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Nordrhein-WestfälischeAkademie der Wissenschaften

Geisteswissenschaften Vorträge · G 350

Herausgegeben von der


Nordrhein-WestfälischenAkademie der Wissenschaften
KLAUS STERN
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber

Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH


393. Sitzung am 19. Juni 1996 in Düsseldorf

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Stern, Klaus:
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber I Klaus Stern. - Opladen:
Westdt. Ver!., 1997
(Vorträge I Nordrhein-WestfälischeAkademie der Wissenschaften:
Geisteswissenschaften; G 350)
ISBN 978-3-531-07350-7 ISBN 978-3-322-90068-5 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-90068-5
NE: Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften <Dusseldorf>:
Vortrage I Geisteswissenschaften

Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Bertelsmann Fachinformation.

© 1997 by Springer Faclnnedien Wiesbaden


Originally published by Westdeutscher Verlag GmbH Opladen

Herstellung: Westdeutscher Verlag

ISSN 0944-8810
ISBN 978-3-531-07350-7
Inhalt

Klaus Stern, Köln


Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber 7

Diskussionsbeiträge
Professor Dr. iur. utr. ]osef Isensee; Professor Dr. iur., Dr. h. c. mult.
Klaus Stern; Professor Dr. jur. Günther Jakobs; Professor Dr. iur., Dr.
iur. h. c. mult. Hans Joachim Hirsch; Professor Dr. jur., Dr. h. c.
Gerhard Kegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Man kann nicht zweimal durch denselben Fluß gehen. An diesen Satz
Heraklits, der bekanntlich den Beinamen "der Dunkle" trug, könnten die-
jenigen denken, die 1979 meinen Vortrag "Verfassungsgerichtsbarkeit zwi-
schen Recht und Politik" an diesem Ort gehört haben.l Gewiß ist es 17 Jahre
später ein anderes Wasser, das ich mit meinem Thema zu durchqueren habe,
aber die damals aufgeworfene Problematik hat sich im Grundsätzlichen nicht
geändert; sie ist vielleicht nur verschärft worden. Wenn ich sie heute auf einen
bestimmten Bereich konzentriere, das Spannungsverhältnis der Verfassungs-
gerichtsbarkeit zum Gesetzgeber, so deshalb, weil gerade diese Beziehung
durch einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus jüngster Zeit
in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung gerückt ist.
Kontroversen des Bundesverfassungsgerichts mit dem Parlament sind eben-
sowenig neu wie mit der Regierung. Sie begleiteten die Verfassungsgerichts-
barkeit seit ihrer Entstehung. War es unmittelbar nach der Errichtung des
Gerichts der Streit um seinen Status als Verfassungsorgan und die daraus zu
ziehenden Folgerungen,2 so traten in den SOer Jahren Fragen der Kontroll-
intensität völkerrechtlicher Verträge in den Vordergrund,3 die ihren Höhe-
punkt in der Auseinandersetzung um den sog. Grundlagenvertrag mit der
DDR 1973 erlebten.4 Spannungsgeladene Konflikte mit dem Gesetzgeber

1 Klaus Stern, Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Vorträge G 243, 1980. Die
dort genannte ältere Literatur zur grundsätzlichen Problematik wird hier nur ausnahmsweise
zitiert.
2 Vgl. die "Denkschrift des Bundesverfassungsgerichts" vom 27.6.1952,JöR Bd. 6 (1957), S. 144 ff.;
sowie die ebda., S. 109 ff., mit einer Einleitung von G. Leibholz veröffentlichten Materialien;
ders., in: Das Bundesverfassungsgericht 1951-1971, 1971, S. 44 ff.; K. Stern, Staatsrecht II, 1980,
§ 32 II 1; R. Dolzer, Die staatstheoretische und staatsrechtliche Stellung des Bundes-
verfassungsgerichts, 1972; H. Laufer, Verfassungsgerichtsbarkeit und politischer Prozeß, 1968,
S. 293 ff.; A. Sattler, Die Rechtsstellung des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan
und Gericht, Diss. Göttingen 1955, S. 2 ff.; C. Pricke, Zur Kritik an der Staats- und Verfassungs-
gerichtsbarkeit im verfassungsstaatlichen Deutschland, 1995.
3 Näher K. Stern, NWVBI. 1994, 241 ff.
4 Vgl. BVerfGE 36, 1 ff.; und aus der Kontroverse um die Rolle des Bundesverfassungsgerichts
im Zusammenhang mit dem Urteil]. Delbrück, in: Festschrift E. Menzel, 1975, S. 109 ff.;
E. Friesenhahn, ZRP 1973, 188 ff.; Chr. Tomuschat, DÖV 1973, 801 ff.; D. Wilke/G. H. Koch,
JZ 1975, 233 ff.; sowie die Beiträge in G. Zieger {Hrsg.), 5 Jahre Grundlagenvertragsurteil des
Bundesverfassungsgerichts, 1979.
8 Klaus Stern

ergaben sich dann ebenfalls in den 70er Jahren im Hochschul-,5 im


Zusammenhang mit dem ersten Abtreibungs-,6 dem Wehrdienstverweige-
rungs-,7 dem DiätenurteilS sowie auch dem sog. Extremistenbeschluß.9 Die
Zurückhaltung, die das Gericht 1979 im Mitbestimmungsurteil gegenüber dem
Gesetzgeber bei der Verfassungsmäßigkeitsprüfung der fast paritätischen
Unternehmerischen Mitbestimmung der Arbeitnehmer und ihrer Gewerk-
schaften in den Aufsichtsräten der größeren Unternehmen an den Tag legte,
ließ dann wieder ruhigere Zeiten anbrechen.10
Aber es schien eher ein temporärer Waffenstillstand zu sein als eine wirk-
liche Befriedung. In neuester Zeit nämlich sind wiederum einige Ent-
scheidungen des Bundesverfassungsgerichts auf erhebliche Kritik gestoßen, 11
die zu ebenso dezidierten wie pointierten Sondervoten überstimmter Richter
führten.12 Eine von ihnen, den sog. Kruzifix-Beschluß, will ich später näher
behandeln, eine andere, die "Soldaten sind Mörder-Entscheidung", 13 hat den
Gesetzgeber jetzt zu einer Änderung des Strafgesetzbuches veranlaßt, um die
Soldaten besser zu schützen.14 Die Asylrechts-Urteile vom 14. Mai 1996 könn-

5 Vgl. BVerfGE 35, 97 ff.; B. Schlink, DÖV 1973, 541 ff.; A. Sattler, in: Festschrift W. Weber,
1975, s. 325 ff.
6 Vgl. BVerfGE 39, 1 ff.; W. Brugger, NJW 1986, 896 ff.; M. Kriele, ZRP 1975,73 ff.
7 Vgl. BVerfGE 48, 127 ff.; W. Berg, AöR 107 (1982), S. 585 ff.; Chr. Gusy, JuS 1979, 254 ff.;
]. Ipsen, ZRP 1987, 153 ff.
8 Vgl. BVerfGE 40, 296 ff.; H. H. v. Arnim, Bonner Kommentar, Art. 48 (Zweitbearb.) Rdnrn.
83 ff.; P. Häberle, NJW 1976, 537 ff.; C. F. Menger, VerwArch 67 (1976), S. 303 ff.; K. Schlaichl
H.]. Schreiner, NJW 1979, 673 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, 2. Auf!. 1984, S. 1063 ff.
9 Vgl. BVerfGE 39,334 ff.; W. Schick, NJW 1975,2169 ff.; R. Scholz, in: Festschrift}. Broermann,
1982, S. 409 ff.; R. Zuck, JuS 1975, 695 ff., sowie K. Stern, Staatsrecht I, § 11 IV 3 a.
1o Vgl. BVerfGE 50, 290 ff.; K. M. Meessen, NJW 1979, 833 ff.; H.-]. Papier, ZGR 1979,444 ff.;
Reiner Schmidt, Der Staat 19 (1980), S. 235 ff.
11 Je nach Sichtweise standen im Mittelpunkt der Kritik folgende Entscheidungen: BVerfGE 84,
90 und später 94, 12 (Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone); 88, 203 (Abtreibung);
89, 1 (Mieter/Vermieter-Eigentum); 92, 1 (Sitzblockaden); 92, 277 (DDR-Geheimdienst-
agenten); 93, 121 (Vermögenssteuer); 93, 266 ("Soldaten sind Mörder"); 94, 49 und 115 (Asyl-
rechtskompromiß ).
12 Vgl. etwa BVerfGE 92, 341 ff.; 93,25 ff.; 93, 149 ff.; EuGRZ 1996,268 ff., 288 ff.
13 BVerfG, NJW 1995, 3303 =JZ 1996, 360 mit Anm. v. R. Zuck; dazu G. Gounalakis, NJW 1996,
481 ff., und zuletzt W. Schmitt Glaeser, NJW 1996, 873 ff. m.w.Nachw. Zuvor schon bedenk-
lich BVerfGE 86, 1 ff. Diese Rechtsprechung reicht weit zurück und basiert auf der hohen
Einschätzung der Meinungs- und Kunstfreiheit durch das Gericht (zusammengefaßt bei D.
Grimm, NJW 1995, 1697 ff.), der gegenüber kollidierende Grundrechte wie Ehre und
Persönlichkeit zu gering bewertet werden (zu Methode und Grundsätzen der Kollisionslösung
vgl. K. Stern, Staatsrecht III/2, 1994, § 82 mit weit. Nachw.; zuletzt aus privatrechtlicher Sicht
]. Hager, AcP 196 (1996), S. 168 ff.).
14 Einführung eines § 109 b in das Strafgesetzbuch, der lauten soll: "Wer öffentlich, in einer
Versammlung oder durch Verbreitung von Schriften Soldaten in Beziehung auf ihren Dienst in
einer Weise verunglimpft, die geeignet ist, das Ansehen der Bundeswehr oder ihrer Soldaten in
der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber 9

ten eine wieder zurückhaltendere Tendenz gegenüber dem Parlament signali-


sieren.15 Doch muß insoweit in Rechnung gestellt werden, daß es sich in nicht
unerheblichen Teilen um eine Überprüfung und Bewertung der Tätigkeit des
verfassungsändernden Gesetzgebers handelte, dem die Verfassung nur in Art. 79
Abs. 3 GG Grenzen gesetzt hat, also der Prüfungsmaßstab ohnehin reduziert
war. 16 Zutreffend ist allerdings, daß das Gericht in diesen drei Entscheidungen
dem Gesetzgeber wieder größeren Spielraum zugebilligt hat. Der Gründe sind
also genug, das Thema Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber erneut zu
behandeln. Ich möchte dies in vier Abschnitten unternehmen:

I. Verfassungsgerichtsbarkeit als Hüter der Verfassung gegenüber aller staat-


lichen Gewalt
II. Das Spannungsverhältnis von Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetz-
gebung
III. Rechtsbildung durch Verfassungsgerichte
IV. Schlußfolgerungen

I. Verfassungsgerichtsbarkeit als Hüter der Verfassung


gegenüber aller staatlichen Gewalt

Die Einrichtung einer Verfassungsgerichtsbarkeit mit umfassenden


Zuständigkeiten, für die sich Bund und Länder nach dem Zweiten Weltkrieg
mit großem Engagement ausgesprochen haben, hat die Verfassungsstaatlich-
keit der Bundesrepublik Deutschland gegenüber aller früheren konstitutiona-
lisierten Staatlichkeit in wesentlichen Punkten verändert. Das ist anfänglich
nicht sogleich erkannt worden, aber jetzt mittlerweile im allgemeinen
Bewußtsein- auch über Juristen und Politiker hinaus- deutlich verankert. Am
stärksten wird diese Modifizierung des Verfassungsgefüges in allen denjenigen
Kompetenzen der Verfassungsgerichte sichtbar, durch die Organe des politi-
schen Handelns, also Parlament und Regierung, kontrolliert werden. Das sind
Organstreitigkeiten, in Grenzen auch Bund-Länder-Streitigkeiten, und
namentlich alle Verfahren, die zu einer Überprüfung der legislativen Tätigkeit
führen, also insbesondere die beiden Arten der Normenkontrolle und die
Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich auf die Überprüfung von Gesetzen auf
ihre Verfassungsmäßigkeit bezieht.

mit Geldstrafe bestraft". (Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P.,
BTagsDrucks. 13/3971)
15 BVerfG, EuGRZ 1986, 237 ff.
16 Hierzu ausführlich K. Stern, Staatsrecht III/2, § 89 mit weit. Nachw.; BVerfG, aaO, S. 252 f.
10 Klaus Stern

Die Entscheidung für ein Verfassungsgericht als Hüter der Verfassung ist
nach 1945 in Deutschland sowohl in den verfassunggebenden Versammlungen
der Länder (namentlich der amerikanischen Besatzungszone) als auch 1948/49
im Parlamentarischen Rat bewußt getroffen worden. Im Parlamentarischen
Rat etwa fiel der Satz: "Entweder wird das Recht tatsächlich als die Grundlage
der menschlichen Gesellschaft anerkannt und dann auch mit den notwendigen
Garantien zu seiner Verwirklichung ausgestattet. Oder aber die politische
Zweckmäßigkeit wird zum höchsten Prinzip erhoben, was dann wieder zu den
gefährlichen Grunddogmen einer vergangeneu Epoche hinführen würde,
wonach eben Recht ist, was dem Volke oder der Regierung oder dem Staate
nutzt."17 Damit wurde jener Idee eine Absage erteilt, derzufolge es Gerichten
wesensfremd sei, über die Rechtsgültigkeit von Gesetzen und Regierungsakten
zu urteilen, weil darin eine Juridifizierung der Politik und eine Politisierung
der Justiz läge, bei denen beide nichts zu gewinnen, wohl aber alles zu ver-
lieren hätten - Formulierungen, die auf den französischen Historiker und
Politiker F. Guizot aus dem Jahre 1846 zurückgehen und die C. Schmitt und
andere mehrfach variiert haben.l8
Es mag dahingestellt bleiben, ob man im Parlamentarischen Rat die Aus-
wirkungen, die von der Errichtung eines Bundesverfassungsgerichts mit der
zugedachten Kompetenzfülle ausgehen, in voller Tragweite erkannt hat. Sicher
ist nur, daß die Existenz einer Verfassungsgerichtsbarkeit, wie sie sich im Laufe
der Zeit entwickelt hat, die Bedeutung und Ausstrahlungswirkung der Ver-
fassung für alle Staatsgewalten, besonders aber für die Gesetzgebungsorgane,
in einer Weise determiniert hat, wie sie 1949 nicht vorhersehbar gewesen ist.
Diese Gerichtsbarkeit hat dem Rechtsstaat eine neue Dimension verliehen und
ihn zu einem Verfassungsstaat spezifischer Prägung gemacht.19 Der soeben aus
dem Amt geschiedene Bundesverfassungsrichter Hans Hugo Klein hat dies
jüngst auf die Formel gebracht: "Die Verfassungsgerichtsbarkeit nimmt -
in nach Art und Zahl ihrer Zuständigkeiten unterschiedlich bemessenem Um-
fang - an der Staatsleitung teil. Die Koexistenz von politischer Staatsleitung

17 A. Süsterhenn (CDU) in der 2. Sitzung am 8.9.1948, Pari. Rat, Plenum, Stenogr. Berichte, S. 25;
s. ebda. auch W. Menzel (SPD), S. 31f.
18 Vgl. K. Stern, Verfassungsgerichtsbarkeit zwischen Recht und Politik, 1980, S. 20; neuerdings
R. Häußler, Der Konflikt zwischen Bundesverfassungsgericht und politischer Führung, 1994;
M. Piazzolo (Hrsg.), Das Bundesverfassungsgericht- Ein Gericht im Schnittpunkt von Recht
und Politik, 1995.
19 Vgl. K Stern, Verfassungsgerichtsbarkeit zwischen Recht und Politik, 1980, S. 20; s. zuletzt
P. Kirchhof, NJW 1996, 1497 ff., über die auf das Bundesverfassungsgericht zukommenden
Aufgaben in Zeiten des Umbruchs.
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber 11

und Verfassungsgerichtsbarkeit konstituiert den Verfassungsstaat." 20 Und ein


ehemaliger Verfassungsrichter anderer Couleur, Helmut Simon, hat diesen
Befund nicht wesentlich anders umschrieben.21 Durch die so konzipierte Ver-
fassungsgerichtsbarkeit ist die Dritte Gewalt, was Montesquieu noch ver-
neinte, echte Staatsgewalt, pouvoir, geworden. Verfassungsgerichtsbarkeiten
anderer Länder, auch wenn sie wie die Spaniens, Portugals, Ungarns und ande-
rer ostmitteleuropäischer Länder der deutschen nachgebildet sind, haben eine
solche Bedeutung nicht oder noch nicht erreicht. Allenfalls der Supreme Court
der Vereinigten Staaten von Amerika erlaubt eine Parallelisierung, wiewohl
seine besonderen Argumentationsfiguren der political question-Doktrin und
seiner grundsätzlich in der Praxis geübten Zurückhaltung gegenüber dem
Gesetzgebertrotz so markanter Formeln wie der von Ch. E. Hughes "We are
under a constitution; but the constitution is what the judges say it is" oder der
F. Frankfurters "The court is the constitution" sowie des Fehleus der ab-
strakten Normenkontrolle und der Verfassungsbeschwerde Grenzen des Ver-
gleichens setzen.
Fragen wir nach der Rechtfertigung für den verfassungsgerichtlich gepräg-
ten Verfassungsstaat, so ist sie darin zu erblicken, daß die Verfassung als
oberste Norm die Ausübung aller Staatsgewalt bestimmt. Ist es aber eine
Rechtsnorm, die Richtschnur staatlichen Handeins ist, so ist es konsequent,
daß die Interpretation und Wahrung dieses Rechts in die Hand eines Organs
der rechtsprechenden Gewalt gelegt wird, d. h. einer spezifisch für die
Rechtskontrolle eingerichteten Institution und nicht eines genuin politischen
Organs. Wäre keine Verfassungsgerichtsbarkeit eingerichtet, so entschiede
zwangsläufig allein der Gesetzgeber, ob er sich im Rahmen der Verfassung hält
oder nicht, weil es kein Organ über ihm gibt, Verfassungsschranken zu über-
wachen. Die Verfassungsmäßigkeitsprüfung würde allein bei ihm selbst ruhen.
Dies aber ist solange bedenklich, als alle parlamentarischen Kontroll-
mechanismen durch Mehrheitsbeschlüsse überwindbar sind. Gerichte als
Hüter der Verfassung sind darüber hinaus Ausdruck sinnvoller Arbeitsteilung
unter den Staatsorganen. Die Regierung soll politisch führen, das Parlament
Gesetze geben und die Regierung überwachen, das Staatsoberhaupt die
Gesamtheit des Staates repräsentieren und das Verfassungsgericht eben die
Einhaltung der Verfassung gewährleisten. Verfassungsgerichtsbarkeit soll

20 In: Festschrift Franz Klein, 1994, S. 524.


21 Verfassungsgerichtsbarkeit, in: E. Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des
Verfassungsrechts, 2. Auf!. 1994, S. 1637 ff.
12 Klaus Stern

dabei helfen, Verfassungsstabilität zu sichern,22 aber auch Wege der Ver-


fassungsentwicklung23 ohne permanente Verfassungsänderung offenhalten.
Diese Verteilung der Staatsfunktionen ist prinzipiell richtig. Sie entspricht
dem Gewaltenteilungsprinzip als einem staatsorganisatorischen Grundprinzip
des modernen freiheitlich-demokratischen und rechtsstaatliehen Verfassungs-
staates. Weder in der staatsrechtlichen Theorie noch in der politischen Praxis
wird in Deutschland an der Richtigkeit dieser Grundkonzeption gerüttelt.
Aber von Zeit zu Zeit, und gegenwärtig vermehrt, wird nicht die Einrichtung
der Verfassungsgerichtsbarkeit als solche in Zweifel gezogen, wohl aber ange-
merkt, daß das Bundesverfassungsgericht, weniger die Landesverfassungs-
gerichte, die Grenzen verfassungsgerichtlichen Judizierens nicht beachtet oder
gar selbst verfassungswidrig geurteilt hätte. Soweit eine unterlegene Prozeß-
partei solche Kritik übt,24 ist sie verständlich und meist auch bald vergessen,
aber in jüngster Zeit wird die Kritik wieder pointierter und grundsätzlicher
Natur. Bundesverfassungsrichter E. W. Böckenförde etwa hat die Gefahr des
Übergangs zum "verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat", "Verfassungs-
Areopag" oder "autoritativen Praeceptor" beschworen,25 I. v. Münch hat
Autoritätsschwund festgestellt 26 und B. Großfeld gar von "Götterdämme-
rung" gesprochenP Frühere Kritiker sprachen vom "government of judges",
von "richterlicher Zensur", von "richterlichem Veto" oder ähnlichen Charak-
terisierungen.28 1975 schon hatte darum ]. Delbrück gefragt "Quo vadis
Bundesverfassungsgericht?",29 eine Frage, die]. Isensee auf dem Deutschen
Juristentag 1996 im September erneut stellen wird.30
Drei Bereiche eines wirklichen oder vermeintlichen Übergriffs werden dabei
in der Regel genannt:
- der außenpolitische Gestaltungsspielraum der Regierung;31

22 W. Brugger, Verfassungsstabilität durch Verfassungsgerichtsbarkeit? Beobachtungen aus


deutsch-amerikanischer Sicht, StWissStPr 1993, S. 319 ff.
23 B.-0. Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 162 ff.; P. Badura, HStR VII, 1992, § 160 Rdnr.
15.
24 Vgl. H.-J. Vogel, DÖV 1978, 665 ff.; ders., NJW 1996, 1505 ff.; W. Geiger, DRiZ 1991, 357 ff.
25 Der Staat 29 (1990), S. 1 (25) und BVerfGE 93, 121 (152)- Sondervotum.
26 NJW 1993, 1673 (1675).
27 NJW 1995, 1719 ff. Vgl. auch V. Krey: Das Gericht "laufe aus dem Ruder" QR 1995,221 (228)).
28 Vgl. K Stern, Verfassungsgerichtsbarkeit zwischen Recht und Politik, S. 17.
29 ]. Delbrück, in: Festschrift E. Menzel, 1975, S. 83 ff.
30 Auf manche Kritik hat H. H. Klein mit der Zurückhaltung eines Bundesverfassungsrichters
zutreffend erwidert (vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung, Interne Studien Nr. 119/1996, S. 39 ff.).
V gl. auch H. Sendler, NJW 1996, 825.
31 Dazu K Stern, NWVBI. 1994,241 ff.; W. G. Grewe, HStR III, 1988, § 77 Rdnrn. 89-103, jew.
m.w.N. Neuerdings BVerfGE vom 18.4.1996 unter II 1 und 2.
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber 13

die Rechtsprechung der sog. Fachgerichtsbarkeiten32 und vor allem


das gesetzgeberischeHandeln oder Unterlassen.
In Zukunft könnte die besondere Beziehung zum Gerichtshof der Euro-
päischen Union ein weiteres Feld abgeben.33
Allein dem Verhältnis zur Legislative gilt im folgenden meine Aufmerk-
samkeit.

