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Inhalt

.. . ..... . . . . . . . . ..... . ... . .... IX


Gedruckt mit f re undlicher Unte rstü tzu ng der Vorwort . ..
Mi\RCL' L I'ROUST (iESELLSC II AFT Andreas Beyer

I. Prousts Poetik der Bildlichkeit-

X~><
5
eine Annäherung .. . . . .
5
1. W ahrnehmen und Schreiben
? (J!jl <: ~·· 2. Erinnern od er W ahrnehmen? Forsc hun gsst and, M eth ode 9

3. ein Itin erarium der Bildlichke it . . . . . . . .. . . . . 13

Organi sation sform en der Bil dlichke it


(Figurati on, Kon stell ation, Äh n li eh keit)
13
18
das Fili grane . . . . . .
19
die M arke der Differenz .
21
das Nuancierte . .. ..
22
die Lesbarkeit des Detail s
26
4. Ruskin s sprechende Orn amente

29
II. Ornamentik der Objektwelt
Bibliografi sche Information der Deutschen Nationalbibliothek
das Ein gerollte: das Glü cksversprechen im Orn ament 29
Die Deutsche Nationalbibliothek ve rzeichnet diese Publi katio n 1.
in der Deutschen Nati onalbi bliografi e; detaillierte bibliografische 33
2. das Abw esende: die bewohnbare Muschel
Daten si nd im Intern et über http:/ /d nb d- nb.de abrufbar.
45
3. das Gefaltete: der Fächer, die Teeblätter .
51
4. die lächelnde Arabeske
Deutsches Foru m fü r Kun stgeschichte, Pari s
Abteilung deutsche Publi kationen
Leitu ng: Godehard Janzing 111. Lineaturen und das Problem ihrer Denotation . .
59
Assistenz: Maria Bremer
1. in fi nitesim ale Lini en: Physiognomi en des Ro mans
59
Layout und Satz: Rüdiger Kern , Berli n
59
Gedru ckt auf: GardaPat 13 KIARA das unmögliche Porträt ..
Druck und Bindung: DZA Druckere i zu Altenburg GmbH, Altenburg 62
das abwesend Anwesende .
65
Um schlagabbildung: Eugene At get, Rampe de l 'esca lier de /'h6tel Michel Simon, 70, ru e des ein e Graphi e der Differenz .
Arch ives, 3" arr. , Photographie, ohne Jahr. »Ciair-Obsc ur«: die Lini enschrift ein es Son nenunte rgangs 69
2.
69
»noter Ia li gne« . .. .
© 20 11 Deutscher Kunstve rlag Gmb H Be rlin M ün chen 73
ISBN 978-3-422 -07065-3
die osmotisc he l<ontur .

Geschenk
, I 1__,
'l Cl1!JM . ~t
VI I NHALT I NH A LT VII

3. bew egt, unbew egt: die vollko mm enen Ruin en der Literatur 80 VI. »Per viam rectam <<: Die Wege der Wahrnehmung . 22 9

4. Grotteske , Gi otteske: ein e Flug kurve als dichterische Lini e . 87 1. der gef ährliche Schnörkel 229
5. Sw ann s mu sikali sche Arabeske 92 2. W ege und Umwege . . 234
»dans son co mpliqu e meandre« 92 3. die Bahnen der Zukunft 238
Prousts Musik der Bildlichkeit 96

VII. Träumen, Zweifeln, Ordnen - Prousts Schreibweise


IV. Ähnlichkeit im Austausch von >Contenant< und >Contenu < 101 der Wahrnehmung (ein Ausblick) 245
1. Einhüllun g , Enthüllun g: der Tod im venezi ani schen Orn ament . 101 1. gegen eine Poetik der Din ge . . . . . . . . 245
2. Gi otteske II: Tu gend und Laster der Bildbetrachtung . . 109 vom Din g zum Bild, vom l<örper zur Esse nz 245
3. der geliehene Bli ck: der Roman und die Arts decoratifs 114 Subst anzen od er Esse nzen? . . . 247
das Di aph ane . . . . . . . . die Ph änomenologie der Sprache 249
114
»Jardin s dans une tasse de th e« (d as Japoni sierende) Proust s geisti ges Sehen . . . . . 250
131
die Zeit der W ahrnehmun g . . . 254
4. die M et amorph ose des Gleichen . . 140 256
das Verschwind en des Ref erenten
das Veget abil e und das Aqu ati sche . 140 das Verschwind en des W erks 260
das Ström ende 143 263
2. das Schreiben für die Zukunft
das Androgyne. . . . . . .. . 146
die Sinnlichkeit des Abwesenden 265
»t outefoi s peut-il se faire que je me trompe« 271
V. Ornamente des Bösen: Präfigurationen die Literatur als w ahres Leben 277
des Sadomasochismus im Wappen des Baron de Charlus . 151 die Zeit des Schreibens 282
das entwap pn ete W appen (H eraldi sche Physiognomi k) die unendliche Fi guration 284
151
das W appen des Baron de Ch arlu s . das schreibende Orn ament 285
156
lnculcabi s super leon em et aspid em 165
Heraldik der Guerm antes 170
VIII. Anmerkungen . . . 291
der heraldi sche Cod e . . 174
IX. Literaturverzeichnis 351
der Sadismu s als Posse . . . 180
Prousts Eth os der Perversion 183 Dank . . . . . . . . . . 361
Feuerregen (1 . Exkurs zur Bildli chkeit der Inversion) 189
Voyeurismu s (2 . Exkurs) . . . . . . . . 199
die sadomasochi sti sche Gese ll schaft (3 . Exkurs) 201
»cru el avec infinim ent de se nsibilite<<:
vom roman inverti zur inversion rom anesque 211
Inversion als Orn ament . . . . . . 217

Bildteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
Vorwort

Das Werk Marcel Prousts ziih lt ni cht nur in Frankreich zu den beso nd ers hii ufi g ve r-
hand elte n Gegensrä nden der akad emi schen Fo rschun g. D ie vo n Geo rge Pisw rius
ve rfa ss te imerna tiona le Bibli ographi e, )) Ma rcel Pro ust und Deutschland« (H eidel -
berg 2002) , ze igt, wie beharrli ch und in te nsiv auch in den deutsc hsprachige n Lin -
dern dazu gefo rscht wo rd en ist und wie Prousts CE uvre imm er wieder Gelege nh eit
geboten har, sich mit se in er lmerprerarion wirku ngsvo ll in di e jeweil s ze itgenöss i-
schen De nkbewegungen einzuschreiben - von Ernst Roberr C ur tius über Walcer
Benjamin und Leo Sp itzer bi s zu Perer Szo ndi und Hans Roben Jauf~. Ein e von der
Marcel Proust Gesellschaft ge trage ne und von Marei C hihai a im Jahr 20 I 0 in de r Bi-
bliothek der Bergischen Uni versität Wuppe rtal ein ge ri chtete Ausstellun g >> Pro mov ie-
ren über Proust- I 00 Akadem ische Versuche« belegt, dass diese Ko njun kw r unge-
brochen ist. Noch als Man uskript f-i guri ert am Schluss des begleitend en Kata logs d ie
2009 vo n der Freien U ni vers ität Be rlin angenommene Disse rtatio n von Bo ris Ro-
man G ibh ardr: >>Das Auge der Sprache. O rnament und Lin ea tur in Ma rcel Prousrs
geschri ebener Wa hrn ehmun g<<- nur im T itel verschl ankt, erscheint sie nun wün-
schenswe rt zeitna h in der Reih e PmJ'f/gen/Passages des Deutschen Forums für Kun st-
geschi chte in Paris.
G ibh ardts Schrift ist emsranden am Peter Szo ndi -1nstitut der Freien Uni versir:ir
Berlin , betreut vo n Gen Mattenkl otr - es wa r die letzre Disse rtatio n, d ie d ieser be-
deutend e, im Jahr 2009 versto rbene Kompararist bis zu r Promotion begleitet hat. Es
hand elt sich mirhin um ein e Arbeit auf dem Feld der all gemein en und ve rgleichen-
den Lireraturwissensch;lft. Z ugleich aber da rf sie allen Anspruch da rauf erh eben, au ch
als ku nsthisto rische Studi e gelesen zu werden ; We rn er Busch fun gierte als Zweitgur-
achter. Dass die bild end e Ku nst in Pro usts Recherche zu de n kon stanr aufge rufe nen
·n1 emen ziihlt und dabei in ein ganz eigenes Redn eingesetzt wird, ist ofle nkundig -
wobei ersta um, dass sich die akademische Kunstgesc hi chte d iesem ll1 ema nur selten
wirkl ich ein liissli ch zugewandt hat; in jüngster Ze it hat namend ich Mi chael Z imm er-
mann d iesbezügli ch vielve rsprechend e Ansiitze untern ommen.
Welch enorm es Potential hi er noch vielhell un entdeck r li egt, ve rd eutli cht Eri c Kar-
pei es' Bi lderarlas >>Ma rccl Proust und die Gernü lde au s der Verl orenen Zeit<< (Kö ln
20 10). Bo ri s Ro man G ibhard e begnügr sich jedoch ni cht mit dem naheli egenden
Verfah ren, Pro usr als C hroniste n visuell er Erfa hrun gen w charak te risieren, also
Wa hrn ehmun g hi er >>deckungsgleich<< in Sp rache abgebild et zu sehen. Er begreift die
Wahrn ehmung dagege n als sich in der Sprache erst erf-:d1rend und dort vo ll end end.
Kei ne m i meri sche Memo ri alpoetik, als vielrn eh r ein e Poetik des lm aginären ste ht im
Ze nrrum di eses Buches, also Prousts Hervorbrin gun g vo n sprachli chen Äqu iva lenzen,
d ie das Verh iiltni s vo n Visualitiit un d Sprache neu bes timm en und erwe ise n, wie un -
gleich vielfiil riger und offe ner di e li te rarische gegenüber der empirischen Wa hrneh-
mun g das De nken über di e Kunst befö rde rt.
X VORWORT

Prousc verwandelt Bilder visueller Anschauung in Sp rachbilder, wobei es ihm weni-


ger um anschauliche Wiedergabe als vielmehr um deren Transformation und "ll·a ns-
zendeJ1Z - und damit letztli ch um ihre Verselbsc~indigung in einem Universum des
Imaginären gehe. Die modellh afte Bedeucun g des malerischen Impressionismus, in
d essen ästhetische Nähe Proust bequemerweise imm er wieder gerückt worden ist,
vermag Boris Roman G ibharde überzeugend zu relativieren und erkennt statt dessen
in d en abstrakten Linien, Arabesken, Falten und Ornamenten noch der unterschi ed-
lichsten künstlerischen Idiom e, Epochen und Gattungen die eigentlichen Figuratio-
nen, mit denen Prousc als Sp rachbildner in ein dialogisches Verhältnis tritt.
Oie von G ibharde erörterten Bilder werden damit ein er Neubewertung unterzogen ,
wenn es sich, wie im Fall e etwa der Muschel, um solche hand ele, die di e Forschung
lange schon beschäftige haben. Neu hinzu treten aber Bildkonscellacionen, die bislang
weitgehend übersehe n worden sind, und di e erst durch den von Gibharde verfolgten
Ansatz zu eigenem Reche gelangen; darunter auffallig viele aus d em Bereich der d e-
korativen Künste - die oft beconte, fundamentale Bedeutung von John Ruskin für
Prousc erfährt hi er di e lange überfällige Bestätigun g im Detail.
So treten Pari ser Balko ngitter ebenso prominent auf wie Paravents und etwa Was-
serläufe oder, gleichsam paradigmatisch, das Wappen d es Baron de C harlus, d as hi er
virtuos als Ornamenthera ldi k von homosexuell er Leidenserfahrung, von Enchüllung
und Verbergung, Psychologie und narrativer Verdichmng eines Protagonisten der
Dämmerung der Adelswelt des späte n 19. Jahrhund eres gelesen wird.
Das D emsehe Forum für Kunstgeschichte in Paris hat sich um di e - durch di e
Marce! Proust G'ese!!schaft gro f~zügig uncerscützce - Veröffentlichung di eser Smdie in
seiner Schriftenreihe nicht nur bemühe, wei l sie auf beson d ers glückli che Weise di e
jüngere demschsprachige Frankreichforschung repr;isentierc, so ndern auch, weil sie in
ihrem methodi schen Z ugriff. mit jenen bildkriti schen Positionen korrespondiert, die
ein e avancierte Kunstgeschichte überhaupt erst in di e Lage versetzen, wirkungsvoll im
theoretischen Kontext der Geisteswissenschaften zu operieren. Dass ihr Aucor auch
als Mitarbeiter an das H aus hat gebund en werden könn en, wo er sich insbeso ndere
den Fragen der »Materi alitiit<< der Kunst zuwendet, gibt Anlass zu d er zuversichtlichen
E rwartung, d ass hier weiterhin gedanklich gewagt und intell ektuell expandi ert wird.

Paris, im Januar 20 I I
Andreas Beyer
>>A ber was suchen w ir in d en Künstlic hen Paradiesen -
wir, di e w ir nur Kamm erpsycho logen sind ?
T räume oder Träum ere ien ?
it Dorian Was sind für uns di e ausschl aggebenden Dokumem e?
Bü cher, ni chrs anderes als Bü cher.
W ä ren di e Kün srli chen Paradi ese imm er no ch Paradi ese,
wenn es nichr gesc hri ebene wäre n ?
D ie Kün srlich en Paradiese sind für un s Lese r Paradiese d es Lesens«

Gasro n Bachelard
I. Prousts Poetik der Bildlichkeit-
eine Annäherung

»L unire d e l'ex pe ri ence pro usrienn c-


se nsuell e, a nifi cicusc, blasph em aw ire -
no us echap pe enco re. «
1
Juli a Kri sreva

1. Wahrnehmen und Schreiben

D as Schreiben der Wahrn ehmun g ist eine Fi gur der Unabschli eßbarkeit wi e die
W ahrn ehmung selbst. Ge nauer aber ein e Multiplizierun g möglicher Wahrn ehmun gen.
Es überbietet das wahrnehm ende Sehen, ind em es ein e imaginäre G leichzeiti gkeit
entw irft, in der die Gege nwart im Gege nsatz zur se nsori schen Perze ption ni cht nur
in all e Einzelheiten hinein präzisiert, so ndern auch vo m Standpunk t der Erinn erun g
auf di e Z ukunft hin konstelli ert we rden kann . Das Z eich en diese r G leichzeiti gke it in
Pro usts Schreiben ist das Bild. Selbst dort, wo der Wahrn ehmungse indruck di e poe-
tische M etamorphose zum Ge m ~ild e oder zum erstarrten G laskunstwerk durchliiuft,
hält es nur an, um an anderem Ort andere Bild er in Ga ng zu setze n, se i es durch
Ähnli chkeit, sei es durch di e Serie oder di e Variation. Auf di ese Weise erfindet A Ia re-
cherche du temps perdti den >>Gesa ng der M ögli chkeiten«3 im unabl äss ige n Entfalten,
Er-Schreiben, Wi eder-Schreiben , Präzisieren der kl einteili gs ten Eindrü cke. Hi er hat
di e Sprache der Wahrn ehmung ihren Ursprung: Jede empirische Perze ption hinter
sich lasse nd und sich gerad e in der iisth eti schen Diffe renz von Wahrnehmung und
Sprac he entwickelnd, entwirft sie di e W elt als Kal eidosko p alle r möglichen Wahrn eh-
mun gen , so wi e diese sich aus der Gege nwart des Schreibens heraus darstellt. Oie
geschriebenen Bilder sind dabei kein e erinn erten Bilder, sie sind verze itlichte Bild er.
ldentitiit - denn sie ist das Z iel des dichterisch en Ich der Recherche - bedarf ein er
Konti guit;it der E rfahrun g, wie sie ohne Erinnerun g ni cht möglich ist. D a jede E r-
innerun g auf ein e Wahrnehmun g in der Gege nwart an gewiesen ist, um aktu alisiert
zu we rd en, ver;ind ert sie sich auch in dem Mafk in dem di ese Gege nwa rt im Schrei-
ben voranschreiteL Oi e E rinn erun g im Sinn e des E rinne rten ist dah er das Unm ög-
li che der Recherche, ihre Lee re, ihre Abwese nh eit. Das Unvo rd enkli che des letzten, all e
lde ntität bann enden Bild es brin gt die Sprac he der Wahrn ehmun g hervo r und statt
des einen Bild es die Bilde r. Di ese Sprac he ist das di chterische Arsenal im Rin gen um
di e Vi elzahl fragm enti errer Bild er und Zeitmom ente, die sich in der Summe und in
ihrer Konstellation d em Idea l der Konti guitiit in einer neuen iisth etischen O rdnun g
ann ;ih ern und auf di ese Weise Verga nge nheit und Z ukunft in eine überdimensio ni er-
6 I . PROUS T S POET I K DER BI LD LI CHKE lT -E IN EAN N Ä H ERUNG
1. WA H RNE H ME N UND SCHRE IBEN 7

re Gege nwa re hin e inh o le n, di e di e d es Schre ibens und se in e r äs the tisch e n Erfahrung Paradi g ma der U n a bsc hli ef~ barke it. N icht Diffusio n, so ndern imm er derailli errere
ist. Priizisio n geht mit ihr einhe r, wie ein un endli ches Echo vo n Fragen . D em O rnamenr
Ni cht E rinn erun g, d eren Poetik und Phil osophie beso nde rs in d er d eutschen ist Zeit eige n; o b es, wie in Pro usts Venedi g, den Blick ansaugt und den Betrac hte r
Pra usr- Forschung bisla ng im Mirtelpunkt sta nd , pr;ig t d as Pro usrsche Schre iben in zur la ngsa meren Hin gabe des Auges überredet oder, in den Avamgarden, das Einfa-
se in er Ko mpl ex ität a m vordring li c hste n, so ndern Wahrn ehmun g, zu de ren Modi di e che seine r Form durch de ren em g renzende Wi ederh olbarkeit dementi ert: die Zeit der
E rinne run g im Stre be n geste igen e r Wahrn ehmungsfä hig keit nur zä hlt. Di e E rzä hl- Wahrnehmung w ird im O rn amem äs thetisch. D ieser verselbständi gt o bj ektive n Fo rm
p erspekti ve de r E rinn e run g ist, was a nd ere no rts d e r M odus d es Traums darstellt: ein überhisst sich die di chterische Wahrn ehmung, um sich zu m Preis de r eigenen Abwe-
Alibi , mit d em di e schriftstell e ri sche W ahrn ehmun gs praxis wu chern kann. Oie E r- senh eit imm er näher zu ko mm en. Oi e Realir;it wird ein er Kun stwirkli chkeit anh eim -
inn e run gs pe rspe ktive di ent d azu, di e gegenstä ndli c he W eit a ls doppelt abwesend zu gegeben, in de r all ein sich Sensibili üir und ReAexio n - das Sich- Verli eren im E mp-
setze n (A bse nz in de r Schrift, Abse nz in de r E rzä hlze ir), um d es to m ehr ihre mög- find en und das Sich-Emdecken im Umerscheiden -, Emp fi ndun g und Erfi1hrung,
lichen Ersche inun gen a ls anwese nd zu im agini ere n . »Di e Ve rga nge nh e it ist das, was in der geo rdn eten G leichze itigkeit der Sprac he ve rbind en könn en . Di ese O rdnun g,
ich bi n, o hn e es leben zu kö nn en «4 - dass di e E rinn erun g in di esem Si nn >>S ubsta nz« di e o rn am emal e, schließ t die Passivität der Empfindung mir der Ak tivitä t der Wahr-
ist, we iß Pro usr, und sucht di e >>Essenz<< a ll e in in de r Gege nwa rt d e r Di chtung, di e nehmung zusa mmen. In den Beschreibun gen vo n Ornam e m en, die Impress io n und
jed e ve rga nge ne E rfa hrung n u r übersetzt, um sie im Wort ne u zu setzen . E rinn erun g ReAex io n zugleich sind , gipfdr Pro usts geschriebene Wahrn ehmung. Hierin ze igt sich
ist bei Pro ust wede r di e Id emi r;ü e in es M o m em s mi t eine m fi·üh e re n, noch di e Über- der D ichter der Recherche beeinAuss t durch Jo hn Ruskins O rna memrheori e, durch
setzun g des e inm al Gese henen in sein a kme li es Bild. Sond e rn umgekehrt wird das den Ges taltungswill en der Ans deco rarifs um 1900 (G alles Juge ndstil, Fo rnmys
wa hrn ehm end e Subje kt in d as E rinn erun gs bild mir litera rische r Li st hin eingestell t, Texrilkun st, der Japo ni smus, erc.) und durch sprachkünstl erische Umernehmungen
um es in d er Zeit sich selbst imm er nä her ko mm en zu lasse n im Su ebe n nac h e in er der Baudela ire- Nac hfo lge bei M o m esquiou , Malla rm e oder Hu ys m ans. D as O rna-
Gege nwä nig keit all e r ve rga nge nen und zukünftige n Wa hrn ehmung im Bild. D as Er- ment, zw ischen Z ier und Zeichen cha ngierend , stiftet, bedingt vergleichba r mi r der
inn ern a ls Fo rm konstitui ert hi er noch di e Erziihlba rke ir des Lebe ns bevo r d er D ic h- Funkti o n der Arabes ke in de r Romantik, tra nsve rsa le Beziehungen quer durch das
tung vo m Surrea lismus zum no uveau ro m a n a uch di ese Hil fs konstrukti o n ve rsagt Textga nze. Das O rna ment- einerseits stilisiertes Parergo n, das ein archi te kto nisc hes
sein w ird. Di e Wa hrne hmun gsäsrhe rik, die poetol ogisch 5 gesehen die H a ndlun g und G an zes nach a u(~e n hin ö ffn et, ihm ei n Ges icht gibt; Anknüpfun gs punkt ei ner Wa hr-
also auc h N a rra rivität a u(~e r Kraft zu se tze n beginn t, um selbst H a ndlun g zu we rden , nehmun g und Empfindun g über den parerga nale n Um weg des D etails; und a nd erer-
ist als ein e visuell e Rh etorik zu beschreibe n: D e r für Prousr cha rakteri stisch e Reich- seits verschwi egenes Ko nstrukt, mikrosko pische Po imi erun g im Riirse l - ist im Wech-
tum a n M eta ph ern , M eto nymi e n und kunsthistorischen Ve rweisen di em d em Ver- selspi el vo n E kphrasis, Figurati o n und Srrukrurm etaph er ein Elem en t künstlerischer
such, ein e Sprache de r Wahrn ehmung zu find e n , d . h . die Sprac he und l~ il<t i o n zu m lm agin atio nsfiihi gke ir. ln der Ambivalenz von O berA iiche und Ti efe, Schri ft und un-
eigentli ch en Vo llzugsorga n vo n Wahrn ehmung und ihrer D eumng zu m ac hen . Ni cht endli cher Bedeutung und kra ft se in es überdere rmini erten Po renrials der Verwe isun g,
Rep rodukti o n des E rinne rten durch Sprache, so nde rn Produkti o n von W ahrn ehmun g C hi ffrie run g und M as kierun g bild et es einen perpetuellen Appell an di e Wahrn eh-
in Sprac he, ist das Z iel: Ni cht Wa hrn ehmun g abzubilde n , so nd ern sie in de r Sprac he mungsfä hig keit des Iirerari schen Subjekts und durch Vo rstel lung Erkenntn is gewin -
zu erfa hren und zu vo lle nde n, ist d as Agens d e r Recherche. nend en Individuums, das der Leser ist. D enn in der Wahrn ehmun g des O rnamem s
Wa hrn ehmung und Gege nwä nig keir schein e n ei nander a nzugehören wi e ihre rseits und in der Wahrnehmung vo n etwas als O rnamem übertrifft sich di e Wahrn ehmung
Erinne run g und Ve rga nge nh e it. Und we nn di e di ch te rische W a hrne hmun g sich de m sel bst - und wird Wahrn ehmun g ein es künstlerischen Prinzips, ein er ästhetischen
Ab wese nd en verschri ebe, di e Gege nwärri g keir ihres Tun s se lbst d abe i abe r nie m a ls Wahrnehmung, in der der Ro man , und mit ihm auch das Subj ekt der Lektüre, sich
ve rsä umte? O ie geschri ebe ne n Wo rte m ögen Spure n vo n e inst Wahrge no mme nem selbst un abschli eßbar reAekti ert. 6
se in, das ist m ögli c h. Aber führen sie zu d esse n Re präsenta ti o n ? Ge hö re n sie ni c ht In di ese r Lehre der Wahrn ehmung b ildet sich, wi e das Schreiben und Umschre iben
e in er neue n O rdnun g a n, di e d as Sys tem d er Sinn e zu übe rrre ffi::n suc ht? M a n stell e des l cx res genetisch zeigt, das Proustsche Sehen perman ent selbst weiter, reAekti err
sich ein O rn a m ent vo r. Sein e O rdnun g ist abstrak t, ve re infache nd , e in e zweidim e nsi- sich in der M ew nymik, dem Sra nhalrer ein er subj ekti ve n Relarivitiir und M odalität
onale Auswa hl da rstellba re r E rsche inun gen . Nun abe r gewin m di ese O rdnun g rasc h d es Sehens, und delektie rt sich am Iire rarischen Sehen un d Verwand eln rarsächli cher
ein e ne ue Wirkli chkeit, ko mpl ex und un abschli eßbar, di e d es lm agin iire n. All e Ze i- Kun sr. Oi e Lust arn Sehen und Sehen-lassen, a n Vision und Vi sualisierun g, ist, al s
te n sind hi e r gleichzeit ig endl os. Vo n d er rä tselh aft- ve rschlun ge ne n A rabeske bis hin sprac hliches, reAex iv, ind em di eses Sehen - nach Pro ust auch für den Leser - im Le-
zur einfac hste n, d a mit se ri a lisie rba re n Fig ur fo rmuli e rt d as O rn a m e n t e in äs th etisches sen ein er Pos iti o nsbes timmung des eigenen Ich in Zeit und Raum gilt. Das e in e Auge
8 I . PRO U ST S POETIK DER BIL D L IC H KE l T-E IN EA NN ÄHERU N G 2 ER IN NER N ODER WAHRNE H ME N ? FORSC H U N GSSTA N D. MET H ODE 9

im mikrosko pischen Bl ick auf di e D e wilstrukrur eine r infinites imale n Li nie, eine r 2. Erinnern oder Wahrnehmen? Forschungsstand, Methode
Falte, ein es O rn a me nts, d as a ndere Auge im telesko pi schen Bli ck a uf di e Z usa mmen-
scha u d e r entl egene n Erfa hrunge n geri chtet, ava ncie rt Pro usrs Sprac he in Verlauf de r Oi e deutsche Pro usr-Forschung, zun ächst im M a ßstab ihrer g rof~e n Entwicklun gs-
Ni ede rschrift des Ro mans zu ein e m imm er sensibl e re n O rgan d e r Wahrn ehmun g. linien betrachte t, steht seit den früh en und überaus pr~ige nd e n Beiträge n von Ernst
Das Entfalte n de r Wahrn ehmung in de r Summ e ihre r ein zeln e n Empfindun gsqualitä- Ro ben C unius7 und W alcer Benj a min 8 im Zeich en der E rinn erun gs poctik. Letzterer
ten und d as In ein a nd erfa lten di eser E rke nntni sfragm e nte zur Bildli chkeit ein erneuen legt Pro usrs Schreiben auf einen >> res taurativen Wille [n ]« fest, mit dem di ese r kul-
Sprache e rmögli cht di e Erfahrung je ne r Ko nti gui r;it, di e jede r se nsorische n Perzepti - tisch di e Kindheit beschworen habe, während seine anges treb te >>Erl ösung« , da bloße
o n na türli cherma ße n m angelr. Oieses sensible Schreiben d a rf, w ie di e Wahrne hmun g Privarve ranstaltun g, miss linge n muss te. 9 C urrius, der gleichwo hl scho n auf die Bild-
d es Sehenden , ni cht e nd en , will es sein en Gewinn ni cht verspiel en. Es ist, ex tensiv, lichkeit der Proustschen Sprache aufme rksa m ge macht ha t, deutet di ese als Durch-
notwe ndig Lebe nsvo llzug, wie Pro usrs E rfa hrung zeig t, und es muss, intensiv, O rna- brechung des Sinnlichen ins Geistige und d amit letzte ndli ch als »Pia to nismus«, 10
m e nt we rden : geo rdn ete Un abschli eßba rkeit. Di esem In -S ic h-Kreisen d es Tex torna- als Erinn erungs kunst eines M emo ire ndi chte rs. Zweierlei hat sich - um nur di e für
m ents, welches di e Sp rac he vo n Bild zu Bild und d as schreibe nde Lebe n vo n W o rt zu den hier beschri ebenen Untersuchungsgegensta nd entscheidenden Voraussetzunge n
W o rt immer neu beginn en läss t, um es im Vo rtex d es Scho n-Gesagte n alsbald zu ver- zu benenn en - seit C urrius' Lektüre getan: Z um Ein en wurde das auto fiktive und
zehren , ende t erst mit de m Tod und befreit das Schreibe n zum W erk, für d en Leser. sprac hkün stlerische Vermögen d er erdi chteten, ni cht erinne rte n Lebensbeschreibung
A ll e Impulse in Pro usts hypersensibl en Schreibe n sind so lch erart beeinAuss r vo n hervo rgeho ben. 11 Und zum And eren wurde die bei H ans-Ro ben Jau ß posmli erte Te-
de r M od ali tä t d er Wahrn ehmung. Z u de n perze pti ve n M odi , d eren Iirerarische Auf- leologie ein er an di e Erkenntnislehre des Ro man-H eld en gebund enen E inh eit des Ro-
zeichnun g beso nd eres Gew icht beansprucht, gehö re n d as Ben·ach te n d es bewegli chen m ans12 de menti ert in dem M aße, in dem ersichtli ch w urde, dass der Schluss teil des
Ra ums (z. B. M etam o rph osen vo n Li cht und M eer), d as Lesen (Bewegung in de r We rks nicht das letzte Wo rt sein es Au to rs wa r, so ndern de r Ro m an mit te ndrin , in
Zeit) und das Fa hre n (Bewegun g des Selbst) als jewei ls einziga rtige Raum -Zeit-Er- der Alben ine-Episode, nach erheblichen Ausuferun gen, sein E nd e erst im Tod sei-
fa hrun gen. Mi t de r Wa hrn ehmung gehe n de re n Unzulängli c hkeiten und blind e Fle- nes Au to rs fand. Beso nders der Untersuchun g dieses späte n w ilde n Schreibens nimmt
c ken einhe r: Oi e phys iogno mische Unlesba rkeit des C harakte rs, d as Sich-Entziehen sich seit einiger Zeit die C ritique generique a m Institut des tex tes er des m anuscrits
d es no torisch ve rd ~i c hti g te n Liebesobj ekts, das Vergessen d er Zeit, di e A ro mi sierun g modern es (rrEM) in Paris an. Di e E ntdeckun g vo n Pro usts M anuskripten, ihre Tran-
d er Seheindrü cke, das Probl em d er D e no tati o n des Flüchti gen . Gegen di ese Bedro- skripti o n und Z uo rdnun g, ist also , ga nz abgesehen vo n ihren mögli chen Exegesen,
hunge n d er Id entität schreibt d as Ich des Ro mans in Bilde rn an, häufi g ga nze Se ri e n, noch ke in es f~1ll s abgeschlossen. 13 Di e jüngs te Pl eiad e-Ausgabe gilt bei Spezialisten 14
di e ein e Wa hrn ehmun g präzisieren soll en und d abei imm e r neue verzeitli chte Bilde r scho n als überh olungs bedürftig. Mi t den neuen philologischen Erkenntni ssen erge-
he rvo rbrin gen und Z usa mm enh ä nge stiften. Di e Ka usa lität de r Umstände weicht in ben sich aber auch neue Bli ckw inkel für di e poetologische und kun stw issenschaftli che
di eser Wahrnehmung zweite n G rad es, di e di e O rdnun g d e r Sprac he ist, eine r Virma- Deu tung des Tex tbefundes.
litä t der M ögli chkeiten ; der Refere nt verAüchtigt sich , d as Spiel begi nm: Di e Schreib- In der deutschen philo logisch ausgeri chteten Pro usr-Fo rschung hat a m deutli chsten
weise, ihre lebensweltl iche n Ge halte nur noch allego risch umspiel e nd , ist zur Intelli - e rke nnba r Rain er Wa rning unter der Parole vom >>Schreiben ohn e End e<< di e Idee ei-
genzfo rm gewo rd e n, zur Ph ys iognomik d es D echiffri e re ns und Neuve rsteckens, und ner Teleol ogie des We rks mit Bli ck a uf Derridas »disse minatio n<< zugunsren je ne r der
ihre Bildlichkeit zur un a bsc hli e f~ ba re n Übun g im Erke nn en d esse n , was sich de m Er- Unabschli eßbarkeit außer Kraft gesetzt. 15 (D as >>Schreiben ohne End e<<, d o rt als erlit-
ke nn en zu entziehe n scheint, zum imm er wache n >> instrum e nr o ptique« (lV, 474) de r tenes ve rstand en, mag sich in der vo rliegenden Arbeit als bejahtes erweisen: endlos,
geschri ebene n Wahrn ehmung, zum Auge de r Sprache. aber ni cht unvollend er.) 16 Wi chtig für den Standpunkt ein er Wahrn ehmungs poetik
ist Wa rnin gs all gem eine Fes tstellun g, Erinn ern vo llziehe sich in der Recherche im a-
g in ~i r : Im Schreibprozess ve rselbstä ndigen sich di e M etam o rphosen d er D in ge und
de r Zeit und sind da mit kein e eigentli che n Erinn erun gen m ehr. 17 Der Sehri rr zu ei-
ner Wahrnehmungs poetik - statt ein er Me mo ria lpoetik, w ie sie noch einzeln e Ar-
tikel prägt18 - , ist hier indesse n nur bedingt vollzogen: zu ein er >> impress io nistisch<<
gedem ere n Poetik der Kontin genz, des Flüchtige n, d es Serielle n. 19 Pro usts Poeti k de r
Perzepti o n setzt di ese m Zerfidl d er Wahrnehmun g aber die Präzisio n des De tails e nt-
gegen und kehrt damit au ch Flauben s Wend e vo n ein er D arstellungs- zu ein er Wahr-
10 I . PR O U ST S POE TI K DER BILDLIC HK El T-E IN EANNÄHERUNG 2. ERIN NERN ODER WAHRNEHMEN? FORSCHUNGSSTAND, METHODE 11

nehmungsäsrhetik 20 (der nmani e re absolue d e voi r !es choses<<) nochmals um zu einer manns Versuch, a us Prousrs Tex ren e in e no rm ative Poetik, d. h. ein e bes timmte >>Sti l-
Wahrn ehmun gspoetik d e r sprachliche n Darstellun g und Darsrellbarkeir. Zudem er- th eo ri e<< bzw. >> Bildrheorie<< 26 zu desti lli eren , kontrasti ert mit d er in d er vo rli egenden
sche int es a ls D es id erat, die kunstwisse nschaftli ehe n Bedingungen der von Warning Arbe i r vertretene n Auffassun g von d e r u nabschl i ef~bare n Plural i r;it d er Prausesehen
philologi sch-philoso phi sch e rbra chten Imaginationstheo ri e zu e rarbeite n. Vor all em Ges ralrun gsf-or me n, d eren Redukti o n auf begriffliche Kond ensate ein e fal sch e Verein-
abe r ist mit dem PHidoyer für die Bed eutu ng d er im agin ~i re n Mod i d es Romans eine fa chung wä re. Das Sprachkun stwe rk als iisrh erisch es Manifes t zu lesen, kann ni cht
Tür a ufgestoße n. D er Begriff vom Imag inäre n kö nnre dabei, als missverstand ene r, ei- Aufgabe d er Kritik sein ; vi elm ehr ist im Sinn e Bachelards d e r Eige nsüindi gkeit d es
ner Willkürli chkeit, impress ionistischen Verschwomme nh e it o d er vagen Unendlich- Iirerarischen A usdrucks Rechnung zu trage n. 27 Dass niimli ch die kunstdidaktische n
keit von Prousrs Sch reiben das Wort rede n, w~ih rend e r d e n Blick für die O rdnun gs- Passagen a m Ende d es Romans eigentlich zu Beginn ve rfasst w urd en, müsste vielmehr
form en d es Romans sch ürfen so llte. Es ist d ahe r e in e These dieser Arbe it, dass sich die A nlass geben , zu zeigen , wie die dort exponierte >Th eo ri e< im Verl auf d es Schreibens
Wahrne hmun g, di e das Imag inationspo tential d e r Sprache u nd ge naue r d er figural en, sel bst d emen tie rt o d er wmindest erweitert w urde: zu einer Poetik nicht bloß der Er-
bildlieh en Sprache nu tzt, in beme rkenswerten Maße in e in e r beso nders kl e inteilige n, innerun g, sondern d er Wahrnehmung im Schrei ben, Überschreiben und kunsthis-
auf Präzision bedachte n äst hetisch en O rdnun g o rga nisiert, der des Ornam ents und , tor ischen Sp urenl egen, wi e es di e Id ee dieser A rb eit isr. Das Geistige, »Platoni sch e<<
als dessen E leme nta rfo rm , d e r Lineatur. (Currius), die >>Essence << 28 d er Prausesehen Sp rachobj ekte (E rinn erun ge n, Reminis-
Wahrnehmung ere ig net sich be i Proust stilbild e nd in d e r Form der Ekphrasis, zenze n , Ekp hrase n) muss von ihrem sinnli chen Korrelat, entgege n d er se it C urrius
hüufi g der Beschreibun g ein es imagini erten oder im ag i1üren Bildes, Gem äld es, Aus- und Benj am in virulenten stillschweige nd en Annahme, kein esfa lls getren m se in . Dass
schni tts erc. Solche n Sprachbilde rn haben sich Isa bell e Z ube r am Beispi el d er See- ge rade di e sinnli chen und ph äno m eno logischen Kriteri e n der Pro ustschen Sp rache
bild er und -ausb li cke 21 und Mieke Bai gew idm er. Letzte re weist auf di e bildschirm- E rkenntni skatego rien sind , hat höchst eindrü ckli ch Jea n-Pi erre Ri cha rcl gezeigr. 29 Das
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ä hnli che Flachhe it und d e n Figurar ionsch a rakte r di eser Sp rachbi lde r hin . Obwoh l Bu ch des gle ichwo hl bekan nte n Fo rschers wurde in d er d eutschen Prausr-Fo rschung
hi e r der O rn ament-Beg riff ni cht Hillr, stützt di e Idee d er Figu raliüir die e inga ngs nicht nennenswert rezipiert, zu Unrechr. Richa rd legte erstmals di e Aufme rksa m-
formuli e rte 111ese von d e r Ornamenthafri gke it d er Prous tschen Beschre ibung. Dass kei t auf die sprachliche E rze ugun g von Sinnesqu alitäte n ei nzeln er Materialien und
diese a uch in die Syntax hin einragt, w urde unte r re in sprachsti listischen Gesic hts- OberA iichen . Er ist damit, ga nz ohne ein e Memorialpoetik zu t hem atisieren, d er die
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punkre n scho n früh von Leo Sp itzer und später vo n Jea n Milly konsrarie rr. Wo mir Prausr-Lektüre jenseits ihres angeb li che n th eo retisch en und diskursiven Werts pr;i-
d em Symptom d e r Fl ;ichigkeir aber nur eine Eige nschaft d e r Pro usrschen Sp ra chbil - ge nde n Rezeprion siisrherik sehr nahe geko mm en. Ein Desid erat d er Fo rschun g muss
d e r benannt ist, erl aubt d er O rn a m e nrb eg riff~ d e n o rn a m e nta le n und stilisie rten Z ug es sein , di e bei Richard unausges p roche n psychoa nalytisch und semi o logisch o rie n-
vo n Prousts >>ec rimre<< als auch literat urgeschi chrli ch zu begre ife nd es Verfahre n d e r ti erten Verfa hren mit ein er kun stwissenschaftli ehen Methodik ZLI ve rein en, um grö-
Abst raktio n zu sehe n . ln di esem Z usa mme nha ng steht auch di e Au Aös un g der Narra- Ge re Ge naui gkeit d arüber ZLI erh alten, wie di e eigentlich e Wahrnehmun gsäst hetik in
t ivität in Bildlichke ir. Stichworte dieser Ornamentalisic run g sind G raphismus, Geo- die Lite ra ri z it~it einer Wahrnehmun gspoetik und schließlich -epistemik umschl age n
m errisierung und 1i·ansparenz bzw. Diaphani e. Es ze igt sich hi e rbei, dass ni ch t nur konnte. Denn um Beschreibung bloßer D in glich ke it geht es Prousr ebenso we nig wie
die menschlich erschaffe ne Kunstweft, sond ern sogar di e Natur und Landschaft nach um intellek m ell es E rinnerungsvermögen : Vielmehr gibt sich d ie Wi rklichkeit e in em
M a f~sräben künsrleri sche r Modell e beschriebe n wird , ga nz in Wildes S inn, d ass nicht Sp iel d e r Signifi kanre n hin , d eren D eutung den Erzä hl er in d er vo m Autor insze-
di e Kunst das Leben , so ndern das Leben die Kunst imiti ert. Diese n, vom Paseich e- ni erten Wahrn ehmungslehre beschäft igt. Als >>a pprenrissage d e sig nes<< statt Roman
und Nachahmun gsv irtu osen Prou sr aus der bild ende n Kun st in di e Sp rach e übe r- d er Erinnerun g hat G illes Deleuze di e Recherche lanc ierr/ 0 in seinem philosophischen
führt en Techniken ist noch kein e gezielre Darstellung zuged acht word en . Beso nd ers Interesse dabei allerdings die Ze ichen, di e über di e Ceschi ehe d es Helden hinaus d er
w urde n di e Bilder m eist als Versuch gewe rtet, di e Erinn erun g in ihn e n zu a rretieren , Text an d en Leser se nd et, weniger ernst ge nommen , w~ihre nd Juli a Kristeva , in be-
wä hre nd sich im Schreiben dieser Bild er d er schrei be nd Wahrn ehm ende vie lm ehr g riffli chen Verko mpli zierun ge n d er Ansätze Richards und Del euzes, das C hi ffri ere n
selbst erkennt in seine m di chw·ischen Begehren , übe r Wa hrn ehmung um fasse nd zu und D echiffrieren d er Zeichen in d en abso lmen Vokabeln d er Psychoa nalyse zeleb-
verfüge n .2·' riert, di e ein Weite relen ken der >>co ndi t io n prousrienn e<< ka um erlauben wo ll en .3 1
Dass in Prou sts Roman di e Handlung zurücktritt u nd sic h im Sinne d er >> m era- E rinn erung g ilt d e r Selbstversicherun g, aber auch d er Verw irrung d er Zeichen.
pho re<<, d e r >>a na logie<< und des >> rappo1T<< in durc h Sp rac he gesta ltere Bildli chke ir auf- D eren Deutun gsve rsuch via ÄJ1nlichkeirsd enken führt zur imm er komplexeren Kon-
löst, zeigt Rod eri ch Bill ermann: Die »m etaphore<< se i e ine >> im agin ä re Se rzung<< und stella tio n von wnehmend atom isierten Wahrn ehmun gsb ild ern. Di eses Verfa hren
dah er nicht länge r an Sukzess io n, Ze irli chke it o d er Handlung geb unde n. 25 Bill e r- wä re ni ch t nur, im Anschluss a n Form en d es Arabes ken bei E. T. A H offma nn, Poe
12 I . PROUSTS POETIK DER BI LD LI C H KE lT - EI NEAN N Ä H ER U NG 3. EIN ITI NERAR I UM DER BIL D LI C H KE lT 13

und G oeth e, als fi gura ti ves, o rnam ental es zu beschreiben , sond ern di e aufgebote- dah er vo n Seiten der Li te raturw issenschaft ein genaues Q uellenstudium de r Vo rl age n.
ne Bild erwelt steht selbst im Bann von O rn a m ente n , vo n Pa riser Balko ngittern zu Di e vo n Pro ust selbst scho n als un ausweichlich erka nme Flut des Im agin ären brin gt
Schrift-Schn ö rkeln und ve nezia nisch-m a ures ken Spitzböge n . Unternimm t es, lite- ni cht nur di e von de M an und Wa rning beschriebene Dispersio n, so nde rn auch eine
raturgeschi chtli ch gesehe n, scho n Goeth e in sein e m RiJ'mischen Karneval, nah ezu Pr~iz i s i o n mit sich . An di esem Paradox muss die Wahrn ehmungs poetik a nsetze n. Dass
erstm ali g in sein em We rk , Wahrn ehmung w beschreibe n , o hne di ese in ein e Hand- ein vo n Ruskin geze ichn etes Orn ament in Prousts Text un gena nnt w iede rkehrt, näm-
lung einzu fü gen - das visuelle Gescheh en w ird sich selbst w r H a ndlun g - , so ist bei li ch als Sprach-O rna ment mit un zä hli gen Beziehun gen im Werkgan zen , ist ein ein -
Proust di e vo n all er H a ndlung entko ppelte, nunme hr ca n es ia nisch au f de n eigenen prägsa m es Beispiel für die sich im Ro m an s t~i ndi g vo llziehenden Transform ation en
E rkenntnis-Sta ndpunkt bezogene, alle Wa hrn ehmungso p tio nen sprachlich virtuell und iis th e tischen Inversionen (Kap. V). Gerade di ese Eigenscha ft priigr d ie Bilddra-
durchspiel ende Beschreibun g g~in zli c h em a nzipi ert und m a rki e rt darin zu Beginn d es m aturgie wi e auch ihre Rezeption in der Lektüre. D ie Beschreibun g ein er Wahrrleh-
2 0. Jahrhund en s ein en lite rarurh isro ri schen We ndepunkt. Gewi ss setzen Stendh al mit mung ist bei Proust zugleich Bildbeschreibung, und di e Lebensweft zugleich Kunstwir!?-
sein en Reisebeschreibun gen , C hateaubri a nd , Ne rval und ni cht ZLdetzt M ontesquio u lich!?eit/6 wo bei gerade durch die Tl·anszendierun g ins Artefak t di e Beschreibung sich
mit seinem Blick für d ie >>c hoses tra nsiro ires«, di e Ai.ic htigen Ansichren de r Dinge, als im aginie rende des Ro mans ZLI e rke nn en gibt. Zwa r ist der Beziehun gs reichtum der
w ichti ge Wegm a rken .32 Di e e ntscheide nd e, bisher nirgends w sa mm enhän ge nd analy- Recherche all gem ein bekannt, doch w urd e bishe r in keine r größe ren Publikati o n der
sien e Vo rsw fe li egt all erdin gs, wi e o be n erwä hnr, in Ruskin s, vo n Proust sehr genau Bli ck auf Pro usts Verarbeitung d eko rativer oder kunsthi sto ri scher Vo rbild er bis in di e
rezipi en en kun stkriti schen O rn a m ent- und Bildbeschreibun gen , di e letzterer >iko no- D eta il analyse ihrer sprac hli chen Verwa ndlung hinein anh and o rna mentaler Struktu -
IJ asc isch< in o ft t ravestierter, burlesker Weise aufnimm t und ve rarbeite t. 33 Ruskins Ar- ren erweitert. Die Theme n >Pro ust und di e dekorati ve n Künste< und >Pro usts Sprac h-
ch irektur-Ti·a kta t 7he Stones ofVenice ha t Pro ust wä hrend sein e r Venedig-Aufe nthalte kunst des D eko ra ti ve n< müss ten sich ergiinzen und mit ihnen kunstwissenschaftli ches
s cudi e n . ~ D a rin find en sich um fa ng reiche Passagen wr Zeichel1 - und Wirkun gsthe-
3
Q uell enstudium und ve rgleiche nd e phil ologische Lekrüre. N ur so w;ire ein ge istesw is-
o ri e des O rn am ents. Zwa r hat d as Verhältnis Pro usts zu de n Kün sten durch eine Aus- se nschaftli ch fundi ertes Gesa mtbild vo n M a rcel Pro usts Kun st- und Wahrnehmun gs-
stellung d er Bibli othequ e Na tio nale unter Leitung vo n Jean -Yves Tadi e 35 ein e we n vol - poetik zu gewinn en -ein e der Z ukunft geltende Aufga be, w de r die vo rliegende Ar-
le Sta rt hilfe erh alten , d och ist di e bi ogra phisch erschlossene Ide ntifi ka tio n einzelner beit in ihrer ausschnitthaften Konzent ratio n auf di e Bildli chke it des O rna ments und
in d er Sprachwelt d er Recherche w iede rke hren de r Kunstgege nsüind e nur ein erster de r Lineatur nur d as ihre beitrage n kann.
Schritt.
Es fehle bislang ein e Publika tio n , di e es ume rnimmt, aufw zeigen , w ie sich di e
Kunstwirkli chkeit, di e d er Au ro r d er Recherche wa hrn ahm , in di e Kun stvin uali tä t d er
Sp rache ve rwa ndelt und zwar je nse its de r o ft w illkürli chen Z uo rdnun ge n rea le r Vor- 3. ein Itinerarium der Bildlichkeit
bild er w im agin ;ire n Kunstwerke n im Ro m an . Z u fi·age n ist, o b Proust ni cht neben
Fla uben, den Go ncoun od er Ruskin auch M o net, Pi casso, d en Jugendstil Emil e Gal- Organisationsformen der Bildlichkeit (Figuration, Konstellation, Ähnlichkeit)
les, den Ruin enstil Huben Ro berrs, Nad ars Ph aro kunst und Fo nunys Tex til stil pas- Di e vo rli egende Arbeit nimmt sich w rn Z iel, in Pro usts Schreiben ein Itinerarium
tichien, um bestimmte Bild effekte w erzeugen und Wahrn ehmunge n zu präzisie re n diese r Bildli chkeit - de nn jede systematische E in z;iunung und 1l1eo riebildung wür-
od er a uch um d ie Sprache- pa rallel zu m Surrea li smus- mit Verfa hren d er visuell en de dem Wissen um ihre Viel gesta lti gkeit un d Unabschli eßbarkeit w w iderl aufc n - im
Künste zu ve rfremden und da mi t inn e rh alb d er Ro m a nh a ndlun g einzeln e Beschrei- Hinblick auf einige ihre r Sprac hfo rm en aufzuzeigen . D er »itin eraire<< oder Pa rco urs
bungen zu sprac hli ch en Mini aturkun stwerke n zu verfei ne rn . Z u e ntdecke n wäre, wi e de r Bilclli chkeie 7 hat sich an der D erailhafi:i gkeit und Kleinteili gkeir der Beschrei-
sich die sprachli che Fa ktur im Z uge kunsthi sro rischer EinAüsse ve riinde n und w ie bungen au fz uhalten, will er, auch auf dem hier gebotenen Pfad de r Abkürzung, den
di e Bildungsgesch ichte des Erzä hl ers zu ein er Schule de r Wahrnehmung w ird , al s die Reichtum der »di gress io n<< und »destructurati o n<< ernst nehm en , um derentw ill en
de r Lese r de r Recherche- de r de m E rzä hl e r zufo lge ja ein Lese r sein er selbst we rde n Roland Barrh es de n lcxt vo n A la recherche du temps perdu als »Un e so rte de ga la-
so ll - d en Ro m a n erfä hrt. Kurz, wed er bl o f~e kunsthi sro ri sche Hinte rg rundinfo rm a- xie<< beze ichn et, »qui es t infinim ent ex pl o rabl e parce que les parti n des en changent de
tio n noch rein phil ologische Tex texegese all ein ka nn veranscha uli chen, wa rum ein pl ace et permuteilt entre ell es<< .38 Solch e »parti cul es<< oder Pa ra m eter, oft expli zit bild -
bestimm te r Sprachgehalt vom Au ro r in ein e bes timmte Gesta lt, etwa ein priizis be- li ehen, d . h . iko nischen Ursprungs, sin d neben de n imaginä ren Gem ii lde n, virtuell e n
schriebenes O rn a me m ode r ein imagi nä res Kunstwerk, tra nsfo rmi ert w ird . Ge rad e Rahmun ge n oder kunsthistorischen Reminiszenzen di e Bilddetails und O be rA äc hen-
d ie D etailgenauigkeit d er beschri ebenen imagin ären O bj ekte überrasc ht und e rfo rd en strukturen d er Linie, der Fa lte, des O rn aments; sie marki eren häufig di e Kreuw n-
~I

14 I. PROUSTS POET I K DER BILDLI C H KE lT - EINE AN N Ä H ER UNG 3 EIN ITIN ERAR I UM DER BI LDLICHKE lT 15

gen d er rom a nes ken Bildwege und form e n ein Ensemb le a n Visualisi e run gss trategi en. sich, so ndern um das krea tive Gesetz, das sie veranschauli cht und das der >> ro rnan «
Diese bildli ehen Träge r von Wahrn ehmungsdetails und de r in ihn en manifesten Zeit- als >> robe«, als >>cathedrale«, als Orname nt, in ebensolcher Ku nsrferri gkeir einzulösen
erfa hrun g, kurz von Erkenntnis, präge n di e Semiotik und Episte mologie d es Textes sucht (IV, 610).
w ie auch sein e Sprache de r Sichtbarkeit, im st;indigen Appell an d as Vorstellun gsver- Oi e Vorsteilbarkeit diese r Bild er g ründet in Prousts Sprache des D etails, im Beso n-
mögen der Lese rschaft. Im Itin erarium g ilt es a n solch en Blickpunkten analysierend d eren der Lineaturen, Kurven, Profile, Texwren, Reliefs, etc. Die Lini e, di e in der 1\e-
zu verweil en , a n d enen das Sichtbare sichtba rer ist, als di e Verl aufsfo rm d es E rinnern s ael in disegno-ll1eo ri en das Me dium bildn erischer abstrakte r Umsetzung ein es schöp-
- die gerade dort a ls fiktive sich zu e rkenne n gibt - es erla ubt: etwa in d en auffäl- fe rischen Geda nkens bezeichnet, dient hier eben b lls als ein >> instrumenr optique« (IV,
lig d etai lreiche n Beschreibungen de r Gemä lde Elstirs, de n M ee resa usbli cken, den 474) _a ls ein so lch es charakterisiert Prousr über den Erzä hl er seinen eigenen >>s tyle«
Wahrn ehmun gen id entitätsstifi:en d er Ph ~inom e n e . An d e r Unvollkomm enheit der _ und intensivi ert durch derl ei Abstraktion in s Linea re di e Visualität der Sp rache.
Wahrnehmun gsfa hi gkeit wi e a n ein e m Asthm a le id e nd, we nn so gesagt werden darf, So kann ein e Lini e als G renzezweier Bild er, zweier Phiin omene zwischen di esen ver-
scheint das Ich d es Romans di e Angst, sich de r Schönh eit d es Augenbli cks als nicht mitteln, ja di ese übereinand er bl enden, wie in der Geometrie, weil sie beid e berührt
empfänglich ge nug zu erwe isen, he ile n zu wo ll e n, gleichsa m im tiefen Einatm en sol- (Kap. III. 2). O amir ist sie semiotisches Zeichen, Symptom von ÄJ1nli chkeit, wo im
cher im Bild stillges tellter Ze it - >>E t ils parta ie nt, res pire r les minutes profondes<< (PJ, E rinnern und Vergessen sich ni chts zuein ander fügen will.
80) . Oie Beschre ibungsbilder lassen sich, aufgrund ihrer Abstraktion und ihres daraus re-
Di e Sp rac he, in d er d er Tex t atmet, ihre visuell e Rhetorik, hä lt sich aufHillig am Be- sulti erenden verweisenden C harakters, besse r als Figuren oder Figuration en lesen, 10 als
schreiben kl einster Bildstrukturen a u f. Z ugle ic h stell e n die ge na nnten Bild-Param eter Si nneffekte in der Anl eihe bei bildnerischen Medien, als Ko nstellatio nen 41 vo n Konri-
di e Handlung still (zugunste n d er Beschreibung), damit abe r überhaupt das Vergeh en guirär im fiktiven Raum- Ze it-Ve rh ~iltnis des Romans. Die (Ko n-) Figuraria nen -
de r Zeit. Oi esem Versprechen des Bildes w idm et sic h di e Sprachsensibili tiit umfas-
send. Wie von Kristallisation en d er »Text-Ga la xis<< stra hl en von ihne n inte rtex tuell e >>La co nfi gurati o n d' un e chose, n'est pas seul ement l'im age de sa narure, c'es t le mot
und intratextuell e Bezüge aus, di e ein e ikonotextuell e Dichte bildlich er Wi ederh o- de sa des tin ee et le trace de so n hisroire« (CSß, I 12) -
lungss trukturen ergeben - e in e Dichte an d er OberA äche, d e nn die bildli e hen Para-
m eter spielen a ls Signifikanten mit ihrem Sig nifikat in wec hselnde n Konste ll atione n, sind Prousrs Komplizen, we nn es d aru m geht, die erziihlte Welt, statt sie psychol o-
12
so dass es kein Ergebn is im Sinn e des Erinn e rten , sond ern nur di e ornam e ntale, spie- gisch zu ze rserze n , in eine >>Flu cht der Bild er«' zu verwandeln . Denn wenn auch im
lerische, sich an 1üh ernde Vorwegna hm e desselben gibt (d as E rinn ern , das Schreibe n) . literarischen Texr das Bild sein en empirischen Gege nstand überste igt, so isr di eser im
Bildlichkeit bei Proust ist ni cht zu denken o hn e de n der Recherche eige ne n Ähnli ch- Bild doch auch noch ni cht ga nz die angestrebte Id ee oder Essenz, so nd ern etwas d a-
keitssinn , de r de r Thmsformator des Bildh afte n ist; Lini e, Orname nt, Falte und Textur zwischen, etwas »im Bild zur Erscheinung Gebrachtes«, das di e Imagin atio n des le-
43
stehen in seinem Di enst. Das Ähnli chkei tsde nken isr Ursprung von Prousts allgegen- senden Subjekts fo rdert. Das Sprachbild als Figuration Ieister ei ne Wahrnehmun g,
wärtiger M eto nymi e wi e auch sein er Bildli chkeit. 39 Ein Bild wird hä ufi g von Proust di e von der empiri schen abwe ich t und sie, wi e noch ZLI sehen se in wird, in e in er be-
he rangezoge n, we il es eine Eigenschaft mir de r zu evozierende n Wahrn ehmung ode r stimmten Differenz übertreffen kann. Oi e Iirerarische Wahrn ehmun g (d ie mit dem
de ren E rinn erun g te ilt. Es ist a lso vergleichshaft, ni cht di e gemeinte Wahrn ehmung Begriff der lmaginario n abe r unzureichend erklärt wä re) bea nspruchr ein eige nes ;is-
selbsr, so ndern in d ere n Un einholba rkeir ein e Möglichkeit, ein es sei ner Fragme m e. the risches Recht, wi e es beso nders Bachela rd verrrirr. 44 Dass das sprachliche, mithin
Und doch gewin nt es verm öge seines D eta ilre ic htum s und sein er visuell en Rh etorik un sichtbare Bild etwas Abwesendes durch Im agin ation gegenwärtig machr,45 gilt in
für d en Lese r ein e eigene Präse nz, die di e rh etorische Funktion we it übe rtrifft. Das Pro usrs Prosa doppelt, wo schon produkrion s~is rh e risch und damit in der Absage a n
Ve rgleichshafte übersteigt di e Wahrnehmung ein es Gege nsta nds und setzt an sein er di e bi s in s 19. Jahrhund ert gülti ge Abbildun gsästhetik di e abwesend e Erfahrung im
sra tt di e W ahrn ehmung ein es an ihm beobachte ten oder exemplifi zie rte n schöpfe ri - Bild ni cht res rauriert, so nde rn erschaffen werden soll :
schen Wahrn ehmungsve1:fohrem. Am E nde von Du Cotr! de chez Swann spi elt ein e
Jac ke der in de r Aven ue du Bois Aan iere nd e n Odette ein e Roll e: die im infinites im a- ,,Chercher? Pas seulem enr: creer. II [Je chercheur, ß. G .], es t en face de quelque
len Kl ein en w irke nd e Kun stferti gkeit der kaum sichtba re n »mill e detail s d 'execution<< chose qui n'est pas enco re et que seul il peut rea liser [ . .. ]« (l, 45) .
di eses M eisterwerks der Schneiderkunst werd en in nur ein em Sa tz mit d en kaum hör-
bare n Klängen eine r O rchesterpartitur und mit kaum wa hrne hmba re n Skulprure n D enn in der Erinn erun g, so priizisierr Sa rrre mit Rekurs auf Ste ndhal, bl eibt vo n der
auf d em Dach eine r Kathedra le vergli ch en (I, 627): es geht ni c ht um di e Jacke an Physiognom ie der Dinge nichts; in ihren Bildern ble ibt nur die Wirkung erhal te n.'16
- I

16 I PRO U STS POE TIK DE R BILDLI C H KE lT - EIN EA NN Ä H ER UN G 3. EIN ITIN ERARI U M DER BIL D LI C H KE l T 17

D er Schaffensprozess wird also darin bestehe n , für diese Wirkun ge n e n ts prechende zu kon srellieren. D er 1 ex t überschreitet nun notwendig konventi o nell e Z uordnun ge n
neue ri g urati o ne n zu find en. D arin ist die di chterische W ahrn ehmun g >>action <<, kei- von Ausdru ck und Inhalt in d em M aß e, in d em di e Ze it selbst überschritten ist, in
ne jewe il s abgesc hlossene Produktion, sond ern eine bl eibend e >>e ne rgie psychique<< .47 d er diese galten (od er gelten soll en) . Di e Ähnli chkeit, die d er sprachli che Ausdru ck
Diese Fig uration e n we rde n ihrerse its Pr;isenzen mitbrin ge n, di e das Erinn erte noch in d er M etonymie einge ht, ist dah er be i Proust Prinzip d er einzig mögli chen A nnä-
weiter entrü cken, es in d e r Aktivität d er Su che abe r wi ed er zurück in d en Kreislauf herun g ans Vergan gene im Schreiben an sich. Welch e Bed euwn g Proust selbst d en
d er Wahrn ehmung spielen. Anders al s d as pass ive Bewuss tsein empirischer Wahrneh - grammatische n Form en und rh etori schen Ti·o pen beimiss t, ze igt sein Flaubert-Essay.5 1
mung verhält sich di e vo rstell ende Wahrn ehmun g (>>im age m entale<<) >>spoma n und Sind in d er M eton ymi e usuell e und neue Bed emung d es Sprachzeichens d em glei-
schö pfe risch <<, ind em sie >> ununterbro chen << (nämli ch in d er Ze it sta tt in bloßer Si- chen >>Wirkli chkeitsbereich <<zugeordn et, 52 so E rl ebnis und assozii ertes Bild d em glei-
mul ta neität) die >>wahrn ehmba re n Quali üiten << sein es Obj ekts von all d en Seiten er- chen Erfahrungs bereich d es rückbli ckend en E rzä hlers. D as Bild ist Statthalte r einer
hält, von d enen sie Bewuss tse in hat. 48 Obwo hl Sartre m eint, d ass m a n a n di esen ima- darin a ufbewahrten E rfa hrun g. D as Bild ist aber d arüber hin aus, als Figuration, auch
ginären Obj ekten nur d as li es t, w as man selbst hine inl egt (da m an sie im Vorstell en bewusstes künstlerisches Mittel und Signatur einer Fiktion alisierun g d es eige nen Le-
inte ntion al selber setzt), 49 so li es t Pro ust noch etwas a nd eres, nämli ch di e Obe rfb ch e bens, indem jed es erinnerte od er au ch nur imag ini erte Erl ebni s als Bild oder M etony-
di eser imaginä re n O bj ekte selbst, di e Struktur ihres E ntstehens bis hin zum E ntste- mie in d en Akt d er Bildbes innung -oder Produktion, in s Schreiben, ein gebracht wird .
hen ihrer Strukwr (a ls Konstella ti o n): Eige ntli che und un eige ntliche, usuell e und neue Bed eutun g sprachli cher Zeichen ha-
ben in d er Recherche die gleiche Wirklichkeit; die M etonymi e ist universal geworden.
>> [ . . . ] car le styl e pour l'ecriva in auss i bi en que Ia coul eur pour le pe intre est une D er Effe kt ist, d ass d er Leser sie als solche nicht m ehr erkennt und sie sein erseits
quesrion non d e techniqu e m a is d e vi sion << (IV, 4 7 4 ). d er e rz~ihlte n Wirkli chkeit zuordn et, obwohl sie aufgrund ihrer m etaphorische n Me-
tamorphose ein em andere n Repräse ntation smodus fol gt. 53 Zwischen tertium compa-
Di ese Vi sio n kann , was Sa rtre kein er >>im age m e nta le<< zutraut, d as Wissen und di e rationis und M etonymi e kann d er Leser ni cht unterscheiden, d a d er Referent sich in
Wahrnehmung pr~iz i s i e re n, in ein er sprachli che n Ko mbinarorik ihrer Bilder. Wi e di e- d er Übermacht d er Bilder verAü chti gr: >> ich gla ube, was ich lese<< .5'' Vo rstellun g und
se Visio n d er Welt sprachtechnisch reali siert, erschaffe n we rd e n kann, führt d e r Ro- Wahrn ehmun g sind identisch. So wi e d e r >>insomniaque<< zu Beginn d es Ro mans sich
man auf all e n Ebenen vo n d e r Na rra tion bis zum m etapoe tischen Symbo l vor: selbst als Kirche oder Quartett vorstellt, ohn e doch zu w issen , d ass es nur Vorstel-
lung ist, sich also als Kirche ode r als Q uan ett wahrnimmt, so nimmt auch d er Lese r
>>On peut fa ire se succed er indefinim ent d a ns une d escription les obj ets qui fi gu- wahr, was er sich im Lesen tatsächli ch nur vorstellt. Da diese Bewegun g aus d er Spra-
rai ent dan s le li eu d ecrit, Ia verite ne co mm encera qu'au m o m ent oü l'ecriva in pre n- che heraus entsteht und sich zwischen d en me tonymi schen Verdi chwn ge n entwirrt,
dra d eu x obj ets diffhe nts, pose ra le ur ra pport, [ ... ] er les enferm e ra d a ns les a n- Di sta nz übt und in d eren Wied erkehr scho n weig, worauf sie sich einläss t, ereignet
neau x necessaires d ' un beau styl e<< (IV, 4 6 8). und reAektiert sich di e Wahrnehmung in d er Sprac he. D a rin ist sie geschriebene,
nicht empiri sche und do ch wirkli che Wahrnehmung.
Di ese >> Ringe<< sind nur vo rd erg ründi g gesc hlosse n; ta tsäc hli ch setzt sich d er >> rapport<<
vo n e in em zum nächsten Fon und korri g iert d a rin permanent die >>d escription << und »Un nouvel ecrivain avait commence a publi er d es ccuvres oLl les rapportse ntre les
mit ihr auch d eren »verite<<. - Sein ist in d er Recherche e in sich wandelndes Darge- choses etai ent si differents d e ceux qui les liaient pour moi que je ne comprenais
stellt-Sein (>>C reati o n << ) und sinnli c he Wahrnehmun g kein e autoptische Erfahrun g, presqu e rien d e ce qu'il ecrivait<< (Il , G22) .
so nd ern D eixis, lnd ex ein es Sinns im Sinnli che n. Di e Wahrn ehmun gs bild er ex isti e-
re n ni cht außerh alb d er Sprac he. Sie sind Beschreibung, fi guri erte gesc hriebene Wahr- Ist Proust ni cht eige ntli ch imm e r noch ein solche r >> nouvel ec ri va in «? Die bildhafte
nehmun g, ni cht a ll ein ein e spätere sprachli che Darstellun g e in er einm al ge m ac hte n Dim ensio n d es im Z itat ge nannten »rappo rt entre les choses<< g ilt es jed e nfalls zu un -
Wahrn ehmun g. Wenn in d en Bilde rn d er Vo rstellung >>zur Erscheinun g gelangt, was tersuchen. 55 Prousts langsam es, auf Konti gui üit bed achtes Abtas ten d er E rfahrun gs-
d er fo rmuli erte 1ex t ve rschweigt<< , 50
so sieht sic h d e r Erz~ihl e r selbst scho n solch en welt sein es H elden bringt Bildvergleiche hervor, di e fortan selbst zum Bestand te il d es
>> im ag in ären Obj ekten << gege nüber, Kunstwerken nämli ch, Bild ern d es Schein s, d eren Gedächtnisses- und damit auch jenes d es Lese rs- ge hö reiL So wird die Duchesse d e
Präse nz sein D enken lenkt. D o ppelt schl age n di e imagin ären Kunstwe rk e d e r Recher- G uermantes mit wec hselnd en Bildern assozii ert, o hn e d ass aber in diese n jeweili ge n
che also auf d as lm agin atio nsvermö ge n d es Lesers durch . Di e Bildbeschreibunge n d es 1/wno/drmnen ihr m erowin gisches Urbild gan z verl o ren gin ge. Di e M ehransichti gkeit
Erzä hl ers si nd ni ch t Zweck in sich, so ndern such en d as Gese he ne in Bezug zum Jetzt d er sich gege nseit ig aufrufend en Bild er ergibt di e »Ze itac hse<< 56 akkumulie rter Vor-
- - ,---- - -- - - - -

