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das mit dem tschänder

skolastin #2/2010
Editorial
Warum das mit dem Tschänder?

Die (post)feministischen/queeren Theorien und Praxen


sehen sich, kaum entwickelt (geschweige denn etabliert),
schon mit einem Backlash à la „Das mit dem Tschänder
geht langsam echt zu weit“ sogar schon im universitären
Umfeld konfrontiert – von den Leser(sic!)brief-Seiten (süd-
tiroler) Medien u.a. Alltagsdiskursen mal ganz abgesehen
– während sich im Bereich der so genannten „hard facts“
soundso nichts verändert: hier bitte einfach irgendeine be-
liebige Statistik einfügen. Das Thema (n.b. ein Thema wie
„das Ausländer(sic!)thema“) ist also a.) soundso immer ak-
tuell b.) gerade jetzt, wenn wir in Zeiten der Wirtschaftskri-
se (unter dem Deckmantel des nationalen Dachs) alle brav
dran arbeiten sollen, dass es „der“ Wirtschaft wieder besser
geht und dabei drauf vergessen, dass das „Thema“ eben kein
Nebenwiderspruch ist, der sich von selber löst, wenn man-
che aufs Kapital schimpfen, während andere für sie kochen
und Kinder kriegen.

Wir wollen durch das Besetzen des „Themas“ a.) Bewusst-


sein schaffen / die ganz stumpfen Vorbehalte entkräften,
also Diskursneulingen einen Einstieg bieten b.) die Diskurse
auf aktuellem Niveau präsentieren / weiterführen / intelli-
gible Theorie(n) und Praxen aufzeigen. Also nach unten
Strickleitern, nach oben treten und dann alle gemeinsam
den ganzen Kuchen essen und die Konditorei dazu.

Auf den folgenden Seiter erfolgt also der Versuch einer


Standortbestimmung der (post/trans/etc.-) gender orien-
tierten, queeren, feministischen Theorie und Praxis, der
feminis­tischen (Bewusstseins-)Arbeit in der mitteleuropä-
ischen Provinz und dort ganz speziell im universitären Um-
feld im Jahr 2010.

Die Redaktion,
Carmen Sulzenbacher, Stefan Sulzenbacher, Martin Fritz
Inhaltsverzeichnis

06 Frau, ledig, jung schreibt 47 Die Geschichte von Mariechen


(Spontanreaktionauf das Thema von tRaumfrau 10 im Stromboli: sex sells.) Nina Fuchs
Mieze Medusa
48 The choice not to be chosen
07 Die Geburt der Venus Wie Buffy The Vampire Slayer mit Butler gedacht handeln kann
Jasmin Hagleitner Martin Fritz und Carmen Sulzenbacher

08 Die Berliner U-Bahn und die Geschichte des Geschlechts der Moderne 62 Ich möchte Teil einer feministischen Bildungsbewegung sein
Flavia Guerrini Bemerkungen zum Sexismus in den Studierendenprotesten in Österreich
Rosa Costa und Iris Mendel
13 Drag Kingen: Leiber sprechen lauter!
Oder: Zu Prinzip Postpotenz siehe Fußnote 13 66 Antisexistische Interventionen
Hannahlisa Kunyik [eigene] Privilegien hinterfragen

15 Gender trouble 68 „Der studentischen Tradition und dem Wertebewusstsein verpflichtet“


Helmut Abendschein Über Rechte Frauen und ihre Zusammenschlüsse in Österreich
Leela Stein
16 „Frauenmusik“ als neues Phänomen?
Musik als Ausdrucksform der neuen Frauenbewegung der 1970er und 1980er Jahre 70 Gendermainstreaming im Deutschnationalismus?
Tamara Imlinger Zur Frage, ob auf der Uni künftig auch „Burschenschafter“ mit Binnen-I geschrieben werden sollte
von der in Wien aktiven Gruppe AuA!
24 Bist du kein Mädchen oder kein Bub?
Anna Gschnitzer 71 Bärenklau
Anina Schmid
27 Records that matter? Judith Butler und Populärkultur
Martin Fritz 74 Orientierung
Nina Fuchs
32 Situiertes Wissen?
Julia Prager

38 [kritische] Männlichkeitsforschung:
Zwischen [pro]feministisch-emanzipatorischen Ansprüchen und männlicher Resouveränisierung impressum: „skolast“ nummer/o 2 – 55. jahrgang 2010 – zeitschrift der südtiroler hochschülerInnenschaft (sh.asus) rivista
Stefan Sulzenbacher dell’associazione studenti/esse universitari/e sudtirolesi – kapuzinergasse 2 via dei cappuccini bozen bolzano – fon @ fax 0471974614
– www.asus.sh – bz@asus.sh – verantwortlich im sinne des pressegesetzes direttore responsabile günther pallaver – redaktion redazi-
43 Kein Gott, kein Staat, kein Vatertag! one – carmen sulzenbacher, stefan sulzenbacher, martin fritz – layout/grafica – nina fuchs – druck stampa dipdruck bruneck brunico
Rechte Väter, Good Night Daddy‘s Pride und Repression – spedizione gratuita ai soci gratisversand an mitglieder – quota soci 10 euri mitgliedsbeitrag – eintragung beim landesgericht bozen
Rabia Emanzotti registrato presso il tribunale di bolzano r.st.i/56 – erlass vom 18.06.1956 – auflage tiratura 1200
Frau, ledig, jung schreibt
(Spontantextreaktion auf das Thema von
tRaumfrau 10 im Stromboli: sex sells.)
Mieze Medusa

Das ist doch Popkultur Frau, ledig, jung, schreibt


Das ist doch Stahlschenkelglotzen Lass doch die Puppen tanzen, Mädchen
Das ist Augen zu und durch und durch durchleuchtet Doch lass den Schweiß bleiben
Das ist Abklopfen von Sätzen auf deren Massentauglichkeit erwähn jetzt bitte keine Körperflüssigkeiten
Auf das Prickeln zwischen Zeilen untertreib den Tränenfluss
Aber bitte prüde verschleier Peinlichkeiten
Auf das Knistern in den Texten oder Krankheiten
Aber bitte prüde oder auch Orgasmusschwierigkeiten
Frau, ledig, jung, schreibt Was willst du denn mit dem Gelaber über Einsamkeit und
Präzise oder sprachverspielt Angst und Missverständlichkeit?
Zotig, derbe, raffiniert oder schwankend im Figurenstil Red jetzt ja nicht über Macht und ihre Anwendung
Lass doch die Puppen tanzen, Mädchen Sprich über Nacht, doch nur in Andeutung
Zeig sie uns beim waagrechten Ballett Nackte Tatsachen gehörn sich nicht
Fackel nicht lang im Sturm Hautkontakt und Tatendrang bleiben besser ausgespart
Entwickel niedlich-nette Heidi-Klum-Klons und dazu passende Sonst steht doch gleich der Vorwurf in der Tür
arschwackelnde Plots (Das kennt man ja)
also niedlich-nette Heidi-Klum-Klons Der Text bestünde nur aus so Effekthascherei
die lecken dann intakten Lack von Ken-a-likes Wär doch nur Marketing, nur Masche
von Promipartnern Ist, wenn‘s drastisch ist und wirklich hart zur Sache geht
Sugardaddys Maximal noch ein Skandal oder ein Skandälchen
das sind Orgien ohne Sexappeal Frau, ledig, jung, schreibt
dafür mit Resale-Potential Nicht nur für sich
aufgesprühter Hautfarbe Nicht nur ins Tagebuch
Augenstrahlkontaktlinse Naja, wenn‘s sein muss: bitte.
niemals PMS und niemals keine Lust Aber bitte.
immer gut rasiert und aus der Venusmuschel rausgepellt Aber bitte.
aber auch nicht ins Detail beschrieben Prüde.

06 skolastin

Die Geburt der Venus | Jasmin Hagleitner


Zwei Geschlechter und der eine Leib Mensch und das Weib 1750 – 1850“6. Als neues Deutungs-
muster wird nun die Differenz zentral, wobei gleichzeitig
Bis in die Antike holt Thomas Laqueur in „Auf den Leib ge- ein Wechsel in der Zuständigkeit zu verzeichnen ist: wur-
schrieben“2 aus, um zwei verschiedene Denkmodelle vorzu- de zuvor Geschlecht vor allem unter Gesichtspunkten der
stellen: erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts begann ein Pro- Moral und der Tugenden innerhalb der Philosophie, der
zess, als dessen Ergebnis sich das Zwei-Geschlechter-Modell Pädagogik, der Theologie diskutiert, so verschob sich die
gegenüber dem Ein-Geschlecht-Modell durchsetzte, welches Autorität in Bezug auf Geschlechterfragen nach und nach
seit der Antike sehr verbreitet war. Beide Modelle beinhalten zuerst zur Anthropologie, dann zur Anatomie und Physi-
ein unterschiedliches Verständnis des Leibes: Dem Ein-Ge- ologie und schließlich zur Medizin. Dabei wurde von einer
schlecht-Modell liegt die Annahme zu Grunde, dass Frauen Analogie von körperlichen und psychischen Eigenschaften
Die Berliner U-Bahn und die Geschichte und Männer verschiedene Ausformungen ein und dessel- ausgegangen und die Wissenschafter machten sich auf eine
ben Leibes seien und die gleichen Organe besitzen. Bei den akribische Suche nach Unterschieden zwischen Mann und
des Geschlechts der Moderne Frauen seien sie in Form von Vagina, Uterus und Ovarien
nach innen gestülpt und bei den Männern als Penis, Scrotum
Frau, die letztlich dazu diente, die Frauen von den gerade
erst in der französischen Revolution postulierten Men-
Flavia Guerrini und Testikel nach außen. Dem entsprechend wird die Frau schenrechten, sowie von der Sphäre der Öffentlichkeit aus-
als weniger perfekter Mann gedacht, zur Vollkommenheit zuschließen – oder allgemein ausgedrückt: vom Konstrukt
fehlt ihr die nötige vitale Hitze. Der vergeschlechtlichte Leib des bürgerlichen Individuums. Die Frage, wie Männer und
galt nicht als polar, sondern als Kontinuum und dementspre- Frauen sein sollten, hatte sich zur Frage, wie sie sind – näm-
Vor etwa zwei Jahren kam ich in der Berliner U-Bahn neben und Frauen können schlecht einparken und sind für tech- chend als verbindendes, nicht als trennendes Merkmal und lich fundamental verschieden – verschoben, wobei die Un-
einem kleinen Kind – meiner Einschätzung nach vier oder nische Berufe nicht so geeignet. Dafür haben Frauen soziale er war auch in Abstufungen möglich (etwa virile Frauen oder terschiede in den Bereich der Natur verwiesen wurden.
fünf Jahre alt – zu sitzen, das mit seinen Großeltern unter- Kompetenzen. (Warum allerdings technische Berufe bes- effeminierte Männer); ja, die Unterscheidung wurde mitun- Eine Antwort fand sich unter anderem in der sich endlos
wegs war. Das Kind und ich hatten ein wenig geplaudert, ser bezahlt werden müssen, als die Arbeit im Pflege- oder ter zu einem heiklen Unterfangen, das potentiell scheitern entfalteten Beschreibung der „Geschlechtscharaktere“. Die-
als es mich mit seinen großen Augen neugierig ansah und Bildungswesen, wird dadurch nicht erklärt, aber meistens konnte. So gab es in der Antike bezüglich der Zuordnung des ser heute nicht mehr gebräuchliche Ausdruck meint im 18.
unvermittelt fragte: „Bist du ein Junge?“ Schmunzelnd ant- kommt es im Zuge derartiger Diskussionen gar nicht zu Geschlechts die Empfehlung, in Stimme, Aussehen und Be- und vor allem im 19. Jahrhundert eine Ideologie der „mit
wortet ich mit einem „Nein“, worauf das Kind, wie es Kin- solchen Fragen). Diese Erzählungen dienen dann meistens wegung nach Anzeichen von Weiblichkeit bzw. Männlichkeit den physiologischen korrespondierend gedachten psycho-
der so tun, mit einer weiteren Frage nachsetzte: „Was bist du dazu, soziale Ungleichheiten zu rechtfertigen und klingen zu suchen und unter diesen Vergleiche anzustellen, bis man logischen Geschlechtsmerkmale“7. Daran ist besonders be-
dann?“ Ein kurzer Moment der Verwunderung meinerseits gleichzeitig für viele sehr einleuchtend. zur „Überzeugung“ gelange, welches Geschlecht „vorherr- deutend, dass die Annahmen über Geschlecht mit der nun
wurde, noch bevor ich mir eine Antwort ausdenken konn- sche“3. Der Leib trug nicht die Unterschiede bereits in sich, vorgenommenen Mischung aus Biologie und Wesensbe-
te, jäh durch die Zurechtweisung der Großmutter: „Solche sondern gegensätzliche Eigenschaften (wie männlich/weib- stimmung eine neue Qualität erhalten. Nicht mehr bedeutet
Fragen stellt man nicht!“ unterbrochen. Damit war das Kind Die Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit lich, Kultur/Natur, ehrbar/entehrend, etc.) rangen um den ei- Geschlecht primär gesellschaftlichen Status und eine Posi-
verstummt und das Gespräch abrupt beendet, beim näch- nen Leib und wurden in diesen hineingelesen. Als vorgängig tion im sozialen Raum zu haben, sondern es wird in das
sten Halt verließ ich die U-Bahn. Dass es mir in diesem Artikel darum nicht gehen kann, ist galt die soziale Ordnung, die ein Primat der Männer vorsah Innere der Menschen verlegte und somit zu einem „natür-
Abgesehen davon, dass mich diese kleine Anekdote nach der geneigten Leserin und dem geneigten Leser vermutlich und dieses allen bekannte Wissen wurde in den Leibern le- lichen“ Merkmal. Damit tritt an die Stelle eines partikularen
wie vor amüsiert, ist sie zudem was das Nachdenken über schon klar geworden. Gleichzeitig ist nicht von der Hand diglich veranschaulicht.4 Ordnungssystems ein universelles Zuordnungsprinzip8.
Geschlecht betrifft in einigen Aspekten äußerst anregend. zu weisen, dass es soziale Ungleichheiten zwischen den Ge- Hier mag die Frage aufkommen, warum sich das Ein- Als zentrale Eigenschaften des Mannes – als Kulturwesen
Eine naheliegende Frage könnte zum Beispiel sein, warum schlechtern schon lange gibt. Mein Anliegen also ist viel- Geschlecht-Modell so lange als dominante Erklärung hal- – gelten Aktivität und Rationalität, sowie die Bestimmung
auf die Verneinung, dem männlichen Geschlecht anzuge- mehr, darüber nachzudenken, wieso uns diese Erklärungen ten konnte. Ein Grund liegt darin, dass der Leib eben nicht zur Tätigkeit und für das öffentliche Leben, die Frau – als
hören, nicht automatisch das weibliche zugeordnet oder dafür so selbstverständlich erscheinen. als Grundlage einer Ordnung diente. Vielmehr hatte die Gattungswesen – hingegen sei durch Passivität und Emo-
zumindest abgefragt wird. Interessanter finde ich allerdings Dies rührt an etwas, was als Alltagstheorie der Zwei­ metaphysische, bisweilen auch religiöse Ordnung den Stel- tionalität sowie durch die Bestimmung zum Sein und die
die Umkehrung: Wieso erscheint eine solche Folgerung als geschlechtlichkeit bezeichnet werden kann und von der lenwert einer Tatsache – sie galt als etwas Reales – die den Zuordnung zum häuslichen Bereich charakterisiert9.
derart logisch, um nicht zu sagen geradezu zwingend? Wa- Sozio­login Carol Hagemann-White folgendermaßen auf einzelnen ihren Platz in einer hierarchisch strukturierten
rum verwundert an dieser Stelle eine offen formulierte Fra- den Punkt gebracht wird: „Ohne jede bewusste Überlegung Gesellschaft zuwies. Was heute landläufig als biologisches
ge? Dies hat, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so er- wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch entweder weib- Geschlecht verstanden wird war hingegen „eine Sache der Differenz als Politikum
scheinen mag, mit der Geschichtlichkeit von Geschlecht zu lich oder männlich sein müsse, was im Umgang erkennbar Konventionen“5. Vielleicht sollte also die eben gestellt Frage
tun – es entspricht dem Geschlecht der Moderne. Aber was zu sein hat (Eindeutigkeit); dass die Geschlechtszugehörig- dahingehend umformuliert werden, warum das Modell an Diese Suche nach („natürlichen“) Differenzen wurde zu die-
ist gemeint, wenn hier von der Geschichte des Geschlechts keit körperlich begründet sein müsse (Naturhaftigkeit); und Erklärungswert verlor und schließlich von dem Zwei-Ge- sem historischen Zeitpunkt nötig, weil diese von politischer
die Rede ist? dass sie angeboren ist und sich nicht ändern könne (Unver- schlecht-Modell abgelöst wurde. Bedeutung waren: der Glaube an eine metaphysische Ge-
Wenn in Alltagsdiskussionen das Thema Geschlecht mit änderbarkeit).“1 Mit der Annahme der Naturhaftigkeit wird sellschaftsordnung war im Zeitalter der Französischen Re-
Geschichte in Verbindung gebracht wird, dann gibt es da- zumeist auch der Glaube an die Ahistorizität dieser Auffas- volution und der Aufklärung erschüttert worden und ins
bei – nicht nur, aber auch dank Barbara und Allen Pease sung von Geschlecht verbunden und alles Weitere scheint Deutungsmuster Differenz: die Ähnlichen Wanken geraten. Es bedurfte also einer neuen Legitimation
– eine besonders häufige Variante, deren Quintessenz in geklärt zu sein: als wäre das Nachdenken über Geschlecht werden zu Verschiedenen für die geschlechterhierarchische Ordnung10. Dies ist je-
etwa folgendermaßen lautet: Die Geschlechter sind (grund) seit jeher durch die Überzeugungen der Eindeutigkeit, Na- doch lediglich ein Aspekt der in dieser Zeit stattfindenden
verschieden, und das war schon immer so. Früher waren die turhaftigkeit und Unveränderbarkeit geprägt gewesen. So Diesen Paradigmenwechsel, der im Übergang zur Moder- gesellschaftlichen Umwälzungen, die die verschiedensten
Männer Jäger und die Frauen Sammlerinnen, deshalb ha- selbstverständlich sie uns erscheinen mögen, so historisch ne stattfand, beschreibt Claudia Honegger in ihrem Buch groß- wie kleinräumigen Teilbereiche der Gesellschaft
ben Männer ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen jung sind jedoch diese Annahmen. „Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom durchzogen: ein Umbruch im Familien- und Wirtschafts-

08 skolastin skolastin 09
system11, die Entstehung der Sphäre der Öffentlichkeit, die truation bei den Frauen in regelmäßigen Abständen kam. Es könnte aber auch anders sein. Vielleicht bedeutet ein ihre wesentliche Begründung: die Heteronormativität.“26
französische Revolution, die Philosophie und politische Doch auch das war nicht sicher. Ein Ausbleiben konnte unterschiedliches Erfahren und Erleben des Leibes, dass er Und diese Aufrechterhaltung der Geschlechterordnung
Theorie der Aufklärung, postrevolutionäre Gleichstellungs- neben einem Anzeichen für eine Schwangerschaft genauso gewissermaßen tatsächlich ein anderer ist. Es heißt, dass der wird durch die Verknüpfung von eindeutiger Geschlecht-
bestrebungen der Frauen sowie gleichzeitiger Konservatis- gut eine „Verstockung“ oder Symptom einer Krankheit sein. moderne vergeschlechtlichte Körper erst im Zuge der Un- lichkeit mit Normalität forciert – Normalität, die einerseits
mus, die anhebende Industrialisierung, der sich etablieren- In den Aufzeichnungen des Eisenacher Arztes finden sich tersuchungen und Beschreibungen der Anatomen und Me- als Grundbedingung für das Fortbestehen und den Fort-
de Kapitalismus und so fort. Jedoch ist keiner der Prozesse Merkmale des oben vorgestellten Ein-Geschlecht-Modells diziner im endenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert schritt der Gesellschaft imaginiert wurde und gleichzeitig
für die Veränderungen im Nachdenken über Geschlecht wieder: Unterschiede werden lediglich als graduell begrif- wirklich wurde und jene Grundannahmen in sich trägt, die als Maßstab galt, an dem sich die Individuen zu messen hat-
ursächlich; vielmehr sind diese und die „Neuschöpfung des fen und nicht als qualitativ, was zur Folge hat, dass das Ge- konstituierend für die neue Gesellschafts- und Wirtschafts- ten. Es etabliert sich, was heute als selbstverständlich gilt:
Leibes“ jedem dieser Prozesse inhärent12. schlecht anatomisch nicht mit endgültiger Sicherheit festge- ordnung sind. „Die Ableitungslogik Geschlecht, Geschlechtsidentität und
stellt werden konnte19. heterosexuelles Begehren ist das wesentlichste Fundament
Das sollte sich jedoch grundlegend verändern: im aus­ der um das Sexualitätsdispositiv erweiterten Geschlechter-
Körperwissen und Körpererfahrung gehenden 18. und vor allem im 19. Jahrhundert wird jedoch Das normale Geschlecht – eindeutige ordnung um 1900.“27
mit Eifer geordnet, den Organen werden Plätze zugewie- Geschlechtlichkeit als Zeichen von Gesundheit
Mit letzterem ist eine Veränderung angesprochen, die Bar- sen, die verschiedenen Kreisläufe voneinander geschieden.
bara Duden13 genauer beschrieben hat. Es geht um einen Während der Körper in vielfachen Leichensektionen geöff- In der Zeit um 1800 hat sich also das Nachdenken über das Die Geschichte des Geschlechts: ein Kampf um
Aspekt, der häufig außen vor bleibt: der Körper wird nicht net wird, schließt er sich gleichsam: der moderne Körper Geschlecht verändert, und der Geschlechterdifferenz wurde Bedeutungen
nur gesehen, benannt, wahrgenommen, zergliedert, ein- ist ein klar abgegrenzter, kompakter Körper. Er gehört den ein Ort zugewiesen. Sie ist nunmehr im Körper verankert -
geteilt und untersucht, sondern stets auch gefühlt, erfah- Individuen und sie sind für ihn verantwortlich: verantwort- der Körper ist in all seinen Teilen Beweis für das eine oder Deutlich machen diese historischen Arbeiten, dass die ein-
ren, erlebt – er wird gelebt. Wenn von einem natürlichen lich, ihn gesund zu halten, denn mit dem sich etablierenden das andere Geschlecht. Gleichzeitig hat sich auch das Erle- gangs erwähnten alltagstheoretischen Annahmen über Ge-
geschlechtlichen Körper ausgegangen wird, folgt daraus Kapitalismus erhält der Körper erstmalig den Stellenwert als ben und Erfahren des Körpers verändert um mit ihm gewis- schlecht spezifisch für die Zeit seit der Aufklärung und so-
zumeist die Annahme seiner universellen Gegebenheit. In ökonomischen Faktor20. In der Beschreibung der Veränder­ sermaßen die Stofflichkeit desselben – der modere Körper mit historisch vergleichsweise jung sind. „Eine einzige und
„Geschichte unter der Haut“ untersucht Barbara Duden je- ungen ist es auch Barbara Duden wichtig zu betonen, dass entstand. Fast ein Jahrhundert später wird die Frage des Ge- in sich konsistente Biologie als Ursprung und Grundlage
doch genau das: die Geschichte des leiblichen Empfindens es nicht um die Annahme eines kausalen Zusammenhangs schlechts erneut virulent. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Männlichkeit und Weiblichkeit zu fordern, ist ein Zei-
und Erfahr­ens. Aus den Aufzeichnungen des Eisenacher der Ableitung des neuen Körperverständnisses aus der ver- gewinnt die sich etablierende Psychiatrie an Einfluss bezüg- chen der Moderne“28, so Thomas Laqueur. Dies ist jedoch
Arztes Johann Storch um 1730 gewinnt sie über die nieder- änderten Gesellschaft geht. Stattdessen soll die Gleichzeit­ lich des Geschlechterdiskurses um die Jahrhundertwende. keine zwingende oder die einzige logische Interpretation
geschriebenen Schilderungen der Patientinnen Einsicht in igkeit, ja Verschränktheit der Entstehung einer neuen Kör- Die Folie, vor der nun jegliche Untersuchung stattfindet, ist der Betrachtung des Körpers, denn „keine körperliche Be-
deren Erleben des eigenen Leibes und deren Vorstellungen perlichkeit und einer neuen kosmologischen und sozialen die der Normalität, zu deren Konstitution die minuziöse Be- schaffenheit legt per se diese und keine andere Geschlechts-
über ihn. Entgegen der Annahme (die sich als genuin Wirklichkeit betont werden. schreibung aller Art von Abweichung beiträgt22. spezifik nahe.“29 Dass im Alltagsverständnis die Annahme
modern entpuppt), der Leib sei als „das Natürliche“ des Dabei interessieren vor allem drei Bereiche: „die Nor- vorherrscht, es gebe genau zwei Geschlechter, jeder Mensch
Menschen immer und allen gleich gegeben, entfaltet sich malität des Geschlechts, der Sexualität und schließlich der gehöre qua biologischer, also körperlicher Bestimmung
ein Bild, das sich heutigen Begriffen und Klassifizierungen Vergangene Leiberfahrung – verschiedene ‚Bevölkerung‘“23. Dieses Interesse ist auch nun wieder im einem von beiden eindeutig an und dies verändere sich im
konsequent entzieht14. Leiber? Kontext ökonomischer, industrieller, technischer und poli- Laufe des Lebens auch nicht, ist in der Moderne die domi-
Noch im 18. Jahrhundert war der Leib undurchsichtig, tischer Entwicklungen sowie der erstarkten ArbeiterInnen- nante Art und Weise, zu denken - nicht jedoch die einzig
sein Inneres verborgen und ein Reich der Metamorphosen15. Was bedeutet das nun? Diese historischen Studien machen und der beginnenden Frauenbewegung zu sehen. Es ist als mögliche.
Die Haut als Fläche konnte innere Vorgänge offenbaren, galt deutlich, dass es lange Zeit Annahmen über Geschlecht erneuter Versuch zu werten, die entstandene Unruhe um die Die Geschichte erbringt in meinen Augen also nicht den
aber noch nicht als Abgrenzung des Körpers, sondern als gab, die sich von den heutigen grundlegend unterschei- Geschlechterfrage auf dieser Ebene zu „befrieden“. Dabei Beweis, dass die Dinge immer schon so waren, wie sie sind,
Vermittlerin zwischen dem Leib und dem Außenraum. Den den. Das Wissen des Eisenacher Arztes und seiner Patient­ findet eine Verknüpfung von eindeutiger Geschlechtlichkeit und deshalb so bleiben werden oder sollen, wie sie sind.
Blicken verschlossen ist der Leib auf andere Art und Weise innen ist ein völlig verschiedenes als das der Anatomen mit Gesundheit statt, womit das „unsichere Geschlecht“ Ganz im Gegenteil lehrt sie uns zunächst, dass die Idee, die
offen: Gefühle, die verschiedensten Eindrücke, aber auch und der (bürgerlichen) Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. (als das Pathologische) zu einer Gefahr für die Gesellschaft Geschlechter seien fundamental verschieden, gerade einmal
Dämonen oder der Stand der Gestirne können Ursache von Dem entsprech­end wurde auch der vergeschlechtlichte Leib und die Kultur wird24. Dies wird vor allem an zwei Figuren gute zwei Jahrhunderte alt ist und es einer Menge Arbeit be-
Krankheit und Unbehagen sein16. Der Körper existiert noch unterschiedlich erfahren und erlebt. Heißt das, es gibt so ausgearbeitet – Figuren, die als solche erst im Zuge dieser durfte, diese Idee derart durchzusetzen. Das Geschlecht ist
nicht im heutigen Sinn als „Privatkörper“, er ist nur im sozi- etwas wie einen „unhistorischen (biologischen) Stoff des verstärkten Thematisierung entstehen: der „Hermaphrodit“ also keine natürliche Angelegenheit, sondern ebenfalls der
alen Kontext denk- und verstehbar17. Körpers“21 der jeweils epochenspezifisch von der Kultur und die/der „Homosexuelle“. „Als ‚Betrug an der Natur‘ ge- Geschichte unterworfen, und zwar sowohl die Geschlech-
Ebenso wenig gilt der Körper als Garant für eindeutige überformt wird? In vielen historischen Arbeiten kann die- fasst, erbrachten sie gemeinsam den Beleg, dass das ‚wahre‘ terordnung betreffend, als auch das Erleben des eigenen
Geschlechtlichkeit, es gibt noch nicht, wie nur 100 Jahre se Annahme gefunden werden. Häufig nimmt sie dabei die Geschlecht von zwei Seiten her bedroht würde – von ‚entar- Geschlechts. Und genau genommen zeigt die Auffassung
später, einen „allgemeinen Körper der Frau als Norm“18. Gestalt einer Fortschrittserzählung an, der gemäß der uns teten‘ Körpern und ‚perversen‘ Seelen.“25 der Moderne von Geschlecht an den verschiedensten Stel-
Was uns heutzutage als untrügliche Zeichen für das weib- heute bekannte Körper aus einer Reihe von Entdeckungen Diese unverhältnismäßig hohe Aufmerksamkeit lässt len bereits Auflösungserscheinungen, nämlich „sowohl im
liche Geschlecht erscheinen, wie etwa die Menstruation, hervorgegangen ist, aus einer Reihe von Fakten, die mit der darauf schließen, dass etwas Fundamentales auf dem Spiel realen (Er)Leben von Menschen, als auch auf institutionali-
waren dies damals keineswegs: auch Männer menstruier- Verfeinerung der Erkenntnismittel geradezu unweigerlich steht: „Es geht um die Aufrechterhaltung und Verfestigung sierter Ebene“30. Gemeint ist damit vielerlei: dass es in vielen
ten, der Unterschied in lag lediglich darin, dass die Mens- ans Licht kamen. Eine uns vertraute Geschichte. der binären Ordnung der Geschlechter, und es geht […] um Ländern inzwischen rechtlich anerkannte Lebensformen

10 skolastin skolastin 11
abseits der heterosexuellen Partnerschaft gibt, dass die Vgl. Ebd., 126 ff, 140 ff
Thematisierung von uneindeutigen Geschlechtlichkeiten
Drag Kingen1: Leiber sprechen lauter!
16 Ebd., 144 und 164 f
und Selbstpositionierung abseits der zweigeschlechtlichen 17 Ebd., 23
Norm Raum bekommen, dass sich Bezeichnungen wie etwa 18 Ebd., 140
„metrosexuell“ etablieren konnten, dass es vielfach Dis- 19 Ebd., 133 ff Oder: Zu Prinzip Postpotenz siehe Fußnote 132
kussionen um die operative Vereindeutigung intersexuell 20 Ebd., 26 ff
geborener Kinder gibt und bereits teilweise davon Abstand 21 Ebd., 18 Hannahlisa Kunyik
genommen wird etc. Gleichzeitig gibt es zahlreiche Bestre- 22 Vgl. Michaela Ralser 2008 und Claudia Honegger 1992
bungen, die zweigeschlechtliche Ordnung zu verfestigen, 23 Michaela Ralser 2008, 13
wie etwa die Verschiebung der Differenz zuerst auf die Chro- 24 Ebd., 92 f
mosomen, und zuletzt ins Gehirn, wie uns immer wieder 25 Ebd., 97 Bei der Überlegung darüber, wie mein Gedanke am besten Ekstase der Bühnenshow noch gesteigert werden. Ernesto und
glaubhaft gemacht werden soll. Doch die Geschichte zeigt 26 Ebd., 93 darzustellen wäre, bin ich schließlich zu dem Schluss ge- König.Indernacht traf das Wohlwollen des queeren wie auch
uns auch, dass aus dem in einer Zeit vorhandenen Wissen, 27 Ebd., 115 kommen, zu versuchen, die theoriebezogene These durch nicht-queeren Publikums mit aller Wucht. Das ermutigte uns
dem Bestand an Fakten noch nie abgeleitet werden konnte, 28 Thomas Laqueur 1992, 78 eine Erzählung über meine Erfahrung nachvollziehbar zu zusätzlich, auf der Bühne alle Säue rauszulassen, die es nur ir-
wie über die Verschiedenheit (respektive Ähnlichkeit) der 29 Andrea Maihofer 1995, 38 machen. Dabei könnte der Text bei Gelegenheit für zwei gendwie zu kriegen gab. Eine ganze Menge also.
Geschlechter nachgedacht und diese dargestellt wurde31. 30 Heinz-Jürgen Voß 2009, 42 ‚Gruppen‘ interessant werden: Zum Einen jenen, denen
Wir befinden uns erneut an einer Jahrhundertschwelle, an 31 Thomas Laqueur 1992, 33 Drag noch kein Begriff ist, zum Anderen denen, die mit Es ist in den letzten Jahren bereits viel über Drag Kingen, Identi-
der das Geschlecht gewissermaßen zur Diskussion steht – Tatsächlich konnte bislang weder nachgewiesen werden, welche Gen­ dem Begriff bereits vertraut sind. Schaun wir einmal. tätsdies und Subversionsdas geschrieben worden6. Ich will mich
der Ausgang ist bislang offen. abschnitte verursachen, dass die Körper sich „männlich“, „weiblich“ mit meinem theoretischen Punkt also kurz fassen. In der Debat-
oder anders als die genormten Vorstellungen entwickeln, noch wurden Ich hab eine Zeit lang viel ‚draggekingt‘. Das Ladyfest Wien te über Drag Kingen im Speziellen und Geschlechtskonstrukti-
je qualitative Unterschiede zwischen „weiblichen“ und „männlichen“ im Frühjahr 2007 war verantwortlich für meine schicksals- on im Allgemeinen, wird meines Erachtens nach sehr viel Wert
Flavia Guerrini, Diplomstudium Pädagogik: Gehirnen gefunden. Vgl. dazu Heinz-Jürgen Voß, 2010 Und Lise Eliot, hafte Bekanntmachung mit dem Drag Kingen. Es hat sofort auf Körper als Zeichen, seiner Rolle im Diskurs oder in seiner
Studienzweig Kritische Geschlechter- und 2010 BOUM gemacht, und im selben Jahr noch, bis 2009 bin ich Performativität gelegt. (Man könnte vielleicht von einer Butler-
Sozialforschung gemeinsam mit meiner virtuosen Show-Partnerin Satenig M. schen Rezeptions-Hegemonie im Genderdiskurs sprechen?7)
Chadoian durch die Lande gezogen. Sie als Kronprinz Erne- Was in den meisten, mir bekannten Genderdebatten dafür zu
Dieser Artikel ist eine überarbeitete Version des ersten Ka- Literatur sto de Sardarabat, ich als Moritz Leroi später dann als König. kurz kommt, ist, so finde ich, die Perspektive auf den Leib (siehe
pitels meiner Diplomarbeit „Denkwerkzeug Habitus. Über- indernacht. Wir traten vorwiegend auf Bühnen der queer- Fußnote 5). Den Leib als Speicher von Gesellschaftsstruktur und
legungen zur Frage uneindeutiger Geschlechtlichkeit“, die Duden, Barbara: Geschichte unter der Haut. Ein Eisenacher feministischen SubWelt auf, wagten uns aber auch in die Ge- Geschichte (Pierre Bourdieu) und damit hartnäckigen Anker
ich im November 2010 an der Universität Innsbruck einge- Arzt und seine Patientinnen um 1730. Stuttgart 1991 lände hegemonialer (‚normaler‘) Wirklichkeiten3. Wir haben von (Zwei-) Geschlechtlichkeit (Gesa Lindemann)8.
reicht habe. Eliot, Lise: Wie verschieden sind sie? Die Gehirnentwicklung damals – ganz im Sinne unseres Prinzips Großkotzigkeit – Aber gerade den Leib, als erlebte, gefühlsmäßige, und da-
bei Mädchen und Jungen. Berlin 2010 gerne von uns gesagt, wir wären „der einzige drag-EXPORT rum unmittelbare Wirklichkeit finde ich so interessant, und
Hagemann-White, Carol: Wir werden nicht zweigeschlecht- Wiens, das Um und das Auf, ja die Rettung unserer Heimat- gerade die leibliche Dimension des Drag Kingens stellt für
Anmerkungen lich geboren… In: Hark, Sabine (Hrsg.): Dis/Kontinui- stadt“. (Und es war wohl nicht ganz unwahr.) Wir haben auch mich das Zentrum meines (persönlichen, theoretischen,
täten: feministische Theorie. Wiesbaden 2007, S. 27–37 noch viel anderes Schillerndes von uns behauptet, und es hat wie auch politischen) Interesses an dieser Praktik dar. Denn
1 Carol Hagemann-White 2007, 30 Hausen, Karin: Die Polarisierung der „Geschlechtscharak- sich - bei allem Augenzwinkern - ziemlich gut angefühlt.4 das Kingen (Queenen/-etc.) lässt den eigenen Körper, kor-
2 Thomas Laqueur 1992 tere“. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Drag Kingen war für mich anfangs einerseits Ausdruck rekt: den eigenen Leib auf neue Weise empfinden!
3 Ebd., 68 Familienleben. In: Hark, Sabine (Hrsg.): Dis/Kontinui- und Mittel einer Identitätsfrage, andererseits ein großspuriger
4 Ebd., 78 täten: feministische Theorie. Wiesbaden 2007, S. 173–196 Versuch der Weltverbesserung. In meinem (Soziologie-) Stu- Die neue Pose, Kleidung und Gebärdung9 birgt ein neues
5 Ebd., 20 Honegger, Claudia: Die Ordnung der Geschlechter. Die dium beschäftigte ich mich damals wie heute mit der Brisanz Körpergefühl, also Leibempfinden, und damit ein neues
6 Claudia Honegger 1991 Wissenschaften vom Menschen und das Weib 1750 - von Kleinem, Auch-Noch-So-Alltäglichen (wie Bewegungen, Gefühl des in der- und für die Welt-Seins. Sprich: Die
7 Karin Hausen 2007, 163 1850. Frankfurt/Main 1992 Empfindungen, etc.) für das Immer-Wieder-Herstellen von neue äußere Haltung eröffnet eine neue ‚innere‘ Haltung.
8 Ebd., 179 Laqueur, Thomas: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenie- großer, gewichtiger Wirklichkeit. Dieser Brisanz bewusst
9 Um diese Hauptmerkmale werde schließlich zahlreiche weitere, zu- rung der Geschlechter von der Antike bis Freud. Frankfurt wollte ich also ein bisschen im System umrühren, indem ich Und umgekehrt und so fort und so weiter!10
meist gegensätzliche Eigenschaften wie Energie vs. Schwäche, Selbstständ­ 1992 mein ‚zeichenhaftes Außen‘ und mein ‚dispositioniertes Innen‘, Die Praxis des Drag Kingens erlaubt also in meinen Au-
igkeit vs. Abhängigkeit etc. gruppiert, die die Idee fundamentaler Verschie- Maihofer, Andrea: Geschlecht als Existenzweise. Macht, also meinen Körper und meinen Leib5 modifizierte oder dies gen, die im Leib gespeicherte Geschichte (Bourdieu) umzu-
denheit verstärken. Vgl. dazu Ebd., 177 f Moral, Recht und Geschlechterdifferenz. Frankfurt am zumindest versuchte. Genau. (Was auch sonst, wenn nicht das schreiben, ein bisschen Struktur aufzumachen und umzuge-
10 Thomas Laqueur 1992, 23 f Main 1995 vorherrschende Geschlechterverhältnis, das wir alle in und mit stalten.11 Wenn auch nur ein klein wenig, manchmal nur für
11 Der Übergang vom Organisationsprinzip des „ganzen Hauses“ zur Ralser, Michaela: Das Subjekt der Normalität. Wissens- uns tragen, durch das eigene Auftreten einfach umwälzen?!) einen (Bühnen-) Augenblick lang. Aber das ist schon mal was.
bürgerlichen Kleinfamilie geht einher mit einer Aufteilung in Erwerbsar- produktion und Wissenskommunikation am Beispiel der Angesichts der Mühe, die an dem Gedanken <Systemverän- Kommen wir abschließend zum Schluss: Die Prinzipien
beit und Haus- und Reproduktionsarbeit und deren geschlechtlicher Zu- Psychiatrie als Gesellschaftswissenschaft um 1900. Habili- derung> haftet, möchte ich schnell den Lustfaktor der Sache des Drags, wie sie Steffen Kitty Hermann12 formuliert, sind
weisung, sowie der „Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben“. Vgl. tationsschrift. Innsbruck 2008 betonen. Die Lust, die es in sich hat, endlich auch den eigenen die Aneignung einer nicht angemessenen Geschlechts-Po-
Karin Hausen 2007 Voss, Heinz-Jürgen: Intersexuellenbewegung und zwei- Dandy, Macho, Prinzen oder Träumer zum Vorschein kom- sition und die ironische Distanzierung zur Herrschaftlich-
12 Thomas Laqueur 1991, 24 geschlechtliche Norm – Zwischen Emanzipation und men zu lassen (sie alle mit ihren guten und unguten Eigen- keit derselben (ich nenne es kurz A für Aneignung und I
13 Barbara Duden 1991 Restauration. Eine kritisch-biologische Intervention. In: schaften). Es wird noch schöner: Stell sich eine* vor, der ‚eige- für Ironie). Ich fügte dem ein E für das Prinzip der Ektase
14 Ebd., 123 ff LIMINALIS - Die Zeitschrift für geschlechtliche Eman- ne‘ Typ entdeckt seine ‚weibliche‘, verspielte, ja divenhafte Seite! (oder Lust) hinzu (das macht zusammen A E I), und rufe
15 Die verschiedenen Körperflüssigkeiten konnten sich in einander zipation und Widerstand, 3. Jg. 2009, S. 42–59. Online (Oh godess, how sexy..!) Stell sie* sich die Freude daran vor, hiermit zu einer Erweiterung der anzueignenden Positionen
transformieren und war ihnen ein Ausgang verwehrt, nahmen sie beliebige verfügbar unter: www.liminalis.de sich das langjährig Kritisierte, immer Unerlaubte, das ‚Andere‘ auf! Denn nicht nur limitierte Geschlechtspositionen wollen
Wege nach außen: eine verstockte Menstruation konnte in vielfältigen For- Voss, Heinz-Jürgen: Making sex revisited. Dekonstruktion zu Eigen zu machen, auf den Arm zu nehmen und dabei etwas erobert und durch ein Kitzeln mit Ironie entschärft oder gar
men abgehen (Nasenbluten, blutiges Spucken, Durchfall etc.), Leberflecken des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive. Neues zu kreieren. (Beachte alleine, was sich plötzlich für Be- verquert werden (ha!)! Es gibt noch viele weiter Positionen,
verschwanden und verließen als „übler Athem“ den Leib und so weiter. Bielefeld 2010 gehrenspositionen auftun.) Dieser Lustfaktor kann durch die die der einen* undoder anderen* nicht zustehen, auf deren

12 skolastin skolastin 13
Nasen zu tanzen aber lange und rauschende Nächte besche- Anmerkungen
ren würde. Drag Kingen wird dann zu einer Unterkategorie
dessen, was ich PRINZIP POSTPOTENZ nenne13. … 1 Drag bedeutete ursprünglich „dressed as girl“. Drag Kingen/Queenen Gender trouble
ist eine ca. 20 Jahre alte Praxis, in der Menschen ihr Alltags- oder Aus-
gangsgeschlecht ablegen, und ein anderes Geschlecht auftragen, in es hin- Helmut Abendschein
Literatur: einschlüpfen, es darstellen, parodieren. Klassischerweise sieht das so aus:
Frauen ziehen sich als Männer an und gebärden sich als solche, Männer
Bourdieu, Pierre als Frauen undsoweiter. Es gibt aber auch ‚fortgeschrittenen‘ Drag: Frau
geht zb. als Drag Queen; sowie cross dressing: Du mixt dir dein eigenes Ge- Dann das Fussballturnier. Ihre Grossmutter half mit, einen
1987 (1979): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesell- schlecht. Drag Kingen ist sowohl eine Bühnen- als auch eine Alltagspraxis. Pokal zu basteln: aus Staniolpapier und Klorollenkartonage.
schaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp Zunehmend wird es auch als Partypraxis gereicht. Der kürzeste Weg zum Spielfeld führte durch den Garten,
Verlag. 2 Ich schreibe im Folgenden nur in der weiblichen Form, also im gene- war aber unpassierbar. Das Eisentor: kein Mensch hatte
1993 (1980): Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Ver- ralisierten Femininum mit gender-erweiterndem *. Die männliche Form einen Schlüssel dafür. Der Umweg um den Block dauerte
nunft. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. ist dabei je mitgedacht. (Wohlwollenden männlichen Leserinnen* schenke Jahre.
2001 (1997): Mediationen. Zur Kritik der scholastischen ich hierzu ein wohlwollendes Augenzwinkern.)
Vernunft. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. 3 Beim steirischen Kulturfestival Regionale 08 beispielsweise, trat vor uns Die Spiele waren lange vorbei, als sie ankam, und sie be-
2005 (1998): Die Männliche Herrschaft. Frankfurt am Main: ein Jäger-Chor auf, der aus dicht bebärteten älteren Herren (Echthaar!) aus reits ein junger, gut aussehender Mann. Sie verlieh sich den
Suhrkamp Verlag ruraler Region bestand. Ähnlich herausfordernd war es, mit dem Dragi- Pokal selbst, dann zertrümmerte sie ihn. Ein Fremder kam
schen Dinnerclub im traditions- und segenreichen Cafe Landmann an der hinzu und hob zwei Gruben aus.
Lindemann, Gesa Wiener Ringstraße dragisch herausgeputzt zu dinieren! des Drags. In Thilmann, Pia et al. (Hg.) (2007): Drag Kings. Mit Bartkleber
4 Ich denke, dass diese Haltung innerhalb des Herrschaftsverhältnis Ge- gegen das Patriachat. Berlin: Querverlag GmbH.
1992: Die leiblich-affektive Konstruktion des Geschlechts. schlecht (aber auch in anderen gesellschaftlich hierarchisierten Verhältnissen)
Für eine Mikrosoziologie unter der Haut. In Zeitschrift bestimmten Positionen einerseits vorenthalten ist – weil es ihnen nicht zusteht, 13 Der Begriff Potenz ist ein vielgliedriges Bedeutungsgewülst. Es scheint, als
für Soziologie, Jg. 21, Heft 5 (1992), S. 220-346 bildet sie sich im Laufe deren Biographien einfach nicht aus. Andererseits wird ob die gesamte Männlichkeitskonstruktion und deren Folgekonstruktionen
1993a: Wider die Verdrängung des Leibes aus der Ge- sie leicht durch hohe (m. u. feministische) Reflexionsgrade verhindert. Aus an ihm hingen. Er dominiert den Diskurs über Männlichkeit und damit ein-
schlechtskonstruktion. In: Feministische Studien 11. dem Prinzip der Selbstermächtigung ist ein Versuch der mehr oder weniger hergehend jenen über männliche (??/„“/…) Sexualität, meint dabei aber mehr
Heft 2. (1993), 44-54 gebrochenen Aneignung davon allerdings sehr empfehlenswert, so meine Er- als eine Disposition zu einem körperlichen Zustand. Er steht (sic!) auch für
1993: Das paradoxe Geschlecht. Transsexualität im Span- fahrung. Zeugungsfähigkeit, an welche wiederum ein ganzes Verwandtschaftssystem
nungsfeld von Körper, Leib und Gefühl. Frankfurt am 5 Körper, so verstehe ich es in Anlehnung an Gesa Lindemann, ist ein gekoppelt ist, an dieses wiederum ein Erbschaftssystem und so weiter. Er
Main: Fischer- Taschenbuch- Verlag. Gegenstand, oder besser: Materie, die von Wissen durchdrungen und mit findet sich (darum) in Machtrhetoriken, in der Philosophie als spezifizierter
1994: Die Konstruktion der Wirklichkeit und die Wirk- Bedeutungen belegt ist. Der Körper spricht über Bedeutungen (von und Begriff der Möglichkeit (gemeinhin auch als Potenzial verstehbar); und in der
lichkeit der Konstruktion. In: Wobbe, T./Lindemann, G. für Geschlecht, Klasse, Ethnizität und anderen sozialen Markierungen). Mathematik als Begriff einer exorbitanten Vervielfachung. Die Formel Prä-Po-
(Hg.) (1994): Denkachsen. Zur theoretischen und insti- Der Leib hingegen ist das, was jede* (unmittelbar) empfindet, ist das eige- tenz wiederum ist ein zweischneidiger Begriff, da sie beim Wort genommen,
tutionellen Rede vom Geschlecht. Frankfurt am Main: ne Erfahrungszentrum. In der Verschränkung, so Lindemann, durchdringt auf eine Vorstufe zu wirklichen Potenz (Männlichkeit) verweist, und oder
Suhrkamp Verlag, S. 115-146 und formt unsere Vorstellung, unser Wissen, unsere Geschichte, sowie die aber in ihrer Alltagsverwendung diffamierend verwendet wird (weil defizitäre
2005: Die Verkörperung des Sozialen. Theoriekonstruk- gesellschaftliche Bedeutung von Körperformen ebendiese Leiberfahrung. Männlichkeit?!). Der Begriff der POSTPOTENZ hingegen soll eine Zurück-
tionen und empirische Forschungsperspektiven. In: (Siehe dazu zb. Lindemann 1994: 135) weisung des originären Potenzbegriffs durch seine Überschreitung darstellen.
Schroer, M. (Hg.) (2005): Soziologie des Körpers. Frank- 6 Als exemplarisches Beispiel möchte ich erwähnen: Thilmann, Witte, Re- Das, was dem Begriff der Potenz abzugewinnen ist (das Handlungsvermögen
furt am Main: Suhrkamp Verlag. wald (Hg.): Drag Kings. Mit Bartkleber gegen das Patriachat. und die Vervielfachung) soll mit subversiven Vorhaben vermengt und in rau-
7 Vgl. Julia Pragers Beitrag in diesem Band. en Mengen angeeignet werden. Der androzentristische Anteil daran, nämlich
Von der Autorin empfohlen: 8 Lindemann unterstreicht in ihrer Theorie die passive Eingebundenheit die semantische Koppelung des „Vermögens“ an Körperformen und eine kör-
in die Wirklichkeit durch strukturierte Affektivität (Gefühle) und struk- perliche Dispositionen allerdings, soll mithilfe der zwei weiteren dragischen
La Diva, Super 2010: Diva vom Dienst. Lady Super la Diva turierte Leibempfindungen, und erklärt damit die Hartnäckigkeit der Be- Prinzipien Ironie und Ektase in hohem Bogen über Bord geworden werden.
schreibt jenseits von Sex und Gender. WTF! Magazin schaffenheit von Wirklichkeit. (Siehe dazu zb. Lindemann 1993, 1994) POSTPOTENZ bezieht sich, wie gesagt, nicht lediglich auf die Aneignung
(Erscheint in Kürze sowas wie regelmäßig) 9 Mit Bourdieu gesprochen die Hexis. (Siehe dazu zb. Bourdieu 1987: geschlechtlich differenzierter Ressourcen, sondern gilt als Aufforderung und
Kunyik, Hannahlisa 2009: Lindemannohmann! Eine Er- 122f) Unterstützung zur gebrochenen, illegitimen Aneignung aller möglichen li-
arbeitung Gesa Lindemanns Theorie der Geschlechts- 10 Wer sich mit Bourdieus Theorie auskennt, versteht vielleicht, wenn mitierten Positionen! (Bspw. klassenspezifischer-, staatsbürgerinnenschafts-
konstruktion mit Fokus auf ihre Konzeption der Ge- ich sage, dass die Hexis (als körperliche Dimension des Habitus) in den spezifischer-, oder anderer statusbezogener Positionen)…
schlechtsdifferenzen. Bakkalaureatsarbeit bei PD Dr.in Habitus (als Wahrnehmungs-, Denk- und Empfindungsdisposition) greift, Um POSTPOTENT zu bleiben, muss die Agentin* bei erfolgreicher
Roswitha Breckner, Universität Wien. (Bisher unveröf- ja sich die beiden, weil sie im Endeffekt eine Einheit bilden, gegenseitig Aneignung einer limitierten Position/Ressource in Distanz zu dieser blei-
fentlicht) bedingen müssen. ben und sich zur anhaltenden Reflexion darin verpflichten. (So gilt es
Kunyik, Hannahlisa 2010: HEXIS UND HABITUS: Eine 11 Siehe dazu auch in meine bisher unveröffentlichte Abschlussarbeit: beispielsweise in der akademischer Kunst- oder Wissensproduktion, Be-
Verhältnisfrage, sowie zur Unausweichlichkeit der Analy- Kunyik, Hannahlisa 2010: HEXIS UND HABITUS: Eine Verhältnisfrage wusstsein über den distinguierten Charakter des institutionellen Rahmens
se geschlechtlicher Dispositionen in Bourdieus Theorie der Sowie Zur Unausweichlichkeit der Analyse geschlechtlicher Dispositionen in und der eigenen Tätigkeit zu behalten und weitgehend Distanz zu deren
Einverleibung sozialer Strukturen. Bakkalaureatsarbeit Bourdieus Theorie der Einverleibung sozialer Strukturen. Bakkalaureatsar- herrschaftlichen (Neben)Wirkungen einzunehmen. (In einer solchen sper-
bei Dr. Mag. Otto Penz, Universität Wien. (Bisher un- beit bei Dr. Mag. Otto Penz, Universität Wien. rigen Sprache zu schreiben, ist dieser Logik zufolge kohärent, aber nicht
veröffentlicht) 12 Hermann, Steffen Kitty: Bühne und Alltag. Über zwei Existenzweisen unproblematisch.)

