, als daß der W anderzwang das einzige M itte l gewesen
wäre, um Überbesetzungen und Mangel im Nahrungserwerb in den G r iff zu
bekommen:
In N ürnberg, zum T e il auch in Leipzig verm inderte man zum Beispiel bei den
Goldschmieden die Annahm e von Lehrlingen, während in N ü rn b e rg die A nzahl
frem der Gesellen noch w eiterw uchs33. D ie E in fü h ru n g neuer Techniken war
meist noch in den goldenen Zeiten des H andw erks, Ende des 17. und bis zur
M itte des 18. Jahrhunderts erfolgt, sie erwiesen sich aber auch in der zweiten
H ä lfte des 18. Jahrhunderts als fruchtbare Erwerbsquelle. Z e itw e ilig in Franken,
vo r allem aber in Thüringen und Sachsen spielte zum Beispiel die S tru m pfw irke*
rei eine herausragende Rolle: Just in dieser Wachstumsbranche sanken während
der Krisenjahre des 18. Jahrhunderts die Gesellenzahlen in N ü rn b e rg 34.
D ie H andw erker empfanden die M anufakturisten als eine Bedrohung — sicher*
lieh zurecht. Es ist aber n ich t zu übersehen, daß Handwerksgesellen auch in
M anufakturen arbeiteten, wie Reuter fü r Franken nachgewiesen hat35. In Leipzig

StadtA N ürnberg E 5 I — Goldschmiede 79. — StadtA Leipzig Goldschmiede ß 2.


** StadtA N ürnberg E 5 I — S tru m p fw irk e r 7.
J5 O . Reuter: Die M a n ufa ktu r im fränkischen Raum. Stuttgart 1961 (Schriften zur Sozial- und W irt-
schaftsgcschichte Bd. 3).
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Schola migrationis. Zur Geschichte der Gesellenwanderung. 99

nahm das M anufakturwesen in der zweiten H ä lfte des 18. Jahrhunderts einen
weiteren Aufschw ung: G old- und Silbergespinste, Samt- und Seidenwaren, W o li-
und Baumwollerzeugnisse, Posamenten, H üte, Spielkarten, Buntpapier, Blas-
instrum ente, Rauch- und Schnupftabake, Wachstuche, W achsleinwand und
Tapeten w urden m anufakturiell p ro d u zie rt. D ie dafür nötigen A rbe itskrä fte
waren selbstverständlich nicht n u r Frauen und K in d e r sowie ungelernte A rb e i-
ter, sie re kru tie rte n sich auch aus den Bereichen der Gesellenschaft. 1723 und
1764 verbot der K u rfü rs t nachdrücklich die A b w e rb u n g solcher Fachkräfte nach
Preußen36.
Schließlich bereinigte der handw erkliche M a rk t selbst etliche ökonom ische
Disparitäten: H andw erke gingen samt M eistern und Gesellen unter, ohne daß
zuvo r ein besonderer M igrationsdruck zu erkennen gewesen wäre, so die Posa-
m entierer in Augsburg nach E in fü h ru n g der Bandm ühlen37. In anderen Fällen
küm m erte das H an dw e rk dahin — bei M eistern w ie bei Gesellen; ein deutliches
Beispiel lieferte h ie rfü r das Zeugmacherhandwerk in Regensburg38.
Verschärfter W anderzwang und ein wachsendes migrantes A rbeitskräftepoten-
tia l verkörperten keine eindimensionalen G rößen. E in wichtiges, von Bade n icht
angeführtes B eurteilungskriterium liegt in der durchschnittlichen Beschäfti-
gungsdauer begründet. D ie Zeit, die arbeitslos ,unterwegs‘ verbracht w urde, die
Dauer der Beschäftigungsverhältnisse, eventuell die Tendenz zur zunehmenden
A b kü rzu n g von Z e itko n tra kte n , all dies müßte als zusätzliches K rite riu m fü r die
• •

Beurteilung einer ‫ ״‬Ö ko n o m ie des Mangels“ herangezogen werden. Es gelten also


die K rite rie n einer historischen A rbeitsm arktforschung, die noch allzu w enig auf
die Geschichte der Gesellenwanderungen übertragen w u rden39. V o r der E infüh -
rung von W anderbüchern im 19. Jahrhundert geben Kundschaften E inb licke in
die durchschnittliche Dauer eines Arbeitsverhältnisses. Klaus Stopp hat fü r die
Zeit zwischen 1731 und 1812 hauptsächlich Arbeitsverhältnisse bem erkt, die bis
zu einem halben Jahr dauerten (bis 3 Monate: 27,78%, bis 6 Monate 24,10%).
Dieses K o n tin g e n t macht über die H ä lfte aller K o n tra kte aus. Längerfristige
Beschäftigungsverhältnisse waren deutlich seltener (bis 1 Jahr: 17,91%, bis 1,5
Jahre: 8,57%, bis 2 Jahre: 7,14%)40. Stopp gibt keine Hinweise zur R elation von
Beschäftigung und Arbeitslosigkeit, auch n ich t über entsprechende diachrone

36 Vgl.: J.G. Schulz: Beschreibung der Stadt Leipzig. Leipzig 1784. — K. C zok: Das alte Leipzig. 2.
verb. A u fl., Leipzig 1985. — H . Schlechte: D ie Staatsreform in Kursachsen 1762— 1763. Q uellen
zum kursächsischen Retablissement nach dem Siebenjährigen Kriege. B e rlin /O s t 1958.
37 R. Reith: Zünftisches H andw erk, technologische In n o va tio n und protoindustrielle K o n ku rre n z.
Die E in fü h ru n g der Bandmühle und der Niedergang des Augsburger Bortenmacherhandwerks v o r
der Industrialisierung. In: R. M ü lle r (Hg.): A u fb ru c h ins Industriezeitalter, Bd. 2. M ünchen 1985,
S. 238-249.
38 Elkar: Wandernde Gesellen (A n m . 1).
39 T . Pierenkemper, R. T illy (H g.): Historische A rbeitsm arktforschung. Entstehung, E n tw ic k lu n g
und Probleme der V erm arktung von A rb e itskra ft. G öttingen 1982 (K ritische Studien zur
Geschichtswissenschaft Bd. 49).
40 K. Stopp: D ie Handwerkskundschaften m it O rtsansichten. Beschreibender Katalog der Arbeits-
attcstate wandernder Handwerksgesellen (1731— 1830), Bd. 1. Stuttgart 1982.
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100 Rainer S. Elkar

Verschiebungen in den Anteilen. So w ird H e lm u t Brauers H inw eis w ichtig, daß


die p ro d u ktive n Phasen während der W anderung bei den C h c m n it/u ‫ ־‬G !‫־‬m 1! ‫׳‬. ‫י‬
um die M itte des 19. Jahrhunderts kla r überwogen. Bei einer d u rc h s c h n iu L n * ;‫>־‬
Gesamtwanderzeit von 40,8 M onaten entfielen 83,9% auf Anstellungszeiten und
n u r 16,1% auf die Arbeitssuche41. W urden auf diese Weise noch Gesellen ‫ ״‬über
den Rand“ gedrängt?
In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß der M itte lw e rt der Wander-
schaftsdauer bei den Bürgern der Reichsstadt H a ll sich über annähernd zweihun-
dert Jahre hinweg kaum veränderte. D ie Generation jener H andw erker, die zwi-
sehen 1611 und 1635 geboren wurde und m ith in noch den Dreißigjährigen Krieg
erlebte, wanderte etwa 7,09 Jahre. D ie nachfolgende, zwischen 1636 und 1660
geborene Generation wanderte etwas weniger: 5,62 Jahre, wobei dies schon einen
extremen Einzelw ert darstellt, da ansonsten die W anderzeit über 6/2 Jahre
betrug. Eine Verlängerung der Wanderdauer infolge eines erhöhten M obilitäts-
druckes läßt sich n u r schwerlich bemerken.
E in Bamberger Herbergsbuch 42 belegt fü r die besonders ‫ ״‬kritische“ Zeit des
ausgehenden 18. Jahrhunderts, daß es kaum Gesellen gab, die älter als 34 Jahre
waren und auf die W alz zogen. D ie Untersuchungen von Brauer und Stopp ver-
m itte ln vergleichbare Einsichten. Berücksichtigt man schlußendlich das durch-
schnittliche Heiratsalter der H a lle r H andw erker, so verdichtet sich abermals der
E in d ru ck, daß — m it berufstypischen Abweichungen — n u r wenige Gesellen auf
der Wanderschaft ein A lte r von 30 Jahren überschritten43. A uch dieser Befund
läßt folgern, daß der M o bilitätsd ru ck nicht so w eit reichte, eine M ehrzahl der
Gesellen ohne sichere Beschäftigung m o b il zu halten.
U n d doch gibt es abermals Einschränkungen und weitere Differenzierungen:
Was die H a lle r Totenbücher anbelangt, so ist d o rt ganz eindeutig fix ie rt, daß die
H e ira t nach der Wanderschaft erfolgte. In Bremen, in Sachsen, um nur zwei
grün dlich er erforschte Beispiele zu nennen, gab es jedoch verheiratete Gesellen;
in Sachsen bedurften solche Gesellen zuweilen sogar der Zustim m ung ihrer
Frauen, wenn sie sich auf die W alz begeben w o llte n 44.
E in w eiterer Aspekt bedarf ebenfalls — ganz in der Linie der A rgum entation
Bades — gründlicherer Forschungen: Was H andw erker in einem A lte r von 30
und m ehr Jahren nicht mehr ausübten, war unter Umständen n u r die in besonde-
rer Weise ritualisierte und registrierte F o rm des Wanderns, eine Reise m it Kund-

41 H . Brauer: Gcsellenmigration in der Zeit der industriellen R evolution. Meldeunterlagen als Quel-
len zur Erforschung der Wanderbeziehungen zwischen C hem nitz und dem europäischen Raum.
Karl-Marx-Stadt 1982.
42 StadtA Bamberg В 81 N r. 81, Zeitraum 1789— 1799, Auswertung: Elkar: Wandernde Gesellen
(A n m . 1), S. 268— 272.
43 Totenbücher H a ll (wie A nm . 6). Die meisten H aller H andw erker heirateten in einem A lte r von
26 Jahren, bei den Bäckern und Schustern lagen die W erte etwas unter diesem A lte r.
44 K. Schwarz: D e r Familienstand der Handwerksgesellen in Bremen während des 17. und 18. Jahr-
hundens. In: Jb. d. W itth e it zu Bremen 16 (1972) 43— 63. — H . Brauer: Handwerksgesellen in säch-
sischen Städten (A n m . 1), S. 66.
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Schola migrationis. Zur Geschichte der Gesellenwanderung. 101

Schaft oder Paß nach Handwerksbrauch. Die Pendler in den Nahbereichen blei-
ben so außerhalb des Beobachtungsfeldes, soweit sie nicht im 19. Jahrhundert
sich der Dienst- oder Arbeitsbücher versichern mußten; m ehr noch aber sind die
‫ ״‬ortlosen“ K ontingente zu berücksichtigen. O b der Bettel sich w irk lic h aus einer
hohen A nzahl überalteter ehemaliger Wandergesellen zusammensetzte, ist bis-
lang ungeprüft45.

3. W anderzwang und berufliche Sozialisation — K on tu re n des Habitus?

Verschiedene skeptische Anm erkungen vermögen n ich t den konzeptionellen


W e rt des Theorems von der ‫ ״‬Ö ko no m ie des Mangels“ aufzuheben; sie stoßen
vielm ehr grundsätzlichere Überlegungen an.
K n u t Schulz hat nach wie v o r recht m it seiner Feststellung, daß das Gesellen-
wandern noch keine seiner Bedeutung angemessene Behandlung gefunden
habe46. Er m eint dam it eine Gesamtdarstellung, zu deren K o n tu rie ru n g er frei-
lieh wesentlich beiträgt. Schwierigkeiten liegen offenkundig im Z u g riff auf die
T h e m a tik und in den entsprechenden Realisierungsmöglichkeiten begründet.
Ein Z u g riff, der heutigen sozialwissenschaftlichen Anforderungen genügt, t r if f t
auf die Hindernisse des ‫ ״‬vorstatistischen“ Zeitalters: N u r selten sind fü r kom -
plexe Faktorenanalysen die notwendige Variablenvielfalt, die erforderliche
Datendichte und -verknüpfbarkeit gegeben. T ro tz dieser eher ungünstigen V o r-
aussetzungen g ilt es, exogene und endogene Faktoren der M ig ra tion , m akro- und
m ikroökonom ische, bzw. m akro- und mikrosozialwissenschaftliche Analysen
aufeinander abzustimmen. Dies ist bislang zu wenig geschehen, wobei es geboten
scheint, daß makroanalytische Theorieansätze verstärkt lokale und branchenty-
pische Besonderheiten berücksichtigen müssen und den Gang der Differenzie*
rungsprozesse auf dieser Ebene als endogene Veränderungen im H andw erk wahr-
zunehmen haben.
H e lm u t Brauer hat dies k ü rzlich in einer sehr knappen, aber durchaus treffen-
den D e fin itio n von Gesellenmigration akzentuiert. E r spricht davon, daß die
Gesellenwanderung eine ‫ ״‬Konsequenz aus dem W iderspruch zwischen E n tw ic k -
lungsstand, •gang und -Spezifik der P ro d u ktivkrä fte einerseits und den gesamtge-
sellschaftlichen Rahmenbedingungen andererseits“ verkörpere, daß sie ‫ ״‬im
Wesen der Z u n ft ihre Basis“ habe, ‫ ״‬durch den E in flu ß anderer M o b ilitä ts v o rb il-
der b e rü h rt“ werde, ‫ ״‬ohne jedoch die ursprüngliche sozialökonomische Bezugs-
ebene jemals zu verlieren“ 47. D ie von Brauer angedeuteten Perspektiven sind
w ichtig.

45 In den Zeitschriften des 18. Jahrhunderts w ird von Bettlcrtrupps berichtet, die sich in Scharen über
die T erritorialgrenzen begaben, hierzu: R.S. Elkar: Franken im Bild seiner Journale — ein Ü ber-
b lic k am Ausgang des A lte n Reichs. In: 121. Jahresbericht des Historischen Vereins Bamberg 1985,
S. 187— 232, insbes. S. 206 ff.
46 K. Schulz: Handwerksgesellen (A n m . 1), S. 265.
47 H . Brauer: Handwerksgesellen (A n m . 1), S. 35.
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102 Rainer S. Elkar

N ic h t so sehr die Entstehung des Wanderns an sich ist von heuristischem Inter-
esse als vielm ehr die Frage, wann denn die Ö ko no m ie des H andw erks selbst
M ig ra tio n als Regulativ begriff. Inzwischen zeichnet sich Einvernehm en darüber
ab, daß der ‫ ״‬W anderzwang“ , den ursprünglich die Z ünfte, später erst der früh*
moderne Staat ausübte, ein Phänomen ist, das zwar durch die Uberbesetzung ♦•
des
Handw erks besonders viru le nt wurde, das aber bereits vo r den großen Uberbe*
setzungskrisen des 17. und 18. Jahrhunderts anzusiedeln ist. Freilich bestehen
einige Unterschiede in der zeitlichen E inordnung des Entstehens einer erzwunge-
nen M igration: Schulz setzt sich besonders deutlich von Wissell ab und erklärt
die Entstehung des Wanderzwanges als kennzeichnend fü r den Z eitraum zwi-
sehen dem 16. und 17. Jahrhundert. E r verweist überdies auf O rdnungen des frü-
hen 17. Jahrhunderts, die das W andern grundsätzlich noch als freie Entschei-
dungsm öglichkeit der Gesellen verstanden. Brauer hingegen gewahrt ‫ ״‬zünftigen
D ru c k “ schon im frühen 16. Jahrhundert, indem er bislang unbekannte Q uellen
zu spezifischen W anderverpflichtungen aus den Stadtarchiven in Leipzig und
Z w ickau heranzieht. Die D ifferenz zwischen beiden Positionen 48 umschließt
mindestens ein halbes, w om öglich sogar ein ganzes Jahrhundert.
Sollte eine neue Diskussion über den Z e itp u n k t einer E infüh run g des Wander-
Zwanges entstehen, so sollte sie sich einem spannenderen Aspekt zuwenden als
dem bloßen Gesichtspunkt der C hronologie: In beiden Positionen liegt eine
A rgum entation m it endogenen Faktoren begründet, d.h. daß die handwerkliche
Produktionsweise selbst und nicht ausschließlich ihre Rahmenbedingungen ein
hervorgehobenes Interesse verdient.
Diese Bemerkung richtet sich auch auf die inzwischen so beliebte A nsicht, daß
der W anderzwang als V e n til handw erklicher Uberbesetzung — exogen — maß-
geblich von einem Bevölkerungsdruck hervorgerufen wurde. Gegen eine dem-
entsprechend monokausale Begründung sind verschiedene Bedenken anzumel-
den:
D ie Bevölkerungsverluste des Dreißigjährigen Krieges trafen den m itteleuropä-
ischen Raum sehr unterschiedlich. Es folgte ein zwar beträchtliches, aber regio-
nal wiederum verschiedenes Bevölkerungswachstum49. Bislang liegen kaum nen-
nenswerte Untersuchungen vor, die U m fang und Intensität der E in fü h ru n g von
W anderordnungen m it den Zonen besonders starker Bevölkerungszunahme kor-
relieren. Ebenso gilt es, ein ökonomisches A rgum ent zu berücksichtigen: ver-

48 K. Schulz: Handwerksgesellen (A nm . 1), S. 268, u.a. m it H inw eis auf die Straßburger Leineweber-
Ordnung von 1601. — H . Brauer v e rw irft ebenfalls die älteren Positionen von Wissell und Isenburg
und fü h rt differenzierend die Überlegungen von E lka r weiter; dabei setzt er folgenden wichtigen
A kzent: ‫ ״‬Im Gegensatz zum 15. Jh. kennt die M ehrzahl der Handwerks- und Gesellenordnungen
des 16. Jh. als Strafmaß die Form el, daß der betreffende Geselle am O n nicht geförden w ird , also
zur Wanderung gezwungen war [ . . .].** H . Brauer: Handwerksgesellen (A n m . 1), S. 35 u. 163. —
H . Isenburg: Altes Brauchtum im H andw erk: Das Gesellenwandern und was dam it zusammenhing.
M ünster i.W . 1936. — R.S. Elkar: Umrisse einer Geschichte der Gesellenwanderungen (A n m . 13),
S. 91.
49 Hinweise bei Kriedte: Spätfeudalismus (A n m . 31), S. 128.
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Schola migrationis. Zur Geschichte der Gesellenwanderung. 103

m ehrt doch ein Anstieg der Bevölkerungszahl zugleich das Nachfragepotential,


so daß möglicherweise die handwerkliche Auftragslage sich besserte. Diese Pro-
blem atik kann nur durch regionale und branchenbezogene Studien eingelöst
werden, so w ie sie Bernd H abicht vo r kurzem vorlegte50. E r stellt fest, daß in
der Tat das Bevölkerungswachstum zwischen 1689 und 1815 das Nachfragevolu-
men verm ehrte tro tz der Kriegsphasen im 18. Jahrhundert. Verknappungen im
Arbeitskräfteangebot waren denkbar: 1798 m iß billig ten es die N ürnberger
Ahlenschmiede, daß ein Meister unter Umgehung des Umschaugebots einen
Gesellen einstellte, w eil noch ‫ ״‬verschiedene W ittw e ib e r“ versorgt werden müß-
ten51. Es bleibt zu prüfen, ob es nicht mehr solcher branchentypischen Einzel-
fälle gab. H abicht beobachtet eine allgemeine Tendenz, im südlichen Niedersach-
sen seit dem Ende des 17. Jahrhunderts die Zugangsbedingungen zur Meister-
schaft zu erleichtern und die Gildegelder zu senken. Selbst wenn die Fremden
nicht so zuvorkom m end wie die Einheimischen behandelt wurden, ist eine sol-
che H andlungsrationalität nicht recht m it den gängigen Vorstellungen von der
Nahrungsstandsicherung und den A usw irkungen von Uberbesetzungskrisen in
E inklang zu bringen.
D ie sehr unterschiedliche E n tw icklu n g der Gesellenfrequenzen — sowohl was
die Gesamtzahlen als auch was die migranten A rbeitskräfte anbelangt — zw ingt
zu einer genaueren Beobachtung des vielfältig differenzierten handwerklichen
M ikrokosm os.
Das H andw erk befand sich nicht ausschließlich in einer fortschreitenden
Malaise, sondern ebenso in einer dynamischen U m stru ktu rie ru n g , die neuen
Branchen und neuen A rbeitskräften Chancen verhieß. Andererseits sollte nicht
übersehen werden, daß sich die Beschäftigungslage der A rbeitskräfte in einem
Rahmen bewegte, den eine schwankende Nachfrage bzw. Bereitstellung von
G ütern und Dienstleistungen kennzeichnete. D ie Meister hatten sicherlich solch
endogene K onjunkturlagen ihrer Branchen w eit eher v o r Augen als langfristige
exogene Trends in der Dim ension des Bevölkerungswachstum zum Beispiel. Sie
reagierten dementsprechend marktbezogen, wobei die M o b ilitä t des Arbeits-
marktes eine mögliche Reaktion darstellte. Die Produzenten konnten das Ange-
bot reduzieren und die Preise erhöhen, was bislang w enig untersucht wurde, sie
konnten — w o ra u f bereits hingewiesen wurde — die Lehrlingsannahme vermin*
dert, was perspektivisch ebenfalls den A rbeitsm arkt entlastete, und sie konnten
auf Zusatzgeschäfte, andere Produktpaletten und sogar P roduktionsform en aus-
weichen; manche Z ünfte waren diesbezüglich längst nicht so starr, wie ihnen
häufig unterstellt w ird 52.

50 B. H abicht: Stadt- und Landhandwerk im südlichen Niedersachsen im 18. Jahrhundert. Ein w in -


schaftsgeschichtlicher Beitrag unter Berücksichtigung von Bedingungen des Zugangs zum M arkt.
G öttingen 1983.
51 StadtA N ürnberg, Rugamt 39: Rugsam tprotokolle 1798, 5. Januar, Blatt 5 r.
52 Bemerkenswert der Einstieg der U lm e r Zinngießer in den Fayencehandel: L. Balet: Das alte Z in n -
gießerhandwerk in U lm a.D. In: Cicerone IV (1912) 887— 892.
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104 Rainer S. Elkar

D e r B lick auf die handwerkliche Produktionsweise zeigt, daß ein m obiler


A rb e itsm a rkt keine hauptsächliche Folge exogener Einflüsse darstellte. Die
gewaltige A rbeitslosigkeit, die sich in Bamberg in der zweiten H älfte des 19. Jahr-
hunderts aufgebaut hatte und knapp die H älfte aller m obilen A rbeitskräfte
umschloß, stand in keinem Verhältnis zum Bevölkerungswachstum von Stadt
und U m land. E in m obiler A rbeitsm arkt entsprach durchaus dér Handlungsratio-
nalität des in Branchen und Einzelberufe differenzierten Handwerks, das in sehr
spezifischer Weise auf regionale, lokale, saisonale, kurze und m ittelfristige Kon-
ju n k tu re n reagierte. In Reutlingen gab es während des 19. Jahrhunderts einzelne
H andw erker, die stets im W in te r arbeiteten, dementsprechend nur in dieser Jah-
részéit A rbeitskräfte annehmen konnten. Plötzliche Verdichtungen der A uf-
tragslage durch öffentliche Bauten, Kriegswirtschaft — man denke an die M o n tu -
ren herstellenden Schneider — u.a.m. fü llte n die W erkstätten m it Gesellen und
H ilfskrä fte n , plötzliche Einbrüche bew irken das Gegenteil. D ie M eister kalku-
Herten eher m it diesen ‫ ״‬kleinen K o n ju n k tu re n “ , wobei sie allem Anschein nach
auf ein recht unterschiedlich strukturiertes A rbeitskräftepotential zurückgreifen
konnten, das im 19. Jahrhundert selbst in kleinsten Städten sichtbar w urde53,
möglicherweise aber schon in früheren Jahrhunderten bestand, da es einer
G rundkonstellation m ittelalterlicher und frühneuzeitlicher Sozial- und W irt-
schaftsgeschichte entstammte: dem Verhältnis von Stadt und Land.
Das Land bot im m er ein Potential an Reservearbeitskräften nicht zuletzt im
zünftigen Bereich. D ie städtischen Z ünfte suchten häufig das U m land in entspre-
ehender Abhängigkeit zu halten, indem sie die Produktions-, Angebots- und
Absatzm öglichkeiten einzugrenzen und zu reglementieren trachteten54. Ande-
rerseits w ar man dennoch besorgt, einen Ausbildungsstandard zu gewährleisten,
um aus dem Landgebiet qualifizierte A rbeitskräfte zu rekrutieren, wenn es die
Auftragslage gebot. D er mobile A rbe itsm a rkt war m ith in zweidimensional: Er
umfaßte einen Nahbereich und einen A n te il m igranter A rbeitskräfte, die sich auf
der großen W alz in ferne Regionen befanden. Was die R ekrutierung aus den
Nahbereichen anbelangte, die unterschiedslos in denselben seriellen Q uellen auf-
scheinen, die auch die Fernwanderer erfassen, so standen diese H andw erker häu-
fig den migranten Dienstboten männlichen oder weiblichen Geschlechts und
sonstigen H ilfskrä fte n vom Lande näher als den nach Handwerksbrauch wan-
dernden Fremden. Eine Verklam m erung zwischen beiden Erscheinungsformen
der handwerklichen M o b ilitä t war d o rt gegeben, w o die Z ünfte bereit waren,
Wanderungen innerhalb der Reichweite einer Hauptlade oder selbst n u r einer
Lade als den Usancen entsprechend anzuerkennen. Einer exakten empirischen
Abgrenzung beider Elemente stehen allerdings beträchtliche Quellenschwierig-

53 So rekrutierte die Siegerländer Kleinstadt Hilchenbach handwerkliche A rbeitskräfte aus einem


U m kreis von durchschnittlich nicht mehr als 40 km , es handelte sich größtenteils um saisonale
Arbeitskräfte; hierzu: Elkar: Umrisse einer Handwerksgeschichte in W ittgenstein und Siegerland
(A nm . 14).
54 Vgl.: A . Eckhardt: D ie staatliche Z u n ftp o litik in Nassau-OranÍen. In: Nassauische Annalen 79
(1968) 48 -11 9 .
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Schola migrationis. Zur Geschichte der Gesellenwanderung. 105

keiten entgegen. Im 19. Jahrhundert traten beide Dim ensionen endgültig ausein-
ander, saisonale Lohnarbeiter und das Pendlertum k o n tu rie rte n sich deutlicher,
wobei es durchaus Parallelen zu älteren Form en saisonaler M ig ra tio n gab, etwa
zu den A rbeitskräften, die aus Italien in die Schweiz und aus dem Tessin in den
Süden Deutschlands zogen55.
Bleibt denn — so läßt sich bei diesem Stand der E rö rte ru n g fragen — von der
so einleuchtenden Bildungsthese R u d o lf Wissells nichts m ehr übrig, w ar die
Gesellenmigration ausschließlich eine Konsequenz der w irtschaftlichen Gege-
benheiten handw erklicher Produktionsweise?
K o n ze n trie rt man das Erkenntnisinteresse hauptsächlich auf den K om plex des
Ausbildungserwerbs, der Ausbildungsergänzung und des Technologietransfers,
so sind in der Tat Zw eifel an der Berechtigung der Wissellschen Annahm e ange-
bracht. Handfeste Belege in der bezeichneten R ichtung sind ungewöhnlich dürf-
tig: In der reichhaltigen M e m o ire n lite ra tu r und in den übrigen biographischen
oder autobiographischen Zeugnissen lassen sich kaum eindeutige Aussagen über
die Aneignung technischer Neuigkeiten und deren E in fü h ru n g in die betriebliche
Praxis an einem anderen O r t finden, soweit es die ‫ ״‬norm ale“ Handwerksarbeit
und n icht etwa das H ofh a n d w e rk anbelangt, wobei an diesem P unkt nicht ver-
hehlt w ird , daß der Verfasser dieser Ausführungen auf umfangreiche Gegenbe-
weise h o fft. V ielm eh r zeigen all diese biographisch m o tivie rten Q uellen einen
hohen Grad von Anpassung an die Bildungsideale der Intelligenz, kon kre ter
noch an die Einstellungen, N o rm e n und W erte, welche aus der Reiseliteratur des
18. und 19. Jahrhunderts bekannt sind56. Aus diesem Zusammenhang rühren
auch die vielfältigen Bemühungen ökonom ischer Abhandlungen und der Rat-
geberliteratur, das Reisen der H andw erker zu einer hohen Schule fü r das notlei-
dende H a n d w e rk zu machen57. Solche Vorstellungen resultierten keineswegs aus
der handwerklichen Produktionsweise, sondern sind eher T e il einer m erkantilen
staatlichen oder bildungsbürgerlichen Aufklärungsstrategie.
Gewichtige Argum ente fü r das ‫ ״‬Lernen auf der W alz“ scheinen sich aus fo r-
schungsergebnissen der Sachvolkskunde und der Kunstgeschichte der Gewerbe
zu ergeben. W ä h lt man ein Beispiel aus dem Grenzbereich zwischen Kunst und
H andw erk, so w ird die P roblem atik offenkundig: V on dem Freudenberger U h r-
macher Stahlschmidt sind eine Reihe von U hren überkom m en, deren äußere

55 H ierüber berichtete A. Schluchter auf der Salzburger Tagung (A n m . 5), eine V eröffentlichung ist
vorgesehen.
56 R.S. E lkar: Reisen bildet. Überlegungen zur Sozial- und Bildungsgeschichte des Reisens während
des 18. und 19. Jahrhunderts. In: B.I. Krasnobaev, G. Robel, H . Zeman (Hg.): Reisen und Reisebe-
Schreibungen im 18. und 19. Jahrhunden als Quellen der Kulturbeziehungsforschung. B e rlin /W e st
1980, S. 5 1 -8 2 .
57 D er wichtigste Anstoß, die Problem atik ausführlicher zu erörtern, ging von dem Preisausschreiben
aus, das die Königliche Gesellschaft der Wissenschaften in G öttingen unter folgendem T ite l veröf-
fentlichte: ‫ ״‬W ie können die V o n h e ile , welche durch das Wandern der Handwerksgesellen m öglich
sind, befördert, und die dabey vorkom m enden Nachtheile verhütet werden?“ In: G öttingische
Anzeigen von gelehrten Sachen 1798, 103. Stück, S. 1017 ff. Ausführlichere E rörterung dieser Lite-
ratur bei Bade: Altes H andw erk (A n m . 30).
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106 Rainer S. Elkar

Gestalt in die eindrucksvolle Nähe der K inzing - und Roentgen-Uhren aus Neu-
w ied gerückt werden müssen. V on ih m sind auch hinreichende Belege seiner
W anderschaft überliefert; N euw ied erreichte er allerdings nie, persönliche K on-
takte während der W alz sind ausgeschlossen58. Ebenso gut hätte er im heimat-
liehen Siegerland sein Können an eingeführten Meisterstücken schulen können.
Ä hnliches läßt sich bei den U hren des Hilchenbacher Uhrmachermeisters H erz
bemerken, der w iederum einen bestimmten Typus nachgestaltete. Bei Künstlern
läßt sich Schulbildung besser belegen, weswegen den A rbeiten der Goldschmiede
und der Zinngießer als kunsthandw erklichen Produkten stets besonderes Inter-
esse entgegenkam, aber auch in deren Kreisen scheint die Nachgestaltung eines
T yp us häufiger vorgekom m en zu sein als die unm ittelbare E rlernung einer Tech-
n ik oder die N achahm ung eines Vorbildes auf der Wanderschaft59. Technologi-
scher Transfer vollzog sich aller W ahrscheinlichkeit nach in anderen Bahnen,
w obei die Wege der unm ittelbaren Werkspionage nicht zu übersehen sind60.
Was die H erstellung von H andw erksprodukten fü r den alltäglichen Bedarf
anbetraf, so scheint Innovationsbereitschaft nicht notw endig von W e rt gewesen
zu sein. D ie von Bärbel K erkhoff-H ader, In g o lf Bauer und R u d o lf W einhold so
grün d lich vorangebrachte Keram ikforschung weist eher in die R ichtung, daß
sich die Produzenten am besten an den traditionellen Bedürfnissen des lokalen
M arktes, d.h. an ihren Käufern orientieren mußten, um zu reüssieren; die
A bnehm erinnen bzw. A bnehm er der Hafnerware oder des W esterwälder Stein-
zeugs wünschten w iederum die gewohnten Erzeugnisse in solider und erwarteter
Q u a litä t61.
T ro tz dieser skeptischen Bemerkungen ist ein Plädoyer fü r die Erfahrungen des
ehemaligen Wandergesellen Wissell angebracht, sprach er doch keineswegs in

58 O . Bäumer: Aus den Papieren und Aufzeichnungen eines alten Freudenberger Uhrm acherm ei-
sters. In: H eim atland. Beilage zur Siegener Zeitung 2 (1927) N r. 2. Z um Vergleich: D . Fabian: K in -
zing und Roentgen U h re n (A n m . 19). D ie uhrengeschichtlichen Hinweise verdanke ich łan Fow ler,
Friesenhagen.
59 Es bedarf hier keiner endlosen Bibliographierung zur Kunstgeschichte des Zinngusses und dessen
Verbreitungsform en. W ic h tig ist der H inw eis, daß der N ürnberger Zinngießer Caspar Enderlein
die vo rb ild lich e n A rb e ite n von B riot nachform te, ohne daß er persönlichen K o n ta k t zu B rio t hatte.
Reiche Literaturnachweise bei: H .-U . Haedeke: Z in n . 3. erw. A u fl., M ünchen 1983. Im übrigen s.a.:
J.F. H ayw ard: V irtu o so G oldsm iths and the T riu m p h o f Mannerism 1540— 1620. London 1976. —
C . H enm arck: D ie K unst der europäischen G old- und Silberschmiede von 1450 bis 1830. M ünchen
1978.
60 V gl.: W . K ro k e r: Wege zu r V erbreitung technologischer Kenntnisse. Berlin 1971. — Wenngleich
aus einem anderen Zusammenhang, aber doch methodisch interessant: H . W itth ö ft: Preußische
Handelsspionage in Lüneburg 1768/69. In: V. Schmidtchen, E. Jäger (Hg.): W irtschaft, Technik
und Geschichte. Festschrift f. A . Tim e. B erlin/W est 1980, S. 213— 230.
61 V gl. deren Beiträge im vorliegenden Band, überdies: I. Bauer: Hafnergeschirr aus A ltbayern. M ün-
chen 1976. — Ders.: T re u ch tlin g e r Geschirr. München 1971. — B. K erkhoff-H ader: Lebens- und
A rbeitsform en der T ö p fe r in der Südwesteifel. Bonn 1980 (Rheinisches A rc h iv 110). — R. W ein-
hold: M eister — Gesellen — M anufakturicr. Z u r K e ra m ikp ro d u ktio n und ihren Produzenten in
Sachsen und T h ü rin g e n zwischen 1750 und 1830. In: Ders. (Hg.): Volksleben zwischen Z u n ft und
F abrik. B e rlin /O s t 1982, S. 165— 250.

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Schola migrationis. Zur Geschichte der Gesellenwanderung , 107

erster L in ie von einem Verwertungswissen, sondern vo n Sozialisationserfahrun-


gen62. Diese Perspektive ist bislang unberücksichtigt geblieben, sie verdient es,
ernster genommen zu werden:
Lehrzeit 63 wie Gesellenzeit verkörperten feste A bschnitte im Leben eines
Handwerkers. Seit Jahrhunderten stand ihm eine künftige M o b ilitä t v o r Augen,
wenn n ich t außergewöhnliche Umstände sie verhinderten. E r blickte auf sie wie
die männliche Jugend nach E infüh run g der M ilitä rp flic h t auf die bevorstehende
Zeit in der Kaserne. Gerade die Wanderschaft w irk te sich bei dem H andw erker
in einer bestim m ten Lebensphase als verhaltensnormierende und persönlich-
keitsbildende E in rich tu n g aus, vergleichbar der Schulzeit der In tellektuellen —
als eine schola migrationis . Die Wanderschaft war geeignet, K ulturerfahrungen zu
verm itteln. Das bedeutete, daß der junge H andw erker typische Gedanken und
W ahrnehm ungen internalisierte, Gebräuche und Verhaltensweisen einübte, die
seine G ru p p e n k u ltu r konstituierten. E r verwandelte ein kollektives in ein in d ivi-
duelles Erbe. Solange Wanderschaft als In s titu tio n w irk te und fortdauerte — und
dies reichte mindestens bis in die zweite H älfte des 19. Jahrhunderts, wenn ein-
mal von der Wiederbelebung in der Gegenwart abgesehen w ird 64 — so lange
fu n k tio n ie rte Wanderschaft als ein System unendlicher V erdopplung der G rup-
p e n ku ltu r oder — um den entsprechenden Begriff von Bourdieu zu verwenden
— als Habitus?5.
Daß die Wanderschaft der Gesellen sich habituell verfestigen konnte, lag
sicherlich in der Tatsache begründet, daß H andw erker n ich t die einzige gesell-
schaftliche G roßgruppe waren, welche die E rfahrung einer vorübergehenden,
auf das Lebensalter bezogenen M o b ilitä t machten. Nach der Entstehung dieses
Habitus zu fragen, heißt, den Entstehungszusammenhang einer allgemeineren
M o b ilitä t "seit dem M itte la lte r ergründen zu w ollen. D ie spezifische F o rm der
Gesellenwanderung freilich läßt sich nicht von der handw erklichen P roduktions-
weise ablösen, sie hat so lange Bestand wie die M a kro stru ktu re n dieser P roduk-
tionsweise erhalten bleiben, sie kann aber in konkreten (lokalen, branchenbezo-
genen, sogar individuellen) Einzelfällen sich erübrigen, w o die M ik ro s tru k tu re n
sie entbehrlich machen. A u f dieser Ebene und in diesem Zusammenhang werden
m ikroökonom ische wie endogene Erklärungen besonders relevant.
Das K onzept einer solchen schola migrationis vermag manche offenen Fragen
und verm eintlichen U ngereim theiten zu erhellen: W enn im Bereich der Fern-
Wanderung von H andw erkern häufig dieselben K om m unikationsräum e aufschei-

62 Zum hier anvisierten Begriffsfeld: R.S. Elkar: Historische Sozialisationsforschung und Regionalge-
schichte. In: F. Kopitzsch (H g.): Erziehungs- und Bildungsgeschichte Schleswig-Holsteins von der
A u fklä ru n g bis zum Kaiserreich. N eum ünster 1981, S. 15— 59.
6J H ierzu speziell wie auch in dem allgemeiner angesprochencn K ontext: A . G rießinger: Das symbo-
lische K apital der Ehre. Streikbewegung und kollektives Bewußtsein deutscher Handwerksgesellen
im 18. Jahrhundert. F ra n kfu rt a.M., Berlin-W ., Wien 1981.
M Aus der E rfahrung des Ehrbaren Zentralleiters des Rolandschachtes verfaßt: R. R ichter: D e r
Rolandschacht. D ie Z u n ft der reisenden Bauhandwerker. Stuttgart o.J. (1982).
65 P. Bourdieu: Z u r Soziologie der symbolischen Formen. F ra n kfu rt a.M. 1974 (franz. O rig . 1970).

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108 Rainer S. Elkar

nen, die zum T e il m it alten Handelsrouten des H och- und Spätmittelalters


deckungsgleich sind, so zum Beispiel die engen Verbindungen zwischen Schlesien
und Franken über Sachsen, die räum liche Gemeinschaft des O berrheins m it Aus-
Strahlungen an den M itte lrh e in , in die Welschschweiz und donauabwärts bis
U lm , von W ürttem berg w eiter bis nach Ungarn, so bilden sich diese Räume in
den mentalen Traditionen des H abitus fo rt, werden gleichsam vererbt. W enn zu
bemerken ist, daß eine W anderung im m er von neuem auf Städte zielt, deren
W irtschaftskraft fast schon erloschen ist, so lassen sich abermals habituelle Aus-
W irkungen bemerken.
A uch die Beziehungen zwischen Stadt und Land gehören zu einem ko lle ktive n
K ulturbew ußtsein. Überzeugende Argum ente zur G ru p p e n k u ltu r des Hand-
werks und der ‫ ״‬generativen G ra m m a tik“ des H abitus haben auch R einhold
Reith und Andreas G rießinger vorgelegt, indem sie auf die S treikrituale verwie-
sen66.
Skeptisch m odifizierende Einschränkungen, die am Konzept der ‫ ״‬Ö k o n o m ie
des Mangels“ als einem überwiegend auf M a kro stru ktu re n bezogenen, exogenen
M odell angebracht wurden, bedürfen allerdings auch beim Theorem des hand-
w erklichen H abitus der Beachtung; eigentlich w ird eine volle analytische Schärfe
erst dann erreicht, wenn beide Erklärungsansätze aufeinander bezogen werden:
D er Habitus der Wanderschaft ist Bestandteil handw erklicher Produktionsweise
und folgt deren H andlungsrationalität, d.h. daß sich W anderrouten ändern konn-
ten, daß durchaus auch auf der Wanderschaft Verwertungswissen erw orben wer-
den konnte. N ic h t anders lassen sich die Berufswechsel während der Wander-
schaft erklären, die in Schwäbisch H a ll belegbar sind. M it dem Ende tra dition el-
1er handw erklicher Produktionsweise endet der habituelle Rahmen des Hand-
werks, doch er endet nicht in einer ökonomischen Katastrophe, Industrialisie-
rung genannt, sondern in einer D iffu sio n in neue Produktionsweisen67.

66 G rießinger (wie A n m . 63) und: A . G rießinger, R. Reith: O b rig ke itlich e O rdnungskonzeptionen


und handwerkliches K o n fliktve rh a lte n im 18. Jahrhunden. N ü rn b e rg und W ü rzb u rg im Vergleich.
In: Elkar: Deutsches H andw erk (A n m . 2), S. 117— 180. H ieran übte kü rzlich P. Fleischmann in sei-
ner Besprechung in den M itteilungen des Vereins fü r Geschichte der Stadt N ü rn b e rg 72 (1985) 345
ff. K r itik , die sich insbesondere auf die Quellenarbeit der beiden A u toren ko n ze n trie n . Angesichts
der Tatsache, daß der Rezensent selbst — tro tz seiner eben erschienenen D o k to ra rb e it — offenkun-
dig n u r über beschränkte Quellenkenntnisse verfügt, verdienen die reichen Quellenstudien beider
A u toren ein umso höheres Interesse.
*‫ י‬Diese Perspektive w ird besonders einprägsam und nuanciert dargestellt von: K .H . Kaufhold:
H andw erkliche T ra d itio n und industrielle R evolution. In: Ders., F. Riemann (H g.): Theorie und
E m pirie in W irtsch a ftsp o litik und Wirtschaftsgeschichte. Festschrift f. W. Abel. G öttingen 1984,

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Vermittlung von Handwerkstechniken und -formen


am Beispiel des Töpferhandwerks

Bärbel Kerkhoff-Hader, Bonn

Z u den Bereichen der A llta g sku ltu r, die in den letzten Jahrzehnten eine umfang-
liehe Bearbeitung erfahren haben, gehören die Töpferw aren, resp. das Töpfer-
handwerk. Das Volkskunst-Syndrom früherer Untersuchungen kann auf dem
Gebiet der Sachforschung als ebenso überwunden gelten w ie die Auseinanderset-
zung fast ausschließlich m it Brauchform en und Zunftgeschichte auf dem Gebiet
der Handwerksforschung. D ie Forschungslage hat sich in dieser Zeit, in der
gleichzeitig eine fundamentale Theoriediskussion um Inhalte und Zielsetzungen
vo lksku n d lich e r Forschung stattgefunden hat, derart geändert, daß es heute u.a.
zu den G rundforderungen gehört, daß eine Objektanalyse das gesamte von Töp-
fern hergestellte W arenrepertoire zu umfassen hat und es eine Vielzahl von
A rbeiten gibt, in denen die Produkte des Handwerks in die Untersuchung seiner
lokalen oder regionalen Voraussetzungen und seiner jeweils spezifischen Hand-
lungsform en im Bereich von Herstellung, Handel und Sozialgefüge eingebunden
sin d1.
Einem so angelegten Forschungskonzept entspricht eine Frage wie die nach der
V e rm ittlu n g von Handwerkstechniken und -form en. A u f der Grundlage bisher
geleisteter A rb e it sollte es auch m öglich sein, sie exemplarisch zu beantworten.
D ie Frage ist handlungsorientiert. Das bedeutet zunächst, daß weder die abstra-
hierende Analyse einer materialspezifischen P ro d u ktio n in ihrem Kausalzusam-
menhang von Herstellungsphasen und Materialzustand noch die endgültige for-
malästhetische oder funktionsgebundene Gestalt eines Produktes als solche sinn-
gebend sind, sondern die handlungsbestimmenden Faktoren im Herstellungsver-
lauf und die am Gefäß ablesbaren Handlungsm odalitäten, die die Tradierung von
Kenntnissen über Arbeits- und Produktgestaltung bew irken und bezeugen.
Jede keramische Form ist durch den technologischen und ästhetischen A u f-
wand definiert, m it dem sie realisiert wurde. In ih rer gegen unendlich zu denken-
den W iederholung aber bestimmen ihre prim ären Gestaltmerkmale und Ge-
brauchseigenschaften den Form - und Funktionstypus der Warengruppe, der sie
angehört. D er Soziologe R o lf Linde veröffentlichte 1972 eine wissenschaftsge-
schichtliche Studie zum Thema ‫ ״‬Sachdominanz in Sozialstrukturen“ . W o h l auf
diesen T ite l anspielend schlug auf dem Regensburger Volkskunde-Kongreß 1981,
auf dem es um den ‫ ״‬Umgang m it Sachen“ ging, H erm ann Bausinger vor, diese
Sentenz um zukehren in ‫ ״‬Sozialdominanz in Sachstrukturen“ (K östlin/B a usin­

1 V gl. die Ausführungen zur Forschungsgeschichte in: K erkhoff-H ader 1985: 49— 61; desgl. die von
W . Endres zusammengestellte L ite ra tu r zur Keram ikforschung in: Bayer. Blätter fü r Volkskunde,
T e il I— V III, zuletzt Jg. 12, H e ft 2, 1985 (weitere Angaben in K c rk h o ff-H . 1985: 78 f.).
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ger 1983: 304). T ro tz der jeweiligen antithetischen A kzentuierung fü h re n beide


Aussagen auf das schon 1895 von E m ile D u rk h e im fo rm u lie rte enge Verhältnis
v o n a. Handlungen, b. Handlungsm ustern oder In stitu tio n e n und c. Sachen
z u rü c k (Linde 1972: 17). F olglich besteht demnach kein kategorialer Unterschied
zwischen dem Typus eines Gegenstandes, der aufgrund norm ativer Selektion aus
einem breiten Spektrum potentieller Varianten entstanden ist, und rechtlichen
oder sittlichen Verhaltensnorm en, w eil es in beiden Fällen ‫ ״‬um typisch verfe-
stigte oder kristallisierte A rte n gesellschaftlichen Handelns“ geht (Linde 1972:
17). D ie — relative — Stabilität eines Typus garantieren jene norm ativen K om po-
nenten, durch die Handlungsm uster und W ertstellungen ‫ ״‬o b je k tiv ie rt“ werden.
Beide, Handlungsmuster und W ertstellungen, repräsentieren Handwerks- und
N utzungstraditionen. Veränderungen und Neuerungen von A rbeitstechniken
und P rod uktform en bedeuten dagegen das Aufbrechen des überkom m enen
Repertoires und N euorientierung. Sie haben sich wandelnde oder neu konstituie-
rende Faktoren in der H erstellung u n d /o d e r in der B edürfnisstruktur der Konsu-
menten als Grundlage.
D e r strukturelle A ufbau der Handlungseinheit ‫ ״‬H erstellung von Töpferw a-
re n“ steht m it der Handlungseinheit ‫ ״‬Gebrauch von T öpferw aren“ zwar in
einem inneren Zusammenhang, geht aber über das Beziehungsgefüge ‫ ״‬H ersteller
— (H ändler) — Käufer“ hinaus und ist im gesamtgesellschaftlichen Rahmen zu
sehen. Beispiele sind die Mechanisierung des Formprozesses durch den Einsatz
von Topfpressen und die daraus resultierende Gefäßnorm ierung; der W andel der
Nahrungsgewohnheiten durch die V erbreitung der Kaffeebohne und ih re r Surro-
gate und das A u fko m m e n spezieller Kaffeekannen; sowie M olkereigründungen
als wirtschaftspolitische Maßnahme und das Auslaufen von Gefäßtypen fü r die
bäuerliche M ilch ve rb re itu n g in Töpfereien.
D ie im keramischen O b je k t realisierten kulturellen Standards — seien es ideelle
K onventionen über das Aussehen eines Stoßbutterfasses oder einer Kaffeekanne,
technisches K n o w -h o w über Tonaufbereitung oder Salzglasur, V orschriften über
Maßeinheiten oder Form qualität u.v.a.m. — bedürfen der V e rm ittlu n g . Das g ilt
auch fü r die Negation eines überlieferten Standards, z.B. durch V orschriften über
die Abschaffung der gesundheitsschädlichen Bleiglasur. D ie V e rm ittlu n g vo ll-
zieht sich in einem dynamischen, kom m unikativen Prozeß. O b dieser nun d ire kt
in personaler In te ra ktio n (z.B. verbal m ittels einer Arbeitsanweisung von M u tte r
zu T o ch te r beim H enkeln eines Gefäßes oder nonverbal durch demonstratives
Vorm achen) oder in d ire k t über ein M edium als Inform ationsträger (z.B. an einer
Kanne ablesbare G efäßproportionen) verläuft, die ‫ ״‬soziale Vermittlung und Ver-
m itteltheit ku ltu ra le r Befunde“ (Bausinger 1971: 242; H ervorhebung durch B.) ist
unübersehbar. Zugleich ist ku lture lle V e rm ittlu n g nicht n u r sozial, sondern auch
zeitlich und geographisch determ iniert. Scheidet man, wie H . G erndt vorschlägt,
diese sich im kulture lle n V erm ittlungsprozeß überlagernden K om ponenten in
kategoriale Raumhypothesen, so entspricht dem sozialen Raum als Interpreta-
tionsebene die K o m m u n ik a tio n , dem zeitlichen Raum die T ra d itio n und dem
geographischen Raum die D iffu s io n (G erndt 1981: 123— 125). Diese Erklärungs-
modelle stehen n u r in scheinbarem W iderspruch zu der Aussage, daß V e rm itt-
lung generell als sozialer, k o m m u n ika tive r Prozeß zu verstehen sei. Es ist eine
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Vermittlung von Handwerkstechniken und *formen Ill

1 Krugbäckergehöft in
Niersbach/Krs. Bernkastel‫־‬
Wittlich mit Wohnhaus,
Scheune, Stall und Töpfer-
ofen, gemalt von L. Blatt
1940; Privatbesitz.

2 Werkstattbild: Drei Ge-


nerationen einer Familie
bei traditioneller Frauenar-
beit (Dekorieren der Wa-
re), Speicher/Krs. Bitburg‫־‬
Prüm 1973.

3 Werkstattbild: Mit der


Ausgliederung des Hand-
werks aus dem Wohnbe-
reich übernahmen auch
Töpfer zuweilen Frauenar-
beit (hier: Vater mit seinen
beiden Söhnen), Speicher
1931.
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112 Bärbel Kerkhoff-Hader

Frage von Standort und Erkenntnisziel. N ic h t n u r die Unterweisung eines Töp-


ferlehrlings 1985 in einer bestimmten W erkstatt in der Form ung eines Kannen-
ausgusses besitzt diese Q u alität, sondern auch das Beibehalten p ro vin zia lrö m i-
scher F orm m erkm ale w ie den ‫ ״‬Kleeblattausguß“ in fränkischen Töpfereien des
Rheinlandes bis in das 6 . Jahrhunden oder die A blösung der frü h m itte la lte rli-
chen ‫ ״‬K n ickw a n d tö p fe “ durch ‫ ״‬Kugelbauchtöpfe“ im H o ch m itte la lte r und ihre
V erb re itu n g in M ittele uro pa unterlagen diesem M odus agendi (K erkhoff-H ader
1981: 23 5-23 7).
D e r V erm ittlungsvorgang ist in der Realität weitaus differenzierter als es die
Sender-Empfänger-Prämisse eines K om m unikationsm odells zu erkennen gibt.
Paul Stieber hat in seinem grundlegenden Beitrag über ‫ ״‬Form und F orm ung —
Versuch über das Zustandekomm en der keramischen F o rm “ eine ganze Reihe
von ‫ ״‬Regelkreisen“ nachgewiesen, die diesen Prozeß steuern, und in kyberneti-
sehen Diagram m en zusammengefaßt (Stieber 1972). D ie Entflechtung des Ursa-
che-W irkungs-Kom plexes zwischen Hersteller und Käufer bring t w ichtige H in -
weise auf die F e in s tru k tu r der V e rm ittlu n g , z.B. auf den Aufbau von Handlungs-
m otivationen in ih re r A m bivalenz von Kausalität und F inalität und die Beteili-
gung des ganzen Menschen — körpe rlich , geistig, seelisch — in den Bewegungs-
abläufen einzelner Herstellungsphasen. Entscheidend ist auch der H inw eis auf die
fortlaufend entstehenden K o n tro llsitu a tio n e n , in denen das durch Hände und ggf.
bei einer fußgetriebenen Töpferscheibe auch Füße (Effektoren) erreichte A rbeits-
ergebnis durch Hände, Augen und O hren (Rezeptoren) ins G ehirn gemeldet, m it
Vorstellungen, V orsch riften etc. rückgekoppelt und verglichen und zur Fortset-
zung der A rb e it in neue Impulse umgesetzt werden (Stieber 1972: 16— 19). Das
sich E inbringen des In divid uu m s in die V e rw irk lic h u n g des erwarteten Produktes
(s.o.) fü h rt u.a. zur Variationsbreite eines Gefäßtypus2.
N u n kann man einen solchen Vorgang in seiner Vielgestaltigkeit, wie es die
V e rm ittlu n g ist, in einzelne Bestandteile zerlegen oder — wie hier geschehen —
m it zusammenfassenden Begriffen (z.B. form elle und inform elle V e rm ittlu n g )
stru ktu rie re n und in Ordnungssysteme einbringen, um Ü bersichtlichkeit zu
schaffen. In dieser C odierung erhält der pragmatische Vorgang einen hohen Grad
an A b s tra k tio n . Dagegen ist das H auptproblem bei der praxisbezogenen,
beschreibenden D arstellung, daß sie linear fortschreitet, während in der Realität
ein andauerndes Ineinandergreifen von unterschiedlichen Faktoren den V e rm itt-
lungsprozeß in seinem ad-hoc‫ ־‬E rfo lg oder seiner Langzeit- und B reiten w irkun g
bestimmen. M it einer Reihe von Beispielen aus der Steinzeugtöpferei, vornehm -
lieh des 18.— 20. Jahrhunderts, soll im folgenden versucht werden, fü r die aufge-
worfenen Fragen zu r V e rm ittlu n g von Handwerkstechniken und -form en einen
breiteren Praxisbezug herzustellen und z.T. auch optisch zu verdeutlichen3.

