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Nachgelassene Schriften Metaphysik ~'/ r L]

Herausgegeben vom Begriff und Probleme


Theodor W Adorno Archiv

Abteilung IV:
H erausgegeben von Rolf Tiedemann
Vorlesungen
Band 14

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Suhrkamp
Inhalt

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Nt1chbe111 crh111g des Heraus,rzebers 293
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lihcrsicht 315

BIBLIOTECA UNIVERSITARIA
B_J0-5_/Qooo
1200100-07

Erste Auflage r998


© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1998
Alle Rechte vorbehalten
Druck: MZ-Verlagsdruckerei GmbH, Memmingen
Printed in Germany

Die Deutsche Bibliothek - C IP-Einheitsaufoa hme


Adorno, Theodor He':
Metaphysik : Begriff und Probleme ( 196 5) I Theodor W Adorno.
Hrsg. von R olfTiedemann. - 1. Aufl. -
Frankfort am Main: Suhrkamp, 1998
(Nachgelassene Schriften : Abt. 4, Vorlesungen ; Bd. 14)
ISBN 3-518- 58265-8

Adorno, Theodor H.'. :


Nachgelassene Schriften I Theodor \V Adorno.
Hrsg. vom Theodor- W-Adorno-Archiv. -
Frankfurt am Main : Suhrkamp
Abt. 4. Vorlesungen
Bd . 14. Adorno, Theodor W.: Metaphysi k. -
r. Aufl. - 199 8
Metaphysik
I. VORLESUNG

II. 5. 1965

Ml'inc Damen und Herren, ich habe angekündigt >Metaphy-


" k'· 111it dem Untertitel >Begriff und Probleme<: dieser Unter-
l II L'I ist nicht ohne Bedacht gewählt, - eben deshalb, weil bei
dn Metaphysik bereits ihr Begriff vor erhebliche Schwierig-
kt·itrn stellt. Und, um Ihnen das gleich vorweg zu sagen: es ist
111cine Absicht, zunächst also über den Begriff von Metaphy-
,jk rnit Ihnen zu reden und dann, wie es ja nicht anders sein
k.11111, paradigmatisch über einzelne metaphysische Probleme,
1111d zwar durchaus in dem Kontext, in dem diese Probleme
'i' li mir aus meiner eigenen dialektischen Arbeit stellen 1.
Man kann wohl sagen, daß der Begriff der Metaphysik das
Ärgnnis der Philosophie sei. Denn auf der einen Seite ist die
Metaphysik das, um dessentwillen die Philosophie überhaupt
":-; istiert; also, wenn ich einmal die philosophische Phrase
iilwrnehmen soll (nur um später vielleicht etwas anderes an
il1re Stelle zu setzen), dann behandelt die Metaphysikjajene
"1gcnannten letzten Dinge, um derentwillen die Menschen
/ll philosophieren überhaupt angefangen haben. Auf der an-

dnen Seite aber ergeht es der Metaphysik so, daß man


:iulkrst schwer nicht nur angeben kann, was eigentlich ihr
( ;cgenstand sei; nicht nur in dem Sinn, daß die Existenz die-
st·s Gegenstandes fragwürdig und selber das kardinale Pro-
l1lt•111 der Metaphysik sei, sondern darüber hinaus auch, daß
t's sehr schwer auch nur zu sagen ist, was Metaphysik, unab-
li:ingig von Sein oder Nichtsein ihres Gegenstandes, über-
li.1upt sei. Heute wird Metaphysik fast in der gesamten
11ichtdeutschen Welt geradezu als ein Schimpfwort ge-
l>raucht, das gleichsinnig sein soll mit eitlem Spekulieren,
111it bloßer Gedankenspinnerei und Gott weiß was für ande-
ren intellektuellen Lastern.
Es ist also nicht nur schwer, etwa vordeutend Ihnen anzuge-
licn was Metaphysik sei, wie es Ihnen, soweit Sie den Einzel-
wissenschaften angehören, im allgemeinen von diesen her ja

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vertraut ist; sondern, wie ich schon sagte, es ist sehr schwer, 1 '111 " · h ri tts
der Erkenntnis oder eines unbestimmt sich fort-
auch nur ihren Gegenstand einigermaßen zu bestimmen . Ich ""''' '11<k-11 Fortschritts der Erkenntnis, von dem dann sozusa-
erinnere mich an m eine eigene frühe Erfahrung, als ich als ,„,·11 l1L·i den gri echischen Kalenden schließlich einmal auch zu
Junge, als Gymnasiast über die Lektüre von Nietzsche geriet, "'liolfrn ist, daß die sogenannten metaphysischen Grundfra-
bei dem ja wacker auf der Metaphysik herumgehackt wird, ! '.<'11 sich enträtselten.
wie Sie, soweit Sie mit Nietzsche vertraut oder einigerm aßen kli sprach von Nietzsche. Bei Nietzsche begegnet der Be-
vertraut sind, sicherlich alle wissen; und wie es mir schwerfiel !'.rllr dn Metaphysik häufig in Gestalt eines Witzes, der im-
damals, mich über den Begriff der M etaphysik auch nur eini- 11 ll'rhin eine erste Approximation enth~llt an das, was m an un-
germaßen zu orientieren. Als ich mir bei einem wesentlich tn Metaphysik sich vorzustellen habe; er spricht da nämlich
Älteren deswegen Rats erholte, wurde mir geantwortet, daß \'lllJ >Hinterwelt< und nennt diejenigen, die mit Metaphysik

ich das noch nicht verstehen könne und daß ich es eines Tages , ,,.h hl'schäftigen oder gar eine solche denken und lehren, di e
schon verstehen werde. Die Antwort auf die Frage nach dem ·l li11terweltler<, 3 unter Anspielung auf das zu jener Z eit - es
Gegenstand der Metaphysik wurde also herausgesch oben. Das \\',ir ja kurz nach dem amerikanischen Bürgerkrieg - sehr ge-

ist eine biographische Zufalligkeit, aber wenn man sich dann l>r:iu chliche Wort Hinterwäldler: die, die im Hinterwald , in
die M etaphysiken selber oder wenn man sich die Philosophien .!(')] backwoods, also in der finstersten Provinz des mittleren
selber ansieht, so kann man manchmal des Verdachts sich nicht WL·stt:ns wohnen, aus dem j a bekanntlich auch der zu jener
erweh ren, daß es in ihnen gar nicht so sehr verschieden zu- /.,·it höchst aktuelle Lincoln hervorgegangen ist. Es liegt
gehe, w ie j ener Ratschlag es ausgesprochen hat: nämlich daß <hrin, daß die Metaphysik eine Lehre sei, di e eine Welt an-
auch zunächst einmal die ganze unermeßliche Anstrengung 11 i111111t, die hinter der Welt liegt, die wir kennen und kennen
der philosophischen Arb eit, soweit sie sich als Vorarbeit oder kiinnen; daß hinter der Welt der Erscheinungen - und damit
Propädeutik zur Metaphysik weiß, sich verselbständigt und an lritt ironisch diese Nietzschesche D efinition in einen Zusam-
deren Stelle setzt; oder daß, wenn es dann um die M etaphysik 111enhang mit der Platonischen Tradition - , daß hinter der
schließlich geht, man dann w ie etwa bei Kant2 bis ins Unend- Wdt der Erscheinungen, als die wahrhaft w irkliche, blei-
liche vertröstet w ird mit den möglichen Antworten auf die hende, ansichseiende, unveränderliche, eine Welt vo n Wesen-
metaphysischen Fragen; und daß man, anstelle daß man auf heiten verborgen sei, die zu enträtseln und zu enthüllen die
diese Fraaen selber eine Antwort bekommt, - ja, wenn ich es Aufgabe der Philosophie sein soll. Gegenständlicher gespro-
V
einm al vo n der M etaphysik aus formuli eren soll, muß ich ,·hen, wäre also die Metaphysik der Inbegriff der philosophi-
schon sagen: anstelle der Antwort auf die metap hysischen Fra- ~c h en Lehre von allem Jenseitigen oder - wie der spezifische
gen treten dann Erwägungen, ob man überhaupt das Recht philosophische Ausdruck für das Jenseitige der Erfahrung
habe, diese metaphysischen Fragen zu stellen. Also diese naive heißt - eine Wissenschaft von dem Transzendenten im Gegen-
Art der H erausschiebung und Herauszögerung, die ich da er- satz zu der Sphäre der Immanenz. Zugleich liegt in jener
fahren habe, die ist deshalb gar nicht so zufallig, weil sie irgend Nietzscheschen Formel von der >Hinterwelt< aber auch - und
etwas zu tun zu haben scheint mit der Sache selbst und vor al- zwar im Geist von Aufklärung, im Geist no minalistischer Auf-
lem mit dem Verfahren, in dem im allgemeinen die Philoso- kEirung - der Spott eben gegen das Ab ergläubische und nach
phie sich zur Metaphysik verhält, - und das noch in der K anti- seiner Ansicht Provinzielle, das mit der Annahme einer sol-
schen Gestalt eines progressus ad infinitum, eines unendlichen chen Hinterwelt notwendig verbunden sei. Ich glaube, es ist

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deshalb sinnvoll, wenn w ir uns eine Sekunde gerade über diese radc paßt, dann ganz genauso gern beziehen. Aber man mag
Lehre von Nietzsche einige Gedanken machen, die die Meta- hier immerhin zur Erläuterung den Spruch jenes Jüngers der
physik ironisch - denn er wußte genau, daß das im buchstäbli- Astrologie anführen, den wir bei der Untersuchung über die
chen Sinn natürlich nicht so ist - dem Okkultismus gleich- »Authoritarian Personality« als eine unserer Testpersonen hat-
setzt. Historisch hat die Metaphysik mit Okkultismus nicht tc11 und der da erklärte, daß er an Astrologie glaube, weil er
nur nichts zu tun, sondern man w ird kaum übertreiben, wenn 11icht an Gott glaube.4 - Ich deute das hier zunächst nur an; ich
man feststellt, daß sie in einem ausdrücklichen Gegensatz zu glaube, daß diese Perspektive außerordentlich weit führt, aber
okkultem Denken gedacht worden ist, wie er etwa in einem ich kann ja jetzt wirklich diese Dinge nur präludieren.
der größten im spezifischen Sinn metaphysischen D enker der Jedenfalls ist zunächst einmal zu sagen, daß keine philoso-
Neuzeit, nämlich bei Leibniz, ja ganz manifest ist; obwohl phische Metaphysik es jemals mit Geistern zu tun hat, so als ob
man selbstverständlich von der Metaphysik, genetisch gespro- di ese Geister seiende Wesen wären; und zwar deshalb, weil die
chen - und wir werden damit immer wieder im Verlauf unse- Metaphysik von Anfang an, also von Platon oder Aristoteles
rer Betrachtungen zu tun haben -, nicht bestreiten kann, daß :111 - und über die Frage, ob die M etaphysik mit Platon oder
sie selbst ein Säkularisationsphänomen mythischen und magi- Aristoteles anhebt, darüber werde ich Ihnen sehr bald einiges
schen Denkens ist, und daß sie infolgedessen nicht so absolut 1.u sagen haben 5 - , weil sie also von diesem ihrem Beginn an
von allen abergläubischen Vorstellungen distanziert ist, wie sie gt:gen die Vorstellung eines Seienden im Sinne der kruden
sich selbst versteht und wie sie philosophiehistorisch sich dar- 1;:1 ktizität, im Sinne von den zerstreuten Einzeldingen, wie sie
gestellt hat. Es ist in diesem Zusammenhang übrigens ganz in- hci Platon ux ovra heißen, gerade protestiert und dagegen
teressant, daß Okkultisten-Organisationen - und zwar, soweit sich absetzt. Wenn es gewisse metaphysische Richtungen gibt,
ich das übersehen kann, in der ganzen Welt - immer eine ge- die man spiritualistisch nennt wie zum Beispiel die des Berke-
wisse Neigung haben, sich >Metaphysische Gesellschaften<, ley oder (mit einer allerdings schweren Einschränkung) die des
Metaphysical Associations oder ähnlich zu nennen. D as ist l .cibniz - obwohl ja die Leibnizsche Monade nicht von dem
interessant nach mehreren Hinsichten: nämlich einmal, weil 1:1ktischen räumlichen Dasein so absolut getrennt ist, wie es
sozusagen dieses apokryphe und in besserer intellektueller Ge- vor allem das neukantianische Leibnizverständnis gelehrt hat-,
sellschaft anstößige Gebilde des Geisterglaubens, der Okkul- wrnn es also in der Philosophie, in der Metaphysik spirituali-
tismus, durch eine Sache, die immerhin den Nimbus von Ari- stische Richtungen gibt, und wenn man gerade von dem eng-
stoteles, von Thomas von Aquin und von Gott weiß wem al- lischen, wie soll man sagen: gleichzeitig extrem empiristischen
len für sich hat, in ein höheres Ansehen rücken kann; auf der und extrem metaphysischen Bischof Berkeley gesagt hat, daß
anderen Seite aber auch (und das scheint mir beinahe noch in- n eigentlich nur die Wirklichkeit von Geistern lehre, so sind
teressanter), weil gerade die Okkultisten, indem sie sich Meta- diese Geister natürlich nicht als >spirits< zu verstehen, sondern
physiker nennen, etwas spüren, was mit dem Okkultismus bis .ds rein intellektuelle, rein durch den Geist bestimmte Wesen-
ins Innerste verwachsen ist, - nämlich daß er in einem gewis- heiten , die alles Faktische überhaupt erst aus sich begründen
sen Gegensatz zur Theologie steht; und daß sie fühlen , daß die u 11d denen nicht vorkritisch oder vor der Reflexion selber
Dinge, die sie betreiben, in eben ihrem Gegensatz zur Theo- 1c11c Art von Faktizität zugeschrieben werden kann, wie der
logie dann noch eher mit der Metaphysik sich berühren als mit ( )kkultismus und Spiritismus in seinen verschiedenen Rich-
der Theologie, auf die sie sich im übrigen, wenn es ihnen ge- 11mgen es tun. Ich glaube also, daß Sie von vornherein gut

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daran tun , wenn Sie von dem Begriff der Metaphysik j eden physik auf der einen Seite zu Okkultem und auf der anderen
solchen Begriff von faktisch seienden , zu e1fahrenden Wesen- .1 uch zur R eligion stehe, eine historische Dimension, die viel--
heiten j enseits unserer empirischen, raum-zeitlichen Welt kicht nicht gleichgültig ist zur Orientierung über den Begriff
ausschließen , - jedenfalls soweit ausschließen , wie es sich um dn M etaphysik selber. Es ist, nebenbei bemerkt, m eine An-
die philosophische Tradition von M etaphysik handelt. sicht, daß man in der Philosophie überhaupt - viele von Ihnen
Metaphysik - und damit komme ich vielleicht der Bestim- werden das von mir schon ad nauseam gehört haben; ich bitte
mung dessen, was Sie unter Metaphysik überhaupt denken Sie zu entschuldigen, wenn ich es hier fü r diejenigen , denen
können, denn doch schon etwas näher - behandelt immer Be- ich es noch nicht gepredigt habe, no ch einmal wiederhole -,
griffe. M etaphysik ist diej enige Form der Philosophie, deren daß ich also nicht glaub e, daß man in der Philosophie mit blo-
Objekt Begriffe sind; und zwar Begriffe in einem emphati- lkn Verbaldefinition en allein weiterkommt; daß man also
schen Sinn: nämlich stets fa st so, daß dabei den Begriffen vor 11icht weiterkommt, wenn man Begriffe einfach definiert; daß
dem unter ihnen befaßten Seienden, vor den unter ihnen be- sie allenfalls in Definitionen terminiert, aber nicht mit ihnen
faßten Fakten, von denen die Begriffe abgezogen sind, der .u1heben kann; und daß zum Verständnis, also zur Erkenntnis
Vorrang und dadurch ein höherer Grad an Wesenhaftigkeit des Gehalts der philosophischen Begriffe selber - und kei-
zugeschrieben w ird. Die Kontroverse genau darüber, der be- 11cswegs bloß als eine äußerliche Geistesgeschichte oder Phi-
rühmte N o minalismusstreit, der das Mittelalter erfüllt und der, losophiegeschichte - es dazu gehört, daß man weiß , wie die
wie ich Ihnen in Kürze zeigen werde,<' fas t unmittelbar in der 1kgriffe entsprungen sind und was sie ihrem Ursprung, ihrer
»Metaphysik« des Aristoteles bereits eine Art von Kamp fplatz historischen Dimension nach bedeuten . ~
in einander widerstreitenden Motiven des Aristoteles besessen Um auf di ese Dimension zu kommen , die mich hier in die-
hat; di eser Streit selber also: ob die B egriffe bloße Z eichen SL'lll Zusammenhang ganz besonders interessiert, so verhält es
oder Abbreviaturen von darunter gedachtem Faktischen sich so, daß die Schule der Positivisten - und zwar in der Ge-
seien, oder o b sie selbständig seien, ob ihnen ein wesenhaftes, stalt, in der der Positivism us unter diesem Namen zuerst auf-
substantielles Ansieh zukommt, - der selbst ist eins der soge- gL'treten ist: nämlich als eine Konzeption von Soziologie als
nannten großen Themen der abendländischen Metaphysik' der wahren höchsten W issenschaft und als der eigentlich en
seit Platon und Aristoteles. Und Sie m ögen eben deshalb, weil l'hilosophie - in ausdrücklichen Gegensatz gesetzt wird zu der
diese Frage nach dem Wesen des B egrifE - und der Begriff ist Theologie; bei Auguste Comte ausdrücklich, und der Sache
ja ein Instrument der Erkenntnis -, weil diese Frage nach dem 11;ich, wenn auch die Termini noch nicht so verwandt werden,
Wesen des Begriffs von Anbeginn also ebenso eine m etaphysi- lineits bei seinem Lehrer Saint-Simon. Diese beiden Denker
sche wie eine erkenntnisth eoretische Frage ist, sich ein Bild .dso haben Stadientheorien : eine Gesch ichtsphilosophie, die
davon m achen , daß M etaphysik, seitdem es überhaupt etwas sich in drei großen Phasen bewegt, an deren erster Stelle die
derartiges gibt, nämlich seitdem es die R eflexion auf den Be- theologische Phase steht, an deren zweiter die metaphysische
griff gibt, mit den Problemen von Logik und von Erkenntnis- 1111d an deren dritter schließlich die wissenschaftliche oder,
theorie auf eine höchst merkwürdige Weise verflochten ist, wie j ene D enker vor J 50 oder bald 200 Jahren es zu nennen
die dann kulminiert hat in der Hegelschen Lehre, daß d:i e Lo- lid)ten, die >positive<. 111 Sie haben damit ein Moment bezeich-
gik und die Metaphysik eigentlich dasselbe seien 8 . - N u n er- lll't, das an der Metaphysik das ihrem eigenen Begriff nach we-
reiche ich hier, indem ich Ihnen angedeutet habe, wie M eta- srntli che ist; das nämlich beiträgt zu der Erklärung dessen , was

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ich Ihnen vor ein paar Minuten vorgetragen habe, als ich Sie 'ks nicht gebildeten Geistes verkörpert, den die Philosophie,
darauf aufmerksam machte, daß die Metaphysik es wesentlich " '<"1m ich einmal an ihre subjektive oder pädagogische Seite
mit Begriffen, es emphatisch mit Begriffen, es mit emphati- il<'11ken darf, in den Menschen eigentlich überwinden oder,
schen Begriffen zu tun habe. Es ist nämlich nach dieser Sta- \\'iv ich lieber sagen möchte, beseitigen soll. Nun ist es sicher-
dientheorie der Positivisten so, daß die Naturgottheiten, aber lll·h wahr, daß Metaphysik mit Theologie auch etwas zu tun
auch der Gott der Monotheisten, zu Begriffen säkularisiert 11.11 L"ben in der Art, in der sie sich doch über die Immanenz,
worden seien, aber dann trotzdem, so wie einst die alten Göt- iil •n die Erfahrungswelt zu erheben trachtet. Etwas gröber ge-
ter, als ein Ansichseiendes und Objektives festgehalten worden ·.prochen, geht die weitverbreitete Gleichsetzung von Meta-
wären. 11 Es ist nun sehr interessant, daß gerade die Positivisten 1'liysik und Theologie, wie man sie so vollzieht, wenn man
der Metaphysik deshalb, weil sie es mit Begriffen und nicht 1 rl ll'r diese Begriffe nicht ausdrücklich nachdenkt, doch wohl

mit Fakten zu tun hat, während ja die positiven Theologien '·111 fo:h auf etwas zurück, was in unser aller Bildung bereitliegt
ihre Gottheiten als faktische, daseiende Wesenheiten be- 11111! uns beherrscht, auch wenn wir gar nicht eigens darüber
stimmt haben, - daß die Positivisten der Metaphysik beson- 11.1t hdenken, - nämlich daß das Lehrgebäude der katholischen
ders abhold waren. Und Sie werden gerade in den Schriften K m·he in einer unauflöslichen Weise mit der metaphysischen
der Positivisten eigentlich mehr Invektiven gegen die Meta- \p<'kulation verbunden ist; und zwar, wie Sie ja wohl alle wis-
physik finden als gegen die Theologie; das gilt ganz besonders ·.1·11, mit der Aristotelischen in der Gestalt, in der sie durch die
für Auguste Comte, der ja in seiner Spätphase die Wahnidee :·.mlkn arabischen Philosophen an die hochmittelalterlichen,
hatte, aus der Wissenschaft selber eine Art von Kult und etwas 1 '•r :11lem eben an Thomas von Aquin, überliefert worden

wie eine positive Religion zu machen. 1-.1. Aber auch das ist nicht so einfach. Und Sie können viel-
1
'

Metaphysik wird nun, das muß man trotzdem hinzufügen, l"i, ·lit etwas von der Spannung zwischen der Metaphysik und
vielfach von dem populären Bewußtsein mit Theologie ver- 'In Theologie, von der ich gesprochen habe, daran sich verge-
bunden; und es gibt sicherlich nicht wenige unter Ihnen, die ! ',t '11 w;irtigen, daß zu der Zeit des aufkommenden Christen-
auch dazu neigen, nicht so furchtbar scharf zwischen den Be- 111111s in der Spätantike, und zwar als das zur Staatsreligion ge-
griffen Theologie und Metaphysik zu distinguieren und das " "' 11·,kne Christentum auch in Athen einzog, dort die noch
alles in den einen großen Topf der Transzendenz hineinzu- •· \I SIL"nten Philosophenschulen, die wir als metaphysische
schütten. Hier, wo wir uns nun also spezifisch mit diesen Be- \,Inden bezeichnen würden, geschlossen worden und mit
griffen zu beschäftigen haben, möchte ich Sie dazu bringen, ''- '"lkr Brutalität unterdrückt worden sind. 13 Und, nebenbei
soweit Sie in diesen Fragen noch mit einer gewissen Naivetät l w111crkt, hat sich in der großen theologischen Reaktion des
sich verhalten mögen, dabei zu differenzieren, - wie denn l·.l.1111 gegenüber den Aristotelischen islamischen Philosophen
überhaupt der Fortschritt philosophischen Denkens wesent- .!.1111i noch einmal genau dasselbe wiederholt; zu einer Zeit
lich ein Fortschritt in der Differenzierung ist. Ich glaube, man l11·ilich, zu der bereits das metaphysische Erbe, durch die isla-
kann geradezu als ein Dogma hinstellen, daß die philosophi- 1111s,·hcn Philosophen vermittelt, sich in dem christlichen Eu-
sche Einsicht um so fruchtbarer gerät, je mehr sie innerhalb ' "l '·I seine Stelle erobert hat. Man empfand al5o damals in der
ihrer Gegenstände zu differenzieren vermag; und daß das Un- '•1•:it.llltike die M etaphysik gegenüber dem Christentum aus-
differenzierte, das alles über einen Leisten schlägt, eigentlich ' lt 1i, klich als etwas Subversives. Und ganz ähnlich dachten
genau jenen Zustand des rohen und, wenn ich so sagen darf, 'l.11111 auch die fanatischen islamischen Mönche, die die Philo-

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sophen in die Verbannung getrieben haben. Der Grund, slL·llungen aufzu lösen, so wie cs uns überliefert wird bereits
warum sie sich so verhalten haben, di.üfte doch die Un ter- rn11 Sokrates, der j a wohl das gelehrt hat, was Kant M etaphysik
schiede, auf die ich M etaphysik und T heologie bringen der Sitten w ürde genannt haben, und der als einer em pfunden
möchte, recht deutlich herausheben . - Ganz sicher kann man worden ist, der die traditionelle Staatsreligion auflöst. Das er-
nicht, wie die Positivisten es versuchten, Metaphysik und kl:irt Ihn en das zeitweilige Bündnis zwischen Positivismus und
Theologie als historische Stadien einfach voneinander abh e- positiver R eligion gegen die Metaphysik , - nämlich gegen
ben, denn geschichtlich h aben sie doch immer wieder sich diL· Metaphysik als das Auflösende, das beide in M etaphysik
überkreuzt: das eine ist gleichzeitig mit dem anderen aufgetre- gkichermaßen spüren . Die Autonomie ist ein Organ des
ten ; das eine ist vergessen worden , dann wieder in den Vorder- 'l'r;mszendenten und ist damit immer auch in Gefahr, das
grund geraten, - es ist eine außerordentlich komplizierte ·1·ranszendente, soweit sie es als Metaphysik betreibt, selb er in
Struktur, die man auf eine eindeutige begriffliche Formel ih- Mitleidenschaft zu ziehen. Und ich glaube, es ist ein C ha-
rerseits nicht bringen kann. Aber tro tzdem ist an der Stadien- r.1kteristikum, das man in einer vielleicht etwas eiligen, aber
th eorie, von der ich Ihnen gesprochen habe, soviel daran, daß doch nicht unbegründeten Verallgemeinerung auf alle M eta-
M etaphysik in dem traditionellen Sinn - und w ir müssen j a physiken, die mir j edenfalls aus der Überlieferung bekannt
von dem traditionellen Begriff der M etaphysik ausgehen, ' ind, wird übertragen können , daß die M etaphysiken immer
wenn ich Sie dessen vergewissern soll , was damit überhaupt d1c11so kritisch gewandt gegen irgendwelche nach ihrer An-
gem eint ist -, daß Metaphysik der Versuch sei, aus reinem "'·!it dogmatischen und fixierten Vorstellungen gewesen sind,
Denken das Absolute oder die konstitutiven Strukturen des wie sie auf der <inderen Seite selber dann wieder den Versuch
Seins und der Erkenntnis zu bestimmen ; also nicht dogma- 111;1chen, das, worauf j en e dogmatischen oder transzendenten
tisch , nicht aus Offenbarung und nicht als ein Positives, mir v, >rstellungen sich bezogen haben, aus reinem Denken her-
schlechterdings, nämlich durch die O ffe nbarung oder die .111.s ihrerseits zu erretten. Diese Spannung geht durc h das ge-
überlieferte Offenbarung, Gegebenes, unmittelbar Seiendes, •„1 111te metaphysisc he D enken hindurch , und ich werde Gele-
sondern , wenn ich das wiederholen darf, durch den B egriff !'.rnhcit haben, gerade an Aristoteles Ihnen diese Spannung
Und damit ist eigentlich bereits das Grundproblem der M e- 11·cht genau zu bezeichnen. - Wenn schließli ch die M etaphysik
taphysik gesetzt, das sie dann ihre ganze Geschichte hin durch 1111d die Theologie sich verständigt haben , so ist das so ein
begleitet hat und das sie etwa auch in der Kantischen Kritik an l\iindnis, etwa vergleichbar - wenn Sie mir die soziologische
der M etaphysik, wie sie ihm vor Augen stand, nämlich in Ge- i( l"de durchgehen lassen - j enem Bündnis zwischen Feudalität
stalt der Leibnizisch-Wolffischen Schule, betroffen hat: daß 1111d bürgerlichen Kräften, das man zuzeiten in der neueren Ge-
nämlich Denken, das in seiner Bedingtheit nur ausreichen soll, "' liichte hat beobachten können; nämlich: beide sehen sich
auch Bedingtes zu erkennen, sich aufwirft zum Organ oder !',nvissermaßen einem gemeinsamen Feind gegenüber, sei es
gar zu dem Ursprung von Unbedingtem. Also dieses Problem , ·k111 radikal aufklärerischen Denken des Positivismus, sei es
das sich in den heftigen älteren R eaktio nen der Theologien . 1I wr auch unter U mstände n dem M aterialismus, wie er etwa in

gegen die M etaphysik geltend gemacht hat, das bezeichnet zu- •h·n marxistischen T heorien , richtig oder falsch verstanden,
gleich selber eines der Kernprobleme, wenn nicht überhaupt ·.1.-!1 mehr oder minder niedergeschlagen hat. Es ist wohl erst
das Kernproblem der M etaphysik. D enken, kann man wohl , l1 .1rakteristisch fü r die gegenwärtigen M etaphysiken , daß sie
sagen , hat in sich die Tendenz, tradi tio nelle, dogmatische Vor- , ill' Spitze gegen die Theologie verloren haben, während an-

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dererseits die Theologie erst in dem Stadium einer relativ weit sung der Metaphysik mit hereingehöre in dem Sinn, daß be-
fortgeschrittenen Verbürgerlichung, nämlich auf dem Höhe- reits die bloße B ehandlung metaphysischer Fragen - unabhän-
punkt der städtischen Kultur des Hochmittelalters, sich veran- gig davon, wie die Antwort erfolgt - als Metaphysik gilt, und
laßt gesehen hat und sich genötigt gesehen hat, nun ihrerseits gar nicht etwa nur positive Lehren von den ansichseienden
Metaphysik in sich aufzunehmen, um sich gewissermaßen zu l lcgriffen oder Wesenheiten. Also beides: die Lehre von der
rechtfertigen, apologetisch zu rechtfertigen vor dem mündig >Hinterwelt<und die Lehre von der Leugnung dieser Hinter-
gewordenen Bewußtsein der städtischen Bürger, die da erfah- welt, würde, im Sinn dieses formalisierten oder verallgemei-
ren wollten, wie denn nun die geoffonbarten Weisheiten zu 11erten Begriffs, gleichermaßen unter die metaphysische Pro-
ihrer eigenen entwickelten und freigewordenen Vernunft sich l1lcmatik fallen; ich würde sagen: bedenklicherweise, weil hi er
verhielten. Und das Thomistische System ist der großartige, <kr Fehlschluß naheliegt, dem man gerade im Bereich der vul-
das Scotistische der schon fast desperate Versuch, diese Recht- g:iren Apologetik immer wieder begegnet: ob nun einer fiir
fertigung der Offenbarung aus M etaphysik zu leisten. die M etaphysik oder gegen die Metaphysik ist, beides ist ja
Jedenfalls also bitte ich Sie, zunächst einmal festzuhalten 14 , doch Metaphysik, beides bezieht sich aufletzte Standpunkte,
daß Metaphysiken im prägnanten Sinn Lehren sind von Be- 11ml über die kann man dann eigentlich nicht mehr streiten;
griffen als einem Tragenden, als einem Konstitutiven und als w:ihrend das Wesen und die Anstrengung des Begrifü eben
einer Art Objektivität, von der dann das , was man so naiver- d;1rin besteht, daß man darüber sehr wohl streiten kann, und
weise >das Objektive< nennt, nämlich das zerstreute Einzel- d.d.: man im allgemeinen, wenn man die anti-metaphysische
ding, das zerstreute Seiende, gestiftet wird und eigentlich erst 1'< >si tion unter den Begriff der Metaphysik ihrerseits nun auch

abhängt. Vielleicht erinnern Sie sich daran, daß ich im Verlauf 11< ich subsumiert, daß man sie dadurch bereits um ihre kriti-
der heutigen Vorlesung Sie en passant darauf aufmerksam ge- s.-l1L' Schärfe, um ihr polemisches oder dialektisches Salz ge-
macht habe, daß die Frage nach der Realität der Begriffe oder: 1
1 r;1cht hat. So redet man etwa formaliter von metaphysischem
ob die Begriffe bloße Signa seien, also der Streit zwischen No- M.1tcrialismus (im Gegensatz zum historischen Materialismus)
minalismus und Realisnms selber innerhalb der metaphysi- .J, irt, wo die Materie als letzter Seinsgrund, als das wahrhaft
schen Arbeit liege, - wie ja tatsächlich die Realisten und die \,· irnde bezeichnet wird, so wie es einmal der Fall war bei
Nominalisten zunächst einmal nicht auf der einen Seite eine 1 l'11kipp und bei Demokrit. Ähnliche Dinge können Sie übri-
Schule von Metaphysikern gewesen sind und auf der anderen ,„,·11s heute in der Theologie beobachten, wo j a sehr viele
Seite eine Schule von Anti-Metaphysikern. Sondern: diese l\lk11schen bereits, wenn überhaupt irgendwas über den N a-
beiden Schulen sind ja Schulen gewesen - und zwar sowohl im 1111 ·11 Gottes und über dessen Existenz oder Nichtexistenz aus-
Islam wie in der mittelalterlichen Philosophie -, die innerhalb !'.< 's:1gt wird, darüberjubeln, daß überhaupt von Gott die Rede
des metaphysischen Denkens entstanden sind und die innerhalb 1„1. 1111d darüber vollkommen vergessen, ob nun der Betref-
des metaphysischen Denkens miteinander gekämpft haben. 1<-11dl' >dafür< oder >dagegen< ist, was, w ie ich denken würde,
Sie mögen hierbei etwas erkennen, was für die Orientierung 1 nl'its daraufhinweist, daß diese Zeit, vorsichtig gesagt, nicht
1

über den Begriff der Metaphysik wichtig ist, um Verwirrun- ~ •,n;1dl' die ist, die dem Bau von Kathedralen am allergünstig-
gen zu vermeiden. Der Begriff Metaphysik hat nämlich eine ·.1 <·11 sl'in dürfte. J edenfalls ist es aber auf der anderen Seite so -
gewisse Formalisierung erfahren, von der man wohl wird sa- 1111!1; 111 :111 der Gerechtigkeit halber doch wohl auch hinzufü-
gen können, daß auch sie in den Zusammenhang der Auflö- 1'. •·11 . daß bei solchen frühen sogenannten Anti-Metaphysi-

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kern und Materialisten, wie Leukipp und Demokrit es gewe- Stichworte zur
sen sind, trotzdem in ihrem materialistischen Denken die 2. VORLESUNG
Struktur des Metaphysischen, nämlich die des absolut en und 13. 5. r965 15
letzten Erklärungsgrundes, erhalten ist; es ist so, daß, wenn
man diese Denker, diese Materialisten metaphysische Materiali- ('/,cr/citu11g: Diese For111alisieru11g1<> drückt sich aus im formalen
sten nennt, eben weil ihnen die Materie der letzte Seinsgrund < ,'/1aml<tcr der üblichen D~finitioncn.
ist, man auch damit sie nicht ganz verfohlt. Aber darin liegt Die übliche D~finitio11 etwa die vom letzten Grund oder der
eben bereits ein kritisches Moment diesen frühen Philoso- l 'rsaclze des Seienden; da11ach soll dann, mit der Venuissenschajtli-
phen selber gegenüber, das dann in der weiteren Reflexion zu 1 !11111g der Philosophie, 1Wctaplzysik die Grundwissenschaft sein.

der Kritik an dem, was sie gelehrt haben, geführt hat. Danach M[etaphysik/ Lehre vom Ersten, der nqwr17 011aia. 17
1!1111pclsi1111 darin: für uns, an sich.

I !111/i gibt es auch Lehren, wie manche gnostischen (z.B. lviar-


l.·i,1111'), oder die des späten Seheier von der Gottheit als T-Yerden-
.f,·111, 1" auch 111anche Spekulationm vo11 Schelling, 2" die diesem Bc-
1:1i/('1 abermals nicht genii«?Cn. Z.B. l\,Jetaphysik als Lehre vom
l~/,·ihl:11dc11 nwf! keineswegs mit dem Bec!frfffder M{etaphysik/ koin-
i.!iarn. Mlä/irend ich Ih11e11 Themen der M[etaphysik] wie Sein,
.';<i11si;nmd, Nichts, Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, T#rdm,
11 :i/11hcit, Geist nennen kann f. ..} * Eill/i\R""2 2 a11

/l 111/"~""g 2 a:J Während die meiste J\;fetaphysik at!f Invarianten aus

1 1, tl'l'(/1scln ihre Themen. Z.B. der Begriff Kraft heute kau111


13
1111 /11 i11 ihr diskutiert (Naturwissenschajt!), auch nicht der des
1 /1n1.1 (der weithin durch Existenz ersetzt ist.) iWan spricht von
1

\ /11.!1; die sogenannten i\1oden der Plzil[osophie] sind aber indices

, 1111·1 'J'icf(Te11. An Leben ze(i.zcn.

l >i1· 111ct<1plzysische Frage, die das gesamte 17 jlz. bewegte, Psyche


11111/ 1'/iysis 1t11d das Problem des psychophysischen Parallelismus,

11111/ ,fi,· 1111clz ihrem mi~!;lichen Eit~fluf! auf ci11andc1; mcrkll'iird(rz

111111 '-:1!1'lrclc11, wahrscheinlich doch unter dem Eindruck der Lehre

, • 'II .11'1' .111{1jcktive11 Konstitution der Körpenuelt, Kant sowohl wie

,/11 I 11111iris1m, während, lJJe1111 diese Lehre hi1!fällig 1uird, das Pro-
f,/, 111 Jn ioi;. Parallelismus wieder aU:&elzen kann und in der envei-
,,, i.11 < ;<'it1iltthcorie Köhlers
14
tatsächlich wieder at~fkam. Es gibt
, '" / 11/il<'iim 1111d Ve1gesscn1uerdc11 - kaum: CcliistwcrdCll - meta-

22 23
physischer Fragen; auch ihr Wiederheraiifkommen im Sinn ge-
schichtsphilosophischer Korrespondenzen. 25 [Ende der Einfiigimg}
Stichworte zur
3- VORLESUNG
L~'~'.'
;~~·'·~{'..>,;-~'.~...,
i. •'./fj·„<>"-
13. V65 18. 5. 1965 '-l;(~.:i(.:~f~,··:,,<;~>
l l 'lilirend ich Ihnen Themen der M[etaphysik] wie Sein, Se~:i~~::<U_"J
1~11111d, Nichts, Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, Werden, Hlahrheit,
c :l'ist nennen kann, l~ßt sich ihr voller Begriff - wie jeder nach-
1/uirkliche - nicht in einer Verbald~finition geben sondern nur in der
/.·1•11/.:rctcn Behandlung der Probleme, deren Konstellation den Be-
<~ri/f der Met[aphysik] bildet. Dqfiir will ich Ihnen im 2. Teil der
1 ;1,-/cs1mg Modelle geben. 26
/:11111 Verständnis phil[osophischer] Begriffe entscheidend die Ge-
'1 !1ichte der Terminologie.
I !r [seil. der Begriff der Metaphysik] deutet auf Aristoteles zurück
1111,/ ::'1/Jar genau auf die Anordnung des corpus Aristotelicum durch
l 11dro11ikos von Rhodos 50-60 v. Chr. im 1. vorchristlichen ]ahrhun-
,/, il, ll'O das jenem Bereich gewidmete Hauptwerk des Aristoteles
,111 111 rd cpvaoai, nach der Physik, stand. Ei11(l'ig1111g 2 a

/1111/11.~1111g 2 a:} schon bei den Neuplatonikern dieser editionstechnische


,\1/1//(' llllzaltlich interpretiert: µcra ra cpvmx6. := das, was über die
.\',1111r hinausgeht, oder eben des »Hinter der Natur« als ihre Ursa-
' !II'. fl:'11dc der Einfi'ig11ng]

1 >,„ Bi;t;riff entsprang also in einem Prinzip literarischer Anord-


111111<.;; es.fehlte an einem Namenfiir die Sache, weil diese nicht ein
I !1u<; 1111ter DinJ;en ist.
1 iu/ ;: die traditionelle Einteilung der lvl{etaphysik}.

// 111/. i.'f /1erkö111111/iche Einteilung der lvl{etaphysik]:


1) ( )11tologie == Lehre vom Sein und vom Seienden 2) Vom
11i1c11 der Welt (Kosmologie) 3) des Menschen (plzil[osophische]
1111/11<>/}()logic) 4) Existenz und Wesen der Gottheit (Theologie).
/, li11l!I noch bei Kant nach, dessen Thematik von elien dem VO~([ege­
/„ 11 11 11s er kritisiert. Dies ist gut weil er nicht drauflosdenkt, schlecht
1

,/1111 /1 die Inlzomo,t;enität gegenüber seinen e(([enen 110111inalistische11


1 ''l•lllSSCfZllllgen.
24 25
Unterscheidung spekulativer und induktiver Met[aphysik]. All 1 ·,1;i11nmg nenne. Jetzt schon aber: sie ist, im Ganzen der Theorie,
das sind spezifisch dogmatische Kategorien, die sich aiif einen vorge- .-i11 .\Jo111ent, nicht selbst das Ganze, nicht ein Unmittelbares, auf
gebenen und positiv /ehrbaren Gegenstandsbereich beziehen, d. h. ,/,1s 11ian sich in Fmge11 der Metaphysik als az!f ein Letztes, Absolu-
sie gelten der Verschmelzung von Theologie und 1\tfetaphysik. Da '"' :·11rückz iehen düifte.
aber der Gegenstandsbereich selber problematisch, keine solche Dok- I >ic Verschränkung JJOn Metaphysik mit dem Denken, die Ari-
trin vorzutragen ist, erinnere ich ,m diese Kategorien, deren Pedan- ·.f1>fl'!cs so nachdrücklich ,Regen den Hylo zoismus vollzog, 31 ist un-

terie des Gegenstandes spottet, damit Sie sie wissen, ohne im weite- 11•!,/crruflich. {Ende der Eilfiigu11gJ
ren darazif einzugehen.
Man unterscheidet, eber!falls herkömmlicherweise, deduktive und \ /,111 kmm mm tatsächlich sagen, dqß die M{etaphysik] mit Aristo-
induktive Metaphysik (ebenfalls nicht ohne aristotelische Winke) '' ff'S illllzebt.
Induktive Metaphysik ein art!fiziell ersonnener Hi!fsbegrijf, der l licr Literaturhinweis 3". 18. Mai 65
ein Veifallenes bewahren möchte durch Anpasstmg an eben das,
wodurch es zersetzt wurde. Wie die relatiJJe Verelendung2 7
Induktiv = empirisch = naturwissenschaftlich.
Es soll also mit Eifahrung ,i,?erechtfertigt werden was diese liber-
steigt. Noch der Heidegger-A11Satz der Daseinsanalyse als Eingang
zur Ontolo,'?ie hat etwas davon .
Ein scheinbar der Eifalmmg so Q{fenes wie Dasein, d. h. im
Grunde die Eifahrung des Su~jekts, und zwar des je Einzelnen,
von sich selbst, soll Eit1sicht i11 das lilksen des Seins eröj]i1en, trotz
ihrer Beschränktheit und Z1ifälligkeit. Das setztfreilich bereits jenes
metaphysische Vorrecht des lvienschen voraus, der sich ausspricht,
indem er Dasein das Ontische nennt, das zugleich ontologisch, also,
qua Bewtißtsein, azif seine Konstitllentien durchsichtig sei. 28
So leicht nun aber auch das Widersprüchliche einer induktiven
Metaphysik festzustellen ist - es allein ist kein Einwand, wenn
man nicht nach wissensclu!ftlicher Sitte den Widerspruch einfach
eliminiert.
Tatsächlich gibt es einm - freilich mit den Mitteln gängiger In-
duktion so wenig wie im Hinblick aiif eine sich ersclzli~ßende Onto-
logie zu fassenden - Begriff metaphysischer Eifahrung. Viel/eicht
z unächst einfach Ungenügen am Akzeptieren. Z.B. »Luderbach«,
tote Tiere.29 H1an11n he!ßt die Bank Bank?29"
Wenn ich Ihnen, im 2. Teil der Vorlesung, einige meiner e(?,enen
Überlegungen zur Metaphysik 30 mitteile, so hoffe ich Ihnen eine
Vorstellung dessen übermitteln zu können, was ich metaphysische

27
4. VORLESUNG '· 1 111it Antisthenes hatte 34 - nicht nur als Abstrakta einer Man-
25. 5. 1965 1i1!~1:dtigkeit von einzelnen Dingen zu, sondern diese Formen
·.11Hl ihrerseits sowohl logisch wie genetisch gegenüber den
Ich hatte in der letzten Vorlesungsstunde zum Schluß die ,·111:relnen Dingen das Primäre. Sie heißen deshalb, eben als ein
These ausgesprochen, daß in einem prägnanten Sinn die Me- .·\ 11s1chseiendes, das gewissermaßen der >Schaw offen sei - wie
taphysik mit Aristoteles beginne. Diese These ist einigerma- '.„ 1111 Höhlengleichnis 35 ja auch liegt - clooc; oder lMa; und in
ßen schockierend, obwohl der Schock nicht so furchtbar groß l·1·1den Worten - Elooc;, Wesen, und loea, eben unserem Wort
gewesen sein wird, wenn man bedenkt, daß die griechische l 111 1dee - steckt ja der Stamm to, po, der sich auf das Visuelle,
Spekulation eine lange Vorgeschichte hat, in der sie sich be- 11 tl das Optische, auf das Sehen bezieht. Insofern also könnte
reits vom Hylozoismus und den etwas kruden Erwägungen 111.111 zunächst einmal, im Sinne der Thematik, Platon für den
über die Natur weitgehend emanzipiert hatte; ich nenne nur 1 1rn1etaphysiker, für den Metaphysiker schlechthin halten,
die Namen Heraklit, Parmenides und vor allem selbstver- 11111 I vielfach gilt er ja auch als ein solcher. Aber bei Platon ist-
ständlich Platon. Wenn ich versuche, Ihnen diese These we- 1111d das ist das Entscheidende nun, wodurch wir dem Begriff
nigstens etwas näher zu begründen, so tue ich das nicht, um •In Metaphysik wesentlich näherrücken -, bei Platon ist die
mir den Spaß einer Paradoxie zu erlauben, sondern weil ich ·.1111iliche Welt, ohne daß er das im übrigen, so wenig wie vor
glaube, daß ich Ihnen dabei etwas nicht Unwesentliches zun1 tl 1111 schon die Eleaten, strikt durchzuhalten vermöchte, als das
Begriff der Metaphysik selber sagen kann. Sie werden sich an .. 1ilcchterdings Nichtseiende bezeichnet. Es gibt eigentlich
die Bestimmungen der Metaphysik erinnern, die ich Ihnen •III' Welt der Erscheinungen in einem nachdrücklichen Sinn
gegeben hatte; es waren ja keine Definitionen, aber eine 1tl wrhrnpt nicht. Und man kann sagen - wenn Sie mir einmal
Reihe von thematischen Hinweisen und Sätzen, die Ihnen ' 111" so drastische Redeweise zur Orientierung gestatten; nur
ungefahr zeigen sollten, womit Metaphysik sich beschäftigt; , l.1111 it Sie so in allergröbsten Zügen topologisch sich zurecht-
und unter denen spielte die Frage nach dem wahrhaft Seien- l 111dl'11 -, daß die Platonische Philosophie eine Synthese aus
den, dem Einen, dem Wesentlichen ihre große Rolle. Die Pla- •1. ·111 1;,katismus, dem Parmenides insbesondere, und dem He-
tonische Ideenlehre hat es mit diesen Begriffen ja in der Tat, 1 rl. 111 darstellt, weil er von Parmenides die Lehre von dem Sein
und ich nehme an, daß Ihnen allen das rnehr oder minder ge- tl·. d1"111 schlechterdings Einen, Unteilbaren und Unvergängli-
läufig ist, zu tun. Die Ideen, das heißt also: die hypostasierten , 11,·11 hat, während er von Herakleitos die Lehre von der abso-
Allgemeinbegriffe, wie man das auszudrücken pflegt, sollen 1111.·11 Vergänglichkeit der Erscheinung übernimmt, die in ei-
eben gegenüber dem zerstreuten Mannigfaltigen das Wahr- ' 1• 111 steten Fluß sich befindet und die überdies, wie vor allem
hafte sein, das Eine, das Wesentliche und vor allem auch die 111 •11·111 \'erhältnismäßig späten Dialog »Theaitetos« von Platon
Ursache aller Erscheinungen sein, - eine Definition, eben die " 11 1q•,nviesen wird, trügerisch sein soll, auf die kein Verlaß
von der Metaphysik, die es mit den Ursachen aller Dinge zu • 111 ""II. Die Grundanschauung, die für die spätere abendlän-
tun hat, die dann in der »Metaphysik« des Aristoteles über- ' l 1" 111' Philosophie immer wieder maßgebend geblieben ist
nommen und geradezu zur Definition der metaphysischen •1111 I 'l 1,· in anderen Formen immer wieder herauskommt, ist ja
Fragen erhoben worden ist33 . Nur den Formen der Dinge · l1, rnll dem Trug, von der Scheinhaftigkeit der sinnlichen
kommt Platon zufolge wahres und ursprüngliches Sein zu; 1 1.111·11. Noch etwa bei einem so nominalistischen Philosophen

und diese Formen kommen - das ist der berühmte Streit, den · 11· H1ll Locke kehrt diese These in der Unterscheidung der

28 29
prin1ären, den Dingen an sich zukommenden und d er bloß genüber der einen Idee, unter die jedes Ding einer Gattung
subjektiven, sekundären Qualitäten wieder. 3 r' fallt-, daß also, sowenig dieses Viele ohne das Eine, ohne seine
Es bedarf keines Wortes - und es hat in der Geschichte der Idee sei, daß auch genausowenig das Eine, die Idee, ohne das
Philosophie sehr vieler Worte bedurft -, um dieses Drastische Viele sei. 38 Es ist gar kein Zweifel, daß die Spätzeit von Platon
zum Bewußtsein zu bringen, daß die Trennung der Idee von in zunehmendem Maß das Seiende gegenüber der Idee zur
der Sinnenwelt, in der eigentlich bei Platon beschlossen ist die Geltung bringt; obwohl es in der Chronologie der Platoni-
Lehre von dem Sinnlichen als dem Nichtseienden, von dem schen Werke, so wie sie heute üblich ist (und wie ich ihr übri-
ov, -
,llft daß die sich sehr schwer durchhalten läßt. Es ist der gens, trotz der gesamten Autorität der klassischen Philologie,
Nachweis möglich, und mit Stringenz möglich, daß die Qua- 11icht unbedingt vertrauen möchte, aus sachlichen Gründen:
litäten, die die Ideen an sich reißen, indem sie zu dem Ansich- 11icht aus philologischen, sondern aus philosophischen), so ist,
seienden werden, in Wirklichkeit mehr oder minder aus der daß einer der Dialoge, in denen die Ideenlehre am schroffsten
Welt der Erscheinungen stammen; daß gleichsam die Verabso- vertreten ist und arn kunstvollsten durchgeführt ist, nämlich
lutierung der Idee aufKosten der Sinnenwelt geht, der sie ent- der »Phaidros«, außerordentlich spät datiert wird, - wodurch
rissen ist. Platon selbst ist auch in dieser Hinsicht keineswegs 11atürlich jene Entwicklung von Platon, sagen wir: hin auf
konsequent gewesen. Wenn er etwa die Idee als die Ursache ,·it1e größere Anerkennung der Empirie, ein bißchen schwie-
alles Seins und alles Seienden bezeichnet, so ist in dieser Verle- rig wird. Aber ich möchte doch eine solche Entwicklung,
gung der Idee in die Sphäre absoluter Ursprünge, der ein dar- 1rotz des Protests der eingefleischten Platoniker, annehmen
aus Entsprungenes gegenübersteht, ja bereits impliziert , daß es 1111d möchte Ihnen immerhin sagen, daß in den angelsächsi-
eben auch etwas anderes, nämlich das Entsprungene, geben "·hen Ländern, in denenja eine sehr große Kultur der Inter-
muß. Oder, um Sie an ein sehr berühmtes Theorem von Pla- l'rctation der klassischen griechischen Texte herrscht, sogar
ton zu erinnern: die Lehre von der µf;{}Ef;u;, der Teilh abe der die Hypothese nicht selten anzutreffen ist, daß Platon als alter
zerstreuten Dinge an der Idee, der sie jeweils unterstehen37 , Mann in einer gewissen Weise rückläufig beeinflußt worden
setzt ja auch ein von der Idee Unterschiedenes voraus; wenn es ist von seinem Schüler Aristoteles; oder auch, daß er auf
nichts gibt, was von der Idee unterschieden wäre, dann wäre < :rund seiner politischen Enttäuschungen bei den Versuchen,
eine solche >Teilhabe< an der Idee, eine solche µf;{}d,lc;, über- 'l1c Welt rein aus der Idee einzurichten, zu einer stärkeren An-
haupt nicht möglich. Tatsächlich hat der späte Platon die nkennung dessen was ist, des Zerstreuten, bloß Seienden, ge-
strenge Fassung der Ideenlehre, wie sie in den sogenannten 1wungen worden ist. Wenn man etwa die Entwicklung von
klassischen, mittleren Dialogen vorliegt, weitgehend revidiert. 'lrn1 klassischen großen Werk über die Politik, der »Politeia«,
Ich erinnere hier an den merkwürdigsten und zu unzähligen 1il •er den >Staatsmann<, den »Politikos«, bis zu dem letzten
Schwierigkeiten führenden Dialog aus der Spätzeit des Platon, Werk, den >Gesetzen<, den »Nomoi«, vergleicht, so spricht da
der den Namen »Parmenides« trägt - den Sie natürlich nicht 1.11s:ichlich manches dafür, daß das so sei. - Aber ich deute Ih-
mit dem Eleaten Parmenides verwechseln dürfen, der aller- 1w11 das nur an, um Ihnen zu zeigen, wie komplex die Verhält-
dings der Held, der Sieger dieses Dialoges ist-, in dem Platon 111ssc sind. Sie alle würden im übrigen gut daran tun, wenn Sie
eigentlich die, ja, man könnte sagen: implizit bereits sehr dia- .·1111:ichst einmal, ehe Sie in diese sehr komplizierten Pro-
lektische These vertritt, daß, sowenig wie das Viele ohne das [,[„1ne, auf die ich Sie hier auch nur hinweisen kann, eintreten,
Eine ist - und dieses Viele wären ja die zerstreuten Dinge ge- -.11 li etwa einmal die berühmten Goetheschen Beschreibun-

30 31
gen der beiden, von ihm einander gegenübergestellten Philo- Philosophie ist nicht so, daß sie diese Spannung selber in das
sophen Platon und Aristoteles anseh en, in denen er ja, heute Zentrum der philosophischen Spekulation rückt. Was ich nun
würde man in vulgärer Weise sagen: den idealischen Platon l'igentlich Ihnen begreiflich machen möchte, ist, daß die
dem realistischen Aristoteles, der mit seinen Füßen fest auf der Sphäre der Metaphysik in dem prägnanten Sinn erst dort ent-
Erde steht, wie es bei Goethe h eißt, gegenüberstellt. 39 steht, wo diese Spannung selber nun zum Gegenstand der Phi-
Nach dem, was ich Ihnen hier zunächst gesagt habe, wird losophie wird, in das Blickfeld des D enkens tritt. Die Meta-
Ihnen meine Behauptung, daß die M etaphysik eigentlich mit physik also, könn te man sagen, entspringt an der Stelle, an der
dem Aristoteles beginne, doppelt schockierend sein - ich <!ie Erfahrungswelt schwer genommen wird und in ihrem Ver-

komme offenbar von der Hoffnung nicht los, daß Sie schok- hfänis zu der vorher einfach hingenommenen übersinnlichen
kiert sind -, und zwar einfach deshalb, weil dem G ewicht Welt durchdacht wird.
nach, das die Überwelt, die Transzendenz gegenüber der Welt Die Platonische Ideenlehre können Sie mit nicht allzuviel
zu haben scheint, doch der Platon viel metaphysischer scheint ( :ewalt sich vorstellen als eine Säkularisierung der Theologie.
eben als sein Schüler Aristoteles. Aber an dieser Stelle liegt Man hat die Platonischen Ideen als die Begriff gewordenen
nun, glaube ich, der Problempunkt, von dem aus Sie am be- ( ;iitter bezeichnet, und man wird da wenig dagegen sagen
sten verstehen können, was Metaphysik eigentlich bedeutet. kiinnen, so wie j a auch die oberste Idee, die Idee des Guten
Auch wenn wir nämlich zugestehen, daß Platon 4 0 nolens vo- oder der Gerechtigkeit, ro ayatt6v oder fJ Oixawavv17, bei
lens (oder wie auch immer) der Welt des µY; ov, des Nichtsei- l'iaton häufig als {}t:6r;, wahrscheinlich unter Anlehnung an
enden , also der Welt der sinnlichen Erfahrung viel größeres ,·111e unmittelbar Sokratische Tradition, genannt wird. Aber
Gewicht gegeben hat, als er der strengen Ideenlehre nach es 'Lis Problem , das durch diese Säkularisierung sich stellt: daß,
hätte tun dürfen; und auch wenn man weiter zugesteht, daß ll'L'llll einmal die Götter zu Begriffen, also zu Einheiten von

diese Tendenz bei Platon im Lauf seines langen Lebens sich l ·:rscheinungen, gemacht werden, dadurch ihr Verhältnis zu
verstärkt hat, so fehlt jedenfalls eines ganz entschieden: näm- 'lt-11 Erscheinungen selbst ein völlig anderes wird , als wenn die
lich die Reflexion darauf, wie nun diese beiden Sphären - also < ;iitter einfac h jenseits, in ihrem Olymp, angesiedelt wer-

die Sphäre der unmittelbaren Erfa hrung und die Sphäre der '"'" · - dieses Problem taucht zwar in den erkenntnistheoreti-
Idee, des Begriffs, des Einen oder wie immer Sie das n ennen ·., lirn und logischen Schw ierigkeiten, die Platon behandelt,
mögen - sich zueinander verhalten. Man könnte vielleicht am 1111111 er wieder auf; aber er war darin, wenn ich es so sagen darf,
ehesten sagen, daß die Probleme der Metaphysik, die traditio- 11.1iv theol ogisch , daß er aus der Säkularisation in den Begriff,
nellen Probleme der Metaphysik, zwar in der Struktur der Pla- .!1<· LT selbst vollzogen hat, nicht die Konsequenz zog, daß da-
tonischen Philosophie, in der Struktur der Platonischen ' l11 rch das Verhältnis des Begriffs oder der Idee zu der Welt der
Ideenlehre sich durchsetzen, aber daß sie gleichsam objektiv 1· rscheinungen selb er sich radikal verändert, daß es problema-
sich durchsetzen, ohne daß sie selber in der Philosophie des 11·;i ·ii wird. Man könnte also sagen - und damit glaube ich , Ih-
Platon thematisch w ürden. Die Spannung zwischen der 11< ·11 den geschichtsphilosophischen Ort von Metaphysik und
Sphäre der Transzendenz und der Sphäre dessen , was bloß der .l.1111it (da ich glaube, daß das Wesentliche immer ein Ge-
Fall ist, die Spannung zwischen ro ov und ra ovra ist zwar, ·' lii chtliches ist) auch das Wesentliche von M etaphysik ein
weil sie unvermeidlich ist, in der Platonischen Philosophie 1>1 1:,·li en besser bezeichnet zu haben, als es in den doch relativ
vorhanden und bricht auch immer wieder durch; aber seine • .J "Trbchlichen Referaten über die Thematik der M etaphysik

32 33
möglich ist-, man könnte die Metaphysik bezeichnen als das sophistischen Affekt es genannt hat, zersetzt zu werden droht.
Produkt eines Bruchs zwischen den Wesenheiten, ebenjenen Metaphysik ist also, so könnte man es vielleicht ausdrücken,
zu Ideen säkularisierten Göttern, und der Erscheinungswelt, l'twas grundsätzlich lvfoden1eo~ - wenn Sie einmal den Begriff
der in dem Augenblick, in dem überhaupt aus den Göttern der Moderne nicht auf unsere Welt einschränken, sondern
Begriffe und damit aus dem Sein auch eine Relation zu Seien- .1uch auf die griechische Geschichte ausdehnen. Und es ist
dem wird, unvermeidlich ist; während auf der anderen Seite kein Zufall, daß Metaphysik im Hochmittelalter wieder aufer-
die beiden Momente nicht naiv aufeinander sich beziehen standen ist in der Zeit der städtischen bürgerlichen Kultur, in
und gleichzeitig formulieren lassen. Man könnte infolgedes- der die naive Unmittelbarkeit zu dem christlichen Glauben
sen auch sagen, daß die Metaphysik, weil sie versucht, die krcits erschüttert war; und dann ein zweites Mal in der Ge-
Ideen als ein mit der Empirie Verbundenes, aber gegenüber s;1mtbewegung des Denkens, die man im allgemeinen durch
der fortschreitenden Säkularisierung Gefährdetes anzusehen, Begriffe wie Renaissance, Reformation, Humanismus einzu-
selber von Anbeginn auch in ihrer eigenen Entwicklung ge- ! '. rcnzen pflegt.
fährdet gewesen ist. Und es ist in diesem Zusammenhang ganz Aristoteles kritisiert in dem ersten, eigentlich metaphysi-
sicher kein Zufall, daß der Nominalismus - also die radikal .,,·Jien Werk der Literatur - eben jenem, das der Gattung den
aufklärerische Ansicht, die jedes Ansichsein der Idee b estrei- N;1111en gegeben hat - den Platonischen Versuch, der Sinnen-
tet - gerade an den Aristoteles sich angeschlossen hat, und wclt das Wesen einfach als ein davon Abgegrenztes, schlech-
zwar zweimal, in Arabien, in der arabischen Philosophie t ndings Verschiedenes gegenüberzustellen. Er kritisiert vor
ebenso wie in der Scholastik; obwohl, wie man nicht nach- .il lrn1 die Platonische Hypostasis der Allgemeinbegriffe als
drücklich genug sagen kann, Aristoteles selber, wie Sie dann <"111c Verdopplung der Welt, - ein sehr legitimes und mächtiges
erfahren werden, alles eher als ein N ominalist gewesen ist. M' >tiv, das eben darauf beruht, daß ja all das, was den Ideen zu-
Wenn Heidegger die Metaphysik gegenüber dem ursprüngli- ! ·.«schrieben wird, aus der empirischen Welt hergeholt ist;
chen Seinsverständnis der archaischen Philosophie als etwas .il111lich, wie Herren von der Arbeit ihrer Knechte oder ihrer
wie einen Abfall, als rationalistisch bezeichnet, 41 so kann ich ',kJ:1vt:11 gelebt haben. Er sucht aber gleichzeitig seinerseits
ihm rein phänomenologisch, also was die Charakteristik des 111111 selber der sinnlichen Welt, der Welt der Erf:'lhrung das
Tatbestandes anlangt, gar nicht durchaus Unrecht geben. Die W<'scn abzuzwingen und es insofern eben doch zu erretten:
Metaphysik ist auf der einen Seite, wenn Sie so wollen, immer 1111d genau diese Doppelintention auf Kritik und Rettung, die
rationalistisch als Kritik einer Ansicht von dem Ansichseien- 111.11 ht das Wesen der Metaphysik aus. Also die Polarität von
den, Wahren und Wesentlichen, sofern es vor der Vernunft l.1 11 ischer Rationalität auf der einen Seite, verbunden mit dem
nicht sich rechtfertigt; sie ist auf der anderen Seite aber auch l '.11 lms der Rettung auf der anderen Seite, das ist das, was je-
immer und ebenso ein Versuch, das, was das Ingeniu m der ' l<-11 Ldls die Geschichte hindurch, die Geschichte der traditio-
Philosophen verblassen und entschwinden fühlt, zu retten. Es 11„11<'11 Metaphysik hindurch, ihr Wesen bezeichnet hat. Meta-
gibt eigentlich keine Metaphysik, oder nur sehr wenig Meta- 1d11 sik wäre zu definieren demnach als die Anstrengung des
physik, die nicht der Versuch zur Rettung dessen wäre - und 1 >1·11kc11s, das zu erretten, was es zugleich auflöst. Ich glaube,
zwar zur Rettung mit den Mitteln des Begriffs -, was seiner- , 1il" d icse Formulierung deshalb vertretbar, daß sie deshalb
seits durch die Mittel des Begriffs bedroht erscheint und im 111. li1 willkürlich ist, weil genau die Struktur, die ich Ihnen
Begriff zu zerfallen oder, wie man dann mit dem uralten anti- 1111·1 !'.rundsätzlich an der »Metaphysik« des Aristoteles - oder

34 35
als Voraussetzung der »Metaphysik« des Aristoteles - gezeigt tation des ersten Satzes der »M etaphysik« des Aristoteles; ich
habe, für die Stellung Kants zum Problem der Metaphysik nehme nur diesen einen Satz. Ich darf Ihnen diesen Satz auf
charakteristisch ist. Obwohl Kant durch die Hervorkehrung Griechisch an die Wand schreiben; ich weiß, daß viele von Ih-
eines schroffen und unversöhnten Dualismus dem philosophi- nen kein Griechisch kö nnen, aber es geht nicht anders; und
schen Klima nach sicherlich mehr mit Platon gemein hat als ich werde Ihnen alles das, was dabei zum Verständnis notwen-
mit Aristoteles - und in der »Kritik der reinen Vernunft« ste- dig ist, erklären. Also dieser Satz lautet:
hen, als Einleitung des Abschnitts über die Ideen, die großar-
tigsten Seiten, die überhaupt jemals über Platon geschrieben
worden sind,41 Seiten, die ich Ihrer aller Lektüre aufs drin-
gendste anempfehlen möchte-, kann man sagen, daß in bezug Das heißt nach den üblichen Übersetzungen: Alle M enschen
auf diese Doppelintention von Kritik und Rettung Kant dem streben nach dem Wissen von Natur aus . Ich will nachsehen,
Aristoteles, den er gar nicht so besonders gemocht hat, näher wie es in der jüngsten Übersetzung steht. Alle M enschen -
steht, als er dem Platon gestanden hat. 43 Wenn Sie mir diese heißt es hier- sind von Natur aus eifrig bemüht ums Wissen. 45
geschichtsphilosophische Konstruktion zunächst einmal auf Dieser Satz ist bei H eidegger in »Sein und Zeit« wiedergege-
Kredit abnehmen, dann werden Sie vielleicht verstehen, ben mit den folgenden Worten (bitte, halten Sie die übliche
warum ich es für notwendig halte, daß man, um den Begriff Übersetzung fest: Alle Menschen streben eifrig nach Wissen
der Metaphysik richtig zu verstehen, zunächst einmal sich eine von N atur aus), Heidegger sagt - übrigens vorsichtig; ohne
gewisse Übersicht über die th eoretischen Hauptmotive des das direkt als Übersetzung zu zitieren-, er sagt: »Die Abhand-
Aristoteles verschafft. Diese Arbeit setzt aber nun voraus, daß lung, die in der Sammlung der Abhandlungen des Aristoteles
Sie sich noch ein bißchen mehr Rechenschaft geben über sei- zur Ontologie an erster Stelle steht, beginnt mit dem Satze:
nen geschichtlichen Stellenwert, denn erst aus einer solchen JTavu;~ avrfr2w1Wl TOV elMvat OQEYOVTat <pVOEl. Im Sein des
Einsicht in seinen geschichtlichen Stellenwert können Sie et- Menschen liegt wesenhaft die Sorge des Sehens.« 46 Ich
was konkreter das nachvollziehen, was ich meine. möchte mich nicht damit begnügen, diese Stelle einfach ihrer
Diese Aufgabe ist heute erschwert - in der Philosophie; Gekünsteltheit wegen lächerlich zu m achen, denn es kann das
nicht in der klassischen Philologie, aber in der Philosophie - , Gekünstelte und Fremde einem fremden Text gegenüber
erschwert durch den Einfluß von Heidegger und seiner durchaus auch eine sehr heilsame Funktion haben. Und ich
Schule, der in einem kaum vorstellbaren Maß , obwohl er das möchte gleich sagen, daß Heidegger Widerstände setzt gegen
aufklärerisch-rationale Moment an Aristoteles sehr genau er- die glatte Art, in der man, da nun einmal eine solche Tradition
kannt hat, doch andererseits so etwas wie eine Repristination zwischen der Antike und uns besteht, in unserer Sprache, in
des Aristoteles versucht. Und ich glaube, ich muß Ihnen, ehe unserer modernen Sprache griechische Texte wiedergibt.
ich zum Aristoteles übergehe, doch zur Kritik dieser Ansicht Aber diese Deutung ist nun eben doch nicht ein solcher heil-
ein paar Worte sagen; und zwar möchte ich das tun, indem ich samer Verfremdungseffekt, sondern sie verstößt gegen den
dabei eingehe auf eine ga nz bestimmte Interpretation, weil ich einfachsten Wortlaut. Wenn er zqm Beispiel sagt: >Im Sein des
glaube, daß solche Dinge an konkreten Details besser sich zei- Menschen<, so ist der Mensch dabei b ereits auf den Singular
gen lassen , als wenn man in dem Bereich der allgemeinen Be- gebracht, und damit eben jene Priorität des Wesenhaften des
hauptung verbleibt. Es handelt sich also hier um die Interpre- Menschen, also eine Art anthropologischer Ontologie, stipu-

37
liert, die beim Aristoteles überhaupt erst das Thema ise 7 . Ari- Ausdruck für >wesenhaft< wäre ganz anders, ovrwc; etwa oder
stoteles sagt eben nicht: der Mensch oder das Dasein oder die ilvrwc; ov, wie es bei Platon heißt; aber ganz sicher nicht
Existenz, sondern er sagt ganz einfach und brav: alle Men- <pvan, weil ja in cpvan cpvatc; und damit, noch aus der alten hy-
schen, die Menschen, und nicht: die einzelnen. Menschen. lozoistischen Zeit, die Erinnerung an die physische Natur
Denn sloevat heißt ganz einfach wissen, und avlfewnol TOV mitschwingt. Er will also ganz einfach sagen - und das ent-
sloevw bef:yovrm heißt: die Menschen befleißigen sich des spricht sehr dem Geist des Aristoteles, der eir1e merkwürdige
Wissens oder streben nach dem Wissen. Nun ist es, wie ich Ih- Mischung von einem Ontologen und einem Physikprofessor
nen vorhin schon anzudeuten Gelegenheit hatte, 4 ~ sicher gewesen ist-, daß die Menschen, so wie sie sind, von Natur
richtig, daß in diesem sloevm der Stamm [F]to steckt, der auch aus, danach streben zu wissen. Aber daß das im Sinne 49 einer
in lofo ist und der das sinnliche Verhältnis des Sehens charak- bestimmten ontologischen Vorstrukturiertheit des Daseins, in
terisiert. Aber Heidegger unterschlägt dabei einfach die ge- dem das Sein erscheinen soll, gemeint sei, davon ist im Aristo-
samte Geschichte der Sprache, die, im Griechischen ganz ähn- teles auch nicht ein Schatten zu finden. - Und schließlich: das
lich wie bei uns, von einer sehr vollen, sinnlichen Vorstellung, <J(}Byt:alfat b edeutet nichts anderes als sich anstrengen, sich
die ursprünglich mit den Worten verbunden gewesen ist, diese sehnen, nach etwas streben , - und hat mit dem Begriff der
Worte immer mehr begriffiich sublimiert hat. Es kann gar kein Sorge, die ja bekanntlich eine der Kernkategorien des Hei-
Zweifel sein, daß auf der Stufe des Aristoteles eben wirklich sl- degger ist, überhaupt nicht das rnindeste zu tun. Sondern: es
Mvm bereits soviel heißt wie: wissen im Sinn des von der sinn- wird einfach dieser >Liebe zur Weisheit<"<', also einem zunächst
lichen Gegenwart emanzipierten Bewußtseins. Da aber bei ganz Handfesten, hier eine existentiale Deutung: daß darin
ihm, wie ich Ihnen eben schon sagte, die Ontologie, die hier gewissermaßen die Sorge des Daseins selber um sein Sein
erst thematisch ist, in einem Akt der Repristination suppo- stecke, unterschoben, - obwohl keine Philologie, keine
niert wird, so sollen eben die Wesenheiten oder das Sein oder sprachliche Kenntnis, fragen Sie irgendein Lexikon danach,
was immer es auch ist, als ein Ansichseiendes gleichsam sinn- dieses beeywiJm mit dem Begriff der Sorge irgend zusam-
lich dem Bewußtsein vor Augen stehen. Und deshalb rück- menbringen kann.
übersetzt Heidegger dieses slO/:vm in seinen viel älteren Ich glaube, ich habe Ihnen, indem ich diesem Satz ein biß-
Stamm der sinnlichen Gegenwart, obwohl es auf dieser Stufe chen näher nachgegangen bin, zugleich das gezeigt, was ich
das schon völlig eingebüßt hat. Ihnen eigentlich hier als die Hauptidee dieser Vorlesungs-
Dann sagt er: es liegt im Sein des Menschen >wesenhaft die stunde habe entwickeln wollen: daß nämlich der Aristoteles
Sorge des Sehens<. Hier ist ganz flagrant, was er da verübt, ausgeht von dem alltäglichen, bereits aufgeklärten sinnlichen
denn jeder, der auch nur im geringsten mit der Geschichte der Bewußtsein und versucht, durch die Reflexion des zunächst
antiken Philosophie vertraut ist und der sozusagen das ele- mir unmittelbar sinnlich Gegebenen dann zu der Einsicht in
mentarste Griechisch kann, weiß, daß der Begriff q;vaEt ein das wahrhaft Seiende zu gelangen, - anstatt daß dabei wie im
philosophischer Terminus ist, der schon in der Sokratik und in archaischen Denken das Wesenhafte bereits vorausgesetzt und
der Sophistik - 100 Jahre vor Aristoteles ungefahr, ich kann supponiert wäre. Wäre es anders; wäre es so, wie Heidegger
Ihnen das Datum nicht genau sagen - im Gegensatz zu f}fost diesen Satz interpretiert, dann wäre eigentlich Aristoteles gar
seine Rolle spielt als das, was >von Natur aus< so ist, gegenüber kein Metaphysiker, sondern wäre selber genau der Ontologe,
dem bloß Gesetzten oder Gesatzten, dem, was i'Hast sei. Der von dem Heidegger an anderer Stelle bestreitet, daß er es ist 5 1 .

39
Aber die Metaphysik hat genau ihr Spannungsmoment in die- 5. VORLESUNG
sem scheinbar handfest empirischen Satz, in dem aber, als Be- I. 6. 1965
dürfnis, das Hinstreben nach dem Wissen und objektiv damit
nach der absoluten Wahrheit gesetzt ist, - so daß von der Ich beginne nun heute, so gut ich es vermag, Ihnen einige der
Wahrheit her schließlich doch auch all das sich konstituiert. Hauptgedankengänge der »Metaphysik« des Aristoteles mit-
Und damit haben Sie eigentlich ganz deutlich bezeichnet das zuteilen und daran Erwägungen zum Problem der Metaphysik
geistige Klima, in dem die Aristotelische »Metaphysik« sich überhaupt anzuschließen. Ich halte mich dabei wesentlich an
abspielt. - Ich glaube, daß ich danach dann in der nächsten die Darstellung von Eduard Zeller 52 , obwohl mir selbstver-
Stunde dazu übergehen darf, Ihnen einiges zum Inhalt der ständlich bewußt ist, daß seit der Zeit von Zellers Werk die
Aristotelischen »Metaphysik« selber zu erzählen. Aristoteles-Forschung im einzelnen philologisch außeror-
dentliche Fortschritte gemacht hat. Ich möchte aber doch bei
dieser Gelegenheit einmal sagen, daß es mir scheint, daß diese
Einzelfortschritte in einem weiten Maß auf Kosten der philo-
sophischen Anschauung gegangen sind, über die Zeller, als
Mitglied der Hegelschen Schule, noch in einem Maß verfügt
hat, das dann vollkommen verlorengegangen ist. Und ich
ziehe deshalb die Orientierung und die Durchblicke, die er
hier gibt, der vielleicht im Detail größeren Akribie vor, da es
mir ja mehr darum zu tun ist, Ihnen wirklich etwas von Ari-
stoteles für die Problemgeschichte der Metaphysik überhaupt
begreiflich zu machen, als nun Ihnen eine im einzelnen unan-
fechtbare akribische Darstellung des Aristotelischen Werkes
zu geben. - Die Definition der Metaphysik findet sich bereits
in dem ersten Buch, dem Buch A, und sie stimmt mit dem
überein, was ich Ihnen bereits zu der Thematik von Metaphy-
sik gesagt habe, 53 wenn sie auch die Problemstellung gegen-
über der Mannigfaltigkeit von Themen, die wir gewöhnt sind,
mit dem Namen Metaphysik zu verbinden, etwas einschränkt.
Es heißt nämlich, die Metaphysik sei die >Wissenschaft von
den ersten Prinzipien und Ursachen< 54 ; wobei natürlich die
Beziehung auf die Platonische Ideenlehre, die ja auch ebenso
die ersten Prinzipien, die obersten Begriffe, die Ursachen der
Erscheinungen abzuhandeln verspricht, zunächst einmal auf-
fallt. Der Komplex, der erste Komplex - und hier schließe ich
mich Zeller ausdrücklich an 55 - , den man aus dem Aristoteli-
schen Werk, der »Metaphysik«, herausoperieren kann und der

40 41
für das gesamte andere von fundamentaler Bedeutung ist, ist wäre die, daß das Allgemeine nicht substantiell sei; daß also das
der Komplex des Einzelllen und des Al/gemeinen, vo11 dem man Allgemeine nicht wie die Platonischen Ideen, die ja Allge-
sagen kann, daß er überhaupt das Grundthema eigentlich der meinbegriffe sind, etwas An-und-für-sich-Seiendes, unab-
Aristotelischen »Metaphysik« abgibt. Wobei ich Sie im übri- hängig von ihrer Realisieru ng, seien, sondern daß von einem
gen jetzt schon darauf aufmerksam machen möchte, daß man Allgemeinen nur soweit geredet werden kann, wie es in Be-
bei Aristo teles insofern bereits - und das ist ein gewisser Un- sonderem sich darstellt. Mit anderen Worten also: die Refle-
terschied zu Platon - von einem System reden kann, als die xion auf den Prozeß der Abstraktion gewinnt in der Aristo teli-
methodologischen und vor allem die erkenntniskritischen schen Erwägung über das Allgemeine schon sehr viel mehr
und logischen Erwägungen, die wir gewo hnt sind, unter dem Kraft, als sie bei Platon besessen hat, geht aber doch nicht so
N amen des »Organon« zusammenzufassen, mit der Argumen- weit, daß die Allgemeinbegriffe nun als reine Abstraktionen
tation der »Metaphysik« so eng verklammert sind, daß ein- aufgefaßt würden; sondern die Schwierigkeit und, wenn ich
zelne der Hauptargumente der »Metaphysik« auf diese m etho- so sagen darf, die Pointe der Aristotelischen »Metaphysik« ist
dischen Schriften, dieses »Organon«, zurückgehen; und zwar vielmehr gerade dies, daß man auf der einen Seite zwar das
insbesondere auf das dort, in diesem Korpus der Methodolo- Allgemeine nicht unabhängig von dem soll denken können ,
gie, enthaltene Werk über di e Kategorien , »Kar'Y/YOQtat«. D aß worin es sich konkretisiert, daß es aber auf der anderen Seite
bei Aristoteles mit Kategorien etwas anderes gemeint ist als bei doch auch ni cht gegenüber den darunter befaßten Besonde-
Kant, nämlich die Grundfo rmen, die bei einer Analyse der rungen eine bloße Abstraktion sei. Ich glaube, wenn Sie sich
Weisen des R edens herausspringen, und nicht etwa subj ektive diese Zuspitzung des Problems vergegenwärtigen, dann wird
Grundformen des Denkens, streife ich nur; ich nehme an , daß es Ihnen m öglich sein, die Schwierigkeiten dieser Theorie
das den meisten von Ihnen gegenwärtig ist56 . Wenn ich zu- von vornherein zu bew ältigen . Man wird ja im allgemeinen
nächst also auf das Problem des Einzelnen und des Allge- mit Schwierigkeiten dann fertig, wenn man ihnen ins Auge
meinen bei Aristoteles eingehe, so möchte ich anknüpfen an sieht. U nd Aristoteles macht es einem damit deshalb ein biß-
etwas, was ich Ihnen in den letzten Stunden exponiert habe: chen schwer, weil er ja so als eine Art D enker des common
nämlich daran, daß die M etaphysik im allgemeinen den Dop- sense auftritt und weil b ei ihm, ähnlich etwa wie später b ei
pelcharakter des Kritischen oder, wie m anja wohl auch zu sa- manchen englischen D enkern, die abgründigsten Fragen zu-
gen liebt, des Destruktiven und den des Apologetischen und nächst so beantwortet erscheinen, als ob sie dem einfachen
des Re ttenden hat; und Sie werden sehen, daß diese C h arak- Menschenverstand ganz selbstverständliche Antworten ge-
teristik für Aristoteles in ganz besonderem M aße zutrifft:. währen w ürden, während in Wirklichkeit gerade darunter
Man kann also sagen, daß seine Abhandlung über .. . , ich eben diese Abgründe sich verbergen, - und damit berühre ich
meine: seine Erwägungen; nicht etwa daß es darüber eine ge- zugleich auch die spezifisch e Schwierigkeit, die der Interpre-
sonderte Abhandlung gäbe; daß seine Erwägungen über das tation des Aristoteles insgesamt zukommt. Man kann sagen ,
Problem des Einzelnen und des Allgemeinen zunächst in das wenn ich einholen will, was ich Ihnen zu Eingang andeutete -
Bereich der kritischen Arbeit hineingehören, - wobei di eses daß ich Ihnen nämlich den Aristoteles referieren möchte in
>zunächst<einen schweren Akzent trägt un d im übrigen auch l<-elation auf die Geschichte und auf die Gesamtthematik der
das Problem einschließt, vor das die gesamte Aristotelische abendländischen Metaphysik - , daß in dieser Lehre, daß also
»Metaphysik« uns stellt. Die erste These, so ließe sich sagen , das Allgemeine kein substantielles Moment sei, die Thematik

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des sogenannten Nominalismus, also die T hematik, daß die von den darunter befaßten konkreten Einzeldingen trennt, die
Allgemeinbegriffe post rem und nicht ante rem seien, angelegt wird von ihm eigens befochten. Und er hat dabei bereits das
ist. Es wäre aber- und ich möchte das, um jedes Mißverständ- überaus for tgeschrittene und modern anmutende Moment,
nis von vornherein auszuschließen, Ihnen sagen - ein grobes daß, wenn ich die Ideen völlig trenne von jedem Seienden
Mißverständnis, wenn man eben darum nun den Aristoteles und absolut verselbständige, daß ich sie dann zu einem Seien-
selber als einen Nominalisten bezeichnen würde. Ich könnte den gewissermaßen zweiter Potenz, einem zweiten Seienden
geradezu sagen, daß die »Metaphysik« des Aristoteles darum höherer Ordnung mache; daß heißt also, wir würden modern
kreist; daß sie ihr Problem hat eben an diesem Widerspru chs- sagen: daß ich dann die Ideen vergegenständliche oder ver-
vollen, daß auf der einen Seite dem Allgemeinen die Substan- dingliche. Und er hat daraus den überaus plausiblen Eimvand
tialität abgesproc hen wird, daß aber auf der anderen Seite die gezogen, daß dann eigentlich die ganze Welt verdoppelt
Allgemeinbegriffe doch nicht bloße Abkürzungen der unter würde ; das heißt, daß es dann auf der einen Seite gäbe eine
ihnen befaßten Besonderungen sein sollen, sondern daß ihnen Welt, die bloße Erscheinung ist, und auf der anderen Seite
trotzdem etwas zukommt, was sie über den bloßen >flatus vo- eine Welt, die Ansichsein ist, die aber dann doch all ihre Qua-
cis<, den bloßen Hauch der Stünme erheben soll. Und wenn litäten erborge von der empirischen Welt, so daß sie in dieser
Sie die Konzeption der Metaphysik begreifen wollen, dann wiederkehre, - worau s sich alle möglichen logischen Unge-
müssen Sie auf diese Konstellation der Momente in der Ari- reimtheiten ergeben. Ich mache nur en passant darauf auf-
stotelischen »Metaphysik« von Anfang an Ihre Aufo1erksam- merksam (um Ihnen zu zeigen, wie gegenwärtig all diese Ari-
keit richten. Er sagt, daß substantiell gegenüber dem Allge- stotelischen Fragen sind), daß genau das gleiche Problem noch
meinen nur das Einzelne sei; daß nur das einzelne erschei- bis in die moderne Erkenn tnistheorie und Metaphysik hinein-
nende, konkrete Phänomen wirklich sei. Dieser Begriff der spielt, wenn etwa Husserl eine Region von reinen Wesenhei-
Wirklichkeit oder besser: dieser Begriff des Substantiellen bei ten, sagen wir: der Bewußtseinsimmanenz und eine der ober-
ihm, der ist wiederzugeben mit dem von elvm, sein, abgeleite- sten regionalen Einheit der psychologischen Bestimmung
ten Substantiv ovaia, von dem dann der lateinische Substanz- lehrt, wodurch also auch sozusagen eine doppelte Welt: auf
begriff abgeleitet 57 ist; und diese ovaia oder die JTQWTYJ ovaia, der einen Seite nämlich die höchst formalisierte Psychologie
das >erste Sein<, das bildet eigentlich, im Sinn dieses H orizonts, und auf der anderen die reine Wesenslehre von den Ideen des
das Thema überhaupt des Aristoteles. Also nur das Einzelne lkwußtseins, treten w ürde.
soll eine solche ovaia zunächst sein, nur es soll wirklich sein. Schließlich: werden die Ideen als absolut XWQic; vorgestellt,
Daran schließt sich an die zweite, wenn Sie so wollen : wie das bei Platon war, als absolut getrennt, so ergibt sich dar-
Grundthese der Aristotelisch en »Metaphysik«, die sich bezieht rns eine weitere Ungereimtheit, die Aristoteles Platon vor-
auf das Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem: näm- wi rft und die da nn den Angelpunkt der »Metaphysik« des Ari-
lich die, daß das Wesen oder, w ie Platon sagen würde, die Idee stoteles bildet; nämlich: es ist dann nicht vorzustellen, wieso -
nicht außerhalb der Dinge sei, deren Wesen es ist, sondern daß wie es doch Platon gelehrt hat und wie es dann mit sehr viel
es nur ist, soweit es in den Dingen selbst ist. Also, mit anderen größerem Nachdruck Aristoteles selbst lehrt - das Allge-
Worten, die Grundlehre des Platon, die handelt von dem 111eine, die Ideen bewegende Kraft haben könnten, wieweit
XWQWµ6 c; der Ideen gegenüber dem Seienden, von dem. >Ab- die Ideen dann Ursachen ihrer Erscheinung überhaupt sein
grund des Sinnes< 57", der die Ideen oder die Allgemeinbegriffe kiinnten; denn sie wären ja schlechterdings getrennt von eben

44 45
der Erscheinungswelt, die sie gleichzeitig bewegen sollen. Problem, das man kritisch gegenüber der Kantischen »Meta-
Und angesichts einer solchen Trennung, also angesichts der physik der Sitten« anmelden kann, ist bereits vollständig in der
Statuierung von zwei absolut verschiedenen Bereichen, deren Aristotelischen »Metaphysik« enthalten in Gestalt seiner Ein-
einen wir jetzt einmal der Kürze halber den ontologischen, sicht, daß, wenn die Ideen oder die Allgemeinbegriffe absolut
den der reinen Idee, und den anderen den ontischen, also den xw9ic;, also ein Reich eigenen Wesens sind, daß man sich dann
des Seienden, nennen wollen, ist es schlechterdings unerfind- nicht vorstellen könne, wie und inwieweit sie Ursachen der
lich, wie der eine in den anderen hineinwirken sollte, wie es Erscheinungen sein sollen.
doch Platon - und das weist Aristoteles abermals mit sehr gro- Die Begründung nun für die Substantialität des Einzelnen,
ßem kritischen Scharfsinn nach - unentwegt lehre. Auch die- flir die These von der Substantialität des Einzelnen, von der
ses Problem: wie es also möglich sein soll, daß die reine Idee ich Ihnen gesprochen habe, die ist, daß substantiell nichts sein
überhaupt eine wirkende Kraft sei, die sich auf die Erschei- könne, was auf Grund eines anderen, ihm zugrunde liegenden
nungen erstrecke, hat sich als Problem die ganze Geschichte pr;idiziert wird. Also substantiell soll nur das sein, was nicht ei-
der Philosophie hindurch behauptet. Ich möchte Ihnen das nes anderen bedarf, um sein zu können. Und über die ovafo.
nur illustrieren (und zwar auch wieder mit Rücksicht auf die i 111 Sinn der Einzeldinge lehrt er nun etwas merkwürdig, daß
Nachhaltigkeit dieser Idee gerade für die Geschichte der Me- dieser Charakter, daß wir keines anderen bedürften, um es zu
taphysik) damit, daß ja bei Kant in der »Kritik der praktischen nkennen, - daß der eben nur den Einzeldingen zukomme.
Vernunft« es auch so ist, daß eigentlich das Problem, an den1 Bei dieser Fassung des Substanzbegriffs handelt es sich uni eine
dieses moralphilosophische Werk in erster Linie sich abarbei- <;rundthese der abendländischen Metaphysik: nämlich die,
tet (obwohl das nie so kraß gesagt wird, daß es darum eigent- daß das Substantielle das sei, was, um zu sein, keines anderen
lich geht; aber es geht darum), das ist, wie es eigentlich das Sit- bedürfe, wie es in der Scholastik überliefert worden ist und
tengesetz, das also ein rein Geistiges, aus der intelligiblen Welt wie es merkwürdigerweise dann von der Philosophie des Des-
stammendes und von jeder empirischen Bestimmung unab- cartes, die ja, wie Koyre unterdessen nachgewiesen hatte 59 , in
hängiges ist, - wie es das eigentlich fertigbringen soll, in die so außerordentlich weitem Maß mit der Scholastik zusam-
empirische Welt hineinzuwirken; nämlich als Nötigung oder 111cnhängt, in so viel weiterem Maß, als man es bei der polemi-
als Sollen, eben im Sinn der Ideen zu handeln. 58 Und wenn schen Haltung des Descartes gegen seine Erzieher vermutet, -
Sie die »Kritik der praktischen Vernunft« unter diesem Ge- wie es bei Descartes dann in den »Principia« wiederkehrt in
sichtspunkt sich einmal ansehen, dann werden Sie bemerken, der berühmten Formulierung, daß die Substanz das sei, »quod
daß Kant mit einem unendlichen Aufwand versucht hat, diese m1lla re indiget ad existendum« 60 ; also das, was keiner anderen
Frage zu lösen; und daß er sie schließlich nur hat lösen können Sache bedürfe, um zu existieren. Und, wenn Sie mir diesen
durch die vollkommene Intellektualisierung des Willens, also philosophiehistorischen Ausblick gestatten, auch diese Inter-
dadurch, daß jene Akte selbst, durch die die reinen Ideen in pretation der Substanz als dessen was sei, ohne um zu seiner
die Empirie hineinwirken, als rein intellektive Akte vorgestellt l ·:xistenz eines anderen zu bedürfen, die hat sich dann die
werden, - ohne daß er dabei sieht, daß, wenn diese Akte rein :~anze Philosophiegeschichte hindurch erhalten. Nicht nur
intellektiv sind, es eigentlich gar nicht abzusehen ist, wie sie l"l wa ist diese Definition des Substanzbegriffs unter den be-
gegenständlich werden können, wie sie sich in der Welt der riihmten Definitionen des Spinoza in der »Ethik« zu finden 61 ,
Erscheinungen überhaupt objektivieren können. Also die~es sondern sie kehrt sogar noch wieder in der modernen Philo-

