Está en la página 1de 8

11/24/2019 Rechtsextremismus: Die Stigmatisierung wirkt | ZEIT ONLINE

[h ps://www.zeit.de/10nach8]
AUS DER SERIE

10 nach 8

Rechtsextremismus

Die Stigmatisierung wirkt


Wer eine rechtsextremistische, rassistische Bewegung
zurückdrängen will, muss sie ausgrenzen. Die Reaktionen der AfD
zeigen, dass ihr genau das Probleme bereitet.

Von Verena Weidenbach


19. November 2019, 20:01 Uhr / 813 Kommentare

Die AfD-Vorsitzenden Alice Weidel (links) und Alexander Gauland


(rechts) mit ihrem Parteikollegen Stephan Brandner (Mitte), der gerade
als Vorsitzender des Rechtsausschusses im Bundestag abberufen wurde.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Am 1. November machte der Spiegel-Journalist Hasnain Kazim nach


vielen geduldigen Korrespondenzen mit rechten Hatern (Post von
Karlheinz) eine ebenso klare wie umstrittene Twitter-Ansage
[https://www.volksverpetzer.de/social-media/kazim-afd/]: Es gehe nicht
darum, "AfD-Wählerinnen und AfD-Wähler zu 'erreichen'", so schrieb er.
Es gehe vielmehr darum, "sie auszugrenzen, zu ächten, ihnen das Leben
schwer zu machen, sie dafür, dass sie Neonazis und Rassisten den Weg
zur Macht ebenen wollen, zur Verantwortung zu ziehen".

https://www.zeit.de/kultur/2019-11/rechtsextremismus-afd-populismus-rassismus-propaganda-rechtsruck/komplettansicht?print 1/8
11/24/2019 Rechtsextremismus: Die Stigmatisierung wirkt | ZEIT ONLINE

Kazim weiß, wovon er spricht. Als AfD-


kritischer Publizist und Deutscher mit indisch-
pakistanischen Wurzeln erhält der Wien-
Korrespondent des Spiegels seit Jahren
Hasspost und Morddrohungen aus dem Lager
der vermeintlich "Besorgten" – genauso wie
unzählige andere Menschen, die sich öffentlich
Verena Weidenbach lebt mit gegen Rechtsextremismus positionieren oder
ihrer Familie in München. Sie
einzig aufgrund ihrer Abstammung als "Feinde
arbeitet freiberuflich als TV-
Autorin und -Übersetzerin Deutschlands" attackiert werden. Für sie alle
und schreibt politische Texte dauern die "Baseballschlägerjahre"
für den Blog "Starke
Meinungen". Sie ist
[https://www.zeit.de/2019/46/neonazis-
Gastautorin von "10 nach 8". jugend-nachwendejahre-ostdeutschland-
mauerfall] der frühen Neunziger noch immer
an, sind rechte Übergriffe eine Gefahr, mit der
jederzeit zu rechnen ist, ist der Alltag feindseliger geworden und das
Vertrauen in die Schutzmechanismen des Staates brüchiger. Wie
berechtigt ihre Ängste sind, beweisen die Morde an dem Kassler
Regierungspräsidenten Walter Lübcke sowie Jana L. und Kevin S. in
Halle – rechtsterroristische Gewalttaten, die nicht nur von AfD-
Spitzenpolitikern wie dem vormaligen Rechtsausschuss-Vorsitzenden im
Deutschen Bundestag, Stephan Brandner
[https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-11/stephan-brandner-
als-vorsitzender-des-rechtsausschusses-abgewaehlt], sondern auch von
anderen Parteimitgliedern und Anhängern
[https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-10/reaktionen-halle-
anschlag-annegret-kramp-karrenbauer-antisemitismus] auf zynische
Weise kommentiert wurden.

Antipluralistische "Ausgrenzung"?
Kazims Antwort auf diese Bedrohung ist ein radikales und aus
persönlicher Betroffenheit durchaus hart formuliertes Bis-hierher-und-
nicht-weiter – ein Appell, den sozialen Gegendruck zu erhöhen und
kulturelle Hemmschwellen zum Schutze all jener zu errichten, die nach
Ansicht von AfD-Anhängern nicht dazugehören, stören und im
Zweifelsfall "entsorgt" werden müssen
[https://www.zeit.de/politik/2018-07/rhetorik-populismus-sprache-
wissenschaft-erkennen]. Doch wer dieser Tage nach "Ächtung" und
"Ausgrenzung" blaubrauner Sympathisanten ruft, stößt mithin selbst in
bürgerlichen Kreisen auf Unverständnis und irritierende
Abwehrreaktionen: Nicht nur, dass er in den Verdacht gerät, die eigenen
liberalen Werte zu verraten und "antipluralistisch" zu agieren. Er muss

