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A. Problemstellung
Der Sport ist aus der modernen Gesellschaft nicht mesir wegzu-
denken l. Millionen Menschen treiben innerhalb oder außerhalb von
Vereinen Sport, um Ausgleich für die Belastungen des Bemfs zu fin-
den, ihre Gesundheit zu fördern, durch gemeinsame Unternehmun-
gen dem Wunsch nach Geselligkeit und Freude am Spiel lachzuge-
hen oder nach sportlichen Erfolgen zu streben. Für eine £eihe von
Spitzensportlern ist der Sport Beruf, der die Chance eröffnet, in ver-
hältnismäßig kurzer Zeit hohes Einkommen und beachtliches Sozial-
prestige zu erzielen. Noch größer als die Zahl der aktiven Sportler ist
die Zahl der Zuschauer, die sich jedes Wochenende von der Span-
nung der Wettkämpfe mitreißen lassen. Die Bedeutung ees Sports
dürfte in Zukunft mit wachsender Freizeit noch zunehmei. Wie die
große Zahl internationaler Wettkämpfe zeigt, hat sich der Sport
schon längst zu einem Phänomen entwickelt, dessen Bedeutung die
nationalen Grenzen übersteigt.
Wie jede gesellschaftlich bedeutsame Erscheinung virft auch
der Sport eine Fülle juristischer Fragen auf, die sich über nihezu alle
Rechtsgebiete erstrecken und deren Zahl und Schwierigket mit stei-
gendem Stellenwert des Sports ständig gewachsen sind2. Auch das
Strafrecht wird durch den Sport auf den Plan gerufen. Da in sportli-
chen Wettkampf der Körper und nicht selten sogar das LeVen erheb-
lichen Risiken ausgesetzt sind und der Berufssport auch eix Spiel um
viel Geld ist, bei dem die Verlockung besteht, sich durch vnredliche
Methoden auf Kosten anderer zu bereichern, werden euren den
1 Zu Begriff und Funktionen des Sports in der modernen Gesellschaf, vgi. Schild,
Jura 1982, 464, mit umfangreichen Nachweisen zur sport- und sozial wssenschaftli-
chen Literatur.
2 Zur Übersicht über beim Sport auftretende Rechtsprobleme vgl. Reiftest, Grund-
riß des Sportrechts und des Sporthaftungsrechts, 1968; Schroede-/Kauffmann
(Hrsg.), Sport und Recht, 1972.
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u Zu dein hier vertretenen Aufbau des Fahrlässigkeitsdelikts, nach dem der Verstoß
gegen die objektiv im Verkehr erforderliche Sorgfalt zum Tatbestand gehört, vgl.
etwa Jescheck, Strafrecht Allg. Teil, 3. Aufl. 1978, S. 466 ff.
15 Vgl. dazu Stnwk, Strafrechtliche Aspekte des Skiunfalls unter Berücksichtigung
der Rechtsordnung Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, Diss. Freiburg
1969, S. 13 f.
16 Zum Verstoß gegen die Sportregeln als Beweisanzeichen für die Nichtbeachtung
der hu Verkehr erforderlichen Sorgfalt vgl. Berr(Anm. 7), S. 95; Schroeder(ArwL 3),
S. 26 f. Kritisch zu den Sportregeln Deutsch, VersR 1974, 1045, 1047 f.; ders., Haf-
tungsrecht, Erster Band, Allg. Lehren, 1976, S. 232, wonach das Regelwerk der
Sportverbände weder geschlossen noch genügend auf die Verhinderung von Ver-
letzungen ausgerichtet ist. Zur Bedeutung der Sportregeln für die Bestimmung der
gebotenen Sorgfalt vgl. weiter die unterschiedlich akzentuierten Auffassungen
von Fritzweiler, Die Haftung des Sportlers bei Sportunfällen, Diss. Bonn 1976, S. 75
ff., und Schiffer (Anm. 8), S. 96 ff.