2 D er Ingenieur Paul Stieber (Begründer des Deutschen H afner-Archivs am Bayer. Nationalm useum
M ünchen) behandelte das zwischen Volkskunde und Naturwissenschaften angesiedelte Them a m it
großer Sachkenntnis und G rü n d lich ke it: Sein Aufsatz sei nachdrücklich der Lektüre empfohlen.
3 D er B ildanteil gegenüber dem m ündlichen Referat, das auf die Visualisierung der Argum entationen
angelegt war, ist hier auf ca. 40% reduziert, aber doch noch so umfangreich, daß der optische Nach voll-
zug fü r fast alle abgehandelten Aspekte der V e rm ittlu n g m öglich ist. Reduziert wurden v o r allem grö-
ßere Vergleichsreihen z u r Sichtbarmachung von Regelhaftigkeit, Variationsbreite oder Abweichung.
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Vermittlung von Handwerkstechniken und ‫־‬formen 113

6 V 7

4 Phase beim Aufziehen einer Flasche: Die Schulter-Hals-Zone wird ausgebildet, Speicher
1974. — 5 Zwischenhandlung: Das Ausloten der Ware beim Einsetzen in den Ofen
(Schnur mit Tonklumpen), Speicher 1974. — 6 ‫ ״‬Blauen“ der Ware: 80—100 Kannen in
der Stunde, Speicher 1969. — 7 Serienproduktion: Ungebrannte ‫ ״‬Schweizer“ Kannen,
Speicher 1969.
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E in erstes Beispiel ist auf die institutionalisierte V e rm ittlu n g gerichtet. Bei ih r


geht es um fo rm ulierte, norm ierende R ich tlin ien , die in ih re r beabsichtigter^
w enn auch nicht im m er eingetretenen W irk u n g einschätzbarer sind als in fo r-
melle Vermittlunsprozesse. Z u den form ellen V erm ittlungsinstitutionen des
Töpferhandw erks sind Z ünfte, Innungen und keramische Fachschulen zu zäh*
len. Einen Zugang bieten z.B. Zunftstatuten in den Paragraphen, m it denen sie
versuchen, Lehrzeiten und M eisterprüfungen oder die zugelassenen Warengat*
tungen zu regeln. H inweise über Verm ittlungsm odalitäten geben auch die Zulas‫־‬
sungsbestimmungen zu r Z u n ft. Z w ar fielen diese und andere Reglementierungen
m it B lick auf die jeweilige soziale und w irtschaftliche Situation des Handw erks
vo n Region zu Region verschieden aus, sie trugen aber insgesamt alle dazu bei,
erreichte Leistungsnormen zu sichern und weiterzugeben4.
W enn auf dem W esterwald die ‫ ״‬Kannenbecker Z u n ft-O rd n u n g “ von 1775
n ic h t n u r ein Meisterstück, sondern von allen Warengattungen ein Exemplar als
Prüfungsleistung vorschrieb, so tru g dies ebenso zur Festigung des Formenreper-
toires und des handw erklichen Könnens bei wie die Festsetzung des Mindestal-
ters fü r die M eisterwerdung (L H A Koblenz 1C 8148: 1775 §§ 6 , 7). M it 24 Jahren
bekam man die halben, m it 28 Jahren die vollen Meisterrechte zugestanden. Bei
der in dieser Zeit vorhandenen starken Uberbesetzung des Kannenbäckerhand-
werks hatte diese im Ansatz w irtschaftlich gedachte Bestimmung eine sozial sta*
bilisierende und die qualitative Leistungsstarke des Handwerks stützende W ir-
kung. Gleiches gilt fü r die zu diesem Z e itp u n k t ausschließliche Zulassung von
Meistersöhnen zur Lehre und die Begünstigung von Eheschließungen unter M ei-
sterkindern (§ 8). Eine zusätzliche Verschärfung lag in der Neuerung, daß nur
jeweils ein Sohn eines Meisters das H andw erk erlernen durfte.
W ie häufig der Fall, überlagerten sich in diesen Zunftstatuten die Interessen
von Z u n ft und O b rig k e it m it den konkreten Arbeits- und Lebensverhältnissen
der M itglieder. So bestimmte die Z u n fto rd n u n g von 1775 auch: ‫ ״‬D ie Lehrzeit
dieses Handw erks bestimmen W ir (K u rfü rst Clemens Wenceslaus, Erzbischof
von T rie r, d. Verf.) auf fü n f Jahre, in welcher der Meister den L e hrling zur Ferti-
gung aller Zunft-G attungen Waaren getreulich anführen, keineswegs aber, wie
mehrmalen geklaget w orden, m it Vernachläßigung der Lehre zu fremden
Häußlichen- und Feld-Arbeiten gebrauchen solle“ (§ 5). Im weiteren werden
dann Strafen angedroht fü r den Fall, daß der Meister seiner Lehr-( = V e rm itt-
lungs-)pflicht nicht in ausreichendem Maße nachkam.
Da fü r das 18. und 19. Jahrhundert im allgemeinen von einer integrierten
A rbeitssituation im T öpferhandw erk ausgegangen werden kann, in der der
A rbeitsraum zugleich W ohnraum w ar oder die T ö p fe r auf dem Land auch bäuer-
liehe A rbe ite n zu verrichten hatten, ist zu fragen, ob eine strikte Trennung von
Lehrlings- und Hausarbeit u.a. überhaupt vorstellbar ist (A bb . 1). U n te r den
gegebenen Umständen m uß es w idersinnig gewesen sein, Lehrlinge — seien es
eigene Söhne oder in der Hausgemeinschaft lebende fremde Lehrlinge — bei

4 V gl. z.B. die abgedrucktcn Zunftstatuten in: Falke 1908: 119— 125; desgl. K erkhoff-H ader 1980:

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Vermittlung von Handwerkstechniken und form en 115

N r. 14

%
d 4*
».я

‫ג‬ N r. 13

N r. 16 N r. Ite
11

8 Henkelflasche, H 32,5 cm, Speicher 1920/30; Museum Bitburg, Inv.Nr. 1216. —


9 Doppelhenkeltopf, H 25,5 cm, datiert und gestempelt, Speicher 1915; Sammlung Plein,
Speicher. — 10 Gefäßtypus und Malstil: Werkstatt- oder personengebundene Varianten,
Südwesteifel 19./20. Jh. — 11 Angebotsvarianten: Bauchige Kannen für bestimmte
Absatzgebiete, Adendorf 1. H 20. Jh.; Amt für Rhein. Landeskunde, Bonn.
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116 Bärbel Kerkhoff-Hader

häuslichen oder anderen handwerksfrem den A rbe ite n gänzlich aussparen zu wol*
len. Da die Lehrjungen in der Regel aber eigene Söhne waren, k o m m t hinzu, daß
form elles und inform elles Lernen stark ineinander übergingen. Nach den em piri*
sehen Untersuchungsergebnissen ist es auch fü r die historische Realität angemes-
sen, davon auszugehen, daß schon kleine K in d e r fü r H ilfsarbeiten im H andw erk
herangezogen wurden und auch die von der H a n d w e rkstra d itio n rechtlich ausge-
schlossenen N achkom m en ein bestimmtes Maß an handw erklichem Können
durch die häusliche Situation v e rm itte lt bekamen. Das handwerkliche Wissen
konnte sich im engen Z irk e l fa m iliä re r K o m m u n ik a tio n tradieren und festigen.
Dies fü h rte zu Eigenständigkeiten innerhalb des von der Z u n ft gesteckten Rah-
mens.
Ehefrauen und T öchter waren in diesen T raditionskreis in allen rheinischen
Steinzeugzentren durch ihre spezifische A rbeitsleistung, die keine Z u n fto rd n u n g
nennt, eingebunden. Sowohl aus anderen archivalischen Q uellen wie aus im m er
wiederkehrenden Bemerkungen in der Feldforschung ist gesichert zu entneh-
men, daß das Bemalen, das ‫ ״‬Blauen“ der Ware, und andere D ekortechniken
ebenso w ie das H enkeln von Töpfen, Kannen und Krügen in älterer Zeit aus-
schließlich in den Händen w eiblicher Fam ilienm itglieder lag. Daraus ergab sich
ein w eiterer fam iliärer T ra d itio n s h o riz o n t. D ie p rim ä r sozialw irtschaftlich
gedachte Begünstigung von Ehen unter M eisterkindern hatte eine innerorganisa*
torische Stützung des H andw erks zu r Folge.
In“ den Fam ilien lie f die Tradierung von A rbeitstechniken und von Form - und
D ekorrepertoires in erster L in ie über Form en der direkten K o m m u n ik a tio n ,
d.h. über das Zuschauen und die sprachliche A n le itu n g bei der A rb e it, die ein
Gewährsmann (Jg. 1909) in der Südwesteifel m em orierte. Jahrzehnte später
(1970) konnte er die erteilten Anweisungen seines Vaters ohne Zögern wiederho-
len, sofort vom Hochdeutschen in die M u n d a rt fallend. E r beschrieb Phase fü r
Phase die Entstehung einer bauchigen Henkelflasche vom Aufschlagen des Ton*
ballens auf den Scheibenkopf über das Zentrieren und Aufbrechen bis zu dem
Z e itp u n k t, w o die charakteristischste F o rm der Südwesteifel auf dem Trocken-
brett stand (K erkhoff-H ader 1980: 139 f.).
W ie ausgeprägt diese Verm ittlungsprozesse durch fam iliäre S trukturen beein-
flu ß t gewesen sein müssen, zeigen Untersuchungen zu r Geschichte einzelner
T ö pferfa m ilien. U b e r Generationen überw og in den K rugbäckerdörfern der Süd-
westeifel in den T ö pferfam ilien die handw erksorientierte H eirat — auch nach
A uflösung der Z ünfte m it ihren w ie im Kannenbäckerland die Ehe unter Krug*
bäckerkindern begünstigenden Bestimmungen (K e rkh o ff-H a d e r 1980: 175— 185;
Zeichn. 26, 27). D ie gefestigten T raditionsketten in w eiblichen oder in m ännli-
chen Familienzweigen lösten sich erst auf, als es zu separaten W erkstattgründun-
gen außerhalb des häuslichen Bereichs kam und T ö p fe r zuweilen auch das Hen-
kein und Blauen der Ware übernahmen oder in expandierenden Betrieben hand*
werksfremde A rb e ite r Beschäftigung fanden. D ie Erfassung der Lage von Töpfer-
gehöften in O rtsstrukturplänen machte außerdem eine Tendenz zur
Vergesellschaftung in bestim m ten D o rfzo n e n offensichtlich, die z.T. auch
sprachlich m it ‫ ״‬A u f dem A u le n d “ oder ‫ ״‬Krugecken“ verifizie rb ar sind (K erk-
hoff-H ader 1980: 88— 92; Zeichn. 19— 24).
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Vermittlung von Handwerkstechniken und -formen 117

12

14 15
12 Bauchige Kanne, H 49 cm, datiert, Westerwald 1827; Bayer. Nationalmuseum, München
Inv.Nr. 82/167 (Bauer 1982: Abb. 30). — 13 Bauchige Kanne, H 34 cm, Peterskirchen/Nie-
derbayern vor 1850(?); Bayer. Nationalmuseum, München, Inv.Nr. 71/268 (Bauer 1976:
Kat.Nr. 198). — 14 Bauchige Kanne, H 38,5 cm, wahrscheinlich Peterskirchen/Niederbay-
ern um I860(?); Bayer. Nationalmuseum, München, Inv.Nr. 71/269 (Bauer 1976: 206). —
15 Bauchige Kanne (Irdenware), H 30,5 cm, Niederbayern (Peterskirchen oder Kröning)
um 1830/40(?); Bayer. Nationalmuseum, München, Inv.Nr. 70/47 (Bauer 1976: 164).
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Z u n ft und Fam ilie sorgten durch äußere und innere Form en der O rganisation
fü r K o n tin u itä t im V erm ittlungsprozeß. Das nachbarliche Nebeneinander der
T ö p fe rfa m ilie n und die räum liche Nähe der D ö rfe r zueinander waren ein weite-
re r stabilisierender und norm ierender F a kto r im Inform ationsfluß . D ie Heraus-
b ild u n g von vergleichbaren Arbeitsgew ohnheiten, von Familien-, O rts- und
Regionalstilen ist in diesen Verflechtungen grundgelegt. D ie eingangs zitierte
Sentenz ‫ ״‬Sachdominanz in S ozialstrukturen“ und ih r Pendant ‫ ״‬Sozialdominanz
in Sachstrukturen“ werden in solchen m ikroanalytischen Forschungsergebnissen
überdeutlich sichtbar. Übersehen werden darf aber dabei nicht, daß ein guter
T e il der N orm ierun g, die den F o rm - und D ekortypus festlegt, in der Versor-
gungsfunktion des Töpferhandw erks begründet liegt, das auf Serienherstellung,
auf M assenproduktion und n ic h t auf Einzelfertigung hin angelegt ist. V on der
heutigen Tagesleistung eines Steinzeugtöpfers an der elektrischen Scheibe ausge-
hend, der bei einem geregelten 8-Stunden-Tag 120— 130 Zw eiliterkannen zu dre-
hen vermag, und von einer Blaum alerin, die in der Stunde 80— 100 dieser Kannen
bem alt, ist es ohne Frage einsehbar, daß es beim Drehen einer solchen Kanne
oder bei ih rer D e ko ra tio n n icht im m er wieder um neue Entscheidungen gehen
kann, sondern um die ungezählte W iederholung einer Gefäß- oder D e k o rfo rm ,
die ‫ ״‬aus der H and lä u ft“ und Stück fü r Stück einen einheitlichen Typus tradiert
(A b b . 6 , 7).
Im V erm ittlungsprozeß ist zunächst die aus einer Summe von M erkm alen
abstrahierte Idealform gemeint. In der Realisierung fä llt dieser Typus jedoch m it
leichten bis starken Schwankungen unterschiedlich aus, denn es fließen regional-
typische, werkstattbezogene oder als personengebundene ‫ ״‬H an dsch rift“ zu
erkennende M erkm ale ein. Dementsprechend differenzieren sich engere T radi-
tionskreise aus. Das identische Form gefühl, das aus den beiden bauchigen Hen-
kelflaschen (f) und (g) auf A b b . 10 spricht, läßt den Schluß auf einen gemeinsa-
men H e rk u n fts o rt in der Südwesteifel (Bruch) zu. Derselbe T öpfer w ird sie
gedreht haben, doch blieb er bisher unbekannt. T ro tz der V ariation zwischen
den stilisierten Blütenranken, einschließlich der Einzelblüte 10a, muß auch die
Bemalung in einer Hand gelegen haben. Sie zeigt den persönlichen Spielraum
eines D ekortypus, der sich hier gegen 10c, d, e und gegen 10b abgrenzt. Ihnen
allen gemeinsam ist die weich schwingende Pinselführung. D arin muß d ire kt
oder in d ire k t die V e rm ittlu n g einer M altechnik gelegen haben, ganz im Gegen-
satz zum D uktus auf A bb. 8 und 9, der aus präzise gemalten Form teilen den
D e k o r aufbaut. Malweise und Gefäßform en sind charakteristisch fü r eine
bestimm te W erkstatt in Speicher. A u f A bb. 3 ist links im Bild die hochliegende,
fast kugelförm ige Bauchung der Flaschen und im V ordergrund rechts die Form
des Doppelhenkeltopfes wiederzuerkennen. Die Eindeutigkeit der Zuschreibung
garantieren nicht nur viele weitere Vergleichsstücke und Stempel, sondern
unübersehbar das Siegerkranzm otiv 1915 (m it Soldatenkreuz) und 1931: eine
Zeitspanne von 16 Jahren. A n diesem Beispiel w ird der mögliche Zugang zur
M entalität (zeitgebunden/m ännlich) deutlich. Zugleich steht das M o tiv fü r die
symbolische V e rm ittlu n g s fu n k tio n von Gegenständen über ihren Gebrauchs-
w e n hinaus. Eine andere A r t ih re r medialen F u n k tio n zeigt die Abb. 11, einem
A dendorfer Katalog entnom m en. Sie spiegelt das zwischen Hersteller und Käufer
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16 17

16 Stoßbutterfaß, H 45 cm (o. Deckel), Südwesteifel 19./20. Jh.; Museum Bitburg, Inv.Nr.


930. — 17 Stoßbutterfaß (Holz mit Weidenreifen), H 63 cm, Umgebung von Lüneburg
(Fundort); Landwirtschaftsmuseum Lüneburger Heide, Hösseringen. 18 Stoßbutterfaß,
H 41 cm (o. Deckel), Westerwald (oder Hunsrück oder Adendorf b. Bonn) Anf. 20. Jh.;
Rhein. Freilichtmuseum, Kommern, Inv.Nr. 62/2126. — 19 Stoßbutterfaß (Holz mit
Eisenreifen), H 43 cm, Rheinland; Rhein. Freilichtmuseum, Kommern, Inv.Nr. 63/599.
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120 Bärbel Kerkhoff-Hader

abgeklärte Formverständnis eines Kannentypus in unterschiedlichen Absatzge-


bieten w id er (vgl. Fuß- und Randzonen, U m riß lin ie n ). D er Katalog bezeichnet
N r . 14 als ‫ ״‬F ra n kfu rte r Kannen“ , N r . 15 als ‫ ״‬französische Kannen“ , N r. 16 als
‫ ״‬Ö sterreicher Kanne(n)“ und N r. 16a als ‫ ״‬Belgische und H o llän de r Kanne(n)“
(Preisliste Adendorf).
D ie optische Präsenz der im keramischen O b je kt als Endergebnis konservier-
ten Arbeitsleistung macht diese den Überlegungen zur Verm ittlungsfrage u n m it-
telbar zugänglich. Das darf n ich t den B lick dafür verstellen, daß es lediglich der
Endzustand einer langen Reihe von Handlungen ist, die d ire kt oder in d ire kt
daran beteiligt waren. D e r eigentliche Tradierungshorizont ist w eiter und diffe-
renzierter. D ie Frage nach der V e rm ittlu n g von Technik und Form stellt sich in‫־‬
gleichem Maß fü r alle Durchgangsstadien im Entstehungsprozeß eines Gegen-
standes, fü r alle vorbereitenden A rbeiten, fü r alle Zwischenhandlungen, fü r die
benutzten Geräte und H ilfs m itte l einschließlich ih rer Herstellung, fü r W erk-
stattbau und B re n no fen kon stru ktion sowie fü r Instandhaltungsarbeiten. In der
empirischen Forschung ist der Sozialbezug eines jeden Vorgangs, einer jeden
Handhabung, eines jeden Gegenstandes offensichtlich. Bei Langzeitbeobachtun*
gen werden Variationen und langsame — oder abrupte — Veränderungen in den
Handlungscinheiten erkennbar. In der historischen Forschung verlieren die kera-
mischen Gegenstände in der Regel als materielle R elikte ihren konkreten Bezug
z u r Lebenswelt von H ersteller und Benutzer. Meist mangelt es außerdem an
lückenloser Überlieferung, so daß dem Befund nach nicht im eigentlichen Sinn
von einer K o n tin u itä t der H an dw e rkstra dition gesprochen werden kann, son-
dern von einer K o n tin u a tio n in der V e rm ittlu n g von Techniken und Formen-
repertoires, und auch die ehemals u.U . flächenhafte V erbreitung der betreffen-
den Phänomene ist n u r noch p u n ktu e ll in Gestalt von Leitform en zu erfassen5.
E in solcher Fall eines zeitlich und geographisch weiträum igen Tradierungshori-
zontes ist das stabgetriebene Töpferrad, das in den rheinischen Steinzeugzentren
z.T . bis in dieses Jahrhundert zum Aufziehen der Gefäße benutzt wurde. Es ist
nach Rieth ‫ ״‬geradezu eine Begleiterscheinung der römischen Z ivilisa tio n . Über-
all d o rt, w o ehemals römische P ro vin z war, treffen w ir diese schweren, lange und
leicht schwingenden Räder an, w o ra u f auch sprachliche Zusammenhänge hin*
weisen“ (Rieth 1960: 54/55). D ie V erbindung von W o rt und Sache stellen Boden*
funde aus provinzialröm ischen W erkstätten bei Speicher in der Südwesteifel her.
D ie aus H o lz gebauten T öpferräder sind hier wie in anderen Gebieten zerfallen,
erhalten blieben aber M ühlsteine, die in sekundärer Verwendung wie die Räder
m it einem Stab in Bewegung gesetzt wurden (Rieth 1960: 51; K erkhoff-H ader
1980: 33, 132— 134). D ie 1500 Jahre bis zu den eisernen Rädern des 19. Jahrhun-
derts überbrücken n u r wenige Q uellen an verstreuten O rten. Dennoch muß ein
bisher nicht geklärter V erm ittlungsprozeß zwischen den römischen Töpferrä-
dern und denjenigen der K rug- oder Kannenbäcker des 19. Jahrhunderts voraus-
gesetzt werden. Anzunehm en ist, daß sich im späten M itte la lte r, als sich die

5 V gl. die schcmatischc Darstellung k u ltu re lle r Vermittlungsprozesse in analytischen Schnitten bei
G erndt 1981: 124.

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Vermittlung von Handwerkstechniken und -formen 121

20
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Л ь ‘ t b a íir lK ’r t t v i t ф у П j i i i ļ i b o r.

21
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22
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23
> .

20 D er Faßbinder, Kupferstich aus: C h ris to ff Weigel, A b b ild u n g der G em ein-N ützlichen


Haupt-Stände, Regensburg 1698. — 21 H onigfaß (H o lz m it W eidenreifen), H 77 cm, Böd-
denstedt/Krs. Uelzen (F undort); Landwirtschaftsm useum Lüneburger Heide, Hösserin-
gen. — 22 Faß, H 42 cm, gestempelt, Speicher, A n f. 20 Jh.; Sammlung Plein, Speicher.
— 23 1 jß , H 41,5 cm, gL.tempelt, Speicher, um 1900; Sammlung Plein, Speicher.
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H erstellung von Steinzeugwaren aufgrund spezieller T o n vo rko m m e n an ver-


schiedenen O rten herausbildete, das Töpferrad in seinem Überlieferungs- und
Verbreitungsradius auf diesen Spezialzweig des Töpferhandw erks einengte.
W eder die Blockscheibe noch die sie ablösende Spindelscheibe, die in den Irden-
töpfereien liefen, fanden Eingang in die Steinzeugtöpferei, denn das Rad hatte fü r
sie arbeitstechnische Vorzüge. Es ist bezeichnend, daß m it der im 18. Jahrhun-
den verstärkt einsetzenden Wanderungsbewegung W esterwälder Steinzeugtöp-
fe r das Töpferrad auch nach Bayern kam (Bauer 1980: 44). Erst in der zweiten
H ä lfte des 19. Jahrhunderts begann die Ablösung des Töpferrades durch einen
neuen Scheibentyp, im aufstrebenden W irtschaftsklim a des Kannenbäckerlandes
eher als in den retardierenden Krugbäckerdörfern der Südwesteifel — tro tz
behördlicher Bemühungen (K erkho ff-H ad er 1980: 134— 135).
D ie D iffu s io n der Steinzeugherstellung ist ein geeignetes Beispiel, um raumdy-
namische Prozesse innerhalb eines Handwerkzweiges aufzuzeigen. In den letzten
Jahren sind im m er wieder neue Ergebnisse zu den Migrationsbewegungen der
Steinzeugtöpfer vorgelegt w orden6. Insbesondere fü r das 18. Jahrhundert lassen
sich aufgrund der Quellenlage die Auslösungsmomente zwischen sozialer N o t-
läge der H andw erker und den jeweiligen landesherrschaftlichen Interessen im
Zeichen des M erkantilism us ausloten und der oftm als schwierige Neubeginn
beobachten. Im Zuge dieser Abwanderungsbewegung ließen sich Westerwälder
Kannenbäcker in A d e n d o rf bei Bonn, in der südwestlichen Eifel, auf dem Huns-
rück, bei Saarbrücken, in Betschdorf im Elsaß und in vielen süddeutschen O rten
nieder. Kannenbäcker aus dem kurtrierischen Westerwald wurden u.a. bewogen,
sich in Peterskirchen in Niederbayern niederzulassen (A lbrecht 1981: 29— 64).
Z u den prototypischen Form en des Westerwaldes gehörte der Typus der Kanne
auf A b b . 12. Interessant ist es nun, wie sich der am neuen O r t einsetzende A k k u i-
turationsprozeß in der produzierten Ware niederschlug. D ie Standardisierung
der G ru n d fo rm w ar im Westerwald gerade auch durch die auswärtigen Abneh-
m erm ärkte erfolgt. In Niederbayern w eicht aber der Form typus im Laufe der
150jährigen P rod uktion in Peterskirchen mehr oder weniger auf (vgl. Bauer
1976: 230— 239). Instabilität und D eform ierungen zeugen von einer Form unsi-
cherheit, die auf unklare Verm ittlungsverhältnisse schließen lassen. Die Distanz
zum Westerwald bew irkte ein Nachlassen des Drucks auf die F o rm tra d itio n , und
andererseits führte die unm ittelbarere K o n fro n ta tio n m it konkurrierenden
W aren zu Neuerungen.
D e r sogenannte ‫ ״‬Zackerldekor“ der Kannen auf A bb. 13 und 14 deutet auf
Einflüsse Lausitzer Steinzeugkannen hin, die E infaltung
••
des Ausgusses zu einer
sog. ‫ ״‬Kleeblattm ündung“ auf A bb. 14 auf die Übernahme von einer in Oster-
reich gängigen Kannenform . Die deutliche O rie n tie ru n g an der rheinischen

6 A lbrecht 1981: 29— 64; Franz Baaden: Das Kannenbäckerland und seine Ausstrahlungen, ln : Die
Schaulade 5 (1981) 2— 8; Bauer 1980: 44— 53; K erkhoff-H ader 1980: 37— 56; H e in rich Freitag u. Bur-
chard Sielmann: Die T ö p fe rfa m ilic van der Zander — K o n ku rre n z fü r Langerwehe. In: Rhein. Jahr-
buch f. V olkskunde 24 (1982) 93— 126; Marcel Schmitter: Die elsässischen Steinzeugtöpfer, ln:
Rhein. Jahrbuch f. Vkde. 24 (1982) 37— 64; u.a.

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Vermittlung von Handwerkstechniken und -formen 123

26 27

24 Kaffeekannen, a. H 18 cm, V ille ro y & B och/M ettlach, 2. H . 19. Jh.; Landesmuseum,


T rie r, In v .N r. 15/203. — b. H 16 cm, B insfeld/K rs. Bernkastel-W ittlich, 1. H . 20. Jh.; Privat-
besitz. — 25 Kaffeekanne (Steingut), H 25 cm, W essel/Bonn-Poppelsdorf 1880— 1890; Frei-
lichtm useum , K om m ern, In v .N r. 75/2291. — 26 T rin k k ru g (Feinsteinzeug), H 19 cm, her-
gestellt bei V ille ro y & B och/M ettlach nach einem E n tw u rf von L. Foltz, um 1850; Samm-
lung V ille ro y & Boch, M ettlach. — 27 T rin k k ru g , H 12 cm, Westerwald, um 1855/85; Pri-
vatbesitz. 4
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F o rm in der Irdentöpferei (Peterskirchen oder K rö n in g ) belegt hingegen das


Exem plar auf A bb. 15. Der fü r niederbayerische Irdenware typische S pritzdekor
w urde hingegen beibehalten.
Anders konnte der Prozeß d o rt verlaufen, w o bei der Zuwanderung ein gefe-
stigter F orm typus existierte. Das zeigte sich, als sich im 19. Jahrhundert eine
H un srücke r T öpferfam ilie in der Südwesteifel niederließ. O b w o h l man d o rt wie
auf dem Westerwald und in A d e n d o rf bei Bonn fü r ein Stoßbutterfaß eine ausge-
prägt konische oder gebauchte F o rm kannte, paßte man sich den Erwartungen
der A bnehm er des Eifeier Steinzeugs an und übernahm die schlanke, fast zylin -
drische F o rm (A bb. 16, 18).
Diese Stoßbutterfässer fordern auf, Aspekte materialübergreifender V e rm itt-
lu n g zu beobachten. A uffallend ist, daß die M ehrzahl der Butterfässer in ihrer
form al-dekorativen Ausgestaltung ho rizo nta l gegliedert ist. Vergleichsobjekte
aus H o lz geben Aufschluß darüber, was bei den Steinzeuggefäßen gemeint ist.
Was bei ihnen handwerkstechnische Voraussetzung ist, nämlich die Dauben
durch Weiden- oder Eisenreifen zu binden, hat sich bei den keramischen Gefäßen
— losgelöst von jeder Zweckbestim m ung — als stilisiertes D ekorelem ent übertra-
gen (A b b . 16— 19). D ie regelhafte W iederholung solcher Adaptionen ist an den
eigentlichen Faßformen ebenfalls abzulesen (A bb. 20— 22). Graduelle Varianten
reichen von den die Holzmaserung und Nietstellen der Eisenreifen im itierenden
Exemplaren über stilisierende Reliefbänder zu sich verselbständigenden O rna-
mentbändern (A bb. 20— 23). D er Formalisierungs- oder Abstrahierungsprozeß
endet m it der A uflösung des erkennbaren Zusammenhanges.
Veränderungen in der W irtschafts- und Lebensweise der A bnehm er bew irkten
jeweils einen Wandel im Warenangebot der Töpfer. Als gegen Ende des 19. Jahr-
hunderts M olkereien die Butterherstellung übernahmen, war die Nachfrage nach
Stoßbutterfässern rückläufig. Z u r gleichen Zeit aber setzte sich das Kaffeetrinken
agf dem Land durch. Dies stellte die T ö p fe r tro tz der K o n ku rre n z von Porzellan,
Steingut und Em ail m it der Gestaltung von Kaffeekannen vo r eine neue Aufgabe.
D ie Bestandsaufnahme in der Südwesteifel belegt sehr unterschiedliche Lösungs-
versuche (K erkho ff-H ad er 1980: A bb. 300— 309). Sie zeugen von der Unsicher-
heit im Form findungsprozeß, da es noch keine gruppenorientierte U b e re in ku ft
gab. Insbesondere bereitete die A usform ung und Angarnierung von T ü lle n
Schwierigkeiten. Bei einer Reihe von Kaffeekannen kam es zu einer fü r die in
ö rtlic h e r Abgeschiedenheit lebenden T ö p fe r ungewöhnlichen Lösung, einer aus
einer B la ttfo rm herauswachsenden Tülle. Es ist die N achbildung einer Industrie-
fo rm , die rückblickend eine A r t Allgem einbesitz in der 2. H älfte des 19. und im
beginnenden 20. Jahrhundert war. D och in der M ikroanalyse deuten sich Wege
der V e rm ittlu n g in die W irkstuben der Krugbäckerhöfe an. Als M odell fü r diese
vegetabile T ü lle n fo rm könnten seriell hergestellte Steinzeugkaffeekannen von
V ille ro y & Boch in M ettlach gedient haben, die von H ändlern in die E ifeldörfer
verhandelt worden sind (A bb. 24 a + b). In zweiter L in ie sind auch Steingutkan-
nen aus der Porzellan- und Steingutfabrik L u dw ig Wessel in Bonn-Poppelsdorf
als V o rb ild denkbar (A bb. 25).
Seit der M itte des 19. Jahrhunderts übernahmen industriell gefertigte, künstle-
rische Tonw aren als Innovationsträger eine nicht zu übersehende V erm ittlungs-
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Vermittlung von Handwerkstechniken und -formen 125

Preise für Wiederverkäufer -•1


der StänzeuB-Mri^witra^iinuiUssattMi 'n runda 1und m re tkije r Form, sehr einfacher Construction,
‫״‬ohne Wasserkühlung'‫־‬
yod Лас. P lein-W agner S o l i n e ^ SteiDzeogwaarenfabrik ia sp^ 1r 11«-r(Rbeislaad).
Ü ber 2л(),<)0(> S tü ck im G ebrauch.
Ú £ s
Fig. I. Fig. 2. F ig . 3.

Fig. 3 д J ^ x é
gcsetzJich D. R G M.

gcschùut Nr j > 30 7 h .

n H i Sftui* г а й « Sålt# Sau»


i a t i X1*à1UcUJ)
^«•uil imi»

Preise der runden Satten (F ig u r 1) A uslauf unten.


U rÒ M •' Nr I Xr. Г t ‫ זא‬ï N'r 3 Nr 4 N'r & Kr й Nr 7 Nr в
29 ♦ ‫ י י‬. * f !» im f • • ‫< ן‬v П ti« OO f •• OÄ f i • M T ». ,T 7 T .

30

28 Flaschen, sog. ‫ ״‬Enghalskrüge“ , aus der Südwesteifel, a. H 26 cm; henkellos in sekundä-


rer Verw endung m it H a lte g riff (K ordel m. Aststück) als Tierm edizinflasche benutzt,
19./2 0 . Jh.; Museum Bitburg, In v .N r. 1408. — b. H 24 cm; fü r den gleichen Zw eck wie
28a hergestellte neue Gebrauchsform, 20. Jh.; Museum B itburg, o. N r. — c. H 23,5 cm,
B ild n isk o p f als Feiertagsarbeit, 1885; Privatbesitz. — 29 Preisliste fü r Steinzeugsatten aus
Speicher, um 1901/02; Privatbesitz. — 30 ‫ ״‬Schm alztopf“ im Steinzeug-Look (K unststoff),
H 6 cm, gekauft 1984 in Düsseldorf; Privatbesitz.
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126 Bärbel Kerkhoff-Hader

fu n k tio n im traditionellen Töpferhandw erk. F ü r eine ganze Reihe von nach Ent-
w ü rfe n des Künstlers L. F o ltz bei V ille ro y & Boch hergestellten Gefäßen wurde
dies von I. und W . Endres aufschlußreich nachgewiesen (Endres 1983: 281— 315).
A u ffa lle n d im ganzen ist der freie Umgang m it den personen- bzw. betriebs-
gebundenen Neuschöpfungen. Schon bei V ille ro y & Boch g riff man w iederholt
in die künstlerische K onzeption ein, indem man bei den aus farbigen Feinstein-
zeug hergestellten Gefäßen die farblich kontrastierenden Reliefauflagen verän-
derte, z.B. das Rahm enwerk variierte, m ehrfigurige Szenen — z.T. w idersinnig
— teilte oder M o tive hinzufügte. In einigen aufstrebenden handwerklichen Stein-
zeugbetrieben auf dem Westerwald setzten sich diese Veränderungen fo rt. Man
kopierte die A p p lik e n , paßte sie nach G utdünken in Form at und Ausgestaltung
den in dieser Z eit des H istorism us beliebten T rin k k rü g e n an und setzte sie in die
sich gut einführende, fü r die Massenherstellung von grauem, salzglasierten Stein-
zeug geeignete Technik des Eindrehens in N egativform en um (A b b . 26, 27).
Diese A r t der Aneignung entsprach traditionellem handwerklichen Denken,
welches das Plagiat nicht und den Musterschutz noch nicht kannte, und verhalf
so den E n tw ü rfe n von L. F o ltz zu einer Popularität auf breiter Ebene.
D e r Gedanke an ‫ ״‬gesunkenes K u ltu rg u t“ (Naum ann) ist bei den vorangegange-
nen Beispielen naheliegend, doch wäre es eine kurzsichtige Interpretation, die die
wechselseitige Einflußnahm e von H andw erk und Industrie oder H a n d w e rk und
Kunst(-handw erk) außer acht lassen würde. F ü r Tüllenkannen in der A r t der
Kaffeekanne von V ille ro y & Boch gab es u.a. V o rb ild e r im rheinischen Steinzeug
der Renaissance (Falke 1908: A bb. 87, 88). Auch die reliefverzierten Gefäße aus
Feinsteinzeug derselben Firm a griffen m it der Auflagetechnik und szenischen
G liederung der M o tive M erkm ale historischen Steinzeugs (16./17. Jh.) auf. Inso-
fern knü p fte n die Nachbildungen vom Westerwald durch die V e rm ittlu n g der
V&B-Erzeugnisse m it neuer Technik in der formalen Ausgestaltung an die eigene
T ra d itio n an, während sich der Gefäßtypus von den ‫ ״‬P inten“ der Renaissance
über die ‫ ״‬W alzenkrüge“ des Barock im H andw erk selbst überliefert hatte.
Impulse zu Veränderungen und Neuerungen, ob aus der unm ittelbaren Lebens-
erfahrung der T ö p fe r hervorgehend oder im Zusammenhang m it zeitgenössi*
sehen Trends stehend, richten sich gegen den gruppenspezifisch gesicherten
Kenntnisstand. Ihre Umsetzung in H andlung ist zunächst im m er ein A k t in d ivi-
dueller K re a tivitä t ehe u.U . eine Verallgemeinerung einsetzt. Zw ei Beispiele sol-
len diesen Aspekt der V e rm ittlu n g noch ins B lickfeld rücken.
Z u m festen Formenschatz rheinischer Steinzeugtöpfer gehörten vom 18.— 20‫־‬.
Jahrhundert bauchige Henkelflaschen (Abb. 10). A u f den Bauernhöfen der Süd-
westeifel fanden sich mehrfach Flaschen m it abgeschlagenem H enkel, die noch
dazu dienten, krankem Vieh M edizin einzuflößen. U m sie dabei besser halten zu
können, befestigte man am Hals eine K ordel m it oder ohne G riffh o lz (A bb.
28 a). Aus der praktischen Erfahrung — die Krugbäcker der Region waren aus-
nahmslos zugleich Bauern — entstand bei einem von ihnen eine neue Gebrauchs-
fo rm : eine Medizinflasche m it langem Hals (zum besseren Einflößen) und einge-
zogener Fußzone (zur leichteren Handhabung) (A bb. 28 b; vgl. K erkh off-H ad er
1985: 68). Dagegen ließ der spielerische Umgang m it derselben Form bei einem
anderen T ö p fe r die antropom orphe Gestalt einer Henkelflasche entstehen. N och
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Vermittlung von Handwerkstechniken und ‫־‬formen 127

1973 brachte die Feldforschung entscheidende Hinweise: Es w ar am Fastnachts-


sonntag des Jahres 1885, als ein junger T ö pfe r in hum origer Stim m ung den K o p f
seines Nachbarn m odellierte7. Beide, die optim ierte Gebrauchsform und die als
P o rtra it überhöhte, dekorative Gebrauchsform zeigen die Spannweite individuel-
1er G estaltungskraft über die V e rm itte lth e it handw erklichen Könnens hinaus.
Das nachhaltige, richtungsweisende Aufbrechen des Traditionshorizontes
u n te r Ausschöpfung des gesamten persönlichen Leistungsvermögens steckt einen
neuen Rahmen der V e rm ittlu n g ab. Das zeigte die Analyse des Lebensbildes eines
Töpfers aus der Südwesteifel, der im Laufe seines Lebens in sich die Tätigkeits-
m erkm ale eines Krugbäckers und Bauern, eines Fabrikanten und Kunsthandwer-
kers, eines Sammlers und Heimatforschers vereinigte (K erkhoff-H ader 1982; vgl.
dies. 1980: 178— 182, 1985: 74/75). Sein größter und nachhaltigster E rfo lg war
gegen Ende des 19. Jahrhunderts die W eite ren tw icklu ng von flachen Schüsseln
zu ‫ ״‬M ilchentrahm ungssatten“ m it Ablaufsieben (A bb. 29), m it denen er einen
wesentlichen Beitrag zur größeren E ffe k tiv itä t in der M ilch ve rw e rtu n g leistete.
W e it m ehr als seine Berufsgenossen w ar er in der Lage, Zeitström ungen aufzu-
nehmen und selbständig zu verwerten. Das bedeutete im Vergleich zu ihnen ein
Z ugew inn an Handlungsstrategien (u.a. Schriftsprachlichkeit: z.B. N o tizb u ch ,
W arenkatalog) und In d iv id u a lk u ltu r (u.a. Geschichtsbewußtsein: z.B. archäolo-
gische Ausgrabungen, N achbildung historischer Gefäße), die ihn in einen w eiter
gespannten V erm ittlungskreis stellten. Diese Individualisierung vollzog sich
n ich t ohne K o n fliktsitu a tio n e n im tradierten Sozialgefüge der Krugbäcker und
Abgrenzungsversuche (z.B. Stempeln seiner Ware) gegenüber Aneignungstradi-
tionen im Sinne eines gemeinsamen handwerklichen Besitzstandes.
D ie hier erörterten und exem plifizierten Aspekte handw erklicher V e rm ittlu n g
von T e ch n ik und Form sollen ihren Abschluß m it einem Beispiel handw erkli-
eher V e rm itte lth e it finden, das sich auf das Verhältnis zwischen P rodukt und
Verbraucher bezieht — ohne Beteiligung des Handwerks: Schmalz im graublauen
Steinzeug-Look eines Kunststofferzeugnisses (A bb. 30). D ie suggerierte V ertrau t-
heit m it M aterial, T echnik und F o rm als mögliche Entscheidungshilfe beim Ein-
kauf erweist sich einschließlich der ‫ ״‬unfachmännischen“ D ruckm ulden der Dau-
men vom ‫ ״‬A ndrücken der H e n ke l“ als entm aterialisiert. Eine neue, eine Meta-
ebene der V e rm ittlu n g ist m it der A n m u tu n g handw erklicher T ra d itio n in die-
sem industriellen Verpackungsdesign erreicht.

7 D e r T ö p fe r, Mathias Pitsch aus Bruch, starb nach Aussagen des Gewährsmannes (Jg. 1904) 1926
65jährig. E r fo rm te an demselben Tag noch einen K o p f vom Bruder des auf Abb. 28 с M odellierten,
der datiert ist (15.2.1885), während die Flasche n u r die Jahreszahl trägt. Bemerkenswert ist: A n die-
sem Tag w ar tatsächlich Fastnachtssonntag (vgl. G rotefend 1971: 173)! Dies ist ein schönes Beispiel
fü r echte ‫ ״‬Feiertagsarbeit“ und fü r Gedächtnistreue in der m ündlichen Überlieferung.
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128 , Bärbel Kerkhoff-Hader


è

L ite ra tu r:

L u d w ig A lb re ch t 1981: H e rk u n ft und Genealogie der Kannenbäcker und Pfeifenmacher zu Peterskir-


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In g o lf Bauer 1976: Hafnergeschirr aus A ltbayern. München.
Ders. 1980: Steinzeug aus Bayern. 18. und 19. Jahrhundert. In: Beiträge zu r K eram ik 1. Düsseldorf:
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Ders. 1982: H andbuch und Führer zum Keram ikm useum O bernzell. M ünchen.
H erm ann Bausinger [1971]: Volkskunde. Darmstadt.
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Irm gard und W erner Endres 1983: ‫ ״‬. . . künstlerische Geschirre, wie verzierte H um pen . . Zur
Geschichte einiger keramischer Trinkgefäße nach Entw ürfen von P rof. L. F oltz. In: Verhandlun-
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O tto von Falke 1908, 4977: Das Rheinische Steinzeug, 2 Bde. Berlin (R eprint Osnabrück).
Helge G erndt 1981: K u ltu r als Forschungsfeld. München.
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Paul Stieber 1972: F o rm und Form ung. Versuch über das Zustandekommen der keramischen Form .
In : Bayer. Jahrbuch fü r Volkskunde 1970/71: 7— 73.

Q uellen:

A m t fü r Rheinische Landeskunde, Bonn: Josef O hrem , Steinzeugfabrik Adendorf, Preisliste N r. 1,


Süddeutschland und M itteldeutschland (1. H . 20. Jh.).
Landeshauptarchiv Koblenz: 1C 8148 / Kannenbecker-Zunft-O rdnung 1775.

Fotonachweis:

Bayer. N ationalm useum , M ünchen (12, 13, 14, 15); W erner Endres, Regensburg (26, 27); Bärbel
K e rkhoff-H ader, Bonn (1, 2, 4— 10, 16, 18, 19, 22— 24, 28, 30); Landwirtschaftsmuseum Hösseringen
(17, 21); Rhein. Freilichtm useum K om m ern (25); U nbekannt (3).

Für freundlich gewährte H ilfe bei der Beschaffung des Bildmaterials danke ich herzlich D r. Ingolf
Bauer, M ünchen, D r. W erner Endres, Regensburg, D r. Michael Faber, K om m ern, D r. A yte n Fadel,
Bonn, D r. H o rst L ö b e rt, Hösseringen.
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Die Entwicklung des Handwerks


und die kulturelle Vermittlungsfunktion von Handwerkern
bei der ‫ ״‬Europäisierung“ Bulgariens im 19. Jahrhundert

Virginia Paskaleva, Sofia

A nhand der in den letzten Jahrzehnten in Bulgarien durchgeführten archäologi-


sehen Forschungen wie auch der bekannten schriftlichen Q uellen können w ir
sagen, daß vom 9. bis 13. Jh. die Städte die wichtigsten Handw erkszentren
waren. Es w ar eine beträchtliche Zahl von Handwerken verbreitet w ie die Eisen-
gewinnung, das Schmiede-, Goldschmiede-, Kupferschmiede-, Steinmetz-, Mau-
rer-, Schnurmacher‫ ־‬und Töpferhandw erk, die Verarbeitung von T ierknochen,
die Glasbläserei, die Herstellung von dekorativen K eram ikplatten, die Ziegel*
brennerei, Schmuckherstellung, Weberei, Schneiderei, Kürschnerei u.a. D ie bei
Ausgrabungen gefundenen Gegenstände zeugen von einer fü r ihre Z e it gut ent-
wackelten und recht spezialisierten H andw erksproduktion. In großen Mengen
sind Pflugscharen, Hacken, Schaufeln, Rechen, Messer, Schlüssel, Scheren,
Lederbekleidung, W olle und Leinen, Wasserkrüge, Schüsseln, Ziegel, bemalte
K eram iktafeln und Waffen verschiedener A r t gefunden worden, die in den bulga-
rischen Museen aufbewahrt werden.
Im Vergleich zu den vorangegangenen Epochen verzeichnete die Handwerks-
p ro d u k tio n im 13. und 14. Jh. einen beachtlichen F ortschritt. D er gut organi-
sierte Staat, der eine aktive P o litik betrieb, zu nahen und ferneren Ländern enge
Wirtschaftsbeziehungen pflegte und eine starke Armee unterhielt, schuf die V o r-
aussetzungen fü r einen w irtschaftlichen Aufschwung des Landes und insbeson-
dere fü r die E n tw icklu n g des Handwerks (Angelov 1950: 430).
D ie rasche E n tw icklu n g der handwerklichen P roduktion in Bulgarien im 13.
und 14. Jh. w urde auch durch die wachsende Bevölkerungszahl und v o r allem
durch die Zunahm e der Bevölkerung in einzelnen Städten wie T ä rno vo, P lovdiv,
Sofia, Varna, Silistra, O h rid , Skopje u.a. begünstigt. Die K on zen tration von
im m er m ehr Menschen in den Städten w ar einer der wichtigen Faktoren fü r die
E n tw icklu n g der verschiedenen Handwerke, vor allem von solchen, die m it dem
Lebensunterhalt der Menschen, ihrem A llta g und ihren Bedürfnissen verbunden
waren. Ein w ichtiger Umstand, der zum allgemeinen A ufschw ung der Hand-
W erksproduktion beigetragen hat, w ar der verstärkte Bergbau im Land, die
erhöhte Förderung von verschiedenen Metallen (Eisen, Silber, G old, Kupfer).
Somit bestand fü r das H andw erk in Bulgarien im 13. und 14. Jh. auf G ru n d der
guten O rganisation des bulgarischen Staates m it seinen vielfältigen Bedürfnissen,
der wachsenden Stadtbevölkerung und des Fortschritts im Bergbau ein günstiger
Boden fü r seine E n tw icklu n g und V ervollkom m nung. Soweit e rm itte lt worden
ist, gab es in dieser Periode eine recht beträchtliche Zahl von H andw erken —
etwa 50 (Conev 1954: 56). Ebenso wurde ein erkennbarer F o rts c h ritt in den
Technologien einiger H andwerke im Vergleich zu den vorangegangenen Jahr­
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130 Virginia Paskaleva

hunderten erzielt, und zw ar besonders was die Herstellung verschiedener Waf*


fenarten und Haushaltsgegenstände betraf.
Ende des 14. Jhs geriet Bulgarien jedoch unter osmanische Fremdherrschaft,
unter der es fast fü n f Jahrhunderte verblieb. D ie osmanische Eroberung führte
zu einer grundlegenden Wende im Wirtschaftsleben der Bulgaren. Nach den
durch die Kriegshandlungen verursachten Verwüstungen erholte und ent‫־‬
w ickelte sich die H a n dw e rkspro du ktio n im 15. und 16. Jh. allm ählich wieder.
D ie Eroberer sorgten fü r die Wiederbelebung der fü r die W irtschaftsentw icklung
der besetzten Gebiete notwendigen alten H andwerke und förderten die E ntw ick-
lung neuer. Sie nutzten die bestehenden Traditionen und Produktionsgewohn-
heiten, die Fähigkeiten und die Arbeitsorganisation der unterw orfenen bulgari-
sehen Bevölkerung.
D ie großen Bedürfnisse und Forderungen der osmanischen Arm ee zur Zeit der
Expansion auf der Balkanhalbinsel und in M itteleuropa und besonders die in den
bulgarischen Gebieten konzentrierten Garnisonen machten die E ntw icklun g
verschiedener H andw erke bei strenger Produktionsspezialisierung notwendig.
So dehnte sich die handw erkliche P ro d u ktio n auf alle bulgarischen Gebiete aus
und erfaßte besonders die Städte, w o sie sich im m er mehr von der landwirtschaft-
liehen P ro d u ktio n loslöste und in Handwerkergenossenschaften (Z ünften) orga-
nisiert wurde.
D ie Z u n ft (esnaf — M ehrzahl des arabischen W ortes sinefy was soviel wie A rt,
T e il, Klasse bedeutet) verwandelte sich in die umfassendste w irtschaftliche und
soziale Organisation im osmanischen Feudalsystem (T odorov 1972: 110 f). Sie
w urde vom Staat geleitet und unterstützt durch die K o n tro lle über die Regiemen-
tierung der P ro d u ktio n und den V erkauf der Fertigerzeugnisse. Andererseits sah
die Bevölkerung in ih r eine berufliche, soziale und gesellschaftliche Stütze. In
Sofia gab es zum Beispiel im 17. Jh. die im Vergleich zur Einw ohnerzahl nicht
geringe Zahl von etwa 60 Zünften (Isirkov 1912: 57— 62).
Im zweiten Viertel des 19. Jhs erreichte die H andw erksproduktion auf bulgari*
schem Boden ihre höchste E ntw icklung. Das äußerte sich in der verstärkten D if-
ferenzierung und Spezialisierung der Handwerke, in der wachsenden Beschäftig-
tenzahl, dem zunehmenden P roduktionsvolum en und der technischen V ervoll-
kom m nung. Aus den Inform atio ne n, die w ir über einzelne Städte und die in
ihnen vertretenen H andw erke besitzen, ist zu ersehen, daß es in den 70er Jahren
des 19. Jhs in Bulgarien etwa 100 selbständige Handwerke gab. Es entstanden
neue Gebiete, die auf eine bestimmte H andw erksproduktion spezialisiert waren
(Aleksandrov 1905: 5).
D e r U m fang dieser P ro d u ktio n ist schwer zu erfassen, da genaue statistische
Angaben fehlen. So spärlich sie auch sind, geben sie doch ein annäherndes Bild
von dem Zustand des H andw erks im 19. Jh. in Bulgarien. Städte wie K arlovo,
Sopot, G abrovo, Sliven, K ote i, Pirdop, Tärnovo, Trojan, Loveč, Koprivštica,
Panagjurište u.a. überraschten die Reisenden, die sie besuchten, m it ihrem regen
H an dw erk und dam it, daß Männer, Frauen und K inder in der P roduktion
beschäftigt waren. A lte , bereits oben erwähnte traditionelle H andw erke erzeug-
ten große Mengen Waren fü r den M a rkt. So gehörte zum Beispiel zu den ältesten
H andw erken die Abatuchmacherei, d.h. die P rod uktion von grobem W o lls to ff
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Die Entwicklung des Handwerks in Bulgarien im 19. Jh. 131

(aba). Etwa M itte des 19. Jhs führte Sliven jährlich etwa 170.000 Ballen Aba aus,
das fü r seine gute Q ualität und Festigkeit bekannt w a r (Tabakov III, 1929: 52).
E in Ballen e n th ie lt 50 m Aba. In Koprivštica, das rund 7.000 E in w o h n e r zählte,
waren etwa 1.500 Personen m it der Herstellung von Aba beschäftigt (Prancov
1886: 21). In den 60er Jahren des 19. Jhs arbeiteten in G abrovo 100 Gerber- und
Kürschnerm eister m it rund 400 Gehilfen (Cončev 1929: 56). In K arlovo , das zu
jener Zeit 12.000 E inw ohner hatte, wurden jährlich 300.000 Schafs- und Ziegen-
feile verarbeitet (Adgera 1897: 468).
Im großen und ganzen entw ickelte sich die bulgarische handw erkliche Produk*
tio n im 18. und 19. Jh., d.h. in der Epoche, die w ir Bulgarische W iedergeburt
nennen, in folgender Weise:
1. D ie traditionellen Handwerke der Vergangenheit wurden w eitere ntw icke lt
und verbreiteten sich auf alle bulgarischen Gebiete. D ie handw erkliche P roduk-
tio n vergrößerte ihre Dimensionen und verbesserte sich qualitätsmäßig.
2. Das H a n d w e rk arbeitete nicht m ehr nur fü r den lokalen M a rk t, fü r den Aus-
tausch von W aren zwischen Stadt und Land, sondern auch fü r die M ä rkte des
weiten Osmanischen Reiches und besonders fü r seine kleinasiatischen P rovin-
zen. Einige Erzeugnisse wie bearbeitete Häute wurden auch in verschiedene
europäische Länder ausgeführt.
3. Einen starken A u ftrie b erhielten bestimmte H andw erke wie die H erstellung
von groben W ollstoffe n und besonders von W ollschnüren (gajtani) fü r das Beset*
zen von K leidern durch die Aufträge der H ohen Pforte, v o r allem nach der
R eform ierung der türkischen Armee. U nunterbrochen wuchsen die staatlichen
Aufträge und dam it die handwerkliche P rod uktion in einigen Zweigen, beson-
ders bis zum K rim k rie g (1853— 56).
4. In den Kassen der Z ünfte sammelten sich zunehmend F inanzm ittel an. Ein
T eil davon w urde fü r die Ausbildung von jungen Menschen ausgegeben, die im
Ausland ‫ ״‬neue H andw erke“ erlernen sollten. So schreibt C h ris to Ivanov,
Kürschner von Beruf, 1859 in seinen Erinnerungen, daß er zu jener Zeit die
Absicht gehabt habe, ‫ ״‬einige O rte Europas“ zu besuchen, um ein ‫ ״‬europäisches
H a n d w e rk“ zu erlernen (Ivanov 1984: 17). E r erlernte in Belgrad die Buchbinde-
rei, w orauf er nach Marseille ging und sogar versuchte, nach A m e rika auszuwan*
dern, doch schließlich kehrte er nach Bulgarien zurück und arbeitete als Buch*
binder in der bekannten D ruckerei C hristo Danovs in P lovdiv. A llerdings
konnte sich das fü r Bulgarien neue H andw erk nicht schnell verbreiten, da die
türkische Regierung aus erklärlichen Gründen die E röffnung von D ruckereien
in den bulgarischen Gebieten nicht genehmigte.
Ein anderes ‫ ״‬neues“ europäisches H andw erk bildete sich m it der E rric h tu n g von
U h rtü rm e n (etwa 100 an der Zahl) in jenen Städten heraus, die zu Handwerks-
Zentren geworden waren. Die U hren maßen die Länge der A rbeitszeit der Hand-
w erker, die Stunden, die fü r die A nfertigung einer bestimmten Warenmenge not-
wendig waren. A u f G rund der technischen Analyse der U hren dieser T ü rm e
kann man sagen, daß sie die ersten automatischen Apparate auf bulgarischem
Boden gewesen sind (Conev 1976: 7— 6). D er Bau und die V erbreitung von U h r-
werken w irk te sich w ohltuend auf die V erbreitung der angewandten M echanik
in den bulgarischen Gebieten aus. So trägt zum Beispiel der T u rm , der 1835 in
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132 Virginia Paskaleva

Bańsko neben der Sveta-Troica-Kirche errichtet wurde, eine U h r, die heute noch
geht. Sie ist von dem bekannten M eister T o d o r H adžiradonov gebaut worden,
über den w ir jedoch fast keine biographischen Angaben besitzen. W eder weiß
man, w o er gelernt hat noch sonst etwas. Das von ih m gebaute U h rw e rk zeich-
net sich aus durch eine bedeutend größere K o m p lizie rth e it als die übrigen U hren
jener Zeit. A ber auch die anderen T u rm u h re n sind einzigartig. Die A n fe rtig u n g
von U hren w ar ein neues H andw erk, m it dem sich besonders talentierte Meister
beschäftigten.
A ls neues H andw erk wurde auch das Gießen und V erlöten der Metalle Z in n und
Blei fü r die Herstellung der sogenannten vetlenici betrachtet. Das sind große
Gefäße fü r die P ro d u ktio n von Spirituosen und das Kochen von Rosenblättern, aus
denen man Ö l zu gewinnen begann. Ü berhaupt gestaltete sich die Rosenölgewin-
nung zu einem neuen Erwerbszweig der Bulgaren, v o r allem nachdem sich európai-
sehe Handelsfirm en fü r das bulgarische Rosenöl zu interessieren begannen.
D ie N u tzu n g des Wassers und in geringem Maße des Windes bei verschiedenen
Herstellungsverfahren in der T e x tilp ro d u k tio n ist eine der maßgeblichen Rieh-
tungen in der E n tw icklu n g des technischen F ortschritts in Bulgarien in den
ersten Jahrzehnten des 19. Jhs. D er hydraulische A n trie b m it H ilfe der Wasser-
k ra ft wurde bei der Herstellung von W ollstoffen fü r Oberbekleidung, manchen
dicken Schnüren (gaitani) und im M ühlhandw erk genutzt.
Bei der H olzverarbeitung kam die m it Wasser betriebene D rehbank zum Ein-
satz, auf der Haushaltsgegenstände hergestellt wurden. Ebenso wurde bei der
Bearbeitung von H o lz vielfach mechanische Pressen verwendet.
Auch die Eisengewinnung war von einer umfangreichen N u tzu n g der mecha-
nischen K ra ft begleitet. Dabei wurde gewöhnlich das Wasserrad genutzt. Eine
gründliche Untersuchung der K o n s tru k tio n des Schmiedehammers, der samokov
genannt wurde, ergibt, daß seine K o n s tru k tio n von einem recht hohen Niveau
des empirischen Wissens in jener Epoche und von einer guten K enntnis der
Naturgesetze und ih rer richtigen N u tzu n g zeugt. D ie hohe Leistung dieser Häm*
mer (bis zu 120 Schlägen in der M inute) ist bis heute von manchen mechanischen
H äm m ern noch nicht überboten worden.
5. D er allmähliche Übergang zu neuen Handw erken, die V e rvo llko m m n u n g der
alten und die V e rw irk lic h u n g eines relativen technischen F o rtsch ritts in der
handwerklichen P ro d u ktio n waren von einem sozialen Prozeß bedingt, der sich
in Jahrzehnten vollzog. M it der Verbesserung der Arbeitsorganisation, m it der
E n tw icklu n g der P rod uktion fü r die weiten türkischen M ärkte, m it der sich ver-
größernden K onzentration bei einer im m er rascher anwachsenden W arenzirku-
lation verfiel der patriarchalische W ohlstand der alten Handwerke. In der zwei-
ten H älfte des 18. Jhs vertiefte sich die materielle D ifferenzierung zwischen den
einzelnen M itgliedern der Zünfte. D ie energischeren und leistungsfähigeren
unter ihnen wurden auch vermögender. D ie reich gewordenen Meister eröffne*
ten, obgleich sie M itglieder der Z u n ft blieben, selbständige W erkstätten m it
10— 20 G ehilfen: Bereits Ende des 18. Jhs gab es in der Plovdiver Z u n ft der Aba-
Hersteller Fälle, in denen der Z u n ft angehörende Meister eigene W erkstätten m it
10— 15 G ehilfen einrichteten (A postolidis 1932, I und II: 79, 85, 87, 104 f, 109;
III: 1 5 -1 7 , 40 f, 46 ff).
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Die Entwicklung des Handwerks in Bulgarien im 19. Jh. 133