47
sophie, in den »Ideen zu einer reinen Phänomenologie« von Platon gewesen ist, die Kritik gerade an der Unmittelbarkeit
HusserY' 2 . Nebenbei bemerkt, stammt gerade dieses Theorem der subjektiven sinnlichen Gewißheit aus dein »Theaitetos«M
des Descartes aus der »Kategorienlehre«, aus dem »Orga- gekannt hat, daß er sie rezipiert hat und daß sie in sein Denken
non«. 63 Gerade hier also ist bei Aristoteles auch die Metaphy- auch wesentlich eingegangen ist. Es handelt sich also bei seiner
sik mit der Logik und der Erkenntnistheorie so verklammert, Unmittelbarkeit nicht um eine Unmittelbarkeit des Bewußt-
wie sie es dann später auch auf der Höhe der abendländischen seins, nicht um >les donnees immediates de Ja conscience<6 5 ;
Philosophie bei Kant und bei H egel wieder gewesen ist. - Ich sondern es handelt sich, wenn man einmal so paradox reden
möchte Sie hinweisen darauf, daß diese These etwas ein- darf, um das Unmittelbare an sich, - wobei natürlich für die
schließt, was in solchen Worten nicht gesagt ist, was aber von kritische Reflexion sofort sich die Frage stellt, wie man von
hier seinen Ausgang nimmt und was ebenfalls, wenn Sie so ·Unmittelbarkeit an sich<überhaupt reden kann, dajajede sol-
wollen, zu dem Urgestein des gesamten abendländischen che Unmittelbarkeit, über die etwas prädiziert wird, nur Un-
Denkens gehört und worin wir alle so erzogen sind, daß wir es mittelbarkeit sein kann.fi'ir ein Bewußtsein, das sie prädiziert.
zunächst einmal (bis uns die philosophische Reflexion davon Aber ich möchte darüber hinaus an dieser Stelle noch ein
befreit) für selbstverständlich nehmen: wahrhaft etwas wie ;1 nderes kritisch anmerken, - nicht um an einem historischen
zweite Natur des Geistes. Es ist nämlich substantiell nach die- 1knker so einfach Kritik zu üben, das hat ja etwas Naives, ein
ser Lehre - als das, was keines anderen bedarf - das, was keines solcher Versuch hätte etwas Naives, und ich nehme an, daß Sie
Mittels bedarf, durch das es ist oder durch das wir es erkennen 11iir diese Naivetät so wenig zumuten wie sich selbst; sondern
können; mit anderen Worten also: das U11mittelbare. Am An- 11111 Ihnen an dieser Stelle zu zeigen, daß eine solche Theorie
fang der abendländischen Metaphysik steht also bereits der wie die, die ich Ihnen eben vortrage, in sich auf außerordent-
Satz, daß das, worauf alles sich zu stützen habe, wovon alles ab- 1ich große Schwierigkeiten führt. Denn Sie in die Aristoteli-
zuhängen habe und woran sich die Erkenntnis zu orientieren sc he »Metaphysik« einleiten, das kann ja nicht heißen, Ihnen
habe, das Unmittelbare sei eben in Gestalt jenes Einzelnen, das ,·infach seine Hauptthesen zu referieren, sondern Ihnen das
der Aristoteles zunächst einmal dem wirklich und wahrhaft l'roblembewußtsein dieser Metaphysik zu vermitteln; und das
Seienden gleichsetzt. Aber Sie müssen hierbei sich doch zu- l'roblembewußtsein zu vermitteln heißt notwendig ja immer
gleich auch über eine Differenz klar werden. Denn gerade bei ·;oviel, wie Ihnen daran zu zeigen, wo die Schwierigkeiten lie-
einem Denker, bei dem die B eziehungen zu der abendlän- grn, die unter der Plausibilität solcher Argumentationsreihen
dischen Philosophie so ungeheuer ausgeprägt sind, wie der vl'rborgen sind. Nun, - Hegel hat gelehrt, daß es kein Unmit-
Aristoteles es ist, kommt es ja nun doch darauf an, daß man hi- tl'lbares gebe, das nicht zugleich auch ein Vermitteltes sei 6 ('.
storisch differenziert, um nicht einen allgemeinen philosophi- Wrnn Sie den Nachweis, den Hegel dafür erbringt, als ge-
schen Brei herzustellen , in dem alles mit allem konmrnniziert. ~ ·Jiickt betrachten - und ich würde denken, daß es wenige
Das Unmittelbare nämlich, wie es bei Aristoteles impliziert ist Momente in der Hegelschen »Logik« gibt, denen eine solche
in den Grundlehren, die ich Ihnen bis jetzt refäriert habe, ist J·:videnz zukommt wie diesem Nachweis, den er da geführt
von ihm nicht gedacht- primär j edenfalls nicht - als das Un- lut'' 7 - , dann ist natürlich nicht mehr ohne weiteres einzuse-
mittelbare der sinnlichen Erfahrung. Es ist also nicht das Un- lirn , was die traditionelle metaphysische Vorstellung von der
mittelbare in bezug auf unser Erkenntnisvermögen. Und man Substanz als von etwas, das der Vermittlung schlechterdings
darf wohl :innehmen, daß Aristoteles, der ja ein Schüler des 11i,·ht bedürfe, überhaupt noch besagen soll. Und es scheint

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mir einer jener m erkwürdigen Anachronismen, um nicht zu ~czoge n worden ist eben durch jene Wendung, von der ich
sagen: Archaismen zu sein, die die G eschichte der Philosophie 1lmen vorher sagte, daß sie ihm selbst und der Antike mit Aus-
und die der Metaphysik im besonderen mit sich führt, d aß sie 11ahme der Sophistik fremd gewesen sei, nämlich der Wen-
zwar j ene kritischen Reflexionen auf den Begriff der Unmit- dung zum Subjekt. Erst wenn die Lehre von der Wirklichkeit
telbarkei t, die ich Ihnen eben angemeldet habe, durchführte; des Einzelnen sich damit verbindet, daß diese Wirklichkeit des
daß sie aber nicht gesehen hat, daß davon notwendig di e Sub- l·: inzelnen, seine Unmittelbarkeit, nur eine Unmittelbarkeit
stanzenlehre, das heißt: überhaupt die Konzeption der Sub- /iir das Subjekt sei , ist ein vollkommen durchgebildeter Nomi-
stanz als des an sich, primär, unmittelbar Seienden wesentlich 11alismus, wie ich es Ihnen eb en an Hume kurz erläutert habe,
affiziert wird. Wenn ich Ihn en sage, daß die Philosophie davon iiberhau pt möglich . Und das ist zugleich, negativ gesprochen,
in ihrer Geschichte zu wenig N otiz genommen hat, so ist das der G rund dafür, warum man bei Aristoteles, trotz jenes An-
eine Ungerechtigkeit und ist auch nicht richtig. Sie hat davon sa tzes, von Nominalismus nicht reden kann, - wie es sich nun
natürlich Notiz genomm en, nämlich in Gestalt des konse- damit positiv verhält, das werden Sie sehr bald sehen. Es steckt
qu enten Nominalismus, aber sie hat nicht davon N otiz genom- i11 dem Substanzbegriff so, wie er bei Aristoteles verwandt
m en in ihrem rationalistisch-spekulativ-idealistischen H aupt- wird, um es Ihn en ganz einfach zu sagen: noch etwas naiv
strom , wenn ich es einmal so ausdrücken so!I. Es ist ganz gewiß Realistisches , - wie Sie denn , und das ist für uns heute gar
so, daß Hume, der, wenn man will, die äußerste Konsequenz 11icht so einfach, die ganze Aristotelische »M etaphysik« nur
aus der Aristotelischen Lehre von der Wirklichkeit des Einzel- dann richtig verstehen können, wenn Sie sie nicht verstehen
n en darste!It, den Substanzbegriff eben deshalb aufgelöst hat; im Sinne der durchgängigen subjektiven Reflexion, sondern,
das heißt: der Substanzbegriff, der ja mit dem Begriff des ein - 11ach einem Terminus der Scholastik, in intentione recta; also
zelnen Dinges zunächst einmal verklamm ert ist, der weicht bei 1llit Hinblick auf die unmittelbare Gegenständlichkeit der
ihm einer Kritik, die sagt, daß es so etwas wie das Ding über- Außenwelt und nicht im Hinblick auf die Vermittlung durch
haup t nicht gebe, sondern lediglich die gewohnheitsmäßige (las j eweils erkennende Bewußtsein.
Verknüpfung subjektiver Erscheinungsweisen, die wir dann Diese seltsame Durchkreuzung der Lehre von der Wirk-
konventionellerweis e als Dinge zu betrachten pflegen soll en. 1ichkeit des Einz elnen und gleichzeitig einem nach außen naiv
Kan t hat demgemäß dann auch den Substanzbegriff zu einer gl'ri chteten Realismus, die gehört weiter zu den eigentlichen
subjektiven Funktion, zu einer Tätigkei t gemacht; also zu et- :--itrukturen des Aristoteles notwendig 1nit hinzu. Das eigent-
was, was der Geist in den Gegenständen erst hervorbringt, li ch Aristotelisch e nun und das, was die ganze Schwierigkeit
ohne <laß er länger jenes Ansichseiende sein soll, als welches bildet, von der ich Ihnen geredet habe, ist das, daß Aristoteles,
Su bstanz qua Ding bei Aristoteles noch bezeichnet w ird, - trotz dieses Fundamentalsatzes von der Wirklichkeit des Ein-
während auf der anderen Seite, in seiner Ideenlehre und über- zelnen und davon, daß substantiell nur das sei, was nicht eines
haupt in seiner Konzeption des mundus inte!Iigibilis, de r in- ;111deren b eda rf~ sondern was unmittelbar ist, in einem sehr
telligiblen Welt, bei Kant die Vorstellung des Substanzbegrif- 11:1ch<lrücklichen Sinn ein Vermittlungsphilosoph gewesen ist.
fes in dem alten Aristotelischen Sinn obwaltet.'' 8 Sie kön nen Und wie nun bei Aristoteles dieser Gedanke oder dieser Kul-
hier an dieser Stelle sehen, wie eigentlich die volle Konse- tus (müßte man fas t sagen) des Unmittelbaren , des unmittel-
qu enz der Lehre, mit der Aris toteles einsetzt - daß nämlich die J,:ir, an sich so Seienden, mit dem Gedanken der universalen
volle Wirklichkeit nur den Einzeldingen zuzusprechen sei -, Vermittlung sich verschränkt hat, - das zu verstehen ist das ei-

50 51
gentliche Problem eines Verständnisses der Aristotelischen "111 >Zweites< eben deshalb, weil sie auf dem Grund des zu-
»Metaphysik« überhaupt; und darau( auf dieses Problem, 11:ichst primär Gegebenen, nämlich der Einzeldinge, eben erst
möchte ich Sie bitten, sich zu konzentrieren. Sie werden dann lingestellt werden. Diese OEVTEQal ovaim, diese zweiten oder
sehen, um auch das vorauszuschicken, daß der Begriff der Ver- 1111cigentlichen Substanzen dürfen nun nicht außerhalb der
mittlung, wie er bei Aristoteles vorliegt, von dem, was gerade S11hstanzen angesetzt, sie dürfen nicht, wie man in der moder-
Hegelianisch Gebildete - und es wird ja unter Ihnen eine 11rn Terminologie der Philosophie sagen würde, hypostasiert
nicht geringe Zahl von solchen sich befinden - unter Vermitt- wnden, sondern sie sind in den Einzeldingen enthalten; sie
lung sich vorstellen, außerordentlich verschieden ist. Und ich ·.i11d also immanent und nicht transzendent. Und diese These,
möchte auch hier wieder wie ein Scholastiker wiederholen: , l,if\ es zwar auf der einen Seite substantielle Begriffe gibt, daß
distinguo, ich unterscheide; Sie können hier die Spezifikation ,ic aber nicht xw9ic;, daß sie nicht jenseits des einzelnen Seien-
des Aristotelischen Ansatzes nur dann fassen, wenn Sie sehr ' kn sind, sondern daß sie nur verkörpert in den einzelnen
1 Jingen sind und dem einzelnen Seienden innewohnen, ihm
strikt distinguieren, was Vermittlung, was Mitte, was das Mittlere
überhaupt bei Aristoteles heißt, und was es in der Dialektik 1111nianent sind, das ist die eigentliche Grundthese der gesam-
ll'!l Aristotelischen »Metaphysik«, - von der nun auch abhängt
heißt. Denn, um das vorweg zu sagen, Aristoteles ist alles an-
dere gewesen als ein dialektischer Denker, obwohl er oaleich- , hs, wodurch sie so grundsätzlich von der Platonischen Lehre
zeitig ein Denker der Unmittelbarkeit und ein Denker der o;ich unterscheidet: nämlich der dynamische Charakter. Denn
Vermittlung gewesen ist. Man könnte sagen, wenn ich es ein- \Vl'lln diese OEVTEQal ovaim den einzelnen Dingen innewoh-
mal nun wirklich Hegelianisch zuspitzen soll, daß die These 1ll'n, anstatt ihnen als ein Äußerliches und fremdes gegen-
von der Unmittelbarkeit und die These von der Vermitteltheit iiherzustehen, dann hat es - so argumentiert Aristoteles - auch
ihrerseits untereinander bei ihm nicht vermittelt seien, - wenn 11ichts Absurdes oder nichts Unzumutbares mehr, sich vorzu-
Sie mir an dieser Stelle die dialektische Pointe konzedieren o;tcllen, daß eben diese Wesenheiten dann auf die einzelnen
1 linge einwirken; und daß dadurch zwischen der Idee und
wollen. So heiß wird das allerdings bei Aristoteles zunächst
nicht gegessen; das heißt: da es ja damals noch keine Dialektik , km zerstreuten Seienden eine Vermittlung hergestellt wird. -
gab, war für ihn also eine solche Art der Distanzierun" oder Mit dieser Anzeige möchte ich heute schließen, ich werde in
b
Differenzierung von der Dialektik, wie ich sie Ihnen eben der nächsten Stunde hier fortfahren.
vollzogen habe, nicht möglich. Es entspricht vielmehr dem
Klima der gesamten Aristotelischen Philosophie, das insge-
samt eines der Einschränkung, der Rücksichtnahme, der Bil-
ligkeit, der µw6r17c; ist, daß er die Lehre von der Substantialität
als eines Unmittelbaren mildert und einschränkt durch die
von den uneigentlichen oder abgeleiteten Substanzen oder,
wie er es nennt, von den OEVTEQaL ovaim, von den >zweiten
Substanzen< oder, man könnte vielleicht auch sagen: von den
zweiten Wesenheiten; 69 wobei in diesem >zweiten< natürlich
ganz deutlich anklingt, daß sie eben keine reinen Unmittel-
barkeiten seien, sondern Produkte der Abstraktion. Sie sind

53
6. VORLESUNG uphysik von Aristoteles ausgespielt werden, um dann in den
3. 6. 1965 ·,päteren Phasen metaphysischen Denkens mehr oder weniger
hin und hergeschoben zu werden und am Ende gar, wie es im
Ich hatte in der letzten Stunde kurz gesprochen von dem Be- l·'.11dspiel bei dem Mühlespiel der Fall ist, zu hüpfen, in Gestalt
griff der OE1JUQC1l ovaiw, also, lassen Sie es mich übersetzen: , ks Irrationalismus nämlich -, der Ausdruck dafür, für dieses
der Wesenheiten zweiten Grades oder zweiter Potenz, die nun Vnhältnis der Ideen oder der Möglichkeiten zu dem Seien-
aber nicht außerhalb der Substanzen, der Dinge angesetzt den, heißt bei Aristoteles EV uara n:oUciJv, 71 also: das Eine
werden dürfen oder die man - wie es in der Sprache der heuti- ~·:L'mäß dem Vielen. Dieser Ausdruck ist deshalb besonders in-
gen Philosophie lauten würde - dem Aristoteles zufolge nicht tnessant und ich verweise Sie deshalb gerade auf diesen Ter-
hypostasieren darf, sondern die den Substanzen immanent 111inus, weil er fast genauso wiederkehrt in der Kantischen
und, im Unterschied zu den Platonischen Ideen, nicht trans- 1'hilosophie; nämlich dort, wo die Synthesis durch den Ver-
zendent sind. Ich habe Sie weiter darauf aufmerksam gemacht, stand, die ja Kant zufolge eigentlich der Akt der Erkenntnis
daß dadurch auch das Problem, das in der Platonischen Ideen- , >der die Erkenntnis überhaupt sein soll, bezeichnet wird als
lehre eigentlich kaum recht verständlich ist: nämlich auf wel- ·l:inheit in der Mannigfaltigkeit.< 72 Etwas anderes als eine sol-
che Weise die Vermittlung zu denken ist zwischen der Welt ' \1e Einheit in der Mannigfaltigkeit ist in der Aristotelischen
der Ideen und der Welt der sinnlichen Gegenstände, also kan- Konzeption des Verhältnisses von Begriff zu einzelnem Seien-
tisch gesprochen: die Vermittlung zwischen den Noumena dl'!1 oder, um es jetzt schon Aristotelisch auszudrücken, von
und den Phaenomena, - daß dadurch dies Problem wenigstens 1'orm und Stoff eigentlich auch nicht enthalten. Ich möchte
v01;gezeichnet erscheint. Ich möchte das sehr vorsichtig aus- Sie im übrigen darauf aufmerksam machen, daß genau der
drücken, weil ja die Ideen nun nicht mehr XWQÜ;, also nicht ( ;edanke, den ich Ihnen eben skizziere, höchst überraschen-
mehr getrennt von dem Sinnlichen, von den Gegebenheiten, derweise auch bei dem späten Platon erscheint und daß er
von dem Stoff der Erkenntnis vorhanden sein sollen, sondern lllcht zuletzt Anlaß zu jenen Spekulationen gegeben hat, von
nur soweit sie in diesem Seienden selber sich verwirklichen. , knen ich Ihnen sprach7 3, - daß n~imlich möglicherweise Ari-
Und das Problem der Verursachung, das Problem also der pri- stoteles auf seinen Lehrer in dessen Spätzeit zurückgewirkt ha-
mären Ursache, von dem ich Ihnen als einem der Ausgangs- \icn soll, nämlich in den1 Platonischen Dialog »Parmenides«,
probleme der Metaphysik überhaupt gesprochen habe, 70 das , \LT ja in vieler Hinsicht das rätselhafteste und merkwürdigste
löst sich prinzipiell zunächst einmal in der Aristotelischen ( ;cl1ilde darstellt, das das Corpus Platonicum überhaupt ent-
»Metaphysik« eben dadurch, daß diese Welt der sinnlichen Er- l1:ilt und in dem die These vertreten wird, daß das Eine nur sei
scheinung teleologisch hingeordnet ist auf diese Ideen oder .ils die Einheit von Vielen und daß das Viele nur sei als ein Vie-
reinen Möglichkeiten, die in ihnen selber enthalten sein sol- ks von Einheiten. Also dieser Gedanke der Reziprozität, der
len. Bei Aristoteles kommt dafür ein Ausdruck vor, der wört- /\ufeinanderbezogenheit des Allgemeinen und des Besonde-
lich ebenso - und hier können Sie wiederum den Gesichts- 1<'11. hat offenbar an dieser Stelle der Geschichte des Geistes die
punkt sehen, unter den ich all das stelle, was ich Ihnen jetzt Mrnschen aufa mächtigste bewegt. Und er hat den Aristoteles
über die »Metaphysik« des Aristoteles sage: wie diese Thema- 1u dieser Fornmlierung bewogen, die deshalb besonders
tik in der gesamten abendländischen Metaphysik bestehen "ichtig ist, weil genau dieser Gedanke der Reziprozität, also
bleibt; wie wirklich gewissermaßen die Mühlesteine der Me- d.11\ es auf der einen Seite nicht die Einheit unabhängig von

54 55
dem Vielen gebe, daß aber auf der anderen Seite das Viele Wirkliche oder das wahrhaft Seiende, so ist demgegenüber
überhaupt sich nur vermöge des Einen konstituiere, - dieser 1•·tzt gerade umgekehrt die Form die höhere Wirklichkeit. Ich
Grundgedanke ist in der Aristotelischen Formel angelegt, die „,·hrcibe Ihnen diesen Begriff des TODE Tl auch an die Tafel.
ich Ihnen referiert habe. /\ uch dieser Begriff des TODE Tl ist fundamental für das gesamte
Sie sehen hier also, daß der Gedanke der Einheit in der .dlendländische Denken, - deswegen, weil alle Verweise auf
Mannigfaltigkeit, der dann in der Geschichte der neueren Phi- , lil' Faktiziüit, das Diesda, das was im Begriff nicht auflöslich ist
losophie ja verlegt worden ist in das Subjekt, das diese Einheit 11nd wofür doch ein begrifflicher Name gesucht wird, in die-
erst ordnend hervorbringe, zunächst einmal entsprungen ist ·;,·m Wort TOÖE Tl liegen. TOÖE Tl ist ja eigentlich - und das ist
ontologisch; das heißt: entsprungen ist darin, daß diese Einheit ~.dir interessant für die Komplexion dieses Denkens - über-
die Einheit des Seins selber sein soll, die allem Besonderen und \1;1upt kein Begriff sondern eine Geste; TOÖE Tl heißt soviel wie
Einzelnen, aus welchem dieses Sein sich zusammensetzt, vor- .\ )ies< es deutet auf etwas hin. Und in Aristoteles war also
geordnet sei. So sehr, daß schließlich sogar die Formel von der 11och ~e()'enwärtig daß für dieses seinem eigenen Wesen nach
b b '
Einheit in der Mannigfaltigkeit wörtlich bei den Griechen zu l In begriffliche so etwas wie ein Begriff eigentlich gar nicht zu
finden ist, - so sehr ist das ganze abendländische Denken im \ii\den war, sondern daß man das nur ausdrücken kann durch
Bann dieser Tradition. Und es wäre vielleicht keine ganz mü- <'inl' Geste, - während dann später aus dieser Geste ein Termi-
ßige Überlegung, sich zu fragen, ob nicht die Orientierung an 11us geworden ist, der dann schließlich in Begriffen wie Gege-
diesen Überlegungen eine Art von Kanalisierung des gesam- lll'llheit, Datum, auch schon in der Scholastik haecceitas, oder
ten Denkens bewirkt hat, die alles in eine ganz bestimmte, in 1Vil' immer diese Begriffe lauten mögen, sich niedergeschla-
sich sehr zwangvolle, zugleich aber auch eingeengte Richtung :•l'll hat. Ich mache Sie aufinerksam auf die Wendung, die die
gedrängt hat; und ob all das, was wir dann in späteren Zeiten ;~hilosophische Terminologie an dieser Stelle vollzogen hat
als das Motiv der Stringenz an der antiken Philosophie oder t11lll in der Sie abermals von einer anderen Seite das Spezifi-
überhaupt an der Philosophie erfahren haben, durch diese '' he der Aristotelischen »Metaphysik« erkennen können:
Einengung auf die schon von vornherein in diesem Sinn - 11:imlich daß nun plötzlich das, was bei Platon die Idee und als
nämlich des Verh~lltnisses von Allgemeinem und Besonde- solche ein Ansischseiendes und Absolutes war, Form heißt; daß
rem - eingeengte griechische Tradition zurückzuführen sei. .111stelle des Gegensatzes zwischen der wahrhaft seienden Welt
Nun aber ist - und das ist nun eigentlich der Hebelpunkt der , In Idee und der nichtseienden Welt der sinnlichen Mannig-
Aristotelischen »Metaphysik«: das, was Sie verstehen müssen, Liltigkeit nun also der Unterschied zwischen Form 1md St<'.ff
wenn Sie diese äußerst merkwürdige und in sich wider- tritt. Auch diese beiden Ausdrücke darf ich Ihnen anschrei-
spruchsvolle Komplexion verstehen wollen-, nun ist bei Ari- l1L'll weil wir sie dauernd verwenden müssen. Form also heißt
stoteles das Allgemeine oder die Form - beides ist bei ihm das- sovi~l wie in einem engeren Sinn der moderne Ausdruck Ge-
selbe - genauso wie bei seinem Lehrer Platon die höhere st.1lt; man hat das allerdings mit forma lateinisch wiedergege-
Wirklichkeit. Sie finden in dieser Lehre also das, was ich Ihnen lll'Il; das griechische Wort dafür ist µoQcpry, Ihnen allen geläufig
in der vorigen Stunde auseinandergesetzt habe in bezug auf rnn solchen Begriffen wie Morphologie. Demgegenüber
die Wirklichkeit des Unmittelbaren, geradezu auf den Kopf iiL·ißt der Stoff - also das, worauf sich diese Form bezieht -
gestellt. War zunächst das einzelne Ding, so wie es mir er- 1;J.1;; übersetzt dann im Lateinischen mit Materie. Ich sagte Ih-
scheint, oder, wie es Aristotelisch heißt, das TODE Tl das allein 1 Jl'll, daß diese Verwandlung der Terminologie, die - anstelle

57
der traditionellen Platonischen Begriffe lMa oder Elooc; auf 1)Üva1,ac;. Um das Verhältnis dieser beiden, - ja, wir würden
der einen Seite und auf der anderen rci ovra - nun von .WNJcpij heute sagen: Momente, aber das ist nun wirklich anachroni-
und von i!A.ry spricht, für die Sache selbst wesentlich sei. Sie stisch und schon viel zu modern; dieser beiden Kategorien,
können das ganz einfach sich dadurch klarmachen, daß, wenn müßte man vielleicht exakter sagen: darum bewegt sich die
wir von Form reden, in diesem Begriff der Form immer be- <ranze Aristotelische »Metaphysik«. 74
reits der Hinweis auf ein Etwas ist, wovon das Betreffende ""' Ich glaube, das ist der Ort, an dem ich Ihnen vielleicht auch
Form sei. Also: der Begriff Form ist niemals in demselben a1n drastischesten den Unterschied zwischen der gesamten an-
Sinn ein selbständiger, ein autosemantischer Begriff, wie es tiken Metaphysik und dem, was dann aus dieser Metaphysik
der Begriff der Wesenheit ist. Im übrigen steht die Aristoteli- geworden ist, klarmachen kann. Denn es liegt ja hier zunächst
sche Terminologie an dieser Stelle noch auf einer Grenz- etwas für die gesan1te neuere abendländische Tradition unge-
scheide: das heißt, die Ausdrücke ,uoQcpij und elooc; - der Pla- \vöhnlich Paradoxes vor, und ich weiß nicht, ob Sie diese
tonische Begriff - alternieren noch, es gibt auch den Begriff Paradoxie alle gleich aufgefaßt haben. Ich betrachte es im üb-
elooc; dafür bei ihm, noch im Platonischen Sinn. Und umge- rigen als die Aufgabe, wenn man sich mit Denkgebilden be-
kehrt ist i5A17, also Stoff.- eben als der Inbegriff alles dessen, was schäftigt, die zeitlich sehr weit von einem entfernt liegen, und
r6oe n, \Vas >hier< ist, Materie ist - als etwas, was nicht auch zu diesen Denkgebilden gehört eben trotz der Tradition, und
seine Form habe, gar nicht zu denken; so daß also bereits die ich möchte fast sagen: wegen der Tradition, der Aristoteles
Wahl dieser reziproken, das heißt, dieser aufeinander bezoge- auch hinzu, - daß man sich dabei mindestens so sehr über die
nen Begriffe, die die eigentliche Thematik der Aristotelischen 1)ifferenzen klar wird als über die Identitäten. Ich glaube, das
»Metaphysik« wiedergeben, anzeigt, daß diese Philosophie das Wesen von historischen Phänomenen und vor allem von gei-
ist, als was ich versucht habe, Ihnen die Aristotelische »Meta- stigen historischen Phänomenen erkennen, heißt nicht allein,
physik« zu charakterisieren: nämlich wesentlich eine Vermitt- in sie sich >einfühlen<, oder nicht nur sie - 1,vie das grausliche
lungstheorie. - Diese Vorstellung nun aber von der Form als Wort lautet: sich nahebringen; dadurch wird es im allgemeinen
der der f)),11, der Materie immanenten Kraft, die sie bewegt; gerade verfehlt. Sondern die Aktualität solcher Begriffe und
dieser Begriff der immanenten Idee, die gleichzeitig das Kraft- auch ihre wirkliche Tiefe ist nur zu gewinnen dadurch, daß
zentrum ist, das die Materie bewegt, dieser Begriff ist nun der man die Distanz zu ihnen herstellt, daß man sie zunächst einmal
entscheidende Begriff der Aristotelischen »Metaphysik« über- sich fern rückt, -um durch diese ferne ebensowohl des konsti-
haupt. Ein BegrifL der dann in unsere Welt als Fremdwort sich tutiven Wesens der Geschichte innezuwerden \vie auch der
hinübergerettet hat, nämlich als Fremdwort eben für Kraft, - vollkommen verschiedenen Konzeption, die man sich gerade
und dieser Begriff ist der der E:vEQ)'Eta, der Energie. Im Ge- dort besonders nachdrücklich vergegenwärtigen muß, wo
gensatz dazu nun steht dieser Energie als der verwirklichten man ständig das Gefiihl hat: das sind doch alles Sachen, die ich
Form der Begriff ovvaµ1c; gegenüber, der sich auf die reine eigentlich schon kenne, die mir vertraut sind wie aus meiner
Möglichkeit bezieht. Diese reine Möglichkeit ist aber bei Ari- Kinderzeit, und die dann, wenn man sie sich genauer ansieht,
stoteles das seinerseits noch nicht Geformte oder das, was erst eben doch etwas völlig anderes sind. Wer etwa Gelegenheit
geformt wird; das heißt: die Möglichkeit ist bei ihm eigentlich hat, als Europäer einmal plötzlich und überraschend mit indi-
das, was wir als Stoffbezeichnen; und der Ausdruck, den die schen Phänomenen etwas zu tun zu haben, vvird dieses Phäno-
Aristotdische »Metaphysik« dafür verwendet, ist der Terminus men, dieses doppelte Phänomen der Nähe 1111d der äußersten

59

j
Distanziertheit, von Distanz, Fremdheit oder Ferne, auf das soll, ist es so, daß in der Aristotelischen Philosophie die Wirk-
ich hier ans piele, ganz unmittelbar vollziehen können. - Für lichkeit eigentlich dem entspricht, was wir Möglichkeit nen-
uns ist es doch im allgemeinen so (um Ihnen das zu verdeutli- 11en, und die Möglichkeit dem, was wir Wirklichkeit nennen, -
chen), daß wir, wenn wir von Möglichkeit reden, dabei eben 1md nur wenn Sie diese Drehung zunächst einmal vollziehen,
w irklich an Form so denken, daß diese Form einen Inhalt können Sie überhaupt diesen Ansatz mitmachen. Sie erkennen
noch nicht gefunden hat, während, wenn wir von T1'irklichkcit ii hrigens unschwer genau darin wieder j enes Platonische Mo-
reden - sehen Sie sich nur die Definitionen von Möglichkeit, tiv, daß die Welt der Ideen ja wirklicher sein solle als die Welt
Wirklichkeit und Notwendigkeit in den >Postulaten des empi- des bloß Seienden, - nur daß nun bei Aristo teles diese beiden
risc hen D enkens überhaupt< in der »Kritik der reinen Ver- Splüren nicht mehr einfach auseinanderweisen, sondern daß
nunft«75 daraufhin einmal an - , während also Wirklichkeit versucht wird - ich betone dabei schwer: versucht wird -, sie
nun das ist, wesentlich das ist, was durch sinnliches Material er- l'LKn doch miteinander zusammenzubringen. Insofern also,
füllt ist. Für das grundsätzlich ontologische, also grundsätzlich ;ds er der E:vi:Qyt:ia die höhere Wirklichkeit zuspricht als der
auch bei Aristoteles noch an dem Vorrang der Form oder der 1)1!vaµu:;, insofern als bei ihm die Materie zu einer bloßen
Idee orientierte Denken sieht dieses, für uns sch einbar Selbst- Möglichkeit wird, ist er das Gegenteil dessen, als was ich ihn
verständlichste, genau umgekehrt aus. Und ich glaube, das auf der anderen Seite in der ersten Schicht seines Denkens Ih-
müssen Sie sich klarmachen, wenn Sie überhaupt verstehen nen in der vorigen Stunde dargestellt habe; insofern ist er
wollen, was am Anfang der Metaphysik steht und was für die 11:ünlich Realist im mittelalterlichen Sinn, lehrt also den Vor-
ganze Metap hysik beherrschend bleibt. Denn gerade dieses , r;mg der Universalien vor den einzelnen D ingen und ist nicht
daß die Idee oder die noumenale, die intelligible Sphäre wirk- Nominalist. Darauf muß man deshalb so großen Wert legen ,
licher sei als die empirische: das ist eigentlich das, was den weil, wenn man - ich glaube, ich habe Ihnen das schon ange-
Kern der m etaphysischen Tradition ausmacht. Und nur dann, deutet7<• - auf Grund der historischen Entw icklung, die j a
wenn Sie dieses paradoxale Wesen, das in aller Metaphysik zweimal im nominalistischen Sinn von ihm abgezweigt ist, ihn
drinsteckt, von Anfang an mitdenken, verliert die Metaphysik l'infach unter die Nominalisten rechnet, m an das Wesen seiner
ihre Harmlosigkeit und w ird zu der Zumutung, als die Sie sie l·igenen M etaphysik vollkommen verkennt. Ich erinnere
zunächst erfahren müssen, wenn Sie überhaupt spüren wollen, 111ich, daß der verstorbene Alfred Weber, es war wohl im Jah r
was mit M etap hysik gemeint sei. 1954, auf dem Soziologentag in H eidelberg einen Vortrag77
Also: bei Aristoteles ist es im Sinne dessen, daß die Öt:ÜTEQW hielt, in dem er ganz sans fa<;:o n, eben auf Grund der Dinge,
oi'w im, die zweiten Wesenheiten, die höhere Wirklichkeit die ich in der letzten Stunde Ihnen auseinandergesetzt habe,
hätten als die ersten, so - und insofern ist er nun eben doch Aristoteles als Nominalisten bezeichnet hat; und als ich, der
wieder Platoniker-, daß diese E:vi:Qyt:ia, also die Form, soweit ic·h schließlich die Ehre der Philosophiegeschichte retten
sie sich in dem Stoff verwirklicht, als Form die höhere Wirk- wollte und nichts durchgehen lassen wollte, was den Tatbe-
lichkeit darstellt und das Substantiellere ist, während demge- sc:inden so ins Gesicht schlägt, ihm die Gedankengänge eini-
genüber die M aterie, die bei uns gerade das M oment bezeich- gnmaßen wiedergegeben habe, die ich Ihne n heute wieder-
net, das als in der Anschauung gegeben über den Grad der ~'L'be, da wurde der damals schon fast N eunzigjährige oder
Wirklichkeit erst entscheidet, in dieser Philosophie herabge- (ibcr Neunzigjährige 78 ganz böse auf mich und hat deswegen
setzt ist zu der bloßen Möglichkeit. Wenn ich es paradox sagen 11ie mehr mit mir ein Wort gesprochen. Aber ich kann mir

60 61
nich t helfen: wenn m an Aristoteles begreifen will, dann be- lwrc Wirklichkeit das Vermittelte, nämlich den in dem Stoff
deutet das eben doch, daß man sieht, daß diese beiden Mo- VL' rwirklichten, gestalteten Begriff aufzufassen. Die Antwort,
m ente in ihm enthalten sind; und daß ihr Konflikt bei ihm ge- die Aristoteles darauf erteilt, ist nun ebenfalls eine Antwort,
schlichtet wird im Sinn des Vorran gs der Allgemeinbegriffe dil' für die Thematik der gesamten, daran anschließenden
oder der Formen . Man kann also wohl sagen, daß die Wider- .1hendländischen M etaphysik kanonisch geblieben ist: es ist
sprüche und Schwierigkeiten, in die er dabei gerät - so hat es 11:imlich ganz einfach die der Unterscheidung von Gc11csis und
jüngst Herr H aag formuliert~ 9 - , eigentlich in sich die gesamte ( :cltimg.8 11 Aristoteles zufolge ist es einfach so, daß ji'ir u11s das
Problemgeschi chte der Ontologie als des Verhältnisses von primär Gegebene, und insofern absolut Sichere, das r6o r:; n
Allgemeinem und Besonderem , oder auch vo n Möglich keit sein soll; an sich aber das Höh ere die ,uog<pry oder das clooc; oder
und Wirklichkeit, antezipieren. Die Schicht also, um auch das die Idee. Es wird also unterschieden zwischen dem Weg, den
noch zu sagen, des Verhältnisses von Allgemeinheit und Be- die Erkenntnis geht, der Entwicklung der Erkenntnis zu ihrem
sonderheit w ird bei ihm - und das ist ebenfalls für diese Meta- 1kgriff, 1111d dem Wahrheitsgehalt, 'INie er an und für sich selbst
physi k von entscheidender Bedeutung - mit dem Verhältnis sl·i n soll. Und diese beiden Momente werden von ihm in ei-
von Möglichkeit und Wirklichkeit gleichgesetzt, das heißt, in 11c11 einfachen ungelösten Gegensatz gerückt, ohne daß er
ein em solchen Sinn, daß die verkörperte Wesenheit die hö- l'l'rsucht, nun dazwischen auszugleichen, - sondern er be-
here Wirklichkeit sein soll als der Stoff, der nun bloße Mög- scheidet sich in einer, ja , ich w ürde sagen : etwas mechanisti-
lichkeit ist deshalb, weil er seine Form no ch nicht gefunden sc hen Weise damit, die R essorts aufzuteilen. Also: auf der ei-
haben soll. 1ll'll Seite das I:Z.essort >geschäftsordnungsnüßig für uns<: wie
Nun, meine Damen und Herren, es ergibt sich dabei - und kommen w ir zu den Erkenntnissen? was ist für uns zuerst da? -
darauf möchte ich Sie doch aufrnerksam m achen, wie gesagt 1111d auf der anderen Seite das ontologische oder spekulative
11icht, weil ich es für möglich und aktuell hielte, an Aristoteles P„cssort: wie ist die Ordnung der Wesenheiten an sich be-
Kri tik zu üben wie an einem modernen D enker, das scheint schaffen? Ich mache Sie wieder darauf aufmerksam, daß auch
mir eine läppisch-anachronistische Verfahrensweise zu sein; diL·ses Aristotelische Verfahren seine höchst merkwürdigen
aber weil ich Sie auf die immanenten Probleme hinweisen l\.tmsequenzen bis in die zeitgenössische Philosophie hinein
mö chte, um Ihnen eben die Dynamik zu zeigen, die in diesem :·;,·habt hat. Max Seheier, der ja hier an dieser Stelle in der letz-
81
Entwurf der Metaphysik schließlich zu aller M etaphysik über- 1,·11 Zeit seines Lebens gelehrt hat, hat nämlich genau diese
haupt geleitet - , es ist also zunächst zu s;1gen, daß sich hier !\ ristotelische Lehre, die ihm ve rmittelt war durch die mittel-
doch etwas aufdrängt, worüber Aristoteles, der zwar ärmer .il terliche Scholastik, wieder aufgenommen; und die gesamte
war an all den Erfahrungen, die in diesen über 2000 Jahren ge- M ctaphysik vor allem des sp ~üen Seheier besteht ja wesentlich
macht wo rden sind, aber dessen D enkkraft ganz sicher vo n der , l.1ri11. daß er das M o ment der Genese - also das Moment, wie
auß erordentlichsten Art gewesen ist; was er also auch bemerkt "ir zu dem Bewußtsein von irgendwelchen Strukturen oder
haben muß, - nämlich ganz einfach dies: wie ist es möglich, \X/l'sl'nheiten oder was das sein mag kommen - wie durch ei-
daß er, der ja dem Begriff des Ersten (wir werden noch darauf 11v11 >Abgrund des Sinnes< trenn t von der Geltung der Ide en an
kommen) einen so außerordentlichen Nachdruck ve rliehen \ ich. "" Und bereits der Gedankengang des ersten Bandes der
hat, auf der einen Seite sagt, daß das allein Wirkliche das Un- „J .ogischen Untersuchungen« von Hu sserl, der >Prolegomena
mittelbare, da s r6os n sei, aber dann dazu kommt, als die hö- 111r remen Logik<, der ja im Grunde die gesamte Wiederer-

62
weckung der Ontologie zur Folge gehabt hat, hat eigentlich doxie des Aristotelischen D enkens, auf die ich Sie heute auf-
diesen einen Grundgedanken, wie er im Aristoteles steht und 111erksam machen wollte, abermals ganz einfach in der geron-
wie ich ihn Ihnen eben an dieser Stelle herausgearbeitet habe: nenen Gestalt der Terminologie erkennen. Ich hatte Sie hin-
daß nämlich bei ihm die Genese, wie ich psychologisch zu logi- gewiesen darauf, daß bei ihm oder bei den Scholiasten, die
schen Sätzen komme, mit der Geltung, nämlich der Wahrheit dem Buch den Titel gegeben haben, Metaphysik heißt: µEra
oder Unwahrheit der rein logi schen und der rein mathemati- rri cpvalxa, also das was an die Lehre von der physischen Natur
schen Sätze an sich, schlechterdings nichts zu tun habe. 8 3 Die sich anschließt: ÖEVTE(!a ovaia, also das Vermittelte, das Se-
Tradition, die dazu geführt hat, geht übrigens dadurch, daß es kundäre, das das Seiende bereits voraussetzt; während auf der
die scholastische Tradition ist, unmittelbar auf Aristoteles zu- :111deren Seite nun eben doch die Metaphysik TCQWT1J cpl},oao -
rück; ihre H auptträger im 19. Jahrhundert waren Bernard 'f'ia, also die erste Philosophie, die Lehre, von der alles andere
Bolzano und Franz Brentano, der letztere der Lehrer von Hus- :1bhängt, sein soll. Ich möchte Ihnen nun doch diese Stelle aus
serl. Es gibt also an dieser Stelle einen unmittelbaren Zusam- 'lcm Buch A vorlesen, wo er sich auf Thales bezieht - das
menhang mit dem Aristotelismus. lluch A gibt j a wesentlich auch eine Vorgeschichte der meta-
Also genetisch soll, dem Gang der Erkenntnis nach soll, physischen Spekulation bis zu seiner eigenen und ist als solche
Aristoteles zufolge, das Unmittelbare, sinnlich Gewisse das Er- heute noch eine der wichtigsten Quellen zur Geschichte der
ste sein; der Geltung nach - also objektiv - das Allgemeine. griechischen Philosophie; das nur nebenher -, die Stelle ge-
Diese Sache wird um so merkwürdiger und um so paradoxer, hört in den Abschnitt 983 b, und sie lautet in der jüngsten
als Aristoteles insofern doch ein Platoniker ist, als auch bei ihm Übersetzung: »Manche«, sagt Aristoteles, »meinen sogar, daß
der Primat des zeitlich Ersten als dessen, was wir höhe r schät- schon in grauer Vorzeit lange vor unserm Geschlecht die
zen, was höher rangieren soll - etwa wie es in einer feudalen Schöpfer der Theogonien dieselbe Auffassung über die Natur
Ordnung gesellschaftlich gelegen ist, in der ja bekanntlich, j e vertreten hätten. « Er wird wohl an Hesiod dabei denken.
älter eine Familie ist, diese Familie als um so feiner sich be- »I )enn sie haben ja Okeanos und Tetys zu Stammeltern der
trachtet-, daß also dieser Gedanke vom Höher-Rangieren des 1~n twicklung gemacht, und der Eidzeuge der Götter ist das
Ersten auch von ihm in der nachdrücklichsten Weise über- Wasser, das jene Dichter selbst >Styx< nennen. Am meisten ver-
nommen ist; sodaß also dann erst recht nicht einzusehen ist l'hrt nämlich wird das älteste, der Eidzeuge ist aber am höch-
wieso er das, was als ÖEVTE(!Q ovaia, als zweite Wesenheit, als~ sten geehrt«, 85 - weil er nämlich der ist, der dieses Älteste ge-
als Resultat einer Abstraktion seinerseits doch erst ein Gewor- wissermaßen beglaubigt und weil insofern von ihm alles ab-
denes ist, - wieso das plötzlich höher rangieren soll. 8 4 Ich l1 :ingt. Sie haben hier also ausdrücklich die Formulierung des
möchte doch die Stelle aus dem Buch A daß wir das Erste und Aristoteles, die dann wiederkehrt in all den Passagen der »Me-
Ältere immer höher schätzen, Ihnen g:rne vo rlese n, weil ich 1:1physik«, oder lassen Sie mich anstatt >Passagen<richtiger sa-
glaube, daß hier einer der Angelpunkte dessen liegt, was ich f',l' ll: in all den Gedanke ns trängen der »Metaphysik«, in denen -
überhaupt unter dem Begriff der prima philosophia, der und das ist ein Gedanke, den dann Hegel von ihm unmittelbar
:rrewn7 cplÄoaocpia verstehe, als welche ja Aristoteles die Meta- iibernommen hat - das Ungewordene als das Älteste, immer
physik ausdrücklich verstanden wissen wollte. In diesem Be- sc hon Seiende, als Bedingung der Möglichkeit eines jeden
griff einer ersten Philosophie steckt dieser Primat des Ersten Werdens aufgefaßt wird; oder schließlich wo die Endursache,
ganz eindeutig drin, und Sie mögen die eigentümliche Para- 11:i111lich die Gottheit, zu dem >unbewegten Bewegen aller
Dinge gemacht wird oder, wie die berühmte Aristotelische durchsichtig. Und man wird statt dessen eben den Gestalten
Formel dafür lautet, die Lehre von dem axivrywv xivoDv 8 c', der konkreten Vermittlung dieser Momente nachgehen, an-
dem unbewegten Beweger. Er schwankt also in dieser Auffas- statt das Produkt der Abstraktion, das sie beide voneinander
sung, genauso wie er schwankt in dem Verhältnis von Genesis sondert, seinerseits für die Rechtsquelle der Wahrheit zu hal-
und Geltung mit Rücksicht auf den Primat, sei es nun das r6ÖE ten. Das ist eigentlich der durchgehende Zug der Thematik,
u oder sei es das clöm;. Es konnte nicht ausbleiben - und darin wie er von dieser gesamten Metaphysik in die nach meiner
ist nun die gesamte Geschichte der späteren Metaphysik moti- Ansicht aktuellen Fragestellungen dieser Dimension hinein-
viert-, daß diese Lehre sich rein immanent als unbefriedigend führt.
erwiesen hat. 87 Wenn schon einmal das Primäre - und nicht
umsonst ist das Primäre ja auch bei Thal es, auf den er sich hier
bezieht, ein Stoilliches, nämlich das Wasser - höher rangieren
soll im ontologischen Sinn, also ursprünglicher sein soll, wie
die Sprache der modernen Ontologie das zu nennen liebt, so
ist nicht einzusehen, wieso dann plötzlich das >Zweitee das
Entsprungene, das Abgeleitc-te, das Resultat der Abstraktion,
wie es die ÖEVTEQCTl ova[m, also wie es die in dem Seienden
verkörperten Allgemeinbegriffe sind, wieso das dann eigent-
lich höher rangieren soll. 88 Umgekehrt aber ist genausowenig
einzusehen, warum das sinnlich Gewisse in seiner Zufalligkeit
und individuellen Beschränktheit, wie sie in diesem roÖE Tl,
diesem >Dada< gewissermaßen, infantil sich ausprägen, wieso
dieses infantile Dada-Sagen eigentlich das Höchste, alle Er-
kenntnis überhaupt Fundierende sein soll. Und man kann sa-
gen, daß diese Aporie, also die Aporie zwischen, auf der einen
Seite, dem Höher-Rangieren der obersten kategorialen Be-
stimmungen, wenn Sie extrem wollen: der reinen Logik, und
auf der anderen Seite der puren Unmittelbarkeit des jetzt und
hier Gegebenen, - daß diese Aporie immer wieder die The-
matik der Metaphysik gewesen sei. Wenn man dagegen den
Gedanken der Vcnnittlung, der im Aristoteles angelegt, 89 aber
nicht wirklich ausgeführt ist: daß also die beiden Momente
Form und Materie wirklich "\10111ente sind, die nur aufeinander
bezogen gedacht werden können, - wenn man diesen Gedan-
ken der Vermittlung wirklich ernst nimmt, dann wird dadurch
die Frage nach einem solchen absolut Ersten und nach einem
als solchem absolut Höheren als eine falsche Abstrak tion

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7. VORLESUNG habt, - die gesamten sogenannten empiristisch en Richtungen
r5. 6. 1965 L·ben das, daß sie zurückgehen auf ein G egebenes, das durch
11ichts anderes vermittelt ist, dessen man sich gewissermaß en
Meine D amen und Herren, ich fahre da fort, wo ich vor den zweifelsfrei gewiß ist; während die anderen Richtungen, die
Pfingstferien aufgehört habe, nämlich mitten in der Behand- .n1sgegangen sind von dem reinen Begriff als dem schlechter-
lung der »M etaphysik« des Aristoteles. Wir hatten, daran wer- dings Ersten, darauf sich berufen konnten, daß gegenüber
den Sie sich vielleicht eri nnern, zuletzt gesprochen davon, daß dieser R einh eit des G eistigen der sinnlich e Inhalt ein sei es
das moderne Problem des Verhältnisses von Genesis und Gel- Vergängliches und Wechselndes oder sei es gar, wie es in der
tung bei Aristoteles auch insofern sich stellt, als das roos u, das l'latonischen Tradition liegt, ein Trügerisch es ist. Die Aus-
unmittelbar Gegebene auf der einen Seite das schlechterdings schließlichkeit dieser beiden Momente ist einfach deshalb
Erste sein soll; auf der anderen Seite aber, im Sinne einer gei- 11icht zu halten, weil auf diese beiden verwi esen werden kann,
stigen Hierarchie, die Ideen oder, wie sie dann bei ihm heiß en: solange m an einfach fragt: was ist das schlechterdings Erste;
die reinen Formen. 90 Ich möchte Sie hier auf eine Paradoxie 1md die einzige mögliche Antwort, die sich dabei aufdrängt,
aufinerksam machen, die mir außerordentlich bezeichnend ist die, daß jeweils das eine dieser Prinzipi en - wenn ich es so
scheint für die gesamte Geschichte der Metaphysik und die nennen darf - immer zugleich auch das andere involviert oder
auch an dieser Stelle gleichsam prototypisch in der »M etaphy- daß, w ie es in Hegelscher Sprache heißt, diese beiden Prinzi-
sik« des Aristoteles angelegt ist. Es gibt nämlich zwei Vorstel- pien durcheinander vermittelt sind.
lungen von der aQxl], von dem JTQWTOV, die die ganze Ge- Ich mö chte hier hinzufi.igen, daß die R ede vom Prinzip da-
schichte der Philosophie durchherrschen. Auf der einen Seite, hei eine uneigentliche R edeweise ist, weil man im strengen
daß man unmittelbar G egebenes als Erstes setzt, die unmittel- Sinn von Prinzipien n atürlich nur rationalistisch, also nur da,
baren Tatsach en des Bewußtseins , aus deren Zusammenhang wo es sich um reines D enken handelt, reden kann , w ährend
dann später die subjektiv geri chtete Erkenntnistheorie den In- ,·hen das unmittelbar G egeb en e, in letzter Instanz die Empfin-
begriff dessen was ist zu konstruieren gesucht hat. Auf der an- dungen, seinerseits ja als ein gerade nicht Begriffliches eben
deren Seite aber soll genauso das schlechterdings Erste der , Li rum kein Prinzip ist. Aber Sie mögen auch daran etwas von
reine Begriff sein, als welch er j a immer im Ursprung der ratio- der >Misere de la philosophie<n erkennen , daß auch dieses
nalistischen Richtungen der Erkenntnistheorie steht. Alle Er- 11icht begriffliche, nicht prinzipielle Element, das fürjede Phi-
kenntnistheorie hat sich an diesen zwei Vorstellungen vom J, 1sophie konstitutiv ist, ihr notwendig innewohnt, im Bereich
Ersten abgearbeitet, die sich ja gegenseitig in gewisser W eise , kr Philosophie - die nun, Gott sei's geklagt, mit nichts ande-
ausschließen, so daß Sie dann begründete Zweifel schöpfen IL'11l als B egriffen operieren kann - anders als in der Formei-
können an der Gültigkeit des Ansatzes in einem solchen 11L'S Begriff; gar nicht auftreten kann. Womit bereits, und das
schlechterdings Ersten überhaupt. 91 Es ist j a nach Adam Riese, ist keine terminologische Pedanterie, - womit bereits ein e ge-
also im Sinne der einfachen traditionellen Logik, ziemlich wisse Vorentscheidung für das Prinzip einfach durch die Form
klar, daß nicht beides das Erste sein kann. Trotzdem h aben , In Philosophie getroffen ist; das heißt: wir können im allge-
diese beiden Ansätze, die vor allem dann historisch in dem 111cinenja nicht, wenn wir von den sinnlich en Momenten der
Gegensatz von Empirismus und Rationalismus sich ausge- 1~ rkcnntnis als dem. Ersten reden wollten, nun einfach sozusa-
prägt hab en, für sich immer allerhand ins Feld zu führen ge- grn >Grün< auf den Tisch legen - wir können es, aber es w ird

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uns philosophisch nicht sehr weit führen-, sondern wir wer- l ·: rkenntnissen , vo n Sätzen, von Begriffen von ihrem Urspru ng
den dann schon die Abstraktion vom sinnlich Gegebenen vor- ,„ru ndsätzlich unabhängig ist. Auch dieses Problem stellt nun -
nehmen müssen und bewegen uns damit auf diesem Gegenpol I< li kann Ihnen hier nicht die ganze Problematik der Ideolo-

bereits in derselben Sprache des Begriffs, die ihrerseits auf !',il'nlehre9-1 entw ickeln , sondern ich kann Ihnen nur den
dem, wenn ich so sagen darf: rationalistischen Pol vorliegt. 93 /.usamrnenhang zwischen dem Ideologieproblem und dem
Die Konsequenz, die aus diesen Erwägungen zu ziehen wäre - nkcnntnistheoretischen Problem skizzieren, an dem wir im
daß nämlich die beiden Möglichkeiten des Ansatzes eines !\uuenblick laborieren - , auch hier ist es außerordentlich
schlechthin Gewissen und Ersten, die in gewisser Weise ein- „,·Ji':er, zu so einer einfachen bündigen Entscheidung Ja oder
ander gegenseitig ausschließen, nicht zu halten ist -, die ist Nl'in zu kommen; wie es mir überhaupt so scheinen will, daß
eben die, welche ich Ihnen als die Vermittlung bezeichnet habe. dil' Arbeit der Philosophie, die ja wesentlich die Arbeit der
Und es ist, um auch das noch einmal zu sagen, die unermeß- 1 )jfferenzierung ist, es einem abgew öhnt, einfache Disjunk-
liche Neuerung, die Aristoteles in der Philosophie durchge- 1ionen von Ja oder Nein dort zu verlangen, wo die Sache, über
führt hat, daß er als erster auf diese Problematik der Vermitt- . lil' man nachdenkt, sie einem möglicherweise verweigert.
lung gestoQen ist. Und die Schwierigkeiten des Verständnisses Man \vird im Lauf der Philosophie dessen inne, daß Bestehen
ebenso wie der Kritik an Aristoteles beruhen prägnant darin , .1 uf diesem: ist es nun so oder ist es so' selber etwas Infantiles
daß man sowohl fassen muß, in welchem Sinn er diese Idee 1 L1t; und wenn es in der Philosophie so etwas w ie einen erzie-

der Vermittlung geschöpft hat, wie auf der anderen Seite auch, ill'rischen Wert gibt, dann liegt er vielleicht gerade darin, daß
warum bei ihm die Konzeption der Vermittlung - wenn ich ·.ic einem diese Art von Naivet~ü abgewöhnt. Also, um zur Sa-
einmal so schulmeisterlich reden darf; aber wenn man einen ' hl' zu kommen, es ist ein bißchen so, daß, wenn man die Er-
Gedanken ernst nimmt, bleibt einem leider ja wenig anderes k,·rmtnisse auf ihre Genese reduziert, daß dann also etwa her-
übrig - , warum diese Konzeption der Vermittlung bei ihm .1 uskommt, daß die Geltung mathematischer Sätze abh~ingen
eben doch gescheitert ist. ·;, ill von den B edingungen , unter denen die M athematik über-
Ich wollte Sie noch darauf hinweisen, daß hinter di esem li;111pt gesellschaftlich zustande gekommen ist, oder gar von
doppelten Ansatz von dem sinnlich Gewissen als dem_fiü rms .kn psychologischen Bedingungen , unter denen man rnatbe-
Ersten und den reinen Formen als dem an sich Ersten, und 11utische Urteile oder logische Urteile vollzieht, - und es ist
zwar dem metaphysisch an sich Ersten, das heißt: dem Ursprung , >lfrnsichtlich, daß das ein Unsinn ist. Insofern hat also die
und dem reinen >Bewegen alles dessen was ist, doch auch ein 1 rc1mung von Genesis und Geltung zweifellos ihr Recht; und
sehr aktuelles Problem steckt. Dieses Problem nämlich ist, ob ,., ist das sehr große Verdienst von Edmund Husserl, daß erbe-
man tatsächlich die Genese der Begriffe von ihrem Wahrheits- n·1ts in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts als
gehalt derart abtrennen kann, wie es überall dort geschieht, , ·111n der ersten gerade darauf mit größtem Nachdruck auf-
wo man Genesis und Geltung oder wo man das für uns Erste 111l'rksam gemacht hat 95 . Auf der anderen Seite aber: wenn
und das an sich Erste so voneinander trennt, wie es in der ))Me- 111.111 einfach die Erkenntnisse von ihrer G enese trennt, wenn
taphysik« des Aristoteles der Fall ist. Sie haben hier, m o dern 11L111 also, mit anderen Worten, die sedimentierte Geschichte,
gesprochen, den zentralen Eingang in di e Problematik dessen, , li,· in einer j eglichen Erkenntnis enthalten ist, ausklammert,
was man Ideologieproblem nennt, denn die Fragen, um die es ·,,, "cht damit ebenso etwas von der Wahrheit verloren; die
hier geht, sind ja wirklich die, ob die objektive Wahrheit von W.1h rhei t wird dann gewissermaßen punktuell festgenagelt auf
den Anspruch ihrer Zeitlosigkeit, der seinersei ts selbst einem durch die Arbeit des G eistes; so daß also das angeblich Zeitlose
Innerzeitlichen, nämlich dem Vorgang der Abstraktion, die als die Bedingung seiner eigenen M öglichkeit auch ein Mo-
von den zeitlichen Momenten absieht, sich verdankt. Es ist in rnent von Zeit hat. Das scheint mir die allein mögliche Ant-
diesem Zusammenhang also ein sehr zentrales Problem - ich wort auf diese Frage zu sein. Ich benutze den Anlaß nur noch
grüble nicht darüber, ob es ei n metaphysisches oder ob es ein daz u, Sie darauf aufmerksam zu m achen, daß Sie hier nun
erkenntniskritisches sei; im Konkreten lassen diese Unter- wirklich von einer philosophischen Z entralstelle aus erkennen
scheidungen ja sowieso schwer sich durchhalten - , wie diese können, wie sehr Soziologie und Philosophie miteinander zu-
beiden Möglichkeiten zu einander sich verhalten. Ich möchte sammenhängen; wie wenig der Übergang von der einen
nur no ch einmal sagen, daß man, während m an auf der einen Sphäre in die andere eine bloße µeraßaau; el~ &;U.o yivo~ ist.
Seite den Wahrheitsgehalt einer Erkenntnis oder eines Satzes C;anz einfac h aus dem Grund, weil, wenn man einmal sieht,
sicher nicht einfach reduzieren kann auf die Art, in der er zu- daß das Moment des U rsprungs oder das M oment der zeitli-
stande gekommen ist; daß man auf der anderen Seite auch chen Genese von Erkenntnissen mit allem, was sie als Zeitli-
nicht etwa so davon absehen kann, wie es dann in recht dikta- ches involviert, etwas ist, was selber in dem Wahrheitscharak-
torialer Weise M ax Scheler etwa gelehrt hat; zum Teil mit den ter drinsteckt, nicht ihm äuß erlich ist in dem Sinn von in der
absurden Konsequenzen , daß eine Reihe von Begriffen, deren Zeit wechselnden Wahrheiten, sondern den Wahrheitscha-
Ursprünge in den gesellschaftli chen Kämpfen ganz unver- rakter selber fundi ert, - daß dann auch die absolute Trennung
kennbar und auch von ihm unbestritten sind, trotzdem eine zwischen der Frage nach dem gesellschaftlichen Ursprung, der
Gültigkeit an sich haben sollen, die mit diesen Kämpfen gesellschaftlichen Geschichte des Gedankens und seinem
schlechterdings nichts zu tun hat96 . Also dieser ganze Wust Wahrheitsgehalt nicht mehr in der Weise vollzogen werden
von Problemen wie, man könnte sagen: die gesamte Proble- kann, wie es die übliche wissenschaftliche Arbeitsteilung ver-
matik der Philosophie ist im Grunde auch aus dem Aristoteles langt; so daß also nicht etwa eine Soziologisierung der Philo-
hervorgetreten. sophie vorliegt, sondern die soziologischen Probleme den
Ich darf noch hinzufügen , um nicht hier wirklich nur mit philosophischen immanent sind, und daß die immanente phi-
einer Frage stehenzubleiben, daß die genetischen Momente - losophische R eflexion auf diese Probleme notwendig führt.
und das führt auf den Gedanken der Vermittlung zurück - Ein Ansatz im übrigen, der von dem bloß wissenssoziologi-
nicht, wie es dem vulgären Vorurteil erschei~t, de~ Erkennt- schen, der einfac h von außen her den Ursprung der Erkennt-
nissen ein schlechterdings Äußerliches sind , sondern daß sie in nisse mit ihrem Wahrheitsgehalt verwechselt, radikal verschie-
dem Geltungscharakter selbst drinstecken; daß also die Wahr- den ist, - aber auch das kann ich Ihnen j etzt nur andeuten .
heit, um es so zu for mulieren, einen Z eitkern97 oder, wie W ieso bleibt nun - das ist die eigentliche Frage, der wir uns
Husserl, der darauf aufmerksam wurde, das in seiner Spätphase hci der »Metaphysik« des Aristoteles gegenüber finden -,
genann t hat: daß die Wahrheit selber in ihrer Objektivität zu- wieso bleibt nun der Vermittlungsdenker Aristoteles bei die-
gleich ein >genetisches Sinnesimplikat<hat'' 8 . Ein Problem, das sem eigentümlichen Dualismus zwischen dem Ursprung des
im übrigen auch bei Kant vorkommt, wo ja auf der einen Seite u löe u, dem unmittelbar Gegebenen, und dem absoluten Pri-
die synthetischen Urteile a priori schlechterdings zeitlos gel- 111at der Idee steh en? Und wieso nimmt er die Widersprüche
ten sollen; wo sie aber doch konstituiert werden durch die Tä- und Schwierigkeiten, deren einige ich Ihnen wenigstens skiz-
tigkeit, die Spontaneität des Bewußtseins, - also schließlich r.iert h abe, so verhältnismäßig leichtherzig in Kauf? D er Kern-

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widerspruch ist, um auf die spezifische Problematik des Ari- und Stoff zusammengesetzt, additiv. Und dadurch erscheinen
stoteles zurückzukommen, der, daß die Idee auf der einen bei ihm, tro tzdem beide nicht ohne einander sein sollen,
Seite nur immanent, also nur vermittelt: nur als einem Seien- schließlich doch die beiden Kategorien als voneinander abso-
den innewohnende, und nicht als ein ihr gegenüber Transzen- lut trennbar, - anstatt daß er sie ihrerseits als Abstraktionen er-
dentes, sein soll; daß sie aber trotzdem bei ihm zu einem An- kennen könnte, die nur Momente bezeichnen, von denen kei-
sichseienden gemacht wird, - was zunächst einmal, wenn ~11an nes unabhängig von dem ihm konträren gedacht werden kann
das so kahl und nüchtern ausspricht, wie ich es eben tue, doch und deren j edes seinem eigenen Begriff nach des anderen be-
ein sehr schwer zu versöhnender Widerspruch ist. M an darf. Man könnte zugespitzt, wenn Sie wollen: paradox, sagen,
kommt hier an die Spezifikation der Denkleistung des Aristo- daß bei Aristoteles die Vermittlung selbst nicht vermittelt sei;
teles und auch an die der histor ischen Stelle, die für Aristoteles daß er zwar gesehen hat, daß beides nicht ohne einander ist,
gi lt, den man ja als einen der Ahnherren von bürgerlichem aber daß er dieses Ineinander-Sein fast wie ein quantitatives
Denken und gleichzeitig als ein en Schüler des Platon zu be- Agglomerat, daß er es additiv, wie ein Zusammenkommen
zeichnen hat. Er hat, obwohl er das Problem der Vermittlung dieser beiden Momente gesehen hat, die zwar nicht che-
des Allgemeinen und des Besonderen w ie kein anderer vor misch-rein voneinander gedacht werden können - so weit ist
ihm aufgewmfen hat- und er war sich dieser Leistung im üb- er schon gekommen; und die Platon-Kritik, die ich Ihnen
rigen durchaus bewußt; und wenn man Aristoteles liest, dann vorgetragen habe, 99 wird Ihnen bewiesen haben, daß er so
liest sich das meiste, was er über die älteren Denker sagt, so ein weit gedrungen ist-, die aber doch nicht ihrem eigenen Sinn
bißchen, ja: so gutmütig-gönnerhaft, wie man also über halbe nach, ihrer eigenen Beschaffenheit nach, auf das j eweils andere
Wilde schreibt; er hat da schon durchaus, ich möchte fast sa- verweisen. Man könnte sagen, daß in der »Metaphysik« - und
gen: einen feinen akademischen Hochmut, der den ganzen im übrigen nicht in ihr allein, sondern in der gesamten Aristo-
Ton fa rb t, der Naivetätjener älteren Denker gegenüber, die all telischen Philosophie, insbesondere auch in der Ethik und in
das, was man nun weiß , so genau noch nicht gewußt haben; der Staatslehre - Aristoteles ein Vermittlungsdenker sei: in
das ist für das Klima des Aristoteles außerordentlich bezeich- dem Sinn, daß er immer darauf ausgeht, ein Mittleres zwi-
nend - , aber er hat jenes Problem noch nicht gelöst. D er ei- schen zwei Extremen zu finden, und also nun hier das Seiende
gentliche Kern der Problematik des Aristoteles ist der, daß bei gleichsam als ein Mittleres zwisch en Form und Stoff zu den-
ihm im Gegensatz zu Platon das Vermittlungsproblem mit al- ken; daß aber bei ihm Vermittlung wirklich nur etwas zwischen
ler Schärfe aufgeworfen wird, daß es aber trotzdem eigentlich den Extremen heißt und nicht etwa das, was im Sinn der Ex-
zu einer Vermittlung nicht kommt. Und wie diese b eiden treme liegt und durch die Extreme selber hindurch sich voll-
Dinge bei ihm miteinander zusammenhängen: das zu verste- zieht. Wenn Sie mir das anachronistische Greuel durchgehen
hen, ist eigentlich die Aufgabe des Aristoteles-Verständnis- lassen: er ist eben w irklich der Vermittlungsdenker schlechter-
ses, - und damit die Aufgabe überhaupt des Ansatzes der tradi- dings, bei dem aber der Gedanke der Dialektik fehlt; bei dem
tionellen abendländischen Philosophie. also die Extreme nicht in sich vermittelt sind, so ndern nur ein
Er denkt nämlich das Verhältnis der beiden Kategorien von Mittleres zwischen ihnen, w ie es dem eigentlichen Gesamt-
Form und Stoff, die bei ihm dann ins Zentrum der M etaphy- prinzip dieser Philosophie entspricht, - nämli ch dieser P hilo-
sik rücken, obwohl beide bei ihm aufeina nder verwiesen sind, sophie, deren Ideal die rechte Mitte oder die µw6ryt<; ist. Die-
äußerlich. Das will sagen: er versteht das Seiende als aus Form ses Prinzip der rechten Mitte ist also das Zentralproblem, das

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der Mäßigung zwischen den Extremen. Wie etwa in der schulmeisterlich verhalte, so möchte ich diese Schuhneister-
»Ethik« 100 und der »Politik« diese Mäßigung gelehrt wird, lichkeit nun aber doch korrigieren, - nämlich hier kommt zu-
wird sie gleichsam auch ins Absolute hineinverlegt, insofern nächst einmal wirklich einfach der geschichtliche Koeffizient
als das Sein etwas wie die rechte Mitte zwischen Form und wesentlich in die Argumentation herein. Das Moment, das ich
Stoff sein soll, - allerdings mit einem schweren Akzent dabei Ihnen eben als das der Vermittlung bezeichnet habe, der dia-
eben auf der Form. Ich merke nur noch an, daß Aristoteles ge- lektischen Vermittlung in dem Sinn, daß ein Begriff, ein em-
rade in dieser Vorstellung, in dieser nicht dialektischen Vor- phatischer philosophischer Begriff, seinem eigenen Sinn nach
stellung von der Vermittlung, ein richtiger Platoniker ist, denn verwi esen ist auf eben das Nichtbegriffiiche, als dessen Ab-
genau diese Art der Bestimmung von Begriffen als der rechten straktion er gewonnen w urde 10 2 ; dies Moment konnte - und
Mitte zwischen ihren Extremen ist eines der Schemata, die der das ist keine billige apriorische Konstruktion post festum, son-
Beweisführung der Platonischen Dialoge immer wieder zu- dern das kann man sich einsichtig machen - überhaupt erst
grunde liegen. Etwa wenn Platon die Tapferkeit in einem um- gedacht werden in einem Stand des Geistes, der durch die sub-
ständlichen Verfahren als die rechte Mitte zwischen der Toll- jektive Reflexion wesentlich hindurch gegangen ist; das heißt:
kühnheit oder Verwegenheit auf der einen Seite und der Feig- in der man darauf gestoßen ist, daß solche Kategorien wie hier
heit auf der anderen bezeichnet, 101 so entspricht das genau die Kategorien Stoff und Form ihrerseits ja bereits vom Geist
diesem Klima. vorgenommene Abstraktionen sind, die man deshalb gar nicht
Sie mögen denken, daß ich Ihnen hier eine schreckliche naiv in ihrer Unmittelbarkeit als ein Absolutes setzen kann,
Subtilität zumute: nämlich die, zu unterscheiden, daß etwas , sondern die man, wie H egel es nennen würde, nur als ein be-
was doch als ein Vermitteltes, also nicht als ein chemisch-rein reits Gesetztes hat vollziehen können. Diese Entdeckung der
nach einer der beiden Seiten Aufzulösendes, sondern als ein Subjektivität als des Konstituens der Erkenntnis ist der gesam-
beide Verbindendes, - daß ich darin noch einmal den Unter- ten Antike völlig fremd gewesen. Und auch wo in der Antike
schied mache, ob das >beide<nur, naturwissenschaftlich würde subj ektive Redeweisen erscheinen - und das ist gar nicht so
man sagen: ein chemisches Gemenge oder ob es eine genuine selten -, dürfen wir sie mit den modernen nicht verwechseln,
Verbindung darstellt. Aber ich muß Ihnen sagen, daß eigent- weil sie da nämlich vorkomm en etwa im Sinn des individuel-
lich - und wenn Sie sich eingehend mit Philosophie beschäfti- len, personellen Relativismus: also der B ezogenheit der Gül-
gen, glaube ich, werden Sie das immer wieder bestätigt fin- tigkeit der Erkenntnis auf die besondere Beschaffenheit ein-
den - die sogenannten großen philosophischen Fragen sich zelner Menschen. Aber das, was für uns in der Philosophi e
regelmäßig in solch en Subtilitäten, in solchen D etailfragen durch die Geschichte des neueren Denkens hindurch dem Be-
entscheiden. Also die gesamte Frage etwa, ob so etwas wie griff der Subjektivität seinen N achdruck verliehen hat, nämlich
eine >Erste Philosophie< oder die Auflösung der Philosophie die Frage, ob nicht die Subjektivität überhaupt die Wahrheit
nach Prinzipien überhaupt möglich ist oder ob das deshalb und O bjektivität selber wesentlich mitbedinge oder konstitu-
nicht geht, weil ein jedes solches Urprinzip in sich selber, dem iere, - diese Frage ist der gesamten antiken Philosophie völlig
eigenen Sinn nach , das andere postuliert, - diese Frage hängt fremd. Und wenn es wahr ist, daß man Korrespondenzen mit
wirklich ab davon, w ie man sich dieser Subtilität gegenüber vergangenen geistigen Gebilden nur erkennen kann, indem
verhält. Wenn ich Ihnen vorher gesagt habe, daß ich mich, in- lllan gleichzeitig die Distanzen setzt, also indem man nicht
dem ich Aristoteles an dieser Stelle kritisiere, ein bißchen dariiber jubiliert: ist ja alles schon genau wie bei uns, sondern

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indem man nur dort auf das Gemeinsame stößt, wo man zu- ein ganz Abstraktes ist, so haben Sie hier, inmitten dieses onto-
gleich auf das Inkompatible aufmerksam wird, dann ist das ge- logisch-vorsubjektiven Denkens bereits einen ganz genauen
nau der Grund dafür, warum das Aristotelische Denken, das in 1:ntwurf jener späteren idealistischen Lehre, derzufolge die
intentione recta, im Grunde in einer einfachen Orientierung Materie der Erkenntnis das schlechterdings Unbestimmte sei,
an dem Substanzbegrifi~ verläuft, warum ein solches Denken, die alle ihre Bestimmung und damit all ihren Inhalt überhaupt
103
das also die Selbstreflexion eigentlich noch gar nicht kennt, nst durch die Form, närnJich durch die Subjektivität erhält.
eben damit den dialektischen Begriff noch nicht hat fassen Nur ist - um Ihnen auch genau zu bezeichnen, wo die Diffe-
können. renz von dem gesamten neuzeitlichen Denken nun eigentlich
Ich füge dem nur hinzu, daß damit allerdings über das Pro- 1iegt-, nur ist bei Aristoteles, und darin ist er wieder ein Plato-
blem der Dialektik nicht das letzte Wort gesagt ist. Es wäre ein 11iker, der Begriff der Form selbst noch nicht gleichgesetzt mit
Mißverständnis, wenn Sie daraus schließen wollten, daß nun dem Denken, also noch nicht gleichgesetzt mit der Funktion
die Vorstellung einer dialektischen Philosophie wesen tlich des Subjekts; sondern diese Form wird gleichsam durch einen
und stets nur subjektiv sei; sondern es gibt dann weitere Refle- Abstraktionsmechanismus aus der MannigfaJtigkeit dessen was
xionen der Reflexion, durch die eben diese subjektive Re- ist, und vor allem aus der Mannigfaltigkeit dessen, was sprach-
duktion ihrerseits wieder überholt und selber negiert wird. lich formuliert ist, herausgeklaubt und dann zu einem Ansich-
Ich sage Ihnen das nur, damit Sie nun nicht glauben, ich wollte seienden gemacht, ohne daß es eigentlich als die Leistung des
hier gegenüber dem antik-ontologischen Denken etwa ein- Subjekts bestimmt wäre. Man könnte also, wenn ich noch ein-
fach ein subjektiv-idealistisches Denken vertreten, was mir 11ul anachronistisch reden darf, davon reden, daß die Aristote-
ganz und gar fernliegt; ich wollte Ihnen nur zeigen, daß die lische Metaphysik ein Idealismus malgre lui-meme sei; daß sie
dialektische Konzeption der Grundbegriffe der Metaphysik, :dso idealistische Konsequenzen, nämlich die Entqualifizie-
um die es sich bei Aristoteles handelt, überhaupt gar nicht nmg ihrer eigenen Materie und damit die Herabsetzung der
möglich ist, ohne daß die Reflexion auf die Subjektivität viel Materie überhaupt, bereits besorgt, so wie es dann später der
nachdrücklicher erfolgt wäre, als das bei ihm der Fall war. Ich Idealismus so nachdrücklich getan hat, aber ohne daß dabei
merke noch an, daß durch diese eigentümliche Zusamrnen- das Medium des Idealismus, nämlich die konstitutive Subjekti-
setzungslehre des Aristoteles auch der Begriff des Stoffes vi6t als solche, überhaupt bereits erfaßt wäre. Man muß fragen,
außerordentlich entstofflicht und seinerseits zu einem ganz was überhaupt dann bei Aristoteles vom Stoff übrigbleibt,
Unbestimmten und Allgemeinen gemacht wird. Wenn ich Ih- \\'L'nn alle seine Bestimmungen von ihm einmal abgezogen und
nen eben gesagt habe, daß die subjektive Reflexion bei Aristo- 111 die Form hereinverlegt sind. Es bleibt nämlich dann von dem
teles noch nicht stattgefunden hat, so ist es um so erstaunli- Stoff ein Leeres, das sich erst erfüllen muß; und dieser Ge-
cher, in wie weitem Maß trotzdem das Aristotelische Denken d,11ike, daß also nun der reine Stoff ein Abstraktes, Leeres sei,
in sehr wesentlichen Momenten dann doch übereinkommt d:1s sich erst erfüllen muß, der führt zu der Kerndoktrin der
mit dem späteren idealistischen Denken, das diese subjek tive Aristotelischen »Metaphysik«: daß nämlich der Stoff gerade
Reflexion vollzieht. Wenn es nämlich so ist, daß eigentlich alle 111cht das Gediegene, Solide ist, das woran man sich halten
Bestimmungen: alles das, was ein Etwas zu dem macht, was es k:11m, sondern daß er nur reine Möglichkeit ist; und daß, im
ist, von seiner Form herkommt; und wenn demgegenüber die < ;L'gensatz dazu, das Wirkliche eigentlich die Form ist. In ge-

Materie eigentlich ein an sich ganz Unbestimmtes ist, der Stoff wissem Sinn kehrtja auch dieser Gedanke im Idealismus wie-

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der dadurch, daß die Wirklichkeit als das subjektiv Konstitu- 8. VORLESUNG
ierte gedacht wird und die Materie als das Unbestinunte. Aber 22. 6. 1965
das Merkwürdige und für uns nun wirklich sehr schwer Nach-
zuvollziehende ist, daß diese Unterscheidung hier in naiv-rea- Vielleicht darf ich Ihnen zum Beginn heute die Unterschei-
listischer Blickwendung vollzogen wird; aber auf eine solche dung ins Gedächtnis rufen, die ich zu Anfang dieser Vorlesung
Weise nun, daß das, was man als das Allerwichtigste in Händen zu machen mich bemühte, um Sie auf diese Weise an das Spe-
zu halten glaubt, ein ganz Unbestimmtes und Leeres, nur zifische der Metaphysik heranzubringen. Denn, wenn ich dies
sozusagen die Möglichkeit dessen wird, was dann daraus ent- Methodische gerade sagen darf, es genügt gar nicht, wenn
stehen soll, während das Wirkliche gerade die Form ist, - man sich eines Begrifü von historischer Tiefe wie dessen der
während wir doch gewohnt sind, Formen eben als das zu ver- Metaphysik versichern will, daß man weiß, was er bedeutet in
stehen, wodurch ein Etwas, ein Daseiendes, ein, wie immer dem Sinn, daß man die Hauptgegenstände umreißt, die in ihm
Sie es ausdrücken wollen, ein r60c n in irgendeiner Weise ge- behandelt werden, den wesentlichen Inhalt und die Form, in
formt werden muß. Diese Möglichkeit besteht natürlich nur der er abgehandelt wird. Sondern es gehört bereits zum Ver-
dadurch bei Aristoteles, daß er diese beiden Hauptprinzipien, sündnis von Begriffen immer auch das Moment der Negation
nämlich das Prinzip der Form und das des Stoffs, zwar in dieser dazu in dem Sinn, daß man, um etwa eine Philosophie zu ver-
merkwürdigen Weise ineinander sieht, aber trotzdem glaubt, stehen, wissen muß, wogegen eigentlich ihr spezifisches Pa-
sie als voneinander unabhängige Wesenheiten fassen zu kön- t lios sich richtet. Wenn man eine Philosophie rein aus sich
nen, die zwar aufeinander verwiesen sind, aber nicht derart sdbst heraus, so nach dem was dasteht, zu verstehen trachtet,
aufeinander verwiesen, daß dem eigenen Wesen nach das eine kommt man gewöhnlich nicht sehr weit. Sondern man muß
durch das andere konstituiert würde. das Organ entwickeln, aus den Betonungen, aus den Akzen-
Die Weiterentwicklung dieses bei Aristoteles noch offenen ten, die einer Philosophie eigentümlich sind, ihre Relation in-
Problems: daß die Materie eigentlich das ganz Leere ist, das nerhalb des philosophischen Zusammenhangs zu erschließen
zur Existenz nur durch seine eigene Reflexion, also durch und danach eigentlich die Philosophie zu begreifen, - das ist
seine Form hindurch , kommt, - das ist das Problem, das in der 111indestens so wesentlich, wie nun einfach handfest zu wissen:
ebenfalls objektiv gerichteten Hegelschen »Logik« dann erst das und das ist Metaphysik. Ich erinnere Sie also in diesem
durchgeführt worden ist. Und ich möchte damit schließen, Sinn daran, daß ich , gegenüber der unmittelbaren Wortbe-
daß ich Sie, soweit Sie an Hegel interessiert sind, darauf auf- deutung, versucht hatte, Ihnen Metaphysik in diesem prä-
merksam mache, daß die übliche Herleitung Hegels aus dem L'.llanten Sinn als die Einheit kritischer und rettender Intention
deutschen Idealisrnus nur die eine Seite an ihm wiedergibt; ~u beschreiben. lf' 5 Also: Metaphysik ist immer da vorhanden,
daß es aber, auf der anderen Seite, gerade wegen der objekti- wo Aufklärung auf der einen Seite vor allem irgendwelche
ven Blickrichtung der Hegelschen »Logik« des immerwähren- iiherkommenen Vorstellungen und Ideen, irgendwelches An-
den Rekurses auf die Aristotelische Logik bedarf, von der er sichseiendes als mythologisch kritisiert, gleichzeitig aber- und
eben diese Gedanken übernommen hat, wie es in dem Werk :rwar nicht nur aus apologetischem Bedürfnis, sondern ebenso
des Oxforder Philosophen Geoffrey Mure 104 eingehend dar- ;111ch aus dem Interesse an der Wahrheit selber - nun aus Ver-
gestellt worden ist, auf das ich Sie hier aufinerksam machen 1nmft die durch Vernunft demolierten Begriffe in gewisser
möchte. - Hier fahren wir heute in acht Tagen fort. Weise retten oder wiederherstellen oder gar neu, aus sich her-

l
80 Sr
aus , erzeugen möchte. Nun, - man kann sagen, daß die be- :·;carteten Bewertung des Sinnlichen, die ja im allgemeinen
rühmteste Theorie des Aristoteles, an der wir j etzt halten, , km Aristoteles so als seine empirische Richtung gegenüber
nämlich di e über Stoff, i!A.17, und Form, eloo<; oder µooq;r;, , km klassischen Rationalismus zugeschlagen wird, - daß diese
nachdem er an der Platonischen Ideenlehre Kritik geübt hat, \'l' r;inderte Stellung zu dem Sinnlichen doch nicht so weit ab
nun im Bewußtsein dieser Kritik und in der Konsequenz die- ist von der Lehre vom Platonischen Nichtseienden, wie Sie
ser Kritik ein wesentliches Moment, nämlich den Vorrang der ll!nächst denken kö nnten und wie es manche Passagen bei
Idee, die Priorität der Form, erretten möchte. Und ich wie- !\ risto teles auch anregen . Nämlich deshalb, weil ja der Stoff,
derhole, daß diese Z wieschlächtigkeit prototypisch ist für die .ilso die vA.17 , als reine Möglichkeit dessen was ist aller sp ezifi-
gesamte Metaphysik; auch ·für die Kantische, wo ja der be- ·;c hen Bestimmungen entäußert ist; das schlechthin Unbe-
rühmte Satz aus der >Methodenlehre<, er habe das Wissen ein- ' ' immte ist, das eigentlich nur nach Bestimmung verlangt; und
geschr;inkt, um dem Glauben Raum zu schaffen, 101' genau auf 11ur dies Verlangen an ihm ist es eigentlich, das es als die Mög-
dieselbe Doppeldeutigkeir verweist. lichkeit qualifiziert, mit der ja der Stoff bei ihm gleichgesetzt
Diese Intention, von der ich nun rede, prägt sich bei Aristo- wird. Also wenn man etwa den H egelschen Schritt machen
teles aus in dem Satz, daß das wahre Wissen immer auf das würde zu sagen, daß das schlechthin Bestimmungslose gleich
Notwendige und Unveränderliche gehe, wie bei Platon. 1m Sie 11ichts sei, so könnte manjenen berühmten Platonischen Satz
müssen dabei allerdings sich das gegenwärtig halten, was man , j, ich bei Aristoteles wiederfinden, - nur hat er, und das zeigt,
bei j edem einzelnen Begriff der antiken Philosophie sich in 1,·Ji würde sagen: das Großartige und Originale an dem Den-
Evidenz rufen muß: daß nämlich der Begriff der K@salität k,·11 des Aristoteles, eben diesen Schritt zu vollziehen sich ge-
oder der Ursache, wie er bei Aristoteles als eine - und zwar weigert. Und es gehört zu den tiefsinnigsten und wahrhaft
differenzierte - Kategorie auftau cht, nicht im Sinn einer sub- , j ialektischen Widersprüchen der Aristotelischen Philosophie,
j ektiv gestifteten Kategorie zu verstehen ist, sondern als ein , Li 1\ die 01!vaµ t<;, also die M aterie der Erkenntnis, zwar ein Be-
dem Objektiven an sich Innewohnendes und von der Gestalt "1immungsloses sein soll, aber trotzdem nicht nur ein Bestim-
des sprachlichen Ausdrucks Indiziertes. Demgegenüber, also 111 ungsloses; wenn Sie wollen: daß er also an der These der ab-
gegenüber dem Notwendigen und Unveränderlichen, gilt bei "' /11tc11 Bestimmungslosigkeit dessen, was seine Form noch
Aristoteles - und auch das ist ganz ähnlich wie bei Platon -- das 11icht erreicht hat, nicht festhält. - Ich benutze das zu der Be-
Sinnliche als zufällig oder als minderwertig. Allerdings finden 111nkung, die Ihnen vielleicht auch ein bißchen zum tieferen
Sie nicht bei Aristoteles, und das hängt mit seiner Lehre von Vnstfodnis von Philosophie hilft gegenüber dem, was in den
dem Stoff und dem Verhältnis von Form und Stoff bei ihm in 1 1· hrbüchern steht: daß man im allgemeinen Philosophie
einer unmittelbar einsichtigen Weise zusammen , - Sie finden 111.-ht dadu rc h versteht, daß man Widersprü che wegräumt,
bei ihm nicht die Platonische Wendung von der Nichtexistenz 1111d auch nicht dadurch, daß man Autoren Widersprüche an-
des sinnlichen Materials; Sie finden bei ihm nicht die Lehre kreidet - es gibt keinen bedeutenden philosophischen Autor,
von dem µi; ov, also von dem Sinnlichen, dem Raum-Zeitli- drn man nicht irgendwelcher Widersprüche überführen
chen als dem schl echterdings Nichtseienden. Aber wenn ich kii11nte - , sondern dadurch, daß man gerade den Wahrheits-
Sie hier an das m ethodische Prinzip erinnern darf, daß in der ! ',•· ldt einer Philosophie an der Stelle sucht, wo sie, wie rnan

Philosophie die Probleme in den kleinsten Nuancen stecken, 1 l.1 s so nennt, in sogenannte Widersprüche sich verwickelt.

so wäre auch hier daran zu erinn ern , daß trotz dieser anders 1 >;1s gilt in emphatischem Sinn für den Aristoteles. - ·was also

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das Sinnliche anlangt bei ihm, so gilt es zwar als minderwertig, licher Art sind. Darauf hingewiesen hat zuerst die phänome-
aber nicht etwa als ein Nichtseiendes. Und er hat damit eben nologische Schule, tendenziell schon bei Husserl in der Lehre
doch sich in die sogenannte Platonische Tradition gestellt; und vom sogenannten kontingenten Apriori 110 , und dann in viel
beide tragen zu jener Geringbewertung überhaupt alles Sinn- weiterem Maß Max Scheler 111 . Es kann nach dieser Lehre
lichen bei, die dann für den Idealismus in einem weitesten auch Bestimmungen geben, die a priori, das heißt: schlechter-
Sinn maßgebend geblieben ist. Das sinnliche Material könne dings und notwendig gelten sollen, die aber ihrerseits nur gelten
ihm zufolge, so heißt seine Formulierung, ebensogut sein wie unter der Voraussetzung, daß ein sinnliches Material gegeben
auch nicht sein; fvoExoµEvov xai Elvm xai µry Elvm, sagt er 108 . ist. Sie hängen also selber, obwohl sie Apriorität, schlechthin-
Also das, was er eigentlich gegen das bloß Seiende hat, ist gar nige Gültigkeit beanspruchen, von so etwas wie der Existenz
nicht so sehr seine Bestimmungslosigkeit, als das, was man in von Sinnlichem überhaupt ab. Die Beispiele, die dafür ange-
der späteren Philosophie mit seiner Zufälligkeit bezeichnet führt werden, stammen etwa aus gewissen Bereichen der Phy-
hat, mit seiner Kontingenz. Und Sie werden später hören 109 , sik wie der Optik. 112 Wenn man also sagt, daß in der optischen
daß der Begriff der Zufälligkeit der Materie - gegenüber der Ähnlichkeitsreihe, sagen wir: Violett zwischen Rot und Blau
Gesetzmäßigkeit der Form - unter dem Namen ro ain:oµarov liegt, so wird man sich, so lange es so etwas wie Farbempfin-
(woher unser >automatisch< kommt) oder auch unter Verwen- dungen vom Typus blau und vom Typus rot gibt, schlechter-
dung des alten mythologischen Ausdrucks TVX1J, - daß Ge- dings und bei aller Anstrengung nicht vorstellen können, daß
schichte bei Aristoteles in der Tat eine sehr große Rolle spielt. Violett, die Farbe, die wir Violett nennen, etwas anderes sei als
Es könne also - heißt dieser Satz - ebensogut sein, wie es eben ein Mittleres zwischen diesen beiden anderen Farben. Es
auch nicht sein könne. Ich möchte Sie nur en passant darauf handelt sich hier also sicher um einen apriorischen Satz; aber
aufmerksam machen, daß diese These, die eigentlich so eine seinerseits um einen apriorischen Satz, von dem man etwas
der Invarianten des gesamten metaphysischen Denkens ist, wie Notwendigkeit in jenem hier zuerst von Aristoteles ur-
keineswegs so selbstverständlich ist, wie sie sich ausnimmt. gierten, strikten Sinn schwer wird behaupten können, - weil
Wenn man zunächst einmal auf schulmäßigem, primitivem ja die Tatsache, daß wir überhaupt auf Grund der bekannten
Niveau fragen würde, wo einer der Hauptunterschiede der Nervenprozesse so etwas wie Rot und Blau sehen, selbst nicht
metaphysischen Tradition von der antimetaphysischen liege, aus reinem Denken als notwendig einzusehen ist, sondern es
so wird manja wahrscheinlich dabei die Antwort bekommen, sich dabei um eine Art von Gegebenheit handelt. Das also nur
daß die Metaphysik alles in die Idee oder in die Vernunft, sub- wr allereinfachsten Kritik daran, daß die metaphysische Tra-
jektiv gesprochen: in den Geist setze und deshalb das sinnliche dition behauptet hat, alles Apriori sei eigentlich reiner Geist;
Material, das ja mit der cpvat~, mit dem Materiellen genetisch t1111 Ihnen zu zeigen, daß, auch wenn man die Sphäre des

zusammenhängt, minder bewerte. Ich möchte Sie veranlassen, !\priori so belastet, wie es die idealistischen und ontologi-
nur eine Sekunde einmal zu überlegen, ob diese Auffassung schen Richtungen tun, daraus keineswegs mitjener Selbstver-
wirklich so stringent ist, wie man es uns im allgemeinen sagt; st:indlichkeit der Ausschluß des sinnlichen Materials und der
und ich möchte dabei die Methode der immanenten Kritik sinnlichen Relationen folge, wie jene Tradition eben seit Pla-
113
verwenden, also sozusagen das Aprioritätsideal beim Wort 1 on das behauptet.

nehmen und fragen, ob es nun tatsächlich nicht auch soge- Aber ich möchte über diese verhältnismäßig schlichte Ein-
nannte Apriorien der Erkenntnis gebe, die keineswegs unsinn- sicht doch noch hinausgehen, indem ich Sie darauf venveise,
daß in dieser absoluten Abtrennung des Intelligiblen oder des
Vernünftigen und des sinnlichen Bereichs selber eine gewisse
Kurzsichtigkeit mit Rücksicht auf die Analyse des sogenann-
f 11ation des Sinnlichen gar nicht in der Weise möglich ist, wie
es jene, der ganzen Metaphysik selbstverständliche, Dichoto-
111ie eigentlich fordert, - sondern daß wir, um zu den äußer-
ten geistigen Bereichs steckt. Ich verweise dabei auf die sten Apriorien, die überhaupt zu denken sind: also zu den for-
Sphäre, die man allgemein als die allerabstrakteste bezeichnet,
nämlich auf die Sphäre der sogenannten reinen Logik. Alle
rein logischen Sätze enthalten ja in sich den Begriff des Etwas:
1' malsten Sätzen der Logik zu gelangen, in der Verlängerung
dessen, was mit dem Etwas dabei gemeint ist, immer auf sinn-
liches Material stoßen. So daß ohne ein jegliches sinnliches
eines wie auch immer gearteten Substrats, für das sie gelten. Material die Vorstellung der Formen selber gar nicht möglich
Ohne die Supposition eines solchen Etwas, von dem etwa ist, - was ja nichts anderes wäre als die Ausführung des Gedan-
nichts Kontradiktorisches soll ausgesagt werden dürfen - um kens, daß wir, im Gegensatz zu Aristoteles und zu jener Tradi-
den wahren und einzigen Kernsatz der traditionellen Logik l ion, das sogenannte Formprinzip oder jegliche Art kategoria-
anzuführen-, ohne dieses Substrat, wie immer abstrakt es sei, ler Form uns immer nur vorstellen können vermittelt durch
ist so etwas wie formale Logik gar nicht möglich. 114 Es gehört ,·in Inhaltliches; und nicht als ein davon absolut Verschiedenes.
aber kein großer Scharfsinn dazu - und ich ermuntere Sie nur 1;orm ist eben immer Form von etwas, so wie Sie, wenn man
dazu, das für sich selbst auszuführen, ohne daß ich die Zeit mir Sie ganz schlicht und naiv fragen würde, was eine Form sei -
nehmen möchte, es nun hier zu tun-, herauszufinden, daß in 1111d es ist immer gut, in solchen Erwägungen schließlich auf
diesem Etwas, wie immer auch verblaßt, wie immer auch sub- , lic allereinfachsten Verhältnisse des Sprachgebrauchs zu re-
limiert, abstrahiert, vergeistigt, eben doch schließlich auch die kurrieren, um diese Dinge zu verdeutlichen -, so wie Sie
Beziehung, die Referenz auf ein sinnliches Material drin- wahrscheinlich sagen würden: die Form, das ist etwas, wo-
steckt. Es ist wohl unmöglich, dieses Etwas überhaupt irgend ' lurch ein Material geformt wird; wodurch also hier eine, neh-
zu erfüllen, ohne daß man dabei, um ihm überhaupt irgend- 111cn Sie einmal an: unartikulierte, olivgrüne Fläche sich da-
eine Bedeutung verleihen zu können, auf Sinnliches rekur- durch artikuliert, daß Sie Ihnen als Rechteck erscheint. Und
riert, - sonst bleibt es immer wieder lediglich in dem tautolo- ,·s würde Ihnen zunächst gar nicht beikommen, von Form zu
gischen Bereich des Geistes drin. Und das, was der Begriff des 1nlcn unabhängig davon, daß sie eben notwendig Form von
Etwas dann in der logischen Formenlehre bedeutet: wenn das <'fll'11s wäre. Und gegenüber diesem in der Sprache und in dem

selber immer wieder nur durch Formen ausgedrückt wird, das 1111mittelbaren Bewußtsein Festgehaltenen hat sich die Meta-
hat dann überhaupt keine faßliche Bedeutung mehr; man 11liysik spröde gemacht und hat dieses Moment des Worauf -
kann es dann eigentlich gar nicht mehr fassen, - während doch , l.1s nicht nur zu der Form dazugehört, sondern das im Sinn
auf dies Etwas die Logik bezogen bleibt. Wenn das stimmt, d"s Formbegriffs selber liegt-, das hat sie, wenn ich so sagen
wenn die Erwägung, die ich Ihnen eben angedeutet - nicht , l.11{ stumm gemacht. Bei Kant ist die Unterscheidung zwi-
durchgeführt, aber angedeutet - habe, wenn die zutrifft, dann "' lirn dem Unsinnlichen und rein in Begriffen Gedachten
hat das aber für das Problem, mit dem wir uns im Augenblick 111 H \ dem Sinnlichen, das sowohl sein kann wie nicht sein
beschäftigen, eine außerordentlich große Tragweite. Es be- l.. 11111, ja unmittelbar übernommen in der Kantischen Unter-
11
deutet das dann nämlich, daß sogar in dem allerabstraktesten "' licidung des Wirklichen und des Möglichen ''.
Bereich, in dem Bereich also, in dem der Begriff des reinen Nur das rein in Begriffen Gedachte, ist die These, soll so
Apriori, wenn irgendwo überhaupt, zuständig ist, die Elimi- 1111wr~inderlich sein wie die Idee. Das, was Aristoteles dabei

