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4 Psychische Störungen nach Unfällen*

Unfälle verletzen nicht nur den Körper, sondern wirken sich auch auf die Psyche
aus. Die sowohl quantitativ als auch qualitativ zunehmende Bedeutung dieser Ge-
sundheitsschäden hat die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung im August 2008
veranlasst, „Empfehlungen zur Prävention und Rehabilitation von psychischen
Störungen nach Arbeitsunfällen“ zu veröffentlichen. Unter anderem wird im Kapi-
tel „Begutachtung“ auf Besonderheiten bei psychischen Störungen, wesentliche
Zuständigkeiten und Aufgaben des Gutachters sowie maßgebliche Beurteilungskri-
terien und MdE-Aspekte eingegangen. Im Internet stehen die Empfehlungen voll-
ständig und kostenfrei zur Verfügung (Broschürenversand: info@dguv.de).

4.1 Besonderheiten der Begutachtung psychoreaktiver Verhaltens-


weisen

Die gutachtliche Würdigung geistig-seelischer Erlebens- und Wirkungsvorgänge als


Grundlage von Leistungsentscheidungen richtet sich nach den allgemeinen rechtli-
chen Beurteilungskriterien und verfahrensmäßig-methodischen Begutachtungsre-
geln. Diese Maßstäbe sind auch vom Gutachter zu beachten, wie u.a. bei medizi-
nisch-wissenschaftlichen Erkenntnisproblemen (z. B. Objektivierbarkeit eines sub-
jektiven Beschwerdebildes) oder abweichenden ärztlichen Begriffsverständnissen
(z. B. Kausalität). Bei den Krankheitsbildern im Zusammenhang mit einem trauma-
tischen Ereignis oder einer physischen Erkrankung, wozu auch die psychische Ent-
stehung eigenständiger Organbeschwerden gehört, stehen in der Entschädigungs-
und Begutachtungspraxis die psychischen Reaktionen auf ein äußeres Unfall- bzw.
Verletzungsgeschehen im Vordergrund. Aus dem medizinischen Sachbezug und den
typischen Fallkonstellationen ergeben sich hierfür spezifische Fragestellungen und
besondere Bewertungsstrukturen, die beim Gutachtenauftrag und der Erstattung
des Gutachtens grundsätzlich berücksichtigt werden müssen.
Psychisch-reaktive Verhaltensweisen auf ein äußeres Geschehen sind in folgender
Hinsicht rechtlich bedeutsam und bei der gutachtlichen Beurteilung zu unterschei-
den:
! Der auslösende Vorgang kann eine Körper- bzw. Organverletzung (z.B. Finger-
verletzung an einer Kreissäge) oder ein rein psychisch wirkendes Ereignis (sog.
psychisches Trauma, z. B. Schock durch das Überfahren eines Menschen als Zug-
führer) sein.
! Die „Befindensstörung“ kann unmittelbar mit dem Primärgeschehen (Verlet-
zung) und ihrer emotionalen Verarbeitung verknüpft sein oder erst aus späteren
Wirkungen bzw. neuen Traumatisierungen folgen (als sog. mittelbare Unfallfol-
ge oder Folgeunfall).
* Unter Mitarbeit von Gabriele Schuck, DGUV, Landesverband Nordost, Berlin.

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248 Psychische Störungen nach Unfällen

Die psychische Reaktion auf einen äußeren Vorgang ist rechtlich der sog. haftungs-
ausfüllenden Kausalität zuzuordnen, so dass die eingetretenen psychischen Störun-
gen als Unfall- bzw. Schädigungsfolgen (im Unfallversicherungsrecht bzw. sozialen
Entschädigungsrecht) anzusehen sind. Den „Unfall“ stellt dabei die körperliche
oder psychisch wirkende Schädigung (mit dem sog. Primärschaden, der auch in ei-
nem psychischen Trauma bestehen kann) dar. Außerdem wird als „Gesundheits-
schaden“ nach ständiger Rechtsprechung auch eine Beeinträchtigung im rein psy-
chischen Bereich verstanden. Voraussetzung für eine psychische Störung als „Ge-
sundheitsschaden“ und den dafür erforderlichen Krankheitswert ist, dass neben der
Behandlungsbedürftigkeit und sozialen Auffälligkeiten („regelwidriger Zustand“)
ein nicht unerheblicher Energieaufwand zur Überwindung der Störung erforderlich
und nicht durch einen nur kurzfristigen Erlebnisvorgang gekennzeichnet ist. Insbe-
sondere seelische Belastungen, die zum täglichen Leben gehören, erfüllen nicht
diese Kriterien.
In der Entscheidungspraxis gilt die Grundregel, dass vor allem vor einer Rentenbe-
gutachtung zunächst geeignete Therapieansätze zu prüfen und ggfs. Behandlungs-
maßnahmen zur Beseitigung psychischer Beschwerden durchzuführen sind. Bei der
Begutachtung von psychischen Störungen nach Unfällen haben Auftraggeber und
Gutachter besondere Grundsätze und Einzelkriterien für die (formale) Methodik
der gesamten Begutachtung, die Prüfung der Unfallkausalität sowie für die Ein-
schätzung der MdE zu beachten.

