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Die Behandlung der Körperverletzung im Sport im System

der strafrechtlichen Sozialkontrolle


Von Akad. Rat Dr. Dieter Dolling, Göttingen

A. Problemstellung
Der Sport ist aus der modernen Gesellschaft nicht mesir wegzu-
denken l. Millionen Menschen treiben innerhalb oder außerhalb von
Vereinen Sport, um Ausgleich für die Belastungen des Bemfs zu fin-
den, ihre Gesundheit zu fördern, durch gemeinsame Unternehmun-
gen dem Wunsch nach Geselligkeit und Freude am Spiel lachzuge-
hen oder nach sportlichen Erfolgen zu streben. Für eine £eihe von
Spitzensportlern ist der Sport Beruf, der die Chance eröffnet, in ver-
hältnismäßig kurzer Zeit hohes Einkommen und beachtliches Sozial-
prestige zu erzielen. Noch größer als die Zahl der aktiven Sportler ist
die Zahl der Zuschauer, die sich jedes Wochenende von der Span-
nung der Wettkämpfe mitreißen lassen. Die Bedeutung ees Sports
dürfte in Zukunft mit wachsender Freizeit noch zunehmei. Wie die
große Zahl internationaler Wettkämpfe zeigt, hat sich der Sport
schon längst zu einem Phänomen entwickelt, dessen Bedeutung die
nationalen Grenzen übersteigt.
Wie jede gesellschaftlich bedeutsame Erscheinung virft auch
der Sport eine Fülle juristischer Fragen auf, die sich über nihezu alle
Rechtsgebiete erstrecken und deren Zahl und Schwierigket mit stei-
gendem Stellenwert des Sports ständig gewachsen sind2. Auch das
Strafrecht wird durch den Sport auf den Plan gerufen. Da in sportli-
chen Wettkampf der Körper und nicht selten sogar das LeVen erheb-
lichen Risiken ausgesetzt sind und der Berufssport auch eix Spiel um
viel Geld ist, bei dem die Verlockung besteht, sich durch vnredliche
Methoden auf Kosten anderer zu bereichern, werden euren den

1 Zu Begriff und Funktionen des Sports in der modernen Gesellschaf, vgi. Schild,
Jura 1982, 464, mit umfangreichen Nachweisen zur sport- und sozial wssenschaftli-
chen Literatur.
2 Zur Übersicht über beim Sport auftretende Rechtsprobleme vgl. Reiftest, Grund-
riß des Sportrechts und des Sporthaftungsrechts, 1968; Schroede-/Kauffmann
(Hrsg.), Sport und Recht, 1972.
ZStW 96(1984) Heft l

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Körperverletzung im Sport 37

Sport zentrale strafrechtlich geschützte Rechtsgüter berührt3. Die


Palette der strafrechtlichen Probleme reicht von Fragen nach der
Strafbarkeit wegen Betruges oder Untreue durch die Manipulation
von Spielergebnissen4 bis zu Problemen der Strafbarkeit wegen ei-
nes Tötungsdelikts bei einem Boxkampf mit tödlichem Ausgang5. Zu
den praktisch und straf rechtsdogmatisch besonders interessanten
Fragen gehört die Beurteilung von Körperverletzungen im Sport,
handelt es sich hierbei doch um ein massenhaft auftretendes Phäno-
men, dessen Erscheinungsformen sich zu einem großen Teil nur
schwer in die herkömmlichen Kategorien des Strafrechts einordnen
lassen und deren Behandlung daher eine Nagelprobe für die Fähig-
keit der Strafrechtsdogmatik zur sachgerechten Bewältigung von ak-
tuellen Regelungsproblemen der modernen Gesellschaft darstellt.
Da über die Lösung dieses Problems bisher trotz zahlreicher Erörte-
rungen keine Einigkeit erzielt werden konnte6, soll es im folgenden
näher behandelt werden.

Ä Erscheinungsformen der Körperverletzung im Sport


Für die strafrechtliche Analyse der Körperverletzung im Sport
ißt es zunächst erforderlich, den Gegenstand der Erörterung näher
einzugrenzen und aufzugliedern. Hierbei ist es vorliegend nicht
rilogltch, auf die zahlreichen Versuche zur Definition des Sports ein-
zugehen7. Das Alltagsverständnis des Begriffs dürfte aber eine für
dfe Bitfaltung der Problematik ausreichende Verständigung über die
gemeinten Phänomene ermöglichen. Es geht beim Sport um körperli-
che Betätigungen, die im allgemeinen nach gewissen Regeln ablau-
fen, im Wettkampf mit anderen ausgeübt werden und den Zielen der
spiekrischen Selbstentfaltung oder der Erbringung vorwiegend kör-
perlicher Leistungen dienen8. Sport kann als Freizeitvergnügen oder

3 Aigemem zum Thema „Sport und Strafrecht" Schroeder in: Schroeder/Kauffmann


(pfmL 2), S. 21 ff.» zu den Erscheinungsformen der „Sportkriminalität" vgl. auch Eser,
JZ1978,368 f.; Z/p/, Einwilligung und Risikoübernahme im Strafrecht, 1970, S. 85 f.
4 Sphe dazu BGH NJW 1975, 1234; Schreiber/Beulke, JuS 1977, 665; Tnffterer, NJW
19*5,612.
5 Ztr strafrechtlichen Beurteilung von Tötungen im Sport vgl. etwa Z/p/ (Anm. 3),
S.99 f.
6 V|l· etwa die unterschiedlichen Lösungsvorschläge von Eser (Anm. 3), S. 372 ff.;
Stbild (Anm. 1), S. 585 ff.; Schroeder (Anm. 3), S. 28 ff.; und Zip/(Anm. 3), S. 93 ff.
7 Ztm Begriff des Sports und den Schwierigkeiten einer genauen Definition vgl.
'ßtrr, Sport und Straf recht, Diss. Saarbrücken 1973, S. 19 ff.; Schild (Anm. 1), S. 465 f.
8 Vgl. die der Brockhaus-Enzyklopädie entnommene Umschreibung des Sports bei
Sfriffer, Die strafrechtliche Behandung der Sportverletzung, Diss. Mannheim 1977,
S.2.
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als Höchstleistungssport betrieben werden. Die folgenden Erörterun-


gen beschränken sich auf Körperverletzungen, die ein Sportler ei-
nem anderen Sportler zufügt. Verletzungen von Außenstehenden,
insbesondere von Zuschauern9, bleiben außerhalb der Betrachtung,
da sich in diesen Fällen die durch die Eigenart des Sports aufgewor-
fenen Probleme nicht in gleicher Schärfe stellen.
Da Körperverletzungen im Sportgeschehen in vielfältigen Er-
scheinungsformen auftreten, die sich strafrechtlich nicht alle über ei-
nen Leisten schlagen lassen10, empfiehlt es sich, bei der Analyse zwi-
schen verschiedenen Gruppen von Sportarten zu differenzieren und
als Unterscheidungskriterium den Grad der Gefährdung von Körper
und Gesundheit der Sportler zu wählen, der mit der betreffenden
Sportart jeweils verbunden ist. Danach ergibt sich im Anschluß an
Schroeder11 und Esern eine Einteilung in drei Gruppen, die im fol-
genden gesondert analysiert werden sollen:
— die Körperverletzung beim nebeneinander betriebenen Sport, z. B.
beim Zusammenstoß zweier Skifahrer13,
— die Körperverletzung beim gegeneinander ausgeübten Sport mit
Verletzungsgefahr, etwa beim Fußballspielen,
— und die Körperverletzung beim gegeneinander betriebenen Sport
mit dem Ziel der körperlichen Beeinträchtigung des Gegners, z. B.
beim Boxsport.

C. Die Körperverletzung beim „Sport nebeneinander"


Die wenigsten Probleme wirft die strafrechtliche Beurteilung
der Körperverletzungen auf, die sich bei nebeneinander betriebenen
9 Vgl. z. B. den Fall OLG Karlsruhe NJW 1982, 394, in dem ein neben dem Tor ste-
hender Zuschauer von einem Fußball getroffen wurde.
10 Vgl.£ser(Anm.3),S.371.
n Anm.3,S.24.
12 Anm. 3, S. 369.
13 Schroeder (Anm. 3), und Eser (Anm. 3) unterscheiden innerhalb dieser Gruppe
noch zwischen Sportarten, bei denen die Sportler nebeneinander um das gleiche
Ziel kämpfen (z. B. leichtathletische Laufwettbewerbe), und Sportarten, bei denen
die Sportler lediglich gemeinsam dieselben Anlagen benutzen (z. B. Skilauf). Für
die strafrechtliche Beurteilung dürften zwischen diesen beiden Gruppen keine er-
heblichen Unterschiede bestehen. Zur Unterscheidung zwischen dem Sport „ne-
beneinander" und dem Sport „gegeneinander" vgl. auch Hellgardt, Die Haftung für
Sportverletzungen, Diss. Köln 1973, S. 4 ff.,· zur Differenzierung nach den durch die
Sportausübung drohenden Verletzungen siehe Voegeli, Strafrechtliche Aspekte
der Sportverletzungen, im besonderen die Einwilligung des Verletzten im Sport,
Diss. Zürich 1974, S. 39 ff.? zur Einteilung der Sportarten siehe weiter Schiffer (Anm.
8), S. 8 ff.
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Körperverletzung im Sport 39

Sportarten ereignen. Diese Disziplinen, zu denen außer dem Skifah-


ren etwa leichtathletische Wurf-, Sprung- und Laufwettbewerbe ge-
hören, werden in aller Regel ohne körperlichen Kontakt mit anderen
Sportlern ausgeübt. Kommt es im Rahmen dieser Sportarten zu Kör-
perverletzungen, ergeben sich für die strafrechtliche Prüfung keine
prinzipiellen Unterschiede zu Körperverletzungen außerhalb des
Sportbetriebes. Verletzt also ein Sportler vorsätzlich einen anderen
— was etwa der Fall sein kann, wenn in einem Pulk von Läufern ein
Athlet dem vor ihm liegenden Konkurrenten einen Tritt in die Beine
versetzt, um ihn zum Stolpern zu bringen und an ihm vorbeiziehen
zu können —, ist eine nach den §§ 223 ff. StGB strafbare Körperver-
letzung gegeben. Kommt fahrlässige Körperverletzung nach § 230
StGB in Betracht, so ist zu prüfen, ob der für die Verletzung ursäch-
lich gewordene Sportler gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt
verstoßen hat, wobei für die Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabes die
Besonderheiten der jeweiligen Sportart zu berücksichtigen sind.
Maßgeblich ist, wie sich ein „vernünftiger Sportler" in der jeweiligen
Situation verhalten hättel4. Bei der Ermittlung des „maßstabsgerech-
ten" Verhaltens können die von den Sportverbänden herausgegebe-
nen Regeln, wie z. B. die vom Internationalen Skiverband erarbeite-
ten „Regeln über das Verhalten auf Skipisten"15, infolge des in ihnen
zum Ausdruck kommenden Sachverstandes der beteiligten Sportler-
kreise wertvolle Hilfe leisten, die Prüfung, welches Verhalten im
Einzelfall zur Vermeidung von Körperverletzungen anderer zu er-
warten ist, aber nicht ersetzen16. Wird ein dem Täter vorwerfbarer
Sorgfaltsverstoß festgestellt, liegt fahrlässige Körperverletzung vor.
Eine Einwilligung in derartige Verletzungen ist zwar denkbar, wird
aber kaum einmal vorliegen, da die Sportler voneinander erwarten,

u Zu dein hier vertretenen Aufbau des Fahrlässigkeitsdelikts, nach dem der Verstoß
gegen die objektiv im Verkehr erforderliche Sorgfalt zum Tatbestand gehört, vgl.
etwa Jescheck, Strafrecht Allg. Teil, 3. Aufl. 1978, S. 466 ff.
15 Vgl. dazu Stnwk, Strafrechtliche Aspekte des Skiunfalls unter Berücksichtigung
der Rechtsordnung Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, Diss. Freiburg
1969, S. 13 f.
16 Zum Verstoß gegen die Sportregeln als Beweisanzeichen für die Nichtbeachtung
der hu Verkehr erforderlichen Sorgfalt vgl. Berr(Anm. 7), S. 95; Schroeder(ArwL 3),
S. 26 f. Kritisch zu den Sportregeln Deutsch, VersR 1974, 1045, 1047 f.; ders., Haf-
tungsrecht, Erster Band, Allg. Lehren, 1976, S. 232, wonach das Regelwerk der
Sportverbände weder geschlossen noch genügend auf die Verhinderung von Ver-
letzungen ausgerichtet ist. Zur Bedeutung der Sportregeln für die Bestimmung der
gebotenen Sorgfalt vgl. weiter die unterschiedlich akzentuierten Auffassungen
von Fritzweiler, Die Haftung des Sportlers bei Sportunfällen, Diss. Bonn 1976, S. 75
ff., und Schiffer (Anm. 8), S. 96 ff.
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daß die zur Verhinderung von Körperverletzungen erforderliche


Sorgfalt eingehalten wird17.

