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Konzept & Kritik
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Jens Hacke: Max Weber im Lichte neuer Biographen
ohne dass dieser Ausnahmegelehrte an Faszination aesler selbst mit weit größerer Berechtigung zu.
K
einbüßte, durfte man gespannt sein, welche neuen Extensiv wird über alles Mögliche spekuliert. Sogar
Akzente die Biographien des Jubiläumsjahres von Webers Ableben wird mythisch gedeutet: «Es dürf-
Dirk Kaesler und Jürgen Kaube setzen würden. te kein Zufall sein, dass Max Weber gerade mal
K aesler weckte besondere Erwartungen: Zum einen fünf Monate nach dem Tod seiner Mutter stirbt.»
hatte er sich seit Jahrzehnten mit Weber beschäf- Beckmesserisch könnte man Kaesler vorhalten,
tigt, zum anderen widmete er dem Konkurrenten dass es acht Monate waren, aber das ist dann auch
Radkau seinerzeit einen harschen doppelseitigen egal, denn insgesamt «gewinnt man den Eindruck,
Verriss im Spiegel. Kein kluger Schachzug. Dadurch dass er innerlich an sein Ende gekommen war». Zu-
senkt sich für jeden Rezensenten nun die Hemm- gleich realisierte Weber, «dass Else Jaffé die Liebe
schwelle, das Urteil über Kaeslers desaströs missra- seines Lebens war». Der «Muttersohn» folgte trotz-
tene Darstellung mit höflichen Floskeln zu kaschie- dem lebenssatt der Mama in den Tod? Solche auf
ren. Geschrieben sei das Buch, so Friedrich Wilhelm vielen Seiten ausgebreiteten Trivialitäten sind des-
Graf völlig zutreffend in der Süddeutschen Zeitung, wegen erwähnenswert, weil Kaeslers Buch den Le-
«in einem teils grausam unbeholfenen, teils pein- ser zwar mit Fakten erschlägt, aber vor allem in den
lich pathetischen Deutsch, das die Lektüre zu einer Werkdeutungen langatmig und oberflächlich bleibt.
Qual macht». Was Graf damit meint, wird schnell Die Identifikation mit dem Gegenstand führt bei
klar, wenn man das Buch an einer beliebigen Stelle Kaesler zur hagiographischen Umkreisung seines
aufschlägt. Gravitätisch und verschmockt ist stets Helden.
vom «Herrn Studiosus», «Herrn Doktor» oder Distanzlosigkeit ist Jürgen Kaubes abgeklärter,
«Herrn Professor» und fast durchgängig von «Max souverän komponierter Weber-Biographie gewiss
Weber jun.» die Rede; dauernd wird eine «Bühne nicht vorzuhalten. Mit der Könnerschaft eines pro-
bereitet», auf der vermeintlich bürgerliche Formen funden Wissenschaftsjournalisten arrangiert der
nachgespielt werden. Die Hälfte des Textes besteht FAZ-Redakteur Kaube Werk und Werdegang in fein
aus seitenlangen Zitaten, die zumeist Mariannes gearbeiteten, pointensicheren Kurzkapiteln. Als
«Lebensbild» entnommen sind. All dies geschieht, «Leben zwischen den Epochen» macht Kaube We-
weil der Autor keinen eigenen Erzählfaden außer- bers Erfahrungen von Ungleichzeitigkeiten und
halb der Chronologie, keine Leitmotive und keine Bruchlinien plausibel. Privat ging für Weber «alles
eigene Sprache findet, auf über 930 Textseiten aber zu langsam, gesellschaftlich alles zu schnell». Kau-
auf jeden Quellenbeleg verzichtet. Es ist in der Tat be arbeitet Webers epigonales Selbstverständnis he-
kaum ein Leser vorstellbar, der sich durch diese An- raus: Obwohl er sich emphatisch als Mitglied der
häufung von Fakten wühlt, ohne an der Unfähig- «bürgerlichen Klassen» bekannte, kam er nicht um-
keit des Autors zu verzweifeln, Wichtiges vom Irre- hin, «den Geist liberalen Bürgertums fast nur noch
levanten zu trennen. «Max Weber ist nicht unser in Erinnerungen an seine vergangene Größe reprä-
Zeitgenosse», für sein Leben gibt es «keinen Regis- sentiert» zu sehen. Eine vergangene Größe, von der
seur, aber viele Mitwirkende» – diese pompös ser- Weber materiell profitierte, aber an deren Maßstab
vierten Banalitäten sind enervierend. Zudem ist es seine eigene bürgerliche Existenz zu Lebzeiten un-
ein Ärgernis, dass Kaesler sich allzu häufig hinter heroisch wirkte: «kein Buch, keine Kinder, kein
dem Urteil anderer Weber-Interpreten verschanzt, Krieg, kein Vermögen, kein Einfluss».