18 I . PROUSTS POETIK DER BIL D LI CHKE lT -EINEANNÄ H ERU N G 3. EIN ITINERAR IU M DER BIL DLICHKE l T 19

Stellunge n, aber ni cht nur für d en Lese r, so nd ern schon für den H elde n, wobei durch sich an Begebenhe iten anhand von Kunstwerken erst erinnen. Sein Leben ist eine
lnre raktion des E rzä hle rs di e Zeit zur Sukzess io n de r Assoziationen ni cht proponio- Kun stwelt noch ehe di eses in dem zu schreibend en Buch zum Kunstwerk werden so ll.
nal verhiuft, de r Leser dem H eld gegenüber a lso im Vorte il ist. Oie sich d er Macht der Daher bergen all e Kunstbeschreibungen und alle Beschreibun gen von Dinge n, di e
Meronymi e verdankende M ehransicl1tigke ir ist ni chts anderes als di e schon beobach- kun stgle ich se ien, Komm entare Prousts zu se inem eigenen Romankunsrwerk. Was di e
tete Tend enz zur Summ e und Konstell ation all er Mögli chke iten, die di e Sch reibweise M ero nymi e im Kl einen , ist di e Kunst im GrofSen : ein Sehen und Denken in Ähn li ch-
d er Wahrnehmung als lnrelli genzform bes timmt. Ve rmöge d er Synthese-Leistung der keiten und Vergleichen: m etapoetisch und transparent, damit der Lese r selbst geleh-
Lel<türe sa ugen sich di e im agi1üre n Objekte mit Bedeutung voll, wenn sie vom Autor ri g a n di ese r Lehre des kombinatorischen Wahrnehmens teilhat. Künstlerisches Sehen
einmal suggestiv la nciert sind, w ie die M adelein e. Oie Re kurrenz de r Bild er und Figu- wird ge übt, etwa anhand von C hardins Blick, unter dem alltägli che Gege nständ e zur
ren kreien im Text ein e Dichte de r Äqu iva le nze n, so dass in d er Form d es Kunstwerks Kunst werden (CSB, 373f.). ln di eser Suche nach dem Blick des Künstlers fokus-
ersteht, was in sei ne m Inh alt de m Held le tztli ch ni cht gelin ge n kann: ein e Ide ntität siert sich das bi ldne rische Schre iben im Be-Schreiben von Lini en, Ornamenten und
von E rinn ertem und E rinne rn und eine Konti g uitä t d er Erfahrung. OberA~ichentexwren. Sie halten de n Bli ck wach fü r das Gemaehr-Sein des Texres und
fokussieren die literarische Rede auf die Gege nwart, statt die Bilder als diffuse E rinn e-
run gswe rte in die Vergan genheit abgleiten zu lassen. Die in die Narration w ie Prezio-
das Filigrane se n (vgl. IV. 3) e ingelassenen Beschreibun ge n von O rn amenten, Lin ea ruren, Texturen
Wie das Produzieren d er Bilde r vor sich geht, veranschau li cht psycholog isch di e Be- und Falten kon stitui eren als bildliehe Exponenten ein e eigene Poetik d es Beso nderen,
schreibun g des schiaAasen Roman - Ich s: unre r de n viele n Bild e rn, die ihn umkrei- desdetailsund Fragments, 60 aus deren motivischer Kombinatorik sich unter dem Sie-
se n, sucht der >> inso mniaque<< nach d em e in en, das di e E rinn erung e nth alte n möge gel der erkannten Ähn li chkeit61 im Bild die bloße Wahrnehmung zum erkenn enden
(! , 4ff.). Und im Halbschlaf sieht de r Triiumende sic h selbst in Bilde rn , di e ihm die Sehen pijzisiert.
57
Lektüre ein gege ben hat (1 , 3). Oie E rken ntnis ble ibt stets ausschnitthaft. Hie ra us re-
sulrien d ie Vielza hl isolie rte r D etail-Beschre ibungen, sei es e in Boge n-Segment, ei ne
Volute, ein e Muschelform, das »petit pan << Ve rmee rs etc., a ls T räger ma ximal zu reko n- die Marke der Differenz
strui erender E rfahrung. Das Schreiben imiti e rt di eses träumende Wahrnehmen, d es- Mit Blick auf Prousrs D ichotomi e von C hardin, d er di e m ate riell gegebenen Bezüge
sen Z usüind e sich wie die Bilder der Late rna Magica perman e nt um das Ich drehen, zw ischen d en Dingen zur Anschauun g bringe und Rembrandr, d er di ese Bezüge krafr
hält dabei aber, als Gege nbewegung zur Rotation d es Tl·aums, jed es noch so kl e ine seiner Technik selbst setze (CSB, 380) , könn e der Schriftstell er, so Prousr, nichr auf
Bi ld a n, um es intell ektuali sierend auf sein e Richtigkeit hin abzutasten. ,, l(Jeinste Ele- die wenigen Ana logien setzen, di e ihm di e Lebenswelt zustellt; vielmehr müsse, um
mente des Wirkli chen als Kraftfelder aufzuschließen << ne nnt Adorno Prousrs Intenti- den verlorenen Erfahrungsraum in seiner Essenz neu zu erschaffen, die Ähn lichkeit
on, der man sich , a ls Leser, mit eine r >> Versenkun g ins Bru chstück<< zu näh e rn habe.58 im Uniihnl ichen in der Sprache erfunden werden, durch erinne rnde Imagin ation im
Ge rad e di e Miniawr ist es, a n der die Wahrneh mung im Schreiben fortwä hrend ge- Ansch luss a n Baudela ire, und zwa r als »Ia marque de Ia rransform ation que Ia pensee
übt w ird , nicht zu letzt, weil ihre >> parti cul es<< stii ndig d e n Platz wechseln , gleich d en a
fair subir Ia rea lite<< (CS B, 269). Diese >> Marke<< entspri cht der Metonym ie; diese ist
E indrücken des >> insom niaque<<. Die Miniatur ruh e ohne je zu sc hlafen; in ihr sei die nicht nur ein e >>Ma rke<< im Sinne ein es charakteri stischen Srilmerkma ls, als welches
Im agination wachsam und froh, so Bachela rd .59 An di ese r Stell e hat di e Aufmerk- sie bei Proust ohne Zweife l gelten kann . Sie ist auch >> Marki erun g<< des sich selbst
sa mkeit für das Fili gran e inn erhalb der visuelle n Strukturen e inzuse tze n . Ruskins reAekti erend en, di e Bildproduktio n offen legenden Schreibens, quasi als >>S ignatur<<
Ku lt d er Kathedra le, M a les von Proust kopi e rte Ornamentzeich nungen, Ga ll es Ju - des Auto rs. ln der Necherche als Roman über das Sch reiben, Lese n und künstl erische
ge ndstil , Montesquiou s Poesie des Dekorativen und Fonunys Arabeskenkunst sind Wahrnehmen sichert sich Prousr auf di ese Weise am höchste n Punkt der T rias von
einige Imp u lse der Fi li gran-Ästhetik, di e Prousts Rom a n konsequent durc hwirkt. H eld, E rz~i hl e r und Di chter die Hauptrolle. Mod ell der ziti erten >>t ransfo rmarion que
Diesen außerlite rarischen Mod ell en ist die inn e re Fi lig ra niüit der Sprachbi ld er nac h- Ia pensee fair subir a Ia realite<<, dieser >> meramorphose des choseS<< (II, 19 1), ist im
empfund en. Ro man das Werk des Malers Elsrir. ln se in en Gemä lden erscheint ni cht mehr nur
Die filigrane n Ele m ente e ntstamme n m eist de r Kun sterfahrung d es Helde n, wiih - der eige ntlich abgebildete Gegenstand, so nelern dessen neue ästhetische Gestalt nach
rend ihrer Fikrionalisierung oft rea le Kunst und Mod e vorausgeht. Kunstbetrachtung MafSgabe der Wahrnehmung des Künstlers. D ie M etonymi e ist hier abso lu t gewo r-
vermittelt in d er Recherche zw ischen Kunst und Lebe n ; sie hat d erart Anteil am Den- de n: Das Wissen, wie die Welt sei, weicht ein em Frage n, wie sie sei n könnte, e in em
ke n des Erzählers, dass er fortwährend Wahrnehm un gen mit Kunst assoziien und Frage n in Vergleichen. Auch di e Trag ik dieses Möglichkeirsdenke ns gesta ltet Prousr in
20 I PROUSTS POETIK DER BILDLIC H KElT-E IN EANNÄ H ERU N G 3. EI N IT IN ERARIUM DER BIL DLIC HK ElT 21

de n un endlic hen Ana lysen, di e de r eifersücluige Held anstellt, um das Liebesobj ekt Elstirs mehransichtige M eeresa nsichren, ge radezu Vexierbilder, veranschaul ichen in
Albereine zu begre ifen. 62 der Bal ance der Ansichten den Btdance-A iet zwische n gesicherter Id entität und frem-
D as m e tonymi sche Marki eren b ss t sic h bi s in di e Miniaturen , OberAäc he n- und de r Alterität, zwi schen ew ig Gleichem der Gesellschaft und Nu llpunkt d es Subjekts.68
Landschaftsbeschreibun gen hin ein verfolge n. Hi e r spi elt di e Lin eamr eine Roll e. El- Jenseits der Moral wird der Ähnli chkeitss inn zur !Vfarlu der Differenz, zur >>griffe
stirs Linie, d. h. die Kontur sein er Gegenst;ind e, wird ambivale nt und trägt dem mo- d'aurhenricite« (CS ß, 559). Di e M etonymi e n·;igr in di ese m Idealismus ni cht nur
dal en Sehen Rechnun g. Di e Bildgegensr;i nd e tausche n einande r Eigenschaften wi e in subj ektiven ß ekenntnischarakter, sie ist ge radezu ein Synonym für den Wahrh eits-
einer Osmose; d as Ein e ersche int im Anderen, das Gege ns;itzli che in der Harmonie, gehalt ein er Aussage, eine Sig nat ur und ästhetische Bekräftigung d es Gesagte n. Da-
das Gewohnte im Unbeka nnten , Unvordenkl iche n (Kap. IV. 3). 63 E rac htet m an als mit wird di e Id emiriit des Di chters zu einer Frage ambemiseher Wahrn ehmung (der
Gedächtnis wen iger das Reservoir d er e rzähl e nd en Insta nz a ls das wachsende Text- Umwelt, aber auch sein er selbst) , nicht länger nur des Sich-selbst-Ve rgewisserns im
volumen des Rom a ns, wird anschaul ich, war um das W erk de m Verfasser zunehm end Erin nern . Als Ort des Wahrnehmens w;ire dann der Roman nicht weniger wahr als
un abschli eßba r wurde. So w ie Sonate und Septett Vinteuil s in der Vorstellung un- das Leben se in es Autors. E rst im Sprung in di e authentische Fiktion (d ie so mit kein
trennbar sind , weil das E in e das Ande re enthält ( Kap.lll.5), so konverg iert schli eß- Pa rado x darstellt) verwandelt sich das Proustsche Schreiben in de n sensib len Apparat
li ch in d er Tendenz all es mit all em , ohn e abe r Erinn erun g an di e jeweili ge ursprüngli- von Ähnlichkeiten, mit dem es sich im neuen fiktiven Z uhause einri chtet.
che Erf;d1run g noch zu gewährlei sten. >> Die Prousrsche Zeit<<, so Roben C urtius, »hat
ein e Elas ti zität und Rela tivität, an de r all es ä ußerli che M esse n sche ite rt «. 6 '' So wi e es
im Roman ke in e präzisen Daten und Zeitan ga be n gib t, ex isti eren auch kein e ge naue n das Nuancierte
Bestimmun gen zur Ausde hnung de r Dinge im Raum. 65 Prousts Angaben zur Ges talt
der Dinge sind in di esem Sinn elas tisch. ln Elstirs Bilde rn etwa verschi eben s ich die »] e suis le ste nograph e acere des nuances;
Gesetze d er Schwe rkraft und Wahrscheinli chke it a ls Ab lösu ng d es Beso nde re n vom Je reprcsem e, au vo l, Ia virc impress io n;
Allgem ein en , Ve rsta nd esgem ä ße n und des Sig nifika m en von sein e m Sign ifikat. - Wo Mon vcrs a bir son nid , ainsi qu' un alcyo n
im unaufhörlichen Schreibe n sich all es diffe re nziert und das Schreibe n sich >>ze mri- Sur les f·lors de Ia me r des dou ces inAu e nces.«
fu ga l« von d er Erzii hlung zu emfe rnen droht, 66 steige rt sich a uch di e Kunst d es Ähn- Robc rt de Monresqui o u, Le,· Chrnwe-JuuriJ (S. 13)
li chkeitsdenkens a ls Gege nbewegung. In ihr li egt ni cht imme r Beglückun g: Sucht d e r
H eld gegen die schl echte Ähnlichke it de r mondän e n W elt, in de r all e qualitative n
Umersch iede ein geebn et sind, di e stimuli erenden mythische n Ur-Gegensätze d e r G radm esser und Instrum ente dieses nach größtmögli cher Präzision selbst im D etail
>>d eux c6tes« als Differenz aufrecht zu e rha lten , muss e r am Ende doch dere n ÄJln- strebend en Ähn lichkeitssinns sind die Ornamente und Linea turen:
li chkeit und Ve rbindun g e rkennen (Kap. VT). 67 Erst wo Diffe renz di e Bedingun g de r
Form ist, in d er Kunst und de r ihr vorausgehend en E manzipation des di chte rische n >> [ . .. ] le meme [en e en moi.J pcur-etrc qu' un tableau d' Elsrir Ollunepage de Ber-
Subjekts, stellt sich auch Ähnl ichkeit e in, als den e tablie rten Oppositionen abgetrotz- ga u e la issa ir indi fferem mais qui saisissa ir son aliment et sa proie si entre d eux ra-
te Qua lität, di e als solche wiede r zur Fremdhe it und Diffe renz d es ständig G le iche n blea ux d 'Elsrir, sur deux pages differentes de ßergotte, il sa isissa it une arabesque, un
wi rd. ryrhme commun« (IV, 8 ] 4, Esq. XXlV).
»J'avais cette ore ill e- la plu s fin e e r plus juste qu e bi e n d 'a urres« , weiß Proust im
Hinbli ck auf sein Vermögen , >> un Ii en profand emre d eux idees, d e ux sensar io ns« zu D er Begriff >>a rabesque«, hi er mehr im Sinn e von >> nuan ce« 69 ge brau c ht, nimmt die
entdecken: Sig nifikanz kl einster, parerga nal er infinites imal e r Zeichen vo rweg, di e aufgrund ge-
nau er Besch re ibun g gerade des halb zur >>g riffe d'auth enti c ite« und zur Siche run g
»[ .. . ]je le [di eses Vermöge n, B. G.] sens roujours vif en moi, mais pas fortifi e, et qui von lde ntiriit besse r rau gen , als e in e bloße Z usta ndsbeschreibun g d esse n, was oh-
sera bi e m 6 r affa ibli er mort. Pourtam, il aura de Ia pe in e, ca r c'est souvent qu a nd nehin all e schon sehe n . D as Fi li gran e, Infinitesim ale ist - hi e re in stimmt Proust
je suis le plus mal ade, que je n'a i plus d ' idees da ns Ia te te ni de forces, qu e ce moi noch mir de m eliüire n Äst heti zismus e ines Monresquiou übe re in , de n er in ande-
que je reco nnais parfois aper<;:o it ces Ii ens e mre d eux idees, comme c'esr so uvenr a ren Z usamm enh änge n übe rwinde t - Indiz de r künstl e ri schen M eta morphose. Wi e
l'auromn e, qua nd il n'y a plus de Aeurs ni de feuilles, qu'o n se nt dans !es paysages di e Spinn e in D eleuzes Prousr-Bild 70 nur wa hrnimmt, was ihr N erz be rührt, um ,
les acco rds les plu s profond s« (CS B, 303). der Ieises ren Schwingung harrend , so fort d en Fund zu sichern, umhüllt Prousr sein e
22 I PRO U ST S POET IK DE R BI LD LI C H K ElT -E IN EA NN Ä H ER UN G 3 . EIN ITIN ERARI U M DE R BIL DL IC H KE l T 23

Bo tschafte n, wi e um sie im Sc hön e n w sic hern, in Kokon s, in Bilde r d er Umhül- Di e Lini e for tzuführen brin gt di e n eue >> image precieuse<<, di e ni e ge hö rte Musik (IV,
lung und E infaltun g, niimlich in d e r re kurre nte n Kon stell a ti o n von >conten a nt< und 45 7), di e Differenz via Ähnlichkeit, hervo r, di e di e Wirkli chkeit d es Kun stwe rks im
>corue nu < (Teil IV). Oie Bildli chkeit d e r E inhüllun g und Einfalwn g in S toff und Ve rlültnis zur Wirkli chkeit d es Verstandes b estimmt. Wirkli chkeit, >> rea lite<<, d efini ert
O rnam ent begegn et d e m Leser e twa im Fortuny-Mo ti v (IV. I) . Im Sys tem d es Aus- d er Erzähl er für sein zu schreibend es Buch als
tausch s trifft sich Prousts Sprach e d e r Lini e mit d e r d es O rn a m e nts, sofe rn di e Lini e
ni cht schon orn a m ental ist: Be ieie Para m eter ve rmitteln, le ite n von ein em Bild zum >> un cenain rapporr e ntre les sensarians qui nom entourent simultan em ent [ ... ] et
and eren üb e r und wi ed er zurüc k und erzeu gen d a mit im W ech se lspi el d e r Nuan cen que l'ecrivain doit rerrouver pour enchain er l' un e it l'autre dans un e phrase, comm e
Ähnli chkeit. ell es l'erai enr d ans so n impress ion [ ... J. La ve rite ne comm e nce qu e qu and l'ec ri -
Ge mäß Serge Ooubrovskys Pol emik h abe m a n Proust üb erästh etisie rt und d a mit vain prend d eu x o bj ets differents, pose leur rapport er les ~mac h e indes uuctibl e-
ase pti e rt. 71 D och ge rad e das ästheti sche Fili g ra n , das Orn a m ent, di e Volute, die Ara- m ent par un Ii en ind es tru ctibl e, un e allian ce d e m o tS<< (IV, 8 18).
b eske, di e Falte, d as h och äs th etisie rte detailm acht Proust zur Linse d er kaleidoskopi -
schen W eit, di e in ihren Verwe rfun ge n dahinter a nschauli ch wird . Ni cht di e Bilder Im Schreiben wi e im Lese n wird di ese >>poetische Alli anz<< di e e rz~ihlte Wirkli chkeit
d er Gewalta kte vo n Sodome et G'om orrhe möge n am m e isten frappi eren , sond ern di e bestimm en , himer di e d er Leser ni cht imm er schauen kann , es se i d enn , Entw ürfe
kl e inteili ge n Veriinderun ge n in d er poe tische n Struktur d es Textes und d em Bild , d as lasse n ihn ein e n Bli ck auf Prousrs Fabrika ti o n , se in e >> tra nscription << (IV, 6 2 2), se in
sie hervo rbrin gt und in welch em d as Subversive - fortite r in re, suaviter in modo - >>d echiffrem ent << ins Bildli ch e, we rfen, in d er d as Material d er gese hene n Wel t zu ein er
sich zur N u an ce ges talte t. 72 Oi e O etailhafti g ke it, d as schon e rw~ihnte Ausschnitthafte fikti ve n tra nsformi ert wird -
und Fragm enta ri sche, ge ht e inh er mit d er plötzli ch er/ 3 ne ue n Sicht d es Erzä hle rs auf
ein Ga nzes, sod ass di e fili g ra n nuan cierte n Fi g uration en im S inn e d e r >> instrum ents >> N o us n' avon s d e l' uni ve rs qu e d es visions inform es, fr ag m entees er qu e nous corn -
o ptiques« au ch E rk enntnism edi e n grofse r Zusa mm enhän ge sind, insbesonde re d er pl etons par d es associations d ' idees arbitraires, c rea rri ces d e d ange reuses sugges-
Ze it, w ie sie sich von d e r Gege nwart aus d a rstellt. In d e r M etonymi e, di e w ie di e rion s<< (IV, 154) -
M e taph er im Sprun g ins Emfremd et-Ähnli ch e Plötzlic hkeit produz ie rt, erhält sich
di e Gege n wart d er Wahrn ehmun g gege n di e Ve rgan ge nh eitsfo rm d es E rinn erten. d enn di e Imag inati o n ist, so d er Erziihl er, >> m o n seul o rgan e po ur jo uir d e Ia bea u-
Komplikation , Faltung und Entfaltung, ein ~is th e ti sc h es Form en und Ko nstelli eren, te<< (IV, 45 0). Ein e Rh etorik >>gefiihrli cher Sugges tion << isr besond ers di e (imag in ati ve)
kurz O rn a m emali sierun g, ist im Rom a n ein M od ell d es Erkenn e ns, mit d em ein vor- Bildbeschreibun g mi t ihren Instrum enten Lini e, O rnam em, Reli ef. Di ese stimuli eren
schn ell es Erfasse n, ein end g ülti ges Bes timmen d e r Nuan ce (das ihr Tod wäre) , d a- d en Ähnli chke itss inn und damit das id e mit~itss rifte nd e E rinn ern . Wi e Pl ~in e - >> un
mit auch ein unvoll ständi ges E rinn e rn verhindert werd en soll. Nur dass so au ch d as plan repli e jusqu e-l it, qu' on d eveloppe<<- werd en di e graphi schen Bild er gef:1ltet und
74
Schreiben kein Ende m ehr find et. e nrE1Itet, wi e fo lge nd es >>clair d e lun e« exemplarisch ve ran schauli chen m ag:

>> D eho rs, les choses semblaie nt, ell es aussi, fi gees en un e mu en e a n emion a ne pas
die Lesbarkeit des Details trouble r le clair d e lun e, qui d o ublant et reculant chaque chose par l'ex rension d e-
Pro usts Roman üb erwind et di e N arrativi üit zug unsren d er Bildli chkeie
5
>>Ce qui vanr eile d e so n refl et, plus d ense er con c ret qu'ell e m em e, avait a Ia foi s arnin c i er
jusqu'a Flauberr etait ac ti o n d evie nt impression << (CS B, 588). Oi e Frage ab er stellt agrandi le paysage comme un plan repli e jusqu e-la, qu'o n d evelo ppe<< (I, 32).
sich , wi e di ese Bildli chkeir j iml<tioniert. Oi e mim eti sch e D a rste llun g d er Schönheit
im Bild sei un voll s t~indi g, sei nur >>I a li g ne d eli c ie use et in ach evee d e cell e-ci<<, wi e d er D en Beg riff >>immobili ser<< verwe nd et Proust, wenn er von sein em m eton ymi schen
Erzähl er mit Bli ck auf di e Verwa ndlun g d es O p ernh auses zur subm a ritime n Weit re- Verfahren spri cht, >> un rappo n qui les [l es sensarians diverses, B. G .) asse mbl e, les m et
sümi ert, d enn di ese kann nur ein A usgan gs punkt se in . Es g ilt, di e Liniefortzuji:ihren; ensembb w find en (IV, 1406), d enn »il y a rea lire, il y a sty le«. Und es g ibt Ein -
d arin ist sch o n di e Im ag ina ti o n d es H eld en schöpfe risch e Lini e nkun st: he it vo n >> Rea lität<< und >>S til << im »rapp o rt<< (IV, 1406) .76 D och zeige n viele M ee res be-
schreibun ge n , d ass An sichten im Beschre iben grundsiitzli ch zum statische n Bild te n-
>> [ ... ] l'exact po int d e depart, l'amorce in evitable d e lig nes invisibl es e n lesqu ell es di eren (Kap. lV. 3). Tran sparenz, G raphismus, Geometrisierun g sind Stichworte di eser
l'a:: il ne pouvait s'empecher d e les pro lo nge r, m erveill e uses, enge ndrees a utour d e Abstra kti o n und Orn am entalitiit, d. h . hie r d er Flächigkeit. D as ln - Bild ern -Sehen ist
Ia fem m e co mm e le sp ectre d ' un e fi g ure ideal e proj etee sur Ies te nebres<< (Il, 341). universal, umso m ehr als, wi e zu zeige n ist, kunsthisrori sche Mod ell e und O rnam ent-
24 I . PRO U ST S POET I K D ER BI LDLICHKE lT -E IN EANNÄ H ER UN G 3. EIN ITIN ERA RIU M DER BI LD LIC H KElT 25

sril e Pro usrs Bli ck lenke n, so dass Kun st und Lebe n im ständi ge n Ausrausch stehen ÄJ1n li chkeiren ein es >>sty le« od er Tex res führt d en Leser Proust zum Imi t ieren und Pas-
(und e twa e in e Fassade mit erleu chte te n Z imm e reinbli c ke n sich in eine >>expositio n ri chi eren , d en Proust-Leser indesse n wm Wied e rl esen , in de m Rekurrenz und Ähn -
d e ce m rabl ea u x holland ais ju xtaposes<< (II , 860] verw and eln kann). E rst im Beschrei- li chkeit sich erst erh ellen: »co mprendre, c'es r Iire, m ais Iire, c'es t relire« .79 Schre iben
b en könn e n di e Eindrü cke in ein e m lan gsam e re n Erziihlm errum auf ihren imelligib- und Lesen befi nd en sich in d er Recherche, m ehr als in ve rgleichbaren Tex ten d er Ze it,
le n G ehair hin a bge tastet w erd e n im Sinn e d e r »impress ion, [ ... ] clont nous pouvons in einem ständige n Austausch, d er nur jeweil s von Fall zu Fa ll beschri eben w erd en
d egage r l'esprit« (IV, 4 57): kann. Di e un eige ntli ch e Wahrn ehmung, di e Prousr erschreibt, hat ihr Bi ld im Lesen ,
d as seine rse its e in e Wahrnehmung zweiten G rades isr: Wahrnehmung d er Welt durch
>> [ ... ) d eja ~~ C ombray je Fi xa is avec atre mion d eva m mon es prir qu el que im age qui Wahrn ehmun g d er eige nen D e nkbewegun g, als »reAex ion « d er >>Se nsation «:
m'avair fo rce a Ia regard er, un nuage, un rr ian g le, un cloch er, un e Aeur, un caillo u,
en se nranr qu' il y avait peut-erre sous ces sig nes qu elque chose d e tollt autre qu e je >> Lire, er du resre auss i bi en regard er, m em e rega rd er en so i-m em e, c'est m errre en
d eva is ra cher d e d ecouvrir, un e pe nsee qu'ils rradui sa ie nr a Ia fa s;on d e ces caracreres oe uvre so n es rh eriqu e« (l , 752).
hi erog lyphiques qu'o n cro irait represente r seule m e nr d es objers m a re ri els. Sans doure
ce d echiffrage erair diffi c il e m a is seul il d o nn a ir quelque verire a Iire« (IV, 4 57). D er multiperspektivische Bl ick auf das D etail , im Schreiben w1 e 1111 Lesen, ist das
Mafs ni cht nur d er Empfindung, sondern d er Wahrn ehmun g selbst. Im D eta il kul -
Hi erog lyph en , doch les bare, sind di e ornam e nralen Fi g ura tion e n wi e di e Madel ein e, mini ert di e Analyse d es Schreibenden gege nüber d em Obj ekt se in es D enkens w ie di e
ein e Volute im Ba lkon g irrer, e in ve nezia ni scher Spitzboge n. Für d e n E rz~ihl e r beg rün - d es Lesenden gege nüber d em Tex t. Hier w ird di e Ana lyse Geometri e und di e Ko nrur
d e n di e Bi ld er "Ja joi e du reel rerrouve« und damit di e Ku nst: »l'arr es r ce qu' il y a d e d es D etails wm >> nec plus ultra« d es ge rad e noch Da rsrellbaren. 80 Das D etail stell t di e
77
plus reel« (IV, 4 58). Zeich en und Sinn sind in di ese n »images« e in e Einh e ir; sie sind Wahrn ehmun gs fä hi gkeit auf di e Probe. Das D etail, so Jea n- Pi erre Ri chard , ve rwan -
w gleich im wfiilli ge n sinnli ch en Konrakr b elebte Mrtterie und daraus Idee d es in ih- d elt, ind e m es sie loka li siert und ze rsrrem, di e E mpfindun g in Wahrn ehmun g.
n en gelebten Leb en s, - Kun stb etra chtun g a ls Lebe nsvo ll w g . Im Phänom e n d e r Ähn - In jed er Wahrnehmung gilt es eine Esse nz w d estilli eren , zu lesen :8 1 Die »d ecou-
lichkeit, d es »rapporr« ode r »ra pproche m e nr« ode r d e r »am irie« (CS B, 379) d er dis- verte qu e l'ar r pouvair no us f:tire faire« ge ht in Bilde rn und Fig urat ionen, in d e ren
pa ra te n El em enre , e nrh ~ilr d e r Rom a n di e Th eorie se in e r e ige n en Pra xis we it m ehr als Entziffern vo r sich , im Enrfalren: Die O bj ekrwelr, so d e r Erziih ler, li ege gefa lte t vor
im Prinz ip d er »m emoire invo lonraire« , an d e m d as Ähnli c hke itsd enke n bloß all e re rst ihm, als »Ii vre inre ri eu r [ . .. ] d e sig nes en reliej<; , ein e W elt, für di e d er Schreibend e
vo rges tellt wird . D ie kun stkriti sche n Versu che d e r Ru skin -Zeir führen, wi e fol ge nde Konturlinien (»s ig nes qu e mon arrenrion [ ... ) co nrournair, comm e un pl o nge ur qui
M ax im e ahn e n lässt, vor, was d er Roman späte r einlöst: so nd e« , IV, 45 8) und Texturen aus Li cht und Scharren , aus Re!iefi und Kerb en , aus
E rinnerun g und Vergessen (I V, 4 58) w find en har. In di eser Geom errisie run g und
»Un tabl ea u es r un e so rre d 'appa ri rion d ' un co in d'un m o nd e mysreri eu x donr no us O rnam enralisie run g refl ekti ert sich das Schreiben selbst als Erschaffen und Ges talten
conn aisso ns qu elques aur res fra g m enrs, qui sonr les roi les du m em e arrisre« (CS B, e in er bewuss t im aginären O bj ekrwelr, d eren Amh enriziriir ge rad e von d er lnregration
669). d es Lesers in ihren Entstehun gs prozess im M edium d es Sprachbildes lebt. Erst von
di esen G e ne ratoren oder Ti·an sfo rmaroren 82 d er Bildli chke ir in di e W ege geleitet, enr-
Im prog ress iven Sehe n solch er Aussehnir re voll z ieht sich d ie Leh re e ine r Erkenmnis srehr di e d em »tab lea u « analoge Sarzsrrukrur, au ch sie gef1lter in au fein a nder bezo-
d er äuße ren als eige ne inn ere W elt, im Z uge e in er »voyage d ' iniri a rio n i1 Ia vie ig no- ge ne »rappoiTS« , sp rachli che Refe rente n und d ere n Figuration en , geh lrer schli eß lich
ree« (CS B, 38 0) . Im Nachvo llwg und in d e r Gesamtsch au all er Au sse hnir re kann d a- in d er Masse beschri eben er Bl:irrer d er >cah iers< und >car ncts< und ihrer ausgeschnit-
he r d e r Leser d er Recherche wm Leser sein er selbst w erd en und das Bu ch zum »ve rre tenen, vielfa ch gefalteten, üb erkl ebten >paperol es<- Fahn en und Frag m ente. In di eser
g ross issa nr [ ... ) g race auque l je le ur [d e n Lesern, B. G .] fourn ira is le moye n d e Iire e n W elr aus Schrift und Papi er h inden an d e n IU nde rn pa rerga nale >echte< Bild er von
eux- m e m es« (IV, 6 I 0) . d e n Bild erfindun ge n Prousrs in den Intermitrenzen d es Schreibens- all di e Figuren ,
Lese n, so Geo rge Poul e t, se i d e r Versuc h , das Gelese ne in sich se lbst wi ed erw er- O rnam ente, Rusk in - und Mal e-Kopi en in d er Linie nführun g von Prousrs Srah lfed e r:
schaffen, sei di e Lust, ein em Gedanke n zu fo lge n , d e r wnächsr ni cht d er eige n e isr. 78 Bild er, in d ene n G raphism us, Visualiriir und O rn a m emik ein m ehr als im:1gin iires,
Was sic h in d e r Lektüre bild et, ist ein Gefü ge w ied e rk e hre nde r »po inrs communs«, nunm ehr rars;ichlich ikonisches Zeichensystem e rgeben (T afel I ).83
di e im Ged ächrnis d es kritische n Lesers w ie in e in er, so Prousrs e ige ne r Begri ff' im D iesen Sprung in di e rars~ic hli c h e Ikoni ziriir d er ßild lic hke ir vollführt di e vorli e-
Vorwort wr Bible d'A miens, »Glisse d e resonan ce« wi ed e rhall e n . Das Auffinde n vo n ge nd e Arbeit ni cht m ehr. Das Itinerar ium imagin ;irer Bil dli chkeir w idm et sich , nac h
26 I . PRO U ST S POET I K DER BI LDL I C HK El T - EI NE A NN Ä H ERU N G 4. RUSKI N S SPRE C H END E OR NAM ENTE 27

einem Bli ck auf Ruskin s Lehre d es Ornam em sehe ns, in e in em ersten 1 e il d er Or- Zeit, stets Üb e rg~in ge zwische n Kun st und Leben - E nrgrenzunge n d es eige ntli ch
na mentik d er Objektwelt in Prousts Schre iben , in e ine m zwe ite n d e r Lin eatur und Da rges tellre n , w ie bei El stir - , aus d enen sich in d er Patina d er erinnerten Zeit di e
d em Probl em ihrer Aufzeichnun g, an sc hli eß e nd d e n kompl exeren Mischform en und E rbbrun g zum Mosaik d er Lebenslini en, Fiss uren, Fa iren zusamme nsetzt. (Natur-)
D enkbild ern (Vex ierbilder, fnv ersionen, Rahmun ge n , E inhüllunge n) im Zeichen An schauun g als Initiation in das Ve rsrehe n von d e r E ntwicldung d er Form en; Übe r-
d es Austa uschs ("a lJi teration «) von >Contena nt < und >co m e nu <. D e r fili g ranen Bi ld- rrag un g d er Formkategori en auf di e Prod uktion vo n Kunst und Architektu r; und
li chkeit hält ein Exk u rs zur Physiognomik d es Ba ro n d e C harlus die O rn ame nte des Übersetzun g d e r m a teri el len Sp ur d er O rnam ente als d en kl e insten sp rech enden De-
Bösen enrgege n, di e im Z eichen d er H e raldik stehen . D ie ornam e ntal e D imension ta il s d es ewig unverständlichen Ga nze n zum Zweck einer Lekti o n , ein es Wissens um
d er "d eux c6tes« als Matrix d e r roman esken Wegkarre beschliefs t im sech ste n Tei l das d en Zusamme nhan g, - das ist di e auf Proust w irkende 11·ias, in d er R uskin s Orna-
Itin erarium d er Bildli chkeit, d em sich als Au sblic k und siebte r Te il e in e li re ratu rge- m ent- und L ini enanschauun g sich vollziehe.
schi chtliche Perspekcivi erun g vo n Prousts Schre ibwe ise d er Wahr ne hmun g ansch liefsc. Di e Kunstwerke sä rri ge n sich an d e r Erfahrungswelt - ni cht, w ie bei Ruskin, jene
d e r Epoche, sondern di e vom Individuum ein zeln erl ebten - , aus d er he raus sie wahr-
ge no mme n w urd e n und di e sich als A nteil d es Betrachters in ihn en e inschreibt, so in
Ca rpa ccios Bild, in Mosa iken und Spitzbögen Venedi gs (Kap. 11.4) . ln d er Fissur als
4. Ruskins sprechende Ornamente scheinba re m Make l, in d er Ruskin ein e görrli che Signatur d es Schönen emd ecken w ill
-so in d en "absrracr lin es« 89 etwa von Felsform ation en und Bergketten - und di e in
Unverkennbar bee influsst, neben Kün stlern w ie Ga ll e, H o ku sa i, Mo net und Moreau, d er Arch itektur wied e rkehre,90 springt zugleich die Gewo hnheit d es Sehens e ntzwei:
Jo hn R uskin di e Prousrsche Kunstbeschreibu n g. The Stones of Venice, 84 in se inen so Ein Arc hit ravkopf sche im zu läch eln ; ein e N a rb e im Ges icht hingege n m acht di e-
betitelten Abschnitten von d er >Säu le< zum >Archit rav < und >Gewö lbe< w ie ein e auf- ses ein em beschädigte n G io rro-F resko pro E111ie rend ~ihnli c h (Kap. IV.2) . Proust hebt
st rebend e Architektur gegli ed ert und auf d iese W eise d e m konstatie rten Ve rfa ll und ex plizit Ruskins Physiog no mik he rvor, di e in d en Li nie n (" Ji gnes m alt resses«) ein es
Ve rgesse n Venedi gs in ein er lite rari schen Nac hschöpfun g e m gege nwirke nd , steht Pate Gege nstand es d essen Spur, Schi cksa l und Gesc hi chte in ein er "configuration « e rfasse
für di e Recherche, ni cht nur weil Proust sein en Roman w ie e in e Kirche geba ut ver- (CS B, 11 2) . D as Aü chri ge Bi ld als »i nstaman e« reicht beid en Th eo retikern d es Se-
stande n w issen wo ll te (IV, 6 10). Denn im O rnam ent erschli eßt sic h be i R uskin di e hens ni cht a us; es gilt di eses zu konsrelli eren, zu konfi g uri ere n, be i Ruskin eso teri sch
Les barkeit d er Welt. Signat ur göt tli cher V ielfa lt, isr es zug leic h ln dikaro r von Tuge nd und eth isch , be i Pro ust poetisch. Es erscheint dah e r sinn vo ll , auch in d en fikti ve n
und Laste r, Zeuge d er Geschi chte. Ruskin e rh ebt d ie mikroskopische Untersuchun g Gege nseiind en d es Roman s nach ein er solche n, vo n Ruskin zumind es t inspirie rten Li-
d es D ekors in wissenschaftsgeschi chtlicher sin guliirer Kon sequen z zur M eth o d e, zur ni ensprac he zu fo rsch en. ln d er Fissur, d em Makel, d e r Ko ntin ge nz als Schrift d er Le-
85
Membralogie im Sinn e ein er Leh re d er Bauglied e r und D erai lstruk turen, schli efs li eh benslini e, aber a uch im Ornam e nt individu alisiert sich das E inzeln e, das zum Schlüs-
zur G rapho logi e.86 Das O rn am enr ve rmi rreit zwischen Kunst und Natur - sel d es Ganze n zu werde n ve rspricht. Auch di e Fli ese n vo n Sa n M arco, von d ene n,
d as initii erende G lü ckserl ebni s d es Erzäh lers vo rwegnehm end , übe rrasc he nde rwe ise
>>[ .. . ] bea uriful o rn am em , wb erever found, or however inve nted , is always eith er an schon Ruskin sagt: »> fee l fres h a nd yo un g w hen m y foor is o n rh ese pavem ents« ,91 ha-
87
in tenrion al o r unintemi o nal co py of some constant natural fo nn << - ben imm anent ein e >> fi ss ure«, ein en Bruch d er gewö hnli chen Ebene. E rst im Sto lpern
über di e ko min ge nte Unebe nheir, 92 od er auch im Gesc hwindi gkeitsrausch ein er A u-
w ie bei Pro ust zw isch en Kunst und Leben. Das Orname m wi rd zum E rkenncnis- roEl hrr, spring t di e Erfah run g aus ihren gewo hnte n Bahn en und löst di e Bilde r ("d es
in strum enr, we nn es im subj ektiven modal en Seh e n, übe r die rein e Lektion se in es images qu'ell e decl encha it«, IV, 457) als Formen d er Erkenntnis.
Inhalts hin aus, a ls abstraktes autonom es Elem ent zum individua li sie rte n Gege nüber Pro usr erl e rnt bei Ru skin und in kritische r Ausein a nd e rse tzun g mit ihn1 93 di e Wahr-
und Gesp rächspa rm er mobilisie rt we rd e n ka nn , wi e be i Proust (Kap. 11.1 ). We nn nehmung d es D eta il s. In ein e r Studi e über Sa n Ma rco vern ac hLiss ige Ruskin , so sein
Rusk in sein e "fh eo ri e de r natürli chen Lebenslini e a uf d as O rn a m e m überträgt, e r- Übe rse tze r, all es Wi chti ge, um sich übe r Se iren d er Beschreibun g ein es w inzige n Bas-
scheint nachvollzi ehbar, dass Pro ust, von se in er Ruskin - Lektüre sensibilisie rt, im sub- Reli efs zu w idm en , d as n iemal s jem a nd au ch nur bem erken wird. 9' 1 Di ese O bsess ion
jekti ve n Blick se in erseits linearen D e ta il st rukturen von Artef~dc te n ph ys iog nomische, d es ~ist h e ci sc he n D eta il s macht Prousr sich di chte risch zunmze, etwa in d e r ven ezia-
>S prechend e< Bed eutun g zu erkennt. Herrscht bei Ruskin übera ll das Naturgese tz d er ni sche n "ogive« (Ka p. 11. 4). Prousts Schre ibprozess isr von ein em ähn li chen E insa m -
»ever-va ryin g curvature in t he mosr subtl e a nd subdued rran siri o ns« ,88 so sind au ch rn ein und süi ndige m N euordne n ve rga nge ner Materi ali en und Sp uren ge prägt w ie
Pro usts Lini enbeschreibunge n ein e Suche nach Sp ure n d er Erfa hrun g in Raum und Rusk in s Fo rschung. Es sind für beid e di e un ve rmutete n D eta il s, d ie Fundsrü cke und
-
28 I . PROUSTS POETIK DER BIL DLICHKElT-E IN EA NN Ä H ERUNG

O rn am ente, d ie, in der Ca mo uAage d er Masse nah ezu un sich tbar und ve rsch w iege n, II. Ornamentik der Objektwelt
im subj ektiven Bli ck hera usgelöst e in e ganze Welt e rschli e ßen . Au ch wen n Proust
di e moralischen Argumen te verwirft, um d erenrwill e n Ruskin an d ie Au frichtigkeit »A fil rce de COIHemJ-ll cr lcs objcrs qui m'enrourai cnr, je rro uvais ;\
des O rn a menrs gla ub t (Beziehun g zur Schöpfun g durc h di e vegetabil e Form , Lust chacu n sa J-lhysiono mic, so n ca racri:re; souvcm il me J-larlai cnr I... I.«
des H andwe rke rs a n de r Gestaltun g, erc.), so w irkt auf ihn doch di e von di esem so I---Io non: de lh lzac, La Perm cle c/;agrill
pass ioni ert e rprob te Mögli chkeit an sic h , im O rnam e nt e ine künstl e rische, <lllth en -
rische Verbindun g vo n Fo rm und Lebe n zu sehe n . Di e l:~assa d e e in er Ka thedra le sei
etwa kein e zu befolge nde G laubensdog marik, so nd ern e in zu ve rsrehend es Bu ch, e in e
Schul e der Wahrnehmun g vo n Form und Bedeutu ng .95 Sei n Leben habe Ruskin , die- 1. das Eingerollte: das Glücksversprechen im Ornament
ser >> homm e de ge ni e«, ein er immer diffe renzierteren Wah rn eh mun g der Ku nst ge-
widm et,96 wobei es ihm ni cht a uf di e Erscheinun g d e r D in ge, so nde rn das Erh1ssen ,,-Jhe fl 111 crion of o mam cnr is to make yo u happy.«
der >> nat ure profo nd e«, ihres geschi chtliche n u nd geistige n Schic ksa ls, a nkomm e. John Ru sk in (\.\'t'orks, 9, S. 264)
D ie wa hren Steine vo n Ven ed ig sind f-l_ir Prousr Ruski ns Bü c he r und Geda nke n, we il
sie als Id ee n im Gege nsa tz zu de n verfall e nd en Pal ;isten un ve rgüngli ch sin d. Wenn ln de r Beschreibun g e in es Balko ng itte r-Ornam e nts erpro bt Proust bildli ehe Besc hre i-
Ruskin über den Dom vo n Sa n Marco sagt - bungsve rfa hre n , w ie fo lge nd e Passage zeigt, di e in di e Zeit erster E ntw ürfe zum Co n-
tre Sainte- Beuve zurückre ichen . Das O rn am ent - eine Volu te - befind et sich im Fokus
»111e bea ury which it possesses is un felr, rhe language it uses is fo rgo tren, a nd in rhe e in es Lichtserahis und im Zentrum ein er Erinn erun g, in d er es das G lück ein es ve r-
midst of rhe ciry ro whose servi ce it has so lo ng been co nsec rared, and still fi ll ed by ga ngenen Nachmirtags bildli ch repräsentiert. D er jun ge H eld , d er nur bei schöne m
crowds of rhe cl escencl a n ts of those ro w hom ir owes its m agnifi ce nce, it sta nds, in Wette r sei ne Freu nd in Gi lberte, um deren Li ebe e r w irbt, au f de n C hamps-Eiysees
rea li ty, more deso late rhan rhe ruins rhro ugh w hi ch rhe sheep-wa lk passes un broke n besu chen darf: har rt a m Fenste r ein er Besserun g des Wetters, bis ihm das Erschein en
in o ur Engli sh va ll eys« 97 - ein es e rste n schwachen So nn enserahis auf dem Ba lkon , ein »Sou ri re nuageux«, das e r-
hoffte G lüc k des Ausgangs in Auss icht srell r:
so sind hi er die Weichen dafür gestell t, dass nur in d er Lite ra tur ein e Art vo n Ewigkeit
überh aupt zu erziele n isr. 98 Trotz de r Kun stgläu bigkeit, mit d er Ru skin das Schön e >>A in si au bour d ' un mom e nt l'ap pui du balco n era it peint ro ur enri er er co mm e a
auch für das Wah re und G ute hi elt, würd ig t Pro usr d esse n Physiognom ik, im Z uge jama is de cet o r soure nu qu e co mposent les sp le ndeurs in variabl es d ' un jou r d 'cre,
derer Ruskin Ornam entm otive >> Wi e se ltene Schm ette rlin gss pezien << untersucht und er les omb rcs de ce rreillis de fe r o uvrage du balco n, qu i m'avait ro ujours semb le
aus ihrer Vielfa lt di e Einh eit sein es eigenen Ii re rari sche n We rks gew innt. Das O rn a- Ia chose Ja plus Iaiei e qu' il y el!t au m o nd e, y eta ienr p resqu e bell es . Ell es deve lo p-
m ent ist für Ruskin wie sein e n Schül er de r Inbegriff jene r Schön he it, vo r d e re n hö- pai e nr su r un seul pla n avec un e rell e fin essc les vo lu res er les enroule me nrs, qu i
herer Rea li üit der Me nsch verstumm t und die doc h in ihre r Fili g ranirüt ze rbrechli ch dans le rrei lli s m em e eta ie nr peu perceprib les, co ndu isa nt jusq u'a so n anrenn e Ia
ist - wie der Me nsch selbst. 99 plus renue er ro uj o urs avec Ia rn e me precision leurs e nroule m enrs les plu s sub ti ls,
qu'ell es se mbl a ient rrahir le p la isir qu'a urait pris a lcs pa rfJ ire un <ll'tiste a mo ureux
de !'extrem e f-ini er q ui peur ajo urer a Ia reprodu crion fid ele d'un obj e r une beaure
qui n'est pas dans l'obj e t m em e<< .100

ln der Wahrn ehmung ~ist h er i s i e rr die »prom csse d e des ir<< das scheinbar hässli che G it-
ter zum Ku nstwerk. E rst jerzr kan n de r E rzä hl er die Feinheit der Verzie run g nac hvoll -
ziehe n , erst jetzt t ritt er zu d em O rn a me nt in Beziehung. In d en Vo lu te n hat sich das
G lü cksverspreche n mit dem e indrin gend en Li ch tstrah l quasi e in gero ll t zum gefa lte-
te n Bild , in d em di e G lüc kserfa hrung je nes ein e n Nachmi ttags fo nan enthalten ist.
Im so nn enbeschie ne ne n O rn ame m ereignet sich eine Ko nve rge nz d er Eindrü cke zu
dere n "esse nce communc«:
30 II ORNAME N T IK DE R OB JEK TW ELT 1. DAS EI N GEROL LTE: DAS GLÜCKSVERSPRECHE N I M OR N AMENT 31

>>[ ... ] innombrab les so uvenirs indistin cts !es uns d e rri e re !es au tres jusqu'a u fond de Balkon g irrer, d e n Balkon und d as Z imm er, von d em aus sie gese hen wi rd , kurz di e
mon passe resse maiem l'impress ion d e ce rayo n d e so le il e n m e m e te mps que mes ganze E rfahrun gswelt und bl eibt von allen E indrücken als letztgül tige zurü ck, als
yeu x aujourd'hui, er donnaient a cen e impress ion un e so rre de vo lum e, m ettaiem »ve rschlun gene Arabeske« im >>O rnam ent d es Ve rgesse ns« 103 , aus d em heraus di e Er-
en moi un e SO rte d e profondeur, d e pl e nitud e, d e rea !ite fa ire d e tOllte cette rea lite fahrung sich bis in di e Gege nwa rt hin ein vervo llstiindi ge n ka nn , we nn auch ni cht
d e ces journees aim ees, co nsultees, se mi es d a ns leur ve ritc, dans leur pro messe d e d as Li ebesglü ck, d as d a rin verh eißen schi en. Ist das G itterorn am ent se lbst nach sei-
pl aisir, dans leur battem em in cerrain er famili e r« (CSB54, I 04). ner neue n äst hetische n W erts chätzun g als Din g an sich o hn e Interesse, kommt ihm
Bed eutun g aber doch im >>dess in «, aus d er Abstraktion heraus 'l.U. Di ese könn e nur
Das Auftreffe n d es Lichtserahis auf d as Orna m ent w ird seine r kurze n Dau er zum d er Di chter le iste n, we nn er d as >> plaisir d ' im agin atio n « in Sp rache übe rsetze. D enn
ll·orz wr Schrift, zum Boten e in er >> prom esse«. 101 D e r Schrifi:cha rahe r e in er >>Za uber- e ige ntli ch wa r d as O rnam ent nur zufä llig Austragungsort d e r Wahrn ehmungse kstase:
schri tt« (>>grimoire co mpl iq ue er fl euri «, IV, 457), d e n das O rnamem aufwe ist, sig na-
li siert für d en Erinn ernd en die Spur, di e von jenem A ugenb lic k d e r G lü c ksahnun g im »>I se mbl e e n taut cas que Ia d escripti on plus exacte d es o mbres que le balcon tai-
Gedächtni s verb li eben ist; vor a ll em abe r schre ibt sich das Ornament e in in di e Ge- sa it sur Ia pi erre e nso leill ee peut bi en peu rendre ca mpte du pla isir que j'eprouvai s
ge nwart d es Schreibend en, in d er all e in es aufl euch tet, um zu e rlösc he n und verwan- a lo rs« (CSB54, 101 ).
d elt w ied erzu kehren : au ch hi er istes-da rin vo 11 d e n Lebe nsumstä nde n wi e von ein er
Art Wetter abh ängig- ein Bild des G lü cks, d as sich auf di e Z ukunft beziehe >> il suffi t ln d er Stili sierun g d es Bild es wm O rnam ent w ird di e Z uf:illi gkeit in die Präzision ei-
d ' un rayo n pour na1r re er faire eclore de Ia jo ie, m e m e au ca:ur d e l'hive r« (I, 390). ner Wahrn ehmung und in di e iis rh erische O rdnun g ein er Wortfol ge übe rführt. D e m
Di e >> rayons d e so leil « des Schreibens, d e r Metaph e r, e in e r e ntdeckte n Ähnli chkeit Bild erfinde r Proust di ent d as O rnam ent und im Besond ere n di e Volute und ihr »en-
- auf d em weiße n Papi er d er >>ca rn etS<< wi e a u f d em >> m a JJtea u d e neige« d es Pariser ro ule m e nr« als Bild sei ner Konzeption vo n Wahrnehmung als »inn o mbrables souve-
Balkons solle n sie aufb litze n, sic h ve rfange n, sic h zum Sprac ho rnam e nr d e r ,, fi[s d 'o r« nirs indistin c ts«, die sich jed e n Augenbl ick w ied er einstell en , quasi entrollen könn e n
und ihrer >> refl ets noirs« ve rschlin ge n (>>emrelacer«) . - nicht d e r Verga nge nheit gi lt es als Bild, so nd ern d e r Z ukunfi:. Das Aufstrahl en d es
D as ve rspürte G lü ck sei ein >> plai sir irreel«, gena ue r e in >> plai sir d ' imag in at ion « und O rn aments rechtferti g t das lan ge Wa rten am Fenster, das Wa rre n überh a upt auf d en
d och zugl eich ein e >> rare minure d e rea lite« und damit ,, [e se ul plaisir des poetes«. Das erfüllte n Auge nbli ck, wa nn imrne r e r sich erfüll en möge: ni cht m ehr als E rfl.illun g
Bild e rh ~i!t ein e Doppelpriise nz: Es ist ni cht nur das Bild d es Erinn ernd en, so nde rn ein es Li ebesversprechens, sonde rn als E rfa hrun g vo n lde nti tiit.
au ch d as Bild d es Schreibend e n, d es Di chters. Für d en Erinn e rnden wäre es ein Bild So ll etwas Spur von etwas se in , mu ss di ese Sp ur quasi erst gelegt werd en , als Sprach -
der Trauer - hat sich do ch d as Versprechen d es O rn a m e nrs ni e e rfüllt, d a G ilberre va lu te. Im Bild und ornam e n ta le n »d ess in « ziehen sich (>>Se resume n t«) di e R;iu m e
sein e Li ebe ni emals erwid ert hat; für d en D ichter abe r e in es d es G lü cks, we il es ihm d er Erinn erun g zusa mme n im Fokus ein er Z ierde, e in es Parergo ns. Dam it übe rtrifft
geling t, d as Im aginäre d es Versprechens mit d e m lm agin ~ire m d e r Sprache zu e in e m Proust bei we ite m Montesqui ous Lyrik, di e do ch sein Modell ist, w ie sich in folge n-
Bild zu ve rein en. Hi erin bl eibt d as Ve rsprechen aufbewahrt, e m ii u ßerr an di e Gege n- de n Versen ge rad e mit Bli ck auf di e Volute ze igt, und di e man als ein en Symbolismus
wa rt d es Schre ibend en . M ehr noch : an di e Z ukunfi: d es Lesenden. So wi e d as Baro- d e r Obe rfl ~ic h e beschre ibe n kö nnte:
meterm iin nchen, 102 das in Combray di e Veriinde run g d es We ners indi ziert, a lle di ese
M etam o rphosen überl ebt, wii hrend di e »moi s a m o ureu x« des H eld en in d e r M e te- »Les appare nces furtiv es, I Les gli ssad es fugitives, II Un e ombre, sur un refl et, I
orologi e d es Lebens sterb en (IV, 615), so w ird es auch d en Dichter übe rl eben (II[, C'es t ce qui le mi eu x m e pla1t. [ ... J Er le d ess in, sur le so!, I D es fe uill es en paraso l.
522), d essen Agoni e es g leichg ülti g mit sein en schl echte n Prog nose n begle itet, bis es II L.es silhouettes qui passe nt I D es nuages qui s'efE1ce nt, [ ... ]. «10' 1
mit d essen l od jenen großen >>rayon d e sol eil « am E nd e d e r Nacht ankündig t, d er das
Schreiben zum Werk befreit, um dessen >>Zaube rschritt« un e ndli ch le uehre n zu lasse n, Gege nübe r eine m solchen O rn arus nur eleganter Filigranirät nennt Proust d as Bild
in d en M etam o rph osen d er imm er wied er begi nne nd e n, imm e r ne ue n Lektüre. d e r Volute e in >>ec hantillon d e realisat ion «, d as dem Di chter hi e r im Un te rschied zur
D er poetische Auge nblic k, in d e m d as Warten d es Held e n a uf di e Verh e ißun g be- missglüc kte n Erfahrun g d e r >>clair-obscur «- Lini e (Kap.ll. 2) aus d er visuell en Lebe ns-
lo hnt w ird w ie das Warre n d es Di chte rs auf d as rreffe nd e Bild, visualis iert sic h fi g u- welt e in »Muster« an d ie Hand g ibt, in d e m sich di e O rn ame nt- o d e r Kunstbeschre i-
rativ im Li nie n-O rnam em und damit in sein e m >>d ess i n «, als Re!ief und >>C hose tracee bung zur Beschreibun gs kunst ve rw irkli che n läss t. D e r iko nische Signifika nt stimuli e rt
sur un plan «, etwas im Gedäc htnis und in d e r Schrift Aufgezeichn ete m , d as do ch se in sprachli ches Äquival ent und balanc ie rt in di ese r M etonymi e vo n Bild und Spra-
auch Te il d er Lebenswelt war. Di e Volute substitui ertparspro toto und en detai/ das che zugl e ich d en Punkt, a n d em ve rgan ge ne Ze it und gegenwä rti ge (Sp rac h-) E rfa h-
32 II . ORNAMENTIK DER OBJEKTWELT 2. DAS ABWESENDE: D I E BEWOH N BARE MUSCHEL 33

run geins werd en. So vo llzieh t d enn d er Sa tz, d er di e Wirkun g d es Au.jleuchtens im m a n. 109 ln d er Architektur wgge ri err di e Vo lute ei nen nach o be n oder unte n ausla u-
Fo kus d es O rn am ents beschreibt, dieses >>C resce ndo« selbst nac h - in e in e r E inh e it fe nden , zur D raperie ge rafFte n sche inbaren Übe rschuss d es M ateri als, w ie in ein em
vo n >s ignifi anr< und >s ignifi e< im ornam entalen Spi el -, in all en Stufen vo n d e r »pi e rre ni ch t ga nz ausge rollten Te ppi ch, d esse n R o ll e noch U nentd ecktes in sich ein gefaltet
asso mbri e« über das »blan chir<< zum superl ativen »o r in alte rabl e<<, bi s sich di e Stim - zu trage n sche im - so ist es <lu ch bei Pro ust. Fe rn er schreibt sich das Bild d a mit in
mun g d es Li chts in Begriffen wi e »repos« , »calm e<< und »bonh eur« stabilisiere (1 , 389) . Prou sts noch n;ih er zu benenn end e Sprache d er Falte e in . lrn Li chtstrahl ö ffn en sich
Oie einsti ge Wahrn ehmun gse kstase beruhi gt sich zur sprac hli c h reAex ive n Sensibili - di e Fairen w ie irn Auge nbli ck d es Erinne rn s d as Ged ächtnis, und Bild er strö m e n he r-
tät. vor. Au f d e m Fa lz d er Spirale tänzelt d er Lichrsrrahl , d er di e Erinn erun g wec kt w ie
Sinnli che Stimul anz ist di e reziproke Steige run g d es dair und obscur, 105 aus d e- d er erste So nn enstrahl d en Gesa ng d e r M e mno n-S;iul e, mit d e r Pro ust sich vielsa-
ren meteo rologische n Metam o rphosen als scheinbar obj ekti ve r Schrift im ga nze n ge nd ve rg le icht (111 , 1097) . Ge rad e im Eingerollten komm t hi er d as G lück d aher: als
Rom an , beso nders in d e r Ve nedi g-Episod e, Bürgschafte n d es G lü cks he ra usgelesen Ahnun g nahende r F reud e, als Unem fa ltetes, noch n icht Ausgepacktes und d arin ein
11 0
we rd en (vgl. Kap.II. 4). D er "freien Schönh eit« d es O rn a m en ts w ird hi e r listi g e in Prin zip o d e r Muster schöpferischer lmag inati o n.
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Zweck unrerlegr. Mit di ese m G lü ck werd en di e äs th eti sierte n Obj ekte im Li ch t- Das Bild , d as di e »ge brechli c he kos ebare Wirkli ch ke it«, 1 11 di e G lü cksbotscha ft,
strahl qu as i e!e!?trisch aufgel ad en; das Orn am ent ist ihr Transformator von d er bl o f~e n rr~i gt , ist hi er d as nutzlose Din g a m Ra nde, d er Schnörkel im zu näc hst h;issli ch en
Wahrn ehmun g zum G lü cksträge r d es E rinn erun gs- und Tex tbildes . Während di e m e- m o d e rn e n Balko nge bnder, d er im Li cht a uA euchtend e Bo re und Kompli ze im Bli ck
teo rolo gische M o menth afti gkeit d as Einmali ge d er eph em e re n Wahrn ehmun g zele- durch di e a nfa ngs geHin g nisgle iche n , sodann Freih eit ankündi ge nd e n F ili g ra nstäbe.
bri ert (im Leben wie im Schreiben), und darin inn ere Befindli chkeit mit d e r ;iuße re n D a nk d e re n lin ea re r O etailh a fti g ke it: (>> Ia clelin earion d es m o indres de ta ils«, l , 389)
Gegebenh eit d es Wetters wr ko nkrete n Erfahrun g vo n Ide nti tä t zu ve rbinde n wei(s, 107 und sa mte ne n Re li efs t rukrur (» un tel reli e f, un tel velo urs«, I, 389) ruht d as fra g il e
hil ft die o rn amentale Stilisierun g, die Flüchti gke it di ese r Erfa hrun g zu bann en , d a- D eko r mit se in e r vo lle nd ete n Lini e nkunst - u nd Lini e nsprache- ga nz in sich selbst,
bei ihrer Vo rl äufi gke it einged enk, d a auch im Schreibe n sich d as We tter ~i nd e rn, sich als Beschrei bun gs kunstwe rk e n minia rure; di e So nn e e rw;irm t d as Fili g ra n zu "fi] s
de r Sta ndpun kt d es lmag ini erens hin zu neuen Bilde rn ve rschi ebe n w ird. D e r pl ö tz- cl 'o r<< , di e sich , mit ihre n Scha rre nreAexen ve rA ochren , ve rl ebendi ge n (I , 39 0) und
li che Lichtstrahl , di e Besserun g d es Wetters, zeigt an , dass all es sich ä nd e rn ka nn , dass d em H elel en di e ebe nso fr ag il e »pro m esse du bo nh eur<< (I , 389) d a rbrin ge n. Di e Ve r-
ni chts lange w~ihrt - auch di e E rinn erun g ist ni ch t stabil , so nd e rn T eil d e r M eta m o r- sc hlun ge nh e it d es arabeske n O rn a m e n ts ve rführr d azu , in ihm e in Sig nifikat (das
ph ose. Je ge nau er di e Sprac he d eren annosph ä rische n Nuan ce n zu e ntd ecken wü ss te , Li ebesve rspreche n) zu erwa rte n , wo es als rein e r Sig nifikant Bed eutsa mkeit nur sug-
d esto größer ist d er d araus zu gew inn ende G lücksge halt in d e r Summ e. W enn es e in e ge ri e rt und das Begehre n d es Betrac hters, d er in ihm lese n w ill , vielm ehr spiegelt,
Lehre der Wa hrn ehmung in d er Recherche gibt, d ann di e, d ass sich das Leben st;in - - w ie d enn di e Li ebe d es H e ld e n zu G ilberte auch e ntüiuscht w ird. Sig nat ur di eses
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di g ändert; ein e unumstö ßli che Erinn erun g hat d a rin keine n Pla tz, wä re e in e b isch e Spi els d e r O be rR äc he ist d as Liehein d e r Lini e, mit d e m im Ro m a n O bj e kte zu
Verke hrung d es Lebens. Ihr Sinn ist, di e E mpfindun gsfähi g ke it d er Gege nwa rt zu Verführe rn , Bo re n und Ko mpli ze n we rd en. 11 3 Lebensweltli che Re mini sze nz an Pa-
/ steige rn . D ie »perp etuell e renaissa nce d e m o me nts anc ie ns« (IV, GO) steht im Di e nst ri se r Ba lko ng itte r und intim es Erinn e run gs bil d enthalte n sic h wec hselse itig in d er
ein er umso nuancierteren Wahrn ehmun g in Sy n;isth es ie n , Ko nn o ta tion en , Ähnli c h- e inge ro llte n Volute und ihre m Läc heln , im Auge nbli c k e in es ko mpliz iöse n »so uri -
keite n, kurz, im We tterl euchten d er Sprac he. 108 re instanran e« unterm Sonn e nst ra hl , im ein ge bild et ve rtrauli che n »Caresse doree du
Di e weite r un te n fo lge nd en Beispi ele d er M adel ein e, d e r »ti san e« und eben d as d e r sole ik
Vo lme lassen erk enn en, w ie erfa hrenes G lü ck (od e r d esse n Ahnun g) mit d e r Wahr-
nehmun g und ge nauen Schilderun g ein er künstl eri sc he n Form Hand in Hand ge he.
In Vermeers Ansicht 1Jon Delft wird d e r sonn enbeschi ene ne Ste in , d as »petit pan cl e
mur jaun e<<, jene neu wa hrge nomm ene »precieusc maci ere<< ga n z arn Rand e, ga r zum 2. das Abwesende: die bewohnbare Muschel
Prüfstein d er ~is ch et i sch e n E rfahrun g d es Di chcers (111 , 692). ln sich selbst, so d e r
cl aran ze rbrechende Bergo tte, habe d er Sa tz wertvo ll zu sein , Schi cht um Sch icht zum »Ln so mm c, ce r a rr si co mp l i q u ~ csr jusre me ilt lc se ul arr viva n r. Scul il cx p rim c
poetischen Deta il ve red elt, das di e Signatur d es Ga nze n wä re (111 , 692) . In begriff so l- po u r les au rrcs er nou s Etir vo ir a no us- me m c na rre p ro p re vic, ccrrc vic qui nc
cher Lesekunst d es Deta ils ist di e Volute. Ihre G lü ckss pur w ill e rka nnt, d och au c h pc u r pas s'>o bsc rvcr<, do nr ks ap parc nces q u'o n o bse rvc o nr bcsoi n cl 'crrc rradu ircs
in di e Kun st d er Sprac he übersetzt sein. Ist die Vo luce ein e Remini szenz im Lebe n , e r so u vc nr Iu es :1 rcbo urs e r pc ni blc rn c nr d cchillrecs. 1 ... 1 c'csr cc rrava il qu c l'arr
ein tatsächli ch vo rh and enes Din g, so ist sie d eren ex tradi egeti sches Sinnbild im Ro- d ~fc ra, c'cs r Ia m a rchc en sc ns co nrrairc. le rew ur au x pro l·o ncl curs [ .. . J" (IV, 475) .
34 I I . ORNAME N T I K DER OBJEK T WE LT 2. DAS ABWESENDE D I E BEWOHNBARE MUSCHEL 35

O rnam enr und Bild sind darin verwa ndt, dass sie e twas Abwese nd es darstell en (das Ja kobsmusch el, in ihre r >> Üppige n Sinnli chkeit<< oxymorisch ge hüllt tn e in »s trenges
O rnam enr als Symbol von , d as Bild als Abbildung von), das sie auf e in e O berRäch e und fromm es Falren!J e id <<:
projizieren, d eren Ti efe d er Betrachte r erschliefsen mu ss . Be iei e mach e n eine Welt in
Ausschnitten gege nwärtig, beid e sind auf e in ll·;igerm edium a n gewiese n (Objekt, »I ... ] !es form es-er cel le auss i du petit coquillage d e pat isse ri e, si g rassern enr se n-
Sprache, Vorstellung). Aber d as Ornament ist sr;irker fra g m e nri e rt als das Bild. Es ist suel, SOUS SO ll plissage severe et devot( ... ]<< (I, 46).
umso m ehr Ausschnitt, a ls es ni cht allein steh en kann . Symmetri e, Wiederholung, Se-
ri alität, Mulriplizierun g bestimm en sein Wesen in d e n bild e nd en Künsten. In Ruskins Der Sa tz ist so komponi e rt, dass das syntaktisch iso li erte »p<l.tisse ri e<< fremd er w irkr
Sinn bezieht sich jed es Ornamem auf di e Natur. Aber auch das abstrakte O rnam ent, als di e irrealen m eto nymi sc he n E ige nschaften , und dr;ingt darauf, di e Vorstellung
z. B. das arabische, kann ohne impli zites Wissen ni cht Symbo l se in (Symbol Got- von der Madele ine als Te igwa re zu üb erwind en . Tn di eser >> Ph ys iog nom ie<<, 11 6 di e di e
tes, Symbol d er göt tlich en Undarstellbarkeit). Wie abe r um ge h en mit d e r Madele in e? unbel ebte Materie durch Amhropomorphisi erun g, Adj ekrivierung und die Gab e d es
Ein Symbol d er w ied ergefunden en Zeit, ein Bild d es E rinn ern s? Pro usts berühmtes Namens e rhält, verbind et sich das vom Erz;ihler gesc hilden e Glücks<>efühl
t:>
als Folae
t:>
Gebäckstück ist keineswegs so verd auli ch wie es schein t. Sein e Bed e utun g e rschö pft d es sinnli ch en Ge nusses mir d em Bild d er Ein!Jeidung (» plissage seve re er d evor<<)
sich kaum in d er >> m emoire involontaire<<, deren Dingsymbol es nur ve rm eindi c h ist. zu ein er a mbivale men Ero rik, di e iko nograp hisch ni cht mit d er ess baren, sonde rn
117
Die Frage d er Poetik ist di e nac h dem Funktionieren d er Bilder. Wi e di e Mad eleine mir d er bibli sch en Madeleine verbunden ist. Magdalena ist das Doppelgesicht d e r
funluioniert, erweist sich erst, indem man sie li est. In d e r Lel<türe aber fra g rn enri e rt schönen Sünderin und Büßerin zu eigen. Was da in d er Im ag inati o n d es Botti celli -
sie sich , Hingt nirge nd wo an, hört nirge ndwo auf. Von der Madele in e ist hi e r ga r nicht Bewunderers Prousr d e r Muschel e ntsprin g t, ist ein e traumhafte Figur ven erisch er
m ehr zu sprech en; allenfalls von e in er Summe von Teilel em e m e n , di e mit ihr zu tun Weiblichkeit, in ihre r Erscheinung je ner ä hnli ch , di e dem »in so mniaque<< im Z usta nd
haben und die m a n gem einhin >Madelein e< ne nnr; sie selbs t aber ist am End e des d es Tl·aum es in den Fa lte n se ines Bettes wie aus ein er Rippe Adams ge bo ren w ird .118
Lesens ebenso abwesend (und im variablen Ornamenr ihrer Aspekte anwesend) wie Die St ilisie run g, im Z u ge d erer di e referenti ell e Gegenstä ndli chke it ab- und di e Äs-
zu Beginn d es Schreibens: sehr jun g und sehr a lt zugleich, Urbild d es Romans und th erisie run g zunimmt, arb eitet in jed e m Wort. Di es ist umso ersta unli cher, als jede
Utopi e sein er Einh eit in ein em. ne ue Ersch einung d er Mad elein e aus e ine r Pr;izisierun g ihre r Form h e rvorzu ge hen
Di e frühest e Beschreibung des späte r Madeleine ge nannte n Objekts find e t sich sch eint. D er Ausdruck »valve<< für die Form d es Ge bäcks legt konnotativ mir eine r
im Ca hi er VJ I I der Entwürfe zum Contre Sainte-Beuve, wo es zunächst a ls »qu elques Kons equ enz, di e inn e rhalb d e r aufgeborene n Sem a ntik von Geb urt und E rotik nichts
tranches de pain g rill e<< erscheint, bevo r in ein er sp;ireren Ski zze di e Änderung in »un e Z ufa lli ges hat, »VLdve<< nah e und evoziert in Verbindung mi r >>d o du << das we ibli ch e
11 1
petite bisco tte<< (1 , 696) erfol gt, di e dem Erzähler von Franc;:oise se rvi e rt wird. ' Di e Geschl echt. Er ersche int e in weite res Mal und ve rvielfac ht sich d a nn, we nn vo n d e r
Mad elein e tds Madelein e figuriert e rstmalig auf ein em d em Ca hi er X zuzuordnend e n entblöfSte n Alberrine di e R ed e ist. Die Kurvenform d er beiden an ihren Schenkeln
Blatt und zwa r in Majuskeln gesetzt als »Pe rire Madelein e<< , so dass das Ge bäck wie a nse tze nd en >>va lves<< g ilt dem Erzä hler al s Inbeg riff ein er harmo ni sc hen Linie. D iese
ein e rea le Person erscheim, 115 di e di e Mutter herbrin ge n Ii eK E rst in di eser Form e r- mit Albenine wi e d er Made lei ne verbunden e Lineatur zieht sich durch ein e Se ri e vo n
öffnet sich di e Vielgestaltigkeit, um di e es fortan ge h en so ll und di e sich hi e r bereits Bild ern , in d e r sie varii e rt wird, ohne ihre anatomische Sig na lwirkun g zu verlieren.
eiern ahnun gsvo ll en »sembler<< ve rd ankr, mit d em, einmal lan ciert, jede prore isehe Der E rz;ihl er charakre ri sien di e Schönh eitslini e etwa mit ,,JJöstcrli c her Ruhe<< (z u d er
Form w ie durch ein e e rkanme ÄJ1nlichkeit, e in e Impress ion , ein e E rsch einung, legiti- Alberrine in ihre r Gefange nsch a ft gezw un ge n w ird ) wie auch mit ein e m »Hori zont
mi ert w ird, statt Metapher zu sein. nach So nn e nunte rga ng<< (vo r d em Alberrin e in Balbec e rschi en ):

>>Ell e envoya ehereh er un d e ces g[ttea u x co urts er dodus appel es Petites Made- »[ .. .] er so n ventre se referm a it, a Ia jon ction d es cuisses, par d eux va lves d ' un e
lein es qui se mbl ent avo ir ete moul es dans Ia valve rainuree d ' un e coquille d e Sa int- co urbe auss i asso upi e, aussi reposa nte, auss i claustral e qu e celle d e l' hori zo n quand
Jacqu es<< (I , 699) . le soleil a disparu << (LI!, 587).