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/. Die Einwilligungslösung
Für die Lösung der Problematik gelten nach der Einwilligungs-
lehre folgende Grundsätze: Die Teilnahme am sportlichen Wett-
kampf enthält die Einwilligung in die Verletzungen, die ein solcher
Wettkampf seinem Wesen nach mit sich bringt21. Die Einwilligung
erstreckt sich zunächst auf die Verletzungen, die durch regelgerech-
tes Verhalten herbeigeführt werden, erfaßt aber darüber hinaus nach
der Ansicht der Mehrheit der Verfechter der Einwilligungslösung
auch einen Teil der durch Verstöße gegen die Spielregeln verursach-
ten Verletzungen. Die Grenze wird hierbei überwiegend in der
Weise gezogen, daß leicht fahrlässige Regelwidrigkeiten aus Über-
eifer, Erregung, technischer Unvollkommenheit oder mangelnder
Körperbeherrschung durch Einwilligung gedeckt sind, grob fahrläs-
sige und vorsätzliche Regelverstöße jedoch nicht22. Danach wäre in
unserem Fallbeispiel das Verhalten des V in der ersten und zweiten
Variante durch Einwilligung des S gerechtfertigt, da V sich in der er-
sten Variante regelgerecht verhält und in der zweiten lediglich ei-
nen leicht fahrlässigen Regelverstoß begeht. In Variante 3 hätte sich
ligt, dem Täter also die Vornahme der Handlung erlaubt34. Ohne daß
es hier eines näheren Eingehens auf den Streit um die Begründung
der rechtfertigenden Wirkung der Einwilligung bedarf35, kann fest-
gestellt werden, daß nach herkömmlicher Auffassung konstitutives
Element der Einwilligung die Übereinstimmung der Tat mit dem
Willen des Verletzten ist36. Hat dieser mit der Täterhandlung zwar
gerechnet, sie aber nicht gestattet, scheidet Einwilligung aus. Der
Liebhaber, der sich auf den Weg zu seiner Angebeteten macht, ob-
wohl er weiß, daß er unterwegs von seinem Nebenbuhler verprügelt
wird, willigt also keinesfalls in die Mißhandlung durch den mißgün-
stigen Rivalen ein. Ebensowenig kann im allgemeinen davon ausge-
gangen werden, daß ein Fußballspieler seinen Gegenspielern erlaubt,
ihn durch regelwidriges Verhalten zu verletzen. Dies würde bedeu-
ten, daß er insoweit von den Gegenspielern keine Rücksichtnahme
auf seine körperliche Integrität verlangen und damit seinen Körper
partiell für vogelfrei erklären würde. Da dies dem Interesse des
Sportlers widerspricht, den Wettkampf möglichst ohne Blessuren zu
überstehen, kann eine allgemeine Einwilligung in Körperverletzun-
gen durch leichte Regelverstöße nicht unterstellt werden37. Wenn
die Strafgerichte annehmen, der Sportler willige zwar nicht in vor-
sätzliche Regelverstöße ein, sei aber mit Regelwidrigkeiten aus
Übereifer oder mangelnder Körperbeherrschung einverstanden38, so
bescheinigen sie dem Wettkämpfer eine geradezu „brüderliche"
Rücksichtnahme auf psychische und körperliche Unzulänglichkeiten
der Gegenspieler. Der Lebenswirklichkeit näher kommen dürfte die
Annahme, daß der Sportler von allen Gegenspielern die Einhaltung
der Regeln verlangt, mag es sich bei diesen nun um ausgekochte
Routiniers, jugendliche Hitzköpfe, denen „die Sicherung durch-
brennt", oder ungehobelte Abwehrrecken handeln, die in ihrer Unbe-
holfenheit die Gegenspieler serienweise „umsäbeln"39.
34 Vgl. OLG Oldenburg NJW 1966, 2132, 2133, das die Einwilligung als „bewußte Ge-
stattung der Verletzung eines Rechtsguts" bezeichnet. Eine Vorverlagerung des
Gegenstandes der Einwilligung auf die Gefahr, daß es zu dem gefährlichen Verhal-
ten des Täters kommen könnte, ist nicht möglich. Jedenfalls das Verhalten des Tä-
ters muß durch die Einwilligung gedeckt sein.
35 Vgl. dazu Jescheck (Anm. 14), S. 302 f. m. w. N.
36 Zu der teilweise abweichenden Konzeption von Jakobs siehe unten Anm. 44.
37 Gegen die Annahme einer Einwilligung in Regelverletzungen auch Berr (Anm. 7),
S 185; FntzweHer(Anm. 16), S. 100; Hellgardt (Anm. 13), S. 47.
38 Vgl. BayObLG NJW 1961,2072.
39 Die leichten Regelverstöße können daher auch nicht durch das von Baumann
(Anm. 18) für Sportverletzungen herangezogene Rechtsinstitut der „zu vermuten-
den Einwilligung" gerechtfertigt werden.
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40 Vgl. Günther (Anm. 18), S. 348. Siehe auch BGHSt. 17, 359, 360. In dieser Entschei-
dung spricht der BGH im Zusammenhang mit der Einwilligung vom Verzicht auf
Strafschutz.
