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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

ALBIN ESER

Einzelverantwortung und Mitverantwortung im


Strafrecht – Eröffnung des Kolloquiums, Schlußwort

Originalbeitrag erschienen in:


Albin Eser u.a. (Hrsg.): Einzelverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht : European
Colloquium 1996 on Individual, Participatory and Collective Responsibility in Criminal Law.
Freiburg i. Br.: Ed. Iuscrim, 1998, S. [3] - 9, [345] - 347
Eröffnung des Kolloquiums
Albin Eser, Freiburg

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren!

"Habent sua fata libelli." Diese Schicksalhaftigkeit von Büchern gilt in gewisser
Weise auch für Kolloquien. So hat auch dieses Projekt seine eigene Entstehungs-
geschichte, wobei ich nur zwei Anstöße nennen möchte, die mitursächlich dafür
waren, daß wir hier überhaupt zusammenkommen.

Zum einen ist es ein mehr grundlagenorientiertes Interesse des Max-Planck-


Instituts. Wie einige von Ihnen, die bereits an früheren Kolloquien teilgenommen
haben, schon wissen, haben wir uns schon verschiedentlich mit Problemen von
Rechtfertigung und Entschuldigung befaßt, und zwar vor dem Hintergrund, daß
damit Begriffe gefunden sein könnten, die einen Schlüssel zum Verständnis des
Strafrechts überhaupt darstellen. Dieses Vorhaben haben wir inzwischen sogar
noch etwas ausgeweitet, indem wir einen "allgemeinen strafrechtlichen Struktur-
vergleich" unternehmen wollen, bei dem es darum geht, hinter der Fassade von
etwaigen Unterschieden zwischen den nationalen Strafrechtsordnungen mögli-
cherweise Gemeinsamkeiten zu entdecken oder aber dort, wo die Fassade mehre-
rer Rechtsordnungen sehr ähnlich erscheint, gleichsam beim Abklopfen des äuße-
ren Putzes festzustellen, daß es darunter doch gewisse strukturelle Unterschiede
gibt. Diese Kolloquien waren aber bisher meistens bi-national zwischen zwei
Ländern ausgerichtet, wobei freilich gelegentlich auch Vertreter aus anderen
Rechtsordnungen hinzugezogen wurden, wie vor allem beim skandinavischen und
romanischen Kolloquium, bei den Tagungen mit verschiedenen einstmals sozia-
listischen Ländern sowie letztmals beim ostasiatischen Kolloquium in Japan. Da-
bei lag das Hauptaugenmerk jeweils auf Fragen der Rechtfertigung und Ent-
schuldigung, ohne daß wir uns dabei schon nähere Gedanken darüber gemacht
hätten, ob der Täter als Einzelner gehandelt hat oder Mehrere mitbeteiligt waren.
Dieses langfristige und durchaus grundlagenorientierte Forschungsinteresse wol-
len wir auch hier weiterverfolgen.
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Inzwischen ist jedoch noch ein aktueller Impetus hinzugekommen; denn mit fort-
schreitender Europäisierung und Globalisierung des Rechts gewinnt auch die Fra-
ge einer etwaigen Harmonisierung strafrechtlicher Regelungen immer mehr an
Bedeutung. Es versteht sich, daß die Inhalte europäischer Rechtsvereinheitlichun-
gen eine entsprechende Rechtsvergleichung voraussetzen. In diesem Sinne hoffe
ich, daß dieses Kolloquium auch eine Plattform dafür bieten kann, über Möglich-
keiten einer Harmonisierung nachzudenken, wobei als Ergebnis natürlich auch
nicht auszuschließen ist, daß sich solche Hoffnungen als illusorisch herausstellen
und daher von weiteren Anstrengungen in dieser Richtung eher abzusehen wäre.

Nun ist allerdings gleich hinzuzufügen, daß das Stichwort "Harmonisierung", wie
es derzeit in Europa die Runde macht, für Politiker wie auch Juristen mancher
Länder sogar eine Provokation darstellt. Denn Harmonisieren könnte ja auch be-
deuten, liebgewonnene Gewohnheiten und Besonderheiten des eigenen Rechts
zugunsten eines anderen aufgeben zu sollen. Dahinter können zudem auch Kon-
kurrenzängste stehen; denn wenn im Interesse einer Vereinheitlichung etwas auf-
zugeben ist, möchte kein Land im Vergleich zum anderen den kürzeren ziehen.
Gegenüber solchen Befürchtungen, bei denen nicht zuletzt auch Souveränitäts-
aspekte eine Rolle spielen, wäre freilich zugleich in Erinnerung zu rufen, daß un-
ter Harmonisierung ganz unterschiedliche Formen und Stufen verstanden werden
können. Und diese jeweils im Hinterkopf zu behalten, scheint mir nicht unwichtig,
um möglichst spannungsfrei über die anstehenden Probleme diskutieren zu kön-
nen.