Aus d er Stilisierun g vom o rdinären gegrillten Brot über d en kargen Zw ieback bis Di e bloße Lini e sig ni ert in di esen Variation en di e d er Mad elein e id ent isch e Ambiva-
hin zur französisc hsten all er Go urmandi sen w ird Petite Mädeleine ge bore n: Bereits in lenz vo n >> Üppi ge r Sinnli chke it << und ,,fromm er Stre nge<< . lm Anschluss w ird di e ge-
diesen ersten zitierten Satz löst sie sich ni cht einfac h aus ihrer Backform, so nd ern boge ne Form auf AJbertin es nacktes Be in übertrage n , das sich auf d em Bett in der
entspringt w ie ein e anthropomorph e Venus-Ges talr d e r gezackte n Form sch ale ein e r Bi egun g e in es Schwa nenh alses zusa mm enkrümmt und wied er streckt:

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36 II . O RN A M ENTI K DE R OB JEK TWE LT 2. DAS ABWESE N DE : D I E BEWO HN BARE MUSC H EL 37

»[ .. . ] Ia jambe wmbante en un e inflexion de col de cygne qui s'a ll onge er se re- Oi e >>Gomorrh eine<< Alberein e erscheint im Bi ld des Schwans in ein er myth ologischen
courbe pour revenir sur lui -m e me<< (I I[ , 587). Szene als unverstellt Begehrende, in der sich eigentli ch gerad e di e Verstellun g des Be-
gehrenden (Zeus) zum Schwan ereignet. Wi e Zeus wechselt auch Alberein e di e Ges ta lt,
O ie »inflex ion <<, an der der Refe renr in das neue mew nymi sche Bi ld umschl iigt, ist die um ih r erotisches Verlangen erfüll en zu könn en. Kl ös terliche Frigiditüt oder sinnli ches
formal e Ähn li chkeit der Lineatur von Schwan enhals und Schenkel. D iese Bewegung Begehren - welchen Z ustand AJbertine gerade annimmt, ist anders als bei Ovid äu-
des sich ausstreckenden und an ziehend en Beins ruft dem Erühl er spiirer noch, nach Ai- f~e rli c h nicht erkennbar. Hi er manifes tiert sich Prousrs visueller Z ugang, denn anstarr
mes Beri cht über Albertines Badefreuden mit ihrer lesbi schen Gefahrtin , die nackte Ge- Ovid als Qu ell e zu nennen, suggeri ert er mit dem Umweg einer Gemiilde-Beschrei-
stalt der einstigen Geli ebten ins G ed ~i chtni s . ln zwei G emiilcl en Elsrirs (fü r die Modelle bun g ein Werk der bild end en Kunst, um das Alberrine-lrnaginarium mit der Unmit-
bei Renoir identifiziert wurden) 11 9 erkennr der Erzähl er das charakteristische Lini enseg- telbarkeit des Bi ldli chen auf den Lese r wirken zu lassen. D as realistische Bi ldm otiv in
ment wieder, das in der darauA1in erfolgend en Ekph rasis den Zencra lpunkr vorgibt: Renoirs Manier wird in der Erinnerung an Albertin e zu einem mythologischen, wenn
an stel le der Frauengesta ir der Schwan der Leda tritr. 121 Festzuha lten bleibt hier, wie
»J'avai s justement vu deux peinrures d 'Eistir OLl dans un paysage touffu il y a des Prou st das Vergleichsmom ent einfl.ihrt, niimlich über die Ähn lichkeit von Albertin es
femm es nues. Dan s l'une, l' un e des jeunes fill es leve le pi ed comm e Albereine devait Bein mit ein em Schwanenhals im »col sini eux<< als formaler Lini enfi gurarion .
fa ire quand ell e l'offrair a Ia blan chisseuse. Oe l'autre ell e pousse a l'eau !'atme jeun e Ind em Proust di e Metaph er des Schwan s heranzi eht, greift er auf di e Bilderwelt
fill e qui ga iement res iste, Ia cui sse levee, SOll pi ed trempanc a pein e dans l'eau bleue. des Sy mbolismus und des Jugend sti ls zurü ck. D er Schwan symbo lisiert ein e Verbin -
Je me rappel ais mainrenant que Ia levee de Ia cuisse y fai sa ic le mern e meand re de dun g von Melan choli e und Sex us. Ti·adition ell im Sinne des Leela-Myrhos mir dem
cou de cygn e avec !'angle du genou, qu e faisa ic Ia chure de Ia cu isse d'Aiberrin e weibli chen Geschl echt id enrifizierr, zeigt di e elegische Kurve se ines H alses, se in e
quand ell e eta it a core de moi sur le lic [ ... ]<< (IV, I 08). Selbstbes pi egel ung im Wasser und nicht zu letzt der Schwanengesang vor dem Tod di e
morb ide Seite des Bi ld es.122 Diese Sy mbolik wird Proust wi eder aufgreife n, wenn ein e
Nun wird dem Erzüh ler di e Bede utung der Lini e klar, in der die nackte Alberein e das auf ein en Mantel von Fortuny appli zierte Fi guration »unheilverkünd ender Vögel<< Al -
Bein auf sein em Bett mäandernd an gewinkelt gehalten harre: bertin es Tod im Ornam ent bes iegelt (Kap. IV. I). Di ese Melan choli e, Verschlossenh eit
und Undurchsichtigkeit des sterbend en Schwans charakterisiert Alberein e auch scho n
»Me souvenanc de ce qu'ell e erair sur mon li t, je croyai s voir sa cui sse recourbee, je Ia al s »pri sonni ere<< (wenn di e G es ta lt auch in sgesamt di e syrnbo listi sche Ästh etik weit
voyais, c'era ir un col de cygne, il cherchair Ia bouche de l'aucre jeun e filie« (IV, I 08). überschreitet und sich ni cht all ein als Fi gur des Fin de siecl e wie etwa Maeterlin cks
Meli sande ein grenzen liissr). Der Bi lderschatz der symbolistischen Generarion ist hier
D ie Wahrn ehmu ng des an gehoben en Bein s auf dem Ge miilde wi rd mit jener ein es quasi nur noch im Zitat priise nt und hallt in einzeln en Bi ldern wi eder, ni cht zu letzt,
Schwan enhal ses auf ein em weiteren Bi ld überblendet: weil Prou sr ni cht weni ger als di e Sy mboli sten von Baudelaires imageri e beeinfluss t ist.
Und rarsüchl ich erinn ert Prousrs Schwanenbild an ein en Vers Baudelaires, den dieser
>>Alors je ne voyais meme plus un e CLJ isse, mais le col hardi d 'un cygn e, comrne ohn e Zweifel kannte:
celui qui dan s un e erud e fremissance ehereh e Ia bou che d'un e Uda [.. . J<< (IV, I 08).
»Et son bras er sa jambe, er sa cu isse er ses rein s,
Das metonymi sch entstandene Bi ld vom Schwan beanspruche mehr al s nur Vergleichs- Polis comm e de l'huil e, ondul eux comm e un cygne,
charakter; es wird zum verrt icon Alberrin es , zur Erscheinun g ihres geheim gehaltenen Passaient devant mes yeux clairvoyanr er serein s;
Begehrens. Das Sn·ecken und Anziehen des Beins verchichrigc der eifersüchtige Li eb- [ J. « 123
0 0 0

haber als Ausdru ck von Alberrines ihm fremd en erotischen Verlangen, als unbewuss te
Ges te, di e di eses verriic. Der Erziih ler verbind et mit der Ges te di e G estalt Ledas, ein e In ein em Vergleich der Elstirschen Frau enges ra lten, uncer denen er Alberein e im agi-
wie schon in der Madelein e mythisch e Bildfigur. 120 Die Metamorphose in der Wahr- n ierr, 111 it
nehmung steht also im Zeichen ein er Ovidschen Verwand lun g, wenn Elstirs bzw. Re-
noirs Gemiild e mit der Legend e von Leda und dem Schwan überbl end et wird. Wiih - »[.. . J statues nu es de deesses comm e cell es que les grands sculpreurs eparp illai enr a
rend der Legend e nach der Schwan in Wahrh eit Zeus ist, verkehrt sich Prousrs Szene Versaill es SOU S les bosquets Oll dans les bass ins do nnai enr a lave r er a polir aux ca-
zu ein em rein en »plai sir feminin <<: der Suche der Lesbi erin nach dem Mund der Leda. resses du flot« (IV, I 08)
38 II OR N AME NTIK DER OB JEK TW ELT 2. DAS ABWESE N DE: DIE BEWOHNBARE MUSCHE L 39

kehrt di e harmonische >>va lve«-Schön h eitslini e d er Sch enkelform als >>co l d e cygne« Prousr direkt aus d en zwei Seiren d es rypischen Mad elein e-M usters h ergeleitet zu ha-
w ied e r: D er E rzäh ler erkennt sie in d en ))marbres fe minin s<< d er Versa ill er Bas-Reli- b e n - di e e in e glatt und gewö lbt, di e and ere ge riffelt und Aach. O ie beschri eben e
efs.124 Au (Serdem wird er an ihre rosa farb e n e n Brüsre in e in e r vom Meer umspiel- m ero nymi sch e fi li arion b le ib r darin d em Ähn lichkeirssinn sehr eng ve rb und en 126 und
ren Ges reinsformation erinn ert, in d er di ese w ie >>Se in s bombes<< (li, 285) verste in ert mir ihm a uch d e r Wa hrn ehmun g, auf di e di ese r an gew iesen ist im Gegensatz zur bl o-
wiiren , so d ass hi er di e erQ[i sche Konfigurar ion d es wasserumsp ülte n Bas- Reliefs an- ßen im ag in ;ire n Serzung ein er M e ta phe r. Oie M ad eleine als Mad elein e bl eib t präse nr,
tizipi ert isr. Mit d e n Wassergö ttinnen , >>tre mpant dans l'eau<<, entsteh en abe rm als so sehr sich di e mit ihr konnotariv konsrelli erren Bild er auch verselbstä ndi ge n.
weib li che venerische Ges talten, wie sie sch o n in d er Mad ele in e und ihrer aquatisc hen O ie Form en des anth ropomorp hisierren Geb;icks we rd en, wie zit ierr, »grasse m ent
M etaphorik a ngelegt waren. Wo imm er A lbertin e über das Ve rg leichsmomenr d er se nsu el« ge nannt (1, 46). Oi e we ich e Konsonanten-Rei hun g des Namens unter-
walve<< assoz ii ert wird, erscheint sie in ein e traumhafte, ofr myrholog isie rende Ebene streich t noch di e Feminiriit d es O bj ekts, d as d em E rzä hler zudem vo n d er Mutte r
versetze. Prou sr arbeitet in d e n Versa ill e r Reli efs, wie sich noc h an m e hreren Beispi e- da rgebote n w ird . Julia Kri sreva, di e di esen As pekt d er Fem initär bero nt, erinn e rt fer-
len zeige n wird, sein Vergleichsbild in ein b ere its exisr ie re nd es K un stwe rk ein. Der n er daran, dass mir Madel ein e Go uvres aus L'indifferent und Madel ein e V ill epari sis
im Reli ef w ieclerkehrende Profil e indruck sc hrei te nde r Gött inn e n re ic h t dabei bis zum a us d er Recherche zwei sehn süchtig Li eb ende di esen Na m e n erhi elten . 127 Auc h ein le-
ersten Erscheinen AJbertines und d er >> jeun es fill es<< zurü ck a ls )) profile d'un cld-il e d e- b ensweltli ch er Bezug mag in d er St ilisierun g d er Madeleine ein e Ro ll e spiel en: Oi e
vant Ia m er<< (TI, 189) . W ie in d e r Madelein e in e in Musch elobjekr, so wird A lberrin e Pa ri ser Mad elein e- Kirch e h atte Prou st von sein em Domizi l aus t;igli ch vo r Augen. 128
in im agin äre Kunstwerke ge bannr, in d e ne n ihre Hairun ge n und Posen formal wie- An d e r Madelei n e hofft d e r E rz;i hl er in se in er Liebessehnsu cht, G ilberte ode r we ni as-
o
d e rkehren und sic h zu visue ll beschre ibbare n Abdrücken und Sp uren ein er imm er tens ihre m Vate r Swa nn zu b egegnen , d en er ni cht wen ige r als übe rn a türliches Wesen
d etailli erreren und imm er fra g m entiertere n Wah rn e hmun g profili ere n. a nsieh r:
Oie >>va lve<< als ge boge ne Muschelfo rm fi g uri e rt da rüb er hin a us, di es mal g le ichsa m
in ihrer konvexen Gege nbewegun g zum ge boge n e n Bauch d e r Mad e le ine, a ls D elle >> [ ... j er m o n im aginatio n differen ciair re lle m ent le pere de G ilbe rte du res re d e
und Einkerbung, in d er Krypra von Sa inr-Hilaire am G rab d e r erm o rd e te n Tochrer l' humanite, sa presence au milieu de ce m o nd e reel y inrro duisa ir rant d e m e r-
des M erowinger- Kö ni gs Sigeberr. 125
Aberma ls d eurer d ie Sre inke rbun g an d er li egen- ve ill eu x, qu e, avanr m em e d'a rri ve r a Ia Madelein e, j' erais emu a Ia pensee d 'a ppro-
d en G rabfi gur in Sainr Hilaire auf A lbe rrin e hin, di e im Schlaf w ie ein e solche sre i- ch e r d' un e ru e oll pouvai r se pro dui re i no pi nem en t I' appa ri t ion su rna rurell e« (I ,
nern e G rabfig ur wirkt: 409).

>>Ce fut un e m o rte en effer que je vis qu a nd j'e nrrai e n suite dan s sa chambre. Ell e Ein e >>a ppariti o n surn atu rell e<<, 1ümlich d er Kindh eit insgesam t, b ewirk t ja auc h di e
s'erair endormi e a uss it6t co uchee; ses draps, rou les co mrn e un suaire aurour d e so n kl e in e Ge b;ick-Mad elein e . Die im Text he rrsche nd e Amb iguität von Fröm mi g ke it
corps, ava ient pri s, avec leurs bea ux pli s, un e rig idite d e pi e rre<< (I!J, 862) . und Erotik ersch einr in d e r Inn enau sstattun g d e r tempelarti ge n Madelein e-Kirche,
di e ga nz d em byza ntinisch -fernöstl iche n , zu Nac kt- Darstellun ge n und Morbidität
W ie in d en Versa ill er Reli efs w ird A lbertin e hie r a ls in S te in ge m ei(selre Figur, w ie in neige nd en Sy mboli smus d e r Oecade nce entspricht, beso nders greifbar. Jea n Ricardou
d er >Auferste hun g< in ein em Gemäld e Ca rpaccios als in schön e Fa ire n drapi e rt- di e ruft ins Gedä chtnis, dass Prousr Kirche n als mag isch e Orte d efini e rte, als ein Veh ikel,
Benlaken (>>d raps<<) nehm en di e Negli ges Fornmys vorweg (Kap. IV.l) - priisenti e rt, das es erl aub e, durch di e Zeiten zu reise n (ga nz wie di e »Petire Mad elein e<< di es er-
nun ni cht m ehr »grassemenr se nsu el<< wie Lecla, so nde rn im ,, pJi ssage seve re er d evot<< rnög li chr): 129
d er jun gfrii uli ch verstorbe n e n Me row inge rin. O ie >>valve<< im unterirdisch e n Kirc he n -
raum von Sa int Hilaire w ie auch je ne d e r Mad e le in e ve rrät di e S pur eines Wunders, >> [ ... j un edifi ce occupant, si l'o n peur dire, un es pace a qu arre dim ensions- Ia
dort in d e r Lege nde, hi e r in christli c her Themat ik; und als Wunder d e r >> res urrection << quatri e m e etant cel le du Temps - , dep loyant a trave rs les sied es Sü ll vai sseau qui ,
g ilt dem E rziih ler auch di e wiedergewo nn e ne E rinn e run g an Co mbray. D ie >>val ve<< cl e rravee en rravee, d e chapell e e n ch ape ll e, semblair va in cre er fra nchir non pas
ist d ie lin ea re Signatur, ist als Kerbe und Erinn e run gs marke bildn e risc he r Au sdru ck seul e m enr quelques m e tres, m a is d es epoques su ccess ives d'oli il so rtait vicro ri eux<<
d ieser >> res urrection<< (1 , 46). (1, 60).
Mir d e m sch einbaren Gege nsatz weib li ch er Sex ualir;ir und spirituell er Relig iositä t
od er Mystik enrsrehr die Madel ein e a ls Doppelwesen. Die Amb iva lenz, di e aus e in er Oie re li g iöse Ästhetik der Madeleine bestät igt sich auch anderenorts: I rn Sa lo n der
nac kten sinnli chen und ein e r von ,,fromm en Fa iren<< umhüllte n Se ite bes tehe, sche int M adam e Swa nn, d er a ls Te mpel beschri eben w ird , g ibt es zum Tee e in e n re mpelför-
.....".... I

40 II . OR N A M ENTI K DER O BJE KT WELT 2. DAS ABWE SENDE: D I E BEWO HN BARE MUSC H EL 41

migen »ga reau archirecrurak Im and :ichri ge n Gedenken des Erz:ih lers iihneln diese n 1s 1rn Erinn ern beginn en. Ces talrrh eorerisch läss r sich nun au ch di e Muschelform
Kuchenbauren b sr Mon srranzen, d ie darin zu gleich >comenanr< und >conrenw dieser der >>valve<< auf di e Ges ra lr der Sankr-Jakobs-Muschel w rü ckbeziehen. Der Name
Monsrranz wiiren - ein e »C<~ I esre nourrirure<< (IV, 451 ). Reli giosiriir und Frömmig- C ombray selbst rr:igr mir dem ersren Buchsraben ein e muschelarri ge Rocai ll e im Na-
keir verbinderd er Erziihl er aufs Engs re mir Co rnbray. Z u O srern reisre di e Familie men. Und di e W iederaufersrehung des im Vergesse n versunkenen O res vollziehe sich
regelnüßi g hierh er, heißr es , und vom Z ug aus isr von de r Sradr nichr mehr als eine ebenhll s in aquarischer Bi ld lichkeir de r Auferstehung:
Kirche zu sehen (•• une eglise, res umanr Ia vil le<<, I, 702). Oi e der Gebäckfigur zuge-
schri ebene Frömmigkeir isr sc hließli ch vor al lem ein e Eigensch afe der T tnre Leonie >> [.. . ] roures les fl eurs de notre jardin er cel les du parc de M. Swann , er les nym-
in ihrem >>e rar in ce rrain de debilire mal adive, de rri sresse , d'id ee fi xe er de devorion « ph eas de Ia Vivonn e, er les bonn es ge ns du village er leurs perirs Iogis er l'egli se er
(1, 703). G läser und Karaffen ersch ein en d em Erzähl er von Prousrs Sur Ia lecture in rour C ombray er ses environs, rour cela qui prend form e er solidite, esr sorri, vi ll e er
seinem Z imm er, das er gar als >>chapcl le<< bezeichn er, wi e Hosri engefliße (CS B, 165). jardins, de ma rasse de rhe<< (1 , 47).
Oi e religiös enrrü ckre Tanre Leoni e, d ie ihr Z imm er wi e di e Ves ra lin ihren Tempel
ni emals verläss r, reiche dem jungen E rzähl er den aufgelösren Ku chen wi e eine Hos- W ie di e Verbindung Alberein es mir dem Schwa n, so em srammr au ch di e Verbindun ab
ri e.130 Und im (noch ni chr so ge nanmen) C ombray aus Sur Ia lecture wird , wenn nichr der weiblichen Mad eleine mir der Muschel einer im Kern symbolisrischen Bildlich-
Mad elein e-Gebiick, so doch >>pain benir« von ein em C horknaben gebrachr; di e nahe keir. 131 Odi lon Reclon l ~iss r in sein em Gemiild e Geburt der Venus (Tafel 2) 135 die Gör-
Kirche isr Aufbewahrungsore der >> brioche beni e« (auch d ie >Mad eleine< war in ihrer tin aus ein er ri es igen Muschel hervorereren, doch hand ele es sich nichr mehr, wi e bei
Vorform ein e Brioche) und di e Gtiubi gen kaufen nach der Messe in der Bäckerei ne- Borricell i, um eine schal enarei ge fesre Kapsel, sond ern um ein e phanras magorische
benan wiederum monsrran zareige Ku chen: Vu lva , d ie ebenso fl eischli ch isr wi e der Körper, den sie geb;irr. 136 Auf diese Weise
isr di e Musch el ein Symbo l des weibli chen Geschlechrsorgan s und münerli cher Ur-
>>garea ux en form e de rours, [. donr l'od eur oisive er sucree es r res ree melee pour
0 .]
sprun g des Lebens. ln di esem Sinne verwend er sie auch Prousr, wenn er aus dem
moi au x cloches de Ia grand e messe [ .. .]<< (CS B, 169). Bi ld der Muschel di e Gebure des unwillkürli chen Erinn erns inszeniere, als mürrerli -
cher Ursprun gsore der wiedergefund enen Zeir und als Gege nstand ge isti ger Lusr im
Und auch zu Albereine und damir zur eroroman en »Valve<<-Tex rur führr das >> pain be- Glü ckszusrand des Erinn erns.
nir<< zurü ck, wenn der Erziihl er spärcr den Z un genkuss der Geli ebren, ge nau er das In An lehnung an Gas ron Bachelard ließe sich sage n, dass Prousr di e Mad elein e,
Einführen der Z un ge in den ihr da rgeborenen Mund als >> pain quoridi en ( .. . ] presque di eses Eröffnun gsbild se ines Roman s, aus dem harren Kern der ersren Id ee, erwa dem
sacre<< (111, 520) schildere. Und der Mund isr je ner, den der Eife rsüchrige sich in Mo- kargen >> pain grill e<<, so lan ge, inrensiv und so dauerh aft herausgea rbeirer har wie das
reauschen Symbo li k ein er ledagleichen Lesb ierin zun eigen siehr ... - Weichei er auf dem G rund des Meeres , dass sich al lmäh li ch mir ein er Muschel um-
Hi er ko nvergieren Reli giosirär, Weibli chkeir und Speise im ku chenarei ge n Orna- gibt, di ese m schürzenden Raum , den es bewo hn en wird und der w gleich ein Wun -
menr-Obj ekr. Di e Madelein e verdi chrer sich zu ein er semiorischen >> Man-ix<<13 1 der der der Schönh eir isr.' 37 Prousrs Madelein e in ihrer vielgesta lti gen ßi ldli chkeir enr-
Bedeurungs rräger, zur Monsrran z, zum Gral des nach E rinn erun g Suchend en, zum sprichr dem , was Bachelard >> un exd:s de l'imaginarion << nennr. 138 Für Bachelard isr
im Tex r zemrifugal Bedeurun g srifi:enden >ikonorex ruell en< Monsrrum. D ie Kon srel- das sich selbsr ein H aus gebend e Lebewesen der InbegrifF der sters in di e Z ukunfr
larion, in sich kreisend und doch all es and ere als beliebi g, kommr nirge nds zur Ruh e. geri chreren lmaginarion sarbeir. ln der Muschel nimmt das Leben ein e Form an . So
So serzr sich di e Ornam emalisierung und Srilisierun g der Form, deren reale 7/:xtur virt kann ßachelard sagen: >>Toure form e gard e un e vi e. Le foss il e n'es r plus simpl emenr
Ahnfichkeit der Ursprung rtller Konnotationen ist, forr in ihrem Bezug auf di e Sankr- un erre qui a vecu, c'es r un erre qui vir enco re, endormi dans sa fo rm e. La coqui ll e es r
Jakobs- Musch el, der di e Gebäck-Madelein e nad irion eil nachempfunden isr. Diese l'exe mpl e le plus manifesre d' une vie universell e coqui lla nre«.
Muschel srellr, wi e Julia Kriseeva erinn ere, das Aw·ibm der Pilge r auf dem Weg nach Im Musch elgeb;ick der Madelein e lässt Prousr in diese r Weise das erinn eree Leben
Sanriago de C omposrell a dar. D ie Id ee der Buße führe wieder wr Nam ensgeberin wr imagin ariven Fo rm gerinn en, ephemer ein erseits in sein er Essbarkeit, von foss il er
Madelein e zurü ck. Nach dem Wa ll fah rrson isr in C ombray di e Rue Sainr-Jacques be- Dau er und Fes ri gkeir andererse irs durch di e vi elfache Konsrelli erung und Umschi ch-
nannr, in der Tanre Leonie wohnrund in der sich der Madelein e-Ge nuss vo llziehr. 132 wn g des Bi ldes in Verweisen und Ankl iingen. Deren Gehiiuse ist di e Mad elein e al s
Wi e ein e Pilgerschaft nimmr sich auch der a llj ~ihrli c h e fami li iire O srerbes uch in Corn - Mu schel, als protegiereer Raum der Im agination, wi e er Bachelard vo rschwebe: >>[. . . ]
bray aus. Der fl·üh ere Ruskin - Pilger Prousr hiss r hi er aber vo r all em di e ge isrige Pilger- des que Ia vi e so Ioge, se prorege, se couv re, se cache, l'imaginarion sy mparhise avec
schafe seiner Erziih ler-Figur durch Raum und Zeir hin zum G ral 133 der Selbsrerkennr- l'etre qui habire l'espace pro rege. L:imaginari o n vit Ia protecrion (... ]<< . 139
42 II. OR N AMENT IK DER OBJEKTWELT 2. DAS ABWESENDE: D I E BEWO HN BARE MUSCHEL 43

Besonders d as winre rli che (vor d e r K~ilre bewahrte) Z imm er beschre ibt Pro usr als ren Ele m ente sich gege nseit ig stimul ie ren. D er Text ve rla ngt also, die Madelein e übe r
ein e solche eige ne th ermi sche Zo ne um d en Zenrralpunkt d es wä rm e nd e n >>alc6ve ihre n Aspekt a ls erinn ertes Obj ekt hin aus zu sehen.
[ .. . ] au se in d e Ia chambre« (1 , 7), und erst recht d as Z imm e r d es Kranke n ne nnt er
ein e »zo ne mela ncho lique d eja assez vaste qu e Ia m aladi e rrace aurour d ' un rnalad e<< . 140 »C he rcher? Pas seul em ent: c ree r. 11 [l e chercheur, B. G .j est e n fa ce d e qu elqu e chose
Je stärker di e Wänd e, d es to besser schütze n sie vor ~iuf~ere n E inAü sse n. 1' 11 D ie M ad e- q ui n' es t pas enco re er que seul il peut rea li se r [ ... ]« (1 , 45) .
leine-S pe nde rin d es kindli chen H elden , Tante Uon ie, ist d em spätere n Krank e n im
herm etisch abgesc hl ossenen Z imme r ein e gute Lehrme iste rin. N icht zu le tz t e rsche inr ln d er Madele in e bezeugt di e Recherche überd eutli ch, d ass sie nicht nur als Suche
das Bett, das Prousr mit d er Arche Noah vergle icht und d as e r übe r Ja hre hin weg nac h d e m Wese n d er Zeit, so nde rn als Suche ihrer e ige nen Fo rm, als >>recherche d e
kaum m ehr verli eß, als fast scho n zum Körpe r d es d a rin Ruh e nde n ge hö ri g, e in e im sa c rea ri o n« im Sinne des Z itats gelese n werd e n wi ll. Wi rd scho n im E rinn ern das
Inneren weich ausgeschlage ne Schale, in d er nicht nur im ll·aum die we ibli c he n Ge- Erinne rte ein ande res, neu E rschaffe nes, ihm nu r noch Ähnl iches, so erst rech t irn
stalte n , sondern d e r ga nze Ro man sein en Ursprung hat. Die Madele ine als bewo hn - Akt d es Schreibens. E rscheinunge n, di e sich a us d e r Sicht d es Erinnernd en als »Iues
bare Muschel: au s ihr geht Prousts Schreiben he rvo r, in sie kehn es zurü ck. a rebo urs er peniblem e nt d echiffrees « (IV, 475) darstelle n mögen, müsse n in d er Pra-
/ xis d es Schreibens zu ein er solch en ve rm eintli cher Erinn erun g quasi »a rebou rs« erst
Das Sich- Fons pinn en d er Bild er via Ähnli chke it in d e n aquatische n Fig ure n ist p er- chiffri ert we rd en . Nur d er E rzäh ler ide ntifizie rt naiverwe ise di e M ad elein e mit d er
petu ell: ein sriindiges Gebiiren, o b im Ze iche n d e r Mu schel, d e r »va lve<< od e r d e r w ied ergefund enen Ze it; d e m Lese r aber signalisiert d er Dichter une ntwegt, dass es
»res urrection «. A poretisch spitzt sich be ispi elsweise di e berühmte A na logie zu , die mehr zu entziffe rn g ibt. D enn wi e di e Ges talt des Objekts beschaffe n ist, e rHih rt d er
zw ischen dem Z uschauerraum d er Parise r O pe r und d e r submaritime n Korall e nwelt Leser hauptsiichli ch aus Analogien , mit d enen d as Erinn erun gsobjekt se in e neu kre-
eröffnet wird. Im »clair-obscur<< d er schwac h erl euchte te n Loge n - d en scho n vom ierte Wirkli chke it e rh ülr: D e r e ige ntli ch m eronymische Begriff d es >> pl issage seve re er
Begriff her aquatischen »baignoires<< - w irkt das Wedeln d e r Fiic her und P faue nfe- d evot« e rsche int be ispi elswe ise ebenso fakrual w ie je ner eige ntli ch reale d er »valve«
d ern , das Schimm ern d er Paill etten, Monokel, Ju wele n und di e serpe ntin e narti g g ra- mineb seine r in t ratexwelle n Ve rknüpfun g m etonymisch ersche int, o bwohl di e Ge-
ziöse Gestik wie di e Bewegun ge n perlmu ttern geschupp te r Ne re id en und ']l·irone n. wancltrn g in »S t renge und fromm e Fairen « ni cht nur di e reale gerippte Obe rfLiehe d es
Ob d er H aa rschmuck d er Prin cesse d e G ue rm a ntes (» un e res ill e fair e d e Ces coq uill a- Ge bücks stark überbero nt, fast kariki ert, sond ern d em Objekt d a mit di e Gesta lt ein er
ges blan cs qu'on peche dans ce nain es m ers austra les<< , II , 34 1) , w ie d e r Tex t aussagt, Perso n verl e ih t, d er »Petite Madelein e« in Majuskeln . ln and eren Worten: d e r ima-
tatsächli ch aus Muscheln bes teht und , pars pro toto, a ls Ursprung und Syne kdo ch e gin ative Akt d er Lel<ri.ire w ird vo n d er Metonym ie stiirke r ge pr~ig t als vo n d er vo r-
alle weite ren Objekte und Perso nen in d e n Wirbel d e r m a ritime n F i guralit~it mirre if~ t ge bli c hen Dingli chkeit d es Objekts. Überall herrscht Verwa ndlun g, e in Gebiire n d er
oder, totum pro pa n e, in d er allge m eine n Meta morphose nur so e rsche int, b ss t s ic h Bi ld er. D e r Te rminus »valve« etwa scheint zunächst nur die obje kti ve ha ndwerkli che
ni cht auAösen , d e ra rt virtuos lässt Proust di e Refe re ntialität im Vorrex d e r o rn a m e n- Priigefo rm bezeichn e n zu wo ll en, eröffn e t aber durch die bildli ehe Ve rknüpfun g sei-
tale n Bildli chkeit unre rge he n. 1.12 E rke nnba r ist abe r, wi e d as Ornam e nt (i n diesem. ner Li ni e nformel d en Assoziatio nsra um e in es verbote nen Eros. Di e Ei ndeutig ke it des
Fall d er Haarsc hmu ck) zum -ri·ansform ato r d e r Bi ldli ch ke it w ird (wie es e in ga n gs als diegetische n, d. h . d e r Handlun g d ienli chen Objekts löst sich auf w ie di e Madeleine
'l11 ese fo rmuli ert wu rd e), indem es halb d e r erzä hlten Weit a nzu ge hören sch eint, halb selbst im Tee und ko nstitui ert damit erst das poeto logisc h zu erschli eßend e litera ri-
schon Teil d er di e O berh and gewinn end en aquatischen M etap horik ist. Einmal la n- sche Objekt. Diese M etamorphose bes timmt di e Handlung d es Tex tes; d er Leser al s
ciert, stecken sich di e Ana logien gege nse it ig an und obwo hl in di esen Fi li a ti o ne n di e vo rstell endes Organ ist exekuti v in sie eingebund en: es pass iert nur, was er li est. w
Refe renz verschwind et, bes täti gt sich im Bewuss tsein d es Lese rs di e Ri c hti g ke it d er Di e >O bj ekrwelt<d er Recherche ist tats~ic hli c h ein e Ko nstell atio n ve rn etzte r Bi ld er und
143
auslösend en Metapher. ihre r ko nnori e rten Ge halte.1 '18 Die Lini enfo rm ation e n und mir ihn en d ie lnfo rrn atio-
ln d en h ochiisthetisien e n Schmu ckstücke n , zu d e nen auch di e stilisie rte Mad e le in e nen zu Gestalt und Tex tur d es Dinges, di e vo n Proust zur Beschreibun g he ra ngezo-
im Gege nsa tz zum bloßen »pa in g rille<< ge hö rt, sedimentiere n sic h di e Bild -Ko nstel- ge n werd e n, unte rstütze n di e Virtua lirüt d es Objekts, d a sie neue Bild er ge neri eren
lation en im Prozess ein es stiindigen Übe rsch reibens. Als »he rme ne utisches Objekt«, (w ie s p~ite r auf E lstirs Bild e rn ). Die von Proust beschri ebenen Lin earu ren abst rahie-
d essen »A nato mi e« es zu erfo rschen g ilr, '·'·' stellt di e M adel e in e d e n Lese r vo r e in e of- ren vom eige ntli c he n Gege nsta nd und konturi eren nicht liinge r ei n r~iumli ch zu d e n-
fen e V ielfa lt d er Bed euwng im Brennpunkt ein es »Ca rre four« vo n sinn li che m Genuss , kend es D ingsy mbol, ein O bj ekt d er e rziihl te n Welr. Sie stilisie ren es zum bildliehe n
weibli cher Sex ua li üit und m yt hisch-bibli sche m Bed eurun gssc harz. 115 Di e Mad ele in e Gefüge a us Gewandfalren , Muschellini en und Ph ys iognomi en . Die Lineaturen- jene
als »image n o urri c i e re« 1 ~ 6 zeig t, w ie sich d er Text durch Bi ldli chke it ko nstitui e rt, d e- d e r »va lve<<, d es »plissage<< - JjJrechen gerttde da, wo sie die Wahrnehmung eines realen
44 II. OR N AME IHI K DER OB JEK TWELT 3. DAS GEFALTETE: DER FÄC HER, D I E TEEBL ÄTTER 45

Cegenstrtnds zu präz üieren scheinen, tatsächlich schon von Assoziiertem, Konnotiertem, ko n t rasti e rt di e ideal istische Klarh eit, mit der das alte C ombray des Erz~i hl ers w ieder-
Imaginärem. Ei n auf Kontiguität zielendes Sp iel de r intrarex well e n Bewegun ge n se tzt e rsteh t, mit de r ve rschlun gene n Form , in de r sich das iniri ale Objekt der Madel ein e
ein , und es bl eibt frag li ch, ob es zu ein er Sy n these d er Bede utun g kommr '' 9 od e r es d er Lektü re darbi etet. Di e Form relativie rt den Gehalt, ja ve rwe ist im Demen ti des
bei ein em dann als solch em zu beschreibend en Spiel d er Sig ni fi kamen, d e r Fig uratio- bru chl osen E rinn ern s di e Erinn e run g selbst in di e Utopi e. Ähn li ch w ie Elstirs Ge m ;il -
nen und C hi fFren bl eibt, w ie es dem Erzä hl er vorzusc hweben sche int: de Le Port de Carquethuit (11 , 19 1 f:), in dem un ve reinbar viele Bi ld gegenstä nde das
in d er Tat lm aginii re, Literarische, Un-ßildli che des Bi ldes in dem MafSe vo r Augen
>> Les idees fo rm ees par l' intelli gen ce pure n'om qu' un e verire logique, [ ... ] leur elec- führen , in de m di ese immer weiter präzisiert we rde n, entsteht d as Mad elein e-O bj ekt
rio n es r arbi trai re. Le Iivre aux crzmcti:res ji'gun!s·, no n t races par no us, esr notre seul in Ve rl auf sein er generische n Umfo rmun g und Stilisierun g als ornamentale poetische
Ii vre« (IV, 458, H ervorhebung B. G .). Figuration, deren Komp lex ion und Abstraktio n das Nac hl ese n und Nac hd enken erst
in Ga ng setzt, bis jede r Lese r sich aus de m Materia l de r bildli ehen Zeiche n wie aus
Di nge ex istieren in der Objektwelt d er Recherche also nur als Träge r d esse n , was sie be reitges tellte n G uss form en sein e e ige ne ind ividuell e Madelein e erschafFt. 151
konnotativ vermitteln , gleichsa m »a ux ca racteres fi gures<<. Im W irbe l d e r Konsre lli e-
run g ist die Mad elein e kein Objekt - all en fa lls e in Sp rac hobjekt - oder Din g m ehr,
so ndern, abstra hi ert, ein In strum em d er Raum -Zeit-E rkennrni s bzw. d e re n E rge b-
nis. Sie führt di e Bild er zusamm en , um sie besser zu ze rstreuen. Es bes riit igt sich , 3. das Gefaltete: der Fächer, die Teeblätter
was in der Einl eitung erwoge n wurd e: O ie sich kreisend e Fo rm d e r Mad ele in e- ve r-
schlun ge n, aber geo rdn et; simultan w irkend durch di e Suggestion vo n Bild e rn , abe r »Qudqu e chosc d c ce rrc pliure s'y d cp li e. G race 21 cel a
noch in di eser Obe rR äche irreführend und unüberschaubar - ist d ie d es O rnam e nts. nos limi res changcnr, s'clargisse nr. l.e passe, l'ave ni r
Dessen bildli ehe W iede rh ol un gss trukrur, di e Va ri abilität se in er Korrespo nd e m e n , ist n\:x is re nr plus, les morrs rcss usc ire nr, ks li e ux se
hier in d ie Dimension der Zeit übe rtrage n, di e aus d er narrativen Disposition de r co nsr ruise nr sa ns arc hirec rc, sa ns voyages, sa ns ce rre
Sp rac he ebenso erwächst w ie aus dem Vollzug der ihr fo lgen de n und sie in d ividuel l lourdc ur le iHe qu i no us ob li gc it vivrc minure pa r
ve rwand eln den Lektüre. D ie O rdnun g der Ze it, d ie a us di eser Dial e ktik e rw ~ic h s t, minure ce quc Ia pliurc c nr rouvc rrc no us m onr re d ' u n

/ ist un endli ch, weil sie imm er w iede r beginnt - ein süi ndi ges G eb;iren (D ichte r) und
Ge boren-Werden (Leser) - , und hat doch ni chts Beli ebi ges, d a sie d e n Muste rn des
sc ul co u p. «
Jean Coc reau, La Diffiwlü: dl?m:
Textes bed in gt ge horchen muss , um ihn zu verinn erli che n. D iese O rdnun g d es Im a-
ginären als iisthetische Erfa hrun g sei hi er o rn am emal ge na nnt, so w ie sich ihre Frag-
meme (Prägefo rm der Mad elein e, Muschel, M ~iand e r, Schwan , Monstra nz, etc.) a us We nn im vorhe ri gen Abschnitt E rw;ihnun g Emd, wie di e kurze T raumsequ enz übe r
der Ornam enralisierun g und Stilisierun g ein er vo rgegebene n Ähn lichkeit e ntwi ckeln . di e im ' JI·a um gebo re ne we ibli che Gesta lt in d er Ersche inung de r Madeleine w ieder-
Die Madelein e ist über ihre Fo rm hinaus o rnam ental, ind e m sie e in Spi e l d e r Bedmt- kehrt, so handelt es sich in be id en Fü llen , im Halbschlaf w ie a uch im Gen uss der
srtm!eeit einl eitet, dem ni cht unbedin gt Bedeutung entsp reche n muss. Wi e das O rna- Mad ele in e, um e ine n Zusta nd vo r dem Erwachen , einmal vor de m w irkli che n, da nn
me nt weigert sie sich, als Abbild oder Repr:isentarion zu fun gie re n und schli eßt in vor dem d er Erinn erung. Das schri ttwe ise aus d er Ti efe ein er in langem Schl af be-
ihrer verschw iegenen Symbolik doch nirge nd s aus, Abb ild ode r Repriisemari o n zwei- f-indli chen Ged;ichrni sschi cht sich vo llziehend e >> deplaceme nr<< des gesuchte n Bild es 152
ten Grades zu se in . Aus di ese m G rund ist sie so g ut bewo hnba r für das lm agin iire. Im gleichr de m cl efil e erinn erter Rüum e, den das inn ere Auge im Halbschl af auf d en ri ch-
stä ndi ge n Appell an di e bildli ehe Vo rstell ung ist sie selbst ein Über- Bild , gleic hsam tigen hin abtastet. Mag der H eld selbst auch erwachen , Prou st dehn t de n Z usta nd d es
der entl eerte N ullpunkt der Bildzemri fuge, di e weiße Kartusche, das sch ön e Abwe- Abrasrens über sein e n gesamten Roman hin aus: ein Abtaste n nach Ähnlichkeit. O ie
sende. W ie di e Muschel ho hl ist und doch erfü ll t vo m Meeresra usche n, um d esse m - Auge n sind noch geschl ossen, um in de r Sprache umso weite r geöA:net w sein. Nic hts
w ill en sie erst wenvo ll w ird , so lebt di e Made lein e vo rn Nac hh al l d er Bild er, ind e m sie so ll de m Auge de r Sprache entgehe n. D ieser Blindh eit ist es zuzuschreiben, dass die
sie für de n Leser erst hörbar m acht. M it all er Eitelke it u nd Se nsibilir:it hat d e r D ich- ß ild er Ornam e nte we rden , n ~im l i c h abstra kte Bild er, Figurationen . Pro usr nennt d ie-
ter sie ausgestattet, »denn ein e unbes timmte Zä rtli c hke it le n kt di ese Bild e r<<. 150 Wi e se se nsible n Sprac h m usre r, d ie summarische Wah rn ehmun gsfiguren und I nsrrum en te
das Ornament th ematisiert die Mad eleine unaufhörli ch ihre e ige ne Fo rm und damit d er Wah rn ehmung sind , »exe mpl es<< ; sie seien >>SOITis du domain e d e l'abs traction er
jene ihres gesa mten romanesken Umfelds, bevo r sie ihre Bed eutun g pre isg:ibe. Pro ust qu e l' im aginat ion rea lise<< (111, 1267) . D ie Mad elein e als Matri x ihre r bildli ehen h -
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46 I I . ORNAME NTI K DER OBJEK T WE LT 3. DAS GEFALTE TE: DER FÄCHER. D I E TEEB LÄTT ER 47

li ation en zeigte, w ie di e Imagi nation übe r d e n Ähnli chkeitssinn a us d e r ebe nso abs- Ersche inungsform vo r, in d e r diese sich selbst nur noch ;ihnlich , aber nun auf d e m
n·akten w ie äst hetisch präzisen Textur ein e imag i1üire Texts truktur he rvorbrin gt. Sie Ti sch in d er Ges ralr e in es zu ß lli ge n gitte rarti ge n Ge Aechts vo n Blüten und Srengelr1
ve rsinnbildli cht, d ass alle Bild er nur das abwese nde und unm ögli che Bild d e r Erin- poeti sch ve rschöm e rsch ein r:
nerung umspi elen . Es ge hr um >>exempl es« d er Wa hrn ehmun g von Leben und Ze it,
»exempl es<< , di e jed er Leser auf sich übertrage n muss. Sein erste r Schritt ist es, sie »] e n'a i ja mai s ri en vu d e plu s charm a nt qu e ce paquer d e pharmac ie. Les ti ges in-
überhaupt zu lese n, di e unsichtbaren Bilde r wa hrzun ehm en . Oi e Zeitfo rm d es E r- curvees er durc ies fo rrn aienr un capri cieux rreillage d ans l'enrrelacs duquel s'epa-
inn erns, aus d e r heraus beschriebe n wird , bes tä ti g t sich , als offiziell e Poetik, al s d as no uissai enr les Aeurs co mme d a ns un d ess in d e m alere qui a essaye d e bire poser
Alibi , mir d em di e schriftste llerische Prax is w uche rn kann . Di e Au ro rir~it d es Erin - riges, fe uill es e r fleurs, d e Ia fa<;:o n Ia plus belle er Ia plus d eco rarive poss ible; les
nernden legitimi ert di e »exe mpl es<<: was m a n d em Held e n ni cht g laubt, g laubt man diffe renrs aspects que le d egre d e d essechern ent d o nn air au x ri ges q ui ici jaunies
d em E rzähl er. D as »d epl ace m ent« d er Bilde r im E rinn e rn und Träume n is t d abe i nur ava ie nr l'a ir d ' un brin d e paille et Ia effil ochees d ' un bo ur d e fi cel le, er au x feuilles
ein Bild für ein ande res »d eplacem ent<<, d as d e r Bilde r in d er Zeit d es Schreibe ns und l' un e blan che co mme un e eriqu etre ova le rombee a l'e nve rs, pa r erreur, d a ns le pa-
Lesens. Es entfaltet sich in ein er M anni gfaltigke it ähnli che r Bildve rgle iche. Faire n und quer vege ral d e ph arrn acie, l'autre rose co mm e un perale d 'eglan t in e, ro ur cela as-
E ntfa lten , Wahrn ehm en und Verschlüsseln d er Wahrn ehmun g ist se in Rh y thmus. So se mbl e, e ntasse dan s sa dive rsite co rnm e fa ir un oiseau po ur so n nid [ ... ]« (! , 722).
wie di e Papi erku geln im japanischen Spiel sich zu Fi guren e ntf~dte n , die so lch e n d er
Wirkli chkeit ;ihneln (! , 4 7) , verse tzt auch Pro ust sein e erzä hlte Welt »in d en Sta nd Was d er jun ge Pro tagonist hie r bestaunt, ist die Vielfalt d er aus d er Packun g strö-
153
d er Ähnlichkeit<< im st;indi ge n Übe rga ng vo n Imag ini e re n und Abstra hi e re n . D as m end en Form en und Farben , die sich jeweil s aus d em G rad d e r Vert roc knun g erge-
Ged äc htnis entsteht d abei erst im Schreibe n und Lese n. Pro ust nutz t die Bildli c hkeit be n. Übe r d e n ve rme intli chen Tod d er PRanze n hin aus hat ihre Fo rm enwelt in »mill e
d er Falte, weil di ese wie d as Ged ächtnis geschlosse n - im Fa lz - und geö ffn et - e n tfa l- partic ul a rites inutil es« übe rleb t. O ie Kn ospen haben sich zu kl e in en Kü gelche n od e r
tet - se in ka nn . go lde nen Koko ns ve rh ä rtet; d er Fa rb ro n d er Blüten erinnert an die bl asse G oldfar-
Die Papi erfi guren, di e a ls neu ges taltete, gefa ltete aus d e m Wasse r he rvo rge he n, e r- be a lte r Geldsche in e od er an e in im Gew irr ve rl o ren gega nge nes Papi er-Eriken; ve r-
inn ern d aran, w ie auch di e Co mbraye r E rinn erun gswelt aus e in e r Tasse Tee e rsteht. trockn ete Halm e halten wi e mi t Fiid en d en kl e in en »Alabas ter-Wald << zusa mm en. Was
Ein so lch es in Tee gen·;inkres Obj ekt im Ausrausch von Falrun g und E ntfaltung isr de n H elde n d a rüb er hinau s an d em Schauspi el beeindru ckt, ist d as Arran ge m ent d er
auch di e M ad elein c: Hi er erscheint di e Falte ni cht nur als episte molog ische r Hilfsbe- ßlüte n - »So us l'a pparence du cleso rdre<<- welches d as Gesc hi ck ein es Vogels, d er ein
griff, so ndern visuell in d er Tex tur ihre r in Fairen ge riffe lten Obe rA ;iche. Di e Faltun - N es t baut, und sc hlief~ li c h di e ho he Kunst eines M eiste rs zu verraren scheint. Ruskin s
gen vo n Alberein es Kö rp er, die d es Be in s als Schwa nenhals und di e d e r Wölbun g ihres Gese tz d e r »va ri ety<< könnte hi er in kl einste n An s~itze n litera risch um gesetzt worden
Bauchs, va rii ere n di e Figuratio n. ln d er M ad ele in e als Hüll e ist C ombray mi r all e n sein , d era rt fü gt sich di e Kräu te rmi schun g zu e in em O rn a me nt zusa mm en , d as direkt
Arrriburen, d er Kirche, d e m Fluss, d e n Gä rten, de n See rosen e in gefalret. Sobald d e r nac h d er Na ru r ges ral ter scheint.
/ D ichter ei ne ihrer Fa iren ö ffn et, ein in ihr enthal te nes Bild neu abtas tet, ve rknüpft es
sich m ir a nderen durch di e Madele in e ged eckte n Bild e rn ; es e ntsteh t e in e virrue ll e »Le d esseche me nt d es ri ges en leur d o nn a n r les courbes ies plus capri c ieuses , [ .. . ] ces
Ko ntiguität d er Wa hrn ehmung. courbes si ra id es er si fra g iles qu'o n les eü r Gtssees plurö r que d c les redresser, les rn e-
A n ein er weiteren o rn am entalen gefalt eten Fi gurati o n ex perime nti e rt Prou sr in vier lair en un e sorte d e trei!lage [... ]« (! , 720f. ). - »Le d essechem enr d es ri ges les ava it
Studi e n zur »tisa ne«, d er Kräuter- Mischun g, di e Ta n te Leo ni e zurr1 Aufg uss ihres Tees incurvees, rdtmctees, midies en tlrrtbesques qu'o n n'a urair pu d efo rm er sans les casser;
nutzt. ell es fo rmai enr le plus capri cieux, le plus frag il e, mais aussi le mi eux dessine, ie plus
fi xe d es trei!lages<< (1 , 720 ). - »[ .. . ]j e ne savai s ri e n d e plus charm ant que cerre in-
»C'erair l' heure oü ma rante prena ir sa tisa ne, Fra n<;:o ise m erra it l'ea u a c hau ffe r fu sio n , que ce rre perite fu ta ie d'alba rre, in extricabl e, rranslu cid e er fra g il e, suc ree d e
da ns Ia bo uillo ire er si j'era is Ia j'ava is le privil ege d e re nve rse r le paque t du ph a r- ces roses d 'o r; c'erair decomtifco mm e un dessin d e rn al tre qui fairposerd e Ia fa <;:o n
m acien o ü etai em les tiges Seches er Aeuri es er d 'e n pre ndre ce qui eta it nccessa ire a a Ia fo is Ia plus ornementale er Ia plus naturell e, ri ges, Aeurs er fe uilles ram enees les
l'in fusio n « (1, 722) . unes sur les auues [ ... ]<< (! , 723, H ervo rh ebung B. G .).

D as Ausschü rre n d er Kräutermi schun g führ t d em H eld e n di e vertra ure Co rn b ray- Imm er w ied er setzt Proust in d en ve rschied enen Stadi en der Ski zze n an , um die visu-
er Fl o ra in e in er alte ri erte n, aber wi ed ererkennba re n (» al rc res m a is reco nnaissa bl es«) ell e Struktur literarisch zu ko nstruieren. Der ve rwo rrene C harakter d er A nsa mmlung,
48 II. OR N AME N T I K DER OBJEK TWELT 3 DAS GEFALTETE : DER FÄCHER, DIE TEEBLÄ TTER 49

ihre gitterarti ge Verwebung, ihre Filigranirä r und komplexe Falrung sow ie ihre Affini- Übergang vo n der mond ii nen Sa lo n-Chronik zu einer Ivlan ifesrar io n subj ektiver Erin-
tät zum Kunstwerk sind stets wiederkeh rende Mom enre.15" Es scheinr, als suche Prousr nerun gs kunsr.157 Der Tex t in te ress iert im Z usa mmenhan g von Ornament und Faire,
nach dem einen Sa tz, der sowohl durch sein e Linge di e Verworrenheit, in sein er syn- wei l hi er E rziihl en (Narrario n) und Beschreiben (Ekphras is) im stilisierten Dekor auf-
taktischen O rdnung jedoch zugleich di e Anschauli chkeit des >>dessin de maltre<< zur An - ei nand errreffen.
wendung bringt. Wi e der bildliehe Vogel, der sein Nes t baut, greifi: auch Prousr immer Bereits unwi ederbrin gli ch vergangen ist der anonym gehaltene Salon, dessen »v ie
wieder auf das Marerial seiner Beschreibungen zurück, um daraus das fragil e Gebild e zu gracieuse<< und >> univers plu s harmonique<< der Erzäh ler melancho li sch nach ein em
ges talten. ln der ersten Skizze ist es noch Fran<;:oise, di e das Paket ausschüttet. Ab der Spaziergan g durch Zeit und Raum - >>en prom enanr avec mon pin cea u<< - in ein er
zweiten übernimmt der Erzähler diese ihm teure Aufgabe, mir der er selbst als Schöpfe r Reih e ein zeln er Szenen darstell t und zwa r auf einem E icher, den er de r früheren Gasr-
rärig wi rd und mir de r sich die floral e Welt, die er vo n den Vivonne-Ufern her kennt geberin überreicht:
- >>Car c' erair si bien Ia plante elle-meme teile que je Ia rega rdais erendu au bord de
Ia Vi vo nne<<- neu o rdnen läss t. Das ale<1rorische Fa llen arran gierr Prousr in seiner Be- >> Madam e, j'ai peinr pour vous cer evenrail.
schreibung minutiös, bis Natur und Kunstwe rk sich in di esem Iirerarischen Mikado- Puisse-r-il selon vorre des ir evoqu er dans vorre rerraite les fo rm es va in es er char-
Spiel angleichen. Was er selbst ein >> motif de rapprochement<< nennt - die Verwebun g mantes qui peupl erenr vorre sa lo n, si ri che alors de vie gracieuse, a jamais ferme
der einzeln en Stenge! - erscheint ihm in ihrem natürlichen Ursprung viel ornamenta ler, main tenan r. «158
kunstvoller, als jemals ein >>dessin de malrre<< es sein könnte (l , 720). Symm etrie (>>sy me-
tri e«) und Stilisierung (>>s tylisarion <<) kennzeichnen die Ges talt. Oi e geglärrere (»aplati e<<) In de n >> perires clim ensions du cadre<< wird alles zum detail. Gerad e die eigenwilli ge
und in sich woh l geo rdnete (>> reguliere<<) Art, wie sich die Pflanzen graziös (»grac ieux<<) Einb li cksöfFnun g des Eiche rs - im Halbrund ist er ein e Art >>Sehschlitz<< mir Fern-
falten (>> repliees«), vergleicht er sc hl ief~ li ch mir dem >>dessin << auf einem priesterli chen sichtcharakrer - pr:idesrini erre d ie Fo rm als Probierfeld der Impressio ni sten, di e be-
Messgewand (l, 720), womit das Ornament-Gefüge wie die Madelein e dem sakralen 159
kanntli ch das Aussch nitth afte bevo rzugren.
Assoziationsraum Combrays zugeordnet wird. 155 (Diesem srehr ein weiteres >>o rnemenr D ie Gestik der Figu ren, di e Farben des Dekors, di e Verzierungen an den Lüstern
supreme<<zur Seire.) 156 Nicht als abbi ldendes Bi ld wi ll Proust das sprachlich e Arra nge- erschein en genau nachgezeichn et in der Gesta lt, di e das Gedächtnis bewa hrt har.
ment verstanden wissen, ni cht als Ekph rasis eines Stilll ebens, so ndern al s o rnam enrale Da, wo traurige Erinnerungen den Mal er bewegt haben, ist das Bild verscharret. Jene
Figuration- je abstrakter, desro grö(~er das im agin:i re Potential, desto größer di e Wah r- >>o mbres sur ce freie papi er<< scheinen di e feinmalerischen Deta ils zu bedroh en. In der
nehmun gsvielfair, di e in der Sp rache zu gew innen ist. Liehernd en Bewegung, so di e HofFnung, mögen di ese sich ve rflü chtigen:
Das Ornament ist hi er All ego ri e. De nn im Aufguss ist gleichsa m ga nz Co mbray
mir se in en Wiesen und Gä rren enth alten, in den Veriisrelun ge n und Fairen d eren >>J'ai pu les porter innoce mmenr, des omb res, sur ce freie papier auquel vo rre gesre
Mannigfaltigke it. Das Umstü lpen des Pakets wiederholt sich in der >A usschüttun g< do nnera des ai les, parce qu'elles so nr, pour pouvo ir fa ire du mal, rrop irredles er
vo n G lücksgefühl en im Madelein e-Genuss, von Erinn erungen und , im Akr des rrop hlores [... ]« (PJ, 50f.).
Schreibens, von Lini en- und Fairen-Beschreibungen als deren poetische Um setzung
in Sprache. ln ein er zun ächst verfremdeten, aber zum >> treillage«, zum G itter-O rna- Entwickelt Mallarm e den Eicher als >> unanim e pli <<, als gestisches System sich öfFnen-
ment, kunstvoll ästhetis ierten Figur tritt der Tod , dem die Blumen an heimgefa ll en zu der und schli eßend er Falten, deren Bedeutun g sich in Bewegun g oder im Ruh ew-
se in schi enen, in ein überzeitli ches >>dess in de maltre<<. Ein solches isr auch di e Passa- srand fortwii hrend ve rwandelt, 160 je nac h C harakte r und Laun e sein er Trägerin in ei-
ge an sich: vielfach um geschri eben, bis di e >> Unordnun g<< >> meisterhaft<< geword en isr. ner jewe ilige n Situati o n, so nimmt Prousr den Eicher ganz aus dem Rahm en heraus,
Ersr jerzr hat sich dem Erzähle r Co mbray buchstä bli ch ga nz enrfalrer. O ie Bi ld er des in dem er so nst figuri ert - Mondiinitiir, Erotik, Auge nbli ckli chkeir - und wertet ihn
Vertrockn ens (Geldschein , Etikett, Kokon) lege n wiederum di e Verwandtschaft mit zum Erinnerungsobjekt um, das sein en frü heren Nu rze n nach dem Ende des Salons
den Pap ierkugeln nah e, die sich im Wasser in Figuren verwa ndeln . In der Beschrei- nur noch als Spur rriigr. Beachtenswe rt ist im Vergleich m ir Mallarme die an des-
bung vo n l a nre Leo ni es Teebliirrern har Prousr di eses Fa iren-Spi el selbs t angewe nd et. se n lyri sche Klanglichkeir erinn ernd e Lautkomposition von ,,freie<< - >>a iles« - >> mal <<
161
- »irreelles« in Prou srs Euentail. M ir »Aile du remps, ru re refe rm es<< klin gt auch in
Ein Fa irensp iel ga nz and erer Arr, den Fiicher, hat Proust demli eh früher im Umfeld Mall armes Eventails das Einklappen des Eichers an, der in sich ein e Erinn erungswelt
vo n Les Plaisirs et !es Jou rs li terarisch um gesetzt: in sein er kurzen Prosa Euentflil, di e e in schlief~r. Scheint der Fiicher di ese dort zu verschlu cken, soll er sie bei Proust eher
in der So mm er-Ausgabe 1893 der Re1me blanche erschi en. Hi er vollzog Prousr e in en in sein en ]~a lte n schütze nd bergen. Prou sr hat das Bild des Eichers (v iell eicht, weil
50 II . OR N A M ENT IK D ER OB JEKT W ELT 4 . D I E LÄC H ELN DE ARAB ESKE 51

es zu eng mit Mallarm e verbund en wa r) ka um weite r ve rfolgt, 162 we nn er auc h zum 4. die lächelnde Arabeske
Beispiel , als wo ll e er di e absrrakten Bilder d er Teeblätter und d es Ei chers miteinander
verbinden, einen sich zwischen Blütenzweige n öffn end e n M ee resausbli ck als >>eve n- Ein e n Einbli ck in di e im age ri e d e r Recherche, in di e Entstehun g d er Pro ustschen Bi ld -
tail << beschreibt. 163 Sein fi·üh es Interesse für Fäche r-S trukture n ve ranschauli c ht, w ie er li chkeit und O rn am e ntik, gew:ihrt inn erhalb d er Venedi g-Ep isode e in halb got isches,
Obj ekte als fiktion ale poetisch kon stitui ert, als Bilde r, um an ihn e n di e Da rstellun g halb byzantini sch es Boge nfenster - "J'og ive enco re a d e mi arabe<< (IV, 204). O ieses
von Zeit im ornam emal en Bezug zu erprobe n. architektonisch e Kunstwerk im typischen moresco-Sril d e r »vi ll e d 'o rient<< Venedi g
Wi e Mallarm e kommt es auch Proust überhaupt ni c ht auf d en Ei che r al s >> bibe- gewinnt ein erse its für d en Erz~ihl e r m e morial e Funktion und ist and ererseits Gege n-
lot<< oder modisches Requi sit an ; all enfalls spielt di eser a m Obj e kt hä nge nd e nos- stand d es Ex pe rim enti e re ns mir ein er ph iinom enal e n wi e sprachli c hen Wa hrn ehmung
ta lgisch-semim ental e Zug e ine untergeordn ete Ro ll e wi e im Fa ll d e r Equipage n o d er von Rahmun g, ind e m es sich mir d em Bild d er ihn unter d em Boge n erwartend e n
bes timmter Mod en, di e d en Erzäh ler an das Vergan ge nsein d er Zeit erinn e rn. Wi c h- Mutte r zu e in er Ein he it fü gt, di e a rabes k ve rschlun ge n g le ich auf m ehrere n E be nen
ti ge r ist, dass das Gedächtni s an d e n ein sti ge n Sa lon e in e m M edium d e r F lü chti g ke it em stehr (in nur eine m Satz, d e r hi e r im Aussc hnitt ziti ert se i):
par excell ence anheim gege ben wurd e. Nicht in Ö l gefirni ss t, ni c h t in Stein ge haue n ,
sondern d em Verwandlun gss pi el16 1 d es priva te n Accessoires, das d e r Eiche r ist, ve r- "[ .. . j q uand j' avai s a pe in e d e passe Saint-G eorges-le-M aje ur, j' ape rceva is ce rre
traut Proust di e E rinn erung an - und d er Sprachmini a tur, di e ihn he rvorbrin g t. Oi e o g ive qui m'a va ir vu , e r l'ela n d e ses a rcs brises aj o ura ir a son sou rire d e bien ve-
Fäc herstruktur spiege lt im Kl ein en di e Iire rarisc he Fo rm von Les Plrtisirs et !es .Jours. nu e Ia di srinction d ' un regard p lus el eve et presqu e in comp ri s. E r pa rce que d e r-
Wi e jed es Bu ch, entfaltet es sich erst im Öffn e n . M ehr noch abe r a ls d as Kontinuum ri e re ses ba lu srres d e marbre d e dive rses cou leurs, maman li sa it e n m'atte nd a nt ,
d er Recherche ist Les P!aisirs et !es .Jours als Samm lun g a hnun gs vo ll an e ina nderge re ih - le v isage conte nu dan s un e vo il e tte e n tu ll e d ' un b la nc au ss i d echira nt qu e celui
ter, eben a neinand ergefalteter M ini aturen zu verstehe n -e in Le pore ll o, das nur d e m d e ses c heve u x po ur moi qui se ntai s qu e m a m e re l'avait, e n cac ha nt ses !a rm es,
sehr aufm erksam en Leser, wenn ni cht gar nur d e n d a mali ge n Ein gewe ih re n di eser ajoutee a son c hapeau d e pai ll e moin s pour avoir l'a ir >ha bi lle< d evanr les ge ns d e
widmun gs- und an spi elungs reichen Prosa fra g m e nte wirk li ch ganz aufge klappt vor l'hotel que pour m e paraltre m o in s e n d e uil , moin s t ri ste, presqu e con so lee d e
Auge n stehen kann , so dass sich di eser Fäch er g leic hsa m imm e r we ite r sc hli e f~t, je Ia mort d e ma g rand - m e re; pa rce que ne m'ayanr pas reconnu rour d e suire, d es
fern er di e Erinn erun g rü ckt und mit ihr jene, di e sie teil e n. So bl e ibt am E nd e nur qu e d e Ia gondo le je l'appelai s eil e e nvoyait ve rs moi, du fond d e son cce ur, son
noch das T imb re d er Fächersprache als Spur und m ela ncholi sc hes Echo, ganz wi e amour qui n e s' arre rait qu e Ia oü il n'y ava it plus d e m a ti e re pour Ia so ure nir, a Ia
in Rey naldo Hahn s empfindsam korres pondi e re nd en K lavi e rstü cke n. Oi e Sprac h- surface d e son regard pass ionn e qu 'ell e fai sa ir a uss i pro ehe d e moi qu e poss ibl e,
melodi e, di e mit >>Madam e, j'ai peint po u r VOUS cet eve ntail << d e n E ic he raufschlag qu' e ll e c he rc hait a ex hau sse r, a l'avan cee d e ses lev res, e n un sourire qui se mb la it
nac hvoll zieht, genauer di e schwärm eri sche Da rreichun g d e r G abe an di e Salondam e, m'e mbrasse r, dan s le cad re e r sous le d a is du sourire p lu s di scre t d e l'o g ive illu-
und di e doch am Ende schon di eser Stroph e schwebend ve rharrt - d e r Absa tz wi e min ee par Je so le il d e midi: a ca use d e ce la, ce rr e fe netre a pri s dans ma m emoire
au ch di e Atmun g legen nach >>e ventail« ein e Pause nah e-, ist selbst nur e in e ,, form e Ia dou ce ur d es choses qui e ure nt e n m em e remps qu e nous, a cüre d e no us, leur
vain e et charm ante<< , ein e Arabeske, 165 wi e man sie in ein e r ga lanten Ve rb eug un g aus- pa rr dan s un ece rrain e he ure qui sonna it, Ia m em e pour nou s er pour el les ; e r, si
führt: »Madam e, j'ai peinr pour VOU S cet eventaik Während d e r Tex t also vorg ib t, p iein s d e form es admirabl es que soi e nr ses m e nea ux , cette fen e tre illustre gard e
ein e präzise Ekphrasis ein es bemalten Obj ekts zu se in, kommt es tats~i c h Iich auf das pour moi l'aspect intim e d ' un h o mme d e ge ni e avec qui nou s aurion s passe un
Un gesagte, Un sagbare a n, das d er musikalische G es tus d er Sprache als Su pp le m e nt moi s dan s un e m e m e vi ll egiarure , qui y aura ir contrac te pour nou s qu elqu e ami-
166
zur Aussage vermittelt. O ie M elan choli e ist berechti g t: Ob d e r Eic he r wirk li c h di e ti e, e r si d e pui s, chaque foi s qu e je voi s le mou lage d e cette fe netre dan s un mu-
Erinn erun g bewah ren kann , ob er sich also übe rh a upt entfalte n kann , hän g t, da nur see , je sui s ob li ge d e re te nir m es !arm es, c'es r tout simpl e m e n t parce qu'e ll e m e
die Fo rm noch das Unsagbare a usdrü cke n kann, a n d e r sprac hrhythmi sche n Sch w in - dir Ia c hose qui pe ur le plus m e rou c he r: •J e m e rappell e tres bien vo tre m ere.<<<
g un g und daran , ob jener d er >happy few <, d er d e n Eventai! li es t, e in e Empf:in g li c h- (IV, 2 04).
keit d afür entwi ckelt od er ni cht - ob er a lso d en Eic he r zu öffn e n we iß (und sic h di e
gefa lteten Bi ld er d er M ad ele in e, de r 1ee bl ~itte r, d es r:ächers, e tc. e ntfalte n) od e r di e- Als Esse nz d es Ve nedi gs a Ia Ve ron ese 167 fü hrt di e ••ogive<< a ll e Aspekte d e r di e E pi -
ser sich ihm als verschweige nd -verschwi ege ne Fi g ur bl o ße n schö ne n Sprac hd e ko rs sod e präge nd e n Obj ekteige nschaften (kos tba res M aterial , r a rbi gkeir, e inw irkend es
stumm entzieht. Sonn enli cht, anth ropom o rph es Liehein d es C ampanil e, Aura d e r D oge nzeit) in ei-
ne m e in zige n Ba ugli ed zusamm e n . Wi e di e M ad ele ine für d e n Co mbray- Komp lex ,
52 II OR N AMENT IK DER OB JEKTW ELT 4. D I E LÄC H ELNDE ARABESKE 53

so darf di e >>ogive<< al s >> image nourri ciere<< (Bachelard) d e r ve n ezianischen Se manrik »[ ... ] cetalt un e tete d e dieu barbu sculptee au so mmet d e l'ogive, entre d eu x
gelte n, b evor sich Co mbray und Ve nedi g, ana log zu d en ve rschied en e n und do c h di sques d e marbre rou ge SO US un paon se d erach a m en reli ef au m edaillon bl eu a Ia
jeweil s wahrhafi:igen W elten C hardin s und Veroneses, im Sinne d es »chasse-croise<< porte d ' un palais d e porphyre qui projetait so n ombre su r le ca nal << (IV, 693, Esq.
(CSB, 59 1) als Ähnlichkeit im Gegensätzli che n üb erkreu ze n. Das Fenster erh ält seine XV.2).
erinn erungsseihende Funktion aber erst durch di e Anwesenheit der Mutte r, ind e m
es, als eine An Arabeske, di e Ges talt ikoni sch einrahmt. D as Bild legt ein e a rab es- Be i d em b esc hriebe ne n »pa lais d e porphyre« handelt es sich um d en Palazzo d ei ßa-
172
ke Konzeption urnso näh er, als iiußerer Rahm en und inne re Handlun g mite inand e r do a ri Parrecipazzi, w ie aus Ru skins Zeichnun g h ervorgeht. Wen ige Ze il en spiite r
in ein em spannungsre ichen Wechselverh;i lmis stehen: Di e in d e n Sp itzbogen ve l·leg- umkreist Proust in sein er Skizze aberma ls di e Fassad e d es Palastes und erwiihnt nun ,
te Physiognomi e d es Lächeln s- zw isch en »sourire d e bi e nve nu e<< und von »g röfse re r quasi als Vorstufe zur »ogive<<, " ]'arcad e d 'albat re er de jaspe d'un e fen eu e trilobee
Höhe kommend en << Bli ck d er Di stinkti on chang ierend - ke hrt inn erbildli ch wied e r qui es t le plus bea u sp ecim en d e l'archirecrure byzamine du mond e entier er qui es t
im Lächeln der Mutter. Dieses le tztere, das m enschli ch e, w ird im artifiziel len Liehein reproduire d a ns rous !es g rands musees d 'Europ e<< (lV, G93f.). Letzteres wird spiiter
d es Kunstwerks variiert, wobei es zugleich das andere potenzi e rt und tran sze ndi ert von d er >>ogive<< behaupter. D ie »arcade<< ist hi er no ch von d er »balusuad e d 'a lbarre<<,
oder, mir ein em Begriff Prousts, »alteri ert<< (l, 722): in d er di e Mutter e in Bu ch haltend vo rgestel lt w ird , ge trennt. Dass es sich in beid en
Vorstufen um d en von Ruskin gezeichneten Palast handelt, wird ersichtli ch , wenn
»[ ... ] en un so urire [ ... ] dans le cadre er so us le dais du so urire plus discret d e di e Mutter d em Erziih ler im Z ug nach Venedi g di e >>eb loLÜssames descriptions qu e
l'ogive [ ... ]<< (JV, 204) . Ruskin en donn a<< vorliest (IV, 693). Im endg ülti ge n Text elimini ert d er Autor d e n
Bez ug zu Ruskin, und auch das »Haupt d es biirtigen Gones<< am Fenster d es Palazzo
Di e hi er angewandte bildlieh e Rahmenstruktur mit d er Klausel »so us un dais a r- d ei Badoari ist in d er final e n Fassung verschwunden. Es kehrt abe r, von Ruskin ga nz
chitecrural << find et sich hiiufi g in d er Recherche. 168 Mit d e m Engel des C ampanil e als losgelöst, an andere r Stelle wi ed er, nun zu einem x- b eli ebige n Palast ge höre nd, und
Dingsymbo l d er ganzen Episode besetzt d er Dom von San Marco für d e n H eld e n das wird mir ein em Türklopfer ve rg li chen, wi e er Portale in Co mbray zierte (IV, 203).
Zent rum der geographischen und m emori alen Vorstellun g Venedigs . N icht zufälli g D e r Urtex t d er Skizze erklärt nun au ch ge netisch das Liehein d es m etaphorisch an-
w ird erwähnt, dass sich d er Dom in d er Nähe d es Hotels b efind e t, d enn auch Sr. thropomorphisie rten Spitzboge ns, das nii mli ch durch ein en Riss im bereits bröckeln -
Hilaire in Co mbray ist neben d em Wohnort gelege n . Standorte von Kirchen sind für d en G ips e ntstand en ist:
Prousr wie für Ruskin di e Orte mit d e r höch sten persönli c he n Bindun g . A ls pars pro
toto d er Kath edral e und als Paradi gma ihre r di e gan ze Stadt inAuenzie re nd e n ara- »Et Ia fosse qu e le plärre y avair creusee en s'emi errant lui ajoma it un so urire<< (IV,
bisch-go tischen E rscheinung fungi ert das Bild der »og ive<<. 169 S. G93).
Die Mutter ist darin quasi eingeschachtelt (womit sich di e Sprach e d e r Einrolfung
und Einschachtdung forrserzt): D as Fenste r, so And reas Mathyl tre ffend, »e mh iilt di e Das fakwa le Lächeln ist d er Effekt ein e r Kominge nz, und zu se iner Wahrn ehmun g
venezian ische Jkone d er Mutter gle ichsam als Nischenbi ld d er Prou srsch e n >Texr-Ka- brauehr es noch keine M ero nyrnie; di e Mutation d er Zeichen, in d eren Z uge sich
thedrale<<<.170 D er mittelalrerl ich en Architektur kommt al so ein e zunächst rahme nd e di e Wahrn ehmung ve riindert, e reign et sich in d er ObjektweiL Hie r find et w ied erum
und schli eßli ch, gemäfs ein em romami se be n Konzept d e r Arabeske, vom Rahm en di e Poetik d e r Linie und Falte in ihrer Funktion, ein neues Bild hervorzubringen,
nach inn en wirkende, potenzierend e, d. b. hi er ornamenta l stilisie rend e Aufgabe zu. 171 i\nwendung. Erst in d er Hybridform von b ebeindem Sp itzbogen und !;ichelnd er
Umer Einbeziehung d er Skizzen läss t sich festste ll e n, dass das Sp itzbogenfenster zu- Mutter nimmt das lmag in;ire in Form d es Textornamems d en Platz d er e mpiri sche n
nächst ein ga nz bes timmtes, fakru a les war, wiihrend es in d er Sc hlu ss f~l ss un g nur noch Wahrnehmung e in . D enn während im endgülti ge n Text d as Läch eln d e r Mutter und
vage als dasjeni ge pr~iz i s i e rt wi rd , das »in s;imtlich en illusrri e n e n Kun stbüch ern als das Liehe in d es Bogens m eto nymi sch neben einander stehen , erlaubt di e Sk izze ge-
Meiste rwe rk m i ttelal rerl ich er Profanarch i rekmr reproduzi e rt iw< (I V, 204). Losgelöst neti sc h di e Erkenntnis, dass di e Murce r al s li tera risierte Figur, so Marhyl, ihr Liehein
von ein em genau zu bestimm end en loka le n Referemen gehört das als f~d<tual ausge- ursprün gli ch d em b ere its rex ru ell vorgegebenen, von Ru skins Ze ichnun g angeregten
ge be ne Fenster so mit, anders als d er E ngel d es Ca mpanil e oder das Baptiste rium , zu a nthropomorph en Ornament »schuld et<<; ohne Kenntnis d e r Ski zze li est d er Lese r
den imaginären Kunstwerken der Recherche - mit reale m Vorbild. Die H e rausge b e r di e Anthropomorphisie run g d e r »ogive<< hin gege n ge nau umgekehn al s Metonymi e
beziehen fol ge nd e Besch reibun g auf ein e von Ru skin se lbst angefenigre Illu stration d es Lieheins d e r Mutter. 173 D e r eige ntli c he Effekt jenseits d e r ge netischen Frage nach
für 7he StorteS ofVenice (JV, 1344, vgl. Tafel 3) : d em , was zu erst da war, ist ein Schweb ezustand , in d em sich di e be iden Konstitu-
54 II . ORNAME NTI K DER OB JEK T WELT 4 . D IE LÄC H EL ND E ARABESKE 55