II. Das Spannungsverhältnis von Verfassungsgerichtsbarkeit


und Gesetzgebung

Es steht außer Zweifel, daß die Kontrolle der rechtsetzenden Tätigkeit vor
allem der Parlamente durch die Verfassungsgerichte der neuralgische Punkt
ausgewogener Balancierung zwischen Erster und Dritter Gewalt ist. Die lange
Geschichte der Verfassungsmäßigkeitsprüfung von Gesetzen seit der Supreme
Court-Entscheidung Marbury vs. Madison von 180334 über den Kampf um
das richterliche Prüfungsrecht in Deutschland, der nicht erst mit der
Reichsgerichtsentscheidung vom 4. November 192535 begann, sondern weit in
das 19. Jahrhundert zurückreichte,36 bis zur fest etablierten Normenkontrolle
bei allen Landesverfassungsgerichten und dem Bundesverfassungsgericht in
der Gegenwart ist hierfür Beweis genug. Dieser Entwicklungsprozeß kann
hier nicht nachgezeichnet werden. Nur soviel sei betont:

32 Vgl. zu dieser Problematik bes. U. Steinwedel, "Spezifisches Verfassungsrecht" und "einfaches


Recht", 1976; R. Herzog, in: Festschrift G. Dürig, 1990, S. 431 ff.; F. Ossenbühl, in: Festschrift
H. P. Ipsen, 1977, S. 129 ff.; H.-J. Papier, "Spezifisches Verfassungsrecht" und "einfaches
Recht", in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. I, 1976, S. 432 ff.; G. F. Schuppert,
AöR 103 (1978), S. 43 ff.; H.-P. Schneider, NJW 1980,2103 ff.; W. R. Schenke, Verfassungs-
gerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, 1987; M. Bender, Die Befugnis des Bundesverfas-
sungsgerichts zur Prüfung gerichtlicher Entscheidungen, 1989. Aus der Rechtsprechung
BVerfGE 18, 85 (92 f.); 22, 93 (99 f.); 30, 173 (196 f.); 42, 143 (148); 76, 143 (161); 82, 6 (11); 89,
276 (285).
33 Vgl. BVerfGE 89, 155 (174 f.); dazu U. Everling, in: Gedächtnisschrift E. Grabitz, 1995, S. 57ff.;
ders., in: Reform der Europäischen Union, hrsgg. von W. Weidenfeld, 1995, S. 256 ff.; M. A.
Dauses, in: Festschrift U. Everling, 1995, Bd. 1, S. 223 ff.; A. Weber, ebda., Bd. 2, S. 1625 (1633 ff.);
Chr. Tomuschat, EuGRZ 1993,489 (494 f.); M. Schröder, DVBI. 1994,316 (323 f.); G. Hubertus,
DVBI. 1994, 674 ff.
34 United States Supreme Court Reports, Bd. 5 (1803), S. 137 ff.; vgl. dazu W. Haller, Supreme
Court und Politik der USA, 1972, S. 121 ff.; K. Stern, Grundideen europäisch-amerikanischer
Verfassungsstaalichkeit, 1984; H. Steinberger, Konzeption und Grenzen freiheitlicher
Demokratie, 1974, S. 127; ders., 200 Jahreamerikanische Bundesverfassung, 1987; W. Brugger,
Einführung in das öffentliche Recht der USA, 1993, § 2.
3s RGZ 111, 320.
36 Vgl. E. v. Hippe!, HdbDStR II, 1932, S. 552; zur Geschichte G. Meyer-Anschütz, Lehrbuch des
Deut. Staatsrechts, 7. Auf!. 1919, S. 736 ff.
14 Klaus Stern

Seit die Verfassungsgerichte Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit über-


prüfen dürfen und müssen, gibt es keinen Parlamentsabsolutismus mehr. Der
Gesetzgeber hat vielmehr größte Aufmerksamkeit auf die Verfassungs-
beachtung seines Handelns zu legen. Dies ist ihm durch Art. 20 Abs. 3 GG
generell und durch Art. 1 Abs. 3 GG nochmals besonders für die Grundrechte
vorgegeben. Ob diese Prüfung immer mit gehöriger Sorgfalt geübt wurde, ist
nicht das Thema hier- E. Benda hat 1979 auf vielfache Defizite hingewiesen37
und ich habe in Bd. III/2 meines Staatsrechts Verbesserungen aufgezeigt _38,
sondern ob die Verfassungsgerichte kompetenziell einhalten, was beiden
Gewalten von Verfassungs wegen zugemessen ist. Im Grundsatz bedeutet dies,
daß einerseits der durch das Gewaltenteilungsprinzip der gesetzgebenden
Gewalt zugewiesene eigenverantwortlich wahrzunehmende Funktionsbereich
der Ordnung und Gestaltung des Gemeinschaftslebens beachtet werden muß
und daß andererseits die verfassungsrechtliche Kontrollfunktion der Verfas-
sungsgerichte nicht beeinträchtigt werden darf. Auf dieser Abstraktionshöhe
besteht in Theorie und Praxis Einigkeit,39 auch in der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts selbst, wofür es viele Aussagen gibt, deren allge-
meinste hier zitiert werden soll: "Das GG geht gerade im Verhältnis der ober-
sten Verfassungsorgane zueinander von je eigenen, kompetenzrechtlich abge-
steckten Verantwortlichkeiten dieser Organe aus, denen die Rechtsordnung in
Form von Gestaltungs-, Beurteilungs- und Ermessensspielräumen Rechnung
trägt."40 Doch hart im Raume stoßen sich die Dinge, wenn es um die Um-
setzung im konkreten Fall geht. Eingriff in den politischen Gestaltungs-
spielraum der Parlamente rufen die einen,41 zu großzügige Kontrolle der Ver-
fassungsgerichte die anderen.42 Diese Problematik ist mitnichten nur auf
Deutschland beschränkt. Sie ist etwa in den USA oder in Österreich
gleichermaßen lebhaft erörtert worden43 und hat jüngst in Ungarn ebenfalls zu

37 E. Benda, Grundrechtswidrige Gesetze, 1979.


38 K. Stern, Staatsrecht III/2, 1994, § 90 li; H. Schäffer, (Schwedische) Juridisk Tidskrit, 1994/94,
s. 985 ff.
39 Vgl. K. Schlaich, Das Bundesverfassungsgericht, 3. Auf!. 1994, Rdnr. 468 m.w.N.; H. Simon,
Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Auf!. 1994, § 34 Rdnr. 48 ff.
40 BVerfGE 62, 1 (51).
41 Vgl. H.-J. Vogel, DÖV 1978, 685 ff.; E. W. Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 1 (25);
W. Geiger, DRiZ 1991, 357 ff.; B. Großfeld, NJW 1995, 1719 ff.
42 H. K. ]. Ridder, in: Festschrift A. Arndt, 1969, S. 323 (330); A. Arndt, NJW 1960, 1607 (1608).
Ausneuerer Zeit etwa BVerfGE 84, 90 und Beschluß vom 18. April1996 zu den Enteignungen
"auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949)". Das
Gericht hat es hier abgelehnt, den Vortrag der Bundesregierung wirklich nachzuprüfen. Ohne
es zu sagen, hat es der political-question-Doktrin gehuldigt.
43 Vgl. K. Stern, Staatsrecht III/2, S. 1345 f.
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber 15

Kontroversen gefühn.44 Sie ist mithin ein allgemeines Problem des Ver-
fassungsstaates mit voll ausgebauter Verfassungsgerichtsbarkeit. Die Lösung
des Spannungsverhältnisses kann daher auch nur in der Einbettung in die ver-
fassungsstaatliche Grundkonzeption gesucht werden.

1. Rollenverteilung nach funktioneller Zuordnung

In neuererZeitwird vor allen Dingen auf funktionellrechtliche Überlegun-


gen hingewiesen. Gefragt wird nach der sinnvollen Rollenverteilung zwischen
Gesetzgeber und Verfassungsgericht.45 Funktionelle Zuordnungen erlauben
gewiß einige generelle Kompetenzabgrenzungen, die aber im Einzelfall wenig
präzise sind: Parlamente sind ihrer Funktion nach zur Rechtssetzung berufen,
Gerichte sollen Rechtssätze anwenden. Aber wird diese Einschätzung auch
den Verfassungsgerichten gerecht? Die Einordnung der mehrschichtigen Auf-
gaben der Verfassungsgerichte in die Funktionenordnung ist doch gerade das
Problem. Verfassungsgerichte sind zwar unstreitig Gerichte mit allen
Attributen, die diesen Institutionen eigen sind, aber sie sind eben auch mehr
und anderes, wenn man ihre Aufgabe der Kontrolle der Gesetze und der
gesetzgeberischen Unterlassungen am Maßstab der Verfassung betrachtet. Die
funktionell-rechtliche Theorie hat daher nur insoweit recht, als Verfassungs-
gerichte zur rechtsprechenden Gewalt zu zählen sind, was Art. 92 GG und
§ 1 BVerfGG sowie die Verfassungen der Länder und deren Verfassungs-
gerichtshofgesetze auch normieren. Aber was Verfassungsgerichte im Ver-
hältnis zum Gesetzgeber dürfen oder nicht dürfen, ist daraus nicht herzuleiten.
Hierzu bedarf es präziserer Kriterien.

2. Verfassungsrecht als einziger Kontrollmaßstab der Gesetze

Allein maßgebliche Kompetenzschranke der Verfassungsgerichtsbarkeit ist


der Verfassungsrechtssatz. Er bestimmt den Kontrollmaßstab, an Hand dessen
Verfassungsgerichte zu judizieren haben. Es ist also allein die Verfassungs-
rechtsnorm, die die Funktion bestimmt.46 E. W. Böckenförde hat recht, wenn

44 Vgl. G. Brunnerl L. Solyom, Verfassungsgerichtsbarkeit in Ungarn, Budapester Kolloquium zur


Verfassungsgerichtsbarkeit vom Mai 1995 (erscheint in Kürze).
45 Vgl. K. Stern, Staatsrecht III/2, S. 1346; K. Schlaich, aaO, Rdnr. 471; Th. von Danwitz, JZ 1996,
481 (483) m.w.Nachw.
46 Vgl. K. Stern, Staatsrecht II, § 44 II/2, S. 958; III/2, S. 1347; s. ferner K. Korinek, VVDStRL 39
(1981), S. 7 (41 ff.); jüngst M. Brenner, AöR 120 (1995), S. 248 (255); Th. von Danwitz, JZ 1996,
481 (487).
16 Klaus Stern

er hervorhebt, daß der "Gedanke funktionellrechtlicher Begrenzung sich in


sich selbst verfängt".47 Die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit ziehen
Grundgesetz und Landesverfassungen. Damit ist zugleich der Übernahme
einer political question-Theorie, wonach es per se nicht justiziable politische
Fragen gibt, eine Absage erteilt, sofern die Verfassung eine Aussage enthält.
Entscheidend ist die Analyse der einschlägigen Verfassungsrechtsnormen und
deren Interpretation oder, wie es besser heißen könnte, deren Konkretisation.
An diesem Punkt angelangt, sind einige Grundsätze anzuführen, die für das
Verhältnis von Verfassungsgericht und Gesetzgeber von größter Wichtigkeit
sind. Sie liegen zum einen in der spezifischen Natur des Verfassungsrechts und
der daraus resultierenden Eigenheiten der Auslegung, zum anderen in Beson-
derheiten der Verfassungsrechtsprechung, die die Verfassungsgerichte im Ver-
lauf ihrer fast SOjährigen Judikatur herausgebildet haben.
a) Erstens: Dem Verfassungsrecht ist eine spezifische Gestimmtheit eigen.
Das ist so oft dargelegt worden,48 daß ich mich auf Stichworte beschränken
kann:
- Orientierung an bestimmten Werten oder Rechtsgütern im materiellen Teil;
- blankett-und generalklauselartige Fassung der meisten Normen und daraus
sich ergebende Offenheit;
- Stabilität, Kontinuität und Integration verbürgender Charakter;
- Gebot zur Abwägung im Falle kollidierender Verfassungsrechtsgüter;
- Ausstrahlungswirkung auf die gesamte Rechtsordnung aufgrund
Höchstrangigkeit der Verfassung.
b) Zweitens: Diese spezifische Gestimmtheit des Verfassungsrechts führt zu
Besonderheiten bei der Interpretation. "We must never forget that it is a con-
stitution we are expounding" hat der Supreme Court der USA bereits 1819
dekretiert.49 Demgemäß hat sich die Wissenschaft seit langem bemüht,
"Prinzipien der Verfassungsinterpretation" - so das Thema der Freiburger
Tagung der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer von 1961 - herauszu-
arbeiten, wie überhaupt die Arbeiten der letzten Zeit zum Thema Auslegung
überwiegend der Verfassungsauslegung gewidmet sind. SO Dabei wurde durch-
weg die "Komplexität der Interpretationsaufgabe"51 oder ihre "Uner-
schöpflichkeit",52 der sich jede Epoche unter ihren jeweiligen Bedingungen

47 Der Staat 29 (1990), S. 1 (26).


48 Vgl. zuletzt K. Stern, Staatsrecht Ill/2, S. 1694 ff. m.w.N.
49 McCulloch vs. Maryland, United States Supreme Court Reports, Bd. 17 (1819), S. 316 (407).
50 Vgl. die Nachw. bei K. Stern, Staatsrecht III/2, S. 1693 FN 273.
51 H.-J. Koch, EuGRZ 1986, 345.
52 K. Stern, Gesetzesauslegung und Auslegungsgrundsätze des Bundesverfassungsgerichts, Diss.
München 1956, S. 1.
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber 17

neu zu stellen hat,53 betont. Was die Grundrechtsnormen betrifft, habe ich
hierzu in Staatsrecht 11112, § 95 einen neuerlichen Versuch unternommen, wo-
rauf verwiesen werden soll. Meine Kernthese ist: Auch für das Verfassungs-
recht gilt zunächst einmal der Kanon der seit C. F. von Savigny entwickelten
klassischen AuslegungsmitteL
Aber es müssen die normativen, materialen und funktionalen Besonder-
heiten des Verfassungsrechts berücksichtigt werden. Sie verlangen eine Weiter-
entwicklung der klassischen lnterpretationsmethode. Diese liegt vor allem
darin, daß es bei den meisten Verfassungsbestimmungen wegen ihres besonde-
ren Charakters nicht sein Bewenden mit der schlichten Interpretation haben
kann, sondern eine "Konkretisierung" notwendig ist, wie der von Hans Huber
eingeführte und seither akzeptierte Begriff lautet. 54
Einer solchen Konkretisierung bedarf es namentlich bei den fundamentalen
Staatsstrukturprinzipien wie Demokratie, sozialer Rechtsstaat, Bundesstaat,
Gewaltenteilung, bei nahezu allen Grundrechten, bei Staatszielbestimmungen
wie gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht, Schutz der natürlichen Lebens-
grundlagen usw. Diese Konkretisierungsaufgabe ist für das Verfassungsrecht
auf die Verfassungsgerichtsbarkeit wegen ihrer Letztentscheidungsfunktion
"fokussiert" ,ss wenngleich die Verfassungsgerichte diesbezüglich kein
Monopol haben, ohne daß freilich eine "offene Gesellschaft der Verfassungs-
interpreten" (P. Häberle) angenommen werden darf.
c) Drittens: Entscheidend kommt also die Verfassungsrechtsprechung in
den Blick und das, was sie aus der Konkretisierungsaufgabe gemacht hat oder
noch macht. Der frühere Bundesverfassungsrichter E. G. Mahrenholz hat hier-
zu auf dem Kolloquium "Verfassungsrecht zwischen Wissenschaft und
Richterkunst" bemerkt: "Schwierigkeiten im Umgang mit der Verfassung hän-
gen mehr mit der Macht des Gerichts, als mit der Methode zusammen".56
Damit ist ein trotz M. Webers klarer Macht-Definition57 vielschichtiges und
vor allem gefährliches Wort gefallen. Wäre es wirklich politische Machtent-

53 K. Stern, Staatsrecht III/2, S. 1637.


54 Rechtstheorie, Verfassungsrecht, Völkerrecht, 1971, S. 340.
55 Sie darf nicht als "Kompetenz-Kompetenz" begriffen werden (M. Brenner, aaO, S. 257), auch
nicht als Souveränitätsattribut (G. Püttner: "Souverän ist, wer über die Verfassungsinter-
pretation entscheidet", in: Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft in
Berlin, 1984, S. 573). Die methodischen Überlegungen zur Konkretisierungsaufgabe sind noch
nicht geleistet (vgl. für die Grundrechte K. Stern, Staatsrecht 111/2, § 95 V.).
56 1990, s. 53 (61).
57 M. Weber versteht bekanntlich Macht als die "Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den
eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance
beruht" (in: Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Auf!. 1976, hrsgg. von]. Winkelmann, 1. Halbbd.,
s. 28).
18 Klaus Stern

faltung, die das Gericht treibt, dann wären viele Besorgnisse, wie: das Gericht
mache Politik statt Verfassungsauslegung, entwickle den Staat von der parla-
mentarischen Demokratie zum verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat
oder Karlsruhe sei der eigentliche Regierungssitz usw., berechtigt. Das Gericht
hat dies in mehreren Entscheidungen ausdrücklich von sich gewiesen, vielmehr
betont, den von der Verfassung geschaffenen Raum freier politischer
Gestaltung, insbesondere des Gesetzgebers zu respektieren.58 Damit hält sich
das Gericht im Rahmen jener Warnung, die A. Arndt ihm bei der dritten
Lesung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes auf den Weg gegeben hat, näm-
lich, daß "dieses Gericht mit aller Sorgsamkeit sich davor hüten sollte, eine
politische Führungsrolle übernehmen zu wollen, die ihm nicht zukommt".59
Politische Auswirkungen lassen sich jedoch bei vielen Entscheidungen des
Gerichts gerade bei der Gesetzesüberprüfung nicht leugnen.60 Ob diese immer
richtig bedacht worden sind, erweckt Zweifel. Darin liegt indessen kein insti-
tutionelles, sondern ein personelles Problem der einzelnen Richter.
Häufig wird deshalb generell ein judicial seH-restraint empfohlen.61
Allerdings wird diese Empfehlung weder genau begründet noch in ihrem
Inhalt umschrieben. Sie ist zu vage, um eine taugliche Argumentationsfigur zu
sein. Wie mir scheint, haben das Bundesverfassungsgericht und in seinem
Gefolge die Landesverfassungsgerichte eine Reihe besserer Argumentations-
figuren entwickelt, um insbesondere gegenüber dem Gesetzgeber im Rahmen
der Verfassungskonkretisierung zu bleiben. Sie sind bekannt, so daß ich mich
auch hier kurz fassen kann:
aa) Der Grundsatz verfassungskonformer Auslegung der Gesetze, um
einen Akt der Legislative aufrechtzuerhalten, wenn er noch im Einklang mit
der Verfassung ausgelegt werden kann.62 Dieser Grundsatz ist zwar manchmal
überdehnt worden, aber als normerhaltendes Interpretationsprinzip dient er
doch grundsätzlich berechtigermaßen der Wahrung gesetzgeberischer
Intentionen.
bb) Gesteigert ist dieser Grundsatz als favor conventionis gegenüber
völkerrechtlichen Verträgen sowie einseitigen völkerrechtlichen Akten.63 Hier