D ie vermögenderen Meister entwickelten sich allm ählich auch zu Kaufleuten,


denn sie häuften ein beträchtliches Kapital an. Sie kauften von den anderen
H andw erkern deren Erzeugnisse auf und verkauften sie auf Jahrm ärkten und
Messen. U n d eben diese H andw erker und H ändler waren die M ittle r fü r die
‫ ״‬Europäisierung“ einiger Handwerke, fü r die M odernisierung ihrer P rod u ktio n .
Diese tatkräftigen Leute reisten hauptsächlich durch M itteleuropa, besuchten die
Leipziger Messe und brachten dann Neuheiten und M odelle fü r verschiedene
P roduktionen in die H eim at m it. Es gibt zahlreiche Beispiele fü r die von ihnen
entfaltete P roduktions‫ ־‬und Handelstätigkeit. Sie fü h rte n neue Rezepte fü r ver-
schiedene Gerbstoffe zur Lederbearbeitung und Farben fü r W ollstoffe und
Schnüre ein. E in typisches Beispiel fü r die Verw andlung eines vermögenden
Handw erkers in einen G roßhändler und anschließend in einen Fabrikanten ist
H adži Slavčo aus Tärnovo. V on einem einfachen Kürschner entw ickelte er sich
zu einem G roßhändler, der die Leipziger Messe besuchte und in den 60— 70er
Jahren des 19. Jhs ein K o n to r in W ien hatte (s. Bälgarska misai 9 (1934) H . 4— 5).
D ie Kaufmannsbücher und Handelskorrespondenz, die Privatarchive der Z eit-
genossen und andere Q uellen geben reichen Aufschluß über solche H andw erker,
die modernere Betriebe einrichteten, welche in vieler H in s ic h t m it den A nforde-
rungen der Zunftorganisation unvereinbar, ihnen aber doch organisatorisch
untergeordnet waren. So führten die unternehmenderen H andw erker zum Bei-
spiel eine die Bekleidung der Bulgarin betreffende neue Herstellungsweise ein,
das Bedrucken von K opftüchern: A u f weiße B aum w olltücher wurden verschie-
dene B lum enm otive aufgedruckt.
M it dem Eindringen der europäischen Damen- und H errenkleidung in den bui-
garischen Städten im zweiten V iertel des 19. Jhs begann sich auch eine európai-
sehe Modeschneiderei zu entw ickeln, die franktersijstvo genannt wurde. Dieses
neue H an dw e rk arbeitete ausschließlich im A uftrag. V on ihm wurde zu allererst
die Nähmaschine eingesetzt (M ihajlova 1967: 77— 127).
M it dem Anwachsen der Stadtbevölkerung wurde auch die moderne Produk-
tio n von Schuhen eingeführt. D ie stärkste E n tw icklu n g e rfu h r dieses Gewerbe
in den Städten Sumen, Haskovo und G abrovo, w o in den 70er Jahren des 19.
Jhs etwa 15 Schuhmodelle hergestellt wurden (Bläskov 1907: 12— 16). Nach dem
K rim k rie g (1853— 1856) begannen jedoch die ‫ ״‬neuen“ H andwerke die starke
K o n ku rre n z der eingeführten Waren aus Europa zu spüren, die zu niedrigeren
Preisen verkauft wurden.
D ie R olle des bulgarischen Handw erks als M ittle r fü r die Hebung des ku ltu re l-
len Niveaus der Bulgaren während der N ationalen W iedergeburt äußerte sich auf
verschiedene A r t. V o r allem entstand durch die sich erweiternde handwerkliche
P ro d u ktio n eine materielle Basis, die die E röffnung von Schulen in den bulgari-
sehen Gebieten erleichterte, dank derer Jugendliche zum Lernen ins Ausland ent-
sandt werden konnten. Andererseits kamen die sich von den Zünften loslösen-
den reichgewordenen H andw erker m it der modernen europäischen W elt in K on -
takt, und wieder in die H eim at zurückgekehrt, trugen sie auf unterschiedliche
A r t und Weise zur Hebung der materiellen und geistigen K u ltu r ihrer Landsleute
bei. Viele H andw erker traten ein in die Vorstände bulgarischer Kirchengem ein‫־‬
den, die aus adm inistrativen und finanziellen Erwägungen von den osmanischen
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134 Virginia Paskaleva

H errschern unterstützt wurden. D ie G ründung und die aktive E n tw ic k lu n g der


Kirchengemeinden stellt damit eine wesentliche ku lture lle T ätigkeit der Bulgaren
in jener Z e it dar und sie zählt zudem zu den wirksamsten M itte ln z u r V erteidi-
gung der eigenen Interessen und zur Förderung eines nationalen ku ltu re lle n
Lebens.
D ie Z ü n fte und die zu Reichtum gekommenen H andw erker bilden in jener
Z e it die gesellschaftliche Basis der Gemeindeselbstverwaltung. D e r w irtsch a ftli-
che A ufschw ung und insbesondere die E n tw icklu n g des H andw erks nach 1830
fü h rte n zu einer Verbesserung der Organisation und zu einer beachtlichen Steige-
rung der A k tiv itä te n dieser Gemeinden. H andw erker, Kaufleute und auch die
ersten U nternehm er gründeten die ersten w eltlichen Schulen, w ie z.B. in K o-
privstica, und sorgten fü r die Instandsetzung verfallener Klöster. Stanco Ivanov
(1801— 1861), Tuchmacher in P lovdiv, seit 1818 Tuchmachermeister und 1840/
41 zum Oberm eister der Tuchm acherzunft gewählt, läßt m it seiner eigenen
m ateriellen U nterstützung in P lovdiv eine Schule und eine K irche erbauen. In
gleicher Weise wurden auch in anderen bulgarischen Städten und D ö rfe rn auf-
grund der materiellen U nterstützung durch die Gemeinden und die M ita rb e it
zahlreicher H andw erkerzünfte neue Kirchen und Schulen errichtet, so z.B. 1813
im D o r f Batak, 1819 in der Stadt Trjavna, später auch in den Städten Tatar-
Pazardžik, Zlatograd, im D o r f Siroka Läka u.a.m.
D ie Gemeinden geben, gefördert durch H andw erker und Kaufleute, deren
Nam en w ir in den Z unftlisten und anderen A rchivquellen im m er wieder antref-
fen, religiös-moralische und weltlich-aufklärerische L ite ra tu r und insbesondere
Lehrbücher heraus; und sie organisieren den V ertrieb von bulgarischsprachigen
Z eitschriften und Zeitungen, sammeln auf eigene Kosten A bonnenten, kaufen
Exemplare auf, die sie dann kostenlos in den umliegenden D ö rfe rn verteilen. Sie
küm m e rn sich darüberhinaus auch um die A nstellung von Lehrern und Lehre-
rinnen und helfen so a ktiv m it bei der V erbreitung neuer Ideen und der V e rm itt-
lung eines neuen Weltbildes.
D ie E rw eiterung der handwerklichen P rod uktion und die Zunahm e des Reich-
tum s der H andw erker schufen aber nicht n u r die materielle Basis fü r die G rü n -
dung von Schulen in den bulgarischen Gebieten, sondern auch dafür, daß Jugend-
liehe zum Schulbesuch und zum Studium ins Ausland geschickt werden konn-
ten. So sandte z.B. die Gemeinde Svištov den später bekannten bulgarischen
M aler N ik o ła j Pavlovié zum Kunststudium nach W ien und M ünchen
(1852— 1858) und in der Zeit zwischen 1850 und der Befreiung studierten so m it
den M itte ln der Kirchengemeinden und der H andw erkerzünfte im Ausland ein
ganz wesentlicher T e il der späteren bulgarischen Bildungsschicht.
N ach der Befreiung Bulgariens von der osmanischen Fremdherrschaft 1877/78
zeichnen sich zwei Tendenzen in der E n tw icklu n g der bulgarischen K u ltu r ab:
1. In den Jahrzehnten bis Ende des 19. Jhs ist fü r die traditionelle V o lk s k u ltu r
die Tendenz zu ihrem Absterben, zur A uflösung ihres Systems kennzeichnend.
Besonders dynamisch verlief dieser Vorgang in den Städten und d o rt v o r allem
in der Sphäre der materiellen K u ltu r. In die städtische W ohnung m it ih re r Innen-
einrichtung, in die Bekleidung der Stadtbevölkerung und in ihre E rnährung
sowie in ihren A llta g drangen die Erzeugnisse der neuzeitlichen F a b rik p ro d u k ­
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Die Entwicklung des Handwerks in Bulgarien im 19. Jh. 135

tio n ein. Es bildeten sich neue, fü r die Städte typische materielle Lebensbedin-
gungen heraus. Aus diesem G rund kam es nach der Befreiung zu einem schnellen
Niedergang tausender bulgarischer H andw erker, die vo n der F a b rik p ro d u k tio n
d ire k t verdrängt wurden; betroffen w ar z.B. die P ro d u ktio n von groben W o li-
stoffen (Aba) und gaitani, die Kerzenherstellung, die Seifenherstellung u.a. D ie
Handelsbeziehungen zum riesigen M a rk t des Osmanischen Reiches waren in zw i-
sehen abgebrochen, was ein harter Schlag fü r jene H andw erke war, die ihre
W aren nach Kleinasien ausgeführt hatten.
2. A u fg ru n d des Festhaltens der Landbevölkerung an der patriarchalen Lebens-
weise und an anderen Traditionen sowie wegen ihrer niedrigen K a u fkra ft blieben
in Bulgarien jedoch viele alte traditionelle Gegenstände w eiter in Gebrauch. Das
alte H an dw e rk konnte dadurch auf dem Land noch einige Zeit seinen Platz
bewahren, o b w o h l die Z ünfte verfielen. Die Transform ierung im Sinne einer
‫ ״‬Europäisierung“ ging n u r ganz langsam vonstatten und noch lange Z eit erhiel-
ten sich Elemente der traditionellen materiellen und geistigen V o lk s k u ltu r.

L ite ra tu r

Adgera, A .: Zanajcijska i domašna industrija predi Osvoboždenicto. In: N o vo vreme 1 (1897) 468
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Interethnische Beziehungen und Vermittlungsprozesse


im siebenbürgischen Töpferhandwerk des 19. Jahrhunderts

Horst Kluschy Sibiu/H erm annstadt

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Siebenbürgen hat als Schmelztiegel bodenständiger Überlieferungen m it erkenn-


baren Einflüssen aus dem Süden (Balkan, Italien), dem Westen (M itte l- und West-
europa) und dem Osten (Süd- und Kleinasien) im Laufe von Jahrhunderten eine
Fülle von Keramikerzeugnissen hervorgebracht, die in ih re r V ielfalt bis in die
Gegenwart erhalten geblieben sind.
V erfolg t man die E n tw ic k lu n g der Form en einiger bestim m ter Gefäße der
rumänischen K era m ik, w ie T o p f, Schale, Schüssel und K rug, so kann man fest‫־‬
stellen, daß die S tru k tu r unserer heutigen Gefäße schon an denen aus vorge-
schichtlicher Z eit zu erkennen ist. W o h l b rin g t der E in flu ß der römischen Kera-
m ik Form veränderungen m it sich, die auch heute gebietsweise mehr oder weni-
ger ausgeprägt festzustellen sind, w o h l hinterläß t der E in flu ß der byzantinischen
K eram ik bleibende Spuren in der E n tw ic k lu n g des rumänischen Formenschatzes
— doch finden sich fü r das heutige rumänische irdene Gebrauchsgeschirr bereits
manche analogen Form en in der Z e it der G eto-Daker. Die Ansiedlung von
Magyaren, Szeklern und Sachsen in Siebenbürgen beeinflußte die m o rph olo gi‫־‬
sehe G efäß struktur der rumänischen Gebrauchskeram ik n u r in geringem Maße.
D ie im 17. Jahrhundert aufkom m ende siebenbürgische Z ierkeram ik bietet eini‫־‬
ge Ausnahmen. D ie siebenbürgische vo lkstü m lich e Z ierke ram ik des 17., 18. und
19. Jahrhunderts — eine europäische Spätblüte — verdient es, den wertvollsten
Keramikerzeugnissen anderer europäischer Länder an die Seite gestellt zu werden.
Bis zum 19. Jahrhundert w urden ausländische Einflüsse aufgenommen und den
bodenständigen T ra d itio n e n eingegliedert und fü h rte n so zu einer V ielfalt von For-
men, zu einer A usdruckskraft der tra d itio n e lle n Sym bolm otive und zu einer
künstlerischen H a rm on ie zwischen F o rm und D ekor. Bei der rumänischen volks-
tüm lichen K e ra m ik ist es v o r allem der byzantinische, bei der sächsichen und unga-
rischen der Habaner E in flu ß . Es w urden Form en und Dekorelemente auch aus
G alizien, Bayern, M ähren, der Slowakei und Ö sterreich entlehnt.
Im 19. Jahrhundert fin d e t dagegen in Siebenbürgen ein interethnischer V e rm itt-
lungsprozeß k u ltu re lle r W erte statt, dessen Ursache in den politischen und ökono-
mischen Veränderungen zu suchen ist. Es ist fü r Siebenbürgen, und nicht n u r fü r
dies, das Jahrhundert des U m bruchs und der Erneuerung, das fü r P o litik und W irt-
schaft neue Wege und fü r alle U nzulänglichkeiten des 18. Jahrhunderts neue
Lösungen sucht. Es ist das Jahrhundert der B ildung von bürgerlichen N ationen in
Südosteuropa, der bürgerlichen R evolutionen und der nationalen Freiheitsbewe-
gungen. In einem künstlichen Staatswesen wie dem der österreichischen M onar-
chie waren viele verschiedene N atio n e n und V ö lk e r gezwungen zusammenzule-
ben, die sich durch Sprache und H e rk u n ft, Sitte und Brauch, wie auch durch ihre
Geschichte, ihre Bestrebungen, Ziele und Ideale1 voneinander unterschieden.

1 Keith H itch in s: Studien zu r modernen Geschichte Transsilvaniens. Klausenburg 1972, S. 5.


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138 Horst Klusch

N ach einer Volkszählung der österreichischen Behörden aus dem Jahre 1850
lebten in Siebenbürgen 2.062.379 Menschen, davon 1.227.276, d.h. 59,6% Rumä-
nen, 536.011, das sind 26,1% U ngarn und Szekler und 192.482, also 9,3% Sach-
sen. Z u den restlichen 5 Prozent gehörten Juden, A rm e n ie r, Slawen, Zigeuner
u.a.2
W ährend Ungarn, Szekler und Sachsen ihre eigenen stim m berechtigten Abge-
ordneten in den siebenbürgischen Landtag wählen d u rfte n , waren die Rumänen
noch um die M itte des 19., w ie auch in den vorhergehenden Jahrhunderten, p o li-
tisch und w irtschaftlich rechtlos, o b w o h l sie zahlenmäßig die anderen Bevölke-
rungsgruppen w eit übertrafen. Eine Polarisierung der Interessen w ar demnach
unverm eidlich. W ährend die ungarischen Behörden, geleitet von der Idee des ein-
heitlichen ungarischen Staates, zu einer M agyarisierungspolitik übergegangen
waren, forderten Rumänien und Sachsen eine politische N euordnung der M onar-
chie auf G ru n d der nationalen, politischen, konfessionellen und ku ltu re lle n
Gleichberechtigung aller ih re r Völkerschaften.
N ach der N iederw erfung der R e vo lu tio n von 1848/49 erntete Ö sterreich die
Früchte seiner kurzsichtigen P o litik . Es unterließ, den einen, die gegen es gestrit-
ten hatten, die Hand zur Versöhnung, den anderen, die m it ihm gefochten hat-
ten, die H and zum D an k entgegenzustrecken und entfremdete sich dadurch
Rumänen, Ungarn und Sachsen3.

E .A . Bielz: Handbuch der Landeskunde Siebenbürgens. H erm annstadt 1857, S. 60.


Im Jahre 1841 bestand nach J. Söllner: Statistik des G roß fürstentum s Siebenbürgens. 1856, S. 268
die Bevölkerung Siebenbürgens aus 2.143.310 Menschen, die sich folgendermaßen gliedern ließen:
— Rumänen 1.290.970 — Zigeuner 19.902
— U ngarn 225.652 — A rm e n ie r 9.141
— Szekler 380.357 — Juden 3.155
— Deutsche 214.133
Bei einer weiteren Statistik geht Söllner von einer Zählung des Jahres 1844 aus und veröffentlicht
folgende Daten:
— K a th o like n 282.978 - G r. K a th o l. 688.088
— R eform ierte 292.658 — O rth o d o xe 622.784
— U n ita rie r 52.680 — Juden 3.155
— Lutheraner 200.967
Laut dieser Tabelle waren 1.310.872 griechisch-katholisch und o rth o d o x , was etwa der w eiter oben
angeführten Zahl der Rumänen entspricht.
N ach L. K ővári: Erdélyország statisztikája (Statistik Siebenbürgens). 1847, S. 197, setzte sich die
Bevölkerung Siebenbürgens folgendermaßen zusammen:
— Rumänien 1.200.000 - Szekler 400.000
— Sachsen 200.000 — U ngarn 430.000
52,1% der Bevölkerung Siebenbürgens waren also nach K ő vá ri Rumänen, 18,6% U ngarn, 17,3%'
Szekler und 8,6% Sachsen. Elisabeth G ö lln e r stellt in einer M itte ilu n g Z u r demographischen Struk-
tu r Siebenbürgens in der ersten H ä lfte des 19. Jahrhunderts. In: Forschungen zu r V olks- und Lan-
deskunde 15/1 (1972) 60 fest, daß obige Daten K őváris nicht allzu genau sein können, da er, wie
auch andere zeitgenössische ungarische Dem ographen, geneigt w ar, alle Bewohner, die Ungarisch
sprachen und ungarische Schulen besuchten, fü r U ngarn zu halten; trotzdem ergibt auch diese Stati-
stik eine absolute M ehrheit der Rumänen.
G h. I. Bodea, C . G öllner, I. Kovács: Gemeinsame rumänisch-ungarisch-deutsche Bestrebungen in
den Jahren 1850— 1866. In: Forschungen zu r V olks- und Landeskunde 16/2 (1973) 53.

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Interethnische Beziehungen im Töpferhandwerk Siebenbürgens 139

U n te rstü tzt durch geschichtliche Ereignisse — 1859 erfolgte die Vereinigung der
Walachei m it der M oldau und 1877 proklam ierte das rumänische V o lk durch
seine V ertreter die U nabhängigkeit des Landes — setzten sich fo rts c h rittlic h den-
kende rumänische In tellektu elle zum Z iel, die nationale, kulture lle , sprachliche
und te rrito ria le E inheit der Siebenbürger Rumänen m it jenen von jenseits der
Karpaten zu fördern und forderten, wenn auch vergeblich, v o r dem siebenbürgi-
sehen Landtag zu Herm annstadt (Sibiu, 1863) und v o r dem Budapester Parlament
(1861) w ie auch vo r dem W iener Reichsrat (1860) politische Gleichberechtigung.
D ie Siebenbürger Sachsen, einer Reihe ih re r seit Jahrhunderten verbrieften
politischen und w irtschaftlichen V orrechte verlustig gegangen, w ehrten sich
gegen die E in fü h ru n g der ungarischen Staatssprache anstelle der lateinischen, und
im Rahmen des sich entfaltenden ‫ ״‬Sprachkampfes“ (Landtag zu Klausenburg
1841/42) wiesen sie darauf hin, daß es n icht notw endig sei, eine Landessprache
zu bestimmen, da die wallachische diesen Platz schon eingenommen habe.
Das w irtschaftliche Leben in den Städten Siebenbürgens w ar im Jahre 1811
durch den österreichischen Staatsbankrott schwer erschüttert worden. D ie Preise
stiegen, Hungersnot und Pest forderten ihre O p fe r, ein allgemeiner Geldmangel
lähmte die W irtschaft. Dazu gesellte sich die österreichische K onkurrenz. Viele
Handwerkszweige konnten dieser n ich t entgegentreten und gingen seit der Jahr-
hundertwende ständig zurück. A lle in in H erm annstadt/S ibiu fiel die A nza hl der
Kürschnermeister in den Jahren 1829 bis 1854 von 84 auf 24, die der Schneider-
meister von 66 auf 43 und die der Schmiede von 24 auf 94.
Die demokratischen Freiheitsideen des Jahres 1848 sowie die provisorischen
Handels- und Gewerbeeinrichtungen von 1852 hatten die längst überlebten
Zunftordnungen w irkungslos werden lassen; die A uflösu ng der Z ü nfte durch das
Gewerbegesetz von 1872 w ar n u r noch eine F o rm a litä t. Man verzichtete dam it,
ohne große Trauer, auf eine In s titu tio n , deren Werdegang eng m it der W irtschaft-
liehen und politischen E n tw ic k lu n g v e rk n ü p ft war, sich jedoch schon im 18., vo r
allem aber im 19. Jahrhundert hemmend auf die E ntfaltu ng der W irtschaft ausge-
w ir k t hatte. D ie einschränkenden Bestimmungen der Zunftordnungen hatten
eine zeitgemäße E n tw ic k lu n g des H andw erks verhindert.
Schon im ersten V iertel des 19. Jahrhunderts w urde der Mangel an A rbe itskrä f-
ten durch die k u rz fris tig (1— 4 Jahre) beschäftigten sächsischen, aber auch rumä-
nischen und ungarischen Wandergesellen aus allen Teilen Siebenbürgens über-
brückt. E in dem Herm annstädter T ö p fe rz u n ft- und Bruderschaftsbuch entnom -
menes Beispiel zeigt das V erhältnis zwischen ortsansässigen Töpfern und W an-
dergesellen. Im 19. Jahrhundert sind in H erm annstadt/S ibiu 153 T ö p fe r
(Meister, Gesellen und Lehrjungen) als ansässig registriert; die Anzahl der Wan-
dergesellen beläuft sich jedoch auf 285. Sie w urden nicht in die Z u n ft aufgenom-
men, waren aber schon ab 1830, ohne U nterschied der N atio n a litä t, M itg lie d e r
der Bruderschaft und nahmen regelmäßig an den Zusam m enkünften te il5.

4 Friedrich Tcutsch: Geschichte der Siebenbürger Sachsen, 3. Bd. Hermannstadt 1910, S. 66.
5 H orst Klusch: Z um H erm annstädter T ö p ferhandw erk des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Forschun-
gen zur V o lks‫ ־‬und Landeskunde 18/1 (1975) 57— 74.
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140 Horst Klusch

F ü r das T öpferhandw erk der Siebenbürger Sachsen brachte das 19. Jahrhun-
dert einen Niedergang. M etall- und Porzellangefäße verdrängten die irdenen
im m e r mehr. D ie V erdienstm öglichkeiten der Gesellen gingen zurück, ih r
W ochenlohn unterschied sich zw ar von O r t zu O r t, lag jedoch überall unter dem
der anderen H andw erker. E in Vergleich des W ochenlohns der Gesellen von 39
verschiedenen Gewerbszweigen ergibt, daß der des Töpfergesellen erst an 30.
Stelle einzuordnen ist. In dem gleichen Maße w ie sächsische T ö p fe rzü n fte in
K ronstadt/B ra§ov, Schäßburg/Sighi§oara, H erm annstadt/S ibiu, Broos/O rä§tie,
A g n e th le n /A g n ita und B istritz/B istriça von w irtsch a ftlich e r Stagnation und
Rückgang des Gewerbes befallen waren, entw ickelten, in um gekehrtem Verhält-
nis, durch keine Verbote m ehr gehemmt, rumänische Töpferzentren und -werk-
Stätten eine reiche T ä tig keit, deren Ausmaß von den rumänischen H eim atfo r-
schern bei weitem noch n icht erfaßt w orden ist. Es sind dies Töpferw erkstätten
m it jahrhundertealter T ra d itio n in Südsiebenbürgen (Tohan), im A ltta l (Foga-
rasch/Fãgãra§ und Cîrpçoara), im Bihorgebirge (Leheceni u.a.) und v o r allem im
Bírgãu-Tal.
A lte U rbarialakten, K onskriptioslisten, S teuerprotokolle und M atrikelbe-
stände bieten uns nicht selten w e rtvo lle H inw eise, sow ohl das zahlenmäßige Auf*
treten einer Erscheinung in V erb re itun g und D ich te betreffend, als auch, wie im
Falle von Z u n ftu rku n d e n , die Form ationen des Gewerbelebens, ja ausgespro-
chene Handwerksgenealogien. V o n besonderem W e rt erweisen sich dabei Quel-
len chronistisch-narrativen Inhalts, w ie etwa Reise- und Tagebücher.
Z u diesen gehört das vom W iener Staatsrat H ie tzin g e r verfaßte Z e itd oku m en t
‫ ״‬Statistik der kaiserlichen M ilitä rg re n ze “ 6, das uns außer einem aussagekräftigen
B ild der damaligen sogenannten ‫ ״‬In du strie“ eine n ic h t unerhebliche A nzahl
w irtschaftlicher, technischer und technologischer Daten ü b e rm itte lt. H ietzinger
verm erkt: ‫ ״‬In allen G renzprovinzen werden gemeine Töpferw aren von Hand-
w erkern und noch m ehr von unzünftigen A rb e ite rn in Menge verfertigt. Dem
G eschirr fe h lt fast überall die Glasur. . . . Sehr gute W are erzeugen die T öpfer
von Hatzeg [Haçeg] und Bár [Baru Mare и. Ваги M ie im Kreis Hunedoara] im
ersten W allachenregimente.“
V o n diesem fü r die E n tw ic k lu n g der transsylvanischen Töpfergewerbes des 1.
Viertels des 19. Jahrhunderts überaus aufschlußreichen H in w e is abgesehen, über-
rascht die ‫ ״‬S tatistik“ noch durch eine das zweite, in Nordsiebenbürgen statio-
nierte G renzregim ent betreffende M itte ilu n g über die Bírgãuer Pfeifenindustrie.
Da heißt es w ö rtlic h : ‫ ״‬Eine E ig e n tü m lich ke it des zw eyten Wallachenregiments
nicht nur, sondern vielleicht des ganzen G roß fürstentum s sind die ziem lich weit
verbreiteten schönen und leichten Borgoer P feifenköpfe“ , von denen ‫ ״‬jährlich
über 30.000 nach Galizien und U ngarn ausgeführt w erden.“ Dazu erfahren w ir,
daß einige O rtschaften des Regiments, v o r allem der 4. Kompagnie, und unter
dieser besonders Susenii Birgäului, die Pfeifenherstellung als B roterw e rb betrie-
ben.

6 H o rst Klusch: Borgotaler T ö pferkunst im Ausland gefragt. In: N euer Weg 20. Jg., N r. 6010,
7.X1.1968, S. 4.
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Interethnische Beziehungen im Töpferhandwerk Siebenbürgens 141

V ogelm otive von T ellern und Krügen — G elb auf braunem G rund. Rumänisches Töpfer*
Zentrum, Birgäu-Tal, Ende des 18. Jhs. (A rbeitete hauptsächlich fü r die rumänische Bevöl-
kerung).

Dieser H in w e is und die darauf folgenden technologischen Details über die H er-
Stellung der Pfeifenköpfe lassen darauf schließen, daß den rumänischen T ö p fe rn
aus dem Bîrgau-Tal eine langjährige E rfahrung im T öpferhandw erk eigen war,
und daß in der zweiten H älfte des 18. Jahrhunderts d o rt eine gute unglasierte
Gebrauchs- und glasierte Z ie rke ra m ik erzeugt w urde, die in Nordsiebenbürgen
einen großen E in flu ß auf den D e k o r der sächsischen und ungarischen Gebrauchs-
und Z ie rke ra m ik gehabt hat.
Im Verbreitungsgebiet des Bírgãu-Tales sind uns Gefäße von guter Q u a litä t
erhalten geblieben, deren kyrillische Inschriften beweisen, daß sie von rum äni-
sehen T ö p fe rn fü r rumänische Verbraucher hergestellt worden waren. Ih r
D e ko r, der bis jetzt irrtü m lic h den sächsischen T ö p fe rn zugeschrieben wurde,
zeigt geometrische wie auch figurale M o tiv e von hervorragender künstlerischer
A usdruckskraft. D ie Vogeldarstellungen auf einigen erhalten gebliebenen T ellern
bezeugen noch alte mythologische Vorstellungen vom Lebensbaum. A u f dem
Rand eines dieser Vogelteller steht in k y rillis c h e r Schrift ‫ ״‬preęu 6 creçari buc“
(6 Kreuzer das Stück). A u f einem anderen sind zwei Vögel jeweils in einem dop-
pelkronigen Lebensbaum dargestellt — ein beliebtes M o tiv , das in ve rkü rzte r
F orm auf siebenbürgisch-sächsischen Z ie rte lle rn aus B istritz Ende des 18. und
Anfang des 19. Jahrhunderts in verschiedenen Varianten wiedergegeben wurde.
Kundige sächsische Töpferm eister aus dem Gebiet um B istritz hatten m it viel
künstlerischem Einfühlungsvermögen und technischem Können w e rtvo lle
Erfahrungen des siebenbürgischen Töpferhandw erks aller N ationalitäten ver-
wertet und aus der gemeinsamen Ornamentensprache alte Sinnbilder neu belebt.
Ein kontrastreicher Pinselstrich und eine ausgewogene klare M alhorn-Z eichnung
sind ein Wesenszug aller dieser Erzeugnisse. Schlank, m it durchgebogenem
Rücken und langen Schwanzfedern, meist m it nach oben gewendetem, bei eini*
gen Darstellungen fast bis auf den Rücken zurückgebogenem K o p f, m it zie rli-
chen aber schwungvoll gezeichneten Füßen, unterscheiden sich diese Vogeldar-
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142 Horst Klusch

T e lle r m it Vogelm otiven — G elb, Braun, G rü n , Blau auf weißem G rund. Sächsisches Töp-
ferzentrum , B istritz, Anfang des 19. Jhs. (Arbeitete fü r rumänische, sächsische und ungari-
sehe Bevölkerung im Nösnerland.)

Stellungen von denen anderer siebenbürgisch-sächsischer oder ungarischer Zier-


keram ik, gleichen aber jenen auf den rumänischen Erzeugnissen des Bírgãu-
Tales. N ie steht der Vogel allein da. Entweder hat er über seinem Rücken stili-
sierte, o ft palmettenartige Pflanzenm otive (ein D etail des doppelkronigen
Lebensbaums auf dem rumänischen Teller), oder er hält eine stilisierte Blume,
Traube, manchmal einen Fisch in seinem Schnabel.
Eine andere G ruppe von siebenbürgisch-sächsischen Tellern aus B istritz/B istriça
belegt, ebenfalls durch Ausw ahl und A n o rd n u n g einiger M o tive , einen sichtbaren
E in flu ß rumänischer V olkskunst. Das Sonnenrad im M itte lp u n k t des Spiegels
sowie strahlenförm ig angeordnetes stilisiertes B lattw erk erinnern an byzantini-
sehe O rn a m e n tik, die n icht n u r in B istritz/B istriça, sondern auch in Vama, Baia
Sprie und T îrg u Läpu§ bleibende Spuren hinterlassen hat (s. A bb. S. 143).
Das Wirkungsgefüge der V e rm ittlu n g beruhte in diesem Fall auf einer M a rkt-
lücke. D ie Erzeugung von Z ie rke ra m ik im Bírgãu-Tal, die durch den Wochen-
m a rkt in B istritz sowohl der rumänischen als auch der sächsischen Bevölkerung
zugute kam, geriet A nfang des 19. Jahrhunderts ins Stocken; die Ursachen gehen
w o h l darauf zurück, daß in dem Gebiet des Grenzregiments die R ohstoffe fü r
die G lasurbereitung knapp waren und daß durch die P feifenproduktion ein leich-
terer und besserer G ew inn erzielt werden konnte. D ie vorhergegangene Produk-
tio n hatte jedoch bei der B istritze r Bevölkerung Erwartungen hervorgerufen, die
nun von der sächsischen T ö p fe rzu n ft e rfü llt wurden, die die handw erklich-
technischen-technologischen Bedingungen dazu besaß.
D ie Gestaltung des Materials bis hin zum fertigen Stück, die Beurteilung durch
den Käufer und die Kenntnisnahm e sowie Einarbeitung dieser Beurteilung auf
dem Wege der R ü ckko pp lun g durch den Hersteller bilden, nach Paul Stieber,
eine geschlossene Kette von W irkungen; regeltechnisch betrachtet wäre dies ein
Regelkreis, dessen verschiedene Stationen einzelne ‫ ״‬G lieder“ darstellen7.
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Interethnische Beziehungen im Töpferhandwerk Siebenbürgens 143

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T eller — Blau, G rü n , Rotbraun auf weißem G rund. Szekler T öpfer, N o u l Román, 19. Jh.
(Arbeiteten fü r rumänische Bevölkerung aus dem A ltta l.)

7 Paul Stieber: F orm ung und Form . Versuch über das Zustandekommen der keramischen Form , ln:
Bayer. Jahrbuch fü r Volkskunde 1970/71, S. 7— 73.
D e r Käufer oder Empfänger kauft das Stück auf G rund einer aus vielen Kom ponenten zusammen-
gesetzten M o tiv a tio n , die dem H andw erker m itgeteilt w ird . Einige wichtigere von ihnen sind:
Schönheit (was im m er der Empfänger darunter versteht!), Repräsentation, Bedeutung (z.B. ord-
nende, sinngebende usf.), Selbstdarstellung (d.h. das bewußte u n d /o d e r unbewußte Streben
danach), der Gebrauchszweck (Festigkeit, Dauerhaftigkeit, Feuerfestigkeit). Es spielen auch V o rb il-
der verschiedener A r t und T raditionen eine Rolle bei der Bildung der M otiva tio n .
D ie ganze M o tiv a tio n des Empfängers (die Vorstellung von dem, was er haben w ollte, seine Idee
von der Sache, seine Erw artung) muß dem H andw erker, dem Hersteller auf das genaueste bekannt
gemacht werden. Aus diesem, aus seiner E rinnerung und seinen Erfahrungen bildet der Hersteller
seinerseits eine neue M o tiva tio n , die sich in einer Vorstellung dessen, was er herstellen w ill, nieder-
schlägt. Diese ist während des Herstellungsprozesses gegenwärtig, sie geht auf kurzgeschlossenem
Weg in F o rm und D e ko r ein.
Sofern das fertige Stück der Vorstellung des Empfängers nicht entspricht, te ilt dieser die Diskrepanz
beim nächsten K a u f dem Hersteller m it; dam it w ir k t die D ifferenz zwischen dem Ergebnis des H er-
stellers und der E rw artung des Empfängers verändernd auf das Bewußtsein des Herstellers.
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144 Horst Klusch

D u rc h R ückkopplung wurden im Falle der B istritzer sächsischen T ö pfe r nur


die D e ko rm o tive von rumänischen volkstüm lichen Tellern v e rm itte lt, die Form
der T e lle r aber, die seinerzeit M itte des 18. Jahrhunderts von den slowakischen
Fayencetellern entlehnt w orden war, blieb erhalten, und die C h ro m a tik des
D ekors w urde der zeitgenössischen ungarischen Malweise in Braun, G rü n , Blau
und G elb angepaßt. A u f diese A n entstand ein neuer Typus der Z ie rke ra m ik, die
unsere Heim atforscher, w eil von Sachsen erzeugt, der sächsischen zugeordnet hat-
ten. A u f dem W ochenm arkt jedoch wurde diese K eram ik von den T ö p fe rn an alle
hier zusammenwohnenden N ationalitäten verkauft und dam it in die Innen-
e in rich tu n g rumänischer, sächsischer oder ungarischer Bauernhäuser integriert.
D e r V erm ittlungsprozeß ethnischer M erkm ale fand auch innerhalb der W erk-
Stätten statt, in denen nebeneinander rumänische, ungarische oder sächsische
T ö p fe r das H andw erk ausübten. W enn auch nicht jeder von ihnen am vollständi-
gen technologischen A b la u f beteiligt war, konnte doch jeder alle Stufen der H er-
Stellung überblicken und beherrschte Form ung, Brand und Dekorationsweisen
der Gefäße. T ro tz einer relativen A rbeitsteilung im Herstellungsprozeß war Ein-
heit von A rb e it und Leben noch gesichen; die M itarbeiter, soweit sie nicht ohne-
hin zur Fam ilie gehönen, w urden in den Hausstand des Meisters aufgenommen.
D e r einzelne hatte n u r begrenzte M öglichkeiten, die Töpferw are nach eigenem
G u td ü n ke n herzustellen. Abgesehen von ö n lich e n und materiellen Gegebenhei-
ten mußte er sich in erster Linie nach der Traditionsgebundenheit der jeweiligen
Käufer richten, die Abweichungen n u r in begrenztem Maße zuließ. Ethnisch
bedingte In itia tive n der T ö p fe r im Rahmen der A rbeitsteilung äußenen sich sei-
ten in der Formgebung und Darstellung der Sinnbilder, sondern eher in der
K o m p o sitio n der M o tive und v o r allem in der C h ro m a tik des Dekors.
In Baija Mare z.B., w o rumänische und ungarische T ö pfe r in einer Z u n ft
zusammengefaßt waren8, auch in W erkstätten nebeneinander arbeiteten, wurden
die typischen rumänischen Dekorelemente wie Sonnenrad, strahlenförm ig ange-
ordnetes B lattw erk oder konzentrisch gesetzte stilisierte Blätterranken unter
dem E in flu ß der ungarischen T ö pfe r m it lebhaften Farben dekoriert. In größeren
Töpferw erkstätten wie jenen von Turda, Dej, B istritz/B istriça, Salzburg/Ocna
S ibiulu i u.a. waren im 19. Jahrhundert entweder rumänische und ungarische
oder rumänische und sächsische T ö p fe r am Arbeitsprozeß beteiligt.
Einige birnenförm ige sog. Turdaer Krüge (Verbreitungsgebiet ganz Siebenbür-
gen) können uns hier als Beispiel dienen, denn sie zeigen alte S ym bolm otive wie
Lebensbaum, Vogel und H irsch, die o ft in verblüffender Weise altes iranisches
Sagengut wiedergeben. Dazu gehört der doppelkronige Lebensbaum m it der
gespaltenen W urzel und dem D reisproß in der Spalte. D ie fast un m ittelb ar an
den gespaltenen Stamm anschließenden D oppelkronen zeigen, daß diese Darstel-
lung unter byzantinischem E in flu ß geprägt w urde9. Sie ist auch heute in den m it-
telalterlichen Freskenmalereien rumänischer Klöster, insbesondere in denen der

1 Barbu Slãtineanu, Paul Stahl, Paul Petrescu; A rta populara in Republica Populara Românã. Cera-
mica. Bucure$ti: E ditura de stat pentru literatura $i anã, 1958, S. 174.
4 H o rst Klusch: Siebenbürgischc Töpferkunst. Bukarest: K rite rio n Verlag» 1980, S. 53:
D ie H äufigkeit dieses M otivs, das im siebenbürgischen Raum auf Keramikgefäßen verschiedene
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Interethnische Beziehungen im Töpferhandwerk Siebenbürgens 145

Vogel- und Lebensbaummotiv von Krügen — G rü n , Gelb, Braun, Blau auf weißem
G rund. Szekler T öpfe r, Turda und O dorhei. (Arbeiteten fü r rumänische, sächsische und
ungarische Bevölkerung aus ganz Siebenbürgen.)

M oldau, zu finden. D er Vogel, auf einigen Turdaer Krügen als Zentralgestalt zw i-


sehen zwei Lebensbäume gestellt, ist ebenfalls den byzantinischen Sinnbildern
entlehnt und hat in die rumänische Ikonographie Eingang gefunden. A u f Krügen
des 19. Jahrhunderts werden diese Sym bolm otive unter dem E in flu ß der Sachsen
und U ngarn in der von den Habanern entlehnten Malweise, d.h. in Blau, G rü n ,
Gelb und Braun auf weißem G rund wiedergegeben, m it einer Aussagekraft, wie
w ir sie in M itteleuropa, vo r allem in der Slowakei oder Ungarn nicht antreffen10.
Eine V ie lfa lt von K urzform en dieser M o tive ist kennzeichnend fü r den sieben-
bürgischen K eram ikd ekor geworden.

Abw andlungen erfahren hat, macht die ausführlichere E rklärung dieses Sinnbilds erforderlich. Ein
altes iranisches M ärchen erzählt von einem Baum, der am unteren Ende des Stammes gespalten ist.
D er Spalte entström t Lebenswasser, das U nsterblichkeit oder H eilung aller Gebrechen verleiht. A ls
W ächter und Beschützer sitzen in der Krone des Baumes zwei Vögel, deren Aufgabe es ist, alle
Schädlinge zu vertilgen und den um H ilfe Flehenden von dem H eilquell Wasser zuzutragen. Dieses
iranische B aum m otiv ko m m t schon frü h in den M ittelm eerraum . A u f Keramikvasen der griechi-
sehen A n tik e w ird der gespaltene Stamm deutlich betont. Die Baumsarkophage des 4. Jahrhunderts
kleinasiatisch-antiochischer H e rk u n ft zeigen Baummotive, die am Fuße des Stammes einen ziem-
lieh w eit hinaufragenden Spalt aufweisen und in dessen Zweigen der unausbleibliche Vogel sitzt.
Nach Siebenbürgen kam das M o tiv im M itte la lte r über Byzanz und Venedig.
10 Interessant ist, daß der iranische Lebensbaum auf Keramikgefäßen Österreichs und der Slowakei
häufig anzutreffen ist, m it gespaltenem Stamm aber n u r in Siebenbürgen a u ftritt.
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146 Horst Klusch

Zu einer interethnischen V e rm ittlu n g von Form en und D e k o r fü h rte auch der


K o n ku rre n zka m p f einiger Töpferzentren oder -Werkstätten um den Absatz-
m arkt. D ie T ö p fe r dieser Ortschaften waren bem üht, typisches Ziergeschirr
anderer N ationalitäten zu erzeugen. So hatte z.B. die ungarische T ö p fe rz u n ft aus
O d o rh e i, um einen ambulanten Handel in ganz Siebenbürgen zu organisieren,
die Z ie rke ra m ik der Rumänen und Sachsen nachgeahmt. Im B ericht der Handels-
und Gewerbekam m er in Kronstadt/Bra§ov von 1878 w ird erw ähnt: ‫ ״‬D e r szekler
T ö pfe r, aus ziem licher Entfernung kom m end, erscheint nach der E rnte in sächsi-
sehen und rumänischen Ortschaften, seine Ware vom Wagen aus feilbietend, und
empfängt den Preis fü r Stücke in Weizen oder K u k u ru z (M ais)“ . A uch in
C 1rļi$oara und N o u l Roman, Ortschaften m it rumänischer Bevölkerung, siedel-
ten sich Szekler T öpfer an und stellten die ortsgebundene tra d itio n e lle Zier-
keram ik her.
Ungarische T öpfer aus N o u l Säsesc neben K ronstadt/B ra§ov kopierten die
sächsische Burzenländer Ware, um sie an die sächsische B evölkerung verkaufen
zu können. In Tohan neben Kronstadt/Bra§ov, w o schon im Jahre 1619 dem
T ö p fe r M ic u l Bucur das Recht auf Lebenszeit u rk u n d lic h bestätigt wurde,
‫ ״‬m onatlich ein Fuder Dopen (= Töpfe) auf C roner M a rk t zu bringen“ , sind im
Jahre 1849 51 rumänische T ö p fe r bestätigt. Sie erzeugten unter anderem weiß-
blaue T e lle r nach sächsischer A rt, ersetzten aber auf einigen davon den Pflanzen-
dekor durch geometrische M otive, oder ordneten nach rumänischem Brauch sti-
lisierte Pflanzenblätter stern- oder strahlenförm ig an (s. A b b . gegenüber).
Interethnische V erm ittlungen im Töpferhandw erk sind auch bei den rum äni-
sehen T ö p fe rn der M oldau und Munteniens und den sächsischen T ö p fe rn Sieben-
bürgens zu beobachten. Daß der E influß der siebenbürgisch-sächsischen Töpferei
auf die der M oldau schon im 15. Jahrhundert w irksam w‫״‬ar, erweisen die ungla-
sierten Kacheln m it stilisierten Tulpenm ustern unter einem Rundbogen, die in
Suceava gefunden worden sind und fü r die es in Siebenbürgen zahlreiche Gegen-
stücke gibt. A lle in im Jahre 1503 verzeichnen die alten Rechnungsbücher K rön-
stadts/Bra§ov, daß Handwerkserzeugnisse, darunter auch K e ra m ik, im W erte
von 100.000 Gulden in die M oldau ausgeführt w u rd e n 11. G leichzeitig wurden
aber handw erkliche Erzeugnisse aus der M oldau nach Siebenbürgen eingeführt.
Im V erm erk des im Jahre 1564 in H erm annstadt/S ibiu beschlossenen A rtik e ls
der T ö p fe rz u n ft können w ir lesen: ‫ ״‬D ie Bleschlender sollen fre y sein ungegliste
(= unglasierte) A rb e it in die Stadt auf die Marktage tzu bringen, und tzu verkau-
fen, w ie sie mögen, im Land aber sollten sie keine um bher führen, bey verlierung
derselben“ 12. Daß auch glasierte Keram ikware der rumänischen Fürstentüm er in
Siebenbürgen begehrt war, bezeugt folgendes Beispiel. A ls im Jahre 1619 der
B litz in den Herm annstä^ter K irc h tu rm einschlug und das Dach zerstörte, gab
der Herm annstädter Stadtrat ‫ ״‬weiß, blau, grün und ro t glasierte Dachziegeln“
nicht bei den zünftigen T öpfern der Stadt in A uftrag, sondern jenseits der Karpa-

11 I. Sabãu: Relatiile politice d intre M oldova si Transilvania in tim p u l lu i Stefan cel Mare. In: Studii
cu p riv ire la Stefan cel Mare. Bucuresti 1956, S. 225— 227.
12 A . E ichhorn: D ie Töpfer. In: M itte ilu n g des Burzenländer Museums IV (1940) 69— 85.
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Interethnische Beziehungen im Töpferhandwerk Siebenbürgens 147

T elle r — Blau auf weißem G rund.


Rumänisches T öpferzentrum , Tohan,
19. Jh. (Arbeitete fü r sächsische
Bevölkerung aus dem Burzenland.)

ten, in Curtea de Arge§. Auch aus dem 19. Jahrhundert kennt man w ertvolle
Keramikgefäße, die aus dem A ltre ich eingeführt wurden und noch den Zollstem -
pel aufgeklebt haben.
In Analogie zu r V ö lk e rs tru k tu r Siebenbürgens gibt es, wie w ir sehen, eine
rumänische, eine sächsische und eine ungarische volkstüm liche Z ie rke ra m ik,
eine O rdnung, die auch heute als natürliche, historisch und k u ltu re ll bedingte
Klassifikation gerechtfertigt erscheint. Eine ethnische Z uordnung ergibt sich aus
einer eingehenden sozial-kulturellen Analyse der Lebensweise und S achkultur
der betreffenden nationalen G ruppen, wobei das Charakteristische in Formge-
bung, Verzierungstechnik und -stil, Oberflächenbeschaffenheit und fu n k tio n e l-
1er Bedeutung bei der Eingliederung des Keram ikm aterials beachtet werden muß.
M it Rücksicht darauf lassen sich Ballungszentren ethnischer Kulturgebiete aus-
machen, wie beispielsweise das Gebiet um Hatzeg, um das Bihorgebirge und das
Birgäu-Tal fü r rumänische Zierkeram ik, Reps/Rupea, Schäßburg/Sighi§oara und
Umgebung fü r sächsische und das Szeklergebiet fü r ungarische K eram ik. Z w i-
sehen diesen liegen Ubergangszonen, deren Erzeugnisse n u r schwer dem E influß -
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148 Horst Klusek

bereich des einen oder anderen Zentrum s eindeutig zugeordnet werden können.
Das Fehlen eines eingehenden Studiums kennzeichnender M erkm ale hat um
die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert einige Heim atforscher dazu verleitet, die
ethnische Zugehörigkeit der Siebenbürger Keramikgefäße nach der N a tio n a litä t
des vermuteten Erzeugers zu bestimmen. Danach gelten z.B. als ungarische Kera-
m ik alle Erzeugnisse ungarischer T ö pfe r, eine Auffassung, die auch heute noch
teilweise verbreitet ist. Dieser Grundsatz mag w o h l fü r die Z e it, da Töpferei
noch Hausgewerbe war, ric h tig gewesen sein, kann aber fü r das zünftige Hand-
w erk, das sich nach dem Gesetz des Angebots und der Nachfrage richtete, nur
bedingt angewandt werden. Aus den M odellbüchern der Schneiderzunft aus
Mediasch können w ir ersehen, daß nach Bestellung auch rumänische und ungari-
sehe Trachtenhosen angefertigt wurden, die nach ih re r Fertigstellung auch rumä-
nische oder ungarische Trachtenstücke blieben, ob w o h l sie von einem sächsi-
sehen Schneider genäht w orden waren. W arum soll es bei der volkstüm lichen
Z ierke ram ik anders gewesen sein? Ungarische T öpfer aus C orund kopieren
heute m it Vorliebe sächsische Z ierkeram ik: W ird sie dadurch zu einer ungari-
sehen Zierkeram ik? W o h l trägt jedes Keramikerzeugnis die H andschrift seines
Schöpfers, die im stilistischen oder technischen D etail zum Ausdruck ko m m t,
doch sind solche Details eher in d ivid u e ll bestim m t und können nicht im m er als
ethnische Stilelemente gewertet werden.

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Archivalische Quellen und ihre Interpretation


zur Differenzierung des Handwerks in Niederbayern
zwischen 30jährigem Krieg und Säkularisation

Fritz Markmiller , Dingolfing

V orbem erkung: Das Symposiumsreferat des Verfassers war frei vorgetragen und
‫ ״‬lebte“ besonders auch durch die ‫ ״‬K o n ve rtie rb a rke it“ des Materials in Bezug auf
Querverweise innerhalb des soziokulturellen Kontextes sowie durch beigegebene
tabellarische Darstellungen via Overhead-Projektion. Nachfolgend w ird deshalb
eine knappe Zusammenfassung im Stil einer kom m entierten Bibliographie und
Q uellenübersicht geboten, die als methodisches Gerüst fü r eingehendere U nter-
suchungen auch in anderen Landschaften dienen kann.

Zeitraum u nd Region der Betrachtung


D ie rund 150 Jahre zwischen 30jährigem Krieg (Wiederaufbau bis zur H ochblüte
des Barock ab etwa 1680) und Säkularisation (Zerschneiden des soziokulturellen
Netzes bisheriger Prägung) erscheinen als zeitliches K o n tin u u m und erweisen
sich als günstig fü r Betrachtung wie Analyse der Gegebenheiten, da a. die Quel-
lenlage aufgrund der Ü berlieferung und Erhaltung in den A rchiven sehr gut ist
und paläographische Kenntnisse zur Ausw ertung in geringerem Maß erforderlich
sind als etwa fü r das M itte la lte r und b. die allgemeinen Verhältnisse gesichert und
politische w ie w irtschaftliche Bedingungen über den fraglichen Zeitraum hin
konstant geblieben sind.
Geographisch erstreckt sich das Betrachtungsgebiet Niederbayern über den
Südosten Bayerns, nördlich und südlich begrenzt von Donau und Inn, westlich
durch eine rein verwaltungsmäßig ausgebildete L in ie zwischen Erdinger Land
und H allertau, im Osten durch den Bayerischen W ald. Breite Flußtäler (z.B.
Donau, Isar), das Tertiärhügelland und das M ittelgebirge des Waldes bestimmen
den landschaftlichen C harakter der Kleinregionen des Raumes. Siedlungsmäßig
ist dieser selbstverständlich an den topographischen Vorgaben orientiert. Bemer-
kenswert erscheint die hohe D ichte zentraler O rte (Städte, M ärkte, H ofm arken)
gegenüber dem dam it w eit weniger ausgestatteten Raum Oberbayern. Diese Ver-
hältnisse stehen in engster V erbindung m it den w irtschaftlichen Gegebenheiten,
wie noch zu zeigen ist.
Politisch, d.h. nach Ju risd iktio n und V erw altung aufgegliedert, erscheint der
größte T e il der Landschaft innerhalb des bayerischen K urfürstentum s der W it-
telsbacher. Kleinere Bereiche waren den geistlichen H och stifte rn Regensburg
und Passau integriert, welch letztere jedoch nicht mehr Gegenstand dieser Dar-
Stellung sein sollen. V ielm ehr sei — nicht zuletzt wegen der einheitlichen Quel-
lenlage — n u r das kurfürstliche T e rrito riu m in die Betrachtung einbezogen. Das
heutige N iederbayern gliederte sich während der hier interessierenden Epoche —
seit 1505 und bis 1803 — in die beiden sogenannten Rentäm ter Landshut und
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150 Fritz Markmiller

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Karte der Landgerichte D in g o lfin g , Landau, Leonsberg, Reisbach und Teisbach


1505-1803
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Archivquellen zur Handwerksgeschichte Niederbayems 151

Straubing, an deren H auptorten sich die Sitze der als staatliche M ittelb eh örd en
amtierenden Regierungen befanden. Diesen unterstanden die in etwa m it unseren
jetzigen Landkreisen vergleichbaren Land- oder Pfleggerichte, die allerdings
neben der Justiz noch weitergehende Verwaltungsaufgaben in den Bereichen
Z o ll, Steuer, M iliz und Staatsdomänen zu erfüllen hatten. M it der sogenannten
Niedergerichtsbarkeit begabt, bildeten Städte, M ärkte und Adels- w ie Kloster-
hofm arken die untere Ebene der Jurisdiktions- und V erw a ltu ng sstruktu r des
bayerischen K urfürstentum s der Barockzeit (s. Karte S. 150).
W ie die Quellen erweisen, stellte diese S tru k tu r jene ‫ ״‬überlieferten O rd n u n -
gen“ gerade auch fü r das H a n d w e rk dar, in denen sich das ‫ ״‬Leben“ der breiten
Bevölkerung — nach einem Term inus des Volkskundlers Leopold Schmidt —
abspielte.

Ferchl, Georg: Bayerische Behörden und Beamte 1550— 1804. In: Oberbayerisches
A rc h iv 53, M ünchen 1908— 1910. — Kom m ission fü r bayerische Landesgeschichte
(Hsg.): Historische A tlanten der niederbayerischen Gerichte. — M a rk m ille r, F ritz :
Entstehung und E n tw icklu n g der Gerichte Landau, D in g o lfin g , Teisbach, Leonsberg
und Reisbach. In: D er Storchenturm 7 (D in g o lfin g 1972) H e ft 13, S. 28— 59. — Ders.:
D ie Beamten des Pfleggerichts D in g o lfin g von 1251 bis 1803. In: ebda., S. 60— 99. —
Bleibrunner, Hans: Niederbayern. Kulturgeschichte des Bayerischen Unterlandes, 2
Bde. Landshut 19822.

Tatsächliche Verteilung der Handwerke


Die Wirtschaftsgeschichte ist geneigt, eine F ik tio n aufrechtzuerhalten, die da lau-
tet: Das flache Land produziert landwirtschaftliche G üter, im zentralen O r t wer-
den diese am M a rk t umgesetzt, w o auch die hier erzeugten gewerblichen Pro-
dukte angeboten sind. Eine derartige A rbeitsteilung entsprach zw ar grundsätz-
lieh den Absichten der Staatsverwaltung und war auch in großen Zügen einstige
W irk lic h k e it — was Globalbetrachtungen angeht. Die Erforschung lokaler und
kleinräum iger Gegebenheiten zeigt aber demgegenüber im m er wieder viel diffe-
renziertere Verhältnisse auf, die in den verschiedensten Bedingungen ihre
Begründung haben. Es erscheint demnach als unerläßlich, sich von der Basis her
in die Dinge einzuarbeiten. Dazu gehört neben der Beachtung geologischer und
topographischer Fakten in Bezug auf die Rohstoffe ganz wesentlich die Erfassung
der relevanten Äußerungen in den Quellen der geltenden Gerichts- und Verw al-
tungsorganisation, da nur über sie der Zugang zu den archivierten O rig in a lu n te r-
lagen und deren Analyse m öglich w ird .
U m zwei Beispiele anzuführen:
— Das Hafnerhandwerk. D e r vorgenannten These zufolge dürfte es dieses fü r
den täglichen Bedarf produzierende H andw erk n u r an den zentralen O rte n
gegeben haben, w o es ja auch tatsächlich bestand. Dagegen finden sich, seit
dem M itte la lte r bezeugt und bis vo r rund 50 Jahren in personeller und pro-
duktionsmäßig hoher Ü berzahl existierend, Handwerksvereinigungen der
H afner v o r allem im K rö n in g , an der Bina wie auch im R ottal, deren Angehö-
rige eben nicht am zentralen O rt, sondern vorzugsweise in ländlichen Sied-
lungen ansässig waren. Ihre Zusammen- und Zugehörigkeit w ie ihre innere
Organisation und A u ß e n w irku n g erschließt sich erst bei A usw ertung der
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152 Fritz Markmiller

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Karte über die W ohnorte der H a fn e r auf dem K rö n in g und der H afner an der Bina
(erarbeitet aus Handwerksarchivalien)

A rchivquellen, die ihrerseits wieder aus dem ehemaligen Funktionsrahm en


staatlicher Jurisdiktions- und V erw altungsstrukturen herauszulösen und dem-
entsprechend zu interpretieren sind (s. obige Karte).