D. Die Körperverletzung beim „Sport gegeneinander


mit Verletzungsgefahr"
Anders als beim „Sport nebeneinander" ergeben sich bei der
strafrechtlichen Beurteilung der Körperverletzungen beim „Sport ge-
geneinander" mit Verletzungsgefahr erhebliche Probleme. Bei diesen
Sportarten, zu denen neben dem Fußball z. B. noch Handball oder
Eishockey gehören, besteht das Ziel des Sportlers zwar nicht in der
Verletzung des Gegners, sie sind aber maßgeblich durch ein Moment
des Kampfes charakterisiert; denn es kommt bei ihnen darauf an,
sich in der körperlichen Auseinandersetzung mit dem Gegner auf-
grund überlegener Kraft, Schnelligkeit und Geschicklichkeit durch-
zusetzen. Daß es hierbei nicht selten zu Verletzungen der Kontra-
henten kommt, liegt angesichts der diesen Sportarten wesensgemä-
ßen Dynamik der körperlichen Auseinandersetzung auf der Hand.
Für das Strafrecht stellt sich daher die schwierige Aufgabe, einer-
seits auch im Sportgeschehen einen ausreichenden Schutz von Kör-
per und Gesundheit zu gewährleisten und andererseits den Sport-
lern den Freiraum zu belassen, den sie benötigen, wenn der Sport
seine Eigenart und seinen Reiz nicht verlieren soll. Strafrechtliche
Rechtsprechung und überwiegende Literatur versuchen, diese Auf-
gabe mit Hilfe des Instituts der Einwilligung zu bewältigen18. Da die
Einwilligungslösung trotz immer wieder geäußerter Kritik19 weiter-
hin dominiert, ist sie zunächst zu analysieren. Sodann sind alterna-

17 Vgl. Noll übergesetzliche Rechtfertigungsgründe, im besonderen die Einwilli-


gung des Verletzten, 1955, S. 98, wonach von einer Einwilligung höchstens beim
vereinbarten Kampf spiel die Rede sein kann. Ebenso Voegeli (Anm. 13), S. 169 ff.
18 Vgl. BayObLG JR 1961,72; BayObLG NJW 1961,2072,· OLG Braunschweig Mieders.
Rechtspflege 1960, 233; Baumann, Strafrecht Allg. Teil, 8. Aufl. 1977, S. 331f Dreher/
Tröndle, 41. Aufl. 1983, § 226 a Rdn. 7; Gawron, Die strafrechtliche Beurteilung der
Körperverletzung im Sport, Diss. München 1956, S. 117 ff.,· Günther, Straf rechtswid-
rigkeit und Strafrechtsausschluß, 1983, S. 349 f.; Hirsch, in: LK, 10. Aufl. 1978, § 226 a
Rdn. 12; Horn, in: SK, 2. Aufl. 1981, § 226 a Rdn. 21 f.,· Jakobs, Strafrecht Allg. Teil,
1983, S. 207 f.; Jescheck (Anm. 14), S. 479,· Mahling, Die strafrechtliche Behandlung
von Sportverletzungen, Diss. Berlin 1940, S. 44 ff., 67 ff.,· Mehl, Die Strafbarkeit der
Körperverletzung beim Sport; Diss. Tübingen 1953, S. 90; Noll (Anm. 17), S. 97 ff.;
Schroeder(Anm. 3), S. 29 f.? Stree, in: Schönke/Schröder, 21. Aufl. 1982, § 226a Rdn.
16,· Voegeli (Anm. 13), S. 162 ff.
19 Siehe etwa Berr (Anm. 7), S. 6, 60; Eser (Anm. 3), S. 372; Haefliger, SchwZStr 67
(1952), S. 92, 100; Schild (Anm. 1), S. 522, 526; Eb. Schmidt, JZ 1954, 369, 371 ff.; Zipf
(Anm. 3), S. 75,92.
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Korperverletzung im Sport 41

tive Lösungsvorschläge zu behandeln20 und der eigene Standpunkt


darzustellen.
Zur Veranschaulichung der Problematik soll ein Fallbeispiel mit
drei Varianten dienen, das dem Fußballspiel entnommen ist: In ei-
nem Spiel der Fußballbundesliga läuft der Stürmer S mit dem Ball
am Fuß auf das gegnerische Tor zu und wird hierbei von seinem Ge-
genspieler, dem Verteidiger V, verfolgt. In der ersten Variante ge-
lingt es dem V gerade noch, den Ball wegzuschlagen, als S zum Tor-
schuß ausholt S kommt hierbei zu Fall und zieht sich eine Prellung
zu. In der Variante 2 ist es für V unmöglich, den Ball noch zu errei-
chen. V erkennt dies jedoch in seiner Aufregung nicht und tritt nach
dem Ball, trifft jedoch das Standbein des S. Dieser sackt mit einem
Schmerzensschrei zusammen, kann aber nach kurzer Zeit trotz der
erlittenen Prellung weiterspielen. In der dritten Variante nehmen
wir an, daß V den S nicht aus Versehen, sondern vorsätzlich tritt, um
dessen Torschuß zu verhindern.

/. Die Einwilligungslösung
Für die Lösung der Problematik gelten nach der Einwilligungs-
lehre folgende Grundsätze: Die Teilnahme am sportlichen Wett-
kampf enthält die Einwilligung in die Verletzungen, die ein solcher
Wettkampf seinem Wesen nach mit sich bringt21. Die Einwilligung
erstreckt sich zunächst auf die Verletzungen, die durch regelgerech-
tes Verhalten herbeigeführt werden, erfaßt aber darüber hinaus nach
der Ansicht der Mehrheit der Verfechter der Einwilligungslösung
auch einen Teil der durch Verstöße gegen die Spielregeln verursach-
ten Verletzungen. Die Grenze wird hierbei überwiegend in der
Weise gezogen, daß leicht fahrlässige Regelwidrigkeiten aus Über-
eifer, Erregung, technischer Unvollkommenheit oder mangelnder
Körperbeherrschung durch Einwilligung gedeckt sind, grob fahrläs-
sige und vorsätzliche Regelverstöße jedoch nicht22. Danach wäre in
unserem Fallbeispiel das Verhalten des V in der ersten und zweiten
Variante durch Einwilligung des S gerechtfertigt, da V sich in der er-
sten Variante regelgerecht verhält und in der zweiten lediglich ei-
nen leicht fahrlässigen Regelverstoß begeht. In Variante 3 hätte sich

20 Hierbei kann vorliegend nur auf die wichtigsten Lösungsvorschläge eingegangen


werden. Zum Überblick über die zahlreichen Auffassungen vgl. Berr (Anm. 7),
S. 33 ff.
21 Vgl. BayObLG JR 1961,72 f.
22 Siehe BayObLG NJW 1961,2072 f.; Dreher/Tröndle, Hirsch und Stree (Anm. 18).
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V dagegen wegen vorsätzlicher Körperverletzung strafbar gemacht.


Die Ergebnisse, zu denen die Einwilligungslösung gelangt, erschei-
nen zumindest in den ersten beiden Varianten, in denen V straffrei
bleibt, einigermaßen plausibel. Es ist jedoch bisher nicht gelungen,
die Einwilligungskonstruktion dogmatisch überzeugend zu begrün-
den23. Für unser Fallbeispiel ergibt sich folgendes: In der ersten Va-
riante ist die Heranziehung der Einwilligung nicht notwendig, in der
zweiten Fallabwandlung bereitet die Annahme einer Einwilligung
kaum zu überwindende Schwierigkeiten, und in der dritten Variante
besteht die Gefahr einer Überdehnung der Strafbarkeit.
In der ersten Variante bedarf es der Einwilligung nicht, da der
den Fußballregeln entsprechende Einsatz des V keinen Verstoß ge-
gen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt darstellt und es somit
schon an der Fahrlässigkeit fehlt24. Der Maßstab der im Verkehr er-
forderlichen Sorgfalt enthält eine Abwägung zwischen den Interes-
sen an der Vornahme der Handlung und dem Rechtsgüterschutz25.
Die Gefahren für die körperliche Unversehrtheit der Spieler sind bei
Einhaltung der dem Schutz der Spieler dienenden Fußballregeln, ins-
besondere des Verbotes des sogenannten gefährlichen Spiels26, so
weit reduziert, daß die verbleibenden Risiken im rechtlich anerkann-
ten gesellschaftlichen Interesse an der Ausübung des Fußballsports
hingenommen werden können27. Auch wenn der Stürmer dem Ver-
teidiger erklärt, er sei mit dessen regelgerechtem, aber hartem Spiel
nicht einverstanden, darf der Verteidiger seine sich im Rahmen der
gebotenen Sorgfalt haltende Spielweise getrost beibehalten. V ist
also in der ersten Variante straffrei, ohne daß es auf die Einwilligung
des S ankommt28.
In der zweiten Fallvariante läßt sich dagegen ein Sorgfaltsver-
stoß bejahen, wenn wir davon ausgehen, daß es für einen normalen
23 Vgl. die Nachweise zur Kritik an der Einwilligungslösung in Anm. 19.
24 Dazu, daß bei regelgerechtem Spiel bereits die Sorgfaltswidrigkeit entfällt, vgl.
Horn, in: SK, § 226a Rdn. 21.
25 Siehe etwa P. Frisch, Das Fahrlässigkeitsdelikt und das Verhalten des Verletzten,
1973, S. 86 ff.
26 Vgl. Regel 12 II. 1. der vom Deutschen Fußballbund herausgegebenen Fußballre-
geln, abgedruckt bei Reichert (Anm. 2), S. 281.
27 Angesichts der verhältnismäßig flexibel gefaßten Fußballregeln dürften Situatio-
nen, in denen die Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt einem Fuß-
ballspieler gebietet, zur Vermeidung von Verletzungen des Gegenspielers von ei-
nem Verhalten Abstand zu nehmen, das den Regeln entspricht, nicht sehr zahl-
reich sein.
28 Hat der Sportler die im Verkehr erforderliche Sorgfalt eingehalten, bleibt er au-ch
dann straffrei, wenn der Gegenspieler eine schwere Verletzung erlitten hat, vgl.
Eser(Anm.3),S.372.
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Körperverletzung im Sport 43

Fußballspieler auch bei Berücksichtigung der bei einem Fußballspiel


bestehenden psychischen Anspannung erkennbar war, daß er den
Ball nicht mehr erreichen konnte29. Hat der Verteidiger erkennbar
keine Chance, an den Ball zu kommen, verlangen nicht nur die Fuß-
ballregeln, sondern auch das allgemeine Körperverletzungsverbot
von ihm, von einer Attacke gegen den Stürmer abzusehen *°.
Es läßt sich nun mit der herkömmlichen Einwilligungslehre
kaum begründen, daß das durch die sorgfaltswidrige Körperverlet-
zung begründete Unrecht durch eine Einwilligung des S ausge-
schlossen wird. Hierfür kommt es nicht auf die Streitfrage an, ob sich
die Einwilligung auf den Erfolg oder die Handlung des Täters oder
beides erstrecken muß, denn es liegt weder eine Einwilligung in den
Erfolg noch in die Handlung vor31. Für den Erfolg ist dies offensicht-
lich. Einwilligen ist mehr als Geschehenlassen. Erforderlich ist, daß
der Betroffene den Erfolg billigt, ihm zustimmt32. Ein Fußballspieler
rechnet mit Verletzungen, billigt diese aber nicht33. Auch eine Ein-
willigung in die Handlung läßt sich schwerlich konstruieren. Zwar
weiß ein Fußballspieler, daß es im Verlauf eines Wettkampfes zu Re-
gelverstößen kommen kann, die Verletzungen zur Folge haben kön-
nen. Für die Einwilligung reicht jedoch das bewußte Eingehen des
Risikos, durch eine Handlung des Täters verletzt zu werden, nicht
aus. Hinzukommen muß, daß das Opfer die Verletzungshandlung bil-