14 skolastin skolastin 15
„Frauen sollten gesehen, nicht gehört werden – und sich und Rockmusik, wenn überhaupt, männliche Homosexu-
freimachen, nicht sich befreien“ (zit. nach Rentmeister alität thematisiert werde. Erst im Kontext der neuen Frau-
2009), bringt Cillie Rentmeister, ein Mitglied der Flying Les- enbewegung wurde eine öffentliche Auseinandersetzung
bians, die damalige Atmosphäre in der Popmusik-Branche über Geschlechterverhältnisse und (gleichgeschlechtliche)
auf den Punkt. Sexualität initiiert, die sich auf das Musikbusiness aus-
wirkte. Zusätzlich wurde durch die neue Frauenbewegung
© Fräulein Zucker: http://fraeuleinzucker.blogspot.com/

Im Kontext einer allgemeinen Aufbruchstimmung der neuen ein Publikum, eine Zielgruppe für die aufkommenden
Frauenbewegung „war es logisch“, dass sich neben diversen Bands geschaffen. (vgl. Turan 1992, 175f; Scovill 1981, 148
Bereichen aller Lebenssituationen auch im musikalischen u. Stein 1998, 23) Frauen realisierten, dass sie, wenn sich
Umfeld etwas tat. (vgl. Koch 1987, 218) Angelehnt an den etwas ändern sollte, selbst etwas unternehmen mussten,
Leitspruch der neuen Frauenbewegung Das Private ist poli- selbst für sich ein neues Bewusstsein aufbauen mussten.
tisch wurden Frauen animiert, selbst kulturell und künstle- Carol Hanisch drückt dieses Verhältnis in ihrem Song I
risch aktiv zu werden (vgl. Kiessling 2007, 17). In den 1970er Gotta Learn to Sing aus:
Jahren stieg einerseits die Zahl von Instrumentalistinnen wie
beispielsweise im Jazz (vgl. Sterneck 1998, 15), andererseits „I´ve always had a weakness for a guitar man, especially if he
formierten sich (im Umfeld der neuen Frauenbewegung) could sing. [...] But I´m gonna pluck my own banjo, strum
Bands, die ausschließlich aus weiblichen Mitgliedern zusam- my own guitar. I´m gonna play on my own fiddle, put myself
mengesetzt waren und frauenspezifische sowie feministische in there. ´Cause somehow lookin´ on ain´t enough, I wanna
Inhalte in ihren Texten thematisierten. Frauen stießen entwe- make the rafters ring. I can´t go lookin´ on forever, I´m gonna
der überhaupt durch die Bewegung zur Musik oder wollten learn to sing.“ (Hanisch 1978, 12f)
umgekehrt ihre Musik mit angemessenen Inhalten füllen.
(vgl. Bonnin 1979, 246) Viele der Musikerinnen waren selbst Ein Beweggrund für viele Frauen, eine eigene Band zu
in anderen Initiativen der Frauenbewegung tätig, wie im Ver- gründen, war auch die Tatsache, dass sie in einem rein weib-
„Frauenmusik“ als neues Phänomen? lag Frauenoffensive oder in Beratungsstellen, beispielsweise lichen Umfeld freier über ähnliche oder gleiche Probleme
für lesbische Frauen. (vgl. Perincioli 2009) reden und texten können. Auch ein tradiertes Verhalten,
Musik als Ausdrucksform der neuen Frauenbewegung der wie etwa jenes, einem Mann zu gefallen, falle hier weg. Die-
ser konstruierte Raum war wichtig für die Entwicklung. So-
1970er und 1980er Jahre Was ist „Frauenmusik“? phie Drinker beschrieb dies schon 1948 wie folgt:
Tamara Imlinger
Es drängt sich die Frage auf, was als „Frauenmusik“ gilt: Das „If women would sing first for themselves, sincerely and
Faktum, dass Musik ausschließlich von Frauen gespielt oder enthusiastically, ignoring critics with preconceived notions
gesungen wird? Reicht es, wenn es in einem Song um eine about either women or music, their song would eventually
wir frauen fangen an, unsere eigene musik zu machen und um partnerschaftliche (heterosexuelle) Beziehungen. Frau geht? Oder sollen auch die vermittelten Inhalte aussa- burst out of the bounds of home, sickroom, or club and would
in unseren eigenen texten das zu sagen, was uns betrifft. dies „Das Prinzip ‚verliebt-verlobt-verheiratet’ durchzog bei- gekräftig sein und sich mit Geschlechterrollen kritisch aus- flow into that stream of rhythm, melody, [and] harmony
ist ein wichtiger bestandteil von „frauenkultur“ nahe alle Stücke der Girl-Group-Ära.“ (zit. nach Kiess- einandersetzen? Mit einer Musikerin, die singt und Lieder which is forming the music of tomorrow.“ (Sophie Drinker,
(zit. nach Flying Lesbians, Rückseitentext der ersten LP ling 2007, 15) Ende der 1960er Jahre kristallisierten sich schreibt, ist es noch nicht automatisch getan. (vgl. Bonnin Music and Women: The Story of Women in their Relation to
1975) einzelne Künstlerinnen wie Janis Joplin oder Joan Baez 1979, 246) Das Neuartige in den 1970ern war per se die Music, New York 1948, 293, zit. nach: Scovill 1981, 149)
heraus, die gleichwertig neben männlichen Gegenparts Tatsache, dass sich (ausschließlich) Frauen auf die Bühne
wie Jim Morrison oder Jimi Hendrix auftraten. (vgl. Gä- stellten, sich Gehör verschafften und „ihre“ Themen auch in Es ging also auch um die prinzipielle Atmosphäre, in der
Gesellschafts- und kulturpolitische sche 2008, 243) Liedern aufgriffen. Ruth Scovill spricht von „women-identi­ man zusammen kam. Ähnliches passierte in der Frauenbe-
Ausgangslage Neben wenigen weiteren Ausnahmefällen, wie der Schlag- fication“ – im Gegensatz zu „Männermusik“, durch wel- wegung, wo sich Frauen in so genannten Bewusstseinsver-
zeugerin Moe Tucker von The Velvet Undergrund oder Patti che bis dahin fast ausschließlich Männer ihre Sichtweisen änderungs- bzw. Gesprächsgruppen trafen, um über ihre
Billy Tipton, eine amerikanische Saxofonistin des 20. Jahr- Smith, waren Frauen jedoch meist (wenn nicht überhaupt vertreten und ihre Gefühle ausgedrückt hätten. (vgl. Sco- Probleme und Vorgehensweisen zur Beseitigung dieser zu
hunderts gab sich über etwa 50 Jahre als Mann aus – weder nur als Konsumentinnen und Fans) als Sängerinnen oder vill 1981, 148 u. Perincioli 2009) „Musik ist der kulturelle diskutieren. Genauso wie in diesen ein Selbstbewusstsein
„seine“ Frau noch der Sohn sollen ihre wahre Identität ge- Tänzerinnen vertreten, die oftmals mehr nach Aussehen Ausdruck der patriarchalisch-kapitalistischen Gesellschaft“, gegenseitig bestärkt wurde, eröffneten sich durch „Frauen­
kannt haben. Zu dieser Zeit war beispielsweise Rockmusik und Styling als nach ihren musikalischen Fähigkeiten beur- formuliert Jasmine Bonnin zu Beginn ihrer Suche nach der musik“ neue Wege einer solidarisierenden Zusammen-
getragen von einem Sexismus, der Frauen in streng defi- teilt wurden. (vgl. Turan 1992, 174ff) Das verhält sich auch Frauenmusik. Für Frauen bestehe lediglich die Option, ein- arbeit sowie neue Sichtweisen der Frauen untereinander:
nierte Rollen zwang, wie etwa „angel/ devil“ oder „girl next noch Jahrzehnte später so, wie in den 1990ern ein Bandmit- zelne Worte oder Pronomen im Kopf auszutauschen und Stereotype Rollenbilder wurden dekonstruiert und alter-
door/ ‚easy lay’“ (zit. nach Scovill 1981, 150). Die Vorbild- glied der Lunachicks bedauert: sich so hineinzudenken. (vgl. Bonnin 1979, 245 u. Stein native Lebensweisen angeboten, was in einem gemischt-
wirkung und Identifikationsmöglichkeit für Zuhörerinnen 1998, 24) geschlechtlichen Rahmen in dieser Form nicht stattfinden
war gering. Selten und meist unbekannt waren Bands und „Ständig müssen sie alle extra erwähnen, daß es sich um Die Beweggründe und Ziele der Frauen gingen Hand in hätte können. In einem rein weiblich besetzten Raum kann
Musikerinnen, die im Gegensatz zum Standard nicht als eine Frauenband handelt. Unter 100 Kritiken wirst du keine Hand mit denen der neuen Frauenbewegung, nur waren auch dem Vorurteil, Frauen seien per se die schlechteren
„Sexsymbol“ präsentiert wurden. Sie passten nicht in den einzige finden, die sich nicht damit beschäftigt, egal ob nun sie eben speziell auf den kulturellen bzw. musikalischen MusikerInnen entgegengewirkt werden. (vgl. Scovill 1981,
Kontext einer musikalischen Welt, in der Sexualität vorherr- alle Bandmitglieder Frauen sind oder nur die Leadsänge- Bereich zugeschnitten: Es sollte der Anteil von Frauen ge- 154 u. Turan 1992, 178)
schendes Thema war und Frauen als schwach dargestellt rin. Die glauben, dadurch das Interesse zu wecken. [...] Und nerell im Musikbusiness (als Künstlerinnen und als Produ-
wurden. (vgl. Turan 1992, 176, 180) viele davon schreiben kein einziges Wort über unsere Musik. zentinnen) angehoben werden. Ebenso sollten eine „kri- Die Bands hatten entweder programmatische Namen wie
In den 1960er Jahren gründeten sich Girl-Groups wie die Sie schreiben über Körperteile, Kleider, Auftreten, egal was, tische Öffentlichkeit für und eine neue Sichtbarkeit von Frauengruppe Essen oder betitelten sich mit provokanten,
Shirells oder die Shangri-Las in den USA – oder besser: Hauptsache weiblich. Wie kann man über Platten oder Kon- feministischen und lesbischen Musikerinnen“ (zit. nach teils subtilen Schlagwörtern wie Liebesgier, Ätztussis, Un-
Sie wurden gegründet. Sie stellten zwar Frauen in den zerte schreiben, ohne die Musik zu erwähnen? [...]“ (zit. nach: Reitsamer 2009) geschaffen werden. Speziell für lesbische terrock, Schneewittchen, Östro 430, A-Gen 53, oder Flying
Mittelpunkt, ihre Texte drehten sich jedoch fast gänzlich Interview mit Gina Volpe 1998, 218f) Frauen fehlt – wie Stein festhält – diese Option, da in Pop- Lesbians.

16 skolastin skolastin 17
Feste und Musikfestivals geben, trat man an Männer heran, insofern Unterstützung schlossen sich daraufhin spontan zu einer „Frauennacht­ Da waren ein paar ganz junge Italienerinnen […], die waren
zu zeigen, indem dieser Raum respektiert werde. (vgl. Pe- demo“ zusammen, die bei der Oper „mit Gesang, Tanz und ungefähr 17, und die haben dann so gesagt: […] Wow, das
Es bildeten sich großteils dezidiert und ausschließlich an tersen 1987, 209) Rufen“ ihr Ende fand. (zit. nach [o.A.], Frauenfest 1978, 41f; sieht man denen ja überhaupt nicht an, also wenn man da so
weibliches Publikum adressierte Veranstaltungen heraus: Speziell für lesbische Frauen wird ein Raum geschaffen, vgl. Geiger u. Hacker 1989, 92) jung wirkt, gehen wir auch in die Frauenbewegung. Das ist
Frauenfeste, bei denen Frauen auftraten, um ihre Kunst in dem sie – im Gegensatz zu konventionellen Veranstal- Wie Demonstrationen orientierten sich auch Feste ter- ein bleibender Eindruck von mir. (Elisabeth A.)“ (zit. nach
zu präsentieren, und bei denen Workshops zu verschie- tungen – „ungestört“ und frei ihre Liebe zeigen können. minlich oft an geschichtsträchtigen Daten und Phäno- Geiger u. Hacker 1989, 93)
densten politischen wie alltäglichen Themen abgehalten (vgl. Wernegger 2009, 53, 82f) menen, wie das Hexenfest in Wien an der Walpurgisnacht.
wurden. Und Frauenmusikfestivals, bei denen ebenfalls (vgl. Geiger u. Hacker 1989, 92) „Ich hab so gern getanzt immer […] Bei Frauenfesten, da war
Frauen auftraten und es Workshops gab. Hier waren die­ Live-Auftritte sind ein wichtiges Element und vor allem auch dann endlich die Gelegenheit zu tanzen, wie man will, wie frau
se jedoch eher im künstlerischen Bereich zu finden (z.B. relevant zur Produktion eines Wir-Gefühls. Hinzu kommt Es existieren Lieder über solche Frauenfeste, wie zum Bei- will, und nicht zu warten, bis irgendein Typ einen auffordert.
Saxophon- oder Gitarrenworkshops, vgl. Weiss 1978, 6). jedoch eine anerzogene „Angst vor öffentlichen Auftritten“ spiel Frauenfête von Caroline Muhr und Inge Latze, in dem Das war ein Sich-Ausagieren, die Frauenfeste, die waren schön
Oftmals dauerten die Veranstaltungen über mehrere Tage bei Frauen (zit. nach Turan 1992, 181), die überwunden wer- sie zu Ausgelassenheit und Sorglosigkeit mobilisieren: […] das waren schon sehr lustvolle Zeiten auch. Es waren dann
an und es wurde ein vielfältiges Programm angeboten. Die den musste, was sicherlich in einem ausschließlich weiblich auch hin und wieder Frauenfeste in Wohnungen. […] Da ha-
Besucherinnen sollten auch zu Teilnehmerinnen werden, besetzten Raum einfacher umgesetzt werden konnte. Durch „Musik ganz alleine fährt uns in die Beine, brauchen keine Ka- ben wir dann getanzt, und als Höhepunkt des Tanzes, da ist
einem hierarchischen Verhältnis zwischen „Stars“ und den Rückhalt des Publikums war es für die Bands, die anfangs valier, zahlen selber unser Bier. [...] Laßt uns fröhlich schwo- dann Janis Joplin gesungen worden. (Elfriede H.)“ (ebd)
„Fans“ wollte man entgegen arbeiten. Man mischte sich oft nicht auf einem technisch hohen Level spielten, möglich, fen, werft die Sorgen in den Ofen, laßt uns, liebe Frauen, auf
vor und nach einem Auftritt unter die Besucherinnen und in einer angenehmen Atmosphäre aufzutreten. Konzert- die Pauke hauen.“ (zit. nach Caroline Muhr u. Inge Latz, Frau- Aus dem ersten Zitat kann man mehrere Dinge schließen:
interagierte. Ruth Scovill fasst drei Bereiche zusammen: besucherinnen kamen der Texte, der Inhalte und nicht der enfête, in: Latz 1980, 183f) die Existenz einer heterogen zusammen gesetzten Frauen-
„accessibility, responsibility, and vulnerability“ (zit. nach Musik wegen. Jede sollte alles können und man unterstützte bewegung sowie auch die Tatsache, dass über Frauenfeste
Scovill 1981, 155). Damit gemeint sind die eben schon an- sich gegenseitig. So wuchs man einerseits stärker zusammen, Genau eine solche Stimmung gibt Rosmarie Stenek in Mitglieder rekrutiert werden, sprich ein Wechselverhältnis
geführte Erreichbarkeit der KünstlerInnen, sowie die Ver- hinderte sich andererseits gegenseitig ein wenig in Bezug auf einem Artikel in der AUF über ein Frauenfest in Innsbruck zwischen Musik und Politik besteht.
antwortung gegenüber dem Publikum, es generell nicht individuelle Weiterentwicklung. In diesem Kontext ist rele- wieder: „Die Frauen tanzten und sangen vor sich hin mit Die zweite Aussage spiegelt deutlich die gesellschaftlichen
auszunutzen (speziell: beispielsweise eine zweite Preiskate- vant, dass versucht wurde, kein Bandmitglied zur Frontfrau dem Blick auf die Bühne, einzelne Textstrophen blieben Verhältnisse wider. Von diesen geprägt, konnte sich Elfriede
gorie für weniger bemittelte Frauen einzuführen) und die hochzustilisieren, keine Hierarchien aufkommen zu lassen. im Kopf hängen […]“ (zit. nach Stenek, 1980, 37). Zeit- H. nur in einem konstruierten Rahmen mit ausschließlich
Verwundbarkeit des Menschen an sich zu zu lassen und Teilweise half das Publikum nach Auftritten den Bands beim schriften wie eben die AUF, oder Emma, Courage und lokale weiblicher Präsenz geben, wie sie ist bzw. sein wollte. Sie
sich nicht als Rockstar zu präsentieren, der/ die immer gut Abbauen der Technik, wodurch wiederum ein Gemein- Frauenstadtzeitungen wurden genutzt, um Berichte und spricht auch die sonst üblicherweise praktizierte Hierarchie
gelaunt ist und keine Verletzlichkeit kennt. Jedoch konnte schaftsgefühl entstand. (vgl. Rentmeister 2009 u. Perincioli auch Ankündigungen von Festen (und weiter von Plena, zwischen den Geschlechtern an – hier in dem Sinne, dass
all dies nur in geringem Ausmaß umgesetzt werden. Oft 2009) Durch einen engen Kontakt mit den Künstlerinnen Demonstrationen, Kongressen usw.) zu verbreiten. Dane- eine Frau zu warten hätte, bis sie von einem Mann zum Tanz
gab es jedoch „open stages“ oder „open mikes“, wo jede entstand ein Austausch, und Interessierte wurden ermutigt, ben waren sporadisch Aufforderungen vertreten, sich bei aufgefordert werde.
willkommen war, sich und ihre Kunst zu präsentieren. selbst (musikalisch) aktiv zu werden. Bewusst wollte man Interesse Frauenbands verschiedenster Musikrichtungen
(vgl. Petersen 1987, 209) anfänglich amateurhaft und nicht professionell sein, um dies anzuschließen oder beispielsweise die Musik zu einem Feste und Musikfestivals waren Orte der Vernetzung. So-
Beide Spielarten finden seit den späten 1970ern bis heu- ermöglichen zu können. Musik galt primär als soziales Ele- Theaterstück zu komponieren. Eine Vernetzung von „Frau- wohl regional, national als auch international. Bei großen
te statt, und das beinahe weltweit, wobei sich vor allem im ment, musikalische Fähigkeiten standen (zu Beginn) im Hin- enbands“ wurde angestrebt. (vgl. z.B. AUF 13 (1977), 54; Veranstaltungen, die von Frauen verschiedenster Länder
Bereich der Musikfestivals der Anspruch gelöst hat, Veran- tergrund. Ein „Gesamtkunstwerk“ sollte geschaffen werden. Courage 2 (1977), H. 5, 52; Aus anderen Ländern, in: Cou- besucht wurden, konnte man sich über die Grenzen hinweg
staltungen ausschließlich für Frauen zugänglich zu machen. (vgl. Eismann 2004 u. Rentmeister 2009) rage 2 (1977), H. 1, 27) Die Zeitschriften wurden darüber austauschen, zuvor noch nicht gehörte Sichtweisen kennen
Bei heutigen Frauen- oder mehr noch bei so genannten La- Geld verdienen konnte man mit dieser Form Musik zu hinaus als Medium genutzt, (historische und gegenwär- lernen und auch auf kulturell bedingte Diskrepanzen sto-
dyfesten ist bei Ankündigungen als angegebene Zielgruppe machen meist nicht, das war auch nicht Ziel der Sache. Das tige) Musikerinnen und Komponistinnen, sowie andere ßen. (vgl. Geiger u. Hacker 1989, 92 u. Weiss 1978, 8f)
häufig „Frauen, Lesben und Transgender“ zu lesen. Es wird Equipment wurde aus eigener Tasche bezahlt, und auch eine im künstlerischen oder wissenschaftlichen Bereich aktive Vor allem bei mehrtägigen Festen, die eine weite Anrei-
ein Diskurs geführt, der sich kritisch mit Reproduktion von kleine Anlage konnte man sich mit der Zeit leisten. (vgl. Frauen zu profilieren, deren Bekanntheitsgrad zu steigern se erforderten, war eine Kinderbetreuungsmöglichkeit für
Zweigeschlechtlichkeit durch kulturelle Werte und Nor- Koch 1987, 219 u. Perincioli 2009) oder über Werke, Auftritte, Ausstellungen, aber auch über teilnehmende Mütter relevant. Manchmal wurde dies nicht
men, gebunden an die Kategorien Mann und Frau, sowie Die erste Rockfete im Rock in Berlin fand im Mai 1974 statt Möglichkeiten zu berichten. (vgl. z.B. Elke Mascha, Verges- angeboten, was dazu führte, dass Frauen teilweise ihre Kin-
„Zwangsheterosexismus“ auseinandersetzt. Dieser findet und fand breiten Zuspruch: „Wir hatten mit 500 Frauen ge- sene Komponistinnen, in: AUF 11 (1977), 44-46; Elisabeth, der einfach immer mit dabei hatten. Weiss schließt ihren
– seit etwa 1980 – meist in speziellen Kreisen statt und er- rechnet, und dann waren 2000 da“ (zit. nach Strobl 1981, Die deutschen Rockladies, in: AUF 14 (1978), 28-31; Doris, Artikel über das Frauenmusik-Festival in Kopenhagen, an
lebte keinen markanten Einzug in wissenschaftliche Ausei- 113), zitiert Ingrid Strobl eine der Organisatorinnen in Die Frau als Komponistin, in: AUF 30 (1981), 30f; Marion dem keine Kinderbetreuung angeboten wurde, mit der pro-
nandersetzungen. (vgl. Opitz 2005, 68; mit diesem Diskurs ihrem Beitrag Von heute an gibt´s mein Programm (geti- Breiter, In Memoriam Inge Latz. Musikerin, Therapeutin, vokanten Formulierung: „Bei einem normalen Musikfesti-
verbunden sind der Begriff „queer“ sowie eine spezielle, telt nach der gleichnamigen Schallplatte) in Alice Schwar- Feministin, in: AUF 85 (1994), 32; ea, Let´s dance together, val (sprich Männerfestival) gäbe es zwar auch keinen Kin-
geschlechtergerechte Schreibweise, z.B. Student_Innen. Der zers Emma-Buch. Im selben Jahr gingen das erste National in: AUF 18 (1979), 48; Elfriede, Frauen als Verlegerinnen, derhort, aber – er würde auch gar nicht vermisst von den
Unterstrich wendet sich gegen Formen, die auf zwei Ge- Women´s Music Festival in Illinois, USA, sowie die erste in: AUF 26 (1980), 18) Musik machenden Vätern.“ (zit. nach Weiss 1978, 10)
schlechter hindeuten und soll symbolisch für jegliche wei- Ausgabe des Michigan Womyn´s Festival über die Bühne; im
tere stehen.) Jahr davor gab es in den Staaten das erste Frauenmusikfesti- Geiger und Hacker illustrieren ihr Buch Donauwalzer Da-
Immer wieder tauchte die Frage „Wozu das Ganze?“ auf, val überhaupt, in Sacramento. (vgl. Eismann 2004) menwahl mit zahlreichen Zitaten aus von ihnen geführten Inhalte – die Bühne als politisches Forum
vor allem beim Eingang zurückgewiesene Männer verstan- Die genannte Rockfete in Berlin trug zur Gründung einer Interviews. Unter diesen finden sich auch einige, in denen
den teilweise gar nicht, wieso sie nicht willkommen waren, Frauenband bei: Nach Absage einer geplanten englischen die Protagonistinnen Bezug auf Frauenfeste nehmen: Textlich war klar, was man umsetzen und zu Gehör bringen
und stempelten die teilnehmenden Frauen als Männerhas- Musikgruppe musste schnell Ersatz gefunden werden und wollte: vorrangig die Probleme von Frauen, die bis dahin
serinnen ab. Dies traf jedoch nicht zu, denn diese lehnten prompt fanden sich die Flying Lesbians zusammen. (vgl. „Das erste Frauenfest, an das ich mich erinnere, ah, das war aus den verschiedenen Lebensbereichen ausgeblendet wor-
die Gesellschaft von Männern nicht per se ab, behielten sich Reitsamer 2009) irgendwie ganz toll. Da waren so – damals waren die für uns den waren. So wurden etwa die gesellschaftliche Stellung
jedoch das Recht vor, dann und wann unter sich zu diskutie- Platzmangel trat auch bei einem Frauenfest 1978 in Wien relativ alt -, die Ülküm und die Jane, die Marie-Thérèse, die von Frauen und generelle Normen und geschlechtsspezi-
ren und zu feiern. Vor dem Hintergrund, Frauen die Mög- auf, wo sich die Polizei vor der Lokalität positionierte, „um waren halt damals schon über dreißig, so an die vierzig, nicht, fische Sozialisation kritisiert oder Frauen und ihre (unsicht-
lichkeit bzw. das Recht auf einen eigenen „musical space“ zu die Frauen zu hindern, in den vollen Saal zu gehen“ – diese und das war irgendwie toll. […] bare) Geschichte thematisiert:

18 skolastin skolastin 19
„Gesetzt den Fall, daß Männer menstruieren könnten – das In den untersuchten Liedern werden zwei Arten von Frau- Objekten, Ritualen und [phallischen] Symbolen) als „Män- Die Flying Lesbians, die erste Frauenband der BRD, schrei-
wär kein Grund für eine Minderwertigkeit. Beim ersten Blu- enbildern kreiert: Ein altes, das abgelehnt und ein neues, das nermusik“ abgelehnt, man griff zu anderen, gegensätzlichen ben über diese Verhältnisse in einer Selbstdarstellung:
ten wüchs der Stolz der Familie, denn es zeigt an: der hat´s angestrebt wird. Dem alten, der putzenden, kochenden, Kin- Musikrichtungen, wie z.B. Country, Folk oder dem Sin-
geschafft, der ist ein Mann! Mann wäre super mit drei Bin- der erziehenden Hausfrau, die sich selbstlos für den Mann ger- und Songwriter- bzw. LiedermacherInnen-Genre, und „Uns wurden auch schon solche Angebote gemacht. Da kam
den in der Stunde und an dem Stammtisch ging es rund – wie aufgibt und für diesen schön sein will, steht ein Männerbild suchte nach einer „authentischeren kulturellen Ausdrucks- uns so ein Manager auf die Spur, der uns das Angebot gemacht
viel wie lang. […] So wär auch Wissenschaft nur ein Gebiet des Unterdrückers, Patriarchen, Familienoberhauptes und form“ (zit. nach Eismann 2004 u. Stein 1998, 25; vgl. auch hat, uns fest unter Vertrag zu nehmen. Das hieß, wir sollten
für Männer, denn allen Frauen fehlt schon der Kontakt zum Beherrschers von Frau und Natur (auffallend ist die häufige Reitsamer 2009; Scovill 1981, 149 u. Turan 1992, 175, 180). so ca. vier Mal die Woche für ihn spielen in irgendwelchen
Mond – und wer in sich nicht einmal einen Zyklus spürt, Gleichsetzung dieser beiden Elemente) gegenüber. Die instrumentale Zusammensetzung wurde ebenso Schuppen und hätten monatlich jede 2000 DM gekriegt. Wir
vor dem bleibe die Menschheit bloß verschont.“ (zit. nach Für das neue Frauenbild der emanzipierten Frau werden hinterfragt: Historisch geprägten Vorurteilen nach seien hätten dabei überhaupt keinen Einfluß gehabt, irgendeine
Schneewittchen, Der goldene Tampon, in: Schneewittchen auch alte Leitfiguren uminterpretiert, wie zum Beispiel tra- Schlagzeug, E-Gitarre (generell elektronisch abgenommene Show abziehen müssen, wahrscheinlich genau vorprogram-
1982, 115ff) ditionelle Märchenfiguren. Dieses Phänomen findet sich Instrumente), oder Trompete eher männlich und Flöte oder miert und ausgetüftelt nach Kleidung, Sound und Farbe, ent-
schon im Bandnamen von Schneewittchen. Im gleichna- Violine eher weiblich konnotiert. Auch komponieren und sprechend mit den Brüsten wackeln, auf den üblichen Veran-
„Ich bin eine kleine Tippse und hab´ einen tollen Chef. Er ist migen Lied singen sie „Schneewittchen zerschlag deinen Texte verfassen gelte als männlich. (vgl. Perincioli 2009 u. staltungen, wo bis 70 % Männer rumsitzen, und dann noch
Akademiker und kommandiert aus dem Effeff. Um uns auf gläsernen Sarg!“ (zit. nach Schneewittchen 1982, 26f) Ein Turan 1992, 178) Angelehnt an ein prinzipielles Grundver- Lesben als zusätzliche Pointe zum Aufgeilen. Igitt!“ (zit. nach
den Trab zu bringen, klappt´s nicht, haut er auf den Tisch, fortschrittliches Männerbild als Gegenstück ist kaum zu ständnis, sich Rockmusik zu verschreiben oder nicht, wur- Flying Lesbians 2009)
daß die Kugelschreiber springen: ‚Den Kommandostab hab´ erkennen, da in den 1970er und 1980er Jahren das Haupt- den die Instrumente ausgewählt: Es gab
ich!’ […] Dann betont er voller Stolz, politisch liberal zu sein. augenmerk auf die Befreiung der Frau durch sie selbst ge- Details über feministische Ansätze im Bereich der Musik-
Schwätzt gern über Mitbestimmung, steigt in den Mercedes legt wurde. In diesem Kontext ist auch der Wandel in den „Fundamentalistinnen, die Rock als Mackermusik und typ­ produktion im deutschsprachigen Raum sind leider im
ein. Hochbezahlte Mitarbeiter, das ist nur ein schönes Wort. Geisteswissenschaften zu nennen, wo eine Entwicklung von ische Rockinstrumente wie die E-Gitarre als verlängerte Män- Zuge der Recherchen nicht aufgetaucht, weshalb hier auf
‚Forderungen durchzusetzen, ist hier nicht der richtige Ort, einer Frauen- über eine Männer- hin zu einer Geschlechter- nerschwänze ablehnten und lieber auf Klampfe, Blockflöte, Entwicklungen in den USA und England eingegangen wird
meine Damen!’“ (zit. nach Darmstädter Frauengruppe, Tipp- geschichte stattfand. Choräle, Küchenlieder und Volksmusik zurückgriffen.“ (zit. und wenige Beispiele aus der BRD punktuell angesprochen
se 1975, in: Latz 1980, 65f) nach Koch 1987, 218) werden.

„Was hat denn Kaiser Wilhelm als Vater je getan? Er zeugte Zur Frage der Musikrichtung Die andere Seite wurde von Frauen vertreten, die bewusst Das erste Frauenlabel weltweit wurde im Jahr 1973 von
viele Kinder, und darauf kam es an. Napoleon der Große, als auf „unfraulichen Instrumenten“ (zit. nach Koch 1987, 218) einem rein weiblich besetzten Kollektiv in den USA in der
Krieger ungebeugt, als Vater ohne Namen, auch er hat nur Neben einer rein weiblichen Zusammensetzung und einer spielten. Gegend von Washington D.C. gegründet. Zur Verdeut­
gezeugt. […] Doch bei den großen Frauen wird immer noch Schwerpunktlegung auf die inhaltliche Umsetzung von lichung der Motive, hier ein Zitat einer der Initiatorinnen
gelehrt, daß sie ne gute Mutter, erst dann war´n sie was wert.“ frauenspezifischen Themen war die Frage danach, welche dieses Labels:
(zit. nach Gisela Meussling, Die guten Väter, in: Latz 1980, 22) Musikrichtung gespielt wurde, zum Teil sehr zentral. Und Musikproduktion
hier war es schwieriger, etwas Eigenes auf die Beine zu stel- “We thought the way for women to get power was through
Auch fand physische und sexuelle Gewalt gegen Frauen len, als bei den Texten, wo dies relativ klar erschien. Es gab Hinter einer Band oder einem/r EinzelkünstlerIn steht meist economics, by controlling our economic situation. We wanted
Platz: eine Auseinandersetzung mit den Fragen „Was ist Frau- viel mehr als beispielsweise bei einem Auftritt sichtbar wird: to set up some sort of alternative economic institution which
enmusik?“ und „Was nicht?“ bzw. „Gibt es überhaupt eine harte Arbeit in Proberaum und Studio, eine Plattenfirma, ein would both produce a product that women wanted to buy
„Sag mir, warum hast du denn schon wieder Narben? Und Frauenmusik?“ (vgl. Rentmeister 2009 u. Koch 1987, 218) Label, VeranstalterInnen, OrganisatorInnen, Ton- und Licht- and also employ women in a non-oppressive situation. Sec-
sag, warum zwei deiner Kinder fast starben? Meintest: schon Hier kam es zu einer prinzipiellen Kritik der Rockmusik, technikerInnen usw. Im Zuge feministischer Einflüsse im Mu- ondly, we wanted to be in the position to affect large numbers
gut, du seiest nur ausgeglitten, ein bißchen Blut, hättest schon die stark von Männern dominiert war und als Trägerin von sikbereich versuchte man, diesen Produktionsprozess zu poli- of women and that had to be through the media. So we put
andres gelitten.“ (zit. nach Gisela Meussling, Sag mir, wa- sexistischen Strukturen in der Musik, der Produktion, den tisieren bzw. die Grenzen zwischen den einzelnen Bereichen the two [control of economy and media] together to form a
rum…, in: Latz 1980, 91f) Texten wie auch in der Darbietung gesehen wurde. „,Pig durchlässig zu machen und zu entfernen (vgl. Stein 1996, 25). women´s concert production company.” (zit. nach Petersen
Rock’“-Musiker wurden angeprangert, nur „vermeintliche Für Karen E. Petersen ist „total control“, also die Kontrolle über 1987, 208)
In den Liedern wurde auch nach vorn geblickt, beispiels- soziale Revoluzzer“ zu sein und frauenverachtende Texte zu alle Bereiche von der Entstehung bis hin zum Endprodukt
weise mit dem Leitspruch „Frauen gemeinsam sind stark“. fabrizieren. Zusätzliches tragendes Element von Rockmusik bzw. der Präsentation, „possibly the most important aspect of Das zweite größere Label nannte sich Redwood Records. Da-
Propagiert wurden Emanzipation, der Ausbruch aus dem ist eine gewisse Lautstärke, die mit Macht verbunden sei, women-identified music“ (zit. nach Petersen 1987, 210). Neue neben gründeten sich in den 1970er Jahren weitere „kleine
Hausfrauen- und Ehefrauendasein sowie die Selbstbestim- mit der Männer auf Grund einer geschlechtlich bedingten Möglichkeiten vertraglicher Regelungen und des Publizierens unabhängige Plattenlabels“ wie Wise Women, Pleiades, Righ-
mung über sich und den eigenen Körper. Freundschaft und Sozialisation besser umzugehen wüssten. (vgl. Bonnin 1979, sollten geschaffen werden, da in den herkömmlichen die Zu- teous Babe, Icebergg, Flying Fish oder Ladyslipper Records so-
Liebe waren ebenso Thema wie die Einrichtung neuer Frau- 246; Eismann 2004 u. Turan 1992, 174, 179) Diese Struk- stände (wie der Kontrollverlust über die eigene Musik oder die wie Women´s Wax Works, Mother of Pearl, Ova, Sweet Alli-
enhäuser: turen wurden, um einer „Verbreitung von Geschlechtsrol- Art und Weise der Vermarktung) als nicht tragbar definiert ance, Urana Records of Wise Women Enterprises oder Sister
lenstereotypen“ (zit. nach Turan 1992, 176) entgegenzu- und kritisiert wurden. Vor allem Frauen blieb oft der Zugang Sun. (vgl. Reitsamer 2009; Post 2009 u. Peterson 1987, 208)
„Die Frau deiner Träume bist du, die bist du! Deine Augen wirken, auf verschiedene Arten zu überwinden gesucht: zu „real power“ verwehrt, sprich sie hatten keinen Einfluss
sind wie ein Traum, weil sie deine sind: Träumen und lachen Einerseits spielte man weiterhin Rockmusik und wollte auf das Endprodukt und wurden oftmals von (männlichen) Alternativ zur Produktion und Verbreitung über Plattenfir-
sie, - eine Traumfigur hast du, weil sie deine ist: Hab sie lieb „den radikalen Feminismus rein in den Rock und den Se- Produzenten dirigiert oder überhaupt beauftragt, Bestimmtes men u.ä. wurde das Do-It-Yourself (DIY)-Prinzip genutzt:
- deine Träume sollen leben, weil sie deine sind! Die Frau dei- xismus und Machismus raus aus dem Rock […] zwingen“ aufzunehmen, ohne weder angemessen mitreden noch vom Daran orientiert, wurde 1974 die erste Frauenplatte in der
ner Träume bist du.“ (zit. nach Schneewittchen, Die Frau dei- (zit. nach Koch 1987, 218). Vor allem zu Beginn bediente Gewinn profitieren zu können. (vgl. Scovill 1981, 149; Steward BRD von Frauengruppen aus München, Frankfurt und
ner Träume, in: Schneewittchen 1982, 140f) man sich existierender Schemata oder Songs, schrieb le- u. Garrat 1984, 63 u. Oglesbee 1987, 167) Monika Bloss nennt Darmstadt herausgegeben. Sie trägt den Titel Von heute an
diglich Texte um bzw. tauschte einzelne ausschlaggebende als Beispiel Gruppen der 1960er Jahre, wie die Shirells oder die gibt´s mein Programm, wurde zwei Mal neu aufgelegt und
„und allen frauen sage ich nun, daß sie ja ziemlich verrückt Wörter aus oder deutete den durchdringenden Sexismus Shangri-Las, innerhalb derer einzelne Mitglieder durch die gilt heute als vergriffen.
sind, wenn sie sich zwingen etwas zu tun, was ihnen niemals mittels parodistischer Anspielungen um. (vgl. Bonnin 1979, „kollektive Anonymität“ leicht austauschbar gewesen seien Die Flying Lesbians produzierten ihre erste Platte mit
entspricht. drum frauen hört auf mein gerede, ich habe für 246; Eismann 2004 u. Scovill 1981, 149) Es war „männliche – als „Verkaufshülsen für die eigentlich Talentierten […]: die Geldmitteln, die sie sich von diversen Initiativen wie Frau-
euche eine therapie, dann wenn ich frauen liebe.“ (zit. nach Musik verkleidet im neuen weiblichen Gewand.“ (zit. nach Manager, Songwriter, Produzenten, Verleger oder Label-Inha- enoffensiven geliehen hatten. Diese wurde 2007 als CD neu
Frauengruppe Essen, Therapie, in: Latz 1980, 148f) Rentmeister 2009) Andererseits wurde Rock (mit all seinen ber“ (zit. nach Bloss 1994, 35). aufgelegt.