Grasmann, Lambert: H afnerorte im Bereich des K rön in ge r Hafnerhandwerks. In: D er


Storchenturm 10 (D in g o lfin g 1975) H e ft 20, S. 13— 18. — Bauer, Ingolf: Hafnergeschirr
aus A ltba yern (= Kataloge des Bayerischen Nationalmuseums X V ). M ünchen 1976. —
Grasmann, Lambert: K rö n in g e r Hafnerei (= Niederbayern — Land und Leute, 1).
Regensburg 1978. — A lb re ch t, Ludw ig: Das R ottal als Hafnergebiet, ein Ü berb lick. In:
H eim at an R o tt und In n X IV (Eggenfelden 1979) S. 99— 111. — M a rk m ille r, F ritz: D er
K rö n in g in älteren bayerischen Landesbeschreibungen. In: D er Storchenturm 18 (D in-
golfing 1983) H e ft 35, S. 2— 15.
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Archivquellen zur Handwerksgeschichte Niederbayems 153

— Das M alerhandwerk. Dasselbe Quellenm aterial zuzüglich weiterem (s.u.) ist


zu benutzen, wenn über die räumliche V erteilung künstlerisch-kunsthand-
w e rklich tätiger Einzelpersonen bzw. W erkstätten A ufschluß geschaffen wer-
den soll. Gerade hier bei den M alern, deren Erzeugnisse sich heute großer
Wertschätzung erfreuen, erweisen exakte Quellenstudien, daß daran nicht
bloß singuläre K ünstler beteiligt waren, sondern vielm ehr ganz wesentlich
eine breite Schicht der handw erklich verfaßten Zunftangehörigen in den ver-
schiedenen O rte n die barocke M a lk u ltu r getragen hat. D ie räum liche D iffe-
renzierung besteht dabei lediglich darin, daß sich die W erkstattsitze zw ar an
zentralen O rte n befanden, diese jedoch eine wenn auch geringfügig voneinan-
der abweichende Rechtsqualität hatten; künstlerisch-könnerische A bstufun-
gen sind daraus allerdings kaum nachzuweisen (s. Karte S. 154).

M a rk m ille r, F ritz (Hsg.): Barockmaler in Niederbayern. D ie Meister der Städte,


M ärkte und H ofm arken (= Niederbayern — Land und Leute, 6). Regensburg 1982.

Quellenmaterial
Nochm als sei betont: In erster Linie kom m en fü r Primärforschungen jene U n te r-
lagen in Betracht, die als schriftlicher Niederschlag der Gerichts- und Verw al-
tungstätigkeit relevanter Behörden erhalten sind, deren A u ffin d u n g in den spe-
ziellen A rchiven jedoch die Kenntnis der politischen S tru k tu r wie der aufgrund
ih re r Aufgaben stru kturierten A rc h iv k ö rp e r voraussetzt.
A ls Behörden m it einschlägigem M aterial kom m en in Frage:
— Rentamt/Regierung. Mandate und Patente, d.h. offizielle Verlautbarungen,
Gebote und Verbote im Bereich allgemeiner und spezieller W irtschaftsver-
hältnisse, diesbezüglicher Schriftverkehr von und zur Oberbehörde (H o fra t,
H ofkam m er) sowie von und zu den Landgerichten bzw. anderen Rentäm tern.
— Land-/Pfleggencht. W eiterleitung der vom Rentam t überm ittelten Schriftsätze
an die Niedergerichte, Überwachung der D urchfü hru ng , Vorschlag und
Überwachung von Handwerksordnungen, Abgabe von Stellungnahmen und
Gutachten, Schlichtung von Streitigkeiten der H andw erker untereinander
sowie m it Pfuschern und Störern, Strafverfolgung letzterer und von Vergehen
der etablierten Zünfte (s. Faksimile S. 155).
— Stadt-/Marktrau E rteilung des Bürger- und Handwerksrechts bzw. von Son-
derkonzessionen, Handhabung der Gewerbepolizei, Steuererhebung, Rege-
lung von H andwerksstreitigkeiten am O rt, In ve n tu r von Vermögen und
Fahrnis in bestimmten Erbfällen.
— Hofmarksgencht Anfallende Q uellen wie oben.
D ie Lageorte dieser Q uellen sind bei staatlichen Organisationen das Bayerische
Hauptstaatsarchiv München und das Staatsarchiv Landshut; bei kom m unalen
Organisationen die Stadt- bzw. M arktarchive an den jeweiligen O rte n; und bei
Hofm arksorganisationen die H ofm arksarchive — soweit noch vorhanden — bei
den w eltlichen Rechtsnachfolgern bzw. als deren Depots im Staatsarchiv Lands-
hut, bei geistlicher H e rk u n ft infolge Säkularisation vorzugsweise im Bayerischen
Hauptstaatsarchiv München.
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HOFMARKEN
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— 6RENZEN DER RENTÄMTER
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____ GRENZEN DES REGIERUNGSBEZIRKS
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ГК4
Archivquellen zur Handwerksgeschichte N iederbayem: 155

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A b sch rift der H andw erksordnung der Schneider


Textausschnitt aus dem ‫ ״‬Bestett-B uch“ des M arkts V ilsbiburg, 1575

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156 Fritz Markmiller

H in z u kom m en handwerkseigene Q uellen, fü r die anzumerken ist, daß nach


A uflö su n g der die alten Handwerksorganisationen fortsetzenden Gewerbever-
eine des 19. Jahrhunderts (1868) das A rchivm ate ria l n u r zum geringen T e il in
öffe n tlich e n Besitz gelangte. Vieles ging einfach verloren bzw. w urde vernichtet,
anderes verblieb bei Nachfolgegruppen wie Innungen und Traditionsvereinen.
Es handelt sich vorzugsweise um:
— U rku n d e n : O riginale der O rdnungen, Kaufverträge zu G rundstücken und
Kapitalien.
— A k te n : S chriftverkehr m it auswärtigen gleichartigen oder anderen Handwer-
ken, A uskünfte und Gutachten, Ausstellung von H andwerksbriefen (Zeug-
nisse, Kundschaften).
— Bände: Sammlung von O rdnungen, Rezessen (Rechtssatzungen aufgrund von
Schlichtung in einem Streit), Mandaten und Patenten, Meister- und Gesellen-
bücher, Lehrlingsaufnahmsbücher, M em orialbücher, Inventare und sonstige
Verzeichnisse (s. Faksimile nebenstehende Seite).
— Rechnungen: Rapulare (Konzepte) und Reinschriften der jährlichen Rech-
nungsablage, diesbezüglicher Schriftverkehr.

Zugehörigkeit und Geltungsbereiche der Fiandwerke


Aus dem vorgenannten Q uellenm aterial lassen sich diverse Einzelheiten, dar-
überhinaus Regionalstrukturen, Strömungen und Tendenzen einstiger Hand-
w e rk s -W irk lic h k e it ersehen, die bisher — w eil nicht als erforschenswert erachtet
— kaum bekannt sind. Diese letztere Feststellung braucht jedoch erfreulicher-
weise n ich t fü r Niederbayern zu gelten, da fü r diesen Raum bereits eingehendere
Untersuchungen des Verfassers und anderer A u to re n vorliegen. Im folgenden
sollen n u r einige wenige Aspekte herausgehoben werden.

1. Reguläre Handwerksorganisationen . Aus den Q uellen erschließen sich soge-


nannte Hauptladen an den Regierungssitzen und Viertelladen an den Land-
/Pfleggerichtssitzen (‫ ״‬Lade“ ‫ ־‬Behältnis fü r Barschaft und D okum ente = Sym-
bol des Handwerks). D er räumliche Einzugsbereich letzterer w ar nicht im m er
konstant. Je nach A nzahl der M itglieder eines Handwerks waren auch mehrere
G erichte zu einer Lade zusammengefaßt. V o r allem im Zug der Reformen des
Gewerbewesens unter K u rfü rst Max III. Joseph ab 1765 kam es zu U m stru ktu rie -
rungen innerhalb der Rentämter.
So waren etwa die Z im m erer in der Regel p ro Lade an den U m g riff des betref-
fenden G erichts gebunden (viele Angehörige, da auf dem Land fast ausschließlich
H olzbauten), während z.B. die M aurer wesentlich großräum iger organisiert
waren (im Rentam t Landshut teilten sich n u r die zwei Laden D in g o lfin g und
Landshut in das ganze Gebiet). F ü r die Bader und W undärzte bestanden im glei-
chen Rentam t vier Laden (s. Karte S. 158).
Wegen der Zugehörigkeit zu solchen Laden kam es allenthalben und ständig
zu Auseinandersetzungen. Die Regierungen nahmen U m verteilungen vo r oder
bestätigten die herköm m lichen Verhältnisse. Als wesentliche G ründe fü r diese
Vorgänge sind festzuhalten: Identität zwischen Rechtsbereich der betreffenden
Lade und räum licher Ausdehnung der A rbeits- bzw. Lieferungsberechtigung des
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Archivquellen zur Handwerksgeschichte Niederbayems 157

Namensliste eines Teils der als ‫ ״‬Gäumeister“ bezeichneten auswärtigen M aurerm eister
der D ingolfinger Handwerks-Viertellade aus der 2. H älfte des 18. Jahrhunderts (überliefert
im Handwerksbuch)
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158 Fritz M arkmiller

Karte m it den W ohnorten der M aurer- und Z im m ererm eister der D in g o lfin g e r Viertellade
während des 18. Jahrhunderts (erarbeitet aus H andw erks- und M em orialbuch)
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Archivquellen zur Handwerksgeschichte Niederbayems 159

ih r zugehörigen Handwerkers, demgegenüber günstigere/ungünstigere Lage der


R ohstoffe u n d /o d e r der Verkehrsverbindungen.
Unterschiede hinsichtlich ih re r Rechtsqualität sind zwischen H aupt- und Vier-
telladen n ich t zu erkennen, soweit dies ihre räum liche Existenz und ihren Ein-
zugsbereich betraf; da bestanden sie gleichberechtigt nebeneinander. Dagegen
kam ersteren doch auch die Eigenschaft von Dachorganisationen in Handwerks-
angelegenheiten zu; vielfach mußten — quasi als A nerkennung dieser F u n k tio n
— die Vorstände der Viertelladen bei den Hauptjahrtagen ih rer Hauptladen
erscheinen. D ie Bader der Eggenfeldener Viertellade hatten laut ih rer O rd nu ng
(1750) M eisterw erdung und Lehrlingsaufnahme v o r der Hauptlade in Landshut
zu vollziehen. Anders waren von den M eistern verschiedener Berufsstände soge-
nannte Aufleggelder fü r die bei ihnen beschäftigten Gesellen an die betreffende
Hauptlade zu entrichten.

W eind l, Hans: Beiträge zur Geschichte des H andw erks und der Z ünfte [im ehem. L K
Landau]. In: Landauer Heim atbuch. Landau 1958, S. 138— 150. — Ders.: Beiträge zur
Geschichte des H andw erks und der Z ü n fte [im ehem. L K V ilsbiburg]. In: D er Land-
kreis V ilsb ibu rg. V ilsb ib u rg 1966, S. 115— 128. — M a rk m ille r, F ritz: D ie M aurer- und
Zim m ererm eister der Handwerks-Viertellade zu D in g o lfin g . In: Verhandlungen des
H istorischen Vereins fü r Niederbayern 98 (Landshut 1972) 70— 82. — Haushofer,
Josef: Z u r O rganisation der H andw erke im südöstlichen Niederbayern. In: D er Stör-
chenturm 7 (D in g o lfin g 1972) H e ft 14, S. 1— 22. — M a rk m ille r, F ritz: N o tize n zum
H a nd w e rk der Binder in Landau und D in g o lfin g . In: D er Storchenturm 11 (D ingo l-
fin g 1976) H e ft 22, S. 66— 75. — Ders.: Katalog zur Ausstellung ‫ ״‬A lte Handwerkszei-
chen“ . In: ebda., S. 96— 126.

2. Sonderformen. D ie hier skizzierte reguläre O rganisation der Handwerke, von


der staatlichen O b rig k e it ins Leben gerufen, unterhalten und beaufsichtigt,
wurde jedoch s tru k tu re ll durchbrochen von ebenfalls o b rig ke itlich sanktionier-
ten Sonderform ationen. H ie r handelte es sich besonders um Einzelpersonen und
Personengruppen aus dem Betätigungsfeld K unst-H andw erk. Sie waren grund-
sätzlich n icht der räumlichen oder rechtlichen Verfassung der Laden unterw or-
fen, sondern genossen aufgrund spezieller P rivilegierung ‫ ״‬H ofschutz“ oder
‫ ״‬H ofb e fre iu n g “ ; daneben gab es verschiedentlich Sonderkonzessionen. Im
Bereich N iederbayern fallen unter diese Kategorien vo r allem Maler, Bildhauer,
Stukkateure, aber auch Baumeister (‫ ״‬welsche M a u re r“ ), Zinngießer und H afner
(Kannenbäcker in Peterskirchen) (s. Karten S. 160 und 161).

M a rk m ille r, F ritz : Welsche M aurer, K a m in keh rer und K räm er in D ing olfing. In: D er
Storchenturm 5 (D in g o lfin g 1970) H e ft 10, S. 56— 68. — Freudenberg, Elisa z u /M o n d -
feld, W o lfra m zu: Altes Z in n aus N iederbayern, 2 Bde. (= Niederbayern — Land und
Leute, 4— 5). Regensburg 1982/83. — A lb re c h t, Lu d w ig: H e rk u n ft und Genealogie der
Kannenbäcker und Pfeifenmacher zu Peterskirchen im R ottal. In: D er Storchenturm
16 (D in g o lfin g 1981) H e ft 31, S. 29— 64.

Differenzierung innerhalb der Handwerke


D ie D ifferenzierung innerhalb der H andw erke ergibt sich aus verschiedenen
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160 Fritz Markmiller

D ie niederbayerischen Kannenbäcker und Pfeifenmacher


К ап е m it Lage der Ausgangsorte H ö h r und Grenzhausen sowie der neuen H eim at Peters-
kirchen

Kategorien und Tätigkeitsfeldern der jeweiligen Meister. W ir können als w ichtig-


ste herausheben:
1. Unterschiede nach dem Status. D ie in Städten ansässigen Meister werden in
aller Regel als ‫ ״‬Stadtmeister“ bezeichnet. Den Q uellen zufolge hatten sie das dor-
tige Bürgerrecht, mindestens aber das Beisitzrecht empfangen. Sie konnten je
nach Ansehen, Prestige und Vermögen in einem der G rem ien kom m unaler
Selbstverwaltung (Innerer, Äußerer Rat, Gemeindeausschuß) das passive und das
aktive W ahlrecht ausüben, d o rt ihren Interessen gemäß agieren und die vielfälti-
gen w irtschaftlichen, sozialen und kulture lle n M öglichkeiten des zentralen Ortes
nutzen wie auch sie im Rahmen der allgemeinen Situation gestalten. D e r Stadt-
meister fand in seinem H a n d w e rk regelmäßig den H a u p tb ro te rw e rb und w ar auf
keine weitere B erufstätigkeit angewiesen.
Dem entsprachen auch die Lebens- und Arbeitsverhältnisse jenes Handwerks-
meisters, der in einem M a rk t ansässig war, wenn auch hier der sozioökonom i-
sehe Handlungsspielraum gemäß dem geringeren U m fang des Gemeinwesens
beschränkter ausfiel. Dieser Gewerbetreibende tru g allerdings die Bezeichnung
‫ ״‬Landm eister“ wie alle anderen in den H ofm arksorten oder sonst ‫ ״‬im Gäu“
(‫ ״‬Gäumeister“ ) lebenden auch. Letztere konnten neben ihrem H a u ptb e ru f noch
als N ebenerw erbslandw irte zur Selbstversorgung tätig sein. D ie Gesellen ver-
schiedener, v o r allem saisonabhängiger Berufe traten über den W in te r bei ande-
ren Meistern ein, um ih ren Lebensunterhalt zu sichern (Maurer-Brauknechte,
Zim m erer-Taglöhner).
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Archivquellen zur Handwerksgeschichte Niederbayem: 161

Karte m it H e rku n ftso rte n der im 16./19. Jahrhundert in der Stadt D in g o lfin g tätigen wel-
sehen M aurer, K am inkehrer und K räm er
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162 Fritz Markmiller

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‫ ״ * ׳‬c f Nachweis der Handwerks-

.4 ■ und G ew erbestruktur — hier


des Marktes Reisbach —
Beispiel einer Liste von 1690

.. t . b y

26 Nahrungsmittelgewerbe: 10 Bierbrauer, 2 W irte , 7 Bäcker, 6 Metzger, 1 G ärtner


35 Bekleidungsgewerbe: 8 W eber, 4 Tuchm acher, 1 Tuchscherer, 2 Färber, 5 Schnei-
der, 1 H utm acher, 1 S tru m p fw irk e r, 6 Schuhmacher,
2 Lederer, 2 W eißgerber, 2 Sattler, 1 Seiler
18 Baugewerbe: 2 Schreiner, 2 Wagner, 2 Binder, 1 Drechsler, 4 Zim m er-
leute, 1 Schlosser, 3 Schmiede, 1 Glaser, 2 H afner
5 Handelsgewerbe: 5 K räm er
Sonstige: 1 Bader, 1 M arktschreiber, 1 G e rich tsp ro ku ra to r (und Leh-
rer), 1 Kastenstreicher, 15 Tagw erker
84 Z usam m en
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Archivquellen zur Handwerksgeschichte Niederbayems 163

M a rk m ille r, F ritz : Das ehrsame H a n d w e rk der Schreiner, Schlosser, U h r- und Büch-


senmacher zu D in g o lfin g . In: D er S torchenturm 1 (D in g o lfin g 1966) H e ft 1, S. 2— 40.
— Blank, H einz: Das Z u n ftb u ch der Bäcker und der Bierbrauer von Gangkofen. In:
H eim at an R o tt und In n . Eggenfelden 1967, S. 9— 11. — Grasmann, Lambert: D ie Bild-
hauer- und M aurerm eisterfam ilie W agner aus Landau und Vilsbiburg. In: D er Stor-
chenturm 9 (D in g o lfin g 1974) H e ft 18, S. 29— 44. — M a rk m ille r, F ritz: D ie H afne r in
der Stadt D in g o lfin g . In: D er S torchenturm 10 (D in g o lfin g 1975) H e ft 20, S. 33— 43.
— Grasmann, Lam bert: D ie H afner im M a rk t V ilsbiburg. In: ebda., S. 44— 55. — Adels-
berger, Bärbel/Schierl, W o lf A ./A delsberger, Paul: Das Lodererhandwerk. Beiträge
zur Geschichte der Stadt Erding. In: E rdinger Land 2, O ttenhofen 1978. — Vareka,
K arl: V o n alten Brauhäusern und Gaststätten in V ilsbiburg. In: Sonderheft 2 zu D er
Storchenturm (D in g o lfin g 1978) S. 29— 40.

2. Nach Produktion und wirtschaftlicher Situation. D ie Q uellen, besonders jene


der kom m unalen A rch ive , gestatten ohne weiteres eine genaue D ifferenzierung
nach Handw erks- und Gewerbezweigen in den Bereichen N ahrungsm ittel,
Bekleidung, Bau, Dienstleistungen und Versorgung. Aus Steuerlisten der K om -
munen — meist jä h rlich angelegt — , Hofanlagsbüchern und Hauptsteuerbe-
Schreibungen der Landorte (1721, 1752) lassen sich Vermögen, Beschäftigtenzahl
und P ro d u ktio n sm itte l, d.h. die allgemeine w irtschaftliche Situation des Einzel-
betriebs ebenso entnehmen w ie im Zusammenhang m it dem O r t und den Berufs-
kollegen bzw. anderen H andwerksleuten sehen. Ferner kann das M aterial m it
dem w eiterer O rte innerhalb desselben Landgerichts verglichen werden, könnten
großräumigere Feststellungen getroffen und Erkenntnisse bei Bearbeitung meh-
rerer oder säm tlicher G erichte eines ganzen Rentamts gewonnen werden (s. Fak-
sim ile S. 162 und Tabellen S. 164 und 165).
Bereits auf der bislang aufbereiteten, aber noch schmalen Quellenbasis vermag
man einige grundsätzliche Aussagen zu treffen, etwa zur w irtschaftlichen Potenz
und der daraus folgenden D o m ina nz des Nahrungsmittelgewerbes, zum zahlen-
mäßigen Ü bergew icht des Bauhandwerks und des Bekleidungsgewerbes (Schu-
ster, Schneider, W eber) auf dem flachen Land. D ie Versorgung der Bevölkerung
m it den notwendigen G ütern, ja sogar m it Luxuswaren, aus handw erklicher Pro-
d u k tio n ist den Q uellen zufolge während des Betrachtungszeitraumes stets gesi-
chert gewesen. A llerdings stützen diese Erkenntnisse vorerst n u r wenige, dafür
exakt aus A rch ivm a te ria l erschlossene A rbe ite n (s. Tabellen S. 166— 169).

Sigrid H in ke lm a n n : D ie Bürgeraufnahmen der Stadt D in g o lfin g von 1743 bis 1808. In:
D er Storchenturm 5 (D in g o lfin g 1970) H e ft 10, S. 20— 31. — Haushofer, Josef: D ie
erwerbstätige Bevölkerung des M arktes Reisbach im Jahr 1690. In: D er Storchenturm
8 (D in g o lfin g 1973) H e ft 15, S. 42— 50. — M a rk m ille r, F ritz : Hersteller und Lieferan-
ten im Bezugsfeld ‫ ״‬T racht und M ode“ . In: D er Storchenturm 18 (D in g o lfin g 1983)
S. 7 5 -1 2 1 .

3. Nach Produktion und Absatz . U m diese Kategorie nutz- und anwendbar zu


machen, sei zuerst ein B lick zurück auf den Status der M eister geworfen. E in in
der Stadt ansässiger verfügte generell über das Recht, n icht nur d o rt, sondern
auch in dem seiner Viertellade zugehörigen U m la n d zu arbeiten, d.h. zu den dor-
tigen Kollegen seiner eigenen H andw erksorganisation in K o n ku rre n z zu treten.
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164 F ń tz Markmiller

Wirtschaftliche and soziale Struktur des Dingolfinger Pfarrvolks 1734


Berufsstände Stadt Schwaigen Land zusammen Prozent
B e k le id u n g s g e w e rb e 352 17 56 425
N a h ru n g s m itte lg e w e rb e 349 25 7 381
B a u -, H olz- u . M e ta U b e a rb e ltu n g sg e w . 231 10 21 262
Gewerbe 942 52 84 1068 35,2
K n e c h te 70 20 56 146
M äg d e 154 47 67 268
T ag w erk er 232 23 53 308
H ü te r 10 16 4 30
M a u re r (ohne M eister) 57 57
Z im m e re r (o h n e M eister) 38 3 19 60
Dienstboten und Tagwerker 541 109 199 869 28,6
B a u ern 15 248 399 602
W in z e r 7 7 14
Landwirtschaft und Weinbau 22 248 346 626 20,6
A lle in s te h e n d e F ra u e n 176 22 28 226
In sa ss e n d e r S p itä le r 55 5 60

Berufslose, Alte und Kranke 231 27 28 286 9,4


G e istlic h e 9 9
S taa U ich e B e a m te u n d D ie n e r 39 6 45
S tä d tis c h e B e a m te u n d D ie n e r 46 46
M e d iz in a lb e ru fe 20 6 26

Führungsschicht und Intelligenz 114 12 126 4Д


B o te n 20 3 23
M u s ik e r 31 4 18 43

Sonstige 51 4 11 66 2Д
Gesamtes Dingolänger Pfarrvolk 1901 450 680 3031 100,0

Diese dagegen durften — von besonderen Ausnahmen, etwa bei Versorgungseng‫־‬


passen, abgesehen — n ich t in die Stadt liefern. Diesen V orschriften zuw iderlau‫־‬
fende Handlungen fü h rte n zu Auseinandersetzungen m it schriftlichem Nieder-
schlag: Dem Forscher steht dam it heute eine Fülle von Q uellenm aterial zur Ver-
fügimg.
Des weiteren berichten bestimmte P unkte in H andwerksordnungen davon,
daß Stadt- und Landmeister des gleichen Berufszweiges in A r t, Um fang, Form ,
M aterial und W ert verschiedene D inge hergestellt haben (Belege z.B.: A nforde-
rungen an Meisterstücke). A uch im S chriftverkehr m it Behörden tauchen im m er
w ieder entsprechende H inw eise auf. D e r Stadtmeister etwa fertigte denselben
Schrank m it edlem oder schlichtem F u rn ie r, auf F u rn ie ra rt gebeizt bzw. gestri-
chen oder roh fü r deckenden A n s tric h je nach Bedarf, Nachfrage und finanzielle
Einsatzbereitschaft des Kunden, ob dieser nun Beamter oder Ratsherr in der
Stadt, H ofm arksherr auf einem Landschloß, Bürger höheren oder niederen Stan-
des in Stadt- und M a rk t, Bauer, Häusler oder Taglöhner war. Dem Landmeister
blieb ein derartiger U m fang des Absatzgebietes unerreichbar. A be r auch er pro-
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Archivquellen zur Handwerksgeschichte Niederbayems 165

Gewerbestruktur der Pfarrei Dingolfing im Jab r 1734


Bekleidungsgewerbe Personen Bau-, Holz- und Metall-
W eber 74 bearbeitungsgewerbe Personen
T uchm acher 50
T u c h s c h e re r 18 D re c h s le r 13
B o r te n w ir k e r 8 S c h r e in e r 14
Z eugm acher 8 Z im m e r m e is te r 7
S tr u m p f s tr ic k e r 10 R o s e n k ra n z m a c h e r 4
S c h n e id e r 76 K ö r b lz e in e r в
N ä h e r in n e n 8 B u c h b in d e r 3
F ärb er 10
L e d e re r 22 W agner 18
W e iß g e rb e r 22 S c h lo sse r 13
K ü r s d in e r 8 S p e n g le r 3
S chuhm acher 69 S ie b le r 3
H andschuhm acher 8 B in d e r 15
S a ttle r 14 S c h m ie d e 19
H u tm a c h e r 9 N a g e lsc h m ie d e 7
P e rü c k e n m a c h e r 4 M e sse rsc h m ie d e 7
S eU er 7 K u p fe rs c h m ie d e 7
B ü ch sen m ach er 2
z u sa m m e n 425 N a d le r 5
G o ld sc h m ie d e 5
Nahrungsmittelgewerbe G e s c h m e id m a c h e r в
M ü lle r G ü r t le r 5
53 Z in n g ie ß e r 6
B äcker 57
Z u c k e rb ä c k e r 3 S c h le ife r 5
L e b z e lte r 5 H afn er 5
K öche 3 G la s e r 9
B r a u e r, W irte 106 S a lite r 20
M e tz g e r 41 S e if e n s ie d e r 5
O b s tle r 3 P e c h le r 35
G ä r tn e r 35 K a m in k e h r e r 4
F isc h e r 33 M a u r e r m e is te r 7
H a n d e ls le u te 42 Z ie g le r в
z u sa m m e n 381 zusam m en 262

duzierte ähnlich differenziert fü r den P farrherrn, den W irt und den Bäcker im
H o fm a rk s o rt wie fü r die Bauern, Häusler und Taglöhner seines kleineren W ir-
kungsbereichs.
Derartiges galt allgemein, wenn R ohstoffe und P ro d u ktio n sm itte l n icht lokal
gebunden, sondern aus eigenem Besitz oder H erstellung bzw. über den Handel ver-
fügbar waren. D ie H afner auf dem K rö n in g oder jene zu O bernzell konnten dage-
gen n u r in und m it der betreffenden Landschaft existieren, die ihnen die Erwerbs-
grundlagen zu bieten verm ochte. Diese Bedingungen w irk te n sich deshalb von
A nbeginn auf Rechtsverhältnisse, Handwerksorganisation, Absatz und V ertrieb
aus. D ie V erfügung über die R ohstoffe stellt allerdings ein noch kaum erforschtes
Gebiet innerhalb der Handwerksgeschichte n ich t bloß des K rö n in g dar.

Stieber, Paul: Die K rö n in g e r H a fn e r-O rd nun g von 1428 (= Schriften des Deutschen
H afner-A rchivs, 6). M ünchen 1972. — M a rk m ille r, F ritz : D er Streit zwischen den K rö -
ninger und D ing o lfing e r H afnern 1698 bis 1708. In : D e r Storchenturm 10 (D in g o lfin g
1975) H e ft 20, S. 19— 32. — Grasmann, Lam bert: Handwerksordnungen im M a rk t
V ilsbiburg. In: D er Storchenturm 11 (D in g o lfin g 1976) H e ft 22, S. 16— 27. — M a rk m il-
1er, F ritz : Das D in g olfing e r M etzgerhandw erk und seine O rd n u n g von 1777. In: ebda.,
S. 28— 65. — Ders.: Schriftquellen z u r Trachtenkunde Niederbayerns. In: D er Stor-
chenturm 18 (D in g o lfin g 1983) H e ft 36, S. 1— 22.
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TextU-produzierendc und -verarbeitende Handwerke im Jahr 1734
(Meister, Gesellen / Lehrlinge)

Zeug« Tuch- Tuch- B orten- Strum pf-


L einw eber Tuchmacher S ch n eid er N äherin Färber
w eber scherer w alker macher Stricker

M a tth ia s J o h a n n F ra n z M atthias B e rn h a rd M atth ias M artin G eorg M aria S te p h a n


H an 1/- P u rg e r Z e lln e r S tib el Thum - W eidlnger T h eo d o r W im m er R a in er M ayr
huber 1/1 Im p en b ö ck l/l
G eorg Ignaz L o ren z N. N. F ra n z
S eybolt K âppel B a rth o lo m äu s H lp p o lt 1/1 G ro sö i -/1
R eisinger 3/‫־‬ M agda-
P a u lu s A nton le n a
P ra x e n - Jo h a n n LiX 2/1 P rü c k -
th a lle r 1/- R eisin g er 2/1 ner
F ra n z A n to n
G eorg M aria A nna
W isen b erg er
Puz 2/- F e u ra b e n t N id er-
W we. 1/‫־‬ F ra n z X a v e r тауг
S e b a stia n H o fen ed er 1/1
H o lzleltn e r 1/- A nton
KCrempl B e rn h a rd
M a rtin H o fen ed er 1/1
D iedi 2/- F ran z A nton
T h u rn - M ark u s
M a tth ia s huber 2/- Spiess 2/-
E gger
B arth o lo m äu s M atth ias
P h ilip p R ab en sp erg er L o b m ay r
S ezen w eln l/l
Jo sep h W olfgang
E va Schttpf F e u ra b e n t 1/‫־‬ M ay rh o fer
W we. 1/-
S eb astian M atth ias
N lderm ayr 2/1 K e m n e te r 2/1
D ionysius
G ig lsp erg er 1/-

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Archivquellen zur Handwerksgeschichte Niederbayems 167

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<1 Gewerbe- und H and w erksstruktur der Stadt D in g o lfin g im Bereich Bekleidung vom Jahr
1734 (erarbeitet aus einer Seelenstands-Beschreibung des Pfarramts)
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Textil-produzierende und -verarbeitende Handwerke im Jahr 1787
(Meister / Steuersatz)
Tuch- Tuch- Tuch- B orten- S trum pf- «Schneider
w ... Nä-
L einw eber ZeUg‫־‬ F ärb er
w eber scherer w alker m acher- m acher- Stricker h erln

K aspar A nton W olfgang Jak o b Leopold Joseph Ignaz Joseph


L echner Z ellner StUbls Wwe. P achhueber P rä n tl W ebers A ltenbuchner M ayr
(— fl. 15 kr.) (2 fl. — kr.) (— fl. 30 kr.) (2 fl. 40 kr.) (2 fl. Wwe. (1 fl. — kr.) (5 fl. — kr.)
Georg K arl Joseph — kr.) (1 fl. F ranz Joseph
Kftstl M ayr H olzleuthner — kr.) W im m er R eisberger
(1 fl. 30 kr.) (2 fl. — kr.) <1 fl. 30 kr.) (frü h er (12 fl. 15 kr.)
A ndreas Thom as — fl. 45 k r.
Schmid P uchner je tz t A rm ut
(1 fl. — kr.) (1 fl. 20 kr.) h a lb e r —)
G eorg Joh. G eorg P e te r
Schw arz- R eisinger Schändrl
b erg er (1 fl. — kr.) (1 fl. 15 kr.)
(2 fl. — kr.) Joh. P aul P ete r
M atthäus K alndl W ldm anns
P rä x e n th a lle r <4 fl. 30 kr.) Wwe.
(1 fl. 30 kr.) (1 fl. — kr.)
G ottlieb M axim ilian
H ttckhlnger Pл«feiffer
лт % fe
(1 fl. 15 kr.) (l fl. —‫ ״‬kr.)
A m bros M ichael
P rey Schenn
(1 fl. — kr.) (1 fl. — kr.)
P e te r S ebastian
M ayrhofer H aitzer
(1 fl. 30 kr.) (1 fl. — kr.)
Joseph
Em st
(— fl. 15 kr.)
Lorenz
P ru n e r
(frü h er
— fl. 15 k r.
je tz t w egen
allzu g roßer
A rm ut u n d
U nverm ögen-
h e it —)

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Gewerbe- und Handwerksstruktur der Stadt Dingolfing im Bereich Bekleidung vom Jahr
Leder- (und Filz‫ )־‬produzierende und ■verarbeitende Handwerke im Jahr 1787
(Meister / Steuersatz)
S a ttle r H an d sch u h -
W eiß g erb er L e d e re r S ch u h m ach er K ü rsc h n e r H u tm ach er
(R iem er) m ach er

A dam A n d reas L o ren z L im beck M ichael M a tth ia s F ra n z H olzer ‫ץ‬


E ndham er G ru b e r (frü h e r L obm ayr K a tz e n m a y r (1 fl. 30 k r.) S'
(2 fl. — k r.) (4 fl. — k r.) — fl. 40 k r. (2 fl. — k r.) (2 fl. — k r.) ‫•ייז‬ .
F ra n z X a v e r
1787 (erarbeitet aus der Steuerliste der Stadt)

je tz t w eg en
L eopold P a u l Koch v e rk a u fte m Jo se p h M ichael P a u r Sch re ti £
A u erb ach
(2 fl. — k r.)
‫ י‬fl.
(11 36 k r.)w G e w e rb e re c h t —) W isbeck
(1 fl. 48 k r.)
(1 fl. 15 k r.) (1 fl. 30 k r.)

D om inikus Jo se f K irsc h n e r
N
E n g lb e rt G a rr (1 fl. 20 k r.) G eorg H ainz £
R ise n h u b e r (10 fl. —
k r.)
Jo se p h R ied l
(2 fl. — k r.)
(2 fl. 40 k r.)
G eorg K u lzer (1 fl. — k r.) £а
(2 fl. 45 k r.) S eb astian
G u m p p e n b e rg e r
(1 fl. — k r.) 1аг*‫־‬
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M a rtin
B ra n d m ü lle r 8 ■‫־‬
(1 fl. — k r.) ’
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D avid T h a lle r
(1 fl. 30 k r.)
Jo se p h K o fler
(1 fl. — k r.) £
§ -‫־‬
G eorg LimpÖck
(— fl. 15 k r.)
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Ignaz G raf
(frü h e r — fl. 15 k r.
je tz t w egen
ü b e rg ro ß e r
A rm u t —)

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170 Fritz Markmiller

D en Stadtmeistern m eint man in bestimmten Bereichen — besonders beim Bau-


und K unsthandw erk, dann bei T e xtilie n — eine A r t ‫ ״‬P restigeproduktion“
zuweisen zu können. In w ie w e it eine solche tatsächlich von Bedeutung war, müß-
ten eingehendere Untersuchungen klären. Bei M alern, Bildhauern, Goldschm ie‫־‬
den etwa, die ja keine Serien sondern in der Regel Einzelstücke lieferten, aber
auch bei den Schreinern, z.B. innerhalb des von allen beherrschten Arbeitsfeldes
Kirchenausstattung, verhalfen sicher gute Leistungen, Geschmack und persönli-
che V orlieben der Kunden, Beziehungen und Empfehlungen zu weiteren A u fträ -
gen. D e r K unsthandw erker stellte sich nicht ‫ ״‬auf den M a rk t“ , w ie dies fü r die
übrigen Berufszweige unerläßlich war.

Frankenburger, M ax: D ie Landshuter Goldschmiede. In: Oberbayerisches A rc h iv 59.


M ünchen 1915. — K eim , Joseph: Straubinger Künstler-Verzeichnis. In : Jahresbericht
des historischen Vereins fü r Straubing und Umgebung 52, Straubing 1949. — M a rk m il-
1er, F ritz : D in g o lfin g e r K unsthandw erk vom M itte la lte r bis zur M itte des 19. Jahrhun-
derts. In: D e r S torchenturm 9 (D in g o lfin g 1974) H e ft 18, S. 57— 68. — Ders.: D ie
H irschstetter. Eine niederbayerische Baumeisterfamilie der Barockzeit. In: Beilage
zum A m tlic h e n Schul-Anzeiger fü r den Regierungsbezirk Niederbayern. Landshut
1977, N r . 5, S. 1-25. — Ders.: N o tize n zu r Teisbacher Bildhauerfam ilie Fischer. In: D er
S torchenturm 13 (D in g o lfin g 1978) H e ft 25, S. 33— 36.

D ie ‫ ״‬M assenproduktion“ von H andw erksartikeln kann man im Betrachtungs-


raum besonders an den Erzeugnissen der H afner auf dem K rö n in g studieren.
Grundlage dafür bilden bereits mehrere aus den Q uellen erarbeitete V e rö ffe n tli-
chungen; doch ist auch hier noch vieles erst zu erschließen. D e r gewaltige
U m fang dieser P ro d u k tio n zwang zu sehr spezialisierten Form en der Vertriebs-
organisation. N ic h t bloß der tägliche W ochen- und Jahrm arkt des näheren Ein-
zugsbereichs w ar zu beschicken, sondern auch die großen M ä rkte in H aupt- und
Residenzstädten. Dazu verfrachteten selbständige G eschirrhändler die Ware auf
den Handelsstraßen und zu Wasser über die A lpen nach Süden (s. nebenstehende
Karte).
V o m bayerischen O berland gelangten dagegen H o lz , K alk, T ö lze r M öbel,
Wetzsteine und weitere Rohstoffe per Floß auf der Isar ins Niederbayerische.
A uch dahinter standen Vertriebssysteme, die im Zusam m enw irken zwischen
Lieferant und A bnehm er fu n ktio n ie rte n . Reisende H ändler m it Rohstoffen,
H a lb fe rtig p ro d u kte n , Galanterie- und Zierw aren belieferten das lokale Beklei-
dungsgewerbe in Stadt und Land, auf dem öffentlichen M a rk t und in der W erk-
statt. Dieses erwarb aber in größerem U m fang auch solche Dinge im örtlichen
Handelshaus, das seinerseits m it G roßhändlern im In- und Ausland in Geschäfts-
beziehungen stand.

Grasmann, Lam bert: V e rtrie b der K rön in ge r Hafnerware vom 17. bis zum 19. Jahr-
hunden. In: Sonderheft 1 zu D er Storchenturm (D in g o lfin g 1977) S. 1— 40. — Ders.:
D ie G eschirrlieferung der K rö ning er und der M ünchener H afner an den k u rfü rs tli-
chen H o f. In: D er Storchenturm 14 (D in g o lfin g 1979) H e ft 28, S. 48— 61. — H aller,
Reinhard: Neue Belege zum K rön in ge r Geschirrhandel im Bayerischen W ald. In: Son-
derheft 5 zu D e r S torchenturm (D in g o lfin g 1982) S. 13— 14.

Z u m Erweis der Verhältnisse steht ausreichend Q uellenm aterial bereit.‫ ״‬V on


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Archivquellen zur Handwerksgeschichte Niederbayems 171

TÎEFEN8SACH

NIEDERMLRACH

NÜRNBERG \
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STOllENRIED
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• REGENPEHNSTEÍN \
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lR£6ENS8URG HUM)ERDORF ffcTERSOORF 4
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• TREUCHTIINGEN
STRAUBING ‫א‬

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WEG^CHEIO

• •UNTERGRIES-
^ -y ‫׳‬ BACH

I HAMING B.R1ED

• FREYN B.FRANKEN8G.

/ + SALZBURG
BAD RQCHENHAü# ^ __

4 - ‫" ׳ ׳‬ N. SCHRLEn ÍERG

)f^iWÖRGt *KIRCHDORF
‫׳‬RATTENBERG

HERKUNFTSORTE VON
GESCHIRRHÄNDLERN
UND KRÄMERN 1Ш -19Т7

• STERZINO
• m a RØT
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/R E X H E N
f' '
• ST. MARTIN

• LATSCH LO/Р И

Karte über die Vertriebsorganisation der H afner auf dem K rö n in g während des 19. Jahr-
hunderts (erarbeitet aus Handwerksarchivalien)

hoher Bedeutung sind dabei Kostenanschläge und Abrechnungen ö ffe n tlich e r


Bauten und Verwaltungseinrichtungen. Viele davon, die stets bis zum Äußersten
spezifiziert n o tie rt w urden, haben sich in den staatlichen und kom m unalen
A rchiven erhalten. Sie ve rm itte ln konkrete Einsichten in das Vergabe- und Rech-
nungswesen zwischen Auftraggeber und H andw erker bzw . Lieferant, bringen
eine Fülle von Details zu Preisen, Löhnen, Transportkosten, H e rk u n ft von Roh-
stoffen und Fertigteilen. Im Vergleich lassen sich Angaben zu Preisgefälle, Mate-
rialw ahl, Arbeitsorganisation und vielem anderen anhand von zeitlichen Q uer-
und Längsschnitten machen.
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172 Fritz Markmiller

M a rk m ille r, F ritz : Das Rathaus der Stadt D in g o lfin g 1743— 1838. In : D e r Storchen-
tu rm 6 (D in g o lfin g 1971) H e ft 11, S. 1— 41. — Ders.: Das M a rk tto r in Teisbach. In:
D er Storchenturm 6 (D in g o lfin g 1971) H e ft 12, S. 46— 54. — H aushofer, Josef: Bau-
und Kunstnachrichten über die K irch e Anzenberg 1688— 1771. In : H e im a t an R ott
und Inn. Eggenfelden 1974, S. 92— 102. — Grasmann, Lam bert: D e r Rathausumbau in
V ilsb ib u rg im Jahr 1727. In: D e r S torchenturm 13 (D in g o lfin g 1978) S. 6— 24.

Religiöse Bindung
Abschließend noch ein H in w e is auf die in Betrachtungsraum und -zeit regelmä-
ßig festzustellende religiöse B indung der berufsständischen Handwerksorganisa-
tionen. D ie Q uellen berichten h ie r von Existenz und Rechtsverhältnissen der
Zunftkapellen an Stadt- und M a rk tp fa rrk irc h e n , von Handwerksjahrtagen und
ihren Gottesdiensten, von Prozessionen und Umgängen, deren gestalterisches
Element wesentlich von der Beteiligung der Handwerksvereinigungen bestim m t
wurde. Vielfach bestanden im Zusammenhang m it den Handwerksladen und
unter dem Schutz des H andw erkspatrons Andachtsbruderschaften, die auch
Berufsfremden zum B e itritt offenstanden. F ü r relevantes Q uellenm aterial wären
neben den bereits genannten Staats- und K om m unalarchiven noch jene der Pfarr-
ämter und Diözesen zu konsultieren.

M a rk m ille r, F ritz : Verschollene Zunftgegenstände aus D in g o lfin g . In : D e r Storchen-


tu rm 1 (D in g o lfin g 1966) H e ft 1, S. 52— 54. — Ders.: D ie Statuten der Schuhmacher-
bruderschaft in Reisbach von 1513. In : D e r Storchenturm 11 (D in g o lfin g 1976) H eft
22, S. 76— 82. — Ders.: Das Kerzenbrauchtum der D in g o lfin g e r H andw erke. In: ebda.,
S. 8 3 -9 6 .

Zusammenfassung
Es erscheint als unabdingbar, w ill man der einstigen W irk lic h k e it gerecht wer-
den, von der untersten lokalen und kleinräum igen Ebene auszugehen und alle
einschlägigen Q uellen zu erkunden. Erst das Zusammenfügen m öglichst vieler
der erreichbaren Bausteine im kulturh isto risch en K o n te x t bildet die Grundlage
fü r das richtige Verständnis der Dinge. Dies g ilt vorzugsweise auf dem weiten
und durchaus noch zu wenig ‫ ״‬beackerten“ Forschungsfeld altbayerischer Hand-
werksgeschichte. D ilettierende Tüm elei m it den heute so nostalgisch geliebten
vo rin d u strie ll gefertigten D ingen — v o r allem solchen verm eintlicher ‫ ״‬Volks-
kunst“ — ist dabei fehl am Platz. Systematische, som it zeitaufwendige, strecken-
weise durchaus trockene, im E ndeffekt jedoch überraschend erfolgreiche Quel-
lenaufbereitung tu t not.

Allgemeine L ite ra tu r:

Hazzi, Joseph: Statistische Aufschlüsse über das H erzogtum Baiern. N ü rn b e rg 1801 ff.
Spindler, M ax (Hsg.): Handbuch der bayerischen Geschichte. M ünchen 1967 ff.
Schremmer, Eckart: D ie W irtschaft Bayerns. M ünchen 1970.

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Sächsische und Thüringer Keramikproduktion
zwischen dem 18. und dem Anfang des 20. Jahrhunderts
— Konstanz und Wandel
(unter besonderer Berücksichtigung des Handwerks)

R u d o lf Weinbold, Dresden

1. Werkstätten u nd Beschäftigte

W enn von der K e ra m ik p ro d u k tio n Sachsens und Thüringens im 18., aber auch
noch im 19. Jahrhundert gesprochen w ird , so bezieht sich das nicht selten auf
die herausragenden Erzeugnisse der M a n u fa ktu r. V oran steht dabei das Porzellan
aus Meißen und einer Reihe von T h ü rin g e r Betrieben. W eiter genannt werden
die Fayencen der — überwiegend — thüringischen W erkstätten. W eniger
bekannt schon ist das Steingut, o b w o h l dieses Genre der K eram ik zu Ende des
18. und während der ersten H ä lfte des 19. Jahrhunderts nachweisbar in knapp
zwei D utzend M anufakturen unseres Gebietes hergestellt wurde.
U n te r den Handwerkserzeugnissen hat v o r allem das Steinzeug aus A lte nb urg ,
Altstadt-W aldenburg, Bürgel, M uskau und Z e itz Beachtung gefunden1, o b w o h l
in diesen O rte n n u r ein T e il der klingend hart gebrannten Ware Sachsens und
Thüringens entstand. Sehr lückenhaft aber w ar — und ist zum T e il auch noch
— das Wissen um die W erkstätten, die sich m it der Erzeugung farbig bemalter
bzw. engobierter und bleiglasierter Irdenware befaßten. Dabei haben neuere
Untersuchungen2 ergeben, daß ihre Zahl beachtlich war. Zwischen 1750 und
1830 betrug sie im D u rch sch n itt mindestens 700 bis 750. Dazu kom m en etwa 150
Steinzeugtöpfereien. D e r überwiegende T e il dieser Kleinbetriebe (knapp 90%) ist
in den Städten nachzuweisen. A b e r möglicherweise verschieben die Ergebnisse
w eiterer Forschungen diese Relation. M e h r als die H ä lfte aller dieser Handwerks-
töpfereien ko n ze n trie rt sich in einigen durch gute R ohstoffvorkom m en begün-
stigten keramischen Zentren in Teilen der O ber- und Niederlausitz, in den
Gebieten zwischen Pleiße, M ulde und W yh ra sowie zwischen Saale und m ittle re r
Elster, im südthüringer, an C ob urg angrenzenden Heldburger Ländchen und an
der m ittle re n W erra m it dem H a u p to rt Gerstungen.
M it der handw erklichen H erstellung von Irdenware und Steinzeug waren um
1800 und danach schätzungsweise 2500 Personen befaßt. Rund 1500 von ihnen,
also 60%, standen als Gesellen und Lehrlinge in Lohnabhängigkeit. Zu ergänzen
ist, daß zu dieser Z e it die Zahl der in den Fayence-, Steingut- und Porzellanmanu-
fakturen sowie m it der A n fe rtig u n g von T onpfeifen Beschäftigten zwischen 1300

1 Zuletzt bei Josef H o rsch ik: Steinzeug im 15. bis 19. Jahrhundert von Bürgel bis Muskau. Dresden
1978.
2 R udolf W einhold: Meister — Gesellen — M anufakturier. Z u r K eram ikp ro d u ktio n und ihren Pro-
duzcnten in Sachsen und T hüringen zwischen 1750 und 1830. In: Volksleben zwischen Z u n ft und
Fabrik. Berlin 1982, S. 168 ff.
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174 R u do lf Weinhold

und 1900 lag. Davon k o m m t allerdings der M eißner M a n u fa k tu r ein erheblicher


A n te il zu. In ih r arbeiteten um 1800 rund 500 Personen. U m 1835 ergibt sich
dann m it jeweils 2300— 2500 Personen ein personeller Gleichstand zwischen
H a n d w e rk und M anufaktur. E r dürfte sich auch danach noch eine gewisse Z e it
gehalten haben.

2. Soziale Organisationsformen

Spezifische Gruppenbildungen sind im 18. Jahrhundert, von einer Ausnahme


abgesehen, n u r beim H andw erk zu beobachten. D ie Töpferm eister organisierten
sich in Berufsgenossenschaften, die in unserem Gebiet vorw iegend als Z ü n fte
bzw. Innungen bezeichnet wurden. Seltener, v o r allem im Osten der O b erla u‫־‬
sitz, taucht dafür die Bezeichnung ‫ ״‬Zeche“ oder ‫ ״‬M itte l“ auf3, die Beziehungen
zum Sprachgebrauch im Schlesischen erkennen läßt. O ft sprechen die einschlägi-
gen A k te n ganz einfach vom ‫ ״‬H a n d w e rk“ .
Bemerkenswert fü r die Frage von Konstanz und W andel ist, daß die Satzungen
dieser Berufsorganisationen bis über die M itte des 19. Jhs hinaus eine n ich t anders
als konservativ zu bezeichnende G rundtendenz manifestieren. Ins Auge springt
das besonders, wenn man in ihren Texten nach dem Niederschlag der im 18. Jh
n ich t seltenen obrigkeitlichen, das H andw erk betreffenden Verordnungen sucht.
W eder das am 31. August 1731 erlassene Patent ‫ ״‬Wegen der A bstellung derer bey
denen H andw erckern eingeschlichenen M ißbrauche“ noch das unser T e rrito -
riu m speziell betreffende kursächsische Mandat ‫ ״‬D ie G eneral-Innungs-A rticul
fü r K ünstler, Professionisten und H andw erker hiesiger lande betr.“ vom 8.
Januar 17804 haben in ihnen m erkliche Spuren hinterlassen. M an z itie rt diese
Anweisungen zwar gelegentlich in den Präambeln der Z u n ftb rie fe ; deren In h a lt
jedoch zeigt, daß alles beim A lte n blieb und dam it n ich t selten im W iderspruch
zu den Erlassen stand.
M it obrigkeitlichen Anordnungen w ar dieser Renitenz n ich t beizukom m en.
Sie w urde w e ith in gegenstandslos, als jene w irtschaftlichen und sozialen U m w ä l-
zungen, die die Krise und das Ende des Feudalsystems herbeiführten, auch die
seit dem M itte la lte r überlieferte Organisation des H andw erks durch die Gewer-
befreiheit aufhoben. Sie setzten sich in unserem Gebiet während der 60er Jahre
des 19. Jhs endgültig durch. W enn dieser sich im Zuge der industriellen Révolu-
tio n vollziehende Wandel auch durch die form ale Beibehaltung des Namens
‫ ״‬In n u n g “ fü r die Berufsgruppe der Meister äußerlich negiert w urde, so täuscht
dies n icht darüber hinweg, daß der traditionelle Inhalt dieses Begriffs in wesentli-
chen w irtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Bereichen n ich t m ehr existierte.
W eit weniger deutlich als die E n tw icklu n g der Innungen ist aus der s c h riftli-
chen Ü berlieferung das Schicksal der Gesellenbruderschaften des Töpferhand-
werks abzulesen. W ir wissen von ih rer Existenz aus den Ratsarchiven einiger

3 Ders.: T ö p fe rw e rk in der Oberlausitz. Berlin 1958, S. 49 f.


4 Codex Augusteus, Zw eyte Fortsetzung, Erste Abtheilung. Leipzig 1805, Sp. 762— 780.
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Sächsische und Thüringer Keramikproduktion im 18.—20. Jh. 175

O berlausitzer Städte5. A uch in Dresden hat möglicherweise eine solche bestan-


den; aus anderen Städten wissen w ir vorläufig noch nichts. D och scheint es, daß
diese vorwiegend sozialen Zwecken dienende O rganisation der Lohnabhängigen
auch in unserem T e rrito riu m tro tz starker Bevorm undung durch die Innungs-
meister und die städtischen Räte vielerorts a ktiv w irk te . In d ire kte r Beweis dafür
ist ein A ntrag, den die Dresdener Töpfergesellen 1874 an die Generalversamm-
lung des Allgem einen Deutschen Töpfervereins stellten. Sie forderten darin
unter anderem die A ufhebung der Bruderschaften6. Diese G ruppierungen waren
damals also noch allgemein bekannt und viele Gesellen dürften auch zu dieser
Z e it noch in ihnen M itg lie d gewesen sein.
Bemerkenswert ist an diesem Vorschlag, über dessen V e rw irk lic h u n g nichts
bekannt ist, noch ein weiteres: E r m arkiert zwar eine Zäsur in der Geschichte
der Gesellenverbände, betont aber auch den Anspruch des damals noch sehr jun-
gen Töpfervereins, deren Interessen in breiterem Maße intensiv w eiter wahrzu-
nehmen. Denn einige seiner bei der G ründung im Jahre 1873 fo rm u lie rte n Ziele
gehen wesentlich über die Bestrebungen hinaus, die die A rtik e l der Gesellenbru-
derschaften zum A usdruck brachten. G efordert werden nunm ehr unter anderem
die V ereinheitlichung der Löhne, der direkte E in flu ß der Gesellen auf die W ahl
des Arbeitsplatzes, die Schaffung von eigenen Unterstützungskassen fü r K rank-
heitsfälle und Streiks sowie M öglichkeiten der E rw eiterung des fachlichen und
allgemeinen Wissens7.
Diese Ansprüche entspringen aus einer gegenüber dem 18. und dem Beginn des
19. Jahrhunderts stark veränderten w irtschaftlichen und sozialen Situation. So ist
es n u r logisch, wenn sich auch in den Statuten des Töpfervereins politisches
Gedankengut der jungen Sozialdemokratie a rtik u lie rt, das dann nach dem Fall
des Sozialistengesetzes im Jahre 1890 von den Gewerkschaften aufgenommen
w ird . Es verbindet zu dieser Zeit bereits lohnabhängige T ö pfe r im H an dw e rk,
den M anufakturen und den Fabriken.