29 Für den das Unrecht des fahrlässigen Delikts begründenden Sorgfaltsverstoß


kommt es auf die Fähigkeiten eines durchschnittlichen Fußballspielers an (zum
objektiven Sorgfaltsmaßstab vgl. etwa Jescheck [Anm. 14], S. 457, 467 ff.). Ein rein
individueller Sorgfaltsmaßstab bereits im Unrechtsbereich (dafür Jakobs, Studien
zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, 1972, S. 64 ff.; ders., Strafrecht Allg. Teil, 1983, S. 258
ff.,· Samson, in: SK, Anhang zu § 16 Rdn. 13 ff.; Stratenwerth, Strafrecht Allg. Teil I,
3. Aufl. 1981, S. 294 f.) würde demgegenüber auf die nicht tragbare Konsequenz hin-
auslaufen, daß der Rechtskreis des Täters mit unterdurchschnittlichen Fähigkeiten
weiter gezogen wäre als der des durchschnittlichen Rechtsadressaten.
30 A. A. Maurach/Schroeder, Strafrecht Bes. Teil Bd. l, 6. Aufl. 1977, S. 91, wonach bei
leichten Regelverstößen keine Fahrlässigkeit vorliegt
31 Zum Streit um den Gegenstand der Einwilligung vgl. Jescheck (Anm. 14), S. 307,
479 m. w. N. Für das Ergebnis ist es auch unerheblich, ob man die Einwilligung als
Rechtfertigungsgrund oder als einen Umstand, der den Tatbestand ausschließt, an-
sieht; vgl. zu dieser Streitfrage Jescheck (Anm. 14), S. 301 m. w. N.
32 Zu diesem voluntativen Element der Einwilligung vgl. Berr (Anm. 7), S. 111 ff.; Ens-
thaler, Einwilligung und Rechtsgutspreisgabe beim fahrlässigen Delikt, Diss. Göt-
tingen 1983, S. 77 ff.? Geppert, ZStW 83 (1971), S. 947, 977 f.; Hansen, Die Einwilli-
gung des Verletzten bei Fahrlässigkeitstaten, im besonderen das bewußte Einge-
hen eines Risikos durch den Geschädigten, Diss. Bonn 1963, S. 39 ff.
33 Vgl. auch BGHZ 63, 140, 144, wonach die Annahme einer Einwilligung in Verlet-
zungen beim Fußballspiel eine „künstliche Unterstellung" ist.
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ligt, dem Täter also die Vornahme der Handlung erlaubt34. Ohne daß
es hier eines näheren Eingehens auf den Streit um die Begründung
der rechtfertigenden Wirkung der Einwilligung bedarf35, kann fest-
gestellt werden, daß nach herkömmlicher Auffassung konstitutives
Element der Einwilligung die Übereinstimmung der Tat mit dem
Willen des Verletzten ist36. Hat dieser mit der Täterhandlung zwar
gerechnet, sie aber nicht gestattet, scheidet Einwilligung aus. Der
Liebhaber, der sich auf den Weg zu seiner Angebeteten macht, ob-
wohl er weiß, daß er unterwegs von seinem Nebenbuhler verprügelt
wird, willigt also keinesfalls in die Mißhandlung durch den mißgün-
stigen Rivalen ein. Ebensowenig kann im allgemeinen davon ausge-
gangen werden, daß ein Fußballspieler seinen Gegenspielern erlaubt,
ihn durch regelwidriges Verhalten zu verletzen. Dies würde bedeu-
ten, daß er insoweit von den Gegenspielern keine Rücksichtnahme
auf seine körperliche Integrität verlangen und damit seinen Körper
partiell für vogelfrei erklären würde. Da dies dem Interesse des
Sportlers widerspricht, den Wettkampf möglichst ohne Blessuren zu
überstehen, kann eine allgemeine Einwilligung in Körperverletzun-
gen durch leichte Regelverstöße nicht unterstellt werden37. Wenn
die Strafgerichte annehmen, der Sportler willige zwar nicht in vor-
sätzliche Regelverstöße ein, sei aber mit Regelwidrigkeiten aus
Übereifer oder mangelnder Körperbeherrschung einverstanden38, so
bescheinigen sie dem Wettkämpfer eine geradezu „brüderliche"
Rücksichtnahme auf psychische und körperliche Unzulänglichkeiten
der Gegenspieler. Der Lebenswirklichkeit näher kommen dürfte die
Annahme, daß der Sportler von allen Gegenspielern die Einhaltung
der Regeln verlangt, mag es sich bei diesen nun um ausgekochte
Routiniers, jugendliche Hitzköpfe, denen „die Sicherung durch-
brennt", oder ungehobelte Abwehrrecken handeln, die in ihrer Unbe-
holfenheit die Gegenspieler serienweise „umsäbeln"39.

34 Vgl. OLG Oldenburg NJW 1966, 2132, 2133, das die Einwilligung als „bewußte Ge-
stattung der Verletzung eines Rechtsguts" bezeichnet. Eine Vorverlagerung des
Gegenstandes der Einwilligung auf die Gefahr, daß es zu dem gefährlichen Verhal-
ten des Täters kommen könnte, ist nicht möglich. Jedenfalls das Verhalten des Tä-
ters muß durch die Einwilligung gedeckt sein.
35 Vgl. dazu Jescheck (Anm. 14), S. 302 f. m. w. N.
36 Zu der teilweise abweichenden Konzeption von Jakobs siehe unten Anm. 44.
37 Gegen die Annahme einer Einwilligung in Regelverletzungen auch Berr (Anm. 7),
S 185; FntzweHer(Anm. 16), S. 100; Hellgardt (Anm. 13), S. 47.
38 Vgl. BayObLG NJW 1961,2072.
39 Die leichten Regelverstöße können daher auch nicht durch das von Baumann
(Anm. 18) für Sportverletzungen herangezogene Rechtsinstitut der „zu vermuten-
den Einwilligung" gerechtfertigt werden.
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Körperverletzung im Sport 45

Allerdings ist es denkbar, in der Einwilligung nicht die Erteilung


der Befugnis zur Vornahme der Verletzungshandlung zu sehen, son-
dern darin lediglich den Verzicht auf Strafrechtsschutz zu erblicken.
So versteht Günther40 die strafrechtliche Einwilligung als den Ver-
zicht des Rechtsgutträgers auf den Schutz seines Rechtsgutes gerade
durch das Strafrecht. Eine rechtliche Billigung der Verletzungshand-
lung sei mit der Annahme einer Einwilligung nicht verbunden41. Ei-
nen Verzicht auf Strafrechtsschutz wird man bei der Teilnahme an
einem Fußballspiel in der Tat eher annehmen können als eine Er-
laubnis zur Begehung von Regelverstößen. Aber auch in dieser Form
ist die Einwilligungslösung insbesondere bei massenhaft betriebenen
Mannschaftssportarten zur sachgerechten Bewältigung des Problems
der Körperverletzung im Sport nicht in der Lage, da der Umfang, in
dem einzelne Sportler auf Strafrechtsschutz verzichten, verschieden
sein kann und bei unterschiedlicher Reichweite der Einwilligung ein
geordneter Ablauf des Spielbetriebes nicht mehr möglich wäre42.
Sollen einzelne Spieler etwa erhöhten strafrechtlichen Schutz genie-
ßen, wenn sie vor Spielbeginn ausdrücklich erklären, sie bestünden
auf strenger Regeleinhaltung und verzichteten auf keinen Fall auf
Strafrechtsschutz gegen leicht fahrlässige Regelverstöße43? Als
rechtsmißbräuchlich könnte man eine derartige Erklärung wohl
kaum ansehen.
Die sich aus der Berücksichtigung des individuellen Willens des
Rechtsgutträgers ergebenden Schwierigkeiten würden freilich ver-
mieden, wenn man der von Jätobs konzipierten Lehre von der mit-
telbaren Einwilligung folgte44. Die mittelbare Einwilligung ist nach
Jakobs dadurch gekennzeichnet, daß der Betroffene einen sozialen
Kontakt begründet, dessen rechtlich erheblichen Inhalt er nicht

40 Vgl. Günther (Anm. 18), S. 348. Siehe auch BGHSt. 17, 359, 360. In dieser Entschei-
dung spricht der BGH im Zusammenhang mit der Einwilligung vom Verzicht auf
Strafschutz.
41 Siehe Günther (Anm. 18), S. 350.
42 Vgl. Hellgardt (Anm. 13), S. 57 f., Zipf (Anm. 3), S. 92, 100 f. Siehe weiter Hans Stoll,
Das Handeln auf eigene Gefahr, 1961, S. 261, der darauf hinweist, daß es von Fall zu
Fall verschieden ist, was ein Sportler sich über die mit der Sportausübung verbun-
denen Gefahren vorstellt, und sich hierüber keine allgemeine Regel aufstellen
läßt Stoll, a. a. O. S. 262, hält „... die Erforschung des variablen Wülens der Sport-
teilnehmer im Grundsatz für verfehlt" und spricht sich dafür aus, die „... Rechtsbe-
ziehungen der an einem Sport ... Beteiligten ... schadensrechtlich in ihrer objekti-
ven Typizität ..." zu bewerten. Für ein Abstellen auf die objektive Typizität der
Rechtsbeziehungen beim Fußballspiel auch BGHZ 63,140,143.
43 Zur Möglichkeit, die Einwilligung jederzeit zu modifizieren oder zu widerrufen
vgl. Schiffer(Anm. 8), S. 171,· Schroeder(Anm. 3), S. 31,33.
44 Vgl. dazu Jakobs (Anm. 18), S. 207.
ZStW 96 (1984) Heft l

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46 Dieter Dolling

mehr uneingeschränkt einseitig festlegen kann, so daß auch uner-


wünschte Verhaltensweisen der anderen Beteiligten durch Einwilli-
gung gedeckt sein können. Danach würden bei Sportverletzungen
auch leicht fahrlässig erfolgende Regelverstöße mit voraussehbaren
geringfügigen Folgen von der Einwilligung erfaßt45. Wenn sich aber
die Befugnisse des Täters nicht mehr allein nach dem Willen des Be-
troffenen richten, sondern die Rechtsbeziehungen durch objektive,
auf einer Abwägung aller beteiligten Interessen beruhende Normen
geregelt werden, fragt es sich, ob hiermit der Geltungsbereich der
Einwilligung nicht bereits verlassen ist und andere Rechtsinstitute
zur Problemlösung herangezogen werden müssen ^,
Wenn sich die Einwilligungskonstruktion trotz der dargestell-
ten Schwierigkeiten so standhaft in Rechtsprechung und Literatur
behaupten konnte, so dürfte das u. a. daran liegen, daß sich mit Hilfe
der Einwilligung das gewünschte Ergebnis scheinbar mühelos erzie-
len läßt. Hält man die Bestrafung eines Verhaltens nicht für ange-
bracht, interpretiert man in die Teilnahme des Verletzten am Wett-
kampf eine Einwilligung in dieses Verhalten hinein. Charakteristisch
hierfür ist die Argumentation von Mehl, der ausführt, „... daß der
Umfang der vom Sportler erklärten Einwilligung in allen Fällen so
groß sein muß, daß er die reibungslose Abwicklung des Sports ge-
währleistet"47. Es verwundert daher nicht, daß es neben der vorste-
hend zugrunde gelegten überwiegenden Meinung eine Reihe ande-
rer Auffassungen über die Reichweite der Einwilligung gibt. So er-
streckt sich nach Noll tt die Einwilligung nur auf regelgerechtes
Verhalten, während Mahling® alle fahrlässigen Regelverstöße bis
auf ausgesprochene Roheitsakte als durch Einwilligung gedeckt an-
45 Siehe Jakobs (Anm. 18), S. 207 f. Vgl. auch Grunsky, Haftungsrechtliche Probleme
der Sportregeln, 1979, S. 32, der für das Zivilrecht annimmt, daß sich der Sportler
die Verletzungshandlungen, mit denen er rechnen muß, „... als Einwilligung zu-
rechnen lassen muß".
46 Der Gesetzgeber mag bei der Einfügung des § 226 a in das StGB davon ausgegan-
gen sein, er habe mit der grundsätzlichen Anerkennung der rechtfertigenden Wir-
kung der Einwilligung in die Körperverletzung das Problem der Strafbarkeit der
Sportverletzung befriedigend gelöst So heißt es in der Begründung zu dem § 226 a
StGB entsprechenden § 264 des Entwurfs eines StGB von 1927, die Vorschrift
werde es ermöglichen, Sportverletzungen „in einer dem Rechtsempfinden entspre-
chenden Weise strafrechtlich zu behandeln" (vgl. Entwurf eines Allgemeinen
Deutschen Strafgesetzbuches nebst Begründung, Reichstag III 1924/27, Drucksa-
che Nr. 3390 vom 19. Mai 1927, Begründung S. 132). Hierbei haben die Gesetzesver-
fasser jedoch die Tragweite der Einwilligung überschätzt.
47 Vgl. Mehl (Anm. 18), S. 77 f. (Hervorhebung im Zitat vom Verfasser des vorliegen-
den Beitrags).
48 Vgl. Noll (Anm. 17), S. 99; ebenso Gawron (Anm. 18), S. 148 f.
49 Siehe Mahling (Anm. 18), S. 68 ff.
ZStW96(1984)Heftl