Der allererste Schritt, der beim Nachdenken über mögliche Harmonisierungen zu


tun ist - und das ist bei jeder Art von Rechtsvergleichung eine Selbstverständlich-
keit -, ist das Kenntnisnehmen von den anderen Rechtsordnungen überhaupt. Der
zweite Schritt wäre das etwaige Berücksichtigen von Erfahrungen und Erkenntnis-
sen einer anderen Rechtsordnung. Ein dritter Schritt kann darin bestehen, daß man
Regelungen einer anderen Rechtsordnung als zweckmäßiger und vielleicht auch
gerechter erkennt und das eigene Recht entsprechend anpaßt. Über eine solche
Anpassung an ein einziges anderes Recht hinaus kann es natürlich auch eine An-
gleichung zwischen mehreren Rechten geben, bis schließlich hin zu einer echten
Vereinheitlichung durch völlige Uniformisierung. Wer in letzterem eine beängsti-
gende Aussicht sieht, dem sei versichert, daß es nicht meine Intention ist, hier et-
wa eine Art von "Uniformisierungskolloquium" zu veranstalten, wo es darum ge-
hen könnte, alles einzuebnen; vielmehr ist Sinn dieses Kolloquiums eher ein
Brainstorming, bei dem es allein darum gehen soll, sich für einen gewissen Teil-
bereich eine Vorstellung darüber zu verschaffen, inwieweit sich die europäischen
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Rechtsordnungen voneinander unterscheiden, wo es sich dabei um echte Unter-


schiede im Sinne politisch unterschiedlicher Modelle handelt, oder wo Verschie-
denheiten im Grunde nicht mehr als Produkte des Zufalls sind und daher etwaige
Anpassungen ohne großen Verlust an eigener Identität erfolgen könnten.

Am Anfang jeglicher Überlegungen dieser Art steht nun einmal das Kennenlernen
der jeweiligen anderen Rechtsordnungen. Als wir uns vor etwa zwei Jahren im
Max-Planck-Institut bewußt wurden, daß wir uns in diesem Prozeß einer mehrsei-
tigen Reflektion über die Zukunft des Strafrechts in Europa engagieren sollten,
war die erste Frage die nach einem geeigneten Untersuchungsgegenstand. Sollten
wir uns etwa das ganze Strafrecht auf einmal vornehmen? Oder sollten wir uns
lieber auf einen bestimmten Teil konzentrieren? Um hier nicht vorschnell in die
eine oder andere Richtung zu entscheiden, haben wir eine Pilotstudie durchge-
führt, bei der die Länderreferenten aus ihren jeweiligen Rechtsordnungen darüber
berichten sollten, was die Kriminalpolitik und wissenschaftliche Dogmatik jeweils
am meisten bewegt. Dabei stellte sich heraus, daß neben verschiedenen anderen
Themen das Problem der Bestrafung von mehreren Tatbeteiligten derzeit europa-
weit eine besondere Aufmerksamkeit erfährt. Dies scheint mit dem immer bewuß-
teren Gewahrwerden des Faktums zusammenzuhängen, daß viele Straftaten nicht
von einem Einzelnen begangen werden, sondern auf ein Zusammenwirken Mehre-
rer zurückzuführen sind, bis hin zu der bislang wohl zu wenig beachteten Feststel-
lung, daß in einer nicht geringen Zahl von Fällen Straftaten aus kollektiven Ein-
heiten heraus begangen werden. Demgegenüber gilt, wie wir aus dem morgigen
Referat von Herrn Jung hören werden, das traditionelle Strafrecht noch als die
Domäne des isoliert handelnden Einzelnen: Da es von Grund auf vom Einzeltäter
her konzipiert ist, werden überall dort, wo mehrere Tatbeteiligte hinzukommen,
darin lediglich Extensionen über den ursprünglichen Einzeltäter hinaus erblickt.