ame n di eser m ero nym ische n Ve rknüpFun g ausba lanciere n. Obwohl di eser Wahrne h- ni cht »l'ogive que j'avais vu <<, so ndern »qtti m'ava ir vu <<, bevo r er, vo n di eser phantas-
mun gsa kt, wie aus d e n Skizze n e rsic htli ch w ird , re in lite rarisch komponi e rt ist, bindet mago rische n »ogive« angezoge n , irge ndwo darin ve rschwindet, ohne dass nac hvoll-
Proust ihn do ch an die fin g ierte S ituation zurü ck, wen n d e r Erziihl er tatsiic hli ch atlf zie hba r wiire, in welc her Nii he zu d e n mütterli chen Lippen sich di e quas i im Bild
die »ogive<< schwa nkend zuschwebt, niimli ch in e in er Go nd e l a uF d em C anal e G rande. ve rselbsüindi g re An niiherun g rea li siert. Oi eses ve rschw iegene O rn ament ist ein Schar-
D er verm enschli chte Sp itzbogen kommuni zie rt schli e ßli ch selbst mit d e m Erziihler ni e r d er Textge nese vo m Ru skin-Z itat zum pri vat-autobiographi schen Ged enkbild,
und w ird sein er Roll e als Erinn erun gs n·iige r ge recht: a n d e m zugleic h en passant all es Wahrscheinli che d er Wahrn ehmun g zugun sren ein es
a u tonome n li tera ri schen Bild es aus d en Angeln gehobe n wird .
»[ ... ] cette Fenetre illustre ga rd e pour moi l'aspect imim e d ' un homm e d e ge nie avec Prou sts inhaltli ches Z iel di eses Höchstm aßes an O rn ame ntik ist in dieser Passage
q ui nous aurions passe un mois d a ns un e m e m e vill egiature, qui y a ura it co mracre abe r di e Sti li sie run g der Gesta lt d er Mutte r. Ind em das maures ke Bogen-Segme nt
pour nous quelqu e amiti e, er si d epui s, c haque Fois qu e je vo is le m o ulage d e ce tte ein en lächelnd en Mund nachze ichn et, gibt sich di e Beschreibung als g rap hi sch in -
Fenetre dan s un musee, je suis ob li ge d e retenir m es !a rm es, c'es r rout simpl em e nc spiri erte, abstrahie rte, m eron ymische zu erkenn en. Trotz d es fin gierten Bal ancea kts,
parce qu'elle ne m e dir que Ia chose qui peur le plus m e rouc he r: >Je m e rappe lle tres d er die Ursache d e r Metonymi e in d er Schwebe hiilt, zeigt d ie Ge nese, dass ni cht
bi en votre m ere«< (IV, 205) . empirische Wahrn ehmun g d e r ornamentalen Bildlichkeit zu G rund e li egt, nicht e in -
Fach etwas Gese he nes e rinn ert wird. Der perze ptive Vollzug wird vielm ehr ge nuin li -
Mit d em »Freund « und »ho rnm e d e ge ni e<< als M e tonymi e d er >s prechend e n < »ogi- tera risch initii ert. Oie »ogive<< gew innt dadurch ein e Dim ensio n d er Erinn erun g, die
ve« ist Prousts enger Ve rtraute r und Freund, d e r Kompo nist Rey na ldo H a hn ( 1875- d er empirischen überl egen ist, wei l sie nebe n der Mutte r, selbst we nn d er Leser d a-
1947) ge me int. Mit ihm ve rbrac hte Proust tatsiichli c h e ine so mm e rli che »vill egiat ure<< vo n nichts erHihrt, c hiffri erte Präse nze n enthält, di e Reynaldo Hahns und di e Rus-
(in d er Bretag ne) und auF d er Ve nedig-Re ise im Ja hr 1900 begle itete e r Prous t und kin s. Ex plizit ist im Text nur di e Gesta lt d er M ut te r. Oi e Worte »]e m e rappe lle tres
se in e Mutter. m ln di eser Funktion w ird e r spiite r di e an Ve nedi g ge knüpFte Erinn e- bi en vorre m e re<< weisen dabei in ihrer Erinn erun gs Funkti o n schon a uF ihren Tod hi-
run g an Pro usrs Mutter te il en könn e n. Mathyl, d e r a nnimmt, d er Ve rg leich b eziehe naus und qualifi zie ren d en arabes ken »Baldac hin << zum Ep itaph, zu r G rabinschriFt 177
sich auFRusk in ,175 irrt sich also in diesem Punkt. und d as maures k ge rahmte Portriit d er läc helnde n Mutter zur kulthaFte n l "O tenm as-
Durch di e im ag ini erte direkte Red e d es sich e rinn e rnd e n Freund es bl e ib t d e r g ro- ke mit lebendi ge m A ntlitz, zum Ged enk- Bildnis, w ie de r Erinn ernd e es sich wün-
teske Re liefko p f d e r Ruskin -Zeichnun g, dem die Red e ebe nso w ie das Liehein ur- sche n mag: venezia nische Impress io n statt G ipsabdruck. D er ano ny m e Freund , hinter
sprün gli ch zuzuordn e n wiire, priise nt, ohn e ge nan nt zu werd en . Für di e Lesersc haFt d em sich Hahn ve rbirg t, als Substitut d es G roteskenkopFes ist hie r schon d er Tröste r
d e r E ndFassun g evozieren nic h t m ehr di e Lini e n Fe in e r Risse im g rotesken Re li efkopf :~ m priifi guri e rte n G rab . Erst im moresco- Rahm en ve rewig t di e Mutter sich zu ein er
das »sou rire<<, a us d e nen es tatsiichli ch sra mmt, so nde rn all ei n di e gesc hwun ge ne n kunstvollen Nische nskulptur mit d em go tische n Liicheln e in er mittelalterli chen Ma-
A rabes ken-Linie n d es moresco- Rahmens. Pro ust schien di e abstrakt- lin ea re Boge n- d o nn e nstatue . In d er Trauer übe r d e n Tod d er eige ne n Mutter, aus d esse n Anlass sie
Arabes ke zum Ausdruck d es mütterli chen Licheln s, wi e sic h le ic ht nachvo ll zieh en noc h entspreche nd ge kl e id et ist (IV, 204) , wiihrend sie im Liehein »Fast ge tröstet« er-
läss t, geeig neter als di e mim eti sche, groteske Maske. Be iei e O rn a m e ntFo rm en , di e scheim, ist di e Mu tterges ral t ein e Persa ni fika rion d es T rostes (» mo i ns en d eu iI, rn o i ns
G roteske d es Göt terh auptes- durch nochma lige Verze rrun g mitte ls d e r Risse - und triste, p resque co nso lee d e Ia m o rt d e ma g ra nd - mere<<, IV, 2 04), mit Bli ck auF Prousts
di e Arabeske d es Fe nsters - durc h zusätzlich e Arabesk isie run g d es Boge ns zu m a ra- G iotro- D e utun ge n g leichsam di e All ego ri e de r »Co nso lation «. O ie relig iöse ' I hema tik
bischen Spitzboge n - werd en in ihre n Kapaz it:iten voll a usgeschö pFt, quasi dopp elt d e r »consolation « setzt sich f-ort , d e nn das rein gege nsüindli che »ogive«-K un stwerk
stili sie rt und :isrh eti siert. Unter d em Primat d er Arabeske ve rlage rt die Grotes ke sich all ein »qui es t reproduire d a ns rous les musees d e rnoulages<< (IV, 204) ve rmag d en
in einer weiteren poeti sche n Auffiic herun g a u F di e Gesta lt d es »hom m e d e ge ni e« Ti·au ernd en nun in gewissem Ma(~ zu trösten, wenn d er still e Begleiter wii hre nd e in es
Reynaldo H ahn (e in em, wi e Nadars Po rträ t zeigt, behäb ige n , b;irrige n M a nn ), d em Museum ss pazierga ngs sagt: »Je m e rappeile t res bi en votre me re«.
Proust in d er Gö tter-G rotes ke e in e kl e ine ironische H ommage darbrin g t. 176 Das »biir- Dass aber d er Gege nstand, das musea le Din g a n sich , Erinne run gst riige r wiire, ist
ti ge G ötterhaupt<< ist in d e r Schlu ssFassun g nur noch stillschwe ige nd gege n wii rri g, aus w ied e rum nur fin g ie rt, d enn vom Ruskin -Zitat bi s hin zur Co ll age d es Lieheins von
d en Ski zze n durchschein end , ga nz so w ie d e r so nst ni cht weiter ge na nnte Reyna ld o d er G ro tes ke a uf di e Arabes ke e rweist sich di e »ogive<< als sprachli ch ge m ac ht und ist
Hahn als a no nymer still er Beo bachte r und Te iln ehm e r. Er ist damit Für d e n Leser darin d e r Madele in e ve rwa nd t. O ie »Co nso lar io n << bes tehr also vielm ehr darin , dass die
unsich tbar, Für d en Auror aber sichtba r. Neben d er Mutte r und Hahn is t a uch Pro ust »ogive«, a nstarr bloße Ivle m o rabilie zu sei n, noch in di e Jetzt-Zeit des Schreibe nden
selbsr in d em Bild präsent und w ie von di ese m inkorpo ri e rt, sagt doc h d e r Erziihl er hin einreicht, ind e m dieser im Rii tse lbild , das wen ige r Erinn erungsmarke als Vex ie r-
56 I I . OR N AME NTI K D ER O BJ EKTWE LT 4. D I E LÄC H EL N D E ARABESKE 57

spiel ist, sein gegenwiirri ges Schre ibe n , Übe rschreibe n und Z iti e re n gleich mitpo rrrii- Di e M eton ymi e des Lieheins ist sprachli ch gemachte Wahrn ehmun g, di e jeder Le-
ti err. ser neu e rlebt; zug le ic h aber ist sie In begrifF eine r E rfa hrung, di e nur in einem be-
Oi e Doppelstruktur d es Liehe in s m ag sich tex tkritisch in ihre Bes ta ndte ile auA ö- stimmte n Augengiic k mögli ch wa r und sich nicht w iederholen kann . So einmali g
se n lassen ; einmal beobachtet, verli er t sie ihre Einheit g le ichw ohl ni cht m e hr, und di e Ge nese de r »og ive<< se in dürfte, so vertraut war d och Prousr stets di e Id ee vo m
erscheint als Plünom en , das man durchaus e inm a l in d e r Wirkli chkeit beobach ten Balkon , dessen »souri re plus cliscre t« ein trauriges sein würde, wii re er erst verwa ist.
könnte. Ti-mächli ch aber hand elt es sich um e in e Wahrn ehmun g, di e d er Autor weder Um so m e hr hat Proust es unternomm en, di e glü ckli chen Auge nbli cke der Venedi g rei-
e mpirisch gemacht noch a uch nur imagin iert, sonde rn im Schre ibprozess im darge- se im Liehein de r »ogive« sprach li ch 7.ll bann en und in die »a rr ex tempo re!« der Re-
stell te n Ve rfa hren herges tellt und e rst dann an di e situa tive e rziihl te We lt wrüc kge- cherche zu Libe rfi.ihren - in d em er sie in neue n Bild ern erschuf. D enn schon in ein e m
buncl en hat. 178 Di e >>ogive« ze igt also, dass ein e Wahrn ehmun g ni c ht rea l e rfahre n se in Brief von 1898 an M o ntesquiou (also d eutli ch vor dem Venedi ga ufe nthalt) erwiihnt
muss, sonel ern im Schreibe n e rfol ge n ka nn , so wi e das Läc he ln aus d er Groteske in Proust ein »fe netre f:ti sant balcon « an dessen Versaill er Pavi ll on, das ihn an di e vergan-
di e Arabes ke hinüberwande rt, ohn e dass das Ähn li c hke itsph iinom e n von liic he lnde m ge nen Jahre e rinne re, an di e »gaies et poetiques souve nirs« der dort ve rbra chte n Stun -
Bogen und hichelnd er Fig ur je b eobac hte t word e n sein muss . D e r Leser aber kann de n und »gö ttli che n Fes te«. 182 Um das Erinnerun gs ha fte des Balkonfensters zu um -
gar ni cht anders, a ls d ie Wahrn ehmun g im aginär mitwvoll ziehe n und erlernt sie nac h schre ibe n, ziti e rt Proust eine n Ve rs aus Baudelaires Gedi cht »Recueill ement«.183 D a
Maßgabe des Auto rs, durch Sprache. Wi e der H eld kraft d e r »m e taph o re<< -G e m iilcl e de r Balkon in d em Gedi cht ke ine trage nd e Ro lle spi elt, muss Proust scho n damal s für
Elstirs lernt auch der Proust-Leser Ähn li c hkeiten w e rke nn e n, wo e r vo rh e r kein e sa h . desse n Bi ld empfa ngli eh gewese n sein , um es im Z usa mm enhan g mit d em Pavillo n
Oi e »ogive« m ag durch ein e autobiog ra phische Re miniszenz. stimu liert word e n sein , Montesqui o u zu assoziie re n. D as einst mit Versai lles ve rknüpfte Baud elairesche »Re-
doch ihre Ges ta lt e rh ält sie e rst übe r di e Ve rsprac hli chung von Ruskin s Ze ic hnun g cue ill e m ent« aus traurige m LieheIn , himmlische m Balko n , ori entali schem Brü cken-
und über das sprachli c he Ex perim enti e re n mit ornam e ntal e n Beschreibun gse ffekte n . bogen , still e m Gew~isse r un d Fes ten a Ia Veron ese scheint 18 ' 1 - ob vo m Auto r bewu ss t
Di e »ogive« th emati sie rt sich damit selbst al s Kunst d es Sehe ns durch Sprache, so w ie erinn e rt, sei dahin geste ll t - in der Erinn erung an di e Lagun e nstadt und ihre n Zen-
sie sich, als Mise-en-abyme der Schrifi:, in d en schmi egsam e n Böge n ihrer Sy nta x um t ralpunk t, d er »ogive<<, wiihre nd d er Arbe it an A!bertine diJprtrue viele Jahre spiite r und
de n Kern de r Ph ys iog nomi e d es Lieheins selbst wm a labastern e n Sp rac h- M a ßwerk bildli ch stimmige r wiede rzuke hren, a ls sti llschwe igend e Hommage nun nicht nur a n
schmi ed et. 179 Ruskin und Reyn a ldo Hahn, sonel ern wi e so oft auch an di ese n andere n »homme d e
Au ch das Liehein verweist auf das Kun stwe rk zurü ck. An gef:m ge n mit d e m E ngel ge ni e« , de n Autor d er F/etn-s du mal, den Di chter des »trauri gen Liehein s ve rsrorbener
vom Ca mpanil e und sein er »promesse d e joie« (IV, 20 2 ) übe r di e C hristus-Ges ta lt Jahre über d em G rund (ve neziani scher?) Gewässe r«:
und ihrer Einladun g zur Go ndelfa hrt (IV, 22 5) bis hin w d e m wi ed er »au s d e r Fe rn e
grüßende n« Spitzboge nfe nste r und de r da rin orn a m e nta l e inge rahmte n Mutte r-ivla- »Vois se pe nche r les defunt es Ann ees ,
donn a stehen di e »erh abe nen « Venedi g-Erfah run ge n a
Ia Ve ron ese ste ts im Ze iche n Sur les ba lcons du ciel, e n robes sura nn es;
eines Liehein s (das ganz unmitte lbar von den Kun stwe rke n selbst :lll sgeht od e r ve r- Surgir du fondd es eau x le Reg ret so urianr. «
möge d essen Personen w Kunstwe rke n we rd e n) , ein em Lächeln d er Kun.rt (» illumin es
d ' un so urire d 'art«, l, 434), 180 ein e r vi suell e n S igna tur d es Beschre ibun gs kunstwe rks
en mini ature. Cerade die »o give« ist durc h ein doppeltes Liehe in a ls ein solch es W e rk
im Werk geke nnze ichn et, und das in ihrer Beschre ibun g impl izi e rte Konzept d e r Ara-
bes ke unterstreicht noch d en Ges tu s, d e n Kunstcharakte r sichtbar 'lLI lasse n. Doch
auch das Läc heln der »ogive« ist clo ppelges ichti g, ge ht es doch gerad ewegs aus de n
Tränen der traue rn d en Murte r he rvo r. Di e e rinn e run gss tifte nd e Funktion w ird durch
den so gegenwärti gen Wa hrn ehrnun gsa kt, d en das Bi ld spi ele ri sch insze ni e re, ni chr
aufge ho ben. Mag das Beschreibun gs kunstwerk im j e tz t auc h gelin ge n , so kann es di e
ve rl o rene Ze it ni cht mehr einhol e n, so nele rn all enfalls mit d e r Gege nw art ve rbind e n ,
ja di e H o ffnun g formuli eren, dass Erinn e run g mög li ch se i, so wi e d e r Erzäh le r hofft.
sich a nh and eine r Reproduktion e inmal an di e Priisenz d e r Mutte r erinn e rn zu kö n-
nen. 'a'
-
111. Lineaturen und das Problem ihrer Denotation

1. infinitesimale Linien: Physiognomien des Romans

»[ .. . ] mo n Ii vre n'cram qu 'un e sorrc de ccs verrcs gross issanr.s co mm c


ccux q uc rcndair a un achcr.:ur l'op ri cien de Combray« (IV, 6 10).

»)c sui s le sou vc rain des choses rransiro ircs


Eram le co urri san du Rare er du "Jcnu ;
C ln fin iresimal , en mo n renn e, a renu ,
Er, des murarions, je d irai lcs hi sro ircs.«
Roben cl c Mo mcsqu iou, L e,· ChrnmeJ'-J'O u riJ' (» Maes!TO«)

das unmögliche Porträt


D ie F;rage, wi e ein Ges icht, e in Ausdru ck, ein e Ph ys iogno mie zur E rsche inun g ge-
bracht werd e n kann , ist für Pro ust kein e Frage d er Wo rrkun sr, so nd ern d er künstl e-
ri schen N o ta ri o n 185 überh aupt. So wi e Vinteuils Musik, weil sie sowo hl im Verge hen
a ls au ch im Ve rwande ln ihres e ige nen Mate rials (Wied erkeh r d er >> petire p hrase« im
Septett) über Bergortes und Elsti rs Werk hin aus zum wahren Mod ell kü nstl erischer
Erfah run g wird, so muss au ch d as Po rtr;it jene vi erte D im ension >>etant le Te mps<<
erbrin ge n. Ge mäß Prousts Id ee d es verzeitli chte n Bi ldes ke nn e d er Po m ·;irkünsd e r
nur sein eige nes Bild d es Mod ell s, ein m ehransichri ges, das di e stünd ig wechselnde n
Eindrü cke komb in ie re ge mäß sein er inn eren Vi sio n (III, 334). D ere n Darstellu ng,
ni cht d e rj eni gen d es Mod ell s als p hotog raphisch er Gegebenh eit, sei die künstle rische
Wahrh eit, so d er E rzä hl er, verpfli chtet (11, 660). Di e Reorganisation kann im Zeichen
d er eige ne n Vi sion um d er a nges trebte n Mehran sichrigkeit w illen in rausend D etai ls
vor sich ge hen, die d as Mod ell ve runstalten, aber d em Bli ck d es M a lers enrspreche n :

»S i l' un , da ns le dom a in e d e Ia peinrure, m er e n ev id en ce cen a ines veri res relat ives


au vo lu m e, a Ia lumi e re, au mouvem enr, cela fi1i r-i l qu' il soi r necessairem enr in -
ferieur a tel porrra it ne lui resse mblanr aucun eme nr d e Ia m em e pe rsonne, d a ns
leque l mill e d e ra ils q ui so n r om is dans le premi er seronr minuri eusem enr relares
- d euxiem e porrrait d'oü l'o n pourra co nclure que le mo d ele erair ravissant ta ndis
qu'on l'elit cru Iaie! d ans le prem ier, ce qui peur avo ir un e imporra nce d ocum enta ire
er me m e hi sro ri qu e, mais n'es r pas necessa irem enr un e verite d 'a rt<< (JV, 297). 186
60 111. LI NEAT U RE N UN D DAS PR OB LE M IH RER DE N O TA T IO N 1. I NF I NI TES IM ALE L I N I EN : PH YS IOG N O M I EN DES RO M A N S 61

N icht a ls Landve rm esse r, sond e rn a ls M a le r müsse ma n Ges ic hte r e rm esse n, so best immt d as Seiwerh a lte n se in es H elde n von A nfan g a n , etwa als Th em a von d es-
Proust (11 , 2 9 8). Er hii lt sic h d a ran , ind e m e r Ges ic hter üb e r Lini e n besc hreib t, und sen e rstem li te rari sch en Versuch , d e r Besch re ibu ng d er K irchrürm e von Ma rtinvi lle
ve rwe ige rt d oc h d as mal e ri sc h e Portriir, da di e L ini e n ni e e in Ga n zes e rge be n. Zwar in ihre n w echseln d e n Pe rspektive n (vg l. Kap. 111. 2) . In d er W ahrnehmun g d es Liebes-
he ißt es : >>n otre connai ssa n ce d es v isages n'es t pas math c m at iqu e, [ . .. ] eil e a pour obj ekts marki e ren d ie fehl gesc hl age ne n Ve rsu ch e, Alberein es Ges ichtszüge in d er An-
poinr d e d eparr un e ex p ress ion, un e nse rnbl e« (1! , 2 97) . D och amEnd ese in e r S[LJ- näh erun g zu analysieren, in d e r optisch en Lehre d es H eld en ein en W end epunkt. D er
di e übe r di e Physiog nomi e wi rd d as Sic h-De hn e n und S t recke n d e r G es ichter, das Erzähl er steht dab ei vo r d e m selben Pro bl em w ie e in Portdtist. Di e M ehransichtigke it
e in bes timmtes Li cht bewirke n könn e , mir d e n wa nd e lbaren Pa pi erd ekorationen läss t sic h im An sch au en a ll ein kaum festh alten . Im Nachvollzug d er Schwi erigkeit d er
d e r Ru ss isch e n Ba ll ette ve rg li c h e n ; in ande re n W o rte n : a ls simulta nes >>e nse mbl e« D en otation so lche n Sehe ns wird di e M ehra nsich tig keit indesse n vom Wo rtkünstl er
m ehre re r An sichren ve rstand e n, is t das G es ic ht ein O rt d e r Illus io n und Proj ekti o n. Proust ve rwi rkli cht:
M ir d em BegrifF d er •>li g n e<<, d er in w e ni ge n Zeil e n fünfm a l ersc h eim, w ird g rö ß te
Ge naui g keit a nges tre bt - d enn »un infinim e nt p e rir pui sse a lui se ul creer un e ex- >> [ . .. ] AJbe rtin e m 'ava it so u vent pa ru diffe ren te, mainte nant, comme si, en acce-
p ress ion abso lum en t p a rri c uli ere<< - , und do c h fra g m e nri e rt sic h das Poru·;it, statt lera n r procli gieu se m e nt Ia rap id ite d es change m e nts d e perspect ive er d es change-
d as >>e nse mbl e<< zu evozie ren , je ge nau e r es se in w ill. Obwohl z. B. di e Ges ichter m e nts d e co lo ratio n qu e nous ofFre u ne pe rsonn e d a ns nos diverses renco ntres avec
d e r »perite ba nd e<< a us C abo urg, wi e d e r Erzii hl e r b e te ue rt, ga n z ve rschi ed en se ien, e il e, j' avais vo ul u Ies fai re te n i r to u res e n quelques second es pour recreer ex peri m en-
e rsch e in e n sie ihm >>presqu e sup e rposa bl e << , we il sich das Infinites imal e veränd ert ta le m eilt le ph en o m en e qui d iversifi e l' individu alire d ' un erre er ti rer les un es d es
und verg röße rt, je nac h Nä he und E in wirku ng d e r Umwe lt. Di e >> difFe re n ces infi - aurres, comme d ' un eru i, toutes les poss ibi lires q u' il e nfe rm e, dans ce cou rt traj et
nim e nr p e rires d es li g n es<< erge b e n sta rr id e n t ifi z ie rb a re n Physiog nomi e n nur >>vi- d e m es levres vers sa jou e, c'es t di x Albe rein e qu e je v is; cette se ul e jeun e fill e eta nt
sages m o b il es<<.
187
Je Aü c hri ge r di e E rsch e in un ge n , d es ro imag iniire r d er E indr u ck, comm e un e eieesse a plusieurs tetes, cel le qu e j'ava is vue e n d e rni er, si je tentai s d e
d e n d as Indi viduum vo n ihn e n ge w inn t. 188 in di ese rn Sinn e und a ls D e m emi d es m'approche r d 'elle, fa isa it place a un e aut re<< (I! , 660) .
Wa hrn ehmungso ptimismus d es E rziih le rs b eend e t Prous t d e n phys iog no mi sc hen
Besc hre ibun gsve rsuch mit e in e m Bild , das d e n Notat io n sve rsu c h e infach absc hn ei- »[ . .. ] to u t d ' un co up, m es yeu x cesserent d e vo ir, a son to ur mon nez, s ecrasant,
d e t. Das Bild - e in >>Orn e m e nt d ' un ja rdin sur Ia fala ise<< 189 - e rh ebt di e Unmög li c h- ne pe r~t ut plu s au cun e ode ur, er sans can n airre po ur cel a da vantage le gout d es ire,
ke it erk enn en d e n Seh e ns zur M e th o d e, um aus d e r dara us b e fre ite n Imag in a t io n j'appri s, a ces d etes tabl es sig n es, qu' enfin j'etai s e n train d 'e mbrasser Ia jou e d ' Al -
e in e ne ue ve rzeitli ch te W a hrn ehmun g z u ersch a fFe n , di e d es O rn am e n ts, w ie es im bertin e<< (ll , 660f:) .
vorh e ri ge n Abschnitt ume rsu c ht wurd e.
Doch di ese a n R uskin erinn ern d e >> innoce n ce of t h e eye<<, di e in optische n T iiu- Das Ex p erim em e nd e t mir d e m Kuss : Z u na h , um noch etwas erk enn en zu könn e n,
schun ge n ein e Rehabilita tion d es natürl ich en Sehen s e rk enn t, w ird imme r w ied er vo n ist es d em H eld en ni cht gelunge n , d ie Ges ichtslin ie n integral zu ordne n; all es ve r-
d em au f d en Kö rpe r ge ri ch te te n b egehrend e n Bli ck ges tö rt. Di e Wa hrn ehmung ist sch w immt im W ec hsel d er Pe rs pektive un d im C haos d es Begehre ns. Es fehlt an Dis-
hi er ex istenzi ell : D er Begehrend e w ill das Obj ekt, das e r b egehr t, erg rün d en ; er sucht ta nz, um di e minimal en Lini en abwe ichun ge n (>>d ev ia tio n d e li g nes infini tes imale<<) zu
sein en Vo rteil. Al s Li ebe nd e r gla ubt er, das L iebesobj ekt b esser zu kenne n als jed e r an - erke n nen, di e das frag il e W ahrn eh m un gso bj ek t bes timm en :
d ere, und w ird doch imrn er auf sein eige n es lmag in iires zurü ckgewo rfe n. 190 Schli eßt
noch Balzac a ls Phys iognom vo n Gesicl1tszüge n auf d e n C harakte r, so wi rd es d em ••(Sans cloure, cette mine d 'a u trefo is, l'ex pression vo lupt ueuse q ue pre na it au-
Proustschen Erzähl e r scho n zum Proble m , di ese zu e in er einz ige n An sicht >zusam - jourcl ' hui SOll Visage a J'appro ch e d e m es Jevres ne diffe rait qu e par un e d eviatio n
m enzuseh en <. Dass das Gesicht m ehransichtig se i, wird ihm mir Elstir zur Erke nmnis d e lignes inßnitr!simales, mais d a ns laqu elle peur te nir to u re distan ce qu' il y a e ntre
und zum eige n en Ve rh1hren, d er Lesekun st in Lini e n und Fa iren . Wo di e Physiog n o- le ges te d ' un homm e qui ach eve un bl esse er d ' un qui le secourt, e ntre un portrait
m ik end et, beginnt sie neu a ls Spra che ihrer U nm ög li chke it, un d rea lisierr sie in d er sublim e ou a fFreu x)<< (li, 66 1, H e rvorh ebung B. G .).
Prob le rnati sierun g und N egatio n . Prousrs rela tiver Pe rs pektivismus-
Obwoh l di e Lini e nabwe ic hun ge n d er Ges ichtsmimik nur >> infinites im a l<< sind , erge-
>> faire surgir d e ce qu e no us croy io ns un e chose aaspect d e fi ni , les ce nt aurres choses ben sic h zwei unve re inbare Bild nisse, von d e nen kein es no ch d e n Ans pruch d e r Ähn -
qu'ell e es t tout auss i b ien, pu isq ue chacun e es r re lat ive a un e p erspec rive no n m o ins li chkeit erh eb e n kann. And ers als in Elsrirs Bi ld e rn sind di e >>e rreurs d 'o pt iq ue<< (!1,
legitim e<< (1 l, 660) - 229 ) ni c ht m ehr ve re inba r. W ie d as M eer, vo r d e m sie e rstma lig in Ba lbec wah rge-
-
62 111 LINE ATUREN UND DAS PROBLEM I HRER DE N OTAT I O N 1 IN FINI TESIMALE LINIEN : PHYS IOGNOM I EN DES ROMANS 63

nommen wird, wechselt auch Albereines Ersc heinun g, de r Teint ihrer H am in sbeso l)- tivisrnus, der statt des Objekts das durch di eses Konnoti erre wahrn ehmbar macht,
dere, Farbe und Form. An der glatten H a ut gleite t d e r Blick ab; das begehrend e Au&;e noti ert das Abwesende statt des intenti onal en Gegensta nds und ze igt darin di e G ren-
kann di e OberRächerrotz alle r Tl·an sparenz ni cht durchdringe n:.19 1 ze n sein er Priisenz auf: das Anwese nde (das Wahrn ehmun gsobj ekt) ist für die inn e-
re Wirk li chkeit abwese nd , das Abwese nd e aber (Bezugspu nkte in der Erinn erung,
»[. .. ] quelquefoi s ses joues erai ent si li sses qu e le regard glissait co mm e sur ce l ~ti in der HofFnun g, im Verlan ge n) ist das Anwesende. Wi e stark Proust di e Albenine-
d' une mini atme sur leu r email rose que faisait e ncore paraltre plus deli cat, plus ir,_ Gesra lt visuell nur als Ti·äger des visuell Abwesenden komponiert, zeigen Ausdrü cke
teri eur, le couvercl e enrrouverr e r superposc d e ses cheveux n o irs<< (TI , 298) . wie »devan t moi «, >>a pparaltre<<, >>se deracher«: vo n ihrem Körper kein e Spur. 194 Dass
auf Carpaccios Gemälde Alberei ne all ein über ihren Mantel und ohne ihr Ges icht
Schließli ch erscheint sich der E rzi1 hl e r rü ckb li cke nd selbst als ein imm er anderer, Je id entifi ziert wird, führt bi ldli ch di e Ges ichrslosigkeit dieser Romanges talt vor (vgl.
nach der Alberrine, di e er ge rade vor Augen haue (II, 299) . 192 Kap. lVI) . Oi e wechselnden Ansichten zeichn en damit di e Faszin ation nach, der der
Held erli egt, und zugleich se in Unvermögen, de r ld entitiit Albertin es niih erzukom-
men, d . h. ein Bi ld von ihr zu gewinn en im Sinn e ein es Porträts, in dem di e Per-
das abwesend Anwesende son gleichsam gesa mm elt in ihrer Lebensdauer, ihrem gamen Sein ansichtig würd e
Di e opt ische Unmögli chkeit, in der Bewegun g hin zu Albe rtin e im Kuss deren G('_ und mehr oder weni ge r direkt Komakt mit dem Betrachter aufn iihm e. Beschreibung
sieht noch zu erkenn en, ist mehr als ein visuell es Ex perim ent, bl eibt Albertine doch und Porträt Alberein es sind nur mögli ch im Augenbli ck des Schlafes (IJ I, 578- 582,
stets gerade im ero ti schen Annähern di e sich E ntziehend e. Die Verortung in Sa in t. 620 f.). Doch auch im Schlaf ist sie >> Un e eman a tion mys reri euse, douce co mm e un
Andre-des-Champs und di e Schi ld erung des Kusses marki eren Anfang und Ende ze phir marin « (llJ, 578) und das Fall en ein er H aa rlocke, Sy mbol ihrer ein gebildeten
ein er desillusion ierenden Lehre, in d eren Voll zug Ähn li chkeit im mim etisc hen Ver_ >>p urete de Raphael<< (IJI, GGG) veränd ert m:iand ernd ihre Gesta lt. Gerade im Schl af
ständnis sich als trügerisch erweist. So ist di e »cha rmante ca prive<< (lll, 580), Alberei- entzieht sich Albertin e:
ne, noch im Schlaf sich selbst imm er nur iihnli ch, ni cht id entisc h, und imm er and ers:
»[ ... ] je ne Ia possedais pas. [ .. . ] ei le s'etait refu giee, enclose, res um ee, dans SO ll

»Des races, des aravismes, des vices reposaie nt sur so n visage. C haque foi s qu'ell e co rps<< (111 , 578).
deplac;:air sa tete eil e creair un e femm e nouvell e, so uve nr in so upc;:o nn e de moi<< (1 11,
580). Das Ich der Geli ebten bl eibt fremd und riirselh aft - ein e ~iußere Silh ouette vor den
wechselnd en Aspekten des Meeres (Jl , 145 fF. ), ein Ornam ent aus Linien (»va lve<<,
Der H eld sieht di e Ge li ebte noch verzückt in ein e m Ra usd1 de r Bilder, den er jene111 mäa nd ernd e Locke, »co l de cygne<<), ~is thet i s i e rte Obe rA ~iche statt r;ium li cher Leib-
der Meeresansichten zuordnet: li chkeit. Das Mod ell von Sa int-Andre-des-C hamps ldr der W irkli chkeit ni cht mehr
stand; wo nur OberA ~ich e, kein e Gesta lt mehr herrscht, ist auch der C harakter phy-
»[ .. . ]je devrais plus enco re donn er un nom difFerent a chacun e de cesA lberein e C]Lii siognomi sch ni cht mehr zu bes timm en. Der begehrende Blick kann di e OberA ~i c h e
apparaissa ient devant moi, jamais Ia meme, co mm e - appelees simpl ement par mo i ni cht durchclrin ge n.195
pour plus de co mm odi te Ia mer - ces mers qui se succedaienr er devant lesquelles, Prousrs Sprache widmet sich den Erscheinungsweisen als visuell em Ph ;i nomen,
aurre nymph e, ell e se detachait<< (TI , 299). ohn e noch auf ein e C harakterkund e zu setzen. Allenfalls ist das Porrrät, wie aus dem
Eingangszitat hervorgeht, noch in der Summe disparater Aspekte denkbar, wie sie
Doch anders als in den metonymischen Meta morphosen der ersten ßalbec-Epi sode, im Roman , alle rdings nicht simul tan, in den rekurrenten Beschreibungen der schla-
in denen aus der N~ih e zum G las od er im Blick durch rahm e nd e Fe nster, d. h. Stari - fend en Albertin e in ein er sukzess iven Bi lderse ri e verwirklicht wird . Aus der Wi eder-
sche Requisiten, mit di esen di aph a nen Bildern des Meeres Notarionen ein er unvor- holungsstrukrur entsteht di e narrative Zeit, ni cht aber di e Ze it des Porträts oder di e
hersehbaren und dennoch auth enti schen Wahrn ehmung entstehen (vgl. Kap. IV. 3), Notation von Zeit, wi e sie die Figuration en nam e ns Madel ein e, »ogive<< oder Eventail
haben di e Bilder nun mit dem Meer als Hintergrund ein e Referenz, di e sich stii ndig leisten. Bei de r Metamorphose Albertin es oder M me de G uerrnantes handelt es sich
verwandelt. Di e performativen E rscheinun ge n Albertin es vergleicht der Erziihl er mir um ein e Verwa ndlun g von Erscheinungen, ni cht vo n Essenzen. Di e Verwand lun g ist
Farben verschi edener Rosensorten (ll , 298f.) od er Gesten ein er Tiinzerin in Projek- der Z usta nd (es gibt ni chts Identisches), während sich in der Metamorphose (d . h.
tion en, di e an so lche der Laterna Magica erinn ern ..193 Di ese r metonymiJche J>enpek- der In versio n, etwa verl orener und wiedergefundener Ze it, O ri entierungslosigkeit
64 111 . LIN EAT URE N UND DAS PROBLEM IH RER DE N OTAT IO N 1 . INF IN I TE SIMA L E LINI EN · PH YSIOG N OMIEN D ES ROMA N S 65

und Berufung, etc.) scheinba r gege nsätzli che Z usr;inde ab lösen und rü ckbli cke nd d as senh eit in Vergle iche n, M e tonymi en , Kun stz itate n und Triium ereien und bestimmt
Verm ittelte, Strebe nd e di eser >> moi successifs« erwe isen . All e r lmmobi l ir~it zum Trotz sich in di eser Bewegun g als anwesend. Wo die Wahrn ehmun g scheitert, beginnt ihre
mi sslingt d er phys iognomi sch erkennende Bli ck (bzw. gelin gt e r in di esem notwe ndi - Sprache.
ge n Misslin ge n) , mi sslin gt das Bi ldni s, d as d ie Porn·iiti en e in ihrer m imische n Spur
gelebter Erfahrun g in d er G egenwart ansi chtig zu m ac hen ve rstünd e.
Oie ka leidoskopische Verwand lun gsfiil1igkeit d er Proustsche n Obj ekrwelt, d e re n ein e Graphie de r Differenz
vo rd erster ex perim entelle r Gege nstand die Albe rtin e-Ges ta lt d a rstell t, ist, in Abg re n- Sind di e Physiog nomi en d er Recherche solcherart Fi guren d er Abwese nh eit, so ist
zung zum Inversionsprinzip als kon struktiver M etamorphose, e in e litera rische Um- do ch ke ine Abwese nh e it so spurenlos, keine Verstellun g so makellos, kein Begehre n
setzun g d es modalen , un gewissen, erke nntnislosen Sehens. Be rü h mt ist, je nse its d e r so dauerh aft zeitlos, dass sich d em d e rektivische n Erz~ih l e r die Wahrheit nicht do ch
(Anti-) Portr;irs Albertin es , die zeitlich in ein e m Skele tt atomi sie rter und dissozii e rte r übe r e in e infinites imal e Lini e ve rrate n würde. An solche n Verschi ebunge n ldeinste r
Raumkoordin ate n sich abze ichn ende Wahrn ehmun g Sainr-Lo ups: Ges iciHslin ie n ist in d er auf f·i·üh es te Entwürfe aus d em Jahr 1909 zurückgehende n
Passage d es >> ba l d es t<~ tes<< , di esem Siegeszug d er Phys iog nomik a m E nde d es Romans,
>> Quelqu e chose pourtant me fi·appa qui n'erait pas sa fi gure que je ne voyais pas, d as Verge hen d er Z eit und das Sterbe n ein er Epoche zu erm esse n.
[ ... ] ma is Ia disproporrion exrraordinaire e ntre le nombre d e poinrs diffe re nrs par D enn d e m E rz~ih l e r bi etet sich nach lan ge r Abwesenh eit aus Paris die Matinee im
ou passa son corps er le petit nomb re d e secondes pendanr lesque lles cette sorti e qui neue n Pala is Gue rmantes als ,,fe re traves ri e<< (IV, 502), als M as kerad e, di e Anwese n-
ava it l'a ir d e Ia sort ie te11tee par un assiege, s'executa« (IV, 38 9). el en als Puppen oder Schauspiel er (IV, 503), als unbekannte Silhou etten, als Kari-
ka turen und Phantom e ihrer selbst dar. Paul Ri cre ur ne nnt die Szene e in e »danse
Z iel solch er Pulverisierun g und Auf.~ p a l run g d er Kontur in d e r Zeit sche int es für macabre«.198 Oi e so lche rart Tanzend e n werd e n hie r buchsriibli ch unter di e Lupe ge-
d en Erz;ihle r zu sein , d en Auge nblick d es Tabus und d en Schock-Mom e nt d e r e r- nomm en; e rst in der Nahan sicht lasse n sich die ve rwa nd elte n Kreaturen als die Indi-
ke nnend en Wah rnehmung - Saint-Loups H eraustrete n aus e in e m homosex ue lle n vidue n erkenn en, di e sie waren: Di e früh er stets a nges pannten Ges ichtszüge d es M .
Bordell - im Beschreiben w ied erh erzustelle n und stati sche D enotation zu ve rhind e rn d 'Arge nco urt geben sich nun dümmli ch e rsch lafft (IV, 500), di e stark ge puderten Ge-
zugun sren ein er D ehnun g d er buchstäbl ichen Ze it-Punkte. Wi e in d er Kuss-Passage sichtszüge C harlu s' und Leg rand ins n;ih e rn sich d en >>tra its allon ges eL m o rn es« iigy p-
bricht di e beschreibend e Instanz die Persp ektive auf zu gun sre n eines neuen moda le n ri sc her Sre i nsku l ptu re n an 199 (I V, 50 1, 5 13) und cl ie Du chesse cl e G uerman tes gleicht,
Sehens. Oi e Beschreibung realisiert, wi e in d e r Noti z d es Erz~ih l e rs zum Porträt ge-
196
aufgrund d e r ges te ige rten Krümmun g ihrer ererbten Physiognomie (>>dans Ia sinuosi-
ford ert, ein e Summ e infinites imaler E inzelheiten , di e erst im Nachhin e in d echiffri e rt te he rediraire d e ses lign es<<, IV, 50 5) und d em Apparat von Juwel en , ein em vi elfach
w ird und d ann auf Saint- Loup sc hlief~e n b ssr. 197 ve rkruste te m Foss il, ein er Reliquie. Möglicherweise stand Pro ust beim Entwurf di eses
Oi e Verfremdun g d er Wahrnehmung durch Bewegun g und Gesc hwindi gkeit be re i- Sze na ri os Ba ud elaires G edi cht Les Petites Vieilles vor Auge n , das er an anderer Stelle
tet jene durch das Vergesse n vor. Proust ex perim enti ert mit literarische m Pe rspektivis- ausgiebi g zitie rt und das seine rseits ein en >> bal d es tetes« inszeni ert:
mus, im Z uge d essen di e Obj ekte d e r erl ebte n Welt zu d e ne n d e r e rinne rte n, d. h . in
ihn en ähn liche, sie im Z ugewinn d er Imagination v irrue ll nach ze ichne nd e ve rwan- »Ces monstres cl isloq ues fure nt jad is d es fe mm es,
delt werd en. D as Fli ehen d er Erinnerun g ist wi e ein e Parall elbewegun g zum Hi e he n Epo nin e ou La"is! [ ... ]
d es Gesamtbild es und d er Perspektive angelegt. In d er M ehransichti gke it wird d er Se rranr sur leur Aan c, ainsi que d es reliqu es,
Gegenstand abge tastet auf d ie Aspekte, d ie er enthä lt. Selbst we nn e r ni chts e nth iilt, U 11 peti t sac b rod e d e fl e u rs Oll d e rcbus;
kein e ld enrität mit sich selbst aufweist, so birgt er als >contenant< doc h das >Conte nu <
d es mit d em eige nen Im aginären Aufgefül lte n, das sich an d en fUnei ern se in e r Lee re lls trorte nt, tollt pa re il s i1 d es marion ettes ;
einsa mm eln lässt. D as Schreiben wird darin selbst wr Bewegun g, unfa hi g, d e n Ke rn Se train e nt, comm e fo nt !es anim au x b lesses,
zu rreffen, unfähig, von d er Hül le abzu lasse n. Kann es auch Id e ntität nic ht übe r di e O u danse nt, sa ns vouloir cla nse r, pa uvres sann ettes
Notation von Wahrn ehmung gewinn en, so doch im Akt d e r Selbstbestimmun g z ur O ü se pend un D emon sans piti e! To ur casses [ . . . ]. </ 00
Abwese nh eit d e r gege nständl iche n ld entidt. Di e infinites im ale Lini e - darin is t sie
aurh entisches Nota r - charakteri siert ein erseits di e Frag m enti e run g d es An gesc hau - Sind im Fall d es M. d 'Arge ncourt die charakteri siere nd en Ko nturen erschla fft, so ha-
ten, and ererseits das imm er neu a nsetzende Umkreisen di eser an gesc hauten Abwe- ben sie sich im Fall d e r Du chesse verh iirtet: Di e Schrift d er Lin ea rure n indizi ert Alter
66 11 1. LIN EATU REN UND DAS PROBLEM IHRER DENOTATION 1 I NFIN ITESIMALE LINI EN : PHYS I OG NOM I EN DES ROMA N S 67

und Tod in d e r Karikatur, in die die wohlkomponi e rte n Maske nges ichter sich ve rkeh- Nasenkrümm un g, ein e r Stirnfalte, ei nes Schmucko rn aments. Oie Ges ichter möge n
ren. Halb geliihmt und vom Alte r gekrümmt, beschreibe n die alten Arisco krarinn en sic h strecken ode r zusamm enziehe n , di e Ge nea log ie d er Linie bl eibt unberührt; und
wie in Baudela ires Ve rs fast tänze ri sch e in e Kurve nbewegun g, in d er, a ls G renzlini e unberührt von all er Maske rad e führt sie d em Tod e ntgege n, d er sich in ihre r Z eichen-
von Tod und Lebe n, d er le tzte Fall schon wie in e in e r Lini e nsch rift vorgezeichn et ist: sprache ein schreibt, wie es d er Erzii hl er auch anband d er Photographi e seiner vom
Tod geze ichn ete n G rof~mutte r erfiihrr (Jll , 172).
»[ ... ] certa in es femm es se mblai ent ne pas pouvoir rerirer completement leur robe Im »Bai d es Teres<< stimmt di e Physiognomik eine n Abgesa ng auf die erl öschen-
a
resree accrochee Ia pi erre du caveau, e r ell es ne pouvaient se redresser, inAechies d e W elt an, von der ni ch ts a ls Namen bl eiben, di e ni emand mehr ri chtig zuordn en
qu'ell es eraient, Ia tete basse, e n un e courbc qui e rait comm e celle qu'ell es occu- kann. Oie mondän en Ges talten sind ihrerseits >>e tres d e fuit e<< , di e ke inem Porträt,
pai ent acru elle mc nr entre Ia vie er Ia mort, avam Ia c hute d erni ere<< (IV, 5 16). kein e r Dau er standhalte n (so sehr sie d as Sta nd es portriit li eben), und nur in einer
Seri e ephem ere r modischer Aspekte Aukrui erend anschau li ch werden. So entzaubert
Wi e in einem Portr~i t, das di e Th eori e d es Erzähl e rs e inlöste, ersche int Mm e d 'Arpaj o n Prousts physiognomischer Bli ck di e Sa lo nges talte n gerade in d e r Absage ans Porträt
in einer aus Einzelheiten zusamme ngesetzten Ansicht, in d e r di e Zeit d e n m ehran sich- zugunsren d er Karikatur als m ehransichtige r Vision .202
tigen Blick d es Künstl ers vorweggenomm e n hat. Nun muss d e r Erzii hl er di e >>fi gures Es sei Aufgabe d es Beschre ibe nd en, so Proust, di e Ges ichtslinien zu lesen und di e
geometriques« di eser Ansicht in das ihm vertraute Ges icht zurückübersetze n, >> m e liv- >>wa hre Form<< und >>Schönh e it<< d er Physiognom ie aus d em >>as pect d'un bloc<<, d en
rant au petit jeu d'eliminer les ca rres, les hexago nes qu e l' age avait ajoute ases jou es .« sie zunächst habe, he rauszuarbeiten, wie Rodin aus hartem Ste in (CS B, 474). Wie
(IV, 515) Oi e Sechsecke verweisen im geo m etrischen Ausd ru ck auf di e Eros ion d er Paul Gaugu in glaubt Proust an di e G rapho logie d es C ha rakters. 203 Im Zusammensp iel
glatte n zur gefalteten Fläche d er Haut. E benfalls in Fragmenten, hi er im Zeichen d es kl einster mimi scher Zeich en a uf d er Obe rR äc he verwand le sich d em d er Linie n- und
Schmucks, setzt sich das Ges icht der Du chesse de G ue rm antes zusamm e n aus Faire nschrift Lesekundi ge n das Ges ich t zum Zeit-Kunstwe rk, wie - ein verstecktes
Lob d e r Autobiographie - im Idea ltypus d e r Selbstportriirs von C hardin, in d enen
»Frag ments d e coquillages, de petites perl es d e verre, d es fond s d e papi er jauni su r Fa lten C harakte r und Ge müt gena u notieren, so dass sie für C ha rdin zum In strum ent
lesqu els se reco urba it co mm e e n un e co rn e plus durabl e le bec du nez, er oü res- der Selbsterke nntnis und d es Lebensrü ckbli cks werden:
tai ent seul s clairs, parce qu' il eraienr Ia Vivonn e e t que l'onde es t plus impollu e que
Ia terre, ses yeux violetS<< (1V, 912) . >>O n s'e ronne en regarclant cornm e le pli sse m e ilt d e Ia bouch e es t exactem em
co mmand e par l'ouverture d e l'reil a laquell e obe it au ss i le fron ce menr du nez. Le
Wied erum bestimmt ein Lini ensegm enr, hi e r di e Nasenkrümmun g, di e Assemblage rn o indre pli d e Ia pea u , le m oindre reli ef d ' un e veine est Ia rradu ction tres fid ele et
aus Muschel-, G las- und Papierstücke n (JV, 5 15). Was a lle in kl a r bl eibt (>>res tai ent tres curi euse d e trois ori g inau x co rres pondants: le ca rac tere, Ia vie, l'e motion pre-
seuls clairs<<) sind di e Augen: Di ese aber imag ini e rt d e r Erzä hle r lila und als Symbo l sente<< (CS B, 377).
d er Vi vo nn e, so dass di e Leerstell e d es Ges ic hts w ied e rum mehransichtig mit Wün-
schen und -~~·ä um ere i e n d es Fielden besetzt w ird . Hatte sic h dieser früh e r an d en >>ap- Oie bed eutungsgelade ne infini tesima le Lini e und Fa! te ist in Prousts Beschreibu n-
paritions successives d e visages differents qu'ofha it Mm e d e Guer manteS<< be rauscht gc n a ll gege nwiirrig. Wühre nd sich in C hardins >Lebenslini cn< di eses Leben selbst ve r-
- Proust enrwirft e in e ganze Seri e d er H erzogin in ihre n wec hselnden Rob e n , ana log schrifrli cht, sind die Spu re n d es natürli chen Alte run gs prozesses in d en gesc hminkten
zu d en Verwandlun ge n d er Genev ieve d e Brabant in d e n Proj ektion en d e r Late rna Ges ichte rn des >> bal d es teres<< versch le iert; d e ren Porträt wii re nur Die nst an ihrer ei-
Magica (111, 362) -, wohlwi ssend, dass di e Verwandlun ge n nur kunstvoll insze ni e r- ge nen Maskerade. Ausgerechn et die Zentral gestalt d er sozial en M etamorphose, Od er-
te >> mouvements<< wa ren (>>j e se nrais qu e c' e tai t to uj o u rs M m e d e G ue rm anteS<<), so te d e C recy-Swann-d e Forchev ill c, Mutte r von Gi lberre Swann-dc Sa int Loup, bl eibt
201
ist di e Metamorphose nun endgülti g, unumkehrbar, und darin Indi z d es Tüd es. aus d e m Alterun gsp rozess ausgenomm en. Umso we niger lebe ndig e rscheint sie:
Oi e Ju welen, di e in d er zitierte n subm arine n Opernszene ge rad e di e Verwandlun g
d es Publikums in M eeresgö tter he rbeigefü hrt ha tte n , erschein en nun nur noch a ls >> D'aill eurs, juste m e nt parce qu'ell e n'ava it pas c hange, el le ne se mblait guere vivre.
Gra bbeiga be n di eser foss il en Göttergesta lten. Ve rwa ndte Proust in d en A.lbe rtin e- Ell e ava it l'a ir d ' un e rose ste ril isee<< (IV, 528).
Szenari en di e infinitesim ale Linie als einzig noti erb a res Detail e in es sich sriindig wan-
delnd en >>ensembl e<<, so b es t~itigt s ich di eser physiog nomi sche Bli ck, ind e m s ich im So füh rr Prou st im Bild d er ste ri Iisie rten Rose ei n attributives Beschreibungsverfah re n
Laufe d er Zeit a ll es veränd ert auger d er charakte ri sti schen infinitesim alen Linie ein e r ko nsequ ent zu Ende, in d esse n Ve rlauf Odette in d e n Blum e n ihres Sa lons, d en O e-
68 111. L IN EATU REN UND DAS PROBLEM IH RER DE N OTAT ION 2 »C LAIR -OBSCUR«. D I E L I NIENSCHRIFT EIN ES SONNENUNTERGANGS 69

kors ihrer Ga rd erobe n bis hin zur Ges talt in Elsrirs Portr:it (Kap. lV. 4 ) zum Stilisierren und d es Au stauschs, di e in Ges tair d es Bürge nums di e Differe nzwelt d es Fa ubourg in-
Bild geword en war. 204 Wo di e Ve rwa ndlun ge n nur e rsche inungs haft sind , d a erstarren d esse n lün gs t abtrage n und di e aristokrati sche Res istance foss ili ert zurücklassen. Nun
sie am Ende, foss ili enwi e di e Duch esse ode r sterilisiert w ie Od e rre. könn e n sich ihre dispa raten Aspekte, dissozii ert in d e r Ze it in >> images success ives<<
H~iufi g sind es nur noch di e Kurvature n und Krümmunge n von Nasen , die ein e (IV, 504), nur noc h geo metrisch in »mill e d eta ils rela res<< in ein er >> perspective d efo r-
Z uordnun g d er Ges ichte r zu Pe rson en erlaube n (IV, 5 13) und Symptome d er Gese rz- manre du Te mps<< zusa mm ense tze n, ohn e dass noch ein Portrüt im Sinn e ein es An-
m äßigkeire n d es Alre rn s (IV, 521) und des Lebe nsvollzugs e nthalte n: sichtigwerd e ns der Persö nli chkeit denkbar wä re. Ist di e Diffe re nz d em Objekr in d er
soz ia le n >>co magion << ve rl o re n gega nge n und nur noch e in em so spez ialisierten Ph ysio-
>>Or je ne pus, malgre ses sourires e r ses bonjours, Ia reco nnaitre en un e dam e aux g nom wie Proust als ge nea log ische Spur erke nnbar, so muss sie eben im Abwesend en
traits rell em e n t d echique res qu e Ia lig ne du visage n'erait pas res rituabl e. C'es r qu e di chte risch erschaffen, dem neue n Ähnli che n durch max imi erte Wa hrn ehmung d es
d epui s rrois ans ell e prenait da Ia coc;ün e e r d 'a urres drog ues<< ( IV, 523). Infinites im a len abge
~
trotzt und , statt in d er iisrh erisierte n Lebe nswelt d es Fa ubourat>' in
e in e r and e ren , ihrerseits diffe re nten äst hetischen Dim e nsion zug~ingli c h werd e n, d er
Sind die Linien d es Gesic h ts un ve ründ e rr im >> Visage Iin ea ire m enr le m em e<< (IV, 5 17), Sprac he. Jn d e n Verschi ebungen d e r Gesic htslinien, di e di ese Sprache erst beschreiben
zeigt das weiße H aa r d e n Alte run gs prozess wi e im Bli c k auf Glerscherlini e n, d eren ka nn , wird e in stweilen die Verschi ebung e in er ga nzen Gesellschaftsstr uktur in kleins-
unterschi edli che t~arb e e rsr di e Höh e verrät: te n D etails fass bar, so wie - Prousrs Spiegel un g vo n Mikro -und M a krostruktur im
m e taphorische n Lini e nbild - e in e ve riind erte Vegetation di e langsame do ch un auf-
>>[ ... ) le d egre d e bl anche ur d es c heve u x sem blait e n ge nera l co mme un sig ne d e Ia haltsa m e Verschi eb un g d es Null - M eridians ankünd igt (IV, 504) .
pro fo nde m du temps vecu, comm e cesso mm ers m o nrag neu x qui, m e me appa rais-
sa nr au x ye u x sur Ia m em e li gne qu e d 'autres, reve le n r pourranr le nivea u d e leur
altirude au d egre d e leur neige use bl a nc he ur<< (IV, 5 19).
2. »Ciair-Obscur«: die Linienschrift eines Sonnenuntergangs
Als Vergleichsm edium di enen hi e r wiede rum di e physiognomi sche Lini e und ihr
g raphischer Aspek t, di e Zeit in d er Schrift les bar zu mac hen . Di ese Beispi ele möge n »Lcs appa rc:nces furr ives
ge nü ge n, um die Verwendung d e r Lini e und d es lin eare n Frag m enrs in Physiogno- Les g li ssad es fu girives
mi e- Beschreibun ge n Prou sts zu zeige n. Das mom e ntan e Sehen e rl au bt srers nur Au s- U ne o mbre , sur un rc Hcr
schnitte, die e rst in ihre r Ju xta positi o n Sinn e rge ben, wie sie kombinatorisch nur das C'esr cc qu i le rn icux m c plair. «
Schreiben erm ögli cht. Im Alter har di e Kün stl erin Zeir selbst di ese M e hransic hrig keir Robe n dc: Monresqui o u, Ln dJti!We-so uri,·, Clain-Obswrs
angelegt, di e, laur d er zitierten Proustsc he n Notiz zum Po rrriit, ve rfremd e nd , aber
wa hr ist. Was di e physiognomi sche Lini e festhiilt, isr das Altern selbst als N otatio n
des Ve rlauf..~ vo n Zeit. Di e Linie, besonders ihr D e rivat, di e Ges ichrsfitlte, ist hi e r, e nr- >> noter Ia ligne «
spreche nd ihrer Funktion in d er bild e nd en Kunst, e in Mittel d er D ehnung und Stre- Z u Beginn d e r Matin ee G ue rm a nres find et sich ein Pass us, in d em d er Erz:ihl e r, von
ckun g, daneben abe r a uch d er Erstarrun g (Duchesse d c G uerm anres, C ha rlus) oder e in e m lan ge n A ufe nth alt in e ine m Sanatorium im Z ug nach Paris zurü ckkehrend ,
Sterili sierung (Odette), d . h . d e r Karikatur, in d e r di e C harakte rolog ie d er mondii- vo m Waggonfe nster a us ein e Linie beobachtet, di e ein e Baum g ruppe im So nne nun-
ne n Welt sich darstellt. Di e Physiol ogie d er erschl affe nd en oder abe r e rstarrte n Lini e te rgang in zwe i Berei che, e inen noch hell e n und ein en bereits ve rscharreren , unrer-
en twickelt vo m phys iognom ische n Fragme n t d e r Obe rRäc he ausgehend d e n AuA ö- tei Ir:
sun gsp ro:z.ess d er alren mond ~in e n Welt. An d er Lini e nbesc hre ibun g, am Kom ur, isr
das Werk d es »a rtiste le Te mps<< (IV, 5 13 ) zu all ere rst ab les bar. »Rcco nnai ssab les, m a is »Le soleil ec/airaitjusqu'rl frt rnoitie de fmr tronc une /igne d'rtrbres qui mivttit !tt uoie
f... ] pas ressemblants << (IV, 5 13) : Di e Pe rso nen sind dem >> porrrait<< , das d e r Erziihl e r- du ciJemin tfe j f:Jc >A rbres<, pensai-j e, >VO US n'avez p lu s ri en a me dire, mon co::ur re-
H eld in sich träg r, ni cht m ehr ähnli ch, und di es nicht zule tzt, wei l di e Pe rso ne n se lbst froidi ne vo us enrend plus. Je sui s pourra nr ic i en pl ein e nat ure, eh bi e n, c'es r avec
di e Wirkung d er Zeir samr ihre r Verwe rfun ge n e twa im Z uge d es Ersten Weltkri egs froideur, avec e nnui que rnesyeux consttttent frt figne qui seprtre votre front lumineux de
ni cht erk enn en. Di e Ge nea log ie end et, wom it s ie begann, d e r clisrinkr-disrin g ui e rren IJOtre tronc d'ornbre. S i j'a i jama is pu m e croire poete, je sa is maintenanr que je ne le
Differenz d er a risto kratischen Para ll elwelt in d e r Absage an jed e Fo rm d e r Ähnli c hkei t sui s pas< << (IV, 433, H e rvo rh ebung B. G.) .
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92 111. LINEATUREN UND DAS PROBLEM I H RER DENOTAT ION 5. SWAN N S MUS I KA LI SCHE ARABESKE 93

5. Swanns musikalische Arabeske essayer leur place en d ehors er bicn lo in d e Ia direcrio n d e leur d eparr, bi en lo in du
point OLl on avair pu es pere r qu'atte indra ir leur arto ucheme nt, er qui ne se jouent
»dans son complique meandre << da ns cet ecarr d e fa nta isie que pour reven ir plus d eli be rem ent - d ' un retour plus
Während die Lin ea tur, w ie beschri eben , bei Proust imm e r auch dic h terische Lini e p rem edite, avec plus d e precisio n , co mme sur un cri sral qui reso nn erait jusqu'a faire
ist, Notatio n und Refi ex io n d er Notation, versagt die Lin ie d e m N icht-D ichter d e n cri er - vo us frap pe r au cccur« (1, 32G).
Di enst. In Linien verh edd e rn sich so m anche Gesta lten d es Romans, d er H eld in d e n
Schriftschn ö rkeln Gi lbe rtes (Kap. VI. I), d e n W egeslinien von M eseglise und G ue r- So w ie die Melodik C hop ins sche inba r abschwe ift, nur um d esto un erwartete r und
mantes od er A lbereines in fi nitesim alen Verwand lun ge n, C ha rlus in d e n Lini en d e r präziser zum Ausgangspu n kr d er musikal ischen Phrase zurückzukeh re n, so beschreibt
Genea logie, Madam e d e C ambrem er in d en Wa lze rphrase n C ho pins, Albe rein e in auch Pro usrs Pe riod e im sp rach li che n Scherza nd o e in e Ku rve weg vom eigentli chen
d en nucht-Lini en der Lüge, gefa ngen in d e n l~a lte n ihres Fo rru ny-Manrels, Swa nn Subj ekt d es Satzes (M m e de Ca mbre m er) über d en Umweg ein gescho bener N eben-
schließ li ch in d er musikalischen Arabeske. Z ur Schild e run g musikalische r Ei ndrücke sätze zurüc k zum Sp iel d e r lnterpretin im Kla ng-Bi ld d es »crisra l qui reso nn erait
zieht Pro usr be reits sehr früh bildlie he und im e nge re n Sinn Iin ea ristische Analog ie- jusqu'a fa ire crie r«, das d e n Z uh örer, d e r hier d er Leser ist, ergreift (» frapp er au cccur«)
verfa hre n heran, so in se in e n I 895 im Sa lo n Mad ele in e Le m a ires vorgestellte n Por- und d en Satz damit - E inhe it von signifiant und signifie- zum E nd- und Höh epunkt
traits de peintres et de musiciens, die er in Les P!aisirs et' !es Jo urs aufge no mm en hat. führt. 259 D e r C hop in sehen Phrase mit ihrem »col sinueu x er d e mes ure« gleicht sich
Beso nd ers in sein em C hopin-Po rerät w idm et sich d e r D ich ter d e r Wirkungswe ise Pro usrs Syntax m im etisch a n, so d ass sich d e r Sa tzs truktur ein lin ea ri sierendes »d es-
260
von d essen Musik und zieht daraus Rü ckschlüsse a u f d e n Kompon iste n : D er Ve rs sin « und o rn am e nta les »Mäande rmusrer« zu G rund e legen lässr.
läss t C ho pin als >> Prin ce du d esespoir« in seine m Kranke nzimm e r im agi ni e re n , d es- Weit stärker als in d e r kurzen C hop in -Episod e (doc h von Spitze r und C urrius un -
sen Lau nen (>> L'oubli vert igneu x er dou x d e ton cap ri ce«) zw ischen VerzweiAung und berü cksichtigt) ist d e r visue lle Bezug, mit d em d er Erzä hl er d ie W irkung vo n Vin-
Hoffnun g wechseln , von Pro ust kl angli ch mir d e r Laut-Verwandtschaft von »so u- reui ls So nare, in sbeso ndere ihrer »pet ite p hrase« auf Swa nn e rkl ~irt. Di e Unmögli ch-
p irs«, »Sa nglots<<, »so uffi·e« - »soleil << , »so urire<< - »so uffre« vera nscha uli c ht. M etaph e r keit, di e mu sikali sche E rfahrun g in Worte zu fa ssen , führt Swa nn dazu, sie über d en
d ieser Ca pricen ist d er r;in zelnde Flug d er Schm ette rlin ge (»vo l d e pap ill ons [ .. . ] dan - Umweg d es Bild es, d es O rn am ents, ins zugle ich Sich tba re und Abstrakte zu überfüh -
sant sur les Rots«), d en die kap ri ziösen S- Laute zu im iti eren sche in en . Oi eses lv!o- ren . De r So na te habha ft zu werden, w ird für ihn zum ex istenziell en Begehren, in d em
tiv find et sich in d er Form e in es »ba l to urnoya nt« d e r »papill o ns, erre nt en Aamboy- sich di e Sona re und se in e Li ebe zu d e r sich ihm entziehend en Oderte wec hselseiti g
261
ant« in Ba udel aires Ged icht Phares/ 56 das vor all em Pro usts Seri e d e r Mal er-Porn·;irs en thalten , d. h. im Tex t, so Ge nette, m etonymi sch gege nse itig »a nstecken«. Obwo hl
Mod ell sta nd . D er Tanz d er Schmetterl in ge, in d em s ich bi ld li ch C hop ins Laun e im d er Hö re indru ck notwendi g »S in e materia« isr und di e musikalischen Motive sich im
Rhythmus seiner Wa lze r ausbala nc iert, kehrt in d e r Recherche in d e r abstraktere n Gedächtni s sogle ic h ve rw ische n - »imposs ibles a d ecrire, a se rappe ll e r, a nomm en< (1 ,
Form in d e n Lini en-Begriffen »m ea nd res ca ressa nts« und »re m o us capri cieu x« w ied e r 20G) - will Swan n Tonumfim g, M elod ik und Rhythmus d e r Musik wenigstens in ih -
(llJ, 3G5), ni cht o hn e iro nische Brechun g. 257
Ähnli ch harre a uc h Monresquiou e in e n rer li nea ren Struktur fassen , und zwa r als »Elc-s imil es« (1, 20G). Swa nn , de r Bouicelli -
Schm etterlin g beschri eben: Fo rscher, d esse n D ru cke vo n G iottos Titgenclen- und Lmter-Zyldus das Z imm er d es
Erzähl ers in C ombray z ie rte n, ist gep riigr vo n ein er visuelle n H a ltun g zu r Welt, di e
»Ma is, dans so n comp lique m ea ndre, si l'on e rre I On aurad es co ul eurs er d es par- sich auf 'Tech nike n d er Ve rvielf:ilri gun g, eben d e r Faks imil es und d er Druckg ra phik
fum es fi ges I D es rayo ns assoupi s, d es mirages ran ges I La ve rsa ri lire faire Stati o n- stützt. Das Uns ichtba re, H örba re, Ni c ht-Materielle soll zum ansc hauli che n d isegno
na ire [ ... ].« 258 we rd e n :

Harre das Mäandernde d er C hopinsehen Phrase im Ve rs zum Bild d e r Sch m etterlinge »Sa ns doure les nores que nous e nrendons alors, re ndent d eja, selo n leur haureur er
gefü hrt, adaptiert Proust formal d en »schwaneng le iche n« Kurve nc harakte r se ines Stils leur quantite, aco u vrir clevanr nos yeux d es surfa ces d e dim ensio ns va riees, a trace r
(» les phrases, au long co l sinueux er d ern es ure<< , 1, 32G) für di e Phrase, in d e r e r di e d es arabesq ues , a no us don ne r d es Se nsa tions de Ja rge ur, d e te nuite, d e stabi Ji re, d e
W irkun g ein es sein er Prelucl es in d er !m erp rerarion Mm c d e Ca mbrc m ers besc h reibt. ca pri ce« (I, 20G).