3. Arbeitsm ittel u n d Arbeitsverfahren.

W erkzeug und Gerät der Handwerkstöpferei unseres T e rrito riu m s besitzen,


soweit das erkennbar ist, während des 18. Jahrhunderts noch einige altertüm liche
Züge. A m deutlichsten zeigt sich das am wichtigsten A rb e itsm itte l der F orm -
gebung, der Scheibe.
A lle Indizien sprechen dafür, daß man zu dieser Z e it noch w e ith in an der
Blockscheibe arbeitete. Sie ist seit dem 3. Jahrhundert v o r unserer Zeitrechnung

5 A rtik e l der Bruderschaften liegen v o r von Z itta u 1595, neu bestätigt 1686 (Ratsarchiv Z itta u IV —
Ic — 13 zu N r. 1 — F545), von G ö rlitz 1614 (Zobelsche B ib lio th e k — И. A 22 — В 292 Fol. 22b
ff.) und von Bautzen 1712 (Privatbesitz Töpferm eister Römer, Bautzen). Eine weitere, deren
Schriftgut verlorengegangen ist, wurde um 1700 in Löbau gegründet (Stadtarchiv Löbau, Rep. X X I,
Sect. 20 Loc. I, N o . 14 Fol. 86b und 101a).
6 Adam Drunsel: D ie Geschichte der deutschen Töpferbewegung. B erlin o.J. (1911), S. 67.
7 Ebenda, S. 50.
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176 R u d o lf Weinhold

in Bildern und Texten nachweisbar. V e rm u tlic h w urde das Gerät zuerst im


Nahen Osten verwendet. Es besteht aus einem massiven K o p fte il, auf dem der
T ö p fe r m it beiden Händen seine Ware fo rm t. Dieser Scheibenkopf ist durch
Pflöcke m it einem Schubring verbunden, den der H a n d w e rke r m it kräftigen
T ritte n eines oder beider Füße in kreisende Bewegung setzt. D ie ganze E inrich-
tu n g ro tie rt auf einem im Boden eingelassenen feststehenden Pfahl.
Solche Blockscheiben finden sich noch auf alten, in Museen aufbewahrten
Handwerks- bzw. Hauszeichen des 18. und des beginnenden 19. Jhs, die den T ö p-
fer bei der A rb e it zeigen. A u ch in einen Siegelring, durch dessen A b d ru c k ein
M eister aus der in der westlichen O berlausitz gelegenen Stadt Bischofswerda im
Jahre 1825 seine Zugehörigkeit zur neu gegründeten In n u n g auf der diesbezügli-
chen U rku n d e bestätigte, ist sie eingraviert8.
D och wahrscheinlich ist der letztgenannte Beleg schon E rin n e ru n g an Vergan-
genes, festgehalten auf einem als Petschaft dienenden Erbstück. D enn um die
Wende vom 18. zum 19. Jh hatte die Blockscheibe auch in den entlegenen D ö r-
fern der O berlausitz der heute noch gebräuchlichen Spindelscheibe weichen müs-
sen. Das belegt ein Fußplatt dieses Typs, in das das D atum 1800 — sicher das Jahr
seiner A n fe rtig u n g — geschnitzt ist. Es wurde bis v o r kurzem auf dem Boden
einer W erkstatt des nördlich von Bischofswerda gelelgenen D orfes O ß lin g aufbe-
w ahrt.
Diese Spindelscheibe weist gegenüber ih re r Vorgängerin wesentliche Verbesse‫־‬
rungen auf. Statt des fü r die Blockscheibe charakteristischen Schubringes besitzt
sie eine große, ebenfalls m it den Füßen in Bewegung zu setzende Schubscheibe,
die durch eine senkrechte Achse fest m it dem Scheibenkopf verbunden ist und
sich m it ih r in einem auf dem Boden ruhenden Lager dreht. D ie neue K o n stru k-
tio n verlängerte die Rotationsperiode und gab dem T ö p fe r die M ö g lich ke it, sich
intensiv m it der Gestaltung seiner Erzeugnisse zu befassen. Das kam der Q ualität
der Ware sehr zugute. Zugleich stieg die P ro d u k tiv itä t der A rb e it und m it ih r
die Zahl der in einem Tagewerk hergestellten Stücke. D ie M assenproduktion des
O berlausitzer Braunzeugs, von der noch zu sprechen sein w ird , ist ohne den
neuen Scheibentyp nicht denkbar.
D ie Frage freilich, wann und auf welchem Weg er in die Drehstuben der Hand-
w erker kam , ist beim gegenwärtigen Stand unseres Wissens n ic h t m it Sicherheit
zu beantworten. Den Innungsakten ist darüber nichts zu entnehmen, o b w o h l
diese N o va tio n sicher m it A ufm erksam keit verfolgt w orden ist und n ich t nur bei
Gelegenheit der Quartalsversammlungen zur Diskussion stand. W ir sind hier
vorläufig auf Verm utungen angewiesen.
H e rk u n ft und frühe V erb re itun g der Spindelscheibe sind in großen Zügen
durch die Feststellungen A d o lf Rieths bekannt9. W ahrscheinlich stammt sie
ebenso wie ihre Vorgängerin aus dem Vorderen O rie n t. Nach Europa ist sie —
über das damals zum T e il noch maurische Spanien — w o h l zusammen m it der
M a jolikate chn ik gekommen. Es ist daher nicht auszuschließen, daß sie sich in

1 Stadtarchiv Bischofswerda N r. 1316, Fol. 45 b.


9 A d o lf R ieth: D ie E n tw icklu n g der Töpferscheibe. Leipzig 1939, S. 85 ff.
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Sächsische und Thüringer Keramikproduktion im 18.—20. Jh. 177

unserem T e rrito riu m zuerst in den frühen Fayencemanufakturen gedreht hat,


die hier seit Beginn des 18. Jhs nachzuweisen sin d10; noch ältere Betriebe arbeite-
ten bereits während der zweiten H ä lfte des 17. Jhs in oder um Z itta u sowie in
A rnstadt. D och dürfte die Ausstattung und innere O rganisation dieser frühen
W erkstätten kaum von der des gleichzeitigen H andw erks abgewichen sein und
die fü r die M a n u fa ktu r spezifische A rb e itste ilig ke it noch n icht besessen haben.
Anregungen zur Übernahm e könnten auch von den während des letzten D r it-
tels des 18. Jahrhunderts gegründeten T h ü rin g e r Porzellanm anufakturen ausge-
gangen sein. Selbst M eißner E in flu ß ist zu dieser Z e it n icht m ehr auszuschließen.
D ie ängstlich gehütete E xklu sivitä t der frühen Jahre dieses ältesten europäischen
Zentrum s der P o rze lla n p ro d u ktio n w ar damals bereits aufgegeben worden,
wenn man von bestim m ten Bereichen des A rkan um s und der Glasuren einmal
absieht.
Eigene Wege ist das T öpfe rh and w erk dagegen bis zum 20. Jahrhundert bei der
E n tw ic k lu n g seiner Brennöfen und Brennverfahren gegangen. Dazu w ar es schon
deswegen gezwungen, w eil die H erstellung von Fayence, Porzellan und Steingut
spezielle Brenntechniken und -öfen erforderte. M an konnte und d u rfte sie nicht
kopieren. A uch ihre ko m p lizie rte K o n s tru k tio n machte das unm öglich.
D e r Brand der handw erklich hergestellten Irdenware und des Steinzeugs wurde
schon im 18. Jahrhundert vielerorts im sogenannten Kassler Langofen ausge-
fü h rt. Sein Nam e verweist auf seine H e rk u n ft aus Hessen, möglicherweise aus
dem Bereich der dortigen Steinzeugherstellung. Denn im Brennraum dieses
O fentyps können tro tz seiner relativ einfachen K o n s tru k tio n recht hohe Tempe-
raturen erzeugt werden. Leider ist er heute sehr rar geworden. Erhalten blieben
n u r wenige Exemplare seiner A r t, von denen eines glücklicherweise unter Denk-
malschutz gestellt wurde.
In w ie w e it neben ihm in der Vergangenheit beim H an dw e rk noch andere
T ypen des Brennofens existierten, läßt sich mangels Belegen n ich t m ehr sicher
feststellen. D ie seit dem 18. Jahrhundert arbeitende Jürgelsche W erkstatt in Puls-
n itz hat bis um 1900 einen stehenden Rundofen m it senkrechtem Flammenzug
betrieben; sie d ü rfte dabei n ich t die einzige unseres Gebietes gewesen sein.
D e r m it waagerechtem Zug brennende Kassler O fen hat sich auch bewährt, als
man stufenweise von der H o lz - zur Kohlefeuerung überging. Dieser Wechsel
erfolgte n ich t schlagartig. E r begann während der ersten H älfte des 19. Jahrhun-
derts zunächst in den M anufakturen; in Meißen nahm man ihn 1839 v o r 11. Schon
v o r dieser Zeit w urden die Besitzer zweier in Sachsen neu etablierter Steingutbe-
triebe von seiten der Landesregierung aufgefordert, beim Brand m it H o lz zu sparen
und sich fü r diesen Zw eck m it böhm ischer Braunkohle zu versorgen12. Das Hand-
w e rk folgte n u r zögernd, sicher v o r allem deswegen, w eil man E rfahrung im

10 R u d o lf W einhold: M eister — Gesellen — M anufacturier, S. 176 ff., 237 ff.


11 V ic to r Böhm ert: U rk u n d lic h e Geschichte und Statistik der Meissner Porzellanm anufaktur von
1710— 1800. In: Z e itsch rift des k. Sächsischen Statistischen Bureaus X X V I (Dresden 1880) 55.
12 Staatsarchiv Dresden, Loc. 32555, Rep. X II, N r. 448 (Acta, D ie Anlegung einer Steingutfabrik von
Leyen zu Pirna betr. ind. von dem Besitzer der Steyermühle bei Nossen Steyer) 1816 ff.
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178 R u d o lf Weinhold

Um gang m it der viel stärker als H o lz rußenden und Gase bildenden K ohle sam-
m ein mußte. D ie Königsbrücker T ö p fe r stellten sich erst gegen Ende des 19. Jhs
auf den neuen Brennstoff u m 13. U n d noch bis in die fünfziger Jahre unseres Jahr-
hunderts feuerte Leopold Berghold im südthüringischen U m m erstadt seinen
Brennofen ausschließlich m it H o lz .
Treibende K ra ft dieser U m stellung war, w ie schon angedeutet, die Landesherr-
schaft. In Sachsen, dessen Montanwesen seit dem hohen M itte la lte r einen ständig
wachsenden H olzbedarf hatte, setzten die Versuche, den Verbrauch dieses w ert-
vollen Rohstoffs durch Verordnungen einzuschränken, schon im 16. Jh ein und
w urden während des 17. Jhs verstärkt — und verschärft — fortgesetzt. Entspre-
chende Weisungen betrafen zunächst das Bauwesen14, w urden aber dann auch auf
den gewerblichen Brennholzkonsum ausgedehnt. D ie T h ü rin g e r Kleinstaaten
scheinen nicht in gleichem Maße m it diesem Problem haben käm pfen zu müssen.
W ahrscheinlich hat der H o lz re ic h tu m w eiter Landesteile solche Sorgen erst spä-
te r aufkom m en lassen. D och bildete die U m m erstädter W erkstatt m it ihrem
H o lzb ra n d noch um 1950 schon eine absolute Ausnahme.
W ir haben es bei diesem U m stieg von H o lz auf K ohle also n ich t m it einem
Prozeß zu tu n , dessen auslösendes M o m en t in der K e ra m ik p ro d u k tio n selbst lag.
D och er hat zu einer Veränderung des Arbeitsverfahrens geführt. Denn um die
farbig engobierte, bemalte und glasierte W are v o r dem K oh len ru ß an flu g zu
schützen, ‫ ״‬fü tte rte “ man sie nunm ehr in Schamottekapseln ein. Diese M ethode
ist sehr wahrscheinlich aus der Porzellan- und Steingutherstellung übernom m en
w orden. A b e r auch im O fenbau gab es auf G ru nd des neuen Brennmaterials
schließlich Veränderungen. Seit dem zweiten D ritte l unseres Jahrhunderts traten
an die Stelle des Kassler Typs zunehmend moderne Form en in der A r t des von
mehreren Feuerstellen her zu beheizenden Viereckofens m it überschlagender
Flam m enführung. Diese M odelle nutzten die H itz e des fossilen Brennmaterials
besser und wiesen auch größere Raum inhalte auf. Heute ist neben sie die elek-
trisch beheizte M u ffel gerückt, ein Zeichen, daß das H a n d w e rk alle industriellen
Errungenschaften zu nutzen weiß und den größeren Betrieben der Steingut- und
P orze lla np rod uktion auf diesem Gebiet qualitativ nicht nachsteht.
Es hat sich ihnen in neuester Z e it auch auf der Ebene des verarbeiteten Roh-
stoffs angenähert. Bis in die erste H ä lfte unseres Jahrhunderts bestand einer der
grundsätzlichen Unterschiede zu anderen keramischen Branchen darin, daß das
Irdenware und Steinzeug herstellende H an dw e rk vorzugsweise natürlich vor-
kom m ende Tone aufbereitete und verarbeitete. Sie fanden sich meist in der Nähe
der W erkstätten oder boten, w ie das Beispiel des Thonbergs bei Kamenz zeigt,
den T ö p fe rn zahlreicher umliegender O rte in großer Fülle gutes M aterial. Seit
den fünfziger Jahren jedoch steht der Verbrauch dieses Rohstoffes bei der Pro-
d u k tio n der engobierten, farbig bemalten und glasierten Irdenw are gegenüber
den durch M ischung verschiedener Tone und mineralischer Zusätze hergestellten
synthetischen Massen zurück. Das daraus gefertigte G eschirr ist im Scherben
dem Steingut ähnlich.

IJ W einhold: Töpferhandw erk in der O berlausitz, S. 94.


14 Codex Augusteus II, S. 487 ff. (Forst- und H o lz o rd n u n g K u rfü rs t Augusts vom 8.9.1560).
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Sächsische und Thüringer Keramikproduktion im 18.—20. Jh. 179

G roße Unterschiede zwischen H a n d w e rk und M a n u fa ktu r bestanden — und


bestehen zum T e il auch noch — auf dem Gebiet der innerbetrieblichen Arbeits-
organisation. F ü r das H a n d w e rk w ar die Tatsache kennzeichnend, daß auf
G ru n d seiner Berufsausbildung jeder W erkstattangehörige in der Lage war, alle
grundlegenden V errichtungen des Produktionsprozesses vom Aufbereiten des
Tones über das Drehen, Beschicken und Brennen des Geschirrs bis zum Bemalen
und Glasieren m it eigener Hand auszuführen. Dagegen waren in den M anufaktu*
ren spezialisierte K räfte gefragt, so solche, die sich allein m it der Form gebung
befaßten, oder andere, denen die A u sfü hrung des farbigen Dekors oblag. D ie
höchste Stufe dieser D ifferenzierung erreichten bereits während des 18. Jhs die
Porzellan herstellenden Betriebe. Dabei gliederten sich die Hauptgruppen der
Beschäftigten — Massebereiter, D reher und F orm er, M aler, Brenner — wieder in
zahlreiche Unterabteilungen auf*5. N ic h t wenige Beschäftigte der Malerbranche
standen zudem im Arbeitsverhältnis des Verlags. Sie bekamen die Ware nach
dem ersten bzw. zweiten Brand vom Betrieb geliefert — o ft besorgte das auch
ein geschäftstüchtiger Verleger — und dekorierten sie daheim.
Entsprechend der Spezialisierung w urde die Dauer der Berufsausbildung, aber
na tü rlich auch die E ntlo h n u n g bemessen. Einen B egriff von der Spannweite der
Bezahlung v e rm itte lt ein B lick auf die M eißner Verhältnisse im letzten D ritte l
des 18. Jhs. Damals verdiente ein in siebenjähriger Ausbildung q u alifizie rte r
M aler jä h rlich zwischen 188 und 338 Taler; ein im Tagelohn arbeitender H o lz -
spalter dagegen mußte sich m it 50 bis 60 Talern begnügen16. D ie Löhne im Töp-
ferhandw erk dü rfte n damals dem letzten W e rt näher als dem erstgenannten gele-
gen haben.
D och dieses H a n d w e rk begann etwa seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in
einigen Bereichen der A rb e itste ilig ke it langsam zu den in den M anufakturen
herrschenden Verhältnissen aufzuschließen. Sichtbar w ird das zum einen beim
A nb rin g e n des farbigen Dekors. H ie r entw ickelte sich während der letzten 70 bis
80 Jahre ganz deutlich eine Spezialisierung, die sich heute als Ausbildungs- und
Berufszweig m anifestiert: der des Keram ikm alers oder — zahlenmäßig noch stär-
ker vertreten — der M alerin. D ie D reher und F o rm e r befassen sich kaum noch
m it diesem M etier; einige von ihnen waren stattdessen ins Brennhaus zu den
K ohleöfen abgewandert. Auch diese — zeitlich begrenzte — Spezialisierung voll*
zog sich während der letzten hundert Jahre. A llerdings schrum pfte die Zahl die-
ser besonders fü r das ordnungsgemäße Einlegen des Geschirrs und die D u rch fü h -
rung des Brandes verantw ortlichen K rä fte in dem Maße, in dem die elektrische
M u ffe l den älteren O fe n ty p verdrängte.
Stark verändert hat sich im Rahmen der H an dw e rkspro du ktio n das Verfahren
der Tonaufbereitung. Das D urchkneten, Säubern und Homogenisieren des Roh*
stoffs, ehedem mühselige Hand- und Fußarbeit, haben weitgehend Maschinen
übernom m en. D ie heutige W erkstatt ist stark mechanisiert, was ihrer Gesamt-
P ro d u k tiv itä t zugute ko m m t. Dabei ist n icht zu übersehen, daß hinsichtlich des

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180 R u d o lf Weinhold

Gerätebesatzes und auch der A rb e itste ilig ke it besonders während der letzten 50
Jahre Einflüsse aus dem Bereich der Steingut- und der Porzellanherstellung w irk -
sam geworden sind.

4. Handwerkserzeugnisse

Diese abschließende Überlegung soll v o r allem der Frage gelten, in w ie w e it sich


der durch die industrielle R evo lution in Gang gesetzte Wandel d ire k t oder indi-
re k t auch an den Produkten unserer W erkstätten ablesen läßt. Einen H in w e is auf
derartige Einflüsse verm ittelten bereits unsere Beobachtungen über Veränderun-
gen in der Massebereitung und -Zusammensetzung.
A b e r das sind Vorgänge jüngeren und jüngsten Datums. H at sich etwas in sei-
ner A u s w irk u n g Vergleichbares vielleicht auch schon in älterer Z e it vollzogen?
Sucht man auf diese Frage eine ausreichende A n tw o rt, so w ird man sie innerhalb
unseres T e rrito riu m s vorrangig in jener P ro d u k tio n finden, der sich die O berlau‫־‬
sitzer Töpfereien während des 19. und auch noch im 20. Jahrhundert m it beson-
derer Intensität widm eten: der A n fe rtig u n g des sogenannten Braunzeugs.
Dieses Gebrauchsgeschirr trägt einen den Gefäßscherben deckenden und dich-
tenden Überzug, der aus einem Gemisch von Farb- und Glasurlehm zusammen-
gesetzt ist. Nach dem Brand zeigt er eine dunkel- bis schwarzbraun schimmernde
Farbe. Beifügungen von Braunstein oder Schlämmkreide hellen dieses K o lo rit
auf bzw. variieren es.
Solche Lehmglasuren waren in der N iederlausitz sowie in Niederschlesien seit
dem 17. Jahrhundert bekannt. In der O berlausitz ist man erst verhältnism äßig
spät, verm utlich während der ersten H ä lfte des 19. Jahrhunderts, auf ihre beson-
deren Vorzüge aufmerksam geworden. D enn im Gegensatz zur bunten, bemal-
ten Ware vertrug das m it ihnen überzogene G eschirr ohne M ühe den Wechsel
vom H o lz - zum Kohlebrand. U n d noch w ichtiger: das undekorierte Braunzeug
erm öglichte wie kein anderes Töpfergeschirr in der Zeit der industriellen Revo-
lu tio n eine M assenproduktion. D a m it soll nicht gesagt werden, daß es je ohne
künstlerische Q ualität gewesen wäre. N iem and w ird sich auch heute dem Reiz
seiner harmonischen Form en entziehen können, die durch die E infarbigkeit der
Oberfläche noch besonders hervorgehoben werden.
Den steigenden Bedarf an dieser Ware bezeugt die G ründung neuer W erkstät-
ten. Sowohl in den alten P roduktionszentren als auch in Gebieten, w o vordem
kaum getöpfert wurde, wuchs die Zahl der Betriebe. Das w ar v o r allem in dem
an Böhmen angrenzenden Bergland der Südoberlausitz der Fall. V o n hier aus
exportierte man ins Österreichische, w o das Braunzeug sich rasch einen breiten
M a rk t sicherte.
Hergestellt wurde vorwiegend G eschirr fü r die Küche und die bäuerliche W irt-
schaft17. D ie Palette der Erzeugnisse reicht noch heute von den Koch- und
Schm ortöpfen unterschiedlichen Fassungsvermögens über Schüsseln, Backfor-

17 s. A n m . 3, S. 111 f.
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Sächsische und Thüringer Keramikproduktion im 18.—20. Jh. 181

men und verschiedenartige Pfannen bis zu Krügen, Kannen und Flaschen. U n te r


das W irtschaftsgerät fallen Butterfässer, G ärtöpfe sowie Räuchertöpfe fü r die
Im kerei. In besonderer Weise nü tzlich machen sich Kerzenhalter, halbkugelige
W ärmflaschen, Waschschüsseln und Sparbüchsen.
M it dieser durchaus nicht vollständigen A ufzählung soll die breite Typenfäche-
rung der Scheibenware angedeutet werden. Sie zeigt, daß die W erkstätten der
O berlausitz sich den Bedingungen anpaßten, die der im Zuge der industriellen
R evolution wachsende Bedarf an billig er, strapazierfähiger K eram ik der Töpferei
stellte. Ih r G eschirr war Serienware, die jeder geübte H andw erker schnell und
in großen Mengen herstellen konnte.
So verfertigte man jahrzehntelang ein wohlfeiles, formschönes S ortim ent, das
seinen sicheren Käuferkreis im In- und Ausland hatte. A lle in nach dem in diesem
Zusammenhang bereits genannten Böhmen gingen um 1880 jä h rlich m ehr als
zwei M illio n e n Stück Geschirr, an dessen H erstellung rund hundert W erkstätten
m it 185 Brennöfen beteiligt waren. E iner der H auptorte, in dem zu r damaligen
Zeit sieben Betriebe m it 70 bis 80 Beschäftigten arbeiteten, w ar das bereits
genannte Bischofswerda. H ie r verfrachtete man 1887 rund anderthalb M illio n e n
Stück Braunzeug per Bahn und P ferdefuhrw erk nach dem Erzgebirge, dem Vogt-
land, nach Schlesien — auch das fü r sein eigenes Braungeschirr berühm te Bunzlau
gehörte zu den A bnehm ern dieser W are — , nach Thüringen, Bayern, T iro l,
Baden, Westfalen und dem Rheinland, aber auch nach Frankreich, Schweden,
Rußland und selbst in die Vereinigten Staaten von A m erika, w o man eine ausge-
sprochene V orliebe fü r Einlegetöpfe zeigte. O hne Zw eifel gehörten die Oberlau-
sitzer Töpfereien damals m it zu den produktivsten keramischen Handwerksbe-
trieben ganz M itteleuropas.
D och die Industrialisierung, die ih r A u fb lü h e n b e w irk t und gefördert hatte,
schuf auch die Ursachen fü r ihren Niedergang. So w irk te sich die um die Jahr-
hundertwende fortschreitende M odernisierung der M ilch w irtsch a ft fü r unsere
W erkstätten sehr nachteilig aus. D u rc h die neu errichteten zentralen M olkerei-
anlagen erübrigten sich binnen kurzem tönerne Abrahmgefäße, die Satten,
Kübel, Kannen, Schüsseln und Butterfässer. Eben diese Ware hatte einen w ic h ti-
gen T e il der Lieferungen in die west- und süddeutschen Viehzuchtgebiete ausge-
macht. A b e r auch im Haushalt konnte vieles Braunzeug nicht m ehr benutzt wer-
den. M it dem E inzug des Gasherdes, später der elektrischen Kochplatte w ar der
E rfolg des Metallgeschirrs program m iert. In den Städten verdrängten die eiserne
em aillierte Ware und die A lu m in iu m tö p fe das tönerne Hohlgefäß. D e r dörfliche
M a rk t dagegen — man kochte hier auch w e ith in auf dem Feuerherd, der
‫ ״‬Küchenmaschine“ — blieb noch eine W eile offen. Erst die E n tw ic k lu n g nach
dem zweiten W eltkrieg, die selbst in diesen letzten Absatzgebieten eine zuneh-
mende A nnäherung an die kulture lle n Gepflogenheiten der Stadt brachte, ließ
ihn endgültig schwinden.
A b e r trotzdem produzieren einige O berlausitzer Töpfereien noch heute
Braunzeug — ja, die Nachfrage nach ihm wächst sogar. D ie Ursachen fü r diese
E n tw icklu n g liegen freilich nicht darin, daß wieder m ehr Kohleherde gebaut
werden oder daß etwa die M ilch w irtsch a ft im B egriff ist, in vorindustrielle Ver-
hältnisse abzusinken. W ährend der unm ittelbaren Nachkriegszeit mögen solche
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182 R u d o lf Weinhold

Verm utungen durchaus etwas fü r sich gehabt haben; heute können sie uns aller-
dings n u r noch ein erinnerungsträchtiges Lächeln entlocken.
D ie Sache liegt anders. O hne Z w e ife l beginnt sich der ehedem erheblich
geschrumpfte Konsum entenkreis dieser Ware wieder langsam, aber stetig zu
erweitern. D och jetzt sind es v o r allem die Stadtbewohner, die sie als dekoratives
Element fü r ih r durch die Industrie o ft übers M aß genormtes W ohnungsm obiliar
begehren. Sie haben das Braunzeug neu entdeckt und freuen sich auf ihre Weise
an seiner schlichten Schönheit. N u n macht es sich erneut n ü tzlich — als Schale,
Vase, Flasche, W anddekor, Löffelbehälter, manchmal sogar als Schirmständer.
Einige sind inzwischen sogar wieder darauf gekommen, daß man darin auch vor-
zügliche Dinge kochen, schmoren und backen kann; aber noch scheint das ein
G eheim tip zu sein. Das Schicksal dieser Ware ist sym ptom atisch auch fü r so
manchen anderen Zweig unserer H andw erkskeram ik. Sie w ird auf diese Weise
wieder zum Element der W o h n k u ltu r, sehr zur Freude ih re r H ersteller, die die
wachsende Nachfrage kaum noch bewältigen können.
Diese Feststellung ist in gewisser H in s ic h t eine Bilanz des Dargelegten. Sie mar-
k ie rt aber auch eine in der E n tw ic k lu n g unserer Töpferei im m e r wieder zu beob-
achtende Grundtendenz. Denn ohne den M u t zum E xperim ent, zum Lernen,
zum Übernehm en des Neuen, als ric h tig E rkannten, aber auch zum Bewahren
eines w ertvo llen Erbes hätte unser H a n d w e rk besonders im letztvergangenen
Jahrhundert mehrfach den K o n ku rs v o r scheinbar überm ächtiger K o n ku rre n z
anmelden müssen. Z u r Sicherung seines Bestandes trugen wesentlich die Initia-
tive, der Fleiß, aber auch das künstlerische Vermögen seiner M eister und Fach-
arbeiter bei. Es geht m it der Töpferei wieder voran, und ihre Z u k u n ft liegt in
guten Händen.

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183

In d u s tria lis a tio n and H a n d icra fts


in the 19th C e n tu ry O tto m a n E m pire

Osman O kyar, A n ka ra

T his paper describes the changing fate o f O tto m a n guilds during the 19th cen-
tu ry , when the O tto m a n econom y became exposed to the com petition o f
machine-made goods com ing fro m Europe. The fate o f the guilds was determined
against the background o f a non-Western econom y, w h ich quite suddenly,
w ith o u t any in ne r preparation, had become exposed to the challenge o f cheaper
machine-made European goods. L o o k in g at the problem retrospectively, the
final and o n ly w ay o f meeting the European challenge was to give up the guild
system altogether and to adopt the methods o f machine production, thereby
eventually in itia tin g the process o f industrialisation on Western European lines.
H ow ever, the transform ation o f a static, tra d itio n a l econom y clinging to its in-
stitutions and closed to technological innovations, w hich had operated fo r cen-
turies w ith in the context o f a p o litica l, cultural, and social system very different
fro m the West, in to an industrialized capitalistic society could not, by any
means, run so ra p id ly and sm o o th ly as the industrialisation o f Western Europe
had proceeded d u rin g the 19th century. Thus, the industrialisation w hich emerg-
ed in O tto m a n society at the end o f the 19th C e n tu ry s till remained very far
fro m com pletion when the T u rk is h Republic succeeded the O ttom an E m pire in
1923. F urtherm ore, it may w ell be asked how far and how deep industrialisation
has advanced d u rin g the sixty odd years o f republican adm inistration.
T o understand w hat happened to the guilds after the O tto m a n economy was
opened to free trade in 1838, and to fo llo w the hesitant government reactions
as regards p o licy towards the guilds and machine driven production, we have to
keep in m ind the very slo w ly changing cultural, social, and economic back-
ground o f the E m pire in the 19th century. I have argued elsewhere, in a yet un-
published paper on economic g ro w th in the O tto m a n Em pire during the 19th
century, that, in the analysis o f econom ic development fro m the beginning o f
free trade dow n to 1914, we should distinguish tw o clearly different sub-periods.
D u rin g the firs t sub-period, after Free Trade is accepted, the O ttom an economy
changes very little in its structure and fu n ctio n in g , so that even events w ith
potential economic impact such as freedom in foreign trade, heavy b o rro w in g
fro m abroad, early railw ay construction, and an abortive industrialisation drive
remain w ith o u t effects on the econom y u n til the 1880*5. Towards the end o f the
century, governm ent awareness o f economic issues increased, individual
behaviour as regards economic a c tiv ity changed, and foreign credits and invest-
ment brought about a significant net in flo w o f foreign resources, w hich was in-
vested in infrastructure, m aking it possible fo r mechanical industry and
economic g ro w th to emerge. P olicy towards the guilds changed in tim e and the
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184 Osman O kyar

guilds themselves were affected in various ways by foreign co m pe titio n, accord-


ing to th e ir sector o r th e ir lo cality.
A n o th e r p o in t raised b y this papier concerns the precise d e fin itio n o f w hat I
am referring to as ‘ O tto m a n G u ild s‫״‬. T ra d itio n a lly , O tto m a n p o lic y had leant
towards lim ite d interference in econom ic and social affairs, especially in
periphery regions. T his also applied to guilds. The structure and a c tiv ity o f guilds
in Egypt and in the Balkan region were diffe re n t fro m each other. O n the other
hand, the guilds situated in the core o f the E m pire, com prising A n a to lia and
Syria, exhibited com m on basic features. T h is is the reason w h y I have referred
to them as ‘ O tto m a n Guilds* in this paper.
The paper begins w ith a section dealing w ith the basic features o f ‘O ttom an*
guilds, as they appear to have remained largely unchanged d u rin g the tw o cen-
turies between 1600 and 1800. In the O tto m a n E m pire, the guild system long
constituted the basic organisation fo rm o f industrial p ro d u ctio n , indeed o f most
economic activities apart fro m agriculture, dow n to the m iddle o f the 19th cen-
tu ry . The basic features o f this system have to be kept in m ind, in order to fo llo w
its responses and reactions to a com pletely new situation o f free foreign com peti-
tio n .
In the subsequent section o f the paper, I attem pt to review broadly the
economic scene in the E m pire fo llo w in g free trade. W ere O tto m a n leaders really
confronted w ith the choice between free trade and protection? W hat were the
principal events and developments in the economic scene fo llo w in g the moder-
nisation movement?
A fte r setting dow n the general econom ic scene between 1839 and 1914, the
final section o f the paper w ill be devoted to a description o f the changing fate
o f the O tto m a n guilds under the co m p e titio n o f machine-made goods fro m
Europe. H o w and when did local modern industry fin a lly emerge? H o w did O t-
toman p o lic y concerning handicrafts and industrialisation evolve?

II

The in fo rm a tio n given in this paper about the basic features o f O tto m a n guilds
in the period between the 16th and 19th century is draw n fro m w e ll-kn o w n
Western sources, such as the book by G ib b and Bowen, entitled ‘ Islamic Society
and the West* and fro m G abriel Baer’s articles on T u rk is h and M iddle Eastern
guilds1.
Baer, in his w ritings, drew attention to the differences in the co n stitu tio n and
practices o f guilds in the various regions o f the O tto m a n Em pire. H ow ever,
there were also basic features, com m on at least to guilds operating d u rin g the
above period in what I have described as the core o f the E m pire, namely A na tolia

1 H .A .R . G ib b and H a ro ld Bowen: Islamic Society and the West. London: O x fo rd U n iv e rs ity Press
1985. — G abriel Baer: O ttom an G uilds — A Reassessment. In: O . O k y a r and H . Inalcik, Social and
Econom ic H is to ry o f T u rke y. (1071-1920). A nkara: Meteksan Press, 1980.
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Industrialisation and Handicrafts in the Ottoman Empire 185

and Syria. In the fo llo w in g , I am presenting a sum m ary o f the basic features o f
‘O tto m a n ’ guilds w hich, according to o u r present in fo rm a tio n , seem to have re-
mained largely unchanged d u rin g the tw o centuries between 1600— 1800.
There is agreement among O tto m a n historians over the fact that guilds in the
O tto m a n state were not pu re ly and sim ply organisations furnished solely w ith
economic functions. T hey perform ed adm inistrative, religious, and social fune-
tions as w ell. In all tow ns o f the O tto m a n state, the econom ically active part o f
the population (w h ich belonged to the raya-chss in O tto m a n society) were all
affiliated to one o f the guilds in the to w n . The guild set-up thus constituted an
integrated urban organism in O tto m a n society. T h is organism impinged upon
practically all aspects o f the daily life o f the O tto m a n to w n population.
The a d m in is tra tiv e fu n c tio n w h ich Baer th in k s was even more im p o rta n t than
the economic one, was fu lfille d by the leaders o f the guilds (the kethüda o r seyh)
acting as lin ks between the relevant to w n authorities such as the ka d i (judge) an^
ihtisap agasi (local econom ic officer) and the guild members. A lth o u g h guild
leaders were freely elected by the masters o f the corporations, th e ir election had
to be approved by the kadi, a governm ent o fficia l acting both as a judicial
a u th o rity and as governm ent representative in the to w n . T hrough th e ir leaders,
guild members could express th e ir problem s o r grievances to the to w n
authorities, w h ile the authorities could transm it the directives o f the administra-
tio n to the w hole to w n population.
Tax collection was another part o f the adm inistrative aspect o f guilds. T o sum
up, through the guilds the authorities in each to w n effectively kept c o n tro l o f
the w hole to w n po pu la tion , includ ing non-M uslim s as w ell as the Muslims.
The religious dim ension in the life o f O tto m a n town-dwellers was another
aspect o f daily life taken care o f by the guilds. Each guild was usually affiliated
to one o f the m any religious Islamic sects flo u rish in g in the Em pire. 111 many
cases, no m atter w hat religion they belonged to , all the artisans in the same pro-
fession were members o f the same guild. A lth o u g h religious practices were held
separately fo r different religions, guild members participated equally in all other
guild activities.
F in a lly, the guilds had a social side, emphasized by the holding o f social fune-
tions fo r members, by the pa rticip a tio n o f guilds in festivals and state
ceremonies, and by the provision o f social help to needy members o r to th e ir
families. In certain cases, the guilds seem to have lent money fo r economic pur-
poses to th e ir members fro m a fund administered by guild leaders. I hope that
the above statements have made clear the role o f the guilds in preserving the
social and adm inistrative fabric o f the urban life in the Empire.
I tu rn n o w to the econom ic side o f the guilds* activities w hich never reached
param ount and exclusive im portance in the O tto m a n guilds, but all the way
dow n to the 19th century remained integrated w ith th e ir religious, ad-
m inistrative, and social aspects.
Individual gain o r accum ulation o f riches does not appear to have represented
the p rim a ry econom ic m o tiva tio n o f the guild masters w ho had established shop
w ith in a particular guild. The weakness o f the p ro fit m otive is probably the most
im p ortan t characteristic distinguishing the O tto m a n guild system fro m Western
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186 Osman Okyar

Europe during m ercantilist times. Indeed, the w hole o f O tto m a n society lived
under a value pattern w hich balanced w o rd ly m otivations w ith spiritual,
religious, and social values.
D istin ct econom ic activities in all O tto m a n tow ns, w hether concerning the
prod uctio n o f goods o r o f services, came under a well-defined guild. W ith in the
field o f each guild, o n ly those w h o had risen to be masters had the permission
to open shops, where goods o r services w o u ld be sold retail to the public. The
num ber o f such shops was s tric tly co n tro lle d by the guild authorities. This
meant that the m o n o p o ly o f p ro d u ctio n and o f sale o f goods w ith in the g u ild ’s
area belonged to the guild masters. In rare instances, cases occurred o f prod uctio n
outside the guilds. There are reports o f w orkshops illegally producing textiles in
Istanbul during the 16th century and o f guilds prosecuting such offences.
A n o th e r example o f p ro d u ctio n outside the guild system is provided by the use
o f the p u ttin g -o u t system, w h ich merchants used around A nka ra fo r the produc-
tio n o f w oollen cloth.
W ith in the guilds, the guild authorities and governm ent representatives con-
tro lle d the qu ality and the prices o f the goods offered fo r sale. Furtherm ore, the
purchase o f raw materials seems to have been often done in b u lk by the guild
authorities. These were then distributed among the masters, w ith the apparent
aim o f keeping alive even the less efficient producers. T h is practice effectively
prevented co m p e titio n among the masters. F in a lly, methods o f p ro d u ctio n were
standardized and determined in each guild by the guild authorities.
There were three categories o f people in any guild, namely, apprentices,
journeym en, and masters. The tim e and the qualifications necessary fo r prom o-
tio n fro m one category to the othe r were also determined by guild authorities,
w hile such p ro m o tio n could take place o n ly after a successful exam ination.
The m onopolistic, rigid, and con tro lle d nature o f such a system o f production
and sale was suited to meet the largely unchanging needs o f a lim ite d local market
interested in buyin g lim ite d amounts o f goods o f standard q u a lity at reasonable
prices. The repetitive character o f this system o f p ro d u ctio n was quite suited to
a static econom y, where methods o f p ro d u ctio n , tastes, and local demand varied
little in the course o f tim e. In small p ro vin cia l tow ns, the guilds were engaged
in w o rk in g up m ostly local raw and interm ediate products in to final goods fo r
consum ption w ith in the region. H ow ever, in the principal cities o f the Em pire,
guilds active in some developed sectors (p a rticu la rly co tto n and silk textiles and
leather goods) did produce sizable surpluses over local consum ption, w hich
could then be exported to Europe by wholesalers o r exporters w h o always re-
mained outside the guild system and w orked independently on th e ir ow n. It ap-
pears also that d u rin g the 18th and early 19th centuries in some places there were
cases o f p ro d u ctio n carried out outside the guilds on a fa cto ry basis. Cases o f
large concentrations o f loom s under one ro o f on w hat seems to have been a
capitalist basis were also observed.
As long as the O tto m a n econom y was largely insulated fro m foreign com peti-
tio n in the staple consum ption goods, the O tto m a n guild system stood upon a
sound but seemingly unchanging basis. W hen it began to be exposed to the com-
petition o f goods produced on a large scale by the mechanical factories o f
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Industrialisation and Handicrafts in the O ttom an Empire 187

Europe, it was bound to be severely shaken and, in the long ru n, to lose its
predominance over the econom y. Its disadvantages consisted in small-scale hand
p ro d u ctio n , w h ich lim ite d o u tp u t and made fo r higher cost per u n it, in its rig id
structure due to the hierarchical nature o f guilds, and in its lack o f com m ercial
m otivations, w hich w o u ld have allowed adaptation, counter co m p e titio n , and in-
novation. The industrial re v o lu tio n in B rita in and later in Western Europe was
generating, d u rin g the early 19th century, ever larger quantities o f machine-made
products, above all textiles, w hich were seeking outlets in exports. The 1838
A n g o -T u rkish com m ercial convention com pletely opened the O tto m a n market
to foreign co m p e titio n and thus began the period when foreign products entered
in to free co m p e titio n w ith O tto m a n goods produced by the guilds in T u rke y.

Ill

I tu rn now to a review o f general econom ic developments in the E m pire during


the 19th century and o f governm ent policies concerning econom ic issues, the
guilds, and industrialisation.
The decisive economic event o f the century, m arking the European challenge
to the O tto m a n E m pire in the econom ic field, was the signing o f the A nglo-
T u rk is h com m ercial convention in 1838, w hich opened the O tto m a n economy
to foreign co m p e titio n and established lo w tariffs fo r im ports. The advalorem
d u ty was then fixed as 5 per cent. M oreover, this lo w rate o f protection could
n o t be changed unila terally by the O tto m a n governm ent as a result o f the
capitulations agreements, w hich obliged the governm ent to act in agreement
w ith European states w hich were p a rty to the capitulations.
The main consideration w hich led the Tanzim at leaders and in particular
Mustafa Re§it Pa§a, w h o was then Foreign M in iste r, to reach the com mercial
agreement w ith B rita in was o f a p o litica l nature. Re§it Pa§a wanted, above all,
to gain the support o f B rita in in the deadly struggle between the O tto m a n state
and its Egyptian viceroy M oham m ed A li w ho, on tw o occasions, brought the
Egyptian arm y in to the heart o f A n a to lia and threatened the capital. B rita in, on
its part, was pressing the O tto m a n governm ent to accept u n ifo rm lo w rates o f
custom tariffs on im ports and lif t all previous m onopolistic interferences in
foreign trade. The O tto m a n leaders had little knowledge o f economics at the
tim e and could not evaluate the probable effects o f opening the O tto m a n
econom y to free trade. F o r the B ritish side, the opening o f the p o te n tia lly large
O tto m a n m arket to B ritish exports was a param ount objective. O n the O tto m a n
side, certain fiscal, if not economic considerations seem to have been influential.
The O ttom ans hoped that the g ro w th o f foreign trade as a consequence o f free
trade w o u ld yield badly needed revenues. This fiscal m otive is again apparent in
the O tto m a n request to tax O tto m a n exports at an even higher rate than im -
ports.
L o o k in g at the general problem o f economic development in the 19th century
and supposing the Tanzim at leaders had been under no p o litic a l and fiscal con-
straints and had had enough econom ic sophistication to evaluate the conse-
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188 Osman Okyar

quences o f alternative economic policies, w hat were, theoretically, the alter-


native policies w hich they could have followed?
T w o possibilities existed: either to open the econom y to European penetration
and accept free trade o r to tr y to isolate the econom y fro m Europe and go fo r
protection. L o o k in g at the problem retrospectively and armed w ith o u r present
theoretical knowledge o f economics, it seems that the model o f p ro te ctio n , in
some fo rm o r other, should have been chosen at that tim e. F o r th e ir rejection
o f protection and o f autarky, the Tanzim at leaders have been heavily criticized
by present day T u rk is h m arxist o r neo-marxist w riters. H ow e ver, w hat the
critics forget is that the tra d itio n a l O tto m a n econom y o f the early 19th century
possessed none o f the internal preconditions necessary fo r a move towards in-
dustrialisation and fo r economic g ro w th to develop under p ro te ctio n , such as
had happened in G erm any at about the same tim e, when it chose the in fan t in-
dustry type o f prote ctio n as its econom ic model. Since the O tto m a n econom y
remained dom inated by the guild system and possessed none o f the material and
non-material preconditions o f g ro w th , all that could have been archieved by the
protection model w o u ld have been a fu rth e r perpetuation o f the tra d itio n a l
economy and o f the guild system. As indicated below, the industrial drive at-
tempted by A b d iilm e c it had clearly revealed the lim ita tio n o f governm ent
action.
Thus, the plunge in to free trade, a move in any case necessitated by the
disastrous p o litic a l-m ilita ry situation o f the Em pire, was the o n ly realistic and
possible move. Free trade w ith the West had the result o f increasing O tto m a n
im ports fro m around £ 7.8 m illio n in the early 1840’s to an average o f £ 22
m illio n in 1873— 77. The significant rise in im p orts was accompanied by a rise
in exports (m ostly agricultural goods, dye stuffs, tobacco, co tto n , silk, etc.) in the
same period, fro m £ 6 m illio n to £ 16 m illio n 2. A m o n g O tto m a n im ports, tex-
tiles, in particular cotton textiles, were by far the most im p o rta n t item.
The remarkable th in g about the large increase in foreign trade was that it did
not trigger o ff a comprehensive and cum ulative process o f econom ic g ro w th .
The increase in exports led to a local rise in agricultural p ro d u ctio n in Western
A natolia and in C ilicia, Syria, and the Lebanon. The increase in im p orts was ac-
companied by shifts in private consum ption in the big coastal tow ns o f the Em-
pire fro m local handicrafts to foreign products. H ow ever, these shocks did not
suffice to change the basic econom ic organisation and typ ica l behaviour and deci-
sion patterns o f the O tto m a n econom y. Thus, the result o f freedom in foreign
trade fo r a long period o f over 50 years amounted to a zero-sum game. T w o
Hungarian economists, 1. T. Berend and G. R ánki, have suggested that the open-
ing o f foreign trade had sim ilar results fo r a num ber o f Balkan countries (Greece,
Serbia, Bulgaria, and Roumania) at approxim ately the same p e rio d 3.

2 Figures taken fro m Charles Issawi: The Econom ic H is to ry o f T u rk e y (1800— 1914). Chicago: The
U n ive rsity o f Chicago Press, 1980, p. 16 f.
3 I.T . Berend and G . R ánki: Foreign Trade and the Industrialisation o f the European Periphery. In:
Journal o f European Econom ic H is to ry 9 (1974) N o . 3.

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Industrialisation and Handicrafts in the O ttom an Empire 189

W hat the increase in foreign trade was to o powerless to achieve, did not result
either fro m othe r events w hich occurred around the m iddle o f the century w ith
economic potential, such as the industrialisation drive initiated by Sultan A b-
dülm ecit in the 1840’s, o r fro m the large scale foreign b o rro w in g o f O tto m a n
governments betwen 1854 and 1876.
The am bitious industrialisation carried out w ith the help o f European techni-
cians was designed solely to meet the demands o f the Palace and o f the A rm y .
This experim ent failed, m a inly because a regular supply o f inputs fo r the fac-
tories was n o t taken care of, because skilled labour was badly lacking and because
m arketing had n o t been considered. The beginning o f foreign co m p e titio n was
another adverse factor.
The large scale foreign debt incurred by O tto m a n governments through bonds
sold in Paris and in London yielded, in real terms, around 120 m illio n £ sterling
to the O tto m a n Treasury. The p o in t w h ich surprised some Western observers
is that, although the c o u n try possessed considerable natural resources, the O t-
tom an governments did n o t use the considerable foreign resources they obtained
fo r th e ir developm ent4. H ow ever, such conceptions were then s till beyond the
horizons o f O tto m a n leaders, w h o were p rim a rily concerned w ith meeting the
fast grow ing gap between rising governm ent expenditure and far less ra p id ly ris-
ing revenues. The end result o f the experim ent w ith foreign b o rro w in g was the
bankruptcy o f the O tto m a n State in 1873— 74, to be fo llo w e d by the acceptance
o f European financial c o n tro l in 1880, in the fo rm o f an international Public
Debt C om m ission stationed in Istanbul and armed w ith large financial pow er to
secure the repayment o f the consolidated O tto m a n debt.
A ll in all, the basic characteristics o f the O tto m a n econom y changed little dur-
ing the early phase o f m odernisation, ru n n in g fro m 1839 to around 1880. M oder-
nisation advanced hesitatingly and s lo w ly in the fields o f central and local ad-
m inistration, education, and the in tro d u c tio n o f m odern legislation in com-
merce, the penal code, and land use.
A fte r 1880, we begin to see changes in the econom ic scene w hich occur both
at the governm ent level and at the individual levels o f behaviour and decision-
making. O tto m a n governments became more aware o f economic issues and
began to take an active interest in econom ic development. This is expressed in
various ways, such as the setting up in 1887 o f annual regular governm ent
budgets, the holding o f po pu la tion censuses and o f p ro d u ctio n surveys in
agriculture and industry, the collection o f econom ic statistics, the successive at-
tempts to change the ta riff structure established in 1838 by increasing im p o rt
duties and reducing export duties, the setting up o f governm ent banking institu-
tions o r the encouragement o f foreign and local banks, the passage o f legislation
to encourage the establishment o f private enterprise in in du stry, and the granting
o f concessions to foreign capital to b u ild and operate basic infrastructure installa-
tions.

* D . Blaisdell: European Financial C o n tro l in the O tto m a n Em pire. N e w Y o rk : A M S Press, 1966.

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190 Osman Okyar

This change o f attitude at the governm ent level was accompanied by changes
in the behaviour o f individuals as regards p ro d u ctio n and consum ption, w hich
were the result o f increasing m odernisation and consequent changes in the tradi-
tio n a l set o f social values. The standardized consum ption pattern began to give
w ay to freedom o f in dividua l choice among a larger range o f consum ption goods,
w h ile collective action and decision-m aking in the sphere o f p ro d u ctio n was
s lo w ly replaced by in dividua l decision-making, aim ing at profits.
I do not need to emphasize the crucial role o f the above changes in attitudes
and in behaviour fo r changing the nature and objectives o f economic a c tiv ity in
general. These changes constituted conditions necessary fo r a diffused and
cum ulative process o f econom ic g ro w th to take place, but they were not, in
themselves, sufficient to b rin g about an actual start to economic g ro w th . The lat-
ter depended also upon the ava ila bility o f resources to be allocated to infrastruc-
tu re and to productive investment, upon the skills o f management and o f enter-
preneurship, and upon the existence o f a m in im u m level o f technical knowledge.
In all these fields, the gathering in flo w o f foreign resources, accompanied by
technology, w hich began at the tu rn o f the century, played a crucial role.
Seen in retrospect, irksom e though it was to the national pride o f the T u rks,
the im p osition o f European financial c o n tro l in 1880 proved to have conse-
quences w hich not o n ly made possible repaym ent o f past debts on a substantial
scale, but also opened the way fo r an ever grow in g in flo w o f foreign resources
in to the O tto m a n economy. The g ro w th w h ich began in the O tto m a n econom y
around the tu rn o f the century can be qu an tita tive ly evaluated th ro u g h the na-
tio n a l income statistics prepared by Vedat Eldem 5.
In the period fro m 1889 to 1911, the year before the E m pire lost large chunks
o f te rrito ry to Greece, Serbia, Bulgaria, and A lbania, the gross domestic product
rose, in real terms, by approxim ately 2 per cent a year. The activities o f the
Public Debt Com m ission in Istanbul con trib uted to the establishment o f a
clim ate o f confidence and to s ta b ility in econom ic and financial conditions.
These, in tu rn , made possible a net in flo w o f foreign resources, a key factor
behind the emergence o f econom ic grow th.
The later phase o f the m odernisation m ovement thus witnessed the establish-
ment o f small-scale machine driven p ro d u ctio n units in the m anufacturing in-
dustry, p a rticu la rly in the food, textiles, and leather sub-sectors. The disintegra-
tio n o f the tra d itio n a l organisation o f the O tto m a n econom y and what
amounted to the by-passing o f handicrafts (under the guild system) by machine-
driven p ro d u ctio n units, thus began in the later phase o f m odernisation, around
the tu rn o f the century.

IV

I tu rn now to a more specific description o f the h is to ry o f the guilds and o f han-


dicrafts p ro d u ctio n fo llo w in g the in tro d u c tio n o f freedom o f foreign trade.

5 V. Eldem: O sm anli ìm paratorlugunun Iktisadt $>агт1ал H a kkin d a B ir T e tk ik (A Survey o f Economic


Conditions in the O ttom an Empire). Ankara: Is Bankasi K ü ltü r Y a y in i, 1970. p. 279 f.
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Industrialisation and Handicrafts in the O ttom an Empire 191

As G abriel Baer has remarked in his article on O tto m a n guilds, the h isto ry o f
O tto m a n guilds d u rin g the long period fo llo w in g th e ir ascendency in the 16th
cen tu ry all th ro u g h the times o f the decline o f the E m pire in the 17th and 18th
centuries do w n to th e ir exposure to foreign co m p e titio n in the 19th century, has
n o t yet been subjected to th oro ug h investigation. H ow ever, we k n o w that the
guild system s till continued to fo rm the backbone o f the O tto m a n econom y by
the m iddle o f the 19th century and that the guilds remained an integral part o f
the adm inistrative, social, and religious body o f the E m pire at the tim e. C learly,
u n til there were fundam ental changes in the social body itself under the influence
o f m odernisation, the d o m in an t role o f the guilds in econom ic organisation
w o u ld continue. In the previous chapter I emphasized the slow and hesitating
advance o f m odernisation d u rin g the 19th century. It appears that there was no
change in the legal position o f the guilds u n til 1873, when the governm ent issued
the first law designed to encourage the establishment o f machine driven factories
in the Em pire. T h is meant that the guilds had lost the m o no po listic privileges
they had enjoyed fo r long centuries.
W ith regard to the factual developments in the field o f handicrafts pro d u ctio n
under the guild system, the firs t effects o f the opening up o f the econom y to
foreign co m p e titio n in 1838 are to be observed in textiles, especially co tto n tex-
tiles. The im p o rta tio n o f foreign textiles, in itia lly fro m B rita in , affected han-
dicraft p ro d u ctio n and led to declines in local p ro d u ctio n , especially in coastal
towns, where im p orted textiles, sold in the bazars and shops o f the larger coastal
T u rk is h tow ns, effectively competed w ith local textiles on a price and q u a lity
basis. H ow ever, textile handicrafts in the in te rio r o f the c o u n try managed to sur-
vive against foreign co m p e titio n because o f cheap labour costs and because they
were protected by the high transport costs o f foreign goods w hich resulted fro m
the very p o o r internal transport conditions.
M oreover, handicrafts manufacture in fields o th e r than co tto n textiles, such as
silk, linen, and w oo lle n textiles and in other household goods (metal and leather
objects, earthenware, etc.) proved even more resistant to foreign com p e titio n and
was able to survive fo r very long.
O ne example o f the reaction o f guilds against foreign co m p e titio n is given by
Issawi6. It concerns the protest o f the Istanbul w ine guild to the O tto m a n govern-
ment against to opening o f five new w ine shops in Istanbul by B ritish subjects.
The guilds asked the O tto m a n governm ent to close do w n the shops and the
governm ent proceeded to do so. There seem to have been m any clashes between
the O tto m a n and B ritish governments over the sale o f foreign goods in T u rk e y .
In its diplo m atic notes, the O tto m a n governm ent pleaded that retail sales o f such
goods were in co n tro ve n tio n w ith the laws and w ith the internal economic
system o f the c o u n try , w h ile the B ritish governm ent referred the m atter to the
1838 Agreement and to free trade. The protests o f the guilds and o f the O tto m a n
governm ent against the sale o f foreign goods remained, however, dead letters and
the in flu x o f foreign goods continued unabated.

6 C harles Issawi: op. cit., p. 304.


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192 Osman Okyar

B y the 1860’s, the first signs occurred that the views o f O tto m a n leaders on
h o w to deal w ith foreign co m p e titio n were beginning to change. The firs t step
was the successful attem pt in 1860 and 1861 to change the perverse nature o f the
customs tariffs structure agreed upon in 1838 b y increasing the im p o rt d u ty fro m
5 per cent to 8 per cent and reducing the export d u ty, in yearly reductions o f
1 per cent, fro m 11 per cent to 1 per cent. M o re im p o rta n tly , the views o f O t-
tom an leaders on the nature o f the long-run response o f the O tto m a n econom y
to the challenge o f foreign com p e titio n began to take a m ore realistic shape. In
1866 the G ra n d -V iz ir Mustafa Re§it realized that the efforts aimed at protecting
and m aintaining the out-m oded m ethod o f handicraft manufacture were doomed
to failure. The C om m ission fo r the re fo rm o f in d u stry w h ich he created issued
a re po rt stating that a local industry re lyin g solely on manual po w er w o u ld never
be able to hold its o w n against the mechanical p ro d u ctio n b y foreigners. The
basic measure proposed by the Com m ission was the fusion o f existing guilds in to
large-scale industrial corporations w h ich used m achinery. The C om m ission also
recommended the creation o f technical schools, the establishment o f industrial
standards, and the opening o f exhibitions. A lth o u g h some o f these recommenda-
tions were p a rtly im plem ented, the basic proposal o f tu rn in g the existing guilds
in to large-scale industrial corporations never went o ff the ground.
B y the 1870’s, ideas about the developm ent and fo rm o f the future in d u stry
had taken the course o f by-passing com pletely existing guilds and o f encouraging
the setting up o f new private industrial undertakings. The first legislation on the
encouragement o f private enterprise in in d u stry, p ro v id in g certain tax and
customs d u ty exemptions to new industrial enterprises, was passed in 1873. A
second law, passed in 1897, enlarged the scope o f tax and customs exemptions.
A fu rth e r law passed in 1913 provided fo r free land grants fo r new factories, ex-
em ption fro m real estate taxation, exem ption fro m customs duties o f inputs used
in current p ro d u ctio n in addition to customs exem ption fo r plant and
m achinery, and fin a lly fo r a degree o f p r io r ity fo r local industry in governm ent
contracts.
A ccord in g to a survey carried out in 1913 by the M in is try o f Trade and
A g ric u ltu re , the num ber o f firm s defined as industrial establishments (i.e. those
using 5 H P o r m ore o f mechanical pow er o r em plo ying 10 persons o r more) had
by then risen to 5647. Since the num ber o f such firm s established by foreigners
o r by O tto m a n citizens up to 1880 had o n ly been 56, it is clear that the sw itch
to local in d u stry quickened betwen 1880 and 1913. In the la tter year, the most
im p o rta n t sectors o f local in d u stry were food, fo llo w e d by textiles and leather
goods.
In 1907, according to national income estimates prepared by Vedat Eldem , the
to ta l annual added value co n trib u te d by the industrial sector as defined above
was 14,4 m illio n O tto m a n pounds (1 £ sterling = 0,9 O tto m a n pound), w hile
to ta l value added co n trib u te d by the handicrafts sector was estimated to be 7,8

7 V edat E ldem : o p . cit., p. 124.


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Industrialisation and Handicrafts in the O ttom an Empire 193

m illio n O tto m a n pounds8. Thus the size o f the new in du stry, in value terms, was
approxim ately tw ice the size o f the handicrafts sector.
H ow ever, it should be noted that handicraft pro d u ctio n in the co tto n textile sec-
to r, fo r instance, continued to cover a much larger p ro p o rtio n o f internal con-
sum ption than the new industrial sector, as is revealed b y statistics about the
sources o f the to ta l consum ption o f co tto n textiles in the O tto m a n E m pire in
1913. The in fo rm a tio n in question, taken fro m Eldem ’s bo ok, is reproduced in
the table below:

Sources o f consum ption o f cotton textiles


in the O tto m a n E m pire in 1913

tons Per cent o f total


Local industry 1.272 2
Handicrafts 14.753 23
Im ports 48.303 75
64.328 100

By 1913, the O tto m a n governm ent, advised by foreign experts and by O t-


tom an economists, had d e fin ite ly made up its m ind about the encouragement o f
local factory p ro d u ctio n as the proper response to the European economic
challenge and had left the handicrafts sector to its o w n devices. S ignificantly,
legislation abolishing the legal status o f the guilds was passed in 1913.
However, the remarkable p o in t in the w hole story is the extrao rdina ry tenaci-
ty and longevity displayed by the handicrafts sector th ro u g h o u t the 19th century
and even long after 1914. A t the tim e o f W o rld W ar II, when im p orts o f cotton
textiles were drastically reduced and when the production o f the expanded local
industry could not cover the w hole o f internal demand, handicrafts were s till
meeting around one fo u rth o f to ta l T u rk is h consum ption.