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verkennt und worüber wir dann später uns noch zu unterhal- , Licht wird, das nun gewissermaßen in das reale Objekt ein-
ten haben , ist zunächst einmal ganz einfach das Abstraktive der w;n1dert und dort amalgamiert wird mit seinem sinnlichen
Begriffe; das heiß t, daß die Begriffe, damit sie überhaupt zu- M;1terial. Um Ihnen noch einmal den Unterschied der Aristo-
stande kommen, auf ein Sinnliches verweisen, von dem dann 1,·lischen Immanenz des Begriffs von einer dialektischen An-
abgezogen wird, - in der Art, daß der B egriff die einer Man- -.1cht zu charakterisieren, müßte man vielleicht mit einem na-
nigfaltigkeit von sinnlichen Daten gemeinsamen M erkmale 111 rwissenschaftlichen Bild sagen, daß es sich bei ihm in den
festhält und nicht in sich hineinnimmt diejenigen Merkmale, konkreten Dingen um ein Verhältnis des Amalgams und nicht
die den unter dem Begriffbefaßten Einzelobj ekten - hier im 11111 eine chemische Verbindung handelt, in der die beiden
Sinne von Denkobjekten verstanden - nicht miteinander ge- ·..- heinbar einander entgegenstehenden Momente oder Ele-
m einsam sind. Dieses Abstraktionsmoment: daß also der Be- 111cnte derart ineinander verschmolzen sind, daß das eine ohne
griff insofern durch das Sinnliche selber vermittelt ist, das wird , l.1 s andere nicht sein kann.
von Aristoteles - und auch darin ist er wieder auf Platoni- 1h s Interesse, das Aristoteles zu dieser Konstruktion m oti-
schem Boden - nicht durchschaut; die Reflexion auf den Akt 1· 1lTte, ist eigentlich das Interesse an der Veränderung. Und man

des Subjekts, durch den es eigentlich zu so etwas wie Idee oder Liinnte wohl schon einen sehr wesentlichen Schritt in der
Begriff überhaupt kommt, unterbleibt. Es wird zwar von bei- 1'. 11twicklung von Platon zu Aristoteles darin erblicken, daß ,
den analysiert, wie sich das Denken zu diesen Begriffen er- " <ihrend auch Aristoteles die Wahrheit in das Unveränderli-
hebt, aber dabei ist allemal der Begriff schon als das Ansich- , ii l' setzt, er trotzdem an der Veränderung sich interessiert und
seiende vorausgesetzt, und es ist verkannt dabei, trotz all der "' -rsucht, in der Veränderung das Verhältnis zum Unveränderli-
erkenntnistheoretischen R eflexionen, die bei beiden sich fin- ' l1cn zu begreifen, - während das Interesse an der Veränderung
den, daß der Weg, der hier beschrieben wird, nicht dem Be- ·o1· lher bei Platon n och ganz zurückgetreten ist. D as Denken ist
griffäußerlich ist, sondern daß er selber ein notwendiges M o- .ilm, wie es bei fortschreitender Aufklärung und Differe nzie-
m ent des Begriffs ist, das seinem eigenen Sinn innewohnt und 11111g fas t stets der Fall zu sein pflegt, in einem unvergleichlich
von dem deshalb auch die Betrachtung des Begriffs njcht ein- rn·I weitergehenden Maß dynamisiert, als es bei Platon der Fall
fach absehen kann. Mit anderen Worten also : wenn Aristoteles 1·.1. Und man kann nun sagen - wenn ich unter diesem Aspekt
die Immanenz des Begriffs in der Sache lehrt, womit er ja ll111cn einm al für eine Sekunde die Bahn der Aristotelischen
scheinbar die Abstraktheit des Begriffs gegenüber dem unter „/'vk taphysik« beschreiben soll-, daß die Aristotelische »Me-
ihm Befaßten auflöst, so ist diese Immanenz des Begriffs in der 1.q>liysik« ein Versuch ist, das M otiv des Ansichseins der Form
Sache ihm ontologisch, das heißt: der Begriff ist an sich in der 1111.I des H öherrangierens der Form - und auch darin ist er
Sache darin, ohne Rücksicht auf das abstrahierende Subj ekt. : ·. 111z im Sinne der Tradition der Ansicht, daß als das Bleibende
Er hängt dann in der Sache zwar mit dem Nichtbegriffiichen 1111.I Unveränderliche und R einere die Form, also die evie-
auf eine - im übrigen von Aristoteles selber nie klar entfal- 1·1 11( das Bessere sei-, dieses >Höhersein< der ansichseienden

tete - Weise zusammen, ich w ürde sogar sagen , daß er davon l ·11r1n mit der von ihm nun tatsächlich nicht geleugneten, son-
gar nicht sich trennen läßt; aber wie das Verhältnis zwischen
dem Begriff und dem mit dem Begriff Gem einten in dem
konkreten Objekt eigentlich ist, das wird nicht ausgeführt,
1
1
' ln11 analysierten Veränderung zusamm enzubringen. Man
1 'i1 lllte auch sagen, Aristoteles versuche, wie die Gedanken
, h l'wig Unveränderlichen als des H öheren und eben des Ver-
und zwar deshalb, weil der Begriff als ein Ansichseiendes ge- .1111 lcrli chen , als welches die Empirie sich uns gibt, - wie diese

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beiden Motive zu synthesieren seien. Und dabei stößt nun l·ines Gewordenen bedürfe, - daß dieses Feste nun schlechthin
Aristoteles auf eine außerordentlich wichtige und tiefe Ein- und unveränderlich sei. Ich glaube, damit Sie das verstehen,
sicht, nämlich die, daß alle Veränderung ein Unveränderli- diesen Kurzschluß, der ja einer der wesentlichen Inhalte der
ches, daß jedes Werden ein Ungewordenes voraussetze. Man Kritik Kants in der Antinomienlehre 116 ist und der immer auf
kann daran zweifeln - und dieser Zweifel ist, wenn Sie wollen, der rechten Seite behandelt wird, also bei den Antithesen der
der Inbegriff der Kantischen Kritik der Metaphysik-, ob der transzendentalen Dialektik, - daß Sie sich nur klarmachen
Schluß von dem Werden auf ein Ungewordenes, von der Ver- können, wieso der Aristoteles zu diesem merkwürdigen
änderung auf ein Unveränderliches legitim sei. Aber zunächst, Schluß oder Kurzschluß gelangt ist, wenn Sie sich Rechen-
ehe wir uns mit dieser Frage kurz beschäftigen, ist doch das 'chaft davon geben, daß der Begriff des Unendlichen der
festzuhalten - und ich würde sagen, auch darin liegt eine der Antike, und das heißt eigentlich: der antiken Mathematik,
großartigen Entdeckungen des Aristoteles, die wir uns kaum 1i·emd gewesen ist. I eh bin mir bewußt, daß dieser Satz wie alle
mehr mit dem rechten Gewicht vorzustellen vermögen, weil 1:1 derartigen Sätze, wenn man sie so über eine ganze Kultur aus-
sie uns so selbstverständlich geworden ist, daß wir gar nicht spricht, natürlich beantwortet werden kann mit Gegenbei-
mehr wissen, welche unendliche Anstrengung es den Genius
gekostet hat, das überhaupt einmal zu erreichen -, es steckt
darin, sage ich, die implizit dialektische Ansicht, daß die Vor-
1 spielen; ich weiß auch, daß es in der antiken Mathematik sogar
/\ nsätze gibt zu der Infinitesimalrechnung. Und wir werden in
,·iner der nächsten Stunden bei Gelegenheit des Aristoteles
stellung von Dynamik, die Vorstellung von Veränderung, von 1 tbrauf kommen, 11 7 daß er selber sogar gelegentlich den Be-
Werden anders als mit Rücksicht auf ein Festes überhaupt gar ~~riff des Nichtbegrenzten verwendet, der ja zurückgeht auf
nicht vollzogen werden kann. Wenn also später die dialekti- das a:n:ElQOV des alten Anaximander 11 8 . Aber trotzdem glaube
sche Philosophie es zu ihrem Kernsatz oder zu einem ihrer ich , daß man verantworten kann zu sagen, daß die Art
Kernsätze gemacht hat, daß es keine Vermittlung ohne Un- 1 >urchdringung des gesamten Bewußtseins mit dem Begriff
mittelbares, freilich auch kein Unmittelbares ohne Vermitt- ,ks Unendlichen und der Unterscheidung von Endlichkeit
lung gibt; und daß es auch keine Bewegung gibt, ohne daß 1111d Unendlichkeit, wie sie wahrscheinlich eben doch den
diese Bewegung eine von etwas sei, was ihr gegenüber doch
1. ·1·ranszendenzbegriff der monotheistischen Religionen vor-
ein Moment der Festigkeit besitzt, dann ist dieser Gedanke, .111ssetzt und dann durch die Allherrschaft der infinitesimalen
also dieser Gedanke, daß wir überhaupt Veränderung anders Mathematik in der neuzeitlichen Naturwissenschaft gestiftet
aJs relativ auf ein Festes uns nicht vorstellen können, von Ari- worden ist, - daß diese Durchdringung überhaupt des ganzen
stoteles, soweit ich das sehen kann, in dieser Gestalt konzipiert 1kwußtseins mit dem Motiv des Unendlichen und seiner
worden, - wenn man nicht etwa gewisse Ansätze in den l lnterschiedenheit vom Endlichen der Antike fremd war.
Altersdialogen Platons im Sinn derselben Theorie interpretie- w,·1m Sie das einmal für einen Augenblick gelten lassen, und
ren darf, worüber ich mir, bei dem höchst kontroversen Cha- 11 h würde wohl sagen, daß man das ohne allzu große Gewalt
rakter vor allem des Parmenides-Dialogs, den klassischen Phi- !'.''!2:L'll die Texte darf, dann wird Ihnen einleuchten, daß eben
lologen gegenüber kein Urteil anmaßen datf. 11 ·11L' Bestimmungen wie die einer absoluten Ursache und alle
Ich sagte Ihnen aber, es komme bei ihm hier zu einer Art 'li,·sc Kategorien, die bei uns den Charakter des Transzenden-
von Kurzschluß; nämlich zu dem Kurzschluß, daß, weil eine 11·11 haben; das heißt: die bei uns nur in der Unendlichkeit an-
jede Änderung eines Festen bedürfe, oder ein jedes Werden :·,1v·tzt werden, nach unserer ganzen Erziehung und Denkge-

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wohnheit, - daß die bei ihm zu Bestimmungen des Endlichen (;eist, konstitutiv zusammenhängt, weil der Geist ja von An-
einfach deshalb werden, weil (wenn ich so sagen darf) die Welt beginn sich als ein in sich Unendliches bestimmt hat, - im Ge-
selbst endlich ist; und weil ein solches Unendliches oder der gensatz zu der Endlichkeit des Mannigfaltigen, auf das er sich
Gedanke, daß die Welt schlechterdings unbegrenzt sei, diesem jeweils bezieht. Diese Lehre nun von der Unveränderlichkeit
Denken ganz fremd ist. hat sich durch die ganze Geschichte der Metaphysik, und diese
Und ich würde sagen, daß damit nun: mit diesem konstitu- ! .ehre, daß alles Veränderliche schließlich auf ein Unveränder-
tiven Charakter der Endlichkeit, das Wesen der Ontologie als liches zurückdatiere, - die hat sich durch die ganze Geschichte
der Setzung von geistigen Kategorien als schlechthin geltend der Metaphysik erhalten derartig, daß sie das Thema der Kan-
deshalb zusammenhängt, weil sie selber auch in einem Bereich tischen dritten Antinomie bildet 119 . Und sie ist zugleich von
der Endlichkeit, in einer geschlossenen Welt, konzipiert unabsehbarer Konsequenz gewesen für die Theologie, weil in
sind, - während sie in diesem Sinn in der offenen, durch den dieser Lehre ja eigentlich die Aristotelische Theologie ihr
Unendlichkeitsbegriff aufgesprengten Welt, in der wir in fort- Zentrum hat: als der Lehre von dem >unbewegten Beweger<
schreitendem Maß seit bald 400 Jahren leben, keinen Raum .iller Dinge 120 ; das ist im Grunde gar nichts anderes als jene
haben. Insofern könnte man sagen, daß die Ontologie als der reine ansichseiende Forrn, die gleichsam alles zu sich in die
Versuch, durch endliche Bestimmungen ein Unendliches ein- l löhe zieht, zu sich hinaufzieht; ein selber Unbewegtes, aber
zufangen, selber etwas Archaisches hat; etwas ist, was hinter wie der Magnet der reinen Aktualität, der reinen Energie alles
der Entwicklung des Geistes - nämlich zu diesem Begriff des das, was bloß potentiell ist, zu sich heraufziehend und in die-
Unendlichen hin - in einem gewissen Sinn zurückgeblieben sl'ln Sinn in immer steigendem Maße sich realisierend. Das ist
ist. Aber wenn man einmal unter diesem Aspekt die Ge- c·igentlich der Kern der Aristotelischen »Metaphysik«, wenn
schichte der Philosophie durchmustern und analysieren 111an mit dem Kern den Punkt bezeichnet, an dem diese Meta-
würde, so käme man zahllosen Archaismen auf die Spur, - physik in Theologie übergeht. Und wahrscheinlich ist es
eine Tatsache im übrigen, die, paradox genug, gerade von der iiberhaupt stets der Zentralpunkt einer Metaphysik, die Stelle
Gegenposition aus, nämlich von der Schule Heideggers mit 1u finden, an der der Übergang dieser Metaphysik in die
großem Nachdruck immer wieder hervorgehoben, nur aller- J'heologie statthat. 121 Und das hat eben statt in diesem Ver-
dings dort als ein Positives hervorgehoben worden ist. Also h:iltnis des Unbewegten, das aber zugleich doch mit der Be-
Sie müssen festhalten: auf der einen Seite die Wahrheit, daß wegung dadurch vennittelt ist, daß es alles, was da bloß ist, zu
von Veränderung nur mit Bezug auf ein Festes gesprochen sich zieht; und das auch in gewisser Weise in dem bloß Seien-
werden kann; daß aber auf der anderen Seite der positive Zug ' \rn angelegt ist, weil es als Potentialität selber schon die Mög-
der Metaphysik sich daher leitet, daß Unendlichkeit der 1ichkeit in sich hat, zu jenem vollkommensten und obersten
Antike fremd ist. Und daß deshalb Beziehungen oder Katego- s,·in sich hin zu bewegen. Wenn Sie wollen, ist also auch die
rien, die wir uns anders als unter dem Begriff des Unendlichen Idee der Analogia entis: der Analogie zwischen dem Geschöpf
und damit transzendent gar nicht mehr vorstellen können, 1111d dem Schöpfer, 122 tatsächlich in dieser Theorie des Aristo-
hier in der Antike doch ihrerseits zu Beziehungen der End- t cks bereits angelegt.
lichkeit gemacht werden. Ich füge nur hinzu, daß selbstver- 1)ie Frage, die sich damit weiter stellt in der Aristotelischen
ständlich auch die Wendung zu dem Begriff der Unendlich- „Metaphysik«, ist die, was nun das Ungewordene eigentlich
keit mit der Wendung zur erkennenden Subjektivität, zu dem ·;t'i. Und dabei ergeben sich die beiden Kategorien, die weiter

92 93
für die Geschichte der abendländischen Metaphysik maßge- 9. V O RLESUNG
bend geblieben sind, nämlich der Begriff der Substanz und der 24. 6. 1965
B egriff der Akzidenz, - der beiden Begriffe, mit denen wir
uns dann das nächste M al auseinandersetzen werden . Wir haben uns nun zu beschäftigen mit der Frage, was eigent-
li ch das Ungewordene, man könnte sagen: das ontologische
IZ. esiduum in der Aristotelischen Ontologie ist. Und dabei
\tößt man auf zwei Bestimmungen, die nicht ineinander auf-
liislich sind und die insofern den Dualismus - und zwar in sei-
11er fü r die Geschichte der abendländischen Philosophie m aß-
gebenden Gestalt - begründet haben. D as ist nämlich auf der
einen Seite das Substrat, an dem die Veränderungen sich voll-
1ichen, und auf der anderen die Eigenschaften, in deren Mit-
tl'ilung an jenes Substrat die Veränderung besteht, die aber da-
hci , um Sie darauf gleich vorzubereiten, ihrerseits nun selbst
11icht als ein Vergängliches und Nebensächliches, sondern als
ein Ko nstantes und Ungewordenes aufgefaßt werden, - und
1war als das, woran eigentlich überhaupt dann in der Entwick-
lung der Aristotelischen Philosophie der größte Nachdru ck
1111d das größte Pathos haftet. D as ist also der Ursprung des die
! ~l'samte abendländische Tradition durchherrschenden Dualis-
111us, der dann in die Form der Rede vom Substantiellen und
vum Akzidentellen gekleidet worden ist, der dann auch termi-
11ologisch im Zentrum der gesamten mittelalterli chen Philo-
',ophie steht und der von dort auf die rationalistische Philoso-
ph ie, auf Descartes, Spinoza, Leibniz übergegangen ist, von
' In wir ja heute wissen , daß sie beides sind: ebenso nämlich
, In nominalistische Protest gegen die Scholastik w ie auch die
1111111ittelbare Fortsetzung der aristotelisch-scholastischen Pro-
lik-matik. So komplex ist die Geschichte der Philosophie, und
«111cr einfa cheren Formel entzieht sie sich. Das, was ich j etzt
«inmal das Substrat genannt habe und was ich Sie bitte - und
1·nzcihen Sie die Pedanterie, wir nähern uns nicht umsonst
'In Scholastik; es geht also hier ohne eine gewisse Subtilität
iln Begriffsbestimmungen einfach nicht ab-, was ich Sie zu
1111tcrscheiden bitte vom B egriff der Substanz, das ist das, was
l"'i Aristoteles Stoff heißt: griechisch f)},17, ins Lateinische

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übersetzt durch den Begriff der Materie. Der Terminus ist ja li ehe Wendung von Aristoteles deshalb vorgenommen, weil
dann in der phänomenologischen Schule als Bezeichnung für durch einen Reduktionsprozeß der Abstraktion, auf den aber
das stoffiiche, nicht aufBedeutung, nicht aufintention reduzi- 1n seiner unmittelbar gegenständlich gewandten Philosophie
ble Element in den Tatsachen des Bewußtseins wieder aufge- 11icht eigens kritisch reflektiert ist, alle Bestimmtheit aus dem
nommen worden und ist Ihnen von dort her wahrscheinlich Snbstrat, aus der vJ..17 herausgenommen ist, - so daß sie eigent-
vertraut; er hat aber nun bei Aristoteles nicht diesen subjektiv- 1ich etwas ganz Leeres ist, das in gewisser Weise eben dem Pla-
erkenntniskritischen, sondern einen durchaus objektiv-onto- tonischen Nichtseienden doch außerordentlich nahesteht.
logischen Sinn. Dabei müssen Sie in der Terminologie unter- Also die Paradoxie, wenn man so sagen will: die Paradoxie ge-
sch eiden - um das noch einmal zu wiederholen; damit keine !~enüb e r dem populäre n Bewußtsein - und das ist eine Parado-
Verwirrung besteht- die VA.17 von der ovaia. Das heißt: die OV- .-.:ie, die eigentlich das gesamte m etaphysische Bewußtsein so
aia, das wahrhafte Sein, ist auf der einen Seite das bestimmte ,l'hr b eherrscht, daß sie zu einer zweiten N atur des Denkens
einzelne Ding und ist auf der anderen Seite die µor!fp~ , die Ge- !~Lworden ist-, diese Paradoxie besteht darin, daß die Form,
stalt, oder das elooc;, das Wesen im Platonischen Sinn, - wäh- ·1 von der man doch denken sollte, daß sie eigentlich das Ephe-
rend die vJ..17 als ein Allgemeines, als ein Unbestimmtes weder 111ere, in gewisser Weise Unwirkliche, das bloß Gedanken-
dieses bestimmte Diesda, dieses r6oe u , noch, auf der anderen liafte, Blasse gegenüb er dem Wirklichen als dem Tangiblen,
Seite, j enes Allgem eine, Ideenähnliche der Gestalt oder der 1landfesten des Stoffs sei, daß die nun gerade zu der eigentli-
µo(!cp~ darstellt. Die Eigenschaften nun aber, die diese VJ..17 ge- ' lien Wirklichkeit gemacht wird, der gegenüber - jedenfalls
winnt, die h eiß en (wie ich scho n sagte) entweder wie die der lllnächst einmal - diese andere, diese hyletische Schicht, also
Platonischen Ideen - hier ist ein unmittelbarer Zusammen- di e Materie der E rkenntnis, zu einem im strengen Sinn gar
hang mit der Platonischen Terminologie - elooc; oder (ich 11icht Wirklichen, zu einer bloßen Potentialität herabgesetzt
glaube, das sagte ich Ihnen bereits in einer der Stunden vor wird.
den Pfingstferien) µo(!<p~, was soviel heiß en will wie Gestalt. Sie können - um das hier auszusprechen, und hier auf ei-
Ich lege auf diese Terminologie nicht um der Terminologie 11l'n, ich w ürde denken: entsch eidenden philosophiehistori-
w illen Wert, sondern weil ich Ihnen nur mit Hilfe dieser Ter- -,.- hen Zusammenhang Sie hinzuweisen - hier eigentlich be-
mini die eigentümliche Wendung darstellen kann , die - ja, ich tl'its das Prinzip des Idealismus finden, bei dem das Geistige als
würde sagen: das spezifisch Aristotelische überhaupt darstellt. , Li s wahrhaft Wirkliche und das Sinnliche, das sinnlich Gege-
In seiner Philosophie ist nämlich nun das Substantielle gerade i>l'lle, der sinnliche Gegenstand der Erfahrung als demgegen-
nicht das, was ich Ihnen eben als Substrat bezeichnet habe, also 1ihn das Unwirklichere, etwa als eine bloße Funktion, er-
gerade nicht die M aterie, sondern - wenn ich es in der neu- "( heint, wie es dann bis in die positivistischen Konzeptionen
zeitlichen Terminologie ausdrücken darf - Materie und Sub- v"n Hume und von Ernst M ach hinein sich immer noch aus-
stanz wird b ei ihm unterschieden; und zwar in der Weise, daß ! „nvirkt hat. Insofern also ist die Aristotelische Philosophie
substantiell bei ihm die reine Form ist, genau wie die Platoni- idealistisch: in diesem von mir eben genau bezeichneten Sinn,
sche Idee bei Platon das Substantielle ist, während bei Platon ·111 il.d\ den Formen höh ere R ealität zukommt als ihrem Inhalt;
die gesamte hyletische Schicht, also alles das, was Materie im .dwr es ist ein sehr merkwürdiger Idealismus deshalb, weil es
Sinn eines ni cht anders als durch Sinnlichkeit Gegebenen ist,
das Nichtseiende, µiJ ov wird. Und zwar wird diese eigentüm- ,, .-111 tatsächlich objektiver Idealismus ist, also ein Idealismus,
.In ledigli ch in der Richtung auf die Gegenstände der Er-
f

j 97
kenntnis konzipiert wird, - der aber eigentlich nicht, oder 1iantenlehre gerade an diesem Verhältnis zwischen ihren bei-
nicht wesentlich, durch den R ekurs auf das denkende Subjekt ' kn entgegengesetzten Polen ihren Haftpunkt, ihren Angriffs-
erreicht worden ist. Als Gestalt oder als Eigenschaft von etwas !' linkt b esitzt.
sind aber diese clo17 , diese Formen , denen die höhere Wirk- Es wird also in dieser Wendung die Aristotelische Platon-
lichkeit zugeschrieben wird, nicht wie bei Platon einfach das 1<.ritik, von der ich Ihnen zunächst gesprochen hatte, von sei-
Ansichseiende, sondern sie sind immer vermittelt durch das, ll l'm R ettungsversuch, von dem ich Ihnen dann gesprochen
wovon sie die Form sein sollen. Es hat sich also bei Aristo teles hatte, rezipiert. Das Ziel nun des Werdens als der Veränderung
das durchgesetzt, worauf ich Sie in einer der letzten Stunden ist nach dem, was ich Ihnen gesagt habe - daß nämlich die
aufmerksam gemacht habe: daß wir nämlich von einer Form 1:orm das Höhere sei, daß aber andererseits kein Stoff ohne
schlechterdings nicht reden können, ohne daß wir sagen w ür- hirm gedacht werden kann, und auch keine Form ohne
den: die Form von etwas . Wir sprechen ja nicht von Fo rm an \1off - , das Ziel oder das rL1.os des Werdens oder der Verände-
sich, sondern wir sprechen von der Form eines Bildes, der nm g ist, daß der Stoff seine Form gewinne. Dieser Begriff des
Form eines Musikstücks oder, wie ich mit dem grauslichen 1 /A.os oder des Zwecks, des Endzwecks, ist vielleicht von allen
Beispiel Ihnen bezeichnet habe, 123 von der Form dieser Tafel. Aristo telischen Begriffen philosophisch der folgenreichste ge-
An dieser Stelle also ist die Reflexion des Aristoteles wirklich worden deshalb, weil an ihn die Unterscheidung zwischen
außerordentlich kompliziert, weil auf der einen Seite die Pla- l Jrsa che und Z weck angeschlossen hat. D er Zweck ist hier
tonische Lehre von dem Ansichsein der Formen zwar auf- 111m ersten Mal bestimmt als das Höhere, das das Niedere ge-
rechterhalten wird in dem Sinn, daß nur ihnen eigentlich wissermaßen zu sich zieht, - im Gegensatz zu der Ursache, zu
Wirklichkeit zugeschrieben oder j edenfalls die höhere Wirk- , kn Ursachen, die in dem Bereich des Niederen, im Bereich
lichkeit zugeschrieben wird, auf der anderen aber diese Wirk- iil's Stofl:1ich en selber wirksam sein sollen . Also die gesamte
lichkeit nicht gedacht wird, es sei denn inn erhalb dessen, 1'roblematik des Verhältnisses von Ursache und Zweck, die ja
worin sie sich verwirklicht. Und dadurch wird das Pro blem , Lis Thema der dritten Kritik von Kant, der »Kritik der Ur-
der Verwirklichung der Form zu dem zentralen Problem. 1«ilskraft«, ist, und das ganze Thema der Teleologie, also: ob
D enn sie soll zwar das Höhere und das wahrhaft Ansichseiende 11·ir ein Seiendes kausal-mechanisch zu denken hab en oder
sein, sie soll aber auf der anderen Seite nur sein innerhalb des '" 111 dem aus, wohin es tendiert, von seiner höheren Bestim-
Stoffs. Und dadurch wird das eigentliche Grundproblem der 111L111g aus, - das ist in dieser Aristotelischen Grundlehre, die
ganzen Aristotelischen Philosophie die Frage nach der Ver- 1iun eigentlich als den Kern der Aristotelischen »Metaphysik«
wirklichung der Form. Und diese Frage nach der Verwirkli- .111sprechen kann, angelegt. D araus folgert nun Aristo teles -
chung der Form ist nichts anderes als zugleich die Frage nach 1111d das ist die Pointe seiner »Metaphysik«, in deren Zentrum
der Veränderung, die sich ebenso auf die Einwirkung der 11 ·ir uns jetzt befinden - eine Lehre, die der naiven Anschau-
Form auf die M aterie wie auch auf die Materie selbst wie 1111g genau entgegengesetzt ist Wenn also Philosophie sich in
schließlich auch auf das Verhältnis zwischen beiden bezieht. ,·111 l'11 schroffen G egensatz zu dem sogenannten gesunden, na-
Und in dem Punkt ist Aristoteles äußerst fortgeschritten, daß t 1i rli chen Menschenverstand gesetzt hat, dann ist das - wenn
er nicht bloß diese beiden - wenn Sie wollen: Pole des Seins 111.111 von Spekulationen wie den H erakliteischen oder Eleati-
berücksichtigt, sondern daß er auch ihr Verhältnis einer Ana- "' lirn einmal absieht - das erste Mal gerade in einer Philoso-
lyse unterzieht; und daß nun seine Philosophie als ein e Inva- )'iiil' wie der des Aristoteles geschehen, die auf der anderen

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Seite als eine durchaus wissenschaftliche gedachte Philosophie die ovvaµi; ist. Man könnte insofern auch sagen, die Meta-
dem gesunden Menschenverstand so außerordentlich viel von physik des Aristoteles sei ein in sich noch nicht reflektierter,
dem Seinen vorgibt und konzediert. Es ist nämlich - um das .1her objektiver Idealismus. Diese Vermittlung von Form und
noch einmal so auszudrücken, und zwar wieder in den zustän- Stoff, die sich aus diesem Begriff der Wirklichkeit ergibt, die
digen Aristotelischen Ausdrücken - die Form die eigentliche wird - und das will ich, nachdem ich Ihnen das Prinzipielle
Wirklichkeit; und dafür gibt es Ausdrücke, die sehr berühmt , hrüber bereits gesagt habe, jetzt nur noch gleichsam rekapitu-
sind, wie EVEQYEW oder EvTEAfxEW oder auch ro EVEQyeiq. ov, 1inen, noch einmal anführen-, diese Vermittlung von Form
also: das durch die Energie, durch die Form Sein-Sollende. 1111d Stoff wird nicht wahrhaft durchgeführt: beide werden
Die Wirklichkeit ist also bei ihm, ja, man muß wirklich sagen: 1war aufeinander bezogen, aber doch von außen, durch die
die Energie; die Wirklichkeit ist bei ihm eigentlich nur die \iloße Fähigkeit des Stoffes, ein anderes, als er ist, zu werden;
Wirklichkeit, soweit sie geformte Wirklichkeit ist, - und nicht , Lis heißt: er ist nicht selbst zugleich immer auch Form, nicht
das Material einer solchen. Der Stoff dagegen ist deshalb, weil 111 sich selbst durch Form vermittelt. Dadurch wird das, was
er immer die Möglichkeit in sich haben muß, zu einer solchen i>L'i einer konsequenten Lehre von Vermittlung gerade des
Wirklichkeit zu gelangen, zu seiner Gestalt, zu seiner µoQcpYJ Stoffes bedürfte, nun doch wieder, trotz der antiplatonischen
zu gelangen, als bloße Möglichkeit, als Potentialität bestimmt. Wendung, zu einem Ansichseienden gemacht. Es ergibt sich
Der Stoff heißt also ovvaµu:;, was doch sehr merkwürdig ist, , Lts Paradoxe, daß die Form, die dem eigenen Begriff nach nur
weil wir mit ovvaµu;, gerade dem griechischen Wortsinn fol- 1:orm von etwas sein kann, jetzt bei Aristoteles in letzter Kon-
gend, den Begriff der Kraft assoziieren; aber ovvaµu:; heißt ·:n1uenz zu dem Wirklichen schlechthin gemacht werden soll,
hier soviel wie Möglichkeit, er ist also gerade nicht ein Stati- w:ihrend aus der gleichen dogmatischen Unvermitteltheit
sches und Unveränderliches, wie man es mit dem~ Begriff des i ll'raus der VA1J das, was ihr doch erst durch Form zuteil wird -
Stoffs assoziiert, sondern er ist, wie der Name es anzeigt, selber , liv reine Möglichkeit ist ja selbst eine kategoriale, eine Form-
ein dynamisches Prinzip. Das ist eine Lehre des Aristoteles, lwstimmung, eine Abstraktion, in der Denken, Kategorisie-
die - wenn ich Ihnen auch hier nur gerade einen Querbezug 11111g steckt-: daß etwas die Möglichkeit enthalte, ein anderes
zur späteren Geschichte der Philosophie geben darf-, eine 111 werden, das wird ihr nun zugeschrieben, als wäre es eine
Spekulation, die dann auf der Höhe des deutschen Idealismus l .tgenschaft vor aller Bestimmung, die der Materie schlechter-
wiedergekehrt ist bei Schelling, wo ja ebenfalls die objektive ' l1: 1gs innewohnen soll. Das hat dann für die Fassung des Mate-
Dialektik dadurch zustande kommt, daß der Stoff selber, die 11l'hegriffs bei Aristoteles die weitestreichenden Konsequen-
Materie selber als ein Prinzip gedacht wird, das in sich die 1\'11; närnlich eben die, auf die ich schon anspielte: daß dann
Tendenz hat, auf die höhere Form sich hinzu bewegen, - nur , i ll' Materie in der Durchführung dieser Philosophie keines-
bei Schelling eben jetzt im Sinn der dabei bereits vollzogenen " "gs jenes Bestimmungslose und Leere ist, als was sie im Sinn
subjektiven Reflexion. 124 Das heißt: der Geist der Materie ist ,In Logik seiner Philosophie eingeführt wird, sondern daß sie
im Grunde bei Schelling auch bereits das absolute Subjekt, .('Ihn dann weit darüber hinaus auch, ja man muß sagen: eben
während diese Reflexion, auch hier an dieser Stelle, selbstver- , \,ich zu dem wird, wovon er sie so geflissentlich unterschie-
ständlich bei Aristoteles nicht vorliegen kann. ' 1<"11 hatte, nämlich zu einer Art von Substanz.
Also, ich wiederhole: die Form ist eigentlich die Wirklich- Nun, - ich habe Ihnen die kritischen Bedenken gegen diese
keit, die EVEQYeW, während der Stoff die bloße Möglichkeit, 1 >111ge angeführt, weil es ja zu dem Verständnis einer Philoso-

IOO IOI
phie immer dazugehört, daß man sie kritisch durchdenkt. Ich ,, > einfach ist die Geschichte der Philosophie nicht. Sondern

halte es für ein völlig unmögliches Verfahren, in der Philoso- .1l' ist sehr merkwürdig komplex, das heißt: sie bewegt sich na-
phie etwas verstehen zu wollen, ohne daß man es gleichzeitig 1iirlich durch das M edium der Kritik hindurch , und es gibt

auch kritisiert; und ich hege


...~
immer den Arnwohn
~ ' daß dort ' „, ·hon die Widerlegung von falschem durch Kritik; aber diese
wo zwischen Verständnis und Kritik unterschieden wird ei- Widerlegung hat eigentlich fast nie den Charakter der Erledi-
gentlich so etwas Autoritäres dahintersteht: versteh' das' nur ~'. llllß, sondern die philosophischen Fragen haben allesamt et-
mal erst richtig, und bis du es dann recht verstanden hast wer- w;1s von dem Charakter der Stehaufmännchen, die dann in
den dir die kritischen Mu cken schon ausgetrieben sei~. Ich \'IT~inderten geschichtsphilosophischen Konstellationen wie-
halte das deshalb für so töricht, weil ja die philosophischen .\,T neu auftreten und ihre Antwort verlangen. Und ich
Sätze, die Philosopheme immer mit dem Anspruch aufWahr- :',l.tube, wer überhaup t verstehen will, was Philosophie als Ge-
heit auftreten und nur soweit verstanden werden können wie "' hichte, als G eschichte des Geistes, bedeutet, der muß dabei
man an ihnen diesen Anspruch auf Wahrheit mitvollzieht ,o der .111ch dieser merkw ürdigen Doppelschlächtigkeit innewerden:
nachvollzieht. D as kann man aber durchaus nur unter Einbe- .111fder einen Seite des kritischen Verhältnisses zur Philosophie
ziehung dessen, was ich eben mit Kritik bezeichnet habe - 1111d der Philosophien zueinander und auf der anderen Seite
nämlich indem man eben ihrem eiaenen b
Wahrheitsael~alt
b
t!cs prinzipiell Offenen und durch solche Kritik nicht erledi-
nachfragt. Daß m an überhaupt einen philosophischen Gedan- ! '.l'tld Abzuschiebenden; nun muß das inne haben, wenn Sie
ken oh11e Kritik, das heißt: ohne die Frage nach seiner Wahr- 111cht auf der einen Seite einem naiven Rationalismus der Phi-
heit, soll verstehen können, die ja gerade ihrerseits den Gehalt '' isophiegeschichte verfallen wollen oder auf der anderen ei-
aller philosophischen Lehren ausmacht, das halte ich für eine 11n ebenso naiven Ansicht von dem >ewigen Gespräch der
methodisch ganz unhaltbare und unmögliche Weise; und des- < ;cister< in der Philosophie über die Jahrtausende hinweg, das

halb erkläre ich Ihnen, indem ich Ihnen die »Metaphysik« des 11111 der Geschichte nichts zu tun hat. Beides ist nicht richtig,
Aristoteles entfalte, immer zugleich die springenden Punkte, "' '11dern diese beiden Extreme sind in einer sehr schwer, viel-
also die eigentlichen Probleme, die sich dabei ergeben im Sinn !, ·1cht abstrakt überhaupt nicht zu bestimmenden Weise in der
einer Kritik. - Ich möchte aber nun doch gerade an dieser < ;"schichte der Philosophie ineinander.

Stelle sagen, daß , während diese Kritik, die ich eben resümiert Um auf den Wahrheitsgehalt dieser Aristotelischen Lehre
habe, j a für ein durch die Erkenntnistheorie und Logik hin- 111 kommen, möchte ich Sie nur darauf hinweisen, daß bei
durchgegangenes Bewußtsein kein allzu groß es Kunststück K.111t, bei dem die Möglichkeit rein auf die Seite der Form ge-
ist, - daß gerade an dieser Stelle, an der der Aristoteles einem rngcn w ird, 125 etwas verkannt ist; und daß in der ganzen Er-
also, wenn Sie so wollen, am m eisten zumutet, do ch ein L1·1111tniskritik etwas verkannt ist, was Aristoteles gesagt hat,
außerordentlich großer Wahrheitsgehalt liegt. Und ich halte es .111-;gcsprochen hat, und was in dieser Weise dann erst wieder
für wichtiger, daß Sie nun, nachdem ich Ihnen diese Kritik 111 dn H egelschen Dialektik durchgebrochen ist, -wie manja
nicht unterschlagen habe, dieses Wahrheitsgehaltes innewer- 1 d inhaupt die Hegelsch e Dialektik gar nicht übel darstellen

den, als daß Sie nun also sich mitschreiben, daß an dieser Stt>lle l.1 i1111tc als die Wiederaufnahme des Prozesses zwischen Kant
der oder jener Fehler von Aristoteles b egangen worden sei, 11111 I Aristoteles auf einer höheren Stufenleiter; übrigens eine
den wir, die wir es so herrlich weit gebrac ht haben, ihm an- !\ 1il fassung, die sich aus der »Geschichte der Philosophie« von
kreiden können, und daß damit die Sache ad acta geleot sei - 1 kgd selbst ja durchaus belegen läßt. Es steckt nämlich in die-
b '

I02 I03
ser Aristotelischen Bestimmung der Materie als Potentialität \11111 einer Substanzenlehre; nämlich so, daß zwei ihrerseits als
etwas drin, was man vielleicht als den Realgrund oder, mittel- 1'rinzipien absolut gesetzte Wesenheiten, die Wesenheit f5). 17
alterlich gesprochen, als das fundamentum in re einer jeden 1111d die Wesenheit µoQcpf] , immer zusammenkommen müs-
Synthesis erblicken kann: daß also jede Form ebenso von ih- ·.,· 11, damit es so etwas wie die Wirklichkeit gibt. Aber er hat
rem Material abhängt wie umgekehrt, - während wir ja, unter 1
nknfalls in dieser Bezogenheit aufeinander als erster gesehen,
dem Einfluß der Kopernikanischen Wendung von Kant und tl .tf'. die Form trotz ihrer Selbständigkeit, die er ja geradeso
der daran anschließenden Entwicklung, allesamt so gedrillt 11.1,·hdrücklich mit Platon hervorgehoben hat, nur dann Form
sind, sozusagen die Materie als das von der Form Bedingte an- «111cr Wirklichkeit sein kann, wenn in der Wirklichkeit selbst
zusehen, also zu glauben, daß der Geist der Natur die Gesetze il 1r etwas entspricht. Und das ist die unbeschreibliche Entdek-
vorschreibt, wie die berühmteste Kantische Formulierung für k11ng von Aristoteles, die ich für wichtiger halte als die Hy-
diese Wendung heißt. 126 Es gibt keine kategoriale Form im 1"1stasen der beiden doch scheinbar bloß additiv miteinander
Sinn dieser Lehre des Aristoteles, der nicht korrespondierte 1·nknüpften Kategorien f5). 17 und µoQcpf], deren er sich bedient
ein Moment am Stoff, das sie verlangt. Aristoteles hat ge- l1.1t, um das auszudrücken. Nun, - um weiterzugehen: Stoff
wußt - und man kann das, glaube ich, überhaupt nicht nach- , 1li11e alle Form, reiner Stoff-wenn man so sagen dürfte-, der
drücklich genug betonen -, daß die sogenannten Synthesen, !wißt bei Aristoteles erste Materie, :TCQWf'Y/ fü.17 127 ; und das ist
also die Zusammenfassungen von Gegebenheiten in Begrif- 'In Punkt, bei dem nun auch bei ihm der Begriff des a:rtSlQOV,
fen, in Urteilen und in Schlüssen, nicht reine Zutaten, daß die ''"' Grenzenlosen, auftritt, aber dieses a:rct:lQOV besagt dabei
nicht reine Veranstaltungen des erkennenden Subjekts sind, 111,·hts was wir entfernt mit dem modernen Unendlichkeits-
sondern daß diese Synthesen nur möglich sind, wenn in dem, 1w"riff kontaminieren dürfen, sondern es bedeutet einfach
woran sie ergehen, also in der Materie, irgend etwas ihnen .l.1~ daß eine jede Bestimmung eines Gegenstandes ein :rct:l-
auch entspricht. Also wenn Sie urteilen (und dieses Beispiel '"'(I, ein Eingrenzen dieses Gegenstandes ist, während die
kommt so bei dem Aristoteles natürlich nicht vor), daß 4 + 3 = 11·111e i!ATf , die JrQWTTf i!ÄTf, die schlechterdings ohne alle solche
7 ist, dann steckt darin nicht nur die synthetische Funktion des l·111schränkung ist, als eine absolut unbestimmte eben keine
Bewußtseins, das diese Momente zusammenbringt, sondern < ; rc 11 ze findet. 128 Wobei aber - und das ist entscheidend- die-

es steckt darin ebenso auch ein Sachverhalt, der diese Art der ""' Keine-Grenze-Finden nun bei ihm nicht etwa, wie in der
Synthese erlaubt, - aber allerdings in der Form, daß wir ohne !'.t·,;1111ten neueren Philosophie, im Sinn einer Interpretation
die Urteilssynthese, die 3 und 4 zusammenbringt, von j enem 1·t111 Unendlichkeit als einem Transzendenten, über die Mög-
Sachverhalt nichts wüßten , daß also die Synthese notwendig IJ, likeit der b edingten Erfahrung Hinausgehenden interpre-
dazugehört; daß aber auf der anderen Seite diese Synthese 11nt wird. Sondern gerade umgekehrt ist es bei ihm so, daß
nicht möglich, daß der Satz 3 + 4 = 7 falsch wäre, wenn nicht .!1<"Sl' :rtQWrTf VATf deshalb, weil es ihr an Begrenzung fehlt, ein
ein, freilich von der Synthese nicht loszulösendes, Moment in llnliirftiges ist, das seiner Form bedarf. Also für das griechi-
der Urteilsmaterie, in dem worüber geurteilt wird, seinerseits ·.t 11<' Denken ist das Unendliche, wenn schon dieser Begriff

bereits enthalten wäre. 11 I ,, -rliaupt einmal erreicht wird, eigentlich nur ein Skandalon,
Das ist bei Aristoteles noch nicht in dieser, wenn Sie wollen: ,·111 Anstößiges, das seiner Form , seiner Bestimmung eben, erst
erkenntniskritischen Form gesagt, die ich eben dafür gewählt t ... , l.1rf. Die Bemerkungen, die in diesem Zusammenhang Os-
habe, sondern es erscheint bei ihm durchaus selber noch im " .d, 1Spengler über das plastische Lebensgefühl der Antike ge-

104 !05
macht hat, 129 die eigentlich die Wirklichkeit gerade nur in der Materie auch selbst eine Form, nämlich die begriffiiche Form,
Begrenzung des Unendlichen durch eine Form und nicht in 1nlciht, - das darf man nicht m.it dem Sinn dieser Form selber
der Unendlichkeit als solcher sieht, scheinen mir trotz all der 1nwechseln . Es ist das Eigentümliche des Begriffs der VArJ
Kanonaden an Kritik, die man deswegen über Spengler losge- , •1 kr des Begriffs der Materie, daß wir hier einen Begriff ver-
lassen hat, 130 gerade an dieser sehr zentralen Stelle der Aristo- IVl'llden oder von einem Prinzip reden, das seinem Sinn nach
telischen Philosophie gar nicht so abwegig zu sein, wie man , ·.nade das bezeichnet, was seinerseits nicht selbst Begriff, was
>unter besseren Leuten< darüber im allgemeinen zu reden ·.1 ·inerseits nicht selbst Prinzip ist; und nur wenn wir das ver-
pflegt. Es ließ e sich natürlich fragen, ob dieser Stoffbegriff, ·.11·hen, wenn wir also verstehen, daß der Sinn, der begriffiiche
also dieser Begriff der schlechterdings ungeformten Jr:Qdn:q '> illn eines solchen Begriffs wie dessen der VArJ das Nichtbe-
VArJ, nicht selbst bereits als ein B egriff eine Form sei, denn in- :'.ritHiche ist, dann verstehen wir zugleich korrekt, was mit
dem ich von dem Stoff als einer aQx ~, als einem Prinzip rede, , 1it·scm Begriff gemeint ist. Die Paradoxie, mit der man es hier
habe ich j a bereits von der Unmittelbarkeit des Stoffs selber 111 tu n hat, ist in letzter Instanz einfac h die, daß die Sprache
abstrahiert u nd ihn auf seinen allgemeinsten Begriff ge- , "kr das Begriffssystem, das wir.verwenden, ja nun seinerseits
bracht, - so daß also eigentlich Aristoteles, schon wenn er so .1 11,·h nicht von uns fetischisiert werden darf. Wir können zwar
redet, wie ich es Ihnen eben vorgetragen habe, nämlich von 1·111l nichts anders als durch die Sprache hindurch , vermittelt
der reinen Materie, der lrQWTrJ VArJ, die überhaupt keine f;orm .h1rch die Sprache reden, aber deshalb fallt die Sprache ihrer-
habe, redet, er eigentlich dem widerspricht, was er dabei sagt, ·.,·its ja auch wieder als ein Phänomen unter anderen in die ge-
weil die Rede davon selber bereits ein Geformtes sei. Auch "·1111t<.: Wirklichkeit hinein, ist selber ein Moment der Wirk-
diese Kritik unterschlage ich Ihnen nicht, aber auch hier IJt likeit und darf dieser gegenüber nicht hypostasiert werden.
möchte ich Sie doch darauf autinerksam m achen, daß bei t l 11d das steckt also darin, daß man - gleichsam im Gefängnis
bedeutenden D enkern überall da , wo sie sogenannte Fehler , In Sprache, abe r doch fahig, dieses Gefängnis als Gefängnis zu
machen, die wirklichen Probleme liegen, und daß es nichts ,., kennen - von einer schlechterdings formlosen Materie re-
Törichteres gibt, als sie dadurch abzufertigen, daß man diese ' lrn darf, obwohl die R ede von der formlosen M aterie ihrer-
Fehler so feststellt, wie ich es eben getan habe. Man muß .i ·it s bereits eine Form ist. - Ich habe Ihnen diese Dialektik
sich nämlich hüten vor dem - gerade an dieser Stelle beson- .1mgduhrt, weil ich glaube, daß das Philosophieren genau an
ders bedrohlichen - idealistischen Mißverständnis, daß Form , \, -r Stelle anfa ngt, die ich Ihnen eben gezeigt habe; nämlich an
deshalb, weil wir überhaupt von nichts reden können, weil wir , \, ·1 Stelle, wo man mit solchen bündigen Erklärungen wie: die
nichts haben, was nicht durch Form vermittelt sei, daß deshal b M.1terie als >erster Begriff< oder >erstes Prinzip<ist selbst bereits
nun die Fo rm das einzige sei, was überhaupt ist. 1, 1r111, infolgedessen hat der Begriff einer formlosen M aterie
M it dem, was ich Ihnen j etzt sage, möchte ich Ihnen etwas l. 1· 111c11 Sinn, - wo man sich damit nicht abspeisen läßt, son-
zur Grundfrage der Metaphysik sagen , wovon ich mir aller- ' 1.-rll daß m an an solchen Dingen eigentlich erst ansetzt und
dings einbilde, daß es über die historische Einführung in das 1\ 1·1tn reflektiert. Und wenn ich Ihnen die Differenz der Art
Verständnis des Aristoteles weit hinausgeht und daß es einen 11111 1)cnken, für die ich nun einmal stehe, von dem positivisti-
Zusammenhang betrifft, den man sich, um sich heute sinnvoll "' l1t·11 Denken unter diesem Aspekt zu bezeichnen hätte,
mit metaphysischen Fragen zu beschäftigen, vergegenwärti- 11 1ink ich sagen, daß das nicht-positivistische D enken genau
gen muß. Daß m an, wenn m an von Materie redet, dabei dieser , l.1" ist, das sich hier mit der bereits geronnenen Logik der Aus-

106 107

1
schließlichkeit, die sagt: entweder-oder, entweder vermittelt 10. VORLESUNG
oder unmittelbar, entweder Begriff oder rein unbegriffiich, 29. 6. 1965
nicht zufrieden gibt, sondern die Phänomene derart analy-
siert, daß solche Selbstverständlichkeiten wie die, die ich Ih- 1eh hatte in dieser Vorlesung wiederholt von dem Problem der
nen hier zuerst entwickelt habe, gerade ins Wanken kommen. Vermittlung bei Aristoteles gesprochen; mit dem Akzent, daß,
Es scheint mir das Einzigartige an den philosophischen Be- j e mehr man sich mit Fragen der Dialektik beschäftigt, das
griffen zu sein - und angesichts der Verzweiflung, die einen Problem der sogenannten Vermittlung sich immer mehr ins
über die Philosophie manchmal ergreifen kann, auch wahr- Zentrum drängt. Und ich wollte Ihnen gleichsam an Aristote-
haft, ja, nicht der >Trost der Philosophie<131 , aber wenigstens les den Ursprung dieser Problematik der Entwicklung aufzei-
der Trost über die Philosophie-, daß die Philosophie die son- gen, - wie j a überhaupt die Aristotelische »Metaphysik« von
derbare Eigenschaft hat, daß sie zwar selber verstrickt ist, daß mir nicht so vorgetragen wird, wie es wohl vielerorts ge-
sie zwar selber in dem Glashaus unserer Konstitution und un- schieht, nämlich als die unveränderliche ontologische Weis-
serer Sprache eingesperrt ist; daß sie aber trotzdem immer heit; sondern vielmehr unter dem Gesichtspunkt, daß Sie in
wieder vermag, über sich selbst hinaus, über diese Begrenzung dieser - verhältnismäßig noch nicht in sich selbst problemati-
hinaus und durch ihr Glashaus hindurch zu denken. Und ge- schen und dabei doch sehr geschliffenen - Philosophie wie in
nau dieses Denken über sich selbst hinaus, ins Offene, genau l' inem Reagenzglas die Probleme erkennen können, die dann
das ist Metaphysik. später, unendlich mehr differenziert und auch kompliziert,
durch die Geschichte der abendländischen Philosophie hin-
durch sich entfaltet haben. Das Vermittlungsproblem sieht
Aristoteles darin, daß er lehrt, daß das bloß M ögliche - und
1d1 erinnere Sie daran, daß bei ihm ja Möglichkeit gerade
11icht Form sondern Materie ist-, daß dieses bloß Mögliche,
11:imlich absolut Formlose, nie für sich existiert oder existieren
kiinnte. Es drückt sich darin eine Einsicht aus, die man dann
,p:iter im Idealismus in der reflektierten, subjektiv reflektier-
1,·11 Form ausgesprochen hat, daß auch Materie, soweit wir
iiher sie reden können, durch Bewußtsein vermittelt ist. Die
1:, irmen seien demgegenüber bei Aristoteles - und das ist das
1111verwandelte M oment an Platonismus, das in der Aristoteli-
,, ·hen Philosophie drinsteckt - unvergänglich und ewig; und
/War sei diese Unvergänglichkeit und Ewigkeit der Formen
,·111erjeden einzelnen zuzusprechen. Das ist, wenn Sie so wol-
il'Il, das rettende oder konservative M oment bei Aristoteles im
Widerspruch zu dem kritischen . Es wird nun vielen von Ih-
1w11 die Frage sich aufdrängen, wieso ein so überaus scharfsin-
111ger Denker wie Aristoteles, der ja schließlich der Begründer

108

j
der gesamten aben dländischen Logik ist, nicht darauf verfallen .!.1 bei ihre Zeitgenossenschaft - wenn ich also sage: alle die
sei, daß es keine Form ohne Geformtes geben könne, - ein Menschen, die in der Periode zwischen 1930 und 1950 eine
Einwand, der sich hier doch aufdrängt. Wenn ich schon die <'11tscheidende individuelle Rolle gespielt haben - selbst wie-
Reziprozität von Form und Inhalt herausstelle, dann ist es zu- ' kr ein allgemeiner Begriff, der von der besonderen Existenz
nächst für uns doch sehr überraschend, daß m an sagt, es kö nne di l'ser Menschen unabhängig ist. Das heißt: ich kann, um es
zwar keine M aterie, keinen Inhalt ohne Form geben, daß m an !'.;111z plump zu sagen , von dieser Zeitgenossenschafi: oder von
aber dieselbe Erwägung für die Formen nicht ebenso anstellt diesen drei Zeitgenossen reden, auch nachdem sie längst tot
und daß man den Formen ein Ansichsein zuschreibt. ,1nd; der Begriff ihrer Gleichzeitigkeit, das was die Begriffs-
Ich glaub e, es ist, wie in den meisten phil osophischen Fällen "inheit, di e drei politischen Zeitgenossen hi er definiert, das ist
dieser Art, gut und wird Sie auch, über das besondere Aristo- , Lt durch , daß ich daraus einen allgemeinen Begriff gebildet
telische Problem hinaus, in eine allgemeinere Problematik habe, seinerseits nun nicht ein Zeitliches, - sondern wir kön-
hineinführen, wenn wir versu chen, uns zu rekonstruieren, was 11L'll ad calendas graecas, beliebig lang, falls uns das locken
eigentlich Aristoteles, den wir ja, ich kann das nur imn1er wie- "illte, von diesen drei durch ihre Zeitgenossenschaft definier-
der sagen, nicht unter unfairer Ausnutzung unserer N achge- t <'I 1 M enschen sprechen. Es liegt also in dem Begriff eine
borenheit für dümmer halten dürfen als uns, dazu vermocht 111crkw i.irdige Entzeitlichung des darin Ge-meinten. D er Be-
hat, diese Doppelseitigkeit da, wo es um die Form geht, zu :•;riff als solcher, einmal statuiert, ist nicht zeitlich; er bezieht
übersehen. Ich glaube, wir m üssen dazu kurz reflektieren auf , ich zwar auf Zeitliches, hat seinen zeitlichen Inhalt, und eine
das Wesen des BegrifiS. Der Begriff ist bekanntlich die Ein- kritische Analyse wird dadurch auch in ihm selbst schließlich,
heit, die M erkmalseinheit der unter ihm j eweils befaßten Ele- .ils sein Sinnesimplikat, Zeit entdecken. Aber zunächst einmal
mente. Also: wenn ich drei Elemente habe, A mit dem Index i st der Begriff dadurch , daß er gebildet ist, vo n der Z eit unab-

1 , B mit dem Index 1 und C mit dem Index 1, dann ist 1 der li:ingig. Das hängt sicherlich zusammen mit denkpraktischen
Begriff für diese drei Elemente, weil er das an ihnen Gemein- V< irgängen, die sich in b estimmten Phasen der Menschheit ab-
same hervorhebt, und zwar lediglich nach Rücksicht dessen, !'.<"spielt haben: daß man nämlich gesucht hat, um überhaupt
was ich dabei als das Identische an diesen El ementen zu be- 111 sukzessive Verhältnisse irgendwelche Ordnung zu bringen,
zeichnen w ünsche. Nun hat diese Abstraktion von dem be- Nomenklaturen oder Denksysteme zu schaffen, die sich mit
sonderen Inhalt, die hier vollzogen wird, eine überaus merk- ,·illcr gewissen Konstanz gegenüber dem Zeitlichen behaup-
würdige Qualität, die wahrscheinlich auf dem Grunde vo n l « ll, das sie in sich einfangen. Nun sch eint mir an dieser
ungezählten, gerade auch metaphysischen und ontologischen ~tl'ile - und überhaupt in der gesamten Tendenz auf Ontolo-
Überlegungen ruht. Indem ich nämlich dieses, was ich eben !'.iL· als einer Lehre von Invarianten, von zeitlos Beharrendem -
» I« genannt habe, als den Begriff oder unter Umständen auch ' L1.s vorzuliegen, daß di ese Z eitlosigkeit des Begriffa, die ihrer-
als das Wesen der darunter befaßten Elemente bezeichne, sehe "·its vermittelt ist, nämlich vermittelt durch die Abstraktion;
ich dabei im allgemeinen von der besonderen Raum- und .1 bo die eigentlich eine adQ170tc;, ein Bedürftigsein, ein M an-
Zeitstelle der Elemente ab, die unter diesem Begriff befaßt 1·.«I des Begriffa ist; nämlich einfach das, was aus dem Begriff
werden. Und selbst wenn ich etwa unter dem Begriff des Zeit- l1nausfallt, damit er überhaupt gebildet werden kann, damit er
genossen einander vollkommen, extrem entgegengesetzte „1< h als konstanter erhält, - daß das nun dem Begriff als sein

Leute, sagen wir: Hitler, Stalin und Churchill, befasse, dann ist /\Ilsichseiendes und womöglich als seine >Positivität<, als seine

l IO III
Überlegenheit zugeschrieben wird. Die Reflexion, die dazu sr häftigt sich unter anderem auch mit der Frage der Unsterb-
führt, daß die Zeitlosigkeit des Begriffs selber ein Geworde- lichkeit der Seele, und es benützt dabei die moderne Gestalt
nes , ein Entsprungenes und nicht ein dem Begriff an sich Zu- 1cner Verselbständigung des Begriffs gegenüber der Abstrak-
kommendes ist, ist ihrerseits eine sehr späte Reflexion; und sie tion, also gegenüber dem subjektiven Akt seiner Hervorbrin-
hat in der in diesem Sinn exemplarischen Philosophie des Ari- gung, und sagt (wie es etwa Busserl wahrscheinlich auch
stoteles genausowenig ihre Stätte, wie sie eine Stätte hat in der würde gelehrt haben) , daß einer jeden Seele eines jeden indi-
Philosophie des Platon. Und das, was man nun als den großen viduellen Einzelmenschen auch ein Wesen dieser Seele ent-
Paralogismus überhaupt der Metaphysik, überhaupt der tradi- 'pricht; nämlich: daß man diese Seele >schauen<, sich ihrer ver-
tionellen Philosophie bezeichnen könnte, als den entschei- ·; ichern kann; ja, schlicht gesagt: daß man den reinen Begriff
denden Fehlschluß, das ist wohl nichts anderes, als daß diese von der Seele eines jeden Einzelnen gewinnen kann, ohne daß
Entzeitlichung des von den Begriffen Gemeinten, die durch dieses Wesen oder dieser Begriff von der Seele eines jeden
die Begriffsbildung erst hervorgebracht wird, den Begriffen l·:inzelnen, zu dem der Philosoph gelangen könne, nun zu-
als den Formen des darunter Befaßten an sich zugeschrieben s:11nmenfiele mit der tatsächlichen Existenz. Sondern durch
wird. die phänomenologischen Operationen kommt man also zu
Das also ist der Mechanismus, würde ich denken, der da- «i11em solchen reinen Begriff der Individualseele, aber unter
hinter steht, daß Aristoteles die Formen, die Begriffe als ein i\hziehung nun dessen, ob diese Seele tatsächlich vorfindlich
Ewiges und Unveränderliches gesetzt hat. Er hat das, was ih- i st. Ich kann mich, nach Husserl, alJ ihrer Qualitäten, ihrer
nen sozusagen durch die Abstraktion weggenommen wird, 1·„mzen konkreten Fülle versichern, ohne daß ich dabei die
dieses Moment der Entzeitlichung, das hat er ihnen als eine .'-;etzung ihrer Existenz, also ihres raum-zeitlichen Daseins,
positive Qualität, nämlich als ihre ontologische Priorität, als 111itvollzöge. Und das verhilft nun Herrn M aximilian Beck zu
ihr reines Ansichsein zugeschlagen. Und der Schluß, den er 1·i11cr ungemein einfachen und verblüffenden Lösung der
hier- und Platon vor ihm - begeht, unter dessen Suggestion ist,
kann man sagen, eigentlich das gesamte abendländische Den-
ken gewesen; und selbst die Hegelsche Philosophie hat dieser
l 1'r:ige der Unsterblichkeit; er sagt nämlich: diese Seele, dieses
Wesen >Seele<, also dieser Begriff von der Seele eines jeden
1·111zelnen Menschen mit seiner ganzen Konkretion, dessen
Illusion nicht gän zlich sich entschlagen können . Ich habe die 11 lt mich versichern kann, der ist - ewig. Also wenn von ir-
Absicht, Ihnen wenigstens an einem ganz kurzen Modell zu 1·.rndjemandem, der hier in der ersten Reihe sitzt, ein Phäno-
zeigen, zu welchen Ungereimtheiten diese Übertragung der 11w11ologe einen solchen Begriff seines Wesens oder seiner
Begriffsstruktur auf das Sein führt. Es ist vielleicht 30 Jahre her, «;<"de hat und wenn der adäquat ist, dann kann dieser Begriff
vielleicht etwas weniger, daß in der Emigration von einem so- 1 lll'mals untergehen; er überdauert; er ist auch dann objektiv

genannten Philosophen namens Maximilian Beck, der aus der !'.iiltig, wenn weder ein Mensch lebt, der ihn hat, noch ein
phänomenologischen Schule hervorgegangen war, ein Buch <'111pirischer Mensch, auf den er sich bezöge. Und insofern,
erschienen ist, das hieß nicht weniger als: »Psychologie. Wesen ·.. 11~t er, als dieses Wesen, diese Wesen eines jeden individuel1en
und Wirklichkeit der Seele« 132 . Dieses Buch- das auch, abge- Mrnschen von dem raum-zeitlichen Schicksal unabhängig
sehen von dem, was ich Ihnen berichten wilJ, zu den reinsten -.111d, kann man sagen, daß es Unsterblichkeit gebe, - diese
Quellen der Heiterkeit gehört, die ich in der an solchen Quel- Wc·srn eines jeden Individuums sind unsterblich. Dagegen die
len gar nicht dürren philosophischen Literatur kenne - be- .-111zdnen M enschen, die einzelnen Individuen - sagt herab-

II2 II3
lassend Herr Beck -, die sind natürlich sterblich, und das hat l1.1t auf der anderen Seite doch das Moment der Verselbständi-
damit überhaupt nichts zu tun; es ist auch sterblich das indivi- !'.llllg des Begriffs, der Hypostase des Begriffs ebenfalls in sich
duelle Bewußtsein, der individuelle Leib, die individuelle Psy- 111sofern, als es bei ihmja nun wieder - und das ist fast prä-Ari-
chologie der Menschen. Nichts anderes als die konkrete, aber ·,1 otelisch - reine Formen gibt, ohne das sie überhaupt For-
von aller Existenz gereinigte Möglichkeit, der reine Begriff ei- 111cn eines möglichen Inhalts sein sollen. - Ich hoffe, daß ich
nes jeden Menschen ist unsterblich. Und das soll das Problem Ihnen durch diese Erwägungen ebenso das merkwürdige Phä-
der Unsterblichkeit lösen, - während die Menschen selber ab- 11omen aufgeklärt habe, wieso auf die Vermitteltheit der Form
solut nichtig und zu vernichten sind. bei Aristoteles nicht reflektiert wird, wie ich Ihnen damit auch
Ich glaube, Sie brauchen sich nur einmal eine Sekunde lang, !'.Liube gezeigt zu haben, daß diese Verselbständigung der
meine Damen und H erren, zu vergegenwärtigen, was eine 1;orm wenn man sie ernst nimmt; das heißt, wenn man sie
solche Theorie bedeutet gegenüber dem Unsterblichkeitsan- iihcrhaupt auf ein so Wesentliches wie etwa den Begriff der
spruch oder gegenüber der Hoffimng auf Rettung, die in den l Jnsterblichkeit überträgt, - daß sie dann Folgen hat, deren
großen Religionen ausgesprochen war, um sich darüber klar Widersinn nicht geleugnet werden kann.
zu werden, wie hier die Hypostasis des Begriffs als eines Ewi- Nun hat diese Hypostasis der Form bei Aristoteles selbst die
gen und Unvergänglichen einfach zu einem Betrug wird, zu Konsequenz, die eigentlich das ganze System des Aristoteles
einem Betrug über das, wofür ein solcher Begriff an einer sol- 111sammenhält oder bedingt oder wie Sie das nennen möch-
chen Stelle einstehen soll. Nun, hier handelt es sich um die l\"ll, - nämlich dadurch, daß diese Form, diese reine Form als

Läppischkeit eines wild gewordenen Phänomenologen; aber , liL· reine Aktualität oder reine Wirklichkeit von ihm so gefaßt
es ist ja oft so, daß man, ich möchte sagen: an pathogenen Phä- wird, wie ich es Ihnen dargestellt habe, wird sie zu der Kraft,
nomenen mehr erkennt als an sogenannten normalen, - wie , lil' allein den Zweck -ro o-Ü EVEXa - in den zerstreuten Ein-
also hier an diesem unsagbar läppischen Trost. Was hat man tl·kiingen verwirklicht. Sie wird also zu einer causa finalis, zu
schon davon, wenn der Begriff von einem, irgendwie aus logi- <"llH.T Endkausalität, von der aus sich der Weltprozeß konstitu-

schen Gründen, unsterblich sein soll, wenn man trotzdem 1nt. Und man könnte sagen, daß so, wie das Verhältnis von
nichts anderes als ein Aschenhaufen ist? Hier ist also die Ab- Wirklichkeit und Möglichkeit bei Aristoteles auf eine seltsame
surdität und zugleich das armselig Aufgeblähte, das einer sol- WL·ise auf den Kopf gestellt ist, - daß in einer analogen Weise
chen Lehre einen Begriff wie Unsterblichkeit verkoppelt, of- .111d1 das Verhältnis von Zweck und Ursache bei ihm auf den
fenbar. Aber ich sage das nicht, um gegen den Herrn Beck zu 1-.:\)pf gestellt ist: insofern als die Zwecke eigentlich die einzi-
polemisieren, sondern ich sage das lediglich, weil ich glaube, l'\"ll und wahren Ursachen sind; und demgegenüber das, was

daß etwas von dem, was hier so eklatant wird; daß etwas von ·1;1.1n gewöhnlich mit Kausalität bezeichnet, bei ihm, wie wir
diesem Betrug um das, was mit einer Frage wie der nach der \i;ild hören werden , eine sehr schlechte Presse hat. Nur ist das,
Unsterblichkeit, die ja schließlich eine der zentralen metaphy- wil' ich es Ihnen eben generell gesagt habe, zu undifferenziert.
sischen Fragen überhaupt ist, angestellt wird, - weil sich das l ·s "ibt nämlich bei Aristoteles vier Arten von Ursachen , -
bereits bezieht auf die erhabenen Lehren der großen Philoso- ,.·111~ Einteilung, die dann die gesamte mittelalterliche Philoso-
phen von Platon und Aristoteles bis zu Thomas von Aquin 1il1il' hindurch in Kraft geblieben ist und .~ie noch wieder-

und, wenn Sie wollen, auch zu Descartes. Und erst Kant hat l.111n111t bei Schopenhauer in der Arbeit Ȇber die vierfache
sich dieser Art von H ypostase eigentlich entwunden , aber er Wmzcl des Satzes vom zureichenden Grunde«. Es soll also bei

II 4 II 5
ihm geben erstens die materiale Ursache, - wobei material , 111e m erkwürdige Spannung und Schwierigkeit in dem Be-
und formal hier nicht in dem Sinn gebraucht werden, in dem 1·.ritr der vJ..17 bei Aristoteles, die auf der einen Seite herabge-
wir sie gewöhnlich logisch brauchen, sondern im Sinn eben ·.1·1zt, entqualifiziert, in j eder Weise, auch moralisch, abge-
des Gegensatzes von fü77 und µooqnj, den ich Ihnen ja ausführ- l.. 111zelt wird, und auf der anderen Seite jener merkwürdigen
lich entwickelt habe ; und die materiale Notwendigkeit, das ist 1\Jl11ahme, die diesem der Form gegenüber Heterogenen
die, die aus der M.17, also aus dem Stoff stammt, soweit er blo- , l.11m doch so etwas wie eine Art von Beseeltheit, Tendenz,
ßer Stoff ist, soweit er ein noch nicht geformter ist. Hinzutre- ·.•>gar Drang in gewisser Weise zuschreibt. Das hat natürlich
ten dann die Klassen der formalen Ursache - also die, die in .111ch seinen Grund. Denn indem er den Stoff, wie ich es Ih-
der µoQ<pYJ gelegen ist-, die der bewegenden Ursache und die 1w11 entwickelt habe, als eine reine Möglichkeit faßt, die eben
der Endursache, ebenjener causa finalis,jenes rE.A.oi:;-, von dem ·,,·Jbst kategorial vermittelt ist - das was möglich ist: darin
ich Ihnen bereits gesprochen habe. Es ist nicht schwer einzuse- ·.1t·cktja im Grunde der Begriff immer schon drin; was mög-
hen, und ist in der Geschichte der griechischen Philosophie 111 ·!1 ist, ist ein Seiendes, das bestimmt ist in bezug auf ein ande-
schon relativ früh erkannt worden, 133 daß die drei letzten Klas- 11·s. das es noch nicht selber ist-, deshalb hat der Begriff der
sen von Ursachen, nämlich die formale als die µoQ<pYJ, die be- 11·i11en Möglichkeit in sich bereits eine Art von Bestimmtheit,
wegende als das, was überhaupt alles was ist auf sich hin rich- die strikt nach der Aristotelischen These ihm nicht zukäme,
tet, und schließlich die Endursache als die höchste, - daß die .J11rch die er aber, wenn er einmal die fJJ,. 17 als Möglichkeit zur
alle dieselben sind und daß sie, wenn man sie radikal reduziert, I ·• irm faßt, das heißt als das, was so ist, daß ihm die Bestim-
eigentlich alle mit der vierten üb ereinstimmen. So daß man 1111111g durch ein anderes ja wenigstens vorgezeichnet ist in ei-
also sagen kann, daß, trotz dieser >vierfachen Wurzel des Satzes 1H·111 solchen Sinn, - dadurch ist er also gezwungen, über diese
vom Grunde< bei Aristoteles eigentlich nur die beiden duali- v, irstellung, daß die Möglichkeit ein reines leeres X sei, so wie
stischen Hauptkategorien der f)}.17 und der µoQ<pi/; oder viel- ,J,,· fü17 zunächst erscheint, hinauszugehen. Tatsächlich
leicht würde m an besser sagen: der ovvaµii:;- als der bloßen, im ·.1.11 mnt bei ihm nun aus diesem Stoff selber sehr viel mehr an
Material gelegenen Möglichkeit, und der EvEQYEta als der Ak- J ·, 1r111bestimmungen, als man ihm zunächst zutraut. Zunächst

tualität, die sich darin verwirklicht, - daß nur diese beiden bei 11 :i111lich verlegt er in diese Möglichkeit des Stoffes das, was wir
Aristoteles vorkommen. Ursprünglich gibt es also bei ihm ei- , l.11111 später in dem szientifisch-naturwissenschaftlichen Sinn
gentlich nur den Dualismus von Form und Stoff, der seine ge- 111i1 Notwendigkeit bezeichnet haben, mit Kausalität oder,
samte »Metaphysik« in einer ähnlichen Weise beherrscht, wie "''"der griechische Terminus lautet, die avayx17.
er in der modernen Philosophie seit Descartes dann wieder zu 1)ie avayx17 ist der mythische Begriff der Verflochtenheit
dem bestimmenden Dualismus des metap hysischen Denkens ilks Lebendigen zu einem Schicksal, in dem alles seine Buße
geworden ist. 11.1<"11 der Ordnung der Zeit zu zahlen hat, wie es in dem be-
Nun aber kompliziert sich das dadurch, daß das Vermit- 11il11nten Spruch des Anaximander lautet 134 . Und der Begriff
telnde in der Philosophie des Aristoteles, auf das ich so großen , J,„ r1vayxry ist, wie alle mythischen Begriffe, ursprünglich
Wert lege, sich darin zeigt, daß zwar alles Bestimmte auf die • 11 ll" naturphilosophische Kategorie, das heißt: die Rationali-
Seite der Form gezogen wird, daß aber trotzdem der Stoff - ·.11 Tung oder Säkularisierung einer Lehre von den beseelenden
und das hatte ich mehrfach bereits antezipiert - weit mehr 1\ 1:iltcn der N atur. Und dieser mythisch-naturhafte Ursprung
wird als die bloße Möglichkeit, die er bei ihm sein kann. Es ist 'In rivayx17 , der Notwendigkeit, der hat sich dann bei ihm

II6 rr 7
eben darin erhalten, daß er diese Art der Notwendigkeit dem K ;1tegorie des Zufalls auch an, - gewissermaßen als Menetekel
Stoff zuschreibt, - und gerade nicht, wie es dann in der neue- , 1.-ssen, was an Sinnhaftigkeit, an innerem Zusammenhang
ren Philosophie, also bei Kant vor allem , der Fall ist, dem re- .l11rch die Vorherrschaft der Kausalität entzogen wird. Das hat
flektierenden Subjekt. Es ist auch selbstverständlich dem Ari- ·.wher auch seine gesellschaftlichen Gründe: daß nämlich bis
stoteles niemals beigekommen, diese Naturnotwendigkeit, ltcute mit dem Anwachsen der Rationalität der Mittel in der
diese O.vayxr; als ein bloß konventionell Subjektives zu be- ,„cscllschaftlichen Organisation die Zwecke der gesellschaftli-
trachten; sondern die Substantialität der Kausalität als des , lll'n Organisation irrational, zufallig geblieben sind. Und die-
Schicksals ist wohl überhaupt einem antiken Menschen nie- „,.s Verhältnis prägt sich eben in der Korrelation von Kausalität
mals problematisch geworden. Das ist eigentlich genau der 1111d Zufall aus, dieja neuerdings in einer merkwürdigen Kon-
Punkt, an dem die Antike über die Reflexion ihrer eigenen wrgenz sich befinden, seitdem in der Mikrophysik, in der
mythologischen Vorstellungen nicht hinausgelangt ist. Es l )uantenmechanik das Gesetz der Wahrscheinlichkeit, das ja
scheint mir mm außerordentlich bezeichnend, daß er noch et- 111it dem Zufall aufs ti efste verbunden ist, das Problem der
was anderes dem Stoff zurechnet, nämlich das, was wir mo- Kausalität zu verdrängen beginnt. 135
dern den Zufall nennen würden, - wofür es bei ihm zwei Be- Sie sehen also, daß Aristoteles denn doch der - von ihm ei-
griffe gibt, einmal n~imlich avr6µarov, also das, was sich aus ! '.l'lltlich zum völlig Abstrakten degradierten - vJ..r; viel mehr
sich selbst bewegt; und dann ri!x17, worin wieder die mythi- 'lt mutet, als man meint; sie wird gewissermaßen das Reposi-

sche Vorstellung von dem drinsteckt, wie's einen halt so trifft. 1orium, die Zufluchtsstätte derjenigen mythischen Katego--
Ich weise Sie nur gerade darauf hin - ohne daß ich dieses r ll'll, die durch den Fortschritt der griechischen Aufklärung,

äußerst zentrale Problem hier verfolgen möchte-, daß die Be- 1111d vor allem eben der Aufklärung, der Rationalität von Pla-
griffe der Kausalit;it als Naturkausalität und des Zufalls, die 11>11 und Aristoteles selbst, ausgeschieden worden sind. Und
scheinbar einander doch strikt entgegengesetzt sind, immer in dirn~ beiden Momente nun: also die blinde, nicht sich selbst
der Philosophie in einer gewissen Weise miteinander gesellt durchsichtige Naturkausalität, die nicht Gedanke ist, also das
gewesen sind; das heißt, daß deshalb, weil die Gesetzmäßigkeit Moment der Blindheit der Kausalität, gegenüber dem dJ..o~-,
der Naturkausalität den inneren Zusammenhang der aufein- , In Teleologie, die so ist, als ob sie der Gedanke eines Schöp-
ander folgenden Momente, wie ihn Aristoteles durch seine l 1 -rs wäre, - das geht, ebenso wie der Zufall, auf Aristoteles zu-
Teleologie zu bezeichnen trachtet, ja nicht erreichen kann, 1iick; diese Momente haben nun bei ihm in seiner »Metaphy-
behält alles, was kausal ist, immer auch zugleich ein Moment ·.ik« die Funktion, daß sie die Zwecktätigkeit der reinen Form,
des Zufälligen. Und es gibt- das ist vielleicht noch wichtiger- , In /lOQcpi] oder schließlich des >unbewegten Bewegers< 136 ein-
stets dem Moment der Kausalität gegenüber dann auch alle ·..-liränken. Sie haben hier also ein Grundschema der gesamten
jene Momente, die sich unter das Identitätsprinzip nicht sub- .1hcndländischen Metaphysik vor sich; Sie können das w ie un-
sumieren lassen und die dann nach der Allherrschaft des Iden- 1,-rm Mikroskop beobachten: den Unterschied von Natur-
titätsprinzips des Denkens als äußerlich und als zufallig er-
scheinen müssen. Also es besteht eine seltsame Korrelation
zwischen Kausalität und Zufall; und je rücksichtsloser in der
l k.1usalität und Teleologie, die gegründet sei aus Vernunft oder
·'" 'Freiheit. Diese Lehre also von einer Kausalität aus Freiheit,
11:i111lich aus einem von der blinden avayxr7 unabhängigen
Welt die Herrschaft der Kausalität, des kausal-mechanischen l lnvußtsein, die geht auf den Aristotelischen Dualismus zu-
Denkens wird, um so mehr wächst mit dieser Entwicklung die :1
.:! r iick und reproduziert sich dann im Kantischen.
137
Sie wird

II8 II9
dann allerdings, sobald die Dichotomie von Form und Stoff , 1.tll es keine philosophische Kategorie gibt, die nicht nach der
einmal in Fluß gerät, also beide als durcheinander vermittelt Struktur des Denkens, in dem sie erscheint, nach dem Total-
erscheinen, - auch diese Antithese von Kausalität und Freiheit n 1sarn.menhang, in dem sie auftritt, eine andere Bedeutung
wird dann so in Fluß geraten, wird so dynamisiert, wie es bei l1:itte, als ihre generelle ist, - und gerade auf diese spezifische
Hegel der Fall ist. Sie können, damit möchte ich schließen, \lcdeutung kommt es eigentlich beim Verständnis von Philo-
zugleich hier sehen, wie ein metaphysisches Thema wie das ·.1 >phie an.
der Freiheit, und ich nannte Ihnen zu Anfang der Vorlesungja
als eines der Grundthemen von Metaphysik überhaupt eben
dieses Thema der Freiheit, - wie dieses Thema der Freiheit
seinerseits abhängt von der Metaphysik der Seinsstruktur; wie
also die Freiheitslehre in der Gestalt, in der wir gewohnt sind,
sie zu denken, aufkommt überhaupt nur durch jenen unver-
mittelten Gegensatz von für; und µoecp~, der das Eigentümli-
che der Aristotelischen Philosophie ausmacht. Metaphysik,
das können Sie vielleicht jetzt einsehen, besteht also - und
deshalb habe ich Ihnen die Struktur der Aristotelischen »Me-
taphysik« relativ ausführlich dargestellt -, Metaphysik besteht
nicht, wie es Ihnen erst erschien, als ich Ihnen so in einer 1
io
rhapsodischen Liste die sogenannten Hauptthemen der Meta-

~i
physik nannte, in der isolierten Behandlung dieser Themen;
sondern Metaphysik ist jeweils deren Strukturzusammenhang
und schließlich die Tendenz auf ihre Vereinheitlichung oder
auf ihr System hin. Und Sie werden sehen, daß auf der Höhe
f:
der Aristotelischen »Metaphysik« der Begriff der Einheit dann "
tatsächlich auch entsteht. 138 Sie können also Metaphysiken
nicht verstehen, indem Sie sich sozusagen vornehmen, wie
nun diese einzelnen metaphysischen Themen: Sein, Gott,
l
Freiheit, Unsterblichkeit - was es nun sein mag, bei den ein-
zelnen Philosophen abgehandelt sind; sondern Sie können je-
weils diese Kategorien nur verstehen nach dem Stellenwert, 1
den sie in einer Philosophie insgesamt haben. Und wenn ich
Ihnen einen Rat geben darf für Ihr eigenes philosophisches
f
Verständnis, dann ist es der, daß Sie zwar sich immer anstren- 1
#1\
gen, die philosophischen Kategorien möglichst streng und
präzis als das zu verstehen, was sie an Ort und Stelle bedeuten l
und bewirken; daß Sie aber gleichzeitig sich darüber klar sind,

120 I21
II. VORLESUNG 11cn sie auftraten , während sie nun wie Denk-Selbstverständ-
6. 7- 1965 lichkeiten behandelt werden, die einer näheren Rechtferti-
gung gar nicht mehr bedürfen und die eben dadurch sich selbst
Ich hatte Ihnen von den Bestimmungen des Stoffs in der Ari- i11s Unwahre verwandeln. Das gilt in besonderem Maß eben
stotelischen »Metaphysik« gesprochen und von der Negativität liir den Gegensatz von Stoff und Form bei Aristoteles, von
dieser Bestimmungen, wie sie sich am drastischesten in dem , Jcm man wohl sagen kann, daß er die gängigen Dualismen der
Begriff der Naturkausalität und des Zufalls darstellt, - als wel- so übermachten Vorstellungsweise präformiert hat in einem
che bei Aristoteles Qualitäten der VA.17, und nicht etwa der Maß, von dem man gar nichts weiß. Es ist wirklich wie mit
µoQcpf;, also Qualitäten der ovvaµt~, der abstrakten Möglich- dem Monsieur Jourdain aus dem »Bourgeois gentilhomme«
keit (würde Hegel sagen) sind, und nicht der tviQyt:ta, der von Moliere, dem sein Rhetorik-Lehrer klarmacht, daß es
konkret gewordenen Ideen. Auf dem Stoff beruht nun, Ari- 1wei Arten zu sprechen gibt, nämlich Prosa und Vers, und der
stoteles zufolge, überhaupt alle Unvollkommenheit der Natur. ihn dann fragt: »Ja , was spreche ich?« Da sagt der: »Prosa«, und
Alle die Vorstellungen von der trägen Materie, von der rudis , ta sagt der Jourdain dann ganz stolz: »Ja, mein Gott! dann habe
indigesta moles, wie es bei dem lateinischen Dichteru9 heißt; 1d1 mein ganzes Leben lang Prosa geredet und habe es nicht
schließlich auch in der Sublimierung: alle Vorstellungen von l'in mal gewußt!« 140 Also, - so reden wir alle unser ganzes Le-
dem bloß Seienden, vom Geist und vom Sinn Unberührten hen lang Aristoteles und >haben es nicht einm al gewußt<, nur
und Verlassenen, gehen auf diese These des Aristoteles, daß ,laß das nicht ganz so harmlos ist wie die Prosa des guten Mon-
die Materie Schuld an der Unvollkommenheit der Welt trage, sieur Jourdain.
zurück. Ich glaube, man macht sich gewöhnlich kaum eine Etwa also der Unterschied der Sphären des Himmlischen
Vorstellung davon (und ich darf Sie vielleicht wenigstens dar- und des Irdischen, der dann in der christlichen Doktrin so
auf aufmerksam machen), in welchem Maß Vorstellungen des /L'ntral geworden ist und der in der Geschichtsphilosophie des
sogenannten alltäglichen Lebens, wie ich sie mit >Geblök< zu Augustin zum ersten M al gewissermaßen zu einer Hierarchie
bezeichnen pflege: also, was so einer dem anderen nachredet, , k s innerweltlichen Geschehens geführt hat, 141 - der weist un-
was so in Leitartikeln und Nicht-Leitartikeln in Zeitungen als 111 ittelbar auf eben diese Aristotelische Dichotomie, auf diesen

Selbstverständlichkeit vorgetragen wird, - wie sehr fast alle Aristotelischen Dualismus zurück. Und sogar wird bei ihm
diese Vorstellungen, mit einer literatursoziologischen Katego- 11:1ch demselben unterschieden die Kategorie des Männlichen
rie zu reden: herabgesunkenes Kulturgut der Oberschicht 1111d des Weiblichen; wobei die höhergearteten, formgeben-
sind; will hier sagen: einfach Residuen der großen Metaphy- ' kn, gestaltgebenden Kategorien - wie es in einer patriarcha-
sik, der großen Philosophie, die dadurch, daß sie aus ihrem ur- 1ischen Gesellschaft nur allzu selbstverständlich ist - alle mit

sprünglichen gedanklichen Zusammenhang herausoperiert , Inn Männlichen gleichgesetzt werden und .das bloß Stoffli-
worden sind; dadurch, daß ihr Strukturzusammenhang, von ' hc, bloß Seiende mit dem Weiblichen. Nun, Sie alle habenja
dem ich Ihnen gegen Ende der letzten Stunde sprach, in Ver- 111 der Schule es ei nmal über sich ergehen lassen müssen, daß
gessenheit geraten ist, dann den Charakter einer scheinhaften 1rµ;cndein gebildeter Lehrer Sie darauf aufinerksam gemacht
Selbstverständlichkeit annehmen. Einer bloß scheinhaften liat, daß die Stämme mater und m ateria miteinander zusam-
Selbstverständlichkeit, weil sie ihr Maß an Evidenz oder an 111cnhängen; und Sie werden sich auch daran erinnern, daß er
Stringenz ja eben nur den Strukturen verdankt haben, in de- , L1rüber ein Triumphgeheul angestimmt hat, - auch dieses

122 123
Triumphgeheul ist also ein Echo aus der »M etaphysik« des li ehe Rolle sollte gespielt haben . Nämlich gerade dad urch,
Aristoteles. Dahinter steht selbstverständlich die Unterschei- daß die Materie Widerstand leistet; daß also ein j eweils bloß
dung zwischen dem naturbeherrschenden Prinzip und der ' t·iender Zustand erstarrt ist, daß er das ist, was dann in der
von diesem naturbeherrschenden Prinzip unterdrückten und, ' P~iteren Philosophie >bloß seiend< heißt, - gerade durch die-
als unterdrückte, als amorph vorgestellten Natur. M an könnte st·n Widerspruch zu seinem Potential soll, dieser Lehre zu-
also übertreibend sagen, daß die Welt der für; bei Aristoteles l(ilge, die Bewegung eigentlich bewirkt oder ausgelöst wer-
die von Bachofen matriarchal genannte Vorstellungswelt der den; wie man es etwa geschichtsphilosophisch sagen kann,
Vorzeit ist, während die Logoswelt, die Welt eben der olympi- wenn man sagt, daß gerade durch die unmäßige Verhärtung
schen Götter, die Welt des zentralisierenden Prinzips bei ihm der absolutistischen Zustände in Frankreich, die weitergegan-
mit der µ oQcpi} gleichgesetzt wird. Und Sie werden hören, daß !~c n ist als in allen anderen Ländern, dann im Jahr 1789 die Re-
dieser Gedanke des zentralisierenden Prinzips noch in einem volutio n ausgelöst worden ist: so daß also gerade di e besondere
weit strengeren Sinn bei ihm zutrifft, als es in dem hervortritt, Starrheit eines solchen gesellschaftlichen Verhältnisses, ihr
was ich Ihnen eben angedeutet habe. Das Wesentliche zu- Widerstand gegen die EVEQYEW, im wörtlichsten Sinn eigent-
nächst einmal, was dem Stoff zugeschrieben wird, ist aber sein lich zur Ursache des ihm Entgegengesetzten, nämlich der ra-
Widerstand gegen die Form, und dieser Widerstand soll dem dikalen Veränderung gemacht wird.
Aristoteles zufolge das erklären, was für seine Thematik be- Weiter soll nur der Stoff bei Aristoteles, nur dieser denn
sonders wichtig ist: nämlich den spezifischen Charakter der doch als eine Art von selbständigem Prinzip aufgefaßte Stoff
Veränderung oder der Entwicklung, die von ihm als eine nur liei Aristoteles es ermöglichen, daß die untersten Artbegriffe,
allmähliche gedacht wird. 142 Im Grunde haben Sie hier schon 'l ie wir haben: also der Begriff>der Hund< oder der Begriff'> der
das spätere Problem der christlichen Theologie, wieso die von Mensch<, in eine Unzahl, in eine Vielheit von Individuen sich
Gott geschaffen e Welt nicht gleich eine göttliche Welt, wieso .111fspalten, di e dann ihrerseits selbst gewissermaß en kein All-
sie nicht gleich vollkommen sei, - und zwar eben beantwo rtet !•;cm eines mehr in sich haben, - wenn Sie dabei denken an die
im. Sinn dieses dualistischen Prinzips, das da sagt, daß das Ge- 111crkwürdige Vorstellung des Aristoteles, über di e ich Ihnen
schaffene der reinen Identität mit dem Schöpfer widerstehe wiederholt gesprochen habe, daß er nämlich das Konkrete sich
oder in irgendeiner Weise widerstrebe. Sogar das dem dann .ils eine Art Summe aus dem absolut unb estimmten und be-
zugeordnete ergänzende M o tiv, das auf der anderen Seite in !~riffiosen Seienden auf der einen Seite und seinem Begriff auf
der Materi e, in dem Geschaffenen selber so etwas wie ein 1 lvr anderen Seite zusammenaddiert vorstellt. Man könnte mit

Drang zu dem obersten Prinzip hin vorhanden sei, 143 auch das <·iniger Ü bertreibung sagen, daß bei Aristoteles der Stoff gera-

finden Si e in der Aristotelischen »M etaphysik« dann angelegt. 1 kzu das principium individuationis sei, - und nicht, wie wir

Es gibt hier - wenn Sie so wollen; ohne daß dieser Begriffbei !'.<' neigt sind zu denken, die Form, durch die ja ein Besonderes
Aristoteles thematisch wäre oder daß darauf reflektiert ,iJs Besonderes überhaupt erst bestimmt wird. Bei ihm ist aber
würde - objektiv bereits einen Ansatz von Dialektik. Und es 1'.nade diese Besonderung, als das mit seiner Form nicht Identi-
würde mich nicht wundernehmen, wenn bei H egel, den man ~; , ·hc oder noch nicht voll Identische, der Grund von Individua-
j a als eine idealistische Reprise des Aristoteles sehr wohl be- lion schlechthin . 144 Damit wird die Individuation bei Aristote-
zeichnen kann, auch dieses Aristo telische M otiv in seiner l1·s zu einem Negativen. Und auch das ist eine Grundthese der
Kon zeption des Weltprozesses oder des Absoluten eine erheb- 1·.1·samten abendländischen M etaphysik, wie Sie sie wiederfin-