/ »Ell e avait app ri s d ans sa jeunesse a ca resse r les phrases, au lo ng co l sinueu x er dc- Mit »Cap ri ce« kl ingt ein Begriff aus d e m C hop in- Porrriit a n ; di e Id ee d er »a rabesque«
m es ure, d e C hop in , si libres, si Aex ibl es , si tacriles , qui co mm e nce m pa r e he rehe r er als Struktur d er H örerfa hrun g ve rweist auf ßaud ela ire u nd Debussy. Ersterer harte in
94 111 . LIN EATU RE N UN D DAS PROBLEM IH RER DE N O TAT I O N 5. SWA NN S M U SI KA LI SC HE ARAB ESKE 95

seiner Schri ft Richttrd W,:zgner et 7fzrmhäuser a Pari;· ( 1861) di e Arabeske (»arabesqtte >> [ ... ] mon imelligen ce en ayanr ane inr, par consequ ent mis a Ia m em e dista nce,
d e son «) aufg rund ihres gegenstandsfre ie n Abstra ktio nsvermöge ns zum Prinzip cles roures les parries , er n'ayanr plu~ d 'acrivire a d ep loye r a leur egard , les avair recip ro-
musikalischen Kun stwerks erhobe n, da dort wi e im Orname m all e D e tai ls d er Ce- qu e m e nt e rendu es er immobilisees sur un plan uniforme« (lll , 874 ).
sra lrun g, all e Silben und Note n methodisch ge nau auf di e G esamtheit d e r Wi rhtna
t>
gerichtet scien. 262 Bei Swann wi rd aus d e r Klan garabes ke wied er di e ze ich neri sch e li- Das Emh1lte n oder >>Au fs pann en « (>> d eployer<<) d e r Parti en und ihre r >> Ko nstruktion s-
ni enarabes ke, d ere n >> Klarh eit« unrer den von Prousr b esond e rs gesch ätzten Kün stle r lini en « vo ll zieht si ch visuell, Hach, graphisch, wie auf einem Aufi·i ss :
seine r Z eit vo r all em G usrave Mo rea u b etonr. 263 Di e Beschreibung d e r >> petire phrase«
in Linie n imiti ert von Beginn an Swanrts 1-lörweise, di e ve rsucht, si ch d en Aufbau cles >> [ . .. ] Ia musique qu'ell e jouair ava it aussi un vo lum e, produir par Ia visibilitr! ine-
musikalische n Satzes visu ali siere nd vor Auge n zu führe n , um die Ursache d er >> bez~\tt ­ ga le d es diffe rentes phrases, selon qu e j'avais plus Oll moins reussi a y m errre d e Ia
bernd en << Wirkun g zu e rg ründ en: lumi e re e t a rejoindre les un es au x autres !es fignes d'une co1u tmction qui m'avait
cl 'abo rd paru presqu e rour enti e re noyee dans le b rou illard « (I II , 874, H ervorh e-
>> Er c;:'ava ir dej a ere un g ra nd plaisir qu a nd, a u-dessous d e Ia perire lig ne du vio lo 11 , bung B. G .).
mince, res istante, d ense et cfirectrice, il avait Vll tOllt d ' un COUp eh ereher a s'eleve r
en un cl aporem ent liquide, Ia masse d e Ia parti e d e piano, mulriform e, in d ivise, Ebe nf·a ll s graphisc h e m sreht vor Swanns Augen di e in ze ichn erische E lem em e und
plan e er enrrechoqu ee [ . .. ]« (l, 205). mit ges ti sch en Au sdru cksw erren verseh en e »perite phrase« als >>a rabesqu e« und Linie,
di e nun abe r seinen Hörein dru ck e ines >>a mour in co nnu « wirr und verführend vor
Wi e sich di e Stimmführung in d er Geige vom Klavi e r-Satz abh ebt, sch eint Pro usr hier sich >> h ertre ibt«, ohne sich intellekm ell ana lys ieren zu lasse n , o hn e, aller Zerl egun g in
gegen Sw anns musikalisch es Sehe n im K la ng d e r Vokale, di e Akustik und So n o ri r:ü Ko nstruktionslini e n zum Trotz, zur E rke nnmis zu führen:
rehabiliti ere nd , d emon stri eren z u woll en . So häuft sich für di e Via lin stimm e d e r h elle
und du rchdrin ge nd e i-Voka l (>> perite«, >>lig ne«, >> vio lon «, »min ce« , »res isrante«, »dircc- >> D ' un ryrhm e le m ell e le diri gea ir ic i d 'abord, puis Ia, puis a ille urs, ve rs un b o n-
rri ce«) , während weiche re Vokal e (>>clapore m e nt«, >> masse« , >> pl a ne«) dazu e in en Bass heur nobl e, ininrelli g ibl e e r prec is. Er rour d ' un coup, au pointoll elle e rair arri vee
grundi eren . Auf di ese W e ise h ebt sich di e »li gn e du violon « d eutlich vo m G rund cles er d 'o li il se preparait a Ia suivre, apres un e pause d'un in srant, brusquemem ell e
Klav ierp a rts ab . Ko mponi ert ist auch di e Phrasie run g ins gesamt, d enn an d e n H a u p r- cha ngea it d e direcrion er d ' un mouve rn ent nouveau , plus rapide, m e nu, m ela nco -
satz schli eßt sich nach ein geschoben em Co u p let ein e V ie re rra ktun g vo n Adj ekti ve n 1iq ue, i ncessam er doux, eil e I' e n tralna i r avec ell e vers d es pe rspecrives i ncon n ues«
an , ga nz w ie im zwe iten Abschnitt a n d en N eb en sa tz, d er eb enfall s e in Zw isch enstü ck (1, 207).
aufweist, wo b ei di ese C oupl ets einmal d e r Violine und einmal d em Pi a no zuge h ö re n.
Di e Fo rm di eses sprachli ch en M ini aw r- Rond os wä re A- B-C -A'-13'-C'. W :ihre nd sich Di e musikalisch e Arab es ke, in di e Swann sich mir se in e r g raphisch e n Vo rstel-
Prousr zur Beschreibun g d es musikalisch e n Satzes d er s prac hli c he n O rdnun g bedi e n r, lun g ve rwi c kelt /&' hüllt ihn in ihre n »Cours sinu eu x e r rapid e« (! , 342) e in
sucht d er D il erra m und Kun stliebhaber Sw a nn im a llmä h lich e n Fonschre iren seine r (,,J 'e nvelo ppait«, !, 343) und führt ihn in d en Kur ve n d es Stimmve rlaufs mir fort in
visuel len »tran scripti o n so mm aire er provisoire« , ut" pictum musim, d e n »como ur«, >> unbe kanme Pe rsp e ktive n «. Di e arrop:ii sch e, abwe hre nd e Ara bes ke w ird zur Angst
den im d isegno anschauli ch en G edanke n d er M elodie , zu e rke nn e n: m ac h e nd e n, di e zi e rli ch-z ie re nd e Arabes ke (wi e Swann sie au s d em pompejanisc he n
Wand schmu c k od e r bedin g t n och a us Raffa els Au sm alun g d e r vat ikani schen Sran -
»11 s'en rep resenrair l'erendue, les g roupem ents symerriqu es, Ia gmphie, Ia va leur ex- 'Le n ke nn en könnte) ve rwand elt sich in e in Ze ic h en d es C haos und d er romanti-
press ive; il ava ir d evant lui cette chose qui n'est plu s d e Ia rnusiqu e pure, qui es r du sch en Em g ren zun g . Swa nn s Mu sike rl ebni s w ird zum Ra usc h , ind em d e r Höre nd e
dessin, d e I'an:hitectu.re, d e Ia pem r!e, er q u i pe rm et d e se rappd e r Ia musiq u e« (l , kaum noch d e m aku stisch e n Re iz sra ndlülr. W ec kt di e >> pc rire phrase« >>Ce tte so if
206, H ervo rh ebun g B. G .). d ' un charm e in connu «, so lin d e rt sie di ese n Durst indes nur wi e ein »an es rh es iqu e«
di e A tmun g (1 , 233), al so vo rüb e rge h e nd, bl e ibt abe r ge he imni svo ll e in e >>esse nce
Von Alberein e auf d e m Pianola ges pielte Musik (wobe i es sich ni c h t um Vimeuils m ys re ri euse«, gefäh rli c h - so Prousts Bild - >>co mm e un d iabl e dan s un be niri e r«
265
Stü cke ha ndelt) erscheint a uch d em Erzähl er zunäc hst unklar und forml os; ers t im ( IV, 342). Di e L ist, d e m Ge nuss d es S ire n e ngesa n gs di ese r sch e inba r so e infac he n
m ehrm ali ge n Wi ed erh ö ren we rden ihm di e >> li g n es fra g m e nra ires e r inrerrompu es d e »pet ite phrase« d urc h d as g ra phi sc h e Vo rstellun gs ve rm öge n sta ndzuh a lte n, schläg t
Ia consrru crion « d eutli ch , a ls wäre n sie auf ein em Plan aufgezeichn et: fe hl.
96 11 1. LINEATUREN UN D DA S PROBLEM IHRER DENO TAT I O N 5. SWA NN S MU SI KALI SC H E ARABESKE 97

269
Mit Swa nn w ird a u ch d er Lese r vo n Linea rure n e in gehüll t, di e als graph ische ., fo t1_ nur d em Ge nuss erli egr. Doch auch d er Erzä hl er erfreut sich am Bilderrausch , der
darion << das >>fondu << d es Ei ndrucks abe r nur sch e inbar im intellektu ell fass baren di e Musik ihm e in g ibt (nur e rkenm er in d en lmagi nari en ein e d er Musik eige ne
>>d ess in << konruri e re n .266 ln Swan ns Phantasm a ex isti e rt di e Sonate als ein e gegebet1 e O rdnun g d er D iffe renz in d e r Zeit, w ie sich sehen b sst). H andelt es sich spiiter nac h
W irkli chkeit, in d er di e Motive Träge r w irkli c h e r Id ee n (»de ve ritab les id ees, d \ , 11 Swa nn s Tod um ein e Aufflihrung d es posthum em deckten Septetts vo n Vinteuil , be-
au rre mond e, d ' un autre ordre<<, l , 343) sind , d ere n Sic htba rma c he n d er eige nrli cl1e h;ilr de r E rziihl e r Swann s Pathos bei, wenn d er Sonrtte als >>aube lilial e er champetre<<
he rm e neuti sch e Akt se i (>> re ndre visibl e [ ... ] le d ess in d ' un e m a in si te ndre<<, I, 345) di e unb ekanme Welt d es Septetts gege nüberges tellt w ird , auch di eses situiert in ein er
und d e re n E nrschlüsselun g d em Hörer Erke nntnis und G lüc k ver he iße. Doch Swa t1n nun >> rose a urore<<, d och im Bild ein es au fz iehende n Unwetters und des ihm vora us-
h at eine id ee fi xe desse n , was Kunst hi e r sic htbar zu mac he n habe: Od erre, di e fü r ge he nden Sru rm gelii urs, stau d es Bildes ein er >>fri edli chen Wi ege<< , das di e So nate her-
ihn untre nnba r mi t d e r >> p etire phrase<< verbund e n ist, und di e sic h ebe nso a ll e r Ent- vo rbrac hte . Di e idylli sch-arkadischen Bilder d er So nate werden abgelöst vo n so lch en
schlüsselun g e ntzieht. Kun stgenuss zu r Äsrh erisie run g d e r e ige n en Lebe nswe lt, Zll t)1 d es Erhab en e n , Schreckli ch en. Di e optische Entsprechun g d er Arabes ke erweitert sich
E rsa tz eige ne r Erfa hrun g und Empfi ndun g (w ie Swa nn es b e reits in d er S ubstitution zum sublim e n musikalisch en Fres ko , >>Co mme Mi chei-Ange actae he a SO ll echell e er
Odettes d urc h Boui cellis Gesta lt d er Ze phora unternimmt), - di ese von Pro ust als la n c;:a m , Ia rete en bas, d e wmulweux co ups d e brosse au plal-ü nd d e Ia cl1apell e Six-
>> idola rri e<< bezeichn ete Halwn g sch e ite rt in ihre m G lü cksa ns pruc h unmissversriind _ ti ne« (II I, 759). Res ümi e rt sich di e So na te in d er e in en arabeskenLi nie d er auf d e m
li eh . Swa nn ve rfehlt es , di e Musik übe r di e virtu ell g raphisch ei en otierte Arabeske als Klavi erg rund rä nzelnd en Lin ea[Ur, entwirft das Septett nun di e grolse Komposicion
das ge nau abgestimm te Verhältni s von Ursac h e und Wirkun g zu erg ründ en , das er a us sieben in strum ental e n Lini en . D ie musikali sche E rfahrun g sugge ri ert syn;isthe-
o bj ektiv in d er Musik verm ute t, stau zu e rke nn e n, dass di e mus ikalisch e Wirku ng tisch Fa rben, Linie n, Bilde r, wobei, w ie gezeigt w urd e, ein so lch es Hören in Bild ern
ihre Ursach e in ihm selbst, in sein e m >> m oi profond <<, hat. Die >> perire phrase« liissr am Be ispiel von Swa nn s >> id o latrie<< d es Arabeske n-Sehens wgleich problem atisiert
267
sich ni cht einfach nach zeichne n w ie d e r St imm enverlauf d e r Pianola-Srü cke. ln1 w ird . Is t di e So na re stets di e >>So nate blan che«, unb efl eckt und nur weiß, in ihrem
Gege nteil : Je m ehr sie Schrift w ird , d es ro komplizierte r wird sie, d enn im Spi egel d es Klavi erpa rt e in e G rundi e run g d er >> li g ne continu e er pure« , die, als Violinstimm e, aus
eige n en Begehrens ve rselbständi ge n sich ihre S ig nifikante n und mit ihn e n di e vo n1 d er >> m asse de piano<<, aufstei g t w ie die Erd e a m erste n Tag aus d em Wasser, 270 und
Hörer a n sie geknüpften imag in ä re n Signifikate . So kann d e r un g lückli c h Li eb end e w ie di e Combraye r W elt aus d em dumpfen U rg rund d er Erinn erun g, fiirbt sich d as
d er ve rführe risch en Klan g- Arabeske nur fol ge n : in di e >>p ersp ecrives inconnues<< e iner Sep te tt dagegen zu m »rougeoya m se ptuor«, zum Fres ko Sodom und Gomo rrhas, in
Bild erwelt d es Traum s. sein e r >>a rmature indivi sibl e<< zum Jün gste n Ge ri cht aus Mi chel angelos Pin sel.
Fast unm erkli c h verschi ebt Pro ust damit, we nn er d as Septett mit d em D ecken -
fres ko d er Sixtinischen Kap ell e ve rgleicht, das Jün gste Gericht, das sich eige ntli ch an
Prousts Musik der Bildlichkeit d er Alta rwand be find et, an di e Stell e d e r Schöpfungsgesch ichte, d ie dort di e D ecke
In Pro ust akust ische r Psyc ho logie Hi li t Swan n, d e r in d e r ihm unve rrrau ten For- e innimmt. Mi ch elangelos >wahres< M e isterwerk wä re Pro usts Ve rgleich nach ni ch t das
m ensp rach e d e r Sonate d er Ri ch t un g d er motivi sc he n Entwi c klun g ni ch t zu fo lge n all se its bewunde rte Schöpfun gs fresko, so nd ern , analog ZLI Vinteuil s sp iitem Septen ,
ve rm ag, im Ergebni s sein es H ö reindrucks e in e r sy mbo lisch e n Vorstellun gswelt an - se in Alte rswerk, di e Apoka lypse, d e r nun au ch d er Platz an d er Decke we ni gs te ns in
heim , in d e r Ge ige und Klavi e r sich ant hropomorp h wie e in sa m e Bote n e in er n euen d er Im agin atio n geb ührt. Di e Beschreibung d es Septetts und di e Bed eutun gsve rschie-
Zeit - in d e ne n er woh l sich und Odette erträ umt - in e in e r ne ue n Sprach e ve rsrjn- bun g vo n d e r Schö pfung zum >T;1g d es Zo rn s< koinzidie rt mit d er E rkenntnis d er
di ge n: Welt a ls ein e m ein zige n Sod o m und Go m o rrh a, a us d em nur in di e Kunst als d e m
>>v ra i Ju ge m enr cl e rni e r<< zu e ntko mm en wii re.271 Als G leichnis Usst di e bildli ehe Wir-
>>C'e rair co mm e au co mm en cem e nt du mond e, co mm e s' il n'y ava it e n co re eu kung d er Musik a lso ahn en , wo rin ihr künstl e ri sch es Gese tz besteht. Sta nd d er So nate
q u'eu x d eu x sur Ia te rre [ . .. ]: cette so n ~He<< (1, 346). ein >>a nge d o u x er g rave d e Bellini << Pate, so d em Septett nun d e r scha rl achrote »a r-
change d e Mantegna<< (111, 765); 272 di e klare Kont ur d er geo rdn eten Welt weicht d e m
lm visuell abschwe ifend e n H ö re n ze ichn e t di e A rab es ke ni cht rn e hr di e >>pet ite p hra- Fa rbrausch d e r entfesselte n, das Lyri sche d em Exp ress ive n , bevo r a m E nde ein >> motif
se<< d er So nate nach , so nde rn im Rausch , a ls führe di e Arabes ke nun tatsiic hli ch im joye u x<< d e n Triumph d e r Kun st an sich ankündi gt: >>[ ... ] c'etait un e joie in efEtble
Sinn e G ustave Moreaus in neu e Fo rm e n des Ausdru c ks, e in e e rrriiurn te We lt m ir q ui sembl a it ven ir du Pa rad is.« D ie re in e >>SO nate b lanche« mi t ihrer Evokatio n vo n
268
sym bo listischem Kolor ir. ln d e r Mimikry a n d ie Arabeske hat das Kunstwerk ge- Morge nröte sy mboli sierr di e Schöpfun g, d as blutrote >>se ptuor rougdt re<< das Jün gs te
wonne n, in d er Macht sein e r Sugges tion versch li eß t es se in e Wah rh e it vor d em, d er Ge ri cht - he ißt es do ch in d e r Offen barun g d es Johann es:
96 111 LIN EATU RE N UN D DAS PROBLEM IH RER DEN O TA TI ON
5. SWA NN S MUS I KAL I SC H E ARABESKE 97

Mit Swa nn wird auch d er Lese r von Lin ea ruren e ingehüllt, di e als g raphische ,, fon - nur d em Ge nu ss e rli egr.
269
Doch auch d er E rzä hle r erfreut sich am Bilderrausch, d er
d ation << das ,, fondu << d es Eindrucks aber nur sch einba r im imell ekruell fassbaren di e Musik ihm e ingibt (nur erke nnr e r in d e n Im aginarien ein e d e r Musik e ige ne
>>d ess in << ko nturi eren. 266 In Swa nns Phantas ma ex isti en di e Sonare als eine gegeb ene O rdnun g d e r DifFe renz in d er Zeit, w ie sich sehe n liisst) . Handelt es sich spiiter nach
Wirklichkeit, in d er di e Motive l l·äge r w irkli che r Id ee n (>>d e veritab les id ees, d ' un Swa nn s Tod um eine Auffüh ru ng d es posthum e ntdeckten Septetts vo n Vinteui l, be-
aurre rnond e, d'un aurre ordre<< , I, 343 ) sind, d eren Sichtbarmach en d e r e ige ntli che hiilr d er E rzä hl er Swanns Pathos bei , wenn d er Sonate als »aube liliale er champetre«
he rm eneutische Akt sei (»rendre visible [ ... ] le d essi n d ' un e m a in si rendre<<, 1, 345) di e unb ekannte W elt d es Septetts gege nübergestellt wird, auch di eses situiert in e iner
und d ere n E ntschlü sseJun g d em Höre r Erken ntnis und G lü ck ver he iße. Doch Swa nn nun »rose aurore<<, doc h im Bild ein es aufziehenden Unwetters und d es ihm voraus-
hat eine idee fi xe d esse n, was Kun st hi er sic htbar ZLI m ac h en habe: Odette, di e für ge hend e n Swrm geläuts, statt d es Bi ldes ein er "fried li chen Wi ege<<, das di e So nate h er-
ihn unrrennbar mit d e r »perire phrase<< ve rbund e n ist, und di e sich ebenso all e r E nr- vo rbra chte . Die idyllisch -a rkadi sche n Bild er d er So nare werd en abgelöst von solch en
schlü sselun g entzi eht. Kun stge nu ss zur Äsrheti sierun g d e r eige n en Lebe nswelr, zun1 d es E rhabenen, SchreckJi ch en. Di e opti sche Em sprechun g d e r Arabeske erweiren sich
Ersatz eige ner Erfah run g und Empfindung (wie Swa nn es be re its in d e r SubsritutiOI1 ZLJ m su blime n musikali sche n Fresko, »Comm e Michel-Ange <m ac he a son echell e er
Oderres durch Botti celli s Ges talt d er Ze phora unternimmt), - di ese von Prousr als lan<;:am, Ia tere en bas, cle tumulru eux co ups d e brosse au pl afond cl e Ia ch apell e Six-
»i dol atri e<< bezeichnete Haltun g scheite n in ihre m G lü cksa ns pruch unmissve rs t~ind ­ rin e<< (li I, 75 9) . R es ümie n sich di e So nare in der ein en a rabesken Linie d er auf d em
lich. Swa nn verfehlt es, die Musik üb er di e virtu ell g raph isch ei enoti e rte Arabes ke als Klavie rgr und r~in ze lnd e n Lineatu r, entwirft das Septett nun di e g rof~e Kompositi o n
d as ge nau ab ges timmte Verhältnis von Ursach e und Wirkun g zu erg ründen , das er aus sieb en instrumenta len Lini en. Di e musikali sche E rfahrun g sugge ri ert synästh e-
obj ekti v in d er Musik ve rmuret, sta tt w erk enn e n, d ass di e musikal ische Wirkun g ti sch Fa rbe n , Lini e n, Bild e r, wo be i, wie geze igt wurde, ein so lches Hören in Bildern
ihre U rsache in ihm selbst, in sein e m »moi profond <<, hat. O ie »petite phrase<< Lisst arn Be ispi el von Swanns »id o larrie<< d es Arabesken-Sehens wgle ich probl ematisie rt
sich ni cht einfach nachze ichnen wie d e r Stimme nverl a u f d e r Pi a nola-Srücke .267 ln1 w ird. Ist di e So na re stets di e »Sonare blanch e<<, unb efl eckt und nur we ig, in ih rem
Gege nteil: Je m ehr sie Schri ft wi rd , d esto komplizi e ner wird sie, d e nn im Sp iegel d es Klav ierpan ein e G rundi e run g d er "]i g ne co minu e er pure<<, di e, a ls Violinsrimm e, aus
eige nen Begehrens verselbständ ige n sich ihre Signifikanten und mit ihn en di e von1 d er »m asse d e piano «, aufsteigt w ie di e Erd e am e rsten Tag aus d e m Wasse r, 270 und
Hörer an sie ge knüpften imag in ä ren Sig nifikate. So kann d e r un glü ckli c h Li eb e nd e w ie die Co mbraye r W eit aus d e m dumpfe n Urgrund d er E rinn erun g, Hirbr sich d as
d er verführerischen Klan g-A rab eske nur fo lge n : in di e »pe rs pecrives in co nnu es<< e in er Septett d agege n zum »rou geoya m septuor<<, zum Fresko Sod o m und Go m o rrh as , in
Bild erwelt d es T raums. se in e r »a rm a ture inclivi si bl e<< zum Jün gs ten Ge richt aus Michelan gelos Pin sel.
Fas t unm erkli ch ve rschi ebt Proust darnir, wen n er d as Seprerr mit d e m Decken-
fresko d er Sixrinische n Kapel le vergleicht, das Jüngste Ge riclu, das sich eigentlich an
Prousts Musik der Bildlichkeit d er Altarwand be find e t, an di e Stell e d er Schöpfungsgeschi chte, di e dort di e Decke
In Prousr akustisch er Psycho logie fällt Swann, d e r in d e r ihm unve rrraute n Fo r- einn imm t. Mi chel a ngelos >wa hres< M e isterwe rk wä re Prousrs Ve rg leich nach ni cht das
m ensprache d er So nate d er Ri chtun g d er motivisc he n Entw icklung ni cht zu f-o lge 11 allse its b ew und e rte Schö pfungsfresko , sondern, a nalog zu Vinteuil s spätem Septett,
ve rm ag, im Ergebnis sein es Höreindrucks e in er sy mbolisch e n Vorstellungsweit an - sein Alre rswe rk , di e Apokalypse, d er nun auch d er Platz an d er Decke wen igs tens in
heim , in der Geige und Klavi er sich anthropomorp h wi e e in sa m e Boten e in ern e ue n d er Imag in ation ge bührt. Di e Beschreibun g d es Septetts und di e Bedeutungsverschi e-
Zeit - in d enen er woh l sich und Odette e rtr~iumr - in ein e r neu en Sprach e ve rstiin - bung von d er Schöpfun g zum : E1g d es Zorns< koinzidi ert mit d er Erkenntnis d e r
clige n: Weit a ls e in em e inzi ge n Sodom und Go morrh a, a us d e m nur in d ie Kunst als d e m
»v rai Ju ge m ent d erni e r<< zu entko mm en w~i re. 271 Als G leichnis Uss t di e bildli ehe Wir-
»C'erair co mm e au co mm encem ent du m o nd e, co mm e s' il n'y avair enco re eu kung d e r Mus ik also ahn en , wo rin ihr künstl e risches Gese tz besteht. Stand d er So nare
qu'eux deux sur Ia rerre [ . . . ]: ce rre sonate« (I , 346). ein »ange dou x e r g rave d e Be llini << Pate, so dem Septe tt nun d er scha rla chro te »ar-
change cl e Manregna << (III , 7 65) ; 272 di e kl a re Kontur d er geo rdn eten Weit we icht d em
Im visuell abschweifenden Höre n zeichn et di e Arabeske ni c ht m e h r di e »pe rire phra- h u·b rausch d e r entfesselten , d as Ly rische dem Ex press iven , b evor am Ende ein »rnorif
se<< d er So n are nach, so nel ern im Rausch , als führe di e Arabeske nun rarsächli c h im joye u x<< d en ll·iumph d er Kunst an sich ankünd igt: »[ ... ] c'e rait un e joi e in effabl e
Sinn e G usrave M o rea us in neue Fo rm en d es Ausdrucks, e in e e rträumte Weit mir q ui semblait ve nir du Pa radi s.<< Die re in e »So nare bl a nche<< mir ihre r Evokati o n vo n
symbo listi schem Kolorit. 268 In d er Mimikry an di e Arabes ke hat d as Kun stwe rk ge- Morge nröte symboli sie rt di e Sc höpfun g, das blutrote »se ptuor rou gd tre<< das Jün gs te
wo nn en , in d er Macht sein er Sugges tion ve rsc hlief~r es se in e Wahrh eit vor d e m , d er Ge ri cht - he igr es do ch in d er Offenbarung d es Johann es:
98 111 LIN EATU RE N UN D D AS PR O BLEM IHR ER DE N OTAT I O N 5 . SWA NN S M U SI KA LI SC H E ARA BES K E 99

>> Di e siebe n Engel mir d e n sieben Posa un e n mac hten s ich b ere it zu blase n. Und d et ~e in e r >> p erire phrase<< zur imm e r se nsiblere n musikalischen Sprache, w1 e Prousr in
e rste Engel bli es seine Posaune; da kam H age l und Fe uer, mir Blut verm e ng t, und d en M etamorphose n se in er Sä rze zur imm e r difFere nzie rteren Wahrnehmung, di e wi e
fi el aufdi e Erd e [ . . . J<< ,273 Vime uils Musik schli eßli c h d e r Wahrne hmungslehre ein es ga nze n Lebe ns bedurfte
und di eses dab ei ve rschlang . Lesen, unvoreingenomm enes Hören von Musik, Schrei-
bi s sich am End e d er Bestrafung mir d e r paradi es ischen »joie suprarerrestre<< (I fl , 76 5) ben sind fü r Prousr seit Sur La /ecture Wahrn ehmun ge n zweite n G rades, nämlich d es
das >> neue j erusalem << auftut, zu d esse n l e mpel johannes, vom Li cht gebl e nd et , vo 11 e ige nen [eh übe r d e n Umweg d es ;isthetischen G enusses statt d er Reflexion: unwill-
d en sieben En geln gel eitet wird, m fü r Prousr ohn e Z weifel ein T empel d er Kun sr. At1f kürli ch e Erfahrung ein e r D a uer von Ze it und Raum , di e, wi e im Septett mir anderen
di ese W eise rückt au ch wi eder Mi chelangelos D eckenfresko an seinen ri chti ge n P lat?., Zeiten ve rmischt, dennoch ni cht ve rloren geht. Di ese Erkennrnis des >> reel rerrouve<<
wenn auch in abgewandelter D eutung und quasi in um ge kehrte r Sehfolge, kurz als d er eige n e n Z eit ihrer Ve rgeb li chkeit und Flüchtigkeit zum Tl·orz w;ire di e aufgehende
Inversion , als >>n eues Jerusalem << und Anf·~tn g ein ern eue n Z eit G ottes bzw. d e r Kunst. und erlösche nde >>Zaube rschrift<< (IV, 457) d es Kun stwe rks als >> wahre r<< Arabeske jen-
In d er musika lisch en Entwi cklun g von d er besch eid en en Sonare zum M eiste rwe rk seits d e r Camouflage se ine r genussvo ll e n Sugges tion , d er Swann erli egt. Die >>esse nce
d es Septe tts spiegelt sich ni cht nur Vinteuil s Lebensweg, sonele rn auch d e rj e nige d es co mmun e aux sen sa tions du passe et du present<< (IV, 4 77) zu e rkenne n , e rl aubt ersr
Erzähl ers hin zum Kün stl er und hin zu d e n siebe n Te il e n, in d e n en di eser im Roma 11 das G lü ck d e r Z ukunft, aus der Erfahrung d e r eige nen Jdentität in d er Z eit heraus.
sich vo ll zieht. Das Septett ist ein e M etaph e r d er Romanstruktur (mir di ese m signi e rt Di ese Ordnung in d er Zeit zu erkennen, deren musikali sches Bi ld di e Analogi e von
der Autor sein en Roman anagramm ati sch: PROUST - SePTUORf 75 und se in es >> ap- Sonare und Septett ist , und di e >>Se nsat ion << e in er sinnliche n E rbhrung von gelebter
prenrissage<< . D enn im Laufe d er mu sikali sch en Lehre e rkennt d er Held, dass Son a te Ze ir (Zeit d es e ige n en Begehre ns, Ze it d er D esillusion , als d em eige ntliche n Ge heim-
und Septett nur scheinbar einand er gegenübersteh e n . Die difFerenzierte H a rmonik ni s d er Musik im Sp iegel ihrer subj ektive n Erfahrung) in d er >>refl ex ion << d er sprachli-
d es Septetts wa r in d er Farbenm etaphorik in d e r Sonare schon a n gelegt, d e nn aus che n Wahrnehmung neu zu e rschafFen , ist am End e di e List d es Dichters, um d em Si-
d em ursprüngli ch weißen Licht d e r >>Sona re blan ch e<< - so darf man Prousrs Farbe n - rene ngesang doc h no ch zu la usche n , sich von se in er >>celes re nourrirure« im E rinn ern
m etaphorik hi er verstehen - spalte t sich das Septett in d e n sieben Spe krralf~ube n d es zu ern ;ihre n, ohn e ihm , a nge kette t an das Berr d es Dichtei·s wi e Odysseus an den
Regenboge ns auf, als Zeich en eines Paradi eses : d er Kun st, zu d em Vinreuil s Schaffe n Schiffs masr, je mals zu e rli egen , ohn e ihn übe rhaupt je mals e nden zu lasse n , - in d er
geword en isr (lll, 765) oder vielm ehr das künstle ri sche SchafFen, zu d e m sein Lebe n un endli chen Schreibbewegun g d e r sic h selbst refl ekti e rend en >>a rabesque<< .
geword en ist. Di e Farbigkeit d es Septetts und mir ihr d esse n he ro isch es Fres ko war in
d er we il~e n >> un schuldi ge n << Sonate bereits an gelegt. W e nn als Autozitat das ll1 ema
d er Sonate im Septett wi ed er ersch eim, fo lg r au ch Vinteuils W e rk (und im Z itatc ha-
rakter sogar ex plizit) dem vom Erzäh ler beobachtete n Prinzip d er Ähnli chke it all er
Werke ein es Kün stl ers, die sich zu d essen >> univers parti c uli er<< ve rbind e n (lll , 7 60).
Im Zeich en d er magischen und biblischen Sieben e nthalte n sich >Conte nant< und
>contenU< wechselseiti g: So wie im Anag ramm >se ptuon und >Prousr<, ve rwe ise n im
Z irar Son ate und Septett imertextuell aufeinande r und lassen in d iese r Ze itstruktur
ein e Musik d es Erinnerns er1Jingen .276
Auch Swann konzemriert sich auf das In finites imal e d es >conre nam <, di e Lini e d er
>>perire phrase<<, do ch se tzr er das Fragment als abso lut, und gelangt darübe r ni chr zur
Wahrn ehmun g d es G anzen. Er sch eitert, weil er Kunsr und Leb en verm e ng t, von d er
Kun st Ge nuss und sogar Aufschluss über sein Leben erwartet, statt in ihre m rorm ge-
setz das Andere zu erbli cken: di e von Prousr so vehem ent verte idig te Idee d e r Wahr-
heit d es Kun stwerks im G egensatz zur Lüge d es bloß ästh etisie rte n Leb e ns d es Au ge n-
blicks, wi eSwann es führt. A ll di e >> mois dive rs qui m eurenr su ccess ivem e nt e n n o us<<
(IV, 476), sie sind nicht verloren , sond ern aufge hoben in d er Ze it. Erst das Kun stwe rk
- aber auch d as ln clividuum, das es erfährt - üb erwind et d ie ;isth etisierte Zeit, um di e
Schönh eit ihres Vergehens selbst zu ergründ en, w ie Vimeuil in d e n Ve rwandlun ge n
130 I V. Ä HNLI C H KEIT IM A U STA U SC H VO N •CO NTEN A N T< UND •CO NTENU < 3. DER GE LI EH EN E BLI CK D ER ROMA N UN D D I E ARTS DECORATIF S 131

Erzählers di e mikroskop ischen Lin eature n und Linie nbeschre ibunge n , d a nk d e re n ist in Prousts Ekph ras is sch o n a ngelegt. Di e Bilder schweben zwischen D enuration
Ordn un g d er Leser kein eswegs d en E indruck ha t, di e Bild e r lösten sich in b eli e bi ge und Konn o tation ; sie eie noti e re n paradox di e Konnotati o n; sie sind di a phan . Ihre be-
Farbwerte auf. Nähert sich d er Land schaftsausbli ck oft e in e m Ge m ~ilde an, so im Port stimmte Entgre nzungge hr w eit üb er d e n Impress ionismus hinaus- ja, w ird zum Bild
de Carquethuit nun das Ge mälde ein em solch en Au sbli c k, ge nauer ein e r Kraft d e r vo n Prousts eigenem Ähnli chke itss inn -, hat ihn aber hi sto risch und , mir Bli ck auf
wandelbaren Kontur doppeldeutig verwi sch ende n l~e rn s i c hL D er Sicht d es sch e inb a r Prousts Ku n srkririken, tex tge n e ri sch zur Voraussetzun g. Dass d er m alerische Impres-
Nahen wird mi sstraut: Der E rz~ihl e r zieht d em »mi croscope« das >>telescope<< vor - sio ni smus ni cht mode llhaftfür Pro usts Schreiben ist , zeigen di e Remini szenzen an Art
no uvea u und Symbolismus - es g ibt in d er Recherche kein e Kun stgesc hi chte, di e ni chr
>> pour apercevoir d es choses, t res petites en effet, m a is parce qu'ell es eta ie nt s iruees a vo n d e r Sprache übe rw und e n wiire. Denn di e allseits beobach tete m eton ymische
un e grande dista nce, er qui etaient chacune un m o nd e<< (IV, GI S) . zweite E b e ne ein er Beschreibun g trans po nie rt jed es optische Bild ins Sprachbild, un d
was immer daran d e r E rinn erun g zuzuschre iben sein mag, wird aufgeze hrt durch di e
Und sogehr auch d er Leser unwillkürli ch vo r. Se in e Le ktüre wäre di e e rwähnte >>Ca isse O rnam e ntalisie rung, Geo m e trisierun g und kunsthistorische Konstell ation, also je-
d e resonance<<, von der Proust im Vorwort zur Bible d'Amiens spri cht, in d e r d as Gele- nen a bstra hi erenden Ve rg le ic hse ben en , in d enen sich di e Besch reibun gs miniaturen
sene mnemonisch wied erh all t. D e r Leser kann ga r ni cht anders, al s selbst e in geis ti ges im Dialog mir andere n ästh etisch en Formen als Sprachkun stwerke offenbaren und
>> telesco pe<< zu verwenden, um di e weit verstreuten di a phan e n Bild e r wie au c h a ll e üb - damit d en Lese r in d en Produktionsprozess d er imageri e invo lviere n. Inn erhalb di e-
ri ge n Strukturen in Bezi ehun g zueinand er zu seh en. Di e Verf:1hren d er >> ecriture<< und se r poetischen Universalm ero nymi e sind di e Bild er das E rgebnis ein er Verwandlun g,
d er >> lecture<< stecken sich wechselseitig an , h alten e in a nd er im Schweb ez usta nd , und ein es Übersetzungskre isla u fs vo m refe renti ell en (e twa d er G lassc heibe) ins fikti o nale
das Buch wird tats;ichlich zum Buch d es Lesers als »lecteur d e so i-m em e<<, d e nn e r O bj ekt ei n es G lasbildes, in d esse n Verl auf di e prozess uale Amalgamierung oder >>S U-
muss selbst im jeweili ge n Bild di e Ähnl ichke it als G rund laae
0
d e r S pracl1'>esta
. 0
lt v irtue ll pe rposition << , d. h. di e Angle ichun g d er Differenze n von Rahm e n und lnn enbild, von
mitvollziehen , und er muss di e ve rstreuten Bild er selbst zur >> tapi sseri e<< ve rknüpfe n , •contenan t< und >conte nu <, von fili g ran er Detailstruktur und roman eske r »tapisseri e<<
um jenes >> tabl ea u continu << zu erh alten, das- im Leb e n d es Erzählers wie im Lektüre- zum s prach li chen Unikat di ese r »proj ection d e Ia m ani ere d e voir<< - nicht m ehr nur
Leben d es Lesers- all ein di e >>quatri em e dime nsio n etant le Te mps<< , also di e Ze it, Elstirs, so nde rn nunm ehr Prousts- vollzogen wird.
stiftet.
Vorbereitet wird di ese allseiti ge Metonymi e durc h Elstirs Lektion . Oi e >>S up e rp o s i-
ti o n << (11, 214, 439, 111 , 577), di e m etaphori sch e M ehran sichtigke it d er E lstirsch e n »Jardins dans une tasse de the« (das Japonisierende)
Bild er, bringt di e verschi ed enen >> mond es<< in ein auszubalan ciere nd es G le ic h ge-
w icht, das gegebenenfalls nur im >> in stanta ne<< ex isti e re n kann .351 Dah e r g ilt es, d e n >>Qucl pays de ve rdun:: er d'o mbrc, ce Ja po n, quel Eden inarrendu 1«
353
Augenblick ins Bi ld zu bann en, wie d er E rz;i hle r selbst di e Mutte r in di e architek- l'ien·c Lori, i\1/ada/1/e Chi]'Iflnthi:me
ton ische venezianische Preziose einschachtelt. Gege nläufi g zur Ve rkünstli chun g d e r
Na tur sprin gt in d er Padua-Episode (Kap. lV. 2) d as >giottesl<e< Bild ge rad e d es h alb >>J'ai idce quc cc Japon cs r prodigieux.«
au f di e >> femm e d e chambre<< übe r, we il hi e r im Fa ll d es Freskos d e r Ra hm e n fe hl t Marccl l'ro usr (C r, IV, 50).
I
und di e Z imm erfrau vo r d en außerd em in Sichthöh e a n 0crel egre n Darsrellun 0ae n in
ein er ahnun gslosen Ca mouflage prom eni ert. - Hi er he rrscht O smose, Diaph a nitiir
und Durchlässgikeit, kurz poetische Kontamination d es Einen mit d em And e re n W ie di e Wahrnehmung d e r Natur durch di e Assoz ia tio n mit Ku nst ge pr;igt wird, ze i-
im physio logisch en Austaus ch und in d er Emg rcnzung von >Co nte nant< und >Co nte- ge n besond e rs e indrückli c h di e ja poni siere nde n ß eschreibun gs bi ld er. Welche Roll e
nu <, vo n Rahm en und Bild, von Kun st und Leb en , und se i es nur für ein en Au oe o
n- d e r Japanismu s in sgesa mt in d er Recherche s pi elt, lässt sich schon an eini gen äußer-
352
bli ck, d er im Beschreibun gs kun stwerk gleic hwo hl dau e rhaft e ingeri chte t w ird. Das li chen Hinwe ise n ab lesen. Oderres Appartem ent in d er Ru e Perouse, um nur di eses
impressio nistische Aufbrechen der D emarkationslinie und d e r Kontur dyn am isie rt Beispie l anzuführe n, ist im Roman d e r fernöstliche Raum schlechthin (1 , 2 1Gf.). Eine
d en Sehprozess, indem di e Objekte in d er Fa rb e mitein and e r in Be rührun g ge ra ren. >> lam erne japonaise« beleuc hte t dort d ie rnir fernöstli ch en Sto ffe n behängten W iinde;
Darüber hinaus kann ein Bild w ie d er >>jet d 'eau << zug le ich stati sch und d ynami sch >>Cac h e- pots d e C hin e<< und »pori ch es d e C hine<< , Parave nts, Fächer, Kisse n aus japa-
se in, als festge haltener >> insrantan e<< im W echselspiel se in e r Korres ponde nze n. Oie ni sc he r Seide, echre und künstli che C hrysa nth em en und Ca teleyas schmücken d e n
Unabsc hli e f~barke it so lch er Reso nanzen , wie sie di e Passage n, e twa di e >> Psych e« zeig t, Salon, in d e m Od erre in ein er >> ro be d e charnbre d e so ie rase<< ode r in ein em >> peig noir
132 IV. Ä H NL I CHKE IT IM A U STA U SCH V O I~ •CO N TE N A N T< UN D •CO N TE N U < 3. DER GE LI EHE N E BL ICK: DER ROMAN U N D DIE ARTS DECORATI FS 133

d e crepe d e C hin e m auve« oder auch in ein er >>rob e d e ch a mbre d e c rep e d e C hine , ke ir fä hrt Prousr fo rr, das Bild d e r blüh e nd e n A p fe lbäum e noch weite r in japo ni sie-
354
bl an che co mme Ia premi ere neige« (1 , 584) Swa nn d e n T ee serviert. re nde r M ani e r zu rh y rhmi sie ren , indem di e So nn ensrrahl en auf d e m >>a rri e re- pl a n <<
N icht ga nz so o ffenkundi g w ie in d en Schild erun ge n di eser noch recht modege- ein Zebra muster erge b en und di e Bii urn e mi r e in em girrera rri gen Ne rz zu umfasse n
schi chrli ch gebunden en Accessoires d es Ro m an s und se in er Din gw elt ve rlült es sich sch eine n - a u ch di es ein Hin weis au f jap a ni sch e Kun sr. 356 N ur noch di e M eisen
355
mir d en abstrahi erenden Beschreibungs fo rm en d e r W ahrn ehmung . D enn in d e r e rinn ern in d em Bild an di e Lebe ndi gkeit di ese r Na rur, wä hrend w ied e rum ge ra-
W ahrn ehmun gss prac he ist d er »effer japo ni sa nt<< bis in di e Satzstruktur ein gedrun ge n . d e di e Vögel in e in e r im Boi s d e Bo ul ogn e a nges ied elten Sze ne e in Kake m o no vo n
57
Hi er isr di e Bildli chkeir d er Sprache ni cht liin ge r mit m odisch en E tiketten ve rseh e n Hokusa i evozi e ren (» les o iseau x se mbl a ie nr peinrs co mm e d a ns un kake m o n o<</
w ie im m o ndä nen Zeich ensystem d er Rob en O d erres o d er O ri a n es, hi e r li egt es ni ch r ll , 12 14 ): Kün stli chke it und N a t ürli c hkeit sind ni ch t Lin ge r Gege ns;ir:z.e, und so
kann es von ein e m Baum h e i(~e n , e r se i >> d eco ra rif er narurel « zugle ich.
358
im Interesse d es Au ro rs, d en Japani smus o ffenzulegen , vi elm ehr z ieht e r d as A n spi e- So w ie di e
lun gsh afte, Suggestive vo r. D er Höh epunkt d er Japan-M o d e li egt zu Beginn d er A b - ja pani sch e n Ze ic hn e r durch Fo rmalisierun g d er Na rur, d. h. durch ihre O rn a rn en -
fass un g d es Rom ans immerhin b ereits zwa nzig Jahre zurü ck. De r modegeschi c htli ch e rali sierun g , e in e n m edi tat iven Z usta nd von R uh e und o n ro log isc her H arm o ni e er-
Japa nismus d er Recherche, d er d er Ze it vo n Un amour de Swa nn sein ep och e n sp ezi- ze uge n , so b eschreibe au ch Pro u st b ereits in j ean Srmteu il di e sich A ~i c hi g a ne in and er
fi sch es Ko lorit ve rl eiht, ist vo n d em poerologische n Jap a nismus zu untersch e id e n , u m. vo rb eischi eb e nd en Berggipfel als »co lossal m a is ca lm e<< - sta rr d en Held e n im To pos
d en es im Fo lge nden vo rra ngig geht. d es Erhab en e n zu erg re ifen , ve rkl ein en sich d as Na rurscha uspi el zur Fern sicht sich
ln d er Regel kündi gt im Ro man ein kun srgesc hi chrli ch e r Ve rwe is e in e W ah r- abze ichn e nd e r (G letsch e r-) Lini en :
nehmun g a n, di e no ch im E rinn e rn ein en b eso nde re n G lü cksge h a lt tra n s p o rti e re.
Selbst we nn di e Verknüpfun g sprach ge macht ist, w ird d e m Leser auf di ese We ise >>J ea n vit, co mm e au co mm en cem ent du m o nd e apres un combat d e di eux, ro u tes
signalisiert , d ass di e Impress io n für d e n E rinn e rnd en b eso nde re n W e rt b es itz t. E in !es chaln es d es A lpes qui s' in srall a ienr, ch acun e cherchant sa pl ace, un au t re pi c
gu tes Beispi el dafür und ein ex pli zit ja po ni siere nd es Sprac hbild ist d e r b esc hri e- ve n anr un insta nr se dresser, co lossal m a is calm e, er enrre ell es, d es va ll ees si !arges
b en e Bli ck hin zu d en blüh end en Balbece r Apfel b ä um e n, di e sich in ihre m »Sat in er si p ro fo ndes qu e d u h aut d e Ia c im e m ajes ru eu se et blanch e o n n'y aura it pas
rose<< vo r d e m Himm el als ein em »a rri e re- pl a n d 'es ra mpe japo n a ise<< p e rs p e kti v lo s distin gu e un h o mm e. Le so leil [ ... j re nd ait eblo ui ssanrs !es glacie rs d e leurs cimes
abze ichn en , so d ass di eses Bild ni cht nur exot isch , so nd e rn kün srli ch w irkt (>>ava ir et !es fo rmidabl es cascad es qui en rornba ienr avec un ec roul ern en t d e to nn erre, m ais
artifi ciell em ent crcO:e cette bea u re viva n te<< , lU, 177 f) . W iih re nd d e r H eld z u l l·ii n en co mm e au se in d e ce ca lm e p ro fo nd qui regn e sur !es so mm ersa u bo rddes abim es<<
ge rührt ist, h eiß t es vo n Albertin e, d ass sie sich in Balbec sehr la n gwe ilt: d e r ja p on i- (J S, 376).
sierend e Bli ck signali siert ein glü ckli che res , re ich e res W a hrn e hm en, d as d e n Held en
als zukünfri ge n Ro m an cier gege nübe r A lbe rein e au sze ichn et, und d as so mit a u c h ln Sodo me et Comorrhe sc hli e f~ ! ich w ird di e N atur noch d eutli cher im O rn am en t srill -
zu d er Wahrn ehmun gs lehre ziihlr, di e mir d e m H el d a u c h d e r Lese r als »lecte ur ges tellt und fi xie rt: das Mee r als »em a il << , >> d ess in e po ur to uj o urs<< und >> imm o bili se<<
d e so i-m em e<< durchl aufen kann , sta tt sich , w ie A lbe rtin e, zu la n gwe il e n. Was d e n zum >> tabl ea w<; W o rte w ie >>con ce n rriqu e<<, >> d echiqu erage<<, »O ndul at io n << und >>co n-
H eld en zu l l·ä nen rührt, ist di e E ntd eckun g, d ass di e Biium e b e i all e r sch e inba re n ro urn er<< ergeb en ein e Sem a nrik geo m etri scher Fo rm ali sierun g:
Kün srli chkeir, also rrorz d es >>effer d 'a rr raffin e« n a türli ch und w irkli c h sind . Dab e i
ge h r es Pro ust ni cht um di ese n bl o ß en vi sue ll e n EfFe kt. De nn , we nn g le ic h un au s- >>De Ia ha ureur oü no us erion s d eja, Ia m er n'appa ra issa ir plus, ain si qu e de Balbec,
ges prochen , bed eutet di ese Koex istenz vo n Kun st und N atur, d ass di e küns tl e risc h e pareill e au x o ndul a ri o ns d e m o ntagn es so ul evees, mais au co nrraire, co mm e appa-
Um setzun g nichr kün srli cher und au ch ni c ht we ni ge r w irklich ist a ls d as n a rürli - ralr d ' un pi c, o u d ' un e ro ute qui co n to urn e Ia m o nra gne, un glac ier bleu<lr re, o u
che Vo rbild . And ers als Hu ys m a ns' H eld Des Esse intes , d esse n narürli ch e Blumen un e pla in e ebl o ui ssante, situ es a un e rn o indre alrirude. Le d echiqu erage d es rem o us
di e kün srli chen imiti ere n so ll en , ge ht es Pro ust ni c ht um d e n E ffe kt d es täu sch e nd y se mblait immo bilise et avoir d ess in e po ur to uj o urs leur cerd es co ncenrriqu es
Ec hten od er tä uschend l~a l sch e n , sond ern um di e W ahrhafti gke it se in es Seh e n s . Ob- [ . . . J<< (Ill, 289 f) .
wo hl d er typi sch japani sch e H o lzschnirr , mir d e m d e r e inze ln e Au sbli c k ve rg li c h en
w ird , als Ga rrun g mi r Stili sierun g, Geo m erri sierun g und O rn a m e nta li sie run g ope- Pro usts Verfahren d e r jap o ni sierend en O rn am entalisierun g ist im Z usa mm enh an g
ri e rr , ist er in di ese r absrrakren D a rstellun gs fo rm ni cht künstli ch e r a ls di e Natur mir sein en Gall e-Va riati o n en zu sehe n , d e nn ge rad e Ga lle hat sich w ie kein a nderer in
selbst, d enn so nst w ürde ni cht ge rad e di e N arur se lbst di e Assoz ia ti o n h e rvo rru fe n . d en Arrs d eco ra rifs d em japanisch en O rn am ent ve rschrieben. D ieses Verfahren n ~ihrt
W ie zur De m o nst rati o n di eser enrd eckten Ä hnli c hke it vo n Natur und K ün stli ch - sich aber au ch aus lyrische n Q u ell en. Pro usr kannte etwa M o nresqui o us Vers :
134 IV. ÄHNLIC H KE IT IM A U STAUSC H VON >CO N TE N ANT< UND >CONTE NU < 3. DER GELIE H EN E BLICK: DER ROMAN UN D DIE ARTS DECORAT I FS 135

>>Ne m e co mm andez pas d e grand Paul Vero nese, N i d es marin es oü tiendrait le cap allein d er Modus d e r Wahrn ehmung ist von Belang; er allein (nicht das Motiv) ist
Frehel I J'aime mieux rever ma peinture ja pon a ise, Oü tour esr irreel [ ... ].</ 59 ve r;inderbar, e rl ernb a r und in Sprac he e rfahrba r - kurz ein Ausdruck d es Ich in se i-
nen >>etars qui se succed ent e n moi <<. Da das Ich in Prousts Verst~indnis auf Id entität,
O ie D o ppeldenotation d er Landschaft als Natur und Kunstwerk und di e daran er- also Kontiguität angewiesen ist, richte t sich d er Bli ck natürlich erweise auf das Ähn-
kennbare Lust am Irrealen ze igt sich im Zeich en Japans schon an satzwe ise b e i Pi e n·e li ch e im Fremden, auf Al1eignung und Amalga rni erun g statt auf Subversion. Di es ist
Lori. Äußerst gelungen ist etwa d essen m eto nymi sche Ve rknüp fung vo n Z ikade n ge- selbst b ei Lori als aktivem Reisenden zu beo bac hten , wie di e zitierte Metonymie zeigt.
sang und raschelndem Krista ll: Nicht um das Japani sche, so nde rn um das Japonisiere nde ge hr es letztli ch Proust und
a uch Lori, also um ein e, wie d er Begriff nah e legt, Bereicherung fran zös ischer Kun st
>>o n l'entendait, so nore, in cessa nr, dou cem e nt m o noton e co mm e Ia chure d ' un e durch e in e ebe nso französisch- europ;ii sch e Sicht auf fe rnöstli che Fo rm ens prache.
360
cascad e d e cristak Der >>bibelot<<- halb Kun st , ha lb persönli cher Gege nstand im Interi eur - isr in sei-
nem kl eineren Maßstab pr;ides tini ert für eine Verfeinerung d er Wahrnehmung. Di e
Schon wegen d es großen Erfolgs von M adame Chrysantheme ist der EinAu sse in e r Be- papi erne Welt, wie sie d er japa nische Kakemono entw irft, ve rknüpft bereits im Initi -
6 albild d es Erinnerungsromans das imaginäre Co mbray mit d en Buchseiren , aus d ene n
schreibun g wie der folgenden auf di e Autoren d er Ze ir nicht zu untersclü cze n / ' 1n

d er ein Landschaftsa usblick ein er japa nische n Lacka rbe it angen:ihert w ird : es fortan erwächst. H e if~t es do ch a m End e d er Made leine-Episod e:

>>To ure ce rte nat ure ex ub erante er fra ic he po rra ir e n ell e-m em e une etran gere ja- >>Er co mm e dan s ce jeu o ü les Japon ais s'a musenr a rremper dans un bol d e porce-
ponaise; cela res idair d ans je n e sa is quoi d e bizarre qu'ava ie nt les cim es d es m o n - lain e rempli d 'eau, d e petits morceau x d e papier jusqu e- la indisrin cts qui, a pein e
ragnes et, si l'o n peur dire, dan s l'in v ra ise mblan ce d e cerrain es choses trop jo lies . y so nr- ils p longes s'erirent, se co nrourn enr, se colo renr, se differencie nt, d ev ienn ent
Des arbres s' arrangeaient en bouquets, avec Ia m e m e precieuse qu e sur Ies plateaux d es Aeurs, des maiso n s [ . .. ]<< (I , 47),
d e laqu e. O e grands roch ers surgissa ienr tout d ebout, dan s d es poses exage rees, a
c6 re d e mamelons aux form es dou ces , co uve rrs d e pelouses rendres : d es ele m e nrs bis sich schli eß li ch ga nz Co mbray aus d e n Papi erku geln entfaltet wie d er eine ga n-
36 1
d isparares d e paysage se rrouvai en r rappro ch es, co m m e dan s Ies si res a rri ficiel s. <<362 ze E rinn erun gswelt transportie rende Gesc hmack d e r in Tee geta uchten M ad elein e. .
Japoni sierend ist hie r ni cht nur d er kl einere M aßsta b d er Papi e rwelt und di e Tee-
Während Lo ri di e >> invrai se mblan ce<< di eses In e inand e r vo n Kunst und Natur n oc h ze remoni e a ls Ini t iat ion und Rahm e nhandlun g d er folge nd en T;wsendundein Erz;ih-
glaubr erkl ären zu müssen, >Setzt< Proust sie e infach, und d er Leser und Betrachte r lun ge n , a ls di e sich d er Roman lesen li ef~e. 365 Ja ponisierend ist, wie sich di e so fra n-
etwa des Port de Carquethuit, abe r d emli ch e r noch be i d e n G lasbildern und >> mari - zös ische Madel ein e in japani sche Nahrun g ve rwand elt, als d ere n C harakteristikum
nes<< , muss di e Amalga mi erun g durch Ähnlichkeit mirvollführe n , o hn e d ass d e r Autor Roland Barrhes ge rad e di e AuAösbarke ir bene nnt, ge nauer ihr >>Sys tem zurückgenom-
366
di ese sel bst no ch als >>e tran ge<< und >> bizarre<< ausge ben würde wi e hi er Lori . Wie sp~ire r mener Sto ffli chkeit<<, das sich in ein em >>Beben d es Signifikanten<< m a nifesriert . Die-
Pro usrs Held durch Gall e oder Mon er, lernt Lori s Erz;ihler üb e r di e japanisch en >> bi - se E ntsto ffli chun g d er M adel eine im Ze ich en von Speise, Weibli chkeit und E rotik,
belo ts<< di e fernöstl iche Landschaft zu li ebe n , da sie auf di ese W eise, wie das >> bibe lot<< di e ihr als >>Ca rrefo ur<<-B ild das ri es ige Konste ll at ionsverm ögen ersr ve rl eih t, wurde in
Kapitel ll.2 als Effekt d e r Ornamentalisierun g und Stilisierun g beschri eben . Nun isr
/ im Interi eur, erwas Vertrames erlült: >>j e m e sens e ntre en p le in dans ce pe rir rn o nd e
im ag in e, artificiel, qu e je co nn aissai s d eja par les peineures d es laqu es e r d es p o rce- ersic htli ch, d ass di e Madel ein e-Episod e a uc h einen »effet japo nisa nt<< w ihren Kon-
lain es<<, so Loris Erzäh ler. 363 Auch von Prousts Naturschild e run ge n wurde we ite r obe n sr iw ante n zii hlt, d er sich aus d e r fernöstl iche n Ko ch- , Ga rte n-, Papi er- und Porzel-
gesagt, dass sie ge rn aus d em Schutz d es Interi eurs he raus b eschri eb en werden. (A u c h la nkun st speist. D e n Phänomene n di eses Ama lga m s ist stets d er kl ein ere Maßstab,
das Automobi l isr ein e Arr Interi eur.) Das Fre mde, Exo tisch e wird zum Dekorative n d. h. di e Präzi sion im infinites imal Kle ine n als Spiegelun g d es onto logisch G roßen
geglättet; ni e entgleitet der wahrnehmende Bli ck vö llig aus d e r pariseri sch en Leb e ns- ge m einsam (der Ga rten als Miniatur d es Kosmos, di e Nahrung als Teil d es Lebe ns-
welt, d eren Bewo hn er wie Pro usr und hie r Lori schon all es als Mod e oder Ex pon ate kreislaufs, di e Puppenstube als Abbi ld d er Gesellschaft, erc.) . Mir sein er Parol e vo m
kenn en. Vor all em Proust als d em nur imag inär Reise nde n ge ht es ni cht um d as eth - >>Be ben d es Signifikanten<< bar Barrhes di e Verweisstruktur di eser rituell en Ähn lich-
nograp hisch Unbekannte, nicht um Konfrontation mit d e m Fremden, so nd e rn um keit vo n Mikro- und M.akrokosmos pr:ignanr gefasst. Proust, d em di ese Korrespon-
ein e Verfeinerung und Bereicherun g d e r Wah rn ehmung. D e ren Gege nsta nd kann d a- d enzstrukwre n japanischer Form ensprac he nicht entga nge n sind, überl egte soga r, d en
bei so ubiquirii r sein wie d er Ausb li ck aus d em imm ergle ich e n Hotelfe nster in Ba lbec: ersten Band se in es Romans ni cht Du Cote de chez Swrznn so nd ern jmdins dans une
136 IV. ÄHNLICHKE IT IM AUSTAUSCH VON >CONTE N ANT< UND >CO NTE NU< 3 . DER GELIEHENE BLICK: DER ROMAN UND D I E AR T S DECORAT I FS 137

tasse de thi zu nenn en. 367 Wie Luc Fraisse aus d er Korrespondenz h e rausa rbe itet, wa r Fa rbnuance n) ist das Ewige (» l' in fini<<); d as Sta ti sche d agege n (d ie fesrh~ingenden See-
Proust für d ie sich in Blumen verwandelnd en Papie rco mprim es sehr empfänglich , se it rosen) ist das Flü chti ge (»le fu g iri f<< irn Wec hsel vo n Blühen und Vergehen) und v ice
368
er sie um 1904 zum ersten Mal von Mari e Nordlinger zum Gesc h enk erhielt. Das versa . D as »le plus profond<< - so wä re di e Pointe d es Bil des zu verstehen -verbindet
Im aginarium aus Papi er, dass di e Recherche bu chst;ibli ch ist, b es itzt im Sp iel d er P a- sich im »accord << mit d ern »plus fug irif<< zum »infini << d ieses ein en kostbaren Augen-
pi erku geln ein es ihrer treffendsten Bilder. Hi eran etwa Lisst sich erkenne n , d ass Pro u st bli cks im imm e rwährenden (Sprach-) Bild.
den Japanismus ni cht als Mode, no ch dazu als län gs t vergangene, oder als exotisches Die Augenblickli chkeit mag d e n >wes tli chen <, te nd enzi ell impress io nistischen Z ug
Kolorit gebrau cht w ie im Finde siec le Lori oder Montesqui o u, so nd ern ihn vielme hr di eses Beschre ibun gsbi ldes begün sti ge n . Oie Doppelun g von Augenb li ckli chkeit und
in s Romangan ze einarbeitet, aus d em sich die japonisie re nd en Detai ls nicht länger Ew igke it, von Bewegun g und Stillstand dagege n verweist auF japa nische Vorbild e r
einzeln herauslösen lassen. 369 (bzw. d e ren japonisierende Nachfo lger).m Auch di e Schm etterlinge, di ese G lü cks-
Gerade in d er Beschreibung von Wasse r, niimli ch auf d en Seiten übe r di e Vi vo nn e, brin ge r und »taumelnde n Begleite r d es Lebensweges«,m fe hl en in Prousrs Bil d nicht
scheint sich der Autor d er erwähnten japa nische n Papi erwelt erinn ert zu habe n , bi s und sind hi er schon zu rein e n Id een abstrahiert (»des pensees qui etai ent venues poser
sich di e sch einbar so fran zös isch e Co mbrayer Landschaft in e in e n japanisch e n Z ie r- co mm e d es papillons leurs ai les bl euih res et glacees<<). U nd in d e r 1 :u ist kurz dana ch ,
ga rten verwandelt, ohne dass di eser Vergleich no ch ausd rü cklic h h ergestellt werden ;i ug erli ch an e in e m Rude re r fes tge m ac ht, d er sein Boot in de r Strömun g tre iben !;iss t,
müss te. Das einl eitend e Bi ld zu d en Vivonne-Besc hreibun ge n ist entsprech end e in vo m »ava nt-go ür du bonh eur e rde Ia pai x<< di e Rede (I, 168). Dam it ist w ied er d er
375
Seerosenblatt, das in se in en von d er St römung rh ythmi sierten Fa lrun ge n von »se m editative Gestu s d es japa ni sch en Zeichn ens, Ma iens und Schre ibens präsent.
depli er<< und >>Se replier<< an di e Papierkugeln erinn ert (I, 166). Erwähnung find e t a n - Sc hli e f~ ! ich lässt sich beo bachten , dass Proust di e Beschreibung d er V ivonne wie ein
schließend ein ga nzer Seerosen park, d en ein Li ebhaber d er Garrenkunst a n gelegt un d ja panisch es Mono-Bu ch strukturi ert hat. Es ha ndelt sich zumind est um ein e Sa mm-
für alle Bes ucher geö ffn et habe (eine Ansp ielung an Monets japanisch en Ga rte n in lun g von >contenus<, d . h. hi er ge rad ez u mon oarti ge n 376 Einzelm otive n (bestimm-
370
G ivern y) . Oie Beziehun g d es japon isierenden Ga rten s an der Vivonne zu d e n Pa- te Seerosen, Gärten, d er Schm errerlin g , d er Rudere r, d er Karpfen , di e Karaffen d er
pi erku gelmini aturen liegt umso n ~ih e r, als ja auch d er trad itionelle japanisch e Ga rre n , Vivonn e, etc. ) im >CO nte nant< und Rahmen d es Vivonn e-Verlaufs. So setzen di e Ab-
d er di e Nat ur in kl ein erem Maf~s tab abbilde t, letztli ch a ls Miniatur d es onto logischen schnitte im Text jeweils mit ein e rn eue n Flu ss bi egung e in, a ls jeweils neuem Ausb li ck ,
Ga nzen zu verstehen ist, wie schon a nged eutet wurde. 371 Hi er klin ge n zud e m w ied e r etwa »Bi ent6t le co urs d e Ia Vivonne s'obs rru e d e plantes d 'eau << , dann »Mais plus loin
di e »ja rdin s d ans un e tasse d e the« a n. Das ri efe Bl au d es Wassers wird soga r exp liz it le co urant se rale ntit<< oder auc h »A u so rt ir d e ce parc, Ia Vivonn e red ev ient co urante<<.
als >>go Ctt japonais<< gewertet (I , 167) . Nun ersch eint di e OberRäche d e r Vivonne e rst Oie Sprache se lbst wird a lso in ihre r St ruk tur ornamental rhythmisiert und geo rdn et.
recht als ornamentales Gartenkunstwerk, d enn di e See rosen verknüpfen sich zu nur Imm er ande rs, do ch imm er di eselbe, 377 so präse nti ert sich die Vivonne wie auch d er
scheinbar zufälli ge n >>guirl andes denouees<<, di e d e n Erz;ih ler zugle ich an di e ,,fetes Erzä hl ges rus, d er ste ts zu ihren Verläufen zurückkehrt, wenn er di e japonisierend en
ga lantes<< Watteaus erinn ern; di e PRanzen wirken fe in er gefa ltet als gewöhnli ch (»p lus Bi ld funde quasi an d en Ufern eingesa mm elt h at. So mit setzt sich das Strö m en d er
grenues, plus plissees<<) und hän ge n in »enroul em e nts g rac ieu x<< a ne inander. Oie Blu - Vivorllle im Text fo rt und kommt auch hi er zu keinem Abschluss, da d er Text die Be-
m engirland en schein en von d er Strömung ge tri eb en zu werden (»flotte r a la d eri ve <<) , wegun g im Rauschen d e r Sprach e un e ndli ch fortführe n kann. Erschein en di e tars;ich -
w~i hre nd sie in Wirkli chkeit an d en Grund geb und en sind. Oi e Be tonun g d es O r- li c he n Quel len d em H e ld en so geheimnisvo ll und un erreichbar w ie d er Eintr itt zur
nam ental en unterstützt d en Eindruck d es Statische n, das mit d em Fließen d es Was- Höll e (I, 169), so ist di e Roman-Quelle d er Vivor111e di e erwii hnre Teetasse, aus d ere n
sers kontrastiert. Das >Co ntenU< , di e fes tgewachse ne n Seerosen, prägt di e Szener ie e r~ t G rund di e Welt von Co mbray aufersteht. Hi e r be reits ist d er Fluss also e in e Vokabel
zum Bi ld, w:ihrend d er >co ntenant<, d as Wasser, ihnen etwas Flüchti ges ve rl e ihr. So d es G lücks. Und so b eigt es au ch spiirer noch, di e V ivonne mache Lust, das Leben
auch im Ganzen: T rO[z d er ständig chang ierend en Li chtve rhältnisse befind et s ic h die an ihren Ufe rn in ein e »S uite d ' heureux ap res- midi << zu ve rwandeln (1, 180), w as zu-
WasseroberRiiche mit d em sich darin spi egelnden 1:-Iirnrnel »toujours e n accord«, in mind es t im lrnag inarium d es Rom ans auch gesc hi eht. Doch an d e r Vivonne entdeckt
ein er Überein stimmung also, di e am Ende bewirkt, dass die Seerosen inmitte n des d er H e ld au ch di e erwähn ren »etats qu i se su cced en r en moi << (I, 181), jene schein bar
Himmel s zu blüh en sch ein en. 372 Wie im zuvor h eran gezoge n en Bild formt d e r Hin - vo n einand e r gerrennten Bew usstse inszustände, di e erst d er E rzii hl er als Kontinuum
tergrund einen »arriere-p lan d 'estompe japonaise<<, we il sich hi e r Himmel und Was- beg reife n ka nn, we il sie nur in d e r Rü cks ch a u d er Erinne run g di e Konri guitiit erh al-
ser, al so d er ganze dreidim ensiona le Raum, im »acco rd << zu ein e r Ebene zusam m e n - ten, di e di e Vivonn e hi er sc hon symbolisiert. Wie di e un endli ch fortserzba ren Ansich-
zieht, in der zudem alles in Bewegung sch eint (» flott er a Ia d erive<< ) und doc h auch ten Hoi<Usa is s pi egeln die »etats qui ~e succed e nt en rnoi << d e n F luss d es Lebens, d en
srill steht. Das Flüchti ge, Strö m end e (das Wasse r, d e r chang ie rend e Himmel in sein e n n ac h fernöstli c he r Vo rstellun g d e r Zen -Me ister ersr im Akt d es Schre ibens und Zeich-
138 IV. Ä HNLICHKEI T IM A U STA U SC H VON >CO N TE N A N T • UND >CONTENU • 3. DER GE LI EH ENE BLICK : DER ROMA N UND DIE AR TS DECORATI FS 139

nens als ga nzb eidi ch erfasst (vgl. Anm. 378). »Parfois ce morceau d e paysage a m e- E in ze lbild e rsche int d abe i als Fragm ent eines g röße re n Zusammenhangs. Was so l-
81
ne a insi jusqu'a aujou rd' hui se d erache si iso le d e tout, qu' il Aone incerrain d a ns ma c he rarr übe r Van Gogh, Bonnard ode r Vuillard gesagt worden ist/ läss t sic h in
pensee co mm e un e Delos Aeurie« (1, 182), e rk liirt hi e r noch d e r Erzi hl e r, d e r dan k best immte r W e ise auc h hier w ied erfinden. D e nn je d eta illi erte r Pro usr beschre ibt,
d er Mad elein e-Erfahrung zwar schon di e große Max ime d es Romans ausspricht: >>Ia d es to sinnfälliger ist es, das D etail ni cht länger als bloßes Motiv zu seh en, so nd e rn
realite ne se form e que dans Ia memoire« (I, 182), d er aber di e künstl erische Erkennt- a ls he rausgehoben es Mono, das trotz sein er jewe il s besond ere n Stellun g Teil e in es
nis d es »miracl e d e l'a nalogie<< , kurz des durch Sprach e he rzustell e nden >> rapport << d e r imag in ä re n Vivonn e-Ko ntinuurns ist und a ls so lch es begriffe n werden will - e in
verschi ed enen Bew usstseins- und Wahrn ehmun gszustände e rst am Ende d e r Temps Ko nste llationsd e nke n, a uf das d e r Lese r be re its durch die Semantik und Wi ed erho-
retrouvi entd ecken wi rd , wenn er, mit Blick auf die kurz danac h e rwiihnte Vivonn e, lun gsst ruktur d er D e tail s von d e n noch recht m ot ivischen Schm etterlingen bis hin
die Natu r als Lehrerin anerkennt: zu d e n metapoe ti sche n >conre nant<->Co ntenu <-S trukturen hingeführt w ird. >>i: in fini
382
dan s l'inflnires im al<<, so pointi e rt Monresquiou di e japanische Kun st. Di e Bildge-
>> [ ... ] Ia verite ne commencera qu'au m o me nt oi.I l'ecriva in pre ndra cleu x objets clif- genstiinde we rd e n dadurch zu symboli sche n Ausdr ucksträgern und veranschaul ichen
ferenrs, pose ra leur rapport [ ... ] er les enfe rm era dans les anneau x necessa ires d ' un ge rade durc h ihre Ornamenra lisierung und Iso lation d ie Harmoni e und Ganzh eit
beau style. [ . .. ] La nature ne m'ava it-ell e pas mis ell e-meme, a ce point cle vue, sur ni cht nur d es Bildes, so nd ern d er N atur, ja d e r sich d a rin reAekri erend en glü ckli chen
Ia voi e de l'a rr, n'erait-ell e pas comm enceme nt d 'a rt ell e- m e m e [ ... ]? << (IV, 468). Ze it d er Kindh e it übe rhaupr. 383 Imm e r w ied er kommt d er Erzä hl er auf ein Segme nt
d es Flussverlaufs z urü ck, imm er w ied er holt ihn di e natürlich e Lini e ein , di e hi er
D enn nur di e Kunst überdauert die Natur. D ies wi rd d em Leser noch durch e in a n- a ls eige ne r sugges tive r Ausdru c kswert verstand e n werden darf, wi e schon di e >>clair-
deres Bild vo r Auge n geführt: Während d es Erste n W eltkri eges werden di e Brücke n obsc ur<< -Lini e. Dass e in e alltägli c he Szene wie jene Nachmirrage an d er Vi vo nn e bei
über di e Vi vo nne von d en Deutschen zerstö rt und ihre Ufe r verwüstet (IV, 335). 378 rea li sti sch er Wi edergabe au ch di e Harmoni e e in es g rößeren Lebenszusammenhanges
Von der Natur lernt der Erü hl er, im natürli ch gesc hwunge nen Ve rlauf d er Vivonn e spi egeln kann , und zwar im Selbstwert d e r schön e n Lini e, di es ist ge rade ein er d er
ein e ga nze Serie von Nachm ittage n in ein em einzigen Bild zu ve rsammeln. Nicht a n- e ntscheide nd e n E inAüsse japanisc he r Kun st und beso nd ers d er japanischen Tusch-
ders verfährt er im Port de Carquethuit mit se in en viel zu vielen Bilclgegenständ en, nur zeic hnun ge n, m it d em in Eu ropa di e Di chotomi e d e r klassizistisch-naturalistischen
dass dort durch die Situation d er Bildbeschre ibun g der Rea litä tseffekt d es sche inbar und d e r romantisch-a ll ego ri sche n Lini en- und Raum auffassung überwund en wo r-
tatsäc hlich Gesehenen und Beschri ebenen noch stärker fin giert ist. Fraisse ve rweist zu d en ist. 384 Richti g bem e rkt Lu c Frai sse all ge mein zu Prousts Japonismus, dass es sich
Recht auf Hokusais 3 6 Ansichten des Fouziyama, von denen Go ncourt sprichr. 379 Be re its ni cht um willkürli che O rn amentik handl e, so nd e rn d er Japan ismus vi elm ehr e in
Go nco urt nennt di e Darstellun g d er hundert Brücken, die d er Künstle r auf nur e ine m Instrum e nt sei, um di e Bed eutun g e in er Passage für di e Er inn e run g d es E rz~ih l e rs
Bild vereint, ein >> paysage poetique« und bewundert, wie Hokusai seine r Im aginatio n he rvorzuh eben . Als >>eco nomi e d e moye ns<< e rlaube ihm das Japonisie rende, viel zu
rreu geb lieben ist. in der Port cle Carquethuit-Passage d agege n wird d er Antei l d e r Ima- sugge ri e re n und umso we ni ge r wirkli c h zu sage n. 385 Oi e Bilde r haben also, gan z nach
gination zugunsren der spontanen, nicht von Vernunft geleiteten Wahrnehmun g ve r- fe rnöstli c he m Mod ell , ein en gew isse n m editativen Sc hrifrcharakter, d er durch die
nachl äss igt. Dies ist all erdings nur d er Entwicklung d es H elden geschu ldet, d e r durch Sugges tion unzählige r, al so letztli c h ze irl oser glü ckli cher Stunden auch inhaldi ch ge-
Elsrirs Lehre zunächst sehen und erst später, durch Vinteuils Septett, das imag inie re nd e stützt ist. >> l:inflni clan s l' inflnites ima k In di esem Sinn ist das Ströme n d er Vivonn e
/ D enken in Korres pondenzen erl ernt. Verschied ene D etails, die Proust im Port de Car- a n sich e in irisie re nd es Bild in d e r Art d es >> jer d 'ea u« o d e r d e r diaph a nen >> tapisse ri es
quethuit situi ert, find en sieb tatsäch lich in Go ncourts Bildan ga ben , so etwa d as »Orage« de ve rre«, je ner ebenso poeti schen wi e m etapoet ische n Bild er a lso, di e im Wahrn eh-
(B latt 9) in Verbindung mit ein em >> beau ternps<<, 380 Boote, di e sich we nn nicht zur m en w ie im Schreiben, im Fluss d e r Ähn li c hkeir wie im Flu ss d er Worte, ihre Un-
Stadt, so doch zu einer Brü cke verbinden (B latt 2 1) und dive rse Staffagefiguren . absc hli e f.~barke it beton e n . Oi e Vivonn e-Szene ri e n entl edi ge n sich, wi e das Marrin -
Goncourts Erw~ihnung d er hundert Brü cken , die Hokusa i al s mäand e rnd es Sy m- vi ll e- Phiinom en, di e Beschreibung d e r >>c lair-obscur«-Lini e, erc., zun iic hsr jeglicher
bol ei nes imag in ären Spaz ierga ngs vorstellt, führt zu Prousts Vivonn e zurü ck. Vo n Handlun g zugun sre n d e r Beschreibun g kl e inste r Nuan cen d es Naturschauspi els, das
d en Ornamentalis ierun ge n d er einzelne n Inn e nbilder von den Karaffe n bi s zu d e n di e Be findli chk eit ni cht so sehr d es H eld en (was kon ve ntion ell wii re), so nelern d es
Seerosen und Schm ette rlin gen noch ve rstiirkr, strömt di e Vivor1n e mit ihre n rh y th - Schreibenden bzw. Erinn e rnd en m editativ spi egelt. Di e Wa hrn ehmun g d es e igen en
misch wied erkehrenden Verlaufsbeschre ibun gen w ie e in e Arabes ke oder wie di e z i- Ich im Z ustand d es Er inn erns wird auf di ese We ise zur eige ntli che n Handlung.
ti erte >>guirlande<< durch d e n Tex t und ve rw andelt di e im aginierte Landsc haft , w ie N icht nur zieht sich mir di eser Arabeske nform d er Tex t zum sein erseits arabesken
es für d en Japanismus cha rakteristisch ist, in c hi ffri e re nd e Bildvorg~in ge. Jed es Fa irwerk zusammen und d ehnt und sram sich im Rh yt hmu s d er V ivo nne wie im
140 IV. Ä HN LIC H KE IT IM AUSTAUSC H VO N >CO N TE N A NT < UN D •CONTE N U < 4 DIE METAMORP H OSE DES GLE IC H EN 141

Rhythmus des Erinnerns bzw. lmagini erens, sondern er e ntw irft e ine zur Lini e nfo rm nis< zu seh e n, gelin gt es d em Betrachter ni cht, ein e Bil d logik zu erui eren; di e e in zelnen
abstrahierre Landschaft, die sä mtliche glückli chen N ac hmittage d er Kindh eit c hi ffri e re. D etails scheine n sich ni ch t zusa mme nzufüge n : Ve rweisen die At tribme eines m it ei-
Oie Einzelmo t ive stehen ein für di e Mann igfaltigkeit d e r Auge nbli cke und sind d och ne r Schl eife ve rzierten Hutes, eines So nne nschutzes, eines Blume nstrau ßes zun iichsr
Teil d es M andalas/ 86 dieser einen großen gesc hw un ge nen Linie nam ens V ivonn e, 387 a uf ein we ibl iches M o d ell , w id erspreche n d em sogleich die englische Mel o nenfo rm
di e sich transversal durch d en im aginiiren Ra um d er Kindhe it schliingelt und a ls e in d es Hutes, di e kurze n wenn a uch gebausch ten H aare, di e Z iga rerre, das Samtwa ms
>>N il der Sprache« 388 in japo nisierend er Mi ni atur di e Bil d e r am Rand e mit sich führt . d er Kleidung, und zwar imme r so, d ass d as E in e auch d as A nd ere sein könnte, selbst
d as präzise Bi ldd etail a lso bereits in seiner Mik rost ru krur unen tschied en ist. Schlägt
di e Bildlekt üre d es Be n·achre rs fehl , weil sich di e Fragmente ni ch t sinnvoll zusamm en-
schli eß en, erkennt di eser schli eß lich ge rad e in di eser Ambi va lenz die künstl erische
4. die Metamorphose des Gleichen Q ualität vo n Elstirs V isio n. So w ie di eser im Port de Carquethuit nur >> term es marins«
für das La nd und >> ten n es terrest res« für das M eer ve rwe ndet, w ird nun di e scheinbare
das Vegetabile und das Aquatische Gegensiitzli chkeit d es M :innli chen u nd d es Weib lichen in eina ndergeblend er.
Die Recherche als Suche nach lden t iüit (zunächst gleichhin, ob d er d es Schre ibe nde n , D as Po rträt M iJS Sacripant ges taltet Proust zum Po rtr~i t seines eige nen meron yrni -
Erinn ernd en, Li ebenden, etc.) ist auf Komiguiüit a ngew iese n, und versagt do ch jed e r schen , d . h. auf Konri guir~ir ge ri chteten Bildko nzeprs. Elst irs Pinsel - Duktus stell t etwas
Kom iguität d en G eho rsa m , ind em sie sie fo rtwäh rend ve rd ~ic hti g t, nur d e m Wisse n , d ar und stell t es doch zug leich auch anders d ar; Einh eit besteht hi er im Interspatium d er
d er Gewo hnheit, d er gesellschaftlichen O rdnun g geschuldet zu sein . Di ese rota litäre n D inge im Sinne d er überall waltend en »a m iti es particulieres«, die Proust an d er Tech-
Agemu ren zu durchb rechen, macht sich das lch d es Ro mans au f un d hö rt nur au f zwei nik sein es >>lnitia ti o nskünstlers« C hard in bewu ndert (CS B, 379 f:) . C hardin , d er nicht
90
Stim men, d ie d er Kunst und die d er eige ne n Empfind u ng. So sehr sie auc h imm e r die Substan z d er Dinge, so ndern die Art und Weise ihrer W ahrnehmung d arsrellt/
wied er in d ie Irre führen : Im Itinerarium d er Z eit ko nve rg ie ren sie, aus d er Kun ste r- di ent auch a ls Mod ell E lstirs, von d esse n »point d e vue« aus sich die D inge eines Erfa h-
fahrun g w ird di e An alyse ihrer Empfindun g, aus d er Empfindun g w ird d ie Kun st d es run gs raums »poet isch« (II, 224) a ngleichen, indem sie eine Me tam o rphose durchlau-
Schreibens. Kom iguitä t und Differenz: Im G leiche n das D ifferente zu e rke nne n und fen - ausgedrückt in progra mmarischen Begriffen w ie >>transmutation«, >>tleplacernent«,
im D ifferem en d as ÄJ1n li che, um di eses Z iel kreist d ie schre ibe nd ges te ige rte W a h r- >>a!tlmtion« und zeitli che n Z ustä nden w ie >>e nco re«, >> Ie verre ad emi viele<<, »d eFI a d emi «
nehmun g und bedi ent sich dabei d er D enkfigure n wi e d er M eron y mi e, d es Ornam e nrs - und in einem Mirtelzustand d er A ng leichung od er >>a miti e« un d >>alteri erten« >>co n-
od er des >co n tenant<->COn ten u <- Verh ältn isses a ls epistem ische r ln stru m en te. d ensa tio n tra nslucide« (II, 224) zur Schwebe ge brac ht werd en. Schi enen in Miss Sacri-
Das sinnstiftend e Prinzip von >co m enant> und >Conte n u <, w ie es a nh and d e r arabes- pant zunächst alle Bildelem ente in unaufh ebba re D o ppeldeuti gkeite n w dissoziieren, so
ken Rahmen-lnnenbild - Figuration d er Mutte r in d e r >>o g ive« und a nd e re r Be ispi ele lwnvergieren sie tatsäch lich im M odus ihre r Repriisentatio n. Alles ist allem iihnl ich: D as
d emo nstri en w urde, läss t sich zuspitze n an d er Beschre ibung eines m it !l1iss Sacripallt G las d er Vase ist Aüss ig wie das Wasse r, d as es enth ii lt; in d en G löckchen am Revers d er
betitelten Po rträts vo n Elsrir. D er poe tische Effe kt bes ta nd bishe r dara n , dass >co n- Weste reHektieren Li chtstra hl en , d ie d en Stoff d er Kleider d urchwirken w ie die Blum en
tenam<und >comenu <sich Eige nschaften leih en , in ein em t ro mp e- l '~ il , das ni cht nur di e M aterie d er Vase; das Samt d er Weste ist Rausehig und ges triiubr wie di e Nelken;
eine Illusio n vo rtäusch t, sondern ein en neuen Bli ck erö ffn et und >wahrer< ist a ls di e die H altung d es Mod ells scheint arabesk geschlun ge n w ie d ie Blumen; bis schließ li ch
Wahrn ehmun g, die d er Verstand zu sehe n vorgibt. Im Po rträt M iss Srzcripant bes teh t di e Figur nu r a us Blumen u nd Wasse r zu bestehen sche int (II , 205, 2 17, 985). O ie
d as tro mpe- l '~ il , anders als im Port de Crzrquethuit m it seine rn euen Landsch a ftso rd- Ang leichung d es Weibl ichen und d es PH anzlichen (die anhand O d erres in ih re m Salo n
nun g, im d o ppeleieuri ge n Geschl echt d es Mod ell s: scho n auffi el) e rHi h rr im Ku nstwerk e ine Steige run g. Dank d er beso nderen Visio n d es
Künstl ers - einer m ehran sich t ige n (Kap. lll.l ) - vollzieht sich in d er Welr d es Bi ld es
»Le lo ng des li gnes du visage, le sexe avait l'air d 'e tre sur le po int d 'avou e r qu' il e ta ir an ha nd vegetab ile r und o rn a m entaler detaiLs d ie Metamorphose, di e jene Di ch te d er
celui d ' une fi lle un peu garr;:onn iere, s'evano uissa ir, et p lus loin se re t ro u vait, sugge- Ähn li chkeitsbezüge und d a raus das C hangieren d er Bild inform atio n erzeugt.
ram plur6 r l'idee d ' un jeun e effemin e vicieu x er so nge ur, puis fuyait encore, res ta ir Ein e Photographie von N adar vo n 1896, di e Pro ust be i M o nresquiou bewunder-
in sai sissabb (11, 205). re,391 und di e di e C omtesse G reffulh e im ga nzfi g uri ge n Port:riir vo r ein em Spi egel,
Blum en in ein er Vase a rran g ierend , vorstell t, m ag ve ranschauli chen , was Proust im
Was differenr sein müsse, die Geschlechtlichkeit, gleicht sich a n in d e r A mbi va le nz un d Zeic he n vegeta bil er O rnam entik im imagin :iren Po rträt geschehe n läss t (s . Anm. u.
A ndrogyni üi r. 389 Wie im Port de Ctzrquethuit und w ie im Ve rsuch , Albertin e als >Bild- Ta fel 8) .392
142 IV. ÄHNL IC HK EI T IM A U STAUSC H VON >CO NTENANT < UND >CO NTENU < 4 . D I E METAMORPHOSE DES GLE IC HEN 143

Oi e vegerabile Ornamentik ist in diese r eigenwilli ge n (für Nadar e igentli ch un- das Strömende
typischen) Photographi e ein "[)·ansformator de r Wechselbezie hung von >CO nte nant< Das Verhältnis von >Co ntenant< und >Contenw harre Prousr bere its 111 Cornbm)' am
und >co ntenu < und so auch, all erdings programm ati sch, be i Proust. Das Ornam e nt Beispiel de r in di e Viv011ne gerauchten Karaffe n aufgegriffen:
steht im Dienst der >>poetischen Angl eichun g« (ll, 224), di ese r >>alte ration « e ine r
Wahrnehm un g jenseits d es wissend en ode r gewo hnh e its m ~ißi ge n Sehens. Währe nd »)e m'a musa is a regard er !es ca rafes que les ga mins m erraient da ns Ia Vivonne pour
sich in Nadars Photographi e das Arrangem ent d er Kontiguität durch Überdetermi- pre ndre les petits poisso ns, et qui, rempli es par Ia ri viere, oü ell es sont a leur tour
nation der motivischen Bezüge als artifi zielles zu erkenn en gibt, ruht d er Schein d es encloses, a Ia foi s >co ntenant< aux fl a ncs tran spare nrs co mm e un e ea u durc ie, er
Ähn li chen im imaginären Poru;ir Elsrirs noch tiefe r in d e r mal erische n Technik. >contenw plonge dans un plus grand contenant de crisral liquid e et couranr, evo-
quanr er plus irrirante qu'ell es n'eussent fi1 ir sur un e table servie, en n e Ia mon-
,, La chair etait traitee avec tant de cleli catesse, le rega rd brun etait si limpide , !es trant qu' en fuire dan s cerre alliteration perpetuell e entre l'eau san s consisrance OLl
pensees erai ent si veloutees qu e toure la fe mme semblair faire avec de l' ea u et d es les mains ne pouvaienr Ia capter er le verresans fluidire oü le palais ne pourrair e n
fl eurs« (II, 985). jouir« (1, 166, H ervorh ebun g B. G .).