58 BVerfGE 36, 1 (14 f.).


59 Verh. des Deut. Bundestages, I. WP 1949, Stenogr. Berichte Bd. 6, S. 4115 (D).
60 BVerfGE 68, 1 (78).
61 Vgl. F. A. Frhr. v. d. Heydte, in: Festschrift W. Geiger, 1974, S. 909 ff.; M. Kriele, NJW 1976,
777 ff.; G. F. Schuppert, DVBI. 1988, 1191 ff.; A. Rinken, AK-GG, 2. Auf!. 1989, vor Art. 93
Rdnr. 92; E. W. Böckenförde, BVerfGE 93, 121 (151)- Sondervotum.
62 Vgl. beispielsweise BVerfGE 85, 69 (72 ff.); 85, 360 (372); 86, 288 (328 ff.); dazu K. Stern,
Staatsrecht III/2, § 95 IV 3 a a m.w.N.
63 Vgl. etwa BVerfGE 4, 157 (168); 36, 1 (14); K. Stern, Staatsrecht III/2, § 95 IV 3 aß m.w.N.
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber 19

wird freilich mehr der politische Gestaltungsspielraum der Regierung als der
des Gesetzgebers respektiert.
cc) Stärker gegenüber dem Gesetzgeber wirkt, daß verfassungswidrige
Gesetze nicht mehr in jedem Falle für nichtig erklärt werden, sondern ledig-
lich- namentlich bei Gleichheitsverstößen,64 aber nicht nur bei ihnen _65 die
Verfassungswidrigkeit festgestellt und an den Gesetzgeber appelliert wird, die
Verfassungswidrigkeit - mit oder ohne Frist - zu beseitigen. Ein jüngstes
Beispiel ist der Beschluß zu den Einheitswerten im Steuerrecht.66 Hier sind
mannigfache "Entscheidungsvarianten"67 entwickelt worden, denen hier nicht
nachgegangen werden kann.68 Allen ist jedoch gemeinsam anzuerkennen, daß
auch der Gesetzgeber die Berechtigung zur Konkretisierung der Verfassung
besitzt. Verfassungsrechtlicher Ansatzpunkt für diese Zurückhaltung ist die im
Gewaltenteilungsgrundsatz und im Demokratieprinzip wurzelnde Erkennt-
nis, daß dem Gesetzgeber ein eigenständiger Verantwortungsbereich zur Ver-
fassungsentfaltung zusteht, der vom Gericht nur kontrolliert, nicht aber in
Zweifel gezogen werden darf. Das Bundesverfassungsgericht hat dies ur-
sprünglich, und zwar schon 1951 mit "Ermessen des Gesetzgebers" ,69 später
mit "gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit" ,70 zuletzt besser mit "Gestal-
tungsspielraum des Gesetzgebers" umschrieben/1
dd) Gesteigert wird dieser Respekt vor dem Gesetzgeber, wenn es sich um
legislative Prognosen handelt. Bei ihnen findet nur eine abgestufte Kontrolle
statt: Evidenz- oder Vertretbarkeits- und nur unter besonderen Umständen
eine Inhaltskontrolle.72 Dem Gesetzgeber wird allerdings auferlegt "nachzu-
fassen", wenn sich seine Prognose als fehlsam erweist.73
ee) Am stärksten wirkt sich die Zurückhaltung des Gerichts im einstweili-
gen Anordnungsverfahren aus, wenn Gesetze auf dem Prüfstand stehen.

64 S. die Nachweise bei K. Stern, Staatsrecht II, § 44 V 3 g y; 111/1, 1989, § 66 III 1 aß; III/2, § 91
V 3; zuletzt R. Seer, NJW 1996, 285 ff.
65 BVerfGE 21, 12 (39); 33, 303 (347 f.); 35, 79 (148); 37, 217 (260 f.); 62, 379 (385, 391); 85, 264
(326 ff.); 87, 153 (177 ff.).
66 BVerfGE 93, 121 ff. mit sehr substantiellem Sondervotum von E. W. Böckenförde.
67 W. Rupp-v. Brünneck, AöR 102 (1977), S. 1 (19).
68 Ausführlich Kurt Vogel, Das Bundesverfassungsgericht und die übrigen Verfassungsorgane,
1988, s. 214 ff.
69 BVerfGE 1, 14 (32); 4, 7 (8).
70 BVerfGE 6, 389 (420); 50, 290 (336 ff.); 71, 66 (76 ff.).
71 BVerfGE 67, 186 (195); 69, 150 (160); 76,256 (359 f.); 83,238 (334); 88,203 (340).
72 Vgl. K. Schlaich, Das Bundesverfassungsgericht, 3. Auf!. 1994, Rdnr. 496.
73 Vgl. BVerfGE 57, 139 (162 f.); 68,287 (309); 73,40 (94); Chr. Mayer, Nachbesserungspflicht des
Gesetzgebers, 1996.
20 Klaus Stern

Immer wieder betont das Gericht den besonders strengen "Prüfungsmaßstab,


wenn der Vollzug eines Gesetzes gestoppt" werden soll.74

3. Mehrschichtiges Spektrum der Kontrolle

Versuchen wir, eine erste Bilanz unserer Überlegungen zu ziehen, so läßt


sich sagen: Der Gesetzgeber ist an das Verfassungsrecht gebunden, die Ver-
fassungsgerichtsbarkeit kontrolliert die Einhaltung dieser Bindung, aber nur
insoweit, als die rechtliche Gebundenheit reicht. Es hängt also von der Aus-
formung der Verfassungsrechtsnorm ab, ob und inwieweit die Kontrolle greift.
Im Rahmen der jeweiligen verfassungsrechtlichen Kontrollnormen ergibt sich
ein mehrschichtiges Spektrum der Kontrolldichte oder -intensität, das man
für die einzelnen Verfassungsrechtsnormen ausdifferenzieren muß. Diese
Arbeit ist bisher von Wissenschaft und Praxis nur ansatzweise geleistet wor-
den. Erst nach der Bewältigung dieser Aufgabe läßt sich eine verläßliche Aus-
sage über das Verhältnis Gesetzgeber und Verfassungsgerichtsbarkeit machen.
In der Kürze der hier zur Verfügung stehenden Zeit möchte ich einige
Positionslichter setzen.

III. Rechtsbildung durch Verfassungsgerichte

Bundesverfassungsrichter a. D. Alfred Söllner hat vor kurzem in einem Vor-


trag vom "Richter als Ersatzgesetzgeber" gesprochen und für diese Funktion
des Richters das Arbeitsrecht genannt. Sein Resumee war die von Pranz
Gamillscheg entlehnte These: ",Das Richterrecht bleibt unser Schicksal"' ,75 Ist
diese Feststellung angesichts der Flut von Gesetzen, die seitens der Parlamente
auf uns niederströmen, berechtigt? Gewiß, das sog. Richterrecht, das zu seiner
richtigen Analyse einer mehrfachen Differenzierung bedarf,76 hat unter unse-
ren Rechtsquellen einen beachtlichen Umfang angenommen, der mindestens
für das Arbeitskampfrecht als weithin parlamentsgesetzesfreie Materie zu

74 Vgl. die Nachweise bei]. Berkemann, in: D. C. Umbach/Th. Clemens, Komm. zum BVerfGG,
1992, § 32 Rdnr. 138 ff.
7s ZG 1995, 1 (6).
76 R. Wimmer, Der Richter als Notgesetzgeber: Normabstinenz und richterlicher Entscheidungs-
zwang, in: Der Richter und 40 Jahre Grundgesetz, 1991, S. 39 ff.;]. Ipsen, Richterrecht und
Verfassung, 1975; P. Kirchhof, NJW 1986, 2275 ff.; ders., in: Festschrift der Juristischen Fakultät
der Universität Heidelberg: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986; K. Stern, NWVBI. 1990, 1 ff.
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber 21

erheblichen Bedenken Anlaß gibt. Doch hier ist nicht das von den obersten
Bundesgerichten geschaffene "Richterrecht" das Problem, sondern die
Teilhabe der Verfassungsgerichtsbarkeit am verfassungsrechtlichen und ein-
fachrechtlichen Rechtsbildungsprozeß. Hierbei geht es, will man eine Grob-
gliederung vornehmen, um Korrektur, Ergänzung, Ersetzung oder Entlastung
rechtsetzender Tätigkeit der Parlamente, sei es als Verfassungsänderungs- oder
als einfacher Gesetzgeber. Versucht man diese Grobgliederung zu verfeinern,
woran es bisher fehlt; so scheint mir angebracht, zwei Ebenen und mehrere
Stufen zu unterscheiden: Zum einen: Die Verfassungsgerichtsbarkeit im
Prozeß der Verfassungsrechtsbildung; zum zweiten: Die Verfassungsgerichts-
barkeit im Prozeß der Gesetzesrechtsbildung.
Auf der erstgenannten Ebene stehen die Verfassungsgerichte in Beziehung
zum Verfassungsänderungsgesetzgeber, auf der zweiten Ebene im Verhältnis
zum sog. einfachen Bundes- oder Landesgesetzgeber. Wichtig ist zu erkennen,
daß ein verfassungsgerichtlicher Spruch auf beiden Ebenen substantiell nur
vom Verfassungsänderungsgesetzgeber korrigiert werden kann. Verfassungs-
gerichte sprechen in der Regel von der Höhe des Verfassungsrechts herab und
damit auf der besonderen Ranghöhe dieser Rechtsmaterie. Zwar hat das Bun-
desverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 6.10.1987 den§ 31 BVerfGG
im Hinblick auf den Gesetzgeber dahingehend interpretiert, daß eine "norm-
verwerfende verfassungsgerichtliche Entscheidung den Gesetzgeber nicht
(hindert), eine inhaltsgleiche oder inhaltsähnliche Neuregelung zu be-
schließen". Es sei ihm nicht "verwehrt, .. . seiner Gestaltungsfreiheit und
Gestaltungsverantwortung durch Verabschiedung einer inhaltsgleichen Neu-
regelung nachzukommen, wenn er sie für erforderlich hält ... ". Wieder einmal
hebt das Gericht dabei die besondere Verantwortung des demokratisch legiti-
mierten Gesetzgebers hervor und betont, daß das "Bundesverfassungsgericht
Akte der gesetzgebenden Gewalt an der Verfassung selbst und nicht an verfas-
sungsgerichtlichen Präjudizien zu messen hat ... ". Aber zugleich pocht es dar-
auf, daß seine Kompetenz "zur rechtsverbindlichen Auslegung der Verfassung
und Gewährleistung wirksamen verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes"
nicht gefährdet werden darf.77 Praktisch bedeutet dies, daß der Gesetzgeber
nur innerhalb der Kontrollbefugnisse der Verfassungsgerichte Dispositions-
macht hat. Über verfassungsinduziertes einfaches Recht kann er nicht ver-
fügen.
Deshalb müssen beide Ebenen, die der Verfassung und die des einfachen
Gesetzes, auseinandergehalten werden. Geht es um die Verfassungsrechts-

77 BVerfGE 77, 84 (103 f.).


22 Klaus Stern

ebene, so judizieren die Verfassungsgerichte auf ihrem ureigenen Feld. Sie sind
hier die letztverbindlich entscheidenden Wächter dieser Rechtsmasse. Beim
einfachen Gesetzesrecht treten die Verfassungsgerichte vor allem als Korrek-
tur- oder Ergänzungsfaktoren zu den Parlamenten (und zu den obersten
Bundesgerichten) auf und geraten zu diesen in ein Spannungsverhältnis. Darin
äußert sich die hier allein interessierende spezifische Problematik zwischen
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber.

1. Verfassungsgerichtliche Verfassungsrechtsbildung

Betrachtet man die Verfassungsrechtsebene näher, so muß man folgende


Stufen unterscheiden:
a) Erstens: Die Interpretation bestimmter Verfassungsrechtsbegriffe kann
nach den klassischen Auslegungsregeln erfolgen. Sie tritt uns meist bei den
Verfassungsrechtsnormen entgegen, die auf eine längere Tradition zurück-
blicken können, wie etwa die Kompetenztitel der Gesetzgebung.
b) Zweitens: Schwieriger wird es bei der Konkretisierung von unbestimm-
ten Verfassungsrechtsbegriffen, verfassungsrechtlichen Ziel- oder Struktur-
bestimmungen einschließlich der Konkretisation verfassungsrechtlicher Leit-
grundsätze, wie folgende Beispiele zeigen:
aa) Die Entfaltung des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20, 28 Abs. 1 GG in
Richtung auf mehrere Elemente ist weithin gebilligte Verfassungskonkre-
tisierung.78 Dazu wird auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, auch
Übermaßverbot genannt, gerechnet.79 Mittlerweile hat sich dieser Grundsatz
allerdings verselbständigt und zu einer eigenständigen verfassungsrechtlichen
(gelegentlich vielleicht schon zu einer verfassungs- bzw. rechtspolitischen)
Argumentationsfigur entwickelt, die vom Bundesverfassungsgericht zur
umfassenden Steuerung legislativen und exekutiven Handelns verwendet wird.
Jüngster Anwendungsfall ist seine Umsetzung "als unmittelbar verfassungs-
rechtliches Verfolgungshindernis" für die Bestrafung von Geheimdienst-
agenten der ehemaligen DDR. Das Gericht dekretierte: Der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit "wird aber in jedem Fall verletzt, wenn in der mit der
Überwindung der deutschen Teilung entstandenen einzigartigen Situation der
auf die Tatbestände der §§ 94, 99 StGB gegründete Strafanspruch gegenüber

78 Vgl. K. Stern, Staatsrecht I,§ 20 m.w.N.


79 BVerfGE 19, 342 (348 f.); 23, 127 (133); 43, 101 (106); 58, 283 (290); 75, 1 (16); 76, 1 (50 f.), 256
(359); 78, 38 (56), 249 (284); 90, 145 (172 f.).
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber 23

Bürgern durchgesetzt wird, die im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Einheit


Deutschlands vom 3. Oktober 1990 ihren Lebensmittelpunkt in der ehe-
maligen DDR hatten und allein vom Boden der DDR oder solcher Staaten aus
gehandelt haben, in denen sie wegen dieser Taten sowohl vor Auslieferung als
auch Bestrafung sicher waren."80 Praktisch bedeutet dies eine rechtsschöpferi-
sche Ergänzung des Einigungsvertrages oder, wie das Sondervotum der drei
überstimmten Richter sagt, eine Amnestie bzw. für anhängige Verfahren eine
Niederschlagung, was im Einigungsvertrag ausdrücklich abgelehnt worden
ist.Sl Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird hier jedenfalls bedenklich über-
dehnt und legislativ gestaltend verwendet.
Im zweiten Abtreibungsurteil hat das Gericht als Pendant ein sog. Unter-
maßverbot herausgestellt, das Defizite bei der Umsetzung seiner Judikate
durch den Gesetzgeber, insbesondere bei grundrechtliehen Schutzpflichten,
nach unten korrigieren soll. 82 Die Wissenschaft hat zu dieser Argumentations-
figur bislang eher skeptisch reagiert. 83
bb) In Fortentwicklung des dem Rechtsstaatsprinzip und den Grund-
rechten immanenten Gesetzesvorbehalts hat das Bundesverfassungsgericht aus
dem Demokratieprinzip gemäß der sog. Wesentlichkeitstheorie einen
Parlamentsvorbehalt exegiert, der verlangt, daß bestimmte "wesentliche"
Entscheidungen, in der Regel im Grundrechtsbereich,84 neuerdings auch für
Einsätze der Bundeswehr out of area, vom Parlament grundsätzlich vorher
gebilligt werden müssen.S5 Das Gericht betrachtete die Bundeswehr ais
",Parlamentsheer'". Ein Parlamentsvorbehalt entspräche seit 1918 deutscher
Verfassungstradition. Das Grundgesetz behalte dem Parlament "nicht nur eine
grundsätzliche Steuerung von Planung und Entwicklung vor, sondern auch
konkrete Entscheidungen über deren Verwendung". Bei dem Parlaments-
vorbehalt handele es sich um "ein der Wehrverfassung zugrundeliegendes
Prinzip". Im gesamten Begründungszusammenhang des Urteils wird Art. 65a
GG, im Abschnitt über die Regierung stehend, der dem Bundesminister für
Verteidigung die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte zuord-
net, nicht erwähnt. Darin ist meines Erachtens auch die Befugnis zum Einsatz
eingeschlossen, für die freilich der Bundesminister der Verteidigung parlamen-
tarisch verantwortlich ist und kontrolliert werden kann, wie jeder Ressortchef

80 EuGRZ 1995, 203 (215 f.).


81 EuGRZ 1995, 220.
82 BVerfGE 88, 203 (254 f.); s. auch BVerfG- Kammerbeschluß, EuGRZ 1996, 120.
83 Vgl. K. Stern, Staatsrecht III/2, § 84 III 10;]. Dietlein, ZG 1995, 131 ff. jew. m.w.N.
84 BVerfGE 40, 237 (248 ff.); 47, 46 (78 ff.); 53, 30 (56 f.); 58, 257 (268 f.).
85 BVerfGE 90, 286 (381 ff.).
24 Klaus Stern

für die Tätigkeit seiner Behörde. Gewiß kann er sich vorher parlamentarische
Rückendeckung verschaffen, aber "konstitutiv" eine Zustimmung des Parla-
ments zum Einsatz zu verlangen, widerspricht der Grundkonzeption von akti-
ver Regierung und kontrollierendem Parlament. Was hier geschaffen wurde, ist
eine wehrverfassungsrechtliche Wesentlichkeitstheorie, die außen- und vertei-
digungspolitisch die Regierung bedenklich einengt.
cc) Drittens: Wesentlich kritischer ist die dritte Stufe zu sehen, die Verfas-
sungsrechtsfortbildung, die mitunter schon Verfassungsrechtserzeugung dar-
stellt, wiewohl die Übergänge fließend sind. Teilweise fungiert die Ver-
fassungsgerichtsbarkeit hier als Ersatzverfassungsänderungsgesetzgeber.
Folgende Beispiele mögen als Illustration solchen Verfassungsrichterrechts
dienen:
(1) Die Herausarbeitung der "Multifunktionalität der Grundrechte", einge-
bettet in die sog. objektivrechtlichen Gehalte - die früheren sog. Wertent-
scheidungen -, und in deren Rahmen die Lehre von den Ausstrahlungs-
wirkungen und den Schutzpflichten der Grundrechte ist mit Sicherheit als eine
große prätorisehe Leistung des Bundesverfassungsgerichts zu werten.
Dennoch geben einige Fälle aus neuerer Zeit zu Kritik Anlaß, weil sie ganz
erheblich in das Gefüge des einfachen Rechts eingegriffen haben. Dazu gehört
etwa die Mieter/Vermieter-Entscheidung,86 bei der die zentrale Kollisions-
problematik, nämlich welche Eigentumsposition Vorrang hat, nicht gelöst
wurde, die Bürgschaftsentscheidung8 7 mit ihrem Topos von "struktureller
Unterlegenheit" eines Vertragsteils und die Uminterpretierung des§ 240 StGB
im Falle sog. Sitzblockaden.SS In allen drei Fällen ist jetzt praktisch ein "ordre
constitutionell"89 für Mietrecht, Vertragsrecht und die Strafbarkeit von
Nötigung maßgeblich, den der Gesetzgeber glaubte, bereits durch seine durch-
aus abgewogenen Interessenahwägungen im Gesetz berücksichtigt zu haben.
Über das Verfassungsrecht und seine Interpretation sind bislang unzweifelhaft
in der Definitionsmacht des einfachen Gesetzgebers liegende Begriffe uminter-
pretiert worden, bei der Nötigung des§ 240 StGB über§ 79 Abs. 1 BVerfGG
sogar rückwirkend. Das Bundesverfassungsgericht wirkte hier wie ein
"0 bergesetzgeber".
(2) Auch bei der Entfaltung der Freiheit der Berichterstattung durch den
Rundfunk in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht in acht