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Körperverletzung im Sport 47

sieht und Günther50 beim Fußballspiel auch bei absichtlichen „Fouls"


grundsätzlich eine Rechtfertigung durch Einwilligung bejaht Je
nachdem, wo nach Auffassung des Autors der Bereich des strafwür-
digen Verhaltens beginnt, läßt er die Reichweite der Einwilligung
enden. Die Einwilligung scheint also — wie Hans Stoll treffend be-
merkt hat — vielfach die Aufgabe zu haben, „... eine der objektiven
Sachlage entnommene Lösung hinterher zu rechtfertigen"51.
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß die Einwilligungs-
lösung in der Form, wie sie überwiegend vertreten wird, im Bereich
des Leistungssports in viel geringerem Maße, als ihre Verfechter es
anscheinend vermuten, dazu geeignet ist, die gewünschte Entkrimi-
nalisierung der Körperverletzung im Sport herbeizuführen. Im Lei-
stungssport werden nämlich viele Regelverstöße vorsätzlich began-
gen, wobei dem Täter auch bewußt ist, daß seine Attacke zu einer
Körperverletzung führt52. Fußballspieler sind häufig keine naiven
Kraftprotze, sondern wissen genau, was sie auf dem Spielfeld tun.
Der in der dritten Variante unseres Fallbeispiels geschilderte vor-
sätzliche Tritt gegen das Bein des Gegenspielers, der mit fairen Mit-
teln nicht mehr zu bremsen ist, ist ein Beispiel für derartige vorsätz-
liche Taten, wie sie bei Fußballspielen immer wieder zu beobachten
sind. Stellt diese Verhaltensweise, die nach der Einwilligungslösung
als vorsätzliche Körperverletzung zu qualifizieren wäre, aber wirk-
lich kriminell strafwürdiges Unrecht dar?
Da somit das Problem der Körperverletzung im Sport mit Hilfe
der Einwilligung bisher nicht überzeugend gelöst werden konnte, ist
nach anderen Möglichkeiten zu seiner Bewältigung Ausschau zu
halten. Hierbei ist insbesondere auf folgende in der Literatur vorge-
schlagene Lösungswege einzugehen: restriktive Auslegung der Tat-
bestandsmerkmale der Körperverletzung, Qualifizierung der Körper-
verletzung im Sport als sozialadäquat oder als erlaubtes Risiko und
Entlassung des Sports in einen rechtsfreien Raum. Weiterhin ist an
eine prozessuale Lösung der Problematik zu denken.
so Vgl. Günther (Anm. 18), S. 350. Siehe weiter Mehl (Anm. 18), S. 85, 87, 90, nach des-
sen Auffassung vorsätzliche Sportverletzungen, die nicht im Widerspruch zu den
guten Sitten stehen, durch Einwilligung gerechtfertigt sind. Auch das OLG Braun-
schweig (Anm. 18), S. 234, zieht in Erwägung, daß gewisse vorsätzliche Regelwidrig-
keiten von der Einwilligung erfaßt werden könnten.
51 Vgl. Hans Stoll (Anm. 42), S. 261.
52 Vgl. Günther (Anm. 18), S. 350 Fn. 130. Auf den Umstand, daß die Zahl der vorsätzli-
chen Körperverletzungen im „Sport gegeneinander" unterschätzt wird, weisen auch
Schiffer (Anm. 8), S. 11 f., und Schroeder (Anm. 3), S. 25, hin. Zu den Erscheinungs-
formen der Körperverletzung im Fußballsport vgl. P. G. Wolf, Die Kriminalität bei
Fußballspielen, Eine kriminologische Untersuchung, Diss. Freiburg 1962, S. 16 ff.
ZStW96(1984)Heftl

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48 Dieter Dölling

//. Die Verneinung einer körperlichen Mißhandlung L S. d. §§ 223 ff.


StGB
Insbesondere in der älteren Literatur ist erwogen worden, bei
Sportverletzungen bereits den Tatbestand der Körperverletzung zu
verneinen53. So hat Richard Schmidt die Auffassung vertreten, das
Merkmal der körperlichen Mißhandlung sei rein subjektiv als Erre-
gung körperlichen Mißbehagens zu verstehen, und hieran fehle es
bei der Sportverletzung, weil diese von dem abgehärteten Sportler
freiwillig hingenommen und nicht als Mißhandlung empfunden
werde54. Dieser Lösungsversuch scheitert jedoch bereits daran, daß
die körperliche Mißhandlung nach zutreffender Auffassung ein sub-
jektives Mißbehagen des Opfers nicht voraussetzt55. Auch wer dem
schlafenden Opfer den Bart abschneidet, begeht eine Körperverlet-
zung. Die Ansicht Zeilers, wenn der Staat gefährliche Sportarten för-
dere, könnten die bei diesen Sportarten zugefügten Verletzungen
nicht unter die gesetzliche Strafdrohung fallen56, ist als Begründung
für die Tatbestandslosigkeit der Sportverletzung zu pauschal, denn
aus der staatlichen Billigung und Förderung des Sports ergibt sich
noch nicht, unter welchen Voraussetzungen beim Sport zugefügte
Verletzungen straffrei sein sollen57. Schließlich hilft die Ansicht Fal-
lers, durch faires Verhalten herbeigeführte leichte Sportverletzun-
gen stellten keine körperliche Mißhandlung dar, weil sie nicht als
unangemessen bezeichnet werden könnten xt gerade bei der Lösung
der besonders schwierigen Frage nach der Strafbarkeit von unfairen,
aber kein schwerwiegendes Verletzungsrisiko herbeiführenden Re-
gelverstößen nicht weiter. Es verwundert daher nicht, daß sich die
Auffassungen von der fehlenden Tatbestandsmäßigkeit der Sportver-
letzung nicht durchzusetzen vermochten59. Zwar scheiden unerheb-
liche Beeinträchtigungen aus dem Tatbestand der körperlichen Miß-
handlung aus, so daß ein blauer Fleck noch nicht als Körperverlet-

53 Vgl. den Überblick bei Berr(Anm. 7), S. 43 ff.


54 Vgl. Richard Schmidt, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes für verlet-
zende Eingriffe, 1900, S. 56 f.
55 Vgl. Berr(Anm. 7), S. 46.
56 Vgl. Zeiler, DJZ 1926,1603 ff.; ders., MSchrKrim 1931,481.
5? Vgl.Berr(Anm.7),S.51.
58 Vgl. Faller, Sport und Straf recht, Die Sportverletzung, Diss. Heidelberg 1953, S. 58,
68.
59 Einigkeit herrscht darüber, daß sich die Lehre, die im ärztlichen Heileingriff keine
Verwirklichung des Tatbestandes des § 223 StGB sieht, da der Heileingriff der
Wiederherstellung der Gesundheit diene, nicht auf Sportverletzungen übertragen
läßt, da nur die Sportausübung, nicht aber die Hinnahme von Sportverletzungen
der Förderung der Gesundheit dient, vgl. £err(Anm. 7), S. 43 ff.
ZStW 96 (1984) Heft l

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Körperverletzung im Sport 49

zung anzusehen ist60, und können bei der Bewertung eines Verhal-
tens als Mißhandlung, also als übles, unangemessenes Behandeln61,
die Umstände der Tat berücksichtigt werden, so daß etwa das bloße
Zufallbringen eines Gegenspielers im Kampf um den Ball noch kein
Mißhandeln darstellt62. Es ist den angeführten Autoren jedoch nicht
gelungen, überzeugend darzutun, daß eine körperliche Mißhandlung
bei Sportverletzungen auch dann zu verneinen ist, wenn es zu wei-
tergehenden Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität des Ge-
genspielers kommt, dem Kontrahenten also z.B. ein schmerzhafter
Tritt versetzt wird oder ihm Blutergüsse, Zerrungen oder Prellungen
zugefügt werden. Hinzu kommt, daß auch die in der zweiten Alterna-
tive des § 223 StGB genannten Gesundheitsbeschädigungen beim
„Sport gegeneinander" nicht selten sind63.

///. Sportverletzungen als sozialadäquates Verhalten


Erfolgversprechender erscheint dagegen der von Zipf64 vorge-
schlagene Lösungsweg, Körperverletzungen, die bei Kampfspielen
durch regelgerechtes Verhalten oder leicht fahrlässige Regelver-
stöße herbeigeführt werden, als sozialadäquat anzusehen und des-
halb aus dem Tatbestand der Körperverletzung herauszunehmen.
Zip/greif t hierbei die von Welzel entwickelte Lehre von der Sozial-
adäquanz auf, wonach alle diejenigen Handlungen als sozialadäquat
aus dem Unrechtsbegriff ausscheiden, „die sich funktional innerhalb
der geschichtlich gewordenen Ordnung des Gemeinschaftslebens ei-
nes Volkes bewegen"65. Sozialadäquat ist nach Zipf66 ein Verhalten,
das anerkannten sozialen Verhaltensnormen entspricht. Hierunter
fielen auch Verhaltensweisen, die zwar nicht als richtig angesehen,
aber zu einem höheren Zweck, nämlich der Ermöglichung bestimm-
ter Sportarten, als unvermeidlich hingenommen würden. Welches
Verhalten noch als sozialadäquat anzusehen sei, müsse jeweils kon-
60 Vgl. Dreher/Tröndle, § 223 Rdn. 5,· Hirsch, in: LK( § 223 Rdn. 9.
61 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, § 223 Rdn. 3; eingehend zur Bedeutung des Be-
griffs der Mißhandlung Kienapfel, Körperliche Züchtigung und soziale Adäquanz
im Strafrecht, 1961, S. 20 ff.
62 Siehe Eser (Anm. 3), S. 371; weitergehend nimmt Schiffer (Anm. 8), S. 70 ff., bei
Sportverletzungen eine körperliche Mißhandlung nur an, wenn der Verletzte die
sportlichen Leistungsanforderungen nicht mehr unverändert weiter erfüllen kann.
63 Vgl.£err(Anm.7),S.46.
64 Siehe Zipf (Anm. 3), S. 77 ff. Für die Anwendung der Lehre von der sozialen Ad-
äquanz auch Berr (Anm. 7), S. 212 ff.; Hoppe, Die soziale Adäquanz im Straf recht,
Piss. Göttingen 1959, S. 93 f.
65 Vgl. Welzel, ZStW 58 (1939), S. 491, 516 f.; ders., Deutsches Strafrecht, 11. Auü. 1969,
S. 55 ff.
66 Siehe Zipf (Anm, 3), S. 78; vgl. auch Zipf, ZStW 82 (1970), S. 633.
ZStW96(1984)Heftl

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50 Dieter Dolling

kret für die einzelnen Sportarten entschieden werden. Danach seien


bei Kampf spielen auch leichte Regelverstöße sozialadäquat67. Durch
bewußte Regelverstöße zugefügte vorsätzliche Verletzungen stellten
dagegen „echte Kriminalität unter dem Deckmantel des Sportbetrie-
bes" dar68. Das Bemühen von Zipf, leichte Regelverstöße aus dem Be-
reich des kriminellen Unrechts auszuscheiden, verdient Unterstüt-
zung. Zipf ist jedoch in diesem Bemühen noch nicht weit genug ge-
gangen. Auch viele vorsätzliche Regelverstöße verdienen das Ver-
dikt der „echten Kriminalität" nicht. So ist das Verhalten des Vertei-
digers in der dritten Variante unseres Fallbeispiels sicherlich ein
Verstoß gegen die Regeln sportlicher Fairneß. Strafwürdiges Un-
recht stellt es jedoch m. E. nicht dar. Außerdem weist die von Zipfiüi
die Qualifizierung von Regelverstößen als sozialadäquat gegebene
Begründung eine Reihe von Angriffsflächen auf. Kann ein Verhalten,
das von den beteiligten Sportkreisen als Regelverstoß gewertet und
mit Sportstrafen belegt wird, noch als eine sozial anerkannte Ver-
haltensweise angesehen werden?69 Können Regelverstöße allein des-
halb als sozialadäquat qualifiziert werden, weil sie beim gegeneinan-
der ausgeübten Sport immer wieder vorkommen? Wären dann nicht
auch schwere Regelverstöße sozialadäquat, die zwar nicht so häufig
wie leichte Regelwidrigkeiten sind, aber sich ebenfalls immer wieder
ereignen und somit auch als unvermeidbare Folge der Zulassung des
Kampfsportes angesehen werden könnten? Ist es überhaupt zulässig,
die Straflösigkeit mit dem Gedanken der sozialen Adäquanz zu be-
gründen, ohne der von Hirsch70 beschworenen Gefahr der dogmati-
schen Verflachung zu erliegen, die darin besteht, daß Fälle nicht
mehr systematisch genau analysiert, sondern nach einem Schlagwort
entschieden werden? Angesichts dieser offenen Fragen ist zu prüfen,
ob es nicht noch andere Wege gibt, auf denen das Problem der Kör-
perverletzung im Sport überzeugender gelöst werden kann.