Oi e verwisch end e, aquarellhafte Ausfüh run g bestimmt hier d en aquatischen E indruck. Es e ntsteht ein Di alog zwischen zwei verschieden en Aggregarwsüinden, dem harten
Das blum enartige Wesen der Porträti erte n erklärt sich erst a us d er Schluss fass un g in G las einerse its und d e m flüchtigen Wasser andererseits. D eren Gege nsatz bewirkt im
den Vergleichen des Kleid es mir den Blumen - Proust g ibt einmal Rosen an, d a nn Ruhezustand schon e in e A ngleichun g, inde m durch die Transparenz das Eine als das
zweim al Nelken - di e dorr in ein er nun neu in d en Bi ldra um ein geführte n Vase a r- Andere e rscheint und die Zuordnun g vom >co nre nant< zum G las und vom >co nrenLI<
ran giert sind: zum Wasse r nur d em W issen geschuldet ist. Aber in der Wahrne hmung des Spazier-
gä ngers am Ufer d er Vivonn e wird de r >co ntenant<zum >Co nrenu <- und zwar in eben
»Et le velou rs du veston, brillant et nacre, ava it <;:a er Ia quelque chose d e h eri sse, d e d er M a terie, di e er für gewöhnli ch entlülr. D er Z usa mm enhang gew innt eine völli g
a
eiechiquere erd e velu qui fai sa it pense r l'ebouriffage d es re ill ets dans le vase« (I I, ne ue Perspektive und bl eibt doch auch als solche r bes tehe n - das Differente erscheint
204). im G le ichen-, da di e Karaffen auc h weiterhin Wasser enthalten , das sich jetzt nur in
e in er Art Osmose ni cht m ehr von de m trenn en lässt, was beides enthält, nämli ch dem
Offenbar waren Proust im ersten Entwurf di e Ve rgle ichsmom ente noch ni cht pr;ig- Wasser d er Vivonn e. So ban al das Schauspiel a nmuten könnte: Es ist ein Sinnbild
nanr ge nug. Von der Vase heißt es nun: vo n Prousts Bildprodukri o n, in d er di e refe rentiell e >co nrenanr<->co ntenw-Beziehung
in ein em Spiel di a ph a ner Durchl ;iss ig keir wiederkeh rt. So w ie Elstir in seinem Port de
>> Le verre du po rte- bouquet, a im e pour lu i-meme, ava ir l'a ir d' e nfe rm e r l'eau oü Carquethuit zur Darstellun g des Wassers nur »termes rerres rres«, zu jener des Land es
rrempai ent les riges des re illers, dans qu elque chose d 'a uss i limpid e, presqu e d 'auss i nur »te rm es m a ri ns« verwendet (II, 192 f.) , erscheint hi er das G las, nun also das >Co n-
liquid e qu'elb (Il , 204). te nu <, als verlü rre res Wasser (>>ea u durc ie«), das Wasse r dagege n, der >Co ntenant <, als
flü ss iges K ri stall (>>crista l liquid e er courant«). ln der optischen Illusion beh ält jedes
Nun w irkt di e Figur ni ch t nur wie in blum enartig beschaffenes Sto ffm a te ri al gekle idet Elem ent sein en ursprün g li chen C harakter, der in de r M etamorphose durch de n ihm
/ und wie ve rHüss igr. Das Wasser erscheint vielm ehr als Bildobj ekt selbst und b ehiil t sei- gegens:irzli ch en adjektivisch (>>du rcie«, »liquid e«) ergä nzt wird. Das neue Behiiltni s in-
ne verflüss ige nde, di e Komuren öffnende Funkt ion , ind e m di e Vase, d e r >conrenanr<, d essen kann d en Inhalt ni cht halten - das Wasser würde di e Karaffe untergehen lassen
ebenso liquid und kl ar erscheint wie das Wasser, das >contenw, das di ese e ntlülr und oder fortspülen -, noch kann d er neue Inhalt den Durst löschen. Und doch ist so
mit dem es zu Papier gebracht wurde. Oie Blum en ersche in e n in Wasse r ein getau cht, gegen di e Nützlichkeit die höch ste Konriguir:ir de r Gegensiirze, die höchste Diffe renz
das G las sc hlief~lic h , als unfl ex ibles Materi al, gibt seinen Hiirte-Zustand m eto nymisch im G leiche n erreicht.
auf und gleicht sich ebenfalls dem Wasser an, aus d em das Aqua re ll im umgekehr- Proust verwendet für di ese Hybridform der Ähnlichkeit den Begriff d er »allirera-
ten Verfahren des ll·ocknens hervorgin g, so dass die Dargestellte, w ie di e Amphibie n- tion« (l , 16G) ,393 quasi di e Syne rgie de r A llireration als Form d er Angleichun g und
M enschen im Port de Carquethuit (ll, 193), in Elsrirs als »portrair magiqu e« beze ic h- d er »a lre rarion« als Form de r poetische n Steigerun g (wo bei auch im Kontext d er
netem Hybridgemäld e die Gestalt ein es aquatisch-florale n , m iinnli ch-we ibli che n >Co ntenams< das Wort >>litre« eine Roll e spi elen m ag!), und verwe ist mir der rh eto ri-
Zwitterwesens annimmt, ein er Travestierenden irn transversale n Bildbezug. schen Bezeichnun g auf ihre n Sprac hcharakrer, d. h. ihren m eta poetischen , fi gurativen
228 BILDTE I L

VI. »Per viam rectam<<: Die Wege der Wahrnehmung

1. der gefährliche Schnörkel

Nac h Albe rein es W ied e rauferstehun g in C arpaccios Gemii ld e vo llzieht di ese sich
ein we ite res Mal, und zwar in d e r Sc hrift, ind em d er Erziih ler während se in es Ve-
nedi g-Aufe nth a lts mir e iner ihm übe rbrachten Depesche eine verm eintlich e Nach-
ri cht Alb e rrin es e rh ;ilt (fV, 22 0). Wahre Absenderindes Bri efes ist G ilberte, di e ihre
H oc hze it mit Rob en de Sa inr-Lo up b eka nnt g ibt, d och harre d er Telegraphist sta rr
Gi lberre den Namen A lbe rtin e gelesen . Fo lge nde rm aße n rekon strui ert d er Erzähle r
das ka lli g raphi sch e Schriftbild d es Nam ens, d as vorn Telegraph isren Falsch um gese tzt
w urde:

»Co mm e l'o ri g inalite assez factice d e l'ec riture d e Gilberte co nsisra it principal e-
m e nr qu a nd ell e ec rivair un e li g ne a fa ire fi gurerd ans Ia ligne sup eri eure !es barres
de t qui ava ie nr l'a ir d e sou lig n er !es m o rs ou !es po ints sur !es i qui ava ient l'air
d'inter romp re !es phrases d e Ia li g ne au-dessus, et en reva nche a interca ler dans Ia
li g n e d 'au-dessous les qu e ues et arabesqu es d es mors qui leur etai ent superp oses,
il e tait toLlt nature! qu e l'e mploye du relegraph e el!t Iu !es boucles d ';- Oll d > de Ia
li g n e supe ri e ure co mm e un >in e< fini ssant le mot d e G ilberre. Le poim sur l'i d e G il-
b e rte era it monte au-dessus faire poim de Suspension. Quanta SOll C, il avait l' air
d ' un A go thiqu e<< (IV, 235).

Di ese Reko nstruktion d es E rziihl ers ist in sich stimmi g, beso nd ers da di e M ehrzahl
de r Buchstabe n , also di e Kette >LBERT<, in beiden Namen vo rko mmt. Was d en Feh-
ler ver ursacht hat - und da rauf komm t es im Blickpunkt d er Lineatu r und O rnam en-
tikan - ist di e wuchernde kalli g raphi sch e St ili sierun g d er Paraphe zur Schriftarabeske.
/ M ir ihr als O rname m e ndet, w ie es di e E nrw ürte Pro usrs zu se in en Lebze iten vo rsa-
he n, La Fugitive bzw. Albertine disparue und d a mit di e g roße »e pisod e d ' Albe rtine<<,
wä hre nd mit G ilberre und ihre r Hochze it mit Sa inr- Loup d er Blick in di e mond iin e
Pa rise r Gesellsch aFt d er Ternps retrouve zu rü ckgelenk t w ird . Die SchriFtarabeske steht
mit d er Bi ldtradition ihres FundotTes Ven edi g in Beziehun g, rückt sie doch Vene-
d ig, di e vom H elde n e rn·;iumte »v ill e d 'o ri enr<< (I! , 206), de m O rient umso näher, al s
do rt Schrift au ch Bild ist, di e Arabes ke also, im Gege nsatz zum okzidem alen , auf di e
pom p eji a ni seh e Wandverzierung zurü c kgehe nden Konzept d es Rahm cn- lnn enbild-
Ve rhälmisses , a pri o ri Schri ftarab es ke ist. Wie di e Arabeske di e Gese tze d es Wahr-
Tafel S Pa ul Nadar: La Corn i esse Greffu/he en robe de velours noir broclt~ e de p er/es el de /is d"argent, 1896. Photographi e. sche inli ch en und d e r Sc hwerkratt auf~er Kratt setzt (inde m das fi gürli ch Schwe re auf
53 x 38.5 cm (m it Rah men, gestaltet von R. de Montesquiou), Privatsammlung d e m vegetab il Leic hren ruht, und d as Leiehre aus d e m iitherischen Ni chts erw;ichsr),
230 VI » PER V IAM RECTAM « . DIE WEGE DER WAHRNE H MUNG
1. DER GEFÄHRLICHE SC H NÖRKEL 231

so w irbelt sie auch di e Id e nt i t~it d es Liebeso bj ekts durche in a nd er und a us G ilben e e r je m e d e m a nda is s' il n'y avait pas une ex istence roure d ifferenre d e cel le que je
wird Albe rrin e, in d er bl o ß en Überl age run g signifika nre r (Sc hrift-) Lin eature n .63 1 co nnai ssai s, [ .. . ] q ui serait Ia vraie« (I, 491 ).
Bereits in d en Co mbrayer Ja hren d e r Kindh eit fä ll t G ilbe rre mir ihrem Nam e nszug
a uf, d en selbst Fran <;:o ise (a nd ers a ls Albe rein es Rin g mori ve) ni cht id entifizie re n ka n n, D ie Mu ta ti o n de r Zeiche n ! ~iss t im Ü berma ß d es G lücks d as Wahrscheinliche erzit-
te rn . Im Schn ö rkel a us ihrer O rdnun g befreit, pro ben di e Signifikanten d en Aufstand,
»parce qu e le G histo ri e, appuve sur un i sans po im ava it l'a ir d ' un A, tandis q ue Ja z u m indes t im überre izte n Jmagin arium d es Sehnsüchtige n, qu as i in H o ffmann s M a-
d ernie re syllabe eta it ind efinim e nt pro lo ngee a l'a ide d ' un pa raph e d e ntele [ .. . ]<< (J' ni e r. Im s innlosen , u mso si nnlich gefährli cheren Schnörkel ve rsinnbildli cht Pro usr auf
493).635 di ese W e ise , d ass di e Li ebe e her durch >> magisch e<< d enn »rati o nale<< Gese tze ges teuert
w ird (l , 492) . M agisch und sadistisch: d enn der Li ebende, ihrer Fremdh eit ausgelie-
Hi er scho n e rklärt (für d as spiite re >INE< a ll e rdin gs mit a nd e re r Ursache) d e r E rz:i hl e r fe rt, le id e r a m a ra beske n Sic h-Entziehen d er Geliebten, weil er den Cod e des Sich-
rati o nal das Umschlagen (»rev ire m e nt«) d er Schrift und ihre r Bed eutun g, d e re n Ve r- Z ie re n s und Verziere ns ni cht kennt, d en Cod e jener grausa men »ruse d e Ia fe mm e<< (1 ,
mi ttlun g di e Send erin G ilbe rte, ind e m s ie di e Regeln d e r Les barke it ve rle rz.r, se lbst 492) . - U m spi elt di e Sc hri fta rabes ke nur ihre Botschaften, so der sich über G ilberre
a uße r Kraft setzt zug unsre n e in es äs th e tische n Eige nwe rts d es Schri ftze iche ns. Im a ra b esk wö lbe nd e Weißd o rn ihre ganze Gesta lt, niimlich in d em Auge nblick, als der
Spi e l d er Sig nifika nte n ge ht d e r Sinn , di e N am e nsan gabe d es Se nd e rs, im Ü be r- H eld Swa nn s Toch te r zu m e rsten Ma l sieht (1 , 139), womit di e Ges talt G ilberres (w ie
schuss d es Schn ö rk els ve rl o ren. Di e Sprac he ge r~it zum abstra kten Bild , ihre Bed eu - d ie Mu tte r im ve nezia nischen Trauerbild , wie AJberrine in Fo rnmys o rienralisieren-
tun g zum Rä tsel. G le iches g ilt für di e vo m Held e n so e rsehme n E inl adun ge n G il - d e n Ro be n ) e ine m e m o rati ve, auf imm er mit ihr assoz ii erte o rn amentale Rahmun g
be rtes , d e re n Nac hri c htenge halt ste ts vo n ein e r e mbl e m a ti sche n Ph a ntasrik im Ko p f e rh ält. Au ch die Le ue hrschri ft d es »rayo n d e so leil << in d er Balko nvolute ist mit G il-
d es imm er wec hselnd en Bri efp a pi e rs unte rl a u fe n w ird. Darauf zu sehen sind nebe n berre ve rknüpft, da s ie d em in sie ve rliebten H eld en di e Erfüllun g seines Verlange ns
»bl a ue n Pudeln « und w unde rl ic he n M ee ressze ne n G ilbe rtes lnitial e n »G. S., d em e- m e teoro logisch vo rh e rsagt. Mi t d em »pe r viam recta m <<-B rieflm pf w ird d er G ilbene-
sure m e nt all o n ge e n un reetan gle qui te na ir tou re Ia ha uteur d e Ia feuill e« sow ie ihr F ig u r w ie C harlus und Sa int-Lo up zud em ein e eige ne H eraldik zuges tanden; auch sie
Na me in gold enen Dru ckl e ttern , di e ihre e ige ne Un te rschrift imiti e ren und in e in e m ist a lso m ehr a ls bl o ß e r D eko r.
M o nogra mm e nd en , in welchem sich di e M ajuskeln schli eßli ch ni cht m e hr u nte r- D e nn di e Absend e rin G ilberte ve rwa ndel t sich in der Wa hrnehmung d es E rzii hler-
sc heide n lasse n (1 , 49 0 , 495). Ä hnli c h erge ht es d e m H elde n mit Albe rrin e, d e re n Helden unte r E influss ihrer O rn am entik in ein e »Cosa mentale<<, wie es heiß t, in ein
un einholbaren C ha ra kter er e in e m kompli z ie rt ge fa lte ten Pa pi e r verg leic ht, auf d e m »o bj e t d e reve ri e« im Zeichen Leona rd o d a Vin cis (d essen Ski zze nbü chern di e iko ni-
man sich ni cht m eh r zurechtfinde t (lll , 422). ln zy klische n Abstä nd e n ve rwe nd et sch e Pha n tas tik d es Bri efp a pie rs o ffe nbar ange nii herr wird ): sie wird zu r äs th etischen
G ilbe rte e in Bri e fp ap ier, d as als Embl e m e in en behelmte n Ritte r in e in e m silbe rn e n Idee, zur a bs tra kte n Im agin a ti o n . Letztere niih rt sich aus d em U mstand , dass G ilber-
M edaillon ze ig t, unte r d e m di e D evi se »Pe r via m recta m « e rsche inr. D och di e Schri f't te, d as Li ebeso bj ekt, a bwese nd ist; priisenr dagege n ist ihre Schrift, di e nun quasi in
kö nnte ve rschlun ge ne r ni c ht se in, entfre md e t sie d och di e Buc hsrabe n zum Lini e n- e ffig ie G ilberre repräse nti e re n muss . D a aber di e Schrift ex trem stilisiert ist, l ~issr sich
bild: d a ra us ke in g raph o logisches Po rn·;it d e r Abwese nd en gewinn en; sel bst di e Frage, o b es

I »presque to utes les phrases se mblai e nt so uli g nees, simpl e m em pa rce qu e Ia ba rre
sich w irkli c h um G ilbe n e a ls Absenderin hand elt, kann d er E rzä hl er- H eld als Adres-
sat e rst mit d e r Erfa hrung sage n, di e Fra n<;:o ise noch fehlt, weil diese zwa r G ilben e,
d es t eta nt tracee no n au trave rs d 'eux, m a is au -d ess us, m e t rra it un rra ir so us le m or ni cht aber di e sich in d e r Schrift stilisiere nde Gi lberre kennt. Di ese ist ko nstruiert,
co rres po ndam d e Ia li g ne supe ri eure« (1, 490) . vo n G ilbe n e selbst und vo n d em sie li ebenden E rziihler- H eld, dessen Imaginatio n
d ie Schrift re ize n muss . Auf d o ppelte Im aginati o n also griindet sich f:mderweise diese
W ieSwa nn die Arabeske, umspi e len di ese Gebild e nun d en H elde n , d e r sich ni ch ts (da he r zu m Sche itern veru rte ilte) Li ebe.
sehnli cher al s ein e E inl adun g G ilberres e rträumte und sich in d e n fre md e n Zeic hen , G ilbe rtes D evi se »Pe r vi a m recta rn « ko ntrastiert iro nisch ihren Hang zur ve rschlun-
di e d as fern e Li ebeso bj ekt send et, d o ppelt ins Irrea le hinweggesetzt sieh t: ge ne n 1 ext-B ild -S truktur ihres Paraph e n und d er ihn umspi elenden Bild er, die eben
n ich t »a uf ge rad em Wege« ihre Bo tsclu fi: p reisgeben. D er nö ti ge Umweg zur Lesbar-
»cette vue [d e Ia sig nature, ß. G .j ne fit que fr apper d ' irrea lite to ur ce qui m'e n- ke it übe r di e Entzifferun g charakteri siert ihre Neigun g zur o rn amen ta len Inszeni e-
ro urair. Avec un e vitesse ve rti g in e use, cen e sig nature san s vraise mblan ce jo ua ir rung. Di ese hat sie mi r ihrer M u rre r O d erre ge m ein , auf d eren mo nochrom -we ißes
aux qua rre co ins avec mo n Jir, m a cheminee, m o n mur. Je voya is tOLlt vaciJJ er f... ) lnre ri eur im C hrysanthe m e n-F lor scho n hingewiesen w urde (Kap. li!. 1). Hier ist es
232 VI »PER V I AM RECTAM « : D I E WEGE DER WA H RN EHMU N G 1. DER GEFÄ H RLI C H E SCH N ÖRKE L 233

noch d e r Erzä hl e r, d e r G ilbe rtes Schrifteska pade n ra tional zu e rkl ä re n weig, d och am Spiel gehö re n , e ntwed e r versc hlüssel te Zeich en zu senden oder di ese zu dekodi eren:
Ende wird es tatsächli ch G ilbe rre se in , di e ga nz versrand esgemäß, >> pe r viam rect~un « , Gi lbe rte se nde t d em Erz;ihl er Zeichen , di e di eser zu entschlüsseln sucht und d er
Aufl&irun g in di e durch Imag inat io n übe rre iz te W e lt d es Erzähle rs brin g t. Doch zu- Autor send et d em Leser Ze ichen , di e di eser w entschlüssel n sucht. C harlus' D evise
nächst soll d er Bli ck d e m Phänom en der Schriftarabeske in no ch and e re m Z usam- I NCU L CA B!S SUPER LEONEM ET ASPIDEM ve rrät d em Leser Tuge nden und Laster des-
m enh an g gelte n. jeni ge n, d er sie im Mund e fühn , indem in ihr und in ihrer Inrerprerarion alle Ei-
Es Ieuchter ein , dass Schrift, we nn sie durch Ve rz ie run g entfi·emd er w ird , a ls >>S i- ge nsc ha fte n vom Mur bis zur H yb ris, von der Liebessehn suche bis wm G rößenwahn
g nifi ant« di e Au fm erksamke it vom >>s ig nifi e« ab lenkt, sofe rn di eser Bed eutun gsge hair offenba r we rd e n . Montesqui o us I N H OC LI GNO VINCES ze igt ein en ähnli chen, aber hi s-
ni cht sogar, wie in d er Ve rwec hslun g vo n G ilbe rtes und A lberein es Na m en und e rst tor isch e n, ni ch r-fikriven Fa ll di eser ri tte rli ch en Physiognomik als heraldischem D uell
recht in G ilbertes unk enntli che n E inladunge n , im Zeic he nc haos verlo re n ge hr. Oi e zw isch en ein em Se nde r, d e r d en E rke nntn isge hair d er Zeichen verwischt, und ein em
erh offte Liebes botsch aft w ird zur Qua l d e r E ntzi fferun g, die m ehr od er w eni ge r ab- Empfänger, d e r d iese zur Erkennrnis des C harakters wieder scharfzustel len versucht.
sic htli ch von d e r Sende rin ges törte Kommunikation zum sadistisch en Akr im äs th e- G le ich es gi lt für di e D ev isen, auf di e auch Pro usts Vertrauter Marcel Planrevignes
637
tischen Gewa nde. S tatt Klarh e it e röffi1 e t di e Schriftara beske e ine B ed e urun gssp ir~1 l e ans pi e lr. C harlus' Wahlsprüche, di e di e Led erbände seiner Buchgeschenke zieren,
ohne H a lt, wei l di e Ze ic he n bekannte, aber in ihre m Erke nnun gswe rt gestö rte s in d. la uten z. B. >>S pes m ea<< , >>Ex pecta ra no n eluder<< , >> Man er ultima coelo<< , »No n mor-
So lche sprachli ch- bildli ehe n Vex ie rspi ele von Zeich en und Beze ic hnetem , vo n (Ab-) ral e qu od op tO<<, usw. (IV, 453) . Beso nders di ese beiden leczteren reihen sich ein in
Sender und indi viduell em Bri eflw pf- Embl em, von Hüll e und Inhalt haben in Frank- Prousrs Verfahren , Tu ge nd en und Las ter ein er Perso n üb er emblemarisch e Motive,
reich sp;ires te ns seit Mitte d es 17. Ja hrhund e rts und beso nd ers im 18. Jahrhund e rts Wa p pen, Bilde r und Sy mbo le zu versprachli chen, o hne dass der Erzä hl er inrerve ni e-
Kon junkrur, w ie a nh a nd d e r »Precie u x<< und ihres heraldisch en Cod es vera nschau - ren müsste . Als Lese r d es Briefs mit C harlus' vielsagender Wappenbeschreibung, in
li ehr w urd e. Vor alle m Monresquious Bri e fl<unsr wä re o hn e Z we ifel e in Vorbild fl_ir sii mrlich en Voye urismusszene n und au ch hier, im Betrach te n der Buchgeschenke des
G ilberte. Proust kannte sie g ut, führt e e r doch mir Monresquiou fast zwa nzig Jahre Barons a n More!, isr d er Erziihler nur zufä llige r Entdecker vo n Indizien, deren Ausle-
Korres po nd enz.636 So wie G ilbe rre di e Schrifriis th erik übe r di e A ussage srel lt, r:iumr gun g m e ist d em Leser überl asse n bleibt. In diesem Spiel d er Al lusionen zielt >> Maner
au ch Montesquiou, d e r Virtuose a ll e r far;:o ns und mani e res , d er Hüll e m e hr Raum ul t ima coe lo<< (von d e n H e rausgebe rn als >> La fin apparrient au ciel<< übersetzt) auf
ein als d e m fnh a lt. Der >co nrenant< bzw. >s ig nifi anr< ist a utonom gewo rd e n , di e e nr- C harlus' Phantas m en vom Jün gs ten Ge ri cht, als d essen Opfe r und Vollst~·ecke r er sich
ha lren e Botschaft dagege n unte rgeo rdn e t, un e rg rü ndli ch , un e inh o lbar, zw isch e n Be- sieht (vgl. Kap. V) .638 »Non m o rral e quod opto<< (>>J'a i l'a mbirion d ' un immonei«)
d e utun gssch we re und Bed eurun gslosig ke it chan g ierend. Oi e preziöse n A llure n un d weist noch direkter auf di e H ybris d es Barons hin und inrrarex tu ell auf di e Wappen-
Mani ere n ge höre n also zu d en Sy mp to m en je ne r physiognomi sche n Lesekunsr, d ie beschreibun g, d eren Fokus ja ebenf:1lls eine heraldische D ev ise bild et. Auch >>Ex pec-
Prousr e ntwi ckelt, um d en C harakte r, trorz d e r raffini e rten Maski e run g od er >>di ss i- tara non eludir« (»ll ne d ecev ra pas les es peran ces<<) und >>S pes m ea D eus<< fü ge n sich
mularion << , ge rad e aufgru nd d er Selbstinszeni e rung und Stilisie run g zu e rk e nn e n , in di e Vorsrellungswel r d es reli g iösen Schwä rme rs ein , als der C harlus sehr viel später
d. h. anstarr hinte r ein e Fassad e sch au en zu wolle n , di ese Fassade sel bst zu studi e re n , e rsch e ine n wi rd , womit Prousr eine n heraldischen Bogen schliigt vo n Sodome et Co-
starr d e r M aske di e Maski e run g, und vom St rebe n oder Seinwolle n a uf das Sein zu morrhe bi s hin zur 7i:rnps Retrouvr!. C harlus' genea logischer Wahn , aber auch se in e im
schli ef~en. Doch was im Fa ll d es Wappe ns d es Barons d e C h arl us zu gelin ge n sc he int. wah rste n Sinn e d es Wortes »amour fou << zu More! kündi ge n sich hier bereits an , isr
ge ht bei G ilbertes Schrifi:arabeske ni c ht a u f; als Liebende r bl eibt d er E rz;ihl e r- H eld d och di eser d er Empf:inger d er mir d en unh ei lvo ll en D evi sen o rnamentierten Lie-
in d en Schriftsc hn ö rk eln , di e für ihn Arabes ke n d e r fm ag in ar io n sind , bu chstüb li ch besga be n , di e di e Bände und Bri efe sind. 639 Oie D ev ise »A tavis er arrnis<< (>> Par les an-
hänge n. Und so sag t Prousr: cerres et par les arm es<<) , di e Prousr als weiteren Wahl spru ch auf ein em an More! ad-
ress ie rte n Bri efum schlag d es Barons fi guri eren lässt, legt mit Blick auf d en ähnli chen
»No us ne possedo ns un e li g n e, un e surface , un vo lum e qu e si n or re am o ur l'o c- und eb enfa ll s auf ein em Umsch lag fi guri erenden cri de guerre I N H OC LJ GNO VINCES

cupe<< (111, 68 1). di e Ve rmutung nah e, dass er rats;ichlich durch di e D ev isen Monresquious zu sein en
hera ldischen Anspielunge n ange regr w urd e (und erst dan ach das Buch von G ui gard
Auch G ilberres Dev ise >> Pe r viam recram « ist hi e r noc h ei ne unv erständli ch e, mir d e n als Q uell e he ran zog), zum al »Arav is er armis<< das fVlorto eines Monresquiou wa r. 640
Abwege n d er Arabes ken in W ide rs pruc h stehe nd e BO[schafr, di e d e r Lese r d e nn o ch , N icht zul e tzt ist di e Entziffe run g d er mondä nen Zeichen , jenem >>apprenrissage<<,
o hn e dass es e ines Hinwe ises vo n Seire n d es Autors bedarf; spiire r versteh en kann. kein Pri vi leg d es H eld en od e r d es Erzä hl ers. Auch d er Faubourg übr sich , im Kampf
Hi er sei vorweggenomm e n , dass au c h D evise n zu d em beschriebe ne n Iirerarisc hen um di e Vormac h tstel lung in d er elegante n Welr, im E mpfmge n und Senelen vo n Zei-
234 V I . »PER V IAM REC TAM «. D I E WEGE DER WA H RNEHMU N G
2 . WEGE UND UMWEGE 235

chen , d e nen die Bedeutu ng zug unsre n des Signifikamenspiels abgenommen wurde. ren d e, di e das Weltbi ld d es E rü hl ers auAdii rr und es damit erschürrerr, wie das Motiv
Um be im >>e nvolo ppe<< als ve rm e intli ch inh altsloser Hülle zu bleiben , se i in di esem der >>de ux cö res« von Co mbray vorfüh re.
Z usamm enhan g fo lge nde Begebenheit d er Recherche in Erinnerung ge rufen : In An-
wesen he it d es Erz~i hl e rs wi rd d e r H erzog in von G ue rm ames die >>Ca rte« gebrac ht, di e >>Ca r il y ava ir aurour de Co mbray cleux >CÖ res< pour les promenades, er si opposes
di e G r;ifin Mol e, da sie di ese ni cht in ihrem Haus angetroffe n hat, himerlassen hat qu'o n ne so rtair pas e n efh:t d e chez nous par Ia meme porre, qu and on vo ulair all er
(li , 878) . Doch handelt es sich bei d er >>Karte« um e in en a n die G räfin selbst ad res- d'un cö te ou d e l'autre: le cö te d e Meseglise-l a- Vin euse, qu'o n appelait auss i le cöre
sierten Umsc hlag, was di e H erzogin als Ve rsuch we rtet, unbedingt orig in ell zu sein. d e M . Swann parce qu'o n passa ir deva nr Ia propri ere d e M. Swa nn pour all er par Ia,
Um den überlege nen >>Es prit G uerm anres« zu d e monstrieren , schi ckt sie d er G r;ifi n er le cö re d e G uerm anres. [ . .. ] er pendanr roure mon adolescence, si Meseglise era it
als Anrwort e inen überdime nsio na le n, einmal ge kni ckten Umschlag. Nur der Erz;i h- pour m o i quelque chose d'inaccess ible co mm e l' horizon, d erobe a Ia vue, si loin
ler (bzw. Swann) weiß, dass die H e rzogin d en Aufstieg d e r Gr;ifin Mole mit E ife rsuch e qu'o n allar, pa r les plis d ' un rer rain qui ne ressemblai t deja plus a celui de Com-
verfolge. Dass die Ges te der G räfin Mole als krampfhaft originell d emask iert wird, b ray, Guermanres lui ne m'es t apparu que comme le re rm e plutö r ideal que reel de
isr damit ke in e Entzifh:rung der Zeichen m ehr, so nde rn eine raffini ert-preziöse Um- so n propre >CÖ te<, un e so rte d'expression geograph ique absrraite co mme Ia ligne de
d eu tung, um die Rivalin zu d esavoui eren. O ie Bed eutun g d es gekni ckten Umsch lags l'equate ur, comm e le pole, co mm e l'o ri ent« (I, 132).
w ird schon d a raus ersichtli ch , dass er d em Bote n vor d e n Augen d er Beteili g ten und
mir pr;izi sen Hinweisen überge ben wird. D iese kurze Episode isr ni cht zuHilli g das Oie Oppos iti on d e r be id en Wege tei lt di e Welr in d er kindli chen Vorstellun g des Pro-
Schlussbild vo n Le CIJte C"uerrnantes, führt sie doch ein wesentl iches Symptom der tago ni sten g leichsam in zwei H e mispkiren, d eren beiden Pole, Meseglise und G uer-
mondän en Welt vor Augen, nämlich dass di e Sprache d e r Hüll en und Sig nifikanten m anres, inn erhalb dieser Weftlandschaft auch di e Unve reinbarkeit des bürgerli chen
die Übermittlung signifikative r Aussagen ersetzt ha r. Swanns schnörkellose Ankün- und d es adeli<>en Laue rs bueou rap hisch verankern. Über die erzä hlte Zeit d er gesamten
b b b
di gun g, dass er in Kü rze sterben wird - le tztli ch di e e inzige Aussage dieser Passage, Kindheit und Juge nd hinweg, durch di e Gewohnheit d er jeweils in die eine oder an -
di e ni cht durch ihr >s ignifi a nt< in irge nde iner Form verwa nde lt wird - ge h t in d er dere Richwng eingeschlage nen Spaziergä nge noch erhärtet, konstituieren di e >>deux
mondän en Rankün e völlig unte r, d e nn, so d arf Prousts Sa tire hier verstanden werden, cöres« ein Modell ewige r rüumli cher und daraus fo lge nd zei rli cher 11·ennung. Es ist
Wah rh eit und Bekundung vo n Leid ge hören ni cht d e m sprachli che n Cod e d es Fau- ni cht mög li ch, be id e Orte a m selben Tag zu sehen; d er Spazierga ng vom Haus der
bourgs an. Eiee rn an d e n ein e n Ort schli eßt d enj enigen a n d en ande ren aus. Nac h der Richtung
d e r im E rinn e rn ite rati v synrh eri sierte n Spaz i e rg~in ge, und der mir ihnen assoz iierten
Erfahrungen, also geog raphisch , ri chtet sich en tsprechend di e Zeirlichkeir in Co m-
bray und nic ht nach d er Sukzess ion di ese r E reignisse. 6 ' 11 So lan ge di eses räum li ch-
2. Wege und Umwege ze irli che Weltsystem gülri g ist, bleibt auch die Gege ns;irzli chkeit d er mir d en Orten
ve rknüpften gesell schafeliehen Klassen ga rantie rt. Oie räum liche Distanz bew irkr
In d er Ornamentik d er Recherche kämpfe n die he raldische n Ze ich en gege nein a nd er, zudem e in e ihr entsp rechend e Ästhetik d er Landschaft. Oie blo(~e E ntfernun g und
und d er Leser hat, darin m ehr vom Autor a ls von d e r Narrengestalt d es Held en ge- Gege nsätzli chke it sugge ri e re e ine >>excell ence particuliere« d er O rte, aus d er eine fase
leitet, d e n rirrerli che n Siege r zu küren. Das O rnam e nt d es ästhet isierte n Lebe ns und Iudtische Id eo logie hervorge h t:
sein Im aginat ionsrausch auf d er ein en Se ite (Swanns A rabes ke, di e mondän e n Mas-
kerad en , d er Kulr d es Schnörkels), das O rn ame nt als Inbegri ff der Kun stfe rti gkeit im >>[ ... ] Ia moindre parcell e d e chacun d 'eux [d er Orte, B. G. ] me semblait precieuse
Spiegel von Fragment und Ga n zem, von >contenw und >Co nten a n t<, a ls Erkenntnis, e r manifester le ur excell ence particuli cre, randis qu'a c6re d 'eux, avanr qu'o n für
auf d er ande ren Se ite - in di esem Itin e rarium d es Schön en g ilt es, gege n die Agen- a rri ve sur le so l sacre d e l' un o u d e l'aurre, les chemins puremenr rnateri els [ ... ] ne
turen d es Wissens, d e r Gewo hnh eit, d e r gesellschafrli che n O rdnun g, di e >>via recra« va la ie nt pas plus Ia pein e d 'erre rega rd es [ ... ]«(I , 133) .
d er eige nen Identität zu fi nde n. Doch d er ge rade Weg ist nichts anderes als die Su m -
m e sein er Umwege. Oie Wahrnehm un g e ines ga nzen Lebe ns wird nöti g, um ihn w D iese höchst individualisie rten Orte ve rfü ge n über >> heilige n Boden «, ähn lich wie die
find en, einschli eßli ch ihrer blind en Flecke, ihre r Verirrunge n im Imag itüren, ihre r Kirchen, di e, in e in er Vorzeit in gewe ihte r Erde fundam enti ert, unerennbar mir ih -
im Mond;incn verlo rene n Ze it. Und so ist es G ilberre, di e gesell schaftlich zwischen rem Ort verbunden se ie n. Schon Rusk in harre ni cht nur die Go rik mit d er Natur
Co mbray und G ue rm anres, e rotologisch zwische n Sodom und Gomor rh a C han g ie- in e in e n e nge n Z usa mm e nhang ge brach t, so nd ern konkret ihr Denkmal, die Ki rche,
236 V I . »PER V IAM RECTAM« D I E WEGE DER WAHRNEHMUNG 2. WEGE UND UMWEGE 237

im Konrext ihrer landschafrli chen Umgebung gese he n. 6' 12 So he ili g d em kindlich en wahrh e irer. Mag die »v ia recta« auch verschlungen sein , sie führt doch von Meseglise
H eld e n di e Tuge nd ist, so sehr g ilt ihm der Kirchturm von Roussainvi ll e als still er direkt nach G uermantes.
phallischer Zeuge se ines Lasters. Im Et hos d e r Perversion e rwi es Proust, d ass das Las- Die O ppositi o n der »d eu x cöres<< ist forran hinßlli g. Die ursprüngli che landschaft-
ter tugendsamer sein kann als di e Tugend selbs t im moralisch ko nve nrion ell e n Sinn . li ch e Verankerun g verlierr ihre Verbindlichkeit. Die schockhafte Erkenntni s d er
Dass sich mir den zwe i Wegen auch »v ice« und >> verw « ve rschlin ge n , soga r in einand er Versch lin g un g beider Wege- ein Bi ld, das Benjamin im Passagenwerl~ als Prousts
verkehren würden, di ese Id ee verfo lgt Prousr mög licherweise schon se it sein e r Lektü - »höc hstes ense ig ne m e nt moral « bezeichn et har6 ' 16 - sprengt di e Sy mbolik ein er Tren-
re Emile M a les.&1 3 Das schi ehrwe ise e rba ute, sic h imm er weiteremfaltende Gefl ech t nun g von Adel und Bürge rrum und führt d em E rzähl er im Bild die Tats;ichlichkeit
von Persö nli chkeiten und Begebenheiten aus d e m e inen oder d em ande ren Lager lässr d e r - sic h im Roman fakti sch längst vollziehend en -Durchdrin gun g beid er Welten
sich (wie ja di e T itel von Du Cote de chez Swann und Le cote de Guermrmtes be reits vo r Augen, inde m diese Evo lmion im Verlauf d er Lini en scho n imm er vorgezeigt war.
ankündigen) imm er wiede r auf d as ursprüng li che Bild d e r von ein a nd er get renme n (U nd im Ornament ist auch Albereines Tod und C harlus' Wahnsinn pr~ifi guri e rr , wie
Orte bzw. Wege zu rü ckverfolgen. Das Bild d e r zwe i initial e n W ege von Co mbray, au s sich erwi es .) Nur waren die Wege r:iumli ch ni e soweit verfolgt wo rd en; ihre Kreu-
d e nen heraus di e Romangesta lten wie a n e inem buchstübl ichen Sta mmbaum erwac h- zun g bli eb un e rk annt. Auch das Bild der »d eux cöres<< ist eines der Kipp bi lder ana-
sen, hat im fo rm alen , ikonischen Si nn e se in er lin earen G rundform d en C harakter d es log Zl1 denen Elsri rs, e in rrompe- l're il und ve rschwiege nes Bi ld, das ei ne ganz neue
Ornaments. Der Erzähl e r spri cht wi e beschri eben von den >> heraldischen Beso nd er- Ansic h t erhält, wenn plötzli ch di e Zeichen mutieren. Das Weltbild , d essen Pol e die
heite n«, di e es an d en Wegen nac h G uerm a ntes zu e ntdecke n gebe (I! , 314). In di e- zwe i W eltl a ndschaften bild en, enthüllt sich als Illusion. Was, wie in Elstirs Bild ern ,
ser kind li chen Physiogno mik der Landschaft hat jed es vegetab il e und ba uliche Detai l a ls t rompe-l'rei l e rsche in t, ist die W irkli ch keit, was vorher schien, ist nur noch My-
he raldi schen Wert, und selbst d ie Skulpture n von Saint-A ndre-d es-Champs sind d en rhos. Auf di ese Weise vollzieht sich im Text E rkenntni s: visuell, d . h. in der Figu-
Bewohnern d er Gege nd tats~ich li c h ähnli ch. Als Leitm otiv d es gesa mten Romans ist ration .647 Oi e Verschlin g un g der Wege ist hier buchstäb li ch ein Relais, ein Kli cken
di e O pposition d er Orte, das Motiv der >>de u x cötes«, g rundsiitzlich für e in e zeiche n- d e r Weichen, e in e Peripetie d e r Erzä hl - und Lebenswege im Lini enbild . Der zur Li -
hafte, ve rwe isend e Fu n ktio n präd es tini e rt. Oie e ind eutig landschafrli che, erd gebun - ni e komprim ie rte kün stl erische Raum modelli ert auf di ese Weise di e Katego rie d er
d ene Siwi erun g verweist d as Ornam e nr zudem in d en Bereich d es Vegetab il en. Als Ze i r. 6·1a
vegetab il es Ornamenr ist es imstande, die Gesa mtstruktur d e r Gesellschaft zu fasse n . Nur einmal noch tei lt e ine D e markationslinie die Welt von Co mbray in zwei La-
>> Prousts Welt« sei, so Wa lter Be nj a min, »in ihrem U rsprung d e m Pfl a nze ndase in ge r: in d er Frontlini e »CÖ te 3 07<<, auf d eren ös tli cher Seite die deurschen Truppen im
1
ve rh afte t«,M inde m di e Figuren vegetabi l »an ihren sozial e n Fundon geb und en << sei- e rsten W eltkri eg d en geli ebten Weißdornweg und ganz Meseglise zerstören, w;ih rend ,
en. 645 Das zeigte sich im Abschnirr übe r di e vegetabil inspirie rte Poetik m on d iine r a ngeb li ch d ank Gi lberre, d as Schloss vo n G uermantes verschont wi rd (IV, 334f.). Die
Mode (Ka p. 1V. 5). Von G ilbe rte unre rm We if~ d o rn übe r Albertin e vo r der Seekuli s- ne ue rli c he Trennung durch die Front ist ni cht von Dauer, und wiederum ist es G il-
se Ba lbecs über di e Du chesse d e G ue rm a nres a ls Esther im Wandteppich in Sai nr- be i-re, di e mit E ntschl ossenheit (»pe r viam recram<<) di e zwei H emi sphären vereint,
Hil aire bis zu Odetre im Blumenarrangemenr ihres Sa lons sind di e Ges ta lten stets in die sie selbst repräsenti e rt, a ls G ilberre Sa int-Loup, geboreneSwann . .. 6-1 9
d en Bild ern ihres erste n Erscheinens mne moni sch abgelegt und lokal verorret. Di e Das o rnam entale Verschlingun gs m oriv präfiguri ert b ildlich die gesellschafrliche
vegetabile Verbindun g d er Namen M esegli se und Gue rmanres mit ihren Orten serzr Emwicklung, bevo r d er H eld ihrer bew uss t w ird . Im Bild der verschlun ge nen Weges-
sich in den Perso nen fort und bind et d ie Pfl a nzen-Menschen a n ihre Wurze ln . Im lini e n verbildli cht sic h also der Sta mmbaum d er im Rom an sich ve rmischenden La-
Bi ld der vege tabil e n und terrestrisch en Ve rschling un g, d er un gea hme n Ähnlichke it ger G uermantes und Mescglise in ihren »Arabes ken ge nea logischer Beziehungen << .650
d es Unvereinba re n, im abschweifend en Parco urs ein es Spazierga ngs, ve rwi rft die A ra- Lin ea r a ufgefasst, e rge ben di e Linien ein e im weitesten Sinnea rabeske Srrukrur, ein e
bes kenkün srl erin G ilberte das Weltbild d es E rziihle rs, wenn sie vorschliigr: Karre- e ine Schatzkarte mir e ingezeichneten (Irr-) Wegen d er Erkenntnis! - oder ein
nutpping d es Rom ans.65 1 Sie sind das abs trakte ornamentale Abbild einer gesellschaft-
'" Nous pouvons all er a G uermanres, en prenanr par M esegli se, c'es r Ia plus jo li e li che n En tw icklun g in d er Ze it, inkrusti ert in die Folie eines metaphorisch latrtierten
far,:on «< (IV, 268). Raum es. Gi lberre, ein Wesen »du cöre d e Meseglise<<, ist ni cht zuf;illig di e Überbrin-
ge rind er E rkenntnis. Von ihrer Tochte r Mlle d e Sainr-Loup, durch G ilberres Einh ei-
Di e beid e n Wege vo n G ue rm a ntes und M esegli se sind ni cht get re nnt, wi e sich nun rarung in ein e G ue rm antes-Neben linie Produkt d er Sy nth ese beid er Lage r, spri cht der
e rwe ist, so nd ern ve rschlinge n sich . Das Ornament ist ihre rational e und rats;ichli c he Erz;i hl er a ll ego ri sch als »Wegmarki erun g« an Kreuzungen vo n Wa ldp faden aus unter-
Srrukwr. »Pe r viam recram << war schon im Bild G ilbe rres Dev ise, di e sich nun be- schi edli chster Richtun g (IV, 606). A ls lerzre neu ein geführte Gesta ir d es Romans steht
238 V I . » PER V I AM RECTAM « : D I E WEGE DER WA H RN EHM UN G 3. D I E BA HN EN DER Z UKUNFT 239

sie am vorti.ufigen E nde de r be iden Wege (und mit ihn e n ba ld am E nd e d es in di ese r Ostern, W ied erkehr de r Jah reszeite n, erc.). D as Bil d di eser Zeiterfahrun g ist di e E i-
Arbeit emworfe nen lrin e rariu ms verschlun ge ne r Bilder): senbahn. S ie ist ni ch t nur d as T ransportmirtel vo n Pa ris nach C omb ray bzw. nach
Ba lbec, sonde rn bee inAussr d ie ganze Bildli chkeit der Recherche, d. h. di e O rdnun g
>>Et avam wut ve nai ent abomir a ei le les d eux g ra nds >Cotes< oll j'ava is fair tanr de d e r von e inande r gerre nn ten O rte - ein System , das grundl ege nd erstmals durch d ie
prom e nad es er de reves« (IV, 607). E rfa hrung von E lsrirs Austau sch von Land und Wasse r im Port de Carquethuit in Fra-
ge ges te ll t wird. Besond ers d ie C ombrayer Landschaft gli edert sich den verschi edenen
Das Aufein and enreffe n de r W ege ist 1111 Orn a m e n t ein Bild augenbli ckshafter E r- Au ss ich tspunkre n entsprechend; Tü rm e wie jene von Roussa invill e oder Marrin vill e
kennrnis und zugleich e in aus viel en R ichtun gen sramme ndes Konstell ationsb ild in b es timme n di e Sich tac hsen ; di e R ichwngen sind vo rgegeben (Guermantes oder Me-
Zeit und Ra um . segli se). Oi e M itte bese tzt der Kirc h rurm von Saint-Hi lai re. Ni chts scheint das klare
Lin ie ngefüge zu stö re n . Di e G le islinien der Eise nba hn , die Spazierwege und Richtun -
ge n, selbst d ie Stromlini e n d er Vivonne, nach denen die Karafte n im Spi el von >Con -
re n a nr< u nd >Conte nu < a usgerichtet werd en, das Martinv ille-Schauspiel der wechseln-
3. die Bahnen der Zukunft d e n Pe rspektive n: in all en Eil le n handelt es sich um progress ive, vo rwäns schreitend e
Lin ie n , e in ged enk ihrer mögli chen, durch di e heitere, parbhnlich-idyllische Natur
Doch we nn G ue rm ames und M eseglise ni c h t m e hr jene unnübba ren D ifferenze n vo rgegebe ne n W in dun gen und Kurven. Sie fü hren der Erfü llun g ein es Versprechens
darstell en, schein t das Wese n der D iffe renz selbst in G efa hr. O ie Diffe re nz von O n e ntgegen , erwa einer Reisesehn suchr65 ' 1 des Held en und mit ihm vielleiehr des Lesers.
und Ze it droht sich aufwlöse n, ein Prozess , d er in d en verände n en W ahrn eh m un gs- Auf di ese n Lini en re ih e n sich d ie Ortsna men auf (w ie au f Prousrs Z eichnung der
we isen de r Epoche ein e Parall ele har. D as Re isen m it de r E isenbahn , "[es fee riques Eise nbahnlini e, s.o. ), de re n Zauber den H elden besticht. Ge nüß einer früh en Ski zze
voyages e n che min de fe r« (lV, GOG) , gewä hrl e iste te be i Anku n fr u nd Abfa hre di e Ei n- plant d e r H eld di e Reise in das ersehnte späte re Balbec »par le plus long« zurückzu le-
ziga ni gkeit d es Ortes . Das Automobil (»qu i ne respecre aucun m ys te re« ) ze rstön di ese ge n , »e n refa isa nr a peu pres le voyage que Mm e de Sevig ne avait fair [ .. . ] er oll ei le
speziell e Ex rerricori al irät de r One (»>e priv ilege special d 'ex terri coriali te«), indem es avait e re d e Paris a ,['Ori ent< er Qu impe rl e •e n passanr< par Ami ens, Le Ponr-Aude-
nun mögli ch ist, vi el schn ell er von e in em On zum nächsten zu ge lange n, und di es m e r, C ae n er Baye ux jusqu'a Ia Bretag ne« (II, 887) . Die Um ständli chkeit der Anreise
jederze it und ohn e de n »E ingang« d es Bahnh o fs neh m e n zu müsse n. Aus d er Ver;in - suggeri ert dabe i ni ch t nur d ie Epoche Mm e de Sevignes , so nd ern konstitui ert ein en
derun g d es Ra um es durch G eschw indig keit zieht d er E rz;ihl e r die ästhe ti sche Kon se- geo g raphisch e n Raum , d er topog rap hi sch exakt und w gleich imagin ativ ist, indem er
q ue nz: d ie Phantasie d es H e ld en anrege. D ie Reise nach ßa lbec erscheint als Pil ge rfahrt vo n
e in e r Kathedral e nstadt zur n;ichsten bi s hin nach ß albec ans End e der Welt (»find e Ia
»Les disra nces ne so nt que le rappon d e l'es pace au re mps er vari enr avec lui . [ .. . ) re rre«, !1 , 378) . D e r Erzä hl e r gibt zu , dass man di e Reise hcm e im Automob il zu rü ck-
Lart e n est aussi modifi e, puisqu' un village qui se mblait d a ns un au rre rnonde qu e lege n würde, d es g rößeren Komforts wegen. Dadurch würde der Fah rende auch den
/
/ tel au rre, d ev ie nr son vo isin dans u n paysage donr les dim e nsions sont changees« jeweili ge n Ste ig un ge n und Senkungen der ErdoberRäche quasi näh er nacherleben (II ,
(Ill, 394). 5) . Doc h h e ißt es :

Das Ve rh ~iltni s von Raum und Z eit w ird elasti sc h in de r G esch w indig ke it, so z. B. »le p laisir spec ifiq ue du voyage n'esr pas cle pouvo ir dcscendre en roure er s'ar reter
I 652
in d er An fa hrt auf ein e Kirch e, di e daraufhin un gewo hnt plötzli ch >da < ist. D iese quand o n est btigu e, c'esr d e rendre Ia dijference entre le dcparr er l'a rri vee non
Plörzli chkeit w ie au ch di e mit ihr ve rwandre Gesc hwi ndi gkeit w ird im Roman als pas auss i insen sibl e, mai s auss i profonde qu'on peur, de Ia resse ntir dans sa tota li te,
Erl ebniskatego rie erst langsam sichtbar, inde m d e r A u to r, in einer Arr progress ive m in tac te, teil e qu'ell e erait d a ns notre pensee quand notre im agin atio n nous portait
Rea lismus, d en techni schen Fortschritt in sein e Schre ibweise mire inbezi eh t, wi e er du li e u oiJ nous v ivions jusqu'a u co::ur qu'il Fran chissa ir un e di stance que parce q u' il
sich pa rall el zu r e rüh lre n Zeit abzeichn et. Di e C omb raye r Zeit wie a uch d ie Sprache, uni ssa it d eux individualites d istinctes de Ia te JTe, qu'il nous menait d ' un nom :1 un
in der di ese erzäh lt w ird, kennr als Zeitform nur die g le ich nüß ig ve rgehe nd e.653 Das a urre nom , e r q ue schem a tisc f.. .j l'operation rn ys teri euse qui s'accomplissait dans
Lebe n Ai eßr qu as i mir d em Wasse r d er Vivonne im imm er gleiche n Zeitmaß vorü - ces lieux speciau x, les gares, lesqu els ne font pas pa rtie pour ainsi dire de Ia ville
ber, w ie au ch d er Tagesab lauf sich nach geordn e te n Form e n vollzieht (S pazie rg;in ge m a is conti e n ne n t I' esse nce de sa perso n nal ire de m eme su r un pa n neau signaleriqu c
je nach Wette rl age, Mirragessen imm er zur selben Zeit au ßer sam stags, Anreise w el les porre nr son norn « (ll , 5).
240 V I. »P ER V I AM REC TAM « : D I E WEGE DE R WA H RNEHMUN G 3. D I E BAH N EN DER ZU KUNFT 241

Vom St<mdpunkr d es H elden aus, d e r di e Freud e n d es Fal1rens enrdecl([ hat, ge- ge n e n G le ise d e r >> tota lite« ve rwi rren sich zu den gek reuzten Lini en d es Aurofahrens,
wä hrl eiS[et also di e Eise nbahn di e >>TO[aliüit<< d er Welt, ihre Ganzh e it und Z usa m - di e ih re rseits die Ir rwege d es eifersüchti gen Liebhabers, auf denen di eser d en Lastern
m ensetzun g aus d en >> individua lites di stinc tes d e Ia te1-re«, di e die Bahnhöfe ge rad ez u d e r Geli ebte n auf di e Spur ko mm en will, wie auch die ge nealogischen Verzerrun ge n
>>sc hem a tisie re nd « ve rkö rpern. E rst mit d e r Be rührun g mit d er mondänen Weh e in e r- d es Faubou rg Sainr-Ge rm ain im Bi ld aus Raum und Ze it verein en kann. Noch kom -
seits und mit d en mod ern e n Verkehrsmirrein Auwmobi l und Flugze ug a nd ererseirs p liz ie rte r w ird di e imm a nente Lini enform dieser Verwerfun ge n mir der Erfindung des
e rkennr s p~ire r d er H eld , dass es wed er ein e >> inrakre Totalität« d e r Welt g ibt, noch F lu gze u gs, das ni c h t nur auf d er F läche, so nd ern im dreidimensionalen Raum kreuz
dass die Nam e n halten , was sie an Poes ie o d er a n Id entität verspreche n, ind em sich und qu e r Lini e n schl iig t. So scheint ein Pilot, d essen Maschine d er Erziihl er am Him-
alles in Vi elschi chti gkeiten auAöst, a us denen sich sche inba r ni cht m ehr di e Ga nz- m e l ges pannt beo bachtet, un entschieden ZLI sein, welc he Ri chtung er einsch lage n so ll ,
heit ein er >>essence« d es tillie ren lässt. Di ese wird d a nn vielmehr e rst zu erschaffe n se in , bi s e r schli eg lic h , d e n Schwe rkrafl:gese rze n - und damit aller Wahrscheinlichkeit und
durch künstl erische Schö pfung und Se tzun g von A nal ogie n, wie gesehen. Vo rh e rsehba rke it sche inba r trotzend - ge rad ewegs in den Himmel aufsteigt:
Di ese m Verfahre n entspri cht jedo ch die ge rad e srrom lini enförmige Ze itform d er Ei-
senbahngleise ni cht m ehr. Es brauehr dabei aber keine Künsrli chkeit ode r beso nd ere >> [ .. . ] pre nanr brusque m ent son parri , semblant ceder it quelque atuacrion inverse
Komposition: Die Erinne run g selbst gibt di e Rela is vo r, an d enen sich di e Ged ;ichr- d e edle d e Ia pesa nreur, co mrn e rerournant d ans sa patrie, d ' un leger mouvern enr
ni sbahn en vern etze n. Und Erfindun g und Geb ra uch d es Auwmobils veranschauli che n d e ses ai les d 'o r il piqua dro it vers le ciel« (lll, 4 17).
ganz pragm atisch d ie Vernetzung d er Welt. D e r Gege nsatz von Abreise und Ankun f·l:
läss t sich damit jed erzeit auge r Kraft setzen , d a d er im Automobi l Reisend e hal te n Das F Iu gze ug d 1.e nr P roust zur M etaf.llI er d es >> voyage d e I' arnsre
. ' I«; 656
vers so n 1'd ea
kann , wo er will und kreuz und quer fahren kann, w ie es ihm beli eb t, und dank hö- w ie d e r Pil ot in di e Höh en d er Lüfte, erh ebt sich d er Di chter in jene d er Erinne-
herer Geschw indi gke it schnelle r am Z iel ist als d er pe r Pferdewage n Reisende aus frü - run g (IV, 437). Wi e di e Flugkur ve in G ionos Fresko ve ranschauli chen konnte, ist
herer Ze it. Das Reise n perAutomobil ist für d e n Erzii hle r letztendli ch d as eigen tli ch e P ro us ts di ch te ri sche Lini e ni cht die ge rade, sondern die versc hlungene, in ihren zwei
Reisen und E ntdecken, währe nd die Eise nbahnfahrt mit ihrer Sugges tion vo ne inander (>> d e u x co tes<<) , dre i (F lugk urve), sch liemich vier Dimensionen, deren letzte die Zeit
ge tre nnter Welte n di e Tl·äum ereien d es H eld en beAügelr. Letzte re wird durch di e neue is t (>>e ta nt le T e mps«). Wi e die Lineatu r d es Flugkünsrl ers, aber in die Ewigkei t d es
Technol ogie d es Automobi ls quasi buchstäbli ch durchkreuzt: D as Z ickza ck- Fah ren W e rks geba nnt, e rstreckt sich auch Vinreui ls musikalische Lini e in d er Zeit und ent-
entspri cht d en In ve rsio nen und K reuzun ge n, die die mond ~in e Welt verände rn und w irft daraus d en Ra um d es >> reel retrouve«, d er wied erge fund enen Idenririit. Vom hö-
entspri cht d em Versreckspi el AJbertin es , di e ein e Pass io n für Automobi le und Flugze u- he re n Sta ndpunkr d es Pil oten und d es Künstl ers au s- d enn die Kunst ist keine Frage
ge hat. D er Z ug dagege n ge hö rt, als Vehikel ein er alten ga nzheitli ebe ren Zeit, d e n Er- d e r Technik, so nd e rn d e r Visio n (IV, 474) - erscheint di e ve rl o rengegangene Diffe-
innerun ge n a n di e Mmter und G rog murrer a n . Im Z ug bl eibt auch, wie Pierre- Lo uis re nz im G le iche n e rn eut und ve rwandelt, als >>esse nce« gege nüber d er >>habirude«,
Rey erinn ert, das Sys tem d e r mond;in en Zeichen völlig inrakt,655 ni cht zuletzt durch d e m >>savoir<<, den b iogen >>apparences« und >> illusio ns« (IV, 475f.). D iese Wahrneh-
die E inteilung in e rste und zweite Klasse, währe nd das Automobi l eine neue private mung rehabi li t iert di e >> tota lite<<, ind em sie sie aus g rögter H ö he mir dem Teleskop
und lu xuriöse Intimirät initiie rt, d ie d a mit abe r das Ve rla ngen von d en fern en a urari- vo n Fragm e nt zu Frag m e nt zusammense tzt, >> pli selo n pli « in den infinites im alen Fal-
schen Ürten und Kat hedralen abzieht und in di ese m Fa ll a uf die mirfahrend e Perso n te n , in d er unun te rbro chene n Bewegun g des Fli egens, die Pro usts rastlosem Schrei-
übe rtr~igt, se i es, biograp hisch, auf d en C ha uffeur (Agostin elli ), ode r, wie im Ro man , be n so ~ihnli c h ist, und di e, in d e r Liebe zu Agos rin ell i wie im Leben , nur mir dem

/ auf die distan zierte Geli ebte im Fortuny-Ma n tel. D er Z uwachs an Wahrn ehmung
durch das Reise n per Automob il wird e rkauft durch e in e En tzaube run g d er >>tota lite«.
Abst urz in d en Tod die Flug kurve n d es We rks zu jener Z auberschrift der Worte, d er
ro m an es ken »grimoire comp li quee et Aeuri e« kond ensieren ko nnte.
D ie Beschl euni g un g d er Zeit, di e Gesc hwindigkeit, so lehn Pro usrs Erbhrung, ver-
>> [ ... ] ce n'eta it pas seul em enr !es nom s d e li eu x d e ce pays qui avaie nt pe rdu leur iinden d e n Raum. Sie nimmt ihm d en >>Za uber« ein er H erm etik der Orte; sie kann
m ys rere du d ebut, m ais ces li eux eu x- m e m es . Les no m s d ej8. v ieles a d e mi d ' un m ys- ästh e t isch di e >>ex terrirori a lire specifiqu e<< ze rstören, aber auch zu r E rkenntnis des Z u-
rere que l'erymo logie ava it remplace par le raiso nn e m e nt, etaient enco re d escendus sa mm enhan gs, e in e r g loba le n Nähe führe n, wo myt hische Fern e ange nommen wor-
d ' un d egre<< (I II , 494). d e n wa r - so di e Lektion d er »d eu x co teS<<. Proust kenne als Bewegun gsfo rm nur das
Fa hre n, point ie rt C urrius.65 7 Das Aurofahren , w ie Proust es beschreibt, gleicht sein em
Für d ie Bil dli chkeit d er Li nie bedeutet d ie E rfa hrun g d es Automobils und sein er neu- Wahrne hm en. Und damit a uch d em Lese n. Was von d er Lektüre bl eibt, so Pro usr,
en Ästhet ik d e r E ntza uberun g ein e Komp lex io n . D ie ge rade n o d er sanft gesc hw un - sind Bi ldfragm ente d e r Riiume, in d e nen w ir lasen (CSB, 169), Bilder am Rand e ein er
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242 V I . »PER V I AM REC TAM « : D I E WEGE DER WA H RN EH MU N G 3 . D I E BA HN EN D ER ZUKU NF T 243