86 BVerfGE 89, 1 ff.


87 BVerfGE 89, 214 ff.
88 BVerfGE, EuGRZ 1995, 177 ff.
89 Ausdruck von H. Wiedemann, JZ 1994, 411 (412); s. auch D. Looschelders/W Roth, JZ 1995,
1034.
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber 25

Urteilen Rundfunkrecht geschaffen,90 das sich schwerlich aus dem schmalen


Text dieser Bestimmung herleiten läßt. Weite Teile des heutigen Rundfunk-
rechts sind damit durch Verfassungsrichterrecht geschaffen und zementiert,
dem der Gesetzgeber teilweise wortgetreu gefolgt ist. In diesem Lichte ist die
bestehende "duale Rundfunkordnung" in Deutschland weniger parlaments-
denn rechtsprechungsdeterminiert. Modifikationen sind daher, vor allem,
wenn man die Bestands- und Entwicklungsgarantie des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks weit versteht, 91 nur durch eine Änderung der bundesverfassungs-
gerichtlichen Judikate oder durch europäisches Recht möglich.
(3) Kaum anderes gilt für Art. 9 Abs. 3 GG und das Arbeitskampfrecht.92
Hier ist freilich zu konzedieren, daß das Gericht tätig werden mußte, weil sich
der Gesetzgeber seiner Pflicht zur Regulierung absichtsvoll entzog. Gewiß
enthält Art. 9 Abs. 3 GG keinen ausdrücklichen Gesetzgebungsauftrag, aber
das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach geäußert, es sei ",Sache des
Gesetzgebers', die Koalitionsfreiheit näher auszugestalten".93 Allerdings hat es
die richterrechtlich durch das Bundesarbeitsgericht geschaffene Ordnung
weithin auch nicht mißbilligt. Eine gesetzliche Ordnungskonzeption dürfte
aber die Gemeinwohlbelange im Arbeitskampf besser sichern. Es wäre an der
Zeit, wenn der Gesetzgeber auf diesem Feld Flagge zeigen würde. Das Urteil
zu§ 116 Arbeitsförderungsgesetz sollte ihn ermutigen.94 Weder besteht recht-
lich eine N ormsetzungsprärogative des Richters noch der Tarifvertrags-
parteien auf diesem Feld. Es ist nur durch die Unterlassung des Gesetzgebers
dazu gekommen.
c) Verfassungsrechtsfortbildung oder-erzeugungist indessen nicht nur auf
den Grundrechtsbereich bezogen. Die vorläufig letzte Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts zur Parteienfinanzierung hat absolute und relative
Obergrenzen für die staatliche Finanzierung der Parteien festgelegt. Das
Gericht hat dies recht kühn aus dem Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien
und dem Vorrang der Selbstfinanzierung der Parteien abgeleitet.95 Der
Gesetzgeber ist dem Gericht in der Neufassung des Parteiengesetzes vom
31.1.1994 im großen und ganzen gefolgt(§ 18 PartG). Wenn das Gericht auf

90 Vgl. BVerfGE 12,205 ff.; 31,314 ff.; 57,295 ff.; 73, 118 ff.; 74,297 ff.; 83,238 ff.; 87, 181 ff.; 90,
60 ff.
91 Dazu K. Stern, Staatsrecht III/1, § 68 V 3 b.
92 Vgl. BVerfGE 84, 212, wo die Entwicklung des Arbeitskampfrechts durch das Bundesver-
fassungsgericht nachgezeichnet ist; H. Seiter, AöR 109 (1984), S. 88 ff.; R. Scholz, HStR VI,
1989, § 151 Rdnrn. 107 ff.
93 Zuletzt BVerfGE 84, 212 (226).
94 V gl. BVerfG, Der Betrieb 1995, 1464 = JZ 1995, 1169 m. Anm. v. M. Lieb.
95 BVerfGE 85, 264 (289 ff.).
26 Klaus Stern

diesem Gebiet angesichts des Schweigens des Art. 21 GG zur staatlichen


Parteienfinanzierung in beachtlichem Maße Verfassungsrichterrecht geschaf-
fen hat, so scheint mir dies deshalb billigenswert, weil auf diese Weise das
Odium, die Parteien entschieden "in eigener Sache", zumindest gemildert
wird. Allerdings hätte der Gesetzgeber gut daran getan, Vorschläge der
Parteienfinanzierungskommission des Bundespräsidenten zur stärkeren
Transparenz und Kontrolle aufzugreifen. 96
d) Schon diese wenigen Fälle - so läßt sich resumieren - zeigen die unge-
heure Auswirkung der Verfassungsentfaltung durch das Bundesverfassungs-
gericht auf den Gesetzgeber. Sie hängt unvermeidlich mit der enormen
Bedeutung, die die Verfassung für die Rechts- und Gesellschaftsordnung in der
Bundesrepublik Deutschland wie kaum in einem anderen Land der Welt
gewonnen hat, zusammen.97 ]. Isensee hat dies jüngst tendenziell dahin
charakterisiert, daß "die Verfassung als umgreifendes, ganzheitliches System
(gedeutet wird), das autark ist gegenüber dem einfachen Gesetzesrecht, aber
auch gegenüber der öffentlichen Moral und der Konvention". 98 Politische
Forderungen oder Abwehrhaltungen dünken sich heute stärker, wenn sie
irgendwie verfassungsrechtlich abgestützt werden können. Verfassungs-
rechtliche Hearings in Parlamentsausschüssen gehören zum Rollenspiel im
Gesetzgebungsprozeß. Das Gesetz ist oft genug nicht mehr Ausdruck eines
politischen Handlungswillens, sondern wird als notwendiger oder doch nütz-
licher Verfassungsvollzug dargeboten. Allerdings darf diese Entwicklung nicht
nur einer ausgreifenden Verfassungsrechtsprechung zugeschrieben werden,
sondern auch einer Politik, die glücklich ist, sich von eigener Verantwortung
freimachen und sich hinter einem Verfassungsgerichtsurteil verstecken zu kön-
nen. Verfassungsrechder befällt über diese Aufwertung ihres Metiers nur
bedingt ein GlücksgefühL Sie sehen die Gefahren des langsamen Transfor-
mationsprozesses in den Richterstaat sehr genau.

2. Verfassungsgerichtliche Gesetzesrechtsbildung

Will man die zweite Ebene, die Gesetzesebene, betrachten, so lassen sich fol-
gende Stufen herausarbeiten: Gesetzesvernichtung in Form der Nichtig-

96 Bundespräsidialamt (Hrsg.), Empfehlungen der Kommission unabhängiger Sachverständiger


zur Parteienfinanzierung, 1994.
97 Näher K. Stern, Staatsrecht II, § 44 II 2; K. Eichenberger, Sinn und Bedeutung einer Verfassung,
Referate zum 125. Schweizer Juristentag, 1991.
98 ]. Isensee, in: Verfassungen als Fundament und Instrument der Politik, Veröffentlichungen der
Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft, Bd. 13, 1995, S. 25 (31 ).
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber 27

erklärung oder Verfassungswidrigkeitsfeststellung, Gesetzeskorrektur in


Form verfassungskonformer Auslegung, Gesetzeserzeugung oder bloße
Gesetzesfortbildung und schließlich Appelle an den Gesetzgeber mit mehr
oder weniger stringenten Vorgaben der Verfassungsgerichte.
a) Erstens: Die Nichtigerklärung oder die Feststellung der Verfassungs-
widrigkeit von Gesetzen gehört zu den klassischen Aufgaben der Verfassungs-
gerichte. Diese Aufgabe ist durch den Vorrang der Verfassung legitimiert und
heute unbestritten. Insgesamt sind es bis heute knapp 400 Fälle, in denen das
Bundesverfassungsgericht Gesetze für verfassungswidrig erklärt hat. Das hört
sich stattlich an, ist aber verglichen mit der Gesetzesproduktion nur relativ
viel.
Lassen Sie mich an dieser Stelle als Exkurs exemplarisch eine verfassungs-
rechtlich fehlerhafte und die Folgewirkungen wenig bedenkende überaus
"apodiktische"99 Normenüberprüfungsentscheidung jüngeren Datums, den
Beschluß des Ersten Senats vom 16. Mai 1995 zur Nichtigerklärung von § 13
Abs. 1 Satz 3 der Bayerischen Schulordnung über die Anbringung eines
Kreuzes in Klassenzimmern von Volksschulen, etwas näher behandeln.lOO
Dieser sog. Kruzifix-Beschluß hat Reaktionen in der breiten Öffentlichkeit
ausgelöst, wie kaum je eine Entscheidung des Gerichts.lOl Politiker, Kirchen-
vertreter, Publizisten und Bürger, in Leserbriefspalten aller Zeitungen und in
Demonstrationen, haben sich mit großer Verve geäußert. Der Vorsitzende des
Ersten Senats sah sich zu Klarstellungen, Interpretationen, Präzisierungen,
Konkretisierungen, Korrekturen des Leitsatzes 1 des Beschlusses in den
Medien veranlaßt sowie am 22.8.1995 zu einer Presseverlautbarung, die diesen
Leitsatz "sprachlich dahin präzisiert, daß die staatlich angeordnete An-
bringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen einer staat-

99 Vgl. E. Benda, ZRP 1995,427 ff.; M. Hecke!, DVBI. 1996,453 (460).


1oo BVerfGE, EuGRZ 1995, 359 ff.
101 Das Urteil hat in der Fachwissenschaft eine Flut von Kommentaren ausgelöst; erwähnt seien-
ohne Anspruch auf Vollständigkeit -: P. Badura, BayVBI. 1996, 33 ff., 71 ff.; G. Czermak,
NJW 1995, 3348 ff.; St. Detterbeck, NJW 1996, 426 ff.; W. Eber!, BayVBI. 1996, 107 ff.;
H. Goerlich, NVwZ 1995, 1184 ff.; 0. Höffe, JZ 1996,83 ff.;]. Isensee, ZRP 1996, 10 ff.;
M. ]estaedt, (Östr.) Journal für Rechtspolitik 3 (1995), S. 237 ff.; P. Lerche, Sonderheft Kirche
und Gesellschaft, 1995, S. 16 ff.; Chr. Linck, NJW 1995,3353 ff.;j. Müller-Vollbehr, JZ 1995,
996 ff.; D. Pirson, BayVBI. 1995, 755 ff.; K. Redeker, NJW 1995, 3369 f.; L. Renck, ZRP 1996,
16 ff.;]. Rozek, BayVBI. 1996, 22 ff. Zuletzt M. Hecke!, DVBI. 1996, 453 ff. und A. Frhr. von
Campenhausen, AöR 121 (1996), S. 448 ff. m.w.Nachw. FN 1. Das Urteil erregt auch
Aufmerksamkeit über die Grenzen Deutschlands hinaus: vgl. für Frankreich A. Gromitsaris,
AöR 121 (1996), S. 359 ff.; für SpanienS. Gonzales- Varas Ibaiiez, Revista Espafiola de Derecho
Constitucional47 (1996), S. 347 ff.
28 Klaus Stern

liehen Pflichtschule ... gegen Art. 4 Abs. 1 GG verstößt"_l02 Nur- und allein
dies ist rechtlich relevant - eine Berichtigung der nach § 31 BVerfGG in
Bindungskraft erwachsenden Beschlußgründe durch Senatsbeschluß ist nicht
erfolgt. Sie enthalten den Leitsatz 1 in seiner ursprünglichen Fassung und
lauten wörtlich: "Seine [scil. des Kreuzes] Anbringung in der staatlichen
Pflichtschule ist daher mit Art. 4 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit es sich nicht
um christliche Bekenntnisschulen handelt".
An dieser Stelle muß die prozeßrechtlich bisher nicht einmal angesprochene
Frage offen bleiben, ob die in allen Prozeßordnungen vorgesehene Berich-
tigung eines Urteils (vgl. §§ 319 ZPO, 118 VwGO, 107 FGO, 138 SGG) auch
bei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts überhaupt zulässig wäre
und ob hier wirklich ein Fall einer Unrichtigkeit derart vorliegt, daß das
Gericht etwas anderes ausgesagt hat, als es wirklich gewollt hat_l03 Ein
Berichtigungsverfahren müßte ausscheiden, Fehler der Entscheidung selbst zu
korrigieren. Hier liegt aber eine solche fehlerhafte Anwendung der einschlägi-
gen Verfassungsrechtsvorschriften und Verfassungsrechtsgrundsätze vor. In
den Gründen heißt es neben dem bereits zitierten Satz über den Verstoß gegen
Art. 4 Abs. 1 GG: "Die Anbringung ... überschreitet die ... Grenze religiös-
weltanschaulicher Ausrichtung der Schule" und, um gleichsam nochmals zu
verdeutlichen, "Die Anbringung ... rechtfertigt sich auch nicht aus der positi-
ven Glaubensfreiheit der Eltern und Schüler christlichen Glaubens" _104
Nur nebenbei sei angemerkt, daß nach dem prozessualen Stand des Falles
die Entscheidung keineswegs notwendig war, ehe der Bayerische Verwaltungs-
gerichtshof in der Hauptsache entschieden hatte. Die sonst so stringent
gehandhabte Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde wich hier emem
Zugriffswillen, über den man- milde gesagt- überrascht sein mußte.
Materiell-rechtlich sehe ich folgende Fehler:
Erstens: Der Senat hat die Kollision von positiver und negativer Religions-
freiheit in Art. 4 GG zwar gesehen, aber einseitig zu Gunsten der negativen
Religionsfreiheit gelöst. Wohl spricht er von der Notwendigkeit "praktischer
Konkordanz", möglichst "schonendem Ausgleich" zwischen betroffenen

102 Presseverlautbarung Nr. 35/95. Ob darüber eine Abstimmung im Senat stattgefunden hat, ist
nicht erkennbar. Nach§ 17 Abs. 2 GO-BVerfG war sie wohl nicht zwingend, aber m. E. ange-
raten.
103 Vgl. BFH 120, 145 (146 f.) für § 107 FGO; BayVGH, BayVGHE 1, 82 für die VwGO;
K. Redeker/].-H. von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 11. Auf!. 1994, § 118 Rdnr. 2;
W. Flume, NJW 1995, 2904 f. In BVerfGE 72, 84 hatte das Bundesverfassungsgericht über
einen Antrag auf Abänderung eines Urteils zu entscheiden. Es hält einen solchen Auftrag
offenbar für zulässig.
104 BVerfG, EuGRZ 1995, 359 (365).
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber 29

Verfassungsrechtsgütern und -positionen, die nicht einseitig zu Gunsten des


einen Rechtsgutes abgewogen werden dürfen,lOS tut es aber trotzdem, indem
er einseitig auf Minderheitenpositionen abstellt, denen das Kreuz nicht zuzu-
muten sei. Toleranz der Minderheit gegenüber der Mehrheit hat entgegen
seinen Ausführungen in früheren Entscheidungen,106 insbesondere im 67.
Band, wo S. 37 gesagt wird, daß der einzelne "nicht verlangen (kann), daß seine
Überzeugung zum Maßstab der Gültigkeit genereller Rechtsnormen oder
ihrer Anwendung gemacht wird", was nicht zitiert wird, für das Gericht
keinen Verfassungsrang, da sich der Andersdenkende dem Kreuz "nicht ent-
ziehen kann", wobei unterstellt wird, daß das bloße Anbringen bereits "mis-
sionarisch" "im religiös-weltanschaulichen Bereich"107 oder zwanghaft,
"appellativ" wirke108, An einer Stelle, wenn auch in Anführungszeichen, heißt
es sogar "unter dem Kreuz lernen" zu müssen,l09 Zu Recht betont das
Sondervotum im Einklang mit den angefochtenen Instanzen des Verwaltungs-
gerichts Regensburg und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, daß die
"psychische Beeinträchtigung und mentale Belastung, die nichtchristliche
Schüler durch die zwangsläufige Wahrnehmung des Kreuzes im Unterricht zu
erdulden haben, nur ein verhältnismäßig geringes Gewicht (hat)" ,110
Der Erste Senat hat die in der Wissenschaft vielfach geäußerten Überlegun-
gen zur Lösung von Grundrechtskollisionen mit keinem Wort herange-
zogen.lll In Band III/2 meines Staatsrechts habe ich ausführlich für
Kollisionsfälle Wege eines angemessenen oder verhältnismäßigen Ausgleichs
der kollidierenden Grundrechtsgüter entwickelt (§ 82), die geeignet gewesen
wären, sowohl der positiven als auch der negativen Religionsfreiheit gerecht zu
werden, indem man beispielsweise Form und Ort der Anbringung des Kreuzes
oder den Willen der Eltern in ihrer Mehrheit in die Vorschrift des § 13
Volksschulordnung hineininterpretiert und damit einen Weg verfassungskon-
former Auslegung beschritten hätte, den das Gericht übrigens selbst 1975 für

1os BVerfG, EuGRZ 1995,359 (365). Wie im Text auch M. Heckel, DVBI. 1996,453 (476 ff.). Die
schwierige Problematik der Abwägung betont jetzt auch F. Ossenbühl, DVBI. 1995, 873 ff.
106 Vgl. BVerfGE 52, 223 (251), wo dem Toleranzgebot sogar "besondere Bedeutung" zugemes-
sen wird.
107 BVerfG, EuGRZ 1995, 359 (365).
1os BVerfG, EuGRZ 1995, 359 (364).
109 BVerfG, EuGRZ 1995, 359 (364).
11o EuGRZ 1995, 366 (368).
111 Vgl. zuletzt K. Stern, Staatsrecht 11112, § 82 m.w.N. Zum Spannungsverhältnis von positiver
zu negativer Religionsfreiheit beim Anbringen von Kruzifixen A. Frh. von Campenhausen, in:
v. Mangoldt-Klein-v. Campenhausen, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 14, 3. Auf!. 1991, Art. 136
WRV Rdnr. 48.
30 Klaus Stern

die bayerische "gememsame Schule" nach Art. 135 BayVerf eingeschlagen


hatte.ll2 Der Senat hat es auch unterlassen, die Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts Münster vom 15.9.1993, die aufgrund Art. 12 Abs. 6
NWVerf, der im wesentlichen mit Art. 135 BayVerf übereinstimmt, nämlich
im Erziehungsziel des christlichen Bekenntnisses, heranzuziehen. Das
Oberverwaltungsgericht kam 1112 Jahre früher zur verfassungsrechtlichen
Zulässigkeit des Anbringens des Kreuzes in Grundschulen mit der zutreffen-
den Argumentation: "Eine Lösung [der kollidierenden Grundrechts-
positionen] läßt sich nur unter Würdigung der kollidierenden Interessen durch
Ausgleich und Zuordnung der verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte und
unter Berücksichtigung des grundgesetzliehen Gebots der Toleranz sowie
unter Wahrung der Selbständigkeit der Länder in der Organisation des
Schulwesens finden. Dabei können Schultraditionen, die konfessionelle
Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre mehr oder weniger starke
religiöse Verwurzdung Berücksichtigung finden ... " "Einem Nichtchristen
wird [durch die Ausstattung von Klassenräumen mit Kreuzen] nicht eine
Identifikation mit den durch das Kreuz versinnbildlichten Glaubensinhalten
und Werthaltungen aufgezwungen"113 - übrigens in Einklang mit dem
Beschluß des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.1975
(BVerfGE 41,29 ff.), der zwar vielfach zitiert wird, von dessen substantiellem
Inhalt die neue Entscheidung jedoch abweicht, soweit dort dem Landesgesetz-
geber ein maßgebliches Gewicht in der Ausgestaltung des Schulwesens ein-
geräumt wird.114
Zweitens: Damit sind wir beim zweiten Fehler des Urteils, nämlich der
ungenügenden Berücksichtigung der bundesstaatliehen Komponente als
Abwägungstopos im Rahmen des Art. 4 GG. Sie hat der Erste Senat 1975 im
Beschluß zur baden-württembergischen Simultanschule mit christlichem
Charakter noch sehr hoch bewertet und es dem demokratischen Landesgesetz-
geber überlassen, "das im Schulwesen unvermeidliche Spannungsverhältnis
zwischen ,negativer' und ,positiver' Religionsfreiheit" zu lösen.llS Das
Sondervotum der drei überstimmten Richter hat diesen Punkt in den Vorder-
grund gestellt und betont, daß Schulrechtsangelegenheiten in die Kompetenz
des Landesgesetzgebers fallen und deshalb die "Gegebenheiten des Freistaates
Bayern" sowohl in landesverfassungsrechtlicher Sicht als auch in tatsächlicher

112 BVerfGE 41, 65.


113 OVG Münster, NVwZ 1994, 597.
114 V gl. bes. S. 50 ff.
115 BVerfGE 41, 29 Leitsatz 3, BegründungS. 50.
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber 31