Dieser eindimensionalen Sicht wollten wir mit diesem Kolloquium einen Kontra-
punkt entgegensetzen, indem einmal darüber nachzudenken ist, wie ein Strafrecht
aussehen könnte, das nicht ausschließlich vom Einzeltäter ausgeht, sondern von
vornherein auf der Mitverantwortung Mehrerer aufbaut. Dabei wäre uns bei den
weiteren Überlegungen sicherlich hilfreich gewesen, wenn uns bereits Jungs The-
se vom "interaktionistischen Modell menschlichen Handelns" bewußt gewesen
wäre, wonach die Straftat immer eine Interaktion darstellt, und sei es auch nur
eine Interaktion des Täters mit dem Opfer.

Selbst soweit man über den Einzeltäter hinaus gleich in Kategorien der Mitverant-
wortung Mehrerer denkt, handelt es sich letztlich immer noch um Individualver-
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antwortung des jeweiligen Einzelnen. Von hier aus ist in einem zweiten - und
zwar die traditionellen Systemgrenzen bewußt überschreitenden - Schritt auch
eine mögliche Kollektivstrafbarkeit ins Auge zu fassen, nämlich für jene Fälle, in
denen strafrechtlich relevante Folgen einer kollektiven Einheit - seien diese nun
juristisch verfaßt oder sonstwie organisiert - zurechenbar sein könnten.

Die damit aufgeworfene Frage nach den Grundlagen und Grenzen von Zurech-
nung soll dann in einem dritten Schritt gezielt auf das Zusammenwirken Mehrerer
hin untersucht werden, und zwar sowohl im Hinblick darauf, inwieweit durch
mehrere Beteiligte eine Zurechnung begründet werden kann, als auch im Hinblick
darauf, ob und inwieweit sich durch das Dazwischentreten Anderer eine Zurech-
nungsunterbrechung ergeben kann.

Damit wurde der Blick auf die Frage gelenkt, inwieweit durch Drittverhalten
- einschließlich des Opfers - unter Umständen sogar eine Rechtfertigung, Ent-
schuldigung oder eine sonstige Straffreistellung in Betracht kommen kann.

Wenn man nach diesen Überlegungen, die wir zur Strukturierung unseres Kollo-
quiums angestellt haben, einen Blick auf das Programm wirft, so wird deutlich,
daß es seine Abfolge nicht einem Zufall verdankt, sondern eine Konzeption dahin-
tersteht. Dabei bitte ich, nicht nur auf die deutschen Titel zu achten, sondern auch
die englischen Themenfassungen mitzuberücksichtigen. Denn da wir manches
nicht in der deutschen Bezeichnung zum Ausdruck bringen konnten, haben wir
die englischen Titel bewußt etwas anders gefaßt, um damit auch weitere Aspekte
einzubringen. Während also in der deutschen Fassung des Gesamtthemas nur die
"Einzelverantwortung" des Alleintäters und die "Mitverantwortung" von mehreren
Tatbeteiligten angesprochen wird, ist durch den englischen Terminus der
"collective responsibility" auch die etwaige Strafbarkeit von organisierten Ein-
heiten miterfaßt. Deshalb sollten wir uns bewußt sein, daß eigentlich erst die bei-
den Titel zusammen die Gesamtheit der Thematik zum Ausdruck bringen.

Vor diesem Hintergrund sind die ersten vier Arbeitsblöcke so gedacht, daß sie als
Beispiel für die Frage dienen sollen, ob und inwieweit bei individueller, partizipa-
torischer und kollektiver Verantwortlichkeit gewisse Anpassungen erreicht wer-
den könnten. Über diesen Bereich soll uns der letzte Block insoweit hinausführen,
als dort mehr allgemein die Frage nach Harmonisierungsbedürfnissen und
-möglichkeiten des Strafrechts in und von Europa aufgeworfen wird, wobei die
Problematik der grenzüberschreitenden Kriminalität die notwendigen Anstöße
geben soll.
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Bei der Frage, wie ein solches Kolloquium am besten zu organisieren sei, war uns
alsbald klar, daß ein fruchtbares Brainstorming weniger von einer Konferenz zu
erwarten sei, bei der die Referenten kommen, ihre Papers abliefern und wieder ge-
hen, sondern nur dann, wenn alle Beteiligten durch ein eigenes Referat ihr Enga-
gement dartun und von Anfang bis zum Ende zusammenbleiben - und somit sich
jeder für die gesamte Thematik mitverantwortlich fühlt. Wir gehen also davon
aus, daß Sie zum Thema etwas zu sagen haben, daß Sie sich der weiteren Erfor-
schung dieser Problematik verpflichtet fühlen und wir von Ihrer Phantasie neue
Erkenntnisse erhoffen dürfen. Dieses war das eine, mehr intellektuelle Auswahl-
kriterium. Es kam jedoch noch ein weiteres, mehr sozialpsychologisches hinzu;
denn es lag uns daran, eine personelle Mischung zu haben zwischen - wenn ich so
sagen darf - bereits voll etablierten Kollegen und dem hoffnungsvollen qualifizier-
ten Nachwuchs. Die Wissenschaft lebt ja nicht nur von der Vergangenheit und
bereits erbrachten Leistungen, sondern auch in die Zukunft hinein, so daß auch
jüngere Kräfte mitbeteiligt sein sollten und damit in neue Aufgaben hineinwach-
sen. Nicht zuletzt hat bei unserer Auswahl eine Rolle gespielt, eine Runde von
Kolleginnen und Kollegen zusammenzubringen, von denen wir annehmen, daß sie
sowohl über Streitlust als auch über Streitkultur verfügen, um Diskussionen zu
beflügeln und Auseinandersetzungen in letztlich harmonischen Bahnen zu führen.