https://www.zeit.de/kultur/2019-11/rechtsextremismus-afd-populismus-rassismus-propaganda-rechtsruck/komplettansicht?print 2/8
11/24/2019 Rechtsextremismus: Die Stigmatisierung wirkt | ZEIT ONLINE

sich zugleich des Vorwurfs erwehren, Gauland und Co. genau das zu
geben, was sie – vermeintlich – am meisten stärkt. Denn Rechte – so das
weit verbreitete Credo – heischen nach Ausschluss, um sich als Opfer
des Mainstreams zu inszenieren und auf diesem Wege bis weit in die
Mitte hinein Anhänger zu mobilisieren. Wer das nicht einsieht, outet sich
im Zweifelsfall als taktisch unbedarfter Linker mit Pawlowschen "No
pasarán!" [https://www.deutschlandfunk.de/grosse-reden-no-pasaran-
sie-kommen-nicht-durch.795.de.html?dram:article_id=390492]-
Reflexen – und zeigt ganz nebenbei, dass er nicht mit den einschlägigen
Strategiediskussionen der Neuen Rechten vertraut ist.

MEHR ZUM THEMA Neurechte Stärkesimulationen


Nun sind die Primärtexte aus dem
rechtsintellektuellen Umfeld der Partei ohne
Zweifel aussagekräftig – allen voran die
taktischen Empfehlungen, die der
einflussreiche Vordenker der AfD und
Stichwortgeber der neuen Rechten, Götz
Rechtspopulisten
Kubitschek, in seiner Zeitschrift Sezession
Den Kampf
veröffentlicht. Doch so viel in seinen und den
annehmen, ohne ihn
Artikeln anderer Autoren von hilfloser
zu führen
[h ps://www.zeit.de/kultur/2019-
"Ausgrenzeritis" der "Linken" zu lesen ist,
10/rechtspopulisten-umgang- von "Selbsterdrosselung der
gespraech-diskussionsfuehrung-
argumentation-per-leo] 'Zivilgesellschaft'" und dem Nutzen, den die
AfD angeblich aus den totalitären
AfD Abwehrschlachten der Gegner ziehe, so
Und nun wieder wenig sollte man dem Überlegenheitsgestus
gaaanz viel zuhören dieser Texte Glauben schenken.
[h ps://www.zeit.de/kultur/2019-
10/afd-thueringen-bjoern-hoecke-
waehler-rechtsextreme-
Tatsächlich handelt es sich hierbei
kommentar] keineswegs um nüchterne
Lageeinschätzungen, sondern um
AfD
propagandistische Stärkesimulationen und
Ausgrenzen oder
Durchhalteparolen für die eigene Klientel, die
Zurückgewinnen
[h ps://www.zeit.de/gesellschaft/zei
gerade in Phasen der Stagnation mit einem
tgeschehen/2016-08/afd-anklam- immer gleichen polittheologischen
mecklenburg-vorpommern-
journalist-berichtersta ung- Heilsversprechen beschallt wird. Tenor: Die
landtagswahl] "Linke" sabotiere durch ihre "Ächtungs"-
Kampagnen die "Normalisierung" der AfD.
Doch ihre Siege seien in Wahrheit
Niederlagen: angstgetriebene Versuche, den unaufhaltsamen Aufstieg
der Rechten mit allen erdenklichen Zwangsmitteln abzuwenden.

https://www.zeit.de/kultur/2019-11/rechtsextremismus-afd-populismus-rassismus-propaganda-rechtsruck/komplettansicht?print 3/8
11/24/2019 Rechtsextremismus: Die Stigmatisierung wirkt | ZEIT ONLINE

ÜBER "10 NACH 8" +

Abends um 10 nach 8 wird Abseitiges relevant,


Etabliertes hinterfragt und Unsichtbares offenbart.
Wir sind ein vielseitiges Autorinnen-Kollektiv. Wir
schreiben selbst und suchen nach Texten, die neue
Welten erschließen oder altbekannte in neuem Licht
erscheinen lassen. Wir laden Schriftstellerinnen,
Journalistinnen und Wissenschaftlerinnen, aber
auch Expertinnen spezieller Fachgebiete ein, mit und
für uns zu schreiben; bei uns kommen
Gastautorinnen zu Wort, die in ihren Ländern nicht
mehr publizieren dürfen oder aus deren Ländern
gerade kaum berichtet wird. Wir sind neugierig auf
neue Sichtweisen, neue Erzählungen, Text für Text,
bei uns, zweimal pro Woche, immer um 10 nach 8.