8 Vedat Eldem: op. cit., p. 288.


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H a n d w e rk und In d u s tria lis ie ru n g in Ö sterreich


im 19. u n d am Beginn des 20. Jahrhunderts

G ustav O truba, L in z

U n te r Ö sterreich w ird im folgenden die Östereichische Reichshälfte verstanden,


w obei innerhalb dieser ein Vergleich zwischen hochindustrialisierten Ländern —
w ie N iederösterreich und Böhmen — m it einem kaum industrialisierten Land —
O berösterreich — versucht w ird , wobei besonders industrialisierte Erzeugungs-
sparten und jeweils das Verhalten eines innerhalb dieser sich behauptenden
Kleingewerbes beobachtet werden sollen. Dies darf jedoch n ic h t vom Verlags-
system erfaßt w orden, das heißt zur Hausindustrie herabgesunken sein und muß
im gesamten Z e itraum 1828— 1910 statistisch getrennt erfaßbar bleiben. Das
M aterial w urde aus Erwerbssteuertabellen, Betriebszählungen, Angaben der
G ewerbeinspektoren und Berufsstatistiken von Volkszählungen so aufbereitet,
daß es in Vergleichszahlen (Prozentsätzen) möglichst aufschlußreich w ird . Diese
Statistiken sind weder geschlossen vorhanden, noch dürfen sie ohne weiteres
untereinander verglichen werden, w eil die Erhebungsgrundsätze von Periode zu
Periode sich änderten sowie Term inologie und D e fin itio n e n von ‫ ״‬F a b rik “ ,
‫ ״‬G ro ß -“ , ‫ ״‬M itte l‫ “ ־‬und ‫ ״‬K leinbetrieb“ sich grundlegend wandelten. F ü r ein-
zelne Perioden läßt sich der dynamische W andlungsprozeß nachweisen,
bestim m te Stichjahreserhebungen lassen nur die statische S tru k tu r erkennen.
T r o tz aller dieser Schwierigkeiten sind diese Zahlen fü r uns w ich tig , um die
Frage zu entscheiden, ob es im 19. Jahrhundert beziehungsweise bis zum Ersten
W e ltk rie g einen ständigen Rückgang des Kleingewerbes durch die K o n k u rre n z
der G roß industrie gegeben hat und wie bedeutsam dieser bei unterschiedlichen
Konstellationen war.
F ü r die Zeitgenossen der zweiten H älfte des 19. Jahrhunderts bestand weitge-
hende Ü bereinstim m ung darin, daß der Untergang des Kleingewerbes ein unauf-
haltsamer Prozeß der kapitalistischen E n tw icklu n g darstelle, eine Überzeugung,
die von K. M a rx bis zu den führenden N ationalökonom en jener Z e it, W . Som-
b a rt1 und G. Schm oller2 reichte. Sie alle sahen darin eine N o tw e n d ig k e it sowohl
des w irtschaftlichen als auch sozialen Fortschritts. A uch die einschlägige Litera-
tu r über die Lage des Handwerks in der Habsburgerm onarchie te ilt diese
A nsicht. So schreibt A . Naske3: ‫ ״‬Dem Kleingewerbe ist n ich t zu helfen, es muß
zu G runde gehen, dies ist nur eine Frage der Z e it“ . Ed. Tobisch klagt4: ‫ ״‬D er

1 Sombart, W .: Ü ber die Z u k u n ft des Kleingewerbes. Magdeburg 1898.


2 Schm oller, G .: Z u r Geschichte des deutschen Kleingewerbes im 19. Jahrhundert. H alle 1870; vgl.
auch Rohrscheidt, K .: V om Zunftzwange zur Gewerbefreiheit. B erlin 1898; Stieda, W .: D ie Lebens-
Ф»
fähigkeit des deutschen Handwerks. Rostock 1897; P hilippovich, E.: D ie Änderung der W irt-
schaftsverfassung im 19. Jahrhundert. Wien 1895; u.a.
‫ ג‬Naske, A .: D ie gewerbepolitische Bewegung in Österreich. B rünn 1896, 33.
4 Tobisch, E.: Das Kleingewerbe und der gewerbliche U n te rric h t. Reichenberg 1872.
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196 Gustav Otruba

Lärm der ersten Maschine w ird zum Grabgeläute, der erste Fabriksschornstein
zum Leichenstein des alten Handwerksbetriebes“ . R. Kobatsch sieht den U nte r-
gang des selbständigen Handwerks darin5: ‫ ״‬In der weiteren Z u k u n ft werden die
Kleingewerbetreibenden — und das ist der Weisheit letzter Schluß — v o rtre fflic h
geschulte M ita rb e ite r der fast ausschließlich im Großen betriebenen U nterneh-
men entweder auf eigene oder fremde Rechnung sein“ . D er Sozialdemokrat
T .W . Teifen sucht eine A n tw o rt auf die Frage ‫ ״‬W arum geht das Kleingewerbe
zu Grunde?“ 6: ‫ ״‬. . . D ie Technik hat in V erbindung m it dem G roß kapital in vie-
len Fällen die Produktionsweise geändert und das Absatzgebiet über die ganze
Erde erw eitert. Dadurch sowie durch die im Dienste des G roßkapitals stehende
H eim arbeit und durch die geänderten Bedürfnisse des Volkes wurden die Lebens-
bedingungen zahlreicher Kleingewerbetreibenden vernichtet. . . . D ie H andw er-
kerfrage ist ein T eil der sozialen Frage. . . . Ihre Lösung ist noch schwieriger als
die der Arbeiterfrage, w eil die H andw erker selbst der richtigen Lösung entgegen-
arbeiten. Sie lassen nämlich nicht von dem Aberglauben, daß das H a n d w e rk in
vergangenen Jahrhunderten einen ,goldenen Boden‘ gehabt hat und ihn heute
noch ebenso haben kann“ . Teifen bietet seine ‫ ״‬sozialistische Lösung“ an7: ‫ ״‬D er
H an dw e rker aber, der sich gegen diese E n tw icklu n g sträubt, möge sich die Frage
vorlegen, was er denn bei seinem Elend durch die Abschaffung der P rivatindu-
strie verlieren kann? . . . N ie darf man das Ziel ,Übergang der P ro d u k tio n in die
Regie des Volkes‘ aus dem Auge verlieren!“ . Gerade diese Gefahr aber sieht auch
der Konservative H . Reschauer, der in seiner ‫ ״‬Geschichte des Kampfes der
H andw erkerzünfte und der Kaufmannsgremien m it der österreichischen Bureau-
cratie“ zu einem Z w eifro ntenkrieg gegen Liberale und Sozialisten a n tritt8: ‫ ״‬D ie
kleinen gewerblichen Unternehm en sind das B ollw erk, dessen Behauptung
gegenüber dem A nsturm e der Sozialdemokratie allein schon hinreicht, dieser die
E rric h tu n g utopischer Strebeziele unm öglich zu machen“ .
In dieser allgemeinen Untergangsstimmung erhoben sich vereinzelt auch
gegenteilige Meinungen. So schreibt V. B öhm en, einer der besten Kenner der
Verhältnisse im Deutschen Reich, bereits 18789: ‫ ״‬D ie landläufige Behauptung,
daß die K leinindustrie untergehe und der G roßindustrie weichen müsse . . . w ird
durch die Ergebnisse der Industriestatistik in dieser Allgem einheit keineswegs
bestätigt“ . F ü r die Habsburgermonarchie k o m m t E. A d le r zwanzig Jahre später
zu einem ähnlichen Ergebnis10: ‫ ״‬W enn w ir uns m it der landläufigen A nsicht, m it
den Aussprüchen einzelner Schriftsteller und m it den offiziellen Klagen der

5 Kobatsch, R.: Das Österreichische Gewerberecht und seine bevorstehende Reform. W ien 1905.
6 Teifen, W .: H a n d w e rk und H andw erker in Österreich. Wien 1899, 19 f., 1, 25. (W iener A rb e ite r
B ib lio th e k H e ft 7).
7 Reschauer, H .: Geschichte des Kampfes der H andw erkerzünfte und der Kaufmannsgremien m it der
österreichischen Bureaukratie. W ien 1882, X II.
1 ebenda, V o rw o rt, X I I f.
9 B öhm ert, V.: D ie Gegenwart und Z u k u n ft des Kleinbetriebes. Leipzig 1878, 12; vgl. auch ders.: Das
deutsche H andw erk und die Zwangsinnungen des Gesetzentwurfes der Abänderung der Gewerbe-
Ordnung, s. 1. 1890.
10 A d le r, E.: U b e r die Lage des Handwerks in Österreich. Freiburg 1898.
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Handwerk und Industrialisierung in Österreich im 19. Jh. 197

H an dw e rker begnügen w ollte n , dann wäre die Handw erkerfrage bereits gelöst
oder ginge doch in baldigster Z u k u n ft durch den gänzlichen Untergang der
H an dw e rker einer unverm eidlichen Lösung entgegen. A lle in w ir brauchen uns
n u r umzusehen, um zu finden, daß dies gegenwärtig noch n ich t der Fall ist, und
die statistischen Daten geben die Sicherheit, daß dies auch sobald n ich t eintreten
k a n n “ . E r räum t allerdings ein, daß ‫ ״‬eine in dieser Beziehung umfassende
gewerbliche Statistik speziell fü r Österreich allerdings leider n icht bestehe“ .
Letzterer A nsich t neigt auch im m er mehr die neuere w irtschafts- und sozialge-
schichtliche Forschung zu, um die sich fü r W ien v o r allem Josef E hm er mehrfach
verdient gemacht hat. F ür ih n stellt sich das Problem folgendermaßen d a r11: ‫ ״‬D ie
breite Mittelstandsbewegung, die sich im 19. Jahrhundert fo rm ie rte , insbeson-
dere die Neigung zu konservativen, ja reaktionären Ideologien, w ir ft im m er wie-
der die Fragen nach der Stellung des Kleingewerbes in den ökonom ischen und
sozialen S trukturen der industrialisierten Gesellschaft auf; Fragen, die von der
W irtschafts- und Sozialgeschichte noch nicht ausreichend beantw ortet wurden.
. . . Gerade die ergiebigsten wirtschaftshistorischen A rb e ite n behandeln n u r ein-
zelne Phasen der Industrialisierung, sodaß noch große U nsicherheit bei der Ein-
Schätzung des langfristigen historischen Verlaufs herrscht“ . A u fg ru n d fam ilien-
geschichtlicher Forschung und der A usw ertung W iener Innungsakten glaubt er
feststellen zu kö n n e n 12, ‫ ״‬daß die sozialen Verhältnisse des Kleingewerbes in den
letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine durchaus gelungene Anpassung an
die S trukturen der industriekapitalistischen Gesellschaft wiederspiegeln, und daß
der Aufbau einer umfassenden konservativen, nach rückw ärts blickenden und
die alte Z u n ft verherrlichenden Ideologie, der dam it einherging, weder A usdruck
einer K o n tin u itä t oder starken T ra d itio n noch A usdruck eines sozialen Verfalls
war, sondern vielm ehr der Versuch ist, die eigene Position in einer gewandelten
W e lt zu definieren und neue ku ltu re lle Ausdrucksform en fü r neue soziale Bezie-
hungen zu finden“ . Deshalb schlägt Ehm er vor, ‫ ״‬die Sozialgeschichte des K lein-
gewerbes nicht in Begriffen der ,Deklassierung‘ , sondern vielm ehr als ,Klassen-
kon stitu ie ru n g ‘ zu analysieren“ . W iew eit eine solche Forschungsproblem atik
auch auf Landesebene besteht, soll im folgenden untersucht werden.
Ehe ich aber m it quantitativen Überlegungen beginne, scheint es m ir w ich tig ,
die Grundzüge der G ew erbepolitik und deren rechtliche Folgerungen k u rz anzu-
deuten. Diese P roblem atik ist gut erforscht, bring t aber zum Them a ‫ ״‬Verhalten
des Handw erks als Folge der Industrialisierung“ n u r wenig Neues. D ie spektaku-
läre A ufhebung der Z ünfte und die E in fü h ru n g der G ewerbefreiheit 1859 sind
n u r der Schlußstrich zu einer liberalen E n tw ic k lu n g bürokratischen Denkens
seit Joseph II. N ach ihm hat kein Herrscher mehr eine Z u n fto rd n u n g bestätigt;
Handwerksangelegenheiten wurden von oben m it H ofdekreten und -resolutio-

11 Ehmer, J.: Ö konom ischer und sozialer S trukturw andel im W iener H a n d w e rk — von der indu-
striellen R evolution z u r H ochindustrialisierung. In: H andw erker in der Industrialisierung, hrsg.
von U . Engelhardt. Stuttgart 1984, 78 ff.
12 ders.: Lage und Bewußtsein des gewerblichen K leinbürgertum s aus Zeugnissen W iener Innungen
um 1880. In: C h ristlich e D em okratie 4 (W ien 1984) 351 ff.
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nen geregelt13. Ein eigenes F a brikrech t wurde 1838 d e kre tie rt14. V on einer Selbst-
Verwaltung der Z ünfte w ar längst keine Rede mehr. Ü berhaupt stellt 1859 —
ökonom isch betrachtet — keine besondere Zäsur dar. D ie A ufhebung der
Zwangsgenossenschaften erlaubte ausdrücklich das Weiterbestehen fre iw illig e r
Verbände. D ie K o n tro lle der Befähigung w ar bei vielen H andw erkern n icht auf-
gehoben, sondern n u r unter K o n tro lle des Staates geraten. Es tra t auch keine
besondere Verm ehrung der Gewerbe ein, die n u r k u rzfristig anhielt. D e r
gefürchtete todbringende K o n ku rre n zka m p f zwischen Befähigten und Ungelern-
ten blieb aus. D e r Gesetzgeber allerdings hatte sein schon längst geübtes Konzes-
sionssystem und Aufsichtsrecht wesentlich erweitert. A be r auch die Gewerbeno-
veile von 1883, welche die Zwanggenossenschaften in Form von Innungen und
den durch diese k o n tro llie rte n Befähigungsnachweis wieder einführte, brachte
keine entscheidende soziale Besserstellung der Klein- und M ittelbetriebe tro tz der
Forderung nach genossenschaftlichen K redit- und Absatzorganisationen, der
weitgehenden Befreiung sozialer Belastungen (U nfallversicherungspflicht) wie
auch der A ufsicht durch Gewerbeinspektoren. Diese verbesserten W ettbewerbs-
bedingungen gegenüber der davon betroffenen G roßindustrie zeigten n u r wenig
positive A usw irkungen, wenn w ir den ständigen Rückgang der Zahl der Selb-
ständigen zum Maßstab nehmen. In diesem Sinne kann man w o h l von einer K on-
tin u itä t15 im österreichischen Gewerberecht sprechen, einerseits m it wechseln-
den gewerbepolitischen Tendenzen, aber andererseits ohne nachhaltige ökono-
mische A usw irkungen auf das H a n d w e rk selbst.
W ichtiger erscheint m ir die E rklä ru n g und D e fin itio n einiger im Gewerbe-
recht angewandter Begriffe, die dann auch in den Statistiken aufscheinen und o ft
zu Mißverständnissen bei Uneingeweihten führten. D ie Bezeichnungen ‫ ״‬M anu-
fa k tu r, F ila to riu m und F a b rik “ w urden von merkantilistischen A u to re n des 17.
und 18. Jahrhunderts häufig synonym verwendet16. E in solches U nternehm en
besaß (unabhängig von seiner Beschäftigtenzahl) eine vom Landesfürsten p riv ile -
gierte Rechtsstellung, die seine Existenz außerhalb des Zunftzwanges sicherte. Es
verfügte zumeist über ein P rivileg ium priva tivu m , das ihm zeitlich beschränkt
ein Erzeugungsmonopol zusicherte, insbesondere auch Z o ll- und Mautbegünsti-
gungen sowie Niederlagsrechte (Magazine) in den größeren Städten des Landes.
F ü r solche U nternehm en existierte keine Beschränkung der Beschäftigtenzahl,
w obei auch Ungelernte (Frauen und K inder) sowie Akatholische hier A rb e it fin -
den durften. D ie ‫ ״‬Salva guardia“ bewahrte die Fabriken v o r m ilitärischer Ein-
quartierung und Plünderungen sowie R ekrutierung ih rer A rbeitskräfte. Die

13 B aryli, A .: Konzessionssystem contra Gewerbefreiheit. Z u r Diskussion der österreichischen


Gewerberechtsreform 1835 bis 1860. F ra n k fu rt 1984.
14 O tru b a , G.: V on den ‫ ״‬F abriksprivilegien" des 17. Jahrhunderts zum ‫ ״‬Österreichischen Fabriken-
recht“ 1838. In: Scripta Mercaturae 10 (Stuttgart 1976) H eft 2.
15 B aryli, A .: K o ntinuitäten der österreichischen G ew erbepolitik vom V orm ärz bis zum Jahre 1883.
In: C hristliche
_
D em okratie
•« 4 (W ien 1984) 345 ff.
16 O tr u b i, G . (Hrsg.): Österreichs Fabriksprivilegien vom 16. bis ins 18. Jahrhundert. W ien 1981;
ders.: Z u n fto rd n u n g und Fabriksprivileg. Rechtliche K o n tin u itä t im Industrialisierungsprozeß. In:
II. Internat. Handwerksgeschichtl. Symposium. Veszprém 1983, Bd. 1, S. 105— 118.

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Handwerk und Industrialisierung in Österreich im 19. Jh. 199

Beschäftigtenzahl — wie bei den meisten Seidenfabrikanten in den Städten sehr


niedrig — konnte bei nur mehreren Personen liegen, aber auch bei B aum w oll-
und Tuchfabriken o ft mehrere tausend Personen — zumeist im Verlag arbeitende
Spinner und Weber — betragen, wobei im zentralen Manufakturgebäude selbst
mehrere hundert handwerkliche Spezialisten die F in ish p ro d u ktio n besorgten.
Daneben betrieben gut geschulte kaufmännische Beamte den R ohstoffeinkauf,
dessen V erteilung durch Faktoren an die Hausgewerbe sowie den V e rka u f der
Fertigware. Diese neue arbeitsteilig organisierte P rod uktion sform besaß viele
V o n e ile gegenüber dem zumeist nur auf lokale K u n d e n p ro d u ktio n ausgerichte-
ten H andw erk, das durch die Zunftordnungen in seinen P roduktionsm öglichkei-
ten stark eingeschränkt blieb. H ie r war die Beschäftigtenzahl begrenzt, n u r quali-
fizienen Kräften eine Betätigung erlaubt, die P ro d u ktio n unterlag Q ualitätsord-
nungen und dem V erbot der Verwendung bestim m ter Maschinen und man ver-
fügte über keine kaufmännisch geschulte Einkaufs- und Absatzorganisation.
Allerdings hatte bereis M aria Theresia eine T rennung der exportorientierten
Kommerzialgewerbe von den ausschließlich den lokalen M a rk t versorgenden
Polizeigewerben verfügt17.
Erstere unterstanden k ü n ftig nur mehr den staatlichen Kreisbehörden, anstelle
eigener Z unftautonom ie regelten ihre Angelegenheiten einheitliche landesfürstli-
che Landesordnungen, die sie von allen Produktionsbeschränkungen befreiten.
Die Polizeigewerbe hingegen, die in der Regel auf bestimmte Häuser reduziert
waren, blieben unter der Ju risd iktio n ih rer G rundherrschaft und bewahrten
auch w eiterhin ihre zünftlerische Selbstverwaltung. Obgleich in einzelnen Spar-
ten beide A rte n von Gewerbe Vorkomm en und in den Statistiken getrennt
Berücksichtigung fanden, müssen diese fü r unsere Zwecke wieder rechnerisch
zusammengefaßt werden. Was die Statistik darüber hinaus verschweigt, ist die
große Zahl von ‫ ״‬frei zugelassenen“ Gewerben, großteils im Verlag der Fabriken
und G roßhändler tätig, w eiterhin Schutzdekretisten (H ofbefreite, Soldatenhand-
werker, fü r Adel und Kirche in den Freihäusern der Städte Beschäftigte) sowie
jene unbekannte Zahl der Störer, die zeitweise bis zu einem D ritte l oder noch
mehr der zünftigen Meister ausmachten. O ft geriet in Form des ‫ ״‬Z u n ftka u fs“
die gesamte Meisterschaft des Gewerbes einer Stadt (zum Beispiel die Tuch-
macher von Reichenberg) in Lohnarbeit fü r Verleger. U n te r allen diesen Vorbe-
halten sind die Zahlenangaben der ersten H älfte des 19. Jahrhunderts v o r allem
als rechtliche Unterscheidungen zu interpretieren.
Bereits v o r der M itte des Jahrhunderts begann man an der Zw eckm äßigkeit
solch rechtlicher Unterscheidungen zu zweifeln. D e r Statistiker C.v. C zo e rn ig 18,
der fü r 1841 eine Bestandsaufnahme der Fabriksindustrie der Donaum onarchie
unter Aufzählung ihrer Standorte und Einzelunternehm en unternahm , h ie lt sich
zwar noch an die traditionelle Einteilung, schlug aber gleichzeitig vor, als k ü n fti-

17 Pribram , F.: Geschichte der österreichischen G ew erbepolitik von 1740 bis 1860. Leipzig 1907;
A dler, M .: Die Anfänge merkancilistischer G ew erbepolitik in Österreich. W ien 1902.
11 Tafeln zur Statistik der österreichischen Monarchie fü r das Jahr 1841, 14. Jg., W ien 1844; C . v.
Czoernig: Statistisches Handbüchlein fü r die österreichische Monarchie. W ien 1861.

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ges K rite riu m fü r eine Fabrik die Beschäftigtenzahl (über 16) und die maschinelle
Ausstattung heranzuziehen. Dementsprechend stellt er einen wesentlich höheren
Fabrikenanteil fest (in W ien 17,2%, in den Vorstädten von 5,1%, in Niederöster-
reich von 11,2% und in Böhmen von 28,4%. V on den Dampfmaschinen verteil-
ten sich — unter Berücksichtigung deren Pferdestärken — 14,5% auf N iederöster‫־‬
reich und 38,6% auf Böhmen). D ie Grenzzahl der Beschäftigten zwischen F abrik
und Gewerbe wurde seit den 80er Jahren auf 20 erhöht, was in A nbetracht eines
gewaltigen Konzentrationsprozesses19 bei ständig steigenden P ro ko p fp ro d u k-
tionsquoten, die laufend Arbeitsplätze wegrationalisierten, viel zu niedrig gegrif-
fen ist. Dies erklärt auch eine laufend schwindende Fabriksdichte, w obei die
Bedeutung des einzelnen Betriebes überdimensional wächst. Das zweite K rite -
riu m der technischen Ausstattung der Betriebe erscheint ebenfalls fragw ürdig,
w eil Zahlen von Spinnmaschinen und mechanischen W ebstühlen, Dam pfmaschi-
nen, H ochöfen usw. nur wenig über deren jeweiligen Leistungsgrad aussagen.
Besonders schwer ist ein Vergleich der wechselnden Antriebsenergien — vom
Menschen über die Wassernutzung und T ie rk ra ft, die M öglichkeiten im m er lei-
stungskräftigerer Dampfmaschinen bis hin zur E le ktrizitä t. Gerade der E lektro-
m o to r hat in V erbindung m it der Nähmaschine, D rehbank oder Kreissäge den
K lein- und M ittelbetrieben eine erfolgreiche K o n ku rre n z m it den Dampfmaschi-
nen der Fabriken erm öglicht, die viele nationalökonomische Prophezeiungen
Lügen strafte. Produktionsmengen und Umsatzwerte, vo r allem aber der wach-
sende Kapitaleinsatz bieten zur Entscheidung hinsichtlich G roß- und Kleinbe-
trie b ebenfalls Anhaltspunkte, was aber zumeist n u r bei Aktiengesellschaften20,
die erst seit den 80er Jahren öffentlich bilanzpflichtig wurden, m öglich ist. W ei-
tere ebenfalls ‫ ״‬vage“ Unterscheidungsmerkmale zur G rößenordnung von Betrie-
ben erm öglichen die Erwerbsteuertabellen, die ab 1812 vorliegen21. Seit 1851
teilte man diese in 8 Gruppen und 36 Klassen, in 167 Gewerbeklassen progressiv
gestaffelt, ein. D ie Klassifizierung erfolgte jetzt nicht m ehr nach gewerberecht-
liehen, sondern ausschließlich nach technologischen Gesichtspunkten. Ergeb-
nisse der Erwerbssteuererträge liegen fü r 1851 sowie 1859 und 1862 v o r — aller-
dings zuletzt unter Bekanntgabe des niedrigst- und höchstangewandten Steuersat-
zes sowie des Gesamterträgnisses, so daß ein Vergleich m it 1851 nicht m ehr mög-
lieh ist. N u r die Gesamtzahl Erwerbssteuerpflichtiger findet sich in Tabelle II I
fü r 1862 ausgewertet. V on 1863 bis 1897 wurde die Erwerbssteuerstatistik auf-
grund unvollständiger Ausweise der Handels- und Gewerbekammern erstellt
und in deren Fünfjahresberichten fallweise uneinheitlich ve rö ffe n tlich t. Das
Gewerbeschema wurde auf 17 Gruppen und 80 Klassen verändert, was Verglei­

19 Mosser, A .: Raumabhängigkeit und Konzentrationsinteresse in der industriellen E n tw icklu n g


Österreichs bis 1914. In: Bohemia 17 (München 1976) 137 ff.
20 ders.: D ie Industriaktiengesellschaft in Österreich 1880— 1913. Versuch einer historischen Bilanz-
und Betriebsanalyse. W ien 1980.
21 Z u m folgenden vgl.: Schiff, W .: D ie ältere Gewerbestatistik in Österreich und die Entstehung der
Betriebszählung vom Jahre 1902. In: Stat. M onatsschrift N .F . 12 (Brünn 1907)613 ff.; M eyer, R.: Z u r
Geschichte der Finanzstatistik in Österreich. In: Stat. Monatsschrift N . F. 18 (B rünn 1913) 493, 982
ff. Im übrigen w ird auf die Quellenhinweise der im Anhang veröffentlichten Tabellen verwiesen.

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Handwerk und Industrialisierung in Österreich im 19. Jh. 201

che m it den vorhergegangenen Ergebnissen nahezu unm öglich macht. Solche


‫ ״‬Statistiken der österreichischen Industrie“ sind fü r 1880, 1885 und 1890 publi-
ziert w orden, w obei man 1880 nur Betriebe m it m ehr als 42 fl Steuerleistung
erfaßte (Großbetriebe?), während man 1885 in den größeren Städten ab 21 fl und
auf dem Lande ab 10 fl 50 k r Steuerleistung alle Betriebe (M ittelbetriebe?)
berücksichtigte. Erst ab 1890 wurde einheitlich ab einer Steuerleistung von 21 fl
jeder Betrieb statistisch erfaßt und wurden zusätzlich auch noch Beschäftigten-
zahlen der einzelnen Gewerbeklassen bekanntgegeben, ohne diese nach Betriebs-
großen aufzuschlüsseln. A lle diese Umstände ermöglichen kaum einen Vergleich
dieser Erhebungen. D ie Erwerbsteuerstatistik 1874 läßt länderweise — aber nicht
nach Erzeugungssparten — eine Aufgliederung nach Steuerklassen zu, wobei letz-
tere sich weder m it jenen von 1851 noch m it den späteren von 1898 vergleichen
lassen. Z u r V orbereitung einer ersten Betriebszählung im Jahre 1897 erschien ein
Jahr vorher ein ‫ ״‬Systematisches Verzeichnis“ 22 aller Gewerbe, das 6498 Bezeich-
nungen — darunter 4397 Industrial- und 2101 Handels- und Verkehrsgewerbe —
aufzählt. Dabei verwendete man die Bezeichnung ‫ ״‬F a b rik “ oder ‫ ״‬Gewerbe“
‫ ״‬m öglichst dem allgemeinen Sprachgebrauch“ folgend. Bei D urchsicht der
Berufsbezeichnungen fä llt auf, daß fast alle heute noch bekannt sind, allerdings
ein geringer Prozentsatz nicht mehr als selbständige Tätigkeiten. Bereits 1902
erfolgte eine viel ausführlichere Betriebszählung, die unter anderem detaillierte
A uskünfte über Betriebsgrößen — gestaffelt nach Beschäftigtenzahlen — , über
die V erbindung von landw irtschaftlicher N ebentätigkeit und Gewerbe sowie
von H an dw e rk und Handel (Verkaufsläden), über die Bedeutung der Hausindu-
strie, A bsatzorientierung usw. gibt. Zusätzlich stehen uns ab 1883 die ‫ ״‬Berichte
der G ewerbeinspektoren“ zur Verfügung, die allerdings nur die ih rer A ufsicht
unterstellten Betriebe erfassen und zwischen ‫ ״‬Fabriken“ und ‫ ״‬unfallversicherten
Gewerben“ nach eigenen K rite rie n unterscheiden. (F ü r Tabelle V I habe ich als
Grundlage die Betriebszählung von 1902 genommen und aus den Berichten der
Gewerbeinspektoren die Fabrikenzahl hinzugefügt, w eil entsprechende Berech-
nungen aus ersterer Quelle zu aufwendig erschienen.) F ü r 1898 und 1910 stehen
uns erstmals wieder vergleichbare Tabellen der Erwerbsteuer23 zur Verfügung,
die jedoch einen Bezug auf die Ergebnisse von 1851 n u r sehr bedingt — fü r die
niedrigste Steuerklasse — zulassen. In allen übrigen Bereichen liegt eine v ö llig
andere Progression zugrunde. Z u letzt werden auch noch Ergebnisse der V olks-
Zahlungen von 1890, 1900 und 1910 herangezogen, um einen Vergleich des
A nteils der Selbständigen (Betriebe) zur Gesamtzahl der Berufstätigen s tru k tu re ll
als auch dynamisch zu ermöglichen. Nach Kenntnis aller zu betrachtenden
Umstände sei im folgenden eine knappe Ausw ertung des vorgelegten Materials
versucht.

22 Systematisches Verzeichnis der Gewerbe fü r statistische Zwecke der Handels* und G cwcrbckam -
mern. W ien 1890.
‫ ״‬Statistische Ausweise zur allgemeinen Erwerbsteuer der (zweiten) Veranlagungsperiode 1900—
1901, Statistische Ausweise zur allgemeinen Erwerbssteuer der (achten) Veranlagungsperiode 1912—
1913. W ien 1902, 1914.

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202 Gustav Otruba

Eine Aussage hinsichtlich des Verhaltens des Kleingewerbes, seines strukturel-


len A n te ils an bestimmten Erzeugungssparten wie auch seines Wachstums bezie-
hungsweise Rückgangs bei verschieden ausgeprägtem Industrialisierungsgrad
eines Landes ist wegen der V ielfalt m itbestim m ender Faktoren sehr schwierig
und zeigt auch sehr unterschiedliche Trends. D ie beiden führenden Industrielän-
der Niederösterreich und Böhmen innerhalb der Österreichischen Reichshälfte
durchliefen zeitlich verschiedene Industrialisierungsabläufe bei jeweils unter-
schiedlicher Industrialisierungsstruktur. W ährend Böhmen bereits im 18. Jahr-
hundert eine glanzvolle M anufakturepoche (vo r allem im Bereich der T e x til-
industrie) erlebte, trat Niederösterreich später im V erlauf der ersten H älfte des
19. Jahrhunderts in die ‫ ״‬Fabriksepoche“ ein und überflügelte dabei zunächst
Böhm en, w o großteils nur die deutschsprachigen Randgebiete industrialisiert
w orden waren, während die tschechischen Kernräume weitgehend in kleinge-
w erblich er S tru k tu r (m it Ausnahme der N ahrungsm ittelindustrie) verharrten. In
Niederösterreich hingegen wurden zumindest drei oder vier V iertel des Landes
— besonders aber die Umgebung der Residenzstadt W ien — von diesem Prozeß
(vo r allem auch in der Eisen- und Metallerzeugung) viel tiefgreifender erfaßt als
in Böhmen. In der zweiten H älfte des 19. Jahrhunderts — der eigentlichen Phase
einer sich konzentrierenden G roßindustrie — konnte Böhmen wieder die Füh-
rung übernehmen, vo r allem auch in der Eisenindustrie (Thomasverfahren) dank
seiner !1eichen Kohlenlager, wobei sich diese neuen Fabriken auch im m er m ehr
in das Landesinnere (zum Beispiel Pilsen) verlagerten. A u f der anderen Seite neh-
men die im großen und ganzen in ih rer A g ra rs tru k tu r verharrenden Länder, zum
Beispiel Oberösterreich, eine v ö llig andere E ntw icklung. A llerdings spielte auch
hier die Kleineisenindustrie traditionsgemäß eine große Rolle, was zunächst zu
einem relativ hohen A n te il an Fabriken führte. A uch existierten noch einige
Nachfolgeunternehm en großer T extilm anufakturen des 18. Jahrhunderts. A be r
erst gegen Ende des 19. und zu A nfang des 20. Jahrhunderts trat auch hier ein
stärkeres Wachstum der Fabriken ein, wobei verspätet das Kleingewerbe eben-
falls Substanzverluste hinnehmen mußte. D ie S tru ktur- und Wachstumsverhält-
nisse der Österreichischen Reichshälfte insgesamt kom m en der E n tw icklu n g
Oberösterreichs sehr nahe, jedoch verfügt erstere über eine Reihe ausgeprägter
Industrieregionen — eben in Böhmen und Niederösterreich — , so daß ih r Fabri-
kenanteil über jenem von Oberösterreich liegt. A uch der A n te il der M itte l- und
K leinbetriebe hielt sich in Oberösterreich von A nfang an wesentlich höher als
in allen anderen genannten Ländern. D ie Folgen dieser E n tw ic k lu n g reichen weit
bis ins 20. Jahrhundert, w o ra u f seine starke mittelständische W irtschaft bis vo r
dem Zw eiten W eltkrieg beruhte. V e rm u tlich dürfen w ir die Verhältnisse von
O berösterreich am ehesten jenen in Nieder- und O berbayern gleichsetzen24.
Vergleiche bei so unterschiedlichen Voraussetzungen sind äußerst problema-
tisch. Leider muß ich mich im folgenden m it der Feststellung bestim m ter Trends
in den jeweils erfaßten Zeitperioden begnügen. Im V o rm ä rz zeigte sich bereits,

24 Diesen E in d ru ck verm ittelt ein Vergleich m it den Ergebnissen von M . Birnbaum : Das M ünchner
H andw erk im 19. Jahrhundert (1799— 1868). München 1984.

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Handwerk und Industrialisierung in Österreich im 19. Jh. 203

daß ein besonders hoher Fabrikenanteil zu einer geringeren strukturellen Vertre-


tung des Kleingewerbes führte und bei stärkerem W achstum der Fabriken seine
Zuwachsrate minderte, wenn dieses nicht überhaupt Substanzverluste hinneh-
men mußte. Jedoch differenziert sich diese grundlegende Tendenz stark je nach
der oben angeführten S tru k tu r der Vergleichsländer. A u ffä llig an der Steuerlei-
stung von 1851 ist, daß ohne Unterschied des Industrialisierungsgrades noch in
allen Ländern 97 bis 99% aller U nternehm en der niedrigsten Steuerklasse ange-
hörten, wobei auf die erste Steuerklasse ebenfalls nur ein Bruchteil der Fabrikan-
ten entfiel. In Ländern m it einem höheren Industrialisierungsgrad zeigte sich
bereits ein — allerdings noch bescheidener — Trend zu r m ittleren Steuerleistung
(besonders bei der Flachs- und Hanfspinnerei, aber auch im Nahrungsm ittelge-
werbe, wobei in Niederösterreich und Böhmen die E n tw ic k lu n g unterschiedlich
verlief). D ie stärkere Industrialisierung hat zweifellos die K onsum kraft eines Lan-
des wesentlich erhöht, was auch dem Kleingewerbe zugute kam. D ie Erwerbsteu-
erstatistik von 1859 beweist die überragende Bedeutung von W ien und Nieder-
Österreich, was sich vo r allem in einem hohen Steueraufkommen pro Betrieb
zeigt. T ro tz einer großen Betriebsdichte in Böhmen bleibt das Steueraufkommen
hier sehr bescheiden, während es im industriell unterentw ickelten Oberöster-
reich relativ hoch ist, was auf das hierzulande damals noch florierende Eisenge-
werbe zurückzuführen sein dürfte.
Die Statistiken von 1862 bis 1890 lassen uns n u r in d ire k t am Wandel des Struk-
turanteils des jeweils ausgewählten Handwerks in Beziehung zur Gesamtzahl der
Betriebe innerhalb der Erzeugungssparte — w o rin auch die Fabriken enthalten
sind — Zuwachs beziehungsweise Rückgang beider oberflächig erkennen. So
erahnen w ir, welche Ausw irkungen die ‫ ״‬G ew erbefreiheit“ wie auch die ‫ ״‬Große
Krise nach 1873“ im einzelnen hatten. D ie Zahl der von uns ausgewählten Hand-
werksbetriebe wächst — tro tz Krise — o ft wesentlich stärker als die Gesamtzah-
len der Sparte, w odurch stru ktu re ll ih r A n te il steigt. Besonders w ir k t sich dies
in Oberösterreich und Böhmen aus, w o von vornherein bereits eine bessere Aus-
gangslage bestand. Rückgänge traten nur ausnahmsweise parallel zur Gesamtent-
w icklung ein, aber auch hier weniger ausgeprägt. D ie Erwerbsteuerstatistik von
1874 erlaubt uns, ‫ ״‬Fabriken“ einerseits und ‫ ״‬Künste und Gewerbe“ andererseits
getrennt zu betrachten. Es zeigt sich bei den Fabriken erstmals die führende Stel-
lung Böhmens, wobei hier der Gewerbeanteil ebenfalls sehr hoch ist. M e h r als
ein V iertel aller Fabriken sowohl in Böhmen als auch in Niederösterreich waren
in die niedrigste Steuerklasse eingeteilt, bei den Gewerben ist der A n te il der klei-
nen Steuerzahler allerdings in Böhmen wesentlich höher als in Nieder- und
Oberösterreich. In Oberösterreich, w o der Fabriksanteil verschwindend gering
blieb, befanden sich 41% der Betriebe in der untersten Steuerkategorie. D er
Höchstbemessungssatz der Steuerleistung kam am häufigsten in Niederösterreich
zur Anwendung, ebenso die m ittleren Steuersätze, während Böhmen dem
D urchschnitt der Österreichischen Reichshälfte nahe lag, Oberösterreich sogar
noch beträchtlich darunter.
Die Betriebszählung von 1902 beweist uns erneut die bereits mehrfach aufge-
zeigten Strukturverhältnisse. In Ländern von geringem Industrialisierungsgrad
erhält sich der Handwerksanteil wesentlich höher, w obei in der M etallindustrie
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noch im m er deutliche Unterschiede zwischen Böhmen und N iederösterreich


auffallen. In der Zeit von 1902 bis 1913 blieb dann das W achstum der fabriksm ä-
ßigen Betriebe w eit h in te r jenem der ‫ ״‬unfallversicherungspflichtigen Gewerbe“
zurück, wobei gerade O berösterreich eine Ausnahme darstellt — v e rm u tlich w eil
hier der A n te il der Fabriken noch sehr niedrig w ar und verhältnism äßig am
stärksten wuchs.
D ie Steuerleistung der Jahre 1898/1910 läßt sich m it jener von 1851 wegen
unterschiedlicher Progression innerhalb der einzelnen Steuerklassen n u r schwer
vergleichen, m it Ausnahme der niedrigsten. Es zeigt sich deutlich, daß v o r allem
in den industrialisierten Ländern der A n te il von Angehörigen der vierten unter-
sten Steuerklasse erheblich sinkt, großteils durch deren Aufstieg in die m ittleren
Kategorien, weniger in die oberste, die jetzt auch wesentlich höher angesetzt ist.
Dieser Trend besteht v o r allem in Niederösterreich, weniger in Böhmen und
kaum in Oberösterreich. Übrigens trat — von Ausnahmen abgesehen — bis 1910
wieder eine deutliche U m k e h r dieser E n tw icklu n g ein, besonders ausgeprägt in
Oberösterreich und Böhmen, was auf Umsatzrückgänge der M itte l- und K lein-
betriebe schließen läßt.
Eine E rm ittlu n g der Selbständigen unter den Berufstätigen erfolgte in den
Volkszählungen von 1890, 1900 und 1910 in vergleichbarer Form . D e r Prozent-
anteil der Selbständigen an den Berufstätigen ging sowohl in den einzelnen
Erzeugungssparten als auch bei den von uns ausgewählten H andw erken laufend
zurück, allerdings regional unterschiedlich stark. V on 1890 bis 1900 betraf er
stärker die Berufstätigen, von 1900 bis 1910 m ehr die Selbständigen. Es w ar dies
die Folge einer um die Jahrhundertwende einsetzenden Krise, wobei die Selbstän-
digen (überwiegend Inhaber von Kleingewerben) zunächst eine stärkere Über-
lebenschance besaßen als die A rb e ite r der G roßindustrie. Das D urchhalteverm ö-
gen der Kleinbetriebe ließ dann bei Wiedereinsetzen der K o n ju n k tu r allerdings
infolge des Mangels an Eigenkapital nach. In den weniger industrialiserten Län-
dern wurden davon auch Kleinhandw erke wie Schmiede, M aurer, Z im m erer,
Seiler, Böttcher und M ü lle r besonders hart betroffen, während in hochindustria-
lisierten Ländern viele Erzeugungssparten (metallverarbeitende und T e x tilfa b ri-
ken) bereits wieder erhebliche Zuwächse verzeichneten.
Eine genauere Untersuchung — wie ich sie jedoch im vorgegebenen Rahmen
nicht durchführen kann — w ürde noch zu weiteren, d iffizile re n Ergebnissen
kom men. Nach dem Gesagten erscheint m ir jedoch als Hauptergebnis festzuste-
hen, daß w ir uns v o r einer Überschätzung des Umfanges der G roß industrie im
19. Jahrhundert hüten müssen. Selbst d o rt, w o die Industrialisierung w eit fortge-
schritten war, behielt das Kleingewerbe — zumindest was die Zahl der Betriebe
anbelangt — eine große Bedeutung, die um so w ichtiger blieb, je weniger sich in
einem Lande die Industrialisierung durchsetzte. Letzteres kam v o r allem auch
den M ittelbetrieben zugute. D ie K lein- und M ittelbetriebe zeigten in Krisenzei-
ten o ft ein hohes D urchhalteverm ögen, allerdings wurde ihnen dann o ft die wie-
dereinsetzende K o n ju n k tu r zum Verhängnis.
Im folgenden sollen noch in Kürze einige bisher nicht zur Sprache gekommene
w ichtige Umstände hervorgehoben werden. Das Problem der Zuwachsraten bei
Fabriken (Großbetrieben) und Gewerben w ird jeweils von der Ausgangsbasis her
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Handwerk und Industrialisierung in Österreich im 19. Jh. 205

bestim m t; deshalb erscheinen auch die Zuwachsraten der Fabriken anfangs zu


hoch. Es wäre besser, ein Verhältnis der Zahl der Betriebe beziehungsweise der
Berufstätigen zur Gesamtzahl der Bevölkerung und deren Wachstum herzustel-
len, wobei streng darauf zu achten wäre, daß fü r die Beobachtungszeit n u r gleich-
bleibende Raumeinheiten — deshalb scheiden Städte und Städtevergleiche hier in
der Regel aus25 — beleuchtet werden. Daraus könnte sich eine Schlüsselzahl fü r
die Versorgungsdichte und den potenten Kundenstock im Lokalbereich ergeben.
Solche Zahlen zeigen, daß in der zweiten H ä lfte des 19. Jahrhunderts eine
bedenkliche E n tw ic k lu n g eintrat. D er H andel hat das H andw erk im m er mehr
verdrängt. E in Vergleich der Volkszählungen von 1869 und 1910 macht deutlich,
daß bei einem Anwachsen der ortsanwesenden Bevölkerung um 37,9% der
A n te il der in Industrie und Gewerbe Berufstätigen um 65% stieg, während im
H andel und V e rke h r eine Explosion um 173,5% stattfand. W enn man als Aus-
gangsbasis die wesentlich verläßlichere Volkszählung von 1890 n im m t, so betra-
gen die Zuwächse im m erhin noch 17,7, 33,5 und 56,2%. Diese E ntw icklun g
bewertete T. T eifen26 bereits 1899 als gefährlich, w o fü r ich zwei seiner Beweise
herausgreife: Bei den Pfaidlern (Hem d- und Wäscheerzeugern) in W ien, die mehr
als 20.000 Frauen — im Verlag schlechtest bezahlt — beschäftigten, existierten
1867 15 Handwerksbetriebe, 1891 waren es 56. D ie Zahl der besteuerten Schuh-
macher in W ien erhöhte sich von 1862 bis 1890 um 5,6%, was w eit unter dem
Bevölkerungszuwachs lag, so daß die Zahl der von einem Schuhmacher betreu-
ten E inw ohner sich von 384 auf 410 erhöhte. W ien besaß 1870 erst 24 Schuhkon-
fektionsgeschäfte, 1890 bereits 53. Teifen bem erkt hierzu, ‫ ״‬daß dies nicht den
Bedürfnissen der Konsumenten (entspricht), sondern w eil das H andw erk viele
Menschen nicht m ehr ernährt und w eil zu dem Kleinhandel nur ein geringes
Betriebskapital notw endig ist, deshalb wenden sich so viele Menschen dem Han-
del zu, dessen Zersplitterung die Waren fü r den Konsumenten unverhältnismä-
ßig stark verteuert“ . Gerade diese A r t von Kleinhandel dom inierte in nichtindu-
strialisierten Ländern, zum Beispiel in G alizien. Ansonsten konnten Handwer-
ker — wie die Betriebszählung von 1902 zeigte27 — in den seltensten Fällen einen
eigenen Verkaufsladen eröffnen, nur je etwa ein Zehntel der 146 Gewerbe. Zu

25 Das b e trifft m.E. sowohl ältere als auch jüngere Arbeiten: Untersuchungen über die Lage des
Handwerks in Ö sterreich m it besonderer Rücksicht auf seine K onkurrenzfähigkeit gegenüber der
G roßindustrie. In: Schriften des Vereins fü r S ozialpolitik Bd. 71, Leipzig 1896, behandeln in Wien
die Zuckerbäcker, H utm acher, Schuhmacher, Hemdenmacher, Schirmmacher, Binder, Weißger-
ber, Männerkleidererzeuger, G ü rtle r, Bronzearbeiter und Buchbinder, in Graz die Schlosser, in
Prag Schuhmacher, Handschuhmacher und M öbeltischler, in Brünn H utm acher und Schlosser, in
Proßnitz die Schneider sowie in C zem ow itz Schuhmacher, Wagenbauer und Böttcher. Banik-
Schweitzer, R ./M e iß l, G.: Industriestadt W ien. Die Durchsetzung industrieller M a rk tp ro d u k tio n
in der Habsburgerresidenz. W ien 1983 bringen Vergleiche m it Berlin und Budapest. V gl. auch
M eißl, G.: Industrie und Gewerbe in W ien 1835 bis 1845. Branchenmäßige und regionale Struktu-
ren und Entwicklungstendenzen. In: Forschungen und Beiträge zur W iener Stadtgeschichte 8 (W ien
1980) 75 ff.
26 Teifen 1899, 5 ff.
27 Schiff, W .: D ie Ergebnisse der gewerblichen Betriebszählung vom 3. Juni 1902. In: Stat. Monats*
schrift N F 13 (B rünn 1908) 217.
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206 Gustav Otruba

etwa 40 bis 60% besaßen solche Läden — nach H ä u fig ke it gereiht — H ersteller
von Filzhüten, Schirmen, M iedern, chirurgischen Instrum enten, Strohhüten und
U h re n sowie Putzmacher, die so u n m itte lb a r an Kunden n ich t n u r ihre W aren,
sondern häufig auch Fabrikserzeugnisse verkauften und Reparaturen d u rc h fü h r‫־‬
ten. Aus H andw erkern w urden ‫ ״‬F lic k e r und K räm er“ . So b le ib t das W achstum
der meisten Handwerksbetriebe — v o r allem in größeren Städten — h in te r jenem
der Bevölkerungsentwicklung zurück, auch dann, wenn es bescheidene Zuwachs‫־‬
raten verzeichnete.
A u ffä llig daran ist, daß v o r allem die vom Verlag erfaßte H e im a rb e it auf diese
Weise häufig einen Weg aus der N otlage oder zumindest ein zweites Standbein
suchte. H eim arbeit28 im Verlag setzte sich überall d o rt durch, w o eine schwierige
Rohstoffbeschaffung oder Absatzproblem e auf fernen M ä rkten bestanden, wel-
che m it vielen Risiken verbunden waren, die der H an dw e rker lieber kapitalkräf-
tigen G roßhändlern überließ. Es gab sie aber auch d o rt, w o im arbeitsteiligen
P roduktionsprozeß der F abrikant Teile der H erstellung, die H andarbeit oder
zumindest A rb e it m it geringen technischen H ilfs m itte ln (Spinnrad, H andw eb‫־‬
Stuhl, Nähmaschine usw.) erforderten, b illig e r außer Haus an H eim arbeiter ver-
gab. Die Dezentralisation ersparte ih m die E rric h tu n g und E rha ltu ng von W erk-
statten. Zusätzlich sparte er an L o h n durch V erw endung von zumeist wenig qua-
lifizie rte n A rbeitskräften, die er bei Absatzkrisen wochen- und monatelang ohne
A u ftra g und Lohn ihrem Schicksal überlassen konnte. N ic h t geringere Gefahren
entstanden, wenn sich technische Produktionsbedingungen p lö tz lic h änderten.
So zählte man zum Beispiel in der M onarchie 1841 insgesamt 40.444 handwerks-
mäßige Webereien und n u r 401 m it mechanischen W ebstühlen ausgestattete
Fabriken. Bis 1890 verringerte sich die Zahl ersterer auf 7.709, denen jetzt 1.058
G roßbetriebe gegenüberstanden, was einen Verlust von 78,5% aller Betriebe die-
ser Branche bedeutete. Bei den Lederern, C orduanern und G erbern existierten
1841 5.866 H andwerksunternehm en und 104 Fabriken. D ie neuerfundene
C hrom gerbung blieb den Fabriken Vorbehalten. Bis 1890 verm inderte sich die
Zahl der kleinen Handwerksbetriebe auf 2.518, während sich die Zahl der Fabri-
ken auf 232 erhöhte, was die Gesamtzahl aller Betriebe um 50,9% verringerte29.
A b e r auch ein Verlust der Rohstoffbasis konnte verheerende Folgen haben. Die
aus Lombardo-Venetien m it Rohseide versorgten Seidenfabrikanten in W ien
zählten 1850 452 Fabriken, die 8.616 Menschen A rb e it gaben. Nach dem Verlust
O beritaliens 1859 und 1866 verm inderte sich deren Zahl bis 1887 auf 83 Fabriken
m it 1.134 A rbeitern. D ie Arbeitsplätze dieser Branche sanken um 86,8%30. Auch
bei einer radikalen Veränderung der Absatzverhältnisse (zum Beispiel durch neue

28 Schwiedland, E.: Kleingewerbe und Hausindustrie in Ö sterreich. Leipzig 1894; ders.: Aufhebung
des Sitzgescllenwesens durch die A rb e ite r. W ien 1894; Stenographisches P ro to k o ll der durch die
Gewerkschaft Wiens einberufenen gewerblichen Enquete (abgehalten von 18. Dez. 1892 bis 12. Jän.
1893). W ien 1895.
29 Schwiedland: Kleingewerbe, 30 f.
w E n tw icklu n g von Industrie und Gewerbe in Ö sterreich in den Jahren 1848— 1888, hrsg. von der
Com m ission der Jubiläums-Gewerbe-Ausstellung. W ien 1888, 74 f.
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Handwerk und Industrialisierung in Österreich im 19. Jh. 207

Z o llta rife oder wechselnde M odetrends) konnte binnen weniger Jahre ein blü-
hendes H a n d w e rk v ö llig verschwinden. E in Beispiel dafür sind die W iener Perl-
mutterdrechsler. Sie zählten 1845 erst 47 M eister und erreichten 1890 m it 507
W erkstätten ihre größte V erbreitung. Infolge einer w eltw eiten Absatzkrise, her-
vorgerufen durch die M acK inley B ill, w urde dieser Berufszweig v ö llig ru in ie rt31.
Nach der Betriebszählung von 190232 arbeiteten großteils hausindustriell: Baum-
w o li- und W o llw e b e r, K unststicker, W irkw a re n -, Spitzen- und Handschuherzeu-
ger, Glasbearbeiter, Drechsler und S trohflechter. T ro tz starker Verlagsabhängig-
keit konnten ihre Kundenarbeit weitgehend zusätzlich bewahren: Schuhmacher,
Männerkleidererzeuger, Buchbinder, Seiler und G oldarbeiter. Bei den Leinewe-
bern, W äschekonfektionären, Holzwarenerzeugern, Korbm achern, Gelbgie-
ßern, W o llfä rb e rn , Bürstenbindern, M usikinstrum entenm achern und Kartona-
genherstellern w urde Kundenarbeit im m e r seltener. Em. A d le r bemerkte hierzu:
‫ ״‬Das bedeutet also w o h l eine K onservierung der T echnik des H andw erks unter
Verhältnissen, w o sie schon jede w irtschaftliche Berechtigung verloren hat, aber
eine Konservierung, welche aus ehemaligen H andw erkern Proletarier gemacht
hat“ 33.
Eine weitere Deklassierung des H andw erks sowie Einbußen seiner Selbständig-
keit entstanden dadurch, daß es wesentliche Teile seiner bisherigen P ro d u k tio n
aufgeben und die V o rp ro d u k te von G roßhändlern und Fabrikanten beziehen
mußte, die solche b illig e r herzustellen verm ochten. So kauften Schmiede jetzt
fertige Hufeisen und begnügten sich m it dem Beschlag, H utm acher besorgten
sich Filzstum pen und maschinell hergestellte H olzm odelle, w o ra u f sie n u r m ehr
H üte form ten und m it ebenso gekauften Gestecken verzierten, Schuhmacher
bezogen das fe rtig zugeschnittene O berteilleder und die gestanzten Schuhsohlen
von Fabriken, um in Lohnarbeit Schuhe herzustellen, und die Schlosser m ontier-
ten nur m ehr maschinell vorgefertigte Schlösser und Beschläge. N u r bei im m er
seltener werdenden Sonderanfertigungen konnten wenige H andw erke alle Fer-
tigkeiten ih re r Kunst noch unter Beweis stellen.
Fast alle Zeitgenossen34 bestätigen, daß eine Hauptursache des Niedergangs des
Handwerks in der K o n k u rre n z b illig e r M assenproduktion seitens der Fabriken
zu sehen sei. Diese erzeugten n ich t n u r billigere Waren von mindestens gleicher
Q ualität, sondern o ft auch bessere W aren in größerer V ielfalt und genormt. O ft
aber war es auch n u r billigere Ware von geringerer Q ualität, was aber den K un-
den zunächst nicht auffiel. Bestimmte W aren konnte das H andw erk aufgrund
seiner bescheideneren technischen Ausstattung überhaupt nicht erzeugen oder es
verzichtete von vornherein aus G ründen der R entabilität auf deren H erstellung.
Die G roßindustrie verwendete auch ständig neues M aterial, das bisher am M a rk t
entweder nicht bekannt oder n ich t üb lich w ar (zum Beispiel Emailblech, A lu m i-
nium anstelle von K upfer) und überraschte m it billigeren Surrogaten (zum Bei­

31 Schwiedland, E.: D ie W iener Muscheldrechsler. Leipzig 1894.


32 Schiff 1908, 226 f.
♦• I4

33 A dler, E.: U b e r die Lage des H andw erks im Ö sterreich. Freiburg 1898.
34 Zusammengefaßt nach E. A d le r, T .W . Teifen, E. Schwiedland u.a.
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208 Gustav Otruba

spiel C e llu lo id oder Kautschuk anstelle von H o rn und W achstuch), die im Hand-
w e rk überhaupt n ic h t oder erst verspätet Eingang fanden. Selbst in jenen Fällen,
w o das H a n d w e rk W aren von gleicher, ja sogar besserer Q u a litä t als die Fabriken
zu gleichen Preisen anbieten konnte, fehlte ih m die Absatzorganisation35 und das
M arketing.
Bei einem weiteren Siegeszug der G ro ß in du strie fürchteten die N a tio n a lö ko -
nomen des ausgehenden 19. Jahrhunderts folgende A usw irkung en fü r das K lein-
gewerbe: Einzelne Zweige des H andw erks werden zugrunde gehen, darunter alle
jene Produktionsgewerbe, die keines ih re r P rodukte m ehr ko n ku rre n zfä h ig
erzeugen können, sowie alle Arbeitsgewerbe, wenn sie auch die Reparatur- und
W artungsarbeiten an die Industrie verlieren sollten. Uberlebenschancen besitzen
alle jene, die in d ivid u e ll Einzelanfertigungen, M aßarbeit, durch Maschinenarbeit
nicht leicht ausführbare H andarbeit anzubieten haben, die in ih re r P ro d u k tio n
große F le x ib ilitä t und Anpassungsfähigkeit aufweisen und som it rascher als die
Industrie Modetrends Folge leisten können. Dies g ilt v o r allem auch fü r Bezieher
von T e ilp ro d u kte n der Industrie, die sie weiterverarbeiten, m ontieren und zum
G ro ß te il auch als H ändler w eiterverkaufen (O p tik e r, Goldschmiede, Installa-
teure usw.). Das A bsinken zum reinen Arbeitsgewerbe, das repariert und w artet
(zum Beispiel M echaniker) muß keinesfalls einen Verlust an Sozialstatus bezie-
hungsweise E inkom m en bedeuten; in der Regel w ar das Gegenteil der Fall. U ber-
leben werden auch alle jene Erzeugungsgewerbe, deren P rodukte einen größeren,
weiteren T ransport n ich t zulassen (zum Beispiel M öbeltischler) beziehungsweise
erheblich verteuern (Bierbrauer).
Soweit die Diagnosen, von denen bis heute n u r ein geringer T e il eingetroffen
ist. D ie M itte lsta n d sp o litik des ausgehenden 19. Jahrhunderts hat Früchte ge-
tragen36. Viele K lein- und M ittelbetriebe leben auch heute noch, besonders stark
vertreten in V olksw irtschaften, die im 19. Jahrhundert von der Industrialisie-
rungswelle weitgehend verschont geblieben sind, und sie haben sich auch mehr-
fach als wesentlich krisenfester erwiesen als große Fabrikunternehm en. Außer-
dem ist ihnen im sogenannten tertiären Bereich der W irtsch a ft ein ständig sich
ausweitendes neues Betätigungsfeld entstanden, dem m ehr als die H ä lfte der
W ertschöpfung des N a tio n a lp ro d u kts in modernen V olksw irtschaften zu-
k o m m t37. Im m er neue M ö glichkeiten bisher unbekannter Berufstätigkeiten ent-
w ic ke lt die wachsende Freizeitindustrie, der Sport und Bildungseinrichtungen.
Dies dürfte fü r die nächsten Jahrzehnte die Existenz kleiner m o b ile r und flexi-
bler U nternehm en n ich t n u r sichern, sondern auch deren Bedeutung ausweiten,
w ovon auch A rbeits- bzw. Dienstleistungsgewerbe in großem U m fang p ro fitie -
ren werden.