124 1 25
den etwa noch bei Kant, indem Erkenntnis gleichbedeutend dem, was einem andersgearteten Prinzip, dem des Geistes,
ist mit der Bestimmung eines Gegenstandes in seiner Allge- entgegengesetzt ist, daß sie dabei, indem sie eben den Stoff zu
meinheit und Notwendigkeit; und wie Sie es dann bis zum einem Prinzip machen, wenn Sie so wollen: den Stoff selber
Extrem ausgeführt finden bei Hegel, wo ja das Substantielle al- entstofflichen. Das worauf der Begriff Stoff zielt, das was allein
lein das in der Individuation sich durchsetzende Allgemeine den vernünftigen Inhalt, die vernünftige Bedeutung des Be-
ist, -während das, was der Identifizierung mit dem allgemeinen griffs Stoff ausmacht, ist ja eben gerade das Nichtbegriffliche.
Prinzip sich entzieht, dann als das schlechthin Nichtige, Ephe- Und es gehört zu den erstaunlichsten Charakteristika, die der
mere und Gleichgültige gilt. - Ich glaube, ich brauche Ihnen Begriff überhaupt hat, daß er, während er selber Begriff ist,
nicht an dieser Stelle auszuführen, was das Kernthema meiner immer doch auch etwas bezeichnen kann, was nicht selbst Be-
Vorlesung im vergangenen Semester gebildet hat 145 : nämlich griff ist; ja, daß er - wenn man der Ineinander-Fundiertheit
die unabsehbare Folge dessen, daß die Allgemeinheit, das lo- der Intentionen nachgeht - ein solches Nichtbegriffliches
gisch Allgemeine zu dem positiven metaphysischen Prinzip schließlich immer meinen nn!ß. Bei der Wendung, die die ge-
und das Individuierte und Besondere zu dem negativen ge- samte philosophische Tradition im Anschluß an den Aristote-
stempelt worden ist. Wenn an irgendeiner Stelle die soge- lischen Dualismus genommen hat, ist es nun so, daß unter der
nannte große philosophische Tradition zur Ideologie sich her- Hand dadurch, daß anstelle der Stoffe der Allgemeinbegriff
gegeben hat, dann ist es genau an diesem Punkt gewesen. Das >Stoff< tritt, der Stoff bereits selber auch zu dem gemacht wird,
sich durchsetzende Allgemeine, die reine Form, das ist ja je- was er gerade nicht sein soll: zu einem Begrifflichen. Qua
weils die Form der gesellschaftlichen Herrschaft in abstracto; Stoff werden immer nur Bestimmungen erkannt, die eigent-
und durch diese Bestimmung wird gleichsam den stärkeren lich solche begrifflicher Art sind. 147
Bataillonen der Weltgeschichte von vornherein Recht gege- Die Konsequenz, die das dann für die Philosophie gehabt
ben. Hier schon haben Sie die Gleichsetzung des Allgemeinen k1t, ist eigentlich hier bereits die idealistische, wie man denn
mit dem Guten. Sie können sagen - und Zeller hat mit Recht iiberhaupt wohl ohne Übertreibung sagen kann, daß Aristote-
gerade darauf hingewiesen 14<• -, daß durch solche Bestimmun- les ein objektiver Idealist war und es nur noch nicht gewußt
gen des Stoffs, durch solche Bestimmungen antithetischer Art, hat, - wenn Sie mir die saloppe Redeweise durchgehen lassen.
wie Aristoteles dem Stoff sie verleiht, der Stoff zu dem wird, Mit anderen Worten also: dadurch, daß ich vom Stoff immer
was eigentlich das Gegenteil dessen ist, was der Begriff Stoff 11ur in Begriffen reden kann, auch wenn diese Begriffe selber
ankündigt: nämlich daß der Stoff bei ihm zu einem zweiten, 111ci11e11, was gerade nicht stofflich ist, dadurch ist bereits vorbe-
mit eigener Kraft ausgestatteten Prinzip wird. Auch das hat r,·itet jene Identifikation jeglichen Stoffes mit dem Begriff;
dann später - und ich suche heute besonders diejenigen Mo- ·;d1ließlich die Auflösung aller Materie in Begriffliches, die
mente von Aristoteles Ihnen bewußt zu machen, die in dem l(eduktion aller Objektivität aufs denkende Subjekt, in der
Vorstellungsschatz sich niedergeschlagen haben und die dann , l:inn später die idealistische Konstruktion der Philosophie be-
in einem unabsehbaren Maß die gesamte philosophische Tra- ~Lmden hat. Die Betrachtungen, die ich angeschlossen habe an
dition beherrscht haben-, auch das hat seine ungemein weit- ,·i11ige der hervorragendsten Bestimmungen und Charakteri-
gehenden Folgen gehabt; nämlich die, daß die Menschen ver- ·;1 iken der Aristotelischen Rede vom Stoff, machen im Rück-
gessen haben, wenn anders sie es je gewußt haben, daß , wenn blick nun doch plausibler als im bloßen genetischen Sinn,
sie von dem Stoff im allgemeinen handeln, von dem Stoff als 11:illllich im Sinn des Unterschieds eines Wissens für uns und

126 127
eines Ansichseins, warum bei Aristoteles das erste Sein, die wie Veränderung überhaupt möglich ist. Und diese Verände-
JrQWT1J ovaia bald dem reinen, das heißt formlosen Einzelwe- rnng oder die Bewegung, die wird von ihm abgeleitet aus dem
sen, dem r6ÖE n qua vA.17 zugeschrieben wird und warum es Verhältnis von Form und Stoff; das ist sozusagen das Resultat,
bald die Form selber sein soll. Nämlich dadurch, daß bei ihm das er einheimst von seiner Ontologie, in der diese Momente
vermöge dieser Relation, die in dem Dualismus von Form 1111terschieden werden. Es soll gewissermaßen aus einer Grund-
und Inhalt gesetzt ist, der Inhalt, der Stoff selber zu einem be- struktur des Seins selbst, nämlich aus dem im Sein selbst gelege-
reits mannigfaltig, wenngleich antithetisch Bestimmten 11en Dualismus von fJJ,.17 und ,UOQcpYJ abgeleitet werden, wieso es
wird, - dadurch kommt es dann zustande, daß er nie so ganz mm selber das Veränderliche gibt. Das Veränderliche selbst soll
weiß, ob er diesem nun den Charakter der JrQWTrJ ovaia zu- !;leichsam aus dem Unveränderlichen herausgesponnen wer-
schreiben soll, weil es ja doch auch ein Etwas mit ganz be- den, - ein Problem, das ja dann später ebenfalls im Hegel wie-
stimmten Eigenschaften ist; oder ob er, wie es nun allerdings derkehrt, dessen »Logik« ebenso eine prima philosophia, also
im Hauptzug der Aristotelischen »Metaphysik« liegt, diese Be- l'ine Ontologie wie, auf der anderen Seite, eine Dialektik, also
stimmung der JrQWTrJ ovaia lediglich der µoQcpYJ oder der l'ine radikal durchgebildete Entwicklungslehre ist. Auch diese
svl:QyEw reservieren soll. 1 >oppelschlächtigkeit der Philosophie auf ihrer späteren Höhe

Aus dem Verhältnis nun von Stoff und Form geht bei Ari- ist also durchaus in der Aristotelischen Philosophie angelegt.
stoteles die Bewegung oder die Veränderung überhaupt her- Die Antwort, die Aristoteles auf diese Frage erteilt, wird Sie
vor; die Veränderung nämlich alles dessen, was einen Stoff 11ach all dem, was wir zu der Aristotelischen »Metaphysik« ge-
hat, - wozu Sie korrelativ hinzudenken müssen, daß das, was s;1l!;t haben, nicht mehr erstaunen: es ist nämlich die, daß Be-
keinen Stoff hat, was reine SvEQYEW ist, eben deshalb keiner w~·auna
b b'
und zwar Bewegung ...._,
oder Veränderung nach oben,
Veränderung unterliegt. Die reine Aktualität, könnte man sa- .ilso die fortschreitende Amelioration, die fortschreitende Ver-
gen, der actus purus ist - und das ist die oberste Paradoxie die- liesserung alles dessen was ist im Sinn seiner fortschreitenden
ser Philosophie - gleichzeitig das Ewige. Es ist anzunehmen, l lestimmung durchs Allgemeine, gleich sein soll dem Wirk-
daß der eigentliche Zweck der Aristotelischen »Metaphysik«, 1ichwerden des Möglichen, sofern das Mögliche der Natur-

oder lassen Sie mich besser sagen: daß das eigentliche Interesse krnsalität entgegengesetzt sein soll. Das ist eigentlich der Ari-
der Aristotelischen »Metaphysik« überhaupt darin lag, die stotelische Zentralsatz. Und dieser Satz, daß Bewegung das
Veränderung des Seins oder des Seienden, die mit zunehmen- Wirklichwerden des Möglichen sei, impliziert in Wahrheit
der empirischer Wissenschaft - und er war ja ein empirischer lineits die berühmte Hegelsche These von der Geschichte als
Wissenschaftler - immer unabweislicher sich aufgedrängt hat, , km Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit. 148 Ich erinnere
irgendwie zusammenzubringen mit dem Platonischen Mo- Sie daran, daß die Bestimmtheit durch die µoQcpYJ ja gerade der
ment der Ewigkeit und Unveränderlichkeit der Idee. Es durch die avayx17, also der blinden Naturnotwendigkeit ent-
herrscht latent in seiner Philosophie etwas wie ein Wider- !'."gengesetzt sein soll. Und übrigens steckt auch darin, wenig-
spruch zwischen dem eleatischen und platonischen Element stens implizit, die Umkehrung (wie sie bei Hegel selbst vor-
der Seinslehre zu dem mit wachsender griechischer oder hel- kommt) jenes Hegelschen Satzes 149 von der Wirklichkeit des
lenistischer Aufklärung unverkennbaren Moment der Verän- Vernünftigen. Zeller zitiert hier, um das zu formulieren, eine
derung. Und deshalb ist eigentlich die ganze Konstruktion der Stelle, die allerdings ihrerseits nicht in der »Metaphysik«, son-
Aristotelischen »Metaphysik« abgezielt auf dieses Problem: 1 Inn in der »Physik« steht:

128

j 129
iJ TOfJ OVVaµEl OVWc; EVTEA EXE:W f; TOtofJTOV!SO. stehen, warum die Entstehung der modernen Naturwissen-
schaft: in so wesentlichem Maß eine Emanzipation von Ari-
Also : daß das, was etwas ist seiner Möglichkeit nach, daß das stoteles - nämlich von der Lehre von der Wirklichkeit der
wird vermöge seiner Entelechie; daß also das Wirklichwerden 1:ormen und der von dieser Lehre abhängigen Teleologie -
des Möglichen die Bewegung sei. Aristoteles läßt es sich sehr gewesen ist. Es steckt darin schon das Motiv des voll entfalte-
angelegen sein , nicht etwa bei diesem Satz über die Bewegung ten Idealismus, daß die Bewegung des Einzelnen zum Absolu-
in abstracto stehenzubleiben, sondern er fühlt an dieser Stelle ten hin dieses Absolute eigentlich bereits voraussetzt. Also nur,
schon die N ötigung zur Vermittlung oder, wie man ja wohl wenn man sich vorstellt, daß von Anfang an in jeder Bewe-
auch sagt, zur Konkretion; und er fragt deshalb, wieso es zu ~ung das, wohin es sich bewegen will, zugleich auch das Agens
dieser Bewegung überhaupt kommt. Dab ei argumentiert er der Bewegung sei, - nur unter dieser Voraussetzung ist die Be-
so: der Anstoß zur B ewegung kann nur von etwas kommen, wegungstheorie des Aristoteles überhaupt eigentlich ver-
was das schon ist, was das Bewegte durch seine Bewegung erst st:indlich. Und genau diese Wendung: nämlich in Gestalt von
werden soll. Das ist nun eine, ja, ich würde sagen: typisch ratio- ( ;eist, vermöge einer erkenntnistheoretischen Reflexion,
nalistische Konstruktion aus dem reinen Begriff von der Art, diese Voraussetzung zu explizieren und zu zeigen, wie das , was
wie Sie sie in der Philosophie des 17.Jahrhunderts immer wie- ;111 sich von Anbeginn wirksam ist, dann auch an und für sich
der finden werden; die auch ausgesetzt ist natürlich der gesam- sich manifestiert, ist tatsächlich der Versuch der Hegelschen
ten Kantischen Kritik an der Folgerung aus reinen Begriffen . »Logik« gewesen, von der man deshalb in einem sehr exakten
Ab er in diesem Sinn, daß also aus reinen Begriffen gefolgert und strengen Sinn sagen kann, daß sie gleichsam das ontologi-
wird, war Aristoteles ja nun wirklich durchaus Rationalist. sche Programm der Aristotelischen »Metaphysik« durch eine
Und wenn später die Philosophie, deren Wesensmerkmal das t rmszendentale, also subjektiv gerichtete Analyse versucht
Verfahren ist, aus reinen Begriffen Schlüsse, Sätze abzuleiten, habe einzuholen.
nämlich die mittelalterliche Scholastik, auf Aristoteles zurück- Jede Bewegung setzt Aristoteles zufolge zweierlei voraus:
greift, so ist das kein äußerliches historistisches Verhältnis. ,·i n Bewegendes und ein Bewegtes. Und das gilt ihm zufolge
Sondern an genau diesem entsch eidenden Punkt ist wirklich, sogar für das sich selbst Bewegende. Selbst da, wo wir von ei-
wenn Sie so wollen, das Denken des Aristoteles bereits schola- 11em sich selbst Bewegenden reden können, finden wir in die-
stisch gewesen; also etwa in einem Satz wie dem, den ich Ihnen sL'lll sich selbst Bewegenden zwei verschiedene Elemente oder
sagte: daß der Anstoß zur Bewegung nur von etwas kommen l'rinzipien: das Bewegende und das Bewegte. Diese Lehre ist
kann, was das scho n ist, was das B ewegte durch seine Bewegung mm bei Aristoteles auf den Menschen gemünzt, sie bezieht
erst werden soll. Das setzt ja eine quasi vernünftige, zweckge- sich auf den Menschen, der ja das einzige sich selbst bewe-
richtete Strukturiertheit, inwendige Bestimmtheit der Mo- gende Wesen ist, von dem wir - abgesehen von den Tieren -
mente, sowohl des Bewegenden wie des Bewegten, voraus, iiberhaupt wissen können. Und an dieser Stelle, - daß also der
von der die gesamte moderne Naturwissenschaft sich dann ge- Mensch zerfalle in zwei Prinzipien: nämlich in das bewegende
rade emanzipiert hat. Und we nn Sie sich einen solchen Satz l'rinzip, welches das höhere, das immaterielle und das geistige
konfrontiert vorstellen mit dem Verfahren etwa der klassi- se i, und in das bewegte, nämlich stoilliche Prinzip, darauf geht
schen kausalmechanischen Physik, wie sie mit dem N amen 1·1gcntlich nun (um Ihnen auch hier wieder zu zeigen, wie
des Newton für uns verbunden ist, dann werden Sie auch ver- se hr wir alle Aristoteles reden, ohne es zu wissen), darauf geht

j
130 131
zurück die gesamte Gestalt des Dualismus von Leib und Seele, dem ich Ihnen sprach: daß nämlich bereits der Stoff selber,
das sogenannte Leib-Seele-Problem , so wie es das abendländi- ohne es zu wissen, seiner reinen M öglichkeit nach, bereits
sche Denken durchherrscht und wie es dann im Rationalis- Geist sei. D enn nur als ein solches Geistiges kann ihmja diese
mus des 17. Jahrhunderts von Descartes an unmittelbar thema- bgµiJ zugeschrieben werden, die sich dann allmählich bei ihm
tisch geworden ist. Der gesamte spätere Substanzendualismus verwirklichen soll.
von Leib und Seele und damit die ganze Frage, wie diese dua- Und dieses Bedürfnis des Stoffes nach der Form, das wird
listischen Momente Leib und Seele miteinander zusammen- von ihm bestimmt als das Bedürfnis nach dem Guten oder
hängen, das ist eigentlich als Problem zum ersten Mal und mit nach dem Göttlichen. Also die Identifikation der Form als des
aller Schärfe formuliert worden in dieser, wie soll man sagen: Allgemeinen, des Guten als der moralischen N orm und des
ontologischen Anthropologie, die den M enschen selbst in ein Göttlichen als des höchsten metaphysischen Prinzips, diese
bewegendes und ein bewegtes oder stotlhaftes Prinzip ausein- Identifikation ist in der »Metaphysik« des Aristoteles bereits
andernimmt. Das Bewegende ist auch dabei das Aktuelle oder vollzogen . Und auch das ist dann durch das Christentum sozu-
die Form, und das Bewegte ist auch dabei das Potentielle oder sagen zu einer Allgemeinvorstellung geworden, die wir im all-
der Stoff. Die Form, also die l:vigyew, veranlaßt allein den gemeinen einfach vermöge unserer Bildung hinnehmen,
Stoff dazu - trotz der Widerstandsmomente, die in ihm enthal- ohne auf ihren Zusammenhang mit einer spezifischen Philo-
ten sind-, auf sie sich hinzubewegen . Wobei man im übrigen sophie und damit auf die ihr implizite philosophische Proble-
sagen muß, daß bei Aristoteles, der wie alle wirklich bedeuten- matik eigens zu reflektieren . Nun sagt er, daß wo Stoff und
den Philosophen mehr darum bemüht war, die Phänomene Form sich berüh ren immer und notwendig Bewegung entste-
auszudrücken, als sich um eine möglichst lückenlose und mög- hen müsse. 152 Dieser Satz von der Berührung von Stoff und
lichst widerspruchsfreie Zusammenfassung der Phänomene 1:orm gehört nun wieder, man könnte fast sagen: zu den Ari-
zu bemühen, - wobei man also, sage ich , nicht außer acht las- stotelischen Archaismen; also zu denjenigen Elementen seines
sen darf, daß bei Aristoteles die Frage nach dem Verhältnis 1)enkens, zu den M omenten seines Denkens, die wir uns nur
zwischen dem , was man vielleicht die immanente Tendenz sehr schwer vergegenwärtigen können, weil j a nun wirklich
der M aterie nennen könnte, und dem entgegengesetzten hier plötzlich diese beiden Momente Stoff und Form wie zwei
Prinzip des Widerstandes der Materie gegen die Form nicht absolut voneinander verschiedene Prinzipien getrennt und
vollständig artikuliert, nicht vollständig ausgearbeitet worden dann nachträglich zusammengebracht werden, - was eben
ist. Denn während ich Ihnen zuvor auseinandergesetzt habe, aber damit zusammenhängt (worauf ich Sie überhaupt wie·-
daß der Stoff wesentlich als das widerstehende, antithetische derholt hingewiesen habe und woran ich Sie hier erinnern
und insofern dialektische M om ent bestimmt sei gegenüber darf), daß dadurch , daß die subjektive Reflexion ja bei Aristo-
der Wirklichkeit der Form, ist es nun so, daß er gleichzeitig teles wesentlich unterbleibt, er des Abstraktionscharakters so-
dem Stoff selbst (ich glaube, ich habe ;<m Anfang darauf einmal wohl seines Formbegriffs wie seines Stoffbegriffs als eines
bereits hingewiesen, und auch auf die Verwandtschaft dieser l'rinzips eigentlich gar nicht innewird und deshalb diese bei-
Theorie mit der späteren von Schelling) Lo 1, daß dem Stoff den Momente hypostasiert. Es ist das Merkwürdige und im-
selbst ein Verlangen, ein ogiywiJm oder eine bgµiJ nach der 111er wieder Aufregende und Irritierende an der Aristoteli-
For m als dem Guten oder Göttlichen zugeschrieben wird, - sc hen Philosophie, daß er gleichzeitig zwar die R eziprozität
was natürlich wieder hinweist aufjenes H egelsche Motiv, von von Form und Stoff, ihr Aufeinanderverwiesensein erkannt

132 133
hat, trotzdem sie aber so getrennt behandelt hat, daß dies Auf- 12. VORLESUNG
einanderverwiesensein trotz allem ein bloß äußerliches Ver- 8. 7. 1965
hältnis bleibt und daß nicht ihre Vermittlung in sich erkannt
wird. Sie sind zwar vermittelt in der Weise, daß eigentlich das Ich hatte Ihnen in der letzten Stunde gesagt, daß bei Aristote-
eine nicht ohne das andere sein kann - mit einer sehr entschei- les in der »M etaphysik« Bewegung entsteht durch die B erüh-
denden Ausnahme, von der wir in der nächsten Stunde n och nmg von Stoff und Form. Und ich hatte Sie darauf aufinerk-
zu reden haben werden-, daß aber auf der anderen Seite dann sam gemacht, daß darin das additive Moment dieser beiden
doch dieses Verwiesensein nicht so ist, daß das eine Prinzip in Grundkategorien bei ihm sehr deutlich zutagetritt. Das heißt:
sich selbst als Bedingung sein er Möglichkeit das andere ent- n weiß zwar, daß eines nicht ohne das andere vorkommt- so-
hält. Und diese Äußerlichkeit, die wird Ihnen gewissermaßen weit hat er die Idee der Vermittlung konzipiert-, aber er sieht
sinnfallig demonstriert in eben der Lehre des Aristoteles, daß diese Vermittlung dann doch nicht innerhalb der Kategorien
nun wirklich von außen her diese beiden Prinzipien sich be- sdbst, sondern nur in ihrem Amalgam . - Es ist vielleicht gut,
rühren, wie wenn es zwei -j a, man müßte fast sagen: zwei ver- wenn ich hier, wo wir uns dem Ende unserer Betrachtungen
schiedene Stoffe wären, wenn das nicht gar zu paradox klänge; iiber Aristoteles nähern, etwas nachtrage, was ich Ihnen viel-
und daß also Bewegung nun durch dieses Zünde11 entsteht, leicht hätte früher sagen sollen und was vielleicht auch das
wenn die beiden miteinander zusammenkommen. Es ist Verständnis erleichtert hätte. Wenn Sie solche Begriffe wie
leicht, sich über das etwas Mythologische dieser Vorstellung Stoff oder Form hören, und das gilt eigentlich nicht nur für
post festum heute zu mokieren, aber wenn Sie noch einmal den Aristoteles, sondern für die gesamte antike Philosophie
sich die Grundstruktur vergegenwärtigen, die ich mich so sehr und für ihr Verständnis, dann weiß man in einem gewissen
angestrengt habe, Ihnen in dem ersten Teil dieser Vorlesung Sinn nicht ganz genau, woran man ist. Ich hatte auf das Pro-
klarzumachen , dann werden Sie sehen, daß diese Naivetät, blem wenigstens angespielt, als ich Ihnen gesagt habe, 153 daß,
diese scheinbare Naivetät selber die notwendige Frucht dieser wenn Aristoteles von Stoff spricht, er dabei den Begriff des
Grundstruktur ist. StoffS für den Stoff selber unterschiebt und daß diese Unter-
Und nun wird weiter die entscheidende Frage für Aristo te- schiebung, diese Subreption - wie Kant es würde genannt ha-
les - und damit kommt man zu dem Kernproblem der Verbin- ben - dann das Vehikel ist, das es ihm erlaubt, den Stoff selber
dung von Dynamik und Ontologie-, wie es denn strukturell / ,ll einer Art von zweitem Prinzip zu machen. Nun ist es mit

mit dieser Bewegung als mit dem Verhältnis dieser beiden .dl diesen Kategorien in der Antike etwas M erkwürdiges. Es ist
Momente bestellt sei. Aber damit möchte ich heute lieber gar 1hnen, nehme ich an, aus der Geschichte der Philosophie we-
nicht mehr beginnen. 11igstens vaguement vertraut, daß man bei den ältesten der
griechischen Philosophen, den ionisch en Naturphilosophen,
von H ylozoismus spricht, 154 also von der Beseelung von Na-
turkategorien. Und Sie werden sich erinnern, daß da auch
wirklich physikalische und metaphysische Wesenheiten, also
physikalische Begriffe und metaphysische Wesenheiten in ei-
11er m erkwürdigen Weise ineinander sind, - was natürlich da-
111it zu tun hat, daß die antiken Begriffe j a wesentlich säkulari-

134 135
sierte Götter sind. Etwas von diesem archaischen Schwanken griffe naiv einfach in unsere eigene Art der Begrifilichkeit
dieser archaischen Zweideutigkeit hat sich in der gesamte~ ii bersetzen, in der sich nun doch viele Jahrhunderte mathema-
griechischen Philosophie erhalten. Und man versteht sie tischer Naturwissenschaft und damit viele Jahrhunderte der
überhaupt nicht recht, wenn man die Distanz zu ihr, von der Ausrottung dieser animistischen oder hylozoistischen Züge
ich Ihnen zu Anfang dieser Vorlesung schon einmal gespro- niedergeschlagen haben.
chen habe, 155 verletzt und einfach diese Begriffe in unsere Be- Nun ist die eigentliche Pointe der Aristotelischen Philoso-
griffe übersetzt. Wenn also bei Aristoteles von Stoff die Rede phie, die sich auf den Begriff der Bewegung bezieht, die fol-
ist, dann ist das weder der philosophisch sublimierte Stoffbe- gende: er lehrt, daß nicht nur Form und Stoff an sich selber ein
griff oder Materiebegriff, wie er in der neueren Philosophie Ewiges sind, sondern daß auch das Verhältnis, in dem Form
vorkommt, noch ist er auch einfach mehr der als beseelt ge- und Stoff zueinander stehen, ein ewiges sei. Wie ich Ihnen in
dachte Stoff der Vorzeit; sondern diese beiden Momente, also der letzten Stunde auseinandergesetzt habe, macht die Erklä-
das metaphysische und das physische, sind in all diesen Begrif- rung der Bewegung, der Dynamik ja das eigentliche Interesse
fen noch gar nicht so ganz streng geschieden. Diese Scheidung des Aristoteles aus, der ein bereits weitgehend aufgeklärtes
selber gehört einer erst relativ späten Stufe der Reflexion an, und dynamisiertes hellenistisches Denken noch mit dem Pla-
die allerdings entscheidend vorbereitet worden ist durch jenen tonischen Begriffsrealismus zusammenbringen möchte. Diese
radikalen Dualismus von Stoff und Form, Himmlisch em und
l
l'igentürnliche Situation prägt sich nun also bei ihm darin aus,
Irdischem, Leib und Seele, von dem ich Ihnen in der vorigen daß er versucht, in seiner Ontologie, in seiner Wesenslehre
Stunde gesprochen habe. Wenn Sie also Schwierigkeiten ha- 11un auch die Dynamik zu fassen. Und das geschieht eben
ben - Schwierigkeiten, wie sie logisch ganz unleugbar sind,
sich von selbst verstehen-, so etwas wie das zu begreifen, was
ich Ihnen in den letzten Stunden von den verschiedensten
Seiten her beleuchtet habe: daß nämlich der Materiebegriff
bei Aristoteles selbst ein Moment des Prinzips nicht nur mit
einem eigenen Wesen, sondern auch mit einer Art von imma-
' durch das, was ich Ihnen andeutete: daß nämlich auch das Ver-
lifünis von Form und Stoff - und nicht nur diese beiden We-
Sl'nheiten an sich selber - ein Ewiges sein soll. Diese These des
Aristoteles hat eine unabsehbare Konsequenz für die Ge-
schichte der Philosophie gehabt. Wenn bei Hegel gesagt wer-
drn kann (auch davon war schon die Rede) 1 sr,, daß seine Phi-
nenter Tendenz habe, dann ist wohl die tiefste Erklärung für losophie gleichzeitig als Dialektik eine Dynamik und als
diese Schwierigkeit im Aristoteles (und ich will ja versuchen, 'il'.inslehre eine Ontologie, daß sie also zugleich statisch und
Ihnen wenigstens die Schwierigkeiten so gut es geht aufzuhel- dynamisch sei, dann ist auch das eine, wenn Sie wollen, Fort-
len) , so ist wohl der tiefste Grund für die Schwierigkeit solcher bildung oder Sublimierung einer der Grundthesen der abend-
Begriffe der, daß in ihnen dieses Hylozoistische, daß also der l:indischen Metaphysik, die Sie in Aristoteles vorgebildet fin-
Stoff changiert zwischen einem, ja: archaisch Beseelten und ' kn. Aber nicht genug daran: diese Lehre von der Ewigkeit im
einem reinen Begriff, - daß das darin immer noch nachklingt. Verhältnis von Stoff und Form und damit die Lehre von der
Und wir begehen einen anachronistischen Fehlschluß, wenn l ·: wigkeit der Bewegung hat auch in unserer eigenen Zeit
wir, wo es darum geht, solche Philosophien zunächst einmal liiihliche Urständ gefeiert in der Theorie von Heidegger, die
zu verstehen, ehe wir kritisch uns mit ihnen abgeben - ob- die Geschichtlichkeit oder die Zeitlichkeit als eine Invariante,
wohl ich glaube, daß beides nicht ernsthaft sich trennen läßt - .ds ein Existenzial, also als eine Grundbefindlichkeit des Da-
aber wir begehen immerhin einen Fehler, wenn wir diese Be~ 't· ins zu fassen sucht. 157 Es ist offenbar immer so, daß , wenn die

136 137

j
D ynamik der Gesellschaft, die im Gedanken sich reflektiert, wird statisch. Und der Goethesche Satz, daß alles Streben, alles
dazu führt, daß die Annahme von Invarianten problematisch 1>rängen ewige Ruh' in Gott dem Herrn sei, t s~ hat eigentlich
wird, daß dann die Philosophie die Tendenz hat, jene Variabi- ;1uch sein Modell an dieser Aristotelischen Theorie, - auch
lität, die Veränderung selber zu einer Invariante zu machen, - dies zum Beleg dafür, wie sehr diese Aristotelisch en Begriffe
und auf diese Weise also noch die Veränderung in die Lehre ei- wirklich, ja, man muß sagen: abendländisches Gesamtgut ge-
ner statischen Ontologie hineinzunehmen und zu retten. Und worden sind; oder, anders ausgedrückt, wie sehr das, was dem
das ist denn auch genau das, was bei Aristoteles geschieht, der unreflektierten Bewußtsein innerhalb unserer Kultur vorge-
ja auf der einen Seite ein teleologischer Entwicklungsphilo- geben wird und was es deshalb für eine Selbstverständlichkeit
soph und auf der anderen ein Seinsphilosoph, ein Ontologe kilt, wie sehr das abhängig ist von einer höchst bestimmten
gewesen ist. Er hat aus dieser Schwierigkeit sich eben dadurch l'hilosophie; und, was natürlich viel wichtiger ist, wie sehr
herausgezogen, daß er die Veränderung selbst ontologisiert sein Wahrheitsgehalt, seine Geltung selber abhängt von der
hat, wie wir heute sagen würden , - und zwar nun auch er wie- ( ;eitung der Philosophie, von der solche Thesen sich herlei-
der mit der Konsequenz, daß durch diese begriffliche Mani- ten. 159 - Ich wiederhole noch einmal, daß auch hier, wo es
pulation, dadurch, daß er die Veränderung auf ihren Begriff sich um die Begriffe das Bewegende, die Bewegung, die Ver-
bringt und dadurch stillstellt, in Wirklichkeit die Veränderung :inderung, die Ewigkeit der Bewegung handelt, daß es sich
selbst aus diesem Denken eskamotiert wird; daß die Verände- hier um ein Schließen aus reinen Begriffen, ohne Rücksicht
rung dadurch, daß sie gewissermaßen in eine Seinsverfassung .1uf ihre sinnliche Erfüllung, handelt. Und in diesem Verfah-
umgedeutet wird, zugleich konkret neutralisiert wird derart, ren, aus den reinen Begriffen zu schließen, eigentlich mehr als
daß also gegenüber dieser allgemeinen Veränderlichkeit die in dem expliziten Inhalt der Lehre vom Vorrang des Allge-
konkreten Veränderungen gar nicht mehr ins Gewicht fallen. 111einen über das Besondere, spricht eben das begriffsrealisti-
Wie es ja im übrigen durchaus in Übereinstimmung sich be- sche oder antinominalistische Moment in Aristoteles sich aus,
findet mit jener Grundthese des Aristoteles, die ich Ihnen aus- während wir ja bisher sehr viel Gelegenheit hatten, mit dem
einandergesetzt habe: die nämlich den Rang des Allgemeinen entgegengesetzten Moment, also dem nominalistischen, ge-
gegenüber dem Besonderen als eine metaphysische und auch rade uns abzugeben. Der letzte Grund der ewigen Bewegung
als eine moralische Priorität interpretiert. llltn müsse, dieser Art des Schließens gemäß , seinerseits ein
Der Grund, den nun Aristoteles angibt für diese Ewigkeit Unbewegtes sein, sonst kämen wir zu einem regressus ad inde-
des Verhältnisses der beiden Grundkategorien und damit für linitum. Es ist für die antike Scheu vor dem Unendlichkeitsbe-
die Ewigkeit der Bewegung selber - wie sie im übrigen ja on-
tologisch schon konzipiert war bei Heraklit-, ist kein anderer,
1 ~ •;riff, 160 die man wirklich mehr als eine Scheu denn als eine
111athematische Unkenntnis sich wird vorzustellen haben, sehr
als daß die Entstehung wie das Verschwinden dieser Bewe- , harakteristisch, daß die Tatsache, daß, wenn man ein solches
gung, also dieses Verhältnisses zwischen beiden, wieder sei- l lnbewegtes nicht am Anfang annähme, sondern mit einem
nerseits nur durch eine Bewegung bewirkt werden könne, - so 1111endlichen R egreß rechnen müsse, daß das ausreicht bei
daß also unter allen Umständen, wie man es auch denkt, die d1111, die Annahme des >unbewegten Bewegers< zu begründen
Bewegung eine ewige sei. Daher also die Lehre, daß die Bewe- 'H fcr, wie es bei ihm heißt, eines 0.'XlVYf'WV XlVOVV , also eines

gung nie begonnen haben könne und nie aufhören könne. \clbst unbewegten Bewegers aller Dinge, - womit wir den
Auf diese Weise wird das Dynamische selbst zur Invariante, l°Jbergang von der Aristotelischen Metaphysik zu dem ge-

139
macht haben, was man vielleicht mit Aristotelischer Theolo- 111 abwerfen, wenn ich es so vulgär ausdrücken darf-, es
gie bezeichnen kann. 1.• ,>mmt also, sage ich, hier erst richtig nach Hause, es kommt
Ich darf vielleicht hier Sie daran erinnern, daß ich Ihnen 111 c:r erst richtig zu dem Seinen die Lehre, daß die Materie als

gesagt habe 161 , daß die Metaphysik in dem prägnanten Sinn, 1·111 Zufalliges immer ebensogut auch anders sein könnte. Nur
den ich Ihnen hier entwickelt habe, ebenso Kritik wie begriff- , \, 1s Unkörperliche ist dem Aristoteles zufolge unveränderlich
liche Reprise oder Wiederaufnahme der Theologie sei. Es ist 1111d absolut unbewegt: Sie haben also hier eigentlich, in dieser
dem metaphysischen D enken eigen; es gehört auch das, ja, ich 1 d1re von dem letzten Wesen als einem zugleich unbewegten,
hätte beinahe gesagt: zu den Invarianten des metaphysischen 1111veränderlichen, unkörperlichen, bereits die Grundthese des
163
Denkens, die sich in seiner Geschichte immer wiederholen, "hjektiven Idealismus, - obwohl, ich wiederhole auch das,
daß die begriffiichen Operationen, die vorgenommen werden , l.1i1ei die Reflexion auf das Subjekt, die dann später dieser
und die ja zunächst so etwas wie die Kritik der mythologi- Idealismus vollzieht, in der Aristotelischen »Metaphysik« nicht
schen Wesenheiten meinen, dann doch immer wieder damit ,·ollzogen wird. Es wird hier gleichsam alles das in intentione
enden, daß diese mythischen Wesenheiten oder daß hier also rl'cta den ansichseienden Prinzipien oder Begriffen zuge-
die Gottheit wiederhergestellt wird, - aber eben nun nicht " lirieben, was dann bei Hegel, den manja in eine sehr nahe
mehr in dem Glauben an eine unmittelbare Erfahrung oder l':irallele zu Aristoteles setzen kann, durch die transzendentale
sinnliche Anschaulichkeit oder eines substantiellen Daseins i\1ialyse, also aus der absoluten und reinen Subjektivität heraus
der Gottheiten oder der Gottheit, sondern aus dem Begriff. "11twickelt wird. Form ist das vollkommene Sein und der Stoff
Wenn ich Ihnen von der Intention der Rettung sprach, die in , las unvollkommene, - und daraus folgert er nun, daß das erste
aller Metaphysik mit der kritischen sich verbindet, so be- 1kwegende als die reine Form, eben um dieser Reinheit wil-
kommt das hier seinen prägnanten Sinn, nämlich eben ganz k11, das schlechterdings Vollkommene sei.
einfach den, daß die Metaphysik versucht, aus dem Begriff Sie finden hier zwei Momente, die später sehr wichtig ge-
heraus das zu erretten, was sie gleichzeitig durch ihre Kritik in worden sind in der Geschichte des abendländischen Denkens,
Frage gezogen hat, - und auch das ist ein Moment, das sich .1ufdie ich Sie hier eigens hinweisen möchte: einmal nämlich
dann durch die gesamte Geschichte der abendländischen Me- •las Affirmative oder Optimistische, das fast allen großen Me-
taphysik hindurch ve1folgen läßt. Nun ist bei Aristoteles dieses 1.1physiken eignet; daß nämlich, eben weil die Form das Voll-
Erste und Unbewegte oder dieser Erste und Unbewegte, eben kommene und der Stoff das Unvollkommene ist und weil der
dieser axivrrrov XlVOVV , immateriell; er ist Form ohne Stoff~ er 1:, irm injedem Sinn di e Priorität über die Wirklichkeit verlie-
ist reine Aktualität. Der spätere mittelalterliche Begriff des ac- IH' ll wird, dadurch die Wirklichkeit selbst auch zu einem Posi-

tus purus ist die unmittelbare Übersetzung dieser Vorstellung 11vcn zu einem wenn schon nicht Vollkommenen, so doch
von dem Urbeweger als dem rein immateriellen Wesen. Dabei 1 1mü~dest auf Vollkommenheit hin Tendierenden gemacht
greift Aristoteles zurück auf eine Lehre, die ich Ihnen ebenfalls wird. Dieser, wenn Sie so wollen, affirmative Zug, der die
dargestellt habe 162 und die nun erst sozusagen Frucht trägt in l'iiilosophie so unendlich lang begleitet hat, ist in Platon und,
der Ökonomie dieses Denkens - und im allgemeinen pflegen wie Sie hier nun sehen, auch in Aristoteles angelegt. Das
ja die Theoreme der D enker überhaupt sehr weit vom termi- IJ,·ißt: dieses Denken hat bereits die Tendenz, dadurch , daß es
nus ad quem her bestimmt zu sein; also so konzipiert zu sein, ,lie Welt auf ihren Begriff bringt und den Begriff selber zu
daß sie gewissermaßen dann am Ende einen bestimmten Pro- , km Höchsten und Vollkommenen macht, die Welt selbst in-
nerhalb ihres nun einmal so und nicht anders seienden Zu- 1.1physischen Sätze so zu präsentieren, als ob sie nicht nur in
stands zu rechtfertigen. D as zweite ist, daß nun durch diesen Übereinstimmung mit der naturwissenschaftlichen Beobach-
Schluß, daß das erste Bewegende das schlechthin Vollkom- 1ung, sondern von ihr selber zwangvoll herbeigeführt wären.
m ene sein muß, bereits so etwas wie eine antike Vorform des l11sofern ist Aristoteles wirklich, könnte man anachronistisch
ontologischen Gottesbeweises sich findet. Absolute Vollkom- "1gen, schon so etwas wie ein Philosoph aus dem 17.Jahrhun-
menheit und absolute Wirklichkeit werden in eins gesetzt, dcrt gewesen. Er schließt also kosmologisch aus der Einheit
denn Wirklichkeit ist ja bei ihm eben die tvE:9yt:ia: das was , \er Welt und der Einheit dieser Bewegung auf die absolute
Form geworden ist und insofern seinerseits das Höhere. Nur 1~inheit des ersten Bewegers.
wird - kann man vielleicht sagen - umgekehrt als dann später Wenn ich Ihnen von dem Übergang der Aristotelischen
bei Anselmus von Canterbury geschlossen; es wird nämlich Metaphysik in die Theologie gesprochen habe, so ist das hier
hier nicht aus dem Begriff der Vollkommenheit auf die Exi- .1111 deutlichsten, denn in dieser Vorstellung des absolut einen

stenz geschlossen, sondern es wird aus einer Struktur der Exi- ,-rsten Bewegers, der aus nun rein logischen Gründen, auf
stenz, nämlich eben aus dieser Struktur von dem Vorrang der < ;rund der Bewegungstheorie nämlich, keinen anderen soll
Form über ihren Stoff, geschlossen, daß quasi aus reinem 11eben sich dulden , haben Sie bereits in der griechischen Phi-
Denken Gott sein muß . Weiter kann - und auch das ist in losophie den christlichen Monotheismus auf spekulative
Übereinstimmung mit Motiven vor allem des späteren Platon, Weise vorgebildet. Und es ist sicher kein Zufall, daß schon
die philosophiehistorisch zurückdatieren auf den Pythagoreis- l'laton, der sich gewiß der Asebie gegenüber dem griechi-
mus - das erste Bewegende notwendig nur Eines sein. Das will 'chen Polytheismus seiner Zeit nicht hat schuldig machen
sagen: es ist der letzte Zweck selber, - und außer diesem letz- wollen, durch den Mund des Sokrates zumindest sehr häufig
ten Zweck, dem oli evt:;m oder rO.o~, ist ein anderer Zweck von b ßt:6s, der Gott, und nicht etwa von o1 ßeoi, die Götter,
nicht denkbar. Hier können Sie nun am stärksten das idealisti- rl'det. Und die Lehre von dem absolut einen ersten Beweger
sche Grundmotiv finden, denn der Gegensatz der Einheit, als bei Aristoteles ist darin in völliger Übereinstimmung mit die-
der Einheit von Subjektivität, gegen über der Vielheit der dif- ' lT Tendenz, dieser immanent monotheistischen Tendenz der

fusen und auseinanderweisenden Natur macht ja eigentlich ' pekulativen Philosophie, die ja in dem Prinzip der Einheit der
das Thema einer jeglichen idealistischen Philosophie aus. Und Synthesis gegenüber der M annigfaltigkeit des Erfahrungsma-
es ist das Erstaunliche, daß eigentlich das ganze Instrumenta- l nials - oder, wie es hier heißt, der Materie oder der bloßen
rium, wenn Sie so wollen, des späteren Idealismus bei Aristo- 1'otentialität - selbst schon angelegt ist. D er entscheidende
teles vollständig sich vorfindet, obwohl das, was dann später 1 >urchbruch dessen, was ich den objektiven, aber nicht sich
seinen begriillichen Grund ausmacht, nämlich die Rückbe- 'l'iner selbst bewußten Idealismus bei Aristoteles genannt
ziehung auf das denkende Subjekt, explizit noch nicht vor- li:1be, der geschieht in dem Satz - und das ist nun sozusagen
liegt. Aber er kommt eigentlich nirgends dem näher, was man , kr offen idealistische Satz -, daß der erste Beweger als
in der späteren Sprache das Identitätsprinzip nennen darf, als " -hlechthin unkörperlicher Geist, wie der Aristotelische Ter-
hier, wo er von der Einheit des ersten, des primären Bewegers 111inus lautet, vofJ~ sei 164; und dieser Ausdruck vof!~ ist abgelei-
handelt. Erschlossen wird allerdings dieser Satz bei Aristoteles ll't von dem Wort voäv, das ja auf griechisch soviel heißt wie
abermals quasi von der Empirie her, wie ja überhaupt eine der ·denken<, .und zwar im Sinne der subjektiven Denktätigkeit;
Grundbestrebungen dieser M etaphysik bereits die ist, die me- , Lis geht zurück auf den berühmten Parmenideischen Satz,

143
daß das Sein - das ja von dem Parmenides als nichts anderes stehen, weil jede andere Tätigkeit - also sowohl das, was man
denn als die absolute und abstrakte Einheit gefaßt wird-, daß unter Praxis in dem rnoralischen Sinn, lrQCliiElV, wie auch was
dies Sein dasselbe wie Denken sei 16s. Es ist mir wohlbekannt, 111an unter Praxis im Sinn des Machens von Dingen, im Sinn
daß in der modernen philologischen Kritik die Bedeutung des nolcfv, versteht - jeweils ihren Zweck außer sich haben
dieses Parmenideischen Satzes kontrovers ist. 166 Und es wird soll, während das bei dem ersten reinen, sich selbst genügen-
sicherlich nicht wenige klassische Philologen geben, die auch den Wesen undenkbar sein soll. Es kann seinen Zweck nur in
167
sich weigern werden, diesen voiJs und das damit verbundene sich selbst haben; es ist sich selbst allein Zweck. Und das ist
vocfv nun auf den subjektiven Geist der Menschen zu reduzie- ,·igentlich die Begründung des Satzes, daß Gott reine Aktuali-
ren. Sie werden sich dabei fraglos in Übereinstimmung mit der t:it und nicht von einem außerhalb seiner selbst gelegenen
expliziten Intention des Aristoteles befinden, Aristoteles /,weck determiniert sei, das ist eigentlich die Argumentation,
würde ohne alle Frage eben das auch gesagt haben. Aber es die der Aristotelischen Lehre von dem actus purus zugrunde
steht doch zur vernünftigen Überlegung, daß ohne ein solches liegt. Das hat nun in der Aristotelischen Philosophie, in der
.\ »Metaphysik« des Aristoteles weiter eine unbeschreiblich
vocfv, also ohne das an der menschlichen Denktätigkeit ge- ;;
wonnene Modell, diese Konzeption des reinen und sich in weitreichende Konsequenz. Diese reine Aktivität des Geistes,
sich selbst befriedigenden Gedankens gar nicht hätte gefaßt die keinen Zweck außer sich hat, wird nämlich von Aristoteles
werden können, - so daß, obwohl diese Reflexion auf Sub- der ifcwQia, dem reinen, zweckfreien, auf keine reale Praxis
jektivität bei Aristoteles selber noch nicht erfolgt, sie an dieser hczogenen Denken gleichgesetzt. Und die Apotheose des rei-
Stelle nun wirklich zum Greifen nahe liegt, wenn man ein so 11en Denkens, der reinen Kontemplation, die sich Selbstzweck
Unkörperliches wie das absolute Denken soll greifen können. sein soll ohne jeden Bezug auf ein außer ihr Seiendes; also die
Das heißt: ein anderes Modell für diese reine Aktualität, diese Verabsolutierung der reinen geistigen Tätigkeit, die in gewis-
reine und körperlose Aktualität der Gottheit als den reinen ser Weise der Grund überhaupt alles dessen ist, was man in ei-
Akt des Denkens ist eben schlechterdings nicht zu finden. Es 11em prägnanten Sinn später abendländische Kultur genannt
ist der Punkt, an dem der Entwurf einer objektiven Ontologie hat und gegen die dann allerdings auch die schärfate Kritik am
auf den Begriff stößt, den Begriffin sich hineinreißt, der selber 1dealismus sich gerichtet hat, - die liegt eben in diesem Theo-
eigentlich bereits den Rekurs auf die Subjektivität, die alle rie begriff des Aristoteles. 168
idealistische Metaphysik trägt, in sich selbst einschließt. Sie prägt sich bei ihm auch in der Ethik darin aus, daß in
Der letzte Grund aller Bewegung also ist, um es nun in der , Iieser noch die sogenannten dianoetischen Tugenden, also die
Aristotelischen Sprache Ihnen ganz drastisch zu sagen, die Tügenden, die in der reinen Kontemplation und Selbstrefle-
Gottheit selber als reiner und als vollkommener Geist. Seine :-;ion ohne Rücksicht auf ein Tun bestehen, gegenüber allen
Tätigkeit kann - das ist die Ausführung jenes Gedankens von .mderen Tugenden den Vorrang haben. Das Denken genügt
dem voiJs als dem wahrhaft Absoluten; der Begriff des voiJs in sich selbst gegen die Praxis. Es ist so, wie wenn die Trennung
dieser en1phatischen metaphysischen Bedeutung hat übrigens ;wischen körperlicher und geistiger Arbeit, die mit dem Ar-
auch seine lange Vorgeschichte und geht zurück auf den Ana- \icitsteilungsprozeß zusammenhängt und in der die geistige
xagoras, woran ich Sie nur en passant erinnern möchte -, die Arbeit den Vorrang, die Vormacht über die körperliche Arbeit
Tätigkeit dieses reinen, göttlichen Geistes kann deshalb, so nrungen .hat, - als ob diese Trennung nun ideologisch (müßte
lautet die Argumentation des Aristoteles, nur im Denken be- mm sagen) von der Metaphysik reflektiert würde in der Ge-

144 145
stalt, daß das, was nun tatsächlich als das herrschende Prinzip 13. V O RLESUN G

sich erwiesen hat, nämlich eben der .A.6yo,:; und damit die 13. 7. 1965
Menschen, die von der körperlichen Arbeit dispensiert sind,
gerechtfertigt würde auch als das an und für sich Höhere, ohne Ich möchte gerne heute das zu Ende bringen, was wir an R e-
daß dabei die notwendige Abhängigkeit dieses Geistes von ll-rat und Reflexion zu der »Metaphysik« des Aristoteles uns
dem in die R eflexion einträte, worüber er herrscht und wo- hier gemeinsam überlegt haben . Ich erinnere Sie daran, daß
von er sich gerade geschieden hat. D as ist im übrigen ge- der Gegenstand des göttlich en Denkens, Aristoteles zufolge,
schichtsphilosophisch - man hat das schon oft beobachte:t; Sie mir das göttliche Denken selbst sein kann. Sie haben in dieser
brauchen mich nicht dazu, daß ich Ihnen das als eine große l'hese - und das ist immerhin sehr merkw ürdig bei einem
Entdeckung vortrage - , das ist geschichtsphilosophisch eine 1)enker, von dem ich Ihnen ad nauseam gesagt habe, daß bei
entscheidende WendesteUe der antiken Philosophie. Das ihm die subjektive Reflexion, also die Rückfrage auf das er-
heißt: man ist zu der Konzeption der Verherrlichung der rei- kennende Subj ekt, zumindest nicht them atisch ist - trotzdem
nen Theorie etwa gegenüber der Praxis in der .n6.A.t,:;, wi e sie L·igentlich bereits die äuß erste Spitze dessen, was in dem sub-
noch bei den Pythagoräern das Höchste war oder wie sie auch jektiven Idealismus durch die subjektive R eflexion hindurch
noch bei Platon eine entscheidende Rolle spielt, gekommen in nreicht worden ist. Im Idealismus nämlich ist es so, daß, wenn
einer geschichtlichen Stunde - und schließlich war Aristoteles -;c hließlich alles auf Geist reduzibel ist, dann der Inhalt des
der Lehrer und Zeitgenosse Alexanders des Großen-, in der die ( ;eistes, also das was selber nicht Geist ist, das Nicht-Ich, - daß
Möglichkeit der selbständigen politischen Wirksamkeit des das dann eb en doch Geist ist; und daß infolgedessen das Abso-
einzelnen Individuums auf ein Minimum herabgesetzt war und lute, das dem göttlichen Prinzip bei Aristoteles entspricht,
in dem es sozusagen nolens volens auf die R eflexion zurückge- nichts anderes als sich selbst zum Inhalt haben kann. Nur ist
worfen worden ist. Und aus dieser Not, aus diesem Zurückge- die Argumentation, durch die Aristoteles dazu gelangt, von
worfensein ; weil ihm nämlich politische Praxis im Sinne der der, die ich Ihnen eben angedeutet habe, wesentlich verschie-
traditionellen griechischen, das heißt athenischen, attischen den; nämlich sie ist eben doch ihrerseits, wie soll man sagen:
Demokratie nicht mehr möglich gewesen ist, daraus hat dann statisch-ontologisch, hierarchisch-ontologisch und nicht dia-
diese Metaphysizierung der Theorie - die eigentlich das Prin- lektisch. D er Wert des D enkens: also das was das Denken tauge
zip der Gottheit selber sein soll - eine Tugend gemacht und hat gleichsam, das hänge ab vo n seinem Inhalt; weil aber der
sie zum H öchsten gemacht: der Gegenstand des göttlichen höchste Inhalt, den das D enken haben könne, der göttliche
Denkens könne demzufolge nur das göttliche Denken selbst (;eist selber sei, so sei eben der Inhalt des göttlichen Geistes -
sein, weil es j a eben als reines Denken in sich selbst verbleibt. 1r. 9 der göttliche Geist! Es fallen also demnach in den höchsten
Und Sie werden hier unmittelbar erinnert an die spätere H egel- c;edanken Subjekt und Obj ekt, ebenso wie später im absolu-
sche Definition der Logik als eines Spiels des Weltgeistes mit ten Idealismus, miteinander zusammen; das heißt, das Ge-
sich selbst 17 0 , -wobei ich Sie daran erinnern m öchte, daß ja bei dachte und das Denken selbst soll das gleiche sein. Ich mache
Hegel, ganz ähnlich wie b ei Aristoteles, die Metaphysik un d die Sie nur gerade en passant darauf aufmerksam, daß in dieser bei
Logik eigentlich das gleiche sein soll 171 . Ab er ich kann di esen Aristoteles mit einer gewissen Unschuld, um nicht zu sagen
Gedanken hier nur andeuten und muß mir vorbehalten, in der Harmlosigkeit, vorgetragenen These sich eine Paradoxie oder
nächsten Stunde erst ihn näher Ihnen auszuführen. cme Absurdität geltend macht, die dann bei dem Raffine-

147
ment, mit dem solche Gedanken schließlich auf der Höhe des '>herste Formulierung dieses Prinzips bei ihm. heißt: die VO'Yf-
deutschen Idealismus wiederkehren, verschwindet; die man "IC: v01}arnx;, das Denken des Denkens. 174 Dieser Gedanke
sich aber nicht ausreden lassen soll und auf die man kommt, '" m der vorJm<; vofJm:w<; wird nun damit begründet, - es war
auf die man stößt, gerade wenn man diesen später unendlich '>lfrnbar dem Wissenschaftler in Aristoteles bei dieser Spitze
komplizierten und schwierigen spekulativen Ged;mkengän- "e ines Denkens doch selber nicht so ganz wohl, und er hat sie
gen in ihrer Elementarform bei Aristoteles begegnet. Näm- •Ltrum begründet damit, daß die Seligkeit Gottes selbst in sei-
lich: es liegt doch hier eigentlich dann die Frage nah - und das 11 l·r Selbstbetrachtung bestehe; ein Motiv, das dann ebenfalls

wäre die Frage auch, die an allen Idealismus zu richten ist: was ··11tscheidend geworden ist für die gesamte mittelalterliche
bedeutet eigentlich überhaupt Geist, was bedeutet Denken, l"hcologie. Etwa auch die Gedanken, daß die Menschen des-
was bedeutet Erkennen, wenn es nur sich selbst denkt? Ist halb als endliche und sündhafte Wesen geschaffen sind, weil
nicht dadurch das Absolute, das Denken selber und damit das <;ott um seiner selbst als des Absoluten willen in Freiheit von
Absolute, als welches Denken sein soll, eine einzige giganti- ,·11dlichen und zur Fehlbarkeit fähigen Menschen geliebt wer-
sche Tautologie? dl'n wolle, hängen ja mit diesem Motiv in einsichtiger Weise
Dieses Moment kommt dann später in dem Idealismus, wie zusammen. Es ist aber nun in dieser Konstruktion des göttli-
ich Ihnen sagte, wieder; aber hier liegt es eben doch in all sei- chen Denkens als der vorJaL<; vofJacw<; deshalb so außerordent-
ner Kraßheit zutage. Und der Gott, der eigentlich nichts ande- 1ich viel darin, weil sie ja - und das ist vielleicht noch wesentli-
res denkt als sich selbst, nähert sich durch diese Konzeption so <'hcr als die Konzeption des Absoluten, die sie beinhaltet - so
ein bißchen jener Art von Nabelbeschauer an, wie wir sie un- •·twas wie die Anweisung zum seligen Leben oder die Anwei-
ten hier in diesem Haus erblicken können in jener Statue eines su ng zur Vernunft darstellt, denn der menschliche Geist soll ja,
sogenannten Weisen, 172 bei dem man so das Gefühl hat, daß er i1n Sinn des Aristotelischen Analogie- und Teleologieprinzips,
also das Sein repräsentiert und über das Sein nachdenkt; und smveit es eben nur möglich ist, jenem göttlichen Geist sich an-
daß das Sein zu ihm immer nur wieder sagt: Sein, Sein, Sein. 11~ihern. Und darin liegt zunächst einmal schon das gesamte
Der Witz, den ich mache, ist übrigens nicht mein Eigentum, l'rogramm der Philosophie als der Selbstreflexion. Man
sondern - möchte ich der Fairneß halber sagen - geht zurück kiinnte fast sagen, daß seit Aristoteles die Philosophie über-
auf eine, freilich etwas andere Formulierung H egels , der in ei- haupt die Ausführung eben jener vorJm<; vofJaEw<; geworden
ner Polemik gegenJacobi davon redet, daß das Denken, das in ist, die er hier dem Urbild aller Philosophie als dem göttlichen
den Begriff des Seins sich versenkt, ihn erinnere an den Ritus l'rinzip eben zuschreibt. Man könnte übrigens weiter hier
der Gebetsmühle bei den Tibetanern, die dazu immer nur l'ine Betrachtung anstellen, die im Sinn der Feuerbachsehen
Om, om, om sagen. 173 Ich will nicht respektlos gegen Aristo- Aufklärung liegt: daß nämlich, wenn der Gottheit das Glück
teles sein, aber wenn man einmal für eine Sekunde aus diesem .1us ihrer Selbstbetrachtung zukommt, darin nun allerdings ein
Denkgebäude - beinahe hätte ich gesagt: aus diesem Dom - ganz unerlaubter Anthropomorphismus, und zwar ein durch-
heraustritt, das das Aristotelische Denken darstellt, dann ;ius,ja, wie soll man sagen: narzißtischer, also psychologischer
kommt man doch auf solche Ideen. Das drückt sich nun bei Anthropomorphismus liegt. Es ist so, um ein Motiv von
ihm in der wirklich absolut idealistischen Formulierung aus, 1:cuerbach aufzunehmen, daß gleichsam die Gewalt des Egois-
daß das D enken Gottes - H egel würde sagen: das Denken des 1nus, die Verkümmerung der Menschen, die sie am Lieben
Weltgeistes - selber ein Denken des Denkens sei oder, wie die verhindert und nur dazu noch befähigt, sich selber zu lieben, -

149
daß diese Tendenz des N arzißmus , also die Ablenkung der 1:ndliche sich auf jenes absolute Prinzip hinbewegt; daß es
Liebesfahigkeit auf das eigene Ich, hier, um auch noch ihre ab- .1her nicht etwa unmittelbar auf die Welt einwirkt, daß es nicht
solute metaphysische Rechtfertigung zu finden, auf die Gott- .n1s sich herausgeht. Gott wendet nicht der Welt sich zu, son-
heit selber projiziert wäre; während man doch fragen möchte, dern die Teleologie wird lediglich im Sinn einer Art von
was das für eine Gottheit ist, die, anstatt ihre Geschöpfe zu lie- strukturell logischer Hierarchie bewirkt durch das bloße Da-
ben, nur sich selber li ebt. Aber große Geister hat das ein paar sein Gottes selbst. Hier haben Sie also eine deutliche Grenze
tausend Jahre lang wenig gestört. des Aristoteles, soweit er der Welt, dem D asein zugewandt ist,
Immerhin liegt hier für den B egriff der Philosophie noch gegen die Theologie. Sie werden - um auch hier einen histo-
ein sehr wesentliches Moment vor, nämlich das Modell der rischen Durchblick auf die Geschichte der Metaphysik Ihnen
Selbstreflexion. Wenn das göttliche Denken das Denken des /.u geben - unschwer das Motiv, daß der unbewegte Beweger
Denkens sein soll, dann ist eigentlich darin als ein metaphysi- dann außerhalb der Bewegung bleibt, wiedererkennen in der
sch es Prinzip das vorweggenommen, was dann genau jene in- viel späteren Theorie des Deismus, die ja ihrerseits auch so et-
tentio obliqua ist, die bei Aristoteles selber und als solche noch was gewesen ist wie der Versuch, das alte theologische Erbe
gar nicht vorkommt: daß nämlich Philosophie ihren Begriff 111it der naturwissenschaftlich-szientifischen Aufklärung auf
daran hat, nicht daß sie Gegenstände, nicht daß sie ihr Anderes eine gemeinsame Formel zu bringen. Indessen ist das höchste
denkt, sondern daß sie sich begründet vermöge der Reflexion ( :ut trotzdem auch der h öchste Zweck, dem alles zustrebt und
mif sich selbst 175 . Insofern könnte man also sagen, daß dialek- auf den alles sich hinbewegt, aber lediglich im Sinn dieses hie-
tisch die intentio obliqua, die erst in der viel späteren Ge- rarchischen Denkens, das verschiedene Höhen der Zwecke
schichte der Philosophie durchgeführt worden ist, in dieser gegeneinander abstuft, - und nicht im Sinn eines Eingriffs
Bestimmung in intentione recta, also in dieser Bestimmung oder einer Einwirkung.
des Absoluten als des Denkens seines eigenen Gedankens, Nebenbei bemerkt: von solchen Formulierungen wie der,
ebenfalls bereits angelegt sei. Nun hat aber, wenn Sie mir die daß das höchste Gut zugleich auch der höchste Zweck sei, ab-
saloppe Redeweise wieder einmal gestatten, für den Physik- undiert ja die gesamte Philosophie. Wenn Sie irgendeine Ge-
professor, der der Aristoteles ja au ch gewesen ist, diese Meta- schichte der Philosophie aufschlagen und über irgendeinen
physik auch sofort wieder ihren Profit. Es ist sehr merkwürdig, metaphysischen Philosophen nachlesen, dann werden Sie im-
daß gerade durch die ungeheure Sublimierung des göttlichen 111er - vor allem, wenn es auf den Schluß zugeht - solche
Prinzips, daß da eigentlich nichts anderes mehr sein soll als 1)inge hören wie: daß der höchste Zweck zugleich das höch-
seine Selbstreflexion, in gewissem Sinn eine Entlastung der ste Gut sei, oder: daß das vollkommen Schöne zugleich auch
empirischen Welt eintritt - das was ich in der »Metakritik der das vollkommen Wahre sei, oder: daß Existenz und Essenz im
Erkenntnistheorie« versucht habe, an der Husserlschen Philo- Absoluten als dasselbe sich erwiesen, - oder was dergleichen
sophie, die ja sehr viele antike Motive wieder aufnimmt, zu 1)inge weiter sind. Ich möchte Sie, wenigstens zunächst ein-

fassen unter dem Begriff der Preisgabe der Empirie 176 - , das mal, zu gar nichts anderem bewegen, als daß Sie, wenn Ihnen
heißt: gerade dadurch, daß der Gott sich in seiner eigenen f bei Ihren philosophiehistorischen Studien solche allgemeinen

·.~
Selbstbetrachtung genügt, wird die Welt preisgegeben von Cleichheiten in der Metaphysik aufstoßen, dagegen ein biß-
ihm. Das drückt sich aus in der D oktrin der Aristotelischen chen empfindlich werden und ein gewisses Mißtrauen gegen
f
»M etaphysik«, daß zwar alles Geschaffene, aller Stoff, alles die Metaphysik gerade daraus entnehmen. Denn wenn Philo-
'

j
151
sophie tatsächlich die Fähigkeit zur Differenzierung ist, die /\llheit des Gedankens, die dann schon überhaupt gar nichts
Fähigkeit, im Gedanken zu unterscheiden, anstatt alles auf 11u.:hr besagt, - dazwischen dürfte am Ende dann überhaupt
eine abstrakte Formel zu bringen, dann würde man doch ei- 11ur sehr schwer mehr zu unterscheiden sein. Jedenfalls ist es
gentlich erwarten, daß die Philosophie darin besteht, daß sie •;(), daß der Physiker Aristoteles in der »Metaphysik« das für
ihre obersten Kategorien zwar miteinander verbindet, nicht sich verbuchen kann, daß es keine schöpferische Tätigkeit
sie isoliert läßt; aber wenn dann alle immer eins sein sollen, ( ;ottes, keinen Eingriff in den Weltlauf gibt. Darin ist er also,
dann kommt wirklich so etwas wie jene Nacht heraus, die He- !',crade durch die außerordentliche Spannung und Sublimie-
gel dem Schelling vorgeworfen hat, - jene Nacht nämlich, in .rung des metaphysischen Begriffs, durchaus ein hellenistischer
der alle Katzen grau sein sollen. 177 Es zeugt gleichsam gegen Aufklärer. Und man könnte fast auf den blasphemischen Ge-
die Substantialität der Ontologie, dagegen also, daß die Onto- ' Linken verfallen, daß die gar nicht so viel spätere Epikurische
logie der Wesenheiten, die sie herauszuoperieren bean- ·l 'heorie von der schlechthin unbeteiligten Haltung der Göt-
sprucht, wirklich auch mächtig ist, - daß sie dann diese We- 1n, die da also das Dasein nur als eine Art von Schauspiel an
senheiten nie als getrennte durchhalten kann, sondern sie sich vorüberziehen lassen, 179 - daß die eigentlich selber noch
dann am Schluß alle in eins setzt, ohne daß ihre Getrenntheit 11eripatetisches Erbe gewesen sei; daß sie also von dieser Kon-
in diesem Einen aufrechterhalten ist. Zu den wenigen Den- n·ption des Aristoteles gar nicht so fern ist. Ich mache Sie im
kern des rationalistischen oder metaphysischen Typus, die das iibrigen darauf aufmerksam, daß die schulmäßige Einteilung,
bemerkt haben, gehört im übrigen Lessing, der meines Wis- wie sie schon in der Antike selbst, also gerade in der hellenisti-
sens als der erste, der aus dieser Tradition - in unserem Fall der schen Zeit vollzogen worden ist zwischen den vier großen
Leibnizschen - hervorgegangen ist, gegen diesen Begriff der Schulen: der Platonischen Akademie, des Aristotelischen Pe-
Einheit, also gegen diese ununterschiedene Identität der ober- ripatos, der Stoa und des Epikureismus, selber schon so eine
sten Prinzipien, sich gewendet, dagegen polemisiert hat. 178
Ich glaube, daß immer, wenn dann am Schluß, so in einem
großen Schlußeffekt, alles schließlich eins ist und alles sich in
Identität löst, - daß gerade dadurch, daß das seine Konkretion
1 /\rt von administrativer Einteilung ist. Während in Wirklich-
keit innerhalb einer solchen Epoche, in der aus gesellschaftli-
' hen Motiven gewisse Gedanken zwangvoll sich den Denkern
.1llcr Schattierungen aufgeprägt haben, die Übergänge unver-
verliert, die doch gerade im Resultat erreicht werden muß,
daß dadurch, darin die traditionelle Philosophie zu dem
schwersten Mißtrauen gegen sie selbst animiert.
1

t'.lcichlich viel fließender sind, als es nach dieser schulmäßigen
·l ·'.inteilung zu vermuten ist, - wie man denn auch später, in der
patristischen Philosophie und in den Übergängen vor allem
Und es war, wenn ich mich nicht täusche, unter den Moti- /.wischen der antiken Philosophie und der christlichen, zwi-
ven für die Ausbildung der Hegelschen Dialektik sicher nicht schen diesen Schulen nicht entfernt so unterschieden hat, wie
das geringste, daß er versucht hat, zwar auf der einen Seite <'s der Schulgebrauch nahelegt. Ich glaube, gerade wenn man
auch an einer solchen ontologischen Grundstruktur festzuhal- :111 Aristoteles einmal die Elemente systematisch herausarbei-
ten, zugleich aber doch die Unterschiedenheit zu ihrem ge- trn würde, die ich im Augenblick, vielleicht leise anachroni-
bührenden Recht zu bringen, - obwohl dann am Ende auch stisch, als hellenistische bezeichnet habe, daß dann gerade die
bei ihm alles einerlei ist. Ich meine, zwischen dem Satz der ab- 1)ifferenzen zu den beiden spezifisch hellenistischen Schulen,
soluten Identität und dem tatsächlichen Einerlei, der Monoto- der Stoa und dem Epikureismus, sich verkleinern würden. -
nie, in der nichts mehr voneinander unterschieden ist, einer Nun, meine Damen und Herren, mit dieser historischen Be-

152 153
trachtung oder, >Betrachtung<ist zu arrogant, mit dieser histo- ··11twickelt, kann aber nun, da ich Ihnen versprochen habe,
rischen Notiz schließe ich, was ich Ihnen zu Aristoteles sagen .- 111e Vorlesung zu halten über den Begriff und die Probleme
wollte. 1 In Metaphysik, und weder die Absicht noch die Zeit habe,

Ihnen eine ganze Geschichte der Metaphysik zu lesen , das


Man könnte, durchaus im Sinn dessen, was ich Ihnen ange- 1o1cht weiterverfolgen; sondern sehe mich statt dessen veran-
deutet habe, eine Geschichte der gesamten Metaphysik von l.11\t, die letzten Stunden auf eine Reihe von Reflexionen zur
Aristoteles aus schreiben. Dabei wäre die Aufgabe, zu analy- Metaphysik zu verwenden, die nun am extremen geschichtli-
sieren, was - und aus welchen, sei's immanent philosophi- ' hen Gegenpunkt angesiedelt sind: nämlich solche R eflexio-
schen, sei es von außen aufeilegten Gründen - aus seinen Ka- 11cn zur Metaphysik, wie sie mir heut und hier fällig und un-
tegorien geworden ist; wobei man übrigens sich darüber klar 11111gänglich scheinen. Sie werden verstehen, daß ich dabei,
sein muß, daß es eine primitive und grobe Annahme wäre, 111ehr als in der Darstellung, die ich Ihnen bis jetzt gegeben
wenn man auf der einen Seite gesellschaftliche Modifikatio- habe, mich aufa Thesenhafte und zuweilen Andeutende be-
nen des Denkens und auf der anderen so etwas wie ihre innere ,,·hränken muß . Ich glaube aber, Ihnen versprechen zu dürfen,
kategoriale Entwicklung unterstellen wollte. Es ist vielmehr ,1;ig Sie die volle Entfaltung dessen, was ich Ihnen nun in den
so, und das ist ein geschichtsphilosophischer oder ein Satz zur 11:ichsten Stunden vortrage, im nächsten Jahr in meinem Buch,
Theorie der Geistesgeschichte, den ich vielleicht erweitern das sich ja einigermaßen j etzt übersehen läßt, vorfinden wer-
darC ohne dabei zu weit mich vorzuwagen, - es ist so, daß die drn. 1Ho Ehe ich aber dazu übergehe, möchte ich doch noch
gesellschaftlichen Motive, also hier etwa die der Ohnmacht ,·ine grundsätzliche Erwägung mit Ihnen anstellen.
des Einzelnen, der Reprivatisierung, alle die Momente, die Erinnern Sie sich bitte daran, daß ich Ihnen sagte 181 , Meta-
wir hellenistisch nennen, daß die nicht etwa von außen her das physik sei in ihrer bisherigen Geschichte, wie sie in Aristoteles
Denken beeinflussen, sondern daß sie auf eine sehr schwer ~~ewissermaßen vorgezeichnet ist, so etwas wie der Versuch
festzustellende und prinzipiell heute noch gar nicht analysierte der R ettung ursprünglich theologischer Kategorien, - durch
Weise in dem Irnrnanenzzusammenhang des Denkens selbst, ihre rationale Kritik hindurch , also durch die Vernunft. Ei-
innerhalb des Begründungszusammenhangs der einzelnen gentlich sei also M etaphysik die Übersetzung, könnte man
Philosophien sich geltend machen und sich durchsetzen. l' inmal sagen, von theologischen Vorstellungen in Vernunft-
Wenn einmal ein Theoretiker der Geistesgeschichte versu- kategorien; sei ihre Verbegriillichung. Wenn Sie das einmal
chen würde, dieses außerordentlich merkwürdige Verhältnis: unterstellen - und der Nachweis dessen wäre vielleicht noch
daß sich von innen her in der Philosophie eine Logik durch- vollkommener an der Platonischen Ideenlehre zu führen, weil
setzt, die in einer rnerkwürdigen Harmonie steht zu den ge- l'laton gewissermaßen noch näher an der Theologie dran ist
sellschaftlichen Erfahrungen, die von außen auferlegt sind, :ds der schon viel empiristischere oder szientifischere Aristo-
ohne daß sie daran äußerlich sich anzupassen brauchte, - dann teles-, dann involviert das, wenn man das einmal nachweisen
wäre das sicher eine äußerst wichtige Aufgabe; und es ist viel- würde, daß durch diesen Mechanismus der Verbegriillichung,
leicht jemand unter Ihnen , der diese Fragestellung einmal im also durch die Instauration begriillichen D enkens als der In-
Ernst weiterverfolgen wird. - Ich habe das, was aus den Kate- stanz, welche über Metaphysik, über das Absolute zu ent-
gorien geworden ist, paradigmatisch oder exemplarisch (wie scheiden hat, das begriilliche Denken und der Begriff selber
man heute sagt) an einigen Aristotelischen Kategorien Ihnen zur Metaphysik als deren Rechtsgrund wird. Dieses also, daß

154 155
die Metaphysik zum Denken wird, das ist wohl auch aus der l.1>11stitutiven Formen tatsächlich das Absolute sind. Denn offen
These vom Denken des Denkens, nämlich von der Metaphy- """r latent ist das eigentlich die These der metaphysischen
sik als dem zu sich selbst gekommenen Begriff, herauszulesen . l 1.Hlition überhaupt. Vielleicht ist es nicht unbescheiden von
Nun, das ist tatsächlich der Fall; und ist der Fall gewesen in fast 111ir. wenn ich Sie in diesem Zusammenhang hinweise auf das
allen Ontologien, und ist der Fall besonders in den, wie man ,., stc Kapitel aus der »Metakritik der Erkenntnistheorie« , das
so sagt, rationalistischen Philosophien, in denen Sie immer l.111tl't >Kritik des logischen Absolutismus< 183 und in dem nun
wieder beobachten können, daß die Struktur des Seins erklärt !'.'·11;m von der umgekehrten Seite her das geleistet wird, oder
wird als identisch mit der Struktur des Denkens. Ontologie als /11 leisten versucht wird, was ich Ihnen eben andeute; nämlich
die Lehre von den konstitutiven Grundbegriffen des Seins sagt "' wird hier die Frage nach der absoluten Gültigkeit der Jogi-
eigentlich überhaupt gar nichts anderes, als daß man die "' hcn Formen selber gestellt, und sie wird in einem dialekti-
Grundstrukturen von Denken selber zu den Kategorien des "' hcn Sinn in einer immanenten Analyse in Frage gezogen.
Seins erhebt. Auch das ist ein Prinzip, das erst von Hegel mit Wenn die reinen Denkformen, wie sie am vollkommensten in
aller Schärfe und allem Radikalismus so ausgesprochen wor- , l t T reinen Logik sich darstellen, aber nicht jenes Absolute

den ist, wie ich es Ihnen eben andeute in dem Satz, daß die ·.111d, als welches sie sich selbst verstehen, dann wäre daraus der
Logik zugleich die Metaphysik sei. 182 Aber das was ich möchte Schluß zu ziehen - und diesen Schluß habe ich damals in mei-
ist, daß Sie sehen, daß in dem Übergang von theologischem 11t·m Buch so ausdrücklich nicht gezogen, wie ich ihn jetzt
Denken zu metaphysischer Spekulation eigentlich diese Hy- m·he; und deshalb möchte ich Sie darauf aufo1erksam ma-
postasis der Logik, die Hypostasis der reinen Formen des Den- ' hcn -, daß das Denken selbst, als ein Bedingtes und in die Be-
kens als der Formen des Seins, schon impliziert ist, weil ja da- dingtheit Verflochtenes, nicht seinerseits zu dem Absoluten
durch, daß die Metaphysik festgemacht wird an den Kategorien l'.l'll1acht werden kann, als welches es in der traditionellen Me-
des Denkens, das Denken selber sich zum Grund der Metaphy- 1:1physik immer fungiert hat. Und deshalb möchte ich Sie, so-

sik erhebt und dadurch, indem es über sie Recht spricht, im zusagen als Übergang zu den Betrachtungen, die wir nun be-
Grunde implizit - auch wenn es das noch gar nicht einge- l'.innen wollen, auf jenen Text hinweisen.
steht - bereits behauptet, daß es selber die Metaphysik sei. Die Methode, die ich in dem einschlage, was ich jetzt be-
Wenn man nun heute die Frage aufwirft nach der Metaphysik, ginne, ist aber eine ganz andere. Ich sagte Ihnen, ich möchte in
so würde ich sagen - und das bereitet Sie vielleicht vor auf die dieser Vorlesung von Extremen ausgehen. Und so wollen wir
Dinge, mit denen wir uns nun beschäftigen werden -, daß in versuchen, uns, soweit man so etwas mit dem Anspruch einer
der Behandlung der Metaphysik die Grundfrage die nach dem gewissen allgemeinen Verbindlichkeit überhaupt tun kann,
R echt dieser Gleichsetzung ist. Also wenn man heute über :1uf den möglichen Stand dessen heute zu begeben, was man
Metaphysik nachdenkt, und es geht nun einmal nicht anders, 111ctaphysisc/1e Etjahrung nennen mag. Was dabei mit metaphy-
unsere Unschuld haben wir verloren: M etaphysik kann über- sischer Erfahrung gemeint wird, das werden Sie selbstver-
haupt nichts anderes mehr sein als Nachdenken über Metaphy- ständlich erst genau aus dem entnehmen können, was ich lh-
sik, dann setzt das zunächst eine Art kritischer Selbstreflexion 11en nun dabei ein bißchen näher auszuführen vorhabe. Ich
des Denkens in dem Sinn voraus , daß man durch eine solche verrate Ihnen kein großes Geheimnis, wenn ich Ihnen sage -
Selbstreflexion des Denkens und der reinen Formen des Den- und vielleicht werden Sie anfangen zu lachen, wenn ich Ihnen
kens darüber sich Rechenschaft gibt, ob das Denken und seine das sage -, daß mir eine andere Möglichkeit als die einer dia-

157

lektischen Behandlung auch der Frage der Metaphysik ni cht 111l'insam ist - von der unendlichen Relevanz des Innerwelt-
möglich scheint. Eine dialektische Behandlung kann nun l11·hen und damit Geschichtlichen für die Transzendenz und
aber - und damit komme ich schon zu dem Spezifischen der liir eine j ede mögliche Vorstellung von Transzendenz. Die
Erfahrung, über die ich mit Ihnen zunächst reden will-, Dia- l 1nterstellung eines radikalen. XWQ W/l6c; zwischen dem Inner-
lektik kann nicht unterstellen, das Unveränderliche sei wahr, wdtlich en und dem Transzendenten, die j a eines der Grund-
substantiell, und das Vergängliche sei demgegenüber ein Min- ·. t [icke der metaphysischen Tradition ausmacht, ist schon des-
deres, ein Verächtliches, ein bloßer M odus oder ein bloßer 11;1lb außerordentlich problem atisch, weil sie sich immer wieder
Trug der Sinne oder wie es die Philosophen in unennüdlichen 111uß nachweisen lassen, daß sie ihre Ewigkeiten, ihre ewigen
Denunziationen von Platon an immer wieder denunziert ha- Werte, ihre Unbewegtheiten sich aus dem Bewegten und aus
ben. Wenn man zunächst einmal davon ausgeht, daß diese 1kr Erfahrung herausgeklaubt und dann von dort aus heraus-
Gleichsetzung des Unveränderlichen mit dem G uten, Wahren .1hstrahiert hat, - und wenn eine Metaphysik konsequent
und Schönen einfach für uns widerlegt ist, dann verändert sich w~ire, dann müßte sie nicht versuchen, durch Apologetik da-
Metaphysik dabei inhaltlich. Und das, was ich Ihnen nun zu- von sich fernzuhalten. D enken, das verteidigt, das versucht, ir-
nächst ausführen werde, ist der geschichtliche Zwang, der ei- )~cn d etwas gegen stringente Einwände festzuhalten, ist immer
nen dazu führt, eine solche Unveränderlichkeit nicht zu unter- sc hon verloren. Und der einzige Weg, den ein fruchtbares
stellen und die Metaphysik dadurch inhaltlich zu verändern. 1)enken zur Rettung nehmen kann, ist immer nur der des
Man kann unter dem, was wir in unserer Z eit erfahren haben - ,Wirf weg, damit du gewinnst<.
und ich weiß, daß diesen Erfa hrungen gegen über die Form ei- Ich will damit sagen: ein e Metaphysik, die ihrem eigenen
ner Vorlesung, der Versuch , das in der R edewendung der Phi- Begriff so genügte, wie sie immer, wenn sie es auch nicht
losophie und von einem Katheder herab überhaupt nur anzu- Wort haben will, in Konstellationen zwischen Formen und
deuten, bereits etwas Ungemäßes, etwas Lächerliches und et- Inhalten, zwischen Begriffen und Begriffenem besteht,
was Unverschämtes hat - , und trotzdem kommt man nicht müßte eb en jene Relevanz des Innerzeitlichen für ihren eigenen
darum h erum ... Es verändert sich also, sage ich, durch diese llegriff radikal in sich hineinnehmen und sich darüber klar
Erfahrungen M etaphysik inhaltlich. Di e Glei chgültigkeit des sein, daß sie von ihrem Instrument, nämlich den Begriffen,
Z eitlichen und der Ideen gegeneinander, wie sie im Grunde 11ur scheinbar, nur durch Willkür weggenommen worden ist
in der ganzen Metaphysik sich durchhält, kann so nicht länger und gegen sie immer wieder sich anmeldet. Der Primat, den
behauptet werden. Es gibt sehr vereinzelte, versprengte Mo- Sartre dem Existierenden gegenüb er dem Sein und seinem
tive in der Geschichte des Geistes, die darauf hinweisen . U nd Begriff zumißt, verrät in unserer Zeit - das möchte ich doch
zwar, merkwürdig genug, finden sie sich weniger in der Ge- L'Üm1al sagen - gerade von diesem Sachverhalt ein außeror-
schi chte der Philosophie, wenn Sie von bestimmten Elemen- dentlich kompromißloses Bewußtsein. Der Fehler dabei ist
ten in H egel einmal absehen, als in der häretischen Theologie; nur der, daß nun Sartre gerade daraus, also aus dem Vorrang
das heißt also in der mystischen Spekulation, die ja wesentlich der Existenz vor der Essenz wieder seinerseits eine Art Onto-
immer häretisch gewesen ist und die immer einen prebren logie, also eine Art Essenzenlehre gemacht hat; daß er, um es
Stand innerhalb der institutionellen Religionen gehabt hat. grob philosophiegeschichtlich auszudrücken, gleichzeitig ein
Ich denke dabei an die mystische Lehre - wie sie der Kabbala L'xtremer Nominalist und ein Heideggerianer sein wollte, was
mit christlich er Mystik, etwa der des Angelus Silesius, ge- sich nicht unter einen Hut bringen !äße Aber das möchte ich

159
nur gerade hier so andeuten. - Diese Hineinnahme des Inhalt- 14. VORLESUNG
lichen bedeutet, daß metaphysische Erfahrung oder der Be- 15. 7. 1965
griff der Metaphysik, beides in eins, heute vollkommen anders
sich darstellen. Und ich nehme zum Zeichen dessen - das Wort kh hatte versucht, Ihnen zu erklären, wieso Innerzeitliches
Symbol wäre für das, worum es sich handelt ganz schmählich 1las D enken über Metaphysik entscheidend tangiert und die
weil es sich um das Allerunsymbolischeste 'handelt - Ausch~ 1111.:taphysische Erfahrung selber tangiert. Und ich möchte Ih-
witz. Durch Auschwitz, und damit meine ich nicht Auschwitz 11 cn gleich sagen, daß es irrig wäre, - und daß Sie das, was ich
allein, sondern die Welt der Tortur, die weitergeht nach 1li nen dabei mit unvermeidlicherweise viel zu unkräftigen
Auschwitz und über deren Fortdauer wir ja aus Vietnam die Worten kommunizieren möchte, ganz verkennen würden,
entsetzlichsten Berichte empfangen, - durch die hat tatsäch- wenn Sie das, was ich Ihnen dabei sage, nun einfach subj ektiv
lich der Begriff der M etaphysik bis ins Innerste sich verändert. 11chmen wollten; also in dem Sinn , daß ich Ihnen erklärte, es
Und wer weiter Metaphysik alten Stils betreibt, ohne sich ·.~ ,t·i unter den gegenwärtigen Bedingungen schwieriger, meta-

i
darum zu kümmern, und sozusagen gleich allem bloß Irdi- physische Erfahrungen zu machen. N atürlich ist das auch der
schen und Menschlichen das, was geschehen ist, für unter der 1 all, aber bei der Verflochtenheit, die es in dieser Sphäre zwi-
Würde der Metaphysik stehend hält und von sich abwehrt, der 'chen der subjektiven Erfahrung und dem Objektiven nun
zeigt sich dadurch als ein Unmensch; und die Unmenschlich- ,·inmal gibt, kann man das nicht so säuberlich trennen, wie es
keit, die in einer solchen Haltung notwendig steckt, die muß vidleicht einem naiven und unreflektierten Bewußtsein ge-
allerdings dann den Begriff der M etaphysik selber, der so ver- rade erscheinen möchte, das sagt: na j a, das liegt nur an der
fahrt, auch anstecken. Es ist also, möchte ich sagen - und auch Art, wie man halt heute zur Metaphysik steht, aber an der Me-
darin bin ich aus total verschiedenen Zusammenhängen her- L1physik selber ändert sich doch dadurch nichts, an den objek-
aus einen Sinnes mit Sartre, von dessen Denktypus ich sonst ti ven Gehalten ... Genau gegen das letztere ist meine These
weltweit differiere, aber darin stimme ich ihm zu und m öchte pointiert, und Sie verstehen mich überhaupt nur richtig,
das einmal ganz kraß und unverschminkt sagen - , es ist nach wenn Sie das von vornherein so scharf und so wenig harmlos
Auschwitz unmöglich, die Positivität eines Sinnes in dem Sein nehmen , wie es von mir gemeint ist. Sie werden bemerkt ha-
zu urgieren. Es ist unmöglich geworden jener affirmative \1rn in den Analysen und Darstellungen zu der »Metaphysik«
Charakter der M etaphysik, den sie in der Aristotelischen und des Aristoteles, daß und in welchem M aße diese gesamte Me-
schon in der Platonischen Lehre zum ersten M al gehabt hat. 1.1physik doch erfüllt ist von der affirmativen Seite - >erfüllt<
Die Behauptung eines Daseins oder eines Seins, das in sich sinn- kann etwas >von einer Seite< schlecht sein, verzeihen Sie mir-,
voll verfaßt wäre und hingeordnet auf das göttliche Prinzip, wie wesentlich in dieser ganzen Konzeption das affirmative
wenn man sie so ausspricht, wäre wie alle Prinzipien des Wah- Mo ment der Metaphysik ist. Wie sehr also etwa die Theorie,
ren, Schönen und Guten, die die Philosophen sich ausgedacht daß ohne eine göttliche Einwirkung das Sein von sich aus sich
haben, gegenüber den Opfern und gegenüber der Unendlich- teleologisch hinordnet auf die Göttlichkeit hin, wie sehr das
keit ihrer Qual nur noch ein reiner Hohn. Und angesichts des- i111pliziert, daß das was ist ein Sinnvolles sei. Und Aristoteles -
sen , das ist eigentlich m ein Ansatzpunkt, m öchte ich mit Ihnen 11111 darauf noch einmal einzugehen; um Ihnen nun wirklich
reflektieren über den - lassen Sie es mich so ausdrücken: über das metaphysische Problem zu pointieren, um das es mir hier
den völlig veränderten Stellenwert der M etaphysik. ge ht - , er zieht ja daraus die Konsequenz, daß er, sogar in ei-

1 60 161
nem gewissen Gegensatz zu seiner eigenen Lehre von der ganz tn in der Metaphysik gelegen ist, in Ideologie verwandelt, das
abstrakten und unbestimmten Möglichkeit, eben dem, was die l1L·ißt: in einen leeren Trost, der zugleich in der Welt, wie sie
Möglichkeit darstellt, nämlich der Materie, der fj}...ry selber so 11t111 einmal ist, seine sehr genaue Funktion erfüllt; nämlich
etwas wie eine Zielstrebigkeit zumutet. Diese These von der , Jie, die Menschen bei der Stange zu halten. Sicherlich hat
Sinnhafrigkeit dessen was ist, die ist, als eine ontologische Metaphysik schon immer auch ihre ideologischen Aspekte ge-
These verstanden, mit den Erfahrungen, die man gemacht hat habt, und es ist nicht schwer, an den überlieferten großen Me-
nicht nur in Auschwitz, sondern auch durch die Einführung t.1physiken im einzelnen zu zeigen, worin sie ideologisch fun-
der Tortur als einer Dauerinstitution und durch die Atom- 1~iert haben. Aber wenn ich mich nicht täusche, ist an dieser
bombe - all diese Dinge bilden ja eine Art von Zusammen-
hang, von höllenhafter Einheit -, diesen neuen Erfahrungen
gegenüber wird die Behauptung eines Sinnes dessen was da ist,
t Stelle etwas wie ein qualitativer Umschlag erfolgt. Das heißt
.dso: während die alten Metaphysiken, indem sie dieses Mo-
11H.~nt des Sinnes urgiert haben, das Bestehende verklärt haben,
der affirmative Charakter, der fast ausnahmslos der Metaphy- haben sie immer zugleich auch das Moment der Wahrheit ge-
sik zukam, zum Hohn; und wird gegenüber den Opforn zum habt: das was ist zu begreifen versucht, den Versuch gemacht,
schlechterdings Unmoralischen, indem der, der mit solchem des Rätselhaften und Chaotischen sich zu versichern. Und
Sinn sich abspeisen läßt, dadurch das Unsägliche und nicht 111an könnte, genausogut wie ihren ideologischen Charakter,
Wiedergutzumachende und nicht Wiederherzustellende 1mmer auch dieses Wahrheitsmoment, diese ansteigende Kraft
doch gewissermaßen moderiert mit der Gebärde: nun, es wird der ratio, das zu begreifen, was ihr entgegengesetzt ist, und
doch schon irgendwie, in einer geheininisvollen Ordnung des 11 icht mit bloßer Irrationalität sich zu begnügen, an den älteren
Seins, so etwas wie einen Sinn gehabt haben. Mit anderen Metaphysiken nachweisen. Etwa aufs großartigste in der Tho-
Worten also: man könnte sagen, daß angesichts dessen, was mistischen, die ja der Versuch ist, die christliche Lehre mit
wir erfahren haben, - und lassen Sie mich sagen: erfahren ha- ,!cm spekulativen Gedanken in Übereinstimmung zu bringen,
ben es auch die, an denen es nicht selber unmittelbar verübt und die darin bereits auch das Potential enthält, das bloß dog-
worden ist; es kann für keinen Menschen, dem nicht das Or- 1natisch uns Gesetzte und Aufgeredete auf diese Weise in eine
gan der Erfahrung überhaupt abgestorben ist, die Welt nach /\rt von Kritik zu verwandeln, - wie immer positiv auch diese
Auschwitz, das heißt: die Welt, in der Auschwitz möglich war, l(ritik in der Philosophie des heiligen Thomas von Aquin sich
mehr dieselbe Welt sein, als sie es vorher gewesen ist. Und ich darstellen mag. Damit ist es also aus. Eine solche Konstruktion
glaube, wenn man sich genau beobachtet und analysiert, daß \'on Sinn ist überhaupt nicht mehr möglich. Und ich glaube,
man findet, daß bis in die geheimsten Reaktionen hinein, die ich sagte Ihnen bereits 184 , daß es mir die nicht wieder zu ver-
man hat, eben das Bewußtsein, in einer Welt zu leben, in der :c;cssende Leistung von Jean-Paul Sartre erscheint- dessen Phi-
das möglich - wieder möglich und erst möglich - ist, ihre ganz losophie als ein philosophisches Gebilde ich für sehr inkohä-
entscheidende Rolle spielt. rent und nicht wirklich zulänglich halte -, daß er jedenfalls
Also, - ich würde schon sagen, daß diesen Erfahrungen eine diese eine Erfahrung doch zum ersten Mal wirklich ohne jede
zwingende Allgemeinheit zukommt; daß es schon tatsächlich Beschönigung formuliert hat, - noch weit hinaus über Scho-
der Verblendung gegen den Weltlaufbedarf, wenn man diese pcnhauer, der ja gewiß, wie man so sagt, ein Pessimist war und
Erfahrungen heute nicht machen will. Es hat sich angesichts der gegen den affirrn.ativen Charakter der Metaphysik (wie Sie
dieser Erfahrungen die Behauptung von Sinn, wie sie formali- wahrscheinlich alle wissen) aufs heftigste sich gewehrt hat, ge-

162
rade gegen die Hegelsche Gestalt; bei dem aber nun doch merhin einmal sein wollte, unwürdiger ist als j ene gerade in
selbst aus dieser Negativität noch ein metaphysisches Prinzip Deutschland außerordentlich weit verbreitete Stimmung, die
geworden ist, der also daraus das Prinzip des blinden Willens darauf hinausläuft, daß man , eben weil die Erfahrung der Ab-
gemacht hat, das, weil es selber zu einem metaphysischen senz des Sinnes nicht zu ertragen ist, nun denen, die es aus-
Prinzip wird, also eigentlich weil es eine Reflexionskategorie sprechen, daß es dahin gekommen ist, womöglich auch noch
ist, auch in sich wieder die Möglichkeit seiner eigenen Nega- die Schuld aufbü rdet; eine Stimmung, die - weil nicht sein
tion durch die Menschen enthält; wie es ja denn bei ihm tat- kann, was nicht sein soll - nun also aus dem Postulat heraus,
sächlich auch die Idee von der Verneinung des Willens zum daß doch in einer Welt ohne Sinn eigentlich nicht sich leben
Leben gibt 185 , die angesichts dessen, was mit Lebendigem ge- ließe, ableitet, daß man einen Sinn konstruieren müsse: eben
schehen ist und unentwegt weiter geschieht und in unvorstell- weil ein Sinn sei. Wenn ich Ihnen verraten darf, was ich ei-
barem Maß sich erweitern kann, ja noch eine beinahe tröstli- gentlich mit dem »Jargon der Eigentlichkeit« 187 gemeint habe,
che Vorstellung ist. Ich meine, die Lehre von der Verneinung dann hat es sich dabei nicht um die bloße Kritik an irgendwel-
des Willens zum Leben ist in einer Welt, die längst viel chen sprachlichen Clichebildungen allein gehandelt, die
Schlimmeres kennt als den Tod und die etwa M enschen noch w ürde ich nicht so tragisch genommen haben; sondern der
den Genickschuß verweigert, um sie langsam zu Tode quälen wirkliche Angriffspunkt - und ich möchte Sie bitten, wenn
zu können, tatsächlich selber bereits von einer Harmlosigkeit, Sie dieses Büchlein in die H and nehmen, sich darüber doch
die Schopenhauer sonst nur den Theodizeen der Philosophen sehr klar zu werden - , der wirkliche Angriffspunk t ist eben
vorgeworfen hat. genau jene Supposition eines Sinnes nur deshalb, weil einer
Schon Voltaire, der ein Leibnizianer gewesen ist, hat nach sein müsse und weil man sonst nicht leben könne ; also die
der Erfahrung des Erdbebens von Lissabon die Konstruktion Supposition des Sinnes aus Lüge. Und diese Supposition aller-
der Welt als der besten aller möglichen Welten - die im übri- dinas
b
scheint mir in Deutschland in einem b edenklichen Maß
gen bei Leibniz gar nicht so optimistisch ist, sondern nur das in die Sprache gerutscht zu sein, gar nicht ausdrücklich mehr
Optimum, das minimale Optimum bezeichnen will - aufge- im Gedanken sich zu ereignen, - das ist der Grund, warum ich
geben und ist zum Empirismus der damals fortgeschrittensten hier eine bestimmte Sprachform so entschieden angegriffen
Gestalt, dem Lockeschen, übergegangen. 186 Aber was ist habe.
schließlich eine solche beschränkte Naturkatastrophe gegen- Kurz also: es ist dem metaphysischen Gedanken seine tradi-
über der zur Totalität sich erweiternden Naturkatastrophe der tionelle Vereinbarkeit mit der innerweltlichen Erfahrung zer-
Gesellschaft, deren Aktualität und Potentialität wir heute uns schlagen worden. Es ist dabei - ich habe das der Sache nach
gegenüber sehen; heute, wo eben doch aus dem gesellschaft- schon angedeutet in dem Vergleich zwischen der Voltaire-
lich produzierten Bösen etwas wie die reale Hölle geworden schen Situation und unserer eigenen -, es ist dabei eine Art
ist. Und das affiziert eben nicht nur den metaphysischen Ge- von Umschlag von Quantität in Qualität erfolgt. Der millio-
danken, sondern, wie ich Ihnen an diesem Moment des Sin- nenfache Tod ist zu einem in dieser Weise noch nie zu fürch-
nes gezeigt habe, auch den Inhalt der Metaphysik selbst. Und tenden geworden, und hat eben eine ganz veränderte Nuance
ich darf vielleicht doch an dieser Stelle hinzufügen, daß es mir bekommen. Nuance, - das Wort allein ist eine Schmach ge-
kaum etwas Verächtlicheres zu geben scheint, kaum etwas, ue nüber dem ' was man sa<>en
a o
möchte und wofür der Sprache
was des Begriffs der Philosophie, dessen was Philosophie im- wirklich die Worte fehlen; man kann es eigentlich nicht sagen.