Hier finden Sie alle Texte, die 10 nach 8 erscheinen.


[h ps://www.zeit.de/10nach8]

ÜBER DIE AUTORINNEN +

Es ist befremdlich, wie unkritisch diese Erbauungslyrik aus dem


neurechten Schützengraben in den vergangenen Monaten in der
deutschen Öffentlichkeit rezipiert wurde und wie sehr sie dazu
beigetragen hat, die Überlegenheitsaura einer Partei zu nähren, die –
vermeintlich – stets im Voraus weiß, was ihre "linken" Feinde im Schilde
führen. Ein ums andere Mal geht man der rechten Selbstdarstellung auf
den Leim, wenn man das Problem nicht mehr bei den Rechten selbst,
sondern bei ihren Gegnern sucht. Bei jenen, die Podien mit Rechten
boykottieren, die gegen die Präsenz rechter Verlage auf der Buchmesse
protestieren oder antifaschistische Straßenbündnisse auf die Beine
stellen.

Erfolgreiche Stigmatisierung
In Wahrheit spricht nämlich vieles dafür, dass die Versuche, die AfD
durch "Ächtung" und Ausgrenzung kleinzuhalten, keineswegs
"spektakulär gescheitert" sind, wie Jan Fleischhauer in seiner Replik auf
Kazims [https://www.focus.de/politik/deutschland/schwarzer-kanal/die-
focus-kolumne-von-jan-fleischhauer-wir-muessen-alle-afd-waehler-

https://www.zeit.de/kultur/2019-11/rechtsextremismus-afd-populismus-rassismus-propaganda-rechtsruck/komplettansicht?print 4/8
11/24/2019 Rechtsextremismus: Die Stigmatisierung wirkt | ZEIT ONLINE

aechten-linke-steigern-sich-in-nazi-notstand-hinein_id_11329591.html]
Appell behauptet. Die jüngeren  Debatten in der Sezession und die
aktuelle Praxis der AfD belegen vielmehr das genaue Gegenteil: Die
namentlich im Westen noch immer wirksame Stigmatisierung der Partei
als rechtsextremistische, rassistische und potenziell faschistische
Bewegung ist für die Blaubraunen ein ernsthaftes Problem. Denn sie
allein verhindert aus Sicht von Kubitschek und Co, dass auch in den
alten Bundesländern erreicht wird, was im Osten längst gelungen ist: das
Heraustreten aus der Non-Profit-Zone rechter Randständigkeit und die
Mobilisierung einer breiten Massenbasis, die nur durch den Anschluss
der "bürgerlichen Mitte" gelingen kann.

Die "emotionale Barriere" zwischen dem "Normalbürger und seiner


Hinwendung zur politischen und vorpolitischen Alternative" sei
"wirkmächtiger als jedes Verbotsverfahren", schrieb Kubitschek bereits
2017 unter dem Schlagwort "Selbstverharmlosung". Den Zweifel, ob das
"Unkalkulierbare" nicht vielleicht zu Recht verteufelt werde, beschreibt
er als "Kobold auf der Schulter des Wählers, der sein Kreuzchen bei der
AfD setzen will". Diese Barriere erschwert die offene Vernetzung der
Rechten mit Sympathisanten in westdeutschen Verbänden,
Unternehmen und Behörden. Und sie verhindert auf breiter Ebene noch
immer, was sich Kubitschek und Co. nach dem Erfolg des Buches Mit
Rechten reden so inständig erhofft hatten: "Normalisierungsgespräche",
um bestehende Hemmschwellen abzubauen.