Wegs trecke d es Lese ns, von d e r selbst nur R a ndbild er a us H a lbvergesse nem , H a lber- wese nd z u se in <<: »Unse re Individuali tät erlischt in d er beschleuni gten Zeir, und wir
inn ertem ble iben, di e ein e r Wi ed erlektüre, ein er E rinn e run g ha rren. Wi e di e >>d eux find e n un s wi ed e r als Teil e in es choreograph ischen Arrange ments, Bes ta ndteil ein es
cötes<< ein mapping d es Romans e nrwe rfe n, sind di e Buchseiten der Le ktüre ein m a p- O rn a m e nts: e in R ütsel , uns selbst zur Lösung aufgegeben. << 664
pin g d es inn ere n Lebens: sie verzeichn e n di e Rii um e, in d e ne n d er Lese r sie durch- Oi e "za ube rschrift« d es Ro mans als Bild d er Fern e, d er Abwesenh eit: Fern e der
mafs, besse r als das W issen; sie weisen d e r ld e nti üit den Weg in d er te rra in co g nira d er Ve rg an ge nh e it? N e in, Fern e d er Z ukunft. Wi e zum »N il d er Sprac he<< 665 vereini ge n
Z ukunft. M ögen a uch in d e r Re ise mit d e m Automo bil all e Im press ion e n in e in e Se ri e s ic h di e »d e u x cö tes<<, um fo rtan w ie die Vi vonn e als di e eine g roße Lini e d er Schrift
Aü chtige r E inzelbilder in multiplen Pe rspektivwechseln a us immer neue n exte rri to ri - d e r L e ktüre d e n W eg zu weise n, so sehr auch diese selbst sich im Itinerarium von
alen Standpunkren ze rsplittern, 658 liiss r sic h erst so die gewohnh eitsrnäfsige Wahrn eh- Ze it und Raum e rge he n muss, um wi ed er in sich zu münd en. Oi e intrinsischen Li-
mung d es O bj ekts du rchbrechen, d essen Ges tair in neuen Fluchtlinie n reorga ni sieren , n ea ture n d es Rom a no rnarn em s, ob wel tumspann end od er infinitesim al , episremisch
bis sich , wi e in E lstirs Mal erei, die Konturen öffi1 en und das G le iche in d er Differe 117 ve rmitte lnd od e r imag in iir entg renzend , sind Stromlinien einer unendlichen Bewe-
d er Verwandlun g ze ige n (vgl. II, 72; IJI , 6 72). Von d er Schrift und Syntax, di e d e r Le~ g un g, d e re n Beginn rnit jed em ihrer Punkte in der Zeit neu anhebt, gan z wie die
ser auf sein em Weg, d er Lektüre, clurchwancl err, bl e ibt die »arabesque<<: e in »d ess in << , Wasse rtro pfe n im in sich ström end en »jet d 'eau << als Bild des di chteri schen Schreibens
bestehe nd aus »bell es li g nes bri sees et recurre ntes<< und »zigzags cle l'ex press io n <<, wi e (vgl. Ka p. lfl. 3) . E kstase d er bildliehen Anastomosen, H ö henRüge der Metaphern ,
sie Prousr sc hon be i d en klass ische n Autoren e rui e rt (C SB, I 92 f.). D ie Lesebewegun o Gesc hwindi g ke itsrausch d e r Ähnli chkeiten, Schwindel d er Konstellation des Ich im
ko mprimi ert di e Lel<t üre in ein ze ln e Bild e r (» in stanta nes<<) wi e jenes d e r blitza rrige ~ Ta n z d e r Icl e ntit;ite n (»i l m e semble que j'etais [ .. . ] un e egli se, un quatuor, Ia rivalite
Ankunft vo r ein em Kirche nportal ode r di e plötzlic he n Bilder d e r »m e moire in vo lo n- d e Fran <;:oi s Ie r e t cl e C ha rles Q uint<< , I, 3) - solch erart ebn et und beschleuni gt di e
ta ire<< . Brin gt dorr d e r Schock e in er Beschl euni gun g im Fahre n bzw. e ine r ze rebra len äs th e tische E rfahrun g d es Di chters d ie Bahn en des Schreibens für die Z ukunft, damit
Schaltung im E rinn ern das Bi ld hervor, so im Lesen d e r IJ ein e re Schock ein er M e ta- d e r Leser auf ihn e n di e Abe nteue r d er Lektüre untern ehmen wird.
phe r od er eines Beschreibungsbild es. D e r Text ist nur im Verstehen priisent, di e Ve r- Di e F iktion w a r, so Ge nette, Prousts ständige r Begleiter und sein Leben zum Werk
gan genh eit nur im E rinn ern , aber in d e r Schrift erhiilt sic h ein e Spur d er Fe rn e und hin o sm o ti sch offe n 666 - a lso a uch zu r Schrift hin. Eindrückli ch zeigt Anroine C om-
d em sich clonhin ständig Entzi ehend en , ind em di e Schrift di e Disran ze n zusamm e n- pagn o n , wi e di e Noti zhefte d es Romans zum »entre cleux<< von Leben und Werk wer-
659 d e n , z um An gelpun kt d er »co nri gu'ite<< beicler, wenn Notize n aller Art (N amen, Tele-
schrumpfen läss t. Lesba rkeit w ie E rinn erun gsf<ih ig keit müsse n in d er Inrerpre rati o n
d er Z usamm e ngehöri gkeit vere in zelte r Zeichen ge rad ezu erkämpft we rden, 660 w ie di e fo nnumm e rn, Adresse n, tagebu charti ge Einträge) di e Ski zze n zum Rom an auA-l.illen,
Bo tschaft in G ilberres Arabeske. G ilberte c hiffri err ihre kostbaren E inladun ge n in a ls »ecriture d e Ia prese nce prese nte<< , bis d er Tod d ieser Konfusion ein End e setzt. 667
Schriftgedi c h ten und in vom Rahm e n d es Briefko pfes aus arabesk um spi elte n Schrift- In d e r fiktive n Sc hrifta ra bes ke verkn o ten sich G ilberte und Albertin e, zuglei ch auch
bilde rn ; di e Reorga nisation weiße r Leerstelle n und e ntfre md e ter Sprachzeiche n ve r- O ri e nt und O kzid e nt, in d er Verschling un g d er Wege Meseglise und G uermanres.
eitelt jed e E indeuti gkeit d er Sinnzuweisun g. Di e ikonische n Zeich e n d er Schriftara- W asse r und Land , Li cht und Scharren, di e Gesc hlechter n;ih ern sich auf Elsr irs Bil -
bes ke und d es Fo rtun y-Mantels habe n sich m e m o ra ti v mit Albe rtin e verknüpft, noch de rn übe r ihre Tl·a nsformarore n, Lini e und Orna ment, einander an; die D emarka-
über ihr Ve rgesse n hinaus, und lasse n di e Tote wi ed e raufe rstehe n. Aus d er Fe rn e d e r t io nslini e n ei e noti e re n ni c ht ];inge r, so nde rn ö ffn en sich meronymisch und lassen
Schrift g rüfst in d er Mutation d e r Schriftzeich en das C haos d es eige nen Begehrens, m e hran sic hti g erkenn e n, was das W issen trennen wi ll. Das Ein e enrhii lt das And ere,
/
das Liebes trauma d es Erühl ers. - Nach Agost in ellis Absturz fand sich , wi e e rw:ihnt, weil b eid es zum selben EtLthrungs raum gehö rt. Erst di e Kunst erreicht das Vermöge n
in d e r Flu gli ste d esse n Signatur unte r d em in d e r Schrift schon fiktive n Pseud o n ym d e r Diffe re n z, ind em sie di e Ähnli chkeit zur eige nen integralen Technik macht, wie
Marc·e! Swann.
66 1
Kurz, di e Wirkli chkeit g ibt sich ein em Sp iel d er Sig nifikante n hin, d e r E rz~ihl e r sie an Re rnbrandt, C harclin, Verm ee r und Vinreuil und Elstir beobach-
d as sie selbst nur noch von d er Höhe aus tel esko parti g begleitet. In d er Proliferati o n tet. 668 Di e gesc hri ebene Wa hrn ehmun g vo ll endet sich. So mit zeigt auch di e Figurati-
d e r Manuskripte Pro usts mir ihre n teils m ete rl an ge n »pape ro les<<, d e n Um- und Ein - o n d e r »d e u x cöteS<<, trotz d es G leic hsein s d er Wege, ein e Differenz: die d es einma-
IJ ebu nge n u ncl C o ll agen, d em Verzieh t auf a ri rh m e ti sche N umm eri eru ng662 und d e n li ge n Lebe ns, das d e r H eld im Spazierenge hen entlang di eser Wege d er Erkenntnis
Randzeic hnun ge n a ls Bil d geword ener lnte rmittenz d es Schre ibe ns, 663 ve rwand elt sich und d e r ld e nrit;itsfindun g bestri t t, ein Lebensweg, wie ihn sich d as Proustsche Ro-
di e Wirkl ichkeit stets we iter in ein e sie ve rarbe ite nd e Schrift; es e ntste ht d e r Ro man m a n- Ich im Schre ibe n e rschuf; im Tex t erschri eb, damit d er Leser darauf wandl e wie
selbst als Schriftkun stwerk (d essen Ausd ehnun g e rst d er Tod begre nze n konnre). A uf di e Pi ckni ckgesellschaft, di e »s ur !' herb e dru e d es oeuvres feco ndes« ihr Frühstü ck ge-
d en Wege n d es Ro m a nh eld en w ie a uf d e n Ba hn e n d e r Lektüre , im »O rn a m ent d es ni e fSt, wiihre nd unter d e m G ras di e toten Di chter ruh en. ln der Lehre der Wahrn eh-
Geschri ebe ne n«, wi e Ge rt M at tenklon es nennt, g ilt es, di e »Kun st<<z u erl ern e n , »ab- m un g bild e t sich d as Proustsche Sehe n perman ent selbst weiter, reAektierr sich in d er
244 VI » PER VIAM REC TAM «. DIE WEGE DER WA HRNEHMUNG

M ero nymik, dem Sta tth a lter ein e r subj ekti ve n Re l at i vit~it und M odalit;it des Sehens. VII. Träumen, Zweifeln, Ordnen- Prousts Schreibweise
Oie Lust am Sehen und Sehen-lasse n, a n Vis ion und Visualisie run g, ist refl ex iv, in - der Wahrnehmung (ein Ausblick)
dem es- nach Proust auch für de n Leser- im Lese n ein er Positionsbestimmung des
eigenen Ich in Zeit und Raum gi lr. Pro usts Sehen und Schreiben - das e in e Auge im
mikroskopischen Blick auf di e D etail struktur eine r infinites imal en Lini e, ein er Falte, »L'Ciabor;nion d'u ne grancl c u: uvrc li rrcraire n'csr ri en cl 'a urrc
eines Ornaments, kurz auf di e >>Echthe itsmarken « (CS B, 559) a ls sprachli chem »ver- cn cft~r C]ll e Ia cl ~co u vcrrc cl ' un e perspcc ri ve vraic sur soi- memc,
669
nis de maln·e« (11, 395) de r Wahrnehmungsb ilde r, das a nde re Auge im teleskopischen Ia vie, lcs hom mes. Er Ia li rrt.'rarurc csr unc ave11turc d'erre. «
Bli ck a uf di e Z usamm enschau der entl ege nen Erfa hrun gen geric htet- ist eine Suche Jca n-l' ic rre Ri chard
nach dem G le ichgew icht im An gleic he n der Gegens;itze (in der beschri ebe nen »allite-
rarion <<, »in ve rsion «, »co mparaiso n«, »tran smmarion « und >> metamorphose«) - ist im
sprachli chen Entwerfe n d es Bild es ein Balance-Alu, de r eine autobiog raphische oder
fiktive Wahrne hmung zum Tex tbild hin in vielfacher Konstellation und Figuration 1. gegen eine Poetik der Dinge
gest ützt ausbalan ciert, w ie im Hing leiren in d er Go nd el auf das Spitzboge nbild der
Mutter, wi e in der zu schn ell en Anfahrt auf ein e Kirche, wie im Z urücksprin gen vor vom Ding zum Bild, vom Körper zur Essenz
ein em fahrend en Wagen und, als dessen Folge und erkenntni sreichste Bewegun g, im Es gibt in Prou sts Roman ke in e Wahrnehmung, die sich von der Schriftlichkeir löst:
Stolpern über un ebene Pl atte n. Oi e W a hrn ehmun g w ird trotz de r Ve rga ngenheitsfo rm d es Romans ni cht einfach er-
zä hlt, d. h. literarisch abgebi ldet, so nd ern im Schreibe n gemacht. Woh l g ründet sich
dieses a uf d as Reservo ir e rl ebte r ph ys io logischer Wah rnehmung, doch zur »percep-
tion« als Symh ese von Empfind un g und Refl ex ion , kurz zur wesentli chen Wahrn eh-
mun g (»esse nce«) schli eßt sich di ese e rst, we nn sie ein Echo in der Zeit find et, das ihr
nachge lagert ist. Diese Zeit ist inn e rha lb de r Lebensgeschi chte des H elden durch di e
unwillkürli c he n E rinn erun gen st ru kt urie rt, außerha lb abe r, in der Form des Romans,
in d e r Sprac he; letzte re macht sic h die Ze it unterta n, so lange sie ni cht end et. Jed e
Wa hrn ehmun g ist Erke nntnis, selbst, we nn sie aufTäuschung beruhr. D ie Wahrn eh-
mun ge n d es Helde n s ind m e ist so lche T ;iuschun ge n (die »deux c6 tes«, die Übe rle-
ge nh e it d e r G ue rmantes, die Ges ten G ilbertes, erc.), di e aber in dem Moment zur
wese ntli c he n Wahrn ehmung we rd e n, in dem sie als Täuschung entl arvt we rden und
so mit ihre n Platz find e n in d er Lehre des H eld en, di e o hn e di ese blind en Fl ecke der
Wa hrn ehmun g ni cht ausbim e.
W ie läss t sic h das lite rarische, sich dezidi ert in Sprac he auspräge nde Sehe n jen-
seits d e r jewe ili ge n prakti schen Einlösun ge n als ;isth etische Erfahrung - sowo hl für
den Dichter als a uc h für de n Lese r - versrehen ?610 Es reicht nicht aus, zu sage n, dass
Wa hrn ehmun g und Sprac he ve rsc hi ed ene n Ze iche nsyste men fol ge n und ein e Wahr-
nehmung durch Sprache damit e in Paradox oder ein e kün stli che Z uordnun g wiire;
di es h abe n di e vorangehende n Untersuchunge n geze igr. 67 1 Oder we nn es sich hi erbei
um e in Parad ox hande lt, so um e in sehr rea l gegebe nes , ist doch der Prousr-Leser
(und di ese r nur vie ll e icht e twas bewuss ter a ls de r Leser jegli chen Erz;ihltextes) stän-
d ig damit ko nfronti ert, geschri ebene Wa hrn e hmun g zu lese n. D er Wa hrnehmun gsge-
genstand , be ispi e lswe ise jenes o be n a nal ys ie rte G itterornament ein es Parise r Balko ns,
mag in de r Im agin a ti o n d es Lesers ande rs aussehe n als in jener ihr vo rh ergehe nd en
des Auwrs, und di ese mag sich wi ede r vo n de m m ögli che rwe ise rea len Objekt un-
250 V I I. TRÄUMEN, ZWEIFELN, ORDNEN 1. GEGE N EI NE POET I K DER D I NGE 251

>>Wa rum soll en w ir d enn ni cht zugebe n - und Pro ust w usste dies sehr wo hl , e r h at >>plaisir particuli er<< liegt also ni ch t a lle in beim Betrachtend en , so ndern beim Betrach-
es an anderer Stell e gesagt -, d ass die Sprach e ebensosehr w ie die Musik aufg rund te ren o d er zwische n beid en - d och d e r Begriff d er Din ge fällt nicht, fast als wä re
ihrer Eige na no rdnun g ein en Sinn zu halten und in ihren M asc hen ein zu fa n ge n ve r- e r absichtli ch verm ied en wo rd en . Umständ li ch spri cht Pro usr vo n ein em >>e u x« , wo-
mag, d ass sie di es ausnahmslos jed es M al d a nn tut, we nn sie erob ernde, tä ti ge und m it abe r ge nau genomm e n di e e rw~ihnte n !rnpressionen ge me int sind, 69 1 rümli ch ein
schöpferi sche Sprache ist und wenn wirklich etwas gesagt wi rd; wa rum so ll e n w ir So nn e nstrahl auf ein e m Ste in , e in Dach (wi e gege n End e pr~iz i s i e rr w ird : di e ge nau e
nicht zugeben, dass di e Sprac he [ ... ] als Syste m ex p liz iter Beziehunge n zw isch e n >> Lini e<< e in es D ac hes), fe rn e r ein bes timmte r Duft - alles rec ht undin gli ehe Dinge:
Zeichen und Bezeichnetem, zwischen Laur und Sinn be re its e in Resulta t und Pro- am Ste in interess iert nur di e Nuance (>> rlllan ce d e Ia pi erre<<) , a m Weg d esse n beso n-
dukt d er fun gierend en Sprache ist [ ... ]<< .6 88 dere r Duft, a m D ach nu r e ine gew isse Linie, wo rnir d ieses so e ntgege n s t~indli c ht
w ird wi e nur möglic h . Farben , Düfte, Linie n , di es sind di e Wa hrn e hmun gs r~itse l , di e
Proust ist schli eßli ch für seinen phänomeno logische n Leser d er, der die Wah rneh- d er E rzä hle r zu e ntschlüsseln ve rsucht. U nd so verharrt e r auch ni ch t vor d en Din-
mungswelt schafft. Merl eau-Ponty sprich t vo m Sein , d as in seiner Uni ve rsali üit so e r- ge n - in diesem Fall wäre es auc h ve rfehlt, die Auge n zu schli eßen - noch vo r d en
schein e, >>als enthielte es alles, was je gesagt we rd en kö nnte, und überli eß e es d en noch Ersche inun ge n d er Din ge, d e nn aus d er Passage geh t nicht hervo r, dass ge rad e d er
uns, es zu schaffe n«.689 Damit hat M erl eau-Po nty in be ispielhafter Form zugle ich di e Aü chrige Li c htstrahl etwas übe r d e n Ste in a n sich , d er Duft über d e n Weg od er di e
G renzen ein er ph ~in o m e nolo g i sc h e n Pro ust-Lektüre be na nnt. Diese ka nn sich nur Lini e über das W esen je nes Daches aussagen kö nnte. Die Gege nstiind e sind belang-
sehr indirekt und mittelbar auf die reale Welt d er D in ge ri chten (etwa wie au ch d e r los, sie sind zufällig d er Ort e in er e inmali ge n Li chtbrechung od er Fa rbnuan ce, und
Roman nur sehr vermittelt autobiographische Mom ente enrlü lt). Di e Phän o m e no lo- scho n im nächsten Auge nbli ck, we nn di e N ua nce erlischt, werd e n sie ohn e all e Be-
gie muss, d a sie di e Sp rache in d er Bestimmun g, was Wahrn ehmun g se i, ni cht Llln ge- d e utun g, ohne sentim e ntal e n W e rt für d en E rzä hler se in. Worum es vielmehr ge ht,
hen kan n, letztend li ch zur Phänomeno logie d er Sp rache we rd en. ist d as Aufe inandertreffen zweierEle m ente in ein em einzige n eph em eren Augenbli ck,
etwa vo n >>so le il << und >> pi erre<<, vo n >>od eur<< und »chemin <<, so dass di e Erwärmun g
d es Stei nes und die Duftessenz am Weg e rst di e individuell e Erfahrung konstituie-
Prousts geistiges Sehen re n , ni cht di e Din ge a n sich . Di ese >>Se nsa tions« we rd e n in d e r E rinn erun g noch d en
Di e Phänom eno iegen haben, scheint es, leichtes Spi el, bei Prousr ein e sich ga nz und ein e n Augenbli ck enth alte n , selbst we nn deren Zeit ebenso fern li egt wi e d er Raum ,
ga r auf Din ge gründ end e Wahrn ehmun g auszumach en , wenn es im Ro m a n etwa in d em sie sich e rfüll te; sie stell e n abe r als solch e Essenze n d en D ichter vo r umso
heifSt: größ ere H erausforde run g, als sie abwesend sind und a nwesend nur fü r di e Ze it eines
Auge nbli cks wa ren; um so m e hr e rk ennt d er D ichter ge rad e an di esen solchermaßen
»[ ... ] to ut d ' un coup un ro it, un reAet d e soleil sur un e pi erre , l'odeur d ' un che min reHekti e rre n E mpfindunge n di e D enkfig ure n (das I nfi n i tes i ma le, d as Frag me n r, das
me fa isa ien r arreter pa r un plaisir parricu lie r qu' il s m e d o nnai e nt, et auss i parce G rap hi sche), di e e r sein e m Schre iben zu G rund e lege n wi rd: in d er Wahrnehmung
qu' ils ava ienr l'air d e cacher au-del a d e ce que je voyais, quelque chose qu' ils in v i- der Wah rn e hmung, im Roman d es Ro mans.
taienr :1ve nir prendre er que malgre m es efforrs je n'a rriva is pas a deco uvrir. Co mm e Diese >> impressio ns d e form e, d e pa rfum ou d e couleur« (1, 177) sind es, die d er
je sentais que cela se u o uvait en eux, je restai s Ia, immobil e, a regard er, a res pire r, a Erzä hl e r weni ge Sätze späte r als >> im ages<< cha rakte risiert und zwa r ga nz vo n d en Din-
racher d 'a ll er avec ma pensee au-dela d e l' image o u d e l'od eur. E r s' il m e f~dl a i r rar- ge n losgelöste, abstrahi erte, wese ntli che, di e man mir sich trage n kann, weil sie kein es
rraper mo n grand -pere, po ursuivre rn a roure, je cherchai s a les retrou ve r, e n fe rm ant O rtes b edürfe n:
les ye ux ; je m'a ttacha is a me rappeler exacrem ent Ia lign e du roir, Ia nua nce d e Ia
pi erre qui , sa ns qu e je pusse comprendre po urqu o i, m'ava ient se mbl e pl e in es, pre res >>Aio rs je ne m'occupais plu s d e ce tre chose in connu e qu i s'e nveloppait d ' un e fo rm e
as'enrro uvrir, a me li vrer ce clont ell es n' erai ent qu' un co uve rcl e« (1, 176). O lld ' un parfum , bi en tra nquill e pui sque je Ia ram en ais a Ia m a ison, proregee pa r le
/ reve te m e nr d ' images sous lesq uell es je Ia rro uve rai s v iva nte, co mm e les poissons qu e
Aus d ieser Passage, d ie zunäc hst als Apo logie ein er ph :inome nologische n Übe rser- lcs jours o l! on m'avait lai sse alle r a Ia peche, je rapporrais d ans m o n pani er couverts
wn g d es Wahrnehmun gsa kts in Sp rache erscheint, schlussfolge rt Jean- Yves Poui ll ou x: pa r un e couche d ' he rbe qui preserva ir leur fralc heur« (! , 177).
>>c'esr un e atti tude d a ns laquelle le na rrateur dir ex pli cite m ent que le secret d e ce qui
l'emeut es r encl os dans !es choses«. 690 Aber m eint Pro ust hi e r wirklich die >D in ge< Oi e >>images<< sind »fri sch w ie ge rade gefa n ge ne Fische<<, weil sie im Ged ächtni s fes t-
(>>choses<<)? Zwa r fo rmuli ert d er Erzähler >> je se nta is que cela se trouva ir en eu x«- das ge ha lte n we rd e n, während di e e ige ntli che Impress ion hin gs t vo rübe r ist, d abei imm er
252 VII . TRÄUME N, ZWE I FELN, ORD N EN 1 . GEGE N EI N E POET I K DER D IN GE 253

neu ge nährt durch d as eige ne Im ag in ä re, von d em sie fo r-ra n nicht m ehr zu tre nn en ge rad e di e Ve rbindung Alberein es zu Mll e Vimeu il in all er Deutlich ke it e rkenm, vo m
sind , präse rviere durch di e Zeit, di e sie se lbst a ls Dinge l;ings t ve rzehn ha r. 692 gege n wä rti ge n Balbec direkt in di e M o nj o uvain -Erfa hrun g führr:
Oi e kurze Passage d arf ni cht losgelöst von ihrem Umfeld ben·ach re r we rd e n, das
vo n d er H o ffnun g d es H elde n ha ndelt, d och e inmal d ie Berufun g zu m Schri ftstel - »l'vl a is d e rri e re Ia plage de Ba lbec, Ia m er le Iever d u soleil, que m am a n m e mo ntrair,
ler erfahren zu dürfen . Ge rad e di e »impress ions d e f-orm e, d e pa rfum o u d e co ul eur « je voyais, avec d es mou ve m enrs d e ei eses pa ir qui ne lui echappaie nr pas, Ia cha mbre
reize n ihn , we nn e r auch noch ni cht weiß, wie e r sie d a rste ll en soll. Spä te r lau te r di e cl e M o nrj o u vain o ü AJberrin e [ ... ] ava it pris Ia pl ace d e l'a mie cl e Mll e V inteuil
Max im e: [ .. . ]<<(Hf , 513) -

»Seul e l' impressio n , si cheri ve qu'en se mbe Ia m ar iere, si insa isissa bl e Ia rrace, es t un e in im agin ä res Sze na ri o, d enn ni cht Albertin e wa r ja a n d er Seite Mlle Vinreuils, als
crirerium d e ve ri te, er a ca use d e cela m eri te seule d 'erre apprehend ee par l'esp rit, de r H e ld sie in ihre m H aus in M o nj o uva in beo bac hrere. 694 U nd ge rad e in de r Ko n-
ca r eil e esr seul e capabl e, s' il sair en d egage r Ia verite, d e l'am ener a un e plu s g rancl e sequen z di eser unurnkehrbare n Wi ed erkehr d es Monj o uva in -Ti·a umas in d er Stra nd-
perfecri o n erde lui do nnerun e pure jo ie<< (IV, 458) - idy ll e von Ba lbec beschli eßt d e r H eld , AJbertin e zu he iraten. Di ese E ntscheidung
w irkt w ie d er ve rzweifelte Ve rsuch , O rdnun g in d as Wahrn ehmun gsc haos zu bringe n ,
ein e Perfekti o n gleichwohl , di e nur in d er Sprach e zu erre ichen ist, durch >>ex perr - d as sic h in d er Bildli chkeit d es Tex res vo r all em durch di e Überl age run g vo n Abend-
menratio n<< , d. h. Bildung vo n M etaph ern , M eton ymie n , Bezüge n und bildli ehen und Morge ndä mme run g a uss pri cht.
Strukturen, di e di e Wahrn ehmung bewusst m ac he n, inde m sie di e Sprac hkon ve ntio n Oi e z it ierte n Zeil en bed eu te n d e n E ndpunkt d e r Lehre, di e zu vo r no tierte Passage
stö ren und im Sprun g ins Abwesend e jed e physio logische Wahrnehmun g übe rbi ete n. ü ber di e rä tselhafte n >> impress io ns d e fo rm e, d e parfum o u d e co ul eur« d agege n d en
Ausga n gs punkt. Und a ls so ll te hi e r d e r Bli ck ausge rechn et auf di e lä ngs t ve rgan ge ne
»Limpressio n esr po ur l'ecri va in ce qu'es r l'ex pe rim enra ri o n po ur le sava nr, avec Wa hrn e hmung d es So nne nsera h is a uf d e m Stein zurü ckgelenkt we rd en , heißt es :
cette di ffere nce qu e chez le savant le rravail d e l' inrelli ge nce preced e e r chez l'ec ri-
vain vient apres . Ce qu e no us n'avo ns pas eu a d echiffrer, a eclaircir par norre d Forr »Un rayo n o bliqu e du co ucha nt m e rappela insra ntan em enr un re mps auquel je
personn el, ce qui eta it cl air avant nous, n'esr pas a nous. N e vi ent d e nous- m e me n'avais ja m a is re pe nse er o l.r dans m a petite en f m ce, co mm e m a ta n te Leo ni e [ .. . ]«
que ce que nous tirons d e l'o bscurite qui es r en no us er qu e no us ne co nn aissons (lV, 459)-
pas <<(IV, 459) -
so se tz t hi e r nun ra rsächli ch di e Erinn e run g e in . Au f diese Weise ist di e Sensibiliür
»in un s« wo hl ge merkt, ni cht in d en Din ge n . Oi e »Arbe it d er lntelli ge nz« ist be im d es jun ge n H elden a nges ichrs d er So nn e nre fl exe und Düfre me hr als A hnun g zu ve r-
Schrifts tell er o hn e Zweifel di e sprac hli che Formun g. O hn e Sprac he w:ü e d e r E in - s te h en, d ass e in es Tages sich di e E rinn erun g a n di esen Brennpunkren vo n Li cht, Luft
dru ck ni ch t zu d echiffri eren , ni cht in d er Zeit zu ko nstituie re n . u nd M ate ri e e inm a l entzünde n w ird - ein e A nl eih e bei d e r Ro m antik, d och ni cht
Ein e wichti ge Eige nschaft di eses verzei tli chten Wa hrn ehm ens fo rmuli e re Ar111 e S i- n u r, d e nn dadurch ist di e »voca ri o n« d o rt präsent, wo sie noch in ke in e r We ise ge-
mo n fo l ge nd e rm a f~e n: »le passe er l'im aginaire habite ilt Ia sensa rion acruell e no n pas dac ht w ird. Auf di ese Z ukünfri g keir d es wahrn ehm e nden Schreiben gilt es zurü ckzu-
co mm e d es leurres ma is comm e d es dim ensio ns in co nrourn abl es du prese nt«.693 D as ko mm en.
Sehen und Wahrnehm en b ssr sich ni cht ablösen vo n d e m in d er Verga nge nhe it G e- Es fo lg t unmittelba r auf jene fi-üh e Passage über di e obskuren Eindri.i cke die scho n
sehenen und Wa hrge no mm enen, und sei di eses Substrat im Gedächtnis au ch mirrl e r- näh er be n·achtete M a rrinvill e-Episode, und wenn di e beso nd ere »lig ne« ni cht d es
weil e l;in gs r zu ein er mehr imagin ären als w irkli ch durch S inneseindru ck gewo nn e ne n Daches, a ber d e r Kirc hrürm e zur sprac hli chen D arsre llung gela ng t, so nur in iso li er-
Essenz ve rwandelt. N icht imm er sieht Pro usr in di eser M e cam o rph ose e in e n G lücks- ter A rr und W eise, bi s es d e m H elden gelin g t, d ie wi nzige n und d och e inziga rt ige n
gewinn ; im Gege nteil , d as Wirken d es verga nge ne n Se hens im gege nwä rri ge n n:ihr t, Wa hrn ehmungs nua nce n als S ig le n e in er flü c hti ge n , d och intensiv erfa hrenen Zeit zu
auch we nn es sich nur noch wie ein Palimpsest vo r di e aktu ell e Ansicht schi ebt (»un begreifen und , di ese wi e di e »D eckel« d er Bild er (» preres a s'enrrou vrir, a m e li vre r
vo il e mo rn e, superp ose co mm e un reflet«, l II, 5 14) das Traum a. ce clo nt el les n'eta ie nt qu' un co uvercl e«), zu ö ffn e n , um zum »Cache«, zur darin ve r-
Entsprechend ge r~it , in d en letzten Zeil e n von Sodome et Gomorrhe, d e r Fe nsre raus- steckten Esse nz an ld e nrir;ü zu ge lange n . D er so pr;izis w ie m ögli c h zu beschre ibend e
bli ck auf ein e M o rge nchimm erun g, di e, durch Ä hnli chkeit d es Li ch ts , ein e mir A lber- Wa hrn ehmun gseindruck w ird d a nn d e m Auge nbli ck, d e n er in sich b ss r, viel besser
eine ge meinsam erl ebte Abendd ämmerun g evoziert, zum Ze irrun nel , d e r, d a d e r H e ld ge reehr we rd en a ls d as Gefühl , d as ihn regie rte, de nn di eses neig t zum Oiffl.rsen , di e
254 VI I T RÄUME N , ZWE I FEL N , ORD N EN 1. GEGEN EIN E POET IK DER D INGE 255

A nalyse vo n E indrücken aber zur Kl arh eit d es Subj e kts übe r sic h selbst a ls wa hrn e h- nun g, di e th eo re ti sch m it E lsrirs Lehre vom Ein e n im Andere n, vo n d er g rundl e-
m endes. Für di e Poe ti k d es Rom ans he ißt di ese Le hre nun, d ass di e Sprac he ringm ge nd e n Inve rs io n , und pra kt isc h mi t G ilberres Entza u be run g d e r »d eux cö res« fä llt.
rnuss, ni ch t urn di e Bed eutun g d er Dinge, aber, qu as i je nseits d e r Sch we rkraft in d e r U nd d och ist es je tzt nur d as sp rac hli che E rinn erun gs bild, d as übri g ist (d enn d er
>>chasse d es nuances«, 695 um di e Erkenntnis jenes raum zeitlichen >> ra ppo rt<<, d e r in d e n E rzä hl e r sch e int se it vi e len J ahren ni cht mehr nac h Co mbray ge reist zu sein ), und
fragil en Bildern d er >>nu ances«, >> reHets« und »pa rfum s« schlumm e rt, wes ha lb d e nn d as e ige ntli c h m e hr E rk e nnmi s- als E rinn e run gs bild ist, ind em es stel lve rtretend für /
di ese »sch webenden«, infinites im alen Fig uren d er Esse nz und ni cht di e Din ge un d di e kindli c h e, inre ll ekru ell lüngs r üb erw undene Wel terfa hrun g steht. Es isr also ein
Wahrn ehmun gsgege nst;inde di e Bildli chkeir d e r Recherche a uf vo rdring li c he We ise Irrtum , a n z un e hm e n , di e »inko rp o ri e rre Ze it« (»temps in co rp o re«, IV, 6 23) li efse
präge n . s ic h a ls in d e n Dinge n inko rpo ri erre Zeit begre ife n , etwa we il di e Din ge, wie Sainr-
Hilaire a ls s te in ern es U r-D in g d e r Co mbraye r We lt, srers di e vierte Dime nsio n
(»e ta nr celle du T em ps«) aufw iesen . N ic ht di e Ze it is t in de n Din ge n in ko rpori ert,
die Zeit der Wahrnehmung so nd e rn di e Di nge in d e r Ze it. Nic ht de r Wa hrn ehm ende in ko rpo ri err sich in d en
Raum und Ze it lasse n sich so we ni g gege nein a nd e r auss pi ele n wi e Wahrn e hmun g D in ge n (w ie es be i M e rl eau - Po nry he ißt), sond ern d er sc hreibe nd Wa hrn ehm ende
und Sprac he. N ur d ass di e Sprac he manipuli erba r ist und mit ihr au c h di e Ze ir im ink o rp o ri e rt di e Din ge, g le ic hsa m a ls »tra nssubsra nri ar io n« di eser vo n d er Substa nz
Rom a n. Wi e ve rh ält sich di e erschaffene Zeit zum erl eb te n Ra um o d e r, um d as Pro- z ur Esse n z ve rwa nd elte n »ll OUITirure ce les te«. Und zwa r in d er Zeit d es eige nen
bl em für di e hi er maßge bli chen Bel ange einzuschrä nke n , zu d e n Din ge n ? »Le te m ps Kö rp e rs, d e r e ige n en Se lbste rfa hrun g, in d e r di e Dinge für sich ge no mm en kein e
pro usti en , >temps in co rpo re< et pen;:u co mm e un e >qu ar ri e m e< dim ensio n , a cl o n e pa r- Bed e utun g m e hr spi e le n , es se i d e nn als ko nri guiriirss ri frend e Zeichen , di e d er ei-
tie li ee avec Ia sensari o n et l' imagin aire bi en plus qu'avec l' inrell ecri o n «.696 So rich tig ge n e n Wa hrn ehmun g z u je ne r vierte n Dim ensio n »eta n t ce ll e du Temps« verh elfe n
es ist, die Bed eutun g d er Sinn esempfindung und d es Tmagin;ire n he rvo rzu hebe n , so und d e m zwe ifelnd e n Su bj ek t g lüc kli c h ve rsichern , d ass sein e Wa hrnehmung, sein
zweife lh aft ist es, beide Ka tego ri en d em lnrellekr gege nübe r- und vo r all e m vo ra nzu - ve rga nge nes Jch, sein Le ben, ni c ht w ie de r am O bj ek t hä nge nd e E indruck ve rga n-
stel len . Die sich selbst bewusste Sinn ese mpfindung ist o hn e d e n Inte ll ek t ni c h t den!t- ge n , so nde rn n och da ist, priise nr im Abwese nd en , a u ffi nd ba r im eige nen Inn eren
bar, w ie scho n di e M adel ein e-Erfa hrun g ze ig te, und sie ist ni cht e rinn e rli ch, ni c h t e in e r e inmali ge n O rdnun g je nseits de r ta ts;ichli chen D in ge und d es ta tsächli chen
Teil d er Ko nti guität d er Ze it, mirhin d er Id e ntität, we nn sie ni cht e in e m bes rimrnre n R a um es : d e r Sprac he.
Lebenszeitpunk t entspri cht, d er für sie bürgt w ie sie flir ihn . Julia Kri steva bem e rkt D ies is t, a uf d er Ie tzre n Seite vo n !1 Ia recherche du temps perdu, di e Lehre der Wahr-
treffend , d ass di e Empfindun ge n zu Id een we rd en so ll e n : »Pro ust savo ure ses I . .. 1 n e hmun g, vo m E rziihl er fes tge rn ac ht a n ein em »Klingeln «, d em >>tintem ent« (das
sensari o ns co mm e l'essence d e choses« .697 Oi e »temps in co rpore«, vo n d e r a uch A nn e de m schl a Hose n Kind d e n A ufbru ch Swa nns ankündigte und es d er Mutter erl auben
Sim o n spri ch t, bezieh t sich auf di e Kirche vo n Co mbray, di e für d e n H e lel en den w ürd e, d e n G u te-Nac h t- Kuss nac hzuh o len). O ie »un willkürli che E rinn erun g« an das
M ittelpunkt ein er ga nze n Wel r cl a rsrellr, qu as i als ultima ti ve r Breite ng rad u nd Null - Klin ge ln im H of d es Pa la is G ue rm anres zw in gt d as Ich d azu, sein er selbst in der Ze it
pun kt aller Epochen: (ni c h t gege nüber d e m Ding, d em Klin geln , d er Gloc ke o. ii.) bew usst zu we rd en :

»[ .. . ] un ed ifice occupanr, si l'on peut di re, un es pace a quarre dim e nsio ns - Ia " J>o ur rac he r d e I' [das Klinge ln , B. G .] e nrendre d e p lus pres, c'est en moi-meme que
quarri em e era n t cel le du Temps -, d epl oya m a trave rs !es siecl es SO ll va issea u q ui , j'r!tais obligr! de redescendre« (f V, 624, H ervo rh ebun g B. G.).
cl e rravee en travee, cl e chapell e en chapell e , sembl a it va in cre er fi·a nc hir no n pas
I seul ern enr quelqu es rn etres, rnais d es epo qu es success ives d ' OLI il so rra i r vic tori eu x O ie E rke nnmi s vo n d e r Ko nrig ui tiit d es Ich ist ban al und subversiv zugleich:
[ .. .]« (1, 62).
»C'es t cl o ne qu e ce tintem en r y eta ir ro uj o urs, er auss i, en t re lui er l' insta m presenr
Es ist d er Erziihl er-H eld , d er hi e r spri ch t (was A nn e S im o n ve run schärft), ni c ht d e r ra ut ce passe ind e finim e nr d e ro ul e qu e je ne sava is pas que je po rtais. Q uand eil e
E rzä hl e r, und auch d as Präte ritum g ibt a n , d ass di e Kirche für ihn in der Ki11dheit ava ir rinre j'ex isra is d eja, e r d ep ui s po ur que j'ente nd isse encore ce tinremellt, il
di e beschri ebe ne Bedeu t un g hatte, ni cht abe r im Z usta nd d es Erzähl e ns, d . h . nac h fa JJ a it q u'i J n'y e Üt pas eu disco ntinuite, q ue j'n'eusse pas Llll instan t cesse, pri s Je
d e r Erkenntnis über di e Rela ti vitä t d e r »d e u x cöres«, hat. D e re n Mitte hi c lr di e repos d e ne pas ex isre r, d e ne pas penser, d e ne pas avoi r conscience a mo i, puisque
Kirche Sa int Hil a ire für d en H eld e n in ihre r o bj ekti ve n, din g li c he n , zum A n bssen cet insra nt an c ien re na it e rJCo re a m o i, que je po uva is erlCo re le retrou ve r, rerourn er
rea len Ausd ehnun g un ve rrü ckb a r bese tz t - Ausdru c k e in e r tüium e ri sc h e n W e l to rd - jusqu 'i1 lui , ri e n qu'en desce nd a n t plus pro fa nde m e ilt en mo i« (IV, 624) .
256 VI I. T RÄUMEN, ZWE IFELN , ORDNEN 1. GEGEN EI N E POE T I K DER DIN GE 257

Was hier »klingelt«, ist ni cht so sehr di e G locke von dam a ls, sondern - und d arin li egt indessen de r Beo bachtung, dass d ie beschri ebenen Objekte als rea l wahrnehmbare gar
ja di e G lückserfahrung im Gege nsatz zu d e n un glück li che n Co mbraye r N~i.chte n , d ie ni c ht m e hr ex isti eren , ja in ih re r wese ntli chen Wahrn ehmung nie ex isti ert haben, sich
d urch Swanns Anwesenhe it zur Ze it d er Schlaflosigke it wu rde n - das Bewusstsein vo n a lso im Roman d es Romans in keiner Abbildungs- oder Referenzfunktion mehr be-
d er Relativität de r Z eit. Damit ist di e >>Se nsation <<, ohn e ihre Sinnli c hke it ein zubüße n , finde n . D ie poe ti sch e Err un ge nscha ft d er beschri ebenen Kombinator ik all er fiktiona-
»refl ex io n«, und ist di e Substa nz des Klin gein s zur Essenz d er Wahrne hmun g von Ze it le n O bj e kte durc h ihr ko nn otatives und m etapho risches Sich-Aufrufe n 699 stehe aber,
gewo rd en . Das »timement«, m it d e m sich das einsti ge Ich im gege nwiirrigen im Sig- h e igt es, im Di e nst d es so erst darstell baren »Erinn erungsrornans«. Das »ko nn otative /
nal eines Erwachens d er Erkenntnis, d es Einbl icks in di e Zeit, zurü ckmeld et, wiichst Kon zept<< w ird d e r lnsta nz des erin nernd en Ic h zugesc hrieben, das anders als d as er-
im Schluss bi ld, nac h d em Pu rgato ri o d er Mati nee Guer m ames, ana log zu Vinreuil s inne rte Ic h (Held) a ls Bewuss tsein zu sehen sei, welches ȟber alle Erinn erun ge n ve r-
Septe tt, zum G locken geläut des »juge rn e nr dern ier<< heran, a us dem d ie Ze it w ie ve r- fü g t « s tatt nur übe r »m omenrh afte E rinn erun g«, und zwar dank d er »multiplen Kon-
wandelt und rein hervorgeh t, d ie beschri ebe nen Empfindungen abe r e in eige nes un- rex tse tzu n g«. Das poeto logische Ve rf;1hren w ird hi er d em E rzii hl er selbst zugeo rdn et.
geheuerli ches Wesen an nehm en (»etres monstrueu x<< , lV, 625), weil sie sich in e in e m Tatskhli ch aber rea li sie rt er dieses durch sein e Stimm e, durch sein Sprechen, ist sich
Raum d er Zeit a usd ehnen (d em Raum d er Sprache, d es Bildes , d e r raumg re ife nde n se in e r Struktur abe r ni cht bew usst. Wo hl weiß er Ähn li chkeiten zu erkennen (in d er
Figurati o n ): L eb re Els ti rs), do ch däm m e rt ihm d er daraus res ultierende Fo rmgedanke erst in d er
lvlat in ee G ue rmanres . 70 0 E r ist nur vermi ttelnder Teil in d er scho n beschriebenen Ti·i -
a
»[ ... ] d es etres mon strueux, co mm e occupan t un e place si co nsid erab le, c6te d e as von Held-Erzäh le r-Held/Erzäh ler- Autor. Di e E ntdeckun g d es id entitiitsstiftend en
cel le Si restreime qui leur est reservee d a ns l'espace, une place au COntra ire prolon gee Gesetzes von d e r »m e moire in vo lo nta ire« und ihres künstli chen D eri vats, d er A nalo-
sans m es ure puisqu' ils touch ent simultan em e nr, comme d es gea n ts plonges dans les g ie, w ird vo n ihm th eoretisch erfass t. Dass aber di e Analogi e bzw. Kombinatorik als
a
ann ees d es epoqu es, vecues par eux si dista ntes, e ntre lesque ll es ta nt d e jours SO ll( Ve r fa hre n das gan ze Sc h reiben in d ie einzelnen Siitze hin ein p räg t, di eses literarische
venus se placer - dans le Temps << (IV, 625). Be wu ss tsein e ntz ie h t sich ihm gü nzli ch , ist er doch selbst Te il der Geschichte und
70 1
damit e in ge bund en in di e D efizi en z d e r Wahrn ehmung wie auch d er E rinnerun g.
D e r Erzä hl e r ist nur d as ausführe nd e O rga n d es konnotativen Konze pts. Er ist d er
Sprec he nde, E rzä hl ende, ni ch t aber d er Schreibend e. Da nun aber die Recherche wie
das Verschwinden des Referenten kaum e in anderes Zeug nis li terarische r Produkti o n Einbli ck in ih r Gemachtsein er-
M it d er Id ee von d er »temps in co rpo re<<, de r Verzeitlichung des Raums im raurngrei- laubt, weil di e fikti o nal en Obj ekte d ie refere nti ell en abso rbi eren und zu m etapoetisch
findem Zeitbild als Figuration , rü ckt w ieder das e ige ntli ch poeto log ische In te resse in lesbaren Fig uratio n en te ndi eren, ist die Beschreibun gss rruktur, in welc her Wahrn eh-
d en Mittelpunkt. An d er figurativen Bildli chkeit ist abzulesen, d ass es in d e r Recher- mung sic h konkre tisie rt, von di ese r Ebene des Schreibenden ga r nicht zu lösen. So
che nicht nu r ni cht um Abbi ldun g erl ebter Räum lichke it und Di ng li chke it, sond e rn w ie di e re ferentie lle n Obje kte fra g m e nti ert werden, so verb lasst auch di e l nstan z d es
überh aupt ni cht erstran gig um Refe renria li tät ge h t, sonele rn vielm ehr u m d ie Ab lö- E rzä hl e rs, ind em s ic h e in e and ere vor ihn sc hi ebt, di e d es Lese rs, d er im Gege nsatz
sun g und beginn end e Z irkul ation d er Bil d er als fre ien »part icul es<< (Ba rth es) zur Enr- z u ihm di e Kor res ponde nze n , d ie je ner nur bereitstell t, hente!lt, d. h. im Lektüre-G e-
stehun g ein ern euen Schreibweise d er Wa hrn ehmung. d iic h tn is synth e tisie rt.
Z ur C ha rakte risierun g d er Beschre ibungss trukt ur bei PrOLISt ve rwe ist A nge li ka W ;ire di e Beschre ibung nur e in »Prozess d er Übersetzun g d es referentiellen Objekts
C o rbi nea u- H o fFmann darauf, dass all e referentiell en Elem ente au f ein Minim um d er in e in fiktiona les«, 702 so bl ie be di e Re ferenz als Ausga ngs punkt jener Überse tzung, so
ldenrifi zierb arke it reduzi ert und fragm en tiert we rd e n , um daraus di e "fiktional en Ob- fi·a g m e nri e rt sie au ch se in mag, erhal ten . Der Di ch te r w ürde se in Leben in Bi ld er
jekte<< zu gewi nn en. 69 8 Di ese erlaubten es dank ein er Va lo ri sierun g d es D eta ils un d üb e rsetze n , di e zu 'Ti·äge rn de r Eri nn e ru ng we rd en . Ge nette hat in beispielh after Fo rm
Einzel elemenrs, Konrexte zu erstellen und zu verbi nd en . R ichtig im Sinne d e r Th e- kl a rges te llt, dass di e wesentli che strukturbildend e Form d e r Recherche di e Meto ny-

/ se d e r vorli ege nden Arbeit ist auch ihre E in sclützung, dass durch di e Kombinator ik
d er »fiktiona len Obj ekte<< di e D efizi enz d er Wa hrn ehmung übe rwund e n werd e n so ll e.
mi e ist, also im we ites te n Si nn e d as uneigentlic he bildlieh e Besch reibe n. Di e M et-
o ny mi e e ntsteh t be i P roust, so Ge nette, aufg rund ein er Stimul atio n durch einzeln e
Wahrn ehmun g w ird hi er aber als Wa hrn ehmung d es Ve rga ngene n , das Roman -Ich Worte od er B ild e r d es Tex tes, aus denen d e r Autor dann eine Sema ntik enrwi ckelt.
703
insgesamt als »e rin ne rtes Obj ekt« und das ihm enrsprechend e »wa hrn ehm en d e Sub- D ie Bezüge ergeben sic h mithin nic h t aus d er Refe renz, sondern aus d er Sp rache.
jekt<< selbst als »Inhalt e in er vom Ve rgesse n bedrohten E rinne run g<< ve rstand en. D er Es ist di e Aufga be d e r Erzü hl erfi g ur, d iese Bezüge stimmli ch herzustellen, nicht abe r
Ben·ac hter d er Gege nstände sei »ausschlie ß li ch << das e ri nnerte Ich. Dies wid ersp ri cht sie z u re fl ekti ere n; ihm geht es in d er Tlt um Überse tzun g d es Lebens ins Kunstwerk.
258 V I I. TRÄUMEN, ZWEIFEL N , O RD NEN '1. GEGEN EI NE POE T I K DER D I N GE 259

D er Übersetzungs- und Reproduktio nsged a nke/ 0 ' mir d em ein e perfekte Konkord a 11 <. ve rsion d es Übe rsetzun gs prozesses zutreft'end und hiüre Proust, um ein Minimum
vo n M ero nymi e und unwillkürli che r E rinn erun g ange no mm en w ird , w id erspric h t a n Ide ntifika t io n und »v ra isemblance<< Zll gewiihrl e iste n, zu den »carrefour <<-Bi ld ern
Ge nettes (und a uch Wa rnin gsr05 -n1 ese von de r Sprachab hängigke it d e r Pro ustsche n Refe re nze n s imuli e rt, ind em er sie in di e Geschi chte e in es lch -Erzii hl ers einbaute?
Bi ldli chkeiL Oie poeti sche Setzung rä umt nä mli ch d en Z ufa ll ni cht aus, wi e noch ZLJ N icht ga nz. Doc h d er Umstand, w ie der Autor seine n Erziihler behandelt, ze igt die
sehen sein w ird. Damit siche rt sie auch ni cht das Gelin gen der Erinn erun g, sonde rn Rel ativi üit d e r Re fe re nze be ne: der E rz~ihl e r ist jem and , der viel we iß, aber eben ni cht
stellt die Möglichleeit des Erinnerns in Aussicht.706 Das Verhältni s von Referenz und Fik- a ll es, und d er dabe i ni cht unbedin gt den Standpunkt des Autors vertritt. 709 D amit
tion ist also (sofern be i Ge ne tte nic h t schon geschehe n) zu revidi ere n . abe r tre te n Auror und Lese r übe r de n Erziihler hin weg in ein Verhältnis, das selbst
Besch re ibun g ist ni cht d er Prozess de r Übe rsetzu ng des refe renti elle n in s fikrion~1 1 c Ge n e n e b e i all e r Pr;izis ion unterschbgt. 710 Wohl nicht ganz ohne G rund , geht es
Objekt, so nd ern di e H erstellun g von Bezügen inn erhalb des fiktion alen Obj ekts u 11 d ihm doc h um di e Narratio n , also um e in e Entw icklun g in der Interdepend enz von
un abh~i n gi g von se in er Refe renz. D a mit w ~ire abe r de r BegrifF d er Beschreibun g ~l l s e rzä hlte r Ze it und E rziihl zeit.
eigenes Paradi g m a selbst zu suspendie re n, d enn Prousts Schreiben und Beschre iben Jed e narratol ogische Sichtwe ise des Roman s ge ht da her vo n Held und E rziih ler
w~ire n dann deckun gsgleich . D ie Beschre ibung w;ire nur ein e Präzisierun g de r For 111 , als ze ntra le n Instan ze n aus. llse No ltin g-Hau W zeig t dagegen, wie sich di e gesa mte
d ie sich anb ietet, wenn , w ie bei d en hi er zitie rte n Be isp iel en , d er Auto r bei ein e 111 Recherche aus d em Prosaged icht entw ickelt, we rkgeschi chtlich m ir Bli ck auf Pro usrs
Bild ve rh a rrt, um se ine n Fig urat ionswe rr für den Lese r zu signali sieren . D e r Wa hr- früh e Arbeite n , abe r a uch texrimm a nent, da die als E instieg in eine Rom anhand-
nehmun g di eser >>Ca rrefo ur«- Bi lder (K risreva) oder »chasse-croi ses<< g il t das Beschre i- lun g vö lli g unübli che »re Aekti e rende E inleitun g<<d er »insomniaq ue<<-Passage und ihr
ben , we nn es d as fikt io nale O bj ekt imm e r w ied er umkre ist, konstelli e rr und durch »a ll tägli ch -prosai sche r Anfan g, aus de m sic h erst all miihli ch di e poetische Steigerun g
Ve rweise tex timmanenter od er iko n o g ra ph ische r, m yt hologische r, zirarhafrer Art ent- e n tw ic ke lt<<, d e r Form nach de m Prosagedicht z. B. Baud elaires verwandt ist. 7 11 D ies
faltet. D ie Referenz ist ni cht nur fra gm e nti e rt, sond ern ex isti ert nicht, so fe rn darunter hat E inAuss au ch auf di e E rzä hl er-G es tal t des Ro ma ns, die, w ie im Prosagedi chr, als
ein e Refere nz im erinn erte n Leben des Aurors verstand en w ird . ly risch es Ich ein e reAe kti e rend e In stan z darstellt, deren E rzäh lres oder Ausgesagtes
Ein e prinzipi ell e Beziehun g d er fiktion ale n Obj ekte d es Rom a ns zu tatsiichli ch e n das Gedi c h t bild et, ohne es z u sein. Das Gedi cht e ntsteht erst durch den Leser; er
Referenze n im Lebe n (w ie sie von Be nj a min und de r N ac h fo lge, etwa vo n Szo nd i, s re ll t d e n Sinn h e r, wiihrend d as lyri sche Ich de m Dichter nur dazu di ent, An reize
a ngeno mm e n wurde) w~ire äuEerst brü chi g, we il nur in E in zelta ll en zutre ff-e nd. Dass z um Nac he rl ebe n zu schaffe n , mirhin Eihrren de r Ide ntifikation zu legen. Da weder
Prousts Roman e in e »poeti sche Umformun g de r Autobiog raph ie<< se i/ 07 ist ni c h t Autor (D ichte r, Rom a nc ie r) noch Lese r fiktiv sind , hängt di e gesa mte Fikriona litiit
fal sch, da di e autobi ograp hi schen Refere nze n durchaus ex istiere n und m a nc he Be- a n di ese r vermi tte lnde n E rzä h !er- 1nsta nz, di e um so schwiich er wird , je mehr sich der
schreibun gen und Bild er, w ie etwa di e »og ive«, erst e rkl ~i re n ; nur ist d a mit d ie poeti- Text a ls ko mponi e rt zu e rkenn en gibt. ln di esem di chteri schen Pakt tendi ert zwar
sche Srrukwr d er Sprache noch in ke in e r W eise e ntschlüsselt. Be find et sich die Re- d e r Refe re nt z u m Ve rschw ind e n, doch nimmt damit di e Fiktion nicht zu , sonel ern
ferenz aber im Lebe n des H eld en, mirhin im Be re ic h d er Dichw ng, so bes te hr ke in ge rät in e ine n Schwebezusta nd , in d er sie perman ent in di e Wah rn ehmung ih re r
G rund , sie de m fikti o na len Obj ekt übe rzuo rdn e n o d e r a uch nur als ihm vo rgän g ig se lbs t umkippe n kann , o hn e des halb d en Status des Fabuli erens zu liquidi eren . D ies
zu betrac hte n . Was Refere nz und was ni ch t, w;ire hi e r ga r ni cht m ehr zu unte rsc he i- ist b e i Pro ust w ie gesehe n o ft d er Fa ll, we il di e ze ntrale n Bil der der Sp rache dazu nei-
d en , w ill m a n sich ni cht in generische r Ak ribi e übe n . D e nn all e in in de r Tex re rn- ge n , ihre e ige ne Produktion zu ko mm enti eren, Fig urati o n zu we rd en und di e Hand-
srehung wären dann Referenze n zu e rke nn e n, inde m z. B. di e Madel e in e d as »pain lun g zugunsre n e in er ReAex ion und Ex pli kat io n vo n Wah rnehmun g auße r Kraft zu
g ri ll e<< od e r di e »bi scotte<< zu r Referenz hat, von d e r a us sie stili sie rt und o rn am e n- se tze n. D e nn das E rzä hlte und Fab uli erte geriir zu m Reservoi r an , w ie Pro usts Be-
ra lisiert wurd e. Oi e Beschreibun g ere ig net sich also kompl e tt im Be reic h d e r Fikti- g ri fFe la u te n, »exe mpl es<< od e r »Muste rn << (»ec hantill on de produ ction «), kurz Bild ern
on, und ihre mögli che lebensweltli che Refe renz ist für d e n poeto logischen Befun d möglicher H a ndlun g und Wa hrn ehmun g in der M etam o rphose des G leichen . Dam it
vo n Ausnahm en abgesehen sekund är. Di e Beobachtun g C o rbin ea u-Hoft'mann s, dass la ufe n sie nicht nur d e r D iegese (d er fin giert tatsächli chen Handlun g), sonde rn auch
}ean Santeu il gescheite rt sei, wei l es hi er d e r aus Les PlaisiiJ et !es Jours übe rnomln e- d e r Na rrativitä t (d e r Logik ih re r Abfo lge) zuwide r und erheben den Werkcharakter
nen D eskriprionsäsr herik noch a n e in er E inbindun g in e rzäh le rische Kontex te man - in e in e n Ind ex, d e r e rst dem Lese r ausgeza hlt wird. Schreiben und Werk, Wa hrn eh-
gelte/08 setzt das Privil eg d es fiktional e n Obj ekts in s rech te Licht, so w ie a uch in mun g und AufFord erun g zur Wa hrn ehrnun g sind vo n hi er aus neu zu überd enken .
den vo rh erge hende n Kap iteln di eser Arbe it di e Te nd enz wr Fikri ona li sie run g durch
O rname ntalisierun g festges tellt werd en ko nnte. Wäre also di e Refe re nz das Hin zu-
gedichte te, ein Alibi de r sche inbar autobi ographische n Erzä hlun g? W~ire di ese ln -

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264 V I I . TRÄUME N , ZWE IF EL N, ORD N EN 2. DAS SC HREIBEN FÜR D I E ZUKUNFT 265

d e r wahrnimmt, oder di e Zeitform d es Au tomobi ls, di e d as Raum- Zeir-Ve rh ;ilmis in Wese n d es B ildes e ntspri cht, Pr~ise n z von Abwesenh eit produzi eren kann /" um in
d er Erfahrun g d es frühen 2 0 . Ja hrhund e rts ve r~ind e rte. Lesbar sind diese Modi des d e r Kon ste ll atio n d e r aufger ufene n Erfahrungskontex te d ie Summe aller Wahrneh-
Wa hrn ehm ens ni cht nur anhand d e r unwillkürli chen E rinnerun ge n, so ndern an d e r munge n im hom ogene n 1-ex r zu erprobe n . Die de r Ident ität wesentliche Kont iguiüit
figu rat iven Bi ldli chke it d er Sp rache überhaupt. Inde m das Schreibe n sic h selbst fi gu- od e r Summ e w ird ni cht durch das D etai l erreicht, aber durch die Konti guiüit d er
rativ reA ekri err und di e Zeiche n sein er Zeichenh atri g keir, mafSgebli ch im Ornam ent, Ko n texte , di e es mir sich fi.ihrt, u nd di e ni e bewusst wahrgenomme n worden waren;
potenzie rt, um d ie inte nsive und extensive Wah rn ehmun g als Summe all er möglichen s ie machen di e Differe nz a us, die d as G lück bed eutet, und mit ihm di e zuletzt gülti ge
Wahrne hmun ge n ni cht abre ifSe n zu lasse n, unterli egt d er schl echte Werk charakte r Oiffe re nz. 742 Oi e G le ic hzeitig keit d er Detai ls in ihrer srii ndige n Strömung bedin gr
zugunsre n d es Schreibens für di e Z ukunft, und das Werk weist damit d e r Wahrn eh- dah e r di e G le ich ze itig ke it d es U n gleichzeirigen ; sie bürgr in d er Sprachbewegun g für
mung ihren Weg in di e Z ukunft weit m ehr als d ass d e r Weg ge machte r Wahrn eh- die ni c ht abre igend e Wahrn ehmung und N ua nc ierung, d eren En d e in d er Sch rift
mung im Werk seine n Abschluss fänd e. d ro hr.
Vo rzu g also d es Besonderen. Das sp rachl iche Bild ist das Ke nn ze ichen , mit d em Was Ba rrh es d e r Macht d es Na m ens zuschreibt, gi lt auch für das so lchermaßen
die Eige nart einer Wa hrn ehmun g von Prousr signi ert wird. Obwo hl es all es Bildhafte kon ste lli e rre Sprachbild , das damir eine Art Name d es Roma ns w ird: es besirzr die
von d en Ans d eco ratif:<; über die ch ristli che Ikonographie bi s hin zu r Repräse ntat ion Krafr d es sinn ge be nd e n Beze ic hn ens (>> po uvo ir d 'essenrialisat ion «), die Kraft des Wie-
durch di e Lini e nutzt, ist dieses Bi ld sprachli cher als di e Sprache selbst: d. h. kon- d e raufrufe nkönn e ns (»po uvoir d e citation «) und d ie Kraft d es Entfaltens (>> pouvoir
notativ statt d e notati v und kombinatori sch statt stati sch, ve rzeitli cht statt eph e mer, d 'exp lorario n «). 74 3 W ie d er Nam e du rch Klang und G rap hi e, so ist das Bild durch
auf Fortsetzung hoffe nd statt werkhaft. Oi e ßildli chkeir bes itzt eine m etaphori sche Vi sualität gege nw:irrig, so abwesend und uneinholbar auch ist, was in ihm erscheint.
D im ension , di e di e ep ische d es Rom ans fortwä hre nd durchbr icht, ohn e sie (wie etwa Wä hre nd das Bi ld abbild et, ordn et das Ornament an, während jenes Raum und Zeit
im Surreali smus) d eshalb ostentativ aufSe r Kraft zu setzen. Di ese bedin gte Entfre m - z ur Ebene ve rkürzt, reduz ie rt, restituiert di eses di e (c haotische, imaginä re) T iefe vo n
dun g dient der Abstraktion vom Ding zum Bild , vom Körper zur Esse nz, d . h . zu r Raum und Ze it, o hn e s ie aus sein er konzentrisc he n, symm etrischen, asymmetrischen,
Essentia lisie run g ein es künstlerische n Prinzips. Obwo hl die Memoria lpoetik ihrem doch stets differe nt o rganisie rten Ord nung zu entlassen - und so auch das Sprach-
philosophische n Wese n und ihrer narrativen Funkt ion nac h sich erli ch e in g roßes D e- bild. Das Subj ekt isr ni cht lii nge r abhängig vom Abbild d er Absenz, es greift ein, es
siderat Prousrs wa r, ist sie letzdich auc h e in e Iire rarisc he List, urn dm Kontimmm einer ordn e t, es g ibt sic h hin .
Identitdtssuche jormtd zu gewiihrleisten738 und stellt deshalb nicht etwa e in en Bru ch
mir d em poetische n Interesse d es Früh we rks dar. Es ge ht d e r Recherche d a rum , Lebe n
und Kun st zu verbind en, inde m d e r Re mini sze nz, a lso d e r W iecl erkehr e in es Augen- die Sinnlichkeit des Abwesenden
b li cks durch di e »me m o ire involontai re«, di e Metonym ie als >> miracl e d'un e ana logie«
gege nübergesrell r wird. 739 Der Gesc hi chte d es H eld en e ntspri cht poeto logisch Pro usrs "u nd es gen iigr auc h noc h n ichr, dass ma n Erinn erun ge n har. Ma n
Roman ; hi e r ist es aber ni cht m e hr, wie gemeinhin a nge nomme n , di e Erinn e run g, m uss s ie ve rgesse n kön ne n 1- .. j. D en n d ie Erinn erun ge n sdbsr siml
sondern di e Sprache und ihr Kontigu itätsve rmöge n q ua Imag in ation in d e r Gegen- es noc h ni c hr. Ersr we n n sie ß lu r we rd en in uns, Bli ck und Cebii rde,
wart d es Schreibakts, das a ls Sc he ma d er Erfahrung gen utzt wi rd .7 .10 Di e >> tisan e<<, mir n amen los und ni chr me hr LU unrersc he id en vo n un s se lbsr, ersr dan n
d er gleich di e ga nze Co mbrayer Ve rknüpfun g von >> maiso n«, »v ill e«, >> jarclin «, »Vi - kann es gesc hehen , dass in eine r sehr sclrenen Srund e das ersre Worr
e in es Ve rses auf.~ re hr in ihre r Mir-re und aus ihn en ausge hr. /" '
11
vonne«, >>eglise«, etc. aufe rsteht, ist e in e Konste ll a tion d e r G le ich zeit ig keit d es Un -
gleichzeiti gen, de r InbegrifF vo n Prousts M eto nym ie schlechthin. D ie Ko nseq uenz
wäre aber, d ass sich diese Verknüptun g ni cht e rz~ih l e n lässt, da sie blitzhaft isr, es se i D e r Auror der Recherche als K ri t iker hat in seine m spiiten Baudelai re-Essay auf di e
d enn , als Ceschi ehre ihrer Entdeckung, wie sie die narrative Klamm er von Co mbray Gege nwii rri gkeit di ese r s ich hin gebe nde n iisrheti schen Erfahrun g des D ich ters hinge-
zur Matin ee G ue rm a nres in d e r Tar leistet. Realisierbar isr sie nur, ind em sie f·ortwiih - w iesen: Im Zeic he n d es >> Voyage«- Verses >>Au Fond d e l' lnco nnu pour trauver du nou-
rend plötzli ch ist, was aber di e Mögli chke it d es Ged ~ichrni sses ebe nso sprengt w ie di e veau « g ibt e r zu bed e nke n , dass ke in andere r Poet d en Sinn d es Neubeginnens inner-
epische (l in ea re) Erzähl form. D e r Ort d e r fortw~ih re nd e n Plörzli chke it - und nur sie ha lb d esselben Gecl ich rs so e ntw ickel t habe wie Baudelaire; d enn mittendrin werde es
ermögli cht di e a nges trebte Homoge nität d es Stils- ist daher die Sprache, d ie in ih - vo n e in e r >>ac tion precise« unterbroc hen , die das Signal sei, dass hi er der Dichter von
rer S ukzess ivir~i t durch meto nymi sche Setzu ng und ihre fo rtwiihrende Ve rwandlun g ein e m andere n Verl a nge n zu e ine r neuen E ntd eckung (>>tJO uvell e jouissance«) ge rufe n
oder Variat io n ständig auc h Simultan eität, d. h. Bi lclli c h ke it, un d damit, wi e es d em worde n sei. Und d e r Di chte r - >>e nivre par les d eli ces a l' in srant offen es« - find et
266 V II . TRÄ U MEN, ZWE IF ELN , ORD NEN 2. DAS SC HR EI BE N FÜ R DIE ZUK UN FT 267

in di eser Augenb li ckswa hrn ehmun g das un e rhört Neue (CS B, 624f.). Proust formu - d e r E rfahrun g w ie a uch di e >>e rreurs d e nos sens</" 7 und aus der Sprac he di eser >>m o ts
7 5
li e rt hi er sein en eigenen Eros d es Schreibens. '' Worin di ese »acrion precise« b esteht, oubli es<< d es Leb e ns e rstehr di e Sprac he zukünftiger Passion en (d em Schreiben , dem
ist phänome nologisch kaum zu bes timm en: wed e r E rinn er un g, no ch Imagination E rinn e rn als lnn ewe rd en d es Ich): nicht Ged ächtnis, sondern Prophezeiung (>> proph e-
beschreibe sie treffe nd . Baud elaire selbst n ennt di eses Wa hrnehmungs ve rmöge n di e rie <<, IV, 486). 7' 1" Di e Schreibweise, wi e sie d em Leser in Prousrs Roman begegnet, ist
>> imaginarion«, g re nzt di ese aber von d er ,, f~mtai s i e<< und >>se nsibilite<< ab; sie se i di e Ei- ni c ht R es taurarion 7.19 verga nge ner sinnli cher Erfahrung, sond ern di e sich ihrer bedi e-
hig keit, di e »ra pporrs intim es er secretS<<, di e Korrespondenzen und Ana logien zu er- n e nd e Übe rbi etun g in der D o ppelerhhrun g ein es wa hrnehmend en Schreibens. Da-
fassen , um in di eser Im agination als Wahrn ehmung di e Se nsibilität d er Sprache s r~in ­ mir ist d as übe rrage nde Telos d e r Gege nwart benannt, d as mir Prousrs Telesko p-Me-
d ig n eu zu erbringen. 7 ' 16 Die Im ag in a ti o n ist an di e Sprach e gebunden ; be id er bedi ent taph e r e in s prech e nd es Bild erhä lt (I V, 6 18). Nur di e Gegenwart, di e eine d er Sprache
sich das Bild, um Sprac h e neu herzuste ll e n, unvorh e rsehbar, plötzli ch . is t, e rl a ubt d e r E rfahrun g, mir allen Unzu län gli chkeiten sie selbst und do ch au ch
Zwar sagt Prousr mit d em Erziih ler, das Mareri al sein es Bu ch es se i di e E rfahrun g wa hr zu se in -zumind es t so wa hr, w ie es vom Sta ndpunkt der Gege nwarraus mög-
(IV, 493). Z u ihr ge höre n auch jene >>e rreurs d e nos sens<< , di e, als Teil d e r E rfahrun g, li c h ist. D ie Neigung, sich in Bild ern zu sehen , m ag, wi e Hans Belring bemerkt, aus
di e Wirklichkeit verfälsch en (»fa ussenr l'asp ecr reel de ce mond e<<, IV, 622). D eren d e r Ungewissh e it übe r sich selbst ersrehen, umso m ehr, als das Subj ekt m ehr vo n den
750
perman e nte Korrektur im M edium d er Sprach e soll aber übe r di e Erfahrun g hinaus Bild e rn b esetzt ist, a ls H e rr d er Bi ld er zu sein . D ennoch ist das Ritual sich wan-
zur Wahrh eit führen : »pui squ e c'erait Ia verite, Ia ve rite so up<;:o nn ee par chacun, qu e d e lnde r Bildli c hke ir di e e in zige Op ti o n, um Disran z zum Ich zu gewinn en und es auf
je d eva is eherehe r a eluc id en< (IV, 623). Die Erfahrun g d e r Sinn e mag ihrerse its Iden - di ese W e ise wa hrzun ehm en (sein e Statik zu negieren , da das Bild Bild von erwas Ab-
ririir erzeuge n , wei l di e Re miniszenz als Wiederho lun g eine r Sinneswahrnehmung das wese nde m isr). 751 Auch aus di esem G rund kann ein solches Er-Schreiben der Wahr-
Bewusstsein dafür stärkt, dass es, durch di e bloße M ögli chkeit di eser Re minisze nz, h e it nicht e nde n , um so we ni ge r, als es sich zur eigenen Klii run g bildlicher Vergleiche
keine Diskontinuität ga b, so sehr a uch das Vergesse n di ese naheleg te: Tatsiichli ch ist b edi e nt. Den n di e Rh etor ik d es tre ffenden Vergleichs, ihr komparatistisches D enken,
di ese verloren e Ze it di e inko rpori e rte Ze it (» le remps in co rpo re<<, IV, 624), die sich im se tz t e in e Kombin aw rik in Ga ng, di e jed es Kond ensat, jed en Begriff ve rm eid et, un1
eige n en Se lbst wied erfind en lässt (>> red escendre en so i- m em e<<), wie es a m Bild d es a n sein e Stell e di e Su ch e selbst zu setze n , als perman ente Ann ;ih erun g an d as treffend e
>> tintem e nt<< veranschaulicht wurde. W e nn abe r schon di e Sinnese rfahrun g auf je nen Bi ld. So w ie di e ve rl o re ne Zeit nie w irklich ve rl oren war, so ist di e w ied ergefund ene
>>e rreurs de nos se ns<< be ruht, a uf d e m lm ag in a rium d er Namen, d e n T ii uschun ge n ni e Zeit ni e d a u e rh aft wiede rgefund e n. Das Worr, d as ihr entspricht, ist im n;ichsren Au-
ein ge haltene r G lü cksverspreche n - so w;i re di e ld enririit e1·kauft durch di e Lü ge, ge nbli c k sch o n d as Wort, das ihr in jenem Augenbli ck entspmch. Wie so llten d aher
durch das bloße Noch einmaL D essen >>Za ube rschrift<< (»g rim oire Aeuri e<<, IV, 457), in di e Worte le iehr zu find e n se in , da in ihnen ersr das Bi ld gesucht werden muss, um
d er fol gli ch das gesa mte lm ag in arium d es H e ld e n gesc hri eb en steht (Co mbray, di e a lsb a ld vo n ihn e n ve rschürtet zu we rd en . Das Gefühlte einstige r Sinn eswahrn ehmun g
Ph antasm en üb er Mada m e Swann , Oriane d e G ue rmantes, Albertin e in d en Forruny- wird d e r Re pr;ise ntation unte rstellt, ni cht di ese d er Konservierun g vo n Empfindun-
Einhü llun ge n), ist ni chts weniger als das quasi mag isch e Los lösen d e r Bilder (»des ge n. Doch di ese Rep räse ntation als Z iel und Modus des Kun stwerks löst sich selbsr
irn ages qu'ell e d ecle ncha it<<, !V, 457), di e Initiation in di e >>te mps in co rp ore<< d e r ve r- auf, um authemisch und fü r d e n Leser performati v erl ebbar zu sein , n;itnli ch in d er
lorenen E rfid1rung, aber b ei we item ni cht, was d e r Erzähl er ,, Je reel rerrouve<< n ennt, Fragm e mi erun g . Di e Repriisenrar io n ve rli err den Ges tus fin gierter Wahrh eit, in d em
d as »Jün gste Ge ri cht<< d er Kunst als Sche id eweg von Illusion und Wahrh eit. Nur di e bi sh e r di e M acht d es Romanci ers bestand en hatte, und erserzr ihn durch di e Da rstel-
lllusion en d er ErEduun g zu verjünge n , so d e r Erzähle r, wii re e ine Versuchun g, gegen lun g ihre r Unmög li chkei t, wi e sie di e Vergleiche in ihre m un abschli eßbaren Variieren
di e d er Schrifrsrell er d e n Mur aufur in ge n muss, a n di e O bj ektivität seine r Erbhrun g zur Sch a u stell en: >> [ .. . ] chan gea nr a chaq ue insra nt d e co mparaiso n selon que je m e
w glauben (IV, 477). Di e >> memoire invol onta ire« als Z uEtllsprinzip ist d en >>ap- represe ntai s mi eu x«: ke in Bild, das ni cht no ch zu vo ll enden wäre, ni cht neue Bezüge
parences<< verh a ftet, erst deren E ntzifferun g im E rkenntnisinstrum ent sprachli che r erl a ubre, di e di e Wahrh eit d es Ga nze n ersr zur wesentli chen Form an Id entität ve rn et-
Verknüp fun g von Zeit als >>d echiffrem e nt a rebours<< und >> marche en se ns in verse<< zen wü rden. Diese Tora lirät d es Schreibens erblickte Proust auf seine Art in Baude-
(IV, 475) führt zu ein er d er Gege nwart ge m äße n Identität, di e aus d en >>a ppare nces<< la ires äst he ti sch e r Erfa hrun g. Es g ilt d er Z ukunft, je m ehr es sich an der Verga nge n-
di e >>esse n ces<< zu d es tilli eren we if~. Di e Wi ed erholun g d e r Erfahrung wü rd e ihrerse its h e it sätrigr. D e nn es setzt auf Ve r;i nde run g, Sre ige run g, Überbi erun g. >> Ecrire no us
ba ld zur >> habirud e<<, würde der Künstler nicht in der Gegenwart das Differente unter den ch a n ge . No u s n 'ecri von s pas selon ce qu e nous so mm es ; nous sommes selon ce qu e
Wörtern selbst suchen (»Ce trava il d e [ ... ] ehe reh er [ ... ] so us des mors quelque chose no us ecri vons <<, schre ibr Bla nch ot. 752 Die Obj ekr iviüir d es Werks, di e Erfüllun g sein es
d e differe nt<<, IV, 476). Wa r di e Wahrnehmung im Lebe n weit m ehr >> p la isir m edi o- e n once, ist d a mit ins Proph etische ve rscho ben; se in O rt und M edium ist der Ro man
cre<< als >>jo ie<<, m ehr Leiden als G lück, so ne utralisie re sich im Schreiben d er Schme rz se lbs r, sein Vollzug di e ~is th e ri sc h e Erfa hrun g d es Lesers. Auch für di e Lektüre kann

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268 V I I. TRÄ UM EN , ZWEI FELN, ORD N EN 2 . DAS SC H RE IBE N FÜR D I E Z U KU N FT 269

Blanchots Sa tz gelten, zumindest für di e Augenblickli chkeit, in de r de r Lese r das ima- im »Ca racte re purem ent m ental de Ia realite<< wird das Werk als Buch imelligibel, d. h.
ginäre litera rische Bi ld realisie rt. D e r Lese r allei n ka nn di e >> proph eti e« d er di chteri - im Lesen verä nde rba r, ad aptierbar, den Inversionen unterworfen (IV, 493). Letztere
schen >>mots oubli es« ein e r un endlich um sich selbst kreise nd en , so lipsistischen Iden- s ind , wie gezeigt, ein Ge nerato r des intelligenten Wahrnehmens, wei l sie das D enken
titätss uche in d ie >> Ian gue uni ve rsell e« (lV, 482) transk ri biere n, in d er er sie lese n, d es Mög li c he n gegenüber dem D enken des bloßen Seins erlauben .755 Hierin bes teht
versteh en , zu seiner e ige nen Sprac he und Pass ion auf·b e reite n kann. 753 D enn di e Wone di e Lust des Imagini erend en, Fabu li erenden, aber auch d ie List d es nach maxima ler
sind M etaphe rn d er Düfte und Farbe n , di e Tön e und Düfte aber G leichni sse der E rhthrba rkeit St rebenden, wenn ni cht das prophetische E rsinnen ein es höheren Men-
Worre, di e Klä nge je ne d er Farbe n, u nd vice versa, im Sinne von Baud elaires »corres- sche n in Robe n Musils Sinn .756 Prousts Äh nlichkeits- und Möglichke im lenken besrii-
pondan ces«. Erst mit d em Lese r ist de r Tex t w irk li ch in d er Z ukunft angekomm en, rig t s ich als e in Sn·eben nach max imierrer Wahrnehmungsßhigkeir.
auf d ie e r sich zubewegte. Das Kunstwerk könne scheite rn, so Proust, we il di e »es- Au ch für di e Evokatio nen sinnlich er Wahrnehmung im Roman gilt, dass sie nach
se nce« seine r Formsuche zu subj ektiv und d aher ni cht ko mmunizierbar w~ire, und d em P rinzip d es Zwe ifels forrw~ihre nd schwanken, sich ergänzen und ve r~inde rn (so
d och w;ire sie we nigstens wahr, als Ausdru ck je ne r »rea li te interi eure«, de r die Wahr- "fes t << und kristallisierr di e Einzelbi lder als »pieces de resistan ce<< in der Gege nbewe-
nehmung unterworfe n wurde (IV, 46 I , 464). 75 ·' Oie Auth emizität der Perze ption , bei g un g zu dieser Pe rformanz sich in den Anspielungen an Galle-Vase n, Juwelen oder
weitem ni cht di e Erpressun g d er E rinne run g zum Werk ma rkiert also das Telos vo n Gemäld e darstel le n), ohne dass dies ih r einziges Movens wiire. D enn in dieser Vir-
Prousts wa hrn ehmend e m Schre iben. So wi e d e r Schri ftstell er als Sadi st a n de n M en- tuali tät e ntsteht ein imaginärer Raum, in dem es dem Leser überl asse n ist, welche
sch en schuldi g w ird, di e gleichsam nur für ihn leb ten , als Model l se in er Figuren (IV, Perspektive in ihm selbst ein Echo wachruft, welche Linie er ziehen würde (der »jer
48 1), so lebt de r Schriftstell er für den Leser, d er sich se ine r Leide n sadistisch bedie- d 'ea u << isr e in Beisp iel d ieser plural en Wahrnehmung) - ein Idea lismus der Unent-
nen w ird , um sie zu übe rwind en (wie d e r Erzä hle r jene Swanns), di e Lektüre als Leh- schi ed e nh e it und ein Z ustand perma nenten geistige n Schwebens als Balanci eren auf
re de r Wahrnehmung durchlaufe nd. Um sich auf di ese Z ukunft scho n in de r poeti- d e m Fa lz d er Mög li chkeiten. Worauf Prousts Roman also wesentlich ge richtet ist, das
schen Struktur vo rzube reiten , musste d er D ichter di e E rzä hl er- Instan z zum blofsen ist d as Wah rn ehm en als Erkennrnisfo rm.
exekuti ve n O rga n d esavoui eren, da mit der Roman überhaupt je nseits sein er Fabel les- Ihre n Wege n und Abwege n entspricht im Roman die Kombinatorik der Bi lder. Ge-
bar würde, a ls Itin erarium von vo m Leser zu besetze nde n Leerstell en in de r terra in co- w iss stell t de r E rüh le r selbst di ese Ko nstellation en her, wenn er etwa Vened ig mit
gn ita de r Lektü re. Aus de n verschied e nen Ström en de r Schre ibbewegun g, di e Pro ust Co mb ray vergle icht ode r Mll e d e Forcheville als Transversale der Zeit erHihrr, in der
an Baud elaire aufze igt, und d ie der Tex t a ls auth entischer ni cht ti lge n so ll , muss de r a ll e Re mini szenze n ku lminie ren. Oie Tota li tät der Korres pondenzen trifft hin gegen
Lese r selbst di e Wege nac hzeichn en, di e d e r Dichte r im mapp in g sein e r Denk land - nur de n Lese r, sei es auf d ie E iluren des Autors hin , sei es, weil sie sich im Text ver-
schafte n entwirft. We nn sich inne rhalb d iese r Drehun g auc h di e Ko nstellation der fi - selbstä ndi ge n . O ie Totali r;it di eses propheti schen Schreibens vo n Wahrnehmun g ist
gurative n Bi ld er bewegt (w ie das e in ga ngs zitie rte Sternenbild) , beginnt di e Lektüre d a mit in s Utopische verw iesen und mir ihr die Erfahrung vo n ldenti riit und Konti-
di e Bewegun g des Schre ibe ns selbst zu imiti eren , als un absc hli eßbare. E rst in di ese r nu itä t. D eren Starrhalte r ist de r »utop ische Augenblick<< : Introspektion und Bewusst-
Tl·anskript io n , »S uperpos iti o n<< und »a lte ration<< e ntsche idet sich nach Proust di e sein d e r Au ßenwelt, und da rin ;istherische Oppositi on. 757 Für d iese Erfa hrun g gilt das
Wa hrh eit e in es Bu ches (IV, 489), de re n E rf~d1run g wi ede rum davon ab hängt, ob d er Prinzip d er »m e moire involontaire<<: ihr Sinn ist di e Pr~ise n z ga nze r Kontexte, so ab-
Leser die ih m entspreche nd e Linse find et, die ihm erla ubt, das Buch auf di e ih m eilt- wese nd sie auch sein mögen. D enn di e bloge ldenti üit der Augenblicke von einst und
spreche nde W eise zu lesen (I V, 490 , 6 I 0). jetzt ist nur w ie das O eja-v u e in Prinzip des Z ufalls. Aus Erfahrungskontexten setzt
D ie Sc hluss fo lger un g, di e aus di ese r Wahrne h mungsästhetik (di e zu gleich ein e s ich di e ld entiüir wie die E rinne run g frag mentarisch zusammen, »pli selon pli <<, vo n
E thik des Lese ns, d er Literatur ist) zu ziehe n w;ire, ka nn d ie Recherche a ls manisch- D e tai l zu D etai l, in ständ iger A rbeit un d stets angerriebe n von der Notwendigkeit ho-
so lipsisti sche Suche nac h unumstößli chen Erinn e run gsko nde nsaten ebenso we nig be- moge ner Plörzli chkeit: ein e Au fsc hreibearbeit, di e sich in dem Maße ve rze hrt, in dem
st;itigen w ie als ganz auf de n W erkcha rakte r hin fi xie rtes Aufsch re ibe- Proj ekt. Dass sie sich forte ntwi ckelt, so dass in der Ge nese vo m Wa hrnehmungseindruck im Sinn e
der Erzä hl e r vo n seinem zu sch reibe nde n »Bu ch << (ni cht all ein >W e rk<) spri cht, legt d es Prosagedi ch ts wr Erüh lstruktur des Romans die Identität zw inge nd zu r Fiktion
nah e, welch e Bedeutun g d ie Lektüre für es habe n wird, während das >W e rk< nur w ie- ge rät (gle ichhin , in w ie weit vom Autor gelenkt oder ihm entgleitend), -Sammlun g
der di e herm etisch abgeschl ossene M ate ri e wäre, d ere n Wesen di e G leichgültigkeit ist d es lch durch d esse n AuAösun g, O rdnun g des Romans durch ornam ental e Verschlin-
(IV, 489). Ni ch t auf di e Verga ngenh eit bezieht sich di e ve rlorene Zeit, so nd ern , als g un g, imagin ä re und sprachgewonn ene Anwesenh eit sinnlicher Wahrnehmun g in ih -
Ma hn un g, auf di e Z ukunft: »Cetre idee du Te mps que je ve na is de fo rm e r d isait qu' il re r Abwesenh e it: in di esen Paradoxa und Inve rsionen vollzieht sich das Kontinuum
etait te mps d e m e m ettrc<< (IV, 6 12) - es ist Ze it zu beginn en , imm e r aufs N eue. N ur zweite r Natur, das romanes ke.