IV. Die Sportverletzung als erlaubtes Risiko


Eser sucht die Lösung auf der Rechtswidrigkeitsebene und sieht
leichte Regelverstöße als durch das Rechtsinstitut des erlaubten Ri-

6? Vgl. Zipf(Anm. 3), S. 95 f.


68 Z(p/(Anm.3),S.89,91.
69 Vgl. Eser(AmtL 3), S. 372, der die Auffassung von Zipf mit der Begründung ablehnt,
es sei widersprüchlich, „.. .Verhaltensweisen für adäquat zu erklären, denen man
die für Sozialadaquanz erforderliche generelle Billigung zuvor durch Kennzeich-
nung als regelwidrig gerade vorenthalten hat".
70 Siehe Hirsch, ZStW 74 (1962), S. 78,93.
ZStW 96 (1984) Heft l

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Korperverletzung im Sport 51

sikos gerechtfertigt an71. Da gewisse Kampfsportarten zum Erliegen


kommen müßten, wenn man jede Regelwidrigkeit strafrechtlich ahn-
den wollte, führe das allgemeine Interesse an gewissen körpernahen
Kampfsportarten in Verbindung mit dem freiwilligen Sichhineinbe-
geben des Sportlers in die Risikosituation zur Rechtfertigung leich-
ter Regelverstöße72. Die Leichtigkeit des Regelverstoßes könne sich
aus objektiven und aus subjektiven Faktoren ergeben. Als objektiv
leicht seien Verstöße mit erfahrungsgemäß geringem Verletzungsri-
siko zu qualifizieren, subjektive Entlastungsmomente könnten in
Hektik oder Übereifer liegen. Rechtswidrig seien dagegen schwer-
wiegende Regelverstöße, wozu insbesondere solche von offensicht-
lich gesteigerter Risikoträchtigkeit hinsichtlich der WahrscheinUch-
keit oder der Schwere einer Verletzung gehörten73.
Gegen diese Lösung ergeben sich erhebliche Bedenken, ohne
daß es hierbei erforderlich ist, auf die Frage einzugehen, ob das er-
laubte Risiko überhaupt einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund
darstellt oder ob es sich hierbei nicht lediglich um einen Sammelbe-
griff für Problembereiche handelt, die ein unterschiedlichen Stellen
des Verbrechensaufbaus zu bewältigen sind74. Auch wenn man einen
Rechtfertigungsgrund des erlaubten Risikos anerkennt, ist er auf die
regelwidrige Körperverletzung im Sport jedenfalls dann nicht an-
wendbar, wenn man — wie es Eser anscheinend tut — beim Vorlie-
gen eines erlaubten Risikos nicht nur die Strafbarkeit, sondern auch
die Rechtswidrigkeit als ausgeschlossen ansieht. Wer am organisier-
ten Sport teilnimmt, ist aufgrund der Satzungen der Vereine und
Verbände oder aufgrund eines zivilrechtlichen Vertrages, wie ihn
die Spieler der Fußballbundesliga mit dem Deutschen Fußballbund
schließen, zur Einhaltung der Spielregeln verpflichtet75. Ein Teil die-
ser Spielregeln dient auch dem Schutz der Gesundheit des Gegen-
spielers 76. Dies gilt auch für die in unserem Fallbeispiel in Betracht
kommenden Fußballregeln,* die es verbieten, den Gegenspieler ab-
sichtlich zu treten und gefährlich zu spielen. Die Regelwidrigkeit ist

71 Siehe £ser (Anm. 3), S. 372 ff.


72 £ser(Anm.3),S.372f.
73 £ser(Amn.3),S.373.
74 Zum erlaubten Risiko vgl. etwa Kienapfel, Das erlaubte Risiko im Strafrecht, 1966?
Preuß, Untersuchungen zum erlaubten Risiko im Strafrecht, 1974; Rehberg, Zur
Lehre vom „Erlaubten Risiko", Diss. Zürich 1962; Roeder, Die Einhaltung des sozial-
adäquaten Risikos und ihr systematischer Standort im Verbrechensaufbau, 1969.
75 Zur zivilrechtlichen Verbindlichkeit der Fußballregeln vgl. Grunsky (Anm. 45),
S.9f.
76 Zu den Fußballregeln mit Schutzcharakter siehe Grunsky (Anm. 45), S. 14
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52 Dieter Dölling

also jedenfalls ein Verstoß gegen privatrechtliche Pflichten. Nun ist


es zwar denkbar, die Reichweite des allgemeinen Verbots der Kör-
perverletzung enger zu fassen als die privatrechtlichen Verpflichtun-
gen zur Einhaltung der Spielregeln. Warum aber von einem Sportler
unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Körperverletzungsverbots
nicht verlangt werden sollte, von Körperverletzungen Abstand zu
nehmen, zu deren Unterlassung er sich zivilrechtlich ohnehin ver-
pflichtet hat, ist nicht einzusehen. Insbesondere bei den beteiligten
Sportlern dürfte es auf großes Unverständnis stoßen, wenn man ih-
nen erklärte, nach allgemeinem Recht dürfe der Verteidiger das
schmerzhafte Foul an dem Stürmer begehen, da ihm hierfür ein
Rechtfertigungsgrund zur Seite stehe. Dies würde auch eine bedenk-
liche Präjudizierung der Frage nach der Rechtmäßigkeit des Verhal-
tens des Verteidigers im Hinblick auf andere Rechtsgebiete bedeu-
ten. Nimmt man einen Rechtfertigungsgrund an, hätte dies zur Folge,
daß die Verhaltensweise des Verteidigers z. B. auch in zivilrechtli-
cher Hinsicht als rechtmäßig zu qualifizieren wäre. Dies würde z. B.
bedeuten, daß Sportstrafen für leichte Regelverstöße an ein Verhal-
ten anknüpfen würden, das sich nach allgemeinem Zivilrecht als
Ausübung einer durch einen Rechtfertigungsgrund eingeräumten
Befugnis darstellen würde77. Eser hat recht, wenn er ausführt, daß
eine Bestrafung aller Regelverstöße manche Sportart funktionsunfä-
hig machen würde. Es ist jedoch bedenklich, hieraus die Rechtmäßig-
keit dieser Regelverstöße herzuleiten. Der Bereich der Rechtswidrig-
keit ist weiter als derjenige der Strafbarkeit. Hält man gerade die
Bestrafung eines bestimmten Verhaltens nicht für angebracht, ist es
daher besser, die Lösung in einer spezifischen Strafbarkeitsvoraus-
setzung zu suchen und nicht in einem allgemeinen Rechtfertigungs-
grund mit — möglicherweise unerwünschten — Ausstrahlungswir-
kungen in anderen Bereichen der Rechtsordnung.
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß bei der von Eser
vorgenommenen Abgrenzung zwischen gerechtfertigten leichten
und rechtswidrigen schweren Regelverstößen insbesondere die Ein-
beziehung subjektiver Entlastungsmomente wie Hektik und Unüber-
legtheit nicht zu überzeugen vermag. Dies würde bedeuten, daß der
übereifrige Spieler durch erleichterte Einräumung eines Rechtferti-
gungsgrundes privilegiert würde. Von einer derartigen „Rechtferti-
77 Auch eine zivilrechtliche Haftung aus unerlaubter Handlung käme bei Annahme
eines Rechtfertigungsgrundes nicht in Betracht. Zur zivilrechtlichen Haftung für
Sportverletzungen vgl. BGHZ 63, 140; BGH NJW 1976, 957? Deutsch, VersR 1974,
1045 ff., Friedrich, NJW 1966, 755 ff.} Grunsky (Anm. 45).
ZStW96(1984)Heftl

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Körperverletzung im Sport 53

gung aufgrund heftiger Gemütsaufwallung11 sollte unser Rechtssy-


stem besser verschont bleiben. Die genannten subjektiven Entla-
stungsmomente sind bei der Schuldprüfung und nicht im Unrechts-
bereich zu berücksichtigen.

V. Der Sportbetrieb als rechtsentlassener Raum


Ebensowenig wie die Lösung von Eser vermag schließlich der
neuerdings von Schild vorgeschlagene Weg zu überzeugen, wonach
die Rechtsordnung den Sport innerhalb eines bestimmten Rahmens
in einen rechtsfreien Raum entlassen habe und eine sich im Rahmen
der Eigengesetzlichkeiten der jeweiligen Sportart haltende Körper-
verletzung daher nicht strafbar sei78. Für das Vorliegen einer sportli-
chen Betätigung im rechtsentlassenen Raum kommt es nach Schild
nicht darauf an, ob sich die Verhaltensweise im Rahmen des von
dem jeweiligen Sportverband aufgestellten Regelwerkes hält. Maß-
geblich sei vielmehr, ob das Verhalten den informellen Verhaltens-
erwartungen der beteiligten Sportler entspreche, wobei diese Erwar-
tungen durchaus Regelverstöße einschlössen, insgesamt aber durch
das Grundprinzip der Fairneß geprägt seien. Wann danach der Be-
reich des Sports verlassen sei, lasse sich nicht allgemein-abstrakt sa-
gen, es komme auf das Verhalten eines „ordentlichen" Sportlers an,
für das die gesamten Umstände des Einzelfalles, überhaupt die ge-
samte .Atmosphäre" des Spiels maßgeblich seien79.
Ohne daß es hier eines prinzipiellen Eingehens auf die Lehre
vom rechtsfreien Raum bedarf80, ist gegen die Lösung von Schild zu-
nächst einzuwenden, daß die „informellen Verhaltenserwartungen"
einen höchst unsicheren, schwer feststellbaren Maßstab darstellen.
Zudem können die Auffassungen der Sportler darüber, welche Re-
gelverstöße noch hingenommen werden können, durchaus auseinan-
dergehen. Wessen Erwartungen dann maßgeblich sind, bleibt unge-
klärt. Weiterhin läßt sich jedenfalls der organisierte Sport kaum als
rechtsentlassener Raum charakterisieren, da die sportliche Betäti-
gung hier durch detaillierte Regelwerke der Verbände eine einge-
hende privatrechtliche Regelung erfahren hat. Auch die prinzipielle
Geltung der allgemeinen Strafgesetze für alle Formen der Sportaus-
übung läßt sich kaum bestreiten81. Zwar mag die Schwelle der Straf-
78 Vgl. Schild (Anm. 1), S. 585 ff.
79 Siehe Schild (Anm. 1), S. 586 ff.
80 Vgl. dazu Arthur Kaufmann, Festschrift für Maurach, 1972, S. 327,· Schild, JA 1978,
449, und die Kritik von Hirsch, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 89.
81 Vgl. etwa Eser (Anm. 3), S. 368.
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54 Dieter Dölling

barkeit wegen Körperverletzung im Sport höher angesetzt sein als in


anderen Lebensbereichen. Dies bedeutet aber nicht, daß der Sportler
in einem rechtsfreien Raum steht, sondern heißt lediglich, daß sein
rechtlicher Handlungsspielraum im Interesse der Sportausübung er-
weitert wird. Der Sport ist somit kein rechtsfreier Raum.