20 skolastin skolastin 21
Neben Labels entwickelten sich Studios, um abseits des dem sie „Zensur“ übten und beispielsweise Platten mit von Quellen ken zu feministischer Selbstorganisation im Pop, on-
Mainstream professionell Musik aufnehmen und anschließ­ ihnen als abwertend empfundenen Titelbildern nicht ab- line unter: <www.popundpolitik.at/14062006.html>
end abmischen und mastern zu können. Im folgenden Zitat packten. So wurde 1973 von den Mitarbeiterinnen von Virgin Zeitschriften: (25.6.2004).
einer der Betreiberinnen des Studio Ovatones in London Records, anstatt sich der Verarbeitung der neuen Gong-Platte Gillian G. Gaar, She´s A Rebel. The History of Women in
wird neben generellen Motiven, ein Studio zu betreiben, in Angel´s Egg zu widmen, die Produktion eingestellt. Auf dieser AUF – Eine Frauenzeitschrift 1977-1994. Rock & Roll, Seattle 1992.
dem nur Frauen aufnehmen sollten, auch die Notwendig- war „a cartoon of a naked woman on her back with her legs Courage 1977-1984. Daniel Gäsche, Born to be wild. Die 68er und die Musik,
keit der Mitsprache wie auch der technischen Versiertheit open“ abgebildet und rückseitig der Spruch „Motha Fucker“ Emma. Das politische Magazin von Frauen 1977, 1978, Leipzig 2008.
der Künstlerinnen thematisiert und erklärt: angebracht. (vgl. Steward u. Garratt 1984, 63f) 1987. Brigitte Geiger u. Hanna Hacker, Donauwalzer Damenwahl.
ausgewählte Artikel: Frauenbewegte Zusammenhänge in Österreich, Wien
„Einer der wichtigsten Punkte war, etwas neues zu schaffen [o.A.], Frauenfest, in: AUF 15 (1978), 41f . 1989.
und die gesamte Kontrolle über die eigene kreative Arbeit zu Resümee Rosmarie Stenek, Frauenfest, in: AUF 23 (1980), 37. Albrecht Koch, Angriff auf´s Schlaraffenland. 20 Jahre
behalten, den ganzen Prozeß in den eigenen Händen zu ha- Carla Weiss, Frauenmusik-Festival im Huset, in: Emma deutschsprachige Popmusik, Frankfurt am Main u. Ber-
ben. Darum wollten wir Frauen mindestens die Gelegenheit Die neue Frauenbewegung versuchte tradierte Geschlechter­ (1978), H. 6, 6-10. lin 1987.
geben, ihre Musik aufzunehmen. Uns war auch klar, daß es rollen aufzubrechen und die Situation von Frauen sichtbar Frank W. Oglesbee, Lady as Tiger: The Female Hero in Rock,
zu wenig Tontechnikerinnen gab. Das ist eines der größten zu machen, um sie in Folge zu verbessern. Erfahrungsberichte: in: Pat Browne (Hg.), Heroines of popular Culture, Ohio
Hindernisse im Zusammenhang mit der Kontrolle über die Auch im musikalischen Bereich schlug sich diese Entwick- 1987, 158-182.
eigene Kreativität. Als Musikerin mußt du heute schon etwas lung nieder. Es wurden Lieder verfasst, in denen im Großen Flying Lesbians, Ungefähr so hat es angefangen…; Cristina Claudia Opitz, Um-Ordnungen der Geschlechter. Einfüh-
von Tontechnik verstehen, sonst ist das Endprodukt einer und Ganzen dieselben Inhalte abgehandelt wurden wie von Perincioli, “Ein kleines Wunder wird vorgestellt”; Cristi- rung in die Geschlechtergeschichte (Historische Einfüh-
Aufnahme etwas komplett anderes, als was du wolltest. Dies der Frauenbewegung. Klarerweise gab es personelle Über- na Perincioli, Wie gründet Frau eine eigene Band; Cillie rungen, Band 10), Tübingen 2005.
ist ein höchst politisches Thema. Tatsache ist, daß die Medien schneidungen. Im Vordergrund standen nicht musikalische Rentmeister, Frauenfeste als Initiationsritual. The Flying Karen E. Petersen, An Investigation into Women-Identi-
und vor allen die Musikindustrie klar von Männern kontrol- Fähigkeiten, sondern die Tatsache, dass ausschließlich Frauen Lesbians spielten zum Tanz der freien Verhältnisse; Cil- fied Music in the United States, in: Ellen Koskoff (Hg.),
liert werden.“ (zit. nach Sterneck 1998, 44) auftraten, manchmal auch, dass, beispielsweise bei Konzerten lie Rentmeister, The Sounds of the Women´s Movement. Women and Music in Cross-Cultural Perspective, Con-
oder Frauenfesten, ausschließlich Frauen anwesend waren. Women´s Rock Bands in Germany (1974-1985), The necticut 1987, 203-212.
Um bei Konzerten nicht auf männlich dominierte Tontech- Diese Tradition wurde in den 1990er Jahren von der Riot Finland Lectures, gehalten in Helsinki 1985; Laura Post, Women´s Music, online unter:
nikfirmen zurückgreifen zu müssen, bildeten sich auch in Grrrl-Bewegung aufgegriffen und ab 2000 in Form von so ge- Cristina Perincioli, Wie gründet Frau eine eigene Band; < http : / / w w w. a l l mus i c . c om / c g / amg .
diesem Bereich eigenständige Frauennetzwerke und -organi- nannten Ladyfesten umgesetzt. Gegenwärtig fällt auf, dass di- alle online unter: <http://www.flying.lesbians.de - dll?p=amg&sql=19:T508> (10.6.2009).
sationen, wie beispielsweise Women Sound Inc. in Washing- ese Feste nach wie vor veranstaltet werden, jedoch nicht mehr geschichte(n)> (23.7.2009) Rosa Reitsamer, Provokation, Poetik und Politik, online
ton, D.C. – gegründet im Jahr 1975 von Boden Sandstrom an einen bestimmten Musikstil gekoppelt sind (wie sie es in Interview mit Gina Volpe (Lunachicks), I don´t want to be unter: <http://translate.eipcp.net/transversal/0307/reit-
und Casse Culver, um Möglichkeiten zu schaffen: den Anfängen an Punk und Hardcore waren). seen as a girl band, in: Anette Baldauf u. Katharina We- samer/de> (15.5.2009).
ingartner (Hg.), Lips Tits Hits Power? Popkultur und Stephanie Kiessling, We Keep On Runnin´. Eine kurze Ge-
“I started the business because it was quite clear that it was go- Gezeigt wurde, dass ein Wechselverhältnis zwischen Musik Feminismus, Wien u. Bozen 1998, 218f. schichte über eine lange: Frauen in der Rock- und Pop-
ing to be very difficult to get to work for any of the sound com- und sozialen Bewegungen, in diesem Fall der neuen Frau- musik, in: Gabriele Rohmann (Hg.), Krasse Töchter,
panies in town because they were totally male-dominated. In enbewegung, besteht, und, dass es nicht immer nur musi- Tonträger & Liederbücher: Mädchen in Jugendkulturen, Berlin 2007, 13-31.
fact, there weren´t any women at all, and it was very hard to get kalische Komponenten sind, die einer politischen Wirkung Ruth Scovill, Women´s Music, in: Gayle Kimball (Hg.),
hired and get trained. It was also very hard to rent equipment von Musik zu Grunde liegen, sondern dass oftmals weitere Flying Lesbians, Flying Lesbians 1974-1976. die erste frau- Women´s Culture. Renaissance of the Seventies. Metu-
and know the quality of what you were getting, so we really de- Facetten eine große Rolle spielen. Musik im Umfeld bzw. als enrockband auf dem continent aus west-berlin, neu chen & London 1981, 148-162.
sired to have our own equipment.” (zit. nach Gaar 1992, 145) Ausdrucksform der neuen Frauenbewegung wurde mittels aufgelegt als CD, Berlin 2007 (1. Auflage als LP, Berlin Arlene Stein, Crossover-Träume: Lesben und Popmusik seit
verschiedener Kriterien als politisch relevant klassifiziert: 1975). den siebziger Jahren, in: Diane Hamer u. Belinda Budge
Das Unternehmen konnte auf Grund der gleichzeitig auf- Die Produktionsmittel blieben in eigener Hand, sprich man Inge Latz (Hg.), Frauen-Lieder. Texte und Noten mit Be- (Hg.), Von Madonna bis Martina. Die Romanze der
kommenden Frauenfeste und vor allem –musikfestivals Fuß lehnte an Profit orientierte Plattenlabels und Vermarktung gleit-Akkorden, Frankfurt am Main 1980. Massenkultur mit den Lesben. Berlin 1996, 23-35.
fassen und Praxis sammeln. Außerhalb der Bewegung wur- ab und griff lieber zur Selbstorganisation oder schloss sich Carol Hanisch (Hg.), Fight On, Sisters. … and other Songs Wolfgang Sterneck, Der Kampf um die Träume. Musik und
de es jedoch, so Sandstrom, durchwegs ignoriert, auch wenn alternativen Vertrieben an. Zusätzlich wurden feministische for Liberation, New York 1978, online unter: <http:// Gesellschaft: Von der Widerstandskultur zum Punk,
es von begeisterten Kollegen weiter empfohlen wurde. (vgl. Medien genutzt und in diesem Rahmen eine Vernetzung scriptorium.lib.duke.edu/wlm/fighton/> (13.5.2007). von der Geräuschmusik bis zu Techno, Stuttgart 1998
Gaar 1992, 145f) und Verbreitung angestrebt sowie neue Formen von femini- Schneewittchens Liederbuch. Alle Texte der Frauenmu- (2. Aufl.).
Neben Mundpropaganda gab es für den musikalischen stisch besetzter Öffentlichkeit aufgebaut. Eine Auftrittsphi- sikgruppe mit Noten und Gitarrengriffen, Reinbek bei Sue Steward u. Sheryl Garratt, Signed sealed and delivered.
Bereich innovative Strategien, Künstlerinnen greifbarer zu losophie wurde verfolgt, nach der man sich als KünstlerIn Hamburg 1982. True Life Stories of Women in Pop, London u. Sydney
machen. Ladyslipper, eine nicht auf Gewinn ausgerichtete bewusst nicht von einem Thron herab über das Publikum 1984.
Organisation, gegründet 1976, gab einen Resource Guide stellte, sondern dieses gleichwertig mit einzubeziehen ver- Ingrid Strobl, Von heute an gibt´s mein Programm, in: Ali-
and Catalog of Records & Tapes by Women zur Orientierung suchte. Dies wurde zum Teil in eigens hierfür geschaffenen Literatur ce Schwarzer (Hg.), Das Emma-Buch, München 1981,
heraus. (vgl. Steward u. Garratt 1984, 63) kulturellen Räumen praktiziert und stärkte ein Wir-Gefühl 109-119.
bzw. Identifikations­möglichkeiten. Die Performance zielte Monika Bloss, Widerstand als Profession? Zu einer Ge- Suzan Turan, Mädchen und Rockmusik. Zum geschlechts-
Im Produktionsbereich war es generell üblich, dass Frauen auf eine Reflexion bestehender Verhältnisse ab und durch- schichte der Frauen in Rock und Pop, in: Neue Zeit- spezifischen Umgang mit einer Musikkultur, in: Eva
durchwegs zu finden waren, jedoch eher dort, wo sie mehr leuchtete diese kritisch. Eine Auseinandersetzung mit der schrift für Musik, (1994), H. 4, 34-37. Rieger Hoffmann (Hg.), Von der Spielfrau zur Perfor-
unsichtbar als wahrnehmbar waren: In „niederen“ Betätig­ Art der gespielten Musik fand statt, was auf eine Ganzheit- Jasmine Bonnin, Auf der Suche nach der Frauenmusik, in: mance-Künstlerin. Auf der Suche nach einer Musikge-
ungsfeldern wie der Gebäudereinigung, dem Büro- oder dem lichkeit des künstlerischen Konzepts schließen lässt. Schlus- Lottemi Doormann (Hg.), Keiner schiebt uns weg. Zwi- schichte der Frauen, Kassel 1992, 174-182.
Verpackungsbetrieb waren oft ausschließlich Arbeiterinnen sendlich unterstrichen die in den Texten thematisierten schenbilanz der Frauenbewegung in der Bundesrepu- Sandra Wernegger, Die neue Frauenbewegung in Salzburg.
beschäftigt. In letztgenanntem konnten diese eine gewisse Inhalte alle genannten Punkte und sind wie ein Spiegel der blik, Weinheim und Basel 1979, 245-249. Von ihrer Entstehung bis zur Institutionalisierung, Di-
Form von Macht und Mitbestimmung einfließen lassen, in- neuen Frauenbewegung zu lesen bzw. zu hören. Sonja Eismann, Wie machen wir es uns selbst? Gedan- plomarbeit, Salzburg 2009.

22 skolastin skolastin 23
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das schmutzige Unterholz der Diskurse geschliffen, haben Verschiedene Taktiken ausprobierend, schlagen sich die
die Zeichen ihre Eindeutigkeit verloren, können Identifika- Guerilleras also mit Aktionshose, Babydolls und Dildo-
tionsmittel genauso wie Unterdrückungsmechanismen sein. Schwertern, die Ironie als Abwehrschild vor die Brust ge-
Denn das eine schließt das andere nicht aus, es schließt es schnallt, seit geraumer Zeit durch dasselbe Buschwerk.
vielmehr ein und umzingelt es. Weil es kein außerhalb der Peaches schnallt sich dabei an Stelle der Ironie auch mal ger-
durch Macht besetzten Zeichen gibt, muss man sich ihrer ne Plastikbrüste vor die eignen. Auch sie tarnt ihren Körper
in einem ständigen Nahkampf bemächtigen. Dagegen heißt als das, was er ist: ein Sex-Objekt; und will ihn dadurch ei-
immer auch mit. So lautet zumindest der Konsens einer Ge- genmächtig sexualisiert zum Subjekt machen. Eine Strategie
neration, die, wenn wir in den Kategorien der Guerilla, der die bei Mick Jagger oder Iggy Pop funktionierte, ohne dass
Simulation und des Spiels denken, bei der Wahl der Waffen das Publikum glaubte, es sei ironisch gemeint, und wenn
am häufigsten zur Ironie greift. Peaches danach gefragt wird, sagt sie, sie meine das alles
auch durchaus ernst. Ihr drittes Album trägt den sinnigen
Ende der Sechziger schneidert sich Valie Export die Akti- Titel Fatherfucker und die Künstlerin auf dem Cover einen
onshose Genitalpanik. Kathleen Hanna, Frontfrau von Biki- Vollbart. Die Glamshockerin meint dazu »I want to make it
ni Kill und le Tigre, schreibt sich Anfang der Neunziger mit even between fathers and mothers«3 und dass sie dem Pub­
rotem Lippenstift SLUT auf den Bauch und Peaches, Elec- likum auf ihre Weise sagen wolle, was sie vom derzeitigen
tro-Punkerin und eine der KuratorInnen in Krems, klemmt Musikmarkt halte. Ein Markt, dessen Regeln sie beherrscht,
sich vor nicht allzu langer Zeit in ihrer Bühnenshow einen den sie in sich und der sie vor allem in sich aufgenommen
Bist du kein Mädchen oder kein Bub? riesigen aufblasbaren Phallus zwischen die Beine. hat. Wenn die Riot Grrrl, in deren Tradition Peaches mit
Sicherheit steht, sich wohl eher als subkulturelles Phänomen
Anna Gschnitzer Dass bei der Aktionshose Genitalpanik Namen noch Pro- der Parodie und der Ironie als Mittel bedienten, um sich
gramm war, bewirkte nicht allein die Maschinenpistole mit dem Markt zu widersetzten, sich nicht von ihm einnehmen
der sich Valie Export Neunzehnneunundsechzig durch die zu lassen, geht Peaches eine Liaison mit ihm ein. Sie scheint
engen Sitzreihen eines Münchner Pornokinos zwängte. Das überhaupt sehr wenige Berührungsängste zu haben, ob es
Vor einigen Monaten habe ich eine CD geschenkt bekom- kapitalistischen Art, die Dinge zu tun, [um] […] Bands zu mittels im Schritt ausgeschnittener Hose kämpferisch und nun um den Mainstream geht, das eigene oder das andere
men. Auf dem Rohling stand nichts, nur in der Hülle steckte gründen, Fanzines zu betreiben, sich gegenseitig das Spielen aggressiv ausgestellte weibliche Geschlecht schlug die vor- Geschlecht, sie kennt kein Halt. Männliches Macho-Gehabe
eine Konzertkarte für das Donaufestival 2010 in Krems, die von Instrumenten beizubringen und überhaupt zurückzu- nehmlich männlichen Kinobesucher in die Flucht. Das, was hat sie genauso intus wie weibliche Posen. Denn ihr Kampf
sich auf den zweiten Blick als eigentliches Geschenk heraus schlagen“1. Diese Mädchen konnten sich weder mit einer sie durch den Filter der Leinwand konsumieren wollten, soll ein lustvoller sein, es soll darum gehen gemeinsam den
stellte. Ich dachte, dass die CD ein musikalischer Vorge- Weiblichkeit identifizieren, wie sie in einer von Männern stellte plötzlich „in Echt“ eine Bedrohung dar. Damals wie eigenen Körper zu feiern und um die Frage: „Kommst du
schmack auf das sei, was ich mir vom letzten Abend der dominierten Rockszene wahrgenommen wird, noch sahen heute ist das Publikum des Porno- und Kunstmarkts also mit dieser Feier klar, wenn sie völlig offen und gleichbe-
Veranstaltungsreihe für zeitgenössische Kunst und Kultur sie sich in dem kategorischen WIR der vorangegangenen oversexed-and-underfucked, mit dem einen Unterschied, rechtigt ist?“4. Ohne es mit gleicher Münze heimzahlen zu
erwartete. Ich legte sie ein und glaubte schon die ersten Töne Frauenbewegungen vertreten. Ihr Widerstand war anders. dass heute darüber geschmunzelt wird, was damals noch wollen, befiehlt sie dem Publikum: Shake yer dix! und feuert
von „fuck the pain away“ erklingen zu hören. Den Hit, dem Er war laut, rotzig, bunt, und er war vor allem eins: ironisch. schockierte. gleich darauf ein Shake yer tits!5 durch das Mikro.
Peaches ihr Ankommen im Mainstream zu verdanken hat Sie agierten mit Stereotypen und Klischees der Populärkul- Dass es zwischen Sexualisierung und Sexismus einen
und den die kanadische Musikerin in Krems in einer ihrer tur, gegen diese. Ich rasierte mir derweil, pubertierend wie Ironie, Parodie und Masquerade sind jedoch nach wie vor Unterschied geben soll, ist allerdings in der gegenwärtigen
übersexualisierten, queeren Rockshows performen sollte. ich war, die langen braunen Locken vom Kopf, schminkte die (alten) neuen Zauberwörter. Sexistische Stigmata der Frauenbewegung nicht ganz so einheitlich beschlossen.
Stattdessen hörte ich „Wir werden immer größer. Die be- mir die gepiercten Lippen rot und lachte meiner armen Kulturindustrie sollen umgedeutet und dadurch unschäd- Man schimpft vielmehr auf die „Wellness-Feministinnen“6,
sten Lieder des Grips-Theaters“, sozialistisch-feministische Mutter ins erbleichte Gesicht. Zu dieser Zeit wusste ich es lich gemacht werden. Ein kynischer Trick, den schon der die „ewigen Mädchen“7, die „Feministinnen-und-trotzdem-
Kinderlieder aus den Siebzigern, mit denen ich nicht auf- noch nicht zu schätzen, heute ist mir jedoch klar: so leicht Philosoph Diogenes von Sinope für sich nutzte. Da er, sei- geil-Fraktion“8, und ich muss zugeben, dass es auch mir die
gewachsen bin. Ich sah mir das von meinen Freundinnen wie damals - hinter den südtiroler Bergen, bei den sieben- ner Zeit, eine Mülltonne bewohnte und sich auch der all- Nackenhaare auf keine angenehme Art und Weise aufstellt,
liebevoll selbstgebastelte CD-Cover, sprich die Konzertkarte tausend reaktionären Zwergen meines Geburtsorts - werde gemeinen Meinung nach recht stinkig und bissig benahm, wenn ich Forderungen lese wie „Subversion durch Schön-
mit dazugehörigem Flyer, noch einmal genauer an und las: ich kein revolutionäres Herzflattern mehr bekommen. verliehen ihm die Bürger der Stadt den Beinamen „kyon“, heit“9. Die Riot- Grrrl wurden schon während ihres Auf-
„Failed Revolutions“, das diesjährige Motto des Festivals. der Hund. Er wies die Beleidigung jedoch nicht zurück, kommens in den Neunzigern für die breite Masse zu den
Kurz bevor die dritte Welle des Feminismus von Ameri- Ich habe, wie wir alle, gelernt, dass wir in einer Welt aus Bil- sondern pisste, wie es einem echten Hund gebührt, den Be- Girlies à la Lucilectric getunt, und auch ich kann mich noch
ka nach Europa schwappte, sang mir meine Mutter in der dern und Zeichen leben. Dass die reale Welt sogar mit die- leidigern von nun an ans Bein. Die Riot-Grrrl zogen sich daran erinnern, wie sie sich glücklich über ihr von sexisti­
alpenländischen Provinz das Lied über die fleißigen Wasch- sen eingetauscht wurde, dass die Zeichen auf keine Realität Babydolls und zu kurze Röcke an, bezeichneten sich als sche Machtstrukturen geregeltes Leben, durch den Wur-
frauen vor, denen man die Füße und Schuhe zeigen sollte mehr verweisen, sondern selbst zur Realität geworden sind. Schlampen und versuchten sich dem Begriff Girl anzueig- litzer schaukelten. Doch leider gibt‘s fürs Hübschsein kein
und die den ganzen Tag nichts anderes tun als waschen, wa- Wenn etwas erreicht werden soll, muss man notgedrun- nen, indem sie den Vokal durch ein Knurren ersetzten. Sie Bargeld auf der Post, keine Gleichberechtigung auf dem Ar-
schen und nochmals waschen. Das war Ende der Achtziger. gen mit den vorgegebenen Bildern operieren, sich durch schrieben sich nicht nur in die patriarchale Sprache und beitsmarkt und Nein! Sex-and-the-City und die Gilmore-
Im darauffolgenden Jahrzehnt schlossen sich in den U.S.A. das Dickicht dieser Symbole schlagen. Durch einen semi- Herrschaftsstruktur ein, sondern schrieben sie um. Eine Girls sind verdammt noch mal keine feministischen Fern-
Riot-Grrrls zu Punk-Bands wie Bikini Kill, Hole oder Brat- otischen Dschungel, der sich nicht mehr vom Tarnanzug, parodistische Inszenierung der sexuellen Identität, die gera- sehserien! Seit man dahinter gekommen ist, dass sich die
mobile zusammen, um ihre eigenen Lieder zu singen und in dem wir stecken, unterscheiden lässt. Es ist kein Krieg, de durch ihr eigenes, wiederholtes und dadurch verfremd­ domestizierte Variante der Riot-Grrrl ohne feministischen
um „Alternativen zu schaffen zur beschissenen, christlich- den wir mit den Zeichen führen, es ist eine Guerilla. Durch etes Spiel behauptet: I won‘t play girl to your boy no more!2 Subtext im Grunde genommen viel besser vermarken lässt

24 skolastin skolastin 25
- vor allem wenn man auch noch so tun kann, als hätte man loren haben oder aber, sie in sich widerständig geworden
diesen vor lauter Eigenbemächtigung gar nicht mehr nötig - sind, indem man ihnen ihre Symbolhaftigkeit entrissen hat,
darf der Feminismus endlich wieder sexy sein! Warum? Na kaufe ich mir für das Kopfkarussell immer wieder von neu- Records that matter?
„weil ich ein Mädchen bin, weil ich ein Määädchen bin...“10 em ein Ticket und am liebsten würde ich dabei singen.
Judith Butler und Populärkultur
Der militärische Begriff der Avantgarde macht bei Valie „Wenn wir groß sind
Export nicht nur im künstlerischen Kontext Sinn. Sie hat gehen wir gemeinsam ran Martin Fritz
das gesellschaftspolitische Bild der Frau verändert. Sie hat werden wir als Frau und Mann
ihren Körper, durch den männlichen Blick, nicht mehr Bagger, Kran und Haushalt führen
konsumierbar gemacht. Sie hat die Schlacht gewonnen, Babies wickeln, demonstrieren
aber nicht die Guerrillia. Denn ich ertappe meinen Blick, wirklich gleiche Menschen sein! 1. Die diskursiven Grenzen der Theorie plexen Text wollen wir nicht fürchten, sondern als möglicher-
wie er, durch die Medien männlich trainiert, die in einem So wird‘s sein!“11 weise produktives Missverständnis auffassen.
Zungenkuss vereinten Körper von Britney Spears und Ma- Judith Butlers Bedeutung für eine femistische, postfemini- Die leidige und zu viel geführte Debatte, was denn nun
donna einfängt. Dadurch, dass sie sich anblicken, ziehen Der Titel dieses feministischen Kinderliedes aus ver- stische, queere (oder wie mensch sie auch immer sonst be- (und vor allem: was mit welchen Konsequenzen) als pop-
sie die Blicke auf sich – lesbische Liebe für die männlich- gangenen Zeiten, die Nummer 17 auf dem Album Wir wer- zeichnen möchte) Kulturtheorie ist seit ihrem bahnbrech­ kulturelle Ware zu bezeichnen sei, muss an dieser Stelle
mediale Show? Keine schlechte Verkaufsstrategie, die sich den immer größer heißt im Übrigen: Mädchen lasst euch enden, mittlerweile als Klassiker gehandelten Gender glücklicherweise entfallen; Ersatz dafür findet sich im alltäg-
die ehemalige Ikone der Lesben- und Schwulenbewegung, nichts erzählen. Ironie liegt im Auge des Konsumenten. Trouble (1990)1 relativ2 unbestritten und kann vielleicht lichen Kneipengeschwätz und im sogenannten avancierten
Madonna, hier ausgedacht hat. Peaches meint dazu, sie gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Butlers in post- Popdiskurs (Zeitschrift Spex bis 2006, Zeitschrift testcard
wolle endlich sehen wie Justin Timberlake und Pharrell strukturalistischen bzw. dekonstruktiven Wurzeln fußen- etc.) zur Genüge. Wir wollen hier nur festhalten, dass wir es
Williams auf der Bühne rummachen. Wenn sie auf der Anmerkungen des Theoriegebäude ist aufgrund seiner teilweise sehr vo- mit Phänomenen zu tun haben, die aufgrund von unklaren
Bühne steht, dann zieht sie die Blicke auf sich, indem sie raussetzungsreichen Sprache sowie seinem fundamentalen strukturellen und funktionellen Merkmalen in einen Dis-
sie erwidert. Sie blickt zurück und will das genauso ver- 1 “revolution girl style now, the riot grrrl manifesto” online unter: http:// Infragestellen dessen, was sich ein so genannter gesunder kursraum gestellt werden, der in vager Abgrenz­ung zu einer
kauft wissen. Der Postfeminismus, um nicht zu sagen Pop- onewarart.org/riot_grrrl_manifesto_print.htm zuletzt ges. 24.05.2010 Menschenverstand wohl als gegeben denken mag, nicht so genannten „Hochkultur“ gemeinhin als „Popkultur“ be-
feminismus, will auf den Markt und dort den Acker um- 2 “ Sugar” von Bikini Kill, Album Pussy Whipped, Label Kill Rockstars. allzu leicht zugänglich, weswegen der Theoretikerin unter zeichnet wird.3
graben. Ein Widerstand mit Widerverwertung, oder doch 1993 anderem oft vorgeworfen wurde, ihre Theorie sei von den Fragen nach Sinn und möglichem Erfolg kritischen
letztes Glied der ökonomischen Kette? 3 Cucci, Benedetta: „»Fatherfucker« vs. »Fuck the Pain«: Peaches ist zu- Anliegen eines pragmatisches Handeln bedürfenden All- (pop-)kulturellen Kunstschaffens oder kulturtheoretischer
rück!“ skug journal für musik, 10. Dez. 2003, online unter: http://www. tagsfeminismus weit entfernt, also eben zwar „in der Theo- Tätigkeit werden damit natürlich noch nicht einmal gestellt,
Im Gemischtwarenladen der sexuellen Identität kommt skug.at/index.php?Art_ID=2704, zuletzt ges. 01.06.20010 rie“ schön und gut, praktisch aber wenig zielführend. das bisschen Problembewusstsein, das so geschaffen werden
man vor lauter Auswahl aus dem Staunen nicht mehr raus 4 „Lass uns (nicht) über Sex sprechen“ Interview mit Peaches von Florian Der vorliegende kleine Essay versucht nun eine Lektüre kann, ist uns die Arbeit und die Verwirrung aber jedenfalls
und hat die Qual der Wahl. So in etwa las ich das zumin- Sievers in: Spex. Das Magazin für Popkultur No. 9/2003. S. 53. relativ beliebig ausgesuchter populärkultureller Hervorbrin- vorerst noch wert.
dest auf den sonst eher sauber geschrubbten Klowänden 5 “Shake Yer Dix” von Peaches. XL Recordings, 2003. gungen vorzustellen, wie sie in der Rezeptionsbiographie eines
in Krems. Da stand in schwarzen Lettern die Frage: Bist du 6 Alice Schwarzer in der Dankesrede für den Ludwig Boerne-Preis durchschnittlich Popkulturinteressierten eben so anfallen
kein Mädchen oder kein Bub? Und als ich mich von der zitiert nach „Wider den Wellness-Feminismus“ von Susanne Gabriel in (was auch eine sinnvolle Auswahl ist, denn normale Rezep- 2. Pants, Suicide, Queens
Toilette, die brav entweder nur von Mädchen oder nur von Süddeutsche Zeitung 04.05.2008 online unter: http://www.sueddeutsche. tion oder so genanntes normales Leben verläuft ja ebenfalls
Buben benutzt wurde, durch die Publikumsmasse Richtung de/kultur/ludwig-boerne-preis-fuer-alice-schwarzer-wider-den-wellness- nicht anders als zufällig und chronologisch wie thematisch 2.1 Pants
Bühne drängte, fiel mir ein Interview ein, indem die zwei feminismus-1.193970 zu letzt ges. 01.06.10 ungeordnet), die oder deren Lektüre gewissermaßen als Illu­
Rapperinnen von Yo!Majesty - die auch auf dem neuen 7 Ebda. strationen oder, wenn man so will, praktische Anwendung Pauline Boudry, Sara John und Linda Wölfel veröffentlichten
Album von Peaches, I feel cream, zu hören sind - gefragt 8 „Die Work-Wife-Balance“ von BarbaraGärtner in: Süddeutsche Zei- butler‘schen Gedankenguts erscheinen. Als Hintergrundfolie unter dem für sich schon binäre Geschlechtskategorien ver-
wurden warum sie ihre T-Shirts auf der Bühne auszogen. tung 08.05.2008 online unter: http://www.sueddeutsche.de/kultur/der- und Rahmen dieses Butler-Pops wird einerseits die Einleitung wirrenden Projektnamen rhythm king and her friends 2004
Die beiden meinten sie würden auf die Frage nur antworten, neue-feminismus-die-work-wife-balance-1.206507 zu letzt ges. 01.06.10 ins Judith Butlers Bodies that matter (1993) herangezogen so- das Album i am disco. Darauf findet sich der Track pants,
wenn man ihnen den Beweis erbringen würde, dass 50Cent 9 „Pop-Feminismus. Sex, Schweiß und Selbstironie“ von Bernadette La wie andererseits die Subjektivität des Autors und seine Rezep- der das alt bekannte Problem, vor dem Kleiderschrank zu
bereits dieselbe Frage gestellt bekommen habe. Hengst in: Spiegel Online Kultur am 29.04.2008 tionstrategien ins Spiel gebracht und befragt. So sollen Fragen stehen und nicht wissen, was anzuziehen verhandelt:
Also doch ironischer Aufstand durch dissidenten Kon- 10 „Weil ich ein Mädchen bin“ von Lucilectric. Album Mädchen. Label nach der Relevanz popkultureller Waren beziehungsweise der
sum. Schließt sich der Kreis? SinsSing. 1994 Rezeption ebendieser wie der eines Bulter‘schen Denkens be- what can i wear today?
Ja, ich kann mich ewig weiter drehen. Bei der Frage, ob 11 „Mädchen lasst euch nichts erzählen“ von Volker Ludwig & Birger ziehungsweise dessen Anwendbarkeit zumindest aufgeworfen choose my pants or shall i use my dress
die Zeichen ihre Symbolhaftigkeit und ihren revolutionären Heymann . Album Wir werden immer größer. Die besten Lieder des werden. Eine mögliche Trivialisierung und Verflachung bei everything looks queer today
Impetus, durch den Widerstand und seine Aneignung ver- Grips-Theaters. Verlag Patmos. 2008 dieser Konkretisation von Butlers hoch abstraktem und kom- i know i need a small vacation from my boyish closet4

26 skolastin skolastin 27
Die (wie schon erwähnt) durch ihren Namen, in Inter- Oder können wir in der beständigen Störung (durch das ell, also a priori als heterosexuell rezipierten) männlich The emerging term drag king is a woman, often lesbian iden-
views, im Auftreten auf der Bühne und im Artwork der normalerweise nicht sprechende, jetzt aber sprechende ab- agierenden Subjekten bestehenden Band Tocotronic, die tified, who performs as a male persona. [...] I use the term
Platte wie nicht zuletzt durch ihre Songs selbst sich ex- ject) der immer wiederholten (und nur durch diese Wie- ihre Bewunder­ung für die queere Frauenband als Männer lesbian drag queen to describe largely lesbian identified wo-
plizit in einen queeren Kontext stellenden KünstlerInnen derholung hervorgebrachten) Normen nicht in Wahrheit gleich mitthematisieren: men who perform hyper-feminine images. In this work I also
verqueeren hier das klassische heterosexuelle Dilemma eine Stabilisierung genau der Normen sehen, die eigentlich outline lesbian drag kings, gay drag queens, and gay drag
„Frau weiß nicht, was anzuziehen, um Mann zu gefal- destabilisiert werden sollten? Verkommt queere Subkultur Es hat mich lange schon nichts so sehr kings, which combined with straight men and women who
len”, mit der Konsequenz, dass die sonst von den queeren nicht vielleicht gerade zu dem Gegenteil, dass die hetero- Berührt wie diese Team Dresch Platte sometimes attended court sponsored drag shows, make up
KünstlerInnen als stolze Selbstbezeichnung umgedeutete sexuelle Norm als auszuschließendes Außen braucht, um [...] what I argue are the multiple genders of the court. (Meinecke
Kategorie queer in ihrer (in einer normativ heterosexu- sich selbst zu definieren? Diese Harmonie diese wunderbaren Lieder 2006: 48)
ellen Logik immer schon so gebrauchten) abwertenden Ich fand mich sofort in diesen Liedern wieder
Bedeutung als „eigenartig, verschroben, suspekt“ ver­ Und ich weiß sie singen nicht für mich Wieder einmal mehr erscheint das Festhalten an binären
wendet wird, während die nicht-ursprüngliche Ausgangs- 2.2 Don‘t Try Suicide Und ich weiss doch trotzdem glaube ich Geschlechtskategorien (Mann/Frau, Heterosexuell/Ho-
bedeutung der stolzen Selbstbezeichnung immer noch im Daß ich sie verstehen kann mosexuell, Nicht-Drag/Drag) angesichts der unüber-
Hintergrund mitschwingt. Es sieht nicht alles im queeren Auf der 1996er Platte Captain My Captain der später der Obwohl ich bin ein Mann schaubaren Zwischenstufen wenig sinnvoll, die sich nicht
Kleiderschrank straight aus, sondern das queer des queer Riot-Grrrl-Bewegung5 (oder anderen Subgenres wie etwa Und trotzdem finde ich sie super6 in dieses Schema einordnen lassen, oder eben nur so
ist eben auch irgendwie queer. Zeit für Urlaub vom all- „Queercore”) zugerechneten Band Team Dresch findet schwer, dass das Schema (die Geschlechter-Matrix, wenn
zu queeren queeren Kleiderschrank also, der dann doch sich der Song Don‘t Try Suicide, auf dem die Sängerin ihre Kann man Rezeptionsweisen wie diese als ein Zitieren der man so will) sich selbst dabei in Frage stellt. Wieder ein-
zu boyish wirkt. Die Begriffs- und Kategorienverwirrung Angstattacken thematisiert, die ihre sie beschützende und Normen betrachten, das die Normen zitiert, um sie anders mal mehr stellt sich die Frage, ob dieses sich Einbringen
wird im Refrain und in den weiteren Strophen weiterge- beruhigende Freundin lindert: wiederherzustellen, um ihre „Macht zu wiederholen und zu des abject (z.B. der sich nicht eine heteronormative Ord-
trieben: kooptieren, um die heterosexuelle Matrix aufzudecken und nung einfügenden Lesbian Drag Queens) in die seinen
My girlfriend cuddles me and holds me when i cry den Effekt ihrer Notwendigkeit zu ersetzen“ (Butler 1997: Auschluss als abject hervorbringende Ordnung im Stande
in order to celebrate you beautiful if only i had the power to I tell her that i‘m scared, she says that i won‘t die 39)? ist, diese Ordnung zu untergraben oder sie nur gerade da-
change my sex and pleasure twenty times a day! She tells me i‘m OK but i don‘t believe her, but it makes me durch stützt, dass es eben ist, was es sein soll: destabili-
[...] feel better anyways siernd stabilisierendes Abject.
in order to tell you how dear you are to me 2.3 Kings & Queens
i‘d like to be a man to please you and a woman to make you Als 1982 Geborener konnte ich diesen Song als hetero-
happy sexuell, männlich agierendes (und 1996 pubertierendes) Zu der Ausstellung Das achte Feld. Geschlechter, Leben und 3. Nicht bloß imaginäre Anfechtung?
Subjekt auch für meine Lebenssituation passend lesen: Begehren in der Kunst seit 1960 in Köln7 verfasste der späte-
Dass hier eine an essentialistischen Kategorien einer Die von einer US-amerikanischen, homosexuell, weiblich stens seit seinem absatzweise Butler-Texte zitierenden Ge- Die kurze Lektüre unserer drei Beispiele hat also gezeigt,
„Weiblichkeit“ oder „Homosexualität/Heterosexualität“ agierenden KünstlerIn geschrieben Lyrics, die die Gebor- nderdiskursroman Tomboy (1998) aufs Thema abonnierte dass Phänomene wie die oben behandelten mit Butlers be-
festhaltende Theorie das Problem des zu bübischen, les- genheit einer homosexuellen, weiblichen Freundin be- und wohl auch nicht zu Unrecht häufig als Popliterat be- grifflichem Instrumentarium recht treffend beschrieben
bischen Kleiderschranks und des Begehrens als Frau wie schreiben, waren für einen Vierzehnjährigen ohne großen zeichnete Thomas Meinecke den narrativen Beitrag Feldfor- werden können (was essentialistisch argumentierenden
als Mann der begehrten Person zu begegnen, nicht zu be- Kopfzerbrechen auf das eigene Begehren adaptierbar. Kön- schung, eine Sammlung von kurzen Prosatexten. Im darin Kulturtheorien, die statische Geschlechtsidentitäten postu-
schreiben in der Lage sein wird, liegt auf der Hand. Kön- nen wir meine (sicher nicht individuelle, sondern kollektiv enthaltenen Text Kings & Queens werden Beiträge aus einer lieren, wohl nicht zuzutrauen ist). Wir haben gesehen, dass
nen wir rhythm king and her friends‘ Durchdeklininieren in (auch heterosexuellen) Jugendzimmern der Neunziger Diskussion eines Onlineforums montiert, die sich von der sich alle drei Beispiele in einem letztlich schwer oder gar
bzw. Durchdekonstruieren von Geschlechtskategorien erfolgende) Aneignung queerer Popkultur nun ebenfalls Ausgangsfrage entwickelt, wie weibliche Personen zu be- nicht aufzulösenden Spannungsfeld befinden zwischen der
besser fassen mit Butlers Begriff des abject (Butler 1997: als eine produktive Krise lesen, die die Konsolidierung der zeichnen wären, die sich so kleiden, dass sie als männliche schleichenden Veränderung und der ebenso schleichenden
23)? Ist das Unbehagen darüber anzumelden, nicht zwan- Normen des biologischen Geschlechts zu stören vermag? Drag Queens durchgehen können: Reproduktion der eine beständige Wiederholung bedür-
zig Mal am Tag das Geschlecht wechseln zu können, also Ist mein Hineinversetzen in ein weiblich-homosexuelles fenden heteronormativen Prozesse, in denen Subjekte und
eben nicht ein Geschlecht anzunehmen (und damit zum Begehren wirklich so normativ heterosexuell, wie es auf Somewhere in my memory, I have the notion that there is a ausgeschlossenes abject entstehen. Es gibt eben kein „volun-
Subjekt zu werden), ein Repräsentieren eben des Verwor- den ersten Blick scheint, oder eigentlich ein Überschrei- specific term for women who dress up to resemble or pass for taristisches Subjekt [...], das ganz unabhängig von den regu-
fenen, des abject, das normalerweise ja eben nicht reprä- ten der normierten Geschlechtergrenzen und genuin transvestites like those portrayed in Priscilla, Queen of the lierenden Normen existiert, die es bekämpft“ (Butler: 1997:
sentiert wird, sondern nur als notwendiges Außen zum un-genuines queeres Empfinden? Oder kommt unter Desert. (Meinecke 2006: 46) 39), ebensowenig wie ein Subjekt von den regulierenden
(vgl. Butler 1997: 23) funktionierenden Subjekt fungiert? dem Geschlechtskategorienverwirrungsstrich abzüglich Normen so vereinnahmt würde, dass es die Möglichkeit
Ist dieses Repräsentieren des abject nun eine jener Instabi- aller Metareflexion doch wieder nur die alte Boy-wants- Im Zuge der zunehmend ausufernden und immer abstruser gänzlich verlöre, sich dagegen aufzulehnen: „Das Paradox
litäten, die die Möglichkeit besitzen, „die Konsolidierung Girl-Geschichte heraus? Und was hat es zu bedeuten, werdenden Diskussion werden verschiedenste Begriffe und der Subjektivierung (assujetissement) besteht genau darin,
der Normen des biologischen Geschlechts in eine poten­ dass ich auf Team Dresch nur aufmerksam wurde durch Unterkategorien vorgeschlagen, bis sich die Unter-Unter­ daß das Subjekt, das sich solchen Normen wiedersetzte,
tiell produktive Krise zu versetzen“ (Butler 1997: 33)? einen Song der aus (zumindest nicht explizit homosexu- kategorie selbst ad absurdum zu führen scheinen: selbst von solchen Normen befähigt, wenn nicht gar hervor-

28 skolastin skolastin 29
FOR EVERY GIRL WHO IS TIRED
OF ACTING WEAK WHEN SHE IS
STRONG, THERE IS A BOY TIRED OF
APPEARING STRONG WHEN HE
FEELS VULNERABLE. FOR EVERY
gebracht wird“ (Butler: 1997: 39). Performatitivität ist eben 3 Vgl. zu dieser Abgrenzung auch: http://static.twoday.net/assotsiations- BOY WHO IS BURDENED WITH
vertrackter, als es ein Begehren nach einfachen Lösungen
THE CONSTANT EXPECTATION OF
klimbim/files/ist-doch-nur-pop.pdf.
vielleicht gerne hätte. 4 Zitiert nach dem Booklet von i am disco.
Offen bleibt dabei die Frage, ob die traktierten Popkul- 5 Der im Übrigen derzeit ein Revival prophezeit wird: http://is.gd/b5xv2.
turgüter angesichts ihrer doch sehr bescheidenen Verbreit­
ung Relevanz im Sinne von Breitenwirksamkeit für sich
6 Zitiert nach einer Tocotronic -Fansite: http://tocotronix.de/texte/in-
dex.php?modus=details&tid=5#die_sache_mit_der_team_dresch_platte KNOWING EVERYTHING, THERE
IS A GIRL TIRED OF PEOPLE NOT TRUSTING HER
beanspruchen dürfen,8 oder noch allgemeiner, ob auf dem (6.7.2007).
Weg kultureller Praxis überhaupt etwas anderes als lediglich 7 Vgl. http://www.museenkoeln.de/ausstellungen/mlu_0608_feld
„imaginäre Anfechtung“ (Butler: 1997: 49) erreicht werden (6.7.2007).
kann, oder ob gerade diese symbolische Arbeit es ist, was
die hier schon viel beschworenen „produktiven Krisen“
8 Was z.B. bei den mit (Weiblichkeits-)Klischees nicht zu knapp spie-
lenden Mainstream-Musikvideos Lady Gagas gewiss anders zu beurteilen
INTELLIGENCE. FOR EVERY GIRL WHO IS TIRED
OF BEING CALLED OVER-SENSITIVE, THERE IS
(Butler 1997: 33) bewirken kann. wäre – aber das wäre wiederum eine andere Diskussion. Vgl. z.B. das Video
Und fraglich bleibt weiters, ob wir damit zufrieden sein zu „Telephone“: http://www.youtube.com/watch?v=GQ95z6ywcBY (so-
können, Butlers Reflexionsniveau in extrem verwässerter lange es trotz Urheberrechts- und Lizenzgründen eben noch dort online
Form langsam auch in den Mainstream einsickern zu se-
hen, wie z.B. im Spiegel, der im Zuge seiner Frauen-Serie
ist, später helfen Suchmaschinen).
9 Supp, Barbara / Bonstein, Julia / Dürr, Anke / Krahe, Dialika / Thei-
A BOY WHO FEARS TO BE GENTLE, TO WEEP.
FOR EVERY BOY FOR WHOM COMPETITION IS
einen neuen Feminismus in Deutschland aufkeimen le, Merlind / Voigt, Claudia / Werner, Kathrin: Die Alpha-Mädchen. Wie
sieht: eine neue Generation von Frauen die Männer überholt. In: Der Spiegel,
Nr.24/2007, S. 56-71, hier S.60.
Neu am jungen Feminismus ist vor allem der Gedanke, dass
nicht die Männer die Feinde sind, sondern die gesellschaft-
10 Supp, Barbara / Bonstein, Julia / Dürr, Anke / Krahe, Dialika / Thei-
le, Merlind / Voigt, Claudia / Werner, Kathrin: Die Alpha-Mädchen. Wie
THE ONLY WAY TO PROVE HIS MASCULINITY,
lichen Strukturen – und die gilt es zu bekämpfen.10 eine neue Generation von Frauen die Männer überholt. In: Der Spiegel,
Nr.24/2007, S. 56-71, hier S.60. THERE IS A GIRL WHO IS CALLED UNFEMININE
Ob es begrüßenswert ist, was hier an vielleicht richtig Ge- 11 Ein Jahrzehnt, das ja noch diversen anderen thematisch relevanten
meintem, aber doch so vereinfacht Formulierten, dass es
eigentlich (im Sinne Butlers) schon wieder falsch ist, publi-
popkulturellen Kram bereit hielt, vgl. etwa: http://en.wikipedia.org/wiki/
Homosexuality_in_speculative_fiction#Television.
WHEN SHE COMPETES. FOR EVERY GIRL WHO
ziert wird, ist nun nicht eben leicht zu entscheiden. Ebenso
bleibt offen, was die oben beschriebenen Rezeptionen bei THROWS OUT HER E-Z-BAKE OVEN, THERE IS
der Konstruktion meines eigenen kleinen Subjekts (und so Literatur
auch der der anderen durchschnittlich popkulturell inte-
ressierten in den Neunzigern11 im deutschen Sprachraum Butler, Judith: Gender Trouble. Feminism and the Subver-
A BOY WHO WISHES TO FIND ONE. FOR EVERY
Aufgewachsenen) bewirkt haben; wir können hier nur das
beste hoffen.
sion of Identity, New York / London, Routledge, 1990
Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt BOY STRUGGLING NOT TO LET ADVERTISING
a. Main, Suhrkamp 1991

Anmerkungen
Butler, Judith: Bodies that Matter. On the Discursive Limits
of „Sex“, New York / London, Routledge, 1993
DICTATE HIS DESIRES, THERE IS A GIRL FACING
1 Zwar verwendet diese Arbeit die deutschen Übersetzungen von Butlers
Butler, Judith: Körper von Gewicht. Die diskursiven Gren-
zen des Geschlechts, Frankfurt a. Main, Suhrkamp, 1997 THE AD INDUSTRY’S ATTACKS ON HER SELF-
Meinecke, Thomas: Tomboy, Frankfurt a. Main, Suhrkamp,
ESTEEM. FOR EVERY GIRL WHO TAKES A STEP
Texten, die Angabe des Erscheinungsjahrs der englischen Originalausga-
ben sowie deren Titel erscheint aber deswegen sinnvoll, weil diese zum 1998
Teil auf die (zum Teil US-amerikanischen) KünstlerInnen der im Folgen- Meinecke, Thomas: Feldforschung, Frankfurt a. Main,
den vorgestellten popkulturellen Erzeugnisse mehr Einfluss hatten als die
Übersetzungen.
Suhrkamp, 2006
rhythm king and her friends: i am disco, kitty-yo, 2004 TOWARD HER LIBERATION, THERE IS A BOY WHO
FINDS THE WAY TO FREEDOM A LITTLE EASIER.
2 Vgl. die Beiträge von Prager und Kynik in diesem Band. Team Dresch – Captain My Captain, Chainsawa, 1996