4.2 Begutachtungsmethodik bei psychischen Störungsbildern

Mit der Begutachtung sind Sachverständige zu beauftragen, die die erforderliche


Sachkunde besitzen und denen weitgehende Untersuchungsmöglichkeiten zur Ver-
fügung stehen. Sie müssen neben den sozialrechtlichen Beweismaßstäben und for-
malen Begutachtungsanforderungen insbesondere auch die in der gesetzlichen Un-
fallversicherung geltenden Kriterien einzelner psychischer Störungen kennen. Die
Kompetenz, eine umfassende Beurteilung in dieser schwierigen Materie vorzuneh-
men, ist vor allem von Gutachtern mit besonderer Erfahrung zu erwarten.
Der Gutachtenauftrag ist spezifisch auf die Begutachtung psychischer Störungen als
Reaktion auf einen äußeren Geschehensablauf auszurichten. Es ist Aufgabe des
Sachverständigen, die Vollständigkeit des Auftrags und Sachgerechtigkeit der Be-
weisfragen aus medizinisch-fachlicher Sicht zu prüfen und erforderlichenfalls dem
Auftraggeber Gelegenheit zur Nachbesserung zu geben. Regelmäßig sind folgende
spezielle Kriterien zu beachten:
! Das als Ursache der psychischen Störungen zu beurteilende („angeschuldigte“)
Ereignis sollte im Gutachtenauftrag ausdrücklich angegeben sein oder zumindest
sich aus den übermittelten Begutachtungsunterlagen insgesamt klar ergeben,

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Begutachtungsmethodik bei psychischen Störungsbildern 249

! Der Auftraggeber hat das äußere Gesamtgeschehen des Ereignisses zu ermitteln


und dem Sachverständigen mit entsprechenden Unterlagen (z.B. den Verwal-
tungsakten) bekannt zu geben. Ergänzend zu dieser Feststellung des sog. Aus-
gangssachverhalts obliegt dem Gutachter, weitere Einzelheiten, vor allem gezielt
unter psychiatrisch-gutachtlichen Aspekten, in der Untersuchung und ggf. auch
bei anderen Personen in der Exploration zu erfragen. Maßgebliche Widersprü-
che zu den Ergebnissen des Auftraggebers sind in gutachtlicher Hinsicht zu be-
werten, wobei alternative Beurteilungen und Antworten auf die Gutachtenfragen
in Betracht kommen können.

! Zu den allgemein erforderlichen Unterlagen über maßgebliche Vor- und aktuelle


Erkrankungen gehören auch eigene Feststellungen des Auftraggebers (z.B. im
Beschäftigungsbetrieb), aus denen sich Hinweise zum Persönlichkeitsbild sowie
den allgemeinen Lebensumständen des Betroffenen ergeben.

Organische Beschwerden, die in einem Zusammenhang mit einer psychischen Stö-


rung stehen können, sollten regelmäßig noch vor der psychiatrischen Begutachtung
durch Befunderhebung auf den betreffenden Fachgebieten abgeklärt werden. Dies
gilt sowohl hinsichtlich des als Ursache in Betracht kommenden Verletzungsgesche-
hens als auch der als dessen Folgen zu beurteilende psychische Störungsbilder. Er-
forderliche psychologische Untersuchungen kann der beauftragte (psychiatrische)
Gutachter unmittelbar im Rahmen einer gesamten Befunderhebung veranlassen,
wenn er sie nicht selbst vornehmen kann. Es sind die einzelnen, für das Beschwer-
debild in Betracht kommenden psychischen Störungen abzuhandeln, differenzie-
rend, z. B. auch in ihrem Ausmaß, zu beschrieben und differentialdiagnostisch
konkret festzustellen. Das maßgebliche Ereignis ist auch in Bezug auf das äußere
Gesamtgeschehen zu verdeutlichen und in seiner grundsätzlichen Auswirkung auf
die einzelnen Störungen zu bewerten. Ebenso sind die anderen als Ursachen in Er-
wägung zu ziehenden Umstände Faktoren (Primärpersönlichkeit, Vorerkrankungen
usw.) zu konkretisieren und zu analysieren.

Bei den gutachtlichen Feststellungen und Beurteilungen ist von dem allgemein an-
erkannten wissenschaftlichen Kenntnisstand und dem gesicherten psychiatrisch-
psychologischen Erfahrungswissen auszugehen. Es sind deshalb auch standardisier-
te psychometrische Testverfahren über das psychische Leistungsbild des Betroffenen
einzusetzen.