Hinsicht einbezogen werden müssen116. Mehrfach sind im Beschluß frühere


Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zitiert, merkwürdigerweise
nicht die im 45. Band, wo nochmals ausdrücklich "die Gestaltungsfreiheit der
Länder im Schulwesen" betont wird, 117 die auch in der Entstehungsgeschichte
des Art. 7 GG deutlich hervorgehoben wurde,118 Außerdem wäre es ange-
bracht gewesen, sich mit der vom Gericht an anderer Stelle anerkannten 119
landesverfassungsfreundlichen Auslegung des Bundesrechts,120 die durch Art.
28 Abs. 1, Art. 142 GG indiziert ist, auseinanderzusetzen. Sie hätte, ebenso wie
für. den Gleichheitssatz des Art. 3 GG unbestritten das föderalistische Prinzip
Grenzen setzt,121 auch im Rahmen des Art. 4 GG die Unitarisierung der
Grundrechte nicht auf die Spitze treiben müssen.
Drittens: Der Beschluß hat zur Begründung der Nichtigkeit des § 13 Abs. 1
Satz 3 BayVSO auch Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137
Abs. 1 WRV, also das geltende Staatskirchenrecht, vor allem den "Grundsatz
staatlicher Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Religionen und
Bekenntnissen" herangezogen, der "die Einführung staatskirchlicher Rechts-
formen verwehrt" und "die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso
wie die Ausgrenzung Andersgläubiger" "untersagt" ,122 Dabei wird auf frühere
Entscheidungen verwiesen, in denen sich allerdings die Formulierung von der
"Ausgrenzung Andersgläubiger" nicht findet. Zwar ist es richtig, daß religiöse
Neutralität des Staates nach h. M. das Staat-Kirche-Verhältnis von Verfassungs
wegen seit der Weimarer Reichsverfassung beherrscht,l23 Aber das bedeutet
nicht, daß der religiös-weltanschauliche Bereich "aus der staatlichen Existenz
ausgeklammert" ist124 und in einen Laizismus mutiert, der alle religiösen
Elemente aus dem öffentlichen Leben verbannt und zur offiziellen Etablierung

116 EuGRZ 1995, 366 ff.


117 BVerfGE 45,400 (415); ebenso BVerfGE 41,29 (44). Hierzu besonders auch M. Hecke!, DVBI.
1996, 453 (458 ff.).
11 8 Vgl. die Materialien des Parlamentarischen Rates, JöR 1 (1951), S. 101 ff.
119 Vgl. BVerfGE 36, 342 (366).
120 Vgl. K. Stern, Staatsrecht III/2, S. 1467.
121 Vgl. M. Sachs, in: K. Stern, Staatsrecht III/2, S. 580.
122 BVerfG, EuGRZ 1995,359 (363).
123 Vgl. Maunz-Dürig, Grundgesetz, Art. 140 Rdnr. 42; K. Obermayer, Banner Kommentar, Art.
140 (Zweitbearb.) Rdnrn. 76 ff. Welche Probleme allerdings damit verbunden sind, wird nicht
annähernd erkannt; vgl. zuletzt die Kommentierung von A. Frh. von Campenhausen, in: von
Mangoldt-Klein-v. Campenhausen, Das Banner Grundgesetz, Bd. 14, 3. Auf!. 1991, Art. 140
Rdnrn. 16 ff., sowie M. Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten im Verhältnis von
Staat und Kirche unter dem Grundgesetz, 1993.
124 So aber H erbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Auf!. 1966, S. 179; wie hier dagegen
K. Obermeyer, aaO, Rdnr. 79; eingehend M. Hecke!, DVBI. 1996,453 (471 ff.).
32 Klaus Stern

einer säkularen Weltanschauung führt. Das verbietet schon die Bezugnahme


auf die Verantwortung vor Gott in der Präambel des Grundgesetzes, die das
Gericht nicht erwähnt, wohl weil es sich schwierigster, bislang kaum ange-
sprochener Auslegungsprobleme dabei hätte unterziehen müssen, 125 die der
Vorsitzende des Ersten Senats in Interviews mit dem apodiktischen Satz
glaubte, abtun zu können, daß die invocatio Dei nicht den christlichen Gott
meine, was den evangelischen Bischof von Berlin sofort veranlaßte, auch mos-
lemische Symbole in den Klassenzimmern zu fordern. (Andere evangelische
Theologen haben sich Gott sei Dank klüger geäußert.) Auch der bekenntnis-
neutrale Staat ist auf geistig geprägte Substanzen angewiesen, die Werte und
Traditionen vermitteln oder, wie es E. W. Böckenförde ausgedrückt hat, ganz
allgemein auf "Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann".126 Dazu
gehört in der abendländischen Kultur das Kreuz als Symbol helfender Liebe,
auch für andere als diejenigen der christlichen Gemeinschaft, wie u. a. das Rote
Kreuz verdeutlicht.127 "Das Kreuz in der christlichen Schule versinnbildlicht
beides zugleich: einerseits als ,Kultur- und Erziehungsfaktor' für alle Bürger
die Gemeinsamkeit des christlich geprägten Kulturzusammenhangs und Wert-
empfindens -und zugleich andererseits als Glaubenssymbol für die Christen
die Fülle und Tiefe ihres Glaubens, ohne die andersdenkenden Bürger durch
staatliche Zwangsmissionierungen zur Bekehrung, Bekreuzigung, Knie-
beugung zu zwingen." 128 Neutralität bedeutet gerade nicht, Religion und
Weltanschauung staatsentscheidungsfrei zu halten, andernfalls dürfte es keine
Militärseelsorge, keine Vertretung von Religionsgemeinschaften in öffentlich-
rechtlichen Rundfunkräten usw. geben. Das sog. "Trennungsprinzip" zwi-
schen Staat und Kirche ist weder radikal noch total gedacht; es ist vielmehr auf
wechselseitigen Ausgleich, Verbindung und Kooperation angelegt.129 Wenn
das Gericht argumentiert, daß der Staat "den religiösen Frieden in einer
Gesellschaft nicht von sich aus gefährden (darf)"130- durchaus zu Recht-, so
muß es sich fragen lassen, ob seine Entscheidung in Bayern, wo eine übergroße

12 5 Zur invocatio Dei etwa P. Häberle, in: Festschrift W. Zeidler, 1987, Bd. 1, S. 3 ff.; B. Wiegand,
JöR 43 (1995), S. 31 ff.; St. Heitmann, in: Festschrift W. Remmers, 1995, S. 127ff.
126 In: Staat, Gesellschaft, Freiheit, Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, 1976,
s. 60.
127 Dazu eingehend M. H eckel, DVBI. 1996, 453 ff. (passim). Zu Recht hat]. Müller- Vollbehr das
Kreuz als "sinnvariierendes Symbol" gekennzeichnet QZ 1995, 996 (997).
128 M. Hecke!, DVBI. 1996, 453 (473 f.).
129 Vgl. A. Hollerbach, VVDStRL Heft 26 (1968), S. 57 (62); ders., HStR VI,§ 138 Rdnr. 11 ff.;
A. Frh. von Campenhausen, in: von Mangoldt-Klein, Komm. z. GG, 3. Auf!. 1991, Art. 140
Rdnrn. 3 ff.
130 BVerfG, EuGRZ 1995, 359 (363).
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber 33

Mehrheit diesem Symbol verbunden ist, nicht gerade diese Konsequenz aus-
gelöst hat. Mit anderen Worten: Es hat die eherne Regel verfassungsgericht-
lichen Judizierens, nämlich auch die Folgewirkungen einer Entscheidung zu
beachten, verkannt.
Nach diesem Exkurs zurück zum Hauptgedankengang:
b) Neben der Verfassungswidrigerklärung von Gesetzen ist zweitens als
Möglichkeit, Konflikte gegenüber dem Gesetzgeber zu verkleinern, die ver-
fassungskonforme Auslegung von Gesetzen, im Grundsatz ebenfalls etabliert,
zu Recht als gesetzesschonendes Prinzip gekennzeichnet. Im Einzelfall läßt
sich freilich darüber streiten, ob nicht allzu viel Konformitätsakrobatik getrie-
ben wird. Das muß hier auf sich beruhen.
c) Drittens: Als eigentlich problematische Stufe im Verhältnis zum Gesetz-
geber erweist sich die Gesetzeserzeugung oder Gesetzesfortbildung der Ver-
fassungsgerichte; denn auf dieser Stufe tritt verfassungsgerichtliche Rechts-
bildung teils konkurrierend, teils ersetzend zur parlamentarischen Recht-
setzung auf. Damit werden elementare Grundsätze der Gewaltenteilung und
der parlamentarischen Demokratie berührt. Allerdings darf man den Vorwurf
eines Übergriffs oder - wie manche meinen - einer "Usurpation"l3 1 nicht
allein den Verfassungsgerichten zuschieben. Bisweilen wird ihnen geradezu die
Entscheidung aufgedrängt, weil der Gesetzgeber nicht willens oder nicht fähig
ist, die notwendige Regulierung zu treffen, wie etwa im Arbeitskampfrecht.
aa) Man mag das Arbeitsrecht als großen Ausnahmebereich ansehen und im
wesentlichen darauf verweisen, daß es nicht in erster Linie um Rechts-
schöpfung in ganzen Rechtsbereichen, sondern meist um fallbezogene Rechts-
fortbildung geht, und diese ohnehin seit eh und je Aufgabe der Gerichte ist.132
Das Bundesverfassungsgericht selbst hat zu dieser Rechtsfortbildung mehr-
fach Zustimmung signalisiert.133 Bei dieser auf den Begriff "Recht" in Art. 20
Abs. 3 GG gestützten Deutung ist aber auch zu berücksichtigen, daß es einem
Gemeinwesen, in dem die Erstellung der grundlegenden Regeln des Zusam-
menlebens nach seiner Verfassung den vom Volke gewählten Parlamenten
zukommt, auf die Dauer nicht zuträglich ist, wenn Richter auf Teilbereichen
die eigentlichen Gesetzgeber sind.
bb) Weitere Beispiele eigener Normierung liegen im Abtreibungsrecht,134
im schon erwähnten Parteienfinanzierungsrecht und in größerem Stile im

131 So der ehemalige Bundesverfassungsrichter K. Zweigert, in: Festgabe BVerfG Bd. I, 1976, S. 63
(74).
132 Zur richterlichen Rechtsfortbildung zuletzt Chr. Hillgruber, JZ 1996, 118 ff.
133 Vgl. BVerfGE 3, 225 (243 f.); 13, 153 (164); 34, 269 (288); 82, 6 (12).
134 BVerfGE 39, 1 ff.; 88, 203 ff.; H. Trimdle, NJW 1995, 3006 (3011); P. Lerche, in: Festschrift
W. Gitter, 1995, S. 509 ff.
34 Klaus Stern

Steuer-135 und Sozialversicherungsrecht136. Einzelheiten müssen hier ausge-


spart werden.
d) Viertens: Dieser unmittelbaren Rechtsbildung der Verfassungsgerichte
eng verwandt ist die vierte Stufe im verfassungsgerichtlichen Rechtsbildungs-
prozeß. Bei ihr handelt es sich um eine mittelbare Form verfassungsgericht-
licher Rechtsbildung, die dann entsteht, wenn Verfassungsgerichte dem
Gesetzgeber mehr oder weniger dezidierte Vorgaben für seine Rechts-
erzeugung geben. Vorzugsweise geschieht dies in den sog. Appellent-
scheidungen nach der Verfassungswidrigerklärung einer Norm oder eines
Normengefüges. Gesetzgeberische Tätigkeit aufgrund verfassungsgericht-
licher Entscheidungen tritt aber auch auf, wenn die Verfassungsgerichte ver-
fassungsrechtliche Auftrags-, Ziel- oder Grundsatznormen entfalten, die der
legislativen Konkretisierung bedürfen. Das gleiche gilt für die Entfaltung
objektiv-rechtlicher Grundrechtsgehalte, insbesondere der Schutzpflichten-
funktion der Grundrechte. Schließlich können auch obiter dicta in der ver-
fassungsgerichtlichen Rechtsprechung die Parlamente gesetzgeberisch deter-
mimeren.
Zwar wird in allen diesen Fällen der Gesetzgeber formell eigenständig rechts-
erzeugend tätig, aber er ist weitgehend inhaltlich in seiner Rechtsschöpfung
gebunden. Die Verfassungsgerichte beeinflussen die Rechtsbildung so stark,
daß der Unterschied zur dritten Stufe, was die materielle Seite betrifft, nicht
groß ist. Dem Inhalt nach bestimmt die Verfassungsgerichtsbarkeit die Rechts-
bildung. Der Gesetzgeber ist je nach der Stringenz der verfassungsgericht-
lichen Vorgaben in seinem Gestaltungsspielraum begrenzt. Betrachtet man die
von mir ausgewählten Beispielfälle, so läßt sich die Zuordnung zur Stufe drei
oder vier nicht leicht vornehmen. Folgende Fälle seien ausgewählt:
aa) Das "Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes vom 21.
August 1995" (BGBL I S. 1050) "hangelt sich", wie F. K. Fromme schreibt,137
"an den ein wenig kreuz und quer verlaufenden Markierungen des Ver-
fassungsgerichtsurteils vom 28. Mai 1993 entlang." Das gilt insbesondere für
die Beratungsregelung des § 219 StGB in Verbindung mit dem Schwanger-
schaftskonfliktgesetz, wobei freilich hier offen bleiben muß, ob den sehr
detaillierten Anforderungen des Gerichts unter D IV seines Urteils für ein

135 BVerfGE 84, 239 ff.; 87, 153 ff.; BVerfG, NJW 1995, 2615 ff., 2624 ff.; dazu zuletzt S. Flick/
S. Schauhoff, ZRP 1996, 101 ff.; H.- W. Arndt über Konsequenzen für den Gesetzgeber, BB
Beilage 7, S. 1 ff.
136 BVerfGE 87, 1 ff.; 92, 74 ff.
137 FAZ vom 15.7.1993.
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber 35

"Beratungskonzept" entsprochen worden ist, das in jeder Hinsicht "wirksam


und ausreichend" ist, "um eine Frau, die den Schwangerschaftsabbruch
erwägt, für das Austragen des Kindes gewinnen zu können"_l38 Gleiches gilt
für die Einkommensgrenze von 1700,- DM für Kostenerstattung durch die
Krankenkassen, die über dem Sozialhilfesatz liegen, wiewohl das Bundes-
verfassungsgericht- freilich ohne eine Summe zu nennen- "auf die Grund-
sätze des Sozialhilferechts" verwiesen hat.139
bb) In diese Reihe gesetzgeberischer Vor- oder Nachzeichnung gehören
auch die bereits erwähnten Fälle der Parteienfinanzierung, des Rundfunk-
rechts und der Neugestaltung der Vermögenssteuer. In allen Fällen fällt es
schwer, Verfassungsrechtsfortbildung und Schaffung von einfachem Gesetzes-
recht zu unterscheiden. Allzu oft erweist sich, daß unser Gesetzesrecht, wo
immer auch nur verfassungsrechtliche Implikationen aufleuchten, mehr denn
je konkretisiertes Verfassungsrecht geworden ist. Dies nahm man früher vor
allem für das Verwaltungsrecht an;140 es gilt mittlerweile für große Teile des
Bürgerlichen Rechts und des Strafrechts. Diese Erkenntnis ist nicht folgenfrei
für unsere staatliche Gesamtordnung, namentlich für den Selbstand des
Gesetzesrechts_141

IV. Schlußfolgerungen

Welche Schlußfolgerungen erlaubt der Befund? Unzweifelhaft führt vor


allem die Rechtsbildung auf den gerade dargelegten Stufen drei und vier zu
Spannungen, zuweilen auch zu Konflikten zwischen den nach der Gewalten-
und Funktionenordnung der Verfassung zur generellen Rechtserzeugung
berufenen Parlamenten und den Verfassungsgerichten. Auch wenn das
Bundesverfassungsgericht immer wieder betont hat, gegenüber dem Gesetz-
geber dessen Verantwortungsbereich zu respektieren, so bedient es sich aus
den "Honigtöpfen der Verfassung" reichlich,142 mitunter zu reichlich, so daß

138 BVerfGE 88, 203 (270 ff.); dazu]. Burmeister, Das Beratungskonzept - Die Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts und ihre Umsetzung durch den Gesetzgeber, in: Schriftenreihe der
Juristen-Vereinigung Lebensrecht e. V. Nr. 12/1995, S. 55 ff.
139 BVerfGE 88, 203 (317, 321 f.).
140 Vgl. F. Werner, Recht und Gericht in unserer Zeit, 1971, S. 212 ff.
141 Vgl. R. Wahl, NVwZ 1984, 401 ff.; E. W. Böckenförde, BVerfGE 93, 121 (150 ff.)- Sonder-
votum-.
142 So F. Ossenbühl in bezug auf die Rechtsprechung in Art. 5 GG, JZ 1995, 638; ähnlich früher
K. Zeidler, Der Staat 1 (1962), S. 326; "... die Gerichte haben den ihnen zugeschobenen vollen
Becher der Verantwortung bis zur Neige geleert. Manchmal haben sie sich auch unaufge-
fordert nachgeschenkt".
36 Klaus Stern

sich Bedenken nicht unterdrücken lassen, ob diese Grundsatzposition stets


durchgehalten wurde. Auch wenn es sicher zu weit geht, schon von einer
"Entparlamentarisierung" der Gesetzgebung zu sprechen, die Bundestag und
Bundesrat in die Rolle des "Verordnungsgebers" zur Umsetzung des vom
Bundesverfassungsgericht gesetzten Rechts gedrängt hätten,t43 läßt sich die
Besorgnis zu zunehmender "Nebenordnung und Annäherung von parlamen-
tarischer und verfassungsgerichtlicher Rechtsbildung"144 nicht von der Hand
weisen. Dahinter steht eine dem angelsächsischen Rechtskreis vertraute
"Tendenz, Gesetzesrecht und Richterrecht zunehmend als sich wechselseitig
ergänzende, arbeitsteilige Modalitäten im Rechtsfindungsprozeß zu sehen"_l45
Der Verfassungsordnung des Grundgesetzes entspricht diese schleichende
Veränderung im Rechtserzeugungssystem zwischen Erster und Dritter Gewalt
nach dem Gewaltenteilungsprinzip nicht. Aber dieses Prinzip ist so dehnbar
angelegt, daß ausdrückliche Abhilfe aus seiner Interpretation nicht zu erwar-
ten ist. Auch Verfassungsänderungen, die zu Lasten der verfassungsgericht-
lichen Kontrollbefugnisse gegenüber dem Gesetzgeber immer wieder einmal
erwogen werden, bringen nichts, wie die Diskussionen in der Enquete-
Kommission Verfassungsreform gezeigt haben.146 Richtigerweise ist die nach
der Wiedervereinigung eingesetzte Gemeinsame Verfassungskommission auf
solche Überlegungen gar nicht mehr eingegangen. Helfen kann nur der Appell
an beide Verfassungsorgane, Parlamente und Verfassungsgerichte, sich immer
ihrer Befugnisse und deren Grenzen wechselseitig bewußt zu sein. Ver-
fassungsgerichte dürfen sich nicht als Superlegislatoren aufführen, und Parla-
mente müssen ihrer legitimen Aufgabe als vom Volk unmittelbar gewählte
oberste Staatsorgane zur generellen Regelung der Gemeinwohlbelange gerecht
werden; beiden ist das Verfassungsrecht oberste Richtschnur. Dies ist das
Fundament des Verfassungsstaates. Weder der verfassungsgerichtliche Juris-
diktionsstaat noch überhaupt der Richterstaat sind verfassungsstaatliches
Ideal. Die Segnungen der Verfassungsgerichtsbarkeit, die für unseren Staat ins-
gesamt überwiegen, dürfen nicht blind machen für das Auftauchen von
Gefahren, die in dieser Gerichtsbarkeit liegen_l47 Wenn aus richterlichem
Munde die Beachtung der Entscheidungen der Verfassungsgerichte als Teil der