30 skolastin Adapted from a poem by Nancy R. Smith. CrimethInc. Gender Subversion Kit #69-B. Copies of this poster are availble individually and in bulk
quantities from CrimethInc. Genders Anonymous / PO Box 1963 / Olympia WA 98507 or if waiting ain’t your thing, go to www.crimethinc.com.
erscheint der Unterschied zwischen prozesshafter Erwider­ Es ist genau diese bewusste Inanspruchnahme und sprach-
ung und abschließender Antwort im Übrigen noch prä- liche Hervorhebung des Ichs, das in diesem Beitrag im Vor-
gnanter.) dergrund steht. Und dennoch würde jemand, der nach dem
Bei Adorno ortet Butler eine ganz ähnliche Sichtweise der Charakter von Kritik fragt, im gleichen Maße scheitern wie
Trennung von Kritik und Urteil: Gerade durch das Urteil jemand, der nach dem Charakter des/der KritikerIn fragt.
wird die primäre Aufgabe der Kritik durchkreuzt, sich ge- Es geht in dieser Hervorhebung des/der situierten Kritiker­
gen einen allgemeingültigen Charakter zu wenden, um folg- In keineswegs nur um dessen/deren Biographie, Vorlieben
lich die Bedingungen, unter denen sie selbst gebildet wurde, oder ideologischen Ansichten, sondern insbesondere auch
zu hinterfragen und in den Mittelpunkt des wissenschaft- um dessen/deren Fähigkeit diese Grenzen, die ihn/sie in die­
lichen Interesses zu rücken. Demzufolge kritisiert Adorno se Position gehoben haben, bloßzustellen. Es geht schließ-
den Akt des Urteilens als eine Enthaltung von der Praxis lich darum, das Ich selbst auf seine Grenzen hin zu befra-
(withdrawal from praxis) (vgl. ebd: 2). Praktische und re- gen, wodurch die beiden Fragen Was ist Kritik? und Wer ist
Situiertes Wissen? flektierte Kritik muss daher begreifen lernen, wie das Feld der/die KritikerIn? einen weiteren Bedeutungshorizont er-
des Wissens, des Wahrnehmbaren geordnet ist und welche langen, insofern die Frage selbst das kritische Unternehmen
Julia Prager Machtoperationen dabei am Werk sind. (vgl. ebd.) bedeutet, zumal sie sich im gleichen Augenblick einer Ant-
Um dieser Forderung beizukommen, wird der Begriff wort entzieht. Oder, um es mit Judith Butler auszudrücken:
der allgemeinen Kritik im Folgenden durch jenen des Kri- »For the very question, ›what is critique?‹ is an instance of
tik-Übens ersetzt und damit unmittelbar an ein Subjekt, the critical enterprise in question, and so the question not only
Critique is always a critique of some instituted practise, to pass critcism on sb./st. den/die AkteurIn lediglich als an eine/n KritikerIn gebunden. Es ist der/die KritikerIn poses the problem – what is this critique that we supposedly
discourse, episteme, institution, and it loses its character (neutrale/n) TransporteurIn dieser allgemeinen Kritik selbst, der/die die eigene normative Begrenzung in Frage do or, indeed, aspire to do? – but enacts a certain mode of
the moment in which it is abstracted from its operation and darstellt und nicht als jemanden, der in der Beschränkt- stellen muss, um diese zu exponieren und damit kritikfähig questioning which will prove central activity of critique itself.«
made to stand alone as a purely generalizable practice. But heit seiner Möglichkeiten von Aussagen eine Kritik anbie- im Sinne Butlers zu werden. Kritik als prozesshafte Praxis (Butler, 2009a: 2)
if this is true, this does not mean that no generalizations are tet und dabei keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu fassen bedeutet also, die begrenzte Wahrnehmungsfäh­ Im Modus des Fragens, des In-Frage-Stellens eröffnet sich
possible or that, indeed, we are mired in particularisms. On erhebt. Abhängig von den Rahmenbedingungen, unter igkeit dessen, was Wissen bzw. Wahrheit sein kann, zum ein Feld kritischer Unternehmungen. Doch wie fragt man
the contrary, we tread here in an area of constrained general- denen sich Kritik bildet, muss diese folglich immer als Ausgangspunkt aller wissenschaftlichen Forschung zu ma- nach der Situiertheit von Kritikern, insbesondere im Kon-
ity, one which broaches the philosophical, but must, if it is to Teil von diskursiven Machtoperationen verhandelt wer- chen. Wissen wird in diesem Kontext zu einer sprachlichen text eines postsouveränen, d.h. unabgeschlossenen Subjekt-
remain critical, remain at a distance from that very achieve- den. Bedingung, zu einer Materialisierung und Sedimentierung verständnisses, das jede abschließende identitäre Zuschrei-
ment. In diesem Text soll es vor allem darum gehen, den/die wissenschaftlicher Aussagen. bung oder Markierung ablehnt?
AkteurIn der institutionellen wissenschaftlichen Praxis, In diesem Zusammenhang umschreibt Donna Haraway Tatsächlich scheint Judith Butler selbst mit dieser Frage
Judith Butler, (Butler, 2009a: 1) also den/die KritikerIn selbst ins Spiel zu bringen, kurz alle Arten von Erkenntnisansprüchen als Wortschwall, als die nach der Notwendigkeit der Infragestellung des Wer zu
diese/n im Feld der Wissensproduktion zu situieren. Praxis einer rhetorischen Überredungskunst. (vgl. Haraway, hadern. Im Umgang mit der eigenen Biographie lässt sich
Bevor hier aber auf die Verortung des/der KritikerIn 1995: 74). Die partizipierenden KünstlerInnen sind bei Ha- in Butlers bisherigem Werk ein Prozess ausmachen. Auch
Was ist Wissen und was Kritik? Oder, um mit Judith Butler und damit auf die Lokalisierbarkeit von Kritik selbst ein- raway die WissenschaftlerInnen in personis, die in Überre- wenn sich ihre grundsätzliche Meinung zu Identitätskatego-
zu fragen: gegangen wird, soll ein weiterer Begriff in die Diskussion dungsstrategien objektive Erkenntnis fabrizieren und auf die rien nicht geändert haben dürfte, insofern diese immer ein
»What is it to offer a critique?« (Butler, 2009a:1) eingeführt werden, und zwar jener der Praxis. Diesen mit Bühne der objektiven Wahrheit bringen, wobei der/die Ur- Festschreibung und Fixierung des Ichs bedeuten, spielt But-
In obigem Eingangszitat verortet Judith Butler die Mög- dem Terminus Kritik gepaart auftreten zu lassen, impliziert heberIn schwerlich auszumachen ist, insofern alle Beteiligten ler immer mehr mit ihrer eigenen Biographie, stilisiert ihre
lichkeit des Übens von Kritik immer im Rahmen einer in- einer­seits dessen Eingebunden-Sein in einen Handlungs- nicht nur Außenstehende, sondern vor allem auch sich selbst eigene literarische Figur Judith Butler. Noch 2003 schreibt
stitutionalisierten Praxis, eines Diskurses, einer Episteme, akt, der von jemandem ausgeführt werden muss, anderer- permanent überreden müssen, um den Schein der Objekti- Paula-Irene Villa in ihrer - wohl verbreitetsten – Einführ­
einer Institution. Damit betont sie, dass Kritik kein all- seits verweist diese Koppelung aber auch auf deren prozess- vität und damit die Wirkmächtigkeit der Norm zu wahren. ung zu Butlers Theoriekonzepten:
gemeingültiges Werkzeug ist, sondern vielmehr nur eine haften und damit unabgeschlossenen Charakter, der beide Gewohnt lapidar postuliert Haraway: »Geschichte ist eine Er- »Über das Leben Judith Butlers wird sich in diesem Buch
mögliche Form darstellt. Als Möglichkeit unterscheidet Begriffe einmal mehr aus der Isolationsblase allgemeiner zählung, die sich Fans westlicher Kultur gegenseitig erzählen, außer einem tabellarischen Anhang am Ende sowie einigen
sich der hier verhandelte Begriff einer positionierten Kritik Definition wirft. Wissenschaft ist ein anfechtbarer Text und ein Machtfeld, der sehr wenigen Andeutungen kaum etwas finden. Wer sie nun
von jenem einer allgemeinen, die weder ohne Bezug auf ein In Rekurs auf Raymond Williams spricht sich Butler Inhalt ist die Form. Basta.« (Haraway, 1995: 75) im eigentlich persönlichen, biographischen Sinn ist, was sie also
bestimmtes Forschungs-Objekt, noch ein bestimmtes For- dafür aus, Kritik als Praxis fassen: »What always needs to Das trotzige Basta am Ende dieses Zitats macht Haraway für eine Identität hat, darüber zu sprechen beziehungsweise zu
scher-Subjekt bzw. ohne deren kontextuelle Bedingungen be understood, is the specificity of the response, which is not zu einer situierten Kritikerin, zu einer Wissensproduzent­ schreiben bereitet Butler Unbehagen.« (Villa, 2003: 15)
beschrieben werden kann. (vgl. ebd.) a judgement, but a practise«, zitiert Butler. (Butler, 2009a: in, die um ihre Position in jener westlichen, hegemonialen Ihrer Aussage fügt Villa zur Legitimation noch ein ver-
Von daher entscheidet sich Butler für den von Foucault 1) Um dem verallgemeinernden Charakter des criticism zu Kultur weiß, die sie hier kritisiert. Situiert zeigt sich auch kürztes Butlersches Zitat an: »Identitätskategorien machen
verwendeten Begriff critique, der auch im Englischen entkommen, schlägt Williams ein Vokabular vor, das den ihre Rhetorik: Indem sie sich einer wissenschaftlich sach- mich nervös; ich empfinde sie als ständige Stolpersteine […].«
positionierter, verorteter und damit kontextgebundener Begriff nicht in die Nähe des faultfinding bzw. des judge- lichen objektivitäts-heuchelnden Sprache verweigert, bleibt (ebd.)
auftritt, während criticism als allgemein gefasster Wort- ment, also des Urteils rückt, sondern dazu anleitet, kritische sie als Akteurin ihrer Kritik sichtbar. Es ist kein allgemeines Konsequenterweise folgt der aufkeimenden Kritik der
sinn die Ebene der personengebundenen Wendung to Erwiderungen als Praxis zu verstehen.( ebd.) Dies bedeutet, Urteil, das Haraway hier fällt, vielmehr entspricht die obige 1980er und90er Jahre (vgl. Sexl, 2004: 217) an der Essen-
offer a critique von vorneherein vernachlässigt und auf dass die Erwiderung nur als solche existiert, indem sie Teil Aussage der Meinung eines trotzigen, persönlich berührten, tialisierung der Frau, insbesondere der Repräsentation an-
merkwürdige Weise isoliert wirkt, insofern die Wendung einer Kommunikation, eines Prozesses ist. (Im Deutschen vielleicht sogar eines verletzten Ichs. derer ethnischer Gruppierungen durch die feministische

32 skolastin skolastin 33
Strömung des weißen, privilegierten Westens, eine Mode- ierung und Lokalisierung bewusst, insofern jede Aussage, Zu Beginn dieser Thematisierung der Butlerschen (Selbst) »Diese Szene (Gemeint ist Butlers erste Einführung in die
erscheinung in der (feministischen) Theoriebildung, die ei- die nicht personen- bzw. kontextgebunden markiert ist als Verortung war die Rede von Judith Butlers eigenem pro- Philosophie; Anmk. J.P.) lässt sich am besten in einem Bild
gene »Identität« (in der landläufigsten Form dieses Begriffs) ontologische Tatsache erscheinen könnte und somit ihre ei- zesshaften Umgang mit der persönlichen Positionierung des jungen Teenagers fassen, der sich im Untergeschoss des
hinten anzustellen und auf merkwürdige Weise die produ- gene Kritik unterlaufen würde. im wissenschaftlichen Diskurs. In ihrem letzten Aufsatz Hauses der schwierigen Familiendynamik entzieht, wo Bü-
zierenden Wissenssubjekte in ein privates und ein öffent- Vielmehr kritisiert Butler, dass in der Annahme unabge- der Essay­sammlung Die Macht der Geschlechternormen, mit cher aus der Collegezeit der Mutter aufbewahrt werden und
liches, d.h. publizierendes Ich zu spalten. schlossener Identitätskonstituierung, dem Eingebunden- dem Titel Kann das ›Andere‹ der Philosophie sprechen«, be- wo Spinozas Ethik (in der Übersetzung von Elwes aus dem
Was Villa verkürzt darstellt ist, dass sich Situierung, d.h. Sein in normative Zitatketten, kein Standpunkt aus einem mächtigt sich Butler nicht nur - wie bereits erwähnt - sehr Jahr 1934) zu entdecken ist.« (ebd.: 371)
der kritische Bezug zu der eigenen kontextuellen Beding­ autonomen, intentionalen Ich spricht. Vielmehr bildet das bewusst der notwendigen Grammatik eines handelnden Butlers Rhetorik selbst ist Kritik. Wie auch Donna Ha-
ung, nicht durch die Annahme unabgeschlossener Identi- Subjekt einen Knotenpunkt in einem komplexen Netz von Ichs in der ersten Person, sondern sie bedient sich zudem raway bewegt sie sich auf literarischem Terrain, während
tätskategorien ausschließt. Nicht nur verkürzend, sondern Aussagen, somit performativ tradierten Normen und kann eines recht untypischen rhetorischen Griffs, indem sie eine sie Versuche unternimmt, den Preis für Ernsthaftigkeit im
weitaus problematischer folgert Villa weiter: deswegen nicht als Urheber eines Textes betrachtet werden. Art autobiographische Aufführung inszeniert, in der sie philosophischen Diskurs auszuloten. Tatsächlich schreibt
»Aber sie macht keine Theorie im Namen von Judith But- Butler selbst äußert sich folgendermaßen zu der prekären ihre Protagonistin, die Teenagerin Judith Butler, stilisiert. sie für ihre Figur der Judith Butler im Teenager-Alter eine
ler, ›der lesbischen Frau‹ oder ›Judith Butler. Tochter aus Position des schreibenden, theoretisierenden Ichs: Dieser biographisch-literarische Rückgriff wird durch Szene; in der 3. Person schildert sie die Rahmenhandlungen
jüdischem Hause.‹. Mehr noch, Butler gilt als pointierte »What speaks to you when ›I‹ speak to you? What are the Butlers Frage nach dem Zusammenhang bzw. der Kompa- der aufkeimenden Philosophiekritikerin. Erst nachdem die
Kritikerin von so genannten Identity Politics, also der polit­ institutional histories of subjection and subjectivation that tibilität der Institution Philosophie (vgl. Butler, 2009b: 367) Szenerie festgelegt ist, wechselt Butler in die 1. Person, in die
ischen Praxis auf der Grundlage einer sozialen Identität wie ›position‹ me here now? If there is something called ›Butler’s mit ihrer eigenen Arbeit eingeleitet: »Was würden Philo- Perspektive des Selbst, das nun nicht mehr mit rationalen
›schwul‹, ›Frau‹ oder ›Jüdin‹. Entsprechend vermeidet sie es, position,‹ is this one that I devise, publish, and defend, that sophen mit dem anfangen, was ich anzubieten habe?« (ebd.) Fragen von Urteilen beschäftigt ist, sondern seine eigene
sich selbst allzu sehr auf eine Identität festzulegen (oder fest- belongs to me as a kind of academic property? Or is there a Daraufhin folgt eine Art Rechtfertigung ihrer Di- Gefühlswelt zu entdecken sucht.
legen zu lassen) ebenso wie sie sich dagegen verwehrt, ihre grammar of the subject (Hervorhebung J.P.) that merely en- stanzierung von der Institution Philosophie, die sich mehr »Meine Gefühle befanden sich in Aufruhr, und ich fing an,
Texte als Ausdruck einer identitätsfixierenden Position zu courages us to position me as the proprietor of those theories und mehr als prominent untermauertes (Butler bedient sich Spinoza zu lesen, um herauszufinden, ob es mir helfen würde,
betrachten.« (ebd.) (Benhabib, 1995: 8f.)« hauptsächlich großer Namen wie Husserl, Spinoza, Kier- besser mit meinen Gefühlen zurechtzukommen, wenn ich erst
Problematisch ist insbesondere die Vermischung Villas Damit verdeutlicht sie nicht nur, dass die hegemoniale kegaard etc. zur Legitimation ihrer Argumentation) Ma- wüsste, was sie sind und wozu sie dienen.« (Butler, 2009: 371)
der unterschiedlichen Ebenen und Ansätze in Butlers Kon- Grammatik des Subjekts, nur handeln zu können bzw. über- nifest ihrer eigenen Arbeitsweise, d.h. heißt der In-Frage- Einmal mehr wird Butler ihren eigenen Forderungen ge-
zept der Identitätsbaustelle. Villas Verneinung im ersten haupt erst lebensfähig zu sein, indem man auf die Gramma- Stellung von Wissenskategorien bzw. dem Begriff Wissen an recht, indem sie die Rhetorik als jenes Mittel beschreibt, das
Satz des Zitates, sie (Butler) mache keine Theorie im Namen tik der 1. Person beharrt, sondern sie markiert dieses Ich im sich, entpuppt. frei ist, auf die literarischen Aspekte philosophischer Texte
Judith Butlers, folgt bald darauf eine vorgenommene Ab- selben Augenblick als zeitliches. Als Knotenpunkt-Subjekt Beinahe frech führt Butler den ernsten philosophischen einzugehen. Je nachdem wie der philosophische Text sei-
schwächung, indem Villa schreibt, sie (Butler) vermeide es, ist sie nicht bloß keine Eigentümerin ihres Textes, insofern Diskurs großer Worte an seine Grenzen, indem sie sich ei- ne Argumente vorträgt bzw. auch vorgetragen wird, wird
sich allzu sehr auf eine Identität festzulegen. sie sich auf Vergangenes beziehen muss, sie selbst bildet ei- ner Sprache bedient, die mehr spielerisch als argumentativ- das Argument implizit inszeniert oder gelegentlich auch
Die Vermischung verschiedener Ebenen theoretischer An- nen Teil der Zitatkette weiterer Text-ProduzentInnen, die urteilend verfährt: auf eine Weise dargestellt, in der das Argument selbst als
sprüche findet sich einerseits in dieser harten Verneinung, möglicherweise in genau diesem Moment oder auch in zu- »Als ich zwölf Jahre alt war, befragte mich ein Doktorand Gegensatz zu dem steht, was der philosophische Text aus-
andererseits in Villas letzten Behauptung, Butler verwehre künftigen Momenten, Butlers Text interpretieren, aufbre- der Pädagogik und stellte mir die Frage, was ich denn mal drücklich erklärt. (vgl. ebd.: 370)
sich dagegen, ihre Texte als Ausdruck einer identitätsfixier­ chen, neu verhandeln. Identitäten können nicht abschließ­ werden wolle, wenn ich groß sei. Ich sagte ihm, ich wolle ent- Butler markiert sich dadurch als außerhalb der philo-
enden Position zu betrachten. Tatsächlich hat das eine mit end definiert werden, weil keine Bedeutungsgebung fixiert weder Philosophin werden oder Clown […]« (Butler, 2009: sophischen Institution Stehende, als Vergleichende Lite-
dem anderen nicht allzu viel zu tun, denn in ihrem Umgang werden kann, weil mit jeder Verwendung, jedem Kontext 369) raturwissenschaftlerin, die gerade dadurch, dass sie sich
mit Identitätspolitik macht Butler sehr wohl deutlich, dass etwas Neues supplementiert wird. In der Gegenüberstellung der traditionell philoso- freier durch und mit diesen Texten bewegen kann, selbst
ein Handeln ohne dem Spiel bzw. der Nutzung dieser in der In Paula-Irene Villas Auseinandersetzung mit Judith But- phischen mit einer clownesquen Weltbetrachtung lässt einen Teil philosophischer Arbeit leistet. Ihre Berufung
gegenwärtigen Ordnung nicht möglich ist. Es steht also nicht lers eigenen Identity-Politics ist des Weiteren auffallend, Butler keinen Zweifel an ihrem Zweifel an der Verhandlung wurzelt in einer permanenten In-Frage-Stellung. Im Ein-
zur Debatte, ohne Subjektivierung, d.h. ohne Anerkennung dass ihrem Postulat über die Nicht-Verortung Judith Butlers des Wahrheitsbegriffs in einem Diskurs des ehrwürdigen, satz literarisch rhetorischer Mittel sieht Butler eine Mög-
einer zugeteilten gesellschaftlichen Rolle, ohne eine Identität ein recht widersprüchliches folgt: ernsthaften Wortes, dessen Legitimität sich auf Autoritäten lichkeit, die philosophische Arbeit besonders fruchtbar
anzunehmen, intelligibel sein zu können. Mehr noch wird »Ungleich wichtiger für eine Einordnung der Wissenschaft- beruft und in Form von Urteilen äußert, was als legitimes und provokativ zu machen, d.h. bereits von Beginn an
gerade dieses Moment einer der Kernpunkte in Butlers Kon- lerin und Intellektuellen Butler ist im Vergleich zur persön- Wissen/Wahrheit gelten darf und was nicht.(vgl. ebd.: 368) Kritik zu üben.
zeption postsouveräner Handlungsfähigkeit. lichen Biographie die zeithistorische Skizze, die am Ende Judith Butler fragt sich nach dem Preis für Ernsthaftigkeit Im Übergang von der stilisierten Rahmenhandlung in
Vielmehr geht es um die Grundannahme eines theoret­ dieses Buches steht. Butlers Arbeiten entstanden und ent­ (ebd.) im institutionalisierten philosophischen Diskurs und diesem Zitat, die als Ausgangspunkt der Beschreibung des
ischen Konzepts eines unabgeschlossenen, mit Butlers stehen, wie alle wissenschaftlichen Texte, an einem Ort und stellt sogleich den Wert des Philosophens an sich in Frage, Butlerschen Werdegangs vorgestellt wird, zu einer Rhetorik
Worten, eines postsouveränen Subjekts, welches in seiner in einer Zeit. Beides vermögen sie zu transzendieren, beidem indem sie in gewohnt kritischer Manier eine Gegenfrage der Innensicht, des Gefühlslebens untergräbt sie erneut den
Konzeption nicht durch eine fixierte Kategorie definiert sind sie aber gleichwohl verpflichtet.« (Villa, 2003: 15) formuliert: »Wäre es nicht denkbar, dass es eine bestimmten ernsthaften Diskurs des allgemein gültigen Urteils, während
werden kann. Realiter ist aber auch eine dekonstruktivist­ Scheinbar liegt also auch Villa daran, Butler als Wissen- philosophischen Wert hat, nicht genau zu wissen, was als Phi- sie der rationalen Philosophie die eigene Emotionalität ent-
ische Theoretikerin wie Judith Butler der gegenwärtigen schaftlerin einordnen zu können und sie gleichzeitig mit losophie anerkannt werden sollte und was nicht?« (ebd.) gegenstellt. Sie entdeckt als Teenager die Ethik als Instru-
Norm unterworfen, auch ihr ist es nicht möglich, sich als dem Stempel Intellektuelle zu versehen. Zweifelhaft ist auch Das unterschwellige Manifest in Gestalt einer Verteidig­ mentarium, mit ihren Gefühlen besser zurechtzukommen.
diffuses in Opposition zum hegemonialen autonomen ihre Vorgangsweise, eine private von einer öffentlichen Ju- ungsrede des Anderen in der Philosophie, führt Butlers Di- Im Wiedererinnern an ihr Teenager-Dasein, schneidet But-
Subjekt wahrzunehmen. Villa liegt zwar richtig, wenn sie dith Butler zu trennen und somit zwei starke Kategorien stanz zur institutionalisierten Philosophie vor, sprich die di- ler einen Bereich ethischer Philosophie an, der bei Foucault
schreibt, Butler mache keine Theorie im Namen einer Lesbe identitärer Zuschreibung zu evozieren. Nichtsdestotrotz stanzierte Haltung als eigene Berufung.(vgl. ebd.: 370) Ihren als Tugend-Begriff verhandelt wird. Auch ihm geht es da-
bzw. allgemeiner im Namen einer Frau, da sie zum einen streicht Villa im gleichen Atemzug das paradoxe Moment eigenen Werdegang, der sie schließlich zu dieser Einsicht rum, Ethik im Allgemeinen, »jenseits des Urteils zu denken«
die Essentialisierung des Begriffs Frau bzw. jeder anderen der diskursiven Bedingung hervor, das utopische Vermögen führte, beschreibt Butler mit für sie recht ungewöhnlichen (Butler, 2009a: 2), d.h. eine Ethik zu umreißen, »die sich
subjektivierten Kategorie an den Pranger stellt, dennoch ist der Theoriebildung, welche ungeachtet ihrer zeitlichen Ge- Mitteln: Butler schreibt Butler. Und sie tut dies zunächst in nicht im bloßen Befolgen objektiv formulierter Regeln oder
sich Butler über die Notwendigkeit der eigenen Position­ bundenheit diese permanent zu transzendieren sucht. der stilisierten Form der 3. Person: Gesetze erfüllt«. (ebd.: 5)

34 skolastin skolastin 35
Die junge Judith Butler sucht in den Schriften namhafter keine ontologischen Gebilde, die frei im Raum schweben philosophische Unantastbarkeit, lassen ihn als einen unter
Philosophen Werkzeuge, ihre Gefühle auf ihren Sinn hin zu und die es zu entdecken gilt. Vielmehr kommen sie im- vielen, als Knoten in einer Zitatkette erscheinen, deren But-
hinterfragen, sie zu kategorisieren und zu verorten. Über mer von einem Ort, aus einer Zeit und sind zwangsläufig ler sich bedienen musste, um wiederum die Intellektuelle,
Spinoza kam Butler zu Kierkegaards EntwederOder. Sie ver- an den Rahmen der sprechenden Person gebunden. Selbst die Judith Butler zu werden. Beinahe am Ende ihrer Inszen­
suchte, »eine geschriebenen Stimme zu sehen, die nicht genau wenn Butler den Begriff der Verantwortung nicht explizit ierung des Werdegangs Judith Butlers angekommen, resü-
das sagte, was sie meinte; tatsächlich sagte diese Stimme, was verwendet, so lässt sich einmal mehr anhand ihrer Schreib- miert Butler recht polemisch: »[…] denn nachdem ich erst
sie zu sagen hätte, sei in der Sprache nicht mitteilbar, und weise feststellen, dass sie zwar auf die Vervielfältigung ihrer einmal zur Geschlechtertheorie publiziert hatte, erhielt ich
blieb dabei.« (Butler, 2009b: 372f) theoretischen Konzeptionen beharrt, aber dennoch nicht viele Einladungen zu Vorträgen von Literatur-Departments –
Butlers erste Fragen an philosophische Texte waren somit den Status einer transparenten Schaltstelle im Wissensdis- zu Vorträgen über etwas, was als ›Theorie‹ bezeichnet wurde.
Fragen nach der Lesart, nach rhetorischen Strukturen, dem- kurs beansprucht. Die Möglichkeit von Kritik erschöpft sich Es stellte sich heraus, dass ich etwas geworden war, was man
nach In-Frage-Stellungen des sprechenden Ichs. Indem der mit den Begrenzungen des/der KritikerIn. Theoretikerin nannte […]« (Butler, 2009b: 382)
Verfasser hinter dem Pseudonym Kierkegaard verschwand, Paula Irene-Villa behält sicherlich recht, wenn sie schreibt, Judith Butler wäre nicht die Judith Butler würde sie nicht
wurde die Frage nach dem wer von vornherein exponiert Butler würde nicht als die jüdische Frau sprechen, allerdings auch ihre eigene Etikettierung in Frage stellen. Nicht nur,
und folglich der Interpretationsraum erweitert, insofern schreibt Butler als eingebundenes Subjekt, das den hegemo- dass in ihrer Anschauung Theorie nicht von Praxis zu tren-
sie durch ihre eigene Interpretation im Rahmen ihres per- nialen Normen unterworfen und von seinem individuellen nen ist, sondern auch die Betitelung Theoretikerin versieht
sönlichen Kontextes, eine Vervielfachung der Text-Stimme Kontext geprägt ist. Auch wenn sich Judith Butler durch sie mit einem großen Fragezeichen. Und dennoch verleug-
erreichte. Es ist dieses Moment der Bedeutungs- bzw. De- ihre Theoriekonzeptionen einer neuen Möglichkeit von net Butler eine derartige Zuschreibung nicht, denn diese
finitionsaufschiebung, das auch Butlers eigene Texte kenn- Subjektauffassung verschreibt, leugnet sie an keiner Stelle gehört ebenfalls zu ihren eigenen Rahmenbedingungen, die
zeichnet und welches sie immer wieder hervorhebt. ihre eigene Verbundenheit mit dem herrschenden Diskurs. ihre Identität umreißen, mit der sie spielt und an der sie Kri-
Die Begeisterung von Butlers stilisiertem Teenager-Alter- So fügt Butler ihrer Inszenierung der Teenager-Judith nicht tik übt. Natürlich entscheidet die Ablehnung einer Bezeich-
Ego steigerte sich umso mehr als dieses den zweiten Band nur die mise-en-scène eines dunklen Kellers, einer Zigaret- nung wie Theoretikerin nicht allein über die Intelligibilität
von Kierkegaards Entweder/Oder entdeckte, der aus der te und nicht näher bestimmten Musik hinzu, sondern auch eines Subjekts, dennoch bildet sie einen Teil derer Identi-
genau entgegengesetzten Position zur im ersten Band dar- einen weiteren Handlungsstrang, der uns der Entwicklung tätsgrenzen, welche von außen an das Selbst herangetragen
gelegten argumentierte. Das sprechende Ich in diesem Text von Judith Butlers Berufung einen weiteren Schritt näher bzw. von diesem eingefordert werden.
entpuppte sich selbst als ein gespaltenes, das sich per defini- bringen soll. Handlungsort ist hier die Synagoge. Das lite- Um den Bogen wieder zu der Ausgangsfrage dieser De-
tionem einer eindeutigen Interpretation entzog.(vgl. Butler, rarische Ich dieser autobiographischen Einschübe zeigt sich batte um die Selbstverortung des/der KritikerIn zu spannen,
2009b: 373) Butlers erste Zugänge zu philosophischen Texten als Disziplinarfall, als wissbegierige und aufmüpfige Teen­ lässt sich in Butlers biographischer Inszenierung ein scharf-
westlicher Tradition erfolgten daher vornehmlich auf einer agerin, die im Unterricht in der Synagoge um Themen der sinniger und komplexer Umgang im Spannungsfeld von
rhetorischen, literarischen Ebene, oder anders ausgedrückt individuellen Entscheidung und kollektiven Verantwortung Verantwortung durch situiertes Wissen und dessen rhetor­
über die Entgrenzung der philosophischen Tradition. debattierte. (vgl. Butler, 2009b: 375) ischer Verfasstheit ausmachen. Dem scheinbaren Paradox
Was bedeutet diese Erzählung über die ersten philoso- Die Erkenntnis aus diesen Jahren jüdischen Unterrichts, der Vermittlung von gegenwärtiger Norm und zukünftigen
phischen Schritte Judith Butlers nun aber für unsere Dis- brachte Judith laut Butler ihrer jetzigen Vorstellung philo- Möglichkeitsformen, die nicht an ein autonomes Subjekt
kussion, für einen Text, der sich bereits mehrfach für Posi- sophischer Arbeit einen großen Schritt weiter. So stellte sie gebunden sind, kommt Butler als dem Anderen in der Phi-
tionierung ausgesprochen hat? Wie kann Judith Butler im fest, dass »[die] Philosophie demnach nicht nur ein rheto- losophie bei, jenem, das außerhalb der Institution arbeitet
gleichen Atemzug für die Vielstimmigkeit eines Textes plä- risches Problem [war], sondern sie war ziemlich direkt mit und welches deren Grenzen mittels rhetorischer Griffe in
dieren und in selbigen eine biographische Szenerie weben, Fragen individuellen und kollektiven Leidens und der Mög- Frage stellt. Das literarische Moment, das Spiel mit dem
die direkten Bezug auf den Werdegang der Wissenschaftler­ lichkeit von Veränderungen verknüpft.« (ebd.: 375) grammatikalischen Ich in ihren Texten, die interdisziplinäre
in, der Textproduzentin Judith Butler nimmt? Im Zusammenhang mit ihrer jüdischen Erziehung be- Arbeitsweise Butlers wird zu einem wichtigen Instrument
Welche rhetorische Strategie verfolgt Butler selbst, wenn schreibt Butler ihre leidenschaftliche Hass-Liebe zu Nietz- in der Auseinandersetzung mit der Frage:
sie philosophischen Erörterungen und Kurzexkursen zu sche und damit auch jene zu Paul de Man, dessen Seminar »What is it to offer a critique within one‘s own frames?«
Spinoza bzw. zu Kierkegaard scheinbar belanglose Erinner­ über Jenseits von Gut und Böse sie großteils verschmähte.
ungen und autobiographische Brocken beifügt, wie jene, (vgl. ebd.: 375) DekonstruktivistInnen aus dieser Zeit, die
dass Entweder/Oder ihre Mutter gehörte, während ihr näch- sie zweifelnd nach ihren Gründen fragten, de Man zu mei- Literatur
stes Lieblingswerk philosophischer Tradition, Schopenhau- den, antwortet sie in beinahe poetischer Form: »Ich war
ers Die Welt als Wille und Vorstellung ein Buch ihres Va- nicht da, aber ich war nicht allzu weit entfernt, und manch- Butler, Judith (2009a): What is Critique?
ters war, welches mit ihm nach Korea reiste als dieser der mal war ich da, ohne dass es danach aussah. Und manchmal Butler, Judith (2009b): Die Macht der Geschlechternormen
zahnmedizinischen Armee angehörte, während das Buch ging ich eben sehr früh.« (ebd.: 376) und die Grenzen des Menschlichen. Frankfurt am Main;
selbst möglicherweise von dessen Geliebten stammte, deren Dass sie nicht allzu weit entfernt war, ermöglichte ihr Suhrkamp.
Name auf der ersten Seite des Buches eingetragen war? zum einen die Erkenntnis, dass Komparatistik nicht so weit Seyla Benhabib(2005): Feminist contentions: a philosophi-
Eine Antwort auf diese Fragen lässt sich in Butlers Re­ vom Bereich der Philosophie getrennt war wie sie zuvor an- cal exchange. Routledge.
flexion der eigenen Möglichkeit des Kritik-Übens finden. genommen hatte und zum anderen die Offenheit, »Bücher Villa, Paula-Irene (2003): Judith Butler. Campus.
Indem Butler die traditionelle ernsthafte philosophische von jemandem zu lesen, der Foucault hieß.« (ebd.: 378) But- Donna Haraway (1995): Die Neuerfindung der Natur: Pri-
Rhetorik meidet und gleichzeitig sich selbst als Wissens- lers rhetorisch naiver Zugang über ihre Protagonistin, der maten, Cyborgs und Frauen. Campus.
subjekt situiert, bricht sie mit der Kategorie allgemeingül- inzwischen herangereiften und studierenden Judith Butler, Sexl, Martin (Hg.) (2004): Einführung in die Literaturthe-
tigen Wissens. (Wissenschaftliche) Aussagen, Kritiken sind nehmen dem Namen als Institution Michel Foucault seine orie. WUV.

36 skolastin skolastin 37
[kritische] Männlichkeitsforschung: xisorientierten Männerbewegung zu sehen, sondern muss blick auf eine angestrebte Veränderung der Geschlechter-
immer auch im jeweiligen Kontext feministischer Theorie- verhältnisse bei. [Auch] aufgrund nach wie vor bestehender
Zwischen [pro]feministisch-emanzipatorischen Ansprüchen debatten und Forschungen betrachtet werden. Schließlich personeller Überschneidungen war die Verknüpfung von
und männlicher Resouveränisierung1 waren es zuallererst Beiträge feministischer Forschung, Forschung und sozialer Praxis in ersten „fundierten“ theo-
welche die vielfältigen Aspekte der Geschlechterthematik retischen Beschäftigungen mit Männlichkeit[en] weitge-
Stefan Sulzenbacher umfassend in die Sozialwissenschaften einbrachten und hend Konsens.
dadurch zu einem empirisch zu prüfenden und theoretisch Uneinigkeit bestand hingegen in der eigenen Positionie-
zu reflektierenden Thema machten.11 Gleichzeitig fand in rung zu Frauenforschung und Feminismus, da die Linien
feministischen Wissenschaftszusammenhängen einerseits diesbezüglich anfangs ähnlich verliefen wie bei der Frage
Auch wenn sich für [pro-]feministisch-emanzipatorische anti-sexistischen, patriarchatskritischen Zugang wählten. ein Austausch darüber statt, was eine Berücksichtigung dif- nach den grundlegenden Motivationen für eine Auseinan-
Blicke neben der „alltäglichen“ heterosexistisch-patriar- Hans-Joachim Lenz beschreibt sie als Gruppen, in denen ferenter männlicher Lebenswelten und -lagen für die eigene dersetzung mit Männlichkeit[en]. So gab und gibt es einer-
chalen Kackscheiße gegenwärtig der Eindruck eines weiter- sich Männer zusammenfanden, die mit ihrem „Mannsein“ Forschung bedeutete und andererseits, wie die zunehmen- seits Stellungnahmen, die eine Eigenständigkeit der men‘s
reichenden [wenn nicht gar alle gesellschaftlichen Bereiche irgend etwas als problematisch oder nicht stimmig empfan- de – wenngleich selektive – Rezeption feministischer Theo- studies und vor allen Dingen das Recht [ein]forder[te]n,
umfassenden] antifeministischen „backlashs“2 einstellt, las- den; im Vordergrund standen Selbsterfahrung und Reflexi- rien seitens einiger Männer und die damit einhergehende „den Feminismus“ kritisieren zu dürfen18 sowie anderer-
sen sich dennoch verschiedene Ebenen unterscheiden, auf on des eigenen Dominanzverhaltens im Alltag. „Die Grup- Beschäftigung mit ihrem Geschlecht aufzufassen sei. „Der seits [und in überwiegender Mehrzahl] Positionierungen,
denen sich eben dieser artikuliert. pen agierten eher im privaten und halböffentlichen Bereich engen Verzahnung von Frauenforschung und Frauenbe- welche Feministinnen gewissermaßen einen Expertinnen-
als in der Öffentlichkeit. […] Die Teilnehmer derartiger wegung gemäß w[u]rden solche Fragen sowohl in ihrer ge- status für männliche Unterdrückung zusprachen und eine
Während sich etwa reaktionäre Väterrechtler und konserva- Gruppen kamen überwiegend aus dem Umfeld der groß- schlechterpolitischen als auch in ihrer wissenschaftlichen Unterordnung kritischer Männlichkeitsforschung in Bezug
tiv-bewegte Männer in misogynem und homophobem Po- städtischen Universitäten und waren durch die Student[_in- Bedeutung diskutiert.“12 auf Theoriebildung, Namensgebung, Forschungsgelder etc.
lit-Aktivismus versuchen und auf diese Weise Einfluss auf nen]bewegung ‚politisiert‘.“7 Andreas Kemper, damals in forderten.
[staatliche] Gesetzgebung und [juristische] Rechtsprechung verschiedenen Männergruppen aktiv, beschreibt den Ur- Wie bereits erwähnt gingen der Formierung der men‘s stu-
nehmen wollen,3 mischen sich vermehrt auch pro- bzw. an- sprung der Männerbewegung aus heutiger Sicht insgesamt dies zu einem in den USA öffentlich wahrnehmbaren For- Die dabei unterschiedlichen Auffassungen spiegelten sich
tifeministische Männer- bzw. Männlichkeitsforscher4 in den als „profeministisch, antisexistisch, linksradikal, Selbsthilfe- schungsfeld einige Auseinandersetzungen kritischer männ- häufig auch in Statements zur Bezeichnung der eigenen
medialen Diskurs um eine vermeintliche Männlichkeitskri- therapeutisch und er entwickelte sich zusammen mit der licher Intellektueller mit feministischen Theorien und der Forschung wider. So gab etwa Jeff Hearn 1987 zu beden-
se ein und beziehen dort gegensätzlichste Positionen. Schwulenbewegung.“8 feministischen Bewegung voraus. Auf einer Tagung der Mo- ken, dass „[d]as Etikett Männerforschung bzw. men‘s studies
Für das Feld der [kritischen] Männlichkeitsforschung dern Language Association wurde im Dezember 1984 über […] als problematisch [gelte], weil es insinuiere, ein not-
zeigt sich dabei, dass Ambivalenzen und Widersprüche, die Bedeutend früher als im deutschsprachigen fand eine Aka- die Rolle von Männern im Feminismus diskutiert und die wendiges Äquivalent zur Frauenforschung zu sein; so als
seit dem Aufkommen wissenschaftlicher Auseinanderset- demisierung und Institutionalisierung von [kritischen] Beiträge später im Sammelband „Men in Feminism“13 zu- solle diese um etwas komplementiert werden, was sie selbst
zungen mit Männlichkeit[en] immer wieder thematisiert Auseinandersetzungen mit Männlichkeit[en] im angloame- sammengefasst. Mit Erstaunen und Befremden registrierten nicht leistet.“19 Hearn schlug, um eben diesen Eindruck zu
wurden, auch in aktuelle Debatten hineinspielen und das rikanischen Raum statt. Mitte der 1970er-Jahre wurden in Feministinnen damals das Rezipieren feministischer Theori- vermeiden, den Begriff critique of men vor und formulierte
Hervorgehen aus profeministischen Teilen der Männer- den USA bereits vereinzelt erste Hochschulkurse zum The- en, das Verfassen feministischer Artikel und ein Engagement gleichzeitig fünf Prinzipien, nach denen sich Männer, die
bewegung stets zu Rückkoppelungen und Interferenzen ma Männlichkeit angeboten und nach einigen überregiona- für feministische Ziele an Universitäten von einigen wenigen Geschlechterforschung betreiben, richten sollten.20 Im Lau-
zwischen [vermeintlich voneinander trennbaren] „wissen- len Konferenzen zum Themenkomplex men & masculinity Männern.14 In einem Brief an eine der Herausgeberinnen von fe der Jahre sammelten sich unterschiedlichste Vorschläge
schaftlichen“ und „politischen“ Ansprüchen führt[e]. konstituierte sich 1983 mit der National Organization for „Men in Feminism“ schrieb Rosi Braidotti: „In the midst of für eine „passende“ Forschungsbezeichnung an, bis Edgar
Changing Men [NOCM] die erste US-amerikanische männ- the ideological backlash of the 1980s, should we not be grate- Forster im Jahr 2005 schließlich einen der jüngsten Beiträge
Sowohl in den USA wie im deutschsprachigen Raum entwi- lichkeitskritische Institution.9 Im selben Jahr fand die erste ful to have such political and intellectual allies? Yet I hesita- zu dieser Diskussion lieferte,21 indem er den Begriff Männ-
ckelte sich die [kritische] Männlichkeitsforschung aus Tei- nationale Vernetzung der Aktivisten für men‘s studies statt, te...“15 Das Misstrauen [„Yet I hesitate...“] richtete sich nicht lichkeitskritik einführte und ebenfalls fünf – in direktem
len der sogenannten Männerbewegung, die sich bereits seit als sich die „Men‘s Studies Task Group“ innerhalb der NOCM gegen die solidarischen Intentionen jener Männer, sondern Vergleich zu Hearn jedoch merklich differenzierter formu-
Ende der 1960er-Jahre jeweils aus unterschiedlichsten Mo- gründete, welche in weiterer Folge zusammen mit der dar- vielmehr gegen die Effekte, die mit ihren Handlungen einher- lierte – Thesen22 diskutierte.
tivationen und Anlässen in das Private als politisch begrei- aus hervorgehenden „Men‘s Studies Association“ entschei- gingen. Einerseits verstörte die Leichtigkeit, mit der [immer
fenden Kontexten an [eigener] Männlichkeit abarbeiteten.5 dend dazu beitrug, dass sich in der ersten Hälfte der 1980er- noch vor allem] private Kämpfe von Frauen in öffentliche Dorer und Marschik zeigen in ihrem Beitrag „Kritische
Die Motivationen von Aktivisten der Schwulenbewegung, Jahre mens‘s studies als eigenständiges Forschungsgebiet Kämpfe übersetzt wurden, sowie die Tatsache, dass es Sache Männerforschung“ weitere Motivationen unterschiedlicher
antimilitaristischen Vietnamkriegsgegnern oder Vertretern herausbildete.10 In Deutschland verlief die Entwicklung mit der Männer war, den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem sie Positionierungen auf, die stark an die weiter oben erwähnte
der Hippiebewegung, die sich mit jeweils anderen [sprich: einiger Verzögerung ähnlich und auch wenn Forschungen „durch ihr Engagement den Feminismus als Teil der akade- Unterscheidung in „befreiungsbestrebtere“ und „selbstrefle-
heterosexuellen, soldatischen, konservativen] Männlich- zum Thema Männlichkeit[en] in den letzten Jahren eine mischen Praxis [anerkannten]“.16 Andererseits stellte sich die xivere“ Teile früher Männerbewegungen erinnern. So spre-
keiten auseinandersetzten und alternative Männlichkeiten starke Konjunktur erfahren haben, kann keineswegs von ei- Frage, warum „Männer den Feminismus zu einem Zeitpunkt chen sie in diesem Zusammenhang auch bei Forschungs-
sichtbar machen wollten, lassen sich grob mit dem Begriff ner derart weit fortgeschrittenen Institutionalisierung und [entdeckten], da er erste akademische Erfolge erzielt[e]“ und arbeiten, die zur Jahrtausendwende entstanden, noch von
„Befreiungsbestrebungen“ zusammenfassen. Eine bedeu- Verankerung im universitären Wissenschaftsbetrieb ge- inwiefern damit „absichtlich oder nicht“ eine Rückeroberung „männer-“ und „frauenidentifizierten“ Richtungen: Während
tende Rolle spielten hierbei Aktivisten der Schwulenbewe- sprochen werden, wie sie etwa in den USA, Australien oder akademischen Territoriums [männliche Resouveränisierung] erstere in ihren Augen davon ausgeht, „dass auch Männer in
gung, die zum ersten Mal eine „von der Norm abweichende skandinavischen Ländern zu finden ist. eingeleitet würde.17 spezifischer Weise unter der Geschlechterpolarität zu leiden
Männlichkeit als veröffentlichtes, gesellschaftspolitisches hatten und haben“ und dementsprechend auf eine „Emanzi-
Thema“6 deutlich machten. Die Herausbildung einer [kritischen] Männlichkeitsfor- Diesbezüglich formulierte feministische Positionen, Kri- pation des Mannes“ abzielt, sieht eine „frauenidentifizierte“
Demgegenüber standen Männer-Selbsthilfeinitiativen, schung bzw. von men‘s studies ist in den achtziger bzw. tikpunkte und Denkanstöße blieben nicht ungehört und Richtung „Männer als Nutznießer gesellschaftlicher Zustän-
die sich an feministischen Theorien und der aufkommen- neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts allerdings nicht trugen zu Auseinandersetzungen über die eigene Positio- de“ und fokussiert daher auf eine Kritik des Patriarchats.23
den neuen Frauenbewegung orientierten und einen explizit bloß als Akademisierung der heterogen ausgerichteten pra- nierung von männlichkeitskritischen Forschern im Hin- Mit Peter Döge ließe sich ergänzen, dass „männeridentifi-