165
Und das ist der stärkste Beweis, wie sehr diese Dinge nur noch ganz gleich woher sie nun kommt, absehbar wird. Also die
m aterialistisch verstanden werden können. Es ist eben heute Versöhnung des Lebens als eines in sich runden und ge-
das Schlimmere als der Tod zu fürchten. Vielleicht darf ich Sie schlossenen mit dem Tod, die immer schon fraglich und pre-
in diesem Zusammenhang aufmerksam machen auf den Auf- kär und wahrscheinlich, wenn überhaupt vorhanden, dann
satz eines mir im übrigen völlig unbekannten Autors namens ein seltener Glücksfall einzelner gewesen ist, - diese Versöh-
Jean Amery über die Tortur, der sich in dem letzten Heft des nung ist heute ausgeschlossen.
»Merkur« fmdet; 188 ein Aufaatz, der mir mit seiner philosophi- Ich würde sagen, daß der Ansatz von »Sein und Zeit« - und
schen Armatur, nämlich der des Existenzialismus, keineswegs damit darf ich noch einmal vielleicht kommentieren, Ihnen
gemäß ist, doch die Veränderungen in den Gesteinsschichten etwas üb er den »Jargon der Eigentlichkeit« sagen -, daß der
der Erfahrung, die durch diese Dinge bewirkt worden sind, in Ansatz von »Sein und Zeit« vielleicht an keiner anderen Stelle
einer a-eradezu bewundernswerten Weise zum Ausdruck so sehr als ideologisch sich erweist als darin, daß er den Tod zu
bringt."Man kann das auch, die Veränderung, die ich meine, begreifen sucht aus dem >Entwurf der Ganzheit des Daseins<
vielleicht am einfachsten so ausdrücken, daß der Tod in der heraus 189 ; und daß er darüber eben jene schlechthinnige Un-
Gestalt, die er gewonnen hat - und es ist eine Lüge, daß der vereinbarkeit der lebendigen Erfahrung mit dem Tod unter-
Tod als Invariante zu allen Zeiten derselbe sei; auch der Tod, schlägt, wie sie gegeben ist mit dem definitiven Verfall der po-
das ist eine ganz abstrakte Identität; auch der Tod selbst kann in sitiven Religionen. Er sucht gewissermaßen Strukturen der
ganz verschiedenen Zeiten ein Verschiedenes sein und ist es - , Erfahrung des Todes als solche des Daseins, des M enschenwe-
man kann also dieser Veränderung der Erfahrung, auf die ich sens schlechthin zu erretten, die so, wi e er sie malt, überhaupt
Sie hinweisen möchte, vielleicht die Form geben, daß der Tod nur innerhalb der positiv-theologischen Welt mit der positi-
mit keinem Leben eines Einzelnen mehr zusam.menstimmt. ven Hoffnung auf die Auferstehung gegeben waren, ohne daß
Oder, wenn Sie mir nicht böse sind, wenn ich es etwas lite- er sieht, daß eben jene Struktur durch ihre Säkularisieruno-
von der er stillschweigend j edenfalls in jenem Werk ja aus- "'
rarisch sage: es gibt keinen epischen oder keinen biblischen
Tod mehr; nicht m ehr dieses, daß ein Mensch zu sterben geht, - daß durch die nicht nur jene Inhalte sich zersetzt haben,
vermag, müde, alt und lebenssatt, - wie ja denn auch von sondern daß ohne diese theologischen Inhalte diese Erfahrung
der anderen Seite her in den Zusammenhang, von dem ich selber nicht mehr möglich ist. Es ist also dieser Versuch ein er
Ihnen wenigstens eine Vorstellung geben ni.öchte, auch das Art von Erschleichung theologisch gesetzter Möglichkeiten
h ereinfallt, daß es auf der einen Seite Alter mit Kategorien der Erfahrung ohne Theologi e, die ich dieser Gestalt der Meta-
wie Weisheit und all dem, was damit zusammenhängt, h eute physik dabei eigentlich vonverfe; ohne selbstverständli ch - ich
nicht mehr gibt; und daß auf der anderen Seite die alten füge das nur hinzu, um mich vor einem vielleicht gar nicht dro-
Menschen, soweit sie biologisch eben doch zum Alter verur- henden Mißverständnis zu salvieren -, ohne daß selbstver-
teilt und zugleich auch zu schwach zur Selbsterhaltung sind, st;indlich, angesichts des Standes, des geschichtlichen Standes
sich in Objekte der Wissenschaft, Gerontologie nennt sich des Bewußtseins, nun daraus eine Empfehluna- der Theoloa-ie
b "

die, und der Sozialfürsorge verwandeln: in einer Weise, in abzuleiten wäre: weil man es einmal, im Schutz der Religion,
der dadurch, daß das Alter schon so wie eine Art von Mino- leichter gehabt haben soll zu sterb en. Nun also, - wenn man
rität erfaßt wird, auch bereits so etwas wie ein Euthanasie- von dieser Gestalt des Todes redet, wie sie in der absoluten Be-
programm irgendeiner künftigen Gestalt der Inhumanität, hnrschbarkeit der Menschen, bis zu ihrer Massenvernich-

166
tung, besteht, so wird man sagen müssen, daß innerweltlich muß, damit das was anders wäre in den M enschen selber frei
gesehen diese Veränderung des Todes darauf herausläuft, daß wird. M an darf also noch so etwas wie die Liquidation des
der Anpassungsprozeß, dem die Menschen unterliegen, abso- Ichs, die wir heute erfahren, nicht als das schlechthin Böse und
lut gesetzt wird; so wie j a schon die Folter eine extreme Gestalt Negative erfahren, weil man sonst zum M aß des Guten und
der Anpassung ist. Oder Worte wie Gehirnwäsche deuten ja Schlechten wahrscheinlich ein Prinzip macht, das selber ins
schon daraufhin, daß durch diese grauenhaften Maßnahmen, Böse verflochten ist und das eine geschichtliche D ynamik in
in die etwa auch die Schockbehandlung von Geisteskranken sich trägt, die es verwehrt, daß man es hypostasiere. Jedenfalls
gehört, die Menschen mit Gewalt gleichgemacht werden sol- ist zunächst für die Menschen, die wir sind, und für die M en-
len. Das bißchen an Anderem, an Abweichung, das ihnen ge- schen, die, unter den herrschenden gesellschaftlichen Bedin-
genüber der herrschenden Tendenz noch zukam, soll ihnen gungen der Produktion, gekettet sind an das blinde Prinzip
auf diese Weise auch noch ausgetrieben werden. der Selbsterhaltung, diese Liquidation des Ichs das, was am
Mit anderen Worten: die Veränderung der Metaphysik, die meisten zu fürchten ist. Und es gehört jedenfalls in der Situa-
wir erfahren, ist bis ins Innerste hinein eine Veränderung des tion heute, um diese Dialektik zwischen dem Ich und seiner
Ichs und seiner sogenannten Substanz; die Liquidation dessen, Auflösung zu denken, von der ich Ihnen für einen Augenblick
was man einmal in alter M etaphysik durch eine rationale See- wenigstens die Perspektive habe eröffnen wollen, - es gehört
lenlehre, also durch eine Lehre vom Ansichsein der Seele hat zu dieser Dialektik, um sie zu erkennen, wie zu jeglicher Ein-
bezeichnen wollen, - eine Erfahrung, die mit freili ch sehr sicht in den gegenwärtigen Zustand, genau jene Stärke des
schwankendem und zweideutigem Akzen t Brecht in Gestalt Ichs, jene Unb eugsamkeit und Unbeirrbarkeit des Ichs gegen-
der Formel »Mann ist M ann« 190 bezeichnet hat. Ich deute Ih- über der vorwaltenden Tendenz dazu; j ene Ichstärke, die von
nen nur an (worauf ich jetzt in dieser Vorlesung nicht einge- der geschichtlichen Tendenz eingezogen wird und die in im-
hen kann), daß an dieser Stelle, an der Frage der Liquidation mer weniger Menschen überhaupt noch sich realisiert findet.
des Ichs oder an der Frage der Depersonalisierung, die ab- Das also, was da in den Lagern zugrundegeht, das ist w irklich
gründigsten Probleme der Metaphysik überhaupt sich verstek- schon nicht mehr das Ich, sondern - wie Horkheimer und ich
ken, denn dieses Ich selber, als das leibhaftig gewordene Prin- schon vor fas t einem Menschenalter in der »Dialektik der Auf-
zip der Selbsterhaltung, ist bis ins Innerste verstrickt in den klärung« es genannt hab en 191 - nur noch das Exemplar, bei-
Schuldzusammenhang der Gesellschaft. Und ihm wird gleich- nahe wie in der Vivisektion, nur noch j enes auf den Körper
sam in seiner Liquidation heute, in seiner gesellschaftlichen reduzierbare oder, nach Brechts Wort,192 quälbare Einzelwe-
Liquidation nur das heimgezahlt, was es durch s~ine Selbstset- sen, das noch glücklich sein kann, wenn es durch den Selbst-
zung einmal verübt hat; was seine Schuld also gewesen ist. Es mord dem rechtzeitig sich entzieht. Man könnte also sagen,
ist ein Horizont metaphysischer Spekulation , den ich Ihnen daß der Völkermord, die Ausrottung der M enschheit und die
nur nenne, weil man über diese Dinge heute überhaupt im. Zusammenfassung der M ensch en zu einer Totalität, in der al-
Ernst nicht reden kann, ohne daß m an wenigstens weiß , ob les schlechterdings unter dem Prinzip der Selbsterhaltung
nicht der Begriff der Person selber, in dem für so viele - etwa steht, dasselbe, ja, daß der Völkermord die absolute Integrati on
auch für den jüngst verstorbenen Martin Buber- sich die me- sei; und daß die reine Identität aller Menschen mit ihrem Be-
taphysische Substanz zusammengezogen hat, ob der ni cht griff nichts anderes sei als der Tod selber, - ein Gedanke, der
wirklich, j a: genau der Knoten ist, der weggenommen werden höchst überraschender- und merkw ürdigerweise, freilich mit

168
einem ganz anderen und zwar einem reaktionären Akzent, an- Menschen , auch unter formaler Freiheit, die heute, in der ge-
tezipiert ist in jener Theorie der »Phänomenologie des Gei- genwärtigen Gestalt der Arbeitsorganisation, unter gleichzei-
stes« von H egel, in der er die absolute Freih eit mit dem Tod tiger Aufrechterhaltung der Produktionsverhältnisse, erreicht
gleichsetzt 193 . Ich brauche mich nicht polemisch abzugeben ist, - daß also jeder Mensch durch jeden anderen und damit ei-
mit der D enunziation der Französischen Revolution, die H e- gentlich überhaupt ersetzbar ist; das Gefühl infolgedessen der
gel dabei im Sinne lag, aber etwas davon, daß die absolute Überflüssigkeit und, wenn Sie so wollen, Nichcigkeit eines j e-
Selbstbehauptung und die absolute Negation alles Lebendigen den einzelnen von uns für das Ganze: das ist die in der objekti-
und damit schließlich auch der Völkermord das gleiche sei, das ven gesellschaftlichen Entwicklung heute liegende Begrün-
ist dem früheren Hegel in seiner beispiellosen spekulativen dungjenes Gefühls auch unter den Bedingungen der formalen
Kraft zu einer Zeit - vor I 50 Jahren und m ehr - aufgegangen, Freiheit. Ich würde denken, die Veränderungen , die ich wie
zu der in der realen geschichtlichen Perspektive nichts derglei- immer unzulänglich versuche, Ihnen heute auszudrücken,
chen auch nur absehbar kann gewesen sein. Mir hat in diesem weil ich das Gefühl habe: über Metaphysik zu reden, ohne von
Zusammenhang einen unauslöschlichen Eindruck eine For- diesen Dingen Rechenschaft zu geben, wäre wirklich nichts
mulierung - die Kogon in seinem Buch über den »SS-Staat« .1ls Blabla, - diese Erfahrungen haben so tiefe objektive
berichtet - gemacht, die SS-Schergen gegenüber den ernsten Gründe, daß sie etwa auch durch politische Herrschaftsfor-
Bibelforschern gebraucht haben sollen, wenn sie unmittelbar men, also durch den Unterschied zwischen formaler Demo-
vor dem Verenden standen; denen soll dann gesagt worden kratie auf der einen Seite und totalitärer H errschaft auf der an-
sein: »Morgen wirst du als Rauch aus diesem Schornstein in deren, eigentlich gar nicht berührt werden; jedenfalls so, wie
den Himmel dich schlängeln.«194 Das ist wohl die genaueste die Dinge bis jetzt aussehen, bis jetzt sich gestaltet haben. Aber
Formulierung der satanischen Verkehrung des metaphysi- wir müssen dabei zugleich uns darüber klar sein, daß eben des-
schen Gedankens und der Substanz der Metaphysik selber, die halb, weil wir ja unter dem universalen Prinzip des Profits und
wir heute erleben müssen. damit der Selbsterhaltung leben, der Einzelne gar nicht mehr
Wenn ich sagte, daß diese Erfahrungen alle betreffen, und als sich und sein Leben überhaupt zu verlieren hat; daß also
nicht nur di e Opfer oder die, die gerade eben noch so daran das, was objektiv absolut gleichgültig geworden ist - so wie
vorbeigekommen sind, so meine ich damit nicht nur das, daß Sartre in seiner Lehre von der Absurdität der Existenz es dar-
die fafahrungen , die ich versucht habe, hier Ihnen zu be- gestellt hat -, daß gleichzeitig der Einzelne eben gar nichts
zeichnen, von einer so furchtbaren Gewalt sind, daß keiner, anderes hat als dies absolut Gleichgültige; daß ihm also noch
der sie auch nur gleichsam von fern berührt hat, dem je wieder das, was er als ein Sinnloses wissen muß, zugleich als der
entgehen kann, - so wie Amery sehr überzeugend in j enem Sinn seiner eigenen Existenz aufgezwungen wird; ja, daß ein
Aufaatz sagt, daß wer einmal gefoltert worden ist, das ni emals Leben, das eigentlich nur noch Mittel zum Zweck seiner
und nie auch nur für einen Augenblick in seinem Leben wie- Selbsterhaltung ist, zugleich eben dadurch in einen Zweck
der vergessen kann 195 . Sondern ich meine damit zugleich auch verhext und fe tischisiert wird. Und in dieser Antinomie: auf
etwas Obj ektives, und das möchte ich Ihnen doch sagen, aber- der einen Seite der Herabsetzung des Individuums, des Ichs
mals mit der Intention, daß Sie diese Dinge, über die ich h eute zu einem Nichtigen, seiner Liquidation, und andererseits
rede, nicht einfach in die Subjektivität des Erfahrenden auflö- seiner Zurückgeworfenheit eben darauf, daß es ein anderes
sen. Die absolute Fungibilität und Ersetzbarkeit eines j eden als dieses atomisierte Selbst, wie wir schon leben, überhaupt

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gar nicht mehr hat, - in diesem Widerspruch liegt das „,·11;m auf der Seite eben der Kunst sind, von der man mit
Furchtbare und Entsetzliche, das Entsetzen der Entwicklung, NI if'.verständnis mir vorgeworfen hat, daß ich sie unterdrücken
die ich Ihnen heute vor Augen zu stellen für meine Pflicht "t11lte; in ostzonalen Zeitungen hat man sogar gesagt, ich
halte. l1 :irte mich gegen die Kunst erklärt und damit den Standpunkt
Ich habe einmal gesagt, daß nach Auschwitz kein Gedicht iln Barbarei ergriffen. Man muß doch darüber hinaus wirk-
mehr zu schreiben sei, 196 und es hat darüber eine Diskussion 11,·h sich fragen - und das ist nun eine metaphysische Frage,
gegeben, die ich mir nicht erwartet hatte, als ich diesen Satz , ihwohl sie in der äußersten Suspension von M etaphysik ihren
schrieb; auch deshalb nicht erwartet, weil es ja zu der Philoso- (:rund hat; es ist merkwürdig, wie alle Fragen, die die Meta-
phie gehört - und es ist nun einmal alles, was ich so schreibe, l'hysik negieren und ihr sich entziehen, gerade dadurch selber
Philosophie, das kann ich nicht verhindern, auch wenn es ,·inen eigentümlich metaphysischen Charakter wieder be-
scheinbar gar nicht mit sogenannten philosophischen Themen kommen -, ob man nach Auschwitz überhaupt noch leben
zu tun hat - , weil es, sage ich, zur Philosophie dazu gehört, b11n: so wie ich es selber erfahren habe etwa in den immer
daß nichts ganz wörtlich gemeint ist; Philosophie bezieht sich wiederkehrenden Träumen, die mich plagen und in denen ich
eigentlich immer auf Tendenzen und besteht nicht in state- das Gefühl habe, eigentlich gar nicht m ehr selbst zu leben,
ments of fact. Es ist bereits ein Verkennen der Philosophie so ndern nur noch die Emanation des Wunsches irgendeines
durch ihre Annäherung an die allherrschenden szientifischen der Opfer von Auschwitz zu sein. Nun, - auch daraus hat das
Tendenzen, daß man einen solchen Satz nun so auf den Tisch < :cblök des Einverständnisses sofort das prompte Argument
legt und sagt: >Also er hat geschrieben, man kann nach Ausch- pcmacht, es sei doch nun sozusagen höchste Z eit, daß jemand,
witz keine Gedichte mehr schreiben; also entweder man kann ;;er so dächte wie ich, sich auch endlich umbrächte, - worauf
wirklich keine mehr schreiben, man ist ein Schurke oder ein id1 nur sagen kann: das könnte den Herrschaften so passen.
kaltherziger Mensch, wenn man eines schreibt, - oder er hat Solange ich noch das, was ich versuche auszudrücken, aus-
Unrecht und hat etwas gesagt, was man so nicht sagen darf. <Ja , drücken kann, und solange ich glaube, damit dem zur Sprache
ich w ürde sagen: die philosophische Reflexion besteht eigent- zu verhelfen, was sonst nicht zur Sprache findet , werde ich,
lich genau in dem Zwischenraum oder, Kantisch gesprochen: wenn nicht das Äußerste mich dazu zwingt, dieser Hofföung,
in der Vibration zwischen diesen beiden sonst so kahl einander diesem Wunsch nicht nachgeben. Aber trotzdem meine ich,
entgegengesetzten Möglichkeiten. Ich würde gern zugeben, ;ds eine metaphysische Frage ist doch das ungeheuer schwer zu
daß man so gut wie ich gesagt habe, daß man nach Auschwitz nehmen, was in dem bedeutendsten und deshalb in Deutsch-
kein Gedicht mehr schreiben kann - womit ich das Hohle der land kaum gespielten Stück von Sartre, »Morts sans sepulture«,
auferstandenen Kultur habe bezeichnen wollen-, andererseits Tote ohne Begräbnis, eine Figur, einer der jungen und der
doch Gedichte noch schreiben m1!f3, im Sinn des Satzes von Folter überantworteten Widerstandskämpfer sagt: kann man
Hegel aus der »Ästhetik« 197 , daß es solange, wie es ein Be- L'i<>entlich überhaupt noch - oder: wozu soll man eigentlich
wußtsein vo n Leiden unter den Menschen gibt, eben auch 11~ch - in einer Welt leben, in der sie einen schlagen, bis einem
Kunst als die objektive Gestalt dieses Bewußtseins geben die Knochen zerbrechen? 198 Diese Frage ist j edenfalls als eine
müsse. Und ich maße mir weiß Gott nicht an, diese Antino- nach der Möglichkeit überhaupt auch nur einer Affirmation
mie zu schlichten, und kann es mir schon deshalb nicht anma- des Lebens gar nicht zu umgehen. Und ich würde denken, daß
ßen, weil meine eigenen Impulse ja in dieser Antinomie ganz iiberhaupt kein Gedanke, der nicht daran sich gemessen hat,
172 173
der das nicht theoretisch in sich aufnimmt, daß ein solcher Ge- 15. VORLESUNG
danke von vornherein einfach das abschiebt, worüber nachzu- 20. 7. 1965
denken ist, - und deshalb eigentlich ein Gedanke gar nicht ge-
nannt werden kann. 1, li möchte nicht die Betrachtungen, die wir die letzte Stunde
.111gestellt haben, wiederholen, sondern Sie nur, ohne irgend
•·t was zusammenzufassen, daran erinnern, daß wir gestoßen
""11-cn auf den Gedanken, daß die Frage, ob überhaupt noch
·,i,·h leben läßt, eigentlich die Gestalt ist, in der zunächst ein-
111:1! Metaphysik einem heute auf den Fingern brennt, -in ei-
•HT Weise, die man, ohne ein Spenglerianer zu sein, doch

\\'ohl sich zusammendenken muß mit der Situation der spät-


.111tiken Philosophie, in derja die Menschen, um mit derselben
1Tage fertig zu werden, auf solche Auskünfte wie die Ataraxie,
.ilso die Abtötung aller Affekte verfallen sind, um nur i.ibcr-
lw1pt des Lebens fahig zu sein. Ich kann jetzt nicht eine Kritik
'In Stoa durchführen. Ich möchte nur sagen, daß auch der
·;toische Standpunkt, auf den ja sehr vieles heute hindrängt
1111d der zum Beispiel auch in gewissen Motiven von Heideg-
)'P» des früheren Heidegger vor allem, recht deutlich wird, -
daß dieser Standpunkt doch selber, trotzdem er den Gedanken
'lcr Freiheit des Einzelnen so überaus nachdrücklich gefaßt
liat, noch ein Moment des Bornierten besitzt in dem Sinn,
daß er die Umklammerung der Menschen durch die Totalität,
dir Eingespanntsein verabsolutiert und deshalb überhaupt
keine andere Möglichkeit sieht, als dem sich zu unterwerfen.
1he Möglichkeit, den Schuldzusammenhang als einen Zu-
s:unmenhang der Verblendung zu durchschauen und damit
:1uch zu durchbrechen, ist in dieser ganzen Philosophie noch
nicht aufgegangen. Sie hat zum ersten M al zwar den Gedan-
ken des umfassenden Schuldzusammenhangs konzipiert, aber
nicht gleichzeitig das Moment des notwendigen Scheins an
diesem Zusammenhang durchschaut, - und das, würde ich
dmken, ist doch der kleine Vorteil, der geringe Vorsprung,
den wir, im Besitz unserer gesellschaftlichen und philosophi-
schen Erkenntnis, heute vor dem stoischen Standpunkt haben .
.Jedenfalls ist zu sagen, daß die Schuld, in die man fast schon

174 175
11 uf\t ist, zugleich auch dazu beiträgt, daß man zu wenig wi-
dadurch, daß man überhaupt weiterlebt, verstrickt ist, mit
dem Leben selber kaum mehr zu versöhnen ist. Man kann sich 1lnstl'ht und daß es in jedem Augenblick sich wiederholen
wirklich, wenn man nicht ganz stumpf sich macht, kaum dem 1111d sich wiederherstellen kann.
Gefühl - und Gefühl heißt hier soviel wie Erfahrung; ich l~s ist nicht meine Art, die Philosophie deshalb, weil sie nun

denke dabei gar nicht an die emotionale Sphäre -, man kann 1·111mal, wenn man es so paradox ausdrücken darf mein Metier
sehr schwer nur dem Gefühl sich entziehen, daß man eigentlich 1·.1. zu rechtfertigen. Ich bin mir des Fragwürdigen der Be-
bereits dadurch, daß man weiterlebt, gewissermaßen einem an- ·., Ji:iftigung mit Philosophie gerade in einer Welt, die so ist wie
deren, dem das Leben versagt worden ist, die Möglichkeit weg- il1c, in der wir leben, weiß Gott bewußt. Aber es gibt viel-
nimmt, ihm das Leben stiehlt; so wie wenn eine Gesellschaft, li·idlt - man sucht ja, wenn man etwas tut, schließlich doch
die in ihrer absurden Gestalt heute zwar nicht die Arbeit, wohl 1111111er nach Rechtfertigungen dafür, daß man es tut-, es gibt
aber die Menschen überflüssig gemacht hat, gewissermaßen , f, ich vielleicht eine gewisse Rechtfertigung dafür, daß man
eine Rate, einen Prozentsatz, einen statistischen Prozentsatz 111it Philosophie sich abgibt, darin, daß sie, als das noch nicht
von Menschen vorbestimmt, dessen sie sich entledigen muß, !'.'111z departementalisierte, noch nicht ganz an Branchen auf-
um in ihren schlechten bestehenden Formen weiterleben zu !'.t°tl'ilte, verdinglichte Wissen, die einzige Chance mir dar-
können. Und wenn man dann weiterlebt, dann hat man ge- r1 1stellen scheint, innerhalb der Grenzen dieser departemen-
wissermaßen das statistische Glück gehabt, das auf Kosten 1.disierten Welt wenigstens etwas von dem gutzumachen, was
eben derer ging, die in den Vernichtungsmechanismus hin- 1·111em sonst, eben wie ich es Ihnen zu erklären versucht
eingeraten sind und, wie man fürchten muß, noch hineinge- !iahe, versagt ist. Wenn man schon nicht injedem Augenblick
raten werden. Die Schuld reproduziert sich in jedem von uns - 'll'r Identifikation mit den Opfern und des wachen Bewußt-
und ich rede nun wirklich sehr auf das Subjekt gewandt - des- seins, der wachen Erinnerung fahig ist, dann ist die Philoso-
halb, weil wir unmöglich dieses Zusammenhangs in jedem phie in den notwendigen Gestalten ihrer eigenen Verdingli-
Augenblick unseres wachen Lebens ganz gewärtig sein kön- .-lmng dafür vielleicht die einzige Gestalt des Bewußtseins, die
nen. Wenn wir: jeder von uns, die wir hier zusammen sitzen, wenigstens objektiv dadurch, daß sie diese Dinge zu durch-
injedem Augenblick wüßten, was da geschehen ist und wel- dringen und in einer objektivierten Gestalt bewußt zu ma-
chen Verkettungen wir auch unsere eigene Existenz verdan- ,·hen vermag, doch wenigstens etwas, ein Geringes von dem
ken und wie unsere eigene Existenz verflochten ist mit dem Lut, wozu wir unfahig sind und was, das muß man auch zuge-
Unheil, selbst wenn man nichts Schlimmes getan hat, etwa nur -;tehen, wenn man es allseitig tun wollte, wirklich die Kraftei-
dadurch, daß man es aus Angst versäumt hat, im rechten Au- 11L"sjeden einzelnen Menschen weit überfordern würde. -An-
genblick anderen Menschen entscheidend zu helfen, und das dererseits muß man -wenn ich in diesem Zusammenhang das
ist eine mir sehr vertraute Situation aus der Zeit des Dritten Problem der Metaphysik umkreise; und ich kreise ja in diesen
Reichs, - daß man, wenn einem all diese Dinge injedem Au- Betrachtungen, die wir jetzt anstellen, um das Problem der
genblick ganz gewärtig wären, daß man dann wirklich über- Metaphysik -, andererseits muß man sagen, daß die Welt, in
haupt nicht leben könnte; daß man gevvissermaßen gedrängt der wir leben, noch von einem anderen Gesichtspunkt aus als
wird, gestoßen wird auf jenes Vergessen, das selbst bereits et- der es ist, den ich Ihnen bis jetzt entwickelt habe, gegen die
was Schuldhaftes hat und das dadurch, daß man sich des Dro- l'hilosophie eine Art von Mißtrauen erweckt. Es ist nämlich
henden und des Geschehenen nicht in jedem Augenblick be- so, daß, je tiefer Philosophie ist, je mehr sie sich also von der

177
Oberfläche des bloß Seienden entfernt, man zuweilen das Ge- 111 iisse; und daß eben jener bloß registrierende, oberflächliche
fühl hat, des Gefühls nicht ledig wird, daß sie durch ihre ei- < ;vist, dem man mit jeder Faser widersteht, am Ende auch
gene Vertiefung, durch ihre Entfernung von dem bloß Seien- 111ich gegen einen Recht behalten könnte. Man muß in die-
den, auch desto weiter sich von dem entfernt, wie es nun ·.,·m metaphysischen Sinn sozusagen noch den common sense,
wirklich und eigentlich ist, >comment c' est<, wie es bei Beckett 111 >eh die triviale Menschenvernunft in die Spekulation mit
heißt; 199 daß also die Tiefe der philosophischen Reflexion, die l1i11einnehmen; muß ihn selber als das Prinzip eben, das dafür
notwendig ist als Widerstand gegen all den Schein und die ·;, irgt, daß die Welt bloß ist und nichts anderes, in die Spekula-
Illusion, die das verdinglichte Bewußtsein uns liefert, gleich- t 1011 mit hineinnehmen, wenn nicht ihre Tiefe wirklich eine
zeitig von der Wahrheit einen deshalb abführt, weil man 1.ilsche, daß heißt: nicht eine illusionär sinngebende Tiefe sein
manchmal den Argwohn nicht los wird, daß gerade dies bloße •,oll.
Dasein, das zu durchdringen nun einmal der unabdingbare Auf der anderen Seite aber ist das Glück des Gedankens, das
Impuls aller Philosophie ist, das einzige ist, was da überhaupt ist was einen überhaupt dazu motiviert, über metaphysische
und worüber nachzudenken sich lohnt. Die Dinge über die 1>inge nachzudenken und die Fragen aufzuwerfen, wie ich sie
Krise des Begrifü und des Sinnes und über die Unmöglich- 1li nen im Lauf dieser Vorlesung entwickelt habe, eben doch

keit, dem Dasein etwas wie Sinn zu vindizieren, die ich Ihnen ;>,:illZ allein das Glück der Elevation, das Glück der Erhebung;
in den letzten Stunden auseinandergesetzt habe, deuten genau , bs Glück, über das was bloß ist hinauszugehen. Und es gehört
in diese Richtung. Und ich glaube, Sie brauchen nur diese Er- /LI den bittersten Gedanken, die einen Philosophierenden pla-
wägungen anzuwenden auf die Frage, die ich Ihnen eben in t ',L'll können, daß er, indem er diesem Glück des Philosophie-
diesem Augenblick unterbreite; und Sie werden zunächst ganz ;.cns nachgibt - also daß er die Wahrheit sich nicht von dem
einfach das Problem sehen, daß auf der einen Seite dadurch, bloßen Sein abmarkten lassen will-, in eine Art von dämoni-
daß jede wie immer auch geartete Konstruktion eines Sinnes schen Zusammenhang gerade von der Wahrheit gebracht
uns verboten ist, daß aber auf der anderen Seite die Aufgabe \Vird. Behielte tatsächlich das Pedestre, also der Ersatz der Er-
der Philosophie eben doch die ist zu begreifen und nicht einfach kenntnis durch das bloße Registrieren, Ordnen, Zusammen-
widerzuspiegeln das, was nun einmal ist, nicht es, wie Kants 1:1ssen von Fakten gegen die Elevation des Gedankens das

Ausdruck heißt: zu kopieren, - daß dadurch die Philosophie ktzte Wort, so wäre eigentlich Wahrheit selber chimärisch, so
nun wirklich in eine verteufelte Situation, in eine wahrhafte w~ire eigentlich gar keine Wahrheit, - sondern Wahrheit wäre
Zwickmühle hereingeraten ist. Es kommt einem manchmal so 11ichts anderes als die bloße praktikable Zusammenfassung und
vor, als ob das Oberflächlichste und Trivialste, also auch die al- Anordnung eben des bloß Seienden. Der Verdacht also, den
leräußerlichsten Beziehungen, wie sie die gängige positivisti- ich hier anmelde und von dem ich sagen würde, daß er als ein
sche Wissenschaft in ihrem klassifikatorischen Verfahren allein Moment in die philosophische Spekulation unabdingbar hin-
auffangt, Recht behielte, \Nährend doch das Wesen, einmal L'ingerät, ist der, es könne das triviale Bewußtsein heute, das
entschleiert, auf das Tiefe zielt. Es ist der unheimliche Verdacht, positivistische, näher sein an der adaequatio rei atque intellec-
den man manchmal gerade als ein sogenannter metaphysischer t us als das sublime Bewußtsein. Ich glaube, der einzige Weg,
Denker hat, also als ein Mensch, der gar nicht anders kann als zu der einen da hinausführt, wäre der einer Reflexion über die
begreifen trachten, - der sich einem aufdrängt: daß das Begrei- 1dee der Wahrheit selber, die die Wahrheit fassen müßte eben
fen selber bereits eine Illusion sei, der man sich entäuß ern nicht als eine solche adaequatio, nicht als ein solches bloßes

i
j
Sich-Anmessen an Sachverhalte, sondern als die Verhaltens- 1 Linden hielte, - daß es gegen sich selbst denkt; und das heißt
weise zu einem Sein von ganz anderer Art und Dimension, - .,, >viel wie: daß es sich an dem Äußersten, an dem schlechter-
die allerdings auch gebunden ist an eine ganz andere Verhal- d111gs Unausdenkbaren messen muß, um als Denken über-
tensweise des Bewußtseins als die der bloßen Registrierung. li.1upt noch ein Recht zu haben.
Aber wenn ich Ihnen gesagt habe, daß man dieses Motiv des Meine Damen und Herren, ich hatte in der letzten Stunde
Pedestren oder Positivistischen; dieses Motiv also, daß der llinen von Auschwitz gesprochen und davon, daß durch die
Geist im Grunde in nichts anderem besteht, als die Füße des 1 >inge, die da geschehen sind und für die ich nur den Namen
Tausendfüßlers zu zählen, und ich kann sagen, daß alles was Auschwitz nannte -während das natürlich noch über das Un-
ich überhaupt denke nichts anderes ist als ein einziger Wider- .111sdenkbare hinaus unausdenkbar ist: nämlich eine ganze ge-
stand gegen diese Vorstellung vom Geist, - da kann der Im- '' hichtliche Phase bedeutet -, daß dadurch die Metaphysik
puls, den ich meine: also der Impuls, der dem entgegengesetzt ·.l"lber bis in ihre innersten Motive verändert sei. Ich könnte
ist, der kann wahrscheinlich sich überhaupt nur erhalten durch , km auch, wenn Sie wollen, eine moralphilosophische Wen-
ein Wirf weg, damit du gewinnst. Also nicht dadurch, daß , lung geben und könnte sagen, daß der Hitler uns einen neuen
man irgendwelche sogenannten höheren Reservatssphären l1nperativ aufgezwungen hat: ganz einfach den, daß kein
oder soll ich lieber sagen: Naturschutzparks, sich erhält, an die Auschwitz sich wiederhole und daß nichts Ähnliches mehr
die Reflexion nicht rühren darf, sondern nur dadurch, daß 'L'Ül dürfe. Es ist unmöglich, diesen Imperativ zu begründen,
man den Prozeß der Entmythologisierung oder der Aufklä- 1 bs hat er mit dem Kantischen gemein. Wenn Kant den seinen

rung bis zu einem Äußersten treibt, - nur darin ist, wenn .ils schlechterdings gegeben betrachtet, so steckt darin gewiß
überhaupt, eine Hoffnung dafür gelegen, daß er vermöge sei- .illerhand finster Autoritäres und Irrationalistisches, aber doch
ner Selbstreflexion eben doch in jenem Trivialen nicht sich .n1ch - ich habe Ihnen das in der Vorlesung des vergangenen
vollende, dessen Vollendung nun seinerseits das absolute Semesters zu erklären versucht 202 -, doch auch eben das Be-
Grauen ist. Denn wie immer man auch zu den Arbeiten von wußtsein davon, daß die Sphäre des richtigen Handelns in der
Hannah Arendt stehen mag, und ich stehe äußerst kritisch zu hloßen Rationalität nicht aufgeht, sondern daß etwas >hinzu-
ihnen, - aber in der Identifikation des Bösen mit dem Trivia- tritt<20·1. Ich glaube, bereits ein Versuch, etwa ein allgemeines
len, 200 darin hat sie jedenfalls Recht. Nur würde ich es anders ( ;esetz anzugeben, warum Auschwitz oder die Atombombe
wenden; ich würde nicht sagen, daß das Böse trivial, sondern oder eben alle diese Dinge, die hier miteinander zusammen-
ich würde sagen, daß das Triviale böse sei, - nämlich eben die hängen, nicht mehr sein sollen, - das zu begründen, hätte sel-
Gestalt des Bewußtseins und des Geistes überhaupt, die bereits ber bereits etwas so Läppisches, weil dadurch in die Rationali-
sich anpaßt an die Welt so wie sie ist, die dem Prinzip der l;it, in die doch schließlich abgeleitete Sphäre des Geistes, das
Trägheit gehorcht. Und dieses Prinzip der Trägheit, das ist ja IZ.echt einer Rechtsprechung verlagert würde, das sie nur
nun wohl wirklich das radikal Böse. Es gehört also, würde ich usurpieren kann. Im übrigen ist es so - und das gehört in die-
sagen, zu einem metaphysischen Denken heute, wenn es selbe Sphäre -, daß man in dem Augenblick, wo man hier zu
überhaupt eine Chance haben will, nicht in Gewäsch vom Ty- hegründen versucht, sofort in eine unauflösliche Dialektik
pus der meuen Geborgenheit< 201 und ähnlichem Unfug aus- hineingerät. Stellen Sie sich also einfach irgendeinen dieser
zuarten, dazu, daß es, anstatt apologetisch zu sein und auf ir- rntsetzlichen halbkolonialen Kriege vor, die ja für unser Zeit-
gend etwas zu verweisen, was man nun doch unverlierbar in ;dter so bezeichnend sind, - wo also die eine Partei, und wel-

180 181

il
FAPICH/UFMG ~ BP1J1 L~r· ii
iU ißut1
ehe das ist, darüber kann man dann jeweils würfeln, foltert und i
'
'l.d:\ gerade also das metaphysische Prinzip eines solchen >Du
entsetzliche Greuel begeht, und die andere dann dazu ge- 101/st< - und dies >Du sollst< ist ja ein m etaphysisches, ein über
zwungen wird, wie sie sagt, ebenfalls zu foltern , um dadurch die bloße Faktizität hinausweisendes Prinzip-, daß das selber
ihre Gegner an ihrer Praktik zu verhindern. Ich möchte der ·;eine Rechtfertigung eigentlich finden kann nur noch in dem
Triftigkeit oder Untriftigkeit solcher Erwägungen gar nicht J(ckurs auf die materielle Wirklichkeit, auf die leibhafte, phy-
nachgehen , ich möchte nur sagen, daß im Augenblick, wo ' ische Realität und nicht an seinem Gegenpol, als reiner Ge-
man versuchte, einen Satz wie: es soll nicht gefoltert werden, danke; daß also, sage ich, die Metaphysik geschlüpft ist in das
irgendwie zu begründen , daß man da bereits in eine schlechte 111aterielle Dasein. Genau das, - genau dieser Übergang der ei-
Unendlichkeit gerät; und wahrscheinlich dabei sogar injedem !';l'lltlichen metaphysischen Fragen und der, wenn ich einmal
Versuch einer solchen Begründung den kürzeren ziehen "> großmäulig es ausdrücken darf der Metaphysik selbst in die
würde, - während das, was an diesem Satz w ahr ist, nun wirk- Schicht des Materiellen, das ist das, was von dem einverstan-
lich genau das ist, was einer solchen Dialektik sich entzieht. ' knen Bewußtsein, was von der offiziellen Jasagerei jeglichen
Und ich glaube, daß Sie damit mich nicht mißverstehen wer- Schlages verdrängt wird. Als Kind, glaube ich, weiß man von
den im Sinn einer Art von Irrationalismus oder eines Glaubens diesen Dingen - in der trüben Art, in der man überhaupt als
an ein unmittelbar einsichtiges Naturrecht. Alles das liegt mir Kind solche Dinge weiß- noch etwas. Es ist das di e Zone, di e
ganz fern. Sondern ich möchte dabei vielmehr auf dieses prak- dann j a auch wirklich in den Konzentrationslagern buchstäb-
tische, in der Erkenntnis selber nicht aufgehende, aber für die lich sich herstellte; und von der man als Kind bei oft sublimina-
Erkenntnis doch wiederum konstitutive Moment in der Mo- lrn Erfahrungen - der Wagen eines Hundefängers fahrt vorbei
ralphilosophie hinweisen. Das Außerlogische, an das ich dabei '>der solchen Dingen - die Ahnung hat: das sei das Allerwich-
appelliere - um das ganz klarzumachen und vor jeglichem Ir- l isrste, darauf käme es eigentlich an, auf die Zone von Aas und
rationalismus sicherzustellen -, das ist nun wirklich das, was Abdecker. Und dieses unbewußte Wissen, daß das das Wich-
von der Philosophie und von der Rationalität eskamotiert tigste sei, daß man das erkenne, - das ist sicher kaum geringer
wird. Aber nicht so, wie man sagt, daß sie die irrationalen Mo- als die infantile Sexualität, die dieser Sphäre, wie Freud ja
mente oder Werte eskamotiert, sondern gerade umgekehrt: es 11achgewiesen hat, außerordentlich eng verwandt ist, mit die-
ist nämlich ganz einfach das Moment des Abscheus vor dem ser Sphäre sehr viel zu tun hat. Dieses Gefühl also: darum geht
physischen Schmerz des, wie Brecht es einmal ausgedrückt L's; dieses, daß die armseligste physische Existenz, wie sie ei-
hat,204 des quälbaren Körpers, der irgendeinem Menschen an- 11L'm in diesen Phänomenen entgegentritt, mit dem obersten
getan wird. 1nteresse der M enschheit auf eine, ich würde sagen: bis h eu te
Wenn ich Ihnen sage, daß eigentli ch der Grund der Moral noch kau1n richtig durchdachte, nur eben angedachte Weise
heute in , ich möchte fast sagen: in dem Körpergefühl , in der zusammenhängt. Ich glaube, in der Bildung, die wir als Stu-
Identifikation mit dem unerträglichen Schmerz beruht, so denten etwa erfahren, ist die einzige Stelle, wo wir vielleicht
zeige ich Ihnen damit etwas von einer anderen Seite h er an, von diesen Dingen etwas erfahren, die Anatomie in dem Stu-
was ich Ihnen vorhin in einer viel abstrakteren Form anzudeu- dium der Medizin; und die Art der furchtbaren Erregung, mit
ten versucht habe, - nämlich daß die Moral, das was man mo- der etwa bei Studenten des ersten Semesters diese Zone be-
ralisch nennen kann, also die Forderung nach dem richtigen setzt ist, - das alles scheint eben darauf hinzudeuten, daß es da
Leben, fortlebt in ungeschminkt materialistischen Motiven; L'igentlich steckt, und daß alles darauf ankärne, daß wir uns der

182
zivilisatorischen Verblendungsmechanismen entäußerten, die „,· blecht und blind Naturhafte an den Menschen-, genau das
diese Sphäre immer wieder uns verhüllen. Es ist ja beinahe so, ist der Grund dafür, daß die Menschen das nicht Wort haben
als ob die Philosophie - und zwar gerade die große, die tiefe, wollen. Und wenn man wirklich die Philosophie kurieren
die konstruktive Philosophie - einem einzigen Impuls gehor- will von dem Charakter des Ideologischen, des Verhüllenden,
chen w ürde: nur von dort wegzugehen, wo Aas, Gestank und , kn sie in fast unerträglichem Maß heute angenommen hat,
Fäulnis ist. Und gerade durch diese Entfernung, die ihre Tiefe .Linn ist das wahrscheinlich genau der r6:rwc; vo17r6c;, der Er-
von diesem Armseligsten nimmt, dadurch ist sie wohl in der kenntnisort, an dem eine solche Umwendung der Philosophie
perennierenden Gefahr, selber zu etwas so Dünnem, Unwah- sich zu vollziehen hätte. Wenn das, was ich Ihnen hier, sehr
rem und Armseligem zu werden . Nebenbei bemerkt: die ,·xtrem, über den Begriff der Kultur versucht habe deutlich zu
Überlegungen, die ich Ihnen eben vortrage, so fragmentarisch 111achen, wahr ist, dann läßt sich im Sinn eben jenes Pro-
sie auch sind, taugen vielleicht dazu, Ihnen verständlich zu :,ramms, daß es an der Philosophie ist, des Unsäglichen sich zu
machen, warum die Dramatik von Beckett, die mir ja, wie Sie wrsichern, und daß das ihre einzige raison d' etre heute dar-
wissen, 205 als das einzige, wirklich relevante metaphysische stellt, - dann läßt sich sagen, daß durch etwas wie Auschwitz
Gebilde aus der Zeit nach dem Krieg erscheint, - warum die t111d die Welt von Auschwitz deutlich geworden ist, was aller-
immer wieder in diese Sphäre sich begibt. Und der billige ' lings den Menschen, die keine Positivisten waren, sondern ge-
Spo tt, der sich daran heftet, daß im Grunde Beckett es immer rade den spekulierenden und den tiefen Menschen keine
nur wieder mit Urnen, Müllkästen und Sandhaufen zu tun Überraschung gewesen ist: daß nämlich die Kultur bis ins In-
hätte, in denen Menschen zwischen Leben und Tod vegetie- 11crste hinein mißlungen ist. Das ist ein Satz, der ebenso ausge-
ren, so wie sie übrigens tatsächlich in den Konzentrationsla- sprochen worden ist von Marx in den großartigen, später von
gern vegetiert haben, - dieser Spott scheint mir nur ein ver- ihm unterdrückten Formulierungen aus Entwürfen zum »Ka-
zweifelter Versuch, eben das abzuwehren: daß es genau hier 1)ital«, in denen er von der Borniertheit aller bisherigen Kultur
sitzt, daß es genau um diese Dinge geht. spricht; 2117 wie es ausgedrückt ist selbstverständlich auch von
Wenn man sich klarmacht, daß alles das, was wir so Kultur Nietzsche, derja wie kaum ein anderer, gerade deshalb, weil er
nennen, in der Unterdrückung der Natur und der Spur der ;111 den Überbau fixiert war, diesem Überbau, diesem kulturel-
Natur besteht, die nicht beherrscht ist, dann ist dieser Kultur kn Wesen auf den Grund geblickt hat. Und zwar ist das zu-
natürlich am allerunerträglichsten, wo sie des Natürlichen n~ichst einmal daran zu greifen, daß Philosophie, Kunst und
nicht ganz Herr zu werden vermag, wo es gleichsam in ihre ei- die aufklärende Wissenschaft die Menschen, an die sie sich ge-
gene Sphäre immer wieder hineinreicht, wie es in dieser dunk- richtet haben und auf die sie ja auch als auf ihr ideales Subj ekt
len Sphäre, von der ich Ihnen eben gesprochen habe, der Fall unabdingbar bezogen sind, nicht wirklich ergriffen haben. Ich
ist. Man könnte sagen, daß die Kultur den Gestank deshalb ninnere mich an einen Besuch in Bamberg, in dem die Frage
perhorresziert, weil sie selber stinkt - in dem Sinn, wie Brecht :1ufgeworfen wurde, ob der Anblick der unbeschreiblich schö-
es einmal in dem wahrhaft großartigen und erleuchteten Satz nen und intakten, teils mittelalterlichen und teils barocken
formuliert hat: die Menschheit habe sich bis heute einen ge- Stadt nun die Menschen, die dort gelebt hätten, auch irgendwie
waltigen Palast aus Hundescheiße gebaut 206 . Ich glaube, das - geformt, auch irgendwie verändert hätte, wie man es sich wün-
also das Schuldhafte und Niedrige der Kultur, die Unterdrük- schen möchte. Ich brauche nur das Wort Bamberg zu nennen,
208
kung eben der Natur, und diese Unterdrückung ist selber das und ich glaube, eine Antwort auf diese Frage ist nicht nötig.

185
Aber es geht darüber - über dieses Versagen der Kultur ge- 111;1ßen den Trümmern, die sie ausräumt und über denen sie
genüber den M enschen - noch hinaus, wenn ich vom Mißlin- ·.i,·h so f!ickwerkhaft und erbärmlich wieder installiert hat, wie
gen der Kultur rede, denn die Verselbständigung der Kultur ist "' mit wahrhaft symbolischer Kraft das äußere Bild unserer
ja nicht etwas, was man einfach durchstreichen kann in dem wiederaufgebauten Städte Ihnen verrät. Diese auferstandene
Sinn, daß man von der Kultur fordert , daß sie nun an die Men- l\. ultur ist nun wirklich ganz und gar zu der Ideologie gewor-
1 kn, die Kultur, vermöge der Trennung zwischen geistiger
schen sich wende, daß sie den M enschen etwas sei oder gebe.
Die Kultur gerade in ihren großen M anifestationen ist j a nicht 1111d körperlicher Arbeit, von je her auch gewesen ist. Man fin-
eine Art sozialpädagogischer Anstalt, sondern sie hat ihre ,lct ihr gegenüber sich in einer Antinomie: wer für die Erhal-
Wahrheit- wenn sie eine hat- nur in sich selber. Und das, was 11111 g dieser Art Kultur plädiert, macht sich zum Komplizen

sie für die M enschen vielleicht bedeuten kann oder kön nte, ihrer Unwahrheit und des ideologischen Scheins überhaupt;
kann sie nur dadurch erfüllen, daß sie dabei nicht an die Men- wer es aber nicht tut und wer fordert, daß tabula rasa gemacht
schen denkt, sondern daß sie in sich selber rein und konse- werde, der befördert damit ganz unmittelbar die Barbarei,
quent durchgebildet wird, - was allerdings , so verblendet ist iiher der doch Kultur sich erhoben hatte und die durch die
der Weltlauf, dann im allgemeinen der Kultur auch n och als Vermittlungen von Kultur hindurch doch eben einmal gemil-
ein Mangel an Liebe angekreidet wird, wenn sie sich nicht in ' lcrt war. Nicht einmal das Schweigen führt aus diesem Zirkel
einem bestimmten Sinn adaptiert, was die M enschen vo n ihr heraus, sondern der, der schweigt, der gar nichts mehr sagt -
haben möchten. Ich glaube demgegenüber, daß auch in den 1111d die Versuchung ist weiß Gott groß genug-, der legt ein-
sich selbst genügenden Zonen des Geistes die Unwahrheit 1ig Zeugnis seiner subjektiven Unfähigkeit ab, das zu sagen ,
haust. Und wenn ich den kritischen Gesichtspunkt in all dem, was gesagt werden müßte, und legt sich diese subjektive Unfä-
was sich auf die G ebilde des objektiven Geistes bezieht, so sehr higkeit dann auch noch als eine besonders erhabene Stellung
in den Mittelpunkt stelle, wie ich es tue und wie es manchem 1.ur Obj ektivität der Wahrheit aus. Die Abschaffung der Kul-
von Ihnen vielleicht nicht behagt, dann hat das den Grund, t ur, wie man sie im Osten betreibt, also ihre Verwandlung in

daß ich glaube, daß es die wesentliche Forderung überhaupt ein bloßes Herrschaftsmittel, läßt der Kultur, die immer schon
an die Befreiung der M enschen von dem Schleier, von der 1nit der H errschaft verfilzt war, nur Gleiches mit Gleichem
Ideologie ist, daß sie des Moments der Unwahrheit gerade widerfahren. Sie ist aber eben deshalb ihrerseits auch wieder
dort sich bewußt wird, wo diese Unwahrheit als Wahrheit, wo 11icht besser als die Kultur, sondern noch schlechter, weil sie
der Ungeist als Geist sich selbst verkennt. D as w ird einem viel- sdbst noch das an Versprechen, das an H offnung, was die Kul-
leicht daran am deutlichsten, daß der ganze Bereich, den ich t ur beinhaltet hat und was über dies Immergleiche der Be-

vor vielen Jahren schon, unmittelbar nach meiner Rückkehr herrschung hinausging, womöglich auch noch erstickt und
aus Amerika, den der auferstandenen Kultur genannt habe 209 , sich zurückbegibt auf den Standpunkt der unmittelbaren Un-
also den einer Kultur, die ihre traditionellen Werte des Wah- t ndrü ckung, - und dabei womöglich den M enschen auch

ren, Schönen und Guten wieder aufwärmt, als ob nichts ge- noch einredet, dieser Stand der unmittelbaren Unterdrückung
schehen wäre, - daß diese Sphäre der auferstandenen Kultur sei die Freiheit. Ich glaube, daß ich mit dieser kulturphiloso-
genau der Müll und genau der Unrat ist, vor dem diese Kultur, phischen Antinomie zugleich eine politische Ihnen ausge-
wie ich Ihnen vorher gesagt habe, flüchtet, vor dem sie sich drückt habe.
zurü ckzieht. Sie gleicht, diese auferstandene Kultur, gewiss er-

r86
I6. V ORLESUNG 1Tage durch ein Im-Trüben-Fischen mich zu entziehen. Das
22. 7. 1965 was ich dabei m eine ist folgendes: eine solche Frage - wie also
di e Dinge möglich waren, die geschehen sind - hat nicht nur
Ich fürchte, Si e könnten denken,2 10 daß ich die Frage nach ,·i11 en epistemologischen oder nosologischen Einfluß auf die
den m etaphysischen Gegenständen an sich verschob en hätte 1 :rage nach der Metaphysik, sondern tangiert wirklich, und

durch die Rü ckfrage nach der Möglichkeit, üb er solche meta- 1war unmittelbar, die m etaphysischen Antworten. Ich m eine
physischen G egenstände etwas zu sagen , - nur daß ich diese .ilso, mit anderen Worten , daß die m etaphysische These von
Möglichkeit nicht, wie es in den gängigen idealistischen <lcr Sinnhaftigkeit der Welt oder gar von einem Weltplan, der

Theorien geschieht, als eine Rückfrage auf ein wie immer ge- .111 dem , was da geschi eht, zugrundeliegt, in dem Au genblick
artetes Subjekt durchgeführt habe, sondern daß sie die Gestalt 1u Protest geht, in dem die H erstellung eines Sinnzusan1men-
einer Rückfrage auf die Kultur angenommen hat: daß ich also li a11gs zwischen dem, was geschehen ist, und den Ideen fehlt.
sozusagen die Metaphysik am Stande der Kultur messe; daß l11 dem Augenblick, wo man sich dann also auf das ganz Ab-
ich die Antworten auf die sogenannten metaphysisch en Fra- qr akte eines unerforschlichen Ratschlusses zurückziehen
gen vo n dem Bew ußtsein des geschichtlich-kulturellen Stan- 111uß - und in dem Begriff des unerforschlichen Ratschlusses
des abhängig mache, während doch gerade nach den gängigen hat etwas Fatales schon immer gesteckt -, wird dadurch die
Vorstellungen, die der Metaphysik das Wahre, Absolute, aller /\nnahme der metaphysischen Sinnhaftigkeit selber (und nicht
menschlichen Bedingtheit Transzendente zuschreiben, die- hloß unser Bewußtsein davon) erschüttert. D enn ich meine,
sem Bewußtsein genau eine solche konstitutive Beziehung <' twas anderes als unsere Vernunft; eine andere M öglichkeit, als
nicht soll zugeschrieben werden können. Ich glaube, ich bin :111 unserer konkreten Erfahrung es zu messen, haben wir
es Ihnen schuldig, deshalb einiges doch zu sagen über die Ver- ) , iiberhaupt nicht; und innerhalb der Konstellationen, in denen
li wir erfahren, werden eben - ich glaube, so kann ich es am ein-
flechtung dessen , was man so Kultur nennt, und der m etaphy-
sischen Fragen selber. Sie werden bemerkt haben, daß in eini- L1chsten ausdrücken - alle tradierten affirmativen oder positi-
gen entscheidenden Argumentationen - und die Betrachtung, \'Cn Thesen der Metaphysik einfach zur Blasphemie.
die ich im Augenblick mit Ihnen anstell e, ist, wie man so sagt, Es gibt ja sehr viele Menschen, die gerade angesichts der
eine m ethodische Betrachtung -, daß in einigem von dem, Verzweiflung in die Theologie sich retten. Ich glaube, ihnen
was ich gesagt habe, aus den innerkulturellen Erfahrungen der w~ire zu sagen, daß die Zumutung, die sie damit an sich und an
Metaphysik nicht die gängige erkenntniskritische Konsequenz ihre Vorstellung vom Absoluten stellen: nämlich daß dieses 21 1
gezogen wird: daß von dem Stand des kulturellen B ewußt- i111 Sinne des Absoluten selber gelegen sein könne, auf dessen
seins j eweils auch das Bewußtsein vom Absoluten abhinge, L·i gene Verteufelung hinausläuft, - eine M öglichkeit, die
ohne daß das Absolute selber davon tangiert w ürde. Sondern 'c hon in der dialektischen Theologie als der Lehre vom >ganz
ich glaube, es ist vielleicht gut, daß wir hier, wo wir ja im /\nderen<, die Gott zu einem Abgrund macht, angelegt war2 12
Grunde über die Möglichkeit von M etaphysik sprechen, - daß 1l!ld die dann, mit einer alles überwältigenden Kraft, in dem
wir doch von diesem Punkt uns noch einmal entscheidend Werk von Kafka durchgebrochen ist, bei dem es j a nun wirk-
R echenschaft ablegen, damit Sie nicht den Eindruck gewin- li ch so ist, daß die traditionellen, überlieferten theologischen
nen , daß ich an dieser Stelle ausweiche oder eine Art von in- Kategorien auf eine solche Weise an der Erfahrung gemessen
konsequentem Denken betreibe, um der entscheidenden werden, daß sie durch dieses Gemessenwerden an der Erfah-

188
rung selbst in ihr Gegenteil, das heißt in eine finstere Mytho- zu vermitteln, - wobei er im übrigen, wenn Sie mir die Pe-
logie oder Dämonologie umschlagen21 3 . Das also ist es, was danterie verzeihen, den Hegelschen Begriff der Vermittlung
ich gemeint hatte. Und in dem Sinn bitte ich Sie zu verstehen, als einer Vermittlung in dem Extrem selbst ganz mißverstanden
daß die Zusammenhänge zwischen Kultur und Metaphysik, hat, indem Kierkegaard diesen Begriff der Vermittlung von
die ich bis jetzt statuiert habe, - daß das nicht sich bezieht auf rnßen, gleichsam als einen Brückenschlag zwischen dem Ab-
die Brille, durch die wir das sehen, oder auf das Glasfenster, soluten und dem endlichen und bedingten menschlichen
durch das wir Gefangenen hindurchblicken, 214 sondern daß Geist verstanden hat. Diese Verflechtung der Selbsttäuschung
das, was sich hier zuträgt, durchaus seine Relevanz hat für die der Kultur mit einer inneren Z ersetzung der metaphysischen
Sache selbst. Und zwar im Sinn eines Umschlags von Quanti- Ideen, die ist mit einer außerordentlichen Redlichkeit und
tät in Qualität derart, daß solche Elemente natürlich immer Strenge von den dialektischen Theologen registriert worden.
schon vorhanden waren und daß die theologische Rechtferti- Sie sind nur (und diese Dinge sind besonders nachgewiesen
gung immer schon di e verzweifeltste Mühe sich hat geben worden in dem noch unveröffentlichten Buch von Hermann
n1üssen, um mit diesen Dingen fertig zu werden, um sie ir- Schweppenhäuser220 ), sie sind nur dadurch um die Frucht ih-
gend sich zurechtzulegen, - daß aber das, was damals nur im rer Erkenntnis gebracht worden oder sie sind nur insofern
individuellen Fall als rätselvoll und unerforschlich erschienen selbst befangen geblieben in einem subjektivistischen Stand-
ist, unterdessen so sehr zum Objektiven und Allgemeinen , punkt - also genau dem, wogegen sie sich am heftigsten ge-
zmn Weltlauf geworden ist, daß gegenüber der Übermacht wehrt haben-, daß sie nun geglaubt haben, das absolut Andere
dieses obj ektiven Weltlaufs jeder Versuch einer Harmonisie- und dabei ganz Bestimmungslose, was sie dem entgegenge-
rung mit dem sogenannten Weltplan oder der Vorsehung eben setzt haben, das sei es nun; in diesem Begriff des absolut Ande-
notwendig zum Aberwitz ausartet. Die Theologie der Krise, ren, darin hätten sie es nun. Und dieser Begriff des absolut An-
wie manja die dialektische Theologie nennt, wie sie zurück- deren hat es in sich, daß er entweder ganz bestimmungslos und
geht auf den Römerbrief-Kommentar von Karl Barth2 15 , -- die abstrakt bleibt, das heißt, daß er also dadurch das, was er leisten
Theologie der Krise hatte, wogegen sie abstrakt und ohn- soll, gar nicht leisten kann; oder daß er Bestimmungen em-
mächtig aufbegehrte, in diesem Aufbegehren die verhängnis- pfangt, die dann selber wieder der Kritik dieser Theologie un-
volle Verflochtenheit von Metaphysik und Kultur registriert. terliegen, das heißt Bestimmungen, die solche der Immanenz
Sie hatte, das ist sicher das ungeheure Verdienst all dieser Den- sind; oder schließlich, daß doch - und das ist der Weg, den die
ker, um die es sich hier handelt, also neben Barth auch das von meisten dieser Theologen gegangen sind - dieser Inhalt von
Emil Brunner216 , von Ebner2 17 , von Friedrich Gogarten 218 außen, dogmatisch, willkürlich, mit einem Sprung herbeizi-
und einigen anderen (obwohl auch solche darunter sind, die tiert werden muß, so daß also die Dialektik, die den Kern die-
eine finstere Wendung in ihrem eigenen D enken genonm1en ser theologischen Anschauung eigentlich bildet, zugleich von
haben) 2 1'>, - sie haben erkannt, daß die Immanenz der Kultur ihr widerrufen wird. Es ist so, daß das Prinzip des absoluten
und das Verquicken von Kulturkategorien und Kulturideen Ceistes, das ja eine eigentümliche Indifferenzbestimmung
mit den metaphysischen Ideen die Tendenz hat, diese Ideen zwischen der Transzendenz und dem Inb egriff menschlichen
selbst um ihren objektiven Wahrheitsgehalt zu bringen, sie Geistes als seiner eigenen allumfassenden Totalität ist, uner-
aufs Subj ekt zu nivellieren; auf Geist, wie der Ahnherr dieser müdlich das zerstört, was es auszudrücken vorspiegelt; daß es
Bewegung, Kierkegaard, es genannt hat: sie zu >mediieren<, sie :ilso unermüdlich das in sich hineinnimmt, was es gerade als

190 r9r
das Absolute, das heißt: jedem solchen Hineinnehmen Über- die ich mir eigentlich mit dem Text über den »Jargon der
legene, formulieren will, und daß deshalb - und darin wäre, Eigentlichkeit« gesetzt habe (außer denen, die ich Ihnen ge-
wenn Sie so wollen, Hegel noch über ihn hinauszutreiben - nannt habe), ein sehr wesentliches, - Ihnen zu zeigen nämlich,
noch sein oberster Begriff, in dem alles zur Ruhe kommen konkret zu zeigen, in welcher Weise die traditionellen hohen,
soll, der Begriff des Absoluten nämlich, dialektisch in sich oberen Worte zu Deckbildern gerade des Niedrigen, der Aus-
selbst wird, - dergestalt, daß er, indem er sich absolut wird, beutung, der Unterdrückung, des Schlechten geworden sind.
gleichzeitig dadurch, daß alles, was da ist, in den Geist als ein Man müßte wohl ein sehr oberflächlicher und, wenn Sie so
Menschliches hineingenommen wird, die Transzendenz oder wollen, ein sehr nom.inalistischer Sprachphilosoph sein, wenn
Absolutheit der Idee, die davon behauptet wird, zerstört. man diese Erfahrung, die Sie alle ja machen können und die
Ich glaube, die Konsequenz, die daraus zunächst einmal zu wohl zuerst, in einer freilich sehr anderen Weise, in dem
ziehen ist und die die dialektischen Theologen nicht gezogen C handos-Brief von Hugo von Hofinannsthal221 registriert
haben, die ja trotz der Lehre vom absolut Anderen mit den worden ist, - wenn diese Erfahrung, die man an den Worten
überlieferten Worten der Theologie ungebrochen weiter um- macht, die man nicht mehr in den Mund nehmen kann, nicht
gehen; die Konsequenz, die daraus zu ziehen wäre, ist die, daß auch etwas besagen sollte über das, wofür sie stehen. Ich
kein sogenanntes hohes, edles Wort - und anders als in Worten "laube es ist das einer der entscheidenden Punkte, in denen
""die Theorie,
,
für die ich stehe und aus der ich Ihnen in den Se-
sind diese Dinge ja nach Auschwitz nicht zu denken , wenn ich
das noch einmal so sagen darf- mehr verwandt werden könne; mestern wenigstens erhebliche Bruchstücke vortragen kann,
nicht bloß deshalb, aus den Gründen, die ich Ihnen entfaltet von der gängigen sich unterscheidet, daß ich der Ansicht bin,
habe: daß nämlich die hohen Worte mit der Erfahrung daß das geschichtsphilosophische Schicksal der Sprache zu-
schlechterdings ink01=1ensurabel geworden sind, sondern gleich das geschichtsphilosophische Schicksal der Sache selbst
aus dem, wenn Sie wollen, noch viel teuflischeren Grund, daß ist, - auf Grund übrigens einer Ansicht, die dem deutschen
es zu dem Wesen des Bösen heute geradezu gehört, selber sich Idealismus, insbesondere Wilhelm von Humboldt, gar nicht
der hohen und edlen Worte zu bemächtigen. Es ist geradezu fremd gewesen ist: daß nämlich die Sprache ebenso das Den-
das Zeichen der totalitären Bewegungen, daß sie alle sogenann- ken konstituiert wie umgekehrt; eine Einsicht im übrigen, die
ten hohen und edlen Begriffe, die es überhaupt gibt, monopo- unterdessen vom Nominalismus plattgewalzt worden ist und
lisiert haben; und daß das, was sie verfolgen und zerstören als das der die wenigsten Menschen sich überhaupt noch erinnern,
Niedrige, Insektenhafte, Schmutzige, als Untermenschentum obwohl jede Selbstbesinnung auf das D enken ihnen zeigen
und wie alle diese Worte lauten, ihnen Anathema ist. Und tat- kann, in welchem Maß das Denken ebenso vermittelt ist
sächlich ist der Verblendungszusammenhang oder der Bann, durch die Sprache wie umgekehrt. Das ganze Werk von Karl
von dem ich Ihnen gesprochen habe, so geschlossen, daß in Kraus ist ja in diesem Sinn zu verstehen, daß es gewissermaßen
ihm fast immer der, der sich weigert mitzuspielen, also immer das Schicksal der Sprache als die Ve1fallsgeschichte der von der
das, was mm wirklich für das Andere steht, als das Niedrige Sprache verkörperten Gehalte nimmt; daß ihm. also der
verächtlich gemacht wird; während die Ideale selber in einem Sprachverfall innerhalb der spätbürgerlichen Gesellschaft In-
nicht auszudenkenden Sinn Deckbilder des Schlechten ge- dex dessen ist, was aus den großen Ideen ihrerseits geworden
worden sind. Diesen Mechanismus zu analysieren, war, wenn ist.
ich auch darauf noch einmal hinweisen darf, unter den Zielen , Ich kann Ihnen das vielleicht erläutern, was ich hier meine

192 193
und was für die Stellung zur Metaphysik, so w ie ich in diesen 1<-11 , um in einer solchen Situation überleben zu können, - daß
letzten Stunden noch versuche, sie zu umkreisen , konstitutiv , l.1durch der Wahrheitsgehalt dessen, was sie denken, hotfuungs-
ist, wenn ich Ihnen eine Geschichte erzähle, die sich, ich 1, is untergraben und gänzlich zerstört wird . Es ist möglich ,
glaube: im vo rigen Jahr zugetragen hat. Ich war in den Ferien , l.d.\, wenn Beckett im Lager gewesen wäre, daß er dann nicht
zusammen mit einem Schriftsteller, den ich im übrigen seiner , k11 »Namenlosen« und nicht das »Endspiel« geschrieben
moralischen Kraft wegen sehr hoch schät ze; er hat viele J ahre l 1:itte; aber daß dadurch das was er tut besser geworden wäre
im Konzentrationslager zugebracht - ein Jude, ein Verfolgter- 1111d wahrer geworden wäre als es ist, das halte ich allerdings
und hat die Kraft gehabt, die Dinge, die er in den Lagern gese- 111cht für möglich . Der Gedanke, der Ihnen auch in diesem
hen hat, festzuhalten und zu objektivieren; und er gehört zu / .usammenhang immer wieder begegnen wird: man m uß den
den wenigen , denen wir es üb erhaupt verdanken, daß in der Menschen etwas geben, man muß den M enschen Mut ma-
Gestalt des Berichts über di ese Dinge das einzige geschieht, t !ien, - all diese Dinge sind auf der einen Seite Bedingungen
was w ir den Opfern gegenüber überhaupt noch vermögen, , ks D enkens der Wahrheit, durch die das D enken der Wahr-
nämlich daß es nicht einfach vergessen wird. 222 Ich machte heit eingeschränkt wird und der, der die Wahrheit denkt, wo-
mit diesem Mann einen langen Spaziergang, es war im H och- 111tiglich mit dem Odium der Unmenschlichkeit behaftet
gebirge, und kam dabei aufBeckett zu sprechen, und er ent- wi rd, so \.vie ich es Ihnen vorher gezeigt habe. Ich finde aber
wickelte einen außerordentlich heftigen Affekt gegen Bek- darüber hinaus, daß dadurch, durch diesen Modus des Den-
kett, und es entfuhr ihm dabei das Wort: »Ja, wenn der Beckett kens oder durch diese Forderung, die an das Denken ergeht,
im Konzen trationslager gewesen wäre, dann würde er wahr- 1 lrn Menschen, zu deren Ehre es scheinbar so gesagt wird, Un-

scheinlich diese Sachen, diese verzweifelten Dinge nicht 1nht widerfahrt. Si e werden dabei in Wahrheit - während
schreiben, sondern dann würde er Dinge schreiben, die den 111an so tut, als ob man aus Menschenliebe oder sonst was an sie
Menschen Mut machen. « Ich finde, daß das , was hier statthat: denken und sich nach ihnen richten müßte - herabgesetzt zu
die Verwechslung, um die es sich hier handelt - deren subj ek- ( )bjekten eines auf sie zugeschnittenen , sie manipulierenden,
tive M otivatio n ich verstehe und achte nach dem, was d ieser sie kalkulierenden D enkens, das schon von vornherein darauf
M ensch hinter sich hat - , daß die doch Licht wirft auf den spe- sich einrichtet, daß es ihnen das gibt, was sie brauchen und was
zifischen Charakter von Ideologie, den der Umgang mit: den sie wollen . Und d urch diese Einschätzung der Menschen, die
metaphysischen Begriffen heute angeno mmen hat. Es gibt ein ;1uch in solchen sich sehr erhaben gebenden Gebo ten sich ma-
amerikanisches Sprichwort, das ungefähr besagt, daß es im nifestiert, werden in Wirklichkeit die M enschen, denen man
Schützengraben keine Atheisten gibt; das alte deutsche :ru dienen vorgibt, en twürdigt. Sie werden im Grunde dann
Sprichwort, daß Not beten lehrt, verweist ja in dieselbe Rich- von der M etaphysik so behandelt wie von der Kulturindustrie.
tung, - und im Grunde hat dieser persönlich heroische M ann Und ich würde sagen, es ist das Kriterium einer jeglichen me-
ganz ähnlich argumentiert. Diese Argumentation ist deshalb taphysischen Frage heute, ob sie diesen Charakter des kultur-
so unschlüssig, weil die Situationen, in denen die Menschen industriellen Einverständnisses besitzt oder ob sie das ni cht tut.
dann gezwungen werden , nur um überleben zu können, das Ich erinnere mich andererseits demgegenüber daran, daß, als
>Positive<zu denken, selber Zwangssituationen sind, die sie so vor vielen Jahren , unmittelbar nach dein Krieg, es war noch in
einschränken, so auf ihre pure Selbsterhaltung zurückwerfen, Amerika , H orkheimer und ich zusammen das Buch über den
sie so sehr dazu zwingen, nur das zu denken, dessen sie bedi.ir- »SS-Staat« von Kogon 223 gelesen haben , - daß, trotzdem es das

194 195
erste war, das uns eine ganze Vorstellung von dem gegeben 1~s gibt eine Stelle bei Kant, in der Lehre vom Dynamisch-
hat, was sich da abgespielt hat, wir beide so reagiert hab en, daß l ·. 1liabenen aus der >Kritik der ästhetischen Urteilskraft<, wo er
wir das zu lesen als etwas unendlich Befreiendes empfunden w11 dem Gefühl - es ist eine merkwürdige Stelle; es ist eine
haben. Und ich bin demokratisch genug, um zu glauben, daß , In Stellen, in denen Kant gar nicht so dieses Rokökohafte
das, was wir erfahren haben, im Grunde so bei allen M enschen ', >111 r 8. Jahrhundert hat, sondern in denen er wirklich schon,
ist und sein könnte, die an diese Dinge überhaupt herangera- .\\ich in der Sprache, den To n der großen deutschen und engli-
ten, nur daß die meisten M enschen so im Bann von gängigen "' lirn Lyrik hat, wie sie etwa um 1780 aufgekommen ist-, wo
Vorstellungen sind, daß sie zu dieser Erfahrung nicht die Cou- n also von dem Gefühl des Erhabenen spricht als von einer ei-
rage haben . Wenn es etwas gibt, was aus diesem Höllenkreis ! '.<" ll tümlichen Vibration zwischen dem Gefühl der Ohnmacht
überhaupt hinausführt - und ich möchte das gar nicht über- , b empirischen Menschen dem Unendlichen der Naturkraft
treiben; ich bin mir der Schwäche und der Anfälligkeit eines !',l"genüber und andererseits der Beglückung, als Geist, als We-
solchen Bewußtseins durchaus selber bewußt -, dann ist es "'°n der Freiheit, doch dieser naturhaften Macht überlegen und
\Vahrscheinlich das, daß man fähig ist, als Geist noch das '' :i rker zu sein. 224 Gegenüber dem unendlich positiven Pathos,
Außerste in sich hineinzunehmen, zu denken und, im Ange- , bs eine solche T heorie bei Kant noch hat, sind wir weiß Gott
sicht der geistigen Erfahrung, seiner mächtig zu bleiben . Das .111f einem winzigen Inselchen zusammengedrängt. Und das
ist wenig genug. Denn es ist natürlich so, daß eine solche Ima- was ich heute versuche, Ihnen auszudrücken, will weiß Gott
gination und eine solche Fähigkeit, noch die äußerste N egati- sich nicht anmaßen , diesem Ich auch nur einen Rest j ener
vität zu denken , gar nicht vergleichbar ist mit dem, was einem Selbständigkeit und jenes Pathos zu vindizieren, das Kant da
geschieht, wenn man in solche Situationen selber hineingerät. 110ch behaupten durfte. Aber etwas davon ist doch noch da,
Aber trotzdem würde ich denken, daß hier, - darin also, daß was man sehr schwer fassen kann, was unendlich einge-
man nun gerade nicht sich manipuliert fühlt, sondern daß man s,· hränkt ist, - vielleicht do ch auch das, daß die Möglichkeit
das Gefühl hat, daß in diesen Dingen ohne j ede Rücksicht bis l"iner Änderung überhaupt daran hängt, daß man die äußerste
zum Äußersten gegangen wird, eigentlich der einzige Re- Negativität, nämlich die Negativität in den Grundschichten
spekt steckt, der sich überhaupt ziemt: nämlich der Respekt 1111d nicht nur in eph emeren Oberflächenphänomenen, selber
vor der Möglichkeit des Geistes, trotz allem über das was ist einmal sich bewußt macht. Vielleicht läßt sich ändern heute
um ein Geringes sich zu erheben; und daß im Grunde es ei- iiberhaupt nur gerade durch solche Gedanken, die nicht un-
nem mehr Mut gibt (wenn ich j ene Formulierung aufnehmen 11iittelbar auf Änderung abzielen. Und es ist charakteristisch,
darf) , wenn einem nicht Mut gemacht wird und wenn m an daß regelmäßig, wenn man Gedanken sagt, im Ernst Gedan-
sich nicht angeschmiert fühlt, sondern wenn man das Gefühl ken sagt, denen nicht die Anweisung: >ja, was soll ich denn
hat: sogar das Alleräußerste ist noch etwas, was sich denken :1ber tim, jetzt und hier tun,<- daß das sogleich eine Art von
läßt und was dadurch, daß es in die Reflexion fallt, nicht als ein Wutgeheul erregt 223 ; und zwar ein Wutgeheul, das Wutgeheul
absolut fremdes und absolut Verschiedenes mir gegenüber- kann auch schweigend sein, das sich an keinerlei politische
steht. Ein solcher Gedanke ist wahrscheinlich, ich stelle mir oder andere Demarkationslin ien überhaupt hält, einfach weil
das vor, tröstlich er als jeder Trost, während der Trost trostlos es unerträglich ist, daß man nicht an irgendeine Praxis sich ze-
ist, indem ihm selber schon immer die eigene Unwahrheit diert. Das wird dann rationalisiert, und sehr gut rationalisiert -
beigesellt ist. und dagegen ist sehr schwer etwas zu sagen -: >ja, soll denn die

197

'
1
Welt, so entsetzlich wie sie ist, mit all diesen grauenhaften l.-11 Verstrickung, so faßt, wie ich es versucht habe, Ihnen an-
Möglichkeiten, die sie hat, soll die denn so bleiben? muß man ' l1·111end zu entwickeln, dann weiß ich nicht, wie man anders
nichts dagegen tun?< Dieses Bedürfnis ehre ich; ich wäre der il ·. kritisch , wie man in einer H altung unmittelbarer Liebe,
letzte, der es wagen würde, dagegen etwas zu sagen. Ich gebe . \1·111 was da ist überhaupt gegenüberstehen sollte. Aber indem
nur Ihnen, meine Damen und Herren, zu erwägen, ob nicht 111.111 das bekennt, indem man das so sagt, macht man sich na-
genau durch den Zwang, jetzt und hier etwas zu tun und 111rlich von vornherein zum Angriffspunkt all der bereitlie-
durch das Moment der Fesselung des Gedankens, das darin 1•.«11den Instinkte und Affekte, die auch noch im Gefühl ihrer
liegt, der Gedanke genau dort stillgestellt wird, wo er weiter- , .I! ~L·nen sittlichen Rechtfertigung dann losgelassen werden,
gehen müßte, damit m an überhaupt erst einmal an die Stelle 11111 das zu verhindern, was vielleicht um ein sehr kleines biß-
kommt, an der sich wirklich etwas ändern läßt. Wenn ich ein- ' !it·11 den Kopf oder die Fühlhörner herausstrecken möchte.

mal gesagt habe - in einem ironischen und traurigen Sinn -, 1 >.1s Verlangen nach Abbau der Kulturschicht und nach einem

daß dies die Z eit der Theorie sei, so habe ich nichts anderes .il isoluten Neu beginnen ist ja in Deutschland nach der Kata-
damit gemeint. Der Bann besteht heute nicht zum geringsten „1rnphe sehr stark gewesen. Und ich glaube, daß die Frage der
darin, daß er die Mensch en unablässig zu einem Tim verhält, \1 L·llung zur Metaphysik heute mit diesem Bedürfnis sehr viel
von dem sie glauben, daß es aus dem Bann herausführt; und daß 111 tun hat, - daß man nämlich geglaubt hat, wenn man nur
es sie verhindert an der R~lexion ihrer selbst und der Verhält- ,·1 HHich die ganzen Trümmer dieser Kultur weggeräumt hat,
1 l.11m kommt man auf das Ursprüngliche, das Wahre, eben das,
nisse, die sie vielleicht wirklich herausführen könnte. Ich
glaube, genau das: genau die Wut, di e die M enschen vor einer w;1s von der Metaphysik gemeint wird, die von der Kultur, so
solchen Art der, sagen wir: konsequenzlosen Reflexion er- iiL·ißt es nach dieser Anschauung, bloß verstellt worden ist.
greift, und andererseits das Motnent des Befreienden , das in 1>i ese Forderung des Neubeginnens bringt den metaphysi-
einer solchen Reflexion liegt, - diese beiden Phänomene sind ·;, hrn Denker in eine ein bißchen prekäre Situation, er wird
ganz genau korrelativ zueinander. Was an die Menschen sich sozusagen zu einer Trümmerfrau der Kultur. Sie sind so jung,
wendet, wie man heute so sagt: um der Menschen willen, das die m eisten unter Ihnen, daß Ihnen wahrscheinlich der Be-
betrügt sie um das, worauf sie Anspruch haben , auch wenn sie !'.riff der Trümmerfrau, der in den ersten Jahren nach dem
das Gegenteil glauben, - und verkürzt sie deshalb um ihre ei- Krieg gang und gäbe war, schon gar nichts mehr bedeutet.
gene Möglichkeit, um ihr Menschliches. Ich antworte das 1)ieser Begriff hat eine außerordentliche Prägekraft besessen.
~-·
auch auf diejenigen Einwände, die dazu tendieren, weil ich Schon vor Hitler hat es diese Dinge gegeben, diese Tendenzen .
keine Anwendungen auf Praxis gebe und nichts Tröstliches l ·: s gibt hier eine seltsame Ambivalenz: auf der einen Seite näm-
vorbringe, deshalb mit >Mangel an Liebe zu den Mensch en< zu 1ich hat man das kritische Denken - etwa also solche Gedanken,
argumentieren. Ich warne Sie: fast immer, wenn von Mangel wie ich Sie Ihnen in dieser Stunde h eute entwickelt habe - als
an Liebe die Rede ist, da will man haben, daß diese Liebe ir- destruktive Gedanken gebrandmarkt und die Meute auf solche
gendwie dem Schlechten zugute kommt. Und demgegenüber ( ;edanken losgelassen; zugleich aber hat man den Begriff der
ist doch wohl wahr der Satz von Strindberg aus den »Schwar- 1>estruktion, den man n egativ auf andere angewandt hat, für
zen Fahnen«: »Wie könnte ich das Gute lieben , wenn ich das sich selbst monopolisiert - ich denke dabei wieder an H errn
Böse nicht hassen würde?« 226 1-ieidegger-und hat sich als den wahren, nämlich als den positi-
Wenn man wirklich die Welt h eute, als eine Welt der tota- ven Destrukteur gefühlt, der durch den Abbau alles dessen, was

199
Abfallprodukt der Zivilisation, was entfremdetes, verding- 17- VORLESUNG
lichtes Denken sei, nun in die mit Recht so beliebte Eigent- 27. 7. 1965
lichkeit der Dinge hineinführen würde. Es hat sich dann aber in
der Folge gezeigt - und das ist unwiderruflich, würde ich sa- Wir hatten in den letzten Stunden über die Verflechtung von
gen-, daß dieser Versuch des Abbaus der Kultur, diese Gestalt ML'taphysik und Kultur gesprochen und darüber, daß durch
der Destruktion im Sinn der Hoffnung, einen unmittelbaren , bs heute eklatante Mißlingen der Kultur in einem äußerst ra-
Zugang zu dem Absoluten zu gewinnen, nachdem alles das ver- dikalen Sinn auch die Metaphysik selbst in ihrer Möglichkeit
schwunden ist, was bloß ~foEl sei, - daß dieses Denken eben nschüttert sei. Ich möchte nun aber heute - um jede Mißdeu-
seinerseits in die Barbarei und das Faschistische hineingeführt 11111g auszuschließen, aber auch weil es die Vollständigkeit des
hat. Und was immer man zur Kritik der Kultur sagen kann - ( ;cdankens so erfordert - dem hinzufügen, daß auf der ande-
und ich glaube nicht, daß ich im Verdacht stehe, der Kultur ge- IL'll Seite das Mißlingen der Kultur nicht dem Denken etwas

genüber, nämlich dem, was sie in ihrem eigentlichen Wesen ist, wie einen Freipaß auf einen Naturstand gewährte. Und zwar
nicht in ihren sogenannten Entartungserscheinungen, sondern , kshalb nicht, weil jenes Mißlingen der Kultur ja selber, wenn
in ihrem eigenen Begriff, daß ich dem apologetisch oder affir- 111an es so ausdrücken darf, an ihrer eigenen Naturwüchsigkeit
mativ gegenüberstünde-, aber während die Kultur zwar miß- licirt in ihrem eigenen immer noch andauernden Naturcha-
b' '
lungen ist, und mißlungen ist aus ihrer eigenen Schuld, die an r:ikter begründet ist; daran eben, daß diese Kultur sich in die
ihr gerächt wird, ist die unmittelbare Barbarei, die durch ihr bloße Selbsterhaltung und ihre Derivate in jedem Sinn festge-
Mißlingen herbeigeführt wird, dann immer noch das Schlim- hissen hat in einer Situation, in der die Menschheit diesem
mere. Es ist ein metaphysischer Fehlschluß, möchte ich sagen, l'rinzip einfach entwachsen ist, weil sie nicht mehr durch die
vor dem ich Sie gern bewahren möchte, daß man deshalb, weil unmittelbare Lebensnot auf den Zwang verengt zu sein
die Kultur mißlungen ist, weil sie also das nicht gehalten hat, brauchte, sich selbst zu erhalten, und damit auf die Nötigung,
was sie verspricht; weil sie Freiheit, weil sie Individualität, weil das Prinzip der Naturbeherrschung, der Beherrschung inne-
sie wahre Allgemeinheit den Menschen vorenthalten hat; weil rer und äußerer Natur, bis ins Unabsehbare hinein fortzuset-
sie also ihrem eigenen Begriff nicht genügt hat, daß sie deshalb z.en und zu verlängern. Auf der anderen Seite ist es so, daß der
nun zum alten Eisen zu werfen und frisch-fröhlich durch die Versuch des Denkens, nun der Metaphysik als reiner Naturka-
zynische Herstellung der Machtverhältnisse unmittelbar zu er- tegorien habhaft zu werden, die unmittelbar zu dem Bewußt-
setzen sei. Es ist einer der gefährlichsten Irrtümer, würde ich sa- sein sind, deshalb müßig und vergeblich ist, weil Erkenntnis
gen, die im kollektiven Unbewußten heute bereit sind - und ihre eigene Vermitteltheit, also, mit anderen Worten: ihre ei-
das Wort Irrtum ist dafür viel zu schwach und zu intellektuali- gene Abhängigkeit von Kultur in jedem Sinn nicht verleug-
stisch - , anzunehmen, daß etwas deshalb, weil es nicht das ist, nen kann. Philosophie selbst ist ein Stück Kultur, ist in die
was es verspricht, weil es noch nicht sein eigener Begriff ist, Kultur verflochten; und wenn sie sich so benimmt, als wäre sie
auch schlechter sei als das Gegenteil der puren Unmittelbarkeit, unmittelbar, durch angebliche Urfragen, ein der Kultur Ent-
das es zerstört. Und auch an dieser Überlegung mögen Sie er- hobenes, dann macht sie sich blind über ihre eigenen Bedin-
kennen, daß die abstrakte Trennung der Kultur von der Meta- "uno-en und verfallt dadurch ihrer Kulturbedingtheit nur erst
"' b
physik, wie sie gang und gäbe ist, aus Erwägungen über das dia- recht, mit anderen Worten: wird erst recht Ideologie. Es gibt
lektische Wesen der Kultur heraus nicht gebilligt werden kann. keine Erkenntnis, die ihre Vermittlungen verleugnen kann; sie

200 201
kann nichts anderes als sie reflektieren . Angebliche Urerfah- 1i al eigentlich der Anstoß zum metaphysischen Philosophie-
rung ebenso w ie der vergriffene und verbrauchte Kategorien- 11 ·11 sei; daß die Ratlosigkeit der M enschen dem Tod gegen-
schatz des Gemac hten: beides ist unabdingbar vermittelt und 1ihn der Anstoß zu Gedanken sei, die über den Umkreis ihrer
hat an dieser Vermittlung auch seine eigene N egativirät. Kul- 1:. rfahrung hinauszudrängen suchen. Die Todesmetaphysik
tur ist, könnte man sagen, solange sie fortwest in einer \X!elt, "' heint mir prinzipiell ohnmächtig zu sein, - nicht in dem
die eingerichtet ist wie die unsere und in der j eden Tag das ge- '>inn, daß m an nicht über den Tod nachzudenken hätte.
schieht, wovon wir wissen und nur mühsam verdrängen, daß Merkwürdigerweise wollte H eidegger ja gerade an dem
es geschieht, ob das nun in Südafrika oder Vietnam sei, - in ei- Nachdenken über den Tod das Nachdenken über den Tod
ner solchen Welt ist die Kultur und ist alles Eclle und Sublime, ,·11tmutigen2 30 , und es gehört zu den putzigsten Zügen seiner
was wir haben und woran wir unser Glück haben, nur wie ein 1'hilosophie, daß sie auf der einen Seite ihren Begriff der
Deckel über dem Unrat. Natur aber, soweit wir glauben, un- l·:igentlichkeit, und damit ihren zentralen spekulativen Motor,
abhängig von Kultur an ihr und ihren ursprünglichen Gege- .1111 N achdenken, am Reflektieren über die, wie er es nennt :
benheiten teilhaben zu können, ist nichts anderes als die Pro- Struktur des Todes gewinnt, aber auf der anderen Seite wü-
jektion des kulturellen Verlangens, es möge alles unverändert 1cnd wird darüber, wenn irgendjeman d nun, w ie er verächt-
bleiben; es möge alles bleiben bei dem alten Unwahren in, lich sagt, über den Tod >grübelte<231 : als wenn das, was er selber
Schellingisch gesprochen: jenem >Weltalter<227 , von dem da tut, im geringsten etwas anderes als ein solches G rübeln
Kafka sagt, es habe ein Fortschritt in ihm noch gar nicht statt- w;ire; j a, wie wenn überhaupt j eder Gedanke über den Tod,
gehabt228. , krja etwas Verschlossenes hat, in das der Gedanke gar nicht so
Ich glaube, das ist der Rahmen, in dem man über den Kom- 111111i.ittelbar eindringen kann, - als ob das etwas anderes als ein
plex nachzude nken hat, von dem ich j a in den Vorlesungen, in solches Grübeln irgend sein könnte. Ich mache Sie nur gerade
denen ich nicht mehr von dem Aristotelischen Text ausging, .1uf diesen einen Punkt aufmerksam, um Ihnen zu zeigen, wie
sondern Ihnen so ein bißchen was an eigenen Reflexionen unstimmig und wie sehr von Privileg und H errschbedürfnis
unmittelbar vorgetragen habe, - über den Komplex, von dem selbst an einer so zentralen Stelle sein Denken organisiert ist.
ich schon wiederholt gesprochen habe, nämli ch über die 1hs, was mir das Ohnmächtige an der Todesmetaphysik
Frage nach dem Tod. Denn es ist ja offenbar so, daß dadurch, sc heint, ist also nicht etwa jene von Heidegger bem ängelte
daß der Tod in die Kultur, in das Netz der Zivilisation, als ein Unfruchtbarkeit des G rübelns, nicht etwa der Glaube, daß
fremdes hereinragt, das einstweilen nicht einmal durch die sich dem Tod gegenüber nur eine H altung verschlossener Be-
besten Konnexionen zu bändigen ist, demgegenüber man es reitschaft oder etwas ähnliches gezieme. Übrigens gibt es bei
nicht einmal als ein M ächtiger sich ri chten kann; weil, wenn .Jaspers ganz analoge Formulierungen ; die scheinbar einander
ich so sagen darf, die Kultur den Tod nicht integriert hat, und so entgegengesetzten Denker haben darin, daß sie eine Art
wenn sie ihn integriert hat, sich dabei so lächerlich gemacht Heroisierung des Todes an sich betrieben haben, sich sehr gut
hat, wie es etwa in dem Roman »The Loved One« von Evelyn verstande n. Sie ist ohnmächtig deshalb, weil sie entweder not-
229
Wa ugh geschildert ist, - deswegen hat Philosophie, aus- wendig ausartet in eine Art von Propaga nda für den Tod, die
drücklich oder unausdrücklich, gleichsam den Tod als Einfalls- den Tod zu einem Sinnvollen erhebt, und dad urch schließlich
tor in die Metaphysik benutzt. Ü brigens gar nicht erst seit dazu vorbereitet, daß die Menschen den ihnen von ihren Ge-
Heidegger, sondern man hat ja schon immer gesagt, daß der sellschafte n u nd Staaten zugedachten Tod womöglich freudig