35 Mataja, W .: Großmagazine und Kleinhandel. Leipzig 1891.


36 W aentig, H .: G ew erbliche M itte lsta n d sp o litik. Leipzig 1898.
37 V gl. Fourastie, J.: D ie große H o ffn u n g des zwanzigsten Jahrhunderts. K ö ln 1969.
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?s
Tabelle I: Fabńken und Gewerbe (Kommerzial* und Polizeigew.) 1828—1840
(Anteil der Fabriken, Anteil ausgewählter Handwerksbetriebe an der Gesamtzahl der Betriebe der Gewerbeklassen)

Niederösterreich Oberösterreich Böhmen ö ste rr. Reichshälfte


I
s
davon in % davon in % davon in % davon in % Zuwachs (Abgang) in %
cx,
Fabriken Gewerbe Fabriken Gewerbe Fabriken Gewerbe Fabriken Gewerbe Niederöst. Oberöst. Böhmen Ö .R .H .
ï
1828 1840 1828 1840 1828 1840 1828 1840 1828 1840 1828 1840 1828 1840 1828 1840 Fabr. Gew. Fabr. Gew. Fabr. Gew. Fabr. Gew.

Eisen 2.4 2.9 3,1 4,9 2,8 2.6 3,4 5,7 — —» 29.7-42.3 17.5 -2 8 .5 25,6 33,8 29,9 -2 6 ,1
davon Schmiede (%) — — 71,3 51,5 — — 52.2 77,4 — — 39,3 52.0 — — 85,8 71.5 — -58,3 — 6.0 — 45.0 — -3 7 ,9

— — 4.3 0,0 46,2 1.7 167,9 -5 ,5 -2 3 ,7 12,0 > -‫ד‬


T extil 1.7 1,8 — — 0.2 0.2 0,6 1.7 — — 1,4 1.0 — — * ‫ ♦י‬,

dav. Seiler, Bind• i


fadenerzeuger (%) — — 3,8 4,5 — — 1,8 1,9 — — 4,3 5,3 — — 3.8 3.8 — 15.2 — 5.7 — 16.7 — 13.5 s
Leder 0,7 1.0 — — 0.4 0,4 — — 0,1 0.5 — 0.2 0,7 — — 73.3 22.4 0,0 14,5 420.0 -0 ,3 213,5 12,4
dav. Riemer, Sattler,
Taschner (%) — — 29,6 28,7 — — 35,3 35.6 — — 20.4 25,0 — — 22,7 20.6 — 18,5 — 15,4 — 22,1 — 1,9
P=
H olz 0,1 0,1 0.2 _ 0,03 0,1 — — 0,0 29.6 0,0 39.4 0.0 21.4 425.0 36,6
davon Böttcher (%) — — 45,6 40,4 — — 48,5 37.5 — — 40,5 37,5 — — 41.3 37,4 — 14,9 — 7.7 — 12.6 — 23,9
S
Nahrungsm ittel 0,06 0,1 — — 0,008 - — 0.03 0.2 — — 0,002 0,4 — — 100.0 23,8 0.0 15.6 622,0 16.3 1903,0 34,8 £
davon Bäcker (% ) — — 7.2 6,5 — — 14,0 12,4 — — 13.1 12,8 — — 10,9 8.9 — 17,1 — 2,4 — 14,1 — 10,2
davon M ü lle r (% ) — 14,5 11,4 — — 21,6 18.9 — — 20,2 17,1 — — 19.1 15,0 — ‫ ־‬2,7 — 1,0 — - 1 ,9 — 5,6
>*«*
SO
Vgl. Versuch einer Darstellung der Oesterreichischen Monarchie in Statistischen Tafeln, 1828
Tafeln zur Statistik der Oesterreichischen Monarchie 13. Jg., 1840

K)
о
40
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Tabelle II: Steuerleistung (in Prozenten von insgesamt) 1851

N ie d e rö ste rre ich O b e rö s te rre ic h Böhm en Ö s te rr. R eichshälfte

Klasse Klasse Klasse Klasse


1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3.
E isen, M e ta ll 0,2 2,1 97,7 0,2 1,9 97,9 0,1 0,3 99,6 0,1 1,3 98,6
Schm iede — 1,7 98,3 — 0,0 100,0 — 0,0 100,0 — 0,2 99,8

T e x til 0,6 6,6 92,8 0,0 0,3 99,7 0,1 0,7 99,2 0,2 1,2 98,6
Flachs-, H a n fs p in n e r 2,1 8,3 89,6 — — — 8,7 26,1 65,2 3,5 23,4 73,1
S eiler, B indfadenerz. — 2,3 97,7 0,0 0,1 99,9 — 2,6 97,4 0,0 0,7 99,3
Leder 0,0 1,0 99,0 0,3 99,7 0,1 99,9 0,0 0,3 99,7
R ie m e r, Sattler — 0,7 99,3 — — 100,0 — 0,0 100,0 — 0,1 99,9
H o lz v e ra rb e itu n g 0,0 2,0 98,0 — 0,1 99,9 — 0,1 99,9 0,0 0,4 99,6
T is c h le r u.a. 0,0 2,6 97,4 — — 100,0 — 0,1 99,9 0,0 0,3 99,7

N a h ru n g s m itte l 0,4 7,5 92,1 — 2,1 97,9 0,0 0,9 99,1 0,1 1,7 98,2
M ü lle r, Bäcker 0,1 7,1 92,8 — 0,4 99,6 0,0 0,4 99,6 0,0 1.1 98,9

1. Klasse в 200— 1500 fl Steuerleistung p ro Jahr


2. Klasse * 2 0 0 — 30 ‫ ־‬fl Steuerleistung
3. Klasse * 2— 30 fl Steuerleistung
Vgl. M itte ilu n g e n aus dem Gebiet der Statistik 4. Jg., 3. H e ft, W ien 1855

Tabelle III: Erwerbsteuerleistung der Handels- und Gewerbebetriebe 1859

Prozentanteil Erwerbsteuer- Prozentanteil D u rch sch n itt


A nzahl der im Rahmen erträgnis in im Rahmen p ro Betrieb
Land Betriebe d. M onarchie fl d. M onarchie in fl
Niederösterreich 90 600 12,9 2,154 000 37,3 23,77
Oberösterreich 35 400 5,1 246 000 4.3 6,95
Böhmen 205 100 29,3 1,263 840 21,9 6,16
M onarchie insgesamt 700 800 100,0 5,769 530 100,0 8,29

V gl. Statistische Tabellen zur D e n k s c h rift über die direkten Steuern in Ö sterreich und
ihre R eform , W ien 1860

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Tabelle IV: Der Anteil von Handwerksbetrieben an wichtigen Erzeugungssparten und deren Zuwachs bzw. Rückgang (—) in Prozenten
1862 - 1885 - 1890

Zuwachs bzw. Rückgang (— ) in Prozenten


»

Niederösterreich Oberösterreich Böhmen Ö sterr. Reichshft. NiederÖst. Oberöst. Böhmen Öst. Reichs.

1862/ 1885/ 1862/ 1885/ 1862/ 1885/ 1862/ 1885/


1862 1885 1890 1862 1885 1890 1862 1885 1890 1862 1885 1890
1885 1890 1885 1890 1885 1890 1885 1890

Eisen 6995 7366 7536 3281 3038 2941 14682 15447 15822 44343 44952 45655 5,3 2,3 -7 ,4 -3 .2 5,2 2,4 1,4 1.6
davon Schmiede (%) 35,7 37,9 38,4 48,3 56,6 59,5 61,0 60,1 58,8 57,8 58,4 58,0 11,9 3,7 8,5 1,7 3,7 0,2 2,3 1,0

T e xtil 4974 2608 2492 2811 955 857 9869 5944 5810 35459 20435 19140 -4 8 ,0 — 4,4 -6 6 ,0 -1 0 ,3 -3 9 ,8 -2 ,3 -4 2 ,4 — 6,3
dav. Seiler, Bindfaden•
erzeuger (%) 6,1 8,0 7,1 5,4 14,1 15,8 8,3 10,0 9,9 6,3 8,3 8,5 -3 0 ,0 -1 5 ,0 -1 0 ,6 0,0 -2 7 ,5 -3 ,0 -2 4 ,4 -3 ,5

Leder 1785 1677 1767 833 712 714 3490 3067 3164 10980 9694 9840 -6 ,0 5,0 -1 4 ,5 0,3 -1 2 .0 3,2 -1 1 ,7 1,5
davon Riemer,
Sattler (%) 51,1 57,4 58,8 47,5 59,0 60,9 53,2 61,9 62,4 49,0 56,2 58,8 5,6 8,0 6,0 3,6 2,2 3,2 1.4 6,1

Holzverarbeitung 7920 8433 9080 3541 3575 3729 13541 14029 15065 42036 45412 49303 6,5 7,7 1.0 4,3 3,8 7,4 8,0 8,6

Nahrungsm ittel 8443 8778 9189 5538 5196 5109 27011 27811 28398 79899 83381 86099 4,0 4,7 — 6,2 -1 ,7 3,0 2,1 4,4 3,3
davon Bäcker (%) 24,7 25,6 24,8 29,9 27,6 27,3 31,8 26,8 26,6 26,2 22,6 22,4 7,9 1,6 -1 3 .6 -2 ,8 -1 3 ,2 1,4 -9 ,7 2,2
davon M üller (%) 30,8 25,2 22,8 40,6 41,3 40,9 27,6 26,0 24 2 34,6 32,2 30,6 -1 4 ,7 -5 ,6 -4 ,4 -2 ,7 -2 ,9 -4 ,8 -2 ,9 -1 ,7

Vgl. Nachrichten über Industrie, Handel und Verkehr aus dem Statistischen Departement des k.k. Handelsministeriums
Bd. 3 (1873), Bd. 28 (1884), Bd. 38 (1889), Bd. 54 (1894)

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212 Gustav Otruba

Tabelle V a): Anzahl der Fabriken, Künste und Gewerbe und deren A nteil
am niedrigsten Steuersatz in der Österreichischen Reichshälfte 1874

Land Anzahl Prozentanteil Prozentanteil davon im niedrigsten Steuersatz


Betriebe an der ÖRH auf Landes* Betriebe Prozentanteil
ebene der Gesamtzahl
a) Fabriken
Niederösterreich 590 15,8 0,6 156 26,4
O berösterreich 127 3,4 0,4 52 40,9
Böhmen 1 734 46,4 1,0 452 26,1
O R H insgesamt 3 736 100,0 0,8 1 120 30,0
b) Künste und Gewerbe
Niederösterreich 99 584 20,7 99,4 45 022 45,2
O berösterreich 35 386 7,3 99,6 16 160 45,7
Böhmen 171 633 35,6 99,0 104 478 60,9
O R H insgesamt 481 845 100,0 99,2 321 293 66,7

V gl. Statistisches Jahrbuch der directen Steuern fü r das Jahr 1874, W ien 1875

Tabelle V b): Steuerleistung (in Prozenten von insgesamt) 1874

1. Klasse 2. Klasse 3. Klasse


Land
105-1575 f l 10,50-105 fl 1,05-10,50 fl

Niederösterreich 1,3 14,8 83,9


O berösterreich 0,002 4,9 95,0
Böhmen 0,4 7,5 92,1
O R H insgesamt 0,4 7,7 91,1

V gl. Statistisches Jahrbuch der directen Steuern fü r das Jahr 1874, W ien 1875

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Handwerk und Industrialisierung in Österreich im 19. Jh. 213

Tabelle VLš Der A nteil fabrikmäßiger Betriebe nach Gewerbeklassen sowie der A nteil
ausgewählter Handwerksbetriebe an der Gesamtzahl der Betriebe 1902
Niederönerreich Obcrösterreich Böhmen Österr. Reichshälfte

Prozentameii Prozentanteil Prozentameii Prozentameii

Fabriken Handwerke Fabriken Handwerke Fabriken Handwerke Fabriken Handwerke

M etall 4,8 2,1 1,6 2,7


davon Schmiede 36,7 67,4 57,7 59,7

T e x til 11,2 5,4 13,7 10,4


davon Seiler,
Bindfadenerz. 7,4 18,7 7,2 7,5
Leder 3,5 1,2 3,3 2,8
davon Riemer,
Sattler usw. 61,0 63,1 66,2 60,6
N ahrungsm ittel 9,6 0,9 2,4 2,3
davon Bäcker 23,9 28,1 24,9 23,5
M ü lle r 15,5 37,4 17,7 26,8
H o lz 1,8 0,8 1,5 1,9
davon Böttcher 11,2 20,5 10,0 12,6

Vgl. ‫ ״‬Ergebnisse der G ew erblichen Betriebszählung von 3. Juni 1902“


(in: Ö sterr. Statistik 75. Bd., W ien 1908)
(Fabrikszahlen aus ‫ ״‬Bericht der G ewerbeinspektoren“ , W ien 1902)

Tabelle VII: A nteil der fabriksmäßigen Betriebe an der Gesamtzahl


aller unfallversicherungspflichtigen Gewerbe und deren Wachstum 1902 bis 1913

Prozentanteil der Fabriken Wachstum in Prozent von 1902/13


unfallversiche- fabriksmäßige
1902 1913 rungspflichtige Betriebe
Betriebe
Niederösterreich 12,0 12,8 46,1 12,8
Oberösterreich 7,2 10,0 - 1 0 ,6 10,0
Böhmen 16,0 15,1 50,5 15,1
Ö sterr. Reichshälfte 12,3 11,7 49,5 11,7

Vgl. ‫ ״‬Berichte der G ew erbeinspektoren“ , 1902 und 1913

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214 Gustav Otruba

Tabelle Vili: Steuerleistung (in Prozenten von insgesamt) i 898/1910


Niederösterreich Oberöstcrreich Böhmen Österr. Reichshälfte
Klasse Klasse Klasse Klasse
1. 2./3. 4. 1. 2./3. 4. 1. 2./3. 4. 1. 2./3. 4.

1898 0,8 26,5 72,7 0,3 13,1 86,6 0,7 13,5 85,8 0,6 16,2 83,2
1910/11 0,7 17,3 72,0 0,3 9,3 90,4 0,5 8,0 91,5 0,4 10,5 89,1

Metallverarb. Ind. 1898 1,0 15,8 83,2 0,1 5,4 94,5 0,3 2,3 97,4 0,5 4,9 94,6
Schmiede 0,5 9,5 90,0 0,06 3,5 96,4 0,3 0,6 99,1 0,2 2,5 97,3
Schlosser 0,1 21.2 78,6 _ 3,7 96,3 0,05 5,05 94,9 0,06 10,4 89,5
Metallverarb. Ind. 1910/11 0,8 8,8 90,4 0,3 2,7 97,0 0,1 1,7 98,2 0,3 2,5 97,2
Schmiede 0,5 4,8 94,7 0,1 1,3 98,6 0,02 0,6 99,4 0,08 1,1 98,8
Schlosser 0,1 11*4 88,9 — 4,4 95,6 0,04 3,5 96,5 0,06 5,8 94,1

Bauhandwerker 1898 1,4 16,9 81,7 — 9,2 90,8 — 6,3 93,7 0,0 9,7 90,3
Maurer — 18,3 81,7 — 13,4 86,8 — 11,7 88,3 _ 14,1 85,9
Zimmerer, Dachdecker — 17,5 82,5 — 16,2 83,8 — 5,9 94,1 0,0 10,5 89,5
Glaser 0,3 16,5 83,2 — 3,9 96,1 — 6,8 93,2 — 11,2 88,8

Bauhandwerker 1910/11 0,02 11.0 89,0 8,6 91,4 — 2,9 97,1 0,01 5,4 94,6
Maurer — 23,5 76,5 — 16,3 83,7 — 9,5 90,5 — 9,8 90,2
Zimmerer, Dachdecker 0,07 14,1 85,5 — 18,0 82,0 — 2,7 97,3 0,03 6,2 93,8
Glaser — 8,1 91,9 — 1,5 98,5 — 3,2 96,8 — 4,9 95,1

T extil 1898
Flachs-, Hanfspinnerei 0,4 9,5 90,1 — 4,5 95,5 5,3 10,6 84,1 2,8 10,2 87,0
Seiler, Bindfadenerzeuger 2,3 8,6 89,1 — 2,4 97,6 — 3,8 96,2 0,3 5,1 94,6

T extil 1910/11
Flachs-, Hanfspinnerei — — — 3,7 96,3 4,9 8,4 86,7 77,4 22,6 —

Seiler, Bindfadenerzeuger 0,8 6,7 92,5 — 2,4 97,6 0,2 2,0 97,8 0,2 3,0 96,8

Leder*) 1898 0,15 14,85 85,0 — 1,7 98,3 — 2,3 97,7 0,03 5,1 94,9
Riemer, Sattler 0,09 13,5 86,4 — 1,7 98,2 — 3,8 96,2 0,02 7,2 92,8

Leder 1910/11 0,3 7,6 92,1 0,2 99,8 — 1,6 98,4 0,07 2,8 97,1
Riemer, Sattler — 6,0 94,0 — 0,2 99,8 — 1,2 98,8 — 2,1 97,9

H olz 1898
Tischler 0,2 13,7 86,1 — 0,4 99,6 0,1 3,0 96,9 0,2 5,0 94,8
Böttcher — 4,3 95,7 — 0,4 99,6 — 1,5 98,5 0,02 1,9 98,1

H olz 1910/11
Tischler 0,2 6,4 93,4 — 1,6 98,4 0,03 1,9 98,1 0,09 2,6 97,3
Böttcher — 1,9 98,1 — 0,3 99,7 — 0,9 99,1 — 1,0 99,0

Nahrungsmittel 1898
M üller 0,8 35,5 63,7 0,2 20,9 78,9 6,5 13,1 80,4 0,5 18,7 89,8
Bäcker 1.4 56,4 42,2 0,08 13,2 86,8 0,1 13,5 86.4 0,3 20,8 78,9

Nahrungsmittel 1910/11
M üller 0,6 23,5 75,9 0,1 9,5 90,4 0,5 12,9 86,6 0,4 11,8 87,8
Bäcker 0,1 44,9 55,0 — 7 92,9 0,05 6,0 94,0 0,1 24,0 75,9

*) in Niederösterreich m it Papier ansonsten Lederwaren


Vgl. ‫ ״‬Statistische Ausweise zur allgemeinen Erwerbsteuer der (ersten) Veranlagungs-
periode 1898/99“ , W ien 1899 ff.
1. K l. — 2000 und m ehr К (K ronen) Steuerleistung p ro Jahr
2. K l. — 300— 2000 К Steuerleistung pro Jahr
3. K l. — 60— 300 К Steuerleistung pro Jahr
4. K l. — 1— 60 К Steuerleistung pro Jahr

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Handwerk und Industrialisierung in Österreich im 19. Jh. 215

Tabelle IX a): Der Prozentanteil der Selbstäruligen an den Berufstätigen


Niederösterreich Oberösterreich Böhmen Österr. Reichshälfte
1890 1900 1910 1890 1900 1910 1890 1900 1910 1890 1900 1910

Metallverarbeitende Ind. 13,0 11,7 8,9 21,4 20,3 19,3 24,4 20,1 15,5 21,7 18,7 14,8

Schmiede 21,3 20,7 18,8 25,1 22,8 21,9 37,9 33,3 28,6 34,3 30,5 27,0
Schlosser 8,4 7,9 5,8 10,4 10,5 9,6 20,0 8.9 7,3 12,7 9,3 7,6

Bauhandwerk 9,9 11,5 9,3 10,4 9,0 7,4 7,8 6,5 7,3 12,2 10,2 10,0

Maurer 4,8 5,3 2,5 6,0 5,8 3,3 2,7 2,4 1,6 6,5 6,0 4,9
Zimmerer, Dachdecker 5,2 13,2 11,0 9,8 10,3 6,8 10,4 8,9 10,1 13,9 12,9 12,7
Glaser 16,9 39,3 36,0 58,7 54,4 54,7 51,1 48,6 47,8 47,7 48,6 46,8

Textilindustrie 3,3 8,3 9,2 19,1 10,7 9,4 6,8 3,9 9,4 9,6 6,1 10,3
Flachs-, Hanfspinnerei 13,0 1,6 1,3 2,8 2,6 1,3 1,6 1,0 0,8 3,1 3.5 1,4
Seiler, Bindfadenerzeuger 23,1 21,5 24,9 48,1 46,0 53,6 41,6 32,3 33,1 38,0 32,5 30,9
Leder-, Papierindustrie 13,9 10,9 10,2 29,7 18,0 15,1 22,1 15,9 14,0 20,3 15,1 13,6
Gerber, Ledererzeuger 8,4 8,6 5,4 24,7 19,4 13,8 17,7 12,3 8,6 16,7 13,3 9,8
Riemer, Sattler, Taschner 20,6 21,0 19,2 47,9 46,7 45,9 37,1 35,0 31,5 34,0 32,9 29,9

Holz-Industrie 17,4 18,3 16,6 38,4 36,4 31,5 27,6 23,9 23,1 25,4 23,1 21,7
Tischler 18,2 17,4 15,3 35,9 34,5 32,0 31,5 26,7 24,5 27,6 24,4 23,3
Böttcher 26,6 27,5 27,1 54,2 52,4 51,2 35,6 30,2 25,4 37,4 36,1 34,3
Nahrungsmittel-Industrie 19,2 18,3 13,5 30,0 29,3 21,3 24,8 25,5 18,3 26,6 26,6 18,8
M üller 23,6 25,2 22,6 31,7 34,8 31,5 10,7 28,9 24,4 29,8 32,0 28,9
Bäcker 8,1 13,7 12,6 26,0 26,2 22,5 14,1 29,0 26,1 25,7 25,3 23,1

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216 Gustav Otruba

Tabelle IX b): Zu - und Abnahm e der Selbständigen (S) und der Berufstätigen (B) in Prozenten
Niederösterreich Oberösterreich Böhmen österr. Reichshäifte
1890-1900 1900-1910 1890-1900 1900-1910 1890-1900 1900-1910 1890-1900 1900-1910
S В S В S В S B S B S B S B S B
Metallverarb. Ind. 4,1 15,6 31,1 72,9 -7 ,4 -2 ,5 4,8 9,9 — 5,2 15,0 14,1 48,3 -2 .7 12,8 15,7 46,0
Schmiede 1,3 4.5 ‫ ־‬9.7 -0 .3 — 2,2 6,9 -9 ,3 -4 .8 — 0,6 12,9 -7 ,1 7,9 -4 ,7 -0 ,1 -4 .0 10,7
Schlosser 4.0 9.9 -1 ,5 33,6 -10,9 -11,9 10,3 20,5 -17,9 28,6 3,7 26,3 -7 ,5 26,9 5,6 30,0
Bauhandwerk 13,7 -2 ,1 5,8 30,8 -2 ,1 12,9 -14,4 -4 ,4 7,1 28,2 27,3 13,7 5.3 27,0 23,2 25,2
Maurer 12,7 2,7 -42,6 23,4 -3 ,0 0,2 -40,9 5,1 3,2 8,5 -30,1 8.8 -0 ,2 10,0 -1 .1 22,0
Zimmerer,
Dachdecker 6.2 -58,2 -9 .7 8,4 -12,8 -14.7 -33,6 -0 ,2 -15,2 1.7 -23,2 9.0 -8 ,9 -2 ,1 12,4 14,1
Glaser 23.4 ‫ ־‬46,8 — 4,2 4.5 -11.2 -4 ,2 6,7 6,5 1,4 6,9 0,6 7,3 4,1 2Л 3,1 7,0
Textilindustrie 207,7 22,3 33,2 19,6 -47,9 -6 ,9 0,6 14,3 -43,5 -U 184,0 16.7 -36,8 0Л 97,5 15,8
Flachs-,
Hanf-Spinnerei -24,4 521,3 -19.4 -0 .4 -27,8 -21,5 -38,5 19,0 -43.2 -7 .9 1.8 17,9 8,9 5,6 -53,9 5.4
Seiler,
Bindfadenerzeuger -18,5 -12,1 ‫ ־‬4,9 -18,0 -12.7 -8 ,6 -12,6 -25,0 -32,1 -12,6 12,3 9,5 -24,6 ‫ ־‬11,7 0.9 6,3
Leder*, Papierindustrie 7,6 34.9 7,4 15,5 -5 ,7 53,3 -5 ,9 13,7 -3 .5 34,2 4,8 19,1 -3 ,1 30,3 6,0 17,8
Gerber, Leder-
erzeuger -15,3 -17.5 — 35,2 3.4 ‫ ־‬15,9 14.4 -27.1 2,1 -17.2 18,8 -32.6 -3 ,4 -19,3 U -27,7 -0 ,5
Riemer, Sattler,
Taschner 21,8 19,6 16,5 27,4 -4 ,9 -2 ,4 4.4 6,2 8,1 14,6 5,6 17,2 5,5 8.9 9,9 21,1
Holz-Industrie 26,2 39,5 -12,0 -16,3 -3 ,7 13 2,4 18,1 -6 ,1 8,5 16,1 19,9 -1 .0 8.9 14.1 21.2
Tischler 4.5 9,6 10,5 25,8 -1 .4 23 5a 13,5 -2 ,5 14,8 5,0 14,7 2.8 16,2 12,8 18,4
Böttcher 5.6 8,7 -3 ,6 -2 ,3 -1 .5 2,0 -8 .7 -6 ,4 -27,4 -14,4 -9 ,6 7,3 -14,6 -11.5 -2 ,5 2,9
Nahrungsmittelind. 1,4 6,2 1,4 37,3 -3 .8 -1 .4 -5 .1 30,8 57,0 2,9 2,7 30,1 1,5 1.4 2,8 7.6
M üller -1 7 ,0 ‫ —י‬22,0 -28,2 -2 0 .0 -10,8 -18,7 -27,5 -19,9 ‫ ־‬13,5 -67,9 L26,7 -13,4 -11,1 ‫ ־‬17,5 -30.0 -9 ,6
Bäcker 13,7 -32,7 5,1 14,6 8.3 7,8 5,9 23,1 11.4 —45,9 7.5 19.7 11,5 13,0 7,3 21.0

Vgl.: Berufsstatistik nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 31. Dez. 1890
(in: Ö sterr. Statistik Bd. 33, W ien 1894)
Berufsstatistik nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 31. Dez. 1900
(in: Ö sterr. Statistik Bd. 66, W ien 1904)
Berufsstatistik nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 31. Dez. 1910
(in: Ö sterr. Statistik N F Bd. 3, W ien 1912)

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217

Die Pflege alter Handwerke im heutigen Bulgarien

Klaus R oth, München

I
‫ ״‬Zahlreiche einst blühende H andw erke sind dem Untergang geweiht, manche sind
schon als ausgestorben zu betrachten, und es ist deshalb hohe Z e it, daß sich Museen
in den Besitz der alten Geräte und Werkzeuge setzen, um auch unseren Nachfahren
einen B egriff von der W erkstättenarbeit früherer Zeiten zu geben. Es g ilt fü r uns, die
Eigenart alter H andw erke in letzter Stunde zu erkunden, bevor die raschen, alles
U rsprüngliche verwischenden Fluten der fortschreitenden Industrie die letzten Spuren
hinweggefegt haben.“

Diesen A u fr u f zum Handeln ‫ ״‬in letzter Stunde“ stellt H erm ann M o lz bereits im
Jahre 1915 an den A nfang seines A rtik e ls ‫ ״‬Aussterbende H andw erke“ in den
Hessischen Blättern fü r V olkskunde (M o lz 1915: 1). M o lz , der in diesem Beitrag
durchaus die N o tw e n d ig ke it der technischen E n tw ic k lu n g sah und dem es v o r
allem um die D okum entation der vom Untergang bedrohten H andw erke ging,
stand dennoch am Anfang einer Bewegung, die vielfach von technik-feindlichen
und nostalgisch-retrospektiven Tendenzen geleitet w ar und die im Gefolge der
Industrialisierung in mehreren Ländern eine Grundlage fand. F re ilich nicht in
allen europäischen Ländern, denn als der oben zitierte A u fr u f zu r D okum enta-
tio n vergehender H andwerke verfaßt wurde, waren weite Gebiete Europas von
der Industrialisierung nur ansatzweise oder noch gar n ich t erfaßt und verfügten
noch über ein differenziertes System traditioneller H andw erke. Dieses g ilt in
besonderem Maße fü r Südosteuropa. N och 1934, als die Industrialisierung das
Gesicht M itte l- und Westeuropas schon fast ein Jahrhundert lang tiefgreifend
um geform t hatte, war Bulgarien beispielsweise ein Land, in dem 78,6% der
Bevölkerung auf dem Lande w ohnten, 79,9% aller Erwerbstätigen von der Land-
Wirtschaft lebten und nur 7,8% aller Erwerbstätigen im H a n d w e rk oder in der
Industrie tätig waren (Statist, godišnik 1942: 50 f).
D och selbst diese bereits sehr deutlichen Zahlen ve rm itte ln noch n ich t das rieh-
tige B ild des w irtschaftlichen Entwicklungsstandes Bulgariens noch in der Z w i-
schenkriegszeit: V on den 266.400 in H andw erk und Industrie Beschäftigten
(1934) arbeiteten etwa 59% in Betrieben m it bis zu fü n f Beschäftigten, 15% in
Betrieben von 6— 49 Beschäftigten und 26% in Betrieben m it 50 und m ehr
Beschäftigten (Statist, godišnik 1942: 332— 335). Diese Zahlen veränderten sich
auch in den nächsten Jahren kaum, so daß Bulgarien bis etwa 1950 ein A grarland
blieb, dessen W irtschaft bestim m t war durch Landw irtschaft und Kleinhand-
w erk; A rb e ite r in Industrie und H andw erk machten m it weniger als 5% nur
einen verschwindend kleinen T eil aller Erwerbstätigen aus.
W enn das aufgrund der w irtschaftlichen Blüte des Landes im 19. Jahrhundert
differenzierte und hochentwickelte Kleinhandw erk Bulgariens1 in den Jahrzehn-

1 Z um Stand des bulgarischen Handwerks im 19. Jh. vgl. den Beitrag von V. Paskaleva in diesem
Band.

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218 Klaus Roth

ten nach der Befreiung des Landes (1878) dennoch einen Niedergang zu verzeich-
nen hatte, so ist diese E n tw ic k lu n g n u r in geringem Maße auf die eigene Indu-
strie, in w e it größerem Maße aber auf die mangelnde Anpassungsfähigkeit des
H andw erks an die sich durch die ‫ ״‬Europäisierung“ verändernden Bedürfnisse
sowie auf die starke K o n ku rre n z westlicher Im portw aren zurückzu füh ren2. Die-
ser langsame, v o r allem qualitative Niedergang wurde durch die nach 1950 einset-
zende rapide Umgestaltung der W irtsch aft extrem beschleunigt. In n u r wenigen
Jahren verschwanden nun zahlreiche einst angesehene H andw erke v ö llig und die
H a n d w e rke r gingen in großer Zahl in die neuen Industriebetriebe, während
andere H andw erke auf die D ö rfe r und in Randgebiete verdrängt w urden. In
weniger als drei Jahrzehnten entw ickelte sich das Land vom Agrarstaat zum
Industriestaat, der A n te il der Stadtbevölkerung stieg von knapp 25% im Jahre
1946 auf über 62% im Jahre 1980, und in seiner E rw erbsstruktur unterscheidet
Bulgarien sich heute n u r noch w enig von anderen europäischen Industrielän-
dern. N ic h t n u r die weitgehende Veränderung der Bedürfnisse der urbanisierten
Bevölkerung, sondern auch die E in g riffe der sozialistischen W irtsch a ftsp o litik
w irk e n sich fü r das H andw erk noch zusätzlich in negativer Weise aus. D ie Folge
dieser vielfältigen Veränderungen war, daß das differenzierte K leinhandw erk als
eine w ichtige w irtschaftliche, soziale und ku ltu re lle Erscheinung in weniger als
20 Jahren nahezu ausgelöscht wurde.
Dieses rapide Verschwinden des Kleinhandwerks w ar im Einklang m it der
W irts c h a fts p o litik des sozialistischen Staates. Als Bestandteil einer überwunde‫־‬
nen bzw. zu überwindenden Gesellschaftsform mußte es dem w irtschaftlichen,
sozialen und politischen F o rts c h ritt Platz machen und w urde daher als etwas
Negatives betrachtet, das es aus dem Weg zu räumen galt. Ein neuer Mensch m it
einer neuen Lebens- und Arbeitsweise sollte geschaffen werden.
Dieser negativen Sicht des tra dition ellen Handwerks und überhaupt der tradi-
tio ne lle n V o lk s k u ltu r stand nun allerdings bereits nach wenigen Jahren eine posi-
tive Bewertung gegenüber, die v o r allem darauf gründete, daß die traditionelle
K u ltu r und das H andw erk als schöpferischer Ausdruck des einfachen Volkes und
zudem noch des eigenen Volkes anzusehen war. V erstärkt wurde diese soziale
und auch nationale A rgum entation noch durch einen dritte n Faktor. T ro tz des
Stolzes auf die M odernisierung und Industrialisierung des Landes blieb es nicht
aus, daß sich — ähnlich wie Jahrzehnte frü he r in M itteleuropa — das G efühl eines
unw iederbringlichen Verlustes breitmachte. Zu rasch und zu p lö tzlich w ar die
reiche H an dw e rkstra dition und m it ih r der größte T e il der materiellen V olksku l-
tu r verschwunden. U nd wie vo rh e r in Deutschland, so waren es nun auch in Bui-
garien die Ethnographen , die diesem Sentiment frü hze itig Ausdruck verliehen.
C h risto Vakarelski war der erste, der in dieser Z eit des rapiden U m bruchs auf
die N o tw e n d ig ke it der Pflege der alten Handwerke hinwies und diese Aufgabe
auch zum Anliegen der Ethnographie machte. Die Voraussetzungen fü r eine sol-

2 Vgl. hierzu die Dissertation von A .D . Spassow (Spassow 1900), der auf die ‫ ״‬veränderten sozialen
Zustände“ nach der Befreiung und auf die U nfähigkeit der Zünfte, sich dieser E n tw icklu n g anzu-
passen, sowie auf die mangelhafte G ew erbepolitik des Staates hinweist; vgl. auch N ik o lo ff 1908:
81— 104; vgl. auch den Beitrag von O . O k y a r in diesem Band.

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Die Pflege alter Handwerke im heutigen Bulgarien 219

che Pflege sah er auch — und sogar besonders — gegeben im Rahmen der soziali-
stischen Gesellschaftsordnung. ‫ ״‬Z u unserem T ro s t,“ schrieb er (Vakarelski 1972:
48), ‫ ״‬geben die heutigen sozio-ökonomischen Bedingungen H o ffn u n g auf die
W iedergeburt und die E rhaltung der volkskünstlerischen T ra d itio n e n .“ Seine
Zuversicht basierte auf einem U m denkprozeß, der sich seit den späten 1960er
Jahren in der K u ltu rp o litik der sozialistischen Länder anbahnte. Ih m lag die Ein-
sicht zugrunde, daß die rasche Industrialisierung und U rbanisierung nicht n u r
W ohltaten gebracht hatte. ‫ ״‬Gleichmacherei und Schablone,“ schrieb Veselin
H a d ž in ik o lo v (1979: 42 f), ‫ ״‬halten ihren Einzug im Städte- und W ohnungsbau,
in der W ohnungseinrichtung, in M öbel und Gerät, Kleidung und Schmuck . . .
Schon ähneln die neuen W ohnviertel der Großstädte einander in allen modernen
Staaten wie ein Ei dem anderen . . . W enn es so w eiter geht, w ird das Leben seine
schöne B untheit, seine herrliche V ie lfa lt . . . verlieren. Das Resultat w ird ein
langweiliges und ermüdendes Einerlei im Alltagsleben der ganzen W elt sein . . . “
Derartige kulturpessimistische Überlegungen, gepaart m it der Angst v o r dem
Verlust der ethnischen Identität, führten in der K u ltu rp o litik zu einer Rückwen-
dung zu der untergegangenen V o lk s k u ltu r und den H andw erkern als deren w ich-
tigsten Schöpfern. D ie W erte dieser K u ltu r galt es fü r die moderne W elt, insbe-
sondere fü r die angestrebte ‫ ״‬sozialistische Lebensweise“ nutzbar zu machen.
H ie rfü r kam nun allerdings nicht die ganze traditionelle V o lk s k u ltu r infrage;
vielm ehr sollte das ‫ ״‬N ü tz lic h e “ vom ‫ ״‬Schädlichen“ , das ‫ ״‬W e rtvo lle “ vom
‫ ״‬W ertlosen“ geschieden werden, dam it ‫ ״‬die A llta g s k u ltu r im Sozialismus durch
die E rhaltung alles Positiven und O rigin ellen aus der überlieferten A llta g s k u ltu r
des Volkes“ bereichert werde (H a d ž in ik o lo v 1979: 42). D e r W ert dieser K u ltu r
ergebe sich daraus, daß sie ‫ ״‬in sich die W eisheit und Erfahrungen von unzähligen
Generationen gesammelt (habe und) . . . einen unermeßlichen Reichtum an
Mustern und Elementen . . ., an materiellen und geistigen W erten“ besitze
(H a d žin iko lo v 1978/79: 69). D ie Aufgabe der T rennung zwischen ‫ ״‬nützlichen“
und ‫ ״‬schädlichen“ Elementen solle neben der Soziologie, der Philosophie und
der Kulturgeschichte vo r allem der Ethnographie zufallen. Nach dem genauen
Studium der V o lk s k u ltu r solle sie ‫ ״‬empfehlen, welche ih re r Züge und Elemente
bei der Schaffung der heutigen sozialistischen K u ltu r und auch bei der k u ltu re ll-
ästhetischen und ideologisch-politischen T ä tig ke it der Partei und des Volksstaa-
tes zu benutzen sind.“ (ebda: 70).
Die N eubewertung der traditionellen V o lk s k u ltu r bildete die Grundlage nicht
nur fü r die D okum entation und Pflege der erhaltenen O bjektivationen der
V o lk s k u ltu r, sondern sie bestimmte zugleich auch die In te n tio n und die Rieh-
tung der staatlichen Handwerkspflege. D ie vom Staat geförderte Wiederauf-
nähme alter Handwerke sollte dabei mehreren gesellschaftspolitischen und kul-
turellen Zielen dienen: Sie sollte die alten T raditio n en bewahren und w eiterfüh-
ren, sollte zur Erziehung und ästhetischen Schulung nachfolgender Generationen
beitragen, sollte das ethnische Selbstbewußtsein stärken und obendrein einen
Beitrag leisten zur Schaffung der ‫ ״‬sozialistischen Lebensweise.“ Diese vie lfä lti-
gen Aufgaben und hochgesteckten Erw artungen haben selbstverständlich einen
nachhaltigen E influß ausgeübt auf die tatsächliche Pflege alter H andw erke in
Bulgarien und sie sind ve ra n tw o rtlich sow ohl fü r die positiven Ergebnisse als
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220 Klaus Roth

auch fü r die unübersehbaren Probleme staatlicher sozialistischer Handwerks-


pflege.

II

D ie m aterielle und ideelle U nterstützung und Förderung alter H andw erke durch
verschiedene M inisterien, staatliche Organisationen und wissenschaftliche Insti-
tu tio n e n ist umfangreich und vielfältig. D ie wichtigsten Form en dieser Förde-
rung seien k u rz skizziert:
(1) O rden , Auszeichnungen u n d Preise. In regelmäßigen Abständen werden Hand-
w erker, deren Leistungen als herausragend bewertet werden, durch den Staat aus-
gezeichnet. Besondere Bedeutung haben die T ite l ‫ ״‬Volks-H andw erksm eister“ ,
‫ ״‬V erdienter Handwerksm eister“ , ‫ ״‬Schaffender der V olkskunsthandw erke“ und
‫ ״‬V erdienter Schaffender der V olkskunsthandw erke“ , die stets am 24. M ai, dem
Tag des bulgarischen S chrifttum s, verliehen werden. D ie Kandidaten werden
vom K reiskom itee fü r K u ltu r und der ‫ ״‬Zadruga“ (s.u.) vorgeschlagen, ihre
A rb e it w ird von Kom m issionen begutachtet und eine besondere Kom m ission
der Volksversam m lung t r if f t die Entscheidung.
(2) Fachschulen und Berufsschulen. In mehreren O rte n des Landes wurden beson-
dere Berufs- und Fachschulen (‫ ״‬T e c h n ik u m “ ) eingerichtet, an denen Lehrlinge
nach A bschluß einer achtjährigen Schulbildung alte H andw erke erlernen kön*
nen, z.B. Töpferei in T rojan und die Herstellung von V olksm usikinstrum enten
in Siroka Läka. Diese Schulen, die dem Kom itee fü r K u ltu r in Sofia unterstehen,
sind recht beliebt und können un te r vielen Bewerbern wählen. In der A usbil-
dung zeigt sich vielfach eine Tendenz zur schöpferischen E ntfaltung der hand-
w erkliche n Techniken und dam it zur angewandten Kunst. Absolventen dieser
Schulen bedürfen daher oftm als einer Um schulung, wenn sie als Handwerksm ei-
ster in den alten H andw erken arbeiten wollen.
(3) Förderung der Handw erksbetriebe. D arüber hinaus werden die H andw erker
bzw. ihre W erkstätten d ire kt gefördert, zum einen auf kom m unaler Ebene und
zum ändern durch die V erw altung der Museen. Beispiele fü r kom m unale Förde-
rung sind die Handwerkerstraßen in V e lik o Tärnovo, in T o lb u ch in und in
Loveč; die ‫ ״‬Samovodska čaršija“ in der A ltstadt von T ärnovo m it etwa einem
D utzend W erkstätten (Zuckerbäcker, Küfer, H olzschnitzer, Teppichweber,
Kupferschm ied, Goldschmied, Bäcker, T öpfer, M attenflechter u.a.) wurde 1981
eröffnet und war zunächst dem Ethnographischen Museum zugeordnet. Im m er
noch dem lokalen Museum angegliedert sind die Meister der alten H andw erke
z.B. in der Töpferstadt T roja n sowie auch in Etära, w o etwa 50 Handwerksm ei-
ster ihren alten H andwerken innerhalb des Freilichtmuseums nachgehen. Den
H andw erkern werden in all diesen Fällen W erkstätten und Lagerräume sowie
auch Rohm aterialien zur V erfügung gestellt und auch der V ertrieb der Hand-
W erksprodukte w ird durch staatliche Maßnahmen gefördert oder aber ganz
durch die Gemeinden bzw. Museen übernommen.
(4) D ie ,yZadruga na m ajstonte“ (Genossenschaft der Handwerksmeister). W ei-
tergehend noch ist die Förderung tra d itio n e lle r Handwerke in einer eigens fü r
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Die Pflege alter Handwerke im heutigen Bulgarien 221

diesen Zw eck gegründeten Genossenschaft, der ‫ ״‬Zadruga na m ajstorite na narod-


nite chudožestveni zanajati“ (Genossenschaft der M eister der Volkskunst-H and-
werke). Ihre etwa Tausend M itglieder bilden gleichsam die E lite der M eister der
traditionellen H andw erke und ihre T ätigkeit soll fü r die gesamte Pflege alter
H andw erke im Lande die Maßstäbe setzen. A n dieser als v o rb ild lic h geltenden
F orm staatlicher Pflege alter H andw erke lassen sich die praktischen Konsequen-
zen der oben angeführten P rinzipien sowohl an den Leistungen als auch an den
Problemen und M ißerfolgen am deutlichsten aufzeigen. D ie ‫ ״‬Zadruga“ 3 soll
daher im folgenden ausführlicher behandelt werden.

III

N ic h t zuletzt aufgrund der Anregung des Ethnographen C hristo Vakarelski


wurde die ‫ ״‬Zadruga“ im A p r il 1967 auf A n o rd n u n g des Sekretariats des Z K der
Bulgarischen Kom m unistischen Partei begründet als eine ‫ ״‬selbständige schöpferi-
sehe Produktionsorganisation“ m it Sitz in der Hauptstadt Sofia. Sie vereinigt
^nter der Leitung des Komitees fü r K u ltu r (K ultusm inisterium ) die ‫ ״‬M eister der
Volkskunsthandw erke“ im ganzen Lande. N ach einem eher schleppenden
A nfang nahm sie in den 1970er Jahren durch die Aufnahm e im m er neuer M itg lie -
der einen beachtlichen Aufschwung. D ie über tausend Handwerksmeister, die
erst nach einer schweren A ufnahm eprüfung M itglieder geworden sind, haben
ihre W erkstätten in fast allen Teilen des Landes (s. Tabelle); es zeigt sich jedoch
ein starkes Ungleichgewicht zugunsten der beiden größten Städte des Landes,
Sofia und P lovdiv, w o allein schon die H älfte aller Meister tätig ist. D ie A lters-
S truktur der M itglieder ist ausgeglichener, doch fä llt ein Übergewicht der älteren
H andw erker ins Auge.
Die Satzung der ‫ ״‬Zadruga“ (Ustav 1967) legt sowohl die O rganisationsform , die
Ziele und Aufgaben als auch die Rechte und P flichten der M itglieder und der
Genossenschaft fest. § 4 bestim m t die Aufgaben und Ziele, zu deren V e rw irk li-
chung die ‫ ״‬Zadruga“ beitragen soll, nämlich

1. die T raditio nen der jahrhundertealten bulgarischen angewandten V olkskunst zu


bewahren, indem sie ihre nationale Gestalt und Eigenart w eiterentw ickelt;
2. die K o n tin u itä t und W eiterentw icklung der angewandten V olkskunst zu sichern,
indem sie den Meistern h ilft, ihre E rfahrung der jüngeren Generation zu v e rm itte ln ;
3. die Erzeugnisse der bulgarischen künstlerischen H andw erke im In- und Ausland zu pro-
pagieren und zu vertreiben, sowie gegen dekadente Einflüsse und Geschmacklosigkeit
zu kämpfen;
4. den Meistern der Volkskunsthandw erke die schöpferische Selbständigkeit bei der
A rb e it sowie geeignete Arbeitsbedingungen und M aterialbelieferung zu sichern;

3 D er Name ‫ ״‬Zadruga“ k n ü p ft ostentativ an die T ra d itio n der südslavischen G roßfam ilie (zadruga)
an, die vo r allem in Westbulgarien bis in unser Jahrhunden Bedeutung hatte. Den gleichen Nam en
trägt auch die seit 1980 erscheinende Z e itsch rift der ‫ ״‬Zadruga na m ajstorite“ .
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T e rrito ria le V erteilung der M itglie der V erteilung der M itg lie d e r der
der ‫ ״‬Zadruga“ : ‫ ״‬Zadruga“ auf A ltersgruppen:

Sofia (Stadt) 414 bis 35 J. 215 21%


P lovdiv (Kreis) 93 36 - 50 J. 482 48%
Loveč (Kreis) 92 51 - 70 J. 254 25%
G abrovo (Kreis) 61 71 — 80 J. 44 4%
Varna (Kreis) 55 über 80 J. 14 2%
Pleven (Kreis) 35 1009 100%
Smoljan (Kreis) 29
Sofia (Kreis) 26
Blagoevgrad (Kreis) 25
H askovo (Kreis) 17
Vraca (Kreis) 15
T ärn ovo (Kreis) 15
Pazardžik (Kreis) 15 U m fang der W a re n p ro d u ktio n
Ruse (Kreis) 13 1968— 1983 in Lewa:
M ihajlovgrad (Kreis) 12
1968 16 000 Lewa
Stara Zagora (Kreis) 11
1976 1 565 000 Lewa
T o lb u c h in (Kreis) 11
1977 1 927 000 Lewa
Sumen (Kreis) 10
1978 2 620 000 Lewa
Burgas (Kreis) 10
1979 3 300 000 Lewa
V id in (Kreis) 9
1980 3 500 000 Lewa
K justendil (Kreis) 9
1981 4 500 000 Lewa
Kardžali (Kreis) 8
1982 5 100 000 Lewa
Sliven (Kreis) 8
1983 5 600 000 Lewa
P ernik (Kreis) 7
Targovište (Kreis) 4
Razgrad (Kreis) 2
Silistra (Kreis) 2
Jambol (Kreis) 2
Insgesamt 1010

Quelle: Koncepcija i plan-programa . . . 1984, S. 43— 45.

5. fü r die schöpferische F o n b ild u n g und E n tw ic k lu n g der M eister sowie fü r ihre richtige


ästhetische und politische Erziehung zu sorgen;
6. persönliche Ausstellungen sowie G ruppen-, Kreis- und Gesamtausstellungen im Inland
und im Ausland zu organisieren, usw.