38 skolastin skolastin 39
zierte“ Ansätze aufgrund ihrer Schwerpunktsetzungen sich „Männerforscher profitieren in akademischen Feldern und benannt werden; sie stellen sozusagen die expliziteste Anmerkungen
„eher als Männerprojekt im Kontext der Männerbewegung“ von Kämpfen, die die zweite Generation feministischer – jedoch nicht einzige – Form männlicher Resouveränisie-
verstehen, während eine „frauenidentifizierte“ Männlich- Theoretikerinnen seit mehr als dreißig Jahren führen. rung dar. 1 Dieser Beitrag entstand als gekürzte und überarbeitete Version des er-
keitsforschung „vor allem auf die Analyse von Männlichkeit Sie nützen ihre Bühnen und werden in einer histori- sten Kapitels meiner Diplomarbeit mit dem Arbeitstitel „Vom Streben nach
als soziale Struktur sowie der strukturellen Dimensionen der schen Phase ermutigt und unterstützt, ‚die‘ Männerfor- Mit Rückgriff auf die Debatte um „men in feminism“ stellt hegemonialer Männlichkeit“.
Geschlechterhierarchie [fokussiert]“.24 schung als Forschungsfeld weiter zu entwickeln, in der Edgar Forster jedoch fest, dass auch differenziertere Be- 2 Das seit Anfang der 1990er-Jahre entgegen feministischer Erwartungen
Auch wenn beide Ansätze in jeweils diametral entgegenge- Frauenforschung und Frauenpolitik auf vielen Ebenen schäftigungen mit dem Thema Männlichkeit[en] das ihrige einer zunehmenden Öffnung zu beobachtende Phänomen des vermehrten
setzte Richgungen zu verlaufen scheinen, so besteht dennoch wieder in Verteidigungspositionen gezwungen werden zu einer männlichen Resouveränisierung bei[ge]tragen [ha- Zurückdrängens von Frauen und feministischen Positionen aus verschie-
Einigkeit darüber, dass Versuche, eine soziologische Theorie und unter Legitimationsdruck geraten.“29 ben]. Angesichts der befremdlichen Geschwindigkeit, in der densten öffentlichen [Macht-]Bereichen bezeichnete Susan Faludi bereits
der Männlichkeit zu entwickeln, auf eine machttheoretische sich „Männer- und Männlichkeitsdiskurse formieren, sich im Jahr 1993 als „backlash“.
Analyse der Position des Mannes im Geschlechterverhältnis Dieser „backlash“ wirkt gegenwärtig auch auf die Männ- eine Identität geben, eine Sprache und einen Kanon etablie- 3 siehe dazu den Artikel von Rabbia Emanzotti.
gerichtet sind. Noch präziser formuliert bedeutet dies, dass sich lichkeitsforschung sowie deren Verhältnis zum Feminismus ren“, weist er darauf hin, dass bei der Auseinandersetzung 4 Der Begriff Männlichkeitsforschung scheint mir treffender als die von
kritische Männlichkeitsforschung insgesamt stets an einem und – allgemeiner – zur „Politik des Geschlechterverhält- mit Männlichkeit[en] stets auch um die Defintionsmacht einigen zitierten Autor_innen bevorzugte Bezeichnung Männerforschung;
doppelten Machtverhältnis abarbeitet: „Nicht nur die systema- nisses“ zurück. Wie Roberta Casale und Edgar Forster im der Geschlechtertheorie gerungen wird.35 Feministische nicht zuletzt, da eben nicht jene Forschungstradition gemeint ist, die vor-
tische Unterdrückung der Frau durch den Mann, sondern auch einleitenden Beitrag der Feministischen Studien 2/06 an- Theorien werden hierbei häufig als rein akademische Texte mals ausschließlich und heute immer noch zu weiten Teilen, von einer
Dominanzverhältnisse unter Männern gilt es zu erklären.“25 merken, sind „[d]ie Stimmen derjenigen Männer, die eine rezipiert und in einer „verwissenschaftlichten“ Diskussion männlichen „scientific community“ praktiziert und repräsentiert wird [an-
Dabei kommt Michael Meuser in seiner – mittlerweile neue, selbstbewusste, vom Feminismus entkoppelte Ge- völlig entkoppelt von der Geschichte der Erfahrungen und drozentristisch], sondern vielmehr Forschungen und theoretische Überle-
als Standardwerk geltenden – Habilitation „Geschlecht und schlechterdebatte fordern [...] lauter geworden.“30 Es scheint Kämpfe von Frauen behandelt. gungen, die sich mit Männlichkeit[en] auseinandersetzen.
Männlichkeit“ zu dem Schluss, dass es Männerstudien der also wenig überraschend, dass es auch durchaus Arbeiten 5 Eine ausführliche Einführung in die Geschichte der US-amerikani-
1980er- und 90er-Jahre in Hinblick auf die Problemati- unter dem Label „Männerforschung“ oder „Gender Studies“ Für Forster haben allen voran selektive und ahistorische schen Männerbewegung liefert Spase Karoski‘s Dissertation „Men on the
sierung des doppelten Machtverhältnisses „bis auf wenige gibt, die sich keine profeministisch-emanzipatorischen An- Rezeptionen der poststrukturalistisch konzipierten „Gender move: the politics of the men’s movement“. vgl. Karoski [2007]
Ausnahmen“ insgesamt sowohl an „theoretischer wie an sprüche auf die Fahnen geschrieben haben, sondern – ganz Studies“ zu derartigen Positionierungen beigetragen, wur- 6 Lenz [2007, S.50]
empirischer Substanz“.26 Dennoch bildeten sich im Laufe im Gegenteil – die „Auswüchse des Feminismus“ an den den hier doch sowohl die Annahme, „daß der Feminismus 7 Lenz [2007, S.46, Ergänzung S.S.]
der Zeit zwei Theoriemodelle heraus, an denen sich große Pranger stellen31 und den medialen Diskurs einer „Männ- eine universale Grundlage haben müsse, die in einer quer 8 Kemper zit. nach Susemichel [2009, S.19]
Teile kritischer Männlichkeitsforschung[en] orientier[t]en lichkeitskrise“ mit „wissenschaftlichen Fakten“ versorgen. durch die Kulturen existierenden Identität zu finden sei“, so- 9 Die NOCM änderte 1990 ihren Namen in NOMAS [National Organi-
und die auf unterschiedliche Art versuchen, das doppelte Als eines der bekanntesten Beispiele kann hier Gerhard wie die Vorstellung, „daß die Unterdrückung der Frauen eine zation for Men Against Sexism] und bezeichnet sich selbst als „pro-femi-
Machtverhältnis konzeptionell zu fassen. Gleichzeitig wer- Amendt, seines Zeichens Soziologe und Direktor des Ins­ einzigartige Form besitzt, die in der universalen oder he- nist, gay-affirmative, anti-racist, enhancing men‘s lives“. [vgl. http://www.
den verschiedene Ansätze, die sich – grob gesagt – mit der tituts für Geschlechter- und Generationenforschung an gemonialen Struktur des Patriarchats bzw. der männlichen nomas.org/ bzw. http://www.nomas.org/history]
Dekonstruktion der Kategorie Geschlecht befassen, von der Universität Bremen, angeführt werden, der regelmäßig Herrschaft auszumachen sei“, gleichermaßen verworfen.36 10 vgl. Lenz [2007, S.42f.]
vielen Männlichkeitsforschern [sic!] nicht oder aber [aus ei- von „Männlichkeitskrisen“ und dem „Verdammungsfemi- Auf der einen Seite wird die von feministischen Theoreti- 11 vgl. Dorer / Marschik [2001, S.5]
ner entkontextualisierenden Lesart heraus] verkürzt in die nismus“ spricht und 2009 in mehreren Interviews mit der kerinnen vorgebrachte Verneinung eines weltumspannend 12 Meuser [1998, S.90]
Theoriebildung miteingebunden. Forderung, die Frauenhäuser abzuschaffen, für Aufmerk- gleichförmigen Patriarchats gemeinsam mit einigen femi- 13 Jardine / Smith [1987]
Zu den breit rezipierten Ansätzen zählt zum Einen das samkeit sorgte. nistischen Errungenschaften im Bezug auf gesellschaftliche 14 vgl. Forster [2006, S.195]
von feministischen Theorien übernommene Konzept des Gleichstellung zum Anlass genommen, um vom Ende des 15 Braidotti, zitiert nach Forster [2006, S.194]
Patriarchats, welches um den Binnenaspekt männlicher In Bezug auf den medialen Krisendiskurs wird insgesamt Patriarchats zu sprechen. In diesen Vorstellungen war der 16 Forster [2006, S.195]
Macht erweitert wird und zum anderen das Konzept hege- deutlich, dass eben diese Krisenrhetorik selbst eine privile- Feminismus vollends erfolgreich und ist daher nicht mehr 17 vgl. Forster [2006, S.195]
monialer Männlichkeit, welches sich – in Einklang mit der gierende Funktion hat und gleichzeitig bloß im Zusammen- notwendig, da ihm jede Grundlage fehlt. Andererseits bietet 18 So etwa das Postulat Willi Walters, wonach eine kritische Überprüfung
gender-Perspektive – von einer Konzeption des Geschlech- hang mit einer hegemonialen Stellung der Sprechenden Sinn dies Raum für abstrakte „Ausdifferenzierungs“-Debatten, der Ergebnisse der Frauenforschung durch männliche Geschlechterfor-
terverhältnisses, in der Frauen und Männer sich in binärer macht. Männlichkeit wird hier mit den – vom Feminismus in denen – häufig unter Rückgriff auf ein rein akademisches scher ein wichtiger Bestandteil kritischer Männlichkeitsforschung sei – vgl.
Opposition gegenüberstehen, verabschiedet und damit kei- angegriffenen – traditionellen HERRschaftslegitimationen Verständnis von queer-theory – überhaupt nicht mehr von Walter [1996, S.25] – oder die Abgrenzung der „Gender Studies“ als „Ge-
nes der Geschlechter als monolithisch begreift.27 gegenüber Frauen in Form des Ernährers und Familieno- Mann und Frau gesprochen wird und die systematische schlechtsdifferenzierungsforschung“ vom – in seinen Augen – politischen
berhauptes gleichgesetzt und die sich deskriptiv gebende Benachteiligungen von oder [strukturelle] Gewalt gegen Populismus der Frauenforschung, die Stefan Hirschauer vornimmt. vgl.
In Zusammenhang mit den in letzter Zeit auch im deutsch- Diagnose einer entsprechenden Krise zielt somit stets auf Frauen im schlimmsten Fall nur noch als voneinander iso- Hark [2005, S.256 & FN42]
sprachigen Raum verstärkt zunehmenden [kritischen] die Rehabilitierung der alten, patriarchalen Ordnung. lierte Einzelfälle analysiert werden können. Trotz alledem 19 Meuser [1998, S.93]
Auseinandersetzungen mit Männlichkeit[en] in unter- Vor einem ähnlichen Hintergrund setzt sich Sabine Siel- muss „die Dekonstruktion der Kategorie Mann“ keineswegs 20 Es sind dies „1. Sie sollen feministische Forschung unterstützen. 2.
schiedlichsten wissenschaftlichen Kontexten beschreibt ke eingehender mit strategisch-diskursiven Eigenschaften „den Abschied aus [pro- bzw.] feministischer Politik“ be- Der Gegenstand sind Männer. 3. Es gibt keine Parität zwischen Frauen-
Hans-Joachim Lenz Männlichkeitsforschung nicht ganz des Krisen-Begriffes selbst auseinander.32 Ihre These lau- deuten und aus der Absage an ein universelles, Kulturen- forschung und der Kritik des Mannes. Während Frauenfroschung eine
ohne Stolz als den derzeit „heißesten Scheiß“: „Männer- tet dabei, dass das Postulat einer „Männlichkeitskrise“ mit übergreifendes, gleichförmig gedachtes Patriarchat nicht exklusive Angelegenheit von Frauen ist, steht die Beschäftigung mit dem
forschung erfährt in akademischen Zusammenhängen nun im- oder explizitem Widerstand gegen die Erkenntnisse automatisch eine wiederum ahistorisierende „Negierung Mann beiden Geschlechtern offen. 4. Die Kritik des Mannes ist im Licht
eine gewisse Aufmerksamkeit mit der Folge, dass sie gegen- der konstruktivistischen Kulturwissenschaften einhergeht des Patriarchats“ folgen.37 des Feminismus zu entwickeln. 5. Deren ziel ist die Veränderung des Man-
wärtig als die aktuellste Innovation des Geschlechterdis- und sich dabei häufig auf Fiktionen von Männlichkeit be- nes.“ Meuser [1998, S.93] Drei Jahre später formulierte Hearn gemeinsam
kurses gehandelt wird.“28 Edgar Forster kommt zum selben ruft.33 „Alle Behauptungen, Männlichkeit sei in der Krise, Auch wenn Auseinandersetzungen mit und die Dekon- mit David H.J. Morgan im Artikel „The critique of men“ noch ein weiteres,
Schluss, wobei er diese Entwicklungen vor allem bezüglich beschwören jenen Glauben an Essenzialismen und ähnliche struktion von [eigener] Männlichkeit[en] nicht ohne Wi- explizit auf den akademischen Wissenschaftsbetrieb gerichtetes Prinzip:
der fortschreitenden Etablierung im wissenschaftlichen Untote, den uns Dekonstruktion und Poststrukturalismus dersprüche erfolgen kann, so kann sie – sofern sie sich ihrer „6. Männer müssen Gleichstellungspolitik unterstützen und sollten nicht
Diskurs mit Verweis auf damit einhergehende Implikatio- nehmen wollten.“34 Position, auch und ganz besonders im Hinblick auf femini- versuchen, Forschungsmittel aus Fonds einzuwerben, die für Geschlechter-
nen für feministische Forschungen jedoch gleichzeitig als Entsprechende Stellungnahmen und Texte können dabei stische Ansätze, bewusst ist – dennoch einen wichtigen Bei- und Frauenforschung vorgesehen sind.“ Meuser [1998, S.93]
durchaus problematisch ansieht: leicht als altbekannte antifeministische Propaganda erkannt trag zur Veränderung HERRschender Verhältnisse leisten. 21 Forster [2005]

40 skolastin skolastin 41
22 Sie lauten: „These 1: Männlichkeitskritik ist eine theoretische Praxis des gesellschaft [Hg*]: Rundschau Heft 1/2001. Wien, 2001,
Eingriffs. These 2: Männlichkeitskritik unterhält ein kritisches Verhältnis S.5-16.
zum Begriff Identität. These 3: Für Männlichkeitskritik bleibt das ‚Patriar- Forster, Edgar [2005]: Männerforschung, Gender Studies
chat‘ eine zentrale Analysekategorie. These 4: Männlichkeitskritik ist weder und Patriarchatskritik. In: Andresen, Sabine / Casale,
Resouveränisierungs- noch Immunisierungsstrategie. These 5: Männlich- Rita / Moser, Vera / Prengel, Annedore / Rendtorff, Bar-
keitskritik muss danach beurteilt werden, wie sie das Verhältnis zu femini- bara [Hginnen]: Jahrbuch der Frauen- und Geschlech-
stischen Theorien und Praxen definiert.“ Forster [2005, S.43] terforschung in der Erziehungswissenschaft: Geschlech-
23 Dorer / Marschik [2001, S.13] terforschung in der Kritik. Opladen, 2005, S.41-72.
Forster, Edgar [2006]: Männliche Resouveränisierungen. In:
Kein Gott, kein Staat, kein Vatertag!
24 Döge [1999, S.11]
25 Meuser [1998, S.95] Feministische Studien2/2006, S.193-207.
26 Meuser [1998, S.95] Hark, Sabine [2005]: Dissidente Partizipation. Eine Diskurs-
27 vgl. Meuser [2006, S.85] geschichte des Feminismus. Frankfurt a.M., 2005. Rechte Väter, Good Night Daddy‘s Pride und Repression1
28 Lenz [2007, S.41] Hearn, Jeff / Holmgren, Linn E. [2006]: Männliche Positio-
29 Forster [2005, S.42] nierungen zur Gleichstellung der Geschlechter und zum Rabia Emanzotti2
30 Casale, Forster [2006, S.186] Feminismus: Theoretische Bezüge und praktische Pas-
31 Hearn und Holmgren stellen diesbezüglich lapidar fest, dass „[...] Gen- sings. In: Feministische Studien2/2006, S.224-241.
derbewusstsein keineswegs notwendigerwese [bedeutet] für Gleichstellung Jardine, Alice / Smith, Paul [1987]: Men in Feminism. New
der Geschlechter zu sein. Antifeministen und Vertreter männlicher Vor- York / London, 1989. Am 12. Juni 2010 sind an die 100 Vertreter3 der sogenannten nenden Feminismus“, denn: „Längst sind die Schwaden des
herrschaft sind tatsächlich in einer anderen, gelegentlich erschreckenden Karoski, Spase [2007]: Men on the move: the politics of the Väterrechtsbewegung mit Verstärkung aus ganz Europa im Ungeistes aus dem Haupt der chthonischen Medusa an allen
Weise geschlechtsbewusst, so wie weiße Rassisten sich ihrer Rasse oder men‘s movement. PhD thesis, School of Social Sciences, Rahmen einer europaweit beworbenen „Daddy’s Pride“4 in wichtigen Orten angelangt, verbreiten ihren üblen Geruch in
Ethnizität bewusst sind.“ Hearn / Holmgren [2006, S.226] Media and Communication. University of Wollongong, Wien auf die Straße gegangen, um ihre antifeministischen Studios, Redaktionen, Ämtern, Schulen, ja Kirchen und im In-
32 So fragt Sielke „[...] welche Funktion [...] dieser Schlüsselbegriff [...] in 2007. Forderungen vor allem in Bezug auf Obsorge- und Unter- ternet. Es ist ein Gestank aus Begriffen, Thesen und Methoden,
Anbetracht der Tatsache [hat], dass männliche Macht, grundsätzlich und Lenz, Hans-Joachim [2007]: Zwischen Men‘s Studies und haltsregelungen kundzutun. Werkzeuge alle einer ungeheuren Verleumdung, die sich gegen
global betrachtet, mitnichten auf dem Rückzug ist“. Sielke [2007, S.43] Und männlicher Verletzungsoffenheit – Zur kurzen Ge- den wichtigsten Faktor allen Voranschreitens dieser Mensch-
auch sie kommt – wie viele andere Autor_innen – nicht um die [fast schon] schichte der Männerforschung in Deutschland. In: Zen- Wochen vorher beschlossen Feministinnen*, diverse Einzel- heit richtet: Gegen die Legitimität und Kompetenz maskuliner
rhetorische Frage herum, „[v]on welchen Männern, welcher Männlichkeit, trum für Anthropologie und Gender Studies/Abteilung personen und Gruppen aus dem linksradikalen Spektrum Wirksamkeit in diesem Prozeß. Es ist eine unerhörte und un-
[...] da eigentlich die Rede“ sei. Sielke [2007, S.43f.] Gender Studies [Hg*]: Männer und Geschlecht. Freibur- diesem maskulistischen Treiben nicht aktionslos zusehen verschämte, konzipierte Sykophantie gegen den Mann, deren
33 vgl. Sielke [2007, S.45] ger Geschlechter Studien 21/2007, S.41-77. zu wollen und riefen zur Gegenmobilisierung, d.h. zur so- Wirkung auf männliche Jugendliche für den feiner Beobachten-
34 Sielke [2007, S.55] Meuser, Michael [1998]: Geschlecht und Männlichkeit. genannten „Good Night Daddy’s Pride“-Demo auf. Einge- den sich bereits zeigt und deren weitere Auswirkung nur dazu
35 Forster [2006, S.193] Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster. bettet in inhaltliche Veranstaltungen, Radiobeiträge, Blog5, geeignet wäre, der Zivilisation ihr effizientestes Potential abzu-
36 Butler [1990, S.18] Wiesbaden, 2006. Pressearbeit und Afterparty in der I:dA6 wurde der breiten kastrieren. Der Autor dieser Seiten betrachtet den hier beschrie-
37 Forster [2005, S.50 Ergänzung S.S.] Sielke, Sabine [2007]: „Crisis? What Crisis?“ Männlichkeit, Öffentlichkeit die feministische Kritik an den Väterrecht- benen Feminismus als einen ernstzunehmenden evolutionären
Körper, Transdisziplinarität. In: Martschukat, Jürgen / lern zugänglich gemacht. Da allgemein Wissen und Analy- Defekt. Deswegen diese Webseite.“8
Stieglitz, Oliver [Hg.]: Väter, Soldaten, Liebhaber: Män- sen über maskulistische Umtriebe und ihrem bekanntesten
Literatur ner und Männlichkeiten in der Geschichte Nordameri- Teil, der Väterrechtsbewegung, spärlich vorhanden waren,
kas. Ein Reader. Bielefeld, 2007, S.43-61. begleiteten ausgiebige Recherchen die Vorbereitungen der Neue Männer braucht das Land?
Butler, Judith [1990]: Das Unbehagen der Geschlechter. Susemichel, Lea [2009]: Nach rechts offen. In: an.schläge. OrganisatorInnen*7. Eingelesen wurde sich schnell – in
Frankfurt a.M., 1991. Das feministische Magazin. Wien, Oktober 2009, S.19- den Untiefen des World Wide Web finden sich auf diversen Die Anfänge der „Männerbewegung“ gehen zurück auf
Casale, Rita / Forster, Edgar [2006]: Einleitung: Der neue 20. Websites wie http://www.genderwahn.com/, http://www.va- linksradikale, profeministische Selbsterfahrungsgruppen,
Mann oder die Wiederkehr der Natur im Sozialen. In: Walter, Willi [1996]: Männer entdecken ihr Geschlecht: zu terverbot.at/, http://www.maskulist.de/, http://www.pappa. die ab Mitte der 70er Jahre vor allem in Deutschland –
Feministische Studien2/2006, S.185-192. Inhalten, Zielen, Fragen und Motiven von kritischer com/ oder http://www.manndat.de/ zutiefst misogyne und durchaus in Begleitung von autonomen Feministinnen –
Döge, Peter [1999]: Männerforschung als Beitrag zur Ge- Männerforschung. In: BauSteineMänner [Hg.]: Kri- antifeministische Inhalte mit atemberaubenden Verschwö- ihre Rolle als Mann in der Gesellschaft und der linken Sze-
schlechterdemokratie. Ansätze kritischer Männerfor- tische Männerforschung. Neue Ansätze in der Ge- rungstheorien und selbstmitleidigem Männergejammere. ne zu hinterfragen begannen. Themen waren z.B. radikale
schung im Überblick. Literaturstudie im Auftrag des schlechtertheorie. Hamburg, 2001, S.13-26. Selbsttherapie, Homophobie und versteckte Homosexuali-
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Die Aktivisten dieser Bewegung bezeichnen sich in Analo- tät, Verhütung , Kinder(erziehung) oder die Thematisierung
Jugend. gie zum verhassten Feminismus als Maskulisten, organisie- von sexistischen Strukturen in sich als emanzipatorisch ver-
Dorer, Johanna / Marschik, Matthias [2001]: Kritische Män- www ren sich vor allem in Vereinen und Parteien und kämpfen für stehenden Politkontexten.
nerforschung: Entstehung, Verhältnis zur feministischen die „wahre Gleichberechtigung“ aller biologischen Männer. Ab Mitte der 80er entwickelte sich, beginnend in den USA,
Forschung, Kritik. In: Sozialwissenschaftliche Studien- http://www.nomas.org/ bzw. http://www.nomas.org/history Sie deklarieren sich als pauschale Opfer eines „weltumspan- Kanada, Australien oder Großbritannien, eine neue, konser-

42 skolastin skolastin 43
vative Männerrechtsbewegung, die die männliche Vorherr- sischen heterosexistischen Norm fallen allerdings nicht in Engagierte Väter? wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt verhängt. Erst 14
schaft als „naturgegeben“ betrachtet und auf das „natürliche das Zielpublikum der konservativen Väterrechtsbewegung, Tage später, bei der nächsten Haftverhandlung, wurde er aus
Gleichgewicht der Geschlechter“ pocht. Durch feministische zu stark ist ihre Affirmation zur „natürlichen Gegebenheit Was daran negativ sei, wenn sich Väter für ihre Kinder ein- der U-Haft entlassen und muss sich nun in einem Strafver-
Errungenschaften der letzten Jahrzehnte wie beispielsweise der Geschlechter“. setzen, ist eine der Fragen, die im Zusammenhang mit Kri- fahren, das sich bislang über mehrere Termine gezogen hat,
erleichterte Zugänge zu Abtreibung und Scheidung, Einfüh- tik an der Väterrechtsbewegung immer wieder auftauchen. mit den juristischen Folgen der Demo gegen die Väterrecht-
rung von Frauenquoten, Gender Mainstreaming, Initiativen Statt sich für den Ausbau der Väterkarenz oder bessere Kin- Als Antwort muss stets gebetsmühlenartig wiederholt und ler auseinandersetzen.
gegen Gewalt an Frauen oder allgemeine Mädchen- und derbetreuungseinrichtungen einzusetzen, fordert die Vä- betont werden, dass es den Väterrechtlern nicht primär um
Frauenförderungsprogramme sei dieses „Gleichgewicht der terrechtsbewegung die verpflichtende gemeinsame Obsorge ihre Kinder gehe, sondern um den Verlust ihrer männlichen
Geschlechter“ außer Kontrolle geraten. in jedem Fall und plädiert für eine Neuregelung der Unter- Vormachtstellung in der Gesellschaft – emanzipierte Frauen Und weiter?!
Als Beginn der Bewegung beschwören Männerrechtsbe- haltspflicht, um weniger Alimente für ihre Kinder zahlen zu werden damit als Gefahr empfunden und unter Umständen
wegte oft die Veröffentlichung von „The Fraud of Feminism“ müssen. Den Vätern geht es nicht um den Kampf für ein vor sämtlichen Formen der Gewalt nicht zurückgeschreckt. Auch wenn die Kritik an der Väterrechtsbewegung in sei-
(deutsch: „Der Schwindel des Feminismus“) im Jahr 1913 Grundeinkommen oder die staatliche Zahlung unbezahl- nem Anfangsstadium noch etwas schwammig bzw. wenig
durch den Sozialist Ernest Belfort Bax, der damals erklärte, ter Erziehungs- und Hausarbeit, sondern um die Verbes- Mit der Organisation der Good Night Daddy’s Pride-Demo präzise ausgefallen ist, so sind wir doch überzeugt davon,
warum Frauen Männern geistig unterlegen seien. serung der finanziellen Lage der Männer auf Kosten ihrer am 12. Juni 2010 wurde erstmals in Wien auf einer breiteren mit unseren Analyen und Forderungen am richtigen Weg
Ex-Frauen und Kinder! Ebene feministische Kritik an der Väterrechtsbewegung zu sein und werden es uns auch weiterhin nicht nehmen las-
Raum gegeben. Engagierte Einzelpersonen aus Frauen-/ sen, widerständig, feministisch und unbequem zu bleiben!
Daddy cool? Lesbenzusammenhängen riefen zwar bereits im April 2008
Und bist du nicht willig… sowie im Oktober 2009, bei den ersten Manifestationen der Gegen Väterrechtler und Antifeminismus! Für eine freie Ge-
Die stärkste Ausprägung der Männerrechtsbewegung, die Väterrechtsbewegung in Österreich, zu Gegenactions auf, sellschaft und Erziehungsformen jenseits heterosexistischer
medial durch spektakuläre Aktionen wie z.B. ein als Batman Besonders gefährlich werden väterrechtliche Positionen aller- allerdings beteiligten sich kaum Menschen aus anderen Zu- und kapitalistischer Normen.
verkleideter Vater am Balkon des Buckingham Palace9 oder dings spätestens bei der These, dass Burschen und Männer sammenhängen. Außerdem war zum Thema wenig bekannt
militantes Auftreten gegen RichterInnen*, Feministinnen genauso oft, wenn nicht gar öfter Opfer von „weiblicher Ge- und linksradikale Stimmen hielten sich in ihren Analysen
oder PolitikerInnen* für Aufsehen sorgt, ist die sogenannte walt“ werden. Vorherrschende Gewaltverhältnisse und struk- der misogynen Bewegung eher zurück. Zu dürftig waren Anmerkungen
„Väterrechtsbewegung“. Insbesondere durch die „verweibli- turelle Benachteiligungen von Mädchen und Frauen werden Wissen und Recherche und zu unklar die eigenen Positi-
chte“ Justiz und einer Rechtssprechung, die ab Ende der 80er negiert, Realitäten einfach umgedeutet. Väterrechtsorganisa- onen zu Kinder und Co. 1 Dieser Text erschien in leicht geänderter Fassung erstmals im Septem-
durch beispielsweise juristische Anerkennung von Gewalt tionen verbreiten in ihren Publikationen, dass Gewalt gegen Zwar gibt es nach wie vor enormen Nachholbedarf, was ber 2010 in der #17 „Farce“ fiber – werkstoff für feminismus und popkultur
gegen Frauen tendenziell frauenfreundlicher agiert, fühlen Männer allgemein akzeptiert, Gewalt gegen Burschen ver- Auseinandersetzungen mit Fragestellungen wie Kinder- 2 Die Autorin ist Mitorganisatorin der Good Night Daddy‘s Pride-Demo
sich diese Männer bezüglich Obsorge- und Unterhaltsrege- schwiegen werde und für Frauen eine pauschale Unschulds- freundlichkeit in linken Szenen, feministisches Kinder 3 Die ausschließliche Verwendung der männlichen Form ist kein Fehler
lungen benachteiligt und als „Zahlväter“ missbraucht. Die vermutung diesbezüglich gelte. Die Väter wären immer die kriegen oder vielfältige Erziehungsmodelle abseits der der Autorin, sondern bewusst gewählt. Beim Verfassen des Aufruftextes für
„Auswüchse“ dieser familienrechtlichen Entscheidungen Bösen und hätten generell schlechtere Karten bei der Schei- klassischen Kleinfamilie betrifft. Im Rahmen der Gegen- die Gegendemo bestand Uneinigkeit darüber, ob „Väterrechtler“ in ihrer
wären eine völlige Abwesenheit von männlichen Vorbildern dung. Somit stilisieren sie sich als „Trennungsopfer“, die – mobilisierung zur Daddy’s Pride fand allerdings erstmals männlichen Form oder die gegenderte Variante „Väterrechtler*innen“ ver-
und weiter eine „Verweichlichung“ der Burschen. Durch ganz unschuldig – von ihren „bösen“ Frauen finanziell ausge- in diesem Kontext seit wohl mehr als 20 Jahren eine Ver- wendet werden sollte. Wir einigten uns darauf, ausschließlich die männ-
diese „väter- und männerlose“ Erziehung würden Kinder beutet werden und dabei keinerlei Rechte „am Kind“ haben. anstaltung zum oben genannten Themenkomplex statt und liche Form auf Grund des Inhaltes und der strukturellen Verfasstheit der
schneller und einfacher als andere drogensüchtig, kriminell rückte Mütter und Väter aus linksradikalen Politszenen in Väterbewegung zu verwenden, auch wenn wir uns durchaus der Tatsache
oder selbstmordgefährdet. Männer hätten durch die syste- Wien etwas mehr ins Licht. bewusst sind, dass in der Väterrechtsbewegung immer wieder Frauen aktiv
matische Benachteiligung in Kindergarten, Schule oder Job Konservativ, frauenfeindlich, rechts sind. Nichtsdestotrotz ist die Väterrechtsbewegung ein männerbündleri-
(Stichwort Drei- bis Vierfachbelastung durch Beruf, Kinder, scher Zusammenschluss, in dem Frauen nicht gleichrangig beteiligt sind.
Familie und Haushalt) generell eine sehr niedrige Lebens- Websites wie http://www.vaterverbot.at/, http://www.tren- Feuer und Flamme Staat und Patriarchat! 4 Eine Wortschöpfung in Anlehnung an die Verwendung des Begriffs
erwartung. Außerdem würden männerspezifischen Erkran- nungsopfer.at/ oder http://www.vaeter-ohne-rechte.at/ ver- „Gay Pride“ – also einem Begriff aus der Schwulen- und Lesbenszene, gern
kungen wie Hodenkrebs weniger mediale Aufmerksamkeit suchen, sich als in der gesellschaftlichen Mitte stehend zu An die 200 Personen beteiligten sich am 12. Juni 2010 an auch verwendet für diverse Christopher-Street-Day-Paraden.
zukommen als frauenspezifischen wie Brustkrebs, weswe- verkaufen. Tatsächlich finden sie Zuspruch in sämtlichen der Demo gegen die Daddy’s Pride, die von der Unirampe in 5 http://goodnightdaddyspride.blogsport.de/
gen auch hier permanente Diskriminierung am Feld der Parteien und immer wieder auch im linken Spektrum. In Richtung Innenstadt aufbrach, um den antifeministischen 6 http://ideedirekteaktion.at/
Gesundheitspolitik stattfinde. Wien sind Männerrechtsbewegte mittlerweile soweit gegan- Vätern inhaltlich und aktionistisch Widerstand entgegen- 7 In den an:schlägen, dem feministischem Frauenmagazin, erschien im
gen eine eigene Partei – die „Männerpartei“ – zu gründen, zusetzen. Nach einem kurzen Gerangel mit der Polizei, die Oktober 2009 ein gut recherchierter Schwerpunkt zur Väterrechtsbewe-
Die meisten der in Österreich aktiven Männer- bzw. Väter- die im Oktober 2010 für die Gemeinderatswahl kandidiert in den letzten Monaten massiv versucht hat, soziale Bewe- gung, der erstmals etwas mehr Licht ins Dunkel brachte. http://www.an-
rechtsbewegten behaupten, für Gleichberechtigung“, sprich hat10. Der wichtigste politische Partner der Väterrechtler ist gungen zu kriminalisieren und auch vor drastischen Mit- schlaege.at/2009/okt09/mainokt09.htm
die „natürliche Verteilung von Macht“ zwischen Mann und jedoch die FPÖ, da einzelne Vertreter immer wieder die An- teln wie der Kesselung von 650 AntifaschistInnen bei der 8 Zitat http://www.maskulist.de/Vorwort1.htm
Frau einzutreten. Diese Männer beharren auf ihrer biolo- liegen der Väterrechtler aufgreifen und somit auch in einen heurigen No-WKR-Ball-Demo im Jänner 201011 nicht zu- 9 http://www.fathers-4-justice.org/ sowie http://news.bbc.co.uk/2/hi/
gistischen Rolle als Väter und geben vor, sich aktiv in die wirksameren öffentlichen Diskurs bringen. Enge Verbin- rückschreckte, kam es zur Festnahme eines Demonstranten. uk_news/3652502.stm
Kindererziehung einbringen zu wollen. Patchworkfami- dungen und personelle Überschneidungen gibt es vor allem Nach mehr als 48 Stunden in polizeilichem und gericht- 10 http://www.maennerpartei.at/
lien, schwule Väter oder andere Konzepte jenseits der klas- zum „Freiheitlichen Familienverband“. lichem Gewahrsam wurde gegen ihn Untersuchungshaft 11 http://nowkr.wordpress.com/

44 skolastin skolastin 45
Die Geschichte von Mariechen
Nina Fuchs

Mariechen saß auf einem Stein, Mariechen saß immer im


Garten auf einem Stein, Mariechen saß immer an einem
Brunnen am Stein und kämmte sich ihr gewaltig goldenes
Haar, nimm dich in acht, Mariechen, nimm dich nur in
acht! Und es war eine Stiefmutter, oder war es die Lehrerin
gewesen, die sprach:
Bück dich, Mariechen, nimm’s kurze Fädchen, die Unge-
stutzten sind faule Mädchen,
Mariechen saß nun am Brunnen und spann, Mariechen
musste täglich am Brunnen sitzen, Mariechen musste täg-
lich am Brunnen sitzen und so viel spinnen, dass ihr das
Blut aus den Fingern sprang, das Blut, es floss zur Erde, es
floss auf die Spule, die Spule sprang in den Brunnen, Ma-
riechen sprang auch in den Brunnen und kam wieder zu
sich, und es war ihr Verstand, oder war es die Erinnerung
gewesen, die sprach:
Üb dich, Mariechen, höhl Stein auf Stein, wer früher meis­
tert, mahlt später allein,
da schüttelte Mariechen den Baum, dass die Äpfel fielen
und holte das Brot aus dem Ofen und sie trat in den Dienst
und schüttelte das Bett gewaltig auf, dass die Federn wie
Schneeflocken flogen, und bekam kein böses Wort, und die
Maikäfer flogen und es schneite in der Welt, Mariechen be-
kam kein böses Wort, dafür Kuchen, und wer? war es gewe-
sen der sprach:
Füg dich, Mariechen, Vertrauen ist genug, kehr vor dem Tor
und nicht vor Maikäfers Flug,
und schließlich ward das Tor aufgetan und als Mariechen
darunter stand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und alles
Gold blieb an Mariechen hängen, so dass sie über und über
davon bedeckt war, weil sie so fleißig gewesen war, und das
Tor ward verschlossen und Mariechen war in der Welt und
kämmte sich ihr gewaltig goldenes Haar, und sie nannten
sie „goldene Jungfrau“, und es war der Königssohn oder
war es ein Engel gewesen, der sprach:
Küss mich, Mariechen, gebenedeit, dein Leib sei mir Frucht,
so halt ihn bereit,
but remember: not only guys but all the people like a Virgin,
Mary, so marry, Mary, und Mariechen trat in den Dienst und
schüttelte das Bett gewaltig auf, dass die Federn wie Schnee-
flocken flogen, und bekam kein böses Wort, und alle Leute
hatten Mariechen lieb und nannten sie „Goldmarie“, und es
war die gute Fee, oder war es ein Arzt gewesen, der sprach:
Würg nicht, Mariechen, schmeckt Gold dir schal, ein Löffel-
chen Zucker versüßt die Qual,
remember: just a spoonful of sugar helps the medicine go
down, und Mariechen saß jetzt öfter weinend im Garten,
Mariechen saß immer weinend im Garten auf einem Stein
und schüttelte manchmal den Baum, dass die Äpfel fielen,
und schüttelte das Löffelchen, dass der Zucker fiel und be-
kam kein böses Wort, und Mariechen bekam kein Wort,
und wenn sie nicht.

skolastin 47
Blood“ scheint das Genre (präziser gesagt: der Genre-Mix Gebäude sei – und plötzlich verändert sich das Gesicht des
aus High-School-Melodrama und Horror, vgl. Jowett, 2005: Mädchens zu einer dämonischen Fratze.11 Sie knurrt und
22f) gar nicht das Entscheidende für den Reiz der Serie beißt den Jungen, der wimmernd zu Boden geht – Cut, die
auszumachen. Es reicht, die Grundannahme zu schlucken, Opening Credits rollen über den Bildschirm und das Buffy
dass in der fiktivien Welt des Buffyverse Übernatürliches Theme beginnt.
der ganz normale Alltag ist (n.b.: was aber nur Buffy und
ihre FreundInnen, die so genannten „Scoobies“, wissen, Diese erste Szene wird in sehr vielen Texten zitiert, die sich
während deren Bemühungen den restlichen Bewohner­ mit Buffy beschäftigen (z.B. Natale, 2007 oder Wilcox, 2005),
Innen des Buffyverse weitgehend verborgen und entspre- denn hier kann sehr gut ein Grundcharakteristikum der Se-
chend suspekt bleiben), um in den Kämpfen Buffys gegen rie aufgezeigt werden, auf das viele AutorInnen verweisen:
das diverse Böse das Verhandeln ganz realer gesellschaft- der Bruch mit Konventionellem, Normalem, Üblichem. Die
licher Probleme erkennen zu können.9 Szene verläuft anders, als die ZuschauerIn erwartet: “It is the
Auf den Schultern einer bereits etablierten Tradition aka- little pleat-skirted cutie who will eat the boy alive” (Wilcox,
demischen Schreibens über Buffy stehend, wollen wir also 2005: 20) – das Opfer ist der Junge, und nicht das Mädchen.
im Folgenden eine neue Lektüre von Buffy vorschlagen Mögliche Gründe dafür werden in vielen Texten mit einem
(dazu gleich mehr). Unser Text richtet sich jedoch in erster Zitat von Joss Whedon,12 Creator von Buffy, angeführt: “The
Linie an ein mit Buffy nicht vertrautes Publikum, weswe- idea for the film came from seeing to many blondes wal-
gen wir versuchen, so voraussetzungsfrei wie möglich vor- king into dark alleyways and being killed. I wanted, just for
zugehen. Nicht vermeiden lässt sich hingegen natürlich das once, for her to fight back when the monster attacked, and
Thematisieren grundlegender Handlungselemente sowie kick his ass.” (Whedon, zitiert nach Williamson, 2005: 76)13
Details einzelner Szenen der Serie, weswegen wir all jenen, Buffy, das süße blonde Girl von Nebenan bekämpft und be-
die die Serie noch nie gesehen haben, dringend raten, dies siegt in der Serie die bösen Vampire, Dämone und andere
zu tun, bevor sie unseren Text lesen, um sowohl die Serie Ungeheuerlichkeiten und rettet die Welt – “Buffy is not a
als auch unsere Auseinandersetzung damit besser genießen passive damsel in distress – she is the action hero.” (Jowett,
zu können. 2005: 21 – Jowett verweist hier wohl auf einen Spruch von
Buffy in “Chosen”, 7.22: “Oh, you know me. Not much with
Nach dieser nicht nur angesichts der Quantität wie der the damseling.”)14 Buffy, die “Barbie with a Kung Fu grip”
The choice not to be chosen Qualität der Buffy-Forschung (und ganz zu schweigen von (Whedon zitiert. in Robinson, Lenzhofer, 2006: 239) ist “The
der Serie selbst) für Eingeweihte müßig erscheinenden, für Chosen One”: “She alone will wield the strength and skill to
Wie Buffy The Vampire Slayer mit Butler gedacht handeln kann1 Neulinge im Buffyverse aber sicher notwendigen Rechtferti- fight the vampires, demons, and the forces of darkness; to
gung in Bezug auf den Gegenstand und dem obligatorischen stop the spread of their evil and the swell of their numbers.
Martin Fritz und Carmen Sulzenbacher Spoiler Alert wenden wir uns im Folgenden nach einer in She is the Slayer.” (Ausschnitt aus der “Opening Narration”
aller gebotenen Kürze gehaltenen Vorstellung der Serien- in Season 1 und 2)
Grundhandlung den bestehenden Ansätzen, sich Buffy aus
gendertheoretischer (bzw. (post-)feministischer) Perspek- Buffy Summers ist Highschool-Schülerin, Cheerleaderin
1. “I think ‘Buffy’ should be analyzed, broken line-Journal „Slayage“ (http://slayageonline.com, 3.9.2010) tive anzunähern zu und entwickeln daraus die Argumen- und gerade einmal 15 Jahre alt als sie erfährt,15 dass sie aus-
down, and possibly banned.” darstellt.6 Auch im deutschsprachigen Raum schlägt sich tation für unsere Buffy-Lektüre, die in Abgrenzung zu den erwählt ist, die nächste Slayerin zu sein und also die Welt
– Zur Einführung die Buffy-Forschung mittlerweile in Publikationen nieder.7 meisten bestehenden Ansätzen nicht die Repräsentation von vor “dem Bösen” (in Form von Vampiren, Dämonen und
Der viel- und so auch im Titel dieser Einleitung zitierte, Geschlechterrollen, sondern die Handlungsmöglichkeiten anderem) zu retten. Bei ihrem ersten großen Kampf gegen
1.1 Buffyverse und Buffy Studies halb-ironische Ausspruch Joss Whedons, des Erfinders von der Figur Buffy mit den Performativitäts-Theorien von But- die Vampire geht gleich eine ganze Schulturnhalle in Flam-
Buffy, wonach die Serie Buffy für akademische Auseinan- ler (1998) ins Zentrum stellt. men auf, was ihr den Schulverweis einbringt und weshalb
“So apparently the most controversial thing we ever had on dersetzung besonders prädestiniert sei, hat sich also schon ihre Mutter Joyce mit der “schwierigen Tochter” nach Sun-
Buffy was a hamburger and chicken sandwich.” mehr als einmal bewahrheitet.8 nydale, Kalifornien zieht, wo die Serie dann auch einsteigt.
(Whedon, 2003) 1.2 Gender im Buffyverse In der neuen Schule lernt Buffy ihren Watcher16 kennen,
Was auch immer die Faszination der Serie ausmacht – Lu- den britischen Schulbibliothekar Rupert Giles, der sie auf
Wohl wenige Fernsehserien genießen sowohl in Bezug auf tosch (2010) z.B. vermutet den Grund der Buffy-Manie im “So, why do you write these strong female characters? – den Kampf gegen die “Forces of Darkness” vorbereiten und
die Einschaltquoten als auch was die Rezeption in akade- links-intellektuellen Millieu darin, dass die Monster und Because you’re still asking me that question.” trainieren soll. Gemeinsam mit den FreundInnen “bookish”
mischen Kreisen betrifft einen größeren Erfolg als „Buffy Ungetüme der Serie von den emphatischen AnhängerInnen (Whedon, 2006) Willow Rosenberg und “goofy but lovable” Xander Harris,
the Vampire Slayer“. Die Geschichte vom High-School- quasi als personalisierte Zumutungen des Kapitalismus ge- die neben einigen anderen Charakteren17 Teil der “Scooby
Mädchen Buffy2, das mit seinen FreundInnen die Welt be- lesen werden können – die Serie scheint mittlerweile ein The Begin: Die erste Episode von Buffy (“Welcome to the Gang”18 rund um Buffy sind, durchlebt Buffy tagsüber “ganz
ständig vor diversem übernatürlichen Unheil rettet, wurde weitgehend kanonisierter Text zu sein, dessen Komplexität Hellmouth”, 1.01)10 beginnt an dem Ort, der für die ersten normale” Teenagerkatastrophen und patrouilliert nächtens
von 1997 bis 2003 in sieben Staffeln in den US-amerika- unbestritten ist – trotz seiner oberflächlichen Trashigkeit drei Staffeln der Serie zentral ist: dem Schulgebäude von durch die Straßen und den Friedhof von Sunnydale. Und
nischen Networks The WB und UPN (und später weltweit) (viele der übernatürlichen Bedrohungen und Unholde se- Sunnydale. In der Nacht brechen zwei Jugendliche in die weil Sunnydale genau über dem “Hellmouth”, dem Tor zur
ausgestrahlt3 und regte nicht nur schier unüberblickbare hen aus heutiger Sicht zugegebermaßen etwas albern aus, Sunnydale High School ein, ein hübsches blondes Mädchen Hölle19 liegt, gibt es genügend verschiedene Ungeheuer, die
Mengen an Fanart an,4 sondern wurde auch von Akademi- was der finanziellen Situation der Serie wohl ebenso wie und ein Junge, der offensichtlich mit dem Mädchen mehr es zu zerstören gilt.
kerInnen derart intensiv behandelt, dass es nicht übertrie- den Fortschritten in der Technik (digitaler) Special-Effects vorhat, als nur in die Schule einzubrechen. Das Mädchen
ben scheint, von „Buffy Studies“ zu sprechen,5 die aus den gleichermaßen geschuldet ist), die viele nur gelegentliche gibt sich schüchtern und ängstlich, weist darauf hin, dass Dass Buffy keine traditionelle Mädchenfigur ist, sondern
verschiedensten Disziplinen kommend (Natale, 2007:17 SeherInnen dazu führt, die Serie nicht ernst zu nehmen. sie vielleicht gar nicht allein seien und außerdem durch den “die Macht = Pflock20 = Phallus” (Lenzhofer, 2006: 210) be-
und Lavery, 2004: 8f) Buffy untersuchen und deren Zen- Anders als bei anderen (und hier nicht weiter behandelten) Einbruch in Schwierigkeiten kommen könnten, worauf der sitzt und so hegemoniale Diskurse über den Haufen wirft,
tralorgan das regelmäßig erscheinende, akademische On- Auslegungen des Vampir-Themas wie „Twilight“ oder „True Junge ihr (mehrmals) versichert, dass sonst niemand im damit setzen sich die meisten WissenschafterInnen in ih-