Bei dieser Auswahl von geeigneten Teilnehmern sind Vertreter aus achtzehn Län-
dern zusammengekommen. Damit wir uns gegenseitig kennenlernen, möchte ich
sie in alphabetischer Reihenfolge nach den Ländern vorstellen: Aus Belgien haben
wir bei uns Michael Faure, aus Dänemark Vagn Greve, aus Finnland Tapio Lap-
pi-Seppälä, aus Griechenland Dionysios Spinellis, aus Großbritannien John Gard-
ner, aus Italien Vincenzo Militello und Enrico Paliero, aus Kroatien Petar Novose-
lec, aus Litauen Vitautas Piesliakas, aus den Niederlanden Nico Jörg, aus
Österreich Manfred Burgstaller, aus Polen Andrzej Zoll, aus Portugal Teresa Ser-
ra, aus Schweden Nils Jareborg, aus Slowenien - anstelle von Herrn Kollegen
Bavcon, der ursprünglich eingeladen war, aber aus gesundheitlichen Gründen
kurzfristig absagen mußte, sein Schüler - Damjan Korogfec; ferner hatten wir aus
Spanien ursprünglich, wie aus der Teilnehmerliste zu entnehmen, Enrique Baciga-
lupo erwartet, der sich aber wegen einer nicht verschiebbaren Sitzung als Richter
am Tribunal Supremo leider ebenfalls entschuldigen mußte; an seiner Stelle be-
grüßen wir bei uns Jesüs-Marta Silva-Scinchez, ferner aus Tschechien Dagmar.
Cisai"-ovä sowie - von ganz weit herkommend - Ferdinand van Oosten aus Süd-
afrika.
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Bevor ich zu den Teilnehmern aus Deutschland komme, möchte ich noch folgen-
des zu unserer Verhandlungssprache sagen: As you know from our invitation, this
colloquium should be bilingual in the sense that everybody can speak German or
English, but in addition, everybody should understand the other language. So, if
you prefer to make your contribution in English, you can suppose that everybody
understands you and vice versa. By this limitation to either English or German,
however, we had to take into account that colleagues who speak neither of these
languages excused themselves from participation. This is the reason why unfortu-
nately we have no respresentative from France because it was impossible to find
somebody who - besides French - would speak German as well as English. There-
fore we are very grateful that Peter Hüneifeld from the Max-Planck-Institut will
act here as a sort of representative of the droit p6nal frafflis. Ferner sind aus
Deutschland unter uns mein Freiburger Fakultätskollege Wolfgang Frisch, Walter
Gropp aus Leipzig, Winfried Hassemer aus Frankfurt, der im übrigen jetzt auch
als Richter am Bundesverfassungsgericht fungiert, ferner Günter Heine aus Dres-
den, Heike Jung aus Saarbrücken, Walter Perron aus Mainz sowie Ulrich Sieber
aus Würzburg. Aus unserem Freiburger Max-Planck-Institut sind auch noch Karin
Cornils und Barbara Huber zu nennen, die an der wissenschaftlichen Vorberei-
tung mitgewirkt haben, außerdem Axel Haeusermann und Christoph Ringelmann,
die das Protokoll führen. Last not least darf ich aus unserem Institut Birte Keppler
vorstellen, in deren Hand die hiesige Organisation liegt.