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270 VII TR Ä UMEN, ZWE I FELN, ORD N EN 2. DAS SC HR EI BEN FÜR D I E Z UKUNFT 271

Der Fiktion und ihres Mögli c hkeitssinns bed a rf die lde nri üir, um zu sich selbst zu- logisc he Ko nsequ enz ein es lebenslange n Schreibens wa r, das dieses Leben auch rea l
rückzufinden. Besond ers de r a urareferenti ell e Status d es Fikti ve n di enr de r lde nrir~ir verzehrte. D enn di e O ld<as ionali rär ihrer Entstehung ist von der Poetik der Recherche
als U mweg zum e ige nen Ursprun g. 758 >>Ca r si Ia vie esr peu vrai e, eil e es r bi en rro u - ni chr zu trenn e n. In and eren Worten: die ßildli chkeir des Romans entwi ckelt ein au- /

vee<<, he igt es be i Monresquio u zur di ch te rischen Form der solche rart in Worte n zu rorefe re ntiell es Gefü ge, lös t sich aber ni cht von der auk ro rial en Instanz, deren Emp-
en tdecke nd en Identitiit. 759 Jed e epische Fo rm seit der Amike ve rwandelt sich be kannt- findungsgehalte sie in d er Anl ehnung a n die Tradition des Prosagedi chrs durchaus
li ch durc h ihr W eire re rz;ihl en von Ge ne rar io n zu Ge nerario n - eine Metamorphose, transporti ert, ohn e dass d eshalb eine präzise lebensweltlich e Refe renz vorli egen muss.
de r di e Schrift nur sche inbar E inhalt geb ie te n kann, wi e Prousrs Erfa hrung zeigt. Das D e nn wen n gesagr w urde, dass di e ßildli chkeir sprachlich enrsreht, nämli ch durch
Subj ekt selbst durc hl ~iuft m ehre re Ge ne ration en . ln de r sich aus d er Fü ll e d e r ve r- M e ron ymie, sich also in Ge nerres Sinne di e Wörter gegenseitig anstecken, so bedeurer
schi edenen Schreibimpube gene rie re nde n Summ e d e r >> moi qui se succedent e n m o i« di es ni cht, dass sich der Aurar im Sinne der »no ri o n pure<< der Arbirrarirär der Sp ra-
konkreti siert sich di e Konriguität d er E rfa hrun g, di e Identität, nur um den Preis ihres ch e überli e ße . E r e nrdecl<t vielmehr auf di ese Weise, so sei resümi ert, das sprachlich e
Verlusts an di e Sp rac he. Wahrnehm e n und Denken soll e n H a nd in Hand ge he n - W esen d e r Dinge, das ihm erlaubt, neue Ans ichren zu gewinnen, wo die optisch e
>>et re repense que pa r Ia sensibili te« (IV, 464) - , in ein er intelligi blen Sinnli chke it, Wa hrn ehmung nur e in e zeigt. Auf diese Weise entfaltet sich die Wahrnehmung in der
w ie sie nur di e Sprache bes itzt. Dass nur das W ese n von ein st, welches das fch wa r, Sprac h e w ie di e ziti erten japa nischen Papi erkugeln im Wasser: unvo rhersehbar, plötz-
diese Wahrnehmung sinnli ch erbrin gen ka nn, wi e d er Erzä hl e r sagt (IV, 464), be- lich, vi elges talti g, imaginär: das »Wund er der Analogie<< .
deutet ni cht ein nosta lgisch es Festhaire n a n eine m verga nge nen »moi s u ccess if~,, so n-
dern vielm ehr desse n sr~i ndi ge E rn eue run g und E rn ährun g aus de m Jetzt d er Sprache
heraus als »eq uiva lenr spirimel« (IV, 457) und geisti ges Bild d esse n, was dam a ls nur »toutefois peut-il se faire que je me trompe«
sinnli ch erl ebt worden wa r. Das Stirb und W e rd e des proustianischen Di chte rs e r- In di eser M etamorphose ve riinderr sich der subj ekti ve Wahrnehmungseindruck no t-
laubt ihm in der pe rma nente n E nrzündli chke ir se in es m etonymischen Sprachtalents we ndi g im Prozess der sprac hlichen E ntfaltun g. Enrf;tl re n aber kann sich etwas nur
di e Erfindun g se in er selbst Wort für Wort, bi s das Sc hreiben zur Form des Leb em nach d e r Logik se in er Falrun g; di e Wirkung bleibt an ihre Ursache geb und en. Das
und se in er Entä ugerun g wird, zur »p rophetie« als Gabe an d en Leser. E le m ent di ese r M etamo rph ose ist metonymisch, d. h. auf Ähnlichkeit gerichtet, nur
Das Aufgehen des Ich in de r Sprache, je ne von ßaud ela ire und Mallarm e bis zum ist di ese Ähnlichkeir zu gle ich di e höchste Differenz, die der Wahrn ehmun gseindru ck
nou vea u roma n re ichende Id ee vom absoluten Tex t, konkreti siert sich in Prousts e rzie len ko nnte. Abs trakt ist sie nur hinsichtli ch der Zeit, di e sie durch Ide nririir
Schreibe n gerade a uf dem Höh epunkt subj ek tivi stischer lnrrospekrion. Sie bl e ibt zwe ie r Auge nbli cke überbrü cken kann; im Schreiben aber ist sie ko nkret, als Ep is-
noch da rin subversiv subj ektivisti sch , dass sie sich di ese r Id ee vo m ichl osen Texr ra- rem . Ähnlic hke it und Differenz schli efse n sich ni chr l ~in ge r aus, denn das Ähnli che
dikal e ntgege nstellt. Prousr ge ht es, ande rs al s Mallarm e oder d en no uveaux rom~lll­ isr ni e m a ls das G leiche, so nd ern das Andere im G leichen als In ve rsio n gedachter An-
c iers, ni cht um di e »Virtu alite« de r SJJrache als N ega tion des Referente n und Q uell e d e rsa rri g ke ir ode r das G le iche im And eren als Inversio n gedac hter G leichfö rmi gkeit.
ein es neue n Imagin äre n a us de r Realität de r La utli chkeir und d es Klangs (» no ti on Da, wo d e r Intellekt die Dinge gerrennt wa hrnehmen will , ist di e Ähnlichkeit die
pure« ), auch ni cht um di e >>virru alite« a ls aurarefe rentiell e m Re Aex io nsm o m enr de r E rke nntnis ihre r gehe im en Z usa mm enhänge (Le Port de Carquethuit). Da, wo der In -
Fikri onalirär und rein en Sp rac him agina rion, so ndern um di e Virtualir;ir d er Spra- te ll ekt di e Din ge a ls ii hnli che ve rgleicht, erkennt er dank ihrer >>essence co mmune«
761
che in ihrer Eigen schaft als un ermüdli cher Rea li üirsserzu ng. Prou st übe rbrückt de n auch ihre Diffe re nz, di e also erst aus der Ähnlichkeit heraus erfahrbar ist. Diese
sich nac h Vilem Flusser mir d er Emanzipatio n d er Einbildun gs kraft öffnend en »A b- Ähnli chke it, hi e r noch psychol ogisches Ex perim ent, ist die Vorsrufe einer sprachli ch
g rund de r Entfremd un g« zwische n Subjekt und obj ektive r W elt ni chr,760 ind em e r zu gewinne nde n Ähnlichkeit, w ie sie erwa am Beisp iel der Salbecer Fe nsterausbli cke
das Subj ekt durd1 di e Sp rachregie substitui e rt, so ndern ind e m er, wi e beschri ebe n , od e r d er O pe rn szene e rl iiurert wurd e, d. h. im Erlöschen des Referenten zugunsren
d as Objekt durch d essen subj ektive Wirkun g überwind et und es in d er Perspekti ve eine rn eue n Wahrnehmun g d er D in ge. Diese signiert paradox durch Verfremdung di e
d er Erinn erun g als abwesend setzt. D e r G la ube an di e Möglichkeit (was ni cht he ifk hö here Wa hrh e it e ines einm ali ge n Augenbli cks, gleichhin , ob di eser Auge nbli ck sich
ihr G elingen) sprachli ch zu generi e rend er Sinn e ffe kte ist un gebroc he n; d er kri se nbe- ein er senso ri schen E rfahrun g ode r e in er Entd eckung in den Worren verdankt. D enn
w uss te Sta ndpunkt d es Ironike rs ist Pro usr fre md: sein Roman ist, and ers als Mallar- D enken und Wahrn ehm en sind hier eins; Subj ekt- und O bj ekrwelt, Sinnli chkeit vo n
m es W ürfelspiel e, C laude Sim o ns Wörte r als »co rps conducreurs« o d er Geo rges Perecs Abwesend em und A nwesend em sind ve rsö hnt im Strom ihrer wechselseiti ge n Über-
62
Texrualitär, a n ke in er Stell e spi ele ri sch (a ll e nfa ll s schi c ksalhaft) , so w ie denn di e Auf- trag un g von Korres pond enze n, im Sinn e der vo ra ri stoteli schen Philosop hie/ und
lösun g des Ich in de r Sprac he ni chr das E xperim enr und Z iel, sonde rn di e poero~ t renn en sich erst w ied e r in der Filterun g durch die Sp rache.
272 V II . TRÄUMEN, ZWE IF ELN, ORDNE N 2. DAS SC H RE IBEN FÜR DIE ZUKUNFT 273

D as lmagin ii re bl eibt also im Di e nste d e r Wahrh eit, ni cht d es tex ruelle n Spiels. Es Vielzah l an Bild ern , di e das Bewusstsein vo n den Dingen emp fli ngt, unterl egen; es
überrrifft di e rein e Beobac htun g d e r e mpirischen W ahrn ehmung durch di e Verviel fa- ge ht Prou sts Schreibe n a lso darum , diese Bilder zu reko nstruieren, zu restitui eren, da-
chun g d er mög li che n Gesichtsp unkte, w;ih rend in erstere r das Objekt nur vo n ein e r b e i z u vervol l s t~incligen, sie auf ihre intelligibl e Nutzbarkeit hin abzutasten und so
Seite gegeben ist: Oieses >> Lern en << d es Sehens, das a uch Sa rrre ford e rt/ 63 ist nur in di e Ve rga nge nh eit in di e Gege nwart hin ein fortzusetze n 7 69 Womit all erdin gs die ei-
d er Vorstellun g rnögli ch. Sie nutzt di e Mög li chke iten de r Sprache - und avan ciert ge ntli c he Erinn e run g imm er weiter aufgeschoben wird, da das E rinnern performativ
so zur geschri ebene n Wahrn ehmun g - , weiL ihre rhetorischen Figuren immer fluch Fi- d e r Jetztzeit fo lgt, um ni cht, vo n der senso rischen Aktualität losgelöst, abzusterben.
guren denlebarer Erfohrung sind und a ls so lche Transformatoren d er Wahrnehmun gs- (Diesem In -Sich-Kreisen des di chterischen elanviral wird am End e das Bild des Or-
vielfa lr. Es brauehre im Fa ll de r Recherche e in ga nzes Leben , um die Bildlichkeit di e- n a m ents z uzuwe isen scin .) 770 Erst dieser Durchdrin gun g von Wahrnehmung und E r-
ser Figuren zu e ntwi ckeln , di e bei a ll e r E n tfremdung und Ve rselbsüindigun g darin inn e rrl mi sst Bergsa n das Pr;idikar des Geistes im Gege nsatz zu r bloßen Materie der
so unpro g rcss iv und traditionell sind , d ass sie sich , wie bei den Rom antikern , ni cht Pe rze ption zu. 771 Pro ust wäh lt als Verlaufsform sein er nervli ch stets so anges pannten
vo n d er subj ekti ve n Welterfahrung trenn e n , de ren - sy mbolisches - Abbild sie viel- S prach e d as E rinn ern , we il di e Wahrnehmung zwa r, in Bergsa ns Worten, d as »mo-
m ehr bleiben. 76'1 Auf di ese Weise srehr d as Schre iben ni cht im Zeiche n eines di e ei- tO risc h « und »senso risch«, kurz das kö rperhafr Wirkende der Gege nwart ausmacht,
gene Fikrionali rät durch spie le nd en nl'arr po ur l'art«- Prinzips, so ndern bl eibt bei all er di e Ve rgange nh eit abe r dagegen das ist, >>was ni cht mehr wirkt, aber wirken könnte,
Äsrh erisi e run g in de r Form gerade in de r beschriebenen Prozess hafi:i gkeir d er G e- was w irken wird, wen n es sich ein er gege nwärti gen E mpfindung einfügt und von ihr
neri erun g vo n Bildli chkeit de r Welt zugewandt, als Akt d es Ve rsrehe ns und E nrfa l- Vita lität e ntle iht<<: Hi e r wä re jede Erinnerun g annuli ert, wei l aktuali siert, und w;ire
rens von Wahrnehmung. nVinualität</ 65 he ißt d es ha lb nicht di e Negatio n jegli cher w ied e r Wa hrn ehmung. 772 D a aber jede Wahrnehmung ihrerseits eine »Dauer« bea n-
Abb ild funkrion , so ndern e in Konste ll atio nsde nke n vo n Möglichke iten , so sehr sich sp ruc ht, setzt sie di e Verga nge nh eit nicht nur in di e Gege nwa rt fort, so ndern dient,
di eses in d er Prax is des Sch reibe ns auch zum Wu che rn d er Bildbezüge steige rn mag, um e in e le tzte Formu li erun g Bergsa ns aufzugreifen, einer nimmer komplizierte ren
dere n Referenz gle ichsa m malg re lui ve rl o re n ge ht. A ls e in Versuch, de r un aufhalrsa- Ausgestaltun g e in es Ne rvcnsyste ms«, 773 dessen Bewusstsein sich in der Ze it spannt. In
rn en mi se-en-a bym e d er Bezüge in ein er ;isrh etischen O rdnun g Einh alt zu ge bi eten, ke in er W eise isr es auf Bewa hrun g des Verga ngenen ge ri chtet, so nelern im Di enst ei-
w urde dahe r d as Ornam enr beschri ebe n . Es ist das »pi ece d e res istance << in de r Flut nes nimm e r inte nsive ren Lebens« darauf, in der »unmittelbaren E rfahrung eine imm er
der Kontingenzen. Denn es isr einsichtig, dass die Ve rl aufsform des Wahrnehme ns, wac hsende Za hl äuße re r Augenblicke in sein e gege nw~irtige Dauer« zusammenzuzie-
zu der auch das E rinne rn gehö rt (im Gege nsa tz zur E rinn erun g als fes te m Kondensat he n , a ls Übung e in es fre ie n Geistes:
im Sinn e d er M emorabili e), zunächst jed er O rdnun g e n tgehr. D as E rinne rn zur Fo rlll
d es Werks zu erh ebe n, ist also ni cht nur, wie oben erwoge n wurde, e in Tl·i ck, um »De r Geist entnimmt de r M aterie Wahrnehmungen, aus denen er sein e Nahrung
Hom ogenit;ir herzustelle n , sondern steht darüber hin aus im Di enst e in er ve rfügbaren zie ht, und gibt sie ihr als Bewegun g zurück, der er den Stempel seiner Freih eit
Präsenz all e r Wahrn ehmun g. D ass es, anders a ls di e autobiog raphische Erinnerun g, a ufged rü ckt hat«. 774
ni cht konservi e re nd , so nd ern schöpfe ri sch auf die Z ukunft hin o rie nti ert isr/ 66 w urde
o ft , z. B. w ie zitie rt be i Szo ndi , ig nori e rr. Bcrgson bem e rkt in aufschluss reiche r Wei- Jm Schre iben als Akr de r Freih eit und Virtu ali üit wird di e Sprac he zum Medium
se, dass es nur die qu as i m oto risch e Funktion d er E rinn erun g ist, die Gewo hnh eiten di eser Erfahrbarke ir ein e r durch das Ged ~ic htni s ve rgeistigten, die Materie der Sinn e
im Körpe r zu konservi e re n, »kra ft d ere r di e Vergangen heit von neue m ges pielt wer- übe rtreffe nde n Wah rn ehmung, die sich in der perm anenten meto nymischen Ne rvo-
den kann «.767 ln Wirkli chke it abe r seie n Wa hrn ehmun g und Gedi1chrn is »auf di e T1t siüit e in e m Wahrn ehm en zweiten G rad es a nn ähert und sich idea listisch als perperu -
ge ri chtet, und di ese ist es, welche der Körpe r vorbereitet« . Je g röfser di e Sensibiliriir um m o bil e de r E rkenntnis erprobt: ni cht zweiten G rades recht eigentlich, so nd ern als
und Kompli zierthe it der Wahrne hmun g, desto g rößer auch di e Za hl mögli che r Tare n N ullpun kt e in e r Sprache, die in der Produktio n ihres eige nen Gecl ;ichrni sses Wahr-
bzw. E rke nnmi sse. D er Sinn des Ged ~ic hmi sses sei es, di e de r gege nw;i rri gen Wahr- nehm en und Erinne rn konsequent ine in anderb lendet und die empirische Wahrneh-
nehmung üh nl ichen vergangenen Wah rn ehmunge n wachzurufen, e insch Iiefsl ich ih rc r m un g damit zu überbiete n suc ht. O ffe rie rt doch di e Sprache zwei Vorteile: di e Zeit-
Kontex re, um »Uns clam ir di e n ützl ichstc E ntsche idung e inzugeben «. E rst in d iesc lll li c hke it und d e n Vergle ich . Wenn Wirrgensteins Maxim e zutrifft, dass ncler Sa tz[ .. . ]
Mom enr d er »Ta t«768 als Ausdruck erl ebte r »D a ue r« t ri tt d as Proustsche Subj ekc ;lll s e in Mod ell d er Wirkli chkeit [sei], so wi e wir sie un s denken«, 775 ist ersichtli ch, wie
dem »Flusse d er Dinge« he raus, ni cht um mn emosye nengle ich darin einzutauche n, stark Pro usts Wirkli chke it in Ve rgleichen stattha t. Und wenn ndi e G renzen meiner
so ndern der Gege nwa rt wissend zu begegne n : es ist Zeit, zu beginn e n, nie Temps de Sprache [ . .. ] di e G re nze n m ein er Welt [becleurenj, 776 so ist Prousts Z iel (wie natürlich
I rn e m ettre« (IV, G12). Die bewuss ten Wahrnehmungen aber sind d er un endli chen das d er Dichtung übe rh a upt), di ese G renze n auszudehn en, so lipsistisch auf di e eige-
274 V II TRÄUMEN, ZWE I FEL N , ORDNEN 2 . DAS SC H RE IBE N FÜR D I E ZUKUNFT 275

ne Welt ge ri chtet, abe r a uch auf d e n Leser, d essen Welt in gle ichem M age w üchse. d e m U nbezwe ifel ba re n di e Trugbilder seiner Tr~ium e wa hrer vo rko mmen als alles Ge-
Dah e r w urde weite r o ben gesagt, di e Recherche vo llziehe nich t, wi e etwa d er no uveau d ac h te. Ausge rechn e t in diesem Dilemma enrdeckr er die eige ne Idenririir: >> M ais, aus-
rom a n, d ie Fiktio nali ö t im Sin ne ei nes m it d e n e ige nen Mitteln kalkuli erten >W ür- s iro t a pres, je pris garde que, pe ndant q ue je vo ulais a insi penser que to llt era ir fa ux, il
Fels pi els<, d e nn e r w ird ni em als zum >Text<, so nde rn bl eibt, we nn ni cht di e E rzä hlun g Fall a ir necessairemenr q ue m o i, q ui le pe nsa is, fusse quelque chose«. 782 - Diese Erfa h-
ein er Be rufun g (w ie Ge ne tte o d e r D el euze m e in e n) , so d och di e Fabel se in er eige nen rung w ied e rholt Prousts letzte Seite, w ie am >> tinrem ent« des Co mbrayer G löckchens
M eth o d e. b eschri ebe n w urd e.
D a rin is t di eser Ro m an ca rtes ia nisch und d e m in te rsubje kti ve n sensus co mmun is Das Erke nn e n übe rw iegt d en Zwe ifel, we nn sich retros pektiv die blinden Flecke
verpAi c htet. 777 O ie >> Übun g d es Freien Geistes« , Wa hrn ehmung durch Sprache her- d e r Wa hrne hmung noch ins Pos itive we nden, als E rkenntnis einer Ko nrigui tät. Was
zuste ll en , kann in d er Ta t auch nur zu je ne r Frage führe n, di e jed er Perze pti o n fo lge ß e rgso n a ls M ate rie begrifF, di e senso rische Wa hrnehmung, reicht zu dieser Ko nrigui -
"ToutefoiJ peut-iL se faire que je me trompe« . Und so präse n tie rt sich di e Ceschi ehre d es riir d es Selbst ni cht aus und entspri cht bei D esca rres der Maschine (>>Co nsideranr ce
Rom anh eld en a ls Serie b lsche r, we il vo m Im ag i1üren überfrac hteter Wa hrn ehmun - co rps co mm e un e m ac hin e«). 783 Kö nn te sie sprechen , so würde sie es doch ni cht vo ll-
ge n (e in hera usrage ndes Be ispi el: di e Einte ilung d e r Welt in di e >>d eu x cö res«), d e- brin ge n , di e Wo rte zusa mmenzuo rd nen, ••po ur repo ndre au sens d e to ur ce qui se dira
ren In ve rsio n a ls Erkenntni s d en H eld e n zu m E rzähl er e m a nzipie rt. 778 O bwo hl es fü r e n sa presen ce<<. E rst d as >>c hasse-cro ise« d er Bezüge erlaubt d em Ich di e Ko nrigui -
Proust und D esca rtes, w ie scho n für Epikur und die Sto iker, keine f~d sc h e n Wahrn eh- üi r, nac h d e r es such t, wes halb d enn selbst das ve rs ra nd es m ~ißi g d efizicnre C ogito des
mun ge n g ib t - ge rad e d e n o pti sche n T ä uschun ge n w idm et sich Pro ust, weil sie d as ll·~ium e nde n D escar tes, wie gese hen, d er Realiriit d er lch- Erfahrung 1ü her erschein t
Rech t d e r W a hrn ehmung gege n d as Wissen behaupten -, brauch t es d ie Sprache, u m als di e hoche ntwickelte me nschliche Masc hine d es emp fi ndenden Kö rpers. Ko ntigui -
d as Vo rges tell te mit d e r ;iuge re n Wi rkli ch ke it abzug le ichen . Auch , was als E m fa lrun g tä t is t abe r o hne d as Ko mbin ato rische d er Sprache ni ch t zu erbrin ge n: >>I ndem man
vo n Wahrn ehmun g durch m e ton ymi sch ko mbini erte Sinn geha lte beschri ebe n w u rd e, vo n d e r Wirkli chke it irge nd etwas Z usa mmen fasse ndes aussagr, nii herr man sie scho n
ist carres iani sch im Bes treben >> d e divi ser chacun e d es diffi culres qu e j'exa min era is, en d e m ll·aum, vielm ehr d er Poes ie./ 8·1 So kann Pro ust ga nz wi e Mo ntaigne auf der ei-
auta nt d e pa red les qu' il se po urrait, er qu' il sera ir requi s po ur mi eu x !es reso udre«.779 nen Se ite sagen >>A in si, lecreur, je sui s moy- mes mes Ia matiere d e mo n livre«/ 85 d a sich
Z iel di eser E m fa ltun g ist es nach D escartes und Pro usr, di e E in zelwa hrnehmu n- ke in e Bildli chkeir w ille ntli ch vo n d er Referenz ihrer subjekrive n Empfi ndun gsquali-
ge n w ied e r zusamm e nzuse tze n , und zwar zur E rkennmis d a nk e ine r O rdnun g, in tät a bl öst; doc h d e nkt die Sprache di ese Referenzen jenseits d es Dichters in gew isse r
d er selbst jene Din ge ihre n Pl atz find en , di e natürli che rweise ni ch t a ufe in a nd er fo l- We ise selber weiter, we il sie d ie meto nymischen Ve rgleiche aus ihren Wo rten heraus
ge n: Hi er ist di e Wa hrn e hmun g Wel tenrw urf, >>Se nsa ti o n« und >> reAex io n« g re ifen im fo rm t, so d ass sie di eser nur noch aufg reife n muss : Wi ed erum mit Mo nraigne kann
Prousrsche n >>esse es t pe rcip i« synthe ti sch in eina nd er. In di ese r durch Ve rmirdun g Pro usr a uf d e r a nd eren Se ite also auch sagen: ••Je n'a i pas plus rili r mo n Ii vre que mo n
von Im aginatio n und Urtei lskraft neu zusa mm e ngesetzte n Welt d e r Sprache o ffe n ba rt Ii v re m'a E!it; Ii v re co nsubsra nciel a so n au teur - mem b re de ma vie«.786 Und dieses
sich als Na tur selbst d as, was bi sher in Gege nsätze n ve rh a rrte, w ie d ie Reali rii r d e r ••je«, d as ich sagt, ist d as berühm te Pro usrsche >> mo i« ••qui n'es r pas to uj o urs mo i«
Gesc hl echter od er die Sichtba rkeit d e r We lt in d e r U mkehrung vo n Land und Mee r (CSB, 599) .
in Elstirs >> m era phore<<. W as DesGutes so lch ennage n a ls M e th o d e beschreibt, erinn err O b wo hl sich Pro usr w ie ke in zweite r Ro mancie r d er E rkundun g d er sinnli chen
a n di e Ausführun ge n d es E rzä hle rs a us Le Temps retroulJi. 780 D er perze ptive Voll zu g, Wa hrn e hmun g a nge no mm en har - eindrückli ch d argelegt durch Jea n- Pi erre Ri chard
o b Wahrnehme n , E rinne rn , Vorstell en , ri c h te t sich a uf d ie Idee; d as Bi ld w;i re da rin - , steh t e r d e m senso rischen Apparat in d er Traditio n Desca rtes' und M o nraignes kri-
mit d e m o bj ekti ve n Gege nsta nd zwa r in e in e m Ursache-Wirkun g- Verh iil tn is ve rbu n- tisch gege nüber. Sein e Sprache wiire ni chrs o hn e di e sinnliche Wahrn ehmun g, aber
d en , w;ire aber ni cht sein Abbild. D as Sic htbare isr Vo rwa nd d es Un sichtbaren (7.. B. di e sinnli che Wahrnehmun g wä re ni chts ohn e di e Sprac he. Hi er wirkt nur ve rstiirk t,
e ines kün stl erischen Gesetzes, ein e r m e nschli chen E rkenn t ni s), d as Sagbare Vo rwa nd was nac h H enn ann Broch überh aup t di e Avantga rd e d es Roman s auszeichnet: >> D er
d es U nsagba ren. D as »perc ipere« w ill ••a ppe rc ipe re« se in , e in durch Wa hrn ehm un g kl ass ische Ro m an begnügte sich m it d er Beo bach tun g vo n rea len und psychischen Le-
wahrge no mm enes Bewuss tsein vo m Ich in de r Welt. Oi e •• reche rche d e Ia ve ri tb , di e b e nsu ms ränden , begnü g te sich , di ese mir d en Mirrein der Sp rache zu beschreiben . Es
bei Proust und D esca rres auf d er Ko rre kt ur d e r äufse re n Wa hrne hmun g durch d e n ga lt e in fac h di e Fo rd erun g: ein Stü ck Na tur zu sehen durch ein Temperamen u / 87 Joy-
Versra nd fo rtschre itet, ka nn ind esse n d en Z weife l ni e a usrä um en; sie wird Bewegung. ce nun , so Broch weite r, integri ere in d er Absage an d en Standpunkr, dass die Natur
Wä hrend d as >>was ka nn ich w isse n « zu d e r Frage >>w ie nehme ich wa hr?« führt , leire r di e R efe renz all e r Sprac he darstell e, d as Da rstellungss ubj ekt (d en >>E rziihl er als Idee«,
di ese zu m >> w ie ve rh ii lr sich m ein e Wa hrn e hmung zu d e m , was ich für ges ic he rt u nd di e Sprac he) in d as Da rsre llungsobjekt und strebe nac h einer >>E inheit vo n Darstel-
gew iss halte« ü ber. 78 1 D escu-res exemplifi ziert di es d a ran , d ass ihm a uf d e r Suche nach lun gsgege nsta nd und Da rstellungs mi ttel«, bis d as O bj ekt durch di e Sprac he un d die
276 V I I. TRÄUME N, ZWE IF ELN, ORDNEN 2. DAS SCHRE IB EN FÜR DIE ZUKUNFT 277

Sprache durch das Objekt in di eser Ga nzhe it f~lSt >>Z ur völli gen AuA ösung« gebrac ht w;ire, d as a ndere, ze itlose Wesen zu erkennen, das das Individuum auch ist und war,
würden. Fü r di e Recherche gilt a ufg rund d er postuli erten Amh entizir:it der Empfin- o hn e es zu w isse n, weil das D enken in usuellen Sp rac hform en es verschü ttet hatte:
dun gsge halte, in welcher sich das Aurab iographische als Palimpses t erhält, dass hi er
m ehr noch als be i Joyce di e In stanz des Aurors selbst Tei l dieser Auflösun g isr. 788 Die »Cer e rre-la n'eta it jamais ve nu a moi, ne s'erait jamais manifeste, qu'en dehors
Sp rac he selbst jenseits ein es Abb ildun gsver hä ltni sses vo n N a tur oder Realit~i t al s das, d e l'act ion, d e Ia jouissan ce imm ediate, chaque foi s que le miracle d' un e analogic
w ie Eri ch Kleinschmidt formuli e re, >>s truk t urie rende Ausdruckselement« zu sehen / 89 m 'ava ir fa ir echapper au present« (IV, 450).
e röffnet d ie Mögli chkeit, das M edium de r Darstel lung a uch zum M edium der Wahr-
nehmun g zu erkl ären und die Ge ne ri e run g vo n Welt durch Sprache a us dem G heno D ieses W ese n (» notre vra i moi <<) , so Proust, könn e sich nicht von sinnlicher Wahrneh-
d er Fikti on, des >> fin gere<< , d. h. aus der Funktion ihres Abb ild - und M odellcharakre rs, mun g a ll e in ern ;i hren ; es beda rf der Imagin ation, kurz der Sprache als »celesre no urri-
zu befreie n. Aus de m Be-Sch reibe n d e r Wir!Jichkeit w ird ein E r-Schreiben, aus >>ac- rure« ([V, 45 1), um sich in den Ko rrespondenzen der Wörte r zu finden. 798 Wenn di e
rion« a ls mim etische m Akt wird >>impressio n «790 a ls nun w ieder subj ektiver Sprac h- Sp rach e das Material je ner Analogie-Such e ist, lässt sich zugespitzt sagen, dass Prousr
konstitutio n- und darin ein e >>action « zweite n G rad es, ein Akt der ld en titätssetzun g. die Re präse ntation de r D in ge durch die Rep riisentari o n der Wo rte ersetzt.m Die Pr;i-
Die Welt fo rmt sich ers t durch sprac hlic he Mitte il barkeit; im »Sp rac hstrom «, so se nz d es »vra i moi « in der Gegenwa rt des Ze itlosen am Ende der Sterbli chkeit (» un
Kl e inschmidts Fo rmuli erun g, vo llzieht sich das »wa hrn ehm end e Dase in «.79 1 peu c!e re mps ~~ l'e rat pur<<) hat zum Preis die Abwesenheit sinnlicher Wahrnehmung
Hi er aber scheint sich Proust von seine n Zeitgenossen im deutschen Sprachraum (»o n n e pui sse im agin e r que ce qui esr absent«; »mo n imagination, qui etair le seul
zu tren nen - ei n Untersc hi ed, de r für di e Phä nomeno logie d es Prousrschen Schrei- organe pour jouir de Ia beaute«). In der Sp rac he als »matiere nouvelle« der Sensibiliriit
be ns ni cht un e rh ebli ch ist. Ge ht d er E rke nntnis von der Sp rac hhaft igke it d er Welt (IV, 449) erschafft sich d as »v rai moi « neu und enräußerr sich doch se iner selbst in
wie des eigenen fch di e Erkenntnis von d er Unzu lä ngli chkeit d er Sprac he einh er, also e in e r ni c ht m ehr ultimati v steuerbaren Ordnung der Wörter als Material se iner Wie-
e ine Sprac hskepsis, d eren promin entestes Be ispiel Hofmannsthals C handos- Bri ef ist, dererschaffung. Im Kunstwerk der Sprache liiss t sich die Sinneswahrnehmung in ein
kann von ein er so lch en Krise bei Proust kein e Red e se in . Auch di e Überwindun g der »eq uival e nt sp iritu el<< (IV, 457) überführe n, dessen Medium im Akt der Schöpfun g
Krise, w ie sie sich etwa be i Döb lin durch di e N egation e in er illusion isti schen »li tera- die Freude d e r w iede rge fund enen Wahrn ehmung (» Ia joie du reel rerrouvtH bedin gt,
rische n Realität« zugu nsre n e in er »Geburr de r Ku nst aus de m Rohmaterial Wort« e r- weil es e in e r äst he tische n Ordn un g (»contr6b) fo lgt, die e inmalig ist (IV, 458) . E rst
eig net, 792 steht im Zeiche n d er Sub vers ion, als, so Kl e inschmidt, »schöpferische Frei- in di esem Z usa mm enspi el ist die Kunst d ie »wirkli chsre, nüchternste Schule des Le-
heitserfa h ru ng und Selbstbebau ptu ng«. 793 Döb lin s Pbdoyer !;iuft aufe in e Bes täri gu ng be ns«:
de r fiktiona le n epischen Form hinaus, m währe nd Proust di e Narratio n und d a mit
das »fin gere« durchb richt, um d er Sprachbedin g th e it de r eige ne n Perso n Rechnun g »A ins i, j'eta is d eja arrive a cette co nclusio n que no us ne so mmes nullemem libres
zu t ragen. Die Krise bl eibt aus, we il das Ve rfahren d es »Toutefoi s peur- il se faire que d eva nr l'ceuvre d 'a rt, qu e no us ne Ia fa iso ns pas a norre gre, mais qu e preex istant
je m e trompe«, di e »Methode« zur »Fabel « zu erh ebe n / 95 de r T rad iti on DesGutes und a nous, no us devons, a Ia fo is parce qu'el le est necessa ire er cachee, er co mme no us
Montaignes verpH iehret ist (und unte rd essen von C hatea ubri and auf die Ich-Ko n- fer ions pour un e lo i de na ture, Ia deco uvrir« (IV, 459).
stiwtion durch das Erinn ern übe rtragen wurde) . So zieht Proust di e Konseq uenz aus
jener Sp rachkrise, di e d arin bes teht, d ass sich die Worre zur Abbi ldun g ein e r Welt
nicht m ehr fügen wo lle n und quasi selbst d en Gege nsta nd ihrer Darstellun g bild e n:
die Literatur als wahres Leben
»Es ze rfiel mir alles in Teile, die Tei le wieder in Teil e, und ni chts m ehr li e f~ sich mir Dam it vollzieht Prousr seinerseits di e Absage an di e Illusion ein er Sprache der Kunst,
ein em Begriff umspa nn en; sie gera nn e n zu Augen, d ie mich anstarnen und in die ich die z ur Wirk lichke it in ei nem Abbi ldungsverhiilrnis stünde, und setzt der iiußeren
w ieder hin ein starren muss: Wirbel sind sie, in di e hinabwsehe n mi ch schwind elt, H.eali riit di e Lite ratur a ls »Ia vra ie vie« entgegen: "Ja joie du reel rerrouve«, wirkli ch,
die sich un aufhaltsa m drehen und durch d ie hindurch m a n ins Leere kommr. ,/96 w ie Worte es sind , di e de n Dichter auf sein einziges Naturgesetz (»>o i de nature«)
hinfüh ren: di e äs the tische Ordn un g, die es zu entd ecken gilt. Welche Rolle Orna-
An di esem N ull punkt de r »Leere« gelin g t es Proust offenba r, di e so lchermafSe n e ige n- m e nt und Lin ea tur in ihr spi elen , dem ga lt die zurü ckli egend e Untersuchu ng. In der
stii ndi gen , vor Augen »starrend e n« Worte in gew isse m M aß sic h selbst zu übe rlassen, äst hetische n Ordnung ist di e Abbildung und Narrativität aufgegeben zugunsren je-
um a m Ende diese r chemische n Rea krion ,797 di e die meronymisc he Ana logie nah ezu ne r Potenzie run g a lle r Kor responde nze n nach inn en hin , di e Blanchot als Kreisen 800
284 V I I . TRÄUMEN, ZWEIFELN, ORDNEN 2. DAS SCHRE IBEN FÜR DIE ZUKUNFT 285

die unendliche Figuration W ie di e M ero nymi e, die starr d em Seiben immer nur das Ähnli che li efert, die De-
notation a lso durch di e Konn otation ersetzt, bleibt das Ornament eine Kartusche:
>>im Bild ist a lles glc:ichzc iri g. Sc: in c Sy nrh es is bes teh r darin, dass es das im Rau m im Ke rn leer und unbestimmt, umkreist vo n aus ladender Bed eutsa mkeir, im Ga n-
nebe ne inand e r Scic: nd c wsammenbringt, das frmT1a lc Prin zip der Clcic hzeitigkcir zen e in e Fig ur d e r Abwesen heit, mehr ein Umkreisen der Eri nnerun g als die Erinne-
in di e St ruktur d e r best imm ten Einh e ir d e r Bildm o m e nre um se tzt. Dieser Prozess run g selbst. ln de nkbar große r D istanz zu ein em solch erart literarisch überwund enen
abe r f... J ist wese nd ic h e in e r vo n Spann un gsve rlülrnisse n [ . .. ]. Spa nnun g jedoch Abb ildun gsve rhältnis bestimmt sich das Bild bei Proust als Ausbalan cieren von Ab-
isr ohne das Mom.::m des Ze itli che n sc hl ec h te rdin gs ni cht zu d e nke n. Darum isr wese nh e ire il. Das Bi ld ist wesentlich ex plikariv; es di ent d er Präzisierun g von Wahr-
Ze it, je nse its d e r bei se in e r Herstellun g aufg.::wa nd ten, d .:: m Bild imman e nt. « n e hmun g in d e r Synerg ie ve rga nge ner und vom Standpunkt des Zweifels aus aktua-
Th c:odo r W. Ado rn o li s ie rte r E rfahrun g. Ande rs a ls bei Mall arm e ließe sich vo n Prousrs Bild nie sagen: »es
is t <<. Das B ild ge ht ni cht im bloßen Sein auf; es ist notwendi g konsrelli err und will als
Konste ll ation (a ls sich ver;ind ernd er Srernensra nd , als Figuration) gel ese n werd en: »es
Wie um M agnete ballr sich das Lebe n d es Erz~ih l e rs um di e Bild e r, um sich in anderen w ird se in <<. Es übereig net sich , srarr sich in di e eige ne H erm erik zurü ckzmiehen, d er
Passagen (etwa d e n m on dän en Konversatione n) w ied er zu e ntwirre n. Und so auch die Lektüre-Wahrnehmung d es Lesers. Es fra gt nach d er Darsrellbark eit selbst undmacht
Lektüre: Trifft d er Lese r - vora usgesetzt, er hat di e Recherche einmal gelese n - beim s ie wa hrn e hmbar. Gerade weil es kompli ziert, aber nicht un ergründli ch ist (mehr Me-
wa hllosen Aufsch lagen d es Bu ches auf eines jener sogleich nahrhaften »images no ur- tonym ie d e nn abso lute M etap her, eher Ähn li chkeit als Sprung, eher Metamorphose
ri c ie res«, eröffn et sich ihm darin ni c ht mit w uchtige r Simultan e ität d er ga nze Tex t? a ls Mutati o n , reAexiv starr ekstatisch, nah starr fern) , ve rspri cht es ein Ergebnis jener
W~ihre nd d er Lyrik di ese Bewegun g fremd ist, e ntlü lt das in Prosa kon stelli erte Bild Ex plikarivirät, schi ebt di eses abe r vo r sich her. Di e Metonymie neigt zur Vari ation
jene Stern enkarte, von d er di e Red e war, und di e d e m Leser di e Orienti erun g e rlaubt, und Fortsetzung, wo di e M etapher d en Vorhang fa llen läss t: bei di eser ernfairer sich
wohe r e r auch käm e. Was für d e n Lektüre-Eindru ck g ilt, trifft ebenso aufdi e Srrukrur das Denken aus d e n Figu ren, bei jener faltet sich das Denken zur Figur - und schlief~ t
d es Tex res zu. Sp ri cht Genette davon , d ass Prousr die Esse nze n d er Dinge sich zur s ic h . Prou srs Bild isr abe r das meto nymische Bild d es sich sreri g öffnenden Eichers,
>> m ari e re profonde«, zur Substa nz verd ich ten ! ~iss t (»i l s'en d elecre, il s'e n nou rri r, il se der schm e tte rlin gs ha ft en M etamorphose, d es sich melan cholisch spi egelnd en Spi e-
l' inco rpo re«) ,83 1 so ist di ese Substa nz nirge ndwo so g rei fbar wi e in d e r »nOUITiture ce- gels. Oi e M e taphe r da gege n ist d e m Werk näher als d em Schreiben, die Meron ymie
les te<< d er re ichhalti ge n Bild e r a ls E rnährer d er D ic h tun g, als ra um g re ife nde n Figura- ist di ese m 1üher als jene m. Das We rk kann end en, das Sch reiben nich t. Nach der
tion en. Hi e r we rd en di e Essenze n zu Substan ze n , d. h . di e Wahrn ehmun g d es Schre i- Me tap h e r ka nn ni chts m ehr komm en; mir der M etonymi e aber kommt di e n;ichsre
be ns formt sich wm Kö rpe r, kristall isie rt sic h zur Mate rie , o hne jedoc h, wie Bergso ns M eto ny mi e (im Anstecken durch Ähnli chkeit, in d er »conn ex ion«, »alli rerario n«, »al-
»mariere<<, sensorisch, a lso äuße rli ch, motori sch , zu sein - e in inne re r Sprachraum te rarion <<, »S upe rp osition<<, »co nragion «). Es enrsreht die Konri guir;ir als künstlerische
v ielm ehr, d essen Au sd ehnun g und Z usa mm e nziehen sich im Tex t (sei ne m lrn ag in ;i- Übe rbi e tun g d e r Kontinuitä t. D ie Mero nymi e ist vermittelnd , wiih rend di e Metaph er
re m, sein er Schrift) ere ig ne t. Prousrs Bild a ls Fi g uration ist d e r roman eske C hiasmus kategorisc h , apodikti sch ist; die M eto nym ie ist das Ornament.
von Zeit und Raum, Sinn und Se nso ri üir. Was für Ge ne rtes Beg riff d er Figur g ilr,
n~imli c h dass sie imm er Träger von »abse nce« w ie von »presence« sei,
832
ist a uch d e m
(Sprach-) Ornament zu eigen , als konstellie rte r Fig ur, a lso Fig urati on. Es srell r Be- das schreibende Ornament
zie hungen her, ohne mit ihnen identisch w se in ; es bes timmt sich selbst als Ort d es Das Ornament ve rmirrei t zw ischen Inne n und Auf~e n , zw ischen Srarik d er Architek-
Z uf~dl s; es bl e ibt selbst in d er Wortges tair lcon und Ikon e, e in begriffli ch ni chr ZLI tur und Dynamik ihres Schmu cks, zw ische n Spiel und Funktion, Zie r und Ze ichen,
Erm ittelnd es. Di e Figü rli chkeit d er Bild er ist dahin gehe nd doppe ld euti g, dass sie im Bedeursamkeit und Bedeutung. "·n,e no bl esr lesso ns may be raught in o rnamenrati-
Sinn e d es antiken Figura-Beg ri ff.~ Pl as ti zität sugge ri e rt, al so a n di e Vorsteilbarkeit d es o n , rh e mos r so le mn rrurhs co mpressed into it<<, schreibt Ruskin. 834 Ist das Bild bei
Sprachbild es appelli e rt, seit Qu inrili a n aber au ch di e Rede vom Une ige nrli chen, Ab- Prou sr o rnam ental und voll z ieht sich di e Verwandlun g d es Erziih lens ins Kun stwerk
wese nden indizie rt, bis sie etwa be i Dante bei all e m Wirkli c h keitsbewg als Stell ve r- im Bild, so is t d as O rnam enr d as Sig num di ese r Kunsrwirk li chkeir, di e es in se iner
trete r und »umbra << d es ZukünFtige n und Endgü ltigen zu sehe n w~ire. 833 Die Pr~ise n z oft demonst rativen Schön he it zug le ich verdächtig macht. Keine Linie entgleitet im
d es Bild es verweist ge rad e, je gelun ge ne r se in e Vorste llun g und Vorsteilbarke it isr, auf Ornament se in e r Ord nun g und se i di eses noch so fanta sievo ll ; d er Plurali smus d er
di e eige ntli che Abwesenheit sein es Ge ha lts. Es ist di e Abbildung d esse n, was ni cht Lini e n a ls Lin eature n d es Denkens ist g le ichbed eutend mir se in er Form. Keine Li-
abb ildba r ist, weil es zukünfti g isr. So auch das Ornament. n ie, die darin ni c ht auc h Transve rsa le w;ire. Diese ist d em rh eto rischen Primip d es
286 V I I . TRÄUMEN, ZWEIFE L N, ORD N EN 2. DAS SCHRE I BE N FÜR D I E ZUK U N FT 287

O rn arus835 darin ve rwa ndt, dass sie sich den Lu xus leistet, ni cht zu end en , und m ir
/
me nsio nali tiit der Schrift oder des >> perit p ~ll1 <<, als in sich wertvolles Gebild e (»en
der Mi se-e n-abyme der Bilde r auch die Tra nsve rsa len des Inh alts in die Z ukunft w ell e- m eme precieuse<<), desse n chirurgisches W issen, un te r dem »vernis de main·e« (11 ,
entl assen. 836 Di e Lize nz des O rn arus, vo n der Perspi cuiras und Puriras abwweichen, 395) de r Sprach form verbo rgen, sich erst im Laufe der Lektüre zu erke nn en gibt.
di e Äußerun g zur Schönh eit der Sprachform wie auch des Sinn s zu ve rfremd en,837 PrOLISts O rnam ent ist sein em Wesen nach doppeldeutig: es träu rnt und es ordnet.
ha t sich so weit verabsoluti ert, dass sich Handlun g und Narrariviriit aufzu löse n be- Der E rzä hl er überlässt sich der Im aginatio n, wei l er sie für das Gedächtnis hii lt,843 und
ginn en, um in di ese r Freih eit das Neue anzukünd en: den Lu xus überwu nd ener Ze it- e rf~ihrr in der Triiurn erei des im >>age des noms<< gefange nen Kind es und des >> insomni-
li chkeit. Es ist di e verlo rene Zeit, di e den Wen der Ze it in der Gegenware bes rimmr. aqu e<< bis h in zu jener des über Pflaste rsreine stolpernden Schlafwandl ers di e Freiheit
D ie lu xuri erend en Bi lder der Recherche (A usbli cke als G laskunstwerke oder Rem- und Einsa mkeit, d ie jeder Erf !luung als Desi llusionsgeschichte noch vorgiingig isr. 8'14
brandrge mäld e, privilegi erte Motorik des Auromob ils, erc.) sind al s All ego ri en vo m Wiihrend das Kind di e Bild er der W irkli chkeit als imaginäre lebr und di e im aginii-
erfahrenen Wert des Augenb li cks Gege npos itio nen zur >> lu xure«, dem wa hren Las rer re n al s wiriJ iche, und di e l l·iiurn erei als >> mn emotechni e<< (ßachelard) der Im agin ation
vergeud eter Zeit. erl e rnt, ist der E rziihl er dieses Kontinuums beraubt. Für ihn sind die Bilder, was sie
Ein e bloße Literatur des Ornatus aber trägt Pro ust selbst Zll G rabe, mir Bergo r- für das Kind nicht sind : ere ignishafr, fragme ntarisch, disko ntinuierli ch. Je wei ter der
re, dem Künstl er des O rn aments par excell ence. Wiihrend der naive Held noch das Erzähler- H eld in sein er LebensentwiclJun g vo ranschreiret, desto mehr verwirren sich
»Murm eln << sein er erlesenen A usdrücke, das »prelude interi eur<< sein er schmu ckvoll en di e Bilder, di e den Abso luth eitsa nspruch der Kindheit eingebüßt haben. Der »inso nl -
>>o ndularion s de Ia sur face<< bewund ert (1 , 93f.), entl arvt Norpois Bergortes >>sty le<< als n iaque<< zu Beginn des Ro mans, o rientierungslos und zw ischen "ll·iiumen und Wahr-
»mani eriert<<, >>affekti ert<<, >> peu viri l«, als ei tl es Fo rmspi el in der Art obe rA ~ic hli c h e r nehm en vom Ve rlust der ldentitiit bedroht, ist hierfür das iniriale Bild. Das Cogito
»chin oise ri es« un d >>s ub til ires de ma nda rin « (1 , 4G4f.). Prousr scheint hi er sein en eio-e- des l)·ä um end en - »je reve le 1110nde, clon e le 1110nde ex iste COm me je le reVe<<B-IS- ist
o
nen Japonismus, sein e O rn ame nt- und Obe rA ~ic h e nmini a ture n zu kariki eren, wohl- ind esse n nirge nd wo das Z iel des Dichters. lhm geht es um den Wahrheitsgehalt der
wissend, dass er ein e so lch e Figürli chkeir des Audacio r Ornatus, wenn ni cht di e Ge- Wa hrn ehmun g. Wer bin »ich<< ; wer ist di eses >> ich<< im Verh ältnis zum »ich<< der Ma-
fa hr der Prezios ir~it als Mala affecta tio durch di e Ko nsrelli erun g und Verrikali sieru ng de le in e in Co mbray; li ebt >> mi ch« Alberrin e; bin >> ich<< ein ge laden; gehö re »ich« dazu ;
sein er Bilder, ihren E intrag in das Koo rdi natensystem der ldemirärss uche, geban nr wohin führen >> mich << die bei den Wege vo n Co mbray; ist das Kunstwe rk für »mich<<
hat, wä hrend Bergo rte und Montesq ui o u ein er bloßen Mani er und einer Rh ero rik der mögli ch, erc. Im Z usta nd des »Toutefo is peur- il se fai re que je me tram pe<< verliert
Vaniras verfallen. 838 D iese n Dege nerationsstufen des O rnam enrs stehen di e wenige n die ll·iium erei ihren Gelru ngsa nspru ch, o hn e dass das G lü ck der Wahrnehmung für
Sä tze gegenüber, »O Ll s'est accomp li le miracl e supreme, Ia tram.rubstantiation des qlla- imm e r dahin wä re. 8 '16
Lith irrationne!Les de Ia matiere et de Ia vie drms des mots hurnains«.839 Proust liiss t Ber- N ur ist das G lü ck komplizierter gewo rden. Zwischen den Antipode n der Träum erei
go rte im Angesicht des wahren Ku nstwerks als »v rai jugemenr derni er<< sterben, in der (Imagination) und des Zweifels (Wah rh eitssuc he) soll dieses der Schreibweise anver-
E rf~1hrun g des >> petit pan de mur jaun e<< in Verm eers Ansicht von D e/ft. »II aurait fallu tra u te G lü ck die Waage halten, weder dem Mythischen, Ko nserva tiven, Toren, noch
passe r plusieurs co uches de co ul eur, rendre ma phrase en elle-rruJme preciew e, co mm e d em Vergesse n, Verdränge n, ßedeurungs losen, sich se miotisch Porenzierend en an-
ce petit pan de mur jaun e<< (111 , 492). Sp iel der O berfhche als Erl ebni s ihrer Sinn - heimf;Ill en. D iese auf di e Gegenwart, ni e auf die Vergange nheit geri chtete Jagd nach
li chkeit, als Em zifFer un g ihrer physiognomischen Zeichen, als in spirierend er Rau sch dem G lü ck beda rf im Gegenwg zur Triium erei, die nur deren notwend ige Stimulanz
des Im agi nären - abe r auch Ergründung ihrer T iefen als Denken aller Mögli chkeite n, ist, ein er intelli gibl en Ordnung, in der sich die sich langsam fortentwickelnde, um
als Verarbeitung vo n Lebensgehalten, als Matri x, wenn ni cht Vorrex der Texrsrrukt ur, den festen Punkt des Auge nbli cks kreise nd e ld enritiitss uche als »Gesa ng der Mögli ch-
so übt sich Prousrs ll·anss ubsra miarion am O rn ament, das er in jeder di ese r Hin - keiten<<8'17 und ReAex io n der Me tamorph osen, moralischen Inversion en und sozialen
sichten, im Sinn e des Lu xus- Prinzip des O rn arus, überderermini err. 84° Funktio n und Murarian en im Echo der verga ngenen und im Appell der gegenwärtige n Wahrn eh-
Produktion der Bildlichkeit treffen sich im Prinzip der Analogie, deren Aufga be es ist, mu ng vo ll ziehen kann . D iese intelli gibl e Ord nung ist di e Sp rache, die Schreibweise,
wie Julia Kriseeva formuli ert, di e OberAiiche der Zeichen in di e Ti efe hin zu öA'nen, der »s tyle«; ein er ihrer Voll zugs form en im Medium der ßildli chkeit ist das O rnament.
>>geo metrisch<<, »radiologisch<<, »chirurgisch<<, 8 '1.1 ind em, was zun iichsr nur Ann iih crun g Da he r konnte di e Recherche als Prousrs Fasz inatio nsgeschichte des O rn aments gelesen
zwe ier Empfindun gen ist, nun auch deren psychi sche Kontexte e rsc hlief~ r , 8 1 2 - in der we rd en. Je kl einreili ger, desto präziser: >> Das Einzeln e erwe ist sich imm er wieder als
Koex istenz als Wissensform , und in der im ag in ~i re n G leichzeitigkeit, als Erfahrun gs- un wichtig, abe r di e Mögli chkeit jedes Einzeln en gib t uns ein en Aufschluss über das
fo rm . Von der ßeobachrun g der Erscheinungen zur Tiefe ihrer intell ektuell en Durch- Wesen der Welt<< , so Wirrgensrei n.818 Denn »generell e Ken ntnis ist entfern te Ke nnt-
drin gung spi elt das O rnam ent sie wieder an di e OberAiiche zurü ck, in di e Zwei di - ni s, das W isse n besteht aus Einzelh eiten, ebenso wie das G lück<< , so Hofmannsthal,
288 VI I . T RÄ UMEN , ZWE IF ELN , ORD N EN 2 . DA S SCH REI BE N FÜR DIE ZUKUNFT 289

William Blake ziri e rend. 8'19 Oi e »se nsibilites« sind keine »s ubrilires<<: >> Oh! non, je vo us d es »vo ll e nd e r-unvollend eten« Werks nun aus dem Kontinuum der Sprachreize und
assure, mais cl e realites au conrra ire« (CSB, 559), sie sind die sprachli ch gewo nne nen ihre n senso ri sche n Daten . Die Sp rache ist Sensibilirii t gewo rden . Ge nette nenm di e-
Zerl egun gen je ne r diffuse n Gege nwärtigkeit der Wahrnehmu ng: >>C'es r du >poss ible< ses Schrei be n treffe nd e in e »mobile Ko nstruktion «, in der ein einziger neuer Bli ck
qu e nous eliso ns a rbitra ire m e nt«. Evas ion und E lision: Um sich der Gewo hnh eit ZLI e in e sc hw ind elerrege nd e Rotation auslöse n kann 857- di es gilt für di e Erfahrun g des
e n rl ed igen, muss d as schreibe nd e leb sich in der formlosen Sum rn e der M ögli ch kei- H e ld e n (E rke nnrnis der Inversion , der Metamorphose, der Kunsrerfahrung) wi e für
te n ve rli ere n, um seine Form im Aussc hluss all er a nd eren zu finden , und di es forrw:ih - d e n Lese r. D ieser aber »macht« aus dem Schreiben erst das Werk (etwas, was man
rend neu. Proust mag hi e r exemplari sch für di e Di chtung übe rhaupt stehen, d ere n benutzen, lese n, w iede rl ese n, gegen den Srrich lesen kann). 858
Dial ektik es ist, dass d e r Di chte r e in e E rfahrun g in Sprach e übersetzt, di e eige ntli ch N ic ht wl etzt tendi ere n Prousrs Bilder - und auch darin sind sie zukünftig, nie-
e rst anh ebt mit d e m sprachli chen Ausdruc k, d en di eser für sie (er)find ec. 850 D em Be- mal s rü c kläufig - zum O rnam enr, we il das O rn ame m etwas uerspricht. Es lockt den
ginn der Sp rac he e ntspri cht d er Beginn d er vo n ihr ausgelösten Empfindun g und vice Bli c k hin a uf zu d en G iebeln ein er Fassade, in di e N ischen eines Raumes, es verh eigt
versa. 85 1 Proust nun ist konseque nr da rin , di ese durch Übe rsetzun g prop ~i d e uti sc h be- d e r Wahrn e hmung Lust und E rkennrnis. Und bl eibt doch Fragmenr, allenfalls in der
gon ne ne Erfah run g kra fr der m e tonymische n Macht des Wortes und der vi suell en d es Ve rschöne run g und Stili sie run g sein er zur »guirl ande« od er »arabesque« ku nstvoll
Bildes in staw scribendi im Z ustand d es Beg inn es zu e rh alte n . Oi e e igen rliche Such e geschwun ge ne n Konstell at ion tröstlich, seinem Wesen nach aber vorlü ufig, ve rh ei-
ist a lso di e nac h de n Wandlun gs form e n e in e r »Sensibilite« od er »perceptio n«. Ihr Ge- ßungsvo ll , nur im Augenbli ck ein er Gegenwa rt wahr, in der sich alle Sp hiiren zusam-
genstand sind di e Nuan ce n, d. h. di e in Bewegun g befindli che n D etails. Das lebe ndi - m e tlZi e hen - E kstase d er Wa hrn ehmung, Signum der Gege nwart allenfalls. Die Vo-
ge O rnam ent d es Schre ibens hat dah e r ni chts zu tun mir d em Bewegun gs lose n ; d as lute versp ri c ht das G lück des W iedersehens mir Gilberte nur; die »ogive« ve rspri cht,
St ilisie rte ist ni cht das Sterilisie rte. Au fg ru ncl sein e r Elastizitiit bejaht das o rnam e nral e di e Mutte r im Bildni s zu verew igen; die Madelein e verspricht für einen Augen blick,
Schreibe n di e M e tamorphose; denn in ihre r mitre igend en Matrix zu ste rben h e if~t dass e in e Kontiguität der Erfa hrung möglich se i, usw. Im Ornamenralen behauptet
wi ed ergebo ren zu werd e n , im Rhythmus ihrer Kreation und Evan eszenz. 852 Das geis- s ich zum Pre is se in er blof~e n Vorläufigkeit das Bild gege n den Zweifel; dieser sucht in -
ti ge Auge ge ht - w ie Goerhe im West-östlichen Divan - 853 in d en O rn ame nren auF di e d esse n in d er Unabsc hli eg barkeit des Bild erschreibens sein Recht. Im O rname ntal en
lustvoll e Jagd nach ihren Gestaltmögli chkeite n in eine r Physiog no mik d es G lü cks, di e ste igert s ic h di e Poe tik d er Perze ption zum virt uosen Fliehen vorsc hneller Bedeutung
sich in der R~iso n de r Sp rache und d es Zweifelns w ied er inte ll ek tuell ausbalan c ie rr. (und Pro usts ~i s th e ti sc h e r Z ustand ist eben diese Bewegun g) . Im O rnam ental en al s
»L'infini dans !' infinites im al«: So gibt sich das Orna m ent de r träum end en Ve rwand - kün stli c he m Paradi es de r »adoration perperuelle«859 beginnr im Z uviel von Sinn und
lun g hin und wid e rstehr doc h de r rex rue ll e n Di spersion als d eren pi ece de res istan ce, Sig nifika nz di e Sp rache zu rauschen ,860 wi e es nur das O rnam em kann , ni cht aber in
als fili g ra ner Ga rant des Priizise n im Unabschli egbaren. d e r Art be rauschter Wi ed erkehr des G leichen, 86 1 sondern in der in sich ge rundeten
Di e Sch reibweise des Orname m s e rlaubt de m Zweifel die schöne Form, di e e r sonst Metamo rph ose des G le iche n im A nderen als perpetuell sich porenzierendem ReAex i-
ni cht hätte, und o hn e di e jed e Eri nnerun g nur Trauma, ni cht abe r G lü c k w;i re: »II ons kre isla uf, etwa als würde n di e o rn amema len Filiati one n und mir ihnen die gesam-
fa ur embellir pour res titu er«.85 ' 1 Tr~ium e n und Ord nen - so realisie rt sich das Prou st- te Bildlichkeit im transversal en »chasse-cro ise« wi e Za hnr~id e r ineinand ergreife n, um
sche >> Laza re, leve- toi «855 ve rschütte ter Tel e ntität in der Iirera ri sche n Überbi erun g de r d e n stä ndig neue n Beg inn d er Sp rac he hervorzub rin gen.
Wahrnehmung. Überbietung, ni cht Ze rstörung: Oie Bildli c hke it d er Sprache isr A us diese r gegenLiufige n Bewegun g von Tr~iumen und Zwe ifel n enrsteht die ;isthe-
selbst dort d er Wahrh e it, ge naue r d er Wahrn e hmung a ls ihre m Korrekturorga n, ver- tische O rdnun g de r Schre ibwe ise a ls >> unite qui s' ignore«, an dere n Sirenengesang der
pAi c htet, wo sie sich in d er »im age preci euse« im Sinn e e in es autonom en poetische n Mögli chke ite n sich erst d er erfreue n kann, de r ni cht mehr an diesem Agens wie an
Ausdrucks vom System d er usuell en Sp rache löst, bleibt doch das m etony mische Bild ein e r Leere leid et, weil er es als O rdnun g, als Bedin gun g des Schreibens überhaupt
stets an ein e bes timmte Rea lit;it geb und e n, di e d er Ähnli c hke it, und sei d er O rt ihre r erke nnt: d e r Lese r. Das In -S ich- Kreisen d es Texto rnaments auf diese Weise durchbre-
Beobachtung a uch der fiktive, a utore fe re nti ell e de r Sp rache, d iesem neue n senso ri - ch e nd, stellt er mühelos di e un vo rd enkli che Kontiguität her,- die, um im Sprachbild
schen Nerve nsys te m. 856 Währe nd im werkgewordene n W erk d em O ichre r ni chts m e hr als inkorpo ri erter Zeit imm er neu anzubnge n , d em zweifelnden Di chrer von Abwe-
bleibt, e re ig ne t sic h im Schre ibe n di e Tiefe d es Seins (IV, 475), und di e Gewo hnh e it senh eit zu Abwese nh eit notwendi g und bejaht enrAi ehen muss,- in der Freiheit und
ze rspring t im Unmittelba ren d er M e taph e r w ie di e »mill e vases clos« ( IV, 448), urn indi vidu e ll e n Präsenz de r Lektüre.
di e Zeit ZLI befi-eien , a uf d ass sich di e Büchse d e r Mn e mosy ne ni e m ehr schli ege. Wo
das Werk ni c h t Werk we rde n kan n, we il es dann e nd ete, wo di e Konrinuir~it e reig nis-
hafi: statt kontinui e rli ch ist, da (übe r) e rn ä hrt sich die »unire qui s' ignore« (111, I GG)

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