48 skolastin skolastin 49
ren Arbeiten über Buffy auseinander, die das Phänomen Buffy sind dies u.a. die jeweiligen Titelheldinnen der Fern- tionelle Weiblichkeitsvorstellungen prinzipiell umzuschrei- Identifikationsmuster darstellen – die dahinter stehenden
aus explizit feministischer oder gendertheoretischer Per- sehserien “Gilmore Girls” oder “Ally McBeal”. Als ihren ben versuchen, mag ja sein, wie die Fernsehserien aber auf essentialistischen Grundannahmen bleiben die selben: dass
spektive betrachten,21 wie etwa Monica Natale, deren in vie- theoretischen Background nennt Lenzhofer den Postfemi- RezipientInnen wirken, dazu können wir in dieser Arbeit diese Figuren/Subjekte halt einmal so oder so (männlich/
lerlei Hinsicht exemplarische Beschäftigung mit Buffy den nismus, mit ihren Worten eine “Verquickung von Feminis- keine Aussagen treffen bzw. ließe sich über die Frage, ob weiblich, weiß/schwarz, Mittelklasse/Unterschicht) seien
Anfang unseres Schnelldurchlaufs durch die “Gender-in- mus mit Postmodernismus, Poststrukturalismus, Postkolo- darüber überhaupt Aussagen getroffen werden können, wie und diese Rollen nur irgendwie (möglicherweise abwei-
Buffy”-Forschungsliteratur machen soll: nialismus und psychoanalytischen Theorien” (Lenzhofer, oben bereits ausgeführt, trefflich streiten. chend) ausfüllten.
2006: 29), im Besonderen bezieht sie sich auf Luce Irigaray, Zudem ist es hier nicht unser Ziel (wie schon mehrmals
“Ziel dieser Arbeit ist es zu klären, was Buffy the Vampire Donna Haraway, Judith Butler (hauptsächlich auf “Gender In eine ähnliche Richtung wie diese, hier exemplarisch län- betont), Rezeptionsforschung zu leisten bzw. greift die
Slayer hinsichtlich der Konzeption von gender tatsächlich Trouble” = Butler, 1991) und VertreterInnen der Cultural ger diskutierten beiden Ansätze, gehen auch Jowett (2005) grundsätzliche Diskussion, was Popkultur bei Rezipient­
den sonst in Medien und Gesellschaft vorherrschenden Ent- Studies (wie etwa Angela McRobbie). und Williamson (2005). Jowetts “A Gender Primer For The Innen bewirken kann, für unser Anliegen eben zu weit.
würfen von Geschlechterrrollen entgegenzusetzen hat oder Ganz im Stile der Cultural Studies (KonsumentInnen als Buffy Fan” beuntertitelte Monographie untersucht die Frage Es ist also durch das Referat der bestehenden gendertheo­
inwieweit die Serie in traditionellen Rollenerwartungen und ProduzentInnen) untersucht Lenzhofer neben den Fernseh- “how it [i.e. Buffy] represents femininity, masculinity, and retisch inspirierten Ansätze in den Buffy Studies hoffent-
Stereotypen verharrt.” (Natale, 2007: 5) figuren auch Aussagen von Fans und einige “Fanbilder”, also gendered relations, including sexuality, and how this re- lich klar geworden, dass unserer Ansicht nach ein eman-
“Artworks” von Fans, die z.B. Buffy, Willow, Tara24, Faith25 lates to the context of genre.” (Jowett, 2005: 1). Neben die- zipatives, den Theorien Judith Butlers zufolge ergiebiges
Dies versucht Natale durch eine Analyse der Hauptfiguren (meist mit einem Zitat aus der Serie) darstellen und von de- sem Zusatzaugenmerk auf Genre und Narratologie, die, so Potential von Buffy nicht zu suchen ist auf der Ebene der
der Serie zu leisten und kommt zu dem wenig überraschend nen es Beispiele in sehr großer Zahl im Netz gibt. Jowetts These, auch immer mit der Kategorie Gender zu- Repräsentation von Identitäten (die sich in Bezug auf die Ka-
uneindeutigen Schluss, dass diese einerseits “binaristische Dabei interessiert sich Lenzhofer vor allem für Identi- sammenhängen (vgl. etwa Jowett, 2005: 11f oder 22f) dis- tegorien Gender, Race etc. dann in irgendeiner Weise ver-
Rollenkonzepte [gemeint ist die Zuschreibung von “männ- tätsentwürfe von neuer Weiblichkeit: “Die Mädchen und kutiert Jowett ebenfalls einzelne Figuren der Serie, die ihr halten) im Text der Serie (die dann irgendwelche angenom-
lichen” / “weiblichen” Eigenschaften] bis zu einem gewissen Frauen [der TV-Serien] stellen neue Weiblichkeitsentwürfe als Paradebeispiele dafür dienen, dass hier Identitäten wie menen Auswirkungen haben), sondern unser Augenmerk
Grad in Frage stell[en]”, andererseits aber in der Serie “die zur Verfügung und bieten eine große Vielfalt an Subjektpo- im Cultural-Studies-Lehrbuch in einem populären Text wi- soll auf der Performativität der Figuren liegen – anders und
Repräsentation von Geschlecht weitestgehend im hetero- sitionen an. In diesen Subjektpositionen steuern sie tradi- dersprüchlich verhandelt werden und dabei Kategorien wie einfacher gesagt geht es uns nicht darum, wie gewisse Fi-
normativen und hegemonialen Bereich” (Natale, 2007: 101) tionellen Weiblichkeitsentwürfen entgegen; obwohl nicht eben Gender, Race, Ethniticy oder Sexuality eine Rolle spie- guren in der Serie dargestellt sind oder sind (und wie das auf
verbleibt. Sich dem Dilemma bewusst, dass eine einfache immer radikal, führen sie nichtsdestotrotz neue Nuancen len, die sich bei Buffy, wer hätte es geahnt, nicht in einfache ZuseherInnen wirken kann), sondern wir legen unser Au-
Umdrehung der Geschlechterrolle (“Buffy ist Slayer statt ein, eröffnen Handlungspotenzial für Frauen und erlauben Binaritäten auflösen lassen,26 was den Text zu einem pro- genmerk darauf, wie Figuren in der Serien handeln können
Opfer” oder “Xander ist Weichling statt Held”) wenig an einen anderen Blick auf Weiblichkeit.” (Lenzhofer zitiert auf gressiven und widersprüchlich-komplexen macht. (dahingestellt sei, was ZuseherInnen aus dieser Darstellung
der dahinterliegenden patriarchalen Logik ändern würde, http://www.uni-klu.ac.at/unisonoonline/inhalt/222_418. Auf diesen letzten Aspekt macht auch Williamson (2005) von Handlungsmöglichkeiten für ihr eigenes Handeln ab-
sich aber außer Kraft sehend, selbst dieser zu entkommen htm, 14.9.2010) In der Serie lehnt sich Buffy wiederholt ge- in dem Kapitel ihrer Vampir-Stoffgeschichte27, das Buffy ge- leiten).
und darum an der Untersuchung von “Männlichkeit” bzw. gen ihr vorbestimmtes Schicksal als The Chosen One auf, sie widmet ist, aufmerksam: Buffy mag ihr zufolge als aktive Wir beschreiben im Folgenden also mit Butlers “Hass
“Weiblichkeit” festhaltend (vgl. Natale, 2007: 61f), bewertet wünscht sich, “nur ein Mädchen” sein zu können (z.B. Buffy weibliche Figur progressiv in Bezug auf Gender-Klischees Spricht” (1998) die Handlungsmöglichkeiten von Buffy in
Natale dies als tendenziell positiv, da durch die Ambivalenz in “The Witch”, 1.03: “I will still have time to fight the forces wirken, Buffys Identität als Weiße aus dem gehobenen Mit- der gleichnamigen Serie – oder als konkrete Fragestellung
von progressiver und konservativer Repräsentation von Ge- of evil, okay? I just wanna have a life, I wanna do some- telstand (besonders in Kontrast zur schwarzen Slayerin formuliert: “Wie kann Buffy mit Butler gedacht überhaupt
schlechterrollen die Serie einerseits populär genug ist, um thing normal. Something safe.”). Dieses “Slayer-Schicksal” Kendra, die im Vergleich zu Buffy bei der Vampirjagd wenig handeln – also verantwortlich, aber ohne ein souveränes Sub-
breit wirken zu können und andererseits abweichend vom greift Lenzhofer auf und wendet es auf die Zuschauerinnen glänzt) lasse die Serie unter Kategorien wie Race, Ethniticy jekt zu sein?” Wir möchten also beleuchten, wie mit Butler
gesellschaftlich-kulturellen Mainstream in Bezug auf die von Buffy an: “So wie es Buffys Schicksal ist, die Jägerin zu oder Class jedoch weniger fortschrittlich wirken (Vgl. Wil- (1998) Fragen der Handlungsmöglichkeit und Konzepte
Repräsentation von Gender genug, um dieses breite Publi- sein, so ist es das Schicksal von Mädchen, Mädchen zu sein. liamson, 2005: 86ff). wie Verantwortung auch (und gerade) mit einem poststruk-
kum “zumindest zum Nachdenken” (Natale, 2007: 122) zu Diesem Schicksal muss sich jedes Mädchen stellen und das turalistischen Menschen- und Gesellschaftsbild vereint wer-
bringen.22 Beste daraus machen.” (Lenzhofer, 2006: 213) Sie beschreibt Während also, wie gezeigt, die bestehenden Ansätze gen­ den können, in dem Subjekte nicht die souveränen Urheber
Wozu dieses angenommene Nachdenken jedoch führen Buffy deshalb als “Brave New Girl”, das für Mädchen “eine dertheoretisch an Buffy heranzutreten, für sich genommen ihrer Handlungen darstellen, sondern in und durch ein(em)
kann oder soll, will Natale freilich auch nicht beurteilen – ermächtigende Fantasie” verkörpert: “In diesem Sinne stellt sehr fundiert und in ihrem Feld durchaus relevant sind ihnen vorgängigen/s System entstehen.
nicht zuletzt deswegen erscheinen uns Fragen der Rezepti- Buffy eine ermächtigende Fantasie dar, denn Mädchen se- bzw. sie zu ihren jeweiligen spezifischen Fragestellungen Dabei ist es weniger unser Anliegen, eine möglichst ex-
onsforschung (oder Mutmaßungen über mögliche Rezepti- hen Buffys Entwicklung von Widerstand und Ablehnung aufschlussreiche Einzelbeobachten erzielen, so sind sie für akte Butler-Exegese anzustreben, als ihre Theoreme eklek-
onen) wenig weiterführend. Denn dass Buffy als komplexer bis hin zum Akzeptieren ihres Schicksals und darüber hi- unsere Fragestellung aus mehreren Gründen doch nicht zu tisch als Werkzeuge zu betrachten, mit denen wir unsere
Text mehrere Lesarten zulässt, ist trivial, jedoch darüber zu naus, sogar stolz darauf zu sein. (sic!)” (Lenzhofer, 2006: verwenden.28 Forschungsfrage beantworten können – die Bevollmächti-
spekulieren, welche dieser Lesarten bei welcher Art von Pu- 213) So weit, so schlecht – die Kategorie “Mädchen” kann Wie die meisten oben diskutierten AutorInnen betonen, gung dazu stammt von Butler selbst, die bemerkt, “daß das
blikum realisiert wird, erscheint uns jedoch problematisch. also mit allem möglichen aufgefüllt werden, ist aber immer können in Buffy immer nur Mädchen Slayerinnen sein – die Schreiben [...] nicht wissen kann, in welche Hände es fal-
Wiewohl bereits Studien vorliegen (Natale, 2007: 103ff), noch durch die Bezeichnung als solche abgegrenzt von an- Superheldin, die Vampire etc. besiegt und (wie oben be- len wird, wie es gelesen und gebraucht werden wird oder
bleibt die Aussagekraft jeder noch so breit angelegten Be- deren und markiert. Vor allem dieser Schicksals-Gedanke reits Lenzhofer zitiert) die “die Macht” hat, ist weiblich. Das aus welchen letzten Quellen es sich herleitet.” (Butler, 1998:
fragung stets zweifelhaft – ganz davon zu schweigen, dass gibt doch etwas zu denken, da kann noch so viel mit Butler dreht die bestehende (männliche / patriarchale) Ordnung 18f). Da dem so ist, können wir freilich auch nicht wissen,
damit die grundsätzliche, lange und fruchtlose Diskussion argumentiert werden, Schicksal hat einfach nichts Butler­ zwar um, aber ändert eigentlich auch nichts daran, dass eine wozu unser Gebrauch von Butlers Texten gebraucht werden
(die v.a. in den Cultural Studies und Pop Studies geführt eskes (oder Whedoneskes) an/in sich. Ordnung (bzw. die dahinter stehende (patriarchale) Logik kann. Immerhin entgehen wir durch dieses Vorgehen mit
wird) noch nicht geklärt ist, was und wie (die oben bereits Die verschiedenen Serienheldinnen, die für die Zuschau- (mit Butler (1991: 8) gesprochen: die heteronormative Ma- einer präzise zugespitzten Frage aber dem häufig zu beo-
angesprochene Dialektik von dissidentem Underground vs. erinnen als “Role Models” fungieren (vgl. Lenzhofer, 2006: trix) immer noch intakt bleibt ist (wenn dann auch andere bachtenden Beliebigkeits-Zirkelschluss, der auftritt, wenn
konformem Mainstream) eine TV-Serie (oder Popkultur, 226) und von denen Lenzhofer schreibt, dass ihre Weiblich- “die Benachteiligten” sind) – mit Butler (1991: 7ff) argu- eine Theorie auf Beispiele “angewandt” wird (“Buffy mit
Kultur ganz allgemein etc.) bei RezipientInnen (also gesell- keitsentwürfe den Stereotypen widersprechen, sind für sie mentiert, ist dies noch nicht einmal die halbe Miete. Butler lesen”): dass die Beispiele nur als Illustration und Be-
schaftlich) bewirken kann.23 der Beweis dafür, “dass Weiblichkeit ein gesellschaftliches In dieselbe Kerbe schlagen auch die Erkenntnisse, dass weis der Gültigkeit der Theorie gelten und vice versa.
und kulturelles Konstrukt ist” (Lenzhofer, 2006: 14) und es neue “nichtstereotype”, hybride Figuren sind, die das
Im Fokus der Dissertation “Chicks Rule!” (2006) von Karin daher im Sinne Judith Butlers durch “subversive Wiederho- Böse jagen (und selbst auch oft zwischen Gut und Böse Um einem uferlosen Ausfransen entgegenzusteuern sei an
Lenzhofer stehen hingegen die “schönen neuen Heldinnen lungen” verändert werden kann. Dass Superheldinnen im switchen), die die Race-Class-Gender-Trias locker-flockig dieser Stelle vermerkt, dass wir unsere Untersuchung am
in US-amerikanischen Fernsehserien” (Untertitel), neben Allgemeinen und die Figuren in Buffy im Speziellen tradi- durchrütteln und als neue Subjektpositionen mögliche Inhalt der Serie ausrichten, unsere Konzentration also vor-

50 skolastin skolastin 51
nehmlich auf Buffy als Text (Sprache, Sprechakte) lenken Jedes Sprechen steht eben in einem (nicht nur zeitlich) Buffy ist mit dieser Berufung jedoch alles andere als glück- deren, die auswählten, die sie zur Erwählten machten (auf
und weniger auf (in anderen Kontexten sicher zentrale) As- potentiell unabschließbaren Kontext, durch den es sei- lich, sie empfindet sie als eine Bürde (eine “verletzende Englisch funktioniert es besser: „those who choose (aktiv)
pekte wie Sound, Visuelles, Fernsehtechnisches, Mediales, ne Bedeutung (und seine Wirksamkeit) erst erhält – und Anrede”) und lehnt sich stark dagegen auf, so z.B. im Pilot- her to be chosen (passiv)“), nicht ausweichen. Genau das ist
Filmsprachliches oder (die schon erwähnte) Rezeption ein- genau hierin liegt das komplexe Verhältnis zwischen Film: ja die Macht, die in Sprechakten liegt: Es ist ihnen nicht zu
gehen. Zudem behandeln wir bei unserer intensiven Buffy- “Sprache” und “Subjekt” in Bezug auf deren “Handlungs- entkommen.39
Lektüre nur die Handlung der Folgen der Seasons 1 – 7 von macht” (Butler, 1998: 17) – der Angelpunkt, durch den Buffy [zu Merrick, ihrem ersten Watcher in Los Angeles]: “I Was macht Buffy also in dieser Situation? Sie hält eine
Buffy sowie den Spielfilm, da der Rest des Buffyverse29 den die in Sprechakten liegende Macht auch gegen eben- don’t want to be the chosen one, okay? I don’t want to spend Brandrede, einen weiteren Sprechakt:
sprichwörtlichen Rahmen dieses Texts sprengen würden. In diese gewendet werden kann. Da jedes Aufrufen eines the rest of my life chasing after vampires! I just want to gradu-
den folgenden Abschnitten vollziehen wir also Butlers The- Sprechakts in einem (immer neuen) Kontext geschieht, ate from high school, go to Europe, marry Charlie Sheen and „I hate this. I hate being here. I hate that you have to be here.
sen zur Handlungsmacht von und mit Sprache nach und be- verändert jedes Realisieren eines Sprechakts dessen (“ur- die. It may not sound too exciting to a sconehead like you, but I hate that there‘s evil, and that I was chosen to fight it. I wish,
ziehen sie einerseits auf den großen Gesamtaufbau der Serie sprünglichen”) Kontext und also Bedeutung und Wir- I think it’s swell.” (zitiert nach: http://www.movie-page.com/ a whole lot of the time, that I hadn‘t been. I know a lot of
und im darauf folgenden Abschnitt auf Details ebendieser. kung ein wenig.31 Es besteht also ein komplexes, unent- scripts/Buffy-the-Vampire-Slayer.txt, 17.9.2010) you wish I hadn‘t been either. But this isn‘t about wishes. This
schiedenes Verhältnis zwischen dem durch Sprechakte is about choices. I believe we can beat this evil. Not when it
hervorgebrachten Subjekt und seiner Möglichkeit, durch Während der gesamten Dauer der Serie wird dieser Grund- comes, not when its army is ready, now. Tomorrow morning
2 “So here’s the part where you make a choice” – die Wiederholung von Sprechakten ebendiese zu verän- konflikt ausgebaut, dass Buffy einerseits ungefragt auf die I‘m opening the seal. I‘m going down into the hellmouth, and
Wie Buffy handeln kann dern, gegen sich zu deuten. Die Handlungsmöglichkeit ihr auferlegte Funktion reduziert wird, also die Rolle als I‘m finishing this once and for all. Right now you‘re asking
eines Subjekts besteht für Butler also nicht darin, frei- Auserwählte ausfüllen muss, andererseits aber ein ganz nor- yourself, ‚what makes this different? What makes us anything
2.1 Makroebene er Souverän seiner Entscheidungen und Handlungen zu males Leben (als ganze Person, mit mehreren Rollen, Funk- more than a bunch of girls being picked off one by one?‘ It‘s
sein, sondern in schleichender Veränderung durch die tionen) fordert.32 Besonders in den letzten beiden Staffeln true none of you have the power that Faith and I do. So here‘s
“W-well, the Slayer always says a pun or-or a witty play on (nie exakt gleiche) Wiederholung von Sprechakten. We- wird immer deutlicher, wie sehr Buffy darunter leidet, The the part where you make a choice. What if you could have that
words, and I think it throws the vampires off.” der Sprechakte noch Subjekte können ihre Effekte voll- Chosen One zu sein, also die Verantwortung für alle allein power...now? In every generation, one slayer is born... because
(Willow in “Anne”, 3.01) ends kontrollieren, so Butlers “Theorie der sprachlichen zu tragen und durch ihre Rolle als Auserwählte aus einem a bunch of men who died thousands of years ago made up
Handlungsmacht”: normalen Leben und aus dem Kreis ihrer FreundInnen that rule. They were powerful men. This woman [points to
Judith Butler versucht in “Haß spricht” (1998) zu ergrün- herausgedrängt zu werden.33 Anschluss an andere scheint Willow] is more powerful than all of them combined. [Wil-
den, in welcher Weise Sprache verletzen kann und welche “Das Intervall zwischen den einzelnen Fällen der Äußerung unmöglich, weil Buffy ja u.a. gerade deshalb auserwählt ist, low whimpers] So I say we change the rule. I say my power
Implikationen eine Theorie der Performativität der Sprache ermöglicht nicht nur eine Wiederholung und Resignifizie- weil es niemand sonst ist und so niemand ihre Isolations- should be our power. From now on, every girl in the world
für konkrete Fälle haben kann. Sie geht dazu in ihren Über- rung der Äußerung. Vielmehr zeigt es darüber hinaus, wie Erfahrung teilen kann.34 Als Buffy mit Giles’ Hilfe gegen who might be a slayer will be a slayer. Every girl who could
legungen zur Wirkmächtigkeit von (verletzender) Sprache30 die Wörter mit der Zeit von ihrer Macht zu verletzen abgelöst die besondere Bedrohung des ultimativen First Evil in der have the power will have the power... can stand up, will stand
von der Sprechakttheorie John L. Austins aus, der zwischen und als affirmativ rekontextualisiert werden. Es ist hoffentlich siebten Staffel35 alle potentiellen Slayerinnen, die “Potent­ up. Slayers... every one of us. Make your choice40. Are you
“illokutionären” und “perlokutionären” Sprechakten unter- deutlich geworden, daß ‘affirmativ’ hier die ‘Eröffnung der ials” (n.b. diese Benennung!) um sich versammelt, verstär- ready to be strong?” (“Chosen”, 7.22)
scheidet. Der Unterschied ist folgender: Möglichkeit einer Handlungsmacht’ meint und nicht bedeu- kt sich der Leidensdruck: Während die Potentials allesamt
tet, eine souveräne Autonomie im Sprechen wiederherzustel- nur mögliche Slayer sind, ist Buffy eben The Slayer. Dies Buffys Ausweg besteht also darin, nicht aus ihr durch den
“Die ersteren tun das, was sie sagen, indem sie es sagen, und len oder die konventionellen Modelle der Beherrschung zu wird thematisiert in zahlreichen Ansprachen,36 mit denen Sprechakt ihrer Benennung gebotenen Möglichkeiten auszu-
zwar im gleichen Augenblick. Die zweite Kategorie umfaßt kopieren.” (Butler, 1998: 28f) Buffy einerseits ihre Armee von Potentials auf den Kampf wählen, sondern zu wählen, nicht mehr auserwählt zu sein
Sprechakte, die bestimmte Effekte bzw. Wirkungen als Fol- einschwören möchte und andererseits damit ihre ihr wider- (wiederum funktioniert es auf Englisch besser: „she chooses
geerscheinungen hervorrufen: Daraus, daß sie etwas sagen, Dies wird z.B. besonders deutlich beim von Butler disku- strebende Rolle als alleinige Anführerin festigt. (aktiv), not to be chosen (passiv).“ Mit Hilfe ihrer Freundin
folgt ein bestimmter Effekt. Der illokutionäre Sprechakt ist tierten Fall des Sprechakts des Benennens (vgl. Butler, 1998: An dieser Stelle ist es wichtig zu wissen, dass Buffy dank Willow und mit Hilfe einer von einer unklar matriarchal kon-
also selbst die Tat, die er hervorbringt, während der perlo- 10 und 47-61): “Während also die verletzende Anrede ihren magischer Entrückungs-Erfahrungen (in “Get It Done”, notierten älteren Macht41 überreichten Axt42 ändert sie ganz
kutionäre Sprechakt lediglich zu bestimmten Effekten bzw. Adressaten scheinbar nur festschreibt und lähmt, kann sie 7.15) um die Entstehung der Kette der Auserwählten weiß: einfach mit einer Wiederholung den Sprechakt, der sie zu ei-
Wirkungen führt, die nicht mit dem Sprechakt selbst zusam- ebenso eine unerwartete, ermächtigende Antwort hervor- Es war eine Gruppe von Schamanen (Männern!), die zur ner Auserwählten macht. Sie nimmt ihn noch wörtlicher als
menfallen.” (Butler, 1998: 11) rufen.” (Butler, 1998: 10) Natürlich kann ein Sprechakt, eine Bekämpfung des Bösen eine junge Frau mit der Macht er ist: Sie ist The Chosen One, dazu auserwählt, alle Potentials
Benennung ein Subjekt zu genau dem machen, als was er es ausstatteten, eben befähigt zu sein, das Böse zu bekämpfen auszuerwählen, sie ist dazu auserwählt, die Macht, die Regel,
Entscheidend ist jedoch, dass ein Sprechakt in beiden Fäl- benennt, aber der Sprechakt hat keine Macht darüber, was (indem sie ihr einen Teil dieses Bösen/Dämonischen hin- den Sprechakt abzuschaffen, der auserwählt, ungleich macht,
len, um zu funktionieren, um also durch Sprache Effekte zu die Veränderung in der Wiederholung des Sprechakts da- zufügten)37 und die zugleich die Regel aufstellten, wonach der Macht (und Ohmacht) macht.
bewirken, sich auf “Konventionen” (ebd.) berufen muss, ri- raus anderes macht. nur immer eine Slayerin auserwählt ist und erst nach deren
tualisiert sein muss, also auf ihm vorausgehende Wiederho- Tod eine aus dem Kreis der Potentials nachrückt. Aus den Potentials sind durch Buffys Benennung Slayer­
lungen aufbaut (und zugleich zum Ausgangspunkt auf ihm Wie bereits erwähnt, besteht bei Buffy eine ganz besondere In dieser Situation steht Buffy vor einem klassischen Di- innen geworden, die Superkräfte haben und gemeinsam
aufbauender Wiederholungen werden kann), also immer in Art der Benennung, der Anrufung: Sie ist dazu berufen, The lemma: Sie kann entweder ihre Rolle, ihre Benennung als gegen den First Evil kämpfen. Mit Butler gesprochen: „[E]ine
eine Zeitlichkeit verstrickt ist, die über den Moment der Äu- Slayer zu sein, die Auserwählte, The Chosen One: The Chosen One annehmen, was ihr widerstrebt (und wobei bestimmte gesellschaftliche Existenz des Körpers [wird]
ßerung hinausgeht: im Übrigen zweifelhaft ist, ob diese der überwältigenden erst dadurch möglich, daß er sprachlich angerufen wird.“
“Into every generation a Slayer is born: one girl in all the Bedrohung des First Evil gewachsen ist), oder sie kann sie (Butler, 1998: 14).43Buffys Handeln in einer eigentlich aus-
“Der ritualisierte Augenblick stellt vielmehr eine kondensier- world, a chosen one. She alone will wield the strength and verweigern (z.B. durch Selbstmord, dem gleichkommende wegslosen Situation entspricht auf verblüffende Weise der
te Geschichtlichkeit dar: Er überschreitet sich selbst in die skill to fight the vampires, demons, and the forces of darkness; ostentative Kampfesverweigerung etc. – ein Weg, den Buffy Beschreibung, die Butler als Handlungsmöglichkeit be-
Vergangenheit und die Zukunft, insofern er ein Effekt vorgän- to stop the spread of their evil and the swell of their numbers. in ihrer Laufbahn bereits teilweise beschritten hat,38 was schreibt. Da Sprechakte für ihr Fortbestehen und Wirken
giger und zukünftiger Beschwörungen der Konvention ist, die She is the Slayer.” (The opening narration in seasons 1 and 2 of dann jedoch nur ihre Nachfolgerin erneut vor das selbe immer auf ihre Wiederholung angewiesen sind, besteht in
den einzelnen Fall der Äußerung konstituieren und sich ihm Buffy the Vampire Slayer, zitiert nach http://en.wikipedia.org/ Dilemma stellen würde. In beiden Fällen müsste sich Buffy der Wiederholung die Möglichkeit zur Subversion – genau
zugleich entziehen.” (Butler, 1998: 12) wiki/Slayer_%28Buffy_the_Vampire_Slayer%29, 3.9.2010) also dem Gesetz ihrer Benenner fügen, könnte der Logik das, was Buffy tut:

52 skolastin skolastin 53
„Könnte man den Sprechakt der hate speech als weniger ef- die wir nun darlegen werden, während unter einem anderen Der Zauber, der eigentlich nur ein Mädchen (Cordelia) in benennt sich selbst als Göttin, was sie zu einer Göttin macht.
fektiv und zugleich offener für eine Erneuerung und Subver- Blickwinkel naturgemäß andere, ebenso interessante Beo- Xander verliebt machen sollte, geht schief. Xander bittet Gi- Was Willow tut entspricht also im Schlechten wie im Guten
sion denken, wenn man das zeitliche Leben der Struktur in bachtungen möglich sind. Wir beschreiben im Folgenden les um Rat: dem Aufruf: “Die Resignifizierung des Sprechens erfordert,
Betracht zieht, die der Sprechakt angeblich artikuliert? Denn auf der Mikroebene exemplarisch jene Szenen (einzelne daß wir neue Kontexte eröffnen, auf neue Weisen sprechen,
wenn eine Gesellschaftsstruktur für ihr Fortbestehen auf die Folgen, Motive, Handlungsstränge etc.), in denen der Zu- “I made a mess, Giles. See, I found out that Amy’s into witch- die noch niemals legitimiert wurden, und damit neue und
Artikulation angewiesen ist, dann stellt sich die Frage ihres sammenhang von Sprache und Körper46 bzw. die oben aus- craft, and I was hurt, I guess, so I... made her put the love zukünftige Formen der Legitimation hervorbringen.” (Butler,
Fortbestehens gerade am Schauplatz der Artikulation. Ist geführte Wirkmächtigkeit von Performativität von Sprache whammy on Cordy, but it backfired, and now every woman in 1998: 65)
also eine Artikulation denkbar, die diese Struktur aussetzt deutlich werden. Sunnydale wants to make me her cuddle monkey, which may
oder durch ihre Wiederholung im Sprechen untergräbt? Als sound swell on paper, but...” Hass spricht in Gingerbread
Akt der Anrufung erinnert hate speech einerseits an frühere Spells go wrong Nachdem wir bis jetzt die ganze Serie im groben Ganzen be-
Akte und ist andererseits für ihr eigenes Fortdauern auf eine Wie die aufmerksame LeserIn mittlerweile weiß, kommen in Da es gegen fast jeden Spell einen Gegenspell gibt (wie gegen trachtet haben, widmen wir uns hier einer Folge im Detail:
zukünftige Wiederholung angewiesen. Ist also eine Wieder- Buffy diverser Zauber, Magie und anderer Hokuspokus vor. Verletzende Sprache eine Gegenrede möglich ist, vgl. Butler, In “Gingerbread” (3.11, dt. “Hänsel und Gretel”) “spricht
holung denkbar, die den Sprechakt von den ihn stützenden Mit Butler betrachtet könnte die Aussage getroffen werden, 1998: 27), kann Xander noch im letzten Moment von dem Hass” im wahrsten Sinne des Wortes – und nebenbei wird
Konventionen ablösen kann und damit seine verletzende dass Spells, also Zaubersprüche, “Performativität in Reinkul- aufgebrachten Mob der liebestollen Frauen Sunnydales, die ein Märchen neu erzählt, in der Wiederholung resignifiziert.
Wirksamkeit eher in Verwirrung bringt als konsolidiert?“ tur” sind – mit Austin können sie als illokutionäre Sprechakte durchaus mit Gewalt um Xander buhlen, gerettet werden.50 Bei einer ihrer üblichen nächtlichen Patrouillen findet
(Butler, 1998: 34f) bezeichnet werden: Sie erfordern ein Ritual,47 sie sind mit der Buffy zwei tote Kinder, ein Mädchen und einen Jungen, die
Vergangenheit (über die Tradition) und der Zukunft (der Ef- (ausnahmsweise) keine Bissspuren aufweisen, sondern ein
In Buffy gibt es eine solche Wiederholung, Buffy hat durch fekt der Spells) verbunden – indem sie vollzogen werden, ma- Dark Goddess Willow okkultes Symbol auf ihren Handflächen haben. Dies bringt
genau die Rituale, Konventionen und ihre Subjektpositi- chen sie etwas, passiert etwas, wird etwas verändert: “That’s Spells müssen nicht immer ausgesprochen werden, es gibt Giles auf den Gedanken, die Kinder könnten möglicherwei-
on die Möglichkeit, ihre eigene Benennung in veränderter the thing about magic. There’s always consequences.” (Spike auch andere Wege, wie wir an der Figur Willow Rosenberg se durch einen rituellen Mord durch Menschen (und nicht
Weise zu wiederholen bzw. dadurch andere zu benennen. in “After Live”, 6.03) Spells sind gewissermaßen wortwörtlich zeigen. Willow, anfangs ein schüchternes Mädchen, das sich durch Dämone) ums Leben gebracht worden sein. Buffys
Sie nützt die „Möglichkeit zur Erneuerung und Subversion“, genommene Sprechakte: Im fiktionalen Buffyverse haben nur für Schule und Computer interessiert, entdeckt bald ihr Mutter Joyce (die durch unglückliche Umstände dabei war,
die in der Angewiesenheit des Sprechakts auf Wiederholung Worte ganz wortwörtlich die Macht, Taten zu bewirken bzw. Interesse für Magie. Sie arbeitet sich dort immer mehr ein als Buffy die Kinder fand) steht tief unter Schock und be-
liegt, dazu, die Wirksamkeit des Sprechakts in (und das ist selbst zu sein. So können auch Menschen durch Zaubersprü- (nicht zuletzt angespornt durch ihre ebenfalls zaubernde schließt, dass etwas getan werden muss: Sie gründet eine
noch gelinde ausgedrückt) „Verwirrung“ zu bringen. che in andere Wesen verwandelt werden, Buffy wird etwa von Freundin Tara51) und damit wachsen auch ihre magischen BürgerInnen-Organisation gegen das Okkulte (MOO –
Wiederholung an sich ist über die oben geschilderte Auf- Amy in eine Ratte verwandelt (“Bewitched, Bothered, and Be- Kräfte. “Mothers Opposed to the Occult”).57 Die Organisation lässt
lösung des Grundkonflikts der Slayerin ein wichtiges Ele- wildered”, 2.16), Amy verwandelt sich ihrerseits für die Dauer Willow beschäftigt sich zusehends mehr mit schwarzer in der Folge die Spinde der SchülerInnen von der Polizei58
ment der Serie.44 Die Gesamtstruktur der Serie ist eine ein- mehrerer Staffeln in eine Ratte48 und fällt somit für lange Zeit Magie.52 Als ihre Freundin Tara (in “Seeing Red”, 6.19) vom nach “Witch Stuff ” durchsuchen,59 die Polizei konfisziert
zige große Wiederholung (in die kleinere Wiederholungen gewissermaßen als handelnde Figur aus der Serie. Butlers Bösewicht Warren erschossen wird (im Übrigen bei einem auch die Bücher von Giles – die Hexenverfolgung hat be-
eingebaut sind), so bestehen zwischen den Seasons 1-3 und Theorem, wonach die Macht von Worten intelligible Körper gegen Buffy gerichteten Mordversuch), versucht Willow (in gonnen.
den Seasons 5-7 starke Parallelen (Season 4 steht als relativ bzw. einen Bereich der Nicht-Intelligibilität hervorbringt (vgl. der anschließenden Folge “Villains”, 6.20) Tara vom Tod zu- Die Scoobies (Willow hat zwar Hausarrest, da sie unter
unverbundenes Zwischending in der Mitte): So stirbt Buffy z.B. Butler, 1997: 37, 49), ist hier wieder einmal wortwörtlich rückzuholen (wie sie auch Buffy in “Bargaining”, 6.1+2 wie- Verdacht steht eine Hexe zu sein, unterstützt sie aber von
jeweils am Ende von Season 1 und Season 5, ebenso wird genommen: “Bestimmte Wörter oder Anredeformen wirken der in die Welt der Lebenden geholt hat), aber die von ihr zu Hause aus) suchen im Internet nach Details zu den Iden-
die High-School am Ende jedes dieser 3-Saisonen-Blöcke nicht nur als Bedrohungen des körperlichen Wohlbefindens; angerufenen Geister lassen dies nicht zu.53 Durch diesen titäten der zwei toten Kinder. Dabei finden sie heraus, dass
zerstört; Parallelen sind weiters in Buffys Liaisonen mit den vielmehr gilt in einem strengeren Sinn, daß der Körper durch schmerzlichen Verlust ihrer Liebe zutiefst verletzt und wü- dieser mysteriöse Vorfall nicht der erste seiner Art ist: Alle
Vampiren Angel bzw. Spike auszumachen.45 Wiederholung die Anredeformen wechselweise erhalten und bedroht wird.” tend, benutzt Willow schwarze Magie, um sich mit unge- 50 Jahre sind irgendwo auf der Welt zwei tote Kinder gefun-
sind bei Buffy jedoch nie exakt (während z.B. Buffys erster (Butler, 1998: 14) – eine Formulierung, die angesichts Amys heuren Kräften auszustatten: Sie geht in die Magic Box (ein den worden, die dasselbe Zeichen an ihren Händen hatten
Tod ein Unfall war, ist ihr zweiter eine bewusste Entschei- Rattendaseins gewiss nicht übertrieben erscheint. Willow ge- Laden von Giles, wo allerhand Zaubermaterial gekauft wer- wie in Sunnydale. Zum ersten Mal tauchten die Kinder im
dung zur Rettung der Welt), Parallelen sind also keine sim- lingt es nach langem Bemühen endlich, Amy mittels Zauber- den kann), wirft die Bücher von den Regalen, steckt ihre Hän- Jahr 1649 in Europa auf, in einem Dorf neben dem Schwarz-
plen Gleichsetzungen – die Figuren in Buffy sind später an- spruch wieder zu einem Menschen zurückzuverwandeln – so de in die Seiten der “Black Art Books” und saugt die Wörter wald – sie hießen Greta (6 Jahre) und Hans Strauss (8 Jahre).
dere, als sie früher waren und wissen: „Die Verantwortung “wird eine bestimmte gesellschaftliche Existenz des Körpers (den Text, die Zeichen, die Sprache) in ihren Körper: “Her Giles findet eine Theorie dazu:
ist also mit dem Sprechen als Wiederholung, nicht als Er- erst dadurch möglich, daß er sprachlich angerufen wird.” eyes and hair turn black as she completely consumes the dar-
schaffung verknüpft.“ (Butler, 1998: 62) (Butler, 1998: 14) kness” (http://buffy.wikia.com/wiki/Villains, 19.9.2010). Wil- Giles: “Uh, wait, wait a minute. Uh... Uh, there is a fringe
low saugt die Dunkelheit (in Form von Druckerschwärze / theo­ry held by a few folklorists that some regional stories have
Ein weiterer wichtiger Punkt bei Zaubersprüchen aber ist: black art) auf und wird die Dunkelheit, wird “Dark Willow”:54 actual, um, very literal antecedents.” 
2.2 Mikroebene Spells können schiefgehen und tun das (in der Serie) auch Die Wörter der “Black Art Books” machen Willow “dark”, die Buffy: “And in some language that’s English?” 
regelmäßig, “[d]enn die performative Ausübung der Per- Sprache (die Zaubersprüche der schwarzen Magie) verändert Oz: “Fairy tales are real?” 
“Oh, hello, there, gentle viewers. You caught me catching formanz wird von keiner Konvention ganz beherrscht und ihren Körper, konstituiert eine Wirklichkeit.55 Mittels ihrer Buffy: “Hans and Gre... Hansel and Gretel?” 
up on an old favorite. It’s wonderful to get lost in a story, isn’t von keiner bewußten Intention vollständig bestimmt” (But- neuen Kräfte tötet “Dark Willow” Warren und beschließt im Xander: “Wait. Hansel and Gretel? Breadcrumbs, ovens, gin-
it? Adventure and heroics and discovery – don’t they just ler, 1998, 22, Fußnote 19), oder anders ausgedrückt: “Der Anschluss, die ganze Welt zu zerstören.56 Willow kann dabei gerbread house?” 
take you away? Come with me now, if you will, gentle view- Sprechakt sagt immer mehr oder sagt es in anderer Weise, doch noch aufgehalten werden und wird rehabilitiert. An die- Giles: “Of course! Well, it makes sense now.” 
ers. Join me on a new voyage of the mind. A little tale I like als er sagen will.” (Butler, 1998: 23)49 Ein besonders anschau- ser Stelle interessant ist dann noch das Serienfinale (“Chosen”, Buffy: “Yeah, it’s all falling into place. Of course that place is
to call: Buffy, Slayer of the Vampyrs.” liches Beispiel in Buffy dafür ist der Liebeszauber von Amy 7.22), wo Willow ihre Kräfte für “das Gute” einsetzt: Mit dem nowhere near this place.” 
(Andrew Wells in “Storyteller”, 7.16) (“Bewitched, Bothered, and Bewildered”, 2.16): Ausruf “Oh my goddess!” wird Willow selbst (wenigstens für Giles: “Some demons thrive by fostering hatred and, and, uh,
kurze Zeit) zur Göttin, mit weißem Haar, von einer Aura aus persecution amongst the mortal animals. Not by, not by de-
Bei näherem Hinschauen bzw. Reinzoomen in die Serie fal- “Diana... goddess of love and the hunt... I pray to thee. Let weißem Licht umgeben – “Willow is transcendent, forever stroying men, but by watching men destroy each other. Now,
len einige weitere Beispiele für die im vorherigen Abschnitt my cries bind the heart of Xander’s beloved. (lowers the neck- altered. Cleansed, forgiven… purified.” (http://www.buffy- they feed us our darkest fear and turn peaceful communities
ausgeführten Thesen auf. Natürlich ist klar, dass wir die Se- lace into the brew) May she neither rest nor sleep (the brew vs-angel.com/buffy_tran_144.shtml, 19.9.2010) Mit ihrem into vigilantes.” 
rie primär gewissermaßen “durch die Butler-Brille” betrach- sparks) until she submits to his will only. Diana, bring about Zauber ändert sie die Regeln für alle Slayerinnen und rettet Buffy: “Hansel and Gretel run home to tell everyone about the
ten und dass wir deshalb zu den Beobachtungen kommen, this love and bless it!” dadurch die Welt. Willow spricht sich selbst als Göttin an, sie mean old  witch.” 

54 skolastin skolastin 55
Giles: “And then she and probably dozens of others are perse- Und zugleich hat die Folge auf einer Metaebene das Mär- pears and disappears, flickering in and out of the photo like a Das selbstironische Moment dieser Ikonographien in der
cuted by a righteous mob. It’s happened all throughout histo- chen Hänsel und Gretel resignifiziert, also “eine Art diskur- bad television reception.“ (http://www.buffy-vs-angel.com/ Serie kommt in einem Wortwitz in „End Of Days“ (7.21)
ry. It happened in Salem, not surprisingly.”  siver Performativität markiert, die nicht aus diskreten Rei- buffy_tran_83.shtml, 21.9.2010). Mit Irigaray betrachtet besonders gut zum Ausdruck. Buffy und Willow grübeln
Xander: “Whoa, whoa, whoa. I’m still spinning on this whole hen von Sprechakten, sondern aus einer rituellen Kette von gibt es die Frau (hier personifiziert in Dawn) theoretisch über die Bedeutung der Axt (vgl. Abschnitt 2.1 „Makro-
fairy tales are real thing.”  Resignifizierungen besteht, deren Ursprung und Ende nicht gar nicht, sie existiert nicht: “Theoretically there would be struktur“):
feststehen und nicht feststellbar sind.” (Butler, 1998: 27) no such thing as woman. She would not exist.” (Irigaray zit.
In der Tat kann man bei diesem Satz schon mal hängenblei- nach Bodger, 2003) Dawn ist ein Portal zwischen Dimen- Buffy: “I think it’s maybe some kind of scythe. The only thing I know
ben. Die Theorie, die Giles im Netz gefunden hat, ist genau Buffys “Schwester” Dawn sionen, sie ist reine Energie, ein negativer Raum – Nichts: for sure is that it made Caleb [ein Priester und Gehilfe des First Evil]
das Gegenteil von dem, was Xander und alle, die sich noch Ein weiteres Beispiel für die Wirkmacht von Sprache ist “’Sie’ ist in sich selbst unbestimmt und unendlich anders.” back off in a hurry.”
nie mit poststrukturalistischen Theorien beschäftigt haben die Figur Dawn, die wir hier übrigens nicht nur in Bezug (Irigaray,  1979: 28) Willow: “So it’s true. Scythe matters.”
kennt bzw. kennen – es passiert nicht zuerst etwas, das dann auf Butler sondern auch in Bezug auf Luce Irigaray (eine Die Figuren in Buffy jedoch wissen, dass sprachliches
(in abgewandelter Form) aufgeschrieben wird und als Sage französische feministische Psychoanalytikerin und Kultur- Hervorgebrachtsein nichts Ungewöhnliches oder per se Buffy distanziert sich so unserer Ansicht nach zwar durch-
auftaucht, sondern Sprache schafft hier Wirklichkeit: Das wissenschafterin) vorstellen.61 Dawn taucht ab der fünften Schlechtes ist, dass es nichts Realeres, Unschuldiges, Au- aus wohlwollend, aber eben doch auf dem Weg der sanften
Märchen ist nicht “nur” eine Geschichte, sondern echt. Season plötzlich als Buffys Schwester auf.62 Ihr Erscheinen thentischeres vor der Sprache gibt und akzeptieren Dawn Ironie von einer simplifizierenden Lesart, der es schon pro-
Die Scoobies wollen die Leute von Sunnydale vor diesem in der Serie wird zunächst nicht weiter erklärt, auf der darum trotz oder gerade wegen ihrer sprachlichen Hervor- gressiv oder ausreichend erscheinen mag, dass es bei Buffy
Dämon warnen, Buffy wird aber beim Versuch, ihrer Mut- Straße starren Dawn aber häufig Leute an und sagen ihr, gebrachtheit als ganz normalen Menschen, Schwester oder starke, aktive Frauenfiguren sind, die das Übel bekämpfen
ter alles zu erzählen, von dieser betäubt und kommt erst dass sie nicht real sei (z.B. ein Mann in “Real Me”, 5.02: “I Bezugsperson. Besonders deutlich (ironischerweise mit Be- (oder, leicht variiert: die sich daran erfreut, dass „Genderkli-
wieder im Rathaus zu sich, wie Amy und Willow neben ihr know you. Curds and whey. I know what you are. You ... zugnahme auf ein körperliches Phänomen, das Blut) wird schees gebrochen“ werden, indem Figuren männliche und
an einen Marterpfahl gefesselt. Vor ihnen liegen Berge von don’t ... belong ... here.”) Nur Menschen, die “außerhalb der dies in der Folge “Blood Ties” (5.13), in der Dawn erfährt, weibliche Züge in sich vereinen).
Giles’ Büchern, um sie herum stehen die aufgebrachten Bür- Wahrheit” stehen – in der Serie Menschen, denen Geistes­ dass sie ein magischer Schlüssel ist, was sie verständlicher- Buffy ist dagegen, wie wir gezeigt haben, mit Butler (1998)
gerInnen von Sunnydale, bereit, Mädchen und Bücher zu krankheiten attestiert wurden – sehen, was Dawn wirklich ist weise in eine existenzielle Krise stürzt. Nach einem Kampf gedacht emanzipativ dadurch, dass die Show zeigt, dass ein
verbrennen, denn: “There’s no cure but the fire.” (Willows (oder eben dass Dawn nicht ist), so auch ihre Mutter, als sie mit Glory tröstet Buffy ihre Schwester Dawn: Gegenreden, ein Widersprechen zu essentialistischen Anre-
Mutter Sheila). Außerdem sind auch die zwei (ehemals to- einen Gehirntumor hat.63 Dawn ist dadurch sehr verletzt, sie den möglich ist, die Subjekte darauf festsprechen wollen, ir-
ten) Kinder da. Buffy versucht vergeblich, ihre Mutter da- teilt Buffy (in “Listening To Fear”, 5.09) diese Erlebnisse mit:  Buffy: “Are you okay? Did she hurt you?” gendwie zu sein. Die Show zeigt im Gegenteil, dass Subjekte
von abzubringen, sie anzuzünden:  Dawn: “Why do you care?”   nicht irgendwie sind, sondern irgendwie gemacht werden und
Dawn: “People. They keep saying weird stuff about me.”  Buffy: “Because I love you. You’re my sister.”   also auch anders gemacht werden können und dass sie sich
Buffy: “Mom, you don’t want this.”  Buffy: “Are you talking about the Man in the hospital?”  Dawn: “No I’m not.”   selbst deshalb auch zu anderen machen können – ohne dass
Joyce: „Since when does it matter what I want? I wanted a nor- Dawn: “He called me a thing too. And there was another one. Buffy: “Yes you are. Look, it’s blood. It’s Summers blood. sie deshalb als souveräne Subjekte gedacht werden müssen.
mal, happy daughter. Instead I got a Slayer.“ [...]  Weird guy outside the magic shop. He said I didn’t belong. It’s just like mine. It doesn’t matter where you came Deshalb konzentrierten wir uns auf Buffys (der Titelfigur)
Gretel: „They hurt us.“  He said I wasn’t real.  Why does everybody keep doing that? from, or-or how you got here. You are my sister. There’s Performativität im Text Buffy (der Serie) und nicht darauf,
Hansel: „Burn them.“  What’s wrong with me?” no way you could annoy me so much if you weren’t.” wie die Identität von Buffy (der Titelfigur) im Text Buffy re-
Buffy: „Mom, dead people are talking to you. Do the math!“  (“Blood Ties”, 5.13) präsentiert wird (wie es die meisten Ansätze tun) oder wie
Joyce: „I‘m sorry, Buffy.“  Wie Buffy (in “No Place Like Home”, 5.05) in einem Ge- der Text Buffy (die Serie) performativ wirkt – zu dieser Fra-
Buffy: „Mom, look at me! You love me. You‘re not gonna be spräch mit dem letzten Dagon-Mönch herausfindet, ist ge, letztlich also zu der Frage des Zusammenhangs von kul-
able to live with yourself if you do this!“  Dawn ein Konstrukt von (männlichen) Mönchen – Dawn 3 “Yeah, Buffy. What are we gonna do now?” – turellen Hervorbringungen und gesellschaftlichen Auswir-
Joyce: „You earned this. You toyed with unnatural forces. ist “The Key”, der Schlüssel zu anderen Dimensionen.64 Resümee kungen scheint es uns vor allem angezeigt, im Sinne Butlers
What kind of a mother would I be if I didn‘t punish you?“  Dawn ist ein sprachliches Konstrukt, sie (und Erinnerungen (1998: 26ff und insbesondere die Fußnote 20) gegenüber
an sie) ist (sind) durch Sprache erschaffen, durch die Benen- “The show had merit in itself because it did raise the ques- einer zu mechanistisch gedachten Vorstellung von Kausal-
Amy schafft es zu fliehen, indem sie sich eine Ratte ver- nung der Mönche wurde sie zum Menschen. Allerdings fin- tion, ‘How can you live in this world and be sane?’” zusammenhängen skeptisch zu sein. Allgemeiner gesagt ist
wandelt. Giles wendet einen Spell auf die zwei Kinder an,60 det sich Dawn nicht so gut in der Welt zurecht, ähnlich wie (Whedon, 2002) Handlungsmacht also komplexer zu denken: Zwischen den
die sich in der Folge in einen Dämon verwandeln und den Buffy fühlt sich Dawn mit ihrer Benennung unbehaglich. Polen „alle Macht bei der Sprache / dem System“ und „alle
Buffy mit der Spitze ihres Marterpfahls aufspießt und tötet. Mit anderen Worten drückt es Irigaray aus: “Die Rolle der Es dürfte deutlich geworden sein, dass eine Lektüre von Macht beim souveränen Subjekt“ ist noch viel Raum für
Soweit zum Plot – die Wirkung von verletzender Spra- ‘Weiblichkeit’ ist außerdem von dieser männlichen Spiege- Buffy unter einem gendertheoretischen Fokus nicht gerade Möglichkeit zur Veränderung durch Wiederholung durch
che, die Hänsel und Gretel den BewohnerInnen einflüstern, lung und Spekulation vorgeschrieben und korrespondiert um Beispiele verlegen ist. Was bisher vielleicht noch we- in einem System hervorgebrachte und nur dort agieren kön-
wird wieder einmal überdeutlich gezeigt. Die Angst vor kaum dem Wunsch der Frau.” (Irigaray, 1979: 29) niger augenscheinlich wurde, ist, dass der Serie (bzw. de- nende Individuen / Subjekte, die davon gerade eben nicht
dem Übernatürlichen wendet sich durch die Einflüsterung Im Unterschied zu Buffy (die ja ein “normales” Mädchen ren SchreiberInnen) die Möglichkeit einer solchen Lesart aus ihrer Verantwortlichkeit entlassen sind:
der Dämone Hänsel und Gretel gegen die, die die Ängst- war und dann The Chosen wurde) geht es bei Dawn um ihre durchaus bewusst ist und diese oft bis ins Selbstironische
lichen eigentlich zu beschützen im Stande wären. Während Existenz als Mensch, die auf dem Spiel steht. So schreibt hin überspitzt wird. Wie bereits erwähnt wird der Pflock „Die Verantwortlichkeit des Sprechers besteht nicht darin,
eigentlich Hänsel und Gretel die Bedroher sind, behaupten Dawn in ihr Tagebuch: “Nobody knows who I am. Not the (Stake), mit dem Buffy Vampiren den Gar aus macht, häufig die Sprache ex nihilo neu zu erfinden, sondern darin, mit
sie ihren Opfern gegenüber, die Beschützer seien die Bedro- real me.” („Real Me“, 5.02) Diese Gefühle von Dawn lassen als Phallus gelesen – von Kendra bekommt er hingegen den der Erbschaft ihres Gebrauchs, die das jeweilige Sprechen
hung (die Leserin erinnert sich an Joyce’ oben zitierte Rede, sich mit Butler als Folge der „hate speech“, der verletzenden lächerlichen Kosenamen „Mr. Pointy“. Aber auch abgesehen einschränkt und ermöglicht, umzugehen. Um dieses Verant-
in der sie in Bezug auf ein allgemeines Bedrohungsszenario Anrede beschreiben: „Durch das Sprechen verletzt zu wer- von Mr. Pointy wimmelt es in Buffy nur so von überdeut- wortungsgefühl, das gleichsam von Anfang an mit einer Un-
Monster und Slayer durcheinanderbringt). Hänsel und Gre- den bedeutet, dass man Kontext verliert, also buchstäblich lichen Phallussymbolen für alle, die sie als das sehen wollen: reinheit behaftet ist, zu verstehen, müssen wir begreifen, daß
tel haben (ausnahmsweise zum Negativen hin) eine “Neu- nicht weiß, wo man ist.“ (Butler, 1998: 12) So greift Willow Glory mittels frei schwebenden, zuckenden die Sprecher durch die Sprache, die er oder sie gebrauchen,
bewertung eines Ausdrucks” geschafft und gezeigt, “daß Dawn flimmert in der Serie tatsächlich zwischen Sein und Messern an (in „Tough Love“, 5.19), Faith‘ liebste Waffe ist geprägt sind. Dieses Paradox deutet ein Dilemma an, das be-
man das Sprechen in anderer Form an seinen Sprecher ‘zu- Nicht-Sein. Durch einen Zauber sieht Buffy (in „No Place ein riesiges Messer (ein Geschenk des dämonischen Bürger- reits am Ursprung des Sprechens gärt.“ (Butler, 1998, 46)
rücksenden’ und gegen seine ursprünglichen Zielsetzungen Like Home“, 5.05) alle Spells, die ihre Familie angreifen65 – meisters, der für Faith eine Art Vaterfigur darstellt), und die
zitieren und so eine Umkehrung der Effekte herbeiführen sie sieht, dass Dawn nicht „wirklich“ ist: „The picture shows Szene, in der Buffy in „Innocence“ (2.14) einen Raketenwer- Buffy zeigt, wie SprecherInnen aus diesem Dilemma eine
kann.” (Butler, 1998: 27) Joyce, Buffy and Dawn smiling happily. Dawn‘s image ap- fer abfeuert, ist ohnedies nur schwer bierernst zu rezipieren. größere Macht schöpfen können, als sie jemals glaubten,