VI. Das Verschulden bei der Körperverletzung im Sport


Zum Abschluß unseres Überblicks über die materiellrechtlichen
Lösungen ist noch darauf hinzuweisen, daß bei einem Teil der durch
einen Regelverstoß verursachten Körperverletzungen kein schuld-
haftes Handeln des Täters vorliegen wird. Dies gilt insbesondere,
wenn fahrlässige Regelverstöße in Rede stehen, denn hier wird es
häufig wegen der psychischen Anspannung während des Wettkamp-
fes und der Notwendigkeit, blitzschnell Entscheidungen treffen zu
müssen, an der individuellen Vorwerfbarkeit des Sorgfaltsverstoßes
fehlen82. Bei vielen Sportverletzungen führt aber auch die Verschul-
densprüfung nicht zum Ausschluß der Strafbarkeit. Das gilt insbe-
sondere für die nicht seltenen vorsätzlichen Körperverletzungen.

VII. Die prozessuale Lösung


Da eine materiellrechtliche Lösung somit erhebliche Schwierig-
keiten bereitet, ist zu überlegen, ob sich das Problem nicht am besten
auf prozessualem Wege bewältigen läßt. Die einfache vorsätzliche
und die fahrlässige Körperverletzung werden gemäß § 232 StGB nur
verfolgt, wenn ein Strafantrag gestellt wird oder die Staatsanwalt-
schaft ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung
bejaht. Beide Delikte sind außerdem wie auch die gefährliche Kör-
perverletzung gemäß § 223 a StGB Privatklagedelikte, bei denen die
Staatsanwaltschaft nur Anklage erhebt, wenn dies im öffentlichen
Interesse liegt (vgl. §§ 374 Abs. l Nr. 4,376 StPO). Strafanträge wegen
Körperverletzungen im Sport sind selten83. Der Umfang der Strafver-
folgung hängt daher maßgeblich von der Beurteilung des öffentli-
chen Interesses durch die Staatsanwaltschaft ab. Dies eröffnet die
Möglichkeit für eine flexible Strafverfolgungspraxis, die grundsätz-
lich auf ein Einschreiten verzichtet und nur dann die Ermittlungen
aufnimmt, wenn besondere Umstände, wie etwa die außergewöhnli-
82 Vgl. Eser (Anm. 3), S. 373; Z/p/(Anm. 3). S. 103.
83 Vgl. Zzp/(Anm. 3), S. 104. Dies hängt u. a. damit zusammen, daß beim Sport zuge-
fügte Körperverletzungen von den Sportlern nicht als strafwürdiges Unrecht emp-
funden werden und die Beteiligten bemüht sind, Konflikte innerhalb der Sport-
organisationen zu regeln und nicht vor die staatlichen Gerichte zu bringen.
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Körperverletzung im Sport 55

ehe Rücksichtslosigkeit der Tatbegehung, eine strafrechtliche Sank-


tionierung als geboten erscheinen lassen84.
Diese Lösung erscheint auf den ersten Blick praktikabel, erweist
sich aber bei näherer Betrachtung als wenig sinnvoll. Entscheidet
man sich für die prozessuale Lösung, geht man davon aus, daß die re-
gelwidrige Körperletzung im Sport nach materiellem Recht eine
Straftat ist. Dies würde bedeuten, daß sich jedes Wochenende auf
Deutschlands Fußballplätzen ein .Abgrund von Kriminalität" öffnen
würde, da bei Fußballmeisterschaftsspielen ständig Straftaten began-
gen würden. Dies hätte eine Entwertung des Straftatbegriffs zur
Folge; denn dieser kann seine Funktion, durch Heraushebung
schwerster Nonnverstöße zur Verdeutlichung der Grundwerte der
Gesellschaft beizutragenK, nicht erfüllen, wenn er auch auf Verhal-
tensweisen angewandt wird, die normaler Bestandteil eines aner-
kannten gesellschaftlichen Teilbereichs wie des Sports sind. Hinzu
käme, daß die Straftaten in aller Öffentlichkeit begangen würden
und gleichwohl ungeahndet blieben. Das Strafrechtssystem könnte
diese weite Fassung des Verbrechensbegriffs nur dann ohne Verlust
an Glaubwürdigkeit verkraften, wenn sie von einer „Präventivwir-
kung des Nichtwissens auf normativer Ebene" begleitet wäre86, die
Öffentlichkeit also von der Straftatqualität der Sportverletzungen
nichts wüßte und deshalb durch das Phänomen der vor ihren Augen
massenhaft auftretenden ungesühnten Straftat nicht in heillose Ver-
wirrung gestürzt werden könnte. Die prozessuale Lösung scheitert
somit daran, daß sie der Notwendigkeit, den Straftatbegriff durch
quantitative Begrenzung seines Anwendungsbereichs funktionsfähig
zu halten, nicht gerecht wird.

VIII. Der eigene Standpunkt: Tatbestandsrestriktion


durch das Prinzip der Sozialadäquanz
Damit sei der Überblick über die verschiedenen Lösungsmög-
lichkeiten abgeschlossen, der zugleich den Boden für die eigene
84 Vgl. Gawron (Anm. 18), S. 194, der bei allen fahrlässigen regelwidrigen Körperver-
letzungen ohne erhebliche Folgen ein öffentliches Interesse an der Strafverfol-
gung verneint. Zur Auslegung der §§ 232 StGB, 153, 153 a und 376 StPO im Hin-
blick auf Sportverletzungen siehe jedoch auch die ausführlichen Erörterungen von
Schiffer (Anm. 8), S. 18 ff., nach dessen Auffassung (S. 47) bei Sportverletzungen ein
besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung sehr oft bejaht werden
kann.
85 Zur Funktion des Straftatbegriffs vgL Kaiser, Verkehrsdelinquenz und Generalprä-
vention, 1970, S. 143 ff.e· eters, Kriminologie, 1980, S. 175.
86 Der Begriff der Präventivwirkung des Nichtwissens wurde von Popitz geprägt,
siehe Popitz, über die Präventivwirkung des Nichtwissens, 1968.
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Stellungnahme bereitet hat: Das Problem der Körperverletzung im


Sport bedarf einer materiellrechtlichen Lösung. Da eine Entlassung
des Sports in den rechtsfreien Raum nicht in Frage kommt und sich
die Rechtmäßigkeit von Verletzungen, die unter Verstoß gegen den
Gegenspieler schützende Spielregeln begangen werden, nur schwer
begründen läßt, ist die Lösung auf der Ebene der Strafbarkeit zu su-
chen. Hierbei kann an die auch von Zipf87 für die Sportverletzung
herangezogene Lehre Welzels von der sozialen Adäquanz ange-
knüpft werden, wobei die hier vorgeschlagene Lösung Berührungs-
punkte zur Einwilligungslösung aufweist. Die Lehre von der sozialen
Adäquanz stellt ein sinnvolles Korrektiv der Reichweite der Straftat-
bestände dar, dessen Berechtigung sich aus der Funktion des Tatbe-
standes ergibt88. Die Straftatbestände haben die Aufgabe, die vom
Strafrecht bekämpften schwer gemeinschaftsschädlichen Verhal-
tensweisen zu beschreiben. Sie sind Typisierungen strafwürdigen
Unrechts89, geben mithin — wie Welzel ** es formuliert — „die Ver-
haltensformen an, die aus den geschichtlich gewordenen Ordnungen
des Soziallebens schwerwiegend herausfallen". Aufgrund der not-
wendigerweise abstrakten Fassung der Tatbestandsmerkrnale läßt es
sich nicht vermeiden, daß ihrem Wortlaut auch Verhaltensweisen
unterfallen, die sich „völlig im Rahmen der normalen Ordnung des
Lebens" bewegen91. Sollen die Tatbestände ihre Funktion der Her-
aushebung des gesellschaftlich schlechthin unerträglichen Verhal-
tens erfüllen, müssen Formen sozial völlig normalen Verhaltens aus
ihrem Anwendungsbereich herausgenommen werden, denn — um
mit Kaiser92 zu sprechen — „die Mehrheit zu sanktionieren, wäre
dysfunktional". Die Überlegungen des „klassischen Strafrechtsdog-
matikers" Welzel treffen sich somit mit Erkenntnissen der mit Ele-
menten strukturell-funktionaler Soziologie angereicherten moder-
nen Kriminologie.
8? Anm. 3, S. 93 ff.
88 Vgl. Jescheck (Anm. 14), S. 201 ff.; Klug, Festschrift für Eb. Schmidt, 1961, S. 249,
Maurach/Zipf, Strafrecht Allg. Teil, Bd. l, 5. Aufl. 1977, S. 229 ff.,· Schaffstein, ZStW
72 (1960), S. 369; Stratenwerth (Anm. 29), S. 116 ff.; siehe auch Schmidhäuser, Straf-
recht Allg. Teil, 2. Auü.· 1975, S. 296 ff., der die soziale Adäquanz als Rechtferti-
gungsgrund aus überindividueller Zweckhaftigkeit einordnet; gegen die Lehre von
der sozialen Adäquanz Baumann (Anm. 18), S. 181 ff.,· Hirsch (Anm. 70); Lenckner,
in: Schönke/Schröder, vor § 13, Rdn. 70; Samson, in: SK, vor § 32 Rdn. 15.
89 Zum Tatbestand als Unrechtstypus vgl. insbesondere Callas, Beiträge zur Ver-
brechenslehre, 1968, S. 32 ff. Zur Lehre von der sozialen Adäquanz äußert sich Cal-
las, a. a. O. S. 37, allerdings ablehnend.
90 Vgl. Welzel, Deutsches Strafrecht, 11. Aufl. 1969, S. 55.
91 Siehe Welzel (Anm. 90), S. 55 f.
92 Vgl. Kaiser, Kriminologie, 1980, S. 175.
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Körperverletzung im Sport 57

Aus der Funktion der Sozialadäquanz, in ihrem Wortlaut zu weit


geratene Tatbestandsfassungen einzuschränken, ergibt sich, daß die
Sozialadäquanz im Verbrechensaufbau auf der Tatbestandsebene an-
zusiedeln ist und nicht — wie Welzel vorübergehend93 meinte — ei-
nen Rechtfertigungsgrund darstellt94. Der Streit um die Einordnung
im Verbrechensaufbau ist kein strafrechtsdogmatisches Glasperlen-
spiel, sondern hat — wie Schaffstein95 herausgearbeitet hat — erheb-
liche Bedeutung für die Tragweite des Instituts. Qualifiziert man
nämlich die Sozialadäquanz als Rechtfertigungsgrund, hat das eine
Einschränkung ihres Anwendungsbereichs zur Folge, denn bei man-
cher Handlung, deren mangelnde Strafwürdigkeit ohne weiteres ein-
leuchtet, kann es — wie Schaff stein ausführt96 — bedenklich erschei-
nen, sie in die Kategorie des Rechtmäßigen einzuordnen. Als Bei-
spiel seien unerhebliche sexuelle Zudringlichkeiten genannt97. Ihre
Funktion des Ausschlusses geringfügiger Handlungen aus dem Be-
reich der Strafbarkeit kann die Sozialadäquanz somit nur bei Einord-
nung auf der Tatbestandsebene voll erfüllen. Da die Sozialadäquanz
dazu dient, die Straftatbestände auf den Anwendungsbereich zurück-
zuführen, der ihnen nach Sinn und Zweck der strafrechtlichen Nor-
men zukommt, ist sie als Auslegungsprinzip für die Interpretation
der Straftatbestände zu qualifizieren98.
Für die Einordnung eines Verhaltens als sozialadäquat ist es
nun nicht erforderlich, daß die Verhaltensweise sich im Rahmen der
von jedermann befolgten allgemeinen gesellschaftlichen Verhaltens-
muster hält. Da die differenzierte moderne Gesellschaft in eine
Reihe von Teilsystemen aufgegliedert ist, reicht es aus, wenn das
Verhalten zu den völlig normalen Bestandteilen eines rechtlich an-
erkannten gesellschaftlichen Teilbereichs gehört Insofern kann die
Sozialadäquanz dazu beitragen, das allgemeine Strafrecht mit dem
Recht gesellschaftlicher Teilsysteme in Einklang zu bringen. Dies
gilt insbesondere für solche Teilbereiche, in denen Rechtsgüter zu-