Wählerskrupel und Personalprobleme


Aber auch die Besetzung der unzähligen Parteiposten werde durch das
abschreckende Pariah-Image enorm erschwert: "Jeder, der nicht sowieso
aus 'unserem Milieu' stammt, wird sich vor seinen Verwandten,
Freunden, seinen Vereinskollegen (…) dafür rechtfertigen müssen, daß er
mittut bei jenen, die nicht (sic) Gutes im Schilde führen", gab Kubitschek
kurz nach den Wahlerfolgen in Sachsen und Brandenburg zu bedenken.
Zwar legt der neurechte Politstratege erwartungsgemäß großen Wert
darauf, die AfD als nazifreie Zone auszuweisen: "Wir hier wissen, daß es
diese Leute in der Partei nicht gibt, und schon gar nicht an
verantwortlicher Stelle". Doch klagt selbst Kubitschek über den großen
Mangel an geeigneten Mandatsträgern: "Die Zahl derjenigen, die das
Notwendige für unser Vaterland auch unter schwierigen Bedingungen
tun, ist nicht groß, und unter ihnen ist der Stumpfsinn leider keine ganz
seltene Eigenschaft."

In deutlichen Worten: Der AfD fehlt genau das, wonach ein Journalist die
Parteiführung nach der historischen Abwahl des Rechtsauschuss-

https://www.zeit.de/kultur/2019-11/rechtsextremismus-afd-populismus-rassismus-propaganda-rechtsruck/komplettansicht?print 5/8
11/24/2019 Rechtsextremismus: Die Stigmatisierung wirkt | ZEIT ONLINE

Vorsitzenden Stephan Brandner kritisch fragte: "integres" Personal


[https://www.deutschlandfunk.de/afd-weidel-und-gauland-werten-
journalisten-ab.1939.de.html?drn:news_id=1069736] ohne
milieuspezifischen Hang zu antisemitischen, rassistischen oder völkisch-
nationalistischen Ausfällen. Es fehlen "bürgerlich" vermittelbare Kader,
die die Fähigkeit besitzen, die radikale, mithin systemfeindliche Agenda
der Partei im scheinzivilen Gewand an neue Wählergruppen
heranzutragen und die notwendige Politik der kalkulierten Tabubrüche
so zu gestalten, dass die Partei nicht ohne Weiteres als "Gefährder des
gesellschaftlichen Friedens und der jahrzehntelang gültigen Spielregeln"
(Kubitschek) gebrandmarkt werden kann.

Wer sich diesen Notstand bewusst macht, versteht, warum die Politiker
der Partei mehr denn je daran arbeiten, die AfD vor jeder dargebotenen
Kamera als "bürgerlich" beziehungsweise "konservativ" zu framen.
Warum sie alles daran setzen, sich durch ein Gutachten des
Verfassungsrechtlers Dietrich Murswiek
[https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-11/afd-gutachten-
dietrich-murswiek-parteispenden] vom Extremismusverdacht zu
befreien und die drohende Beobachtung durch den Verfassungsschutz
abzuwenden. Warum sie profitieren, wenn sich Journalisten aus falsch
verstandener Neutralität und Angst vor "Selbstviktimisierungs"-Vorlagen
Sprechverbote auferlegen und die Begriffe "rassistisch" oder
"extremistisch" aus dem Arsenal "legitimer" AfD-Bezeichnungen
herausstreichen. Warum AfD-Politiker größten Nutzen daraus ziehen, in
der reichweitenstarken Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Zitate
unverdächtiger Soziologen
[https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/alexander-gauland-warum-
muss-es-populismus-sein-15823206.html] nachzubeten und bei der
Gelegenheit auf subtile Weise antisemitisch konnotierte Codewörter
("one world") zu platzieren. Warum die Teilnahme Alexander Gaulands an
der 70. Geburtstagsfeier der FAZ [https://taz.de/Gauland-bei-FAZ-
Feier/!5635404/] eine politsymbolische Entstigmatisierungshilfe
sondergleichen ist und warum der Partei umgekehrt nichts mehr
schadet als der seit einiger Zeit erkennbare publizistische Schwenk der
FAZ hin zu einer klareren Abgrenzung.

Verzweifelte Suche nach "Mi e"-Anschluss


Die Rechte braucht die verhasste "Systempresse", wie der Politikberater
Johannes Hillje bereits 2017 in seinem Aufsatz "Propaganda 4.0 – Die
Erfolgsstrategie der AfD" betonte. Denn der Kampf um politische
Deutungskontrolle und den Zugang zur "Mitte" wird noch immer auf

https://www.zeit.de/kultur/2019-11/rechtsextremismus-afd-populismus-rassismus-propaganda-rechtsruck/komplettansicht?print 6/8
11/24/2019 Rechtsextremismus: Die Stigmatisierung wirkt | ZEIT ONLINE