Zur Struktur des Kolloquiums wäre noch zu sagen, daß wir jeweils ein Hauptrefe-
rat voranstellen und dieses mit Länderkommentaren ergänzt wird. Diese Methodik
haben wir aufgrund von guten Erfahrungen mit früheren Kolloquien gewählt. Fer-
ner darf ich sowohl für die Kommentare als auch für die sich anschließende Dis-
kussion als Leitlinie zweierlei klarstellen: Zum einen geht es nicht so sehr uni
letzte Einzelheiten, als vielmehr um das Modellhafte, also um das, was gewisser-
maßen als charakteristisch und unterscheidungsfähig von einem anderen Modell
angesehen werden kann. Das andere betrifft die etwaige Generalisierbarkeit oder
Transferierbarkeit von Regelungen, wobei es um die Frage geht, ob es sich bei
einer Regelung um eine nationale Besonderheit handelt, die ein Land möglicher-
weise nie aufgeben möchte und vielleicht auch gar nicht sollte, oder ob es uni
Unterschiede geht, die eigentlich beliebig sind und daher im Interesse einer et-
waigen Harmonisierung aufgegeben werden könnten.

Schließlich möchte ich Sie darum bitten, für die Schlußdiskussion etwaige
Aspekte zu notieren, die einer gemeinsamen Aussprache für würdig erscheinen.
Ohne daß wir dafür unsererseits ein Papier vorbereiten würden, sollte am Ende
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doch versucht werden, die Ernte unseres Kolloquiums einzubringen, indem noch
einmal gesammelt wird, was man an Erkenntnissen unter dem Hauptstichwort
"Harmonisierung von Strafrecht in Europa" gefunden hat.

In diesem Sinne darf ich hiermit das Kolloquium eröffnen.


Schlußwort
Albin Eser, Freiburg

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren!

Obwohl es noch vieles zu sagen und zu diskutieren gäbe, müssen wir mit Blick
auf den Zeitplan zum Schluß kommen. Gestatten Sie mir dazu einige abschließen-
de Feststellungen und Überlegungen.

Auch wenn sich kaum sagen läßt, daß wir bereits "Fertiges" zu bieten hätten, er-
scheinen mir die hier präsentierten und diskutierten Beiträge doch als wichtig ge-
nug, um sie in Form einer Dokumentation einer breiteren Öffentlichkeit zugäng-
lich zu machen. Deshalb sollten wir eine Publikation ins Auge fassen.

Was die über allem schwebende Frage nach einer Harmonisierung des europäi-
schen Strafrechts betrifft, so wurden - unter Ausschluß von Extremen - durchaus
unterschiedliche Einstellungen und Tendenzen sichtbar: Während ich einerseits
weder ein Plädoyer für eine volle Vereinheitlichung des europäischen Strafrechts
in Erinnerung habe noch andererseits eine totale Verweigerung jeglicher Anpas-
sung zu verzeichnen wäre, gab es unterschiedlich weit voneinander abweichende
Argumentationslinien zwischen Befürwortung und Skepsis. Diese Zurückhaltung
darf jedoch für uns Wissenschaftler kein Grund sein, uns aus der rechtspolitischen
Harmonisierungsdiskussion auszuklinken. Im Gegenteil: in dieser Diskussion
kommt den Wissenschaftlern eine besonders wichtige Rolle zu. Wie alle diejeni-
gen unter uns, die bereits in legislativen Gremien oder Anhörungen mitgearbeitet
haben, bestätigen können, laufen Diskussionen unter Politikern und Wissenschaft-
lern im allgemeinen unterschiedlich ab: Während Mandats- und Amtsträger nicht
selten darauf festgelegt sind, bestimmte politische Vorgaben durchzusetzen und
daher für abweichende Ansichten häufig wenig Offenheit zeigen, können Wissen-
schaftler sehr viel freier denken und agieren. Wenn ich etwa an die Bemühungen
um den Entwurf eines Statuts für einen Ständigen Internationalen Strafgerichtshof
zurückdenke, so war schwer voranzukommen, solange Politiker das Wort hatten,
weil sie ihren jeweiligen nationalen Standpunkt meinten durchsetzen zu sollen;
und auch Regierungsvertreter hatten es offenbar schwer, von der Linie abzuwei-
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chen, die ihnen von zu Hause vorgegeben worden war. Waren dagegen die wis-
senschaftlichen Experten unter sich, so war es sehr viel leichter, weitgehend frei
von nationalen Voreingenommenheiten zu den Sachproblemen durchzustoßen und
von dorther Konzeptionen zu entwickeln. In dieser Hinsicht ist die der Rechtswis-
senschaft zukommende Rolle bei einer etwaigen Angleichung des europäischen
Strafrechts nicht zu unterschätzen. Auch wenn es zu weit gegriffen wäre, sich ein
umfassendes "europäisches Modellstrafgesetzbuch" vorzustellen, so könnten doch
Wissenschaftler zu bestimmten Fragen denkbare Alternativen aufzeigen.