41 Siehe Günther (Anm. 18), S. 350.
42 Vgl. Hellgardt (Anm. 13), S. 57 f., Zipf (Anm. 3), S. 92, 100 f. Siehe weiter Hans Stoll,
Das Handeln auf eigene Gefahr, 1961, S. 261, der darauf hinweist, daß es von Fall zu
Fall verschieden ist, was ein Sportler sich über die mit der Sportausübung verbun-
denen Gefahren vorstellt, und sich hierüber keine allgemeine Regel aufstellen
läßt Stoll, a. a. O. S. 262, hält „... die Erforschung des variablen Wülens der Sport-
teilnehmer im Grundsatz für verfehlt" und spricht sich dafür aus, die „... Rechtsbe-
ziehungen der an einem Sport ... Beteiligten ... schadensrechtlich in ihrer objekti-
ven Typizität ..." zu bewerten. Für ein Abstellen auf die objektive Typizität der
Rechtsbeziehungen beim Fußballspiel auch BGHZ 63,140,143.
43 Zur Möglichkeit, die Einwilligung jederzeit zu modifizieren oder zu widerrufen
vgl. Schiffer(Anm. 8), S. 171,· Schroeder(Anm. 3), S. 31,33.
44 Vgl. dazu Jakobs (Anm. 18), S. 207.
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zung anzusehen ist60, und können bei der Bewertung eines Verhal-
tens als Mißhandlung, also als übles, unangemessenes Behandeln61,
die Umstände der Tat berücksichtigt werden, so daß etwa das bloße
Zufallbringen eines Gegenspielers im Kampf um den Ball noch kein
Mißhandeln darstellt62. Es ist den angeführten Autoren jedoch nicht
gelungen, überzeugend darzutun, daß eine körperliche Mißhandlung
bei Sportverletzungen auch dann zu verneinen ist, wenn es zu wei-
tergehenden Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität des Ge-
genspielers kommt, dem Kontrahenten also z.B. ein schmerzhafter
Tritt versetzt wird oder ihm Blutergüsse, Zerrungen oder Prellungen
zugefügt werden. Hinzu kommt, daß auch die in der zweiten Alterna-
tive des § 223 StGB genannten Gesundheitsbeschädigungen beim
„Sport gegeneinander" nicht selten sind63.
104 Hierin liegt der richtige Kern der Auffassung von Zeiler (Anm. 56).
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105 Zur Notwendigkeit einer Regelung nach der objektiven Typizität der Rechtsbezie-
hungen vgl. die Nachweise bei Anm. 42.
106 Vgl. Zzp/(Anm. 3), S. 95f siehe auch J9err(Anm. 7), S. 214 f.
107 Anders Zip/(Anm. 3), S. 89, 91, der bei Vorsatztaten generell die Sozialadäquanz
verneint.
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108 Auch Berr (Anm. 7), S. 219 Fn. 3, nimmt sozialadäquates Verhalten an, wenn beim
Profifußball ein Spieler den Gegner regelwidrig zu Fall bringt, um ihn am Tor-
schuß zu hindern; siehe weiter Grunsky (Anm. 45), S. 29, der sich gegen eine zivil-
rechtliche Haftung für „vorsätzliche Regelverstöße, die praktisch jeder Spieler in
bestimmten Situationen begeht.. ausspricht und als Beispiel die „Notbremse" an-
führt.
109 Da der Fußballstiefel ein gefährliches Werkzeug i. S. d. § 223 a StGB sein kann, vgl.
Schiffer (Anm. 8), S. 69, ist bei einem im Kampf um den Ball erfolgenden Tritt die
Grenze zur Strafbarkeit erst überschritten, wenn die Voraussetzungen des § 223 a
StGB gegeben sind.
no Siehe Stree, Jura 1980,287.
in Zur Auslegung des § 223 a StGB in diesem Sinne vgl. Hirsch, in: LK, § 223 a Rdn. 9.
Enger Hörn, in: SK, § 223 a Rdn. 4, der nur die in § 224 StGB genannten Körper-
schäden ausreichen lassen will. Zum Tatbestand der gefährlichen Körperverlet-
zung de lege ferenda vgl. Hirsch, ZStW 83 (1971), S. 140, 149 ff., und Lampe, ZStW
83 (1971), S. 177.
2 Vgl. den Fall OLG Braunschweig (Anm. 18).
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113 Auch £ser(Anm. 3), S. 373, stellt bei der Abgrenzung des erlaubten Risikos allein
auf die Handlung und nicht auf den Erfolg ab.
114 Vgl. auch Günther(Anm. 18), S. 350.
us Zum individuellen Fahrlässigkeitsvorwurf bei Sportverletzungen vgl. Schiffer
(Anm.8),S.181ff.
6 Vgl. Regel IX. B. der offiziellen Basketball-Regeln, abgedruckt bei Reichert
(Anm. 2), S. 273.
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