D ie Rechte der M itglieder werden in § 11 geregelt, unter ihnen das Recht eines
jeden M itglieds, zwei Lehrlinge auszubilden, das Recht auf die G ewährung der
m ateriellen Voraussetzungen fü r die Handwerksausübung und das Recht auf
Teilnahm e an Kom m issionen zur Begutachtung der Erzeugnisse und des Verhal-
tens anderer M itglieder der ‫ ״‬Zadruga“ . D e r einzelne M eister kann sich dam it
innerhalb relativ w eit gesetzter Grenzen frei entfalten und unbeschränkt, d.h.
ohne die in der Planwirtschaft sonst üblichen quantitativen Auflagen und N o r-
men produzieren; lediglich eine gewisse M in d e stp ro d u ktio n ist vorgeschrieben.
A uch hinsich tlich der A r t und Q u a litä t seiner P ro d u k tio n ist der H andw erker
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Die Pflege alter Handwerke im heutigen Bulgarien 223

relativ frei, doch fin d e t diese F reiheit ihre Grenzen durch die regelmäßigen Qua-
litä tsko n tro lle n , die von einer K om m ission aus etwa 15 Handwerksm eistern,
Ethnographen, K ünstlern, A rc h ite k te n , Ö ko n o m e n und Juristen w öchentlich in
Sofia durchgeführt werden. Dieser K om m ission k o m m t fü r die E n tw icklu n g der
alten H andw erke in der ‫ ״‬Zadruga“ eine große Bedeutung zu, denn sie legt im
K am pf ‫ ״‬gegen dekadente Einflüsse und Geschmacklosigkeit“ die G renzlinie fest
zwischen ‫ ״‬echt“ und ‫ ״‬unecht“ , zwischen ‫ ״‬geschmackvoller V o lksku nst“ und
‫ ״‬geschmacklosem K itsch“ . W ie w o h l es unter den M itgliedern dieser Kom m is-
sion n icht selten K o n flik te bei der Beurteilung von Handwerkserzeugnissen gibt,
hat sich doch in den zwei Jahrzehnten des Bestehens der ‫ ״‬Zadruga“ ein Kanon
recht fest etablierter K rite rie n herausgebildet, die die A rb e it der H andw erker
wiederum in starkem Maße prägen. N ach den Maßstäben der Kom m ission muß
jedes vorgelegte Stück die folgenden Bedingungen erfüllen:
1. Das H andw erksstück m uß u n te r A nw e nd ung einer alten Technologie herge-
stellt und d.h. v o r allem handgefertigt sein. D ie Benutzung von Maschinen ist
verboten; ausgenommen sind allein mechanisch angetriebene Töpferscheiben,
Drehbänke u.ä.
2. Das Stück muß ganzheitlich , d.h. ohne A rbe itste ilu ng von einer Person ange-
fe rtig t sein. Diese ganzheitliche H erstellung m uß außerdem im Geiste der T ra ‫־‬
d itio n erfolgt sein, eine zentrale Forderung, die in der Praxis zumeist dadurch
e rfü llt w ird , daß die H a n d w e rke r sich an den Beständen ethnographischer
Museen bzw\ an A bbildungen in ethnographischen Publikationen orientie-
ren.
3. Bei den Stücken soll es sich nicht um U n ika te handeln, sondern um Ergeb-
nisse einer S erienproduktion , die daher auch n ich t als reich ornam entierte Ein-
zelstücke, sondern als gebrauchsfähige Mengenware dem Käufer angeboten
werden kann. N ic h t also die ästhetische F u n k tio n , sondern die konkrete
G ebrauchsfunktion in der heutigen Gesellschaft w ird gefordert. G efordert
w ird zudem auch die regionale bzw. ethnische B indung der O bjekte, die zur
Id e n tifik a tio n des Käufers m it seiner Region führen soll; den Handw erkspro-
dukten soll dam it auch eine ethnische oder nationale F u n k tio n zukom m en.
Diese von den Ethnographen erhobenen Forderungen an die A u th e n tiz itä t der
Produkte werden ergänzt durch jene der Kunstwissenschaftler und angewandten
Künstler, fü r die die F o rm , der D e k o r und die gesamte künstlerische A usführung
im M itte lp u n k t steht. Diese Forderungen stehen bereits in einem gewissen Span-
nungsverhältnis zu denen der Ethnographen, denn das Augenm erk w ird v o r
allem darauf gerichtet, daß
4. die ästhetische Formy v o r allem das O rnam ent ganz ‫ ״‬im Geiste der T ra d itio n “
ausgeführt w ird ; besonderes G ew icht w ird dabei auf die gelungene Kom posi-
tio n der O rnam ente gelegt.
5. Auch hinsich tlich der künstlerischen Ausarbeitung, der Formgebung, werden
hohe Ansprüche gestellt. Dabei soll das Stück möglichst das Typische einer
Region repräsentieren, eine Forderung, die zu einer in der T ra d itio n gar nicht
vorgegebenen Stilisierung und Stereotypisierung führen kann.
6. Das P ro d u kt soll schließlich auch noch verkäuflich sein.
Berücksichtigt man auch noch die Forderungen der H andw erker, die meistens
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224 Klaus Roth

auf die E rw eiterung der eigenen schöpferischen Spielräume drängen, so w ird


deutlich, daß sich aus diesen unterschiedlichen und z.T. gegensätzlichen Forde-
rungen im m er neue Reibungsflächen und auch K o n flik te ergeben. Das U rte il der
Prüfungskom m ission entscheidet aber dennoch le tztlich über Annahm e oder
Ablehnung der P rodukte. U b e r diese V e rp flic h tu n g zu r Präsentation seiner Pro-
d u k tio n hat jedes M itg lie d der ‫ ״‬Zadruga“ noch eine Reihe w eiterer P flichten, die
alle in § 10 der Satzung festgelegt sind. Z u ihnen gehört neben der V e rp flic h tu n g
zur A rb e it in der tra dition ellen Arbeitsweise und der k o n tin u ie rlic h e n W eiter-
gäbe dieser T ra d itio n an Lehrlinge und Kollegen auch die in Z iffe r 5 geregelte
P flich t aller H a n d w e rke r, ‫ ״‬die Ehre und W ürde der M eister der V olkskunst-
handwerke zu w ahren“ , eine offenkundige A n k n ü p fu n g an die sittlichen N o r-
men der esnafi, der bulgarischen H an dw e rkerzü nfte frü h e re r Jahrhunderte4.
Faßt man alle V erpflichtungen und einengenden V o rsch rifte n zusammen, so
scheinen fü r den in der ‫ ״‬Zadruga“ organisierten H a n d w e rke r die P flichten zu
überwiegen. W enn sich dennoch eine relativ große Zahl von Kandidaten umfang-
reichen und schwierigen A ufnahm eprüfungen unterzieht, so steht zu verm uten,
daß andere Aspekte als die oben aufgeführten Rechte der T ä tig ke it A ttra k tiv itä t
verleihen. Abgesehen von der recht freien Arbeitsweise und dem hohen Ansehen
scheint vo r allem die verhältnism äßig großzügige H o n o rie ru n g der A rb e it durch
den Staat h ie rfü r v e ra n tw o rtlic h zu sein. M eister in der ‫ ״‬Zadruga“ zu sein, das
bedeutet in der Regel ein (z.T. w eit) über dem D u rch sch n itt liegendes Einkorn-
men. D er Staat ü b e rn im m t nach der P rüfung durch die K om m ission die ganze
P rod uktion und sorgt fü r den V e rka u f und fü r die W erbung. Bestellungen sind
n icht beim einzelnen H an dw e rker m öglich, sondern n u r bei der ‫ ״‬Zadruga“ , die
allein das Recht hat, Verträge abzuschließen. Abgesehen von direkte n Aufträgen
staatlicher Organisationen und ausländischer Kunden werden die Erzeugnisse
der H andw erker der ‫ ״‬Zadruga“ im Lande auf drei verschiedenen Wegen vertrie-
ben: in Kaufhäusern und gewöhnlichen Geschäften fü r Hausrat, E inrichtung,
Bekleidung usw., in Souvenirgeschäften der staatlichen Frem denverkehrsorgani-
sationen v o r allem in den Ferienorten am Schwarzen M eer und schließlich in
eigenen Geschäften der ‫ ״‬Zadruga“ in den Städten P lo vd iv, Sofia, Tärnovo,
G abrovo, Pleven und Vraca. D ie Verkaufspreise der P rodukte werden von der
Kom m ission in A bhängigkeit von der Q u a litä t auf einem allgemein ziem lich
hohen Niveau festgesetzt. D adurch sind die H a n d w e rke r in starkem Maße an der
hohen Q u alität (im Sinne der Forderungen der K om m ission) interessiert, sichert
sie ihnen doch ein hohes E inkom m en.
D er tatsächliche A bsatz der Handwerkserzeugnisse spielt in diesem System
staatlicher Handwerkspflege zunächst und im P rin z ip keine Rolle. D ie Abhän-
gigkeit vom M a rk t habe in der Vergangenheit zu einer Reihe von ‫ ״‬D eform atio-
nen“ des H andw erks geführt und w ürde es auch heute w ieder tu n , so schreibt
Vasilčina (1985: 18), denn ‫ ״‬einerseits reagiert der H a n d w e rke r auf den M a rkt
durch die M odernisierung seiner P ro d u k tio n , w obei er häufig bis zum Kitsch

4 Z u r E n tw icklu n g und S tru k tu r sowie der sozialen und ku ltu re lle n R olle der Z ü n fte in Bulgarien
vgl. Kalpaktschieff 1900 und N ik o lo ff 1908.
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Die Pflege alter Handwerke im heutigen Bulgarien 225

gelangt, und andererseits fü h rt dies zum Verschwinden einzelner H andw erke


wegen Mangel an Nachfrage.“ Das D ilem m a staatlich gelenkter Handwerks-
pflege w ird offen kun dig : D ie K räfte des M arktes w ürden die zarte und geschützte
Pflanze ‫ ״‬authentischer“ Handwerkserzeugnisse binnen kurzem vernichten, da
die Käufer deren wahren W e rt n ich t erkennen, sondern das Kitschige und
Moderne bevorzugen. A u f der anderen Seite aber halten die z.T. sehr hohen Ver-
kaufspreise die große M e h rh e it vo m K a u f ab, jene M e h rh e it der Bevölkerung, in
deren alltägliche ‫ ״‬sozialistische Lebensweise“ diese Handwerkserzeugnisse einge-
gliedert werden sollen. Angesprochen von ihnen werden unter der einheim i-
sehen Kundschaft aber weitgehend n u r die gehobeneren Einkom m enschichten,
denen es — einer Z e itströ m u n g gemäß — darum geht, ihre Häuser oder W ohnun-
gen ‫ ״‬fo lk lo ris tis c h “ oder ‫ ״‬ru s tik a l“ einzurichten oder ih re r K leidung einen
‫ ״‬F o lk lo re -L o o k “ zu verleihen. Tatsächlich verkauft werden neben solcherart in
der W ohn un g oder der K leidung verwendbaren Gegenständen aber auch solche
Erzeugnisse, fü r die es auf dem heimischen M a rk t kein Ä qu ivalen t gibt, o b w o h l
ein Bedarf besteht, sowie P rodukte besonders hoher Q u a litä t, insbesondere Tex-
tilien.
Das Problem des zu geringen Absatzes auf dem heimischen M a rk t w ird vom
Staat — außer durch den E xp o rt — v o r allem dadurch gelöst, daß eine künstliche
Nachfrage nach den Handwerkserzeugnissen geschaffen w ird . E in beachtlich gro-
ßer T e il der P ro d u k tio n w ird vom Staat selbst bzw. von seinen verschiedenen
Organisationen aufgekauft: D ie Inneneinrichtungen von H otels und Restaurants,
Läden und öffen tlich en Gebäuden (Repräsentationszimmer, Festsäle, Konferenz-
räume, Ritualsäle in den Standesämtern usw.) w urden und werden zu einem guten
T e il ausgestaltet und ausgerüstet von H an dw e rkern der ‫ ״‬Zadruga“ . Z iel staatlicher
P o litik ist es dabei, diesen E inrichtungen im Interesse des Fremdenverkehrs, der
Hebung des ethnischen Selbstbewußtseins und der ästhetischen Schulung der
Bevölkerung ein ‫ ״‬authentisches traditionelles Aussehen“ zu geben. Den letzteren
Zielen dienen auch die bereits erwähnten zahlreichen Ausstellungen.

IV

Anspruch und W irk lic h k e it zentraler staatlicher Handwerkspflege klaffen


jedoch n icht n u r in diesem Bereich auseinander. Im Laufe der inzwischen zwei
Jahrzehnte umspannenden E n tw ic k lu n g haben sich einige weitere grundsätzliche
Probleme ergeben, die in der Presse und in der Fachliteratur teilweise auch offen
diskutiert werden.
Problematisch ist bereits die A usw ahl der alten H andw erke, die durch die För-
derung wiederbelebt werden. Das K rite riu m dieser Ausw ahl aus der großen Fülle
einstiger Berufe ist bereits in dem Nam en der Genossenschaft (‫ ״‬Genossenschaft
der V olkskunst‫ ׳‬H a n d w e rke r“ ) angedeutet: Es wurden, w ie die folgende Liste
deutlich zeigt, ausschließlich produzierende H andw erke ausgewählt, deren
Erzeugnisse ein höheres Maß an künstlerischer Gestaltung erfordern und mög-
liehst auch noch absetzbar sind. N ic h t in die Handwerkspflege einbezogen sind
damit die einstmals w ichtigen reparierenden Berufe und die Dienstleistungs-
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226 Klaus Roth

V erteilung der M itg lie de r der ‫ ״‬Zadruga“ auf Berufe:

Holzschnitzerei, Drechslerei, Pyrographie,


Holzschüsselmacherei 218
Gewebe 185
Schmuck 102
Töpferei, Glasbläserei, Steinm etzhandw erk 99
Eisenschmiede 68
Stricken und H äkeln 65
Stickerei 62
Kupferschmiede 52
Lederbearbeitung 52
Messerschmiede, Waffenschmiede 39
Kunstgießerei, Glockengießerei 32
Puppenmacher 21
Volksm usikinstrum entenm acher 21
Insgesamt 1016

Quelle: Koncepcija i plan-programa . . . 1984, S. 44

berufe, die meisten Berufe der N ahrungsm ittelverarbeitung und solche Berufe,
die ‫ ״‬u n a ttra ktive “ Gegenstände herstellen. Das vom einstigen Handwerksleben
auf diese A r t gezeichnete und an die nachfolgenden G enerationen ve rm itte lte
B ild ist dam it bereits grob verzerrt, da es n u r die angenehmen, die schöpferischen
Seiten frü he rer Handwerksausübung, n ich t aber die harte und m ühevolle Rou-
tine, die ökonom ische Zwänge und den E xistenzkam pf des K leinhandw erks
erfaßt. D ie Präsentation einer idealen heilen und stets kreativen H andw erksw elt
geht aber noch weiter, denn auch die von den vertretenen H andw erken herge-
stellten Erzeugnisse repräsentieren keinesfalls die ganze Palette frü he rer Pro-
dukte, sondern einen schmalen Sektor, der nach heutigen Gesichtspunkten aus‫־‬
gewählt ist. E iner dieser Gesichtspunkte war, so hatten w ir gesehen, die ästheti-
sehe Gestaltung der Erzeugnisse. U m die P ro d u k tio n der H an dw e rker der
‫ ״‬Zadruga“ k la r abzugrenzen von der ‫ ״‬Geschm acklosigkeit“ und dem ‫ ״‬K itsch “ ,
die in den Produkten anderer H andw erker, M anufakturen und Industriebetriebe
vorherrschen, werden mehr und m ehr die ästhetischen M om ente in den V order-
grund gerückt. Diese À sthetisierung auf Kosten des praktischen Gebrauchswertes
zeigt sich besonders deutlich auf den großen Ausstellungen5. T ro tz der gegenteili-
gen Forderungen der Ethnographen haben sich die H a n d w e rke r der ‫ ״‬Zadruga“
weitgehend zu reinen Kunsthandw erkern e n tw icke lt, die sich zunehmend als
K ünstler verstehen und um das Recht käm pfen, ihre W erke signieren zu dürfen.
‫ ״‬Angewandte K unst“ , schreibt Lozanova (1980: 20), ‫ ״‬. . . hat im m e r stärker
begonnen, die heutige P ro d u ktio n zu beeinflussen und n icht n u r den Erzeugnis-
sen, sondern auch den P ro d u ktio n sm itte ln T o n und F o rm zu geben.“

5 Richtungsweisend sind die großen internationalen Ausstellungen in Orešak (bei T ro ja n ); vgl. das
von der ‫ ״‬Zadruga“ herausgegebene H e ft Orešak *84. V to ra meždunarodna izlozba i sim pozium na
narodnite chudožestveni zanajati. Sofia 1984, sowie Georgieva 1984. A uch auf der P lovdiver Messe
ist die ‫ ״‬Zadruga“ vertreten.
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Die Pflege alter Handwerke im heutigen Bulgarien 227

D ie Konsequenzen dieser E n tw ic k lu n g sind allzu deutlich spürbar in jenen


Gegenständen, die ästhetisch ansprechend gestaltet, fü r ihren Bestimmungszweck
aber n ich t m ehr geeignet sind: Holzflaschen (bäklici)> die statt eines H ohlraum s
nur eine den H o h lra u m vortäuschende B ohrung haben, Kupferkännchen fü r tü r-
kischen Kaffee, deren L o t bei Benutzung schm ilzt, schwere H o lze im e r und
Holzgeräte, die praktisch n ich t m ehr verwendbar sind; um der Ä s th e tik w ille n
werden T e xtilm u ste r und Trachtenelemente verschiedener Regionen und sogar
anderer E thnien gemischt. D ie Beispiele, denen viele weitere hinzugefügt werden
können, machen offensichtlich, daß n ich t m ehr die ursprünglich geforderte prak-
tische G ebrauchsfunktion im V ordergrund steht, sondern ein Bündel anderer
F u n ktio n e n , fü r die das äußere Erscheinungsbild der Gegenstände ausschlagge*
bend ist: Neben der rein ästhetischen F u n k tio n haben die Erzeugnisse sehr häufig
R epräsentationsfunktion sow ohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich,
eine E rin n e ru n g sfu n ktio n y wenn sie als Souvenirs aus dem U rla u b m itgebracht
werden, und möglicherweise eine Id e n tifik a tio n s fu n k tio n , indem sie zu Symbolen
regionaler oder ethnischer Zugehörigkeit werden. D ie M eister produzieren
dam it ihre Gegenstände fü r einen realen heutigen Bedarf, der teilweise aber ande-
rer A r t ist, als der theoretisch und politisch intendierte. D e r M a rk t, als ‫ ״‬defor-
mierende K ra ft“ aus der staatlichen Handwerkspflege ausgeschlossen, hat sich
auf Um wegen som it doch wieder durchgesetzt.
D e r fü r die Pflege alter H andw erke in Bulgarien vorbildgebende Zeitraum ist
die Blütezeit des Handw erks während der nationalen ,W iedergeburt‘ im 19. Jahr-
hundert. Aus dieser Festschreibung auf den technologischen Stand v o r der Indu-
strialisierung und auf die tra d itio n e lle V o lk s k u ltu r ergibt sich unw eigerlich die
Gefahr der Erstarrung, der rein im ita tive n R ep roduktion der Form en der tradi-
tionellen materiellen K u ltu r. H andw erkliche Betätigung, besonders in der oben
aufgezeigten Tendenz zum K unsthandw erk, beinhaltet aber stets ein kreatives
und dam it innovatives Element. Dieser K o n flik t zwischen sturer Im ita tio n und
schöpferischer In no vatio n ist frü h erkannt worden. D ie Ethnographen plädier-
ten dafür, die H andw erker der ‫ ״‬Zadruga“ sollten ihre P ro d u k tio n ‫ ״‬im Geiste
der T ra d itio n “ kreativ und in n o va tiv w eiterentw ickeln. So schreibt H a d žin iko -
lov (1978/79: 72 f): ‫ ״‬Es ist bekannt, daß einige dieser K ünstler der M einung sind,
daß diese M eister sich ganz streng nach der T ra d itio n richten und niemals von
ih r abweichen sollen. Andere, und v o r allem die Ethnographen, sind der
A nsicht, daß indem sie das Positivste und Schönste des alten traditionellen
Kunstgewerbes beibehalten, seine heutigen M eister darin ihre eigenen in dividu-
ell-schöpferischen Elemente bringen und die V o lk s tra d itio n so innovieren sollen,
daß sie annehmbarer fü r den heutigen Menschen w ird .“ Abgesehen davon, daß
diese Forderung zu der oben besprochenen weitestgehenden Ästhetisierung
fü h rt, öffne t sie der individuellen Phantasie des Kunsthandwerkers T ü r und T o r
sowohl bei der E n tw ic k lu n g und W e ite re n tw icklu n g von Form en und D ekors
als auch bei der Herstellung neuer Gegenstände. Folgen in der Praxis sind etwa
Übertragungen tra d itio n e lle r Form en und O rnam ente auf neu entworfene
Gegenstände (wie etwa Teeservice und Aschenbecher) oder andererseits die
A p p lik a tio n neuer ‫ ״‬nachem pfundener“ D ekors auf traditionelle — und oftm als
dysfunktionale — Gegenstände. Alles das ist durchaus zugelassen, solange nicht
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228 Klaus Roth

der ‫ ״‬R u b ik o n “ der A rbeitsteilung und der Maschinenbenutzung überschritten


w ird (Vasilčina 1985: 18).
W o h l nirgendw o zeigt sich die P roblem atik der Pflege alter H andw erke in
ih re r Konsequenz so deutlich wie an diesem Punkt. D urch die norm ative Festset‫־‬
zung w illk ü rlic h e r, scheinbar wissenschaftlich begründeter Grenzen und K r ite ‫־‬
rien w urde eine artifizielle Situation geschaffen, ein Schonraum, in dem eine
bereits untergegangene und nur noch in fossiler F orm existente materielle V o lk s ‫־‬
k u ltu r ‫ ״‬w eite re n tw icke lt“ werden soll — w eiterentw ickelt von staatlich geför-
derten Kunsthandw erkern, die sich ohne allzu große Rücksicht auf die Bedürf-
nisse der Kunden ihren gestalterischen Neigungen hingeben können. D ie V olks-
k u ltu r, wie jede K u ltu r überhaupt, ist ein lebendiges, dynamisches und hochgra-
dig komplexes System; die Herstellung m aterieller G ü ter ist zu verstehen allein
im Rahmen dieses kulturellen Systems als ein Prozeß der Tradierung und der
A daptation an sich ständig wandelnde Bedürfnisse und Einflüsse, als ein Prozeß
der regulierenden K o m m u n ika tio n zwischen Hersteller und Benutzer (Stieber
1971). D ie hier dargestellte Form der Handwerkspflege reduziert die H erstellung
von G ü te rn zur künstlerischen Spielweise unter A ufsicht von Wissenschaftlern
und K ünstlern, auf der die Rückm eldung vom Benutzer, die ständige K o n tro lle
und K o rre k tu r durch alle M itglieder der Gruppe oder Gesellschaft fe hlt oder n u r
bedingt m öglich ist. D ie E n tw icklu n g zur Asthetisierung und zur Beliebigkeit
der P ro d u k tio n ist dam it ebenso systemimmanent, wie es die E n tw ic k lu n g des
H andw erkers hin zum Künstler und vielseitig gebildeten ‫ ״‬Kunstschaffenden“
ist, der über eine breite Kenntnis vieler Richtungen der V olkskunst wie der
H och kun st verfügt, aus denen er bei seiner A rb e it schöpfen kann. D ie Gefahren
dieser Beliebigkeit und Verfügbarkeit aller Form en und Dekors ist durchaus
erkannt worden, denn im m er wieder werden die Handwerksm eister z u r reģiona-
len bzw. ethnischen Bindung ih rer Produkte aufgefordert. Die statistische U nte r-
suchung der Textilhandw erker in der ‫ ״‬Zadruga“ durch Georgieva (1985) zeigt
sehr deutlich die E ntw icklun g, die sich aus den dargestellten Tendenzen ergibt:
E in beachtlich großer T eil von ihnen betreibt das H andw erk in der Freizeit als
Nebenerwerb oder als K re a tiv-H o bb y zur künstlerischen Entfaltung.
N ach einer Zeit steigender Erträge stagnieren oder sinken die Erlöse der Hand-
werksmeister der ‫ ״‬Zadruga“ in letzter Z e it6. Zu untersuchen wäre, ob h ie rfü r
das A b klin g e n der ‫ ״‬F o lk lo re “ -Mode, die Sättigung der Nachfrage staatlicher
U nternehm en oder die aufgezeigten immanenten E ntw icklungen v e ra n tw o rtlich
sind. D ie Suche nach den Ursachen wäre aber überaus lohnend, denn sie könnte
einen Ausweg weisen aus der Sackgasse staatlich geförderter P ro d u ktio n von
Touristensouvenirs und folkloristisch-nostalgischen Repräsentationsgegenstän*
den. Z u prüfen wäre an erster Stelle, ob nicht bereits die Reduzierung dirigisti-
scher Vorgaben und die stärkere A nerkennung der Kräfte des Marktes den M ei-
stern der ‫ ״‬Zadruga“ und dam it den alten H andwerken langfristig m ehr nützen,
da sie ihnen die M ö g lich ke it und den heilsamen Zwang verschaffen, sich an den

6 N ach A uskunft von M itarbeitern des Ethnographischen Instituts in Sofia. Ihnen wie auch Mitarbei-
tern der ‫ ״‬Zadruga“ sei an dieser Stelle gedankt für ihre Hilfe und ihre Bereitschaft, Fragen und Pro-
bleme der H andw erksförderung zu erläutern.
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Die Pflege alter Handwerke im heutigen Bulgarien 229

tatsächlichen Bedürfnissen ih re r Käufer flexibel zu orientieren. D ie P ro d u k tio n


anderer, n ic h t in der ‫ ״‬Zadruga“ organisierter H andw erker zeigt, daß diese Adap-
ta tion alter H andw erkstechniken an die Gegebenheiten des sozialistischen A ll-
tags in Teilbereichen durchaus gelingen kann. Den norm ativen Geschmacksvor-
Stellungen der Prüfungskom m ission der ‫ ״‬Zadruga“ dürften die meisten dieser
Erzeugnisse n ic h t gerecht werden — doch das spricht eher gegen die im akademi-
sehen und ku ltu rp o litisch e n Bereich entw ickelten N o rm e n 7.

Literatur:

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già Slavica 10/11 (1978/79) 5 7 -7 7 .
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In: Bãlgarski fo lk lo r 5:4 (1979) 44— 57.
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Lozanova, S. 1980: Kam istorijata na sävremennoto priloženo izkustvo (Zur Geschichte der gegenwärti-
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schaft in den letzten 20 Jahren (1960—1980)). In: Bãlgarski fo lk lo r 7:1 (1981) 68— 74.

7 Ganz im Zeichen des staatlichen ‫ ״‬Kampfes gegen alle Formen des Kitsches“ stand eine Ausstellung
im ,Haus des H u m o rs und der Satire* in G abrovo (1984), auf der zahlreiche H andw erksprodukte
ausgestellt waren. D ie Ausstellung wurde in der Presse wegen ihres norm ativen ‫ ״‬K itsch“ ‫־‬Begriffes
recht stark k ritis ie rt.
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230 Klaus Roth

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Staneff, St. 1901: Das Gewerbewesen und die G ew erbepolitik in Bulgarien. Diss. p h il. Heidelberg.
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Ustav. Zadruga na majstorite na narodnite chudožestveni zanajati p ri K om iteta za ku ltu ra (Satzung.
Genossenschaft der Meister der Volkskunst-Handwerke beim Komitee fü r Kultur}. Sofia 1967. Neuaus-
gäbe: Sofia 1985.
Vakarelski, C h r. 1969: Bulgarische Volkskunde. Berlin.
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kunst — Zustand und Erforschung. In: Problem i na bälgarskija fo lk lo r. D o kla d i І izsledvanija. Sofia
1972, S. 41— 49.
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der Meister der Volkskunst-Handwerke). In: Bälgarska etnogrāfijā 1:2 (1975) 64— 68.
Vasilčina, V. 1985: Vāzm ožni patista za razvitie na narodnite chudožestveni zanajati (Mögliche Wege
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Željazkov, Iv . 1976: Edin samobiten m ajstor (Ein schöpferischer Handwerker). In: Bälgarska etnogrāfijā
2:2 (1976) 4 8 -5 4 .

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A ufgaben und Ziele der H andw erkspflege in Bayern

Peter N ic k i, München

M ein kurzer Beitrag kann n u r Akzente setzen und Probleme andeuten, und so
betrachte ich es als meine Aufgabe, m ich der gegenwärtigen Handwerkspflege
zuzuwenden und so einen K ontrapart zu den vielen Beiträgen dieses Bandes zu
bieten, die sich m it dem historischen H an dw e rk befassen.
W enn w ir v o r Gästen aus dem Ausland von ,H a n d w e rk‘ sprechen, t r i t t im m er
wieder die Schwierigkeit auf, den heute bei uns gebräuchlichen Handwerksbe-
g riff zu ve rm itte ln. H andw erk hat in Deutschland eine sehr systematisierte und
organisierte F o rm , wie sie in dieser Weise in den meisten anderen europäischen
Ländern nicht ausgeprägt ist. Das H andw erk in Deutschland muß daher in seiner
spezifischen E n tw icklu n g und Eigenart betrachtet werden. Gestatten Sie m ir,
daß ich Ihnen zunächst einige grundsätzliche Inform ationen gebe, wobei ich m it
dem H andwerksrecht beginnen möchte.
Nach der E in fü h ru n g der allgemeinen Gewerbefreiheit und dem völligen N ie-
dergang des Zunftwesens M itte des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Gesetzes-
novellen zu r Neuregelung des Handwerksrechts in den Jahren 1933 und 1935
erlassen. Sie waren das Ergebnis jahrzehntelanger Bemühungen um eine Neu-
Schaffung des Handwerkswesens und der Handwerksorganisationen. D e r rechtli-
che Schutz, den das H andw erk als w irtschaftliche K ra ft durch diese beiden
N ovellen erhielt, wurde nach dem Krieg durch das In kra fttre te n der Handwerks-
Ordnung (1953) bundesweit bestätigt. V on 1945 bis 1953 hatte, unter der jew eili-
gen K o n tro lle der Besatzungsmächte, allgemeine Gewerbefreiheit geherrscht.
Die beiden G rundpfeiler des Handwerksrechts sind die Selbstverwaltung des
Handwerks und der handwerkliche Q ualifikationsnachweis. A u f dem Recht auf
Selbstverwaltung basieren die handwerklichen Organisationen, das Beratungs-
wesen und die politische Interessenvertretung des Handwerks. Das E rfordernis
des handwerklichen Qualifikationsnachweises bedingt das Ausbildungs- und Prü-
fungswesen des Handwerks und das Recht der handwerklichen Berufsausübung.
Die E in fü h ru n g des handwerklichen Qualifikationsnachweises hatte zunächst
eine Einschränkung der allgemeinen Gewerbefreiheit und des G rundrechts der
freien Berufswahl zur Folge. Ein H andw erk darf, seit In kra fttre te n des Gesetzes,
n u r ausüben, wer durch die Ablegung der M eisterprüfung seine handwerkliche
Q u a lifik a tio n nachgewiesen hat.
Die Entscheidung des Gesetzgebers, dem H andw erk Selbstverwaltung einzu-
räumen, w ar wirtschaftspolitisch von eminenter Bedeutung. M it der G ewährung
des Rechts auf Selbstverwaltung verzichtete der Staat auf K o n tro lle und Regle-
mentierung des Handwerks. E r übte lediglich die staatliche Rechtsaufsicht aus.
Dieses war ein Bekenntnis des Staates zum M ittelstand als der gesunden Basis
einer W irtschaft. Es w ar eine A u fford eru ng an die kleineren und m ittle re n
Betriebe als die kleinsten w irtschaftlichen Zellen zu D yn a m ik, F le xib ilitä t, w ir t ­
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232 Peter Nicki

schaftlicher Entscheidungs- und Risikobereitschaft. Das H a n d w e rk ist heute der


zweitstärkste W irtschaftszw eig: Im Bundesgebiet gibt es ca. 600.000 Handw erks-
betriebe m it 4 M illio n e n Beschäftigten; das H andw erk erzielt einen Umsatz von
ca. 400 M illia rd e n D M im Jahr. In Bayern sind es 130.000 Betriebe, 925.000
Beschäftigte und 100 M illia rd e n D M Umsatz. Bayern ist dam it ein sehr hand-
werksintensives Land.
In der H andw erksordnung ist geregelt, welche Berufe als H a n d w e rk ausgeübt
werden können. D ie insgesamt 126 Handwerksberufe sind in sieben G ruppen
eingeteilt. D ie E inteilu ng ist nach den klassischen G ewerken gegliedert (Bau- und
Ausbaugewerbe, M etall-, H olz-, T e x til- und Ledergewerbe, Nahrungsm ittelge-
werbe, Gesundheits- und Reinigungsgewerbe, Glas, Papier und K eram ik). F ü r
jeden dieser 126 H andwerksberufe gibt es ein gesetzlich festgelegtes Berufsbild,
in dem alle theoretischen und praktischen Kenntnisse festgelegt sind, die ein
H an dw e rker beherrschen m uß, wenn er seinen Beruf als Geselle oder M eister
ausüben w ill. F ü r jeden dieser 126 Handwerksberufe gibt es eine Ausbildungs-
Ordnung, die das Reglement bestimm t, wie eine zweieinhalb- bis dreijährige
Lehre zu verlaufen hat. D ie A usbildung, d.h. die Lehre erfolgt zum überwiegen-
den T e il dual, d.h. in F o rm einer betrieblichen Lehre (4 Tage in der W oche) und
dem Besuch einer Berufsschule (1 Tag in der Woche). In einigen Handw erksberu-
fen gibt es Fachschulen, die m it der Gesellenprüfung abschließen. A uch das Prü-
fungswesen (Gesellen- und M eisterprüfung) ist fü r jeden der 126 Berufe rechtlich

D ie meisten dieser 126 Berufe haben eigene Innungen als Organe der w irt-
schaftlichen Interessenvertretung auf regionaler, meist auf Bezirksebene. A lle
Innungen eines Bezirks sind regional in einer Kreishandwerkerschaft zusammen-
geschlossen. D ie Innungen eines jeweiligen Fachbereiches schließen sich ihrer-
seits w iederum zu einem Landesinnungsverband zusammen. D ie Landesinnungs-
verbände sind M itg lie d bei einem Bundesinnungsverband und diese gehören
branchenmäßig übergreifenden Fachverbänden an. U b e r all diesen Organisatio-
nen steht der Zentralverband des Deutschen Handw erks als Spitzenorganisation.
D e r B e itritt zu den Innungen ist fre iw illig , Zwangsmitgliedschaft dagegen besteht
bei den H andw erkskam m ern. Im Bundesgebiet gibt es insgesamt 42 Handwerks-
kam m ern, in Bayern sieben, je eine in den sieben Regierungsbezirken. Ihre A u f-
gäbe ist es, die in der H andw erksordnung festgelegten Aufgaben zu realisieren.
D ie E n tw ic k lu n g des H andw erks in der Nachkriegszeit ist gekennzeichnet
durch einen starken T rend z u r Ausw eitung der m ittleren U nternehm en und zur
Stillegung kleinerer, weniger konkurrenzfähiger U nternehm en. Gab es im Jahre
1950 in der Bundesrepublik Deutschland noch 880.000 Betriebe m it 3,3 M illió -
nen A rbeitnehm ern, so sind es heute n u r noch 490.000 Betriebe, allerdings m it
4,2 M illio n e n A rbe itn eh m ern. D er Jahresumsatz des H andw erks betrug 1950 27
M illia rd e n , heute 400 M illia rd e n D M .
D ie dynamische F o rte n tw ic k lu n g des Handwerks und die Anpassung an die
Erfordernisse einer Industriegesellschaft veränderten natürlich auch die D e fin i-
tio n skrite rie n des Handwerksberufes. Das A rbeiten m it der H and ist heute nicht
m ehr das dom inante und ausschlaggebende A bgrenzungskriterium zu einem
industriellen Beruf. D ie Technisierung und Mechanisierung eines Handwerks-
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Aufgaben und Ziele der Handwerkspflege in Bayern 233

betriebes ist unabdingbar, w ill dieser im heutigen W ettbew erb bestehen. So


bleibt in der A bgrenzung zur Industrie als wesentliches K rite riu m des
Handwerksbegriffs das E rfordernis, daß der H andw erker den vollen A rbeitsvor-
gang selbständig und eigenverantw ortlich bestim m t und daß sich seine T ä tig keit
auf alle Phasen der A uftragsdurchführung erstreckt. Dies bedingt von der Größe
her einen handw erklichen Betrieb, der noch von einer Person organisiert und
geführt werden kann. D ie S tru k tu r der Handwerksbetriebe kann dabei sehr
unterschiedlich sein. Sie reicht vom Einm ann-Einzelbetrieb bis hin zum U nte r-
nehmen m it 100 oder m ehr Angestellten.
A llgem ein lassen sich die Handwerksbetriebe unterteilen in Fertigungsbe-
triebe, Dienstleistungsbetriebe und Versorgungsbetriebe. Bei den handw erkli-
chen Berufen stehen die technischen Berufe m it fast 40% an der Spitze. D ie
Berufe, in denen die Gestaltung und die H andw erksform im V ordergrund ste-
hen, spielen vergleichsweise eine untergeordnete Rolle, denn ih r A n te il liegt nur
bei ca. 20%.
Als Leiter der Handwerkspflege in Bayern möchte ich im folgenden den großen
Bereich des technischen Handwerks, den Bereich der Versorgungshandwerke
(N ahrungsm ittelhandw erke) und den Bereich der Gesundheitshandwerke ausspa-
ren und m ich n u r den gestaltenden Handwerksberufen zuwenden, die in mein
eigentliches Aufgabenressort fallen.
D ie Handwerkspflege in Bayern wurde un m itte lb a r nach dem 2. W e ltkrie g
begründet. Ihre G ründung ging auf eine Idee und In itia tiv e des Deutschen W erk-
bundes zurück, der es als eine wesentliche Aufgabe ansah, beim W iederaufbau
Deutschlands in der Nachkriegszeit die handwerkliche K u ltu r n ich t zu vernach-
lässigen und die Kenntnisse der alten H andwerke an die Nachkriegsgenerationen
w eiterzuverm itteln. Dieser Gedanke des Deutschen W erkbundes w ar w eitsichtig
und ist heute noch so aktuell wie er damals war, doch w urde er in vielen Punkten
von der rasanten w irtschaftlichen E n tw icklu n g in der Nachkriegszeit ü b e rro llt.
Die institutionalisierte Realisierung dieser Aufgabe w ar dem W erkb un d selbst
nicht m öglich, so daß die Handwerkspflege deshalb 1949 beim Bayerischen
Handwerkstag eingerichtet wurde.
M it dem Wandel des Handwerks in unserer Gesellschaft w ar auch ein Wandel
der Aufgaben und der S tru k tu r der Handwerkspflege verbunden. D ie Hand-
werkspflege in Bayern w ird heute von einer G ruppe von sechs M ita rb e ite rn
durchgeführt. Diese M ita rb e ite r betreuen mehrere Aufgabengebiete: D ie Galerie
H andw erk m it einem alle vier bis sechs W ochen wechselnden Ausstellungspro*
gramm, die Beratungsstelle fü r Formgebung, die Pflege der tra dition ellen Hand-
werkstechniken, die gestalterische A usbildung im H a n d w e rk und das Messe- und
Ausstellungswesen. Organisatorisch ist die Handwerkspflege in Bayern dem
Bayerischen Handwerkstag (Zusammenschluß aller Bayerischer Handw erkskam -
mern) und der H andw erkskam m er fü r Oberbayern angegliedert.
Finanziell w ird die Handwerkspflege fast vollständig vom Bayerischen Staats-
m inisterium fü r W irtschaft und V erkehr getragen. D e r Zuschuß erstreckt sich
allerdings nur auf personal- und organisationsbedingte Sachkosten, so daß prak-
tisch keine M itte l fü r E igeninitiativen zur Verfügung stehen. F ü r Projekte, die
außerhalb der Galerie (im In- und Ausland) und auf Messen und Ausstellungen
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234 Peter Nicki

durchgeführt werden, muß jeweils eine Frem dfinanzierung gesichert sein. Viele
Pläne und Überlegungen können daher nicht oder nicht in der ursprünglich
geplanten F o rm vollzogen werden. Viele Projekte werden von außen herangetra-
gen und dann im A u ftra g staatlicher oder kom m unaler Behörden, z.B. der Stadt
M ünchen, des Landes Bayern oder bestim m ter Organisationen durchgeführt.
D ie T ä tig ke it der Handwerkspflege ist im wesentlichen eine verm ittelnde,
anregende, inform ierende und didaktische T ätigkeit ohne die M ö g lich ke it, in
irgendeiner Form gestalterische Programme vorzuschreiben. D arüber hinaus ist
es aber auch eine dokumentarische A rb e it, bei der es darum geht, aufzuzeichnen,
was sich auf dem Gebiet des gestaltenden Handwerks ereignet. In diesem Sinne
entstehen auch die P ublikationen, die sich m it den verschiedensten Themenbe-
reichen befassen (z.B. ‫ ״‬D ie Kunst des Pflasterns“ , ‫ ״‬Restauratoren“ , ‫ ״‬Erde,
Asche, Feuer — Keramische Glasuren“ , ‫״‬Jugend gestaltet“ , ‫ ״‬M aterial —
Schmuck und G erät“ ).
Aufgabe ist es w eiterhin, die ku ltu re lle n Leistungen des Handwerks in den
B lic k p u n k t der Ö ffe n tlic h k e it zu stellen und mustergültige Beispiele zu zeigen
sowie auf besonders dringende Aufgaben und Probleme hinzuweisen oder öffent-
lieh K r it ik zu üben. D ie politischen M öglichkeiten, kulturelle Ziele durchzuset-
zen, sind dabei relativ gering.
Im folgenden gebe ich Ihnen einen kurzen Ü b e rb lick über die T ätigkeit im
Jahr 1985:

1. Stelle fü r Form gebungsberatung:


Es geht bei diesem Aufgabenressort im Grunde genommen im m er wieder um
die P ro filie ru n g und D em onstration dessen, was eine aktuelle handwerkliche
F o rm in unserer Zeit darstellt, d.h. welche Erfordernisse die Zeit an sie stellt
und w ie sie durch die Erfordernisse der Zeit geprägt w ird .

2. H istorische H andw erkstechniken:


Im Bereich des traditionellen H andw erks unterscheiden w ir drei Gebiete: die
Förderung der historischen handw erklichen Techniken, wie sie die moderne
Denkm alpflege braucht, die Pflege der V olkskunst und die F o rtfü h ru n g tradi-
tio n e lle r H andwerkskunst in der heutigen Zeit.

3. Messen u n d Ausstellungen:
In der Galerie H andw erk, dem Ausstellungsraum der Handwerkspflege in
Bayern, wurden im Jahr 1985 folgende jeweils vier bis sechs W ochen dau-
ernde Ausstellungen gezeigt:
‫ ״‬Budapest — Experimente und Im pulse“ : avantgardistische Kunsthandw erker
aus Ungarn;
‫ ״‬D ie Kunst des Pflasterns“ : Beruf, Technik und Ausdrucksform en des Pflaste-
rerhandwerks;
‫ ״‬A frik a A k k o rd “ — K eram ik, T e x til und Schmuck der N u b ie r;
‫ ״‬F a rbtup fer“ — Sammelausstellung zum Thema Farbe;
‫ ״‬Zeitgenössischer Schmuck aus Spanien“ ;
‫ ״‬B untpapier“ : zur Renaissance des Buntpapiers;
‫ ״‬Lebzelten, Wachsstöcke, Votivgaben“ — H andw erk und Brauch.
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Aufgaben und Ziele der Handwerkspflege in Bayern 235

D ie Handwerkspflege w ar 1985 m it der O rganisation und D u rch fü h ru n g folgen-


der Sonderschauen und Ausstellungen auf Messen befaßt:
Internationale Handwerksmesse in M ünchen, Sonderschauen:
1. E X E M P L A — ‫ ״‬Altes H andw erk in jungen Händen“ : z w ö lf ‫ ״‬Lebende
W erkstätten“ ;
2. Internationale Schmuckschau — avantgardistischer Schmuck;
3. ‫״‬Jugend gestaltet“ — internationale Schau junger Kunsthandwerker;
4. ‫ ״‬Pappbecher und T is c h k u ltu r“ — K unsthandw erk zum Thema Tisch-
k u ltu r.
Neben der Internationalen Handwerksmesse gew innt die H e im + H an dw e rk als
eine auf dem M ünchener Messegelände veranstaltete Verkaufsmesse zunehmend
an Bedeutung. D o rt hat die Handwerkspflege in Bayern die Sonderschau ‫ ״‬U n i-
kate“ , eine Sonderschau des Drechsler-Handwerks und eine Reihe von ,lebenden
W erkstätten‘ durchgeführt.
Innerhalb der Bundesrepublik Deutschland wurden von der Handwerkspflege
1985 noch folgende Ausstellungen organisiert:
‫ ״‬K unsthandw erk aus Bayern“ in Bonn;
‫ ״‬Im G lanz des schwäbischen Kunsthandwerks — das historische Erbe — Tenden-
zen der Gegenwan“ in Augsburg.
Im Ausland:
‫ ״‬Kunsthandw erk aus Bayern“ auf der 100. Grazer Frühjahrsmesse;
‫ ״‬W irtschaftspartner Bayern“ , Technisches H andw erk in Qingdao, V R C hina;
‫ ״‬K unsthandw erk aus Bayern“ in Verona.

4. P u b lika tio n e n :
Zu folgenden Ausstellungen wurden Kataloge erstellt:
‫ ״‬Die Kunst des Pflasterns“ ;
‫ ״‬E X E M P L A ’85 — Altes H andw erk in jungen Händen“ ;
‫ ״‬Form , Form el, Formalismus — Internationale Schmuckschau 1985“ ;
‫״‬Jugend gestaltet ’ 85“ .

Die Förderung von ‫ ״‬V olkskunst“ o rie n tie rt sich an handw erklich hergestellten
O bjekten tra dition eller handw erklicher Erwerbszweige. D o rt w o V olkskunst
nicht m ehr handw erklich hergestellt w ird , sind der Handwerkspflege die Gren-
zen fü r ihre T ätigkeit gesetzt. G efördert w ird entsprechend der Aufgabenstellung
der Handwerkspflege: die E rhaltung der H andwerkstechniken, die Handwerks-
form , die M aterialgerechtigkeit der Verarbeitung, die F u n ktio n a litä t und Q uali-
tat von Form und D e k o r sowie die geistige H altung, in der Form und T e ch n ik
ausgeführt werden. Dies gilt fü r Bereiche wie z.B. die Weberei, die K eram ik, die
Hinterglasbildm alerei und das schmiede- und holzverarbeitende H andw erk,
deren A rbeiten im m er wieder exemplarisch herausgestellt werden, sow ohl im
Rahmen von Ausstellungen als auch durch Publikationen.
Ein interessantes Teilgebiet ist das, was man das intellektualisierte A ufgreifen
von V olkskunst nennen kann. In unserem Land begann es Ende der 60er Jahre.
Einige junge Leute haben, zum T e il auch aus gesellschaftlichem Protest, den
Beruf des Handwerkers gewählt, sich aus der Stadt in ländliche Gebiete abgesetzt
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236 Peter Nicki

und alte H andw erkstraditionen aufgegriffen und wiederbelebt. Diese Beispiele


haben eine Bewegung im Kunsthandw erk ausgelöst und v o r allem der volkstüm -
liehen K eram ik zu einem ungeheuren Aufschw ung verholfen.
Es gibt im Bereich der V olkskunst vieles, was w ir nicht als exemplarisch her-
ausstellen möchten. Insgesamt aber hat diese Belebung der ‫ ״‬V o lksku n st“ das zeit-
genössische Kunsthandw erk sehr stark beeinflußt und aktualisiert (z.B. A rb e ite n
des Keramikers Jörg von Manz). D er Ausgangspunkt ist die T ra d itio n , die jedoch
o ft einbezogen wurde in die geistige Auseinandersetzung um Kunst und moderne
K u ltu r. So sind Einflüsse von Picasso, M iro und den K u ltu re n der sog. P rim itiv -
vö lk e r bei diesen A rbeiten im m er wieder nachzuweisen, auch dann, wenn sie
sich in ih rer Fertigungsart ganz streng an ihre historischen V o rb ild e r halten.
Im zeitgenössischen H andw erk zeigt sich auch bei uns der Wunsch und W ille
des Handwerkers, Künstler zu sein. Ein K ünstler steht nach wie v o r in der Rang-
Ordnung w eit über dem H andw erker und die A nerkennung als K ünstler g ilt als
Traum ziel vieler. Daneben hat es eine ganz praktische Bedeutung: K ünstler
haben steuerrechtliche und auch gewerberechtliche Erleichterungen und viele
unserer handw erklich ausgebildeten Kunsthandw erker versuchen, die staatliche
A nerkennung aus diesen Gründen zu erlangen.
D er F o rtfü h ru n g der historischen Techniken in zeitgenössischer Form — was
nichts m it der Pflege der V olkskunst zu tu n hat — gelten viele Anstrengungen
der Handwerkspflege in Bayern. Dabei w ird im m er wieder herausgestellt, wel-
che Bedeutung die V ie lfa lt der historischen Techniken in unserer Zeit haben
kann. Besonders deutlich läßt sich dies vielleicht am Glas veranschaulichen, w o
bei den meist einfachen Formen die U nterschiedlichkeit der Herstellungstechni-
ken und ihrer ästhetischen Q ualität besonders deutlich dem onstriert werden
kann.
Ein besonderes Problem stellt die gestalterische Ausbildung im H andw erk dar.
W ir können auf Ausbildungskonzepte zurückgreifen wie vielleicht kein anderes
europäisches Land. Die Kunstgewerbebewegung des letzten Jahrhunderts und
das Bauhausmanifest zu Beginn dieses Jahrhunderts haben U nterrichtsm odelle
entw ickelt, die noch heute w eltw eit Beachtung finden. Diese Konzepte w urden
allerdings von der deutschen Schul- und K u ltu rp o litik in der Nachkriegszeit völ-
lig unbeachtet gelassen. Man hat sich aus Fortschrittsgläubigkeit v ö llig auf die
industriell gefertigte Form konzentriert und eine übermäßig große Zahl von
Designern herangebildet, während die gestalterische A usbildung in der hand-
w erklichen Lehre bzw. an den handwerklichen Berufs- und Fachschulen allzu
deutlich vernachlässigt wurde. D ie Gegenreaktion erfolgte in den 80er Jahren, als
erste Versuche begonnen wurden, dem H andw erker ein gestalterisches A usbil-
dungsangebot an die Hand zu geben — auf fre iw illig e r Basis im Rahmen der
beruflichen F ortbildung. Versuchsprojekte der Handwerkskam m ern in Kassel,
Hildesheim und M ünster werden vom Bundesbildungsministerium in der
schwierigen Anfangsphase finanziell unterstützt. D ie Handwerkspflege in Bay-
ern bereitet derzeit ebenfalls ein umfangreiches gestalterisches Fortbildungspro-
gramm fü r H andw erker vor. D er Verlust, den w ir durch die Einstellung der klas-
sischen alten W erkkunstschulen in den 50er Jahren erlitten haben, w ird im m er
deutlicher bewußt.
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Aufgaben und Ziele der Handwerkspflege in Bayern 237

Abschließend noch ein W o rt zum gestaltenden H andw erker und seiner


Lebensform. Sie unterscheidet sich meist von der anderer H andw erker, sowohl
nach der A usbildung als auch nach der A r t und Weise w ie sie leben und tätig
sind. Ein relativ hoher Prozentsatz der gestaltenden H andw erker hat eine höhere
Schulbildung und viele von ihnen haben sich nach der Berufsausbildung künstle-
risch fortgebildet. H äufig ist die W ahl der Lebensform m it einem V erzicht auf
Geld, berufliche Karriere, etc. verbunden. N ic h t selten liegt eine doppelte Berufs-
tätigkeit vo r, d.h. der Kunsthandw erker ist auf nebenberufliche Tätigkeiten ange-
wiesen wie Lehrtätigkeit, Handelstätigkeit, etc. D ie Entscheidung, als Kunst-
handwerker zu leben, ist daher nicht selten eine existenzielle Entscheidung. Den-
noch gibt es auch im Kunsthandw erk verschiedenste Betriebsgrößen vom
Kleinst- bis zum G roßbetrieb, wobei der durchschnittliche Betrieb etwa fü n f
Beschäftigte hat. D er V erka uf kunsthandw erklicher A rbeiten erfolgt sehr häufig
nur in der eigenen W erkstatt oder im A telier, oder aber über spezielle kunst-
handwerkliche oder künstlerische Galerien sowie auf Messen, wobei die Interna-
tionale F ra n kfu rte r Messe der wichtigste Messeplatz ist; in letzter Z e it gewinnen
auch kunsthandw erkliche M ärkte, die allerorten aus dem Boden geschossen sind,
an Bedeutung. D er ‫ ״‬goldene Boden“ des Handw erks findet sich im Bereich des
Kunsthandwerks nicht im m er und um so w ichtiger ist daher die Förderung die-
ses o ft durch große In divid ua litä t geprägten Berufskreises. Dieses betrachtet die
Handwerkspflege in Bayern dann auch als ihre w ichtige und stets abwechslungs-
reiche Aufgabe.

®8Verlach©
8 *•■?bfWtothek
München
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Veröffentlichungen der Südosteuropa-Gesellschaft

S Ü D O S T E U R O P A -J A H R B Ü C H E R

Im Nam en der Südosteuropa-Gesellschaft herausgegeben von W ilh e lm G ü lich t»


ab 4. Band von R u d o lf Vogel, ab 7. Band von W alter A ltham m er

1. Band: Südosteuropa zwischen O st und West.


M ünchen 1957. 224 S., Ganzleinen D M 15,80

2. Band: Ideologische, k u ltu re lle und w irtschaftliche Wandlungen in Südosteuropa.


M ünchen 1958. 192 S., Ganzleinen D M 15,80

3. Band: W irtschaftliche E n tw ic k lu n g und volkliche Eigenständigkeit in Südosteuropa.


M ünchen 1959. 200 S., Ganzleinen D M 15,80

4. Band: D e r gegenwärtige Stand der w irtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu Südosteuropa.


M ünchen 1960. 248 S., Ganzleinen D M 15,80

5. Band: D ie D onau in ih re r geschichtlichen, w irtschaftlichen und kulturellen Bedeutung.


M ünchen 1961. 188 S., Ganzleinen D M 15,80

6. Band: D ie V o lk s k u ltu r der südosteuropäischen V ölker.


M ünchen 1962. 216 S., Ganzleinen D M 18,— (vergriffen)

7. Band: Deutsch-Südosteuropäische W irtschaftsprobleme.


M ünchen 1966. 138 S., Ganzleinen D M 32,— (vergriffen)

8. Band: D ie Stadt in Südosteuropa — S tru k tu r und Geschichte.


M ünchen 1968. 183 S., Ganzleinen D M 48,— (vergriffen)

9. Band: W irtschafts- und Gesellschaftsgeschichte Südosteuropas im 19. und 20. Jahrhundert.


M ünchen 1970. 217 S., Ganzleinen D M 52,— (vergriffen)

10. Band: Kunst und Geschichte in Südosteuropa.


Recklinghausen 1973. Ganzleinen, Kunstdruck, Bildtafeln, G roß form at 188 S., D M 30,—

11. Band: D ie zeitgenössischen Literaturen Südosteuropas.


M ünchen 1978. Ganzleinen, 220 S., D M 55,—

12. Band: Jugoslawien am Ende der Ä ra T ito . 2 Bände


G rothusen, Klaus-Detlev, O th m a r Haberl und W olfgang H öpken (Hsg.)
M ünchen-W ien 1983/1986. 181/298 S., je D M 6 8 , -

13. Band: Südosteuropa zwischen 1600 und 1000 v .C h r.


Hansel, Bernhard (Hsg.)
Berlin 1982. 408 S., D M 1 9 0 ,-

14. Band: Dalmatinisches Reisebuch.


Stanic, Michael
M ünchen— Z ü ric h 1983. 204 S., 88 A bb., D M 34,—

15. Band: Grenzüberschreitender U m w eltschutz.


G um pel, W erner (Hsg.)
M ünchen 1985. 152 S., D M 3 4 , -

16. Band: P o litik und W irtschaft in Südosteuropa. Festschrift fü r R u d o lf Vogel.


G um pel, W erner und Roland Schönfeld (Hsg.)
M ünchen 1986. 228 S., D M 46,—
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S U D O S T E U R O P A -S T U D IE N
Im Namen der Südosteuropa-Gesellschaft herausgegeben von R u d o lf Vogel,
ab 8. H e ft von W alter A lth a m m e r
Erschienen sind bisher 37 Hefte. D ie nachfolgend nicht aufgeführten H efte sind vergriffen.
2. H eft: Gamst, Max und Gerhard Teich (Hsg.)
D ie Donau — Ein Verzeichnis des in der B ib lio th e k des Instituts fü r W e ltw irtsch a ft an der
U niversität K iel vorhandenen einschlägigen Schrifttum s.
M ünchen I960, 69 S., D M 8,—
4. H eft: Ziegler, G en
Griechenland in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
M ünchen 1962. 112 S., D M 10,—
13. H eft: Rohleder, Claus D ieter
D ie O sthandelspolitik der EW G-Mitgliedstaaten, G roßbritanniens und der U S A gegenüber
den Staatshandelsländern Südosteuropas.
M ünchen 1969. 136 S., D M 20,—
14. H eft: A ltham m er. W alter (Hsg.)
D ie Donau als Verkehrsweg Südosteuropas und die Großschiffahrtsstraße Rhein-M ain-
Donau.
M ünchen 1969. 128 S., D M 2 6 , -
15. H eft: Gülich-Bielenberg, Hanna (Red.)
D ie Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und der Handel m it Südosteuropa.
M ünchen 1970. 34 S., D M 1 2 ,-
18. H eft: Pernack, Hans-Joachim
Probleme der w irtschaftlichen E n tw icklu n g Albaniens. U ntersuchung des ökonom ischen
und sozioökonomischen Wandlungsprozesses von 1912/13 bis in die Gegenwart.
M ünchen 1972. 196 S., D M 2 4 , -
19. H eft: G rothusen, Klaus-Detlev
Symposion des wissenschaftlichen Beirates der Südosteuropa-Gesellschaft vom Juni 1971.
Ergebnisse
♦t und Pläne der Südostcuropa-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland und
Österreich.
M ünchen 1972. 196 S., D M 2 0 , -
20. H eft: Zotschew, Theodor D.
Strukturw andel in W irtschaft und Gesellschaft Südosteuropas. Eine sozial-ökonomische und
statistische Analyse anläßlich des 20jahrigen Bestehens der Südosteuropa-Gesellschaft.
M ünchen 1972. 113 S., D M 20,—
21. H eft: Gülich-Bielenberg, Hanna (Red.)
Zukunftsperspektiven der Donauschiffahrt nach 1980.
M ünchen 1973. 68 S., D M 12,—
22. H eft: H a rtl, Hans (Red.)
Deutsch-rumänisches C o llo q u iu m junger H is to rik e r, K u ltu rh is to rik e r und Zeitgeschichtler.
M ünchen 1974. 152 S., D M 2 5 , -
23. H eft: H a rtl, Hans (Red.)
Das Gastarbeiterproblem: Rotation? Integration? Arbeitsplatzverlagerung?
(Jugoslawien, Griechenland, T ü rke i), 168 S., München 1975, D M 25,—
24. Heft: (Band 7 der N ürnberger Forschungsberichte)
K o n te tzki, H einz
A grarpolitischer Wandel und M odernisierung in Jugoslawien
Zwischenbilanz einer sozialistischen Entwicklungsstrategie
N ü rn b e rg /M ü n ch e n 1976. 564 S., D M 24,—
25. H eft: H a rtl, Hans (Red.)
Transportproblem Nahost — G üterström e suchen ihren Weg.
M ünchen 1976. 175 S., D M 2 5 , -
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26. H e ft: (Band 9 der N ürnberger Forschungsberichte)


Ronneberger, Franz (Hsg.)
Türkische K in d e r in Deutschland.
N ü rn b e rg /M ü n c h e n 1977. 321 S., D M 22,—

27. H e ft: (Band 1 der Bulgarischen Sammlung)


Gesemann, W olfgang, K y r ill H aralam pieff und H e lm u t Schaller (Hsg.)
Bulgarische Sprache, L ite ra tu r und Geschichte.
N euried 1980. 276 S., D M 38,50

28. H e ft: R uppert, K arl und Hans-Dieter Haas (Hsg.)


(M ünchner Studien z u r Sozial- und W irtschaftsgeographie)
Industrialisierung und U rbanisierung in sozialistischen Staaten Südosteuropas.
K allm ünz/R egensburg 1981. 152 S., D M 35,—

29. H eft: (Band 2 der Bulgarischen Sammlung)


Gesemann, W olfgang, K y r ill H aralam pieff und H e lm u t Schaller (Hsg.)
1300 Jahre Bulgarien. Studien zum 1. Internationalen Bulgaristikkongreß.
I. T e il. Sofia 1981.
N euried 1981. 473 S., D M 1 0 8 ,-

30. H eft: (Band 3 der Bulgarischen Sammlung)


Gesemann, W olfgang, K y r ill H aralam pieff und H e lm u t Schaller (Hsg.)
1300 Jahre Bulgarien. Studien zum 1. Internationalen Bulgaristikkongreß.
II. T e il. Sofia 1981.
N euried 1982. 324 S., D M 9 7 , -

31. H e ft: Ronneberger, Franz und R u d o lf Vogel (Hsg.)


G astarbeiterpolitik oder Im m ig ra tio n s p o litik .
M ünchen-W ien 1982. 202 S., D M 2 7 , -

32. H e ft: D ietz, A d o lf (Hsg.)


Das Patentrecht der südosteuropäischen Staaten.
W einheim — Deerfield Beach, Florida— Basel 1983 (G R U R -A bhandlungen). 116 S., D M 58,—

33. H eft: Ronneberger, Franz


D ie politischen Systeme Südosteuropas.
M ünchen-W ien 1983. 247 S., D M 44,—

34. H e ft: Bernath, Mathias und K a rl N e h rin g (Hsg.)


‫ ״‬Friedenssicherung in Südosteuropa: Föderationsprojekte und A llianzen seit dem Beginn
der nationalen Eigenstaatlichkeit4*.
N euried 1985. 189 S., D M 4 8 , -

35. H e ft: (Band 4 der Bulgarischen Sammlung)


Gesemann, W olfgang, K y r ill H aralam pieff und H e lm u t Schaller (Hsg.)
‫ ״‬Bulgarien. Internationale Beziehungen in Geschichte, K u ltu r und K u n st“ .
N euried 1984, 260 S., D M 5 7 , -

36. H eft: R uppert, Karl und Hans-Dieter Haas (Hsg.)


‫ ״‬R aum strukturen der randalpinen Bereiche Bayerns und Sloweniens‫ ״‬.
K allm ünz/R egensburg 1984. D M 36,—

37. H e ft: D jekovic, Liliana


Das Außenhandelssystem Jugoslawiens. Eine p ro ble m o rie n tie rte Analyse.
M ünchen 1984. 187 S., D M 3 8 , -

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