143 B. Großfeld, NJW 1995, 1719 (1720); s. auch M. Brenner, AöR 120 (1995), S. 248 (253).
14 4 E.- W. Böckenförde, aaO, S. 24 im Anschluß an U. Scheuner, DÖV 1980, 473 (476).
145 K. Schlaich, Das Bundesverfassungsgericht, 3. Auf!. 1994, Rdnr. 485.
146 Schlußbericht, Kapitel 16 - Fragestellungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Zur Sache
2/77, s. 266 f.
147 Vgl. auch das Resümee von K. Hesse, JZ 1995, 265 (267, 273). Zur gleichen Einschätzung
kommt auch H.-]. Vogel, NJW 1996, 1505 (1511).
Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber 37

rechtsstaatliehen Grundbedingungen unseres Staates eingefordert wird -


durchaus zu Recht-, so muß indessen an das Bundesverfassungsgericht appel-
liert werden, eben diesen Grundkonsens, der unsere Verfassung trägt, auch in
seiner Rechtsprechung zu beherzigen und sich nicht von ihm wegzubewegen.
Es ist sehr gefährlich, wenn in weiten Teilen der Bevölkerung die Menschen in
ihrem positiven Verhältnis zum Recht und zur höchsten dieses Recht inter-
pretierenden Instanz irre werden. Ist die Verfassungsgerichtsbarkeit darum
in einer Krise oder handelt es sich um eine Krise des Verfassungsbewußtseins
der Kritiker des Bundesverfassungsgerichts?, so wurde unlängst gefragt.148
Weder - noch, meine ich. Aber man sollte den Konflikt zum Anlaß nehmen,
über die Modalitäten nachzudenken, wie die Bundesverfassungsrichter in
Deutschland gefunden und gewählt werden. Das festgefügte System partei-
politischer Stellenquotierung, garniert mit wenigen "Neutralen", hat zu
Zementierungen der Auswahlkriterien geführt,149 die nicht mehr angemessen
sind. Ich erneuere meinen alten Vorschlag, den pouvoir neutre des
Staatsoberhaupts in die Richterauswahl einzubeziehen.
Das kann in der Form geschehen, daß der Bundespräsident einen Beirat aus
Mitgliedern der obersten Bundesgerichte, der Landesverfassungsgerichte, der
Rechtswissenschaftlichen Fakultäten, der Rechtsanwalts- und Notarkammern
beruft, die Dreiervorschläge unterbreiten, aus denen die Wahlorgane aus-
wählen müssen. Man kann auch dem Staatsoberhaupt gestatten, einige Richter
selbst zu berufen, wie es in anderen Ländern geschieht_lSO
Die verschiedenen Vorschläge für qualifizierte Abstimmungsmehrheiten bei
normverwerfenden Entscheidungen, die alt sind, halte ich für ungeeignet.l51
Das große Vertrauenskapital, das das Gericht in 41/z Jahrzehnten Ver-
fassungsrechtsprechung angehäuft hat, darf nicht verspielt werden. Es muß
zum Nachdenken Anlaß geben, wenn Meinungsumfragen zufolge das gute

148 So F. K. Fromme in einem Bericht zum Bundesarbeitskreis Christlich-Demokratischer


Juristen, FAZ vom 18.3.1996, S. 5.
149 Vgl. W. Billzng, Das Problem der Richterwahl zum Bundesverfassungsgericht, 1969; K. Kröger,
Richterwahl, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, 1976, S. 76 ff.; H. Frank, in:
Festschrift H. J. Faller, 1984, S. 37 ff.; W. K. Geck, HStR II, 1987, § 55.
ISO K. Stern, in: Gedächtnisschrift W. K. Geck, 1989, S. 885 ff.; Staatsrecht II, § 32 IV.; zur Richter-
wahl jüngst S. Koch, ZRP 1996, 41 ff. S. auch den Leserbrief von H.-j. Hirsch, FAZ vom
6.9.1995.
151 Vgl. z. B. H. Dtchgans, in: J. A. Frowein/H. Meyer/P. Schneider, Bundesverfassungsgericht im
dritten Jahrzehnt, 1973, S. 10 (13); ders., in: FestschriftW. Geiger, 1974, S. 945 (953 f.). Darüber
ist bereits im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages beraten worden (vgl. R. Häußler,
Der Konflikt zwischen Bundesverfassungsgericht und politischer Führung, 1994, S. 209 ff.).
Neuerdings wird der Vorschlag wieder in der politischen Diskussion aufgegriffen. Ablehnend
auch Th. von Danwitz, JZ 1996, 481 (485 ff.).
38 Klaus Stern

Ansehen des Bundesverfassungsgerichts um mehr als 10 Prozentpunkte in den


letzten eineinhalb Jahren gesunken ist.152 Aus richterlichem Munde, von E. W.
Böckenförde in seiner Rede anläßlich des Ausscheidens aus dem Bundesver-
fassungsgericht, stammt die Bemerkung: Das Bundesverfassungsgericht ist
nach dem Kruzifixbeschluß "nicht mehr das, was es bis [dahin] war".153 Die
Rechtsprechung der Verfassungsgerichte ist in unzähligen Beiträgen referiert,
analysiert und kritisiert worden, aber das sie Zusammenhaltende, das sie
tragende System, sollte es ein solches über allen Rechtsprechungspointilismus
hinaus geben, fehlt noch. Die Metaphysik dieser Rechtsprechung ist noch
nicht geschrieben. Erst dann wird ihr Beitrag zu Rechtserkenntnis und
Rechtsschöpfung klar. Im Verhältnis zur Rechtserzeugung der Parlamente ist
die Feststellung angebracht: Der Staat des Grundgesetzes muß auch weiterhin
das von den Vätern und Müttern des verfassunggebenden Parlamentarischen
Rates zwischen den drei Staatsgewalten im Prinzip gut ausbalancierte Gemein-
wesen bleiben. Spannungen zwischen Parlamenten und Verfassungsgerichten
werden indessen nie ausbleiben; sie müssen ausgehalten werden. "Ich ver-
mute", so meinte 1987 Bundesverfassungsgerichtspräsident Roman Herzog,
"die Lage bleibt spannend" ,154 Daran, so scheint mir, hat sich auch heute
nichts geändert.

152 Vgl. R. Köcher, FAZ vom 25.10.1995, S. 5. 1980 bemerkte K. Schlaich: "Es ist erschreckend,
mit welcher Selbstverständlichkeit noch nach 30 Jahren Grundgesetz in der Literatur vom
Mißtrauen gegenüber dem Gesetzgeber und kompensierend vom Vertrauen in die Justiz ge-
redet wird" (VVDStRL Heft 39 (1980), S. 118).
153 FAZ vom 24.5.1996, S. 8.
154 ZG 1987, 290 (300); s. ders. auch in: Germania restituta, Wissenschaftliches Symposion anläß-
lich des 60. Geburtstages von Klaus Stern, hrsgg. von J. Burmeister, M. Nierhaus, F. Ossen-
bühl, G. Püttner, M. Sachs, P. J. Tettinger, 1992, S. 161 ff.
Diskussion

Herr Isensee: Herr Stern, Sie haben uns ein Panorama gegeben von einem
der schwierigsten, verwickeltsten Themen des Staatsrechts, zu einem auch
spezifisch deutschen Thema: Verfassungsgerichtsbarkeit, damit auch Narrna-
tivität der Verfassung.
Die Verfassung beansprucht den Vorrang vor allen staatlichen Normen und
Verbindlichkeit für alles staatliche Handeln. Das ist prima facie eine klare
Vorgabe. Doch die juristischen Schwierigkeiten bestehen darin zu bestimmen,
was Verfassung ist. Sie ist nicht nur ein klar abgegrenzter Rahmen der Rechts-
ordnung, sondern - Sie haben das mehrfach gesagt- auch deren Mitte, die auf
das ganze Recht ausstrahlt, so daß sich das Verhältnis der Verfassung zum ein-
fachen Recht nicht nur als "Entweder/Oder" zeigt, sondern auch als "Mehr
oder Weniger". Wenn nun die Verfassung "mehr oder weniger", in welcher
Verdichtung oder Ausdünnung auch immer, auf das einfache Recht ausstrahlt,
wird das Gericht, das letztverbindlich Inhalt und Reichweite der Verfassung
interpretiert, für die Auslegung der ganzen Rechtsordnung zuständig.
Die höchste Norm des staatlichen Rechts ist die inhaltsärmste. Diese ist nur
anwendbar, wenn sie zuvor durch die Interpretation aufgefüllt ("konkretisiert")
worden ist. Wenn nun jede interpretatorische Anreicherung ihrerseits sich zu
Verfassungsrecht wandeln, das Richterrecht des Bundesverfassungsgerichtsam
Verfassungsrang partizipieren möchte, wächst die Verfassung stetig an Inhalt,
Umfang, Dichte. Trivial gesagt: Sie erhebt sich vom knappen Text des Grund-
gesetzes mit ca. 50 Seiten, einer Nummer eines Reclam-Bändchens, zum
Volumen der demnächst 100 Bände der Amtlichen Sammlung des Bundesver-
fassungsgerichts, a 400 Seiten. Die Rahmenverfassung wird Totalverfassung.
Wird damit der Spielraum des Gesetzgebers nicht zunehmend eingeengt?
Erstickt die Politik nicht durch Konstitutionalisierung? Die simple Antwort
liegt nahe, daß die Politik beweglich bleiben müsse. Doch wenn drei Personen
das Wort "Politik" oder "politisch" verwenden, kommen zumindest drei Be-
deutungen dieses Homonyms zutage.
Juristen verstehen "Politik" vielfach als Gegenbegriff zum Recht: "poli-
tisch" ist rechtlich ungebundene Gestaltungsmacht, also jener schwindende
Rest, den die expandierende Verfassungsgerichtsbarkeit übrig läßt.
40 Diskussion

"Politik" läßt sich auch, in der Tradition von Aristoteles, verstehen als
Bezug auf die Polis. In diesem Sinn ist Verfassungsrecht "politisches" Recht,
Verfassungsgerichtsbarkeit "politische" Gerichtsbarkeit.
"Politik" läßt sich mit Max Weber bestimmen als Kampf um die Macht.
"Politisch" in diesem Sinne sind heute vor allem die "politischen" Parteien.
Der Idee nach sind Verfassungsrecht und Verfassungsgericht "unpolitisch",
dem Machtkampf entrückt, dessen richterliche Spielregeln sie bestimmen. Das
Bundesverfassungsgericht muß freilich die Distanz zur Parteipolitik praktisch
durchhalten. Die grundsätzliche Frage erhebt sich, ob es nicht prekär ist, daß
die Macht zur letztverbindlichen Interpretation in der Hand eines Gerichts
liegt, das, wenn seine Mitglieder auch aus parlamentarischer Richterwahl her-
vorgegangen sind, unabhängig ist von Legislative und Exekutive und das dem
Wahlvolk gegenüber keine Verantwortung trägt.
Das "Politische" läßt sich schließlich mit Carl Schmitt bestimmen durch das
Freund-Feind-Verhältnis. Dann aber markiert es keinen eigenen Sachbereich,
sondern einen bestimmten Aggregatzustand der Einung und Entzweiung.
"Politisch" kann sich jedwede Materie aufladen, auch das Verfassungsrecht
und seine Interpretation, wie es immer wieder geschieht, bei den Fragen von
Auslandseinsätzen und Ausländerwahlrecht, Abtreibung und Diffamierung
der Soldaten als Mörder.
Was die Verfassung praktisch beinhaltet, entscheidet der Interpret, letztver-
bindlich also das Bundesverfassungsgericht. Das versteht sich im historischen
und im internationalen Vergleich nicht von selbst. Nach französischer
Tradition kommt das letzte Wort dem Staatspräsidenden zu, nach englischer
dem Parlament. Daß diese Funktion in Deutschland einem Gericht zukommt,
entspricht einer Tradition, die in das Alte Reich zurückführt, vor allem aber
dem deutschen Trauma des 20. Jahrhunderts, das prinzipielles Mißtrauen
gegen die Exekutive wie gegen die Legislative bewirkt hat. Vertrauenswürdig
geblieben ist dagegen die dritte Gewalt.
Das konstitutionelle Vertrauen in die Gerichtsbarkeit richtet sich auf das
richterliche Handwerk und auf das richterliche Ethos. Daß das Bundesver-
fassungsgericht diese Erwartungen einlöst, ist Chance und Risiko des Gemein-
wesens. Kein Staatsorgan springt ein, wenn die Erwartungen enttäuscht wer-
den. Gegen das Versagen der höchsten Instanz gibt es keine Garantie. Auf der
anderen Seite besitzt die höchste Instanz keine äußeren Machtmittel, um ihre
Sprüche durchzusetzen. Sie ist angewiesen auf den Rechtsgehorsam der Amts-
träger und Bürger, den sie von sich aus nicht erzwingen kann. Letztlich grün-
det das Bundesverfassungsgericht auf dem Vertrauen aller Beteiligten.
Gerade dieses Grundvertrauen ist heute gebrochen durch die spektakulären
Entscheidungen, die die Öffentlichkeit bewegen: daß grundrechtliche Freiheit
Diskussion 41

die Lizenz geben soll, den Soldaten als Mörder zu brandmarken, der seine
staatsbürgerliche Pflicht erfüllt, und daß der Staat ihn nicht schützen darf, weil
Meinungsfreiheit des Beleidigers höher stehen soll als die Ehre des Beleidigten,
daß das Kreuz, Symbol des Glaubens wie des kulturellen Herkommens und
der kulturellen Gemeinsamkeit, aus der Schule verbannt werden soll im
Namen der grundrechtliehen Freiheit, die leer und hohl wird, wenn sie nicht
mehr an Gemeinsames anknüpft.
Die Störung des Grundvertrauens rührt an die Fundamente des Bundes-
verfassungsgerichts. Es wird zu einer Existenzfrage für das Gericht, daß sich
das Vertrauen wieder herstellt.
Dies sind ein paar Fußnoten zu dem, was Sie, Herr Stern, facettenreich ent-
wickelt haben.

Herr Stern: Herr Isensee, wir sind uns weitgehend einig. Ich möchte nur zu
zwei Punkten etwas anmerken. Sie haben gesagt "spezifisches deutsches
Thema": Verfassungsgerichtsbarkeit, Politik, Gesetzgeber, Regierung. Der
Zufall wollte es, daß ich in der vergangenen Woche mit polnischen Ver-
fassungsrichtern eingehend diskutiert habe. Bekanntlich haben sich ja sowohl
die Polen als auch die Ungarn in vielen Punkten am deutschen Grundgesetz
und an der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit orientiert. Es ist ganz klar,
daß dort jetzt gleichermaßen diese Problematik aufgebrochen ist.
Es ist also nicht mehr nur ein deutsches Thema, wiewohl es in England ganz
anders ist, auch in Frankreich und in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Aber die spezifische Verfassungsstaatlichkeit, die eben mit einem Verfassungs-
gericht eingerichtet worden ist, hat dazu geführt, daß diese Grundprobleme,
die ja alten Datums sind, entstanden, und das hat wieder die Frage aufgewor-
fen, wer Hüter der Verfassung sein soll.
Die Diskussion Kelsen/Carl Schmitt ist in der Weimarer Republik geführt
worden und reicht weiter zurück in das Bismarck-Reich, wo lange darüber
diskutiert worden ist, wie man das lösen soll, etwa Streitigkeiten zwischen dem
Reich und den Ländern. Bismarck war ja einer der großen Gegner der
Verfassungsgerichtsbarkeit, weil er sagte, man könne die Verfassungsauslegung
vom politischen Standpunkt her nicht in die Hand von Richtern geben, weil
diese dann im Grunde der Gesetzgeber seien. Das hat er sehr genau erkannt.
Deswegen müssen wir fragen: Haben wir nach 1945 in Deutschland, begin-
nend in den Ländern der amerikanischen Besatzungszone, und dann im
Parlamentarischen Rat, die richtige Entscheidung getroffen? Ich meine, im
Grundsatz ja; denn alle Hüter der Verfassung haben bis 1945 versagt, und
damit bot sich nach amerikanischem Vorbild und nach alten deutschen
Traditionen der Richter als Hüter der Verfassung einfach an.
42 Diskussion

Es ist völlig richtig: Wenn man das so macht, dann muß man auf die Qualität
und, wie Sie es auch richtig gesagt haben, auf das richterliche Ethos der Richter
größten Wert legen.
Der Grundgedanke meines Vortrages ist eine Verteidigung der Verfassungs-
gerichtsbarkeit im Prinzip mit selbstverständlicher Kritik in vielen einzelnen
Punkten. Im Grundsatz bin ich aber zu dem Ergebnis gekommen: Ja zur
Verfassungsgerichtsbarkeit, aber bei besserer Personalauslese.

Herr Jakobs: Herr Stern, Sie haben in eindrucksvoller Weise die Gefährdung
des Bundesverfassungsgerichts geschildert und dabei Herrn Böckenförde
zitiert, wonach das Bundesverfassungsgericht nach der Kruzifix-Entscheidung
nicht mehr ist, was es vorher war. Geendet haben Sie mit einem Appell, unter
anderem auch an die Richter.
Ich möchte die Frage stellen, ob die Mängel der Institutionen überhaupt
reparabel sind. Welche der anderen großen Institutionen des öffentlichen
Lebens befindet sich nicht in einer analogen Krise? Man denke an die spötti-
schen Berichte über parlamentarische Tätigkeit, selbst in seriösen Zeit-
schriften. Wie werden Universitäten gesehen oder die Kirchen oder ehemals
stabile Berufsgruppen, etwa diejenige der Ärzte? Einzig ein florierendes
Wirtschaftsunternehmen erfreut sich noch allgemeinen Ansehens, aber florie-
ren muß es schon.
Es geht also nicht um etwa einen isolierten Verfall des Bundesverfassungs-
gerichts, sondern um eine allgemeine Krise von Institutionen, funktionierende
Erwebsunternehmen ausgenommen. Dagegen scheint nun freilich zu spre-
chen, daß immerhin auf die Kruzifix-Entscheidung hin so etwas wie ein
gemeinsamer Aufschrei erfolgte: Wir lassen uns das Kreuz nicht nehmen.
Ich halte diese Reaktion für eine äußerliche, schnell vorruhergehende und
bald vergessene Sache. In einem Land, in dem jährlich hunderttausende
Geschöpfe Gottes in Form von Leibesfrüchten abgetrieben werden, kann
nicht ersthaft behauptet werden, in den Schulen müßten Kreuze hängen. Dies
wäre solchermaßen widersprüchlich und verlogen, daß es gar nicht ernst
gemeint sein könnte. In der Reaktion auf die Kruzifix-Entscheidung wird also
meines Erachtens nicht eine Gemeinsamkeit sichtbar, die sich gegen eine vom
Verfassungsgericht verordnete laizistische Auflösung stemmt, sondern die
Entscheidung ergibt die gute Gelegenheit, sich Autorität zu verbitten:
Niemand soll in unser Leben hineinreden.
Was Sie in beeindruckender Weise für das Verfassungsgericht geschildert
haben, könnte also Teil einer allgemeinen Erosion sein, die die staatlichen
Institutionen in einem solchen Maß ergriffen hat, daß der Zustand nicht mehr
reparabel ist.
Diskussion 43

Herr Hirsch: Ich kann gleich daran anknüpfen. Herr Jakobs sagt, die Krise
des Bundesverfassungsgerichts sei Teil einer allgemeinen Krise der staatlichen
Institutionen. In der Tat können wir heute beobachten, daß viele staatliche
Organe an einem erheblichen Autoritätsverlust leiden. Gleichwohl meine ich,
daß unsere Problematik doch eine speziellere ist: eine Problematik, die sich
schon unabhängig von dem allgemeinen Befund, auf den Sie, Herr Jakobs, hin-
gewiesen haben, entwickelt hat.
Ich teile die Kritik von Herrn Stern, was die Entparlamentarisierung der
Gesetzgebung durch das Bundesverfassungsgericht betrifft. Man könnte als
zweiten Punkt noch die Bevormundung der Fachgerichte besonders hervor-
heben.
Nun ist Ihr Therapievorschlag, Herr Stern, ein Appell an die Einsicht der
Beteiligten: an die Richter des Bundesverfassungsgerichts, aber auch an das
Parlament, den Gesetzgeber, daß sich jeder seiner Funktion bewußt wird und
sich dort zurückhält, wo Zurückhaltung geboten ist.
Ob es sich dabei, was die Richter des Bundesverfassungsgerichts betrifft,
wirklich um eine Frage des Richterethos handelt, sei dahingestellt. Ich meine
eigentlich, daß wir seit Mitte der fünfziger Jahre in Deutschland allgemein eine
Wandlung des richterlichen Berufsverhältnisses beobachten können, nämlich
von der dienenden Funktion des Rechtsanwenders hin zum Rechtsgestalter,
der vor allen Dingen dann, wenn er keine Instanz mehr über sich hat, glaubt,
daß ein Gesetz eigentlich nur ein Topos ist und nicht etwas, dem er dienend
verpflichtet gegenübersteht.
Meine Frage ist die, ob es nicht doch an der Zeit ist, die juristische
Konzeption des Bundesverfassungsgerichts zu überdenken. Vielleicht ist das
Ganze doch ein wissenschaftliches Problem, das dann, wenn es wissenschaft-
lich ausgereift ist, in die öffentliche Diskussion eingebracht werden sollte.
Mir scheint der Angelpunkt der gesamten Problematik die Verfassungs-
interpretation zu sein. Ich erinnere an das frühere Akademiemitglied, den
Kollegen Scheuner, der schon vor dreißig Jahren vor einer Verfassungs-
interpretation warnte, die diese Schleusen so weit öffnet.
Wenn wir inzwischen an dem Punkt angelangt sind, daß aus der Verfassung
fast jede Einzelfrage der Gesetzgebung abgelesen werden kann durch den, der
die Macht für eine solche Interpretation hat, dann stellt sich in diesem
Zusammenhang auch die Frage, was eigentlich die Aufgabe eines Verfassungs-
gerichts ist. Ist es Aufgabe eines Verfassungsgerichts, die Gerechtigkeit, die in
den für ihre Ermittlung vorgesehenen zwei oder drei Instanzen nicht erreicht
zu sein scheint, in einer außerhalb der Fachgerichtsbarkeit liegenden weiteren
Instanz zu suchen? Oder ist es nur Aufgabe eines Verfassungsgerichts,
elementare Garantien zu gewährleisten?
44 Diskussion