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adoptieren in dem Sinn, in dem Herr Krieck232 an dieser Stelle auch. Was ich meine ist etwas anderes, nämlich daß offenbar
im Dritten Reich erklärt hat, daß nur das Opfer >euch<, er das Bewußtsein der Menschen nicht ausreicht, der Erfahrung
meinte nämlich die Studenten, frei machen wird; oder aber - des Todes standzuhalten. Ich zögere, - ich weiß nicht, ob es
wenn diese Perspektive der Todesmetaphysik, die den Tod als sich dabei nun wirklich um eine Art von biologischer Tatsache
Sinn von Dasein rechtfertigt, wegfällt-, dann sind jedenfalls handelt, die also hinter unsere menschlich-bewußte Ge-
im allgemeinen die Besinnungen, die über den Tod stattha- schichte zurückreicht, oder ob es sich dabei selber um etwas
ben, von einer notwendigerweise so allgemeinen und forma- Geschichtliches handelt. Jedenfalls ist es so, daß gegenüber den
len Art, daß sie auf Tautologien hinauslaufen, wie die über die anderen animalia, die wir kennen, die Menschen offensicht-
Bestimmung des Todes als der Möglichkeit des absoluten lich die einzigen sind, die generell ein Bewußtsein davon ha-
Nichtseins des Daseins, die ich in dem »Jargon der Eigentlich- ben, daß sie sterben müssen. Aber es will mir so scheinen, als
keit« zitiert habe 2 -B, oder jene andere, weniger bekannte For- sei - und mein Verdacht ist, daß aus Gründen der gesellschaft-
mulierung von Heidegger, die mit hochgezogener Braue ver- lichen Einrichtung unsere geistige Organisation dieser Er-
kündet, daß, wenn wir sterben, eine Leiche zurückbleibe 23 4 . kenntnis nicht gewachsen ist-, als seien wir, die wir in diesem
Ich glaube, daß diese merkwürdige Insuffizienz dem Tod Wissen, wenn Sie so wollen, über die Natur uns insofern er-
gegenüber, des Bewußtseins dem Tod gegenüber: diese Insuf- hoben haben, als wir an dieser entscheidenden Stelle unsere
fizienz des Bewußtseins, dem Tod den angeblichen Sinn abzu- Naturwüchsigkeit reflektieren können, als seien wir auf der
zwingen, nicht nur mit der absoluten Verschlossenheit dessen anderen Seite doch selber gerade an dieser Stelle so natur-
zu tun hat, von dem man da redet; sondern ich glaube, daß - wüchsig, das heißt: so sehr unserem Interesse der Selbsterhal-
wenn wir einmal von dem wirklich sehr Abgründigen schwei- tung, der Selbstperpetuierung verhaftet, daß wir diese Erfah-
gen, ob über den Tod sich sinnvoll überhaupt reden läßt-, daß rung nur in einer merkwürdig abstrakten Weise überhaupt zu
.hier etwas anderes hereinspielt, was nun wirklich mit dem Be- machen vermögen. Ich möchte sehr vorsichtig sein: wenn wir
w ußtsein, und vielleicht mit dem gegenwärtigen Stand des aktuell, daß wir sterben müssen, in jedem Augenblick ganz
Bewußtseins, also mit Geschichte, zusammenhängt. Ich darf uns vergegenwärtigten ... Übrigens ist das keine Entdeckung
dabei Sie nochmals daran erinnern - und das ist wohl eine der von mir, sondern es gibt bereits in dem vierten Buch der »Welt
triftigsten Thesen, die gegen den Versuch, aus dem Tod Meta- als Wille und Vorstellung« von Schopenhauer eine Stelle, in
physik herauszupressen, sich erheben läßt-, daß zwar in Ge- der er, allerdings mit Staunen, daraufhinweist, daß die Men-
stalt des Todes Natur als ein nicht, bis heute ganz sicher nicht schen während ihres Lebens im allgemeinen so wenig von
Integriertes in die Gesellschaft und in die Kultur hineinreicht; dem Gedanken an ihre Sterblichkeit behelligt werden23 3 ; er
daß aber dennoch die Erfahrung des Todes , die Seite, die der erklärt das mit dem Schleier der Maja, also mit dem princi-
Tod uns, den Lebendigen , zukehrt, durchaus von der Gesell- pium individuationis; ich würde eher sagen, daß hier so etwas
schaft mitbestimmt ist; und daß, wenn nicht der Tod, so jeden- wie ein Antagonismus darin liegt, daß die Menschen selber
falls das Sterben ein gesellschaftliches Phänomen ist, und daß, gleichsam ihrem Geist nicht gewachsen sind, - ein Antagonis-
wenn sich einmal jemand die Mühe nähme, dem nachzuge- nrns im übrigen, der, wenn Sie an das Verhältnis der Einrich-
hen, wie die Menschen nun sterben, daß in dieser uns zuge- tung der Welt zu den Potentialien dessen denken, wessen der
kehrten Seite des Todes ja ebensoviele Vermittlungen der Kul- Geist der Menschen heute mächtig ist, sich ja unablässig re-
tur sich finden würden wie in allen anderen Phänomenen produziert, erweitert reproduziert hat. Unser Bewußtsein ist

204 205
offenbar einfach zu schwach geblieben, der Erfahrung des To- vngleichen wäre-, ich sage, erst wenn ein solcher Zustand er-
des standzuhalten; zu schwach, weil es selber zu sehr im Bann 1eicht wäre, in dem wir wirklich identisch wären mit dem, was
jenes Lebens ist, von dem Bewußtsein selber genetisch ja so et- wir nicht sind und von dem wir doch zutiefst wissen, wenn
was wie ein Derivat, etwas wie abgezweigte Energie bildet. wir es uns ausreden wollen, daß wir es sein und daß wir es wer-
Weil das Bewußtsein sich selbst in seinen Formen, also in den ' il'n könnten, erst dann bestünde vielleicht die Möglichkeit
Formen des reinen Denkens, ein ewiges dünkt, verfestigt es .1uch, versöhnt zu sterben. Solange sie irgendeinem anderen
sich gegenüber all dem, was es seines eigenen schwankenden !:ustand zugeschrieben wird, ist das bloß Lüge, aber erst dann
Bodens, seiner eigenen Hinfalligkeit gemahnen könnte. Dem w~iren wir wahrscheinlich der Erfahrung des Todes mächtig.
wäre vielleicht noch eine Reflexion hinzuzufügen, - eine Re- So tief, würde ich also sagen, ist nun wirklich die Metaphysik
flexion, auf die im übrigen gerade in unserer Zeit mit außeror- , lcs Todes, im Gegensatz zu ihrer statisch-ontologischen Ver-
dentlichem Nachdruck immer wieder Ernst Bloch hingewie- liiegung, mit der Geschichte und mit den Grundschichten des
sen hat 2 3<>; es ist vielleicht, neben dem Motiv der Utopie und !~L'schichtlichen Lebens der Menschheit verbunden.
mit diesem Motiv sehr innig verschränkt, überhaupt das ent- Die Todesmetaphysik, so wie sie heute gehandhabt wird,
scheidende in der Blochschen Metaphysik: daß nämlich in der ist, so will es mir scheinen, weit eher ein Trost darüber, ein
Welt, in der wir sind, kein Menschenleben, das Leben keines vergeblicher Trost darüber, daß den Menschen das abhanden
einzelnen Menschen, irgend an das heranreicht, was wir, was kam, was ihnen vielleicht den Tod zuzeiten erträglich machte:
ein jeder von uns sein könnte. Ein Gedanke, der übrigens alt ist, 11j111Jich die Einheit der Erfahrung. Ich würde überhaupt sagen,
der in der Aufkfarung von Helvetius gefaßt worden ist, aber d:iß das Problematische der auferstandenen Metaphysiken, die
bei ihm noch mit der Illusion behaftet auftritt, als ob es nur der 1nan wohl wahrhaft zerstören muß, um die Möglichkeit frei zu

Erziehung bedürfte, um das zu ändern und um uns, wenn ich bekommen, über diese Dinge anders als ideologisch nachzu-
so sagen darf, unserer eigenen Möglichkeit gleichzumach en, denken, - daß die allesamt eine Art von Ersatzfunktion aus-
um eine Identität zwischen der Potentialität und der Aktualität ii ben; und daß das tiefVerdächtige der gängigen und beliebten
von uns zu erreichen, 237 - w~ihrend wir unterdessen ja längst Metaphysiken heute darin besteht, daß sie eigentlich immer,
wissen, daß die Mechanismen, die uns daran verhindern, bis auch wenn das ganz am Rande und ganz fern nur erscheint,
tief in die Organisation eben jenes Ichs hereinreichen, von diesen Gestus: so schlin1m ist es ja gar nicht, haben. Das heißt,
dem Helvetius und die Aufklärer überhaupt dachten, daß es daß sie die Menschen irgendwelcher Wesenheiten versichern
im Sinn einer einfachen Bewußtwerdung und Perfektibilität wollen, die gerade problematisch geworden sind. Ich beziehe
darin zu verändern sei. Ich würde sagen: erst wenn wir wir mich dabei vor allem auf den Begriff der Zeit. Es kann schwer
selbst wären, wenn also sich in einem Leben, und zwar radikal L'Ül Zweifel daran sein, daß das Zeitbewußtsein der Men-
im Leben eines jeden Menschen, die unendliche Möglichkeit schen, überhaupt die Möglichkeit einer kontinuierlichen Er-
realisieren würde, die im Leben nun wirklich eines jeden fahrung von Zeit, aufs tiefste zerrüttet ist. Und es scheint mir
Menschen drinsteckt - und ich bin allerdings, Sie mögen mich die genaue Antwort, aber, wenn Sie wollen, freilich auch der
einen altmodischen Aufklärer schelten, der tiefüen Überzeu- bloße Abdruck dieser Situation zu sein, daß die gegenwär-
gung, daß es keinen Menschen und nicht den armseligsten tigen Metaphysiken nun versuchen, diese nicht mehr der Er-
gibt, in dem nicht ein Potential wäre, das nach den gängigen fahrung zugängliche Zeit zu retten und Zeitlichkeit als
bürgerlichen Vorstellungen mit dem Potential des Genies zu l<.onstituens des Daseins überhaupt darzustellen. Die gängigen

206 207
Metaphysiken beschwören also tendenziell immer das, was s,> aussieht, als ob eine solche Harmonie zwischen einem in
nicht mehr erfahren wird. Und das ist der tiefe, der wahrhafte sich geschlossenen Leben und dem Tod bestünde, nur das Le-
Grund dafür - der viel tiefer führt als eine oberflächliche, so- hen derer, denen ein solches Leben zugeschrieben wird, unter
genannte soziologische Deutung-, warum die gängigen Me- t'iner so unmäßigen Last gestanden hat, so sehr ihnen , wie
taphysiken in dieser merkwürdigen Art mit archaischen, längst man heute zu sagen pflegt, entfremdet war, so wenig ihr eige-
nicht mehr für die Gesellschaft wesentlichen, vor allem agrari- 11es Leben gewesen ist, daß sie nicht einmal m ehr dazu gekom-
schen Verhältnissen oder Verhältnissen einer einfachen Wa- lllen sind, nicht einmal so weit nur gekommen sind, das Hete-
renwirtschaft, kleinstädtischen Verhältnissen sympathisieren. rogene am Tod wahrzunehmen und daß sie gewissermaßen
Der sogenannte epische Tod , wie er etwa in der Lehre Hei- .1us Schwäche damals mit dem Tod sich integriert haben. So
deggers von dem Tod als einem notwendigen Moment der daß also mit diesem Bild vom Tod wahrscheinlich auch nach
>Ganzheit des Daseins<lebt, wie er diesen Todesmetaphysiken rückwärts - und die Katastrophen haben j a inuner die Kraft,
eigentlich immer zugrunde liegt, dieser epische Tod ist nicht das Vergangene und Entlegene in sich hineinzureißen - , so
mehr möglich, weil es eine solche Ganzheit des Daseins nicht daß also mit dieser Auffassung von dem epischen Tod auch die
mehr gibt. Ich habe seinerzeit in meiner Einleitung zu den Vorstellung, daß je ein ganzheitliches, das heißt: in sich sinn-
»Schriften« Walter Benjam.ins238 versucht auszudrücken, daß volles Leben gewesen sei, daß das wohl hinab m uß. Wenn tod-
so etwas wie der Begriff des Lebenswerks heute problematisch lllüde M enschen zum Tod affirmativ sich stellen, dann ist das
ist deshalb, weil unser D asein längst nicht mehr nach einem wirklich wohl so, daß der Tod ihnen eine Last wegnimmt. Das
ihm immanenten, quasi organischen Gesetz verläuft, sondern :mgeblich positive Verhältnis zum Tod, das hier gelehrt wird,
derart bestimm t wird von allen möglichen M ächten, die eine hat keinen anderen Grund als den, der sich heute wieder auf-
solche immanente Entfaltung ihm versagen; daß das Vertrauen drängt und von dem ich Ihnen sprach: daß nämlich sein Leben
auf eine solche Ganzheit des Lebens, der dann als ein Sinnvol- iiberhaupt noch keines war und daß er deshalb auch wenig
les der Tod soll antworten können, bereits den Charakter der Widerstand dagegen aufbringt, wenn es nun mit dem Leben
Chimäre hat. Ich möchte aber darüber noch hinausgehen. bei ihm zuendegeht.
Daß der Begriff der Ganzheit eine Art Ersatzmetaphysik ist, Es ist merkwürdig trotz allem, daß der Tod so wenig sich
nämlich eine Ersatzmetaphysik deshalb, weil sie versucht, den L'inverleiben läßt, obwohl angesichts des for tdauernden Stan-
Anspruch sinnvollen Seins oder sinnvollen Lebens mit dem des unserer Unidentität mit uns selbst j a eigentlich das Gegen-
Positivistischen einer unmittelbaren Gegebenheit in der Ge- teil zu erwarten wäre. Und auch die Macht des Selbsterhal-
stalttheorie zu verbinden, das ist mittlerweile ja wohl evident tungsinstinkts - wenn man hier von einem Instinkt reden will;
geworden. Aber ich möchte darüber noch einen Schritt hin- 1;reud hat das ja gebilligt, indem er den Begriff der Ich-Triebe
ausgehen. Es ist nämlich die Frage, ob es j ene Art der epischen eingeführt hat 239 - scheint mir allein, um das zu erklären , nur
Ganzheit des Lebens, also das Biblische, daß Abraham alt und sehr unzulänglich zu sein . Es ist, soweit ich das zu beobachten
lebenssatt gestorben sei, ob es dieses Wunschbild eines in der vermag, so, daß gerade die Menschen, die nicht so hinfällig
Zeit sich erstreckenden, zu erzählenden Lebens, das dann in und alt sind, daß sie keinen Widerstand gegen den Tod mehr
seinem eigenen Tod sich rundet, - ob das nicht selber immer hegen, den Tod als kontingent, in einer eigentümlichen Weise
nur etwas Verklärendes gewesen ist. Ich werde den Verdacht :ils zufällig erfahren. Wenn heute eine sehr große Anzahl von
nicht los, daß überall auch dort in der Vergangenheit, wo das Menschen im Vergleich zu früheren Zeiten Unglücksfallen

2 08 209
zum Opfer fallt, dann scheint sich mir darin etwas Strukturel- rnngen hat, so sehr sich verselbständigt hat gegenüber dem,
les auch in der Erfahrung des Todes anzuzeigen: daß wir näm- w:l'> wir bloß sind, daß gerade daran auch so etwas wie die
lich, gerade soweit wir unserer selbst bewußte und einigerma- 1 loffnung, daß das nicht alles sein könnte, sich zu knüpfen

ßen autonome Geschöpfe sind, den Tod oder schon eine ,·cnnag.
schwere Erkrankung als ein uns widerfahrendes, als ein uns ge- Gerade wenn man nicht, wie der Idealismus es lehrt, an der
wissermaßen äußerliches Unglück erfahren . Dabei ist nun al- 1·1iese von der Identität von Subjekt und Objekt festhält und
lerdings das m erkwürdige Gegenbild - ich rede Ihnen eben .!:1bei alles aufs Subjekt reduziert; gerade also, wenn ich es so
von innerweltlichen Asp ekten des Todes, von denen ich .1usdrücken darf, wenn das Subjekt, der Geist, kritisch sich
glaube, daß das Nachdenken über den Tod sie nicht abschüt- 'L·lbst reflektierend, nicht m ehr alles, was da ist, sich gleich
teln kann, aber an denen es sich merkwürdig desinteressiert 111ac ht und >frißt<, - gerade dann geht vielleicht auch an dem
gezeigt hat bis heute -, auf der anderen Seite ist es so, daß, ( ;eist, der seinerseits so unidentisch geworden ist mit der Welt
wenn Menschen sehr alt sterben, dann dieses hohe Alter sehr wie die Welt unidentisch mit ihm, auch ein Moment von
ofi: gar nicht den Charakter des Glückvollen hat; ganz abgese- Sdbständigkeit, ein kleines Moment des Nicht-in-den-blin-
hen von den Beschwerden des Alters, die man so in1 Sinne des den-Zusammenhang-Hineingeschlungenen auf; wenn Sie
epischen Ideals damit assoziiert; sondern es liegt dann, soweit wollen also: eine höchst paradoxale Gestalt von Hoffnung.
meine Erfahrung reicht, auch da etwas maßlos Trauriges Und damit hängt ~ohl die sehr merkwürdige Resistenzkraft
darin, daß sich an dem Z e1fall von sehr alten Menschen zu ih- ,lcr Idee der Unsterblichkeit zusammen, die gerade dort, wo
ren Lebzeiten gleichsam die Hoffnung zersetzt auf das Non , las Bewußtsein am fortges chrittensten ist, sich mir substanti-
confundar, auf das was vor dem Tod bewahrt werde, weil man eller zu offenbaren scheint als in den offiziellen Religionen, an
an solchen M enschen, vor allem wenn m an sie liebt, so sehr , lcnen es mich schon in meiner Kindheit verwundert hat, etwa
der Hinfälligkeit dessen inne w ird, was man nun selber für das .1n einem protestantischen Gesangbuch, w ie wenig dann an
unsterbliche Teil der Menschen halten m öchte, daß m an ei- Aufmerksamkeit den letzten Dingen zukommt, die da ein paar
gentlich sich kaum vorstellen kann, was von so einem arn1en, Seiten in dem Gesangbuch ausmachen, während es doch in
hinfälligen, gar nicht mehr überhaupt mit sich identischen Wirklichkeit, sollte man denken, für eine Religion darauf,
Wesen dann soll übrigbleiben können. Also, - sehr alte M en- und auf nichts anderes, ankommen müßte. Ich erinnere Sie
schen , die dann wirklich reduziert sind auf nichts als ihr blo- hier nur an die ungeheure Stelle von M arcel Proust, wo der
ßes, und H egel würde sagen: abstraktes Dasein, gerade solche · I"od des Di chters Bergotte, der Anatole France gewesen ist,
Menschen, die dem Tod am längsten getrotzt haben, sind die, dJrgestellt wird und wo, in einer wahrhaft großartigen, sich
die eben dadurch den Gedanken der absoluten Hinfalligkeit wiederherstellenden mystischen Spekulation, die Bücher, die
wohl am allerstärksten erregen. Trotzdem liegt aber in dieser von ihm ausgestellt sind, so interpretiert werden, als ob sie Al-
Eifahrung des Todes als eines Zufälligen und Äußerlichen - legorien dafür wären, daß dieses Leben um seiner Güte willen
sie ist ein bißchen so, wie man es empfindet, wenn man von k; in ganz vergebliches sei. 2w Sie werden etwas Ähnliches auch
einer Krankheit angesteckt wird und gar nicht recht weiß, w ie 1n der Dichtung von Beckett finden, der j a nun gerade allen af-
man dazu kommt; davon hat die Erfahrung des Todes etwas - lirmativen M enschen Anathema ist und bei dem eigentlich al-
ein Moment, das mit der Selbständigkeit des Geistes zusam- les überhaupt um die Frage nach dem kreist, was da in dem
menhängt, damit, daß der Geist eben doch so weit sich ent- Nichts eigentlich ist; also um die Frage - man könnte fast sa-

210 2II
gen: einer Topographie des Nichts. Es geht hier wirklich um Sd1weigen sei, die sind zusammengefallen. Demgegenüber ist
den Versuch, das Nichts so zu denken, daß es zugleich nicht „s heute wahrscheinlich vielmehr so, daß, weil es das Indivi-
nur Nichts ist, wenn auch in der vollendeten Negativität. 24 1 , Juum eigentlich nicht mehr gibt, der Tod etwas völlig Inkom-
Aber auch das ist mit der äußersten Zartheit und Behutsamkeit 111ensurables, die Vernichtung eines Nichtigen wird. Wer
zu sagen. Und es ist vielleicht kein Zufall, daß gerade an der ·a·irbt, der merkt, daß er um alles betrogen ward. Und darum
Stelle von Proust, auf die ich Sie hingewiesen habe, der Dich- ist der Tod so unerträglich. - Ich schließe damit, daß ich Sie
ter eine Formulierung wählt, die in der merkwürdigsten 11nr darauf aufmerksam machen möchte, daß dieser Aspekt
Weise mit Kafka sich berührt, mit dem ja nun unmittelbar eine :1uch dadurch, daß sich in ihm der Horizont des Todes in die-
Gemeinsamkeit nicht vorliegt. In den »Kleinen Proust-Kom- sn merkwürdigen Weise verschoben hat, wie ich es Ihnen
mentaren« , in dem zweiten Band der »Noten zur Literatur«, eben noch andeutete, - daß darin auch, ja, ich möchte sagen:
habe ich versucht, gerade diesen Zusammenhang ein bißchen das Richtige an dem Verfall des Individuums sich zeigt; daß
zu entfalten 242 , und will jetzt nicht davon reden. Je weniger t· ben die Erfahrung der Nichtigkeit des Individuums nicht nur
aber die Menschen mehr wirklich leben, - oder vielleicht , Jie Ichschwäche, nicht nur unsere Funktionalisierung ist, son-
richtiger: je mehr sie dessen innewerden, daß sie eigentlich gar dern daß sie zugleich auch etwas wegnimmt von dem Schein-
nicht gelebt haben, desto jäher und schreckhafter, desto mehr liaften und Schuldhaften, das in der Kategorie der Individua-
zu einem Unglücksfall wird ihnen der Tod. Es ist so, als ob sie lion bis an die Schwelle dieses Zeitalters von je gelebt hat.
am Tod ihre eigene Verdinglichung erfahren würden: daß sie
immer schon Tote waren, wie in den verschiedensten Stellen
der expressionistischen Dichtung, bei B enn 243 , bei Trakl, sei-
nerzeit als eine an einander entgegengesetzten Punkten merk-
würdig identische Erfahrung ausgesprochen worden ist. Der
Schrecken vor dem Tod heute ist wesentlich Schrecken dar-
über, wie sehr die Lebendigen ihm ähnlich sind. Und man
könnte vielleicht sagen, daß deshalb, wenn das Leben richtig
wäre, damit auch die Erfahrung des Todes sich radikal verän-
dern würde, bis in die innerste Zusammensetzung hinein .
Das ist wohl die äußerste Spekulation, an der ich Ihnen we-
nigstens als eine Möglichkeit die Verknüpfung des Geschicht-
lichen und Immanenten mit den sogenannten großen meta-
physischen Kategorien demonstrieren kann, die ich Ihnen ja
jetzt in unseren letzten Stunden versuche klarzumachen. Tod
und Geschichte sind in Konstellation. Hamlet war das erste,
ganz seiner selbst bewußte, sich schwermütig reflektierende
Individuum und wurde sich wesenhaft als absolut vergängli ch.
Die absolute Erfahrung des Individuums als des Selbst und die
Erfahrung seiner absoluten Vergänglichkeit, daß der Rest

212 213

1
,1
I 8. VORLE SUNG 111 denken und vor allem dabei sich von einer Reihe von
29. 7. 1965 < :liches und von Ihnen oktroyierten Vorstellungen freizuma-
' hl'n. Daß hier etwa ein umfassender Entwurf dessen, wie
Meine Damen und H erren, wenn eine solche Semestral-Vor- Ml'taphysik oder als was Metaphysik, oder ihr Gegenteil,
lesung ihr Ende erreicht, dann scheint es geradezu ein We- heute möglich sei, hervortreten würde, das wäre eine ganz al-
sensgesetz oder Unwesens-Gesetz zu sein, daß man nicht ent- berne Anmaßung. Und ich möchte ganz klarmachen, daß mir
fernt mit dem fertig wird, was man sich vorgenommen hat. So 11ichts dergleichen beikommen kann.
ist es auch mir gegangen. Das heißt: ich konnte von den Din- Ich hatte verschiedentlich mit Ihnen gesprochen über den
gen, die sich in dem Manuskript finden, in dem Manuskript llcgriff der metaphysischen Erfah nmg, 24 ;; und es ist vielleicht
»Reflexionen zur Metaphysik«, das ich dem zweiten Teil die- doch nicht schlecht, wenn ich über diesen Begriff heute, in
ser Vorlesung zugrunde gelegt habe, 244 - ich konnte davon dn letzten Stunde, Ihnen ein paar Worte noch sage. Sicherlich
wirklich nur Bruchstücke Ihnen hier vortragen und bin nicht ist das, was ich mit metaphysischer Erfahrung meine, nicht re-
entfernt soweit gekommen, wie ich es gehofft hatte. Das liegt duzibel auf sogenannte religiöse Urerfahrungen; und zwar
zum Teil an dem. Unterschied der Form des schriftlichen Aus- vinfacb deswegen nicht, weil, gerade wenn man sich mit der
dru cks und des gesprochenen. Wenn man schreibt, ist man nur Schicht der Theologie ein bißchen beschäftigt, die behauptet,
verpflichtet, die Sache möglichst rein, möglichst präzis darzu- iiber solche Urerfahrungen zu verfugen, und das ist, grob ge-
stellen und kann infolgedessen auch die äußerste Konzentra- s;igt, ja die Schicht der Mystik, die solche Erfahrung, solche
tion, im Sinne einer solchen Reinheit der Darstellung, sich er- primäre Erfahrung, über jede kodifizierte Theologie stellt, -
lauben. Wenn man zu lebendigen Menschen spricht, dann ,Li wird man eines höchst Eigentümlichen inne, und eines sehr
wäre es unsinnig und in einem schlechten Sinn professoral, Überraschenden, muß ich sagen: daß nämlich gerade die my-
wenn man die Fiktion erheben würde, man könne rein den 'tischen Texte und die Darstellungen mystischer Grunderfah-
Gedanken selber ausdrücken, sondern man muß schon, den rungen keineswegs diesen Charakter des Primären und Un-
eigenen Innervationen folgend, so gut es geht versuchen, den mittelbaren haben, sondern daß sie in einem eminenten Sinn
Menschen, mit denen man spricht, es klar und deutlich zu ihrerseits durch Bildung vermittelt sind. Also etwa die Bezie-
machen , - was dann allerdings wieder den N achteil hat, daß, lmngen, die reziproken, sehr verwickelten Beziehungen, die
wenn Menschen wie Sie zu einem Menschen wie mir ko1n- zwischen der Gnosis, dem Neuplatonismus, der Kabbala und
men, Sie dadurch fast unvermeidli ch etwas enttäuscht werden, dann wieder der späteren christlichen Mystik bestehen , - das
weil Sie auf Grund dessen, was ich so schreibe, eine ganz an- tlihrt in einen Bereich von Historizität, der hinter keinem
dere Dichte erwarten, als sie in einem solchen mündli chen dogmengeschichtlichen zurückzustehen braucht. Und es ist
Vortrag nun tatsächlich möglich ist. Kurz, man ist also auch da sicher kein Zufall in diesem Zusammenhang, daß das Corpus,
in einer Aporie, gebildet ausgedrückt, oder, weniger gebildet: in dem m ehr oder minder lose die Dokumente der jüdischen
wie man's macht, macht man 's falsch. Ich möchte heute nun, Mystik zusammengefaßt sind, nämlich die Kabbala, eben den
im vollen Bewußtsein dieses Fragmentarischen , Ihnen sagen: . rite! Tradition trägt; daß hier also der Anspruch, sagen wir:
die Dinge, die Reflexionen, die ich Ihnen mitgeteilt habe, der primären, unmittelbaren Vision weit geringer ist, als man
können gar nichts anderes in der Gestalt, in der ich sie Ihnen glaubt; daß es auch hier in unendlich viel weiterem Maße um
mitgeteilt habe, als Sie anregen, über diese Dinge selber weiter u)noL der sogenannten religiösen Erfahrung gebt als um ein so

214 215
rein Subjektives, wie man es vermutet. Womit das zu tun hat, von actus purus, von reiner Aktualität, der Erkenntnis mächtig
darüber möchte ich nicht sprechen, das gehörte nun wirklich ,l'in soll, wie sie implizit das Erkenntnisideal der gesamten
in die Religionsphilosophie. Ich begnüge mich nur mit der ei- 11eueren Philosophie darstellt, - daß dieses in reiner Aktualität
nen Andeutung, daß j a fas t alle mystische Spekulation, die es bestehende Subjekt eine Abstraktion sei, der nun tatsächlich
überhaupt gibt, ihren H alt findet an sogenannten heiligen l"in erkennendes Subj ekt überhaupt nicht entspricht ; und daß
Texten , die unter dem Auge des mystisch-metaphysisch Den- in Wahrheit das traditio nale, das heißt das geschichtliche M o-
kenden symbolisch werden in dem Sinn, daß sie nun ein ganz ment auch die dem Anschein nach noch so verbürgten Er-
anderes sagen als was darin gesagt ist, - also etwa in der be- kenntnisse unvergleichlich viel tiefer durchsetzt, ja, überhaupt
rühmten D eutung des ersten Kapitels der Genesis, w ie es in sie möglich macht, als es im allgemeinen zugestanden wird.
dem Buch »Sohar« gegeben ist, wo die Geschichte von der Man könnte darauf verfallen, daß jenes Moment, das ich Ih-
Weltschöpfung interpretiert wird als eine Geschichte des in- nen immer wieder unter dem Titel des Vermitteltseins der
neren Schöpfungsprozesses, der sich in der Gottheit selbst ab- (~e danken nahegebracht habe, daß das eben in diesen1 tradi-
spielt246; nebenbei bemerkt dem Vorbild derj enigen Spekula- tionalen Moment, also in der impliziten Geschichte steckt, die
tionen von Schelling, die dann in seiner späteren Phase unter i 11 einer j eden Erkenntnis enthalten ist. Und es ist wahrschein-
dem Namen der positiven Philosophie berühmt geworden lich (möchte ich heute jedenfalls denken) so, daß die entschei-
sind2 47 . Ich möchte damit gar nichts über den Wahrheitsgehalt dende Schwelle gegenüber dem positivistischen D enken darin
dieser Dinge sagen; ich möchte Sie nur auch hier wenigstens liegt, ob der Gedanke dieses unabdingbar traditionalen Mo-
auf ein Problem hinweisen. ments in sich selbst mächtig wird, ob die Erkenntnis es in sich
Wir sind stillschweigend durch unsere philosophische und reflektiert oder ob sie es einfach verleugnet, - was selbstver-
vor allem durch unsere wissenschaftliche Bildung, soweit diese ständlich nicht behaupten will, daß die Erkenntnis diesem tra-
das, sei's auch noch so latente, naturwissenschaftliche Modell ditionalen Moment einfach sich überlassen kann . Die Kritik,
hat, eigentlich an einen unversöhnlichen Gegensatz von Tra- die daran geübt worden ist, hat weiß Gott ihren Grund und
dition und Erkenntnis gewöhnt. Es ist kein Zufall, daß bei den ihre Legitimität. Aber sie ist zugleich auch naiv, weil sie ge-
beiden Philosophen , die am Anfang der sogenannten neueren meint hat, daß sie sich dieses Moments ganz entäußern kann.
Philosophie stehen, bei Descartes und bei Bacon, sich die hef- Und die Wahrheit liegt wohl in einer Art Selbstreflexion, die
tigsten Invektiven gegen die Traditi on finden, von der sie sich ebenso das Unabdingbare dieses traditionalen Moments in der
freigemacht haben. Es ist immerhin eine Frage (und ich werfe Erkenntnis selber erkennt, die seines sich versichert, w ie sie,
heute nur diese Frage auf), ob der dabei zugrunde liegende auf der anderen Seite, kritisch das Dogmatische daran be-
Gedanke, daß die Tradition, also das was m an nicht aus erster zeichnet, - anstatt nun nach der einen oder anderen Seite ta-
H and hat, gegenüber der Unmittelbarkeit der lebendigen Er- bula rasa zu machen, also entweder dem Dogmatismus oder
fahrung zu verwerfen sei, - ob dieses uns fast selbstverständli- dem gewissermaßen zeitlosen und damit in sich selber fiktiven
che Motiv so triftig ist angesichts der Tatsache, wie viel an sol- Positivismus zu verfallen. Sie werden vielleicht verstehen,
chen traditionalen, nur ihrer selbst nicht bewußten Elementen warum ich deshalb den Begriff der metaphysischen Erfahrung
in all dem auch enthalten ist, was wir als nicht traditionale, das nicht so an der religiösen Erfahrung festmachen möchte, w ie
h eißt als reine, autonome Erkenntnis empfinden. Man könnte es behauptet wird; vor allem auch deshalb, weil gerade diese
auf den Gedanken kommen, daß j enes Subjekt, das als eine Art Art von Erfahrung, wie sie von sehr großen Figuren des Ka-

216 217
tholizismus, wie etwa Johann vom Kreuz, überliefert wird, wL·nn es dort nicht >ist<, also wenn man keineswegs in M on-
nach den geschichtsphilosophischen Voraussetzungen, unter hrunn jene Erfüllung findet, die in diesem N am en aufgesp ei-
denen wir heute leben, kaum mehr zugänglich zu sein ' licrt ist, daß man dann trotzdem nicht enttäuscht ist. Wenn
scheint, - über ihren Wahrheitsgehalt selber möchte ich 1,·h es richtig interpretiere, dann deshalb, weil man - und Sie
schweigen. 111iissen mir verzeihen, wenn ich in dieser letzten Stunde etwas
Eher hat Marcel Proust, dessen Werk ja gerade als N ieder- .1usschweifend rede, also genau so, wie Kant es einem verbie-
schlag von Erfahrungen, über die Möglichkeit von Erfahrung, 249
1,·11 will - , deshalb weil m an gleichsam zu nah ist, weil man
auch philosophisch außerordentli ch schwer zu nehmen ist zu drin ist, und weil man das Gefühl hat: wenn man ganz in die-
diesen Dingen sehr Entscheidendes beigebracht. Ich sage ~ur ' rn Phänomenen drin ist, dann kann man sie eigentlich gar
en passant, daß die Trennung zwischen der Kunst und der so- 11icht gewahren. 250 Ich habe einmal, vor langen Jahren , in den
genannten Wissenschaft in der Sphäre, in der wir uns nun be- „Minima Moralia« etwas geschrieben über den Dank und die
wegen, vollkommen gegenstandslos ist und tatsächlich nur 1 hnkbarkeit, die deshalb ihre Würde haben - und ich habe
eine Veranstaltung der Arbeitsteilung; ich meine, der Ge- , bbei W ürde nicht im idealistischen Sinn gem eint-, weil der
danke, daß Herr Bollnow über Metaphysik im Ernst mitreden 1 >ank das einzige Verhältnis des Bewußtseins zum Glück sei;

darf und Marcel Proust nicht, - diesen Gedanken, den möchte w:ihrend der, der glü cklich ist, zu nah daran ist, als daß er im
ich Ihnen nur nennen, ohne in seine Diskussion einzutreten. Bewußtsein eine Stellung dazu überhaupt haben könnte. 251
Ich will nicht die Theorie der metaphysischen Erfahrung von M:m hat also in solchen Momenten ein eigentümliches Gefühl
Proust Ihnen hier reproduzieren. Ich möchte Sie nur darauf viel eher des Zurückweichens - wie man es von einem alten
hinweisen, daß vielleicht ein e der deutlichsten Erscheinu ngs- ( ;Jückssymbol, dem Regenbogen, auch kennt-, als das, daß
weisen dessen, wovon hier geredet wird, die Art ist, mit der 111an nun wirklich darum wäre gebracht worden. Ich w ürde
uns bestimmte Namen dafür einstehen mögen. Bei Proust ,Li nach sagen, daß das Glück - und es besteht eine unendlich
sind es die N amen von Illiers und Trouville, von Cabourg und 1iefe Konstellation zwischen metaphysischer Erfahrung und
48
Venedig2 . Ich selber habe es auch an solchen N am en e1fah- ( ;Jück - das Innere der Gegenstände als ein ~ esen zugleich
ren: wenn man als Kind in Ferien ist und Namen wie Mon- l ·:n trücktes sei.
brunn, Reuenthal, Hambrunn liest oder hört, dann hat man Ab er indem ich Ihnen dieses Beispiel nenne, wird man zu-
das Gefühl dabei: wenn man dort wäre, an diesem Ort, da gleich der außero rdentlichen Gefahrdung einer solchen Spe-
wäre es. Dieses >es<, - was das >es< ist, ist außerordentlich kulation inne. Von solchen Erfahrungen habe ich Ihnen nur
schwer zu sagen; man wird, auch darin den Spuren Prousts fol- eine Schicht recht willkürlich herausgegriffen; eine andere,
gend, wohl am ehesten sagen können, daß es das Glü ck sei. 1111d vielleicht noch viel entscheidendere, ist die Erfahrung des
Wenn man dann an einen solch en Ort hingelangt, dann ist es 11lja vu, die Eifahrung: wann habe ich das schon einmal gese-
dort auch nicht, dann hat man es nicht. Sehr oft sind das dann hen, wie man sie etwa bei einem bestimmten Typus von Kin-
ganz törichte Dörfer. Und wenn in ihnen überhaupt n och (lnbüchern machen kann. In solchen Erfahrungen erliegt
eine Stalltür offen ist und es nach einer lebendigen und wirkli- 111an zugleich den Bedingungen der empirischen Welt; man
chen Kuh und Mist und ähnlichen Dingen riecht, woran wohl nliegt der ganzen Fehlbarkeit dessen, was auch von der eige-
auch diese Erfahrung haftet, dann muß man schon sehr dank- 11cn Psychologie, von dem eigenen Wunsch, von der eigenen
bar heutzutage sein. Ab er das M erkwürdige ist, daß, auch Sehnsucht abhängt. Alle metaphysischen Erfahrungen -

218 219
möchte ich Ihnen hier lehrsatzartig sagen - sind fehlb ar. Ich .ds ein Moment, als ein Element, glaube ich, der Gedanke
würde überhaupt sagen: bei all den Erfahrungen, bei denen es 11icht auskommt, wenn er überhaupt etwas sein will, nun kri-
darauf ankommt, daß man sie macht, die also nicht bloße Ko- 1isch auch etwas einsehen, was in der genau entgegengesetzten
pien, bloße Nachkonstruktionen dessen sind, was ohnehin ist, IZ.ichtung sehr ketzerisch klingt. Sie alle wissen, daß die kriti-
besteht auch die Möglichkeit des Irrtums, die Möglichkeit, sche Theorie der Gesellschaft, vor allem aber ihre Popularisie-
daß es gänzlich daneben geht. Und es gehört vielleicht auch, rungen in der modernistischen Vulgärtheologie von heute
ganz ähnlich wie ich es Ihnen vorher an dem Begriff der Tra- sich mit Vorliebe beziehen auf den Hegelschen und Marxi-
dition angedeutet habe, zu den 1/JeVOOl, den Täuschungen, in schen Begriff der Verdinglichung; und daß nur das als Erkennt-
die das szientifisch-idealistische Denken uns verstrickt hat, daß nis oder daß nur das als Wahrheit soll gelten können, was der
wir glauben, eine Erkenntnis rangiere um so höher, je weniger VL'rdinglichung ganz entrückt ist. Wenn Sie nun dieses merk-
sie der Möglichkeit des Mißlingens, der Enttäuschung ausge- würdig Fehlbaren und zugleich in einem unvermeidlichen
setzt ist. Es könnte sehr wohl sein, daß nach diesem Kriterium Sinn Problematischen der metaphysischen Erfahrung inne-
alles das, worum es eigentlich geht, ausgeschaltet wäre als ein werden, von dem ich Ihnen jetzt gesprochen habe, dann ge-
der Erkenntnis nicht Würdiges; während in Wahrheit- es will winnt, dazu komplementär, vielleicht der Begriff des Verding-
mir immer mehr so scheinen - nur das was widerlegt, nur das 1ichten einen anderen als den bloß abschätzigen Sinn, - in dem

was auch enttäuscht werden kann, was auch falsch sein kann, ja schließlich, auch bei Marx, der ganze Idealismus noch drin-
jenes Offene ist, von dem ich Ihnen gesprochen habe252 , das steckt insofern, als die Voraussetzung gemacht wird, daß auch
heißt, jenes ist, auf das es überhaupt ankäme. Im Begriff der das, was nicht Ich, was nicht identisch ist, sich gleichsam völlig
Offenheit als des nicht bereits unter der Identität des Begriffs in das gegenwärtige, präsente Ich, in den actus purus soll auf-
Subsumierten liegtjajene Möglichkeit des Enttäuschtwerdens liisen können. Daß es damit nicht so glatt geht, daß das nicht
drin. Und ich möchte sagen: gerade im Sinn der R eflexion so einfach ist, davon hat der spätere Hegel ohne alle Frage eine
über eine mögliche M etaphysik liegt an dieser Stelle eine ei- Ahnung gehabt. Und gerade die Züge der Verhärtung, die uns
gentümliche Affinität zum Empirismus, zum Betonen der als die reaktionären an H egel so sehr beunruhigen, hängen
empirischen Quellen, in denenja auch wenigstens dieses Me- ohne Frage auch mit dieser Erfahrung zusammen, daß in dem
taphysische drinsteckt, daß die Erkenntnisse die wesentlichen Moment der völligen Auflösung einer jeglichen 0 bj ektivität in
sind, die nicht in dem Begriff aufgehen, - sondern die mir zu- das, was man das lebendige Subjekt nennen könnte, eben auch
kommen und die damit auch immer die Möglichkeit haben, ein Trügerisches, nämlich die absolute Gegenwart des Subjekts
daß sie mir nicht zukommen, daß sie mir nicht zufallen; die das ;1uch in dem steckt, was es nicht selber ist. Wenn ich Ihnen
Zufallige also in sich selber haben, an das auf diese Weise etwas vorher gesagt habe, daß es 1nit der reinen mystischen Erfah-
von dem Sinnhaften gerade übergeht, das nach gängiger Logik ft rung so eine bedenkliche Sache ist; daß die gar nicht so rein,
durch den Begriff des Zufalligen gerade ausgeschlossen wird. 1 uar nicht so innerlich ist, sondern viel gegenständlicher als
Fehlbarkeit, würde ich sagen, ist die Bedingung der Möglich- ~1an das ihrem Begriff nach von ihr erwartet, - dann steckt das
keit solcher metaphysischer Erfahrung. Und sie scheint gerade auch darin.
am Schwächsten und am Hinfalligsten zu haften. Was ich Ihnen sage, widerspricht scheinbar sehr dem Ge-
Auf der anderen Seite aber mögen Sie an dem äußerst Be- danken von der notwendigen Fehlbarkeit der Erkenntnis, da-
denklichen, das ich Ihnen eben entwickelt habe und ohne das 111it die Erkenntnis wert ist gedacht zu werden. Und ich maße

220 2:21
mir nicht an, und vollends nicht in den armseligen paar Minu- lliichtigt, so regrediert das Denken damit auf den Subjektivis-
ten, die wir noch haben, diesen Widerspruch Ihnen aufzulö- 111us des reinen Akts. Es hypostasiert dann schließlich die Ver-
sen. Aber ich würde allerdings sagen, daß genau diese Polari- 111ittlung, die durch das Subjekt selbst geübt wird, als eine Art
tät, die ich Ihnen bezeichne: also auf der einen Seite, daß es von reiner Unmittelbarkeit. Es ist vielleicht in diesem Sinn
eine Bedingung metaphysischer Erfahrung ist, daß sie dane- ve rständlich und nicht unwesentlich, daß Kant, der ja in der
bengehen kann, daß sie ganz falsch sein kann; auf der anderen „l(ritik der praktischen Vernunft« versucht hat, die metaphysi-
Seite aber auch, daß sie eines dinghaften, in ihr nicht aufge- schen Ideen wirklich in ein vollkommenes Dabeisein des Sub-
henden, eines ihr gleichsam gegenüberstehenden Momentes jl'kts, nämlich als eigentlich nichts anderes denn die reine Ver-
bedarf, - daß diese beiden Motive geradezu gemeinsam die mmft selbst zu interpretieren, schließlich doch fast unmerklich
dialektische Figur, das dialektische Bild253 ausmachen, an dem dazu übergeht, j ener Subjektivität eben die objektiven Korre-
allein man dessen vielleicht innezuwerden vermag, was mit late zu suchen, die er vorher kritisch so radikal ausgeschieden
dem Begriff metaphysischer Erfahrung gemeint wird. Die ob- hat. Es ist ja eine merkwürdige Sache, daß sogar der Begriff des
jektiven Kategorien der Theologie sind nicht nur - wie es bei höchsten Gutes und der Begriff der Menschheit in diesem
dem jungen Hegel in den sogenannten theologischen Jugend- Sinn schließlich in der »Kritik der praktischen Vernunft« -
schriften, die Her man N ohl herausgegeben hat, 25 4 erscheint - 111an muß wirklich sagen: ihre Auferstehung feiern.256 Aber
Rückstände jenes Positiven , die dann, in einem Prozeß zu- trotz alldem wird man sagen müssen, daß tendenziell im Zug
nehmender Identifikation, dialektischer Identifikation, in der fortschreitenden Aufklärung die metaphysische Erfah-
Subjektivität, in Leben aufgelöst werden, sondern sie stehen rung, die Möglichkeit der m etaphysischen Erfahrung blasser
ihrerseits komplementär zu der Schwäche der immanenten 11nd desultorischer wird. Wenn man heute Proust liest, haben
Dialektik: sie reklamieren gewissermaßen das, was nicht in die hcreits die Zeugnisse einer solchen metaphysischen Erfah-
Dialektik fallt und was doch, als ihr bloß Anderes, eine jegli- rung, die bei ihm eine so ungeheure Rolle spielen - obwohl
che Bestimmung einbüßen würde. Also in der Obj ektivität sie selber in seinem Werk viel karger, viel beschränkter sind,
der metaphysischen Kategorien schlug sich nicht nur die ver- :tls man vielleicht vermuten sollte - , auch ein Moment des
härtete Gesellschaft nieder, sondern auch etwas wie das Mo- ltomantischen, das sie bereits in die Kritik hineinreißt; so wie
ment des Vorrangs des O~jekts, von dem ich Ihnen ja schon wenn Freude darüber, daß überhaupt noch irgendwo - und
wiederholt gesprochen habe 255 . Und genau diese Konstella- das ist nun das Gegenmotiv zu der Verdinglichung-, daß ir-
tion : also auf der einen Seite die jenes aufblitzenden und fehlba- .rcndwo noch so etwas wie Leben überhaupt sei, den Erfah-
ren Bewußtseins, das ich Ihnen an dem Phänomen der N amen ~'nden dazu verführt, diese noch vorhandenen Spuren des Le-
bezeichnet habe, und auf der anderen Seite j enes Moment des bendigen mit dem Sinn eines Lebendigen unmittelbar gleich-
Vorrangs des Objekts, - zwischen diesen beiden Momenten zusetzen.
scheint mir eine merkwürdige Konstellation zu herrschen; al- Infolgedessen wird man die metaphysische Erfahrung ver-
lerdings mehr auch eine momentan sich entladende, eine j:ihe, folgen müssen in eine Schicht, die ihr ursprünglich außeror-
als eine bloß kontemplative, die nun als so eine Art kategoria- dentlich fremd gewesen ist. Sie erhält sich nämlich eigentlich
ler Struktur eines sogenannten Sachverhalts sich greifen ließe. nur noch negativ. Ich würde sagen - und das muß man wohl
Wird wirklich von dem B ewußtsein, und das gilt gerade für sehr streng nehmen; und man muß daraus etwas wie einen Ka-
die metaphysischen Gegenstände, alles Dinghafte völlig ver- 11on machen für metaphysisches Denken selber-, daß die Ge-

222 223
stalt, in der metaphysische Erfahrung wirklich etwas sich Auf- .1hcr gerade wenn wir über diese Dinge reden, ist es wohl die
drängendes, sich Aufzwingendes noch hat, das nicht als ein ro- Stelle, auf die hinzuweisen ist. Man könnte ja leicht denken,
mantischer Wunsch, als eine Sphäre romantischen Wünschens wenn man den gegenwärtigen Zustand wirklich als einen so
sich verdächtig macht, - daß das die Erfahrung des Ist das denn 11 L·gativen erfahrt, wie wir alle ihn erfahren und wie ich nur, als
alles? ist; jene Erfahrung, die vielleicht, wenn ich einmal wie ,·ine Art von Sündenbock, es auf mich genommen habe, es
ein Existenzialist reden darf, in den >Situationen<, die wir .111szusprechen - das ist der einzige Unterschied, der mich
durchmachen, 257 die größte Ähnlichkeit hat mit der Situation , larin von anderen Menschen trennt-, dann könnte man den-
des vergeblichen Wartens. Die Negativität der Situation des kL·n: indem man dies Negative negiert, sei darin die Position
vergeblichen Wartens: die ist wohl die Gestalt, in der für uns 1icreits beschlossen; und das ist eine sehr große Versuchung.
metaphysische Erfahrung am stärksten ist. Es hat sich niir un- Und wenn ich Ihnen gesagt habe, daß die Gestalt der be-
vergeßlich eingeprägt, daß mein Kompositionslehrer Alban stimmten Negation die Gestalt sei, in der metaphysische Er-
Berg mir verschiedentlich gesagt hat, daß er eigentlich als die Ld1rung heute überhaupt überlebt, dann habe ich selber auch
entscheidenden Teile seines eigenen Werks, als das, was ihm wenigstens in dieser Richtung des Gedankens mich bewegt.
das Liebste und Wichtigste darin ist, die Takte ansehe, in de- Aber dieser Übergang ist selber nicht zwingend: denn wenn
nen er Situationen des vergeblichen Wartens ausgedrückt hat. ich sagen würde, daß die Negation der Negation das Positive
Er hat diese Dinge also so tief erfahren, daß sie bis an die sei, dann würde das ja eben doch eine identitätsphilosophische
Schwelle des Bewußtseins getreten sind, obwohl das bei einem 1'hese in sich beschließen; es wäre dieser Gedanke nur dann zu
Künstler ja weiß Gott nicht gefordert ist. Aber selbst das ist un- vollziehen, wenn ich die Einheit von Subjekt und Objekt be-
verbürgt, denn wo kein Leben mehr ist, wo die Unmittelbar- reits voraussetzen würde, die dann am Schluß hervortreten
keit wirklich so aufgehoben ist wie in der Welt, in der wir exi- soll. Wenn Sie aber den Gedanken ernst nehmen, den ich Ih-
stieren, da ist eben doppelt stark die Lockung, die Reste von 11rn früher heute gesagt habe: daß nfünlich der Wahrheitsge-
Leben oder sogar die Negation des Zustands, wie er herrscht, halt von Gedanken an der Möglichkeit ihres Falschseins, an
mit dem Absoluten zu verwechseln. , lcr Möglichkeit ihres Mißlingens geradezu haftet, dann wer-
Wenn Sie wollen, erreichen wir hier die entscheidende Di- drn Sie sehen, daß dieser Gedanke mit dem, daß, wenn ich nur
stinktion der Überlegungen, die ich Ihnen hier vorgetragen die Negation negiert habe, ich damit das Positive bereits
habe, gegenüber der Hegelschen Philosophie, denen diese h:itte, - daß dann dieser Gedanke außer Aktion gesetzt ist.
Überlegungen so unendlich viel zu verdanken haben, - näm- 1 la1111 258 wäre man bereits wieder injener Sphäre der falschen,
lich dieses, daß in der Hegelschen Philosophie ein Moment der trügerischen, ich würde sagen: der mythischen Sicherheit,
steckt, in dem auch sie, die das Prinzip der bestimmten Nega- in der nichts daneben gehen kann und in der eben deshalb
tion zu ihrem Lebensnerv gemacht hat, doch in die Affirma- wahrscheinlich alles, was man sagt, überhaupt verloren ist und
tion und damit in die Ideologie übergeht: nämlich der Glaube, erst recht verlorengeht. Es gibt also wirklich für den Gedanken
daß die Negation, indem sie weit genug getrieben wird und keine andere Möglichkeit, keine andere Chance, als das zu
indem sie sich selbst reflektiert, mit der Position eins sei. Das, tun, was das Bergwerkssprichwort einem verbietet: daß man
meine Damen und Herren: die Lehre von der positiven N ega- n~imlich als ein Bergmann ohne Licht, also ohne daß man be-
tion, das ist genau und streng der Punkt, an dem ich dem He- reits durch den Oberbegriff der Negation der Negation des
gel die Gefolgschaft versage, - es gibt noch andere Punkte, l'ositiven mächtig wäre, durch das Dunkel sich hindurcharbei-

224 225
tet und in das Dunkle so tief sich versenkt, wie man es eben Anmerkungen des Herausgebers
nur vermag. Denn eines ist doch wohl wahr: ich sagte Ihnen,
daß wo kein Leben mehr ist, die Lockung, dessen Reste mit
dem Absoluten, dem aufleuchtenden Sinn zu verwechseln,
unendlich groß sei, - und ich möchte das auch nicht zurück-
nehmen. Dennoch aber kann nichts als lebendig auch nur
erfahren werden, was nicht ein dem Leben Transzendentes
zugleich verhieße. Dieses Transzendente ist also, und es
ist zugleich nicht, - und über diesen Widerspruch läßt sich
wohl sehr schwer, wahrscheinlich überhaupt nicht, hinaus-
denken."5')
Indem ich Ihnen das sage, meine Damen und Herren , habe
ich wenigstens das Gefühl, daß ich einen Punkt erreicht habe,
an dem die Unzulänglichkeit meiner eigenen Überlegu ngen
mit der Unmöglichkeit, das zu denken, was doch gedacht
werden muß, konvergiert. 260 Und ich möchte eigentlich nicht
mehr, als von dieser Konvergenz Ihnen wenigstens eine Vor-
stellung übermittelt haben.

226
ABKÜRZUNGEN

Adornos Schriften werden nach den Ausgaben der Gcsa111mclten


.'\fhr!ften (hrsg. von R olf Tiedemann unter Mitwirkung von Grete!
Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz; Frankfurt a.M.
1 \>70 ff.) und der Nachgclasse11en Schriften (hrsg. vom Theodor W

Adorno Archiv; Frankfurt a.M. 1993 ff.) zitiert, soweit sie dort vorlie-
gen. Dabei gelten die Abkürzungen:

GS J: Philosophische Frühschriften. 3. Aufl. , 1996


GS 3: Max Horkheimer 1md Theodor W Adorno, Dialektik der
Aufklärung. Philosophische Fragmente. 3. Aufl „ 1996
lf
(
GS 4: Minima Moralia. Reflexion en aus dem beschädigten
:_f Leben. 2 . Aufl., 1996
!
l GS 5: Zur M etakritik der Erkenntnistheorie/ Drei Studien
J_ zu Hegel. 5. [recte: 4.] Aufl„ 1996
·;
GS 6: N egative D ialektik/Jargon der Eigentlichkeit. 5. Aufl. ,
1996
GST Ästhetische Theorie. 6. Aufl., 1996
GS 8: Soziologische Schriften I. 4. Aufl., 1996
GS 9· 1: Soziologische Schriften II, Erste Hälfte. 1975
GS ro · l: Kulturkr itik und Gesellschaft I: Pris111en/ Oh11c Leitbild.
2. Aufl., 1996
GS ro·2 : Kulturkritik und Gesellschaft II: Eingr!ffe!Stich111orte /
A11hang. 2.Aufl. , 1996
GS l 1: N oten zur Literatur. 4. Aufl „ 1996
GS 20· r : Ver mischte Schriften I. 1986
GS 20· 2: Vermischte Sc·hriften II. 1986

NaS l-I: Beethoven. Philosophie der Musik, hrsg. von R olf


Tiedemann. 2. Aufl„ 1994
NaS IVA: Kants »Kritik der reinen Vernunft « (1959), hrsg. von
RolfTiedemann. 1995
NaS IV· ro: Probleme der M oralphilosophi e (1963), hrsg. von
T homas Schröder. 1995
NaS IV·15: Einleitu ng in die Soziologie (1968), hrsg. von Chri-
stoph Gödde. 1993

229
In den Verweisen auf die »Metaphysik« des Aristoteles wird diese als L VORLESUNG
»Met.« abgekürzt; die Seitenangaben beziehen sich, wie üblich, auf
die Paginierung der Akademieausgabe von Immanuel Bekker, die 1. Adorno spricht von der 1'\;"cgativen Dialektik, die zwischen 1959
Zeilenzählung auf die dem griechischen Text in der Ausgabe von und 1966 entstanden ist, insbesondere denkt er im Zusanm1enhang
Seid! beigefügte: seiner Vorlesung vom Sommersemester 1965 an die Medit<ltionen zur
Metaph ysik (vgl. GS 6, S. 3 54 ff.) , an denen er im M ai 1965 intensiv ar-
J\ristoteles' Metaphysik. Griechisc h-Deutsc h. N eubearbeitung der beitete und auf die er in den Vorlesungen l 3-18 , die im Juli 1965 ge-
Ubersetzung von Hermann Bonitz, Mit Einl. und Kommentar hrsg. halten wurden, zurückgriff(s. auch unten, S. 272, Anm. 180).
von Horst Seid!, Griechischer Text in der Edition von Wilhelm
Christ, 2 Bde„ 3. Aufl„ Hamburg 1989/ 91 (Philosophische Biblio- .!. Über Kants Stellung zur Metaphysik handelt Adorno, außer in den
thek. 307 und 308). Meditationen z11r Aletaphysik, vor allem in der 4. und 5. Vorlesung über
K,mfs »Kritik der reinen Vemunfi" von 1959 (vgl. NaS IV· 4, S. 57 ff.). -
Soweit in den Anmerkungen des Herausgebers einzelne Passagen auf 1)ie luzideste Charakteristik der Neubeg1ündung der Metaphysik
Deutsch zitiert werden, folgt deren Wortlaut der Übersetzung von durch Kant, die der Herausgeber kennt, findet sich in einer früh en
Bonitz, jedoch nicht der >neubearbeiteten< Version vo n Seid!, son- Vorlesung Horkheimers, vom Wintersemester 1925/26 (vgl. M ax
dern der Rowohlt-Ausgabe von 1994, in der die Bonitzsche Fassung Horkheimer, Gesammelte Schriften, hrsg. von Alfred Schmidt und
besser bewahrt erscheint: Cunzelin Schmid Noerr, Bd. 10: Nachgelassene Schriften 1914-
193 l , 2. Vorlesung üb er die Geschichte der deutschen idealistischen
Aristoteles, Metaphysik, übers. von Hermann Bonitz (ed. Well- Philosophie [u. a.), Frankfurt a.M. 1990, S. 24ff.); Adorno hätte die
m:mn), auf der Grundlage der Bearbeitung von Hector Carvallo und Horkheimersche Charakteristik fraglos sich zu eigen gemacht.
Ernesto Grassi neu hrsg. von Ursula Wolf, Reinbek bei Hamburg
1994 (rowohlts enzyklopädie. 544) . 3. Vgl. Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, in: Sämtliche
Werke. Kritische Studienausgabe, hrsg. von Giorgio Colli und M az-
zino Montinari, Bd. 4, 3. Aufl. , München 1993 , S. 35 ff. (»Von den
Hinterweltlern«); eine direkte Gleichsetzung der Metaphysik mit der
>Hinterwelt< findet sich etwa im zweiten Band von »Menschliches,
Allzumenschliches«: >»Wenn wir die spitzfindigen Metaphysiker und
Hinterweltler reden hören, fühl en wir Anderen freilich, daß wir die
>Armen im Geist< sind, ab er au ch daß unser das Himmelreich des
Wechsels, mit Frühling und Herbst, Winter und Sommer, und j ener
die Hinterwelt ist, mit ihren grauen, frostigen, un endlichen Nebeln
und Schatten.«< (Sämtliche Werke, a. a. 0 „ Bd. 2, 2. Aufl„ München
1988, S. 3 86) - Zu der von Adorno gern herangezogenen Metapher
Nietzsches vgl. auchNaS IV·4, S. r65 und S. 382f„ sowieNaS IV· 15,
S. J8 und schließlich Theodor W Adorno, Philosop hische Termino-
logie. Zur Einleitung, hrsg. von Rudolf zur Lippe, Bd. 2, 5. Aufl„
Frankfurt a.M. 1989, S. 162.

23 I
230
4. Vgl. GS 9 · r, S. 446 . - Adorno zitiere diesen Ausspruch des Test- 1 . Über die systematische Bedeutung dieses M otivs hat Adorr10 sich
1
teilnehmers ebenfalls in den >Thesen gegen den Okkultismus< aus den ,c[ten so explizit geäußert, wie er das in der Vorlesung zur Asthetik
Afinima Moralia (GS 4, S. 273) ; im wesentlichen vom Okkultismus in rnn 1958/ 59 ge tan hat. Hier sprach er von der Not\vendigkeit, i11 et-
der zeitgenössischen Gesellschaft handelnd, enthalten die >Thesen< 11 <11s wie eine philosophische Urgeschichte der Begriffe >hineinzukom-

gleichwohl ni cht weniger als Adornos Theorie des Verhältnisses von 1ncn<, wie sie nach der vo11 uns [seil. vo11 ihm 1111d Horkheimer] vertretenen
Okkultismus und M etaphysik, der Kontamination vo11 Geist und Da- l1!ffass1mg anstelle bl~/Jer Verbaldefinitionen zu treten hätte, die ja willkür-
sein, das selber z um Attribut des Geistes ttJird (ebd., S. 278). Adornos lirlt und mwerbi11dlich bleiben; als Beispiel nennt er die Theorie der Kunst
Aphorisma Okk1<ltis11111s ist die Metaphysik der dr1111me11 Kerle (ebd., <1ls des 111irnetisc/1en Verhaltens, die in der »Dialektik der AuJklänmg« [. . . J
S. 276) figuriert unterdessen im »Historischen Wörterbuch der Philo- mtwickeltsei (Theodor W Adorno Archiv, Vo 3539f.). Die zweiseme-
sophie« als Z eugnis >radikaler Gegnerschaft< des Okkultismus, die den str ige Vorlesung über Philosopltisclte Termi1wlogie, die Adorno 1962
Autoren denn doch zu radikal zu sein scheint (vgl. H . Bender/ W. Bo- und 1963 hi elt, ist seine ausführli chste Behandlu ng denUrgeschichte<
nin, [Art.] Okkultismus, in: Hist. Wb. Philos., Bd. 6, Basel, Stuttgart philosophischer Begriffe (vgl. Adorno, Philosophische Terminologie.
1984, Sp. l 144 f.). /.: ur Einleitung, a. a. 0. [Anm. 3], 2 Bde., Frankfurt a. M. 1973 ,
1974) . - Zu anderen Aspekten seiner Idee philosophischer Urge-
5. S. die 4. Vorlesung; oben, S. 28 ff. Khichte vgl. RolfTi edemann, »Nicht di e Erste Philosophie sondern
c·ine letzte«. Anmerkun gen zum Denken Adornos, in: Theodor W
6. S. die 5. Vorlesu ng; oben, S. 6r. Adorno, »Üb nach Auschwitz noch sich leben lasse«. Ein philosophi-
sc hes Lesebuch, Frankfurt a.M. 1997, S. l 6f.
7. Doch wo hl eine Anspielung auf das (in Adornos Bibliothek vor-
handene) Buch von Heimsoeth, das den Universaliens treit unter dem 1 o. Die Comtesche »loi des trois ecats« hat Adorno au ch in der Einlei-

Titel »Das Individuum« behandelt; vgl. H einz H eimsoeth, Die sechs t11 11g in die Soziologie, der Vorlesung vom Sommersemester 1968, noch
großen Themen der abendländischen Metaphysik und der Ausgang l'inmal behandelt (vgl. NaS IV· 15 , S. 219 f.).
des Mittelalters, 4. Aufl., Darmstadt 1958, S. 172 ff
1 r . D en Übergang des Fetischismus in den Polytheismus etwa cha-

8. Vgl. etwa im ersten Teil de r »Enzyklopädie der philosophischen rJkterisiert Comte wie folgt: »Die Umgestaltung der Fetische in Göt-
Wissenschaften« von r 830: »Die Gedanken können [... ) obiektive Ge- ter führt bei j edem Ding, statt des ihm zugeteilten Lebens, zu einer
danken genannt werden, worunter auch die Formen, die ~unächst in abstrakten Eigentümlichkeit, wodurch er empfanglich wird für den
der gewöhnlichen Logik betrac htet und nur für Formen des bewuf]ten Antrieb durch eine übernatürliche Kraft. Jede r Gott tritt statt vieler
Denkens genommen zu werden pflegen , zu rechnen sind. Die Logik Fetische in der Eigenschaft ein, die ihnen gemeinsam ist, und ein sol-
fallt daher mit der Afetaphysik zusammen, der Wissenschaft der Di11ge cher Begriff erfordert ein metaphysisches Denken.« (Auguste Comte,
in Gedanken gesetzt, welche dafü r galten, die VVEsenheiten der Di11ge Die Soziologie. Die positive Philosophie im Auszug, hrsg. von Fried-
auszudrücken.« (Hegel, We rke in 20 Bänden. Red.: Eva M olden- rich Blaschke, Leipzig 1933, S. 193)
hauer und Karl Markus Michel, Frankfurt a.M. 1969-1971, Bd. 8: En-
zyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, r. 12. Über den Aristotelismus der islamischen Philosophie und die

Teil, S. 80 f.) Oder in der Einleitung zur >Objektiven Logik<: »Die ob- Aristoteles-Erneuerung im christlichen Mittelalter vgl. etwa Otfried
jektive Logik tritt (... ] an die Stelle der vormaligen Metaphy.,ik, als Höffe, Aristoteles, München 1996, S. 269 ff.; zum ersteren aber vor al-
welche das wissenschaftliche Gebäude über die Welt war, das nur lem Ernst Bloch, Avicenna und die Aristotelische Linke, in: ders., Das
durch Gedanken aufgefü hrt sein sollte.« (A. a. 0. , Bd. s: Wissenschaft Materialisnmsproblem, seine Gesc hichte und Substanz, Frankfurt
der Logik l, S. 6 r) a.M. 1972 (Gesamtausgabe. Bd.7), S.479 ff.

233
13. Über die Schließung der Schule des Proklos in Athen durch ein Wissenschaft von den Formen, sie hat es, nach Adorno, wesentlich mit
Edikt Justinians im Jahr 529 ist etwa Zeller zu vergleichen, der auch ll1 ;~r[ffen , emphatisch mit Begriffen, mit emphatischen Begr[ffrn z u tu11
sonst Adornos bevorzugter Gewährsmann in Sachen der griechischen (oben, S. 16) .
Philosophie war (vgl. Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen in
ihrer geschichtlichen Entwicklung, 3. Teil, 2. Abt.: Die nach aristote- 18. Adorno besaß für gnostische Gedankengänge stets ein ausgepräg-
Jische Philosophie. 2. Hälfte, Hildesheim, Zürich, N ew York r99c [2. t L'S, freilich vor allem gesprächsweise bekundetes Interesse; als er r 9 5<)
N achdru ck der 5. Aufl.], S. 915 f.) ; über das persische Exil, das von 1fans Jonas zu einem Vortrag über die markionische Gnosis zu gewin-
Simplikios und sechs weiteren Philosophen gewählt wurde, ausführ- 11cn versu chte, kennzeichnete er dies Interesse an dem Philologen aus
licher U ebetweg-Praechter (vgl. Friedrich Ueberweg, Gru ndriß der Sinope: Im übrigen ist mir die valelltinianische Gnosis grnauso wichtig wie
Geschichte der Philosophie, I. Teil: Die Philosophie des Altertums, die 111arkionische, an der mich nur ein itanz bestimmtes l\Jotiv, die Dcmm-
12. Aufl., hrsg. von Karl Praechter, Berlin 1926, S. 634 f.). : iatio11 des SchöP.fergottes, besonders interessiert. (Brief an H ans Jonas,
12 . 10. 19 59) Wenn im Zentrum der i'v!editationen zur Metaphysik die
14. Zum >festhalten< dessen, was im Sinn Adornos Metaphysik sei, h:ige steht, ob nach Auschwitz noch sich leben lasse (GS 6, S. 355), dann
wird hiermit ein für allemal auch auf die 33. Vorlesung der Philosophi- ist der Zusammenhang mit der Anklage des >gerechten<, grausamen
schc11 Tcnninolo;?ic verwiesen, seine kürzeste Erklärun,I! des Ausdmcks 1111d bösartigen Gottes durch Markion offenkundig genug.
Metaphysik, die zugleich ihre inhaltliche Bes timmung enthält (vgl.
Adorno, Philosophische Terminologie, Bd. 2, a. a. 0. [Anm. 3], 19. Mit der Lehre t'Oll der Gottheit als Werdendem sagte Seheier sich in
S. r6off). seiner späten Metaphysik, seit Beginn der zwanziger Jahre, vom per-
s1malen Gottesbegriff los, den er zuvor, während der katholischen
2 . VORLESUNG l'hase seines Denkens, vertreten hatte: »Der Mensch - ein kurzes Fest
in den gewaltigen Zeitdauern universaler Lebensentwicklun g - be-
r 5. Von den Vorlesungen vom 13. und r 8. M ai 196 5 sind keine Tran- clrntet [... ] etwas flir die Werdebestimmung der Gottheit selbst. Seine
skriptionen erhalten; an ihrer Stelle werden die Sti chworte alwe- ( ;eschichte ist nicht ein bloßes Schauspiel für einen ewig vollkomme-
druckt, die Adorno zu diesen Vorlesu ngen sich gemacht hatte ;1d nen göttlichen Betrachter und Richter, so ndern ist hineingeflochten
nach dene n er sie gehalten hat. in das Werden der Gottheit selbst. « (Max Seheier, Gesammelte Werke,
Bd. 9: Späte Schriften, hrsg. von Manfred S. Frings, 2. Aufl ., Bonn
r6. Die Stelle knüpft an di e Ausführungen zur Formalisierung des Be- 1995 , S. IOI f.) Scheler nimmt mit dem Gedanken der >Gottwerdung<
griffs M etaphysik am Schluß der ersten Vorlesung an (oben, S. 2of.) . ll!ystische Spekulationen wieder auf »Es ist der alte Gedanke Spino-
zas, H egels und vieler anderer: D as Urseiende wird sich im M enschen
17. Bereits diese C harakterisierung der üblichen Definition von Meta- seiner selbst inne in demselben Akte, in dem der Mensch sich in ihm
physik enthält den deutlichen Hinweis auf di e »M~taphysib des Ari- g~g1iinde t schaut. Wir müssen nur diesen bisher viel zu einseitig in-
stoteles, der dann zwei D rittel der Vorlesung gewidmet sind: die nach tellektualistisch vertretenen Gedanken dahin umgestalten, daß dieses
dem letzten Grund oder der Ursache des Seienden (vgl. Met. A 2, 982 Sich-gegründet- Wissen erst eine Fo(l!c ist der aktiven Einsetz 1111g u11sc-
b 8 f.) forschende Wissenschaft ist der Sache nach >Grundwissenschaft< rcs Seinszentrums für die ideale Forderung der Deitas und des Versu-
und heißt in der Terminologie des Aristoteles iJ :JCQWT:"f/ r:ptJ..oaoq;ia, ches, sie zu vollstrecken und in di eser Vollstreckung den aus dem Ur-
>Erste Philosophie< (Met. E 1, ro26 a 24). fle wr17 oi!ala, >erstes Wesen<, grunde werdenden >Gott<als die ste(l!ende Durd1drin;?t111g von Geist und
Substanz gebraucht Aristoteles synonym mit Elooc;: »Form nenne ich Dra11g allererst mitz r1erzeiigen. « (Ebd. , S. 70) Entfaltet findet sich die
das Wesenswas eines j eden Dinges und seine erste Wesenheit« (Met. z Lehre vom werdende n Gott allerdings erst in Schelers Fragment ge-
7, 1032 b l f.; Üb ers. von Bonitz): Metaphysik ist nach Aristoteles bliebenen, aus dem Nachlaß publizierten Aufzeichnungen zur Meta-

234 235
physik, die Adorno nicht kennen konnte; vgl. etwa die Abschnitte 11 .-hkeit der Kraft, hrsg. von Heinrich Hüni, 2. Aufl., Frankfurt a.M.
>Weltwerden< und >Deitas<der »Manuskripte zur Lehre vom Grunde 1 •1<;0).

aller Dinge«, in: Seheier, a. a. 0 ., Bd. r r: Schriften aus dem Nachlaß,


Bd. II: Erkenntnislehre und M etaphysik, hrsg. von Manfred S. Frings, ·.. j.Wolfgang Köhler (1887-1967), Vertreter der Berliner Schule der
Bern, Mü nc hen 1979, S. 201 ff. 1 ;cstalttheorie.- Adorno handelt vom Verhfünis der Gestalttheorie
1 11 Kants Begriff der Synthesis, allerdings ohne auf das Problem des

20. Adorn o dachte vor allem an Spekulationen, die er in den - im l''ycho-physischen Parallelismus sic h zu beziehen, in der 9. Vorlesung
Wintersemester 1960/61 im Seminar behandelten - »Weltalter«- 1ilicr die »Kritik der reinen Vernunft«; vgl. NaS IV· 4, S. l 53 f.
Fragmenten gefunden hatte; etwa an den Satz: »Kaum waren die er-
sten Schritte, Philosophie m it Natur wieder zu vereinigen, gesche- ·..~. Im Manuskript folgt noch ein Satz, der möglicherweise zu lesen
hen, als das hohe Alter des Physischen anerkannt werden mußte, und "r: Philfosophische] Frage11 hängen weitab von dem ab was einem {einen?/
w ie es, weit entfernt das Letzte zu sein, vielmehr das Erste ist, von ,,/1wa11t [treu11t '}, die Hexe1ifeuer f?./. (Theodor W. Ado rno Archiv,
dem alle, auch die Entwicklung des göttli chen Lebens, anfängt.« Vo rn7882v) Die Lesung des Satzes ist extrem unsicher, das Gemeinte
(Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling, Die Weltalter. Fragmente, 1udem ganz unklar; der Herausgeber hat deshalb auf die Aufoahme in
in den Urfassungen von r 8 r 1 und 18r3 hrsg. von Manfred Schröter, <il'll Text verzi chtet.
München 1946, S. 9) Während Adorno im übrigen auch in den
»Weltaltern« die traditionelle Leh re, daß das Gewordeue nicht l/lahr sein 3. VORLESUNG
kam1 (T heodor W Adorno, Marginalie a. a. 0., zu S. 4), verfochten
sah, notierte er am Rand des zitierten Satzes: We11du11,!;: Gott als Wer- '.(>. Der Gedanke, Konstellationen und 1\!lodellc an die Stelle von Ver-
dendes (ebd„ zu S. 9). Und unter den Stichworten zu seinem Seminar h:ildefinitionen zu rücken, war der Adornoschen Philosophie seit der
ist zu lesen: Vergangenheit in Gott = das Absolute als Prozeß. U11terschei- Antrittsvorlesung von 1931 wesentlich; vgl. dazu GS l, S. 34 1 sowie
1 H„olfTiedemann, Begriff Bild N ame. Üb er Adornos Utopie der Er-
d1mg vo n l\!Iomenten in Abso/11tem. (Theodor W Adorno Archiv, Zur
Einleitung in die »Weltalter«, Stichworte, BI. l )
il kenntnis, in: Frankfurter Adorno Blätter II , München 1993, S. I03 ff.

'.7. Als •induktive Metaphysiker< werden vor allem Philosophen der

'
2 r. Mit diesem ßl:,gr!ff ist anscheinend der von Metaphysik als Lehre
11om Bleibenden gemeint, in der, nach der prinzipiellen Kritik Ador- ;weiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, etwa Fechner, La tze oder Eduard
nos, Metaphysik und Erkenntnistheorie konvergieren: lvlit der U11ter- , <lll Hartmann, bezeichnet, die spekulative Sätze aufgrund induktiv-

schicbu11.~ des Blcibe11den als des Vi·ahrcn 1l'ird der Al'!fai~(? der Jiflalirheit 11;1turwissenschaftlicher Verfahren gewinnen zu können meinten. -
zum Al'!fang der Täuschung. (GS 5, S. 25; vgl. auch N aS IV· 4, S. 45 ff. Nach Marx ist es »das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen
und passim.) Akkumulati on«, daß dieser eine »Akkumulation von Elend« >ent-
' pricht< (Marx, Das Kapital 1 [= MEW Ed. 23, Berlin 1969], S. 674 f.);
22 . Der durch die folgende Einfügung unterbrochene Satz wird im die Theorie der >relativen Verelendung< wurde aufgestellt, um das
ersten Satz der Stic/11vorte zur 3. Viir/csung fortge setzt; s. oben, S. 25 . Marxsche Gese tz der zunehmenden Verelendung des Proletariats, das
von den Fakten widerlegt zu werden schien, dennoch zu retten. Be-
23. Eine Ausnahme bildet j edoch H eidegger, der im Sonuuerseme- reits 1942, in den Reflexionen z 11r Klasse11theo1·ie, hatte Adorno regi-
ster 193 r über »Wesen und Wirklichkeit der Kraft« anläßlich von 'triert, daß die iiberlieferte Konstruktion von der Verelendung >zerfallen<
Buch E> der Aristotelischen Metaphysik eine inzwischen gedruckte sei: Sie mit dem Hiljsbegr!ff da relativen Verelendu ng z u ßicken, wie 111an
Vorlesung gehalten hat (vgl. Martin Heidegger, Gesamtausgabe, II. ,·s z 11r Zeit des Revisio11is111usstrcits l!ers11clzte, konnte nur sozialde111okrati-
Abt., Bd. 33: Aristoteles, Metaphysik E> l-3. Von Wesen und Wirk- schm Gegenapvlogetw beikommen, deren Ohren vom eigenen Geschrei

237
schon so stumpf geworden waren, daß sie nicht einmal den Hohn mehr ;o. Gemeint sind wiederum die Meditationen zu r lvietaphysik, mit de-
vcmahme11, der aus dem Ausdr11ck relative Vcrelend1111g ihrer Miilte entge- rrn •entwickelnder Variation<Adorno die letzten sechs seiner Vorl e-
J!.Cllschallt. (GS 8, S. 384) Und noch in einer von Adornos letzten Ar- "111gen über Metaphysik bestritten hat; s. auch oben, S. 23 I , Anm. r.
beiten, dem Vortrag Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, heißt es
lakonisch: Prognosen der Klasse11theoric wie die der Verelendung und des ; 1. Hylozoismus wird seit dem 17. Jahrhundert die Lehre der ioni-
Zusammenbruchs sind nicht so drastisch eingetroffen, wie man sie verstehen ' "hen Vorsokratiker genannt, nach der das Leben (ff ~wi]) aus einem
rnuß, wenn sie 11icht 11m ihren Gehalt ,~ebracht werden sollen; nur mit <;rundstoff (fJ i!A17) - Wasser, Luft, Feuer u. a. - h ervorgeht; zur Kritik
Komik ist von relativer verelendrmg zu reden. (GS 8, S. 355) dl's Aristoteles vgl. M et. A 3 ff, 983 a 24 ff sowie die Interpretation
28. Die beiden vorangehenden Sätze bringen die Heideggersche /,ellers: »An den älteren Ioniern tadelt er[ ... ] das Übersehen derbe-
Fundamentalontologie, so wie sie in »Sein und Zeit« entwickelt wird, wl'genden Ursache und die Oberflächlichkeit, mit der sie ein beliebi-
und Adornos Kritik daran auf die kürzeste Formel; ausgeführt hat ges einzelnes Element zum Grundstoff gemacht haben, während
Adorno seine Kritik im Ersten Teil der Negativen Dialektik (vgl. GS 6, doch die sinnlichen Eigenschaften und die Veränderungen der Kör-
S. 67 ff). pc~r durch den Gegensatz der Elemente bedingt seien. Das Gleiche gilt
.1 uch von Heraklit, sofern er durch Aufstellung eines Grundstoffs mit
29. Wofür in Adornos metaphysischer Erfahrung der Name Luder- _imen üb ereinko mmt[ ... ].« (Zeller, a. a. 0. fAnm. 13], 2. Teil, 2. Abt.:
bach stand, läßt sich den wenige Tage vo r der Vorlesung geschriebe- Aristoteles und die alten Peripatetiker, Hildesheim, Zürich, N ew
nen Meditationen z11r Metaphysik entnehmen: Der Ga11g der Geschichte York 1990 (2. Nachdruck der 4. Aufl.]. S. 284)
11öt(~t das zum 1\1aterialism11s, was traditio11ell sein 111wennittelter Gegen-
satz war, die Metaphysik. [. .. 7Der Proz~/3, durch den Metaphysik rmauf- 32. Wahrscheinlich gab Adorno hier Hinweise auf di e zu benutzen-
lzaltsam dorthin sich l'erzog, ll'<>gegen sie ei11mal /wn z ipiert war, hat seinen drn Aristoteles-Ausgabe n , jedenfalls wohl auf die neuere Metaphy-
Fh1chtp1mkt erreicht. Wie sehr sie in die Fragen des materiellen Daseins sik-Übersetzung vo n Paul Gohlke (s . unten, S. 242, Anm. 45) sowie
schliipfte, hat Ph ilosophie seit dem jungen Hegel nicht verdrängen können, möglicherweise auch schon auf die Geschichte der antiken Philoso-
wofern sie sich nicht an die approbierte Dc11kcrci verkaufte. Kindheit ahnt phie von Zeller (s. oben, S. 234, Anm. r 3).
etwas davon in der Faszination, die von der Zone des AiJdeckers, dem Aas,
dem widerlich siißcn Gerttdz da Verwesung, den armic/1igen Ausdrücken
fürjcne Zone a11.~1;eht. Die lvfochtjenes Bereichs im U11be11J1!ßten mag nicht 4. VORLESUNG
geringer sein als die des infan til sexuellen; beide überblenden sich in der
analen Fixienm,i;, sind aber kt111rn dasselbe. Unbe1l'llj.ltes Wissrn .fhistcrt 33. S. auch oben, S.234f., Anm. 17.
den Kindern zu, 111as da von der z ivilisatorischeu Erzie/11mg verdrängt wird,
darum s inge es: die armselige physische Existenz zündet ins oberste Inter- 34. Der Streit zwischen Platon und dem Kyniker Antisthenes war
esse. das ka11111 11'en(i;cr verdrä11gt rl'ird, ins f,f,fo ist das 1md TH>hi11 <~ehr es. Adorno vor allem durch Zeller vertraut: »Während f... ] ein Plato aus
Wem l,elä1we, a1if das sich zu besinnen, was ihn einmal aus den r+orten der sokratischen Forderung des begriillichen Wissens ein System des
Luderbach 1111d Schwei11sti~<.;c a11spra11g, wäre wohl näher am abw/111c11 J11is- entschiedensten Realismus ableitete, leitet Antisthenes einen ebenso
sen als das He.~elsche Kapitel, das es de111 Leser verspricht, um es ihm entschiedenen Nominalismus daraus ab: die allgemeinen Begriffe,
überlegen zu versagen. (GS 6, S. 358 f.) - S. auch oben, S. r82ff, wo behauptete er, seien bloße Gedankendinge, Menschen und Pferde
Adorno den Gedanken noch einmal aufnimm t. sehe er, nicht die Menschheit und die Pferdheit; und er eröffnete von
hier aus gegen seinen Mitschüler [. .. ] eine Polemik, der es an D erb-
29a. Vgl. hierzu den Absatz Die ki11dliche Frage in der N~r;atil'Cll Dia- heit nicht feh lte, die aber auch von der Gegenseite scharf genug erwi-
lektik (GS 6, S. r 16ff).
dert wurd e.« (Zeller, a. a. 0. [Anm, r 3], 2. Teil, r. Abt.: Sokrates und

238
239
die Sokratiker, Plato und die alte Akademie, Hildesheim, Z ürich, log eine, gegen di e Parmenides-Kritik von Zenon gerichtete, dialek-
N ew York 1990 [2. N achdruck der 5.Autl.J, S.295f. tische >Rettung< des Vielen bei Platon: »Vieles setzt Eines voraus und
Eines bringt Vieles hervor. Es ist diese Doppelthese, die Beweisziel
35. Vgl. Politeia, 7. Buch; St. 514ff des >Parmenides< ist. Platon geht also durchaus ein Stück weit mit Z e-
nons Kritik an der Vielheit mit, hält aber die monistische Konsequenz
36. Lockes Theorie der primären und sekundä ren Qualitäten der des Eleaten für falsch.« (Christian Iber, Platons eigentliche philoso-
Körper findet sich im 2. Bu ch seines »Essay Concerning Human Un- phische Leistung im Dialog »Parmenides«, in: Dialektischer Negati-
de rstanding«, und zwar Chapter VIII,§ 8 ff: »The power to produce vismus. Michael Theunissen zum 60. Geburtstag, hrsg. von Emil An-
any idea in our mind, I call quality ofthe subje ct, wherein that power gehrn [u . a.), Frankfurt a.M. 1992, S. 18 8)
is. [... ] Qualities [... ] are first such as are utterly inseparable from the
body, in what estate soever it be. - These I call original or primary 39. Gemeint ist aus dem >Historischen Teil< der »Farbenlehre« der
qu alities ofbody. [... ] Secondly, the power that is in any body, by rea- Absc hnitt >Überliefertes< in der 3. Abteilung: »Plato verhält sich zu der
son of its insensibl e primary qualities to [... ] produce in us the diffe- Welt wie ein seliger Geist, dem es beliebt, einige Z eit auf ihr zu her-
rent ideas of several colo urs, sounds, smells, tasts etc. These are usually bergen. Es ist ihm nicht sowohl darum zu tun, sie kennenzulernen,
called sensible qualities. [... ]These 1 call secondary qualities.« (zi t.Jo- weil er sie schon voraussetzt, als ihr dasjenige, was er mitbringt und
hann Eduard Erdmann, Versuch einer wissenschaftlichen Darstellung was ihr so nottut, freundlich mitzuteilen. [... ) Aristoteles hingegen
der Geschichte der neuem Philosophie, hrsg. von Hermann Glock- steht zu der Welt wie ein M ann, ein baurn eisterlicher. Er ist nun ein-
ner, 1. und 2. Abt.: Von Cartesius bis Kant, Bd. 3, Stuttgart 1934, Bei- mal hier und soll wirken und schaffen. Er erkundi gt sich nach dem
lagen, S. XIIf.) »Die Kraft, eine Idee in unserm Geist zu erzeugen, Boden, aber nicht weiter, als bis er Grund find et. « (Goethe, Gedenk-
nenne ich eine Qualität des Gegenstandes, dem jene Kraft inne- ausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, hrsg. von Ernst Beutler,
wohn t. [... ]Qualitäten [sind) erstens solche, die vom Körper, in wel- Bd. r6: Naturwissenschaftliche Schriften, r. Teil, 2. Aufl., Zürich,
chem Zustand er auch sein möge, völlig untrennbar sind. - D iese Stuttgart 1964, S. 346f.)
nenn e ich ursprüngliche oder primäre Qualifaten der Körper. [... )
Zweitens, die einem Körper innewohnende Kra ft, auf Grund seiner 40. In der Vorlage steht irrtümlich Aristoteles.
sinnlich nicht wahrnehmbaren primären Qualitäten [... ) auf irgend-
einen unse rer Sinne einzuwirken und dadurch in uns die verschiede- 4r. So heißt es etwa in der Einleitung zur 5. Aufl. von »Was ist Meta-
nen Ideen von mancherlei Farben , T önen, Gerüchen , Geschmacks- physik? <<: »Ein D enken, das an die Wahrheit des Seins denkt, begnü gt
arten usw. zu erzeugen. Sie werden gewöhnlich sensible Qualitäten sich zwar nicht mehr mit der Metaphysik; aber es denkt auch ni cht
genannt. - J?i ese nenn e ich sekundäre Qualitäten. « (Übers. nach: gegen die M etaphysik. Es reißt, um im Bild zu sprechen, die Wurzel
John Locke, Uber den menschlichen Verstand. Ausg. in 2 Bdn., Ber- der Philosophie nicht aus. Es gräbt ihr den Grund und pflügt ihr den
lin 1962, Bd. r: Bu ch 1 und II , S. r47f. und S. 155) Boden. Die Metaphysik bleibt das Erste der Philosophie. Das Erste
des Denkens errei cht sie nicht. Die Metaphysik ist im D enken an die
37. Adorno, der bei Platon >Teilhabe< in gewisser Weise an die Stelle Wahrheit des Seins überwunden. Der Anspruch der Metaphysik, den
der Kausalität treten sah, war die µ i ih:.;i,-Lehre besonders in der Ver- tragenden B ezug zum >Sein< zu verwalten und alles Verhältnis zum
sion wichtig, in der sie im »Phaidon« vorgetragen wird (vgl. ebd., St. Seienden als solchem maßgebend zu bestimmen, wird hinfällig.«
99ff). (Martin Heidegger, Was ist M etaphysik? 5.Aufl., Frankfurt a.M.
1949, S. 9) Und in »Überwindung der Metaphysik«, Aufzeichnungen
38 . Die neuere Platon-Fors chung, wie sie etwa von einer Abhand- H eideggers aus den Jahren 1936 bis r 946, ist zu lesen: »Der Untergang
lung von C hristian Iber vertreten wird, erbli ckt im Parmenides-Dia- der Wahrheit des Seienden ereignet sich notv11endig und zwar als di e
Vollendung der Metaphysik. Der Untergang vollzieht sich zumal +9· In der Vorlage beginnt der Satz: aber daß ihnen das wesemmäßig
durch de n Einsturz der von der Metaphysik geprägten Welt und i111 Sinne; es ließe sich also auch emendieren: aber daß ilwen [seil. den
durch die aus der Metaphysik stammende Verwüstung der Erde. Ein- fvfcmclien) das wese11srnäßig z Hkonun en soll; daß das iin Sinn e etc.
sturz und Verw üstung find en den gemäßen Vollzug darin, daß der
Mens ch der M etaphysik, das anim al rationale, zum arbeitenden Tier 50. So in der Vorlage. Nicht au szuschließ en ist, daß die gebräuchli-
festgestellt wird. [... ] Mit dem Beginn der Vollendung der Metaphy- che Üb ersetzung von cptJ.oaocpia an dieser Stelle einen Lapsus dar-
sik beginnt die unerkannte und der Metaphysik wesentlich unzu- stellt, da die ao<piu. der So kratisch-Plato nischen Tradition das von
gänglich e Vorb ereitung eines ersten Erscheinens der Z w iefalt des Aristoteles Gemeinte, Wissen im Sinne der Wissenschaft, gerade ver-
Seins und des Seienden. Noch verbirgt sich in diesem Erscheinen de r fehlt; Adorno hätte dann sagen wollen >Liebe zum Wissen <, besser
erste Anklang der Wahrheit des Seins, di e den Vorrang des Seins hin- noch >Srreben nach Wissen<oder, wie es am Ende der Vorl esung (s.
sichtlich seines Waltens in sich zurücknimmt.« (Martin H eidegger, oben, S. 40) dann auch h eißt, >Hinstreben nach dem Wissen<.
Vortr~ige und AutSätze, Pfüllingen 1954, S. 72 und 78)
51. M öglicherweise denkt Adorno dabei an § 6 von »Sein und Zeit«,
42. Vgl. Kant, Werke in sechs B änden, hrsg. von Wilhelm Weische- in dem es von Aristoteles im Gegensatz zu der »sich bei Plato ausbil-
del, Bd. 2: Kritik der reinen Vernunft, D armstad t 1956, S. 32 1 ff (A denden antiken Ontologie zur Dialektik« h eißt, er h:ibe desh alb >kein
31 3 ff , B 37off.). Verständnis mehr<für die letztere gehabt, »weil er sie auf einen radika-
leren Boden stellte und aufhob« (Heidegger, Sein und Z eit, a. a. 0.
43. Auf die D oppelintention von Kritik und R ettung bei Kant ist fAnm. 46.j, S. 25): das ist syntaktisch zwar auf die Dialektik zu bezie-
Adorno in seiner Vorlesung Kants »Kritik der reinen Vcr1111nft « w ieder- hen, gilt j edo ch implizit ebenso vo n der Ontologie selber. - Adornos
holt eingegangen; vgl. N aS IV· 4, S. 54, 1 J2 f., r 43 und p;ssim. und H eideggers Begriffe von Ontologie sind im übrigen kaum um-
standslos miteinander kompatibel. Während Adorno darunter ein
44. M et. A r, 980 a 2 r. Denken versteht, das, wie j enes der Vorsokratiker, eben >das Wesen-
hafte b ereits voraussetzt und supponiert<, und in diesem Sinn von
45. Vgl. Aristoteles, Die Lehrschriften, hrsg. , übertragen und in ihrer H eideggers Ontologie spricht, ist für H eidegger die Ontologie stets
Entstehung erläutert von Paul Gohlke, ßd. V: M etaphysik, 3.Aufl. , ein von Rationalität >Z ersetztes<, welches den erstrebten Weg zum
Paderb orn r972 , S. 35. >Sein selbst< gerade verb aut. Bereits in »Sein und Z eit«, das darin no ch
wenig entschieden ist, w ird der >Titel Ontologie< dem »expliziten
46. Heidegger, Sein und Zeit, 7.Autl., Tübingen 1953, S. 17o f. theoretisc hen Fragen nach dem Sinn des Seienden« vorbehalten
(ebd„ S. 12). »Die ontologische Interpretatio n«, und damit eben auch
47. So in der Vorlage. Die naheli egende Konj ektur iiberlw11pt nicht das 1' di e des Aristoteles. »entw irft vorgegebenes Seiendes auf das ihm ei-
171e111a dürfte falsc h sein, wie die im vorletzten Satz dieses Absatzes gene Sein, um es hinsichtlich seiner Struktur auf den Begriff zu brin-
wie derh olte Formulierung von der Ontologie, die hier fscil. bei Aristote.- gen« (ebd., S. 3 r 2), auf den die Wahrheit des Seins nicht zu bringen
lcs/ erst the111atisc!t zu belegen sc heint; mit >Thema sein<, >thematisch sei, welche vielmehr, dem sogenannten »Brief über den >Humanis-
sein< dürfte Adorno in di esem Zusammenhang di e Bedeutung des: mus<« zufolge, ein Denken verlange, »das strenger ist als das begritfü-
ein Thema zum erstenmal anschlagen , ohne es bereits durch zuführen , che« (H eidegger, Wegmarken, Frankfi.m a.M. i967, S. T87). W eil Ari-
verbinden. stoteles im Rahmen diskursiven Philosophierens verbleibe, verfallt er
der Kritik Heideggers als Ontologe ; daß Heidegger Diskursivität ver-
48. S. oben , S. 29. abschiede und aufein archaisierendes Raunen vom Sein zurü ckfalle, ist
dagegen der durchgängige Inhalt von Ado rnos Kritik an H eidegger.