anstatt zu eigenen Schlüssen zu kommen. In Webers Art, historisch zu denken, werden so-
Der gegen Radkau geäußerte Vorwurf, ein indis- ziale, wirtschaftliche und religiöse Ursprünge um-
kreter Schlüssellochhistoriker zu sein, trifft für so fremder, je besser man sie versteht. Das bedeutet
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Konzept & Kritik
für ihn, dass sich Gewissheit und «der unmittelbare ianismus, der alles in seine Systembeschreibungen
Glaube mittels Wissenschaft nicht zurückgewin- einbaut, ohne den Einfluss von Ideen und Hand-
nen» lassen. Weltanschauung kann weder letzte lungsoptionen noch berücksichtigen zu müssen.
Gründe noch normative Orientierung liefern, das Webers eher ereignisarmes Leben scheint – übri-
politische Urteil bleibt zweckgebunden, Interessen gens ohne tiefergehende Interpretationsdifferenzen
und Machtverhältnisse kalkulierend. Max Weber, – nach diesen drei umfassenden biographischen Ar-
das zeigt Kaube anschaulich, war ein okkasioneller beiten erschöpfend ausgeleuchtet. Alle Details zum
und reaktiver Denker, der anlassbezogen zu seinen Stammbaum und zur Inneneinrichtung findet man
wissenschaftlichen Arbeiten kam: die Struktur der bei Kaesler ohnehin. Radkau und Kaube blicken da-
ostelbischen Landwirtschaft, das Börsenwesen, die rüber hinaus zumindest kursorisch auf die Wir-
Lage der bürgerlichen Demokratie in Russland – kungsgeschichte – und es gibt wenig Anzeichen da-
kein Thema war vor ihm sicher. Die Dynamik der für, dass mit der Historisierung von Leben und
Moderne schlug sich in Ambivalenzerfahrungen Werk das Eigen- und Fortleben von Webers Ideen
nieder – «im Wachstum von Organisationen lauert erledigt wäre. Ein besonderer Reiz läge darin, bei-
seiner Meinung nach die Gefahr, dass die befrei- spielsweise entlang der Linien einer politiktheo
ende Rationalität in ‹Versteinerung› umschlägt. retischen Rezeption Webers eine bundesrepubli
Wie immer bei Weber: Das Gute ist zugleich das kanische Ideengeschichte zu entwerfen, zwischen
Schlechte.» Entscheidungstheorien und Sachzwanglogiken,
Dass ausgerechnet der systemtheoretisch ge- Konsens- und Konflikttheorien. Ähnliches gilt für
schulte Soziologe Kaube zum Biographen wird, die Anverwandlung einer Weberschen Diagnose der
setzt produktive Energien frei. Sein skeptischer Moderne innerhalb der posthistorisch orientierten
Blick auf Weber, der erst einmal respektlose Zu- und wirklichkeitsversessenen Soziologie, wie sie
griff, mit dem Kaube die Eigentümlichkeiten des vor allem in den Reihen der Leipziger Schule
Weberschen Denkens auseinanderfaltet, scheinen (Freyer, Gehlen, Schelsky) vertreten wurde. Auch
dem Autor seinen Protagonisten am Ende überra- die Debatte um Industriegesellschaft oder Spätka
schend nahe zu bringen. Im Verzicht auf Geniekult pitalismus stand noch im Schatten Webers. Viele
und Pathos gerät auch Kaube in den Sog eines Denk- andere religionssoziologische oder wirtschaftsge-
stils, der als Reflexion in Permanenz das Wesen der schichtliche Nachgeschichten um Weber böten sich
modernen Welt zu entschlüsseln sucht – nicht mit an. Während für den privaten Weber im Geflecht
einer Großtheorie, sondern mit unermüdlichem Er- seiner Frauen, Krankheiten und Neurosen kaum
kenntniseifer, historisch und kulturell verglei- noch sensationelle Neuigkeiten zu erwarten sind,
chendem Blick, Entwicklung von Begriffen und Ka- lehren uns die Auseinandersetzungen mit und über
tegorien, mit der Bereitschaft zur Modifikation Weber bis heute, ob und wie weit wir uns von ihm
früherer Positionen. Womöglich ist Webers hero- entfernt haben. Das muss nicht immer Fortschritt
isches Scheitern bei dem Versuch, die moderne Ge- sein, schult aber nach wie vor die Bereitschaft, nach
sellschaft als Ganzes zu verstehen, intellektuell Weberschem Vorbild wissenschaftlich Rechen-
doch faszinierender als ein ausgekühlter Luhmann schaft abzulegen.
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