konventionellem Terrain entschieden – und nicht, oder besser: noch


nicht in der stetig wachsenden Parallelwelt rechter Alternativmedien.
Letztere schaffen es zwar zuverlässig, die weltanschaulich fest
eingenordete Stammklientel mit monotoner Feindbildbeschallung und
Opferrhetorik auf Linie zu halten. Doch wo Kubitschek und Co. den
Aufstieg der AfD zur Massenpartei herbeifantasieren, träumen sie von
einem "Fahnenwechsel" aus dem Herzen des Medien-"Establishments" –
"eine(m) große(n) Sender" oder einer "große(n) Zeitung", die bereit wäre,
"das alternative Milieu wohlwollend abzubilden" und hierdurch
womöglich neue Abonnenten anzuwerben.

Durch die "bürgerlich" weichgezeichnete, propagandistische Infiltration


der reichweitenstarken Plattformen will die AfD ebenjenen
gesellschaftlichen "Rechtsruck" bewirken, der nach Ansicht des
Politikwissenschaftlers Floris Biskamp
[https://www.tagesspiegel.de/politik/wider-die-maer-vom-rechtsruck-
die-afd-mobilisiert-bestehendes-potenzial/25234450.html] tatsächlich
noch gar nicht stattgefunden hat. Denn entgegen allen rechten
Erfolgsmeldungen ist die Dominanz nicht rechter Einstellungsmuster
innerhalb der Gesamtbevölkerung konstant stabil und zeigt, dass die AfD
vor allem aus bestehenden Radikalisierungspotenzialen schöpft. Auch
der öffentliche Diskurs ist im Vergleich zu den Achtziger- bis
Nullerjahren durchaus nicht "rechter" geworden, sondern mithin
liberaler und sensibler für rassistische, sexistische und völkisch-
nationalistische Tabubrüche.

Rechter Scheinriese, starke Zivilgesellschaft


Wo die Zivilgesellschaft lagerübergreifend in Erscheinung tritt und klare
Brandmauern zwischen ihren unverhandelbaren Grundwerten und den
fundamentaloppositionellen Gegnern jener Werte zieht – indem
Bundestagsabgeordnete von der Linken bis zur Union einen
antisemitisch-pöbelnden Amtsträger abwählen oder ganze Kommunen
gegen die AfD mobilmachen – stößt die rechte Normalisierungs- und
Expansionsstrategie an ihre Grenzen. Wo rechten Propagandisten so
wenig "Resonanzraum" wie möglich (und so viel wie demokratisch
nötig) geboten wird und unumgängliche Auseinandersetzungen in den
Medien oder auf der politischen Bühne dazu genutzt werden,
Camouflage-Techniken zu sabotieren, selbstverharmlosende Framing-
Offensiven durch kritische Gegenrede zu durchkreuzen,
verfassungsfeindliche Projekte als solche zu benennen und
prädatorische Begriffsvereinnahmungen zu unterbinden, bleiben die

https://www.zeit.de/kultur/2019-11/rechtsextremismus-afd-populismus-rassismus-propaganda-rechtsruck/komplettansicht?print 7/8
11/24/2019 Rechtsextremismus: Die Stigmatisierung wirkt | ZEIT ONLINE

Feinde des Liberalismus und ihre Anhänger weiterhin als solche


erkennbar – und müssen selbstverständlich bereit sein, die sozialen und
politischen Kosten ihrer Normverletzungen zu tragen.

Die selbst ernannten Vorkämpfer der "Wende 2.0" haben kraftvollem


zivilgesellschaftlichen Widerstand wenig entgegenzusetzen – abgesehen
von mühevoll eingehegten und schließlich doch jäh ausbrechenden
Gewaltfantasien und der Hoffnung darauf, dass ihre Kampfnarrative von
Kräften des nicht rechten Lagers aufgegriffen und multipliziert werden.
Wenn die legitimen Abwehrmechanismen der Zivilgesellschaft in
Misskredit geraten, weil sich Teile der bürgerlichen Öffentlichkeit den
wahrnehmungsverzerrenden Pluralismusbegriff der Rechten zu eigen
machen, ist jedoch der erste Schritt zur Eroberung des "vorpolitischen
Raums" getan.

Es ist jederzeit möglich, aus diesem Spiel auszusteigen. 

https://www.zeit.de/kultur/2019-11/rechtsextremismus-afd-populismus-rassismus-propaganda-rechtsruck/komplettansicht?print 8/8

También podría gustarte