243
5. VORLESUNG
r.o. »Per substantiam nihil aliud intelligere possumus, quam rem qua:
1Ll cxistit, ut nulla alia re indigeat ad existendum.« (CEuvres de Descar-
52. S. den bibliographischen Nachweis oben, Anm. r3. - Zellers
l<'s, publiees par Charles Adam & Paul Tannery, Vol. VIIT-1: Principia
»Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung« er-
l'hilosophia:, Paris 1964, p. 24 [Pars Prima, LI]) »Unter Substanz kön-
schien zu erst 1844-52 in drei Bänden, die späteren Auflagen dann in
nen wir nur ein Ding verstehen, das so existiert, daß es zu seiner Exi-
sechs Bänden; Adorno besaß die 2. Auflage von r856-r868. Zeller
stenz keines anderen Dinges bedarf.« (Rene Descartes, Die Prinzipien
ve1faß te außerdem einen »Grundriß der Geschichte der o-riechischen
der Philosophie, üb ers . von Artur Buchenau , 4. Aufl., Leipzig 1922,
Philosophie« (r883 u. ö.), der für Adorno jedoch kein; Bedeutung
hatte. S. 17)

<• 1. »Per substantiam intelligo id, guod in se est, et per se concipitur:


53 · Vgl. den Anfang der 2. Vorlesung in Adornos Sti chworten, oben,
S. 23 und S. 23 4 f., Anm. 17. hoc est id, cujus conceptus non indiget conceptu alterius rei, a quo
lormari debeat. [Unter Substanz verstehe ich das, was in sich ist und
54. Met. A I, 982 b 8f. :\us sich begriffen wird; das heißt das, dessen Begriff nicht des Begrif-
ti:s eines andern Dinges beda1f, um daraus gebildet werden zu müs-
55. Vgl. Z eller II· 2, a. a. 0. [Anm. 3 r], S. 303 ff sw.) « (Spinoza, Opera · Werke. Lateinisch und deutsch, hrsg. von
Konrad Blumensto ck, Ed. 2: Tractatus de intellectus emendatione,
56. Zum neueren Stand der Aristoteles-Forschung vgl. Klaus Oeh- Ethica, Darmstadt 1967, S. 86f. [Ethik l,3])
ler, Die Lehre vo111 noetischen und dianoetis chen Denken bei Platon
und Aristoteles. Ein Beitrag zur Etforschung der Geschichte des Be- 62. Nicht ermittelt.
wußtseinsproblems in der Antike, München 1962, sowie die Rezen-
sion des Oehlerschen Buches durch Ernst Tugendhat (ders., Philoso- 6 3. Adorno gibt in seinen Stichworten als Beleg Kateg. 5 an (Theo-
phische Aufsätze, Frankfurt a.M. 1992, S. 402 ff). dor W. Adorno Archiv, Vo 10789), also das 5. Kapitel der Kategorien-
schrift, das (in der Übersetzung von Rolfes) beginnt: »Substanz im
57. Adorno schließt sich auch hier an Z eller an, der das Aristotelische eigentlichsten, ursprünglichsten und vorzüglichsten Sinne ist die, die
ovafo stets.mit Substanz übersetzt (vgl. Zeller II· 2, a. a. 0. [Anm. 31 ], weder vo n einem Subjekt ausgesagt wird, noch in einem Subjekt ist,
S. 305). Wahrend, etwa beim Beginn von Buch /1, Adolf Lasson und wie z. B. ein bestimmter M ensch oder ein bestimmtes Pferd. « (Aristo-
Eugen Rolf.es Zeller darin gefol gt sind, bevorzugen die meisten ande- teles, Philosophische Schriften in sechs Bänden, Bd. I: Kategorien
ren Ubersetzer >Wesenheit< (Hermann Bonitz) oder >Wesen< (Paul ju. a.], übers. von Eugen Rolfes, Darmstadt 1995, S. 3) Darauf beruft
Gohlke, Franz F Schwarz)_'. Gadamer folgt dem Sprachgebrauch Hei- sich auch Zeller, wenn er wie folgt interpretiert: »Ist [... ] das Allge-
deggers und überträgt: »Uber das Sein geht die Untersuchung. « - meine nichts für sich bestehendes, so kann es auch nicht Substanz
Eme >Ableitung< im sprachhistorischen Sinn wollte Adorno selbstver- sein. [... ) der Name der Substanz[ . .. ] gebührt[ ... ] ursprünglich nur
ständlich ni cht behaupten. demjenigen, was weder als Wesensbestimmung von einem andern
ausgesagt werden kann, no ch als ein Abgeleitetes einem andern an-
57a. Ausdruck Husserls; vgl. GS 5, S. 128 . haftet, mit anderen Worten: dem, was nur Subj ekt und nie Prädikat
ist; die Substanz ist das Seiende im ursprünglichen Sinn, die Unter-
58. Adorno behandelt di e Frage vor allem in der 8. Vorles ung der lage, von der alles and ere Sein getragen wird. Solcher Art ist aber nach
Probleme der Moralphilosophie, vgl. NaS IV· ro, S. r r7 ff. Aristoteles nur das Einzelwesen. Das Allgemeine ist ja, wie er gegen
Plato nachgewiesen hat, nichts Fürsichbestehendes: jedes Allge-
59. Vgl. Alexandre Koyre, Descartes und die Scholastik, Bonn 1923.
meine, auch das der Gattung, hat sein Dasein nur an dem Einzelnen,

244
245
von dem es ausgesagt wird, es ist immer an einem andern, es bezeich- 6. VORLESU NG

net nur eine bestimmte Beschaffenheit, nicht ein Dieses; das Einzel-
wesen allein gehört nur sich selbst an, ist nicht von einem andern ge- 70 . S. oben, S. 20 passim.
tragen, ist das, was es ist, durch sich selbst, nicht blos auf Grund eines
andern Seins. « (Zeller II· 2, a. a. 0. (Anm. 3 r], S. 305 f.) 71 .Vgl. Analytica posteriora, !. Buch, Kap. I I, 77 a 8; in der Übers.
von Rolfes: »ein Eines in der Vielheit« (Aristoteles, Philosophische
64. In der Vorlage fehlt der Name des Dialogs, weil die Abschreiberin Schriften, Bd. 1 , a. a. 0. (Anm. 63], S. 23).
ihn wohl nicht kannte. Im »Theaitetos« spricht Sokrates (St. 152bff)
von der Relativität der Sinneswahrnehmungen; zu denken wäre aber 72. Über den Kantischen Begriff der Einheit in der M annigfaltigkeit
auch an »Politeia«, St. 523 bff. vgl. Adornos Vorlesungen über die »Kritik der rein en Vernunft«, ins-
besondere die 13. Vorlesung (NaS IV·4 , S.2roff.).
65. Auch dieser Titel scheint von der Sekretärin nur teilweise ver-
standen worden zu sein, da es in der Vorlage heißt: ..... . de la cons- 73. S. oben, S. 3of.
cie11ce. Adorno nannte in analogen Zusammenhängen auch sonst häu-
fig den Titel der E rstlingsschrift von Bergson. 74. Zu Adornos Ausführungen über Form und Stoff, f: viQycia und
r)1!va1ur; vgl. Z eller II· 2, a. a. 0. [Anm. 3 l], S. 313 ff.
66. Vgl. etwa in der Logik: »In der Sphäre des Begriffs kann es kein e
andere Unmittelbarkeit geben als eine solche, die an u11d für sich die Ver- 7 5. Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, a. a. 0. [Anm. 42 J, S. 248 ff.
mittlung enthält und nur durch deren Aufheben entstanden ist[ ... ].« (A 21 8 ff., B 265 ff.).
(Hegel, Werke, a. a. 0. [Anm. 8J, Bd. 6: Wissenschaft der Logik II ,
S. 312) Oder: »Die Unmittelbarkeit üb erhaupt geht nur aus der Ver- 76. S. oben, S. 34.
mittlung hervor, sie muß daher zu dieser übergehen.« (Ebd. , S. 519)
77. Auf dem 12. Deutschen Soziologentag, der vom r 5. bis 17. Ok-
67. Daß Adorno hier an einen bestimmten , mit Seitenzahlen zu fi- tober 1954 in Heidelberg stattfand, hielt Adorno den Vortrag Z um
xierenden >Nachweis< gedacht hat, ist eher unwahrscheinlich; als ein fdcologic-Probleni (GS 8, S. 457 ff , u.d.T. Beitmg z ur ldcologienlehrc);
solcher >Nachweis<wäre vielmehr die gesamte Begrifü-Logik anzuse- nach Ausweis des Verhandlungsberichts, der in der Kölner Zertschnft
hen. für Soziologie, Jahrgang 6 ( l 9 53/ 54), H eft 3I 4, erschienen ist, hat Al-
fred Weber hier keinen eigenen Vortrag gehalten, sich aber mehrfach
68. Zum Dingbegriffbei Hume und Kant vgl. Adornos Vorlesungen an einem >Rundtafelgespräch über das Ideologie-Problem<beteiligt.
über Kants »Kritik der reinen Vemu1!fi ", insbesondere die 9. und 10. ln dieser Diskussion, über di e Leopold von Wiese leider sehr kurso-
Vorlesung, NaS IV· 4, S. 143 ff risch berichtet, scheinen die Äußerungen Webers, auf welche
Adorno sich bezieht, gefallen zu sein, von ihnen ist jedoch lediglich
69. Vgl. Categoriae, Kap. 5, 2 a 15: »Zweite Substanzen heißen die eine Anspielung erhalten, die sich in einem Diskussionsbeitrag von
Arten, zu denen die Substanzen im ersten Sinne gehören, sie und ihre Arnold H auser find et (»Aber um auf das von Herrn Geheimrat Weber
Gattungen. So gehört z.B. ein bestimmter Mensch zu der Art gegebene Beispiel des Universalienstrei tes zurückzukommen - das ist
Mensch, und die Gattung der Art ist das Sinnenwesen.« (A.a. 0. wohl das beste Beispiel dafür, wie daseinsbedingte Elemente ms Den-

'
(Anm. 63], S. 3) N ach Zeller konunt der Ausdruck ödn:w at ovaiai ken eindringen. Auch der Nominalismus wäre ja nie immanent lo-
außer im 5. Kapitel der Kategorien-Schrift nicht vor (vgl. Zeller II · 2, gisch gekommen, wenn das Individuum als solches sich nicht freizu-
a.a.O. (Anm.31], S.307, Anm. l). machen strebte.« (Ebd., S. 39 5])

247
78. Alfred Weber war 1868 geboren worden. doch sehr peinlich, wenn das Buch, das ich wesentlich mit Rücksicht ai!f
dm Zweck schrieb, diesen Zweck ganz verfehlte und ich etwas anderes
79. Karl Heinz Haag (geb. 1924), der 1951 von Horkheimer und sr/1reiben miißte; obwohl ich wiederum bei Sehe/er mit wen(iser Konzessio-
Adorno promoviert worden war, lehrte r965 Philosophie an der Jo- nen auskommen könnte. Indessen ich mache mir um all das, aufrichtig
hann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt a.M., an der er sich gC1proch en, sehr wenig So~'SCll und wenn die ganze Habili tation - eine
19 56 habilitiert hatte. Seine letzte Publikation war ein Beitrag zur soziale, mir weder sachlich noch ökonomisch notwendige Angelegenheit -
Adorno-Festschrift von 1963, die sich vielfach mit den Ausführungen da11ebe11gelänge, so wäre es mir herz lich gleichgiiltig 11nd au fond sogar lieb.
Adornos berührt, in dem j edoch die fragliche Formulierung so nicht (Theodor W Adorno / Alban Berg, Brief.vechsel r925 - r935, hrsg.
zu finden ist (zu ähnlichen Formulierungen dort vgl. Haag, Das Un- von H enri Lonitz, Frankfurt a.M. 1997, S. 169) Daß Adorno Seheier
wiederholbare, in: Zeugnisse. Theodor W Adorno zum sechzigsten stets als >ungewöhnlichen Mann <ansah, zeigt noch ein Dissertations-
Geburtstag, hrsg. von M ax H orkheimer, Frankfurt a.M. 1963, gutachten von 1965 , in dem der Philosoph gege n seinen Kritiker ver-
S. 152 ff; auch: Haag, Philosophischer Idealismus. Untersuchungen teidigt wird: Die Fiille philosophischer Etfahrung, die Sehe/er beseelt und
zur Hegelschen Dialektik mit Beispielen aus der Wissenschaft der Lo- die er zu 01ganisieren sich anstrengt, wird zu bequem abgefertigt. Der Autor
gik, Frankfurt a.M. 1967, S. 7ff.); denkbar ist aber auch, daß Adorno hätte in den o_ffensichtlichen Widerspri"ichen und Brüchen von Schelers Lehre
sich hier auf eine mündliche Äußerung Haags bezieht, die dieser im dm Ausdruck objektiver erkennen und interpretieren sollen. (Theodor W
philosophischen Oberseminar Adornos, an dem er regelmäßig teil- Adorno Archiv, Amtliche Schriften)
nahm, gemacht haben könnte.
82. Vermutlich stand Adorno Schelers Wende zur materialen Phäno-
So. »Das Verhältnis von Genesis und Geltung ist von Adorno häufig menologie vor Augen, mit der die eidetische Sphäre der Husserlschen
behandelt worden, ausführlich etwa, bei Gelegenheit Husserls, in der Phänomenologie, die sich im bloß logischen Bereich beschieden
Metakritik der Erkenntnistheorie (vgl. GS 5, S. 79ff.), aber auch no ch in hatte, zugunsten einer »Erneuerung eines intuitiven Platonismus [. .. ],
der Ei11/eitu11g z11m »Positivismusstreit in der deutschen Soziologie« (vgl. fre ilich mit vollständiger Beseitigung der platonischen Ideenverdin-
GS 8, S._JOJ f.) von 1969, einer seiner spätesten Arbeiten.« (NaS IV· 4, glichung und aller mythischen Beisätze« (Seheier, Gesammelte
S. 397) Uber Genesis und Geltung bei Kant vgl. die fünfzehnte der Werke, Bd. T Wesen und Formen der Sympathie · Die deutsche Phi-
Vorlesungen zur »Kritik der reinen Vernunft« (ebd. , S. 242ff.). losophie der Gegenwart, hrsg. von Manfred S. Frings, Bern, Mün-
chen 1973 , S. 3 ro) , preisgegeben worden war: auf angeschauten We-
8r. M ax Seheier (1874-1 928) erhielt Anfang 1928 als Nachfolger von senheiten, die von den Spezies der Logik streng unterschieden
Hans Cornelius den Ruf auf dessen Lehrstuhl für Philosophie in w urden, suchte Seheier eine dualistische M etaphysik zu errichten, ein
Frankfurt am Main; er starb hier aber bereits am 19. Mai 1928 . - scholastisch-hierarchisch gegliedertes >Seinsreich<, zu dem die endli-
Adorno spielte kurzfristig mit dem Gedanken, mit Hilfe Schelers sich chen Dinge qua >Teilhabe<, der Platonischen 1d{}t:~u;, sich in einem
zu habilitieren, wie einem Brief vom 14.5. 1928 an Alban Berg zu ent- >Seinsverhältnis< befinden sollen. »Wissen ist ein Seinsverl1ältnis«, heißt
nehmen ist: Es ist jetzt die Frage, ob der frisch nach Frankftirt bernfene es in »Die Wissensformen und die Gesellschaft« mit Formulierungen,
Max Seheier, 11011 dem Sie gcw[ß durch Franz Blei oder d1;rch Aufeätze die Seheier noch in der »Philoso phischen Weltanschauung«, seiner
von Hermann Bahr wissen und derjedet!falls ein ungewöhnlicher Ma~n ist, letzten Schrifi:, wiederholt, »es ist das Verhältnis des Teilhabens eines
mich habilitieren wird; manches spricht dofiir, da sich denn doch sehr viele Seienden am Sosein eines anderen Seienden, durch das in diesem So-
der maßgebenden Leute jär mich einsetzen, aber sicher ist es noch keines- sein keinerlei Veränderung mitgesetzt wird .« (Seheier, Gesammelte
weg;~ da Sehe/er aus Köln e(itene Habilitanden mitbringm wird. Ob es mit Werke, Bd. 8: Die Wissensformen und die Gesellschaft, 3. Aufl.,
meiner jetz(iten, nicht .~crade Schelerischrn Arbeit (einer Erkennt11istheorie Bern, München 1980, S. 203; vgl. auch ebd., Bd. 9: Späte Schriften,
der Psychoanalyse) /sehen wird, ist noch ganz imgew!ß; imd es wäre mir a. a. 0. [A nm. 19], S. 1 Ir) Ein solches Wissen, das ein Gelten an sich

249
darstellen würde, wäre in der Tat durch einen XWQwµ6c; von seiner 85. Aristoteles, Die Lehrschriften, hrsg„ übertragen und in ihrer
Genese geschieden. - Allerdings scheint der späte Seheier davon auch Entstehung erläutert von Paul Gohlke, Bd. V: Metaphysik, a. a. 0.
wieder abrücken zu wollen, etwa in Texten, die posthum unter dem !Anm. 45], S. 44 f. [Met. A , 983 b 27 ff.] - Dieses Zitat zieht Adorno
Titel »Zusätze aus den nachgelassenen Schriften« veröffentlicht wur- auch im Freiheits-Kapitel der Negativen Dielaktik (vgl. GS 6, S. 216)
den: »>Ewige Wahrheiten< sind [... ] von uns nicht angenommen - heran.
selbst nicht bezüglich der Wahrheiten, die echte Wesenszusammen-
hänge betreffen. Der übersinguläre Geist hat nach unserer Lehre 86. Vgl. Met. I'8, 1012 b 31; vgl. auch ebd., 118, 1073 a; Physica VIII
keine >i deae ante res< (die, wie im th eistischen System, sein schöpferi- 5, 256 b 13 ff.; De anima III 10, 433 b.
sches Wollen nur realisierte), sondern bringt tätig auch die sich an der
Welt darstellenden Wesenheiten erst in und mit der Realisierung der 87. Das >U nbefriedi gende< der Aristotelischen Lösung des Problems
Welt in der absoluten Zeit je hervor, so daß auch im Reich der Wesen- von r6o e u und eloo,; wird bündig von H aag formuliert: »Für den
heiten nicht Ewigkeit, sondern Zeitlichkeit [... ] zukommt.« (Ebd., Platonischen Idealismus war die Idee als das einzig Erkennbare zu-
S. 289) gleich das wahrhaft Seiende. Mit ihm wollte Aristoteles brechen. Das
r6os u , die res singularis, die in der Idee nicht aufging, sollte das
83. Vgl. Edmund Husserl , Logische Untersuchungen, Bd.1: Prole- wahrhaft Wirkliche sein. Aber diese Intention ließ sich nicht durch-
gomena zur reinen Logik, Halle a.S. 1900; jetzt: ders„ Gesammelte halten. Zu radikal war das Besondere dem Allgemeinen entfremdet,
Schriften, hrsg. von Elisabeth Ströker, Hamburg 1992, Bd. 2. - S. um no ch von sich aus etwas zu bedeuten. Faßbaren Inhalt bot allein
auch die in Anm. 80 nachgewiesenen Ausführungen in Adornos i\1e- das slooc;. Die Unbekanntheit der Materie und des Individuellen nö-
takritik der Erkenntnistheorie. tigte Aristoteles, sie als bestimmt durch die Form zu denken, deren
Struktur sie annehmen. Ihre eigene Bedeutu ng reduzierte sich da-
84. Unter philologischem Aspekt hat Günter Ralts über das Verhält- durch auf die der Form. Das Problem der Synthesis von Einheit und
nis von Genesis und Geltung bei Aristoteles festgehalten: »Aristoteles Mannigfaltigkeit, der Aufhebung des Platonischen Chorismos, blieb
war der Überzeugung, daß die zeitliche Entstehung und Entwi cklung ungelöst.« (Haag, Philosophischer Idealismus, a. a. 0. [Anm. 79], S. 8)
des menschlichen Wissens dem metaphysischen und logischen Zu-
sammenhang der Dinge gerade umgekehrt entspreche: das, was ich an 88 . Zur Frage der Substantialität der oei!ueat ovaiai vgl. bei Zeller
den Dingen zuerst sinnlich wa hrnehme: das TCQOTEQOV n:Qoc; fJµtic;, ist die oben , S. 245f., Anm. 63 zitierte Passage sowie deren Fortsetzung:
im metaphysischen Aufbau des untersuchten Phänomens gerade das »Nur abgeleiteterweise können auch die Ga ttungen Substanzen ge-
vaU:QOV rpi!ast und A.6yc~: das, was uns vor Augen steht, deutet zurü ck nannt werden, sofern sie das gemeinsame Wesen gewisser Substanzen
auf das, was es ursprünglich war. So formuliert Aristoteles als Grund- darstellen; und das mit um so grösserem Rechte, je näher sie der Ein-
satz: das :rcQ6ueov rpi!an ist das VOTl'QOV :rceoc; f/116.c; [ ... ] : d. h. das ur- zelsubstanz stehen, so dass demnach die Artenjenen Namen in höhe-
sprüngliche Wesen wird zuletzt erkannt. Aristoteles also unterschei- rem Grad verdienen, als die Gattungen; nach dem strengeren Begriff
det die Entstehung und die Begründung des Wissens. So kommt er zu der Substanz jedoch kommt er ihnen üb erhaupt nicht zu, da sie von
der ti efen Einsicht, daß die obersten und ersten Prinzipien sich in der den Einzelwesen ausgesagt werden, und da auch von ihnen, wie von
zeitlichen Entfaltung allererst am Ende, zuletzt, als Prinzipien offen- jedem Allgemeinen gilt, da ss sie nicht ein Dieses, sondern ein Sol-
baren: das TCQWWV A.6yll/ ist das VOTEQOV XQDVU{.<< (Günter Ralfs, Was ches, nicht die Substanz, sondern die Beschaffenheit der Substanz
bedeutet die Aristotelische Formel ro Ti flv elvai?, in: ders., Lebens- <msdri.icken.« (Zeller II· 2, a. a. 0. [Anm. 3 r J, S. 306 f.)
formen des Geistes. Vorträge und Abhandlungen, hrsg. von Her-
mann Glockner, Köln 1964, S. 33) 89. An dieser Stelle setzt Adorn o sich von Zeller ab, der den Gednn-
ken der T/e nnittlung ausdrücklich für Aristo teles abweist: »Form und
Stoff bedürfen [... ] keiner weiteren Vermittlung, um Ein Ganzes zu Denken Adornos hat, vgl. etwa die Einleitung der Ne._isativen Dialektik
bilden, sondern sie sind unmittelbar vereinigt: die Form ist die nähere (GS 6, passim, vor allem S. 23 ff.; vgl. auch Tiedemann, Begriff Bild
Bestimmung des an sich unbestimmten Stoffes, die Materie nimmt Name, a. a. 0. (Anm. 26] , S. 103) .
die ihr fehlende Formbestimmung unmittelbar in sich auf; wenn das
Mögliche zu einem Wirklichen wird, stehen sich beide nicht als zwei 94. Dazu vgl. Adornos Beitrag zur Ideologie11lehre (GS 8, S. 457 ff.) so-
Dinge gegenüber, sondern Ein und dasselbe Ding ist seinem Stoff wie dessen Umarb eitung in dem Band Institut für Sozialforschung,
nach betrachtet die Möglichkeit dessen, dessen Wirklichkeit seine Soziologische Exkurse. Nach Vorträgen und Diskussionen, Frankfurt
Form ist.« (Zeller II· 2, a. a. 0. (Anm. 3 r], S. 323) a.M. 1956 (Frankfurter Beiträge zur Soziologie, Bd. 4), S. 162ff

95. Nämlich im ersten Band der »Logischen Untersuchungen«, der


7. VORLESUNG jedoch erst 1900 erschienen ist, s. den Nachweis oben, S. 250, Anm. 83.

90. Die folgende halbe Seite beruht weitgehend auf Konjekturen, da 96. S. aberoben S. 249 f. , Anm. 82. - Zu Adornos Kritik an der>Zwei-
die Vorlage den Text mit einer größeren Anzahl von Lücken überlie- weltentheorie des späten Seheier< wäre auch die Negative Dialektik zu
fert, die zumindest zum Teil auf Ausfälle der Bandaufnahme zurück- vergleichen: Wissenssoziolo.!iie [. . .} verleugnet wie die objektive Struktur
gehen dürften. der Gesellschaft so die Idee o~jektiver Wahrheit und ihrer Erkenntnis. [. .. ]
Zuordnend wird der Geist tel que/ lokalisiert. Solche R eduktion sogenannter
9r. Adornos prinzipielle Kritik an der Frage nach dem Ersten als sol- Bewrtßtseinsformen ist wohlvereinbar fllit philosophischer Apologetik. Unge-
chen1, am emphatischen Gebrauch des Begr!ffs vom Ersten selber wäre in stört bleibt der Wissenssoziologie die Ausflucht, VVahrh eit oder Unwahrheit
der Einleitung zur Metakritik der Erkenntnistheorie nachzulesen (GS 5, des philosophisch Gelehrten hätten nichts zu tun mit gescllschqjilichen Be-
S. I2 ff., insbesondere S. l 5 f.). dingungen; Relativismus und Arbeitsteilung verbünden sich. Die Zweiwel-
lentheorie des späten Sehe/er schlachtete das bedenkenlos aus. (GS 6, S. 198)
92. Anspielung auf Marx' Streitschrift »Misere de Ja philosophie. Re-
ponse a la Philosophie de la misere de M. Proudhon«, die r847 er- 97. Die Formulierung ist ein Zitat aus Benjamins Aufzeichnungen
schien und in der der historische Materialis1nus eine erste systemati- zum Passagenwerk: »Entschiedne Abkehr vom Begriffe der >zeitlosen
sche Darstellung erfuhr; vor allem im zweiten Teil ging es wesentlich Wahrheit< ist am Platz. Doch Wahrheit ist nicht - wie der Marxismus
um die Kritik der Philosophie in Gestalt der Hegelschen Schule, der es behauptet - nur eine zeitliche Funktion des Erkennens sondern an
Marx den Sinn für Geschichte konfrontierte, den Hegel selber besaß. einen Zeitkern, welcher im Erkannten und Erkennenden zugleich
Während Marx aus der Misere der Philosophie die Folgerung zog, an steckt, gebunden.« (Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, unter
deren Stelle die Historie einzusetzen, bes tand für Adorno, der in einer Mitw. von Theodor W Adorno und Gershom Scholem hrsg. von
veränderten historischen Situation an Philosophie festhielt, das >Elend Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bd. V, 4. Aufl.,
der Philosophie<, wie die folgenden Sätze demonstrieren, in dem ob- Frankfurt a.M. 1996, S. 578)
j ektiven Zwang, der das Denken an die diskursive Sphäre bindet, der
sie sich doch entwinden muß, wenn sie im Ernst materialistisch wer- 98. Als Zitat nicht ermittelt; vgl. aber etwa § IS der »Krisis der euro-
den will; s. auch die Verweise der folgenden Anm. päischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie«,
in dem »die echte Selbstbesinnung des Philosophen auf das, worauf er
93 . Zu den weitreichenden Konsequ enzen, di e dieser Gedanke-der eigentlich hinauswill«, so besc hrieben wird: »Es heißt, die sedimentierte
einer notwendigen >Vorentscheidung für den Idealismus<, den alle ßegriffiichkeit, die als Selbstverständlichkeit der Boden seiner priva-
Philosophie [. .. J !!ermöge ihrer Veifahnmgsweise (GS 6, 53 l) treffe - im ten und unhistorischen Arbeit ist, wieder lebendig zu machen in sei-

253
nem verbo rgenen geschichtlichen Sinn. « (Husserl, a. a. 0 . [Anm. 83], Oxforder Philosophen fehlt allerdings in der Vorlage; vermutli ch nannte
Bd. 8, S. VI, 72 f.) Adorno Geoffrey Reginald Gilchrist Mure und dachte dabei an des-
sen Bu ch »A Study ofHegel's Logic« (Oxford 1950).
99. S. 4. Vorlesung, oben S. 28ff

roo. Von Aristoteles sind drei Ethiken üb erliefert: während die Echt- 8. V OR LESUN G
heit der »Magna moralia« teilweise umstritten ist, g ilt die »Eudemi-
sche Ethik« als Vorfassung der »Nikomachische n Ethik«, die j edenfalls ro 5. S. oben, S. 34f.
die umfänglichsten Ausführungen enthält.
I06. »Ich mußte also das J;f;'issc11 autheben, um zum C /a11ben Platz zu
ro1 . So in den Dialogen »Protagoras« (St. 3 50 Bff.) und »Laches« (St. bekommen, und der Dogmatism der M etaphysik, d.i. das Vorurteil,
r9r Dff.); eindeutiger in dem genannten Sinn definiert allerdings in ihr ohne Kritik der reinen Vernunft fortzukommen, ist die wahre
Aristotel es selber di e avOQcia: »Wir sehen: es sind di eselben Situatio- Quelle alles der M oralität widerstreitenden Unglaubens, der j ederzeit
nen, denen der Feige, der Draufgänger und der Tapfere gegenüber- gar sehr dogmatisch ist.« (Kant, Kritik der reinen Vernunft, a. a. 0.
steht, aber wie sie ihnen gegenüb erstehen , das ist verschieden. Die er- fAnm . 42], S. 33 (B XXX])
sten beiden sind die Vertreter des Zuviel und des Zuwenig, der dritte
hält sich an die Mitte und zeigt somit das ri chtige Verhalten. « (Ethica ro7. Die Vorla ge hat inmier auch das, danach Auslassungspunkte bis
N icomachea, III 10, r r 16 a; Übers. von Franz Dirlmeier.) zum Ende der Zeile sowie am R and die Bemerkung: (hier fehlt ei11
Stück!) Die Kortjektur schließt an den Wortlaut in Adornos Stichwor-
102. D aß an dieser Stelle des Gedankens ein Movens der Adorno- ten zur Vorlesung an (Theodor W Adorno Archiv, Vo ro792) . - Vgl.
schen Philosophie überhaupt entspringt, kann etwa der Vergleich mit auch die entsprechende Passage bei Zeller: »Wie [... ] Plato das Wis-
dem Anfang des zentralen zweiten Teils der Negativen Dialektik zei- se n, als die Erkenntniss des Ewigen und Nothwendigen, von der Vo r-
gen: Kein Sein ohne Seiendes. Das Etll'as als denknot111cnd(f!.es Substrat, stellung oder M einung, deren Gebiet das Zufällige ist, unterschieden
auch dessen !'om Sei11, ist die ä11ßerste, doch durch keinen weiteren Denk- hatte, so auch Aristoteles : das Wissen entsteht ihm, w ie Plato, aus der
proz~fJ abzuschaffende Abstrak tion des mit De11ke11 nich t identischen Sach- Verwunderung, aus dem Irrewerden der gewöhnlichen Vorstellung
halt((!cn; alme das Etwas kann fomial c La,r!,ik nicht gedacht werden. Sie ist an sich selbst, und Gegenstand desselben ist auch ihm nur das Allge-
1licht z u reinigeu vo11 ihrem metalo,'<ischen Rudiment. (GS 6, S. l 39) meine und Noth wendige, das Zufallige kann nicht gewuss t, sondern
Adorno suchte, in der R eflexion der traditionellen Philosop hie, die nur gemeint werden [... ].« (Zeller II· 2, a. a. 0. [Anm. 3 l], S. 162)
Analysis der >emphatischen phil osophischen Begriffe< weiterzutrei-
ben ill der R ich/1111,g f. .. / at!fs N ichtbegr[ffliche hin (cbd.) . ro8 . Das griechisc he Zitat fehlt in der Vorlage; es ist hier aus Adornos
Stichworten übernommen (vgl. T heodor W Adorno Archiv, Vo
103. So, nämlich ä1lj3erlich (s . oben, S. 74), ist das Verhältnis zwischen rn792); bei Aristoteles vgl. etwa M et. e 8, ro50 b IIf.
Form und Inhalt au ch bei Kant bestimmt, wie Adorno vor allem in
seiner Vorlesung über die »Kritik der reinen Vernunft« wiederholt ro9. S. oben, S. l l 8.
ausfi.ihrt (vgl. etwa NaS IV· 4, S. 79 ff).
1 ro. In der »formalen und transzendentalen Logik« von 1929 unter-
ro4. Adorno begegnete in seinen Jahren in Oxford (1934-1 93 8) dort scheidet Husserl ein kontingentes vom formalen Ap riori; bei der Be-
noch N achwirkunge n der Schule von Francis Herbert Bradley (18 46- stimmung der urteilend-erkennenden Subjektivität stößt er »aufbin-
1924) , des bedeutenden H egelianers . Der N ame des hier gemeinten dende Wesensstrukturen, die unter dem Titel reiner Vernunft stehen

254 255
und im besonderen reiner urteilender Vernunft. Zu ihr gehört als dem Kant-Kommentar von Cornelius in NaS IV·4, S.366f.,
Voraussetzung auch eine beständige und wesensnotwendige Bezo-
genheit aufirgendwelche hyletischen Bestände, nämlich als apperzep-
tive Grundlagen der für das Urteilen notwendig vorauszusetzenden
1 Anm. 39.

1l3. Vgl. auch die Ausführungen über die Möglichkeit synthetischer


möglichen Erfahrungen. Bestimmen wir also den Begriff der prinzi- Urteile a priori, die gleichwohl aus der Erfahrung stammen, in Ador-
piellen Form durch die wesensnotwendigen Bestände einer vernünf- nos Vorlesung über Kants »Kritik der reinen Vernw'.ft« (NaS IV· 4,
tigen Subjektivität überhaupt, so ist der Begriff Hyle (durch jedes S. 49 f.).
>Empfindungsdatum< exemplifiziert) ein Formbegriff, und nicht, was
sein Kontrast sein soll, ein kontingenter Begriff Anderseits ist es für l 14. S. dazu den oben, S. 254, Anm. 102, zitierten Anfang des zweiten
eine urteilend-erkennende Subjektivität [... ) keine Wesensforde- Teils der Ne,gativen Dialektik sowie die ebd. folgenden Erörterungen
rung, daß sie gerade Farben oder Töne, daß sie sinnliche Gefühle ge- über die Unauflöslichkeit des Etwas.
rade der und der Differenz und dgl. muß empfinden können - ob-
schon auch solche Begriffe als apriorische (von allem Empirisch-Fak- r 15. Zur Kantischen Unterscheidung sind die »Postulate des empi-
tischen befreite) zu bilden sind. Auch sie haben also ihr Apriori, das rischen Denkens überhaupt« zu vergleichen, denen zufolge Mög-
aber kontingent und kein Apriori der reinen Vernunft ist, oder wie lichkeit und Wirklichkeit »Kategorien der Modalität« sind, die »das
wir auch durch Hereinziehung eines alten Wortes, das dunkel in die- Besondere an sich [haben,] daß sie den Begriff, dem sie als Prädikate
selbe Richtung hinstrebt, sagen können: kein >eingeborenes< beigefüget werden, als Bestimmung des Obj ekts nicht im mindesten
Apriori. « (Husserl, Gesammelte Schriften, a. a. 0. [Anm. 83], Bd. 7, vermehren, sondern nur das Verhältnis zum Erkenntnisvermögen
S. 33 f.) aus drücken «: » I. Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung
(der Anschauung und den Begriffen nach) übereinkommt, ist möglich.
l l r. Adorno denkt an den >Apriorismus des Emotionalen<, den 2. Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfin-
Scheler gegen die Kantische »Gleichsetzung des >Apriorischen< mit dung) zusammenhängt, ist wirklich. « (Kant, Kritik der reinen Ver-
dem >Gedachten<, des >Apriorismus< mit dem >Rationalismus<« ver- nunft, a. a. 0. [Anm. 42], S. 248 [A 218 f., B 265 f.]) Mit anderen Wor-
tritt: »Es ist nämlich unser ganzes geistiges Leben - nicht bloß das ge- ten: »Das Postulat, die Wirklichkeit der Dinge zu erkennen, fordert
genständliche Erkennen und Denken im Sinne der Seinserkenntnis -, 1Milzrnelm1111~g, mithin Empfindung [. .. ). In dem blc?ßen Begriffe eines
das >reine< - von der Tatsache der menschlichen Organisation ihrem Dinges kann gar kein Charakter seines Daseins angetroffen werden .«
Wesen und Gehalt nach unabhängige - Akte und Aktgesetze hat. Auch (ebd., S. 253 [A 225, B 272])
das Emotionale des Geistes, das Fühlen, Vorziehen , Lieben, Hassen,
und das Wollen hat einen urspriinglichen apriorischen Gehalt, den es n6. Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, a. a. 0. [Anm. 42],
nicht vo m >Denken< erborgt, und den die Ethik ganz unabhängig von S. 399 ff (A 406 ff., B 433 ff)
der Logik aufzuweisen hat. Es gibt einen apriorischen >ordre du
coeur< oder >logique du coeur<, wie Blaise Pascal treffend sagt. « (Sehe- rr7. S. oben, S. 105.
ier, Gesammelte Werke, Bd. 2: Der Formalismus in der Ethik und die
materiale Wertethik. Neuer Versuch der Grundlegung eines ethi- u8. Vgl. fr. l des Anaximandros aus Milet: »Anfang und Ursprung
schen Personalismus, 6. Aufl., Bern, München 1980, S. 82) der seienden Dinge ist das anELQUV (das grenzenlos-Unbestimmbare).
Woraus aber das Werden ist den seienden Dingen, in das hinein ge-
l 12. Wahrscheinlich dachte Adorno hier an seinen Lehrer Hans schieht auch ihr Vergehen nach der Schuldigkeit; denn sie zahlen ein-
Cornelius, wie das im folgenden angeführte Beispiel der optischen ander gerechte Strafe und Buße für ihre Ungerechtigkeit nach der
Ähnlichkeitsreihe zu belegen scheint; vgl. dazu den Nachweis nach Zeit Anordnung.« (Diels/Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker,

257
6. Aufl., Berlin 195 l , Bd. r , S. 89) Aristoteles verwendet den Begriff in zungsbd., München 1956, S. 190) Und: »Die Obj ekte selbst können
der M et. vor allem K ro , ro66 a 35 - ro67 a 37, aber auch sonst gele- w ir nur als Produkte von Kräften betrac hten, und damit versch windet
ge ntli ch; vgl. ebe nfalls die »Physik«, wo der Ausfall eines substantiel- vo n selbst das Hirngespinst von Di11ge11 an sich , die die Ursachen unse-
len Unendlichen zweifelsfrei ist. rer Vorstellung seyn sollten. - Überhaupt, was vermag auf den Geist
zu wirken, als er selbst, oder was seiner Natur verwandt ist. Darum ist
II9. Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, a. a. 0. [Anm. 42], es nothwendig, die M aterie als ein Produkt von Kräfte11 vorzustellen;
S.42 6ff. (A 444ff., ß 472ff.)-Adorno behandelt die dritte Antino- denn Krafi allein ist das Nichtsi1111liche an den Objekten, und nur was
mi e in der Negatiuen Dialektik (vgl. GS 6, S. 243 ff.) und, vor allem, in ihm selb~t analog ist, kann der Geist sich gegenüberstellen.« (Ebd.,
der Vorlesung Probleme der !Vloralphilosophie (vgl. NaS IV· ro , S. 54.ff.) . S. 226) Vgl. dazu die Interpretation Kroners: »Der Begriff der Kräfte,
mit dessen Hilfe die Materie konstruiert wird, ist nichts anderes als ein
120. S. oben, S. 65f. - Zur Theorie vom unbewegten Beweger vgl. Versuch des Geistes, das in der Anschauung Produzierte, die ur-
heute vor allem Klau s Oehler, Der Unbewegte ßeweger des Aristo te- sprüngliche Synthesis, im Denken zu rekonstrui eren. D er wahre Be-
les, Frankfurt a.M. 1984. griff der M aterie wäre de1jenige, der die Anschauung wieder her-
stellte. « (Richard Kroner, Von Kant bis H egel, 2 Bde. in 1 Bd. ,
121. Dem Zusammenhang von M etaphysik und Theologie ist das 2. Aufl., Tübingen 1961, Bd. 2 , S. 25) - Über die Wandlungen, wel-
H auptwerk W ilhelm Weischedels gewidmet: Der Gott der Philoso- che die Theorie der Materie in Schellings Naturphilosophi e erfahren
phen. Grundlegung einer philosophischen Theologie im Zeitalter hat, vgl. ebenfalls Kroner, a.a.O, S. 23 ff.
des Nihilismus, 2 Bde., Nachdr. der 3. Aufl., Darmstadt 1994; über
Aristoteles vgl. ebd., Bd. l, S. 54ff. 125. S. das oben, S. 257, Anm. l l 5, nachgewiesene erste der >Postu-
late des empirischen Denkens überhaupt<: »Was mit den formalen Be-
122. Die scholastische Lehre von der Analogia entis, seit 1215 offizi- dingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach)
elles Dogma der Kirche, regelt die Entsprechungen zwischen Gott übereinkommt, ist möglich. «
und dem von ihm Geschaffen en nach Ähnlichkeit und Unähnli ch-
keit; da s Theorem emhält im Grunde den Kernbestand der Ontolo- 126. Diese berühmteste Kantische For111ulier1111g vgl. in Adornos 9. Vor-
gie, wie diese von den Vorsokratikern an sich entwickelte, um in lesung i.iber die »Kri tik der reinen Vernunft« (NaS IV · 4, S. 147 f.);
Thomas von Aquin ihren Höhe- und Umschlagspunkt zu erreichen. über die >Kopernikanische Wende<Kants ebd. , S. 55 f. passim so,vie
Vgl. etwa Günther Mensching, Thomas von Aquin, Frankfurt a.M., GS 6, S. 245 .
New York 1995 (Reihe Campus Einführungen, ßd. ro87), S. 94 ff
127. Vgl. etwa M et. LI 4, 1015 a 5ff.: »Von N atur[ ... ] ist das aus
beiden, Stoff und Form, Bestehende [... ]; Natur aber is t einers ei ts
9. VORLESUNG der erste Stoff [ngdm7 fiA17] (und auch dieser in doppelter Bedeu-
tung, entweder der erste für dieses spezielle Ding oder im allge-
123. S. oben, S. 87. meinen der erste [... ]), anderers eits die Form und die Wesenheit;
diese ist aber der Z weck des Werd ens. « Zeller, auf den Adorno auch
r 24. Bereits in seinen »Ideen zu einer Philosophie der Natur« von hier sich stützt, interpretiert die nqwrr1 ·15).1] wie folgt: »Abstrahiren
1797 sc hreibt Schelling: »f... ] mit der Auflösung des Problems, wie w ir in einem gegebenen Falle von allem dem, was ein Gegenstand
M aterie überhaupt 11rsprü1~i,?lich m öglich ist, ist auch das Problem eines erst werden soll, so erhalten wir einen bestimmten Stoff, welchem
möglichen Universums aufgelöst. « (Schellings Werke. N ach der Ori- eine bestimmte Form fehlt, welcher mithin erst die Möglichkeit
ginalausg. in ne uer Anordnung hrsg. von M anfred Schröter, r. Ergän- derselben enthält; abstrahiren wir sc hlechthin von allem , was Ergeb-

259
f
niss des Werdens ist, denken wir uns ein Gegenständliches, welches
noch gar nichts geworden ist, so erhalten wir den reinen Stoff o hne
alle Formbestimmung, dasjenige, was nichts ist, aber alles werden
kann, das Subjekt oder Substrat, dem von allen denkbaren Prädika-
ten kein es zukonunt, das aber ebendesshalb fi.ir alle gleichsehr emp-
i das n ur auf wenigen Seiten des »Untergangs des Abendlandes« nicht
in irgendeiner Form begegnet. Vgl. etwa die Ausführun gen im Kapi-
tel >Musik und Plastik<: »Der hellenische Tempel is t als inassiver Kör-
per gedacht und gestaltet. Eine andere M öglichkeit gab es für das hier
wirkende Formgefühl nicht. D es halb ist di e Geschichte der antiken
fän glich ist: mit anderen Worten, das, was alles der M öglichkeit und bildenden Kunst die unablässige Arbeit an der Vollendung eines einzi-
ni chts der Wirklichkeit nach ist, das rein potentielle Sein ohne alle gen Ideals gewesen, der Eroberung des freistehenden menschlichen
un.d jede Aktualität.« Und dazu di e Anmerkung: »Diesen reinen Körpers als dem Inbegriff der reinen, dinglichen Gegenwart. [.. .]
Stoff, der aber nie als solcher vorkomm t, nennt Arist[ otelesJ die M an hat[ ... ] nie bemerkt, wie selten diese Gattung ist, ein Einzelfall,
:TCQdJr17 VJ..17. Ihm steht als die i!J..17 loxar17 (iöw,, olida bufowv) der- eine Ausnahme, nichts weniger als eine Regel. In Wahrheit hat es
j enige Stoff gegenüber, welcher sich mit einer bestimmten Form di ese den nackten Leib frei auf die Ebene stellende und allseitig
unm ittelbar, ohne noch weiterer Zubereitung zu bedürfen, verbin- durchbildende Statuenkuns t nur einmal gegeben, eben in der Antike,
det: die :TCQdJrr7 vJ..q ist di e Materie, wie si e den elementarischen Un- und nur dort, weil es nur di ese eine Kultur mit einer vollkommenen
terschieden vorangeht, die taxar17 vJ..17 der Bildsäule z.B. ist das Erz Ablehnung der Überschreitung sinnlicher Grenzen zugunsten des
oder der Stein, die taxarq VJ..17 des M enschen sind die Katamenien. « Raumes gab. [... ]Diese ap ollinische Plastik ist das Seitenstück zur eu-
(Zeller II · 2, a. a. 0. [Anm. 3 lJ, S. 319 f.) kli dischen M athematik. Sie leugnen beide den rei nen R aum und se-
hen in der körperlichen Form das a priori der Anschauu ng. Diese Pla-
128. Vgl. wiederum Zell er: »D er Stoff als solcher, die sogenannte stik kennt weder in die Feme weisende Ideen no ch Pe rsönlichkeiten
erste M aterie, ist das Form- und Bes timmungslose, denn er ist eben noch historische Ereignisse, sondern nur das auf sich selbst be-
das, was allem Werden und aller Ges taltung vorangeht, das Weder- schränkte Dasein t1ächenbegrenzter Leiber. « (Oswald Spengler, Der
N och aller G egensätze und Bestimmungen, die Unterlage, welcher Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Welt-
no ch keine von allen den Eigenschaften zukommt, in denen die geschichte, Bd. r: Gestalt und Wirklichkeit, 7.- ro .Aufl., München
Form der Dinge besteht; er ist insofern au ch das Unbegrenzte o der 1920, S. 3 ro f. )
Unendliche, nicht im räumlichen Sinn (denn ein räumlich Unend-
liches gibt Ar is to teles [.. .J nicht zu), sondern in der weiteren Be- 13 0. Adorno hat wahrscheinlich das berühmte Spengler-Heft des
deutung dieses Begriffes, wornach er überhaupt das bezeichnet, was »Logos« im Sin n, in dem u. a. Karl Joel und Eduard Schwartz üb er
durch keine Formbestimm ung begrenzt und befestigt, zu keinem Spenglers Behandlung vo n Philosophie und Geschichte geschrieben
Abschluss und kein er Vollend ung gelangt ist.« Aus der zu gehöri gen haben; Ludwig Curtius wandte sich in einem Au fsatz »Morphologie
Anmerkung: »Aristo teles versteht unter dem anElQOV zunächst das de r antiken Kunst« gegen deren Behandlung im »Untergang des
räumlich Unbegrenzte, und in diesem Sinn untersucht er di esen Abendlandes«; vgl. Logos. Internationale Zeitschrift fü r Philosophie
Begriff in [... ] Physik III, 4 ff. Indem er· nun ab er fi ndet, dass es in der Kultur, h rsg. von Richard Kroner und Georg M ehlis, Bd. IX,
der W irklichkeit keinen unendlichen R aum geben könne, so fallt 1920/2 1, S. 13 3 ff.
fü r ihn das Unbegrenzte schließlich mit dem a6Qwwv o der der VJ..17
zusammen.« (Zeller II· 2, a. a. 0. [Anm. 3 l ] , S. 321 f. ) Z um ur- l 3 r . Anspielung auf »D e consolatione philosophiae«, das im Gefäng-
sprünglichen Begriff des Ö.nElQOV bei Anaximander s. oben, S. 257f., nis geschriebene H auptwerk des römischen N euplatonikers Boethius
Anm. r r 8. (480- 525), der auch als Aristoteles-Übersetzer und -Herausgeber
wichtig war.
l 29. Adorno bezieht sich hier auf die Bes timmung der >apollinischen
Seele<und ihrer >Ahistorizität<, eines der zentralen Motive Spenglers,

260 261
IO. VORLESUNG 137. Zum Kantischen Begriff der Kausalität aus Freiheit vgl. vor al-
lem die 4. und 5. Vorlesung der Probleme der Moralpliilosophie, NaS
r 32. Erschienen r 9 38 in Leiden. - Vgl. auch Adornos Rezension des IV· 10, S. 54 ff.
Buches, GS 20 · r, S. 240 f.
138. Vgl. Met. M6-9, 1080 a 12ff.
r 33. So von Zeller: »Aristoteles nennt gewöhnlich viererlei Gründe
oder Ursachen: die stotlliche, die begritlliche oder formale, die bewe-
gende und die Endursache. Diese vier Ursachen kommen jedoch bei I 1. VORLESUNG
näherer Betrachtung auf die zwei ersten zurück. Der Begriff jedes
Dings ist von seinem Zweck nicht verschieden, da alle Zweckthätig- 139. Das ist Ovid; vgl. den Beginn der »Metamorphosen«: »Ante
keit der Verwirklichung eines Begriffs gilt; derselbe ist aber auch die mare et terras et quod tegit omnia caelum I unus erat toto naturae
bewegende Ursache, mag er nun das Ding als seine Seele von innen vultus in orbe, / quem dixere Chaos: rudis indigestaque moles [... ].«
heraus in Bewegung setzen, oder mag ihm seine Bewegung von aus- In der Übersetzung von Rösch: »Vor dem Meere, dem Land und dem
sen kommen; denn auch in diesem Fall ist es der Begriff desselben, der alles deckenden Himmel/ zeigte Natur in der ganzen Welt ein einzi-
sie hervorbringt, sowohl in den Werken der Natur als in denen der
Kunst: nur ein Mensch kann einen Menschen erzeugen, nur der Be-
griff der Gesundheit kann den Arzt bestimmen, auf Hervorbringung
r. ]
ues Antlitz. / Chaos ward es benannt: eine rohe, gestaltlose Masse
.« (Publius Ovidius Naso, Metamorphosen, in deutsche Hexame-
ter übertragen und mit dem Text hrsg. von Erich Rösch, 7.Aufl.,
der Gesundheit hinzuarbeiten. Ebenso werden wir in der obersten München 1952, S. 6)
Ursache oder der Gottheit die reine Form, den höchsten Zweck der
Welt und den Grund ihrer Bewegung schlechthin vereinigt finden; 140. Vgl. Moliere, Le Bourgeois gentilhornme !, T
auch für die Naturerklärung unterscheidet aber Aristoteles nur die MAITRE DE PHILOSOPHIE: Tout ce qui n'est point prose est vers; et tout
zwei Arten von Ursachen, die nothwendigen und die Endursachen, ce qui n' est point vers est prose.
d. h. die Wirkung der Materie und die der Form oder des Begrifü. MONSIEUR JOURDA!N: Et comme l'on parle qu'est-ce que c'est clone
Nur dieser Unterschied ist es daher, welchen wir als ursprünglich zu que cela?
betrachten haben; dagegen ist die Unterscheidung der formalen, wir- MAITRE DE PHILOSOPHIE: De la prose.
kenden und Endursache eine blos abgeleitete, und sind auch im Ein- MONSIEUR JOURDAIN: Quoi? quandje dis: «Nicole, apportez-moi mes
zelnen nicht immer alle drei vereinigt, so sind sie doch an sich, ihrem pantoufles, et rne donnez mon bonnet de nuit», c' est de la prose?
Wesen nach, Eins, nur in der sinnlichen Erscheinung fallen sie ausein- MAITRE DE PHILOSOPHIE: Oui, Monsieur.
ander: das Gewordene hat mehrere Ursachen, das Ewige nur Eine,
den Begriff.« (Zeller II· 2, a. a. 0. [Anm. 3 1], S. 32 7 ff.)

134- S. oben, S.257f., Anm.118. - Adorno bezieht sich auf den


>Spruch< des Anaximander auch GS 5, S. 32, sowie NaS IV· 4, S. 332.
i MONSIEUR JOURDAIN: Parma foi! il y a plus de quarante ans que je dis
de la pros~ sans que j'en susse rien, et je vous suis Je plus oblige du
monde de m'avoir appris cela.
(Moliere: CEuvres completes II. Textes etablis, presentes et annotes
par Georges Couton, Paris 1971, p. 730)

13 5. Von der allgemeinen Krisis der Kausalität heute handelt Adorno 141. Über die Augustinische Geschichtsphilosophie handelt Adorno
ausführlich im Freiheits-Kapitel der N~~atiucn Dialektik (vgl. GS 6, in dem Text Fortschritt, vgl. GS 10·2, S.62off.
S. 262 ff.); vgl. auch NaS IV· 4, S. 141 und S. 212 ff.
142. Zum Charakter des Allmählichen im Aristotelischen Begriff der
136. S. oben, S. 65f. Entwicklung vgl. auch Ernst Bloch, der darin ein >Element des Ver-
gänglichen<seiner Logik erblickt: »D as Element der Entwicklung, das mit seiner ..... oder noch nicht voll identische der Gnmd vo11 In dividua tion
für uns nach Dialektik schreit, geht bei Aristoteles nicht in Sprüngen schlechthin. Dazu die M arginalie: (fehlt ein Stückchen!) (Theodor W
vor sich. In der Entwicklung ist kein revolutionäres Element, sie ist Adorno Archiv, Vo 10461 f. )
ausschließlich evolutionär [... ]. Seine [seil. Aristoteles'] Entwickluno-
ist eine sich allmählich herausbildende Entelechie, neptunisc h, w i: 145. Adorno las im Wintersemester 1964/65 Zur Lehre von der Ge-
das Wasser bildet sich etwas in langen, langen Zeiträumen, und nicht schichte un d der Freiheit, vgl. N aS IV· 13 (in Vorbereitung).
vulkanisch , nicht in plötzlichem, jähem Entstehen , nicht in jähem
Umschlag. Also auch aus dem Entwicklungsbegriff des Aristoteles ist 146. Zeller folgert aus den Aristotelisc hen Bestimmungen der M ate-
die Dialektik herausgebracht. « (Ernst Bloch, Leipziger Vorlesungen ri e, sie könne sich, »sollte man denken, nicht blos durch einen M an-
zur Geschichte der Philosophie 19 50-19 56, Bd. r: Antike Philoso- gel, durch das N ochnichtsein, vo n der Form unterscheiden, sondern
phie, bearbeitet von Beat Dietschy und Hanna Gekle, Frankfurt a. M. sie muss etwas eigemhümliches zu ihr hinzubringen . Diese Bedeu-
1985, S. 229)
tung des Stoffes werden wir aber um so höher anschlagen müssen,
wenn wir uns erinnern, dass der Philosoph nur das Einzelwesen für
143. Der Begriff des Drangs bezeichnet in der Philosophie Schopen- etwas Substantielles im vollen Sinn gelten lässt. Ist nur das Einzelne
hauers »di e Objektität des Willens auf der alleruntersten Stufe«· den Substanz, ist andererseits die Form[ ... ] immer ein Allgemeines, und
Willen, wie er sich »als einen blinden Drang, ein finsteres , dm~1pfes liegt dessh alb der Grund des Einzeldaseins im Stoffe, so läß t sich die
Treiben, fern von aller unmittelbaren Erkennbarkeit« darstellt. Aber Folgerung schwer umgehen, dass in ihm auch der Grund des substan-
»es bietet sich uns die sehr merkwürdige Erscheinung dar, daß das tiellen Seins liege, dass nicht die reine Form, sondern nur das aus
blinde Wirken des Willens und das von der Erke nntnis erleuchtete in Form und Stoff zusammengesetzte Wesen Substanz sei. Ja da die Sub-
zwei Arten von Erscheinungen auf eine höchst üb erraschende Weise stanz als die Unterlage (vnoxeiµ cvov) definirt wird, die Unterlage alles
eines in das Gebiet des andern hinübergreifen. [.. .] Die E rkenntnis Seins aber die M aterie sein soll, so könnte diese sogar für sich allein,
üb erhaupt, vernünftige sowohl als bloß anschauli che, geht [... ] ur- scheint es, den Anspruch machen, dass sie als die ursprüngliche Sub-
sprünglich aus dem Willen selbst hervor, gehört zum Wesen der hö- stanz aller Dinge anerkannt werde. Diess«, fahrt Zeller fort , »kann je-
hern Stufen seiner Objektivation als eine bloße .ur1xavft, ein Mittel zur doch Aristoteles unmöglich zugeben .« (Zeller II· 2, a. a. 0. [Anm. 3 l],
Erhaltung des Individuums und der Art so gut wie jedes Organ des S. 344)
Leibes.« (Arthur Schopenhauer, Sämtliche Werke, hrsg. von Wolf-
147. Au ch diese Passage beruht im edierten Text auf einer Emenda-
gang von Löhneysen, Bd. l: Die Welt als Wille und Vorstellung I,
Darmstadt 1982, S. 22 1 ff.) Ganz ähnlich wie Schopenhauer zwischen tion, deren der Hrsg. sich keineswegs sicher ist; die Vorlage hat den
Drang und Erkenntnis eine D eszendenz herstellt, kennt Seheier dann folgenden Wortlaut: Bei der Wendung, die die gesamte philosophisc/1e
den bewußtlosen >Gefühlsdrang<. bereits bei Pflanzen, welche durch Tradition im AnschhijJ an den Aristotelischm Dualismus grnom 111en hat,
ih re Teilhabe am >Urphänomen des Ausdrucks< - Pflanzen haben ist es null so, daß unter der Hand bereits der Stoff dad1irch, daß anstelle der
»eine gewisse Physiognomik .ihrer Innenzustände, der Zuständlich- Stoffe der Allgemeinbegriff Sto.ff' wird ... der St<1f bereits selber ai<ch zu
keiten des Gefühlsdrangs [... ] wie matt, kraftvoll, üppig, arm« (Max de1~1 gemacht wird, was er gerade nicht sein soll, ... z usammen, daß die
Seheier, Gesammelte Werke, Bd. 9, a. a. 0. [Anm. 19], S. l 5) - zu- 11
un qua St~{f .. Bestimmungen erkannt werden, die eigentlich solche begrijj-
gleich in gewisser Weise >so etwas wie einen Drang zu dem obersten licher Art sind. (Theodor W. Adorno Archiv, Vo 10463)
Prinzip hin <repräsentieren .
148. Vgl. die Einleitung zu den »Vorlesungen üb er die Philosophie
144· Problematische, nicht sicher zu emendierende Passage; in der der Geschichte«: »Die Weltgeschi chte ist der Fortschritt im Bewußt-
Vorlage findet sich: ... bei ihm ist aber gerade diese Beso11dem1(fl als das sein der Freiheit-ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu
erkennen haben.« (Hegel, Werke, a. a. 0. [Anm. 8], Bd. i2: Vorlesun- 157. Über den H eideggerschen Beg riff der Geschichtlichkeit und
gen über die Philosophie der Geschichte, S. 32) die Adornosche Kritik desselben vgl. auch NaS IV· 4, S. 394 f..
Anm. 204, vor allem aber GS 6, S. l 34 ff
149. Vgl. die Vorrede zur R echtsphilosophie: »Was vernünftig ist, das
ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig. « (Hegel, Werke, 1
58 . Vgl. »Wenn im Unendlichen« aus den »Zahmen Xenien«: »Und
a. a. 0 . [Anm. 8], Bd. T Grundlinien der Philosophie des Rechts oder alles Drängen, alles Ringen / Ist ewige Ruh' in Gott dem Herrn.«
Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, S. 24) (Goethe, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Hrsg.
von Hendrik Birus [u. a.J, I. Abt., Bd . 2: Gedichte 1800-18 32, Frank-
150. Physica III r, 201 a ro; zit. bei Z eller II·2, a. a.O. [Anm.31], furt a.M. 1988, S. 680)
S. 35 r, Anm. r. - In der Übersetzung von H ans Günter Zekl: »Das
endliche Zur-Wirklichkeit-Kommen eines bloß der Möglichkeit 159· Über die Verkehrung von D ynamik und Statik ist, mit Bezug
nach Vorhandenen, insofern es eben ein solches ist - das ist (entwik- auf Aristoteles. bei Horkheimer zu lesen: »Bewegung als solche, abge-
kelnde) Veränderung. « (Aristoteles, Philosophische Schriften in sechs löst von ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang und ihrem mensch-
Bänden, a.a.O. [Anm.63], Bd.6: Physik [u.a .J, S. 51) lichen Ziel, wird zum bloßen Schein einer Bewegung, zur schlechten
Unendlichkeit mechanischer Wiederholung. [... ]Es ist kein Zufall,
15r. S. oben, S. roo und Anm. 124. daß im Grundtext der abendländischen Philosophie, in der >Meta-
physik< des Aristoteles, die Idee des allgemeinen D ynamismus unmit-
152. Vgl. die bei Zeller II·2, a.a.O. [Anm.31], S.356, Anm.2, ge- telbar mit einem unbewegten Ersten Beweger verbunden werden
nannten Belegstellen, vor allem aus der »Physik«; Zeller folgert: »Die konnte. Der Umsta nd, daß di e blinde Entwicklung der Technik ge-
Wirkung des Bewegenden [seil. der Form! auf das Bewegte [seil. den sellschaftliche Unterdrü ckung und Ausbeutung verschärft, droht auf
Stoff] denkt sich Aristoteles durch eine fortdauernde Berührung b eider jeder Stufe den Fortschritt in sein Gegenteil, völlige Barbarei, zu ver-
bedingt, und diese Bestimmung erscheint ihm so nothwendig, dass er kehren. « (Horkheimer, Gesammelte Schriften, a. a. 0 . [Anm. 2] ,
auch von dem schlechthin Unkörperlichen behauptet, es wi rke durch Bd. 6: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft [u. a.], Frankfurt a. M.
Berührung: selbst das Denken soll das Gedachte durch Berührung 1991, S. 14of.)
desselben in sich aufnehmen, - das Gedachte verhält sich aber zum
Denkenden, wie die Form zur M aterie - und ebenso soll sich die 160. Kaum irgendwo deutlicher als Met. A 3, 1069 b 3 5 ff; in der
Gottheit als das erste Bewegende [... J mit der Welt berühren.« (Ebd., Übersetzung von Gohlke (die hier treffender scheint als diej enige von
S.356f.) Uonitz): »Hierauf muß eine Ausführung darüber folgen , daß weder
der Stoff noch die Gestalt entsteht, ich meine hier letzte Rohstoffe.
Alles nämlich wandelt sich aus etwas und durch etwas und zu etwas.
I2. VOR LESUN G >Durch etwas<, das ist das ursprünglich Bewegende, >aus etwas<, das ist
der Stoff, >ZU etwas<, das ist die Gestalt. Es w ürde nun ins Unendliche
153. S. oben, S. 126f. o-ehen , wenn nicht nur das runde Erz entstünde, sondern auch. das Erz
0
und die Rundung. Es muß also einmal haltmachen. « (Aristoteles,
154. S. oben, S.27, vor allemS.23 9, Anm.31. Metaphysik, übertr. von Paul Gohlke, a. a. 0. [Anm. 45], S. 357)

155 . S. oben, S. 59. l6r. S. vor allem r. Vorlesu ng, oben S. 12ff

I 56 . S. oben, S. 129. 162. S. oben, S. 84.

266
r63. S. oben, S. 5of. r69 . Eine deutlich abweichende geschichtsphilosophische Interpre-
tation findet sich bei H orkheimer, in seinem Aufsatz »Die gesellschaft-
r 64. In Met. A 7, r 072 b r 5, r 8 ff. wird über das Leben des unbeweg- liche Funktion der Philosophie« von 1940: »Obgleich Aristoteles in
ren Bewegers argumentiert: »Sein Leben aber ist das trefilichste (.. .]. seiner >Metaphysik<die Selbstbetrachtung der Seele, das theoretische
Das D enken an sich aber geht auf das an sich Bes te, das höchste Den- Verhalten, als höchstes Glück ansieh t, sagt er ausdrü cklich, daß dieses
ken auf das Höchste. Sich selbst denkt die Vernunft [voV.;] in Ergrei- Glück nur auf einer spezifischen mate riellen Basis, also unter be-
fung des D enkbaren; denn denkbar wird sie selbst, den Gegenstand stimmten gesellschaftli chen und ökonomischen Bedingungen, mög-
berührend und denkend, so daß Vernunft un d Gedachtes dasselbe lich ist. Platon und Aristoteles glaubten nicht, wie Antisthenes und
ist.« - S. auch unten, S. 270, Anm. r74. die Kyniker, daß die Vernunft zu beständiger Höherentwicklung in
Menschen fä hig sei, die buchstäblich ein Hundeleben führen , noch,
I 6 5· · · . ro YCtQ avro VO clV EarlV TE xai Efvai; in der Übersetzung von daß Weisheit mit Elend Hand in H and gehen könne. Gerechte Ver-
Diels/ Kranz: »denn dasselbe ist Denken und Sein.« (Diels / Kranz, Die hältnisse waren für sie die notwendige Vorausse tzung für eine Entfal-
Fragmente der Vorsokratiker, a. a. 0. [Anm. r r 8], Bd . r, S. 23 r) tung der intellektuellen Kräfte des Menschen , und diese Idee liegt
dem gesamten westlichen Humanismus zugrunde.« (H orkheimer,
166. Vgl. Theodor W Adorno, D as Problem des Idealismus. Stich- Gesammelte Schriften, a. a. 0. [Anm. 2], Bd. 4: Schriften r93 6- r94r,
worte zur Vorlesung r 9 53/ 54, in: Frankfurter Adorno Blätter V, Frankfurt a.M. 1988 , S. 346)
München r 998. - Für Adornos Parmenides-Verständnis war vor al-
lem Karl Reinhardt, Parmenides und die Geschichte der griechischen 170. Nicht ermittelt.
Philosophie (4. Aufl „ Frankfurt a.M. 1985) wichtig, o bwo hl der Satz
über die Identität vo n D enken und Sein hier nu r am R ande berührt 171. S.oben,S. 232,Anm.8.
wird.

r 67. Vgl. au ch Zeller II · 2, a. a. 0. [Anm. 3I ], S. 368 f„ Anm. i: »Dass I] . VORLESU NG


der Gottheit weder eine no{17air; no ch eine liQd~tr; [ ... ]beigelegt wer-
den könne, sagt Arist[oteles] öfters mit aller Bestimmtheit. [.. .] Er •, 172 . In der Jo hann Wolfgang Goethe-Universit;it in Frankfurt a.M.
sagt vielmehr ganz allgemein[ . . .], dass der Gottheit sowohl das noo:r- 1
•i
war in der Eingangshalle des Hauptgebäudes, vor dem R ektorat, die
TEtv als das notäv abzusprechen sei, dass die im H andeln sich zeige"ude 1 Granitplastik »Empedokles« (1954) von Gerhard M arcks autgestellt.
Vollkommenheit (die praktische Tugend) nur im menschlichen Ver- ·~
kehr und bei Wesen, die menschlichen Leidenschaften unterworfen r73. Vgl. di e dritte Anmerkung zum ersten Kapitel der Seinslogik:
sind, R au m fi nde (. . .], dass j edes H andeln Mittel für einen von ihm »Bei dieser ganz abstrakten R einheit der Kontinuität, d. i. Unbe-
selbst verschiede nen Zweck sei, und desshalb der Gottheit, für welche stimmtheit und Leerheit des Vorstellens [beiJacobi] ist es gleichgültig,
es kei n erst zu erreichendes Ziel gibt, nicht beigelegt werden könne diese Abstraktion Raum zu nennen oder reines Anschauen, reines
[... ).« Denken; es is t Alles dasselbe, was der Inder - wenn er äußerlich be-
wegungslos und ebe nso in Empfindung, Vorstellung, Phantasie, Be-
168. Fü r den neueren Stand der Aristoteles-Forschung vgl. Joachim gierde us[ regungslos j ahrelang nur auf die Spitze seiner Nase sieht,
Ritters Aufsa tz von r953 »Die Lehre vom Ursprung und Sinn der nur 0111, Om, Om innerlich in sich oder gar nichts spricht - Brahma
Theorie bei Aristoteles«, in: ders„ M etaphysik und Politik. Studien nennt. Dieses dumpfe, leere Bewußtsein ist, als Bewußtsein aufgefaßt,
zu Aristoteles und H egel. Frankfurt a. M. 1969, S. 9 ff das Sein .« (H egel, Werke, a.a. O. [Anm. 8], Bd.5: Wissenschaft der
Logik I, S. ro1)

268
r74. Vgl. in der Übersetzung von Bonitz: »Sich selbst[ ... ] denkt die wenn sie schon nicht das Gesetz machen, an dessen Existenz trösten kön.-
Vernunft (voii<;), sofern sie ja das Vorzüglichste ist, und das Denken ist 11e11, ist kein Z1!fall, so11dem selber das Gesetz der realen Gesellsclia.fi.
Denken des D enkens (v617ai<; v01]acw<;).« (Met. A 9, 1074 b 33 ff) - Kei11e Philosophie, welche die » ffiltvorstellung« erwägt, dürfte darüber sich
Hierzu Zeller: »Gott ist [... J die absolute Denkthätigkeit, und eben /ii111vegsetzen. H1merl jedoch eröffnet die Preisgabe der Ernpirie nicht die
sofern er diess ist, ist er der absolut Wirkliche und Lebendige, und der 1mgeschmiilerte Einsicht i11 dergleich en Zusammen.hänge, sondern er wieder-
Urquell alles Lebens. Was ist aber der Inhalt dieses Denkens? Alles holt achselz11ckend das amgelaugte Vontrteil, es käme alles arif den Stand-
Denken erhält seinen Werth vom Gedachten, das göttliche Denken pu11kt a11. Mit der Erkenntnis des Faktischen wird es nicht so gcn1lll gc1wm-
1ne11, weil sie ohnehin mit dem Mal der Zufälligkeit behaftet bleibe. Die
kann ihn aber von nichts, was ausser ihm liegt, erhalten, und nichts
anderes, als das Beste, zum Inhalt haben; das Beste aber ist nur es Wirklichkeit wird Objekt des bloßen Meinens. Kein bündiges Kriterium
selbst. Gott denkt mithin sich selbst, und sein Denken ist Denken des soll an sie heranreichen. Diese Bescheidenheit ist falsch wie ihr Komplement,
Denkens; so dass also im göttlichen Denken, wie diess beim reinen die Hybris des Absoli1ten. (GS 5, S. 92 f.)
Geist nicht anders sein kann, das Denken und sein Gegenstand
schlechthin zusammenfallt. Dieses wandellose Beruhen des Gedan- 177. Vgl. in der Vorrede zur »Phänomenologie des Geistes«: »Dies
kens in sich selbst, diese untheilbare Einheit des Denkenden und des eine Wissen, daß im Absoluten alles gleich ist, der unterscheidenden
Gedachten ist die absolute Seligkeit Gottes.« (Zeller II· 2, a. a. O. und erfüllten oder Erfüllung suchenden und fordernden Erkenntnis
[Anm.3rJ, S.366f.) entgegenzusetzen oder sein Absolutes für die Nacht auszugeb en,
worin, wie man zu sagen pflegt, alle Kühe schwarz sind, ist die Naivi-
175. In der Vorlesung Kants »Kritik der reinen Vernu nfi« schließt tät der Leere an Erkenntnis. « (Hegel, Werke, a. a. 0. [Anm. 8], Bd . 3:
Adorno eine eigene Bestimm ung der Philosophie an di~ Aristoteli- Phänomenologie des Geistes, S. 22)
sche Formel an, wenn er sagt, daß es sich in der Philosophie ja 111111
wirklich um das >Denken des Denkens< handelt, wie Aristoteles es definiert 178. An welchen Text Lessings Adorno hier dachte und ob er an ei-
hat, - in der also die Denkprozesse der L>gik und der positiven Wissen- nen bestimmten Text dachte, ist nicht ermittelt. Dahinter steht wohl
schaft selber noch einmal kritisch 11aclzzuvollzielzen (N aS IV· 4, S. 127) die Einsich t Lessings, daß ,,zufällige Geschichtswahrheiten [... ) der
seien. Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie werden (können] «,
die er den >garstigen breiten Graben< nennt, ȟber den ich nicht kom-
176. Vgl. den so überschriebenen Absatz in der Kritik des logischen men kann, so oft und ernstlich ich auch den Sprung versucht habe«
Absolutismus: Die Not der Kontingenz des Faktischen im Idealismus wird (Gotthold Ephraim Lessing, Gesammelte Werke in ro Bänden, hrsg.
von Husserl rimgedeutet in die Tugend der Rein/zeit der Idee. Die Ideen von Paul Rilla, Bd. 8: Philosophische und theologische Schriften II,
bleiben z urück als capt<t mortuum des vom Geist verlassenen Lebens. Die Berlin 1956, S. 12, 14), - ein Graben, der Ernst Cassirer zufolge mit
materialen Einze/wissensclzafte11 werde11 rückhaltlos empiristisch ai!(gqfaßt. der »Erziehung des Menschengeschlechts« und ihrer En tdeckung der
[.. .J Im Gedanken an die »absolut strenge Gesetzlichkeit« macht er es sich Wahrheit des Geschichtlichen übersprungen worden ist: über diese
allzu leicht mit den »tausend Zufällen«, die gar keine sind. Für den Forscher letzte religionsphilosophische Schrift Lessings hielt der junge Privat-
ist der Zi!fal/ der peinliche Rest, der am Boden seiner Begr!ffe sich absetzt, dozent Adorno eines seiner ersten Seminare.
ßir den »gemeinen Mann«, dessen Namen Husserl ohne Zögern t'ibev die
Lippen bringt, das, was ihm zustößt und wo,rsegen er wehrlos ist. Der For- 179. Vgl. etwa den Bericht des Hippolytos (ca. 220 n.Chr.) in seiner
scher bildet sich ein., der ffilt das Gesetz vorzuschreibw; der »gemeine Refutatio omnium haeresium: »Epikur versichert, daß Gott ewig und
1\!l.ann « muß jenem Gesetz praktisch gehorchen. Dafür kann er nichts, und unsterblich ist, aber er kümmert sich um nichts, kurz es gibt weder
es ma,~ ihn mit Recht zu_fcillig bedünken, aber daß die ffilt aus solchen. Fürsorge noch Schicksal, denn alles geschieht von selbst (mecha-
besteht, die dergleichen Zrifällen ausgeli~(ert sind, und anderen, die sich, nisch). Gott hält sich auf in den von ihm sogenannten Zwischenwel-
ten ... Hier erfreue sich dieser in ruhiger Sorglosigkeit eines äußer- 14 . VORLESUNG
sten Glücksgefühls, habe selbst keine Schwierigkeiten, wie er auch
niemandem welche bereite.« (zit. Griechische Atomisten. Texte und 184. S. oben, S. 160.
Kommentare zum materialistischen Denken der Antike, hrsg. von
FritzJürss [u. a. ], Leipzig 1977, S. 333 ) 185 . Schopenhauers »Lehre von der Verneinung des Willens zum
Leben«, die zum moralphilosophischen Teil seines Systems gehört,
I So. Adorno bezieht sich auf die N egative Dialektik, insbesondere auf findet sich im vierten Buch der »Welt als Wille und Vorstellung«, und
deren letzten Abschnitt, die 1\1editatio11en zur 1\1etaphysik; das Buch er- zwar im§ 68 des ersten Bandes und im Kapitel 48 des zweiten Bandes;
schien in erster Auflage 1966. - Die im folgenden vorgetragenen R~fle­ zu vergleichen ist ferner im zweiten Band der »Parerga und Paralipo-
xionen zur M etaphysik, wie sie f.4 dorno] heut und hier.fällig und u1111mgäng- mena« das Kapitel 14 (vgl. Schopenhauer, Sämtliche Werke, a. a. 0.
lich scheinen, gehen auf die ersten fünf (der insgesamt 12) J\1.editationen [Anm. 143], Bd. r , S. 514ff. ; Bd. 2, S. 772 ff ; Bd. 5, S. 368 ff. ).
z ur AJ.ctaphysik zurück (s. auch oben, S. 231, Anm . 1) , von denen eine
sogenannte >zweite Zwischenabschrift<das D atum des 7.7.1965 trägt 186. Am I. N ovember 1755 wurde die portugiesische H auptstadt
(vgl. Theodor W Adorno Archiv, Ts 15813 ff ). Wahrscheinlich auf durch ein Erdbeben weitgehend zerstört, ein Viertel der Einwohner
Grund dieser Zwischenabschrift notierte Adorno sich die Stich- kam ums Leben. Der erschütterte Voltaire schrieb sein »Poeme sur le
worte, nach denen er die abschli eßenden Vorlesun ge n dann frei hielt: desastre de Lisbonne, ou examen de cet axiome: tout est bien<1:
eine Art von improvisierten Variationen über das bereits schriftlich
Fixierte, das, nach weiterer Überarbeitung, in der Neg ativen Dialektik »Ü malheureux mortels' ö terre deplorable!
im Folgejahr schließlich zum ersten Mal gedruckt w urde. Die Stich- O de tous !es fleaux assemblage effroyable !
worte betreffen, bei einigen Auslassungen, den Text, der in GS 6 von D'inutiles douleurs eternel entretien!
S. 354 bis S. 370 reicht; während die Stichworte mit Das totum ist das [.. .]
Totem (vgl. GS 6, S. 370) enden, mußte Adorno das Kolleg infolge Quel crime, quelle faute ont commis ces enfans
mangelnder Zeit bereits etwas vorher beenden (s. dazu unten, Sur le sein maternel ec rases et sanglans?
S. 289ff. , Anm. 259). Lisbonne qui n'est plus eut-elle plus de vices
Que Londres, que Paris, plonges dans les delices'
r 8 r. S. oben, S. 35 passim. Lisbonne est abimee, et l' on danse a Paris.
[. . .]
1 8 2. Vgl. die oben, S. 2 3 2 , Anm. 8, w iedergegebenen Zitate aus der Ce monde, ce theatre et d'orgueil et d'erreur,
»Enzyklopädi e« und der »Logik«. Est plei n d'infortunes qui parlent de bonheur.
[... ]
183. Vgl. Theodor W Adorno, Zur Metakritik der Erkenntnistheo- Nos chagrins, nos regrets, nos pertes so nt sans nombre.
rie. Studien üb er Husserl und die phänomenologischen Antinomien, Le passe n' est pour nous qu'un triste so uvenir;
Stuttgart 19 56; jetzt GS 5, S. 48- 95 . Le prese nt est affreux s' il n' est point d'avenir,
Si la nuit du tombeau detruit l'etre qui pense.
Ull Jour taut sera bien, voila notre esperance:
Tour est bien aujourd'hui, voila l'illusion. «

Voltaires »Poeme«, das zusammen mit einem anderen, »sur Ja loi natu-
relle«, als Buch erschienen ist, w urde 1759 veru rteilt und verbrannt.

272 273
Vom 18 .8. 1756 datiert der >Brief über die Vorsehung<, den Rousse au 190. Vgl. Bertolt Brec ht, Mann ist Mann. Die Verwandlung des Pak-
an Voltaire richtete und über den er später in den »Confessions«, kers Galy Gay in den Militärbaracken von Kilkoa im Jahre neunzehn-
ziemlich zutreffend, berichtet hat: »Betroffen darüber, diesen armen hundertfünfundzwanzig. Lustspiel, jetzt in: Brecht, Gesammelte
Mann, sozusagen von Glück und Ruhm zu Boden gedrückt, gleich- Werke in acht Bänden, Frankfurt a.M. r 967, Bd. l, S. 297 ff.; über den
wohl bitterlich das Elend dieses Lebens beklagen zu sehen und zu hö- Textstand des 1924-1926 entstandenen Stückes vgl. ebd. , S. 363 ,

l
ren, wie er stets fand, alles sei schlecht, da faßte ich den sinnlosen Plan, Anm. , und S.4*
ihn zur Einkehr in sich zu bringen und ihm zu beweisen, daß alles gut
sei. Voltaire hat, während er stets an Gott zu glauben schien, in Wirk- 19r. Vgl. etwa im Kult11ri11dustrie-Kapite1: ),Vo die Kulturindustrie noclt
lichkeit nur an den Teufel geglaubt, da sein vorgeblicher Gott nur ein l z 11 naiver Identifikation einlädt, wird diese sogleich wieder dementiert. Nie-
Bösewicht ist, der, ihm zufolge, nur Freude hat, zu schaden.« Und: m,111d kan11 sic/1 mehr verlierrn. Ei11111<1l salt der Zuschauer beim Film die
»Später hat Voltaire [seine] Antwort [seil. aufRousseaus Brie~, die er eigene Hochzeit in der anderen. Jetzt sind die Glücklichen at!(der Leinwand
mir versprochen, aber nicht geschickt hatte, veröfle ntlicht. Es ist Exemplare derselben Gattung wie j eder a11s de/II Publikwn, aber in solcher
keine andre als der Roman >Candide< [. . .).« Qean-Jacgues Rousseau, Gleichh eit ist die 1111überwi11dlichc Trennung der 111enschlichen Elemente
Die Bekenntnisse [u. a.], übers. von Alfred Semerau, München 1978, gesetz t. Die vollendete Almlic/1keit ist der absolute Uuterschied. Die Identi-
S. 42 3 f.) - Das »Poeme« Voltaires vgl. CEuvres de Voltaire, tome pre- tät der Catt1111,~ verbietet die der Fälle. Die K11lt111·ind11stric hat den ;\Jen-
mier: Vie de Voltaire, La Henriade, [et al.], Paris r 838; Poemes et dis- schen als Gattungswesen hämisch venl'irklicht. jeder ist mir 11och, wodurclt
cours en vers, p. 27sg.; eine deutsche Übersetzung von Rousseaus er jeden anderen ersetzen ka1111: ji111gibcl, ein Exemplar. Er selbst, als Indi-
>Bri ef über die Vorsehung< find et sich in Jean-Jacques Rousseau , 1Jidm11n , ist das absolut Ersetzbare, das reine Nichts, und eben das bekommt
Schriften, hrsg. vo n Henning Ritter, München, Wien 1978, Bd. r, er zu spüre11, wenn er mit der Zeit der Almlichkeir verlust(~ geht. (GS 3,
S. 3 13 ff S. 168) Die Reduktion des Individuums auf das bloße Exemplar seiner
Gattung gehört zu den zentralen Gedanken der Dialektik der A z!fklä-
r 87. Vgl. Theodor W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit. Zur deut- nmg. In den Elemrnten des Antisemitismus, in denen die Theorie von
sc hen Ideologie, Frankfurt a.M. I 964; Jetzt GS 6, S. 4 r 3 ff. der Logik bis in die Vernichtungslager hinein verfolgt wird, fehlt al-
lerdings die Formulierung vom >Exemplar<: In der Vllr:lt als Serienpro-
188 . Vgl. Jea n Amery, Die Tortur, in: Merkur 208 , Jg.19 (1965), duktion ersetzt deren Sche111 a, Stereotypif, die k.1tegoriale Arbeit. [. . .}
S. 623 ff (Heft 7, Juli >65); jetzt i.iberarb. in: ders., Jens eits von Schuld Hlr:nn selbst innerhalb der Lo,<;ik der Be,gr!ff dem Besonderen n11r als ein
und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten, 2. Aufl„ blcß A1ijJerliches widei:Phrt, muß erst recht in der Gesellsclzaji erz ittern,
Stuttgart 1980, S. 46ff. was den U11tersclzied repräsentiert. Die Spielnzarke wird ai!fl!eklc/1t: jeder
Z l! Frrnnd oder Feind. Der Mangel an Rücksicht a~!f1 Subjekt macht es
r89. Vgl. das r. Kapitel - »Das mögliche Gan zsein des Daseins und der Vi?rwalt1111g leicht. Mcm 11ersetzt Volksgmppe11 i11 andere Breiten, .d1ickt
das Sein zum Tode« - des 2. Abschnitts über »Dasein und Zeitlichkeit« Individuen mit dem Stel!lpel Jude in die Gaskammer. (Ebd., S. 227 f.) -
(Heidegger, Sein und Zeit, a. a. 0. fAnni. 46], S. 235 ff.) , etwa: »D as Z u dem Vorlesungstext vgl. auch die Parallelstelle in der Ncgativrn
>Ende< des ln-der-Welt-seins ist der Tod. Dieses Ende, zum Seinkön- Dialektik: Daß in den Lagern nicht l/lelzr das IndiPid1111111 starb, sondern
nen, d. h. zur Existenz gehörig, begrenzt und bestimmt die j e mögli- das Exemplar, nnljJ das Sterben auch derer a.fftzieren, die der 1Haß11ahme
che Ganzheit des D aseins« und »D as Erreichen der Gänze des Daseins entgingen (GS 6, S. 355), sowie insbesondere den Schluß des Buches:
im Tode ist zugleich Verlust des Seins des Da« (ebd. , S. 234 und Die kleinsten imtenlleltlichen Z üge hätte11 Re/epa11z jilrs Absolute, denn
S.237) ; dazu Adornos Kritik in GS 6, S. 5ooff. der mikrologische Blick zerrriimmert die Schalen des nach dem MC!ß des
subsumierenden Oberbegr![f< hi!flos Verei11;:·c/te11 und sprrn,Rt seine Identität,
den Ti·11J!, es wäre bloß Exemplar. (Ebd., S. 400)

274 275
192. Vgl. Brechts Gedicht »Zum Freitod des Flüchtlings WB. «, d.i. wahrheit war immer bekannt. Daß man aber den lebenden M ensch en
Walter Benj amin: »So liegt die Zukunft in Finsternis, und die g uten schon im Leben halb und halb zum Raub des Todes m achen kann,
Kräfte I Sind schwach. All das sahst du / Als du den quälbaren Leib dies wird erst in der To rtur erfahren. Die Schmach solcher Vernich-
zerstö rtest. « (Brecht, Gesammelte Werke, a. a. 0. [Anm. 190), Bd. 4, tung läßt sich nicht m ehr tilgen. Wer gemartert w urde, bleibt waffen-
s. 829) los der Angst au sgeliefert. Sie ist es, die fürderhin üb er ihm das Szepter
schwingt. Sie - und dann au ch das, w as man die R essentimen ts nennt,
193· Vgl. in dem Abschnitt »Die absolute Freiheit und der Schrek- welche bleiben und nicht einmal die Chance h aben , sich in einem
ken«: »Das einzige Werk und Tat der allgemeinen Freiheit ist[ ... ] der Verlangen nach Rache zu verdichten - und zu reinigen. Darüber
Tod, und zwar ein Tod, der keinen inneren Umfang und Erfüllung hat; blickt keiner hinaus in eine Welt, in der das Prinzip Hoffnung
denn was negiert wird, ist der unerfüllte Punkt des absolut freien herrscht.« (Ebd., S. 638) So der Text, auf den Adorno sich bezieht;
Selbst; er ist also der kälteste, platteste Tod, o hne mehr Bedeutung als Amery hat ihn später, fü r die Buchfassung, noch versc härft: »Wer der
das Durchhau en eines Kohlhaupts oder ein Schlu ck Wassers.« (Hegel, Folter erlag, ka nn ni cht mehr heimisch w erden in der Welt. Die
Werke, a. a. 0. [Anm. 8] , Bd. 3, S. 43 6. Schmach der Vernichtung läßt sich nicht austilgen. D as zum Teil
schon mit dem ersten Schlag, in vollem Umfang aber schließlich in
194· Vgl. Bugen Kogon , Der SS-Staat. D as System der deutschen der Tortur eingestürzte Weltvertrauen w ird nicht wiedergewonnen. «
Konzentrati o nslager, 2 . Aufl., Berlin 1947. - Das Zitat, das, allerdings (Amery, Jenseits von Schuld und Sühne, a. a. 0 . [Anm . 188), S. 73)
ohne Kogon zu nennen, auch in der Negativen Dialektik sich findet
(vgl. GS 6, S. 3 55), wurde nicht ermittelt, j edoch eine ähnliche Stelle: !"96. Zuerst in dem Essay KHltwkritik und Gesellschafr von r 949: Noch
»Einern Juden wurde zugerufen: >Jetzt ist es 1 2 Uhr. Um 12.05 Uhr das äHßerste Bewußtsein vom Verhängnis droht zum Geschwätz ZH entar-
bist du bei Jehova!< Es dauerte keine fünf Minuten.« (Kogon, a. a. 0., tm. Kidturkritik find et sich der letzten Stiife der Dialektik von Kultur rtnd
S.94) Barbarei g~<zenüb er: n.ach Auschwitz ein Gedicht z u schreiben, ist barba-
risch, und das frij3t aHch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es un-
195. Amfay beschreibt, wie er gefolt ert wurd e: »Und nun gab es ein mö<~lich ward, heute Gedichte zu schrcibw. Der absolu ten. Verdi11.r;liclzim<R
von meinem Körper bis zu di eser Stunde nicht vergessenes Krach en [. .. ] ist der kritische Geist nicht gewachsen, solange er bei sich bleibt in
und Splittern in den Schultern. [.. .) Wer gefoltert w urde, bleibt ge- selbstge111:(~samer Kontemplation . (GS 10 · r , S. 30) Adorno ist später w ie-
foltert. Unauslöschlich ist die Folter in ihn eingebrannt, auch dann , derholt auf sein Diktum zurückgekommen, zuletzt in den 1\4.editatio-
wenn keine klinisch-objektiven Spuren nach zuweisen sind. [... )Be- nen z ur Metaphysik, in denen er es zu revozieren sch eint (vgl. GS 6,
wußtlos w urde ich schließlich wirklich - und damit war es für einmal S. 355); zur Interpretatio n vgl. auch Tiedemann, »Ni cht die Erste
vorbei. Es ist noch immer nicht vorbei. [... ] Man wird die Folter so Philosophie sondern eine letzte«, a. a. 0. [Anm. 9] , S. r I ff
wenig los wi e die Frage nach den M ögli chkeiten und Grenzen der
Widerstandskraft.« (Amery, in: M erkur 208, a. a. 0. [Anm. 188], 197. Zu dem fragli chen Satz vgl. NaS IV· 4, S. 400, Anm. 234.
S. 632 , 634 und 636) Und am Schluß des Essays: »Sofern überhaupt
aus der Erfahrung der Tortur eine über das bloß Alptraumhafte hin- 198. Vgl. Sartre, M o rts sans sepulture, Tableau IV, scen e III:
ausgehende Erkenntnis bleibt, ist es die einer groß en Verwunderung HENRI: Est-ce que i;:a garde un sens de vivre quand il y a des hommes
und einer durch keinerlei spätere m enschliche Kommunikation aus- qui vous tapent dessus jusqu'a vous casser les os? To ut est n oir. (II rc-
zugleichenden Fremdheit in der Welt. Ein Staunen über die Existenz p,arde par la f enetre.) Tu as raison , la pluie va tomber.
des g renzenlos in der Tortur sich behauptenden Anderen-, und über Oean-Paul Sartre, La p . . . respectueuse [... ) suivi de M o rts sans sepul-
das, was man selber werden kann: Fleisch und Tod. Daß das Leben ture. Piece en deux ac tes et quatre tableaux, Paris r972 [C ollection fo-
frag il ist und m an es enden kann >m.it einer N adel bloß<, diese Binsen- lio J, S.210)

277
15. VORLESUNG 16. VORLESUNG

199. Der Titel des letzten Romans von Beckett (Paris 1961 ), von 210. Anscheinend fe hl en am Anfang des Kollegs ein oder mehrere
Adorno in der Asthetisc!zen Theorie häufig zitiert. Sätze, die Vorlage beginnt jedenfalls: ..... Ich meine damit konkret, Sie
kö1111ten denken [. .. J.
200. Vgl. H annah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von
der Banalität des Bösen, aus dem Amerikanischen von Brigitte Gran- 21 r. Dieses, lies: A uschwitz oder die Atombombe oder eben alle diese
zow, München 1964. Di11,r;e, die hier 111iteinandcr z usanunenhängen (oben, S. 181).