93 Von der 4. bis zur 8. Aufl. seines Lehrbuchs.


94 Für Einordnung auf der Tatbestandsebene Jescheck, Maurach/Zipf, Schaffstein,
Stratenwerth (Anm. 88). Ebenso Dahm, Deutsches Recht, 2. Aufl. 1963, S. 522 f.
95 Vgl. Schaffstein (Anm. 88), S. 372 ff.
96 Siehe Schaffstein (Anm. 88), S. 374.
9? Vgl. zu diesem und zu weiteren Beispielen Schaffstein (Anm. 88), S. 374.
98 Vgl. Welzel (Anm. 90), S. 58, der die soziale Adäquanz als „allgemeines Auslegungs-
prinzip" bezeichnet; Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Aufl. 1973,
S. 23 f.; siehe weiter Kienapfel (Anm. 61), S. 98 ff., der das Prinzip der Sozialadä-
quanz als Instrument teleologischer Auslegung heranzieht, um angemessene kör-
perliche Züchtigungen zu Erziehungszwecken aus dem Tatbestand der körperli-
chen Mißhandlung herauszunehmen.
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58 Dieter Dölling

lässigerweise stärkeren Beeinträchtigungen ausgesetzt sind als im


normalen gesellschaftlichen Leben und bei denen es daher zu
Rechtsgutsverletzungen kommen kann, die im allgemeinen Sozial-
leben unerträglich sind, innerhalb des Teilbereichs jedoch als zwar
mißbilligenswertes, aber nicht strafwürdiges Bagatellunrecht er-
scheinen. Würde die Rechtsordnung diese Rechtsgutsverletzungen
in gleicher Weise mit Kriminalstrafe belegen wie im allgemeinen ge-
sellschaftlichen Leben, würde dies die Funktionsfähigkeit des Teilbe-
reichs gefährden, da hierdurch die Kräfte, deren Entfaltung das Teil-
system dient, zur Erstarrung gebracht werden könnten. Es kann da-
her erforderlich sein, durch Restriktion der auf das allgemeine So-
zialleben zugeschnittenen Tatbestände die Schwelle der Strafbarkeit
in dem jeweiligen Teilbereich anzuheben. Man könnte in diesen Fäl-
len spezielle Strafausschließungsgründe annehmen. Da es jedoch
auch hier um die Koordination des Strafrechts mit den rechtlich an-
erkannten Ordnungen des gesellschaftlichen Lebens geht, empfiehlt
es sich auch hier, den Gedanken der Sozialadäquanz heranzuziehen.
Hierdurch kann sichergestellt werden, daß die Straftatbestände nicht
als isolierte Rechtssätze betrachtet, sondern in ihrem Zusammen-
spiel mit den Normen der gesamten Rechtsordnung interpretiert
werden ". Während im allgemeinen nur völlig harmlose Verhaltens-
weisen als sozialadäquat aus den Tatbeständen herausgenommen
werden können, ist es denkbar, in Teilbereichen mit verstärkter In-
anspruchnahme von Rechtsgütern auch fühlbare Interessenverlet-
zungen als sozialadäquat zu qualifizieren. Die Grenze der Sozialad-
äquanz ist jedoch erreicht, wenn so erhebliche Rechtsgutsverletzun-
gen drohen, daß es dem Betroffenen nicht zumutbar ist, ohne straf-
rechtlichen Schutz gelassen zu werden 10°.
Diese Koordinierungsfunktion der Sozialadäquanz sei am Bei-
spiel der beleidigenden Äußerungen über Dritte im engsten Fami-
lienkreis erläutert. Hier läßt sich schwerlich eine Kundgabe oder ein
Angriff gegen die Geltung des Betroffenen in der Allgemeinheit ver-
neinen 101, denn Beleidigungen im Familienkreis können z. B. — wor-
99 Insofern dient die Anwendung der Sozialadäquanz der systematischen Auslegung
der Strafgesetze. Zum Verhältnis des Strafrechts zu den anderen Rechts gebieten
vgl. Maurach/Zipf(Anm. 88), S. 26 ff.
100 Auf die Bedeutung des Erfolgsunwertes für die Tragweite der Lehre von der sozia-
len Adäquanz hat insbesondere Mörder, Die soziale Adäquanz im Strafrecht, Diss.
Saarbrücken 1960, S. 113, hingewiesen. Vgl. weiter Berr(Anm. 7), S. 203.
101 Für Verneinung einer Kundgabe i. S. d. § 185 StGB Hansen, JuS 1974, 104, 106;
Krey, Straf recht Bes. Teil, Bd. l, 4. Aufl. 1979, S. 120; für Verneinung eines Angriffs
gegen die Geltung des Betroffenen in der Allgemeinheit OLG Oldenburg, GA
1954, 284 ff.; OLG Gelle Niedere. Rechtspflege 1964, 174,· Engisch, GA 1957, 326, 331;
Callas, ZStW 60 (1941), S. 374, 396 Fn. 31.
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Körperverletzung im Sport - 59

auf Lencknerm hingewiesen hat — die Ehre des Nachbarn stärker


beeinträchtigen als eine Äußerung gegenüber einem beliebigen Drit-
ten. Entscheidend ist vielmehr, daß die Rechtsordnung die Familie
als einen Freiraum für das offene Gespräch anerkennt, in dem es
auch einmal zu beleidigenden Äußerungen über Dritte kommen
kann. Ein offenes Gespräch ist aber nicht möglich, wenn die Ge-
sprächspartner eine Bestrafung wegen Beleidigung zu befürchten ha-
ben. Die Rechtsordnung zieht daher ihre Strafdrohungen in gewis-
sem Umfang aus dem engsten Familienkreis zurück und nimmt Ehr-
verletzungen, die nicht die Schwelle der Verleumdung erreichen, als
sozialadäquat hin103.
Für die Annahme sozialadäquaten Verhaltens reicht also der
bloße Hinweis auf die soziale üblichkeit eines Verhaltens nicht aus.
Die Sozialadäquanz muß vielmehr jeweils im Wege teleologisch-
systematischen Denkens aus der Funktion der Straftatbestände und
ihrem Verhältnis zu den rechtlich anerkannten sozialen Ordnungen
hergeleitet werden. Dieses Verfahren dürfte ausreichende Rechts-
sicherheit gewährleisten und eine .Aufweichung" des Strafrechts
durch die Anerkennung der Sozialadäquanz verhindern.
Versteht mein die Sozialadäquanz in dieser Weise, können auch
durch regelwidriges Verhalten begangene leichte Körperverletzun-
gen bei bestimmten Kampfsportarten, wie z. B. dem Fußballsport, als
sozialadäquat angesehen werden. Diese Kampfsportarten werden
von der Rechtsordnung zugelassen und zum Teil von der öffentli-
chen Hand gefördert. Die Sportarten sind durch die körperliche Aus-
einandersetzung der Gegenspieler charakterisiert und daher natur-
gemäß mit einem erhöhten Verletzungsrisiko verbunden. In der
Hitze des Gefechts bleiben auch Regelverstöße und daraus resultie-
rende Körperverletzungen nicht aus. Sind die Regelwidrigkeiten
nicht mit der Gefahr schwerer Verletzungen verbunden, sind sie
zwar unerwünscht und mögen sie auch bereits die Grenze des recht-
lich Zulässigen überschreiten. Infolge ihrer Verflochtenheit mit der
sportlichen Betätigung erscheinen sie aber als nicht strafwürdige Ba-
gatellverstöße, denn eine Handlung kann rechtlich nicht unabhängig
102 Siehe Lenckner, in: Schönke/Schröder, vor § 185 Rdn. 9.
103 Zur Respektierung des Bedürfnisses nach einem Freiraum für die ungezwungene
Aussprache als Grund der Straflösigkeit von Beleidigungen im engsten Familien-
kreis vgl. Lenckner, in: Schönke/Schröder, vor § 185 Rdn. 9, der einen Strafaus-
schließungsgrund entsprechend § 36 StGB annimmt; Rudolphi, in: SK, vor § 185
Rdn. 18» Wessels, Strafrecht Bes. Teil/6. Aufl. 1982, S. 78. Für Begründung der Straf-
lösigkeit mit dem Gedanken der sozialen Adäquanz Hoppe (Anm. 64), S. 100? Stra-
tenwerth (Anm. 29), S. 117.
2StW96(1984)Heftl

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60 Dieter Dölling

von dem Bezugsrahmen bewertet werden, in dem sie stattfindet. Die


Rechtsordung kann nicht einerseits die Kampfsportarten zulassen
und fördern und andererseits schon leichte Regelwidrigkeiten, die
nach der Natur dieser Sportarten immer wieder vorkommen müssen,
unter Strafe stellen104. Körperbetonter Kampfsport würde alsbald
seine Dynamik verlieren und erstarren, wenn der Körper des Gegen-
spielers zum Tabu mit strafrechtlicher Rundumverteidigung erklärt
würde und der Sportler unter dem Damoklesschwert ständig drohen-
der Kriminalstrafe stünde — ein geradezu klassischer Fall von Dys-
funktionalität des Strafrechts. Die Schwelle zur strafbaren Körper-
verletzung muß also beim gegeneinander betriebenen Sport, bei dem
die körperliche Auseinandersetzung geradezu intendiert ist, höher
angesetzt werden als im täglichen Leben, in dem sich die sozialen
Beziehungen grundsätzlich ohne körperliche Zwangsausübung abzu-
spielen haben. Dem Gegenspieler als dem potentiellen Opfer ist der
partielle Rückzug des Strafrechts zumutbar, da er sich durch seine
Teilnahme am sportlichen Wettkampf freiwillig einem Verletzungs-
risiko aussetzt, das für ihn infolge der „Normalität" der in Frage ste-
henden Regelwidrigkeiten im wesentlichen berechenbar ist und zu-
dem mit Hilfe der privatrechtlichen Sanktionen durch Schiedsrichter
und Verbandsgerichtsbarkeit verhältnismäßig wirkungsvoll unter
Kontrolle gehalten wird, und da sich der Strafbarkeitsausschluß auf
leichte Verletzungen beschränkt.
Durch die Berücksichtigung des Gesichtspunktes der freiwilli-
gen Teilnahme am Wettkampf bei der Begründung der Einschrän-
kung der Strafbarkeit wegen Körperverletzung ergeben sich Berüh-
rungspunkte zur Einwilligungslösung. Es empfiehlt sich jedoch nicht,
die hier vorgeschlagene Lösung dem Rechtsinstitut der Einwilligung
zuzuordnen. Der Sport ist ein eigenständiger Bereich, in dem auch
im Hinblick auf die Bestimmung des strafbaren Verhaltens spezifi-
sche Regeln gelten müssen, damit dieser Bereich funktionsfähig
bleibt. Der einzelne kann frei entscheiden, ob er sich in diesen Be-
reich begeben und am Sportbetrieb teilnehmen will. Entschließt er
sich zur Teilnahme, muß er die Einschränkungen seiner Rechtsposi-
tionen, die sich aus den für den Sportbetrieb geltenden rechtlichen
Regelungen ergeben, hinnehmen. Auf seinen individuellen Willen
und von ihm etwa abgegebene Erklärungen über den Umfang seiner
„Einwilligung" kommt es grundsätzlich nicht mehr an. Insbesondere
bei den massenhaft betriebenen Mannschaftssportarten müssen die

104 Hierin liegt der richtige Kern der Auffassung von Zeiler (Anm. 56).
ZStW 96 (1984) Heft l

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Körperverletzung im Sport 61