Es geht dabei um die Verfassungsinterpretaion. Häufig stehen sich Auf-


fassungen gegenüber, bei denen man sagen kann, daß die eine oder auch die
andere (noch) im Rahmen rechtsstaatlicher Anforderungen liegt und auch dem
Grundrechtssystem entspricht, wie wir es in unserem Grundgesetz haben.
Daß dann das Bundesverfassungsgericht von den mehreren möglichen
Auffassungen eine zur allein verfassungskonformen erklärt, ist doch höchst
problematisch. Das Bundesverfassungsgericht maßt sich mit seinem
Interpretationsmonopol gewissermaßen eine Gesetzgebungsfunktion an.
Es muß sich für ein Verfassungsgericht doch die Frage dahingehend stellen,
ob das Rechtsproblem, das Gegenstand der Verfassungsrechtlichen Über-
prüfung ist, so, wie es vom Gesetzgeber gelöst oder von den ordentlichen
Gerichten entschieden worden ist, eine in unserer Verfassungsordnung noch
mögliche Lösung gefunden hat. Wenn das der Fall ist, stellt sich die Frage der
Verfassungswidrigkeit überhaupt nicht.
Wir beobachten also, daß die Richter des Bundesverfassungsgerichts ihre
Wertung, die Wertung ihres Spruchkörpers, als die verfassungsrechtlich allein
richtige betrachten, und auf diese Weise kommen solche Verzerrungen heraus.
Nehmen wir als konkretes Beispiel die Frage, ob die Aussage "Soldaten sind
Mörder" unter den § 185 StGB, die Beleidigungsvorschrift, fällt oder nicht.
Das ist eine Frage, über die man juristisch streiten kann und über die auch
gestritten wird. Sowohl die eine als auch die andere Lösung ist eine rechts-
staatliche. Es darf aber doch nun nicht so sein, daß, wenn die Mehrheit eines
Verfassungsgerichts aufgrundihrer weltanschaulichen Orientierung meint, die
eine der beiden Auffassungen sei die vorzugswürdige, diese dann als die
ausschließlich verfassungsrechtlich richtige zu gelten hat.
Ich halte also die Methode der Verfassungsinterpretation für den entschei-
denden Punkt. Dagegen meine ich nicht, daß, wie Herr Isensee vorhin sagte,
die ausschlaggebende Frage sei, wer über die Verfassung entscheidet, sondern
die eigentliche Frage ist m. E., wie man die Verfassung in ihren Grenzen hält,
da sie eben nur gewissermaßen ein oberstes Sicherheitsgesetz der Rechts-
ordnung ist und nicht ein Steinbruch, aus dem sich die ganze Rechtsordnung
herausklopfen läßt.
Gestatten Sie mir, noch auf einen weiteren Punkt einzugehen, der damit im
Zusammenhang steht. Die ganze Entwicklung ist ja auch mit einem
Autoritätsverlust verknüpft, von dem hier schon aus mehreren Blickwinkeln
die Rede war. In der Tat macht es auf die Öffentlichkeit einen erstaunlichen
Eindruck, daß in einem Staat, der eine Exekutive hat, die an den Rechtsstaat
und an die rechtsstaatliehen Vorgaben gebunden ist, der auch Gerichte hat, an
deren rechtsstaatlicher Orientierung kein Zweifel besteht, diese und sogar der
Gesetzgeber fortwährend mit der Verfassung in Konflikt geraten.
Diskussion 45

Wenn die Verfassung em Fundamentalgesetz ist, so ist es an sich eme


Ungeheuerlichkeit, daß eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes ver-
fassungswidrig sein kann. Sieht man die Verfassungswidrigkeit als juristischen
Alltag an, so wird damit der ganze Bereich der Verfassung und der
Verfassungsgerichtsbarkeit verwässert und abgewertet.
Ich weiß nicht genau - das wissen Sie sicherlich besser, Herr Stern und Herr
Isensee -, wie in Frankreich der Conseil d'Etat funktioniert und wie es sich in
Polen verhält, wo es wohl ebenfalls ein Juristengremium in der Form eines
Verfassungsrates gibt.

Herr Stern: Nicht mehr.

Herr Hirsch: Wenn praktisch jedes Gesetz einem solchen kompetenten


Gremium, bevor es vom Bundespräsidenten verkündet wird, vorgelegt werden
muß, wird von vornherein abgefangen, daß ein Abwertungseffekt eintritt. Ein
Gesetz, das gegen die Verfassung verstößt, darf gar nicht erst in die Welt treten,
und ein solches Gremium könnte man, weil es ja ein Expertengremium wäre,
auch politisch stärker neutral halten.
Wäre das nicht mit Blick auf die von uns hier zu Recht beklagten negativen
Entwicklungen eine Alternativlösung, die sicherlich nicht den gesamten
Bereich abdeckt, aber doch einen Teilbereich, und die man daher in Erwägung
ziehen sollte?

Herr Stern: Herr Jakobs, Sie haben die Krise der Institutionen, die Ab-
wertung der Institutionen beklagt. Es besteht kein Zweifel daran, daß die
Parlamente und die Regierung viel von ihrem Ansehen verloren haben. Das
Bundesverfassungsgericht war in dieser Hinsicht bisher auf einsamer Höhe.
Ich habe die letzte Umfrage von Frau Köcher aus der Frankfurter Allgemeinen
zitiert, wonach aufgrund des "Soldaten-sind-Mörder" -Urteils und des
Kruzifix-Beschlusses ein sehr starker Abfall zu verzeichnen ist.
Das Bundesverfassungsgericht ist also in diese Tendenz mit einbezogen
worden, und das ist natürlich insofern eine sehr kritische Situation, als wir an
Parlamenten und Regierungen alle vier bis fünf Jahre etwas ändern können,
während Bundesverfassungsrichter auf zwölf Jahre gewählt sind und damit auf
eine sehr, sehr lange Zeit, und sie sind vor allen Dingen diejenigen, die letzt-
verbindlich über die Interpretation entscheiden.
Ich habe gerade deshalb den Appell an die Rechtswissenschaft, aber auch an
andere Wissenschaften sehr stark in den Vordergrund gestellt, weil ich mir von
diesem Dialog der Wissenschaft mit der Rechtsprechungspraxis sehr viel ver-
spreche, und zwar nicht nur mit der Verfassungsrechtsprechungspraxis; denn
46 Diskussion

das betrifft ja auch Urteile des Bundesgerichtshofes, des Bundesverwaltungs-


gerichts, des Bundesfinanzhofes und alle anderen.
Ich stimme Ihnen zu, daß dieser Appell an die Einsicht der Beteiligten - ich
glaube, so haben Sie es gesagt - nicht gerade der stärkste Veränderungsfaktor
ist. Wir müssen aber bedenken, daß es vor allen Dingen ein Kampf der Staats-
rechtswissenschaft und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist.
Sie haben einmal gesagt, Herr Isensee: Wer definiert die Grundrechte, wer
definiert die Begriffe? Und wir haben in hohem Maße zu beklagen, daß das
Bundesverfassungsgericht sich nicht mit den wissenschaftlichen Äußerungen
auseinandersetzt.
Wenn man das gegenüber den Richtern kritisiert, dann heißt es immer:
Doch, wir tun das, Sie müssen nur lesen, was alles in den Voten steht. Nun
nutzen die Voten vor dem Urteil natürlich überhaupt nichts; denn nach außen
dringt nur das Urteil, wie es gesprochen und abgedruckt wird.
Das ist die Kritik, und ich halte es für einen wichtigen Punkt, die Richter
davon zu überzeugen, daß sie das, was die Wissenschaft kritisch oder auch
zustimmend sagt, wirklich ernst nehmen; denn auch wir sind Leute, die mit
der Verfassung umgehen können und sie in bezugauf die Richtigkeit, auf die
Gerechtigkeit zu interpretieren versuchen.
Es ist immer wieder gefragt worden, und vor allen Dingen Sie, Herr Hirsch,
haben die Frage aufgeworfen: Ist es denn wirklich richtig, daß wir die
Verfassungsgerichtsbarkeit so geschaffen haben? Könnte man es nicht so wie
in Frankreich machen oder so wie früher in Polen und Ungarn mit dem
Verfassungsrat?
Da muß man zwei Punkte unterscheiden. Ich stimme Ihnen zu, daß man
solche Vorprüfungsgremien ernster nehmen sollte. Dazu habe ich an anderer
Stelle etwas gesagt. Hier kann man in der Tat weiter verbessern. Ich habe die
Schrift von Herrn Benda zitiert, der 1979 anhand einer umfassenden Urteils-
praxis einmal untersucht hat, was an Verfassungswidrigkeiten bereits im
Vorfeld im Gesetzgebungsvefahren hätte bereinigt werden können, wenn man
diesen oder jenen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt ernstgenommen hätte.
Leider ist es aber so, daß man in der Politik, sei es als Gesetzgeber oder als
Regierung, manchmal sagt: Wie weit können wir denn gehen? Probieren wir es
doch einmal. Man treibt es bewußt darauf hin und sagt: Der Gegner soll nach
Karlsruhe gehen; dann werden wir sehen, wer recht hat. Das ist keine gute
Politik, und das ist vor allen Dingen kein guter Umgang mit der Verfassungs-
gerichtsbarkeit.
Schon im Vorfeld durch Einschaltung von Expertengremien etc. Verfas-
sungswidrigkeiten abzufangen, ist also sicher ein wichtiger Beitrag, um man-
ches nicht in die Welt treten zu lassen. Dafür haben wir heute ein gutes
Diskussion 47

Beispiel. Jeder Verfassungsrechtier hätte gewußt, daß man das Rentenalter für
Frauen nicht ohne Verletzung des Vertrauensschutzes von heute auf morgen
verändern kann. Das lehren wir unsere Studenten im ersten und zweiten
Semester, daß zum Rechtsstaatsprinzip ein gewisser Vertrauensschutz gehört.
Wir können darüber streiten, ob man das Jahr 2000 oder das Jahr 2001 nehmen
muß, das ist sicher richtig, aber das war bekannt, und das merkt man erst jetzt,
nachdem man den Vorschlag in die Welt gesetzt und alle möglichen Leute
rebellisch gemacht hat. Das nur als Aktualität.
Ein Gesichtspunkt erscheint mir allerdings wesentlich: Wir sollten auch
anerkennen, welch bedeutende Leistungen das Bundesverfassungsgericht für
die Politik erbracht hat. Ich möchte behaupten, daß es, wenn das Bundesver-
fassungsgericht seinerzeit nicht im Grundlagenvertrag und in anderen späteren
Urteilen die deutsche Staatsangehörigkeit als gesamtdeutsche Staats-
angehörigkeit verteidigt und wenn es nicht das Wiedervereinigungsgebot des
Grundgesetzes in vielen Entscheidungen so beharrlich betont hätte, unmög-
lich gewesen wäre, 1989/90 die Wiedervereinigung zu erreichen. Welche poli-
tischen Wege in den siebziger Jahren eingeschlagen wurden und wie sehr man
damals verfassungsrechtliche Fesseln beseitigen wollte, da müssen wir klar
sehen, daß das Bundesverfassungsgericht bedeutende Markierungen gesetzt
hat, die später den Wiedervereinigungsprozeß ermöglicht haben.
Ich sehe es wie Sie: Die Auslegung der Verfassung ist das Zentralproblem
der Sache. Deshalb habe ich wieder einmal daran erinnert, daß wir bei all den
Fragen zunächst einmal auf die guten alten Auslegungsgrundsätze von Savigny
und anderen, also auf gediegene juristische Interpretation, zurückgreifen müs-
sen. Allerdings können wir Begriffe wie Gewaltenteilung und Rechtsstaat
nicht im Stile von BGB-Vorschriften auslegen. Da muß etwas mehr hinzu-
kommen. Aber es geht darum, daß diese Prinzipien der Verfassungsauslegung
wissenschaftlich gefestigt werden müssen.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns niemals gesagt, nach welchen
Prinzipien es eigentlich vorgehen will. Da finden wir einmal eine Äußerung,
die Entstehungsgeschichte spiele eine Rolle, im nächsten Urteil finden wir eine
Äußerung, die Entstehungsgeschichte könne beiseite gelegt werden.
Hier ist das Gericht also zunächst einmal auf die Grundsätze juristischer
Methodik und juristischer Tugend zurückzuführen, und deswegen meine ich,
Herr Jakobs, daß es wichtig ist, daß die Staatsrechtswissenschaft oder über-
haupt die Rechtswissenschaft in dieser Hinsicht arbeitet. Das gilt für Aus-
legung der Verfassung, das gilt für Auslegung anderer Gesetze, die beim Ver-
fassungsgericht eine Rolle spielen.
Ich sagte auch - und das ist in Ihren beiden Beiträgen zum Ausdruck
gekommen -, daß Verfassungsrechtier nicht glücklich darüber sind, daß das
48 Diskussion

Gericht sich anmaßt, jede kleinste Vorschrift aus dem BGB zum Mietrecht und
zum Strafrecht auf verfassungsrechtliche Höhen hinaufzuheben. Das ist ab-
wegig.
Lassen Sie mich noch auf einige Gesichtspunkte über das Angesprochene
hinaus hinweisen: Daß Grundrechte heute Ausstrahlungswirkungen für das
gesamte Recht und für die Wertentscheidungen haben, das haben die
Zivilgerichte akzeptiert, und das finde ich auch im großen und ganzen richtig.
Nur die Gefahr, daß hier Überzeichnungen für das Gesetzesrecht und für die
Auslegung der Fachgerichtsbarkeit erfolgen, war der Punkt meiner Kritik.
Der nächste Gesichtspunkt ist die Rechtsfortbildung. Hier ist der
Europäische Gerichtshof zu nennen. Ich habe eine kleine Passage in meinen
Vortrag und gesagt: Da dürfte es sich um ein neues Feld kritischer Ausein-
andersetzung, um Spannungsverhältnisse handeln.
Sie wissen, im Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht das
Stichwort vom Kooperationsverhältnis zwischen Bundesverfassungsgericht
und Europäischem Gerichtshof. Es ist schwierig zu erkennen, worauf das hin-
auslaufen soll. Das ist eine Formel, die so geprägt worden ist, und sicher wer-
den beide Gerichte ihre Domänen verteidigen, wobei ich vermute, daß die
Rolle des Europäischen Gerichtshofs in der Zukunft ganz erheblich ausge-
weitet wird.
Wir können heute davon ausgehen - irgend jemand hat das einmal ausge-
rechnet -, daß mehr als die Hälfte des nationalen Rechts bereits heute
europäisch beeinflußt ist, und das wächst in der Zukunft angesichts der
weiteren Kompetenzen, die die Europäische Union bekommt, wobei das
Subsidiaritätsprinzip, das man jetzt in den Maastricht-Vertrag hineinge-
schrieben hat, schwerlich eine Bremse ist.
Der Europäische Gerichtshof versteht sich als Motor der europäischen
Einigung und der weiteren Integration und Unitarisierung. Deswegen schrei-
tet er auch aus dieser rechtsfortbildenden oder hier integrationsfortbildenden
Haltung des Gerichtshofes heraus in hohem Maße zur Rechtsfortbildung.
Die Verträge, aufgrund deren er judizieren muß, sind ja ähnlich problema-
tisch wie eine Verfassung, wobei nicht nur ein Kompromiß im Inneren, son-
dern ein Kompromiß zwischen 12, 15 - oder wieviel Sie nehmen wollen -
geschlossen werden muß. Deswegen wird die rechtsfortbildende Haltung des
Europäischen Gerichtshofs zunehmen.
Das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof sind weit
stärker in die Rechtsfortbildung eingeschaltet, und dieser Prozeß wird in der
Zukunft zunehmen. Wahrscheinlich ist das doch tendenziell eine Entwicklung
einer Präjudizienrechtsprechung, wie wir sie ja von Amerika und von der eng-
lischen Gerichtsbarkeit kennen. Die Tendenz in diese Richtung sehe ich also.
Diskussion 49

Herr Kegel: Ich mache es kurz. Wir sind ja, w1e Sie das hervorragend
geschildert haben, Herr Stern, auf allen Rechtsgebieten vom Verfassungsrecht
verfolgt, und infolgedessen sind wir vielleicht auch fähig, uns dazu kurz zu
äußern.
Der heute hier nicht anwesende Herr Flume hat das Bundesverfassungs-
gericht als das oberste deutsche Laiengericht bezeichnet. Das ist natürlich eine
harte Wendung, die aber dem Charakter unseres Freundes entspricht.
Mir ging durch den Kopf, daß es einen Führerscheinentzug gibt. Wenn
jemand jahrelang hervorragend gefahren ist und begeht dann mehrere schwere
Fehler, wird ihm der Führerschein entzogen. Es erhebt sich die Frage, ob auf-
grund der letzten Jahre beim Bundesverfassungsgericht nicht auch so etwas
eingeführt werden sollte.
Wenn man etwas weiter greift und versucht, sich von Betriebsblindheit fern-
zuhalten, bleibt die Frage, die vielleicht etwas grundsätzlicher erörtert werden
müßte, selbst wenn keine große Konsensaussicht besteht, ob wir wirklich ein
solches Verfassungsgericht brauchen.
Das Bundesverfassungsgericht ist bei uns erst unter starkem Einfluß des
amerikanischen Supreme Court eingeführt worden. Ich selbst habe mich viel
mit amerikanischem Recht beschäftigt, bin aber der Meinung, daß man es nur
sehr bedingt in unseren Bereich übertragen sollte. Man kann sehr viel von ihm
lernen, aber man kann auch sehr viel lernen, was man nicht machen darf.
Die Franzosen haben kein Verfassungsgericht, und die Engländer haben es
nicht. Die Italiener machen mit ihrem Verfassungsgericht jetzt etwas mehr und
könnten eine ähnliche Entwicklung nehmen. Im Prinzip scheint es mir besser,
es bei den einzelnen Gerichtszweigen zu belassen.
In England ist es deshalb anders, weil es dort noch einen einheitlichen
Gerichtsweg gibt. Man kann natürlich überall Unterschiede machen. Aber der
Bundesgerichtshof in Zivil- und Strafsachen, der Bundesfinanzhof, dem man
allerdings auch etwas skeptisch begegnet, das Bundesarbeitsgericht und das
Bundesverwaltungsgericht wären alle Manns genug, die Grundrechte richtig
anzuwenden oder verfassungsrechtliche Fragen zu entscheiden. Das würde
sich auch ausponderieren.
Ich meine also, dieser Weg wäre denkbar und würde vielleicht nicht zu solch
extremen Dingen führen wie bei den Parabolantennen der Türken, wozu es
inzwischen fünf Urteile gibt, wenn es inzwischen nicht schon sechs sind. Wie
kann man sich als Bundesverfassungsgericht mit solchen Quisquilien befassen?
Der zweite Punkt ist natürlich, wie man die Besetzung verbessern kann.
Dazu könnte ich keine Vorschläge machen, aber daß es so nicht geht, wie es
sich hier eingespielt hat, liegt eigentlich auf der Hand. Das Verfahren ist ja auch
fast entwürdigend. Ein Mann, der auf sich hält, müßte beinahe ablehnen,
50 Diskussion

gewählt zu werden, wie es seinerzeit ein Professor in Berlin ablehnte, an den


Prüfungen teilzunehmen, weil seine Fakultät ihn dafür vorgeschlagen hatte.