56 skolastin skolastin 57
dass in der Sprache steckte, die sie geprägt hat. Buffy nimmt ‚Buffy,‘ on the other hand is, I hope, not idiotic. We think very carefully 21 Wilcox (2006), das bereits erwähnte Standardwerk der Buffylogie, setzt umgesetzte Fortsetzung der TV-Serie), der Spin-Off „Angel“ oder ande-
sich nur heraus, „Chosen“ wörtlicher zu verstehen, als es die about what we’re trying to say emotionally, politically, and even philosophi- ihren Schwerpunkt ja auf die Verteidigung von Buffy als der akademischen res vom „Whedonverse“, wie die übrigen Arbeiten von Buffy-Creator Joss
taten, die sie so benannten. Buffy fehlaneignet sich ihren cally while we’re writing it. The process of breaking a story involves the Auseinandersetzung würdiges Kunstwerk und geht auf Gender-Aspekte Whedon genannt werden.
Namen: writers and myself, so a lot of different influences, prejudices, and ideas get nur sehr am Rande ein – der Titel ist also wohl kaum als Anspielung auf 30 Diese sind naturgemäß von hoher Komplexität, sodass die Lektüre von
rolled up into it. So it really is, apart from being a big pop culture phenom, Butlers „Bodies That Matter“ (1997) zu verstehen. Butler (1998) angezeigt scheint (Beistrich) um die folgenden Ausführun-
„Die Strategie, sich die Kraft des verletzenden Sprechens fehlan- something that is deeply layered textually episode by episode. I do believe 22 Diese Dialektik zwischen progressivem Separatismus und wider- gen zu verstehen, die nicht als Einführung in Butlers Werk intendiert sind.
zueignen, um seinen verletzenden Verfahren entgegenzutreten, that there is plenty to study and there are plenty of things going on in it, as sprüchlich-subversivem Ansprechen des Mainstream spricht auch Joss 31 Butler (1998: 11, Fußnote 5) verweist hier natürlich auf Jacques Derri-
widersetzt sich also […] der Rückkehr zur unmöglichen Vor- there are in me that I am completely unaware of. People used to laugh that Whedon in einem Interview an: ‘If I made „Buffy the Lesbian Separatist’, das Sprachphilosophie und Begriff der Iterabilität.
stellung von der ‘souveränen Freiheit des Individuums’. Das academics would study Disney movies. There’s nothing more important for a series of lectures on PBS on why there should be more feminism, no one 32 Wie bereits im Abschnitt zu Lenzhofer (2006) diskutiert.
Subjekt wird in der Sprache konstituiert (oder ‘angerufen’), academics to study, because they shape the minds of our children possibly would coming to the party, and it would be boring. The idea of changing 33 Z.B. klagt Buffy in “Selfless” (7.05): “It is always different! It’s always
und zwar durch einen Ausleseprozeß, der die Bedingungen der more than any single thing. So, like that, I think ‚Buffy‘ should be analyzed, the culture is important to me, and it can only be done in a popular me- complicated. And at some point, someone has to draw the line, and that
lesbaren und intelligiblen Subjektivität regelt. Selbst wenn das broken down, and possibly banned.“ (Whedon, 2003) dium.” (Whedon zitiert nach Lavery, 2002) is always going to be me. You get down on me for cutting myself off, but
Subjekt benannt wird, hängt die Frage, ‘wer’ es ist, ebenso von 9 Für eine etwas ausführlichere Darstellung des Grund-Plots vgl. den fol- 23 Diese Frage ist freilich auf einer anderen Ebene (die nach dem Zu- in the end the slayer is always cut off. There’s no mystical guidebook. No
den Namen ab, die es niemals erhalten hat: Durch den Namen genden Abschnitt 1.2 „Gender im Buffyverse“. sammenhang von Sprechakten (als die kulturelle Artefakte u.U. angese- all-knowing council. Human rules don’t apply. There’s only me. I am the
werden die Möglichkeiten des sprachlichen Leben ebenso er- 10 Einem weit verbreiteten Usus folgend verweisen wir auf Folgen der Se- hen werden können) und gesellschaftlicher Wirkung frägt) auch eine der law.” – oder in „Life Serial“ (6.05), nachdem Buffy sich (vergeblich) in der
öffnet wie verworfen.“ (Butler, 1998: 64) rie in der Form „Seasonnummer.Episodennummer“. Grundfragen von Butler (1998), die hier freilich nicht von zu einfach me- Ausübung diverser „normaler“ Brotberufe versucht hat: „Tonight sucks!
11 Das Vampirgesicht, das die Vampire in der Serie „aufsetzen“ können, chanistisch gedachten Ursache-Folge-Relationen ausgeht (vgl. z.B. Butler, And, and look at me! Look at, look at stupid Buffy! (pulls jacket back up
Welche Möglichkeiten der Name „The Chosen One“ eröff- wird im Englischen als „she is vamped out“ bezeichnet. 1998: 34,37). Darüber wird im Folgenden freilich noch zu reden sein. her arm) Too dumb for college, and, and, and freak Buffy, too strong for
nete, ist der LeserIn inzwischen bekannt. 12 Neben einigen anderen ist Whedon Director und Writer vieler Folgen. 24 Tara wird ab der vierten Staffel in die Serie eingeführt. Wie Wil- construction work. (finishes putting on jacket) And, and my job at the
Außerdem ist Whedon Creator der Serien Firefly und Dollhouse, die ähn- low hat sie magische Fähigkeiten, die sie gemeinsam mit Willow ent- magic shop? I was bored to tears even *before* the hour that wouldn‘t end!
liche Themen und Konflikte (teilweise sogar noch zugespitzter) wie Buffy deckt, erkundet und ausbaut. Parallel dazu entwickelt sich zwischen And the only person I can even stand to be around is a ... neutered vampire
4. Anmerkungen verhandeln und bei Fans gleichermaßen populär sind. den beiden eine Liebesbeziehung. Der erste Kuss des Paares (erst in who cheats at kitten poker.“ – oder in “Touched” (7.20): “Casualties. It just
13 Variationen dieser berühmten Interview-Aussage sind z.B. “The first „The Body“, 5.16) war eine der ersten lesbischen Kussszenen im US- sounds so...casual. These are girls [i.e. die Potentials] that I got killed. I cut
1 Dieser Text enstand im Rahmen einer Lehrveranstaltung an der Ver- thing I ever thought of when I thought of ‘Buffy: The Movie’ was the lit- amerikanischen Fernsehen. myself off from them...all of them. I knew I was gonna lose some of them
gleichenden Literaturwissenschaft der Universität Innsbruck und wird tle...blonde girl who goes into a dark alley and gets killed, in every horror 25 Faith ist ab der dritten Staffel in der Serie. Immer wenn The Slay- and I didn’t- You know what? I’m still making excuses. I’ve always cut my-
ebenfalls erscheinen in: Prager, Julia und Fuchs, Nina (Hg.): Gender Stu- movie. The idea of ‘Buffy’ was to subvert that idea, that image, and create er stirbt, wird ein neues Mädchen (bis dahin als „Potential“ bezeichnet) self off. I’ve always - Being the slayer made me different. But it’s my fault I
dies: from field studies to agency theories. Reihe Sprachraum, Innsbruck, someone who was a hero where she had always been a victim. That ele- zum Slayer berufen – in Faith‘ Fall ist es der Tod von Kendra, der zu stayed that way. People are always trying to connect to me, and I just slip
Studia Universitätsverlag, 2010. Unser Dank gilt Marko Markovic für seine ment of surprise...[and] genre-busting is very much at the heart of both the Faith‘ Berufung führt. Das Verhältnis von Faith und Buffy ist ein viel- away.” – und (ebenfalls in “Touched”, 7.20) im Gespräch mit Spike: “You’re
zahl- und hilfreichen Hinweise zum Buffyverse sowie der schwedischen movie and the series.” (Joss Whedon, “Welcome to the Hellmouth” DVD diskutiertes, das viele AutorInnen zu Auflistungen von Dichotomien the one, Buffy.” Buffy: “I don’t want to be the one.”
Piratpartiet für die Bereitstellung des kolloborativen Texteditors http://pi- Commentary, zitiert nach: http://en.wikiquote.org/wiki/Joss_Whedon bewegte (Faith ist dunkelhaarig, Buffy blond, Faith ist Einzelgängerin, 34 Die einzige Ausnahme ist die zweite Slayerin Faith, dazu ein kurzer
ratepad.net. Für alle Fehler sind hingegen nur wir selbst verantwortlich.. 3.9.2010) oder “This movie was my response to all the horror movies I had Buffy hat viele FreundInnen etc.). Jedenfalls wechseln sich Freund- und Dialog aus „End Of Days“ (7.21): Buffy: „But you’re right. I mean, I guess
2 Wir setzen „Buffy“ kursiv, wenn von der Serie die Rede ist und schrei- ever seen where some girl walks into a dark room and gets killed. So I Feindschaft in der Beziehung der beiden ab, in „Who Are You“ (4.16, dt. everyone’s alone but being a Slayer? There’s a burden we can’t share.“ Faith:
ben „Buffy“ ohne Auszeichnung, wenn wir die Titelheldin meinen. decided to make a movie where a blonde girl walks into a dark room and „Im Körper des Feindes“) tauschen Buffy und Faith ihre Körper. Zu einer „And no one else can feel it. Thank god we’re hot chicks with superpowers.“
3 Vgl. dazu http://en.wikipedia.org/wiki/Buffy_the_Vampire_ kicks butt instead.” (Joss Whedon, zitiert nach Early, 2002) exemplarischen Sammlung von Buffy/Faith-Fanworks s. http://buffyn- 35 Genauer gesagt in “Get It Done” (7.15): Dawn: “They’re all slayers?”
Slayer_%28TV_series%29#Cultural_impact, 3.9.2010. Für einen ersten 14 Im Gegensatz zur „passive damsel in distress“ in einem schon erwähn- faith.net/links.html, 15.9.2010. Giles: “Potential slayers. Waiting for one to be called. There were many
Überblick übers Buffyverse, wie das fiktive Universum der Serie und ihrer ten aktuellen Blockbuster, wie beispielsweise ein direkter (und kommen- 26 Willow z.B. hat einerseits besondere technisch-wissenschaftliche Fä- more like them all over the world, but, um, now there’s just a handful, and
Spin-Offs genannt wird, empfehlen wir von Fans betriebene Online-Res- tierter) Vergleich von einzelnen Szenen auf http://criticalcommons.org/ higkeiten – also „skills traditionally coded masculine“ (Jowett, 2005: 38) they’re all on their way to Sunnydale.
sourcen wie http://www.buffyworld.com, http://buffy.wikia.com, http:// Members/RebelliousPixels/clips/bella_reaction.mov/view, 9.9.2010 zeigt – ist andererseits aber auch eine mächtige Hexe – „a traditionally female 36 Z.B. Buffy in “Potential” (7.12): “You’re all going to die. But you knew
www.justinleader.com/annotatedbuffy oder http://whedonesque.com (alle oder der Youtube-Clip „Buffy vs. Edward: Twilight Remixed“ http://www. power“ (Jowett, 2005: 39), was die Figuren in der Serie auch ironisch kom- that already because that’s the cool reward for being human. The big desert
3.9.2010). youtube.com/watch?v=RZwM3GvaTRM&feature=related, 9.9.2010. mentieren, so wird z.B. Willow einmal zu Buffy gebeten mit den Worten: at the end of the meal. Don’t kid yourselves, you guys. This whole thing is
4 Eine Onlinerecherche mit dem Such-String „buffy slash“ kann empfoh- 15 Dies geschieht im der Serie vorangegangen Pilot „Buffy the Vampire „Actually she [i.e. Buffy] said she was looking for, and I quote ‚laptop geek all about death. You think you’re different because you might be the next
len werden. Vgl. auch Williamson (2005: 164-174). Slayer“ (1992), dt. „Buffy – Der Vampirkiller“, das Drehbuch schrieb Joss willow, not broomstick-action willow.‘„ („No Future For You“, 8.2) Slayer? Death is what a Slayer breathes, what a Slayer dreams about when
5 Wilcox (2006), die bemüht ist, den Kunstcharakter der Serie zu beto- Whedon, Regie führte Fran Rubel Kuzui. Kuzui machte daraus eine vorwie- 27 McClellands (2006) Stoffgeschichte der Vampir-SlayerInnen geht im she sleeps. Death is what a Slayer lives. My death could make you the next
nen, kann als frühes Standardwerk dieser Disziplin gelten, für weitere Titel gend als missglückt rezipierte Horrorkomödie, der Film floppte, dennoch Übrigen auch kurz (wenngleich auch ohne Berücksichtigung gender-re- Slayer. Oh, goody. Rapt attention. I love that so much.” – und ebenda:
siehe u. sowie unsere Bibliographie. (bzw. zum Glück) konzipierte Whedon aus dem Stoff eine Fernsehserie. levanter Aspekte – außer der nicht weiter behandelten Feststellung, dass “Time is against us. And some of us will die in this battle. Decide now that
6 Darüber hinaus erscheinen online ständig zahllose weitere (semi-)aka- 16 Die „Wächter“ sind Teil der Geheimorganisation „The Watchers Coun- in der Literatur Hexen meist Frauen und Vampire meist Männer sind) auf it’s not going to be you. I know you’re all tired… far away from home…
demische Artikel zum Buffyverse, die hier naturgemäß nicht allesamt weiter cil“ mit Sitz in London. Mehr zum Verhältnis Slayer-Watcher später. Buffy ein und bemerkt dazu: „In Buffy, for perhaps the first time in the anxious. But you’re all special. Most people in this world have no idea why
behandelt werden können. Außerdem organisieren Rhonda V. Wilcox u.a. 17 Darunter sind auch zwei Vampire, ein Werwolf und ein ehemaliger Dä- history of modern vampire slayer, the slayer‘s calling is explicit and formal they’re here or what they want to do. You do. You have a mission. A reason
die zweijährlich stattfindenden „Slayage Conferences on the Whedonverses“. mon. rather than merely circumstantial. Unlike Van Helsing and Mina, Kolchak, for being here. You’re not here by chance. You’re here because you are the
7 Dath (2003), Natale (2007), Lenzhofer (2006) oder Beckmann (u.a.) 18 Die Bezeichnung „Scooby Gang“ wird von Xander in der Doppelfolge or Scully and Mulder, Buffy is marked by more than being an outcast or chosen ones.” – Buffy in “Get It Done” (7.15): “The First isn’t impressed. It
(2010) sowie Ausgabe #9 der Zeitschrift Hommage (2008). Außer Natale „What‘s My Line“, 2.9+10 eingeführt, angelehnt an eine Gruppe von gei- outsider. [...] [S]he is designated by ritual (folkloric) tradition, and her task already knows us. It knows what we can do, and it’s laughing. You want to
(2007) und Lenzhofer (2006) können wir diese Publikationen im Übrigen sterjagenden Teens im Cartoon „Scooby Doo“. Witziges Detail am Rande: is to destroy the inhuman vampires by violent means.“ (McClelland, 2006: surprise the enemy? Surprise yourselves. Force yourself to do what can’t
nicht behandeln, da sie zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Textes Die Darstellerin von Buffy, Sarah Michelle Gellar, spielt auch in den Filmen 179f) be done, or else we are not an army - we’re just a bunch of girls waiting to
nicht verfügbar waren. „Scooby-Doo“ und „Scooby-Doo 2: Monsters Unleashed“ mit. 28 Daher fiel ihre Darstellung hier nicht in der ihnen eigentlich zuste- be picked off and buried.” – oder in “Dirty Girls” (7.18): “We’ve got a new
8 „I think it’s great that the academic community has taken an interest in 19 In der deutschen Fassung wird Hellmouth als „Höllenschlund“ be- henden Differenziert- und Ausführlichkeit aus, sondern wir nutzten die player in town. Dresses like a preacher. Calls himself Caleb. Looks like he’s
the show. I think it’s always important for academics to study popular cul- zeichnet. vorigen, zum Teil bewusst aus Gründen der Prägnanz überzeichnenden working for the First. He’s taunting us, calling us out. Says he’s got some-
ture, even if the thing they are studying is idiotic. If it’s successful or made 20 Der Pflock, engl. „stake“ ist sozusagen die Waffe gegen die Vampire – Absätze nur zur Kennzeichnung uns relevant erscheinender Positionen. thing of mine. Could be another girl, could be something else. Don’t know,
a dent in culture, then it is worthy of study to find out why. wird er mit Schmackes in ihr Herz gerammt, zerfallen sie zu Staub. 29 = Die bereits einmal zitierte Season 8 (die ab 2007 in Comic-Form don’t care. I’m tired of talking. I’m tired of training. He’s got something of

58 skolastin skolastin 59
mine? Fine. I’m getting it back, and you guys are coming with me.” 45 Diese Aufzählung ließe sich endlos fortsetzen, was aus Gründen der 61 Eine umfassende Lektüre von Irigaray setzen wir hier nicht zum Ver- nen in US-amerikanischen  Fernsehserien. Bielefeld,
37 Buffy trifft in „Get It Done“ (7.15) diese drei Schamanen, die Buffy Prägnanz unterbleibt. ständnis voraus. transcript, 2006
(ebenso wie vor Jahrtausenden the First Slayer) mit ihrer Macht (im Film 46 Zu diesem Punkt vgl. v.a. auch Butler (1997). 62 Dawn wird bereits vorher in zwei recht kryptischen Traumsequenzen McClelland, Bruce: Slayers and Their Vampires: A Cultural
bildlich als schwarzer Rauch dargestellt) ausstatten wollen: 47 So wird meist in der Nacht bei Kerzenschein innerhalb von Bannkrei- angekündigt („Graduation Day, Part Two“, 3.22 und „This Year‘s Girl“, History of Killing the Dead. Ann Arbor, Univ. of Michi-
Buffy: „You think I came all this way to get knocked up by some demon sen gezaubert, werden ganz bestimmte Zutaten für den Zauber benötigt und 4.15), in denen Faith und Buffy gemeinsam ein Bett in Dawns künftigem gan Press, 2006
dust? I can‘t fight this. I know that now. But you guys? You‘re just men. Just werden die Spells aus Zauberbüchern (die meist uralt, also über viele Jahr- Schlafzimmer machen – Faith: „Little sis coming, I know.“ Buffy: „So much Natale, Monica: Gender in Buffy, die Vampirjägerin: die
the men who did this...to her. Whoever that girl was before she was the hunderte in Gebrauch sind bzw. in einer alten Tradition stehen) vorgelesen. to do before she gets here.“ In „Restless“ (4.22) warnt Tara Buffy: „Be back Konstruktion und Rezeption von Geschlechterrollen im
First Slayer.“ 48 Mehr dazu im folgenden Abschnitt zu „Gingerbread“. before Dawn.“ amerikanischen Fernsehen der 90er Jahre. Eine Analyse
Red Hat Shadow Man: „You don‘t understand.“ 49 Oder wie es im Eingangszitat von Austin in „Hass spricht“ formuliert 63 Joyce in “Out Of Mind” (5.04): “Oh, what is the... Who are you?” – oder aus feministischer Perspektive. Hamburg, Diplomica,
Buffy: „No, you don‘t understand! You violated that girl, made her kill ist: „Das Verunglücken ist eine Krankheit, der alle Handlungen ausgesetzt in Listening To Fear” (5.09): “Don’t touch me! You – you thing!” Dawn: 2007
for you because you‘re weak, you‘re pathetic, and you obviously have noth- sind, die in allgemein üblichen Formen oder zeremoniell ablaufen müssen, “Mum, please!” Joyce: “Get away from me! You’re nothing, you’re, you’re a Sexl, Martin: Formalistisch-strukturalistische Theorien. In:
ing to show me.“ also alle konventionellen Handlungen.“ shadow!” Ders. (Hg.): Einführung in die Literaturtheorie. Wien,
38 So überwarf sie sich beispielsweise mit dem Watcher‘s Council oder 50 Ein anderes Beispiel für „unerwünschte Nebeneffekte“ von Spells ist 64 Buffy: “What is it?” Monk: “The Key is energy. It’s a portal. It opens the UTB / Wiener Universitätsverlag, 2004 (S.161-190)
tauchte in Los Angeles unter. eine Erklärung von Willow: „Thaumogenesis is when doing a spell ac- door... [...] For centuries it had no form at all. My brethren, its only keep- Wilcox, Rhonda; Why Buffy Matters. The Art of Buffy the
39 Das Beispiel, das Martin Sexl in seiner Einführung für das Ausgangs- tually creates a being. In this case it was, like, a side-effect, I guess. Like a ers. Then the abomination found us. We had to hide the Key, gave it form, Vampire Slayer. London (u.a.), Tauris, 2006
dilemma einer poststrukturalistischen Weltsicht anführt, erinnert frappant price.” (“After Live”, 6.03) Zahlreiche ähnliche Beispiele ließen sich noch molded it flesh... made it human and sent it to you.” Buffy: “Dawn...” Monk: Williamson, Milly: The Lure of the Vampire. Gender, Fic-
an jenes von Buffy: „Wie können sich also [...] Frauen gegen Benachteili- anführen. “She’s the Key.” Buffy: “My memories... my mum’s?” Monk: “We built tion and Fandom from Bram Stoker to Buffy. London
gung wehren? [...] (1) Eine Möglichkeit wäre der Versuch, bislang Männern 51 In einer sehr aussagekräftigen (Traum-)Szene in „Restless“ (4.22) schreibt them.” Buffy: “Then un-build them! This is my life you’re-” The Monk starts (u.a.), Wallflower, 2005
vorbehaltene Positionen einzunehmen [...]. Allerdings würde das wenig an Willow Sapphos Liebesgedicht „Hymne an Aphrodite“ auf Taras Rücken – coughing heavily. He’s fading fast. Monk: “You cannot abandon.” Buffy: “I
der Ordnung der Geschlechter ändern, in der Männlichkeit mit Macht und ein Bild mehr für den Zusammenhang von Sprache und Körpern in Buffy didn’t ask for this! I don’t even know... what is she?” Monk: “Human... now
Verdrängung einhergeht. Die Dichotomie männlich/weiblich bliebe unan- 52 Wovor sie Giles in “Flooded” (6.04) warnt: “The magicks you channeled human. And helpless.” www
getastet, die Frau würde sozusagen zu Mann. (2) Eine zweite Möglichkeit are more ferocious and primal than anything you can hope to understand, 65 Zur Erklärung: Buffy hat erfahren, dass Glory, die große Gegnerin der
bestünde in dem Versuch, sich einen Raum außerhalb der patriarchalen and you are lucky to be alive, you rank, arrogant amateur!” Willow: “You’re 5. Staffel sie durch ihre Familie angreift und wendet deshalb den Zauber an, Bodger, Gwyneth: Buffy the Feminist Slayer? Constructions
Ordnung zu schaffen mit eigener Sprache und eigener Organisation [...]. right. The magicks I used are very powerful. I’m very powerful. And maybe um Klarheit zu haben, was los ist. of Femininity in Buffy the Vampire Slayer. http://blogs.
Da solche Formen für Männer nicht nur unzugänglich, sondern auch un- it’s not such a good idea for you to piss me off.” arts.unimelb.edu.au/refractory/2003/03/06/buffy-the-
verständlich sind [...], bestünde die Gefahr, dass sich Frauen selbst jene Ei- 53 Demon: “You raised one killed by mystical forces. This is not the same feminist-slayer-constructions-of-femininity-in-buffy-
genschaften aneigneten, die ihnen von der patriarchalen Ordnung immer – she is taken by natural order. It is done. (“Villains”, 6.20) Der daraus resul- 5. Literatur the-vampire-slayer-gwyneth-bodger, 6.3.2003, zuletzt
schon zugeschrieben wurden: Frauen sind für den männlichen Blick un- tierende innere Konflikt Willows zwischen ihrer Loyalität zu Buffy und der aufgerufen am 21.9.2010
verständlich, emotional oder gar hysterisch. Wenn man dieser poststruk- Liebe zu ihren jeweiligen Freundinnen wird übrigens in der hier ja nicht im Adelmann, Ralf u.a. (Hg.): Grundlagentexte zur Fernseh- Early, Frances: Staking Her Claim: Buffy the Vampire Slayer
turalistischen Argumentation folgt, dann können Frauen also die symboli- Details berücksichtigten Season 8 noch deutlicher herausgearbeitet. wissenschaft. Konstanz, UVK-Verlagsgesellschaft, 2001 as Transgressive Woman Warrior. In: Lavery, David und
sche Ordnung nicht verlassen. Entweder sprechen sie [...] wirr (hysterisch) 54 Willow wird von Andrew Wells mit einem „Dark Phoenix“ verglichen Beckmann, Annika & Hatlapa, Ruth & Jelinski, Oliver & Wilcox, Rhona V.: Slayage 6, http://slayageonline.com/
und nehmen die ihnen zugewiesenen Rollen ein, oder sie werden zu Män- („Two To Go“, 6.21) und in der Serie später als „Dark Willow“ bezeichnet. Ziener, Birgit (Hg.): Horror als Alltag. Berlin, Verbre- essays/slayage6/Early.htm, 2002, zuletzt aufgerufen am
nern, indem sie so sprechen wie jene.“ (Sexl, 2004: 185, Hervorhebung im 55 “Dark Willow” betrachtet ihr bisheriges Leben und interpretiert es in cher Verlag, erscheint 2010 3.9.2010
Original) “Two To Go” (6.21) neu: “Let me tell you something about Willow; she’s Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt Lavery, David: “A Religion in Narrative”: Joss Whedon and
40 By the way – Buffys Mutter heißt „Joyce“, was gesprochen eben wie a loser. And she always has been. Everyone picked on Willow in junior am Main, Suhrkamp, 1991 Television Creativity. In: Ders. und Wilcox, Rhona V.:
„choice“ klingt. high, high school, up until college with her stupid mousy ways. And now... Butler, Judith: Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Slayage 7, http://slayageonline.com/essays/slayage7/La-
41 Aber welche Tragödie hat schon keine dea ex macchina! Willow’s a junkie. The only thing Willow was ever good for, the only thing Aus dem Englischen von Kathrina Menke und Markus very.htm, 2002, zuletzt aufgerufen am 3.9.2010
42 Im Original wird auf den Gegenstand mit „scythe“ oder „axe“ rekurriert going for me, were those moments – just moments – when Tara would look Krist. Berlin, Berlin Verlag, 1998 Lavery, David: “ I wrote my thesis on you!”: Buffy Studies
(Buffy in „Chosen“, 7.22: „Tomorrow, Willow will use the essence of the scy- at me and I was wonderful. And that will never happen again.” Butler, Judith: Körper von Gewicht. Die diskursiven Gren- as an Academic Cult. In: Ders. und Wilcox, Rhona V.:
the to change our destiny.“ bzw. Angel in derselben Folge: „Besides, you’ve got 56 Dabei kämpft Willow auch gegen Buffy: „Come on! This is a huge deal for zen des Geschlechts. Frankfurt am Main, Suhrkamp, Slayage 13/14, 2004, http://slayageonline.com/essa-
that real cool axe-thing going for you.“) – eine Übersetzung im Deutschen fällt me! Six years as a side man, and now I get to be the Slayer.“ („Two To Go“, 6.21) 1997 ys/slayage13_14/Lavery.htm, zuletzt aufgerufen am
schwer – „Sense“ ist es keine, „Sichel“ könnte mit dem Komplex „Getreide, 57 Joyce hält bei der Gründung eine Rede: “This is not a good town. How Cavell, Stanley: Die Tatsache des Fernsehens. In: Adelmann, 21.9.2010
Fruchtbarkeit, Weiblichkeit“ assoziiert werden, bleibt also nur „Axt“. many of us have, have lost someone who, who just disappeared? Or, or got Ralf u.a. (Hg.): Grundlagentexte zur Fernsehwissen- Lavery, David und Wilcox, Rhona V.: Slayageonline, http://
43 Zur Körperlichkeit von Sprechakten noch mehr im folgenden Ab- skinned? Or suffered neck rupture? And how many of us have been too schaft. Konstanz, UVK-Verlagsgesellschaft, 2001 (S.125- slayageonline.com, zuletzt aufgerufen am 3.9.2010
schnitt 2.2 „Mikrostruktur“. afraid to speak out? I - I was supposed to lead us in a moment of silence, 164) Lutosch, Heide: Der Alltag ist der Horror. In: JungleWorld,
44 Wie ja generell „Wiederholungen und Wiederkehr eine Art Anspruch but... silence is this town’s disease. For too long we-we’ve been plagued by Dath, Dietmar (Hg.): Sie ist wach. Über ein Mädchen, das Nr. 33, 13.8.2010, online: http://jungle-world.com/
sind, dessen Erfüllung das Fernsehen von all seinen Formaten fordert“ unnatural evils. This isn’t our town anymore. It belongs to the monsters hilft, schützt und rettet. Berlin, Implex Verlag, 2003 artikel/2010/33/41539.html, zuletzt aufgerufen am
(Cavell, 2001: 135) – so der Tenor der meisten Beiträge in dem Band and, and the witches and the Slayers. [...] I say it’s time for the grownups to (vergriffen) 19.9.2010
(Adelmann, 2001), dem wir das Zitat entnommen haben. An dieser Stelle take Sunnydale back. I say we start by finding the people who did this and Hommage, Erregung aus Wien. Ausgabe #9, Wien, Oktober Whedon, Joss: 10 Questions for Joss Whedon. http://www.
sei noch einmal darauf hingewiesen, dass unsere Buffy-Lektüre explizit making them pay.” 2008 (vergriffen) nytimes.com/2003/05/16/readersopinions/16WHED.
keine medien- oder fernsehwissenschaftliche ist und wir die Serie gene- 58 Nebenbei bemerkt ist diese eine der wenigen Folgen, in der die Polizei Irigaray, Luce: Das Geschlecht das nicht eins ist. Berlin, html?ex=1185076800&en=7c66de4a5f0e124b&ei=50
rell eher als via DVD oder Torrent-Download kanonisiertes Kulturgut „handelt“ bzw. überhaupt vorkommt. Merve Verlag, 1979 70&pagewanted=1, 16.3.2003, zuletzt aufgerufen am
behandeln, dessen Rezeption natürlich eine völlig andere ist als im von 59 Dazu kommentiert Xander: “Aw, man, it’s Nazi Germany, and I’ve got Jowett, Lorna: Sex and the Slayer. A Gender Studies Primer 3.9.2010
Flüchtigkeit, anderer Zeitlichkeit (wöchentlicher Rhythmus, Werbepau- Playboys in my locker!” for the „Buffy“ Fan. Middletown, Wesleyan Univ. Press, Whedon, Joss: Equality Now Tribute Address. http://www.
sen), technischen, finanziellen und sonstigen Zwängen geprägten Fernse- 60 Giles (auf deutsch): „Ihr Goetter, ruft Euch an! Verbergt Euch nicht 2005 americanrhetoric.com/speeches/josswhedonequality-
hen. hinter falschen Gesichtern!“ Lenzhofer, Karin: Chicks rule! Die schönen neuen Heldin- now.htm, 15.5.2006 zuletzt aufgerufen am 3.9.2010

60 skolastin skolastin 61
allseitigen Legitimations- und Immunisierungsstrategie wer- den Wunsch nach einem anderen Ort aus, in dem Frauen*
den, weil grundsätzlich alles beschlossen werden kann, jede/r nicht mit sexistischer Gewalt konfrontiert werden. Tagsdarauf
Platz hat, alle und damit auch schnell niemand verantwort- wurde der FrauenLesbenInterTransRaum (F_L_I_T) von ca.
lich sein will. Gerade hier müssen feministische, antikapitali- 30 Personen besetzt. Diese feministische Aktion war zunächst
stische und antirassistische Kräfte ansetzen, heißt es von Sei- sehr schön und wohltuend, doch als sich Feministinnen auch
ten linker AktivistInnen und „als Teil dieser Bewegung Kritik hier rechtfertigen mussten, zogen sich viele enttäuscht aus den
über und sich auch mühsamen [!] Diskussionen stellen“ (Per- Protesten zurück.
spektiven 2009). Es lohnt sich doch zu kämpfen, Frauen, denn Der F_L_I_T-Raum blieb bis zur Räumung des Audi-
Ich möchte Teil einer feministischen wer nicht mitmacht, kann nicht mitgestalten, und schließlich max und aller weiteren Räumlichkeiten im Hauptgebäude
ist es in unser aller Verantwortung, wie emanzipatorisch und der Universität Wien am 21. Dezember bestehen und war
Bildungsbewegung sein1 antisexistisch die Bewegung ist! Wem aber wird hier wiede-
rum die Verantwortung für Antisexismusabeit2 übertragen
ein Schutz- und Ruheraum, sowie wichtiger Ausgangspunkt
für feministische Interventionen im Audimax. Es wurden
Bemerkungen zum Sexismus in den Studierendenprotesten in Österreich und wie groß sind diese Mühen, die wir im schmutzigen Ge- einige antisexistische Veranstaltungen in besetzten Hörsä-
schäft mit Sexismus auf uns nehmen können und wollen – len veranstaltet sowie ein FrauenLesbenTransBlock auf der
Rosa Costa und Iris Mendel denn schmutzig war es in der Tat. Bildungsdemo am 28. Oktober organisiert. Unterstützend
Und da Sexismus stets angezweifelt, verharmlost, als Aus- waren manche solidarische AGs (z.B. der AG Emanzipa-
nahme gesehen und nach außen projiziert wird, möchten torische Interventionen, der SchwuleTrans AG und der AG
wir einen Einblick in Geschehnisse im Wiener Audimax Selbstverwaltete Geschlechtsidentitäten) sowie zahlreiche
Seit Oktober 2009 bewegt sich Bildung in Österreich wieder: Repräsentationsverweigerung auch als Losungsworte und geben. Wir verfassen folgenden Abschnitt als Erfahrungs- Solidaritätsbekundungen von außen, u.a. verfassten die
Ausgehend von der Akademie der Bildenden Künste besetz- Legitimationsstrategie einer Bewegung, die noch kein ge- bericht, um die – durch wissenschaftliche Sprache schwer Lehrenden eine antisexistische Stellungnahme (http://un-
ten Studierende Hörsäle verschiedener Universitäten, darun- meinsames politisch-emanzipatorisches Selbstverständnis vermittelbare – erlebte Gewalt deutlich zu machen. sereuni.at/wiki/index.php/Lehre.Squatting.Teachers_AG).
ter auch das Audimax, den größten Hörsaal der Universität teilt. Wie steht es aber mit der Basisdemokratie, wenn sich Manche antisexistische Forderungen konnten im Audimax-
Wien. Sie/Wir kämpfen, mittlerweile gemeinsam mit einigen Teile der Bewegung als „ideologiefrei“ verstehen, haupt- plenum beschlossen werden. Die grundlegende Forderung
Lehrenden und Forschenden, u.a. für freien Zugang zu Bil- sächlich für Seminarplätze kämpfen, gesellschaftspolitische Der Kampf um Antisexismus: Botschaften aus nach Anerkennung der Definitionsmacht der Betroffenen
dung, die Demokratisierung der Universitäten und antidis- Argumentationen als „politische Vereinnahmung“ ableh- dem Wiener Audimax von sexualisierter Gewalt, war dabei leider nicht mehrheits-
kriminatorische Maßnahmen sowie gegen die zunehmende nen und sich medientauglich, also nicht zu radikal, präsen- fähig. Angesichts des Täterschutzes, der durch diese unklare
Ökonomisierung von Bildung. Der Einsatz und die Organi- tieren wollen? Der Sexismus erreichte im Audimax unerträgliche Aus- Haltung entsteht, erscheint die Akzeptanz und Umsetzung
sation der Studierenden sind beeindruckend: In kurzer Zeit Eine in den Protesten aktive Studierende räumt kritisch maße, sodass der Kampf um Antisexismus für manche zur von geschlechtersensibler Sprache bei Aussendungen des
bildeten sich über 100 Arbeitsgruppen, wurden Forderungs- ein, dass Basisdemokratie oft „als Selbstzweck bzw. selbst- mühsamen Pflicht wurde. In den ersten Tagen fiel das, auf Plenums als fast höhnischer Trost. Zwei weitere sexualisier-
kataloge verfasst, Kommunikationsstrukturen geschaffen referentiell diskutiert wird“ (Grundrisse 2009, 17), ohne StudentInnenfesten leider „normale“, heterosexistische Par- te Angriffe auf Frauen wurden bekannt und ein Nottelefon
und eine breite Bildungsbewegung ist entstanden. Diese fand dass sich die Bewegung ausreichend über den Zweck und tyverhalten auf – Anmachen, Grapschereien und nackte eingerichtet. Doch die gebotene Unterstützung des F_L_I_T-
ihren numerischen Höhepunkt bei einer Demonstration in gesellschaftspolitische Implikationen von Basisdemokratie Männerkörper, ein Mann zog seine Hose aus, um seinen Raumes konnte oftmals nicht angenommen werden, da ei-
Wien am 29. Oktober 2009 mit ca. 40000 Protestierenden. verständige. Als formales Prinzip ist Basisdemokratie nicht „kleinen, unterdrückten Freund zu befreien“. Der Tiefpunkt nerseits die Plakate mit der Telefonnummer abgenommen
Die Bewegung schlug auch internationale Wellen – biswei- per se emanzipatorisch. Die formale Gleichbehandlung von war erreicht, als eine Frau im offiziellen Schlafsaal sexuali- wurden und andererseits der F_L_I_T-Raum aus Angst vor
len waren über 80 Universitäten in Europa besetzt. Eine ge- sozial Ungleichen fordert gesellschaftliche Herschaftsver- sierter Gewalt ausgesetzt war. Der Auslöser für eine größer Übergriffen nicht ausgeschildert war. Burschenschafter hat-
sellschaftspolitische Debatte über Bildung ist losgetreten, hältnisse nicht unmittelbar heraus, sondern macht diese un- angelegte feministische Intervention war, als am Sonntag ten sich in der ersten Nacht am Infopoint nach dem Raum
Solidaritätserklärungen kamen von allen Seiten und trotz ter Umständen unsichtbar und zementiert sie. So machten Abend (25. Oktober) nach dem Plenum ein Liedermacher erkundigt und im Internet wurde von „Puff “ und „Gang-
Räumungen und Rückzügen bleiben einige Universitäten in sich einige AktivistInnen unter dem Banner der Basisde- auf der Bühne erklärte, er kenne sexuelle Gewalt, da sein bang“ gesprochen.
Europa besetzt – die Bildungsproteste gehen weiter. mokratie gegen Quotenregelungen und den vermeintlichen Hund ihn geleckt habe. Als Frauen daraufhin interve-
Ausschluss von Männern stark. Dass sie sich gleichzeitig nierten und ihm das Mikrophon entziehen wollten, muss­
rhetorisch zu Feminismus und Anti-Sexismus bekennen, ten wir uns von einem Mitglied der AG Abendgestaltung Sexismus 2.0
All equal? Herrschaftsverhältnisse in der damit aber höchstens formale Gleichstellung meinen, ver- anhören, wir wären „eh zu schiarch [hässlich] um miss-
Basisdemokratie deutlicht, dass eine entpolitisierte Gleichstellungsrhetorik braucht zu werden“. Währenddessen kamen vom Publikum Facebook, Twitter und Wiki haben die Kommunikations-
im Mainstream angekommen ist. Dies zeigt sich z.B. auch „Ausziehen“-Rufe. strukturen der Protestbewegung entscheidend geprägt. Das
Die Bewegung in ihrer Heterogenität und Dynamik zu er- in einem „aufgeklärten“ Profeminismus, der Frauen ständig Als klar wurde, dass Solidarität mit Betroffenen von sexis­ Web 2.0 wird insbesondere aufgrund seiner Interaktivität
fassen, ist eine Herausforderung, an der mensch scheitern zu sprechen auffordert, aber das eigene Kommunikations- tischen Übergriffen und mit Opfern von sexualisierter Gewalt oftmals als ein Medium mit großem demokratischem Poten-
muss, auch weil sie sich erfolgreich personifizierter Reprä- verhalten und grundelgende Herrschaftsstrukturen nicht in diesem Ort nicht zu erwarten war, schlossen sich einige zial gerühmt. Gleichzeitig ermöglichte es aber SexistInnen,
sentation verweigert und mit ihrem basisdemokratischen ändern will. Doch auch das Bekenntnis zu Gleichstellung Frauen und Transgender zur Frauen*AG3 zusammen und ihre untergriffigen Kommentare ohne Konsequenzen „ab-
Anspruch sowohl bei den Medien als auch auf Seiten der stößt schnell an seine Grenzen, sobald es um Machtfragen gingen in die Offensive. Das Audimax wurde mit verschie- zulassen“, wodurch eine antifeministische Haltung in den
Universitätsleitung und der Bildungspolitik für Verwir- geht, z.B. um Universitätsstellen, bei denen eine 50-Prozent- densten antisexistischen Plakaten und Transparenten vollge- Protesten salonfähig wurde. Und wiederum gilt: Alle sind
rung, interessanterweise aber auch für Anerkennung sorgt. Frauenquote dann doch als unrealistisch und diskriminie- kleistert, eine Stellungnahme (http://wirsindlaut.wordpress. dabei und scheinbar alles darf gesagt werden. Die Metapher
Dieser anti-repräsentationslogische, heterogene und netz- rend (!) erscheint. Es gilt offensichtlich auch bei den Bil- com/page/2/) verfasst und im Plenum vorgelesen. Die Reak- des Netzwerks suggeriert dabei Gleichheit und ebnet hie-
werkartige Charakter sowie die Nutzbarmachung neuester dungsprotesten die Losung: „Frauen wollten die Hälfte des tionen waren gespalten – einige unterstützten unseren Auf- rarchische Machtverhältnisse rhetorisch ein. Selbstinszenie-
Kommunikationstechnologien sind Züge neuer politischer Himmels, das sei ihnen zugestanden, nicht aber auf Erden, tritt, doch von vielerorts waren ablehnende, sexistische Rufe rung und Scheindemokratisierung gehören zu den „dunk-
Organisationsformen, die emanzipatives Potenzial in nicht in ‚meinem Bereich‘“ (Haug 2008). wie „Scheiß-Hure“ zu vernehmen. Anschließend konnten die len Seiten“ des Web 2.0, über dessen politischen Gehalt eine
sich tragen können. Was lässt sich feministisch über diese Auch in basisdemokratischen Szenarien wie jenem im Wie- Frauen, die sich als Feministinnen exponiert hatten, nicht rege Debatte in Gang ist (Autengruber 2009).
„neue“ politische Form sagen; in welcher Form findet Sexis- ner Audimax setzen sich also gesellschaftliche Macht- und mehr durch das Audimax gehen, ohne von mehreren Leuten Die Ausmaße von Sexismus und Antifeminismus der Au-
mus hier Platz und wie steht es um antisexistische Kämpfe? Herrschaftsverhältnisse fort und durch; die gesellschaftlichen ob ihres „aggressiven und spalterischen Verhaltens“ konfron- dimax-Bewegung zeigen sich auf der Diskussionsseite des
Nehmen wir die Proteste aus geschlechterpolitischer Widersprüche machen vor den Bildungsprotesten nicht halt. tiert zu werden. Dies löste bei manchen Frauen das Bedürfnis Wiki der Frauen*AG, das im Zuge von Web-Vandalismus
Perspektive in den Blick, zeigen sich Basisdemokratie und Der Rekurs auf Basisdemokratie kann dabei schnell zu einer aus, nur mehr vermummt an diesem Ort zu agieren, sowie mehrmals gelöscht wurde (http://unsereuni.at/wiki/index.