Wenn es also darum geht, ob und inwieweit im Sinne eines alternativen Ent-
wickelns von harmonisierungsförderlichen Regeln etwas zu unternehmen sei, so
sind mir aus unseren Diskussionen vor allem drei Gründe gegenwärtig:
• Der eine ist ein ganz pragmatischer, nämlich die bessere Bekämpfung grenz-
überschreitender Kriminalität. Daß es insoweit echte Probleme gibt, wenn be-
nachbarte Länder nicht gewisse Angleichungen vornehmen oder jedenfalls
Lücken vermeiden und Brücken bauen, ist realistischerweise nicht zu überse-
hen.
• Ein zweiter Grund, der für gewisse Harmonisierungen spricht, aber manchem
vielleicht schon als national bedrohlich erscheinen mag, ist das Streben nach
Gleichheit und Gleichartigkeit der Sanktionierung innerhalb eines bestimmten
Raumes, wie in unserem Fall in der europäischen Region.
• Aber selbst wenn man die nationalen Rechte möglichst unangetastet lassen
möchte, wird die Ausbildung von supranationalem Recht, wie dies mit fort-
schreitendem Zusammenwachsen der Europäischen Union unvermeidlich sein
wird, schwerlich zu erreichen sein, wenn dieser Prozeß nicht auch national in
gewisser Weise vorbereitet wird. Wenn es bei solchem regionalen Recht nicht
dazu kommen soll, daß einfach das Recht des einen Landes als eine Art
"Leitrecht" ausgewählt und den übrigen Ländern gleichsam übergestülpt wird,
ist um eine Strukturdiskussion nicht herumzukommen. Das heißt, daß man sich
beispielsweise bei Regelungen für Versuch und Rücktritt nicht etwa damit be-'
gnügen kann, aus den nationalen Rechten europäischer Länder einfach eine
bestimmte Regelung auszuwählen und zu verallgemeinern, sondern daß zu-
nächst zu untersuchen ist, welche Fallkonstellationen von einer Regelung er-
faßt werden sollen und nach welchen Prinzipien und Kriterien eine Lösung zu
suchen ist; erst dadurch wird man herausfinden können, inwieweit scheinbar
gleiche Regelungen wirklich dasselbe meinen oder scheinbar verschiedene Re-
gelungen tatsächlich zum gleichen Ergebnis kommen. Diese Aufgabe aber
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kann schwerlich vom Gesetzgeber erfüllt werden, wenn nicht die Wissenschaft
die notwendige Vorarbeit geleistet hat.

In diesem Sinne wäre darüber nachzudenken, ob man nicht Arbeitsgruppen bilden


sollte, die bestimmte Regelungskomplexe, die - wie etwa Fragen von Versuch und
Tatbeteiligung - für jede Rechtsordnung von Bedeutung sind, auf gleichsam in-
duktive Weise erforschen und als modellhaft mögliche Regelungsalternativen ge-
genüberstellen (P.S.: Zu einer solchen Arbeitsgruppe ist es dann tatsächlich für
den Bereich der Tatbeteiligung gekommen, wie dem Anhang zu den Fallstudien
zu entnehmen ist).

Da die schnell verstreichende Zeit keinen Raum für weitere Beobachtungen läßt,
darf ich mir nur noch - dies aber auf jeden Fall - ein kurzes Wort des Dankes er-
lauben: Dieser gilt zu allererst den Rednern, seien es nun Referenten, Kommenta-
toren oder auch nur Diskutanten, aber auch allen, die uns die Aufmerksamkeit
ihres Zuhörens geschenkt haben. Besonderer Dank gebührt ferner nicht zuletzt
denen, die in vorbereitender Weise, wie Karin Cornils und Barbara Huber, an der
Konzipierung des Kolloquiums mitgewirkt haben, die es, wie Birte Keppler, or-
ganisatorisch begleitet haben, oder die durch Erstellung eines Tagungsprotokolls,
wie Axel Haeusermann und Christoph Ringelmann, die in den Diskussionen ge-
äußerten Gedanken vor dem Vergessen bewahren werden.

Damit darf ich - mit besten Wünschen für die Rückreise - das Kolloquium schlie-
ßen.

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