201 . Anspielung auf das gleichnamige Buch von Otto Friedrich 212. Die Kategorie des >Ganz Anderen< wurde von dem M arburger
Bollnow (S tuttgart 1956); vgl. auch GS 6, S. 4r9 f. und passim. Religionswissenschaftler und protestantischen Theologen Rudolf
Otto (1869-1937) eingeführt, der das Numinose, das Mysterium tre-
202. S. oben, S. 265, Anm.145. mendum, schließlich das Göttliche selber so bestimmte; die mit My-
sterium bezeichnete Sache aber, »nämlich das religiös M ysteriöse, das
203 . Zur Kategorie des Hinzutretenden vgl. auch NegatirN Dialektik, echte Mirum, ist, um es vielleicht am treffendste n auszudrücken, das
GS 6, S. 226ff.; vgl. ebenfalls Eckart Goebel, Das Hinzutretende. Ein >Ganz andere<, das thatero n, das anyad, das alienum, das aliud valde,
Kommentar zu den Seiten 226 bis 230 der Negativen Dialektik , m: das Fremde und Befremdende, das aus dem Bereiche des Gewohnten
Frankfurter Adorno Blätter IV, München 1995 , S. 109ff. Verstandenen und Vertrauten und darum >Heimlichen< überhaupt
Herausfallende und zu ihm in Gegensatz sich Setzende und darum das
204. S. oben, S. 169 und Anm. 192. Gemüt mit starrem Staunen Erfüllende« (Rudolf Otto, Das Heilige.
Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis
20 5. Hier weist Adorno auf seinen Essay über »Endspiel« von Beckett zum Rationalen [Erstausg. 1917], München 1991, S. 3 r). Otto findet
hin (vgl. GS I I, S.281ff.). Die Beschäftigung Adornos mit Samuel die von ihm betonten M omente des Ganz Anderen besonders in der
Beckett insgesamt findet sich inzwisch en in den »Frankfurter Adorno Mystik: »Mystik hat eben wesentli ch und in erster Linie eine theolo-
Blättern III« (München 1994) dokumentiert. gia des mirum : des >Ganz anderen<.« (Ebd„ S. 36) - Horkheimer
scheint in seinen letzten Jahren die Kategorie affirmativ aufgenom-
206. So auch in der Nega tiveu Dialektik: Sie {seil. die Kultwj perhorres- men zu haben, j edenfa lls hatte er keine Einwendungen gegen die Ver-
ziert den Gestank, weil sie stinkt; weil ihr Palast, wie es an einer gn~flarti­ öffentlichung eines Gespräches über Theologie und Kritische Theo-
gen Stelle 11011 Brecht he!f3t, gebaut ist aus Hundesche!f3e. Jahre später als rie unter dem Titel »Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen« (vgl.
jene Stelle ,geschrieben ward, hat Ausch111itz das Mißlingen der Kultur u11wi- Horkheimer, Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen. Ein Interview
derlcgliclz be111iese11. (GS 6, S. 3 59). Bei Brecht w urde die fragliche Stelle mit Kommentar von H ellmut Gumnior, Hamburg 1970). Tatsächlich
nicht ermittelt. sagte er jedoch nur: »Die kritische Theorie enthält zumindest einen
Gedanken ans Theologische, ans Andere« (Horkheim er, Gesammelte
207. Nicht ermittelt. Schriften, a. a. 0. [Anm. 2], Bd. 7: Vorträge und Aufzeichnungen
1949-1973, Frankfurt a.M. 1985 , S. 398) und sprach von »dem Punkt,
208. Nicht ermittelt. an dem das Judentum für mich so interessa nt ist: Die Identifikation
nicht mit dem , sondern mit den Anderen« (ebd„ S. 401). Im übrigen
209. Vgl. den Aufsatz Die miferstandcnc K11ltur von 1950, jetzt GS bezeichnet er di e Theologie als »Ausdruck einer Sehnsucht«, »einer
20 · 2, S. 453 ff. Sehnsucht danach, daß der Mörder nicht über das unschuldige Opfer

279
triumphieren möge« (ebd. , S. 389). Das hätte auch Adorno unter- 215 . Vgl. Karl Barth, Der Römerbrief~ r. Fassung 1919, 2. Fassung
schrieben. 192o;jetzt 15.Aufl., Zürich 1989.

2 r 3. Vgl. hierzu Adornos Ar~fzeichnungen zu Kafka : Antil!o111istisch ist 21 6. In der Vorlage heißt es Konstantin Bi-wui, gemeint ist aber fraglos
Ka.flws Tlzeologic - we1111 c111ders von einer solclzen die Rede sei11 kami - der Zürcher Professor für Systematische und Praktische Theologie
ge,genüher demselben Gott, dessen Begriff Lessi11g gegen die Orthodoxie Emil Brunn er (r 8 89- 1966), einer der Mitbegründer der dialektischen
11etfocht, dem der Aufklärung. Das ist aber ei11 de11s abscol!ditus. Kafka wird Theologie, der auch, neben Adorno und Horkheimer, 193 l zu den
z 14111 A11kläger der dialektischen Tlzeologie, der man ihn irr(~ z11recimet. Ihr Teilnehmern des sogenannten Frankfurter Gesprächs über die >Be-
schlechterdings Verschiedenes ko1wergiert mit den mythischen A1ächten . Der gegnung< der protestantischen Theologie mit den1 Proletariat und der
11öll(i: abstrakte, unbestimmte, vo11 al!cl! antliropomorplz-mytholc~~ische11 säkularen Kultur gehörte (vgl. Das Frankfurter Gespräch, in: Paul Til-
Qualitären gereinigte Gott ven11andelt sich in den schicksalhqfi vieldeut(een lich, Briefwechsel und Streitschriften. Theologische, philosophische
1tnd droh enden, der nichts erweckt als Angst 1md Schauer. Seine >R einheit<, und politische Stellungnahmen und Gespräche, hrsg. von Renate
dem Geiste 11achJ?Csc/1qffen, den bei Ka.fka die e:>.pressionistische Innerlich- Albrecht und Rene Tautmann, Frankfurt a.M. 1983, S. 314ff.).
keit als absolute ai!frichtet, stellt im Entsetzen vorm radikal Unb ekannten
das uralte der naturb~fangenen lvlenschheit wieder her. Ka.fkas lilierk hält 217. Ferdinand Ebner (1882-193 l), österreichischer Volksschullehrer
den Schia,!? der Stunde _fest, da der .eerein~~te Glaube als 11nrei11er, die Ent- und katholischer Sprachphilosoph, gehörte zum Kreis der Zeitschrift
111ytholo.s;isierung als Dämo11olo.s;ie sich e11tlziillt. (GS 10· l, S. 28 3) - Daß »Der Brenner«.
Adorno einer R estitution der Theologie der Aufklärung nicht weni-
ge r kritisch gegenüberstand, bezeugt seine Korrespondenz aus dem 218. Friedrich Gogarten (1 887-r967), protestantischer Theologe,
Jah r 1964 mit Paul Tillich. Dieser hatte ihn gefragt: »Was denken Sie Schüler von Ernst Troeltsch. Gogarten hatte seit 1933 eine Professur
über die neue Phase der Theology, die - im Anschluß an H eidegger- in Göttingen in ne.
Bultmann's Sprachphilosophie - alle Ontologie durch das >Wort Got-
tes< ersetzt? Mit Heidegger lassen sie die Sprache als das 1Haus des Seins< 219. Adorno denkt dabei vor allem an Gogarten, der 193 3 über die
gelten, aber ohne das >Sein< in dem Haus'« (Theodor W Adorno Ar- »Einheit von Evangelium und Volkstum« schrieb, daß wir »uns mü-
chiv, Paul Tillich an Adorno, ohne Datum [ca. Anfang Oktober 1965]) hen [.. .] müssen, in Gottes Wort gebunden, in dem großen Gesche-
Aus Adornos Antwort: Die Hltirt-GottesTheologie in dem 11on Ihnm be- hen unserer Tage einen neuen Auftrag uns eres Herrn an unsere Kir-
zeichneten Silln, der r"ibrige11S durch Heidegger seit der >Kehre< vorbereitet ist, che zu erkennen« (zit. Erich Trier, [Rezension:] Friedrich Gogarten,
lehne ich ebenso ab wie Sie. Die 111ystisc/1e Sprachkonzeption, an die das sehr Einheit von Evangelium und Volkstum? Hamburg 1933 , in: Zeit-
anklin.s;t, hat doch wohl Sinn iiberhaupt nur im Zusammenhang einer positiven schrifi: für Sozialforschung 3 [1934], S. 307 [Heft 2]).
Theologie. Sonst wird aus der Sprachphilosophie etwas wie Sprad!fetischis111us.
Wcis soll Wort Gottes heißen ohne Gott. Nein, so geht es nicht, und es wird da- 220. G emeint ist die erst 1967 veröffentlichte Habilitationsschrift
bei nicht nur am Ende eine Art A1iferste/11111.s; der liberal-säkularen !vloralisie- Schweppenhäusers und in ihr besonders das >Postskriptum< über-
nm,i; der Theolo.'?ie heraussclzauen, sondern sie werden sich 1iberdics mit den schriebene Schlußkapitel (vgl. H ermann Schweppenhäuser, Kierke-
h~'?ischen Positivisten einigen, bei dcne11 ja die Sprache eine ganz ähnliche gaards Angriff auf die Spekulation. Eine Verteidigung, Frankfurt a.M.
Funktion hat, nämlich das Subjekt ersetzt. (9.ro.1965, an Paul Tillich) 1967; 2., überarbeitete Fass ung, München 1993).

214. Wahrscheinlich eine Anspielung auf die Metaphorik, mit der 22I. Zuerst erschienen 1902; jetzt: Hugo von Hofmannsthal, Prosa
Kleist seine Bekanntschaft »mit der neueren sogenannten Kantischen II, hrsg. von H erbert Steiner, Frankfurt a.M. 1959 (Gesammelte
Philosophie« beschreibt (vgl. NaS IV· 4, S. 376f., Anm. 99). Werke in Einzelausgaben) , S. 7ff

280 281
222. Adorno spricht von H .G. Ailler (19ro-1988) und dessen Buch 226. Vgl. August Strindberg, Schwarze Fahnen. Sittenschilderungen
»Theresienstadt r941-r945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. vom Jahrhundertwechsel, übers. von Emil Schering, 8. Aufl„ Mün-
Geschichte Soziologie Psychologie« (Tübingen 1955). Über H.G. chen, Leipzig 1916, S. 254: »Wenn ich das Böse nicht hasse, kann ich
Adler vgl. auch GS 20· 2, S. 495 ; über die im folgenden berichtete Äu- das Gute nicht lieben!«
ßerung zu Beckett auch GS 6, S. 360.

223. S. oben, S. 276, Amn. r94. - Horkheimer hat in einem Brief J7. VORLESUNG
vom 24.5.1947 über die Lektüre des »SS-Staats« berichtet, vgl. Hork-
heimer, Gesammelte Schriften, a. a. 0. [Anm. 2], Ed. IT BriefWechsel 227. Anspielung auf Schellings gleichnamige Schrift (s. den Nach-
1941-1948, Frankfurt a.M. r996, S. 814. weis, oben S. 236, Anm. 20), über die Adorno und Horkheimer im
Wintersemester l 960/ 61 ihr philosophisches Oberseminar gehalten
224. Die Stelle, die Adorno meint, findet sich in § 28 der »Kritik der hatten.
Urteilskraft«: »Die Natur, im ästhetischen Urteile als Macht, die über
uns keine Gewalt hat, betrachtet, ist dynamisch-erhaben. Wenn von uns 228. Vgl.jetzt Franz Kafka, Nachgelassene Schriften und Fragmente
die Natur dynamisch als erhaben beurteilt werden soll, so muß sie als II in der Fassung der Handschriften, hrsg. vonJost Schillemeit, Frank-
Furcht erregend vorgestellt werden [... ]. Man kann aber einen Ge- furt a.M. 1992, S. 123: »An Fortschritt glauben heißt nicht glauben
genstand als furchtbar betrachten, ohne sich vor ihm zu fürchten, wenn daß ein Fortschritt schon geschehen ist. Das wäre kein Glauben.«
wir ihn nämlich so beurteilen, daß wir uns bloß den Fall denke11, da
wir ihm etwa Widerstand tun wollten, und daß alsdann aller W ider- 229. Erschienen London 1948.
stand bei weitem vergeblich sein würde.« (Zu dem letzten Satz anno-
tierte Adorno in seinem Exemplar der »Kritik der Urteilskraft«: eher: 230. Konjiziert für enmitigen.
das Bild vermittelt die in der Realität verdeckte Angst). »Kühne überhan-
gende gleichsam drohende Felsen, am Himmel sich auftürmende 231. Vgl. § 53 von »Sein und Zeit«: »Wenn [... ] mit dem Sein zum
Donnerwolken, mit Blitzen und Krachen einherziehend, Vulkane in Tode nicht eine >Verwirklichung<seiner gemeint ist, dann kann es
ihrer ganzen zerstörenden Gewalt, Orkane mit ihrer zurückgelasse- nicht besagen: sich aufhalten bei dem Ende seiner Möglichkeit. Eine
nen Verwüstung, der grenzenlose Ozean, in Empörung gesetzt , ein solche Verhaltung läge im >Denken an den Tod<. Solches Verhalten
hoh er Wasserfall eines mächtigen Flusses u. dgl. machen unser Ver- bedenkt die Möglichkeit, wann und wie sie sich wohl verwirklichen
mögen zu widerstehen, in Vergleichung mit ihrer Macht, zur unbe- möchte. Dieses Grübeln über den Tod nimmt ihm zwar nicht völlig
deutenden Kleinigkeit. Aber ihr Anblick wird nur um desto anzie- seinen Möglichkeitsc harakter, er wird immer noch begrübelt als
hender, je furchtbarer er ist, wenn wir uns nur in Sicherheit befinden kommender, wohl aber schwächt es ihn ab durch ein berechnendes
[... ].«(Kant, Werke, a. a. 0„ [Anm. 42], Ed. 5: Kritik der Urteilskraft Verfügenwollen üb er den Tod.« (Heidegger, Sein und Zeit, a. a. 0.
und Schriften zur Naturphilosophie, Darmstadt 1957, S. 348 f.) Zum [Anm. 46], S. 261; vgl. auch Adornosjmgon der Eigrntlichkeit, in dem
letzten Absatz Adornos Marginalie: 11>ie Lyrik des jungen Goethe. - Vgl. die Formulierung zitiert wird, GS 6, S. 500.)
auch NaS I · r, S. 243, und ebd„ Anm. 284.
232. Der Nationalsozialist Ernst Krieck (1882-1947), seit 1928 Pro-
225. Offensichtlich ist hier in der Vorlage ein Teil des Satzes ausgefal- fessor an der Pädagogischen Akademie in Frankfurt a.M„ war 1933
len; sie lautet an dieser Stelle: jetzt u11d hier tun, sogleich ein ... ist, dqjJ Rektor der Johann Wolfgang Goethe-Universität geworden. - In ei-
das ein Art von Wutgeheul erregt ... nem Gutachten über Arnold Gehlen bezieht auch Horkheimer sich
auf dasselbe Zitat, wenn er die Gehlensche Institutionenlehre mit der
>Krieck'schen These< vergleicht, »daß nur das Opfer frei mache, das 236. In seinem Essay über Blochs »Spuren« hat Adorno das Motiv an
Opfer um des Opfers willen« (Horkheimer, Gesammelte Schriften, deren >Kleine Grille< und >Weiter geben< überschriebene Texte ange-
a. a. 0. [Anm. 2], Bd. 18: Briefwechsel 1949-1973, Frankfurt a.M. schlossen: In den Spuren, die von der Eifahrunx des individuellen Bewz~ßt­
1996, S. 420). Ob das Zitat Krieck, bei dem es nicht ermittelt wurde, seins her sich entfalten, hat die Rettztn,R des Scheins ihr Zentmm in dem,
zu Recht zugeschrieben wird, erscheint angesichts einer Stelle im Jar- was das Utopiebuch Selbstbegegmmg nannte. Das Subjekt, der lvJ.ensch, sei
gon der Eigentlichkeit eher fraglich: »Das O[!fer wird uns frei machen«, noch gar nicht er selbst; scheinh~fi als Unwirkliches, aus der lvlö,s;lichkeit
schrieb, in polemischer Variation einer sozialdemokratischen Parole, 1938 ein 11och nicht Hervorgetretenes, aber auch als Widerschei11 dessen, was er sein
NS-Funktionär; dazu als Quellenangabe: Vf?l. die Kritik Herbert Marcu- könnte. Nietzsches Idee vom Menschen als et111as, das iibe1wunden werden
ses in: Zeitschrift für Sozia/forschung, Ed. VII, 1938, S. 408. Die Kritik mzp, wird ins Gewaltlose abgewandelt: »denn der !vfemclz ist etwas, was
Marcuses gilt indessen einem Buch von Franz Böhm (Anti-Cartesia- erst 11och gefimden werden 1111!/3«. (GS l 1, S. 238) Der Grund seiner
nismus. Deutsche Philosophie im Widerstand, Leipzig 1938); da auf Nichtidentität mit sich ist aber der materialistische: d~ß die l'v1enschen
der unmittelbar folgenden Seite die Kritik eines Buches von Krieck in einer universalen Tauschgesellschaft nicht sie selber sind sondern Agenten
beginnt, liegt eine Gedächtnistäuschung bei Horkheimer wie bei des Wertgesetzes; denn in der bisherigen Geschichte, die Bloch nicht zögern
Adorno nahe. würde, Vo1geschichte zu nennen, war die i\1enschheit Objekt, nicht Subjekt.
»Aber keiner ist, was er mei11t, erst recht nicht, was er darstellt. Und zwar
233. Vgl. GS 6, S. 505: »Der Tod ist die Möglichkeit der schlechthin- sind alle nicht zu wenig, sondern zuviel von Haus aus für das, was sie
nigen Daseinsunmöglichkeit.« (»Sein und Zeit«, § 50) wurden. (Ebd., S. 239)

234. Wahrscheinlich hat Adorno eine Stelle des§ 47 von »Sein und 237. Über die Funktion der Erziehung in der Sozialphilosophie des
Zeit« im Sinn: »Das Nicht-mehr-in-der-Welt-sein des Gestorbenen Helvetius vgl. etwa Max Horkheimer, Vorlesung über die Geschichte
ist gleichwohl noch- extrem verstanden - ein Sein im Sinne des Nur- der neueren Philosophie, in: ders., Gesammelte Schriften, a. a. 0.
noch-vorhandenseins eines begegnenden Körperdinges. [... ] Das [Anm. 2], Bd. 9: Nachgelassene Schriften 1914-193 l, Frankfurt a.M.
Ende des Seienden qua Dasein ist der Anfimg dieses Seienden qua Vor- 1987, S. 362ff., sowie die - bei Adorno und Horkheimer entstan-
handenes. [... ] Selbst die vorhandene Leiche ist, theoretisch gesehen, dene - Dissertation von Günther Mensching, Totalität und Autono-
noch möglicher Gegenstand der pathologischen Anatomie, deren mie. Untersuchungen zur philosophischen Gesellschaftstheorie des
Verstehenstendenz an der Idee von Leben orientiert bleibt.« (A. a. 0. französischen Materialismus, Frankfurt a.M. 1971.
[Anm. 46], S. 23 8)
238. Vgl. jetzt GS Ir, S. 567.
235. Vgl. die folgende Stelle aus§ 54: »Der Mensch allein trägt in ab-
strakten Begriffen die Gewißheit seines Todes mit sich herum: diese 239. Der Begriff der Ichtriebe wird in der frühen Triebtheorie
kann ihn dennoch, was sehr seltsam ist, nur auf einzelne Augenblicke, Freuds synonym mit dem der Selbsterhaltungstriebe gebraucht und
wo ein Anlaß sie der Phantasie vergegenwärtigt, ängstigen. Gegen die den Sexualtrieben gegenübergestellt: »Diese Triebe vertragen sich
mächtige Stimme der Natur vermag die Reflexion wenig. Auch in nicht immer miteinander; sie geraten häufig in einen Konflikt der In-
ihm wie im Tiere, das nicht denkt, waltet als dauernder Zustand jene teressen; die Gegensätze der Vorstellungen sind nur der Ausdruck der
aus dem innersten Bewußtsein, daß er die Natur, die Welt selbst ist, Kämpfe zwischen den einzelnen Trieben. Von ganz besonderer Be-
entspringende Sicherheit vor, vermöge welcher keinen Menschen deutung [... ] ist der unleugbare Gegensatz zwischen den Trieben,
der Gedanke des gewissen und nie fernen Todes merklich beunruhigt, welche der Sexualität, der Gewinnung sexueller Lust, dienen, und
sondern jeder dahinlebt, als müsse er ewig leben [... ].« (Schopen- den anderen, welche die Selbsterhaltung des Individuums zum Ziele
hauer, Sämtliche Werke, Bd. 1, a. a. 0. [Anm. 143], S. 388 f.). haben, den Ichtrieben. Als >Hunger< oder als >Liebe< können wir nach
den Worten des Dichters alle in unserer Seele wirkenden organischen 24r. Vgl. in der Skizze des von Adorno geplanten Essays über »L'in-
Triebe klassifizieren.« (Sigmund Freud, Gesammelte Werke, Bd. 8: nommable«: »Ist das Nichts gleich nichts? Darum geht bei B[eckett]
Werke aus den Jahren 1909-1913, 7.Aufl., Frankfurt a.M. 1978, alles. Absolutes Wegwerfen, weil Hoffnung nur dort ist wo nichts zu-
S. 97f.) - Nach der späteren Theorie Freuds, die mit dem Gegensatz rückbehalten wird. Die Fülle des Nichts. Dies die Erklärung des Be-
von Lebens- und Todestrieben operiert, fallen die Selbsterhaltungs- harrens auf dem Nullpunkt.« Und: »die positiven Kategorien, wie
triebe als Spezialfall unter die Lebenstriebe. Hoffnung, sind bei B[eckett] die absolut negativen. Hoffnung geht
auf das Nichts.« (Zit. Rolf Tiedemann, »Gegen den Trug der Frage
240. Vgl. Marcel Proust, A Ja recherche du temps perdu, ed. etablie nach dem Sinn«. Eine Dokumentation zu Adornos Beckett-Lektüre,
et presente par Pierre Clarac et Andre Ferre, vol. 3, Paris 1954, in: Frankfurter Adorno Blätter III, München 1994, S. 73, 44)
p. r82sq. - Die Stelle, die Adorno auch in seinen Kleinen Proust-Kom-
mentarm interpretiert (vgl. GS rr, S.213 ff.), hat sein Denken über 242. Vgl. jetzt GS l r, S. 213 ff.; zu der Formulierung, die Proust mit
Unsterblichkeit wie nichts sonst beeinflußt. Bergotte stirbt beim Be- Kafka sich berühren läßt: »Hier[ ... ] findet wirklich sich ein Satz, des-
such einer Ausstellung, in der er ein Detail, »un petit pan de mur sen Ton zumindest in der deutschen Version an Kafka anklingt. Er
jaune«, auf der »Vue de Delft« von Verm.eer studieren wollte: »Il etait lautet: >Der Gedanke, Bergotte sei nicht für alle Zeiten tot, ist dem-
mort. Mort ajamais 1 Qui peut le dire 1 Certes, les experiences spirites nach nicht völlig unglaubhaft.«< (A. a. 0., S. 213 f.; die deutsche Ver-
pas plus que les dogmes religieux n'apportent de preuve que l'ame sion vgl. Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Bd.
subsiste. Ce qu'on peut dire, c'est que tout se passe dans notre vie V: Die Gefangene, deutsch von Eva Rechel-Mertens, 7.-9. Tsd.,
comme si nous y entrions avec le faix d' obligations contractees dans Frankfurt a.M., Zürich 1962, S. 279)
une vie anterieure; il n'y a aucune raison dans nos conditions de vie
sur cette terre pour que nous nous croyions obliges a faire le bien, a 243. Der Name des an erster Stelle genannten Dichters wurde von
etre delicats, meme aetre polis, ni pour l'artiste athee ace qu'il se c:roie der Sekretärin nicht verstanden; möglicherweise ist auch Heym zu
oblige de recommencer vingt fois un morceau clont l'admiration qu'il konjizieren.
excitera importera peu a son corps mange par les vers, comme Je pan
de murjaune que peignit avec tant de science et de raffinement un ar-
tiste ajamais inconnu, apeine identifie SOUS le nom de Ver Meer. Tou- I8. VORLESUNG
tes ces obligations, qui n' ont pas leur sanction dans Ja vie presente,
semblent appartenir aun monde different, fonde sur Ja bonte, le scru- 244. S. oben, S. 231, Anm. 1, und S. 272, Anm. 180. -Am 29.7.1965,
pule, le sacrifice, un monde entierement different de celui-ci, et clont als Adorno die letzte der Metaphysik-Vorlesungen hielt, lagen die
nous sortons pour naitre acette terre, avant peut-etre d'y retourner re- A1editationen zur f'vfetaphysik in der ersten Manuskriptfassung, die er
vivre sous l'empire de ces Jois inconnues auxquelles nous avons obei am 3. 5. r 96 5 zu diktieren begonnen hatte, vor. Sie trugen noch den
parce que nous en portions l' enseignement en nous, sans savoir qui !es Titel Zur Nietaphysik, hießen von der zweiten, vom 18.5.1965 datie-
y avait tracees - ces Jois clont tout travail profond de l'intelligence nous renden Fassung an dann aber Meditationen zur 2'vfetaplzysik. Während
rapproche et qui sont invisibles seulement - et encore! - pour !es sots. Adorno in seinen Notizen auch von Metaphysischen Thesen spricht, ist
De sorte que l'idee que Bergotte n'etait pas mort ajamais est sans in- Reflexionen zur Metaphysik sonst als Titel nicht nachweisbar.
vraisemblance. - On l' enterra, mais toute la nuit fimebre, aux vitrines
eclairees, ses livres, disposes trois par trois, veillaient comme des anges 245. S. oben, S. 26f., 160, 162 passim.
aux ailes eployees et semblaient, pour celui qui n' etait plus, le symbole
de sa resurrection.« (lbid., p. r 87sq.) 246. Adorno waren die Sohar-Spekulationen durch Scholem ver-
traut; vgl. dessen Übersetzung des ersten Kapitels und besonders die

286
Einleitung der Übersetzung (Die Geheimnisse der Schöpfung. Ein 250. Über die Konstellation von Glück und Ortsnamen bei Adorno
Kapitel aus dem Sohar von G(ershom] Scholem, Berlin 1935). Vgl. vgl. auch GS 6, S. 366, und NaS l · I, S. 279, Anm. I.
auch Adornos Brief vom 19.4.1939 an Scholem (Theodor W
Adorno, Um Benjamins Werk. Briefe an Gershom Scholem 1939- 25r. Vgl. GS 4, S. 126 (»Zweite Lese«).
19 55, in: Frankfurter Adorno Blätter V, München 1998).
252. S. oben, S. I08.
247. Als >positive Philosophie<bezeichnete Schelling schon ab 1804
die eigene, Rationalismus und Empirismus gleichermaßen entgegen- 253. Den Begriff des dialektischen Bildes hat Adorno von Benjamin
gesetzte, nicht mit der - im Verhältnis zum Wirk.liehen >negativen< - übernommen, ihn in seiner eigenen Theorie j edoch charakteristisch
Vernunft sich bescheidend, sondern dem Wirklichen selber zuge- umgebildet; vgl. zu Adornos Gebrauch des Begriffs auch Tiedemann,
wandt: »Die positive Philosophie[ ... ] geht so wenig von dem bloß im Begriff Bild Name, a. a. 0. [Anm. 26]. S. 92 ff.
Denken Seienden als von einem in der Etfahrung Vorkommenden
aus. [. .. ] Ihr Prinzip kommt nicht in der Erfahrung, noch im reinen 2 54. Vgl. H egel, Theologische Jugendschriften, nach den Hand-

Denken vor. Sie kann also nur vom Absolut-Transzendenten ausge- schriften hrsg. von H erman Nohl, Tübingen r907 .
hen[ ... l.« (Schelling, Philosophie der Offenbarung 1841 / 42, hrsg.
von Manfred Frank, 3.Aufl., Frankfurt a.M. 1993, S. 146) Die For- 2 55 . Nicht in der vorliegenden Vorlesung, j edenfalls soweit diese
schung hat das späte Denken Schellings, das dieser selbst sowohl als überliefert ist; vgl. jedoch GS 6, S. r8 4ff., und GS rn· 2, S. 741 ff.
>Existentialphilosophie< wie als Begründung der >philosophischen
R eligion< ausgab, in die Nähe des Apokryphen, wo nicht des Obsku- 256. Vgl. zu diesem Zusammenhang auch Adornos Vorlesung Kants
rantismus gerückt; erst neuerdings wird darin au ch der Versuch einer 1>Kritik der rei11e11 Vcrn111!ff«, NaS IV· ro, S. !l8 ff., sowie ebd., S. 262 f.
Übe1windung des Idealismus gesehen. - Bei dem Rekurs auf die
Gottesspekulationen der Kabbala hatte Adorno wahrscheinlich einen 2 57 . Der Begriff der Si11Jatio11 wurde in der Existenzphilosophie von

Aufsatz von Jü rgen Habennas im Blick, der Zusammenhänge zwi- Jaspers, weniger von H eidegger, vor allem aber im Existenzialismus
schen Schelling einerseits, dem Sohar, Isaak Luria und Jakob Böhme Sartres mit kategorialer Dignität versehen; vgl. in »L' etre et le neant«
andererseits behandelte (vgl. Jürgen Habermas, Dialektischer Idealis- (Paris 1948) den Abschnitt >Liberte et Facticite: La Situation<.
nms im Übergang zum Materialismus - geschichtsphilosophische
Folgerungen aus Schellings Idee einer Contraction Gottes, in: ders., 258. Lies: mit dem Gedanken von der Negation der Ne ga tion als ge-
Theorie und Praxis. Sozialphilosophische Studien, Neuwied a. Rh., wonnener Position.
Berlin 1963, S. l 08 ff.).
259 . Mit dem Schluß der letzten Kollegstunde erreichte Adorno
248. Die Proustschen Ortsnamen mußten konjiziert werden, da sich Seite 20 seiner Stichworte (vgl. Theodor W Adorno Archiv, Vo
in der Vorlage lediglich Auslassungspunkte finden. rn8o 6) und damit fast das Ende der vierten der lvieditatio11 c11 z ur lvfeta-
physik (vgl. GS 6, S. 368). Die Stichworte zur Vorlesung reichen aber
249. Adorno denkt an eine Stelle, die sich im Amphiboliekapitel der noch etwas weiter, sie umfassen auch das erste Drittel der fünften
»Kritik der rein en Vernunft« findet: »Die Kritik [dt::sJ reinen Verstan- >Meditation< (vgl. ebd., S. 369f.); da Adorno also offensi chtlich vor-
des erlaubt es (... ]nicht, [... ] in intelligibele Welten, sogar nicht ein- hatte, zumindest so weit auch die Vorlesung zu führen, seien die restli-
mal in ihren Begriff, auszuschweifen. « (Kant, Kritik der reinen Ver- chen Stichworte - aus denen Adorno freili ch einiges außerhalb der
nunft, a. a. 0. [Anm. 42], S. 305 (A 289, B 345])- Vgl. auch NaS IV· 4, geplanten R eihenfolge, am Schluß des Kollegs bereits behandelt hat -
S. r 7 passim. hier mitgeteilt, wie sie notiert worden sind (bei dem petit Gedruckten

288
handelt es sich offensichtlich um, dem Haupttext gegenüber, nach- Versucht er es, so ist er des Geb/iiks z u übeifi!hren.
trägliche Hinzufügungen): Lebe11 das Sinn hättc.fi'agt nicht da1iach; vor der Frage.flüchtet er.
Ebenso unwahr aber der abstrakte N ihilismus.
Die Verzweiflung an dem, was ist, greift auf die transzendenten Ideen über. Er wüßte auf die Frage: warum lebst du drnn selbst, nichts zu erwidern.
Das Paradoxon geht in die Lästerun~s; üb~r (tende11zie/l schon bei Kierke- Das arefs Ganze gehen, den Nettoprqfit des Lebens kalkulieren ist ebe11
gaard in sei11er Stellung zur Arm1it). der Tod, dem der Kalkül entgehen will.
Bei Kant sollten die - unei11lösbare11 - 111etaphysische11 Ideen il'enigstem Wo Sinn ist, ist er bei111 Offenen, nicht in sich Verschlossrnen.
nicht mit der Vernu1ift kollidieren; heute absu rd. NB. Ihr A11thropozentris11111s Die These, das Leben habe keinen, ist als positive genauso falsc h wie ihr
und die Kosmologie. Doppelsinn der kopernikanischm We11d1mg Gegenteil; wahr nur als Schlag auf die beteuernde Phrase.
Falsche Erhebun,~ des Schicksals der metaphysischen Ideen zu einem Die nahe Verwandtschaft Schopenhaiiers mit den deutschen Idealisten.
Metaphysikum. Wiedera"!ß1ackem der Naturreligionen: der blinde Wille als Dämo11.
Der Trick, Verzweijlu11g «?anmtiere das Dasein des hc1fnungslos Entbehr- Das Wahre des f\1onotheismus gegen den Sclwpen/zar;ersch en Irrationalis-
ten. Das rel(s;iöse Freudengeheul über die Verzwe!flzmg. Hallelujah! 1ni1s.
Wie sozial die f\,iittel die Zwecke substituieren, so metaphysisch das Regressio11 auf die Phase, in der noclz nicht der Genius inmittm des
Bedürfnis das, was ihm mangelt. St1m1men aufwachte.
Der Wahrheitsgehalt des Absenten wird gleichgültig; es wird behauptet, Verleugn~ng der Freiheit; darum dann Hintertür im 4. Buch [der »Welt
weil es gutfür die Menschen sei, als Herzenswärrner. A1erkwürdige Dreh1111gge- als Wille 1111d Vorstellung«} so armselig.
<~e11 die Situation des Epik11reis111us; aU1h dies 1.m.tcrli~~t einer histMischcn Dialektik. Totaler Determinismus nicht weniger mythisch als die Totale der He.~el-
Metaphysik wird z1m1 Pragmatismus. schen Logik.
Die Wahrheit der Negation dmf nicht als Position erschlichen werden. Das tot11111 ist das Totem.
Die eigentliche Kritik an Hegel: es ist unwahr, daß die Negatio11 der (Theodor W. Adorno Archiv, Vo 10806-10808)
Negation die Position sei. (Projektion der Konsequenzlogik aufs Absolute.
A1!fliisung des Nichtidentischen i1t die Identität.) 260. Zu Adornos Paradox von der Unmöglichkeit, das z1; denken, was
Die Frage nach dem »Sinn des Lebens«. doch gedacht werden 1mlj3, vgl. Kierkegaard: »Das Paradox ist keine Ein-
Die Assoziation, er sei, was der Fragende dem Leben gibt. räumung, sondern eine Kategorie, eine ontologische Bestimmung,
Sinn müßte aber obiektiv jenseits allen 1'1achens sei11; sonst erschlichen, welche das Verhältnis zwischen einem eiöstierenden, erkennenden
bloße Verdopplung. Geist und der ewigen Wahrheit ausdrückt. « (Sören Kierkegaard, Die
Alle Metaphysik <~eht ai!f ein Objektives Tagebücher, hrsg. von Hayo Gerdes, Bd. 2, Düsseldorf, Köln 1963,
Die Su~iekte eingesperrt in ihre Konstitution; Metaphysik heißt daniber S. 80 [VIII , A l 1]) Dazu aber auch Adornos Kritik in der Negativen
nacltdenken, wie weit sie Z:iber das Gefängnis ihres Selbst hinauszublicken Dialektik: Die Unrettbarkeit der theologische11 Ko11zeption des Paradoxen,
vermögen. einer letzten, au~'?eliungertm Bastion, wird ratifiziert von dem Weltla1!f,
Alle andere Frage nach dem Sinn ist Reklame für die Welt. der das Skandalon, a•!f das Kierkegaard hinstarrt, in die offene Lästenmg
Die Nazis: die Welt hat einen Sinn. Das Tcrroristisclzc darin übersetzt. (GS 6, S. 368)
Das Herunterkommen des Idealismfts at!f die Simifrage verurteilt rück-
wirkend jenen: in ihm steckte schon das Unwahre der Spiegelung.
Spiegelun<~ ist das Urphänomen von Ideologie
Das Totale der Frage nach Sinn als Bann.
Fragt ein Selbstmörder nach dem Sinn des Lebens, so wird der hilflose
He!fer ihm keinen nennen können.

29 1
N achbemerkung des Herausgebers
Akademischer Unterricht und schriftstellerische Arbeit liefen bei
Adorno in der R egel unve rbunden nebeneinander her, aber doch
nicht stets. So widmete er bereits im Sommersemester r932, kaum
habilitiert, eine seiner ersten Vorlesungen der Philosophie Kierke-
gaards, dem Gegenstand seiner damals noch ungedru ckten Habilita-
tionsschrift. Später dann, nach dem Ende ihrer Emigration, behan-
delten Adorno und Horkheimer zwischen 1956 und 1958 in ihren1
gemeinsamen philosophischen Hauptseminar sowohl die Dialektik der
Aufklärung wie die Metakritik der Erkenntnistheorie. Die auffalligste
Ausnahme von der Regel aber bildet die N e,gative Dialektik, von der
Adorno 1968, als sie bereits erschienen war, schrieb, sie solle das dar-
stellen, was {er} in die Waagschale z u weifen habe (vgl. GS 7, S. 537).
Das Buch, dem man den Titel des Hauptwerks, bei aller Idiosynkrasie
Adornos gegen das Genre, kaum vorenthalten kann, kristallisierte
sich an eine Vorlesung an, die er im Wintersemester r960/6 1 unter
dem Titel OntoloJ?ie und Dialektik gehalten hat; der Vortrag gleichen
Titels, den Adorno zuerst im College de France im März 1961 vor-
trug, war die erste Version des ersten Teils der Negativen Dialektik, der
systematischen Auseinandersetzung mit der Philosophie Heidegge rs,
von der Adornos >Antisystem< seinen Ausgang nimm.t. Sodann galten
von r 964 bis r 966 nicht weniger als drei aufeinander folgende Kollegs
Adornos Gegenständen oder Themen, die auch im Zentrum der Ne-
.i?ativen Dialektik stehen, an der er damals mit Nachdruck arbeitete.
Und im Sommersemester 1967 sowie im anschließenden Winterse-
mester, nachdem das Buch schon vorlag, wurde auch es im philoso-
phischen Seminar behandelt. Von den akademischen Veranstaltun-
gen, die Adorno in den Zusammenhang eigener Schriften stellte,
zeugen lediglich die Vorlesungen zur Negativen Dialektik, und au ch
diese sind nicht ganz vollständig übe rliefert. Die erste wurde im Win-
tersemester 1964/65 mit dem Titel Zur Lehre von der Geschichte und
von der Freiheit angekündigt und erörterte die Themenkomplexe, de-
nen in der Negativen Dialektik die Arbeiten über Kant und Hegel
gewidmet sind, die beiden ersten >Modelle<des dritten Teils. Im Som-
mersemester 1965 folgte die Vorlesung Metaphysik. Begr!ff und Pro-
bleme, die der vorliegende Band enthält und die sich an das letzte
>Modell<der NeJ?aliven Dialektik, die Meditationen zur Metaphysik, an-
schloß. Die späteste, im Wintersemester 1965/66 gehaltene Vorle-

295
su ng entwickelte dann aus einiger D istanz die Idee einer Dialektik der phie von den positiven Wissenschaften unterscheidet, - und es wird keinen
Nichtidentität, der Adorno den Namen der negativen Dialektik gab, der 1merheblichste11 Gegenstände meiner Vodes1111g bilden, gerade darauf
wie er denn auch die Vorlesung mit demselben Titel versah, den das einz ugehen. infolgedessen ß ihre ich Ihnen also hier Überlegungen vor, die,
Buch erhielt. Die Absicht, die Adorno mit dieser Vorlesung ve rfolgte, solange sie nicht ihre sprachliche Gestalt, ihre mir erreichbare und, soweit
war so ctlt'as wie eine methodisd1e Bct1wlit11ng dessen, was {er] iiber/1<111pt meine Kräfte ar1sreichen, endg1i/tige Gestalt gefunden haben, ebe11 solche
tue (Theodo r W Adorno Archiv, Vo 10813), - eine Bestimmung, die Züge des Experimentellen tragen. Und ich kann Sie (. . .] eigentlich mehr
der von der l\!lethodologie der 11iateriale11 A rbeitm des Autors aus der Vor- dazu ermutigen, durch das was ich Ihnen sage, mitz udrnken und selber
rede zur l\'lgativcn Dialektik (GS 6, S. 9) entspricht. solche Überlegrmgen anz ustellen, als d~fl ich Ihnen mm so sicheres Wissen
Über das Verhältnis seiner Vorlesungen zu dem Buch, dessen Um- überliefern möchte, das Sie getrost nach Hause tragen kö11nen . (Theodor
kreis sie angehören, hat Adorn o zu Beginn der Vorlesung Nl~l!atiuc W Adorno Archiv, Vo ro8 I2 f.) Den Vorlesungen zur N egativen Dia-
Dialektik sich in einer Weise geäußert, die zugleich aufachlußreich ist lektik ist es wesentlich, daß alle drei oder - zählt man 011tologie und
für das Klima, in dem er damals den H ochsch ulunterricht zu erteilen Dialektik hinzu - alle vier zu einem Zeitpunkt gehalten worden sind,
hatte: Sie ll'issm, dafJ die rraditionelle D~fi11itiot1 der U11i1Jcrsitäte11 die als die parallelen Texte der Buchfassungjedenfalls ihre endgültige Ge-
Ei11heit von Forsclumg und Lehre fo rdert. Sie wissen ebenso, wie problema- stalt noch nicht gefunden hatten; daß die Vorlesungen mithin, wie
tisch die Realis ien11~e dieser i/llmcr 11od1 fes(l!cl1c1 ltc11rn Idee ist. U11d ///eine Adorno gern formulierte, einem work in progress entstammten oder
e(~e11 e / ldieit hat u11tcr dieser Proble111,1tik schwer z11 leiden, das heißt: das besser: ein jeweils bestimmtes Stadium der noch im Entstehen begrif-
M<?f.i a11 Le/1rcll!fgabe11 1111d a11 administrativen A1!{gaben, das mir nac/1ge- fenen Negativen Dialektik repräsentierten. Der Leser mag darin bestä-
radc z 1!fiillt, macht es mir.ft1st 1111111öJ!lich, 11Jäl1rc11d der Semcstralzcit s1;r;c- tigt finden, was über die Vorlesung Kants »Kritik der reinen Vi?rnu1!fi«
11annte Forschu11.f(sau[f;aben - wenn man denn bei Philosophie uon For- festgestellt wurde: »Das Adornosche Denken auf seinen Wegen und
sc/11111g rcdrn will - so walzrz1111el1111en, wie es 11iclit nur obiektiv a11geze(<;t Umwegen begleiten zu können, führt auf Aspekte, in welchen die ab-
11'äre, sondern wie es vor allem a11ch 111ei11er e(l!cnc11 Ne(1;1mg und Anla.i;e geschlossene und abschließende Form, die in den Schriften Adornos
entspricht. In einer solchen Si111atio11, 1111d ll/1.fer einem solchen Zwang und immerhin vorherrscht, wiederum aufgebrochen wird und Möglich-
Drnck, bildet 111<111 111111 gewisse E(Qenschaftcn 1111s, die 111a11. 111n besten 111it keiten hervortreten, die einzulösen dem Autor in seinen verbindli-
Ba11emschlauheir bezeichnen kann. Ich suche also dieser Sit11atio11 dad1<rch chen Werken versagt war. [. .. ) Erst die Protokolle seiner Vorlesungen
,~crcch t z 11 11'erdc11, daf] ich [. . .J 111ci11e Vi>rles11ngrn 11'esmtlid1 bestreite ans erlauben, ihm bei der Anstrengung des Denkens zuzusehen; einen
dein u111fiin.1!.lichcn 11nd recht helastctcn Buch, an dem ich 111m seit sechs Blick in die Werkstatt zu tun, in der, wie Siegfried in Mimes H ö hle
Jahren arbeite und das den Titel Negative Dialektik lMgcn wird{ .. .J. Ich sein Schwert, der Philosoph seine Begriffe schmiedet [... ).« (NaS
bin mir dess f/I b1w1dlt, dafl g1:<.ZCll ein solches u~'.f<1hrc11 einge11'andt werdrn IV 4, S. 42of.) Adorno selber, das läßt sich seinen Ausführungen un-
kann, was zumal dem positivistischen Bew1~fltse i11 einzuwenden übera us schwer entnehmen , verhielt sich durchaus unschlüssig gegenüber
ualic liegt, - nämlich d<!f.I man e(l!_e11tlicli als akademischer Lehrer nur mit dem Charakter des Versuchenden, Experimentierenden seiner Vorle-
fert(<.Zen, bü11d(<.Ze11, hieb- 1md stichfeste11 Resultaten ai!fz11warten habe. Ich sungen: einerseits sollte er ein integrierendes Moment des philoso-
wil/ 11ic/1t aus der Not ei11e 'fügend machen, aber ich meine doch, daß diese phischen Gedankens darstell en, für den Adorno aber auf der anderen
A11sicht gerade de111 Begriff der Philosophie 11icht so recht entspricht; dirß die Seite die verbindliche, gültige Formulierung dennoch sich erhoffte;
Philosophie eben der Gedanke in eine111 permanenten statu nascendi ist; diese also, die das Experimentelle als ein Vorläufiges >erledigen<
u11d d,rfJ es, 111ie der große Begründer der Dialektik, Hegel, gesac~t hat, i11 würde, auch wieder für erreichbar hielt im Sinn des Hofinannsthal-
der Philosophie auf den Prozeß ebenso an.kommt wie a11f das Resultat; dafi schen »Die Gestalt erledigt das Problem«. In der Spannung zwischen
Proz:<jJ imd R esultat {. . .J sogar das Gleiche seien. Dariiber hinaus meine beidem, der sprachlichen Gestalt im emphatischen Sinn und dem
ich, daß gemde dem philosopliische11 Geda11kc11 ein A1ommt des l/crs 1tchc11- nicht abzuschließenden Gedanken, dürfte das Charakteristische der
de11, Experimentierrnden , nicht A bschli!fll1afte11 eigen ist, der die Philoso- Adornoschen Philosophie zu suchen sein, das, im Vergleich zu den

297
abgeschlossenen Schriften, erst eigentlich durch seine Vorlesungen in sich erbat - bei der Behandlung der sogenannten Lebensdimensionen
den Blick gerückt wird. explizit die Aristotelische Unterscheidung von övvaµic; und evi1nsw
Das A1etaphysik-Kolleg unterscheidet sich von den beiden benach- als >Hauptqualitäten des Seins< übernimmt, sucht Adorno dessen in-
barten nicht zuletzt dadurch, daß es inhaltlich über die Meditatione11 nezuwerden , was Geschichte unterdessen aus solchen überzeitlich
z 11r Mctc1pliysik und die Nc,gativc Dialektik überha upt hinausgeht: das konzipierten Kategorien machte; ob und wieweit die Aristotelischen
Kolleg ist zu zwei Dritteln der »Metaphysik« des Aristoteles gewid- in der restlos verwalteten Welt noch taugen. - Daß die Ausführungen
met. Soweit Adornos Vorlesungstätigkeit bislang sich überbli cken zur »Metaphysik« des Aristoteles ohne Gegenstück in der Buchfas-
faßt, hat er nur zweimal üb er griechische Philosophie gelesen . Im sung der Negativen Dialektik geblieben sind, will nicht sagen, in die-
Wintersemester 195 3/ 54 und im folgenden Sommersemester 1954 las ser - wie im übrigen in der Philosophie Adornos insgesamt - sei die
er zweiteilig über Das Problem des Idealismus; w;ihrend der zweite Teil der Antike nicht allerwege präsent. Sie ist es, und in ungleich höhe-
eine Ei11/eitung in Kants Kritik der reinen Vemunft war, behandelte der rem Maß noch, als die verhältnismäßig seltenen Envähnungen grie-
erste die Vorsokratiker, vo r allem Parmenides. und Herakleitos, die chischer Philosophen in den Schriften Adornos vermuten lassen.
Ideenlehre Platons sowie deren Kritik durch Aristoteles. Erhalten Auch wenn es von ihm keine Arbeit gibt, die ausdrücklich der anti-
blieben lediglich Adornos Stichworte zur Vorlesung, die zwar den ken Philosophie gewidmet wäre, Adornos Denken setzte Platon und
Gang derselben recht genau zu rekonstruieren erlauben, aber nur we- Aristoteles genauso voraus, wie alle große Philosophie das tat, zumin-
nig über die Argumentationen des Vortragenden ausmachen lassen dest bis an die Schwelle heran, an welcher der Positivismus ihr zu
(vgl. Theodor W Adorno, Das Problem des Idealismus. Stichworte sc hweigen gebo t. Für Adorno war die Geschichte des Denkens [. . .},
zur Vorlesung, in: Frankfurter Adorno Blätter V, München 1998). Die .rn111eit sie i~'?Clld sich z11n1ckvcifo(r:m läßt, Dialektik der A1!fkliinmg; mit
Erörterung Aristotelischer Kategorien im Rahmen der 1\1etaphysik- der ]';t;'?ativen Dialektik verfolgte er sie bis auf ihre Anfange im archai-
Vorlesung vom Sommersemester 196 5 stellt Adornos einzige ausführ- schen Denken zurück, nicht darin unterschied er sich von Heidegger,
lichere Behandlung eines Themas aus der Philosophie der Antike dar, nur in der Parteinahme gegens Archaische und für die Entmythologi-
die überliefert ist. Die Relevanz dieser Ausführungen erhellt weniger sieru ng: Arbeit und Anstrengung der antiken 1\1etaphysik, 11on der Panne-
daraus, daß sie eine m der Schlüsselwerke der Philosophiegeschichte 11ideiscl1cn, die Dc11ken und Sci11 trc11nen 11111{.lte, um sie identifiz ieren z 11
gelten, als aus dem Zusammen hang, in den Adorno sie stellte: das könnm, bis zu r Aristotelischen bestand darin, die Scheidung zu erzwingen.
letzte Drittel der 1\Ietaplzysik-Vorlcsung stellt mit der Frage, ob 11ach E11t111ythologisieru11g ist Sclieidung, der ;\1ythos die triigcnde Einheit des
A11srlzwitz 11och sich leben lasse (GS 6, S. 3 55), die ernsteste, vor der Phi- U11geschiedene11. (GS 6, S. r24) Weil Identität und Einheit, obne die
losophie heute sich findet . Wenn der Aristoteles gewidmete Teil eini- doch kein Gedanke gedacht werden kann, in der Katastroph e der
ger maßen selbständig neben dem frei improvisierenden R eforat der Modeme terminierten; solidarisch mit dem Vielen, Nichtidenti-
1Vf.editatione11 z ur Metaphysik zu stehen scheint, dann motiviert doch schen, fragt Adornos >Denken nach Auschwitz< noch einmal auch
nicht historisches Interesse an der Philosophie des Aristoteles Ador- den kategorialen Scheidungen des Aristoteles nach, eine >letzte Phi-
nos Überlegungen, die vielmehr durch Problemstellungen des eige- losophie< der >ersten<. Wie suspekt immer Adorno die Näh e gewe-
nen Denkens geleitet werden. Si e müssen deshalb auch nicht den Ari- sen sein muß , welche die UQXIJ, den mythischen Ursprungsbegriff,
stotelischen Text selbst zugrunde legen und können weitgehend mit an den der Heimat bindet. so hätte er doch wohl Hegel beigepflich-
der Darstellung Eduard Zellers sich begnügen. Identität und Diffe- tet, dem »bei dem Namen Griechenland [... ] heimatlich zumu te«
renz der Kategorien des Aristoteles im Verhältnis zu denen einer >ne- war.
ga tiven< Metaphysik, die nach Kant allein noch möglich ist, sind kein Über M etaphysik zu meditieren, war Mitte der sechziger Jahre, als
Problem der Philologie. Anders als etwa Paul Tillich, der in seiner Adorno seine Vorlesung hielt, sc hon so unzeitgemäß, wie es 30 Jahre
»Systematischen Theologie« - vor allem in deren drittem Band, den später, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Vorlesung, immer
Adorno für die Abfassung der /'vfeditationen z Hr Metapl1ysik vom Autor noch erscheint. Für Adorno war Metaphysik mehr als ein >Gespräch<,

299
das seine Teilnehmer miteinander beschäftigt findet, bei dem es je- seinesgleichen ist. Die kleinsten i1tnerweltlichen Ziige hätten R elevanz ßirs
doch auf den Gesprächsinhalt, die Probleme, die traditionellerweise Absol11te, denn der 111ikrologische Blick zertrü111mcrt die Schalen des nach
metaphysische heißen, so genau gar nicht ankommt; er hat sich nicht dem i\1qj3 des subsumierenden Oberbes.rifls hi!flos Vereinzelten imd sprengt
davon abbringen lassen, daß Philosophie mit Erkenntnis von Wahr- seine Identität, den Trug, es wäre blaß Exe111pla1: Solches Dmken ist solida-
heit zu tun habe und nicht in den unverbindlichen Kontexten von et- risch mit 1\tletaphysik im Augenblick ihres Sturzes. (Ebd. , S. 400) In kei -
was wie einer >Conversation of Mankind< sich auflöse (vgl. Richard nen Platonischen Ideenhimmel geleitet Metaphysik mehr, kein x6a-
Rorty, D er Spiegel der Natur: Eine Kritik der Philosophie, übers. µoc; xwqwr:6v ist ihr noch verbürgt, sie ist nur ein letztes Asyl sowohl
von Michael Gebauer, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 1994, S. 421 ff). Wenn gegen di e Ideologie der aiiferstandenen Metaphysik von heutzuta,;;e (ebd. ,
die Metaphysik mit Aristoteles sich als >Denken des Denkens< ver- S. 365), wie gegen den Kult dessen, >was der Fall ist<. An der einzigen
steht, als den zu sich selbst geko111111ene11 Besr!ff, mit dem Denken selber Stelle, an der Adorno zu einer Art Definition von M etaphysik sich
und seine Formen zu Kategorien des Seins, zu einem Absoluten er- verstand, gab er ihr die Form der Negation des ersten Satzes des
hoben werden, dann kann, mit Adorno, Metaphysik heute nichts an- »Tractatus logico-philosophicus«: Metaphysik stehe gegen den Scienti-
deres mehr sein als Nachdenken über Metaphysik: Nachdenken darüber, vismus, etwa gegen die Position von Wittgcnstei11 , daß im Grunde das
ob das Denkcll und seine komtitutive11 Formen tatsä chlich das Absolute Bewußtsein nur zu tun habe mit dclll was der Fall ist. Das könnte 11och
sind (oben, S. 156f.). Die Frage wird in der Metaphysik-Vorlesung wie einmal eine Definition herausfordern: die Metaphysik ist die Gestalt des
in der N e,gati1m1 Dialektik ohne Vorbehalte verneint, darin stimmt Bewi!f3tseins, in der es versucht, das z u crkenne11, was mehr als der Fall
Adorno dem Horkheim.er der »Dämmerung« zu: »Es gibt keine Me- ist, oder was n.icht bh!f.! der Fall ist, 11nd doch gedacht werde11 m1!ß, weil
taphysik, es ist keine positive Aussage über ein Absolutes möglich« das was, wie man so sagt, der Pali ist, uns daz u nötis t. (Adorno, Philoso-
(Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, Bd. 2: Philosophische phische Terminologie, a. a. 0. , Bd. 2, S. 167; zu Wittgensteins Diktum
Frühschriften 1922-1932, hrsg. von Gunzelin Schmid Noerr, Frank- vgl. auch GS 8, S. 337 f.) Reflexion auf die Grenzen, in di e D enken
furt a.M . 1987, S. 430) , er hat allerdings hinzugefügt: Metaphysik kann gesperrt ist, das war Adornos Hoffnung, vermag das Gefängnis um ein
keine positive Lehre von irgendwelchen Seinsgehalten sein, die da als meta- Geringes zu öffnen: [. . .) De11ken über sich selbst hinaus, ins Offene,
physische verkündet werden; sie hesteht eben in den Fragen, die sich auf genau das ist Afetaphysik (oben, S. 108). Dem Pessimismus des Freun-
solche Vl/esenheiten be:dehen [. . .}. Pointiert gesagt: negative Metaphysik des Horkheimer, seiner materialistisch en Trauer, daß vergangenes
ist genauso Metaphysik wie positive auch. (Theodor W Adorno, Philo- Leiden ni cht wiedergutzumachen sei, hat Adorno sich bis zu gewis-
sophische Terminologie. Zur Einleitung, hrsg. von Rudolf zur Lippe, sem Grad verweigert, wenn er davon sprach, daß der Gedanke, der sich
Bd. 2, Frankfurt a.M. 1974, S. 166) Adornos festgehaltene Rede von nicht e11tha11ptet, in Tim1sz e11drnz mündet, bis zur Idee einer Ve~fassung
>metaphysischer Erfahrung<möchte darauf insistieren, daß vom Me- der vVelt, in der nicht nur bestehendes Leid abgesclza.fti, sondern noch das
taphysischen, seit Kant die Sphäre, di e von Erfahrung prinzipiell nicht umvidem!flich 11e1gatige11e widenl!fC11 wäre (GS 6, S. 395). Vielleicht, daß
erfüllt werden kann, dennoch Erfahrung möglich sei. Es ist das jedoch solcher Widerruf in all seiner Ohnmacht das metaphysische Mini-·
die unabweisbare Erfahrung der Kontingenz, des Todes, der Sinnver- mum darstellt, das einer Negativen Dialektik verblieben ist.
lorenheit, die Metaphysik, di e Geschichte hindurch das Geistige
schlechthin, in der Ära von Auschwitz in die Fra,;;e11 des materiellen Da- Dem edierten Text der Vorlesung liegt die Transkription der Band-
seins schhiP.fe[nJ (GS 6, S. 358) ließ. Für Adorno hat die Metaphysik - aufnahme zugrunde, die im Institut für Sozialforschung, meistens in
von der er, wie Benjamin von der Theologie, hätte sagen können, daß unmittelbarem Anschluß an die einzelnen Kollegstunden, angefertigt
sie heute klein und häßlich sei und sich ohnehin nicht dürfe blicken worden ist. Die abgeschriebenen Tonbänder sind seinerzeit gelöscht
lassen - sich ins Verhältnis des Denkens zum Bedürfnis, zur materiel- worden, um erneut verwendet zu werden; die Transkription wird
len Not der Menschen zurückgezogen; nur als Negation >überdauert< heute im Theodor W Adorno Archiv unter der Signatur Vo ro347 bis
dies Bedürfnis, es vertritt in der innersten Zelle des Gedankens, was nicht 10808 aufbewahrt.

300 3or
Bei der Textherstellung hat der Herausgeber versucht, ähnlich zu hinaus sind Parallelstellen aus den Schriften Adornos beigebracht
verfahren, wie Adorno selber die Redaktion frei gehaltener Vorträge worden, die in den Vorlesungen Ausgeführtes verdeutlichen können,
besorgte, wenn anders er sie überhaupt für die Publikation freigab, aber auch demonstrieren sollen, daß Vorlesungen und Schriften des
insbesondere ist versucht worden, den Vortragscharakter zu wahren. Autors überaus vielfaltig miteinander verknüpft sind. - Man rmifJ das
Da der Text der Vorlage außerordentlich verderbt ist, mußte in ihn - O~~a11 entwickeln, aus den Beto11ungen, aus den Akzrnten, die ci11er Philo-
ve rglichen etwa mit dem der Vorlesung über Kants »Kritik der reinen sophie eigenUinzlich sind, ihre Relation innerhalb des philosophischen Zu-
Ver11111ift« - ungewöhnlich häufig eingegriffen werden. Die Tran- samnzrnhangs z u erschli~ßen und danach e(gmtliclz die Philosophie Z IJ be-
skription wurde offenkundig von j emandem angefertigt, der weder ,<.;reifen, - das ist mindestens so wesentlich, wie mm eiefach handfest zu
mit Adornos Eigenheiten vertraut war, noch dem Gegenstand der wissen: das und das ist Metaphysik (oben, S. Sr): einer Lektüre, die
Vorlesung auch nur annähernd sich gewachsen zeigte. Die Bandab- Adornos Anweisung sich zu eigen macht, möchten auch die Anmer-
schrift weist nicht selten Auslassungen im Text au( griechische W ör- kungen dienen. [n ihrer Gesamtheit sollen sie die Bildungssphäre zu
ter sind stets fortgefallen und Namen oft unverstanden geblieben; vergegenwärti gen helfen, in der Adornos Vorlesungstäti gkeit sich be-
hin zukommen noch zahlreiche sachliche Ir rtümer, die auf >Fehlhö- wegte und die inzwischen wohl nicht mehr als selbstverständlich vor-
rungen<beim Transkribieren zurückzuführen sind. Dennoch konnte ausgese tzt werden kann. Falls die Anmerkungen hier und dort den
in der Regel das vom Vortragenden jeweils Gesagte oder zumindest Eindruck erwecken, als näherten sie sich einem Kommentar, so wäre
das Intendierte ohne Schwierigkeit erschlossen und stillschweigend zu berücksichtigen, daß dieser Eindruck nicht unbeabsichtigt ist.
eingesetzt werden. Durch die Notwendigkeit, häufig in den Text der
Vorlage eingreifen zu müssen, glaubte der Herausgeber sich befügt, Februar 1997
den Text auch dort weiter zu retuschieren, wo das bei einem authenti-
scher üb erli eferten nicht angezeigt gewesen wäre; im Fall der er-
wähnten Kant-Vorlesung zum Beispiel auch nicht geschehen ist. Ein-
deutige Verstöße gegen grammatische Regeln sind ebenso korrigiert
worden , wie Füllwörter, insbesondere die Partikeln mm, also, ja, dort
getilgt worde n sind, wo sie aufbloße Verlegenheitsfloskeln sich redu-
zierten. D er von Adorno, einer Eigenart des H essischen folgend, hä u-
fi g benutzte bestimmte Artikel vor Namen (»der Aristoteles«) wurde
dort gestrichen, wo er gehäuft auftrat. Neben der vorsichtigen Til-
gung gar zu störender Wiederholungen stehen gelegentliche Ein-
griffe auch in unübersichtliche syntaktische Konstruktionen. In der
Handhabung der Interpunktion, die hinzuzufügen war, hat der H er-
ausgeb er sich am freiesten gewußt und, ohn e Rücksicht auf die von
Adorno bei geschriebenen Texten beachteten Regeln, das Gespro-
chene möglichst eindeutig und unmißverständlich zu gliedern sich
bemüht. Nirgends allerdings ist versucht worden, Adornos Text zu
>verbessern<, immer nur seinen Text, so gu t der H erausgeber es ver-
stand, herzustellen.
In den Anmerkungen sind die in den Vorlesungen benutzten Zitate
nachgewiese n sowie solche Passagen zitiert worden, auf welche
Adorno sich bezogen hat oder do ch bezogen haben könnte. D arüber

302 303
Register
I. GRIECHISCHE WÖRTER

ro ayai'l6v (das Gute) 33


axivrtroc;, -ov (unbewegt, unveränderlich) 66, 139f.
ry avayxl] (die Notwendigkeit, der Zwang) 117f., 119, 129
b äviJew:rroc; (der Mensch) 37 f.
ry avöeeia (die Tapferkeit, der Mut) 254
a6ewroc;, -ov (nicht abgegrenzt, unbestimmt) 260
ro ä:rrelQOV (das Unendliche, U nbegrenzte) 91, 105, 257, 260
ry aexiJ (der Anfang, Ursprung, die Ursache) 68 , 106, 299
ro a{n6µarov (der Zufall, die Zufalligkeit) 84, l 18

yae (denn, nämlich) 268

OEVUQO<;, -a , -OV (der zweite), s. ovaia, üevreea


ry oixawavvl] (die Gerechtigkeit) 33
ry ovvaµic; (die Möglichkeit, Potentialität) 58f., 61, 83, 10of., II6, 122,
130, 247, 299

elOivm (wissen) 37f.


ro dooc; (die Idee) 29, 38, 58, 63, 66, 82, 96, 98, 234, 251
dvm (sein) 44, 84, 268
exaoroc;, -17, ov Qeder, jeder einzelne) 260
tvOixoµm (annehmen, zulassen) 84
ry tvieyna (die Wi rklichkeit, Aktualität) 58 , 6of., 89, 100, 116, 122, 125,
128, 1 32, 142, 247, 299
ev xard :rro)J.wv (Eines im Vielen) 55
1] tvreA.ixeia (Entelechie, venvirklichte Form) 100, 130
fouv (es ist da , es gibt) 268
foxaroc;, -1), -ov (äußerster, letzter) , s. VAi] , toxan7

ry ~wi} (das Leben) 239


ry,uäc; (wir) 250

ol {)wi (die Götter) 143


b {Je6c; (der Gott, die Gottheit) 33, l 43
{Jfoei (gesetzt, durch Denken) 38, 200
ry {feweia (die Betrachtung, Theorie) 145
iJ iota (die Idee) 29, 58 iJ 1Wi17aic; (das Machen; die Dichtung) 268
Yoioc;, -a, -ov (eigen, eigentümlich) 260 iJ noJ.lc; (die Stadt, der Staat) 146
iJ nqd~lc; (die Tätigkeit) 268
xai (und, und auch) 84 nqaTTf.lV (bewirken, tun) 145, 268
iJ xm:17yoqia (Kategorie) 42 l!Qoc; (in betreff, mit Rücksicht auf) 250
ro [axiv17rov] XlVOVV (der [unbewegte] Beweger) 66, 139f. nq6uqoc;, -a, -ov (früher, vorhergehend) 2jO
b x6aµoc; (Welt, Ordnung) 301 TO l!QWTOV (das faste) 68
nqwroc;, -YJ, -ov (der erste) 250
b J.6yoc; (die Rede, der Begriff) 146, 250
iJ aorpia (die Weisheit) 243
1) µHfc~tc;
(die Teilhabe) 30, 240, 249 iJ ariq17atc; (die Beraubung, Entziehung) l l 1
iJ µw6ri?c; (die Mitte, Mäßigung) 52, 75
µera (hinter, nach) 25, 65 ro reJ.oc; (der Zweck, das Ende) 99, r 16, l 19, 142
µeraßamc; Elc; aUo yivoc; (Üb ergang in ein anderes Gebiet) 73 ro ri {Jv elvm (das wahre Wesen, das wesentliche Sein, die Wesenheit) 25 0
µij (nicht) 84 TODE n(ein Dieses, ein Etwas) 56f., 58, 62f. , 66, 68, 73, So, 96, 128, 25 1
ro µif ov (das Nichtseiende) 30, 32, 82, 96 roiovroc;, roiavr17, roiovro (v) (derartig, so beschaffen) 13 0
iJ µ11xavij (die künstliche Vorrichtung oder Veranstaltung) 264 b i:6noc; (der Ort, das Thema) I 8 5, 2 l 5
iJ µoqrpij (die Gestalt) 57f., 63 , 82, 96, roo, ro5, 116, 1r9f., 122, 124, iJ TÜX'Yf (das Schicksal, der Zufall) 84, l l 8
128 f. iJ ü,l.17 (der Stoff, die Materi e) 57f., 82f., 95 f., 97, IDl, rn5 , ro7, u6f.,
119f., 122, 124, 128 f., 162, 239, 260
voE!v (denken, wahrnehmen) 1 43 f., 268 fJJ.17, taxar17 (letzter Stoff) 260
vo17r6c;, -ij, 6v (geistig, intellektuell) 18 5 fJJ.17, nqwr17 (erster Stoff) 105 f. , 259_{
iJ v617aic; (das Denken, Wahrnehmen) 149, 270 ro Vl!OXELJlf.VOV (das Z ugrundeliegende, Substrat) 265
b vovc; (die Vernunft, der Geist) 143 f., 268, 270 vauqoc;, -a, -ov (später, folgend) 250

iJ olxia (das H aus. Wohnhaus) 260 Cf!lAOaorpia (Philosophie) 243


ro ov, ra ovra (das Seiende, die Dinge) p , 58, 130 Cf!lAoaorpia, nqwr17 (erste Philosophie) 64 f., 234
ovrw c; (wahrhaft, w irklich) 39 rpvaf.l (an sich seiend, von Natur aus) 37 f., 39, 250
bqiywµm (verla ngen, begehren, streben) 37f., 39, 132 rd rpvaixa (die natu rwissenschaftlichen Schriften , Physik) 25, 65
iJ bqµij (der Drang, Trieb, Antrieb) l 32f. iJ rpÜalc; (die Natur, das Wirkli che) 39, 84
r o ofJ EVEXO. (der Zweck, Endzweck) 115, 142
1) ovaia (das Wesen, die Substanz) 44, 47, 96, 244 XQOV<p (mit der Zeit, allmähli ch) 250
ovaia, nqwn7 (erstes Wesen, erstes Sein) 23, 44, 128, 234 xw12ic; (getrennt, abgesondert) 45, 47, 53 f.
ovaia, of.vuqa (zweites Wesen, zweites Sein) 52 f., 54, 60, 64f., 66, 247, b XWQWµoc; (die Trennung) 44, 159, 250
251
ro 1pcvooc; (die Lüge, Täuschung) 220
nac;, naaa, na11, pi. navuc; (alle, j eder) 37f.
r o näqaq (die Grenze, das Ende) ro5
l!OlElV (machen) l 45 , 268

308 309
2. PERSONE N Brecht, Bertolt 168 f. , 1 82 , 184, Frank, Manfred 288
275.f, 278 Freud, Sigmund 183 , 209, 285f
Das Register ersch ließt, abgesehen von dem auf jeder Seite gegenwärti- Brentano, Franz 64 Frings, Manfred S. 235f, 249
gen Namen Adornos, die im Text der Vorlesungen sowie in den Anmer- ßrunner, Emil 190, 28.1
kungen und in der N achbemerkung des Herausgebers vorkonm1enden Buber, M artin 168 Gadam er, H ans-Georg 244
Personennamen. Seitenzahlen in Geradschrift beziehen sich auf die Vorle- Buchenau , Artur 245 Gebauer, Michael 30 0
sungen , ku rsi1' gesetzte Zahlen auf die Anmerkungen un d das Nachwort. Buck- Morss, Susan 229 Gehlen, Arnold z83
Indirekte Erwähnungen sind ohne bes ondere Kennzeichnung aufgenom- Bultmann, Rudolf 280 Gekle, Hanna 264
men worden. Gerdes , Hayo 291
C arvallo, Hector 230 Glockner, H ermann 240, 250
Adam , C harles 245 Beckett, Samuel 178, 184, 194[, Cassirer, Ernst 271 Goebel, Eckart 278
Adler, H[ans] G (Lintherj 194 , 211 f., 278, 282, 287 C hrist, Wilhelm 23 0 Gödde, Christoph 2 29
282 Beethoven, Ludwig van 229 C hurchill, Winston r ro Goethe, Johann Wolfgang von
Adorno, Grete! 22 9 Bekker, Immanuel 230 C larac, Pierre 286 3 1 f., 139, 241 , 267, 269, 282f
Albrecht, R enate J.81 Bender, H ans 232 Colli, Gi orgio 231 Gogarten, Friedrich 190, 281
Alexander der Große l 46 Benjamin, Walter 208 , 253, 276, C omte, Auguste 15 f„ 233 Gohlke, Paul 23 9, 242, 244 , 251, 267
Am ery,J ean 166 , 170, 274 , 276.f 289, 3 00 Cornelius, H ans 248, 256( Granzow, Brigitte 278
Anaxagoras 144 Benn, Gottfried 2 12 Couton, Georges 263 Grassi, Ern esto 230
Anaximandros 91 , 11 7 , 257, 260, Berg, Alban 224, 248j C urtius, Lu dwig 261 Gumnior, H eilmut 279
262 Bergson, H enri 246
Andronikos von Rhodos 25 Berkeley, George r 3 Demokrit[os) 2 1 f. Haag, Karl Heinz 62 , 248, 251
Angehrn , Emil 24 1 Beutler, Ernst 241 Descartes, R en e 47 f., 9 5, 114, H aben nas,Ji.irgen 288
Angelus Silesius Qoha nn Scheill er] Bims, H en drik 267 1 16, 13 2, 216, 240, 244.f H artmann, Eduard von 237
158 Blaschke, Friedr ich 233 Diels, H ermann 257, 268 H auser, Arnold z47
Anselm von Canterbnry 142 Blei, Fra nz 248 Dietschy, Beat 264 H egel, G eorg W ilh elm Friedrich
Antisthenes 29, 239, 269 Bloch , Ernst 2 06, 233, 263. f, Dirlm eier, Franz 254 14, 4 1, 4 8 f., 52 , 65, 69, 77 , 80,
Arendt, Hannah l So, 278 285 D uns Scotus, Johannes 20 83, 103 , 11 2, 120, 122, 12 4 , 126,

Aristoteles 12 f., 14, 17. 19, 25f. , Blumenstock, Konrad 245 129 , 13 1 f. , 133 , 137, 141, 146,
27f., 3 1f. , 34- 155, r6of., 202, Böhm, Franz 284 Ebner, Ferdinmd 190, 281 148, 152 , 15 6, 158, 164, 170,
230, 233f, 235j, 2 37, 239-270, Böhme, Jakob 288 Eichmann, Adolf 278 172, 191 f. , 2 10, 221 f., 22 4 , 229,
298f, 300, 3 02 Boethius, Anicius Manli us Seve- Empedokles 269 232, 235 , 238, 246, 248, 252, 25./,
Augustinus, Aurelius 123, 263 rinus 261 Epikur 153, 271f , 290 259, 265f' 268(, 27 1.f, 276, 289f,
Avice nna [Ibn Sina) 233 Bollnow, Otto Friedrich r So, 2 1 8, Erdmann, Johann Eduard 240 291, 295.f, 299
278 Euklid 261 H eidegger, Martin 26, 34, 36- 39,
Bachofen, Johann Jakob 12 4 Bolzano, Bernard 64 92, 137 , 1 59 , 167, 175, i99,
Bacon, Francis 216 Bonin , Werner 232 Fechner, Gustav Theodor 237 202 f. , 204, 2 08, 23~( , 238, 241.f,
Bah r, H ermann 24 8 Bonitz, H erm ann 230, 235 , 244, Ferre, Andre 286 243f' 267, 274, 280, 283.f, 289,
Barth, Karl I 90, 28 1 267, 270 Feuerbach, Ludwig 149 295. 299
Beck, M aximilian 11 2-r 14 Bradley, Francis Herbert 254 France, Anatole 211 H eimsoeth, Heinz 232

3 I0 JI I
Helvetius, C laude Adrien 206, 285 263, 270, 280, 282, 288f , 290, 295, Montinari, Mazzino 231 Rösch , Erich 263
Heraklit [Herakleitos] 28 f„ 99, 297j' 300, 3 02 Mure, Geoffrey Reginald Gilchrist Rousseau, Jean-Jacques 274
13 8, 239, 298 K.ierkegaard, S0ren 190 f„ 281, 80, 255
Hesiod[os] 65 29oj , 295 Saint-Simon, C laude Henri de 1 5
H eym, Georg 287 Kleist, Heinrich von 280 Newton, Isaa c r 30 Sartre, Jean-Paul 159 f., 163, 171,
Hippolyt[us] von R om 271 Köhler, Wolfgang 23, 237 Nietzsche, Friedrich 1of. , 12, 185, 173, 277, 289
Hitler, Adolf lIO, 181, 199 Kogon, Eu gen 170, 195, 276, 282 231, 285 Seheier, Max 23, 63, 72, 85, 235j,
Höffe, Otfried 233 Kopernikus, N ikolaus 104, 259, Nohl, H erman 222, 289 248f' 250, 253, 256, 264
Hofmannsthal, Hugo von 193, 290 Schelling, Friedrich Wilhelm Jo-
281, 297 Koyre , Alexandre 47, 244 Oehler, Klaus 244, 258 seph von 23 , 100, 132, 152, 202,
Horkheimer, Max 169, 195 f., 229, Kranz, Walther 257, 268 Otto, Rudolf 279 216, 236, 2j8_f, 283, 288
23 1, 233, 248, 267, 269, 279f, Kraus, Karl 193 Ovid [Publius Ovidius Naso] 122, Schering, Emil 283
281 f, 283f , 285, 295, 3oof Krieck, Ernst 204, 283f 263 Schillemeit, Jost 283
Hüni, H einrich 237 Kron er, Richard 259, 261 Schmid No err, Gunzelin 231, 300
Humboldt, Wilhelm von 193 Parmenides 28 f„ 30, 143 f. , 24of, Schmidt, Alfred 231
Hume, David 5of., 97, 246 Lassan, Adolf 244 268, 298_{ Schalem, Gershom 253, 287j
Husserl, Edmund 45, 48 , 63 f„ Leibniz, Gottfried Wilhelm 12 f„ Pascal, Blaise 256 Schopenhauer, Arthur 115 , 163 f. ,
71 f„ 85, 113, 150, 244 , 248f , 18, 95, l 52, 164 Platon II, 13 f„ 28-33, 35 f„ 39, 205, 264, 273 , 284 , 291
250, 253f, 256, 27of, 271 Lessi ng, Gotthold Ephraim 152, 41f., 43f., 45f„ 49, 53f., 55f., Schröder, Thomas 229
271, 280 57f., 6of., 64, 69 , 74f., 76, 82f., Schröter, Manfred 236, 258
Iber, Christian 240{ Leukipp[os) 21 f. 84f., 88 f., 90, 96f., 98 f„ 105, Schultz, Kla us 229
Lincoln, Abraham 11 112, 114, ll \), 128, 137, 14 1f. , Schwanz, Eduard 261
Jacobi, Friedrich H einrich 148, Lipp e, Rudolf zur 231, 300 143 , 146, 153, 155, 15 8, 160, Schwarz, Franz F. 244
269 Locke, John 29f„ 164, 240 239f, 24 1, 243, 245, 249, 25 1, Schweppenhäuser, H ermann 191 ,
Jaspers , Karl 203, 289 Löhneysen, Wolfgang von 264 255j' 269, 298f' 301 253, 281
Joel, Karl 261 Lonitz, H enri 249 Praechter, Karl 234 Seid!, Horst 230
Jonas, Hans 235 Latze, Hermann 237 Proklos Diadochos 234 Semerau, Alfred 274
Juan de la Cruz 218 Luria, Isaak 288 Prou dhon, Pi erre-Joseph 252 Simplikios 234
Jürss, Fritz 272 Proust, Marcel 2uf„ 218 , 223, Sokrates 19, 33, 38, 143, 239, 243,
Justinian !. 234 Mach , Ernst 97 286f' 288 24 6
Marcks, Gerhard 269 Spengler, Oswald 105f. , 175, 26of
Kafka, Franz r8 9, 202, 212, 280 , Marcuse, H erbert 284 Ralfs, Günter 25 0 Spinoza, Baruch de 47, 9 5, 235,
283, 287 Markion 23, 235 Rechel- Mertens, Eva 287 245
Kant, Immanuel rof., r 8f., 23, 25, Marx, Karl 18 5, 221, 237, 252 Reinhardt, Karl 268 Stalin,Jossif Wissarionowitsch 110
36, 4T , 46f. , 48, 50, 54f., 60, 72, Mehlis, Georg 261 Rilla , Paul 271 Steiner, H erbert 281
82, 87 , 9o f., 93, 99, ro3f., l r4f., Mensching, Günther 258, 285 Ritter, Henning 274 Strindberg, August 198, 283
rr Sf. , 126, 130, 135, 172, 178, Mich el, Karl Markus 232 Ritter, Joa chim 268 Ströker, Elisabeth 250
181 , l~J7, 219, 223, 229, 231, 237, Mol denhauer, Eva 232 Rolfes , E u gen 244f, 247
240, 242, 246f' 254f' 256f' 258f' M oliere, Jean-Baptiste 123 , 263 R orty, Richard 300 Tannery, Paul 245

312 313
Tautmann, Rene 281 Voltaire [Frarn;:ois-Marie Arouet] Übersicht
Thales 65 f. 164f., 273f
Theunissen, Michael 241
Thomas von Aquin 12 , 17, 20, Waugh , Evelyn 202 , 283 Begriff der Metaphysik
114, 163, 258 Weber, Alfred 61, 247f
Tiedemann, Rolf 229, 233, 237, Weischedel, Wilhelm 242, 258 1. Vorlesung: WAS IST METAPHYSIK? 9
253 , 277, 287, 289 Wellmann, Eduard 230
Tillich, Paul 28of, 298 Wiese, Leopold von 247 M etaphysik als Ärgernis der Philosophie 9 - Gegenstand der
Trier, Erich 281 Wittgenstein, Ludwig 301 Metaphysik unb estimmt 9 - >Hinterwelt< und Okkultismus 11 -
Troeltsch, Ernst 281 Wolf, Ursula 230 Gegen Faktizität der Wesenheiten 13 - Begriillicher C harakter
TrakJ, Georg 212 Wolff, Christian 1 8 der M etaphysik; Zum Universalienstreit (1) 14-Theologie und
Tugendhat, Ernst 244 Metaphysik in der Geschichtsphilosophie des Positivismus 15 -
Zekl, H ans Günter 266 Zum Verhältnis von Theologie und Metaphysik 16 - Versuch,
Ueberweg, Friedrich 234 Z eller, Eduard 41 , I 26, I 29 , 234, das Absolute aus rein em Denken zu bestimmen; Kritik des Dog-
239, 244f, 24 6{, 247, 251f' 255, matismus und neuer Dogmatismus; Verständigung von Theolo-
Valentinus 235 259.f. 262, 265f' 268, 270, 298 gie und M etaphysik 18 - Zum Universalienstreit (11); Formali-
Verrneer van Delfi:, Jan 286 Zenon von Elea 241 sierung des Begriffs Metaphysik; Leukipp und Demokrit als
>metaphysische Materialisten<20

2. Vorlesung: LEHRE VOM ERSTEN 23

Stichworte: Gnmdwissemc/1qft als Lehre 11om Ersten; Bleibendes


oder Werdendes; Ve(~essen mctc1physischcr Fragen (Krc!ff, Lcbcn , Psy-
clwph)'sischcr Pamllelismus)

3. Vorlesung: GE SCHI CHTE DES BEGRIFFS 25

Stichworte: Bcgrfff<J!Cschichre; tmditionclle Einteilung der Metaphy-


sik; >illduktive Metaphysik<; Wider die Fu11da111entalontolvgie

Zur »M etaphysik« des Aristoteles

4. Vorlesung: PLATON, ARISTOTELES UND HEIDEG GER 28

Zur Platonischen Ideenlehre; das Sinnliche als Nichtseiendes


28 - Lehre von der 1d:iJc.!;ic;; Anerkennung der Empirie beim

314 315
späten Platon 30 - Spannung zwischen TO ov und ra ovra zen- 7 Vorlesung: VERMITTLUNG UND MITTE 68
tral 32 - Ideen als Begriff gewordene Götter; M etaphysik: R e-
flexion des Bruches; Einheit von Kritik und R ettung 33 - Ari- Frage nach dem Ersten 68 - Idealistische Vorentscheidung oder
stoteles' Platon-Kritik; >Anstrengung des Denkens, zu erretten, Misere de la philosophie 69 - Ideologieproblem und Wahrheits-
was es auflöst<; Kants Stellung zu Platon und Aristoteles 3 5 - Re- gehalt 70 - Zeitkern der Wahrh eit 72 - Vermittlungsproblem
pristination des Aristoteles durch H eidegger; Zum Anfangssatz ungelöst 73 - Form und Stoff(!); Vermittlung und >rechte Mitte<
der Aristotelischen »Metaphysik« (!) 36 - Zum Anfangssatz der 74 -Antike ohne Subjektivität 76- Subjektivität und Dialektik;
Aristotelischen »Metaphysik« (II) 38 - Zur Aristotelischen Em- Idealismus malgre lui-meme; Fo rm und Stoff (II) 78 - Hegel
pirie 39 und Aristoteles 80

5. Vorlesung: ALLGEMEINES UND EINZELNES 41 8. Vorlesimg: LEHRE VOM UNVERÄNDERLICHEN Sr

Hauptgedankengänge der »M etaphysik« des Aristoteles, nach Kritik und Rettung 81 - Sinnliches bei Platon und Aristoteles
Zeller; >Wissensc haft von den ersten Prinzipien und Ursachen<; 82 - Sinnliche Apriorien der Erkenntnis 84 - Fo rm vermittelt
Einzelnes und Allgemeines (!) 41 - Einzelnes und AJlgemeines durch Inhalt 85 - Abstraktion verkannt 87 - Veränderung, Wer-
(II); Aristoteles' Stellung zum Nominalismus 42 - AJlgemeines den, Dynamik; Verfoderung relativ auf Unveränderliches; Un-
im Besonderen ; Gegen XW{}taµ6,; Aristoteles und Husserl 44 - terwegs zur Dialektik 89 - Ausfall des Unendlichen 90 - Zur
Kritik der Ideenlehre; Parallelität von Platon und Kantischem Lehre vom Unveränderlichen 92 - Vorbli ck auf Substanz und
Sittengesetz 45 - Zur Substantialität des Einzelnen; Zum Un- Akzidenz 93
mittelbaren 47 - Substanz und Unmittelbarkeit: Aristoteles,
Hume, Kant 49 - Unmittelbarkeit und Vermittlung bei Aristo-
teles und Hegel; Lehre von den OEVU(]at ovaiat 51 9· Vorlesung: FORM UND STOFF 95

Substrat und Eigenschaft , Stoff und Gestalt; Form und Stoff: das
6. Vorlesuri..<?: GE NESIS UND G ELTUNG 54 Wirkliche und das M ögliche 95 - Zum Aristotelischen Idealis-
mus; Veränderung: Verwirklichung der Form 97 - Zum Begriff
Begriff und Seiendes , Eines und Vieles, >Einheit in der M annig- des dA.o,; Materie und Form bei Schelling 99 - Zur Kritik:
faltigkeit< 54 - Ontologie: Vorrang der Form; Form und Stoff; Materie als Substanz 1 oo - Kritik und Wahrheitsgehalt; Wieder-
i:11(;9yow und M1va1u' 56 - Verhältnis zur Geschi chte: Nähe kehr der Probleme IOI - R ealgrund der Synthesis rn3 - Stoff als
und Distanz 59- Wirklichkeit und M öglichkeit vertauscht; No- l!QW'CYf i5A.rt !04 - Materie, Begriff des Nichtbegriffiichen; Me-
minalismus und Realismus bei Aristoteles 60 - Für uns und an taphysik: D enken ins Offene rn6
sich; Geschäftsordnung der Wahrheit; Scholastische Tradition
bei Scheler und Husserl 62 - Primat des Ersten und Ältesten ;
Unb ewegter ß eweger; Zum Gedanken der Vermittlung 64 10. Vorlesung: PROBLEM DER VERMITTLUNG 109

Vermittlunsproblem zentral !09 - Ewigkeit der Form und Kon-


stanz des Begriffs 1 IO - Ontologisches Prius der Abstraktion;
Maximilian Becks >Unsterblichkeit der Seel e< r 12 - Unsterb-

316 317
lichkeitsanspruch der Religion und H ypostasis des Begriffs Metaphysik nach Auschwitz
114 - Die vier Ursachen 115 - Möglichkeit begriffiich vermit-
telt I 16 - Kausalität: Säkularisierung der avayx17 ; Naturkausali- Gegenpunkt: Wie Metaphysik heute und hier sich darstellt
tät und Zufall 117 - >Kausalität aus Freiheit<; M etaphysik als 154 - Metaphysik: Hypostasis der Logik; Denken und Sein
Strukturzusammenhang 119 155 - Metaphysische Erfahrung heute; Unveränderliches und
Vergängliches; Relevanz des Innerweltlichen in der M ystik
157 - Auschwitz veränderte den Begriff der Metaphysik r 59
11. Vorlesung: BEWEGUNG, VERÄNDERUNG I22

Negativität des Stoffe s, ein Aristotelischer Topos J 22 - Latente 14. Vorlesung: ZuR LIQUIDATION DES lcHs 16r
Dialektik von Erstarrung und Entwicklung 123 - Stoff als prin-
cipium individuationis; Allgemeines als Gutes; Begriff des Affirmativer Charakter der Metaphysik, Hohn auf die Opfer
Nichtbegrifflichen 125 - D er verborgene objektive Idealismus 161 - Behauptung von Sinn als Ideologie; Schopenhauer und
127 - >Wie Veränderung möglich sei< 128 - Be,vegung als Wirk- die Vern einung des Willens zum Leben 162 - Auf dem Weg zur
lichwerden des Möglichen 129 - Bewegendes und bewegtes realen Hölle 164-Alter und Tod keine Invarianten 165 -Tod in
Prinzip; Leib-Seele-Dualismus 131 - Bewegung: Berührung »Sein und Zeit«; Absolute Anpassung 167 - Liquidation des Ichs
von Form und Stoff I 33 und Schuld der Selbsterhaltung 168 - Fungibilität des Einzel-
nen, Gleichgültiges als >Sinn< 170 -Lyrik nach Auschwitz 172

12. Vorlesung: DER UNBEWEGTE BEWEGER 135


15. Vorlesung: M ETAPHYSIK UND MATERIALISMUS 17 5
C hangieren zwischen Hylozoismus und Begrifflichkeit J 35 -
Lehre von der Ewigkeit der Bewegung; Ontologisierung der Zur Kritik des Stoizismus; Subjekt im Schuldzusammenhang
Veränderung; >G eschichtlichkeit< 137 - Bewegung und unbe- 17 5 - Philosophie und >C omment c' est<; Oberthche und Tie!e
wegter Beweger 138 - Begriffiiche Reprise der Theologi e 140 - 177 - Positivistische Registri erung und spekulative Elevation
Affirmativer Zug der Metaphysik; Vorform des ontologisc hen 179 - N eue r kategorischer Imperativ; Das Hinzutretende 181 -
Go ttesb eweises; Eines und Einheit 141 -M onotheistische Ten- Aas, Gestank und Fäulnis 182 - Mißlingen der Kultur 184- Wi-
denz; Idealismus und voii<;; voii<; und Subjektivität 143 -Tätig- der die auferstandene Kultur 186
keit Gottes: Denken; Aristotel es' Theo rie begriff 144 - Theorie
und Praxis; Zur Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit
145 16. Vorlesung: BEWUSSTSEIN DER N EGATIVITÄT I88

Bewußtsein des Absoluten und Absolutes selber 188 - Zur dia-


13. Vorlesung: ATHEN UND A USCHWITZ 147 lektischen Theologie 189 - >Hohe Worte< als Deckbilder des
Schlechten; Schicksal der Sprache als Schi cksal der Sachen i 92 -
Su bjektiver Idealismus und statische Ontologie 147 - Selbstb e-- >Wenn Beckett im Lager gewesen w äre<; Denken des Äußersten
trachtung Gottes und tautologisc he Erkenntnis 148 - Modell 193 - Tun und R eflexion 197 - Gegen Destruktion der Kultur
der Selbstreflexion; >Preisgabe< der Welt; Teleologie r 50 - >Alles 198
einS< 151 - Unterwegs zu r hellenistischen Aufklärung r 52

318 319
17 Vorlesung: STERBEN HEUTE 20 1

Kultur und Natur 201 - Tod als Einfallstor zur Metaphysik; Zu


H eideggers Todesmetaphysik 202 - Bewußtsein der Sterblich-
keit; Potential unverwirklicht 204 - Zeit; >Ganzheit des Daseins<
207 - Kontingenz des Todes und H offnung 2 09 - Bergottes Tod,
Becketts N ichts; Zur Idee der Unsterblichkeit 2 1 l - Hamlet und
Sterben heute 212

18. Vorlesung: M ETAPHYSISCHE ERFAHRUNG 214

Pro domo 2 1 4 - Mystische Erfahrung kein U rerlebnis 2 15 -


Tradition und Aktualität in der Erkenntnis 2 16 - Glück im Na-
m en 218 - Von der Fehlbarkeit der metaphysischen Erfahrung
21 9- Verdingli chung 220 - Vorrang des Objekts 221 - Vergebli-
ches Warten 223 - Verhältnis zu Hegel; N egation der Nega tion
kein Positives 224

Anmerkungen des H erausgebers 227


Nachbemerku ng des Herausgebers 293

R egister 305
r. Griechische W örter 307
2. Personen 3 10

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