62 skolastin skolastin 63
php/Frauen_AG). Dort ist u.a. die Rede von „FrauenNa- Die Bewegung durch ihre von Anfang an erfolgte Themati-
zis“ und „frustrierten Emanzen“. Auch die eingerichtete sierung von Sexismus auszuzeichnen und darin den Unter-
Sexismusdokumentationsseite (http://unsereuni.at/wiki/ schied zu früheren Protesten wie 1968 erkennen zu wollen,
index.php/Sexismusdoku) wurde von bekennenden Mas- wie es mitunter in der medialen Berichterstattung geschieht,
kulinisten unterlaufen und der „umgekehrte Sexismus“ verdreht die Verhältnisse. Denn erstens ist danach zu fra-
der Feministinnen angeprangert. Die antifeministischen gen, inwiefern der Kampf um Antisexismus ausgelagert
Tendenzen im Netz verdeutlicht auch der offene Brief an und wiederum als Nebenwiderspruch abgehandelt wurde;
die Frauen*AG von Lou Hefner, der sich gegen die „frau- zweitens muss eine Aneignung von Gleichstellungsrhetorik
enbündlerische“ Vereinahmung der Bildungsbewegung und eine Reduktion von Feminismus auf Quotenregelungen
verwehren will und unzählige unterstützende Kommentare und allenfalls geschlechtersensible Schreibweise kritisiert
erhielt (http://unsereuni.at/?=1901). werden; drittens und vor allem darf die Beständigkeit von
Die Beispiele zeigen, dass Sexismus leider nicht die AUS- Sexismus, der in der aktuellen Bildungsbewegung eine stark
nahme ist, nicht von AUSSEN herein getragen wird, wie von antifeministische Tendenz annimmt, nicht aus dem Blick
AktivistInnen oftmals behauptet wurde. Bekennende An- verloren werden.
tifeministInnen sind auch in der Bewegung aktiv und unter- Polemisch lässt sich der Unterschied zu früheren Bewe-
zeichnen ihre Emails „mit maskulinistischen Grüßen“. Eine gungen demnach auch folgendermaßen fassen: Auf den
organisatorische Anfrage einer Aktivistin kann in einem Sexismus der 68er-Studierendenbewegung reagierte der
solchen Fall, wenn sie geschlechtersensibel formuliert ist, Weiberrat der Gruppe Frankfurt auf einem Flugblatt mit
schnell mit extremem Antifeminismus und Sexismus beant- der bekannten Forderung „Befreit die sozialistischen Emi-
wortet werden und z.B. in folgenden Aussagen kulminieren: nenzen, von ihren bürgerlichen Schwänzen!“ Der aktuellen
„Warum rede ich eigentlich mit dir? Putz gefälligst meine Bewegung fehlt es ob ihrer erfolgreichen Verweigerung von
Bude und koch. Wenns nicht passt wirst ordentlich gesal- Repräsentation und ihrer politischen Vielstimmigkeit auf
zen. Jetzt mal ernsthaft: Geht dir Sex ab?“4 jeden Fall an sozialistischen Eminenzen, aber nicht an …

Spalterische FeministInnen oder der kleine Anmerkungen


Unterschied
1 Dies ist eine längere Version eines Beitrags, den wir für Femina Politica
In der aktuellen Bildungsbewegung mit ihren neuen Or- geschrieben haben und der im Mai 2010 erschienen ist.
ganisationsformen, wie dem Web 2.0, „Basisdemokratie“ 2 Wir beschränken uns hier auf den Kampf um Antisexismus, ohne jenen
und Repräsentationsverweigerung, finden sich also einige um Antirassismus mindern zu wollen.
sexistische „Klassiker“, die noch immer zu bekämpfen sind. 3 Der Stern wird in der Stellungnahme der Frauen*AG so erklärt: „Weil
Auch wenn es im Zuge der Studierendenproteste zu vielen nicht nur Frauen Betroffene und Männer Täter sind, weil es mehr als zwei
erfolgreichen feministischen Aktionen gekommen ist, muss Geschlechter gibt, eine neutrale Schreibweise allerdings die gesellschaftli-
festgehalten werden, dass viele FeministInnen und Frauen chen Herrschaftsverhältnisse verschleiern würde.“ Im weiteren Text über-
durch den herrschenden Sexismus aus der Bewegung aus- nehmen wir diese Schreibweise „Frauen*“.
geschlossen wurden. Doch das war manchen BesetzerInnen 4 Der Email-Wechsel wurde über eine feministische Mailingliste publik
weniger ein Dorn im Auge als das angeblich „spalterische und wird hier mit Zustimmung der Betroffenen angeführt.
Vorgehen“ der Frauen*AG. Das Thematisieren realer Diffe-
renzen und gesellschaftlicher Widersprüche wurde dabei als
Bedrohung der Solidarität in der Bewegung verunglimpft. Literatur
Die im Rahmen der Proteste erfolgte Politisierung von
Bildung und Universitäten und der dort Tätigen, sowie die Autengruber, Christof, 2009: „Die dunkle Seite von Twit-
ungeheure Kreativität, Selbstorganisation und solidarische ter, Facebook und Konsorten. Warum das Umfeld von
Praxis (z.B. durch die eingerichtete Volxküche und ihre Ver- Social-Web-Applikationen eine Nutzung abseits von
sorgung von Obdachlosen im Audimax) sind politisch wert- Spaß und Selbstinszenierung unterbindet“. Kultur-
voll. Insofern wollen wir die Bewegung, an der wir selbst teil- risse. Zeitschrift für radikaldemokratische Kulturpo-
haben, keinesfalls herabsetzen. Doch die Tatsache, dass wir litik. H.2, 44-47, (http://igkultur.at/igkultur/kultur-
dies betonen müssen, zeigt, dass hier eine Problemverschie- risse/1251290502/1251374470, 19.01.2010)
bung vorliegt, die FeministInnen in eine verteidigende Positi- Grundrisse, 2009: „Die Uni brennt?“ [Gespräch mit Studie-
on drängt: Plötzlich sind es FeministInnen, die zum Problem renden]. Grundrisse. Zeitschrift für linke Theorie & De-
dieser Bewegung werden, und nicht jene, die Sexismus ausü- batte. Nr. 32, 13-21.
ben. Diese Problemzuschreibung ist eine paradoxe: Einerseits Haug, Frigga, 2008: „nicht wie das veilchen im moose...
wird die Thematisierung von Sexismus als Problem verstan- Sieben Thesen für ein feministisches Profil der Linken“.
den, weil damit die Bewegung „diffamiert“ würde (z.B. Per- prager frühling. Magazin für Freiheit und Sozialismus.
spektiven 2009). Andererseits gilt der Vorwurf auch, wenn (http://www.prager-fruehling-magazin.de/article/69.
sich FeministInnen zurückziehen und Sexismus nicht mehr nicht_wie_das_veilchen_im_moose.html, 26.12.2009)
thematisieren und damit die Bewegung nicht als emanzipa- Perspektiven, 2009: „Anti-unique“. Perspektiven. Magazin
torische mitgestalten. Die Verantwortung für Anti-/Sexismus für linke Theorie und Praxis. (http://www.perspektiven-
wird also in jedem Fall den Frauen* zugewiesen. online.at/?p=636, 19.01.2010)

64 skolastin
Antisexistische Interventionen
[eigene] Privilegien hinterfragen: Einige Beispiele der zahlreichen
antisexistischen Interventionen im Rahmen der Studi-Proteste im Herbst 09

Antisexistische Selbstuntersuchung - stellst Du Dich hinter Personen, die größer sind als Du? - Wie denkst du würde deine geschlechtliche Identität Umfeld wie lang und wie laut? Wer bestimmt die The-
- wie kooperativ verhalten sich die Personen? aussehen, wenn sie von gesellschaftlichen Normen und men, wer erklärt neu dazu gekommenen, worum es ge-
Hier ein Fragebogen der AG Selbstverwaltete Geschlechtsiden- - wie geht es Dir mit diesen Fragen? Zwängen befreit wäre? rade geht?
titäten, der in dieser Form eine Erweiterung des Gender Awa- - Wie könnte eine Gesellschaft aussehen, die frei von ge-
reness Parcours darstellt, einem Aufruf an alle [Geschlechter] schlechtsspezifischen Normen und Diskriminierungen ist? - Bist du dir bewusst, wie viel Raum du beanspruchst,
der nicht nur, aber auch anlässlich des 1. Wiener Dyke Mar- 3. Gender und Identität - Welche Maßnahmen denkst du können dazu beitra- wenn du dich sofort verteidigst, nachdem dir sexi-
ches im Jahr 2004 verfasst wurde. gen (z.B. im besetzten Audimax) einen sexismusfreien stisches Verhalten vorgeworfen wurde; wie viel Raum
- Welche(s) Gender lebst du? Raum zu schaffen? du einnimmst und wie sehr du dich als vermeintliches
- Hat sich deine Selbstdefinition deiner geschlecht- - Was glaubst du, könntest du dabei gewinnen, was verlie- "Opfer" in den Mittelpunkt stellst, wenn du eine genaue
1. Öffentlichkeit und Interaktion lichen Identität(en) im Lauf der Zeit verändert? ren? und detaillierte Erklärung einforderst, "warum das jetzt
Unterscheidet/n sich dein(e) Gender von dem, das öf- sexistisch war"?
- Welchen Einfluss hat dein wahrgenommenes Gender fentlich wahrgenommen wird?
(Frau/Mann/Trans*/Inter*/...) auf deine Redechancen - Hast du schon Begegnungen gehabt, bei denen Gender- Sexismus? - Warum gehst du davon aus, dass du deine verinnerlich-
und dein Wahr- und Ernstgenommenwerden bei öffent- verwirrungen / -verwechslungen ein Thema waren? Anregung zum Reflektieren über sexistisches Verhalten. ten sexistischen Verhaltensmuster nach belieben able-
lichen Anlässen wie etwa dem Audimax-Plenum? - Wenn du festgestellt hast, dass die geschlechtliche Iden- gen kannst? Und warum beharrst du in weiterer Folge
- Du diskutierst mit einer anderen Person - diese kann tität einer Person eine andere ist, als die, die du ange- Folgender Text wurde spontan von einer autonomen [pro-] darauf und glaubst, dass dein eigenes Verhalten deshalb
sich rhetorisch besser durchsetzen. Macht es für dich nommen/wahrgenommen hast, hat das deine Gefühle / feministischen Gruppe formuliert und zur Unterstützung der nicht kritisiert werden kann?
einen Unterschied, ob diese Person in ihrer Genderper- deine Wahrnehmung verändert? Wie? Arbeit der Frauen*AG weitläufig plakatiert. „Ich bin ja eh voll der Anti-Sexist..."
formance als Frau, als nicht eindeutig oder als etwas an- - Hast du gegenüber "gender-ambivalenten" Personen an-
deres (Mann) erscheint? dere Gefühle als gegenüber "gender-eindeutigen"? Als Mann* hast du eine besondere Position, wenn es um Se- - Es macht deinen Sexismus nicht weniger schlimm, nur
- Unterscheiden sich deine Erwartungen, je nachdem, xismus geht. Denn ohne etwas dafür zu können, stehst du weil du meinst, dass es noch schlimmer geht und dass du
ob die Person, mit der du zu tun hast "weiblich"/trans*/ unweigerlich auf der privilegierten Seite der patriarchalen „im Vergleich dazu eh nichts gemacht“ hättest.
2. Gender Awareness Parcours inter*/"männlich"/? ist? Geschlechterordnung. Wenn du gegen Unterdrückung bist,
- Erwartest du von einer Person, die trans* ist, dass sie so geht es auch darum, deine männlichen Privilegien und - Warum stellst du dir selbst einen Freibrief aus, indem du
Bewege dich bewusst durch eine Personenmenge z.B. vor dich beim Kennenlernen darüber "aufklärt"? unreflektierten Verhaltensmuster, die dich selbst ja auch Solidarität vortäuscht, um danach grindigste sexistische
dem besetzten Audimax und beobachte dich selbst dabei: - Erwartest du von einer Person, die nicht trans* ist, dass einschränken, abzubauen. Gewalt von Männern* gegen Aussagen zu tätigen?
- wie bewegst Du Dich? sie dich beim Kennenlernen darüber "aufklärt"? Frauen* hat System, wird gerne vertuscht und herunterge- „Ich bin je eh gegen Sexismus, aber..."
- wie viel Platz willst Du um Dich haben? spielt oder ins „Private“ verdrängt.
- woran merkst Du, wie viel Platz andere Personen um Wenn du also auf dein sexistisches Verhalten hingewiesen - Wieso bildest du dir ein, eine Entscheidungshoheit da-
sich haben wollen? 4. Widerstand(sstrategien) und Utopien wirst, dann nimm deine Verantwortung ernst und versuche rüber zu haben, wie eigene Aussagen von Frauen* aufge-
- wie merkst Du, dass andere wollen, dass Du sie nicht/ nicht, patriarchale Verhaltensmuster auch noch zu reprodu- fasst werden müssen?
berührst? - Was könnte dir helfen deine geschlechtliche Identität zieren. „Du verstehst da etwas ganz falsch. Was ich eigentlich
- auf wen bewegst Du Dich zu? von gesellschaftlichen Normen, Zwängen und Rollen- Deshalb einige kurze Fragen zum Nachdenken und um sagen wollte..."
- für wen machst Du Platz? bildern zu befreien? die häufigsten unterdrückenden Verhaltensmuster zu ver-
- wie nimmst Du Kontakt auf? - Welche Strategien kannst du dir für das Verlernen ge- meiden: - Auch wenn du deine Aussagen nicht als sexistisch wahr-
- wie vermeidest Du Kontakt? sellschaftlicher Normen und verinnerlichter Diskrimi- nimmst, können sie es dennoch sein!
- von welchen Personen erwartest Du, dass sie Dir den nierungen vorstellen? - Ist dir schon aufgefallen, dass du dich wenn über Se-
Weg freimachen? - Was erschwert es dir bzw. was hindert dich daran? xismus gesprochen wird, selbst ausnimmst, dich nicht - Dein „Argument“, dass du eh viele feministische Freun-
- eher von Personen, die Du als "Frau" wahrnimmst? - Glaubst du, wäre das einfacher allein / mit einer Ver- mitreflektierst und deine eigene männliche und daher dinnen hast, entschuldigt dein sexistisches Verhalten
- eher von Personen, die Du als "Mann" wahrnimmst? trauensperson / in einer Gruppe? sexistische Sozialisation leugnest? nicht und ist völlig irrelevant, wenn dir sexistisches Ver-
- wie geht es Dir, wenn Du eine Person nicht einordnen - Was kann getan werden, um den jeweiligen gesamtge- „Wir sind doch alle Menschen und gleichberechtigt...“ halten vorgeworfen wird!
kannst? sellschaftlichen Einschränkungen und Normierungen
- wo stellst Du Dich hin? von Trans*/Inter*/Frauen/Männern/? durch Rollen- - Hast du schon einmal bemerkt, wie viel Raum du im Lies dir das durch, denk darüber nach und ändere bestenfalls
- stellst Du Dich vor Personen, die kleiner sind als Du? bilder entgegen zu wirken? Vergleich zu Frauen* einnimmst? Wer redet in deinem dein Verhalten.

66 skolastin skolastin 67
„Der studentischen Tradition und dem
Wertebewusstsein verpflichtet“1
Über Rechte Frauen und ihre Zusammenschlüsse in Österreich
Leela Stein

Die Debatten rund um die Mittäterinnenschaft von Frauen trägerinnen in Machtpositionen [...] sehr selten, doch zeigt 2-3% gemutmaßte Anteil aktiver Frauen dürfte wahrschein- sie sich an ihren männlichen Vorbildern orientierten und
im Nationalsozialismus waren ein wichtiger Schritt in den sich trotzdem die Bereitschaft von rechten bis rechtsextre- lich schon übertrieben geschätzt sein. Heute lassen die auch deren Bräuche, Liedertexte, den Komment (Regel-
Auseinandersetzungen innerhalb der Frauenbewegung(en) men Frauen, wichtige Aufgaben zu übernehmen und viel- meis­ten Burschenschaften Mädchen und Frauen zumindest werk) und Rituale übernahmen, was sich unter anderem
wie auch der Geschichtswissenschaften. So lassen sich bis leicht auch nach einer Parteikarriere zu streben [...]",meint im Kneipenbetrieb zu, wenn auch nur an ausgewählten Ta- an den ähnlichen Wappen oder Verbindungsfarben zeigt.
heute zahlreiche Publikationen finden, die versuchen die die Sozialwissenschafterin Kathrin Sturhan2. „Gleichzeitig gen. Dennoch zeigt sich, dass es Frauen innerhalb und rund So meint der Autor Peter Krause in seinem Text „Mäd-
Rolle von Frauen im nationalsozialistischen Vernichtungs- besteht von journalistischer Seite immer wieder die unbe- um diese Männerbünde nach wie vor nicht einfach haben. chen in Coleur": „Sieht man von der Mensur ab, so ist die
regime näher zu fassen. Dies ermöglicht es auch, sich – im gründete und daher rasch enttäuschte Erwartung, mit die- Grundlegend lassen sich in couleurstudentischen Land- Erfüllung aller anderen Verbindungsprinzipien jedenfalls
Rahmen der Beschäftigung mit der Fortsetzung rechtsextre- sem Thema neuartige Sensationen liefern zu können. In schaften unterschiedliche Verbindungstypen festhalten, zu theoretisch auch für Mädchen kein Problem."5 Sowohl
men Gedankenguts in den postnazistischen Gesellschaften Deutschland mündete dieses Interesse in einigen von ihrer denen eben reine Männerverbindungen, gemischte sowie in Bezug auf die hierarchische Organisationsform, aber
– mit dem Themenfeld „Rechte Frauen" näher zu befassen. Aussagekraft eher wertlosen Publikationen, die zumeist in Verbindungen von Studentinnen zählen. Letztere fungieren auch ideologisch verfolgen zumindest deutschnationale
einer analyselosen Aneinanderreihung von Interviews mit dabei vor allem als weibliches Gegenstück zu den männlich Studentinnenverbindungen bis heute typisch männerbün-
rechtsextremen Aktivistinnen bestehen", führte auch Bri- geprägten Burschenschaften um auf ähnliche Weise in den dische Wertvorstellungen wie Autorität, Hierarchie, Op-
Abschied von der Friedfertigkeit gitte Bailer-Galanda, Historikerin und Mitarbeiterin des ideologischen Institutionen des Deutschnationalismus par- ferbereitschaft und Traditionsgebundenheit. So schrieben
Dokumentationsarchivs des Österreichisches Widerstands tizipieren zu können. auch Vera Schwarz und Saskia Schindler: „Wird die struk-
In den 1990ern erschienen gleich mehrere Publikationen, in ihrem Text „Frauenbild und Frauenrepräsentanz im ös- turelle Konservativität der StudentInnenverbindungen
die von der „weiblichen Friedfertigkeit" und „Opferrolle" terreichischen Rechtsextremismus"3 aus. So verwundert es bedacht, überrascht es nicht, dass sie auch nach 1945 al-
Abstand nahmen und Frauen zunehmend als Anhänger­ kaum, dass es um das Thema schnell wieder ruhig wurde. Männerbündische Mädelschaften ten Idealen verpflichtet blieben und bleiben. Die nach
innen rechter Gesinnungen analysierten. Sie zeigten nicht wie vor männerbündische Dominanz ist unübersehbar."6
zuletzt , dass Frauen in den unterschiedlichsten Spektren Wenngleich Frauen und Mädchen bereits erstmals am Gerade durch die Organisation von Frauen in rechtskon-
des Rechtsextremismus aktiv waren und sind. Die meist Unerforschte weibliche Männerseilschaften Wartburgfest von 1817 teilnehmen durften, ist die Grün- servativen und rechtsextremen Kreisen werden diese nicht
als Sammelbände herausgegebenen Schriften beschäftigen dung von Studentinnenverbindungen unmittelbar mit nur gesellschaftlich wahr genommen, sondern in einer
sich nicht nur mit der Affinität von Frauen zu rechtem bis Bailer-Galanda bemängelt in genanntem Text außerdem, der Geschichte der Universitäten verbunden. Die traditi- gewisser Weise erfahren diese Zusammenschlüsse auch
rechtsextremem Gedankengut, sondern versuchen auch un- dass die meisten (österreichischen) Forschungsarbeiten „die onell männliche Prägung von Studentenverbindungen ist politische Anerkennung. Frauen machen sich folglich
terschiedliche rechte bis rechtsextreme Frauengruppen wie wesentliche Frage des Geschlechterverhältnisses im Rechts- auf ihr Entstehen zu einer Zeit zurückzuführen, zu der rechte Gedenkangebote zu eigen und so werden nicht nur
beispielsweise die „Deutsche Frauenfront" (DDF), „Skingirl­ extremismus sowie der ideologischen Festschreibung der Frauen der Zugang zu Universitäten untersagt wurde. So bestimmte Weiblichkeitsbilder aufgewertet, sondern auch
front Deutschland" (SFD) oder die „Women for Aryan Uni- Frauenrolle in diesem Spektrum außer Acht" lassen.4 Bei- konnten erste Frauenverbindungen auch erst entstehen, ein Machtgewinn durch Selbsterhöhung vollzogen – Ten-
ty" (WAU) samt ihrer historischen Entwicklungen, Eigen- spielsweise finden sich im Gegensatz zu den unterschied- als Frauen an den Universitäten – im deutschsprachigen denzen, die die Gefährlichkeit ihres Gedankenguts einmal
heiten, Frauenbildern etcetera näher zu untersuchen. Selten lichen Publikationen, die sich mit dem österreichischen Raum um die Jahrhundertwende – zugelassen wurden. Bis mehr verdeutlichen.
wird in diesen Werken jedoch auf Österreich Bezug genom- Korporationswesen sowie den Verstrickungen deutschnati- 1933 waren im deutschsprachigen Raum bis zu 100 Stu-
men – obwohl beispielsweise die VAPO-Frauen (Volkstreue onaler Burschenschafter mit österreichischen Parteien aus- dentinnenverbindungen anzutreffen, deren Mitglieder-
Außerparlamentarische Opposition) ihren „deutschen Ka- einandersetzen, so genannte „Damenverbindungen" oder zahlen ebenso wie der Anteil von Frauen an den Universi- Anmerkungen
meradinnen" um nichts nachstanden. So mussten sich 1997 „Mädelschaften" keine Erwähung. Rechte Seilschaften von täten stetig stiegen, so dass Damenverbindungen zur Zeit
auch in Österreich die Gattinnen und Freundinnen der ehe- Frauen sind bislang nur marginal erforscht worden. Nun ihres Entstehens durchwegs eine größere Rolle spielten 1 „Es braust ein neuer Ruf ins Land." Eckartbote 10/1994, S.4
maligen VAPO-Kader wegen nationalsozialistischer Wie- mag dies vielleicht auf die „Bedeutungslosigkeit" und man- als heutzutage. Obwohl der Anteil weiblicher Studieren- 2 Sturhan, Kathrin (1997): „Zwischen Rechtskonservativismus und Neo-
derbetätigung verantworten. Der Versuch der VAPO durch gelnde gesellschaftliche Relevanz zurückzuführen sein, die der während des Nationalsozialismus stieg, da die Männer nazismus - Frauen in rechtsextremen Parteien und Organisationen", S.116
Freundinnen und Ehegattinnen ihrer Mitglieder eine eige- derartigen „Studentinnenverbindungen" real zu kommt, zumeist an die Front geschickt wurden, war Frauen die in Bitzan, Renate [Hrg.in] (1997): „Rechte Frauen - Skingirls, Walküren
ne Frauengruppe aufzubauen, war jedoch bereits in seiner jedoch zeigt sich bei der genaueren Betrachtung, dass die Organisierung in studentischen Verbindungen untersagt und feine Damen", Elefanten Press, Berlin
Anfangsphase zum Scheitern verurteilt. Es kann also nicht „Mädels" und „Damen" ihren männlichen Gesinnungsge- bzw. wurde Engagement in NS-Organisationen wie der 3 http://www.doew.at/thema/thema_alt/rechts/refrauen/frauenbildre.
geleugnet werden, dass in der (extremen) Rechten nach wie nossen ideologisch um nichts nachstehen und auch anderen „NS-Studentenkampfhilfe" oder der „Arbeitsgemeinschaft html; 1997
vor Männer den politischen Bereich dominieren und auch rechten Frauenorganisationen, selbst wenn sie zahlenmä- Nationalsozialistischer Studentinnen" nahegelegt. Nur 4 ebd.
das (medial verbreitete) Bild von Männern geprägt wird. ßig größer sein mögen, ähnlich viel Bedeutung zukommt. wenige der vor dem 2. Weltkrieg aktiven Damenverbin- 5 Krause, Peter: „O alte Burschenherrlichkeit. Die Studenten und ihr
Dennoch ist rechtes und rechtsextremes Gedankengut kei- Während in der Skin- und Neonazi-Szene rund ein Drittel dungen wurden nach Beendigung des Nationalsozialismus Brauchtum", Ed. Kaleidoskop, Wien u.a., S.202
neswegs ein „Männerproblem" und Frauen, wie gerade auch der Angehörigen weiblich ist und auch rund ein Drittel des wieder gegründet. Von Anfang an standen Frauenverbin- 6 Schwarz, Vera/ Schindler, Saskia (2004): „Zwischen deutsch-national
in diesen Werken belegt wird, sind in keiner Weise weniger WählerInnenpotentials rechter Parteien Frauen sind, ver- dungen vor dem Problem, kaum auf Traditionen oder und christlich-konservativ - Frauenverbindungen im deutschsprachigen
anfällig für reaktionäres Gedankengut. „Zwar sind Amts- hält es sich im burschenschaftlichen Milieu anders. Der auf Vorbilder zurückgreifen zu können. Das führte dazu, dass Raum" in Unique 9/2004

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Gendermainstreaming im Deutschnationalismus?
Zur Frage, ob auf der Uni künftig auch „Burschenschafter“
mit Binnen-I geschrieben werden sollte
von der in Wien aktiven Gruppe AuA!

Deutschnationalismus stellt an der Uni Wien wahrlich Der Name selbst verweist ebenso auf eine längere Tradition
kein neues Phänomen dar. Durch „politische“ Veranstal- und bezieht sich auf eine noch vor dem Ersten Weltkrieg ge-
tungen im universitären Bereich sorgen Burschenschafter1 gründete weibliche Pennale, den „Deutsch-arischen Mäd- Bärenklau
seit vielen Jahren für Aufsehen und stoßen in linken Uni- chenbund Freya”, deren Namensgebung wiederum bei der
Kreisen seit geraumer Zeit auf massiven Protest. Weniger germanischen Göttin Freya ihren Ursprung nimmt. Neben Anina Schmid
sichtbar waren und sind bis jetzt wohl jene Frauen, meist Tradition werden freilich auch Schlagwörter wie Gemein-
Freundinnen, Töchter, Schwestern und Ehegattinnen der schaft, Heimat und vor allem die deutsche Zugehörigkeit
„Burschis”, die sich in der deutschnationalen Mädelschaft hochgehalten. Um Stimmrecht zu bekommen, muss frau
„Freya” zusammenfinden. sich immerhin erst aktiv engagieren und die so genannte Durch den Bretterzaun der U-Bahnwerke will ich kaputte beiziehn. Er kommt irgendwann, Hörer zwischen rechter
Mit strikten Hierarchien und dem Ziel „die Interessen „Mädelprüfung“ ablegen, um dann in der mädelinternen Waggons sehen. Ich bin früh dran und würd gern noch was Hand und Ohr, und setzt sich neben mich. Ich rück ein
weiblicher Studierender vertreten” zu wollen, obwohl sie Hierarchie von „Conkneipantin” über „Fäh” (Jungstuden- sehn. Mir kommen Leute entgegen, nicht viele, ich denke, bisschen, aber nicht wirklich, und während er spricht, ir-
„die wahre und zentrale Bestimmung von Frauen aber doch tin) und „Mädel” schlussendlich zur „Hohen Frau“ aufstei- ich mag an Berlin, dass es auch manchmal leer ist. Ich hör gendwas, ich bemüh mich, nicht hin zu hören, streicht er
in der ‘Mutter und Erzieherin’ sieht”2, verdeutlicht „Freya” gen zu können. Gemeinschaft mit den Männern oder für Musik über Kopfhörer, wirfs hin als seis heiß, heißt das über mein Knie als wär es ne Katze. Er lächelt im Reden,
als weibliches Pendant zu den deutschnationalen Burschen- beide Geschlechter geltende Hierarchien lassen sich in der Lied. Ich denke kurz drüber nach, umzukehren. Ich kenn mir egal, worums geht, und ich häng mein Bein über seins,
schaften, dass Deutschnationalismus definitiv kein Privileg Regel jedoch in den Strukturen nicht finden. Obgleich es ihn so schlecht, dass ich erst vor den falschen Hauseingang lass es baumeln. Als er auflegt, sagt er, der Jelle, oder sonst
von Männern ist. Da die traditionellen deutschnationalen den „Mädels” an völkischem Gedankengut folglich nicht laufe, vor den, wo es kein Klingelschild ohne Namen gibt. einen Namen, dem ich kein Gesicht geben kann. Hast du
Burschenschaften die Mitgliedschaft von Frauen jedoch fehlt, scheint es doch, dass selbst die Hohe Frau mehr Zu- Aber auch vor der richtigen Tür stehen überall Namen Hunger, fragt er, und dann, als ich äh mache: Wie wärs,
strikt ablehnen, gibt es eben eigene Einrichtungen – wie die kunftsperspektiven in der FPÖ hat – und Parteimitglieder neben den Knöpfen, auch seiner, denn er wohnt jetzt hier wenn wir raus fahren? Ich sage, wenn du möchtest, oder et-
1988 gegründete Wiener „akademische” Mädelschaft – in scheint es in der Mädelschaft trotz der Betonung auf Un- fest. Ich klingel und warte und er macht nicht auf, aber was ähnlich Schwaches, und hoffe, dass er nicht an Lich-
denen Politik und rechtes Gedankengut nicht ausschließlich abhängigkeit zur Genüge zu geben –, als in den Burschen- das Schloss schließt nicht richtig und ich weiß noch in tung und nasses Gras denkt. Ich hab keine Angst vor ihm
Männersache bleibt. Über den Aufgabenbereich der „Freya” schafterkreisen. Weder in Hinblick auf Manneskraft noch etwa wo lang und warte nicht länger. Der Hof ist grün zwi- und mir ist wohl dabei, aus der Wohnung zu kommen. Ich
gab nicht zuletzt auch eine Ende März 2007 in der Presse Männlichkeit oder Wehrbereitschaft können die „selbstbe- schen den Ockerwänden, die mir sehr hoch vorkommen, hol also Schwung, steh auf und sage, lass gehn. Er fragt,
veröffentlichte Reportage mit dem Titel „Vergiss nicht, dass wussten” Frauen, wie sich die Mädels bezeichnen, mithal- und seine Fenster sind offen. Er lugt ins Treppenhaus, als ob wir irgendwas brauchen. Mir fällt eine Decke ein, aber
du Deutsche bist”3 Aufschluss. ten. „Emanzipiert, jung, engagiert, einig” reicht folglich le- ich um die Ecke biege. Ich halt mich am Geländer fest, ich will nicht dahin, wo man Decken braucht jetzt, und ich
Neben „deutschen” Liederabenden und Themenveranstal- diglich für Budenfeste und zur Aufrechterhaltung von ewig was ich sonst nie mache. Er lässt mich rein, rückwärtsge- zuck mit den Schultern.
tungen zur „Verlotterung der deutschen Sprache“ oder zum gestrigem Gedankengut. hend, mich ansehend. Ich bin heute scheu, er verschwitzt
Diskussionspunkt „Südtirol” unterstützen die in der „Freya” So ist auch zu sagen, dass die Mitgliederzahlen der Mä- und erzählt mir, warum. Ich sage was zur Wohnung, dem Auf dem Weg um den Block hin zum Auto gähn ich mit
organisierten Frauen auch Projekte wie „Altösterreicher in delschaft, die laut dem erwähnten Presseartikel auf 29 Mit- neuen Boden, einfach aus der Erinnerung raus, denn ob Hand vor dem Mund. Langweil ich dich, fragt er. Ich be-
den ehemaligen Monarchiegebieten“. So steht Wiens erste glieder von 16 bis 66 Jahren beschränkt ist, keineswegs mit er inzwischen geschliffen wurde oder lackiert, kann ich haupte, dass man nur vor Menschen gähnt, die man mag.
„national-freiheitliche Studentinnenverbindung“ seit ihren denen ihrer männlichen „Kameraden” mithalten kann. nicht erkennen. Er sagt auch ein paar Sachen, setz dich, Echt, fragt er. Zumindest ist Gähnen nur zwischen Leuten
Anfängen dem reaktionären Gedankengut ihrer männlichen Wenngleich Deutschnationalismus kein männliches „Privi- zum Beispiel, und dann, dass er schnell duschen will. Ok, ansteckend, die sich sympathisch sind, sage ich, Husten auch.
„Kameraden” nicht nach. In Anlehnung an deren „Buden” leg” ist, bleibt die Burschenschafterszene dennoch männlich sage ich und setz mich aufs Sofa, das da neu steht, kram in Achte mal drauf, wenn du wo in der Schlange stehst, oder an
schmücken Schwarz-Rot-Goldene Fahnen auch das Ver- dominiert und das Binnen-I kann folglich auch weiterhin meiner Tasche und behaupte, das träfe sich gut, denn ich Bushaltestellen. Er grinst: Da hast du dich jetzt aber gut raus-
einslokal der Mädelschaft in der Fuhrmannsgasse und auch getrost ausgespart bleiben. müsse mal telefonieren. Er sagt, ich beeil mich, und dreht geredet. Das Grinsen ist, glaub ich, eher ein Lächeln.
die dort organisierten Frauen sehen sich der „deutschen das Radio an, bevor er ins Bad geht. Ich höre das Wasser
Kulturgemeinschaft” zugehörig und ihre Mitgliedschaft als durch die Leitung rauschen und aus dem Duschkopf sprit- Sein Auto ist heute ein kleiner Laster, den er sich von der
„Lebensgemeinschaft” bis in den Tod. Immerhin haben sie Anmerkungen zen, hart auf ihn drauf. Die ich anruf, hebt nicht ab, und Arbeit geborgt hat, und dessen Seiten in allen Farben bemalt
nicht nur das Vereinsmotto „Für Ehre, Freiheit, Vaterland!“ wer anders fällt mir nicht ein. Das Rauschen verstummt sind. Er hält mir die Tür auf und ich kletter zur Beifahrer-
von ihren männlichen Weggefährten abgeschaut, sondern 1 Deutschnationale Burschenschaften sind nicht zu verwechseln mit den bald, auch das Spritzen, er verlässt das Bad und geht ein bank wie in eine Tropfsteinhöhle. Die Polster sind breit und
auch die Verbindungsfarben der „Freya” beziehen sich auf katholischen Studentenverbindungen des Cartellverbandes. paar Schritte. Ich hör ihn sprechen und bin mir plötzlich durchgesessen, Straßenkarten liegen herum, mir ist nach
das Couleur der Ur-Burschenschaft. Diese wurde während 2 Vgl. Lecher, Judith/Rampetzreitner, Heide: „Vergiss nicht, dass du nicht sicher, ob wir allein sind. Er redet und redet, anfangs Abenteuer. Wir fahren durchs afrikanische Viertel, erstmal
der „Befreiungskriege“ gegen Napoleon gegründet, als in Deutsche bist”, http://www.diepresse.at/home/wirtschaft/karriere/studen- will ich noch wissen, mit wem, und es dauert sehr lange nur bis an die Tanke. Willst du was, fragt er, bevor er bezah-
Deutschland und Österreich die Chance verpasst wurde, ten/293204/index.do?_vl_backlink=/home/index.do, 1.4.2007 bis ich mich davon überzeugen kann, dass außer uns nie- len geht. Und obwohl ich nein, danke sage, bringt er zwei
ein bürgerliches Gesetzbuch zu bekommen und zumindest 3 Bailer-Galanda, Brigitte: Frauenbild und Frauenrepräsentanz im öster- mand hier ist. Ich leg mich auf den Rücken, die Sohlen am Rum-Cola mit. Ne Decke hätten wir mitnehmen sollen, sagt
halbwegs in punkto persönlicher Freiheit mit anderen Län- reichischen Rechtsextremismus, http://www.doew.at/thema/thema_alt/ Boden, und schau schräg hoch in den Himmel, wo dün- er und sieht mir zu, wie ich die schmalen Dosen zwischen
dern gleichzuziehen. rechts/refrauen/frauenbildre.html, 1.4.2007 ne Wolken im Zeitlupentempo am Fensterrahmen vor- uns verstaue.

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Wir fahren auf die Stadtautobahn. In einem Tunnel erzählt mal nach Polen zu fahren. Da war ich auch noch nie, sagt er. Büchse hin und erklärt, er müsse noch fahren. Dann wieder
er von früher, den Drogen. Ich stelle auch Fragen, aber das Ich schaffe meine Portion nicht und biete ihm an, bei mir das rhythmische Telefonlicht, sehr lange. Er seufzt und ich
Meiste verrät er mir so. mitzuessen. Er schüttelt den Kopf: Das macht dick. So ein finde, der Abend könnte so schön sein, so gut, wenn dieses
Quatsch, sage ich, obwohl er recht hat. Wir beginnen ein lei- Licht nicht wäre, das ständige, wenn es mal dunkel bliebe.
Irgendwo fährt er ab, über ne Brücke und einen Fluss, der ses Gespräch über Kilos. Ich erzähle, dass ich meine Waage
tief aussieht, wie er durchs Land zieht, da sind Tannen. mit achtzehn entsorgt habe. Er sagt, dass er zum ersten Mal, Wir fahren auf einer Allee. Hinter den Pappeln die Ähren,
Der Himmel in Tönen karibischen Blaus, beinah Chiffon. seit er die Medikamente nimmt, wieder zweistellig wiegt. die Felder so tief und schwarz wie der Fluss vor der Ofen-
Auf dem Ortsschild von Veltens steht Ofenstadt, von da an Plötzlich scheint es verrückt, hier zu stehen, neben der stadt. Wir reden über Sex an öffentlichen Plätzen. Wenn
riecht es nach Brand. Außer uns ist keiner unterwegs, wir Autobahn, an einem Mittwoch um diese Zeit. Wollen wir, einem halt danach ist, sage ich. Ja, sagt er, manchmal will
folgen der Hauptstrasse quer durch den Ort, bis wir zwei frage ich, und wir reihen uns ein hinter nicht wenige Män- man einfach. Er legt mir die Hand aufs Knie. Ich steig da jetzt
Jugendliche auf ihren Fahrrädern sehn. Vor einer Dönerbu- ner, die immer noch mehr Männer werden, die ihr Benzin nicht drauf ein, sage ich und rücke zur Seite, unter der Hand
de, die Das weiße Haus heißt, klingelt sein Telefon. Er hebt zahlen wollen. Getrennt oder zusammen, fragt die Neue. Ge- weg, die mein Knie krault als wär es ne Katze, und da blinkt
ab und sagt, dass es später wird: Ein Geschäftsessen. Er gibt trennt, sage ich. Wir laufen zurück auf den Lasterparkplatz. es wieder, das mausgroße Ding ohne Stimme.
Gas, ich schau zu ihm rüber. Eiskalt, sage ich. Was denn, Er schließt wieder meine Seite zuerst auf. Diesmal lehn ich
fragt er, das war nur mein Mitbewohner. mich vor das Lenkrad und zieh den Türknopf nach oben. Wir sind am Rand einer Siedlung, wieder nahe am Wald.
Er hört aber nicht wie es entriegelt und schließt die Tür von Alle Häuser hier grau, auch die hübschen, alle Rollläden
Vor uns die Ähren, die Felder. Ein Wegweiser zeigt Rich- außen wieder zu. Ich denke an seine Lüge, an Kartoffelsalat unten. Die andern Erwachsnen machen nicht so ne Schei-
tung Bärenklau, zwei Kilometer. Willst du da hin, fragt er und an die Rum-Cola, die zwischen uns schwappt, als er ße, denke ich kurz bevor er den Motor abstellt und ich auf
mich. Ich bin begeistert und sage, na klar, toll, doch als wir den Motor anlässt. seinen Schoß steige. Er hat weichen Speck am Bauch, der
dann da sind ist es halb elf und die Lichter hinter den Fens­ sich nach mehr anfühlt als er aussieht, und ich muss mich
tern sind aus. Da ist ein Tümpel, an dem wir vorbeifahren, Auf dem Schlaglochplatz hinter der Tanke springen ein paar mit Kraft zwischen ihn und das Lenkrad zwängen. Wir
sein Schilf, und ich denke, dass es noch nicht zu spät ist, große Hasen. Er sieht ihre Schatten und lenkt mit großen küssen uns lange und gut und ich denke an nichts, bis ich
um alles von sich zu werfen als seis glühend heiß. Aus den Griffen auf sie zu. Er blendet sie auch, so dass die Hasen er- will, dass er mir meine Hose aufmacht. Ich leg mich auf den
Fel­derquadraten dann ragt ein Autohof, ragt sein Neon- schrecken und stoppen. Vier zählen wir, die in Spiralen und Rücken, schief auf die Bank, die Sohlen am Fenster, schaue
lichtzeichen, auf das wir zufahren, weil wir noch Hunger Kringeln vor uns herhüpfen, und deren Augen das Schein- schräg hoch in den Himmel, wo es scheint als würden dün-
haben. Er parkt auf den Plätzen für ganz große Laster und werferlicht hellgrün reflektieren. Er jagt sie ein bisschen, ne Wolken im Zeitlupentempo die Sterne streifen, und er
zwischen zwei solchen. Beim Aussteigen fallen mir unse- aber nicht wirklich, sie hopsen auch bald in die Böschung. zieht mich aus. Und wir haben die Hände und Münder, und
re Dosen entgegen, sie wollen getrunken werden, aber ich Mir fällt eine Sendung über die Bundeswehr in Afghanistan als meine Lippen um ihn und seine Lippen zum Atem, er
leg sie zurück auf den Sitz. Vor dem Bistro-Eingang steht ein, wo dreckige Jeeps in trockenen Flussbetten fahren. haucht immer kürzer und immer, da blinkt dieses Telefon
eine Eiswerbung aus den neunziger Jahren. So schmeckt der wieder, mir ins Gesicht, bis an den Waldrand, so scheint es,
Sommer, denke ich. Als wir auf Asphalt sind, kurz hinter der Autohofausfahrt, aber aufhören, jetzt, kann ich nicht, und ich schließe die Au-
leuchtet sein Telefon. Es liegt auf dem Armaturenbrett, laut- gen, damit ichs nicht sehen muss, dieses Blinken, das leuch-
Drinnen sitzen vier Männer auf Dinermobiliar, aber ich hör los geschalten. Er sieht nach, wer anruft, zögert und legt es tet und leuchtet und leuchtet während er kommt, und dann
sie nicht reden. Wir stehen erst ratlos vor einer Karte, die zurück. Ich frage nichts, aber als es nicht aufhört zu blinken, nicht mehr. Er knickt ein, unbekümmert, und legt seinen
von der Decke hängt, und nehmen uns dann was zu trin- sage ich: Vielleicht macht sie sich Sorgen. Er schaut links aus Kopf an die Scheibe für einen Moment, bevor er sein Hemd
ken. Der junge Mann hinter der Theke sagt, dass die Küche dem Fenster statt vorn auf die Strasse: Solange sie nicht zwei- unter seinem Hintern vorzieht und mir reicht, damit mach
schon zu ist. Keine Currywurst, frage ich. Keine Currywurst, mal anruft – Er lässt den Schaltknüppel los und stellt das ich mich sauber. Ein Taxi fährt vorbei, schon zum zweiten
sagt er und schüttelt den Kopf, aber drüben, die Tankstelle, Radio an. Wo wir sind, hat es keinen Empfang, also schubst Mal. Halb im Sitzen noch zieh ich die Hose an, schnell und
die ist noch auf. Die haben auch Currywurst. Ich halt ihm das er die Kassette, die da steckt, in das uralte Tapedeck. Von stumm. Wie eine Nutte, denke ich, nur ohne Geld.
viertel Glas Sprudel hin, das ich gezapft habe. Er sagt, schon einem ausgeleierten Band bumst viel zu schnelle elektro-
ok, schenk ich dir, und wir setzen uns an einen Tisch am nische Musik. Und noch bevor das eine Lied ins nächste Bevor wir zurück in die Stadt fahren, raucht er noch eine.
Fenster. Draußen ist Nacht. Ich nehme fünf kleine Schlücke übergeht, blinkt das Telefon auf und wirft Kegel aus Licht Er sitzt auf dem Fahrersitz, seitlich zum Lenkrad, Tür offen,
anstatt eines großen und sage nicht viel. zwischen unsre Gedanken, offbeat. Ich sage ihm, dass wir die Beine im Freien. Ich steh vor ihm, meine Ellbogen auf
noch umkehren können. Er schüttelt den Kopf: Sie macht seine Knie gestützt. Geh schon, sagt er, ich seh auch nicht hin.
Drüben, im Tankstellenshop, ist die Currywurst aus. Ich be- das auch, sagt er. Glaub ich nicht, sage ich, ohne sie zu ken- Ich zier mich und geh erst, als er den Laster wendet. Wie ein
stell eine Bratwurst mit Kartoffelsalat, er ein Schnitzel. Senf nen. Wieso meinst du, fragt er. Nur ein Gefühl, sage ich, und: Kleinkind vor einer Garagenwand hockend, ungeschickt als
und Ketchup kommen in Plastiktütchen, die man bezahlen Wenn Frauen wirklich lieben, betrügen sie nicht. Das Blin- hätt ich noch nie unter freiem Himmel gemusst, piesel ich
muss. Eine neue Mitarbeiterin versucht, uns die Teller durch ken hört auf. Und Männer schon, fragt er und kratzt sich am mir ans Bein.
die Plexiglasscheibe vor der Auslage zu reichen. Darüber la- Oberschenkel. Keine Ahnung, sage ich.
chen wir erst, als sie ins Hinterzimmer geht, um Kleingeld Er parkt den Laster vor einem in den Wald gebauten Feu- Fährst du mich heim, frage ich im afrikanischen Viertel. Es
zu holen, aber dafür noch ein paar Mal später. Wo wir uns erwehrtor aus Maschendraht, kurbelt das Fenster nach un- ist zwei Uhr nachts.
hinstellen, rechts in der Ecke, hängen eine gemalte Szene ten und raucht eine Kippe. Hast du die Dosen, fragt er. Ich
aus der Formel 1, ein Blatt Papier in einer Klarsichthülle, auf reich ihm seine. Er öffnet sie einhändig, das hab ich lang Vor meiner Haustür bück ich mich unter das Handschuh-
dem steht, wann und wo der nächste Truckerstammtisch nicht gesehen, wenn überhaupt je zuvor. Das Kinn drückt fach, um die leeren Dosen aufzuheben, die in jeder Kurve
stattfindet (am Mittwoch in Herzsprung) und eine große er dabei zum Hals als müsse er rülpsen. Wir erzählen uns, über die Fußmatte rollten. Lass liegen, sagt er, ich nehm die
Deutschlandkarte. Wo sind wir, frage ich, und er zeigt nörd- wem wir gern mal die Meinung sagen würden, und auch, dann mit. Er sieht groß aus und fellig. Du kannst dich ja mel-
lich von Berlin, aber auch westlich. Viel westlicher als ich warum wirs nicht tun. Meine Rum-Cola schmeck ich gar den, schlage ich vor, wenn – und ich höre zu reden auf, als
dachte. Er erzählt von Seen im Umland und ich schlage vor, nicht, so schnell trink ich sie. Er streckt mir seine halbvolle der Motor noch läuft, denn was solls schon.

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Orientierung | Nina Fuchs

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