Herr Stern: Wenn es keine Wortmeldungen zur Diskussion mehr gibt,


möchte ich gern zum Schluß etwas zum Schmunzeln zum besten geben. Sie
haben die Parabolantennenentscheidungen erwähnt, vier, fünf oder wieviel es
sind. Es ist in der Tat grotesk, was sich da das Bundesverfassungsgericht
erlaubt hat.
Aber da wir alle auch Prüfer an den Universitäten in den unterschiedlichsten
Gremien sind, möchte ich einen Kammerbeschluß des Ersten Senats, ganz neu
vom Februar 1996, zitieren. Da geht es um die Prüfung nach der Approba-
tionsordnung für Apotheker. Es wurde eine Prüfungsentscheidung ange-
griffen, sie ging durch alle Instanzen.
Am Schluß kam wohl ein Rechtsanwalt oder irgend jemand darauf, man
könnte das ja auch angreifen, weil irgendwelche Grundrechte verletzt seien;
denn es ginge um die Berufsentscheidung, also Artikel 12 und dergleichen
mehr.
Was macht unser Bundesverfassungsgericht? Es kommt zu dem Ergebnis,
daß es schon mehrere Entscheidungen zum gerichtlichen Rechtsschutz in
Prüfungssachen erlassen hat, und daraus folgert es: Es bestehen keine ernst-
haften Zweifel daran, daß die Herstellung eines Wortprotokolls über das
Prüfungsgespräch verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten ist. Wunder-
bar. Damit sollte die Entscheidung aufhören.
Jetzt sagt das Gericht weiter, und das muß ich vorlesen, weil es so schön ist:
"Es kann offenbleiben, ob der Einsatz eines Protokollführers überhaupt tun-
lieh wäre," - keine Rechtsfrage - "weil hiervon Störungen des Prüfungsablaufs
durch Unterbrechungen oder Nachfragen ausgehen können. Auch kann nicht
ausgeschlossen werden, daß danach die inhaltliche Richtigkeit der Wiedergabe
des Prüfungsgesprächs nachträglich angezweifelt würde. Die Protokollierung
durch Tonbandaufnahmen wäre zwar möglicherweise ein geeignetes Mittel,
um nachträglich aufklären zu können, ob die Prüfer den Sachverhalt," - die
Prüfer, nicht etwa der Prüfling- "das heißt Prüfungsaufgaben und Leistungen,
richtig und vollständig erfaßt haben. Dies ist auch Voraussetzung für eine
rechtmäßige Bewertungsentscheidung. Wortprotokolle böten indessen die
Gefahr, daß hierdurch der Zweck mündlicher Prüfung wesentlich geändert
wird."
Herrlich, kann man nur sagen. Ein Gericht vom Range des Bundesver-
fassungsgerichts sucht jetzt heraus, was man bei Prüfungen alles machen oder
nicht machen könnte. Und wenn man sich überlegt, daß Prüfungen mit Wort-
protokoll versehen würden, dann möchte ich unserem Stenographen sagen,
Diskussion 51

daß die Zahl der Stenographen im Nu vervielfacht werden müßte, damit alle
Prüfungen stenographisch festgehalten werden. Wenn Tonbandgeräte aufge-
stellt werden müßten- um Gottes willen. Aber das ist die Arbeit, auch in einer
abgedruckten Entscheidung, des Bundesvedassungsgerichts. So soll es nicht
sein, und deswegen dies am Schluß zum Schmunzeln. - Danke sehr.
Veröffentlichungen
der Nordrhein-WestfälischenAkademie der Wissenschaften

Neuerscheinungen 1985 bis 1997

VorträgeG GEISTESWISSENSCHAFTEN
HeftNr.

274 Ench Meuthen, Köln Das Basler Konzil als Forschungsproblem der europäischen Geschichte
275 HansJakob Seder, Köln Sprache und Gegenstand
276 Gustav AdolfLehmann, KO!n Die mykenisch-frühgriechische Welt und der östliche Mittelmeerraum in der
Zeit der "Seevölker"-Invasionen um 1200 v. Chr.
277 Andreas Hdlgruber, Köln Der Zusammenbruch im Osten 1944/45 als Problem der deutschen National-
geschichte und der europäischen Geschichte
278 Ntklas Luhmann, Stelefeld Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen ein-
stellen?
Jahresfeier am 15. Mai 1985
279 ]oseph Ratzmger, Rom Pohtik und Erlösung. Zum Verhältnis von Glaube, Rationalität und Irrationa-
lem in der sogenannten Theologie der Befreiung
280 Hermann Hambloch, Munster Der Mensch als Störfaktor im Geosystem
281 Remhold Merke/bach, Köln Mani und sein Religionssystem
282 W alter Mettmann, Münster Die volkssprachliche apologetische Literatur auf der Iberischen Halbinsel im
Mittelalter
283 Hans-]oachzm Kümkeu, Bonn Die Begegnung von Christentum, Gnosis und Buddhismus an der Seidenstraße
284 2. Akademte-Forum Technik und Ethik
Wo/.jgang Kluxen, Bonn Ethik für die technische Welt: Probleme und Perspektiven
RudolfSchulten, Aachen/juhch Maßstäbe aus der Natur für technisches Handeln
285 Hermann Lubbe, Zunch Die Wissenschaften und ihre kulturellen Folgen. Über die Zukunft des
common sense
286 Andreas H.tlgruber, Köln Alliierte Pläne für eine "Neutralisierung" Deutschlands 1945-1955
287 Otto Pöggekr, Bochum Preußische Kulturpolitik im Sp1egel von Hegels Ästhetik
288 Bernhard Großfeld, Münster Einige Grundfragen des Internationalen Unternehmensrechts
289 Remhold Merkelhach, Köln Nikaia in der römischen Kaiserzeit
290 Werner Besch, Bonn Die Entstehung der deutschen Schriftsprache
291 Heznz Gollwttzer, Münster Internationale des Schwertes. Transnationale Beziehungen im Zeitalter der
"vaterländischen" Streitkrähe
292 .Bemhard Kötttng, Münster Die Bewertung der Wiederverheiratung (der zweiten Ehe) in der Antike und in
der Frühen Kirche
293 5. Akademte-Forum Technik und Industrie in Kunst und Literatur
Volker Neubaus, Köln Vorwurf Industrie
Klaus Wo/.jgang Ntemölkr, Köln Industrie, Technik und Elektronik in ihrer Bedeutung für die Musik des
20. Jahrhunderts
Hans Schadewaldt, Düsseldorf Technik und Heilkunst
294 Paul Mikat, Düsseldorf Die Polygamiefrage in der frühen Neuzeit
295 Georg Kauffmann, Münster Die Macht des Bildes- Über die Ursachen der Bilderflut in der modernen Welt
Jahresfeier am 27. Mai 1987
296 Herbert Wtedemann, Köln Organverantwortung und Gesellschafterklagen in der Aktiengesellschaft
297 Ramer Lenge/er, Bonn Shakespeares Sonette in deutscher Übersetzung: Stefan George und Paul Celan
298 Hemz HUrten, Etchstätt Der Kapp-Putsch als Wende. Über Rahmenbedingungen der Weimarer Repu-
blik seit dem Frühjahr 1920
299 Dtetnch Gerhardt, Harnburg Die Zeit und das Wertproblem, dargestellt an den Übertragungen V. A. :lu-
kovskijs
300 Bernhard Großfeld, Munster Unsere Sprache: Die Sicht des Juristen
301 Otto Pogge/er, Bochum Philosophie und Nationalsozialismus- am Beispiel Heideggers
Jahresfeier am 31. Mai 1989
302 Fnednch Ohly, Munster Metaphern für die Sündenstufen und d1e Gegenwirkungen der Gnade
303 Harald Wemnch, München Kleine Literaturgeschichte der Heiterkeit
304 Albrecht Dthle, Heuleiberg Philosoph1e als Lebenskunst
305 Rüdtger Schott, Münster Afrikanische Erzählungen als religionsethnologische Quellen, dargestellt am
Beispiel von Erzählungen der Bulsa in Nordghana
306 Hans Rothe, Bonn Anton T schechov oder Die Entartung der Kunst
307 A rthur Th. Hatto, London Eine allgemeine Theorie der Heldenepik
308 Rudo/fMorsey, Speyer Die Deutschlandpolitik Adenauers.
Alte Thesen und neue Fakten
309 Joachtm Bumke, Köln Geschichte der mittelalterlichen Literatur als Aufgabe
310 Wenzer Sundermann, Berlin Der Sermon von der Seele.
Ein Literaturwerk des östlichen Manichäismus
311 Bruno Schüller, Münster Überlegungen zum ,Gewissen'
312 Kar/ Dt.etrich Bracher, Bonn Betrachtungen zum Problem der Macht
313 Klaus Stern, Köln Die Wiederherstellung der deutschen Einheit -Retrospektive und Perspektive
Jahresfeier am 28. Mai 1991
314 Ratner Lenge/er, Bonn Shakespeares Much Ado About Nothmg als Komödie
315 ]ean-Marie Valentin, Pans Französischer "Roman comique" und deutscher Schelmenroman
316 Nikolaus Himmelmann, Bann Archäologische Forschungen im Akademischen Kunstmuseum der
Universität Bann: Die griechisch-ägyptischen Beziehungen
317 Watther Heissig, Bonn Oralität und Schriftlichkeit mongolischer Spielmanns-Dichtung
318 Anthony R. Bzrley, Düsseldorf Locus virtutibus patefactus?
Zum Beförderungssystem in der Hohen Kaiserzeit
319 Günther Jakobs, Bonn Das Schuldprinzip
320 Gherardo Gnoli, Rom Iran als religiöser Begriff im Mazdaismus
321 Claus Vogel, Bonn Miramiräsutas AsälatiprakaSa - Ein synonymisches Wörterbuch des Sanskrit
aus der Mitte des 17. Jahrhunderts
322 Klaus Hildebrand, Bonn Die britische Europapolitik zwischen imperialem Mandat und innerer Reform
1856-1876
323 Paul Mikat, Düsseldoif Die Inzestverbote des Dritten Konzils von Orlf:ans (538). Ein Beitrag zur
Geschichte des Fränkischen Eherechts
324 Hans ]oachim Hirsch, Köln Die Frage der Straffähigkeit von Personenverbänden
325 Bernhard Großfeld, Münster Europäisches Wirtschaftsrecht und Europäische Integration
326 Nikolaus Htmmelmann, Bonn Antike zwischen Kommerz und Wissenschah
Jahresfeier am 8. Mai 1993
327 Slavomir Wollman, Prag Die Literaturen in der Österreichischen Monarchie im 19. Jahrhundert in ihrer
Sonderentwicklung
328 Ramer Lenge/er, Bonn Literaturgeschichte in Nöten. Überlegungen zur Geschichte der englischen
Literatur des 20. Jahrhunderts
329 Anneman.e Schzmmel, Bonn Das Thema des Weges und der Reise im Islam
330 Martin Honecker, Bonn Die Barmer Theologische Erklärung und ihre Wirkungsgeschichte
331 Stegmar von Schnurbetn, Frankfurt/Mam Vom Einfluß Roms auf die Germanen
332 Otto Pöggeler, Bochum Ein Ende der Geschichte? Von Hegel zu Fukuyama
333 Nifelas Luhmann, Sielefeld Die Realität der Massenmedien
334 ]osef Isensee, Bonn Das Volk als Grund der Verfassung
335 Paul Mika~ Düsseldoif Die Judengesetzgebung der fränkisch-merowingischen Konzilien
336 Bernhard Großfeld, Münster Bildhaftes Rechtsdenken. Recht als bejahte Ordnung
337 Herbert Schambeck, Linz Das Österreichische Regierungssystem. Ein Verfassungsvergleich
338 Hansjoachzm Klimkeit, Bonn Manichäische Kunst an der Seidenstraße
339 Ernst Dassmann, Bonn Frühchristliche Prophetenexegese
340 Nikolaus Himmelmann, Bonn Sperlonga. Die homerischen Gruppen und ihre Bildquellen
341 Claus Vogel, Bonn Zum Aufbau altindischer Sanskritwörterbücher der vorklassischen Zeit
342 Hans ]oachtm Hirsch, Köln Rechtsstaatliches Strafrecht und staatlich gesteuertes Unrecht
343 Hans-Peter Schwarz, Bonn Der Ort der Bundesrepublik Deutschland in der deutschen Geschichte
344 Günther Jakobs, Bonn Die strafrechtliche Zurechnung von Tun und Unterlassen
345 Paul Mikat, Düsseldorf Caesarius von Ades und die Juden
346 Gustav A. Lehmann, Göttingen Oligarchische Herrschah im klassischen Athen
347 Ludwig Siep, Münster Zwei Formen der Ethik
348 Rüdiger Schott, Münster Orakel und Opferkulte bei Völkern der westafrikanischen Savanne
349 Nzkolaus Htmmelmann, Bonn Tieropfer in der griechischen Kunst
350 Klaus Stern, Köln Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber
ABHANDLUNGEN

Band Nr.

72 (Sammelband) Studien zur Ethnogenese


Wtlhelm E. Mühlmann Ethnogonie und Ethnogenese
Walther Hemtg Ethnische Gruppenbildung in Zentralasien im Licht mündlicher und schrift-
licher Überlieferung
Kar/]. Narr Kulturelle Vereinheitlichung und sprachliche Zersplitterung: Ein Beispiel aus
dem Südwesten der Vereinigten Staaten
Harald von Petnkovtts Fragen der Ethnogenese aus der Sicht der römischen Archäologie
jürgen Untermann Ursprache und historische Realität. Der Beitrag der Indogermanistik zu Fra-
gen der Ethnogenese
ErnstRisch Die Ausbildung des Griechischen im 2. Jahrtausend v. Chr.
Werner Conze Ethnogenese und Nationsbildung- Ostmitteleuropa als Beispiel
75 Herbert Lepper, Aachen Die Einheit der Wissenschaften: Der gescheiterte Versuch der Gründung einer
"Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften" in den Jahren 1907
bis 1910
76 Werner H Hauss, Münster Fourth Münster International Arteriosclerosis Symposium: Recent Advances
Robert W. Wmler, Chzcago in Arteriosclerosis Research
]örg Grünwald, Münster
77 Elmar Edel, Bonn Die ägyptisch-hethitische Korrespondenz {2 Bände)
78 (Sammelband) Studien zur Ethnogenese, Band 2
Rüdzger Schott Die Ethnogenese von Völkern in Afrika
Stegfned Herrmann Israels Frühgeschichte im Spannungsfeld neuer Hypothesen
]aroslav ~.Je/ Der Ostalpenbereich zwischen 550 und 650 n. Chr.
Andrds R6na-Tas Ethnogenese und Staatsgründung. Die türkische Komponente bei der Ethno-
genese des U ngartums
Regzster zu den Bänden 1 (Abh 72) und 2 (Abh 78)
79 Hans-joachtm Klzmkett, Bann Hymnen und Gebete der Religion des Lichts. Iranische und türkische Texte der
Manichäer Zentralasiens
80 Fnednch Scholz, Münster Die Literaturen des Baltikums. Ihre Entstehung und Entwicklung
81 Walter Mettmann, Münster (Hrsg) Alfonso de Valladolid, Ofrenda deZelos und Ltbro de Ia Ley
82 Wemer H Hauss, Münster Fifth Münster International Arteriosclerosis Symposium: Modern Aspects
Robert W. Wissler, Ch:cago of the Pathogenesis of Arteriosclerosis
H -J Bauch, Münster
83 Kann Metzler, Frank Szmon, Bochum Ariana et Athanasiana. Studien zur Überlieferung und zu philologischen Pro-
blemen der Werke des Athanasius von Alexandrien.
84 Swgfned Re~ter I Rudolf Kassel, Köln Friedrich August Wolf. Ein Leben in Briefen. Ergänzungsband, I: Die Texte; li:
Die Erläuterungen
85 Walther Hezsstg. Bann Heldenmärchen versus Heldenepos? Strukturelle Fragen zur Entwicklung
altaischer Heldenmärchen
86 Hans Rothe, Bann Die Schlucht. Ivan Gontscharov und der "Realismus" nach Turgenev und vor
Dostojevski (1849-1869)
87 Wemer H Hauss, Mimster Sixth Münster International Arteriosclerosis Symposium: New Aspects of
Robert W Wmler, Chicago Metabolism and Behaviour of Mesenchymal Cells during the Pathogenesis
H J Bauch, Münster of Arteriosclerosis
88 Peter Zzeme, Berlm Religion und Gesellschaft im Uigurischen Königreich von Qo~o
89 Kar! H Menges, Wien Drei Schamanengesänge der Ewenki-Tungusen Nord-Sibiriens
90 Chnstel Butterweck, Halle Athanasius von Alexandrien: Bibliographie
91 T. Certoncka;a, Moskau Vorläufiger Katalog Kirchenslavischer Homilien des beweglichen Jahreszyklus
92 Walter Mettmann, MUnster {Hrsg.) Alfonso de Valladolid, Mostradar de ]ustiaa
93 Werner H Hauss, Münster Seventh Münster International Arteriosclerosis Symposium: New Pathogenic
Robert W Wtssler, Chtcago Aspects of Arteriosderosis Emphasizing Transplantation Atheroarteritis
Hans-]oachtm Bauch, Münster (Eds.)
94 Helga Gterszepen, Bann Inschriften bis 1300. Probleme und Aufgaben ihrer Erforschung
Raymund Kottje, Bonn (Hrsg.}
95 Walther HeisSlg, Bonn (Hrsg.} Formen und Funktion mündlicher Tradition
97 Rudolf Schieffer, München (Hrsg.) Schriftkultur und Reichsverwaltung unter den Karolingern
98 Hans Rothe, Bann Gottesdienstmenäum für den Monat Dezember, Teill
E. M Vereri'agin, Moskau (Hrsg.)
Sondermhe PAPYROLOGICA COLONIENSIA

Val. VII Kölner Papyri (P. Köln)


Barbel Kramer und Robert Hübner (&arb.), KOln Band I
Bärbel Kramerund /Aeter Hagedorn (&arb.). Köln Band2
Bärbel Kramer, Mu:hael Erler, /Aeter Hagedom Band3
und Robert Hübner (Bearb.). Köln
Bärbel Kramer, Cornelr.a Römer Band4
und Dieter Hagedorn (Bearb.). Köln
Mu:hael Gronewald, Klaus Maresch BandS
und Wolfi:ang Sehäfer (Bearb.). Köln
Mtchael Gronewald, Bdrbel Kramer, Klaus Maresch, Band6
Maryltne Parca und Cornelta Römer (Bearb.)
Michael Gronewald, Klaus Maresch (Bearb.). Köln Band7

Val. VIII: Sayed Omar (Bearb.). Kazro Das Archiv des Soterichos (P. Soterichos}

Val. X: ]effrey S. Rusten, Cambndge, Mass. Dionysius Scytobrachion

Val. XI: Katalog der Bithynischen Münzen der Sammlung des Instituts für Altertums-
kunde der Universität zu Köln
Wolfram Wezser, Köln Band 1: Nikaia. Mit einer Untersuchung der Prägesysteme und Gegenstempel
Thomas Corsten, Köln Band 2: Könige, Commune Bithyniae, Städte (außer Nikaia)

Val. XII: Colette Sirat, Pans u. a. La Ketouba d.e Cologne. U n contrat de mariage juif 3 Antineopolis

Val. XIII: Peter Fnsch, Köln Zehn agonistische Papyri

Val. XIV: Ludwzg Koenen, Ann A rbor Der Kölner Mani.Kodex.


Comelia Reimer (Bearb.). Köln Über das Werden seines Leibes. Kritische Edition mit Übersetzung.

Val. XV: jaakko Frösen, He/sinkt/Athen Die verkohlten Papyri aus Bubastos (P. Bub.)
/Aeter Hagedorn, Heuletberg (Bearb.) Band!

Val. XVI: Robert W. Daniel, Köln Supplementum Magicum


Franeo Maltomm~ Ptsa (Bearb.) Band I und Band 2

Val. XVII: Reinhold Merke/bach, Abrasax. Ausgewählte Papyri religiösen und magischen Inhalts
Mana Tottt (Bearb.). Köln Band I und Band 2: Gebete
Band 3: Zwei griechisch-ägyptische Weihezeremonien
Band 4: Exorzismen und jüdisch/christlich beeinflußte Texte

Val. XVID: Klaus Maresch, Köln Papyri from the Washington University Collection, St. Louis, Missouri
Zola M. Packmann, Pietermaritzburg, Natal (eds.)

Val. XIX: Robert W. Danie~ Kciln (ed.) Two Greek Papyri in the National Museum of Antiquities in Leiden

Val. XX: Enka Zwterlein-IAeh~ Bonn (BearbJ Magische Amulette und andere Gemmen des Instituts für Altertumskunde der
Universität zu Köln

Val. XXI: Klaus Maresch, Köln Nomisma und Nomismatia. Beiträge zur Geldgeschichte Ägyptens im 6. Jahr-
hundert n. Chr.

Val. XXII: Roy Kotansky, Santa Mon~ea, Calif. Greek Magical Amulets. The Inscribed Gold, Silver, Copper, and Bronze Lamellae
Part 1: Pu~lished Texts of Known Provenance

Val. XXIII: Wolfram Weuer, Köln Katalog ptolemäischer Bronzemünzen der Sammlung des Instituts für Alter-
tumskunde der Universität zu Köln

Val. XXIV: Cornelta Eva Römer, Köln Manis frühe Missionsreisen nach der Kölner Manibiographie

Val. XXV: Klaus Mareseh, Köln Bronze und Silber. Papyrologische Beiträge zur Geschichte der Währung im
ptolemäischen und römischen Ägypten bis zum 2. Jhdt. n. Chr.

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