Rechtsbeziehungen der Sportler nach ihrer „objektiven Typizität" ge-


regelt werden, wenn ein geordneter Spielbetrieb sichergestellt wer-
den soll105. Auf individuelle Besonderheiten kann nur in „krassen"
Fällen Rücksicht genommen werden, z. B. in dem wohl eher theoreti-
schen Fall, daß sich eine Person an dem Spiel beteiligt, die wegen
Geistesschwäche erkennbar nicht in der Lage ist, sich ein zutreffen-
des Bild von den mit dem betreffenden Sport verbundenen Verlet-
zungsrisiken zu machen. Da sich das „Einwilligungsmoment" in der
hier vorgeschlagenen Lösung somit im wesentlichen auf die freiwil-
lige Teilnahme am sportlichen Wettkampf beschränkt und die Lö-
sung im übrigen „objektiven" Gesichtspunkten folgt und da es nicht
angebracht erscheint, allein deshalb, weil sich eine Person freiwillig
in einen bestimmten sozialen Bereich begibt, alle in diesem Bereich
geltenden Beschränkungen von Rechtspositionen als durch Einwilli-
gung gedeckt anzusehen, ist die Lösung nicht bei der Einwilligung,
sondern bei der Sozialadäquanz zu verankern.
Erscheint die Lehre von der Sozialadäquanz somit als das geeig-
nete dogmatische Instrument zur Bewältigung des Problems, stellt
sich die Aufgabe, abzugrenzen, welche Sportverletzungen noch in
den Bereich des sozialadäquaten Verhaltens fallen. Die Abgrenzung
muß für jede Sportart gesondert entsprechend ihrer Eigenart erfol-
gen m. Bei stark körperbetonten Kampfspielen wie dem Fußballsport
kann man für den Bereich des organisierten Sports annehmen, daß
alle leichten körperlichen Mißhandlungen, die einem Gegenspieler
im Kampf um den Ball regelwidrig zugefügt werden, noch nicht
schwerwiegend aus dem Rahmen der sportüblichen Verhaltensmu-
ster herausfallen. Dies gilt auch dann, wenn der Täter im Hinblick
auf Regelverstoß und Verletzung vorsätzlich handelt, sofern es dem
Täter um die Erlangung des Vorteils im Spiel geht und er die At-
tacke nicht gerade deshalb vornimmt, um den Gegenspieler zu ver-
letzen107. Absichtliche Körperverletzungen sind also nicht mehr
sozialadäquat. Der Verteidiger, der in unserem Fallbeispiel die soge-
nannte Notbremse zieht und den gegnerischen Stürmer durch einen
schmerzhaften Tritt zu Fall bringt, um das andernfalls nahezu sichere
Tor zu verhindern, handelt zwar unfair, begeht aber kein strafwürdi-

105 Zur Notwendigkeit einer Regelung nach der objektiven Typizität der Rechtsbezie-
hungen vgl. die Nachweise bei Anm. 42.
106 Vgl. Zzp/(Anm. 3), S. 95f siehe auch J9err(Anm. 7), S. 214 f.
107 Anders Zip/(Anm. 3), S. 89, 91, der bei Vorsatztaten generell die Sozialadäquanz
verneint.
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ges Unrecht108. Ebenso verhält es sich mit dem Mittelstürmer, der


dem Vorstopper mit dem Ellenbogen einen schmerzhaften Stoß ver-
setzt, um die Flanke möglichst ungehindert einköpfen zu können.
Die Grenzen der Sozialadäquanz sind dagegen überschritten,
wenn die Attacke geeignet ist, dem Gegner eine erhebliche Körper-
verletzung zuzufügen. Das Kriterium der Erheblichkeit ist hierbei in
dem gleichen Sinn zu verstehen wie der Begriff der Erheblichkeit,
der bei der Auslegung des § 223 a StGB verwendet wird, um die Kör-
perverletzungen zu beschreiben, die von der Anwendung eines
Werkzeuges drohen müssen, damit es als „gefährlich" im Sinne die-
ser Vorschrift qualifiziert werden kann109. Erheblich sind danach die
Verletzungen i. S. d. § 224 StGB und darüber hinaus die Verletzun-
gen, die — um mit den Worten Streesm zu sprechen — „Funktion
oder Erscheinungsbild des Körpers so nachhaltig beeinträchtigen,
daß der Verletzte schwer getroffen ist und beträchtlich darunter zu
leiden hat"nl. Dies ist z. B. bei einem Wadenbeinbruch der Fall. Eine
danach strafbare Körperverletzung liegt etwa vor, wenn der Vertei-
diger den Stürmer mit gestreckten in Kniehöhe befindlichen Beinen
anspringt oder der Stürmer gegen den Kopf des am Boden liegenden
Torwarts tritt112. Da die Sozialadäquanz einer Handlung im Zeit-
punkt ihrer Vornahme feststehen muß und nicht von zufällig eintre-
tenden Folgen abhängig gemacht werden kann, kommt es für die
Überschreitung der Grenzen der Sozialadäquanz darauf an, ob die
Handlung nach dem Urteil eines „normalen" Fußballspielers geeignet
ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. Ist die Attacke
nicht in diesem Sinne gefährlich, ist die Handlung auch dann sozial-
adäquat, wenn aufgrund unglücklicher Umstände eine schwere Ver-

108 Auch Berr (Anm. 7), S. 219 Fn. 3, nimmt sozialadäquates Verhalten an, wenn beim
Profifußball ein Spieler den Gegner regelwidrig zu Fall bringt, um ihn am Tor-
schuß zu hindern; siehe weiter Grunsky (Anm. 45), S. 29, der sich gegen eine zivil-
rechtliche Haftung für „vorsätzliche Regelverstöße, die praktisch jeder Spieler in
bestimmten Situationen begeht.. ausspricht und als Beispiel die „Notbremse" an-
führt.
109 Da der Fußballstiefel ein gefährliches Werkzeug i. S. d. § 223 a StGB sein kann, vgl.
Schiffer (Anm. 8), S. 69, ist bei einem im Kampf um den Ball erfolgenden Tritt die
Grenze zur Strafbarkeit erst überschritten, wenn die Voraussetzungen des § 223 a
StGB gegeben sind.
no Siehe Stree, Jura 1980,287.
in Zur Auslegung des § 223 a StGB in diesem Sinne vgl. Hirsch, in: LK, § 223 a Rdn. 9.
Enger Hörn, in: SK, § 223 a Rdn. 4, der nur die in § 224 StGB genannten Körper-
schäden ausreichen lassen will. Zum Tatbestand der gefährlichen Körperverlet-
zung de lege ferenda vgl. Hirsch, ZStW 83 (1971), S. 140, 149 ff., und Lampe, ZStW
83 (1971), S. 177.
2 Vgl. den Fall OLG Braunschweig (Anm. 18).
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Körperverletzung im Sport 63

letzung eintritt. „Gefährliche" Handlungen fallen dagegen aueh dann


unter den Tatbestand der Körperverletzung, wenn der Gegenspieler
glücklicherweise von der schweren Folge verschont bleibt113.
Auch eine leichte Körperverletzung ist nur dann sozialadäquat,
wenn sie sich im Zuge des Spielgeschehens ereignet Versetzt also
ein Spieler einem Kontrahenten hinter dem Rücken des Schiedsrich-
ters einen Schlag, während das Spielgeschehen in einem anderen
Abschnitt des Spielfeldes stattfindet, ist eine strafbare Körperverlet-
zung gegeben114. Selbstverständlich kommt beim Vorliegen einer so-
zialinadäquaten Körperverletzung eine strafrechtliche Haftung nur
dann in Betracht, wenn der Täter schuldhaft gehandelt hat. Kann nur
eine fahrlässige Tat vorliegen, ist also sorgfältig zu prüfen, ob die
Körperverletzung für den Täter individuell voraussehbar und ver-
meidbar war115.
Ähnlich wie beim Fußballspiel wird man die Abgrenzung z. B.
auch beim Eishockey vornehmen können, das ebenfalls zu den kör-
perbetonten Kampfsportarten gehört. Dagegen wird man z. B. beim
Basketballspiel die Grenzen der Sozialadäquanz enger ziehen müs-
sen, da der Basketballsport seinem Selbstverständnis nach ein „kör-
perloses" Spiel ist, nach dessen Regeln der Körper des Gegenspielers
für Attacken „tabu" ist116. Es kommt also jeweils auf die Eigenart, ins-
besondere den Grad der körperbetonten Dynamik der jeweiligen
Sportart an.
Neben der Eigenart der Sportart ist für die Bestimmung des so-
zialadäquaten Verhaltens von Bedeutung, ob eine Handlung im Lei-
stungssport oder im nicht organisierten Freizeitsport in Frage steht.
Die Formen, in denen ein bestimmter Sport in der Freizeit ausgeübt
wird, variieren hinsichtlich des Einsatzes und der Einstellung der
Spieler erheblich. Daher wird man die Grenzen der Sozialadäquanz
im Freizeitsport nur dann in gleicher Weise wie beim organisierten
Leistungssport bestimmen können, wenn das Spiel erkennbar mit
dem gleichen energischen Einsatz wie im Leistungssport betrieben
wird, was z. B. bei einem Fußballspiel zwischen zwei Betriebsmann-
schaften der Fall sein kann. Im übrigen sind die Grenzen der Sozial-

113 Auch £ser(Anm. 3), S. 373, stellt bei der Abgrenzung des erlaubten Risikos allein
auf die Handlung und nicht auf den Erfolg ab.
114 Vgl. auch Günther(Anm. 18), S. 350.
us Zum individuellen Fahrlässigkeitsvorwurf bei Sportverletzungen vgl. Schiffer
(Anm.8),S.181ff.
6 Vgl. Regel IX. B. der offiziellen Basketball-Regeln, abgedruckt bei Reichert
(Anm. 2), S. 273.
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adäquanz um so enger zu fassen, je mehr sich die sportliche Betäti-


gung in der Freizeit nicht als Kampf, sondern als Spiel darstellt.
E. Die Körperverletzung beim „Sport gegeneinander
mit Verletzungsziel"
Zu klären bleibt schließlich noch die strafrechtliche Beurteilung
der Körperverletzung bei den Sportarten, bei denen das Ziel der kör-
perlichen Beeinträchtigung des Gegners verfolgt wird. Das wichtig-
ste Beispiel hierfür ist der Boxsport. Auch bei regelgerechter Aus-
übung dieses Sports können erhebliche gesundheitliche Schäden
eintreten. Auch Todesfälle kommen beim Boxen immer wieder
vor11?. Angesichts dieser Gefahren erscheint die Anwendung des In-
stituts der Sozialadäquanz auf den Boxsport nicht angebracht118.
Zwar gehört die regelgerechte Ausübung des Boxsports zu den so-
zial üblichen Verhaltensmustern. Es wurde aber bereits darauf hin-
gewiesen, daß ein Verhalten nicht mehr als sozialadäquat angesehen
werden kann, wenn für die davon Betroffenen eine „Opfergrenze" er-
reicht ist, von der ab es ihnen nicht mehr zumutbar ist, vom Straf-
recht schutzlos gestellt zu werden, ohne daß alle Voraussetzungen
der am individuellen Willen der Betroffenen orientierten Einwilli-
gung gegeben sind119. Diese Grenze ist beim Boxsport überschritten.
Die Schläge des Boxers erfüllen somit den Tatbestand der Körper-
verletzung. Der Boxer ist gerechtfertigt, wenn eine Einwilligung des
Gegners vorliegt 12°. Für die Einwilligung reicht nach der hier vertre-
tenen Auffassung das Einverständnis mit der Handlung aus, da das
potentielle Opfer bereits hierdurch den Täter von dem ansonsten
geltenden Handlungsverbot freistellt und damit den Strafrechts-
schutz aufhebt121. Für die Einwilligung genügt es daher, wenn die Bo-
xer sich gegenseitig gestatten, im Rahmen der Boxregeln aufeinan-
der einzuschlagen, mag es ihnen auch höchst unerwünscht sein, ge-
troffen zu werden. Die Einwilligung ist bei Vorliegen der sonstigen
Voraussetzungen122 trotz der mit dem Boxen verbundenen Lebens-
gefahr wegen des rechtlich anerkannten gesellschaftlichen Interes-
ses an der Ausübung dieser Sportart wirksam123.
n? Vgl. Wacke, Unfälle bei Sport und Spiel nach römischem und geltendem Recht,
Stadion (Zeitschrift für Geschichte des Sports und der Körperkultur) III (1977), S. 4,
25; Zjp/(Anm. 3), S. 99.
8 A.A.ZJp/(Anm.3),S.99.
119 Vgl. Anm. 100.
120 Für die Einwilligungslösung beim Boxsport auch Hoppe (Anm. 64), S. 93.
121 Vgl. Dolling, GA 1984 (im Druck).
122 Siehe dazu Jescheck (Anm. 14), S. 306 ff.
123 Vgl. Dolling (Anm. 121).
ZStW 96 (1984) Heft l

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- Körperverletzung i Sport 65

Damit sind wir am Ende unserer Iisführungen angelangt, die


l hoffentlich gezeigt haben, daß die Stra&chtsdogmatik das Problem
( der Körperverletzung im Sport in eineiVeise zu bewältigen vermag,
( die dem Bedürfnis nach einem in seine dynamischen Ablauf mög-
] lackst ungehinderten Sportbetrieb ebero Rechnung trägt wie dem
3 Mteresse an ausreichendem Rechtsscriz für den einzelnen Sport-
Her.

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