Das psychiatrische Gutachten ist nach den allgemeinen Regeln abzufassen mit fol-
genden wesentlichen Besonderheiten:

! Bei der Wiedergabe der psychologischen Untersuchungen sind die eingesetzten


Testverfahren und erzielten Testwerte zu beschreiben. Dabei kommt es auch da-
rauf an, dass nicht nur die einzelnen Ergebnisse der Leistungstests angeführt und
beurteilt werden, sondern auch die beobachteten allgemeinen Verhaltensauffäl-
ligkeiten und emotionalen Reaktionen während der Untersuchung.

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! Die eigenen Befundfeststellungen des Gutachters sind von entsprechenden Infor-


mationen des Betroffenen und anderer Personen im Rahmen der Untersuchung
bzw. Exploration sowie den sonstigen Erkenntnissen (z. B. aus in den Verwal-
tungsakten befindlichen Arztberichten) abzugrenzen und jeweils hinsichtlich ih-
rer Bedeutung für die Gutachtenfragen zu bewerten. Ebenso bedarf es einer
deutlichen Unterscheidung zwischen reinen Verdachts- und demgegenüber gesi-
cherten Diagnosen sowie zwischen einer nur möglichen und andererseits hinrei-
chend wahrscheinlichen Verursachung von psychischen Störungen.
! Zur besseren Nachvollziehbarkeit empfiehlt es sich, diagnostische Bezeichnun-
gen und sonstige medizinisch-fachliche Ausdrücke gemäß der allgemeinen wis-
senschaftlichen Festlegungen zu verwenden. Vor allem sollten die festgestellten
Störungsbilder nach den verbreiteten Diagnosesystemen, insbesondere ICD 10
und DSM IV sowie unter Verwendung der entsprechenden Schlüssel und Be-
zeichnungen gekennzeichnet werden.

4.3 Prüfkriterien der Unfallkausalität von psychischen Störungen

Die unmittelbare gutachtliche Beurteilung des Ursachenzusammenhangs hat sich


auf jede einzelne psychische Störung zu beziehen, die einen selbständigen bzw. diag-
nostisch gekennzeichneten Gesundheitsschaden darstellt und als Reaktion auf ein
bestimmtes äußeres Geschehen in Betracht kommen kann. Dabei sind jeweils die
systematischen Prüfstufen des Kausalbegriffs der rechtlich wesentlichen Bedingung,
wie er für das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung und der sozialen Entschä-
digung gilt, einzuhalten. Es kommen hierfür folgende wesentliche Arbeitsschritte
und Kriterien in Betracht:
! Es sind die als Unfall- oder Schädigungsfolgen fraglichen psychischen Störungen
sowie die dafür möglichen Ursachen bzw. Bedingungen festzustellen. Neben dem
„angeschuldigten“ äußeren Ereignis sind regelmäßig die allgemeine Persönlich-
keitsstruktur, das allgemeine Befinden und die aktuellen Lebensverhältnisse so-
wie evtl. Vorerkrankungen oder psychische Anlagen zu beschreiben. Entspre-
chend den allgemeinen Grundsätzen können die Störungen und Kausalfaktoren
nur in so weit in die weitere Beurteilung einbezogen werden, als sie gesichert
bzw. objektiviert sind (mit sog. Vollbeweis).
! Im Rahmen der Prüfung der Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen
Sinn (erste Prüfstufe) ist grundsätzlich zu diskutieren, ob das äußere Geschehen
und andere in Betracht zu ziehende Umstände – nach aktuellen medizinisch-
wissenschaftlichen Erkenntnissen und allgemeinem ärztlichen Erfahrungswissen
– generell geeignet sind, die einzelne psychische Störung zu verursachen. Proble-
matisch dürfte der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand sein, da er einer
steten Entwicklung unterliegt. Zur Klärung sind einschlägige Fachbücher und
Standardwerke, aktuelle Veröffentlichungen sowie die Leitlinien der Arbeitsge-

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meinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften heranzuzie-


hen. Dieser wissenschaftliche Erkenntnisstand ist die Basis für die Einschätzung
des Sachverständigen, von der er nur wissenschaftlich begründet abweichen darf.
Eine pauschale Bezeichnung als „posttraumatisch“ ersetzt insbesondere nicht die
begründete Feststellung dieser „natürlichen Kausalität“ für das zu beurteilende
Ereignis.
! Die wertende Abwägung mehrerer „natürlicher“ Bedingungen hinsichtlich ihres
kausalen Gewichts für die psychische Störung (zweite Prüfstufe) ist nach den
konkret-individuellen Verhältnissen vorzunehmen. Dabei ist der Betroffene
grundsätzlich mit seiner Persönlichkeitsausprägung und gesundheitlich-seeli-
schen Verfassung geschützt. Deshalb kann die wesentliche Erfolgsbeziehung des
„angeschuldigten“ Ereignisses nicht pauschal mit der Begründung verneint wer-
den, dass eine bestimmte persönlich-seelische Veranlagung oder einschlägige
Vorerkrankung bestanden hat. Ebenso wenig ist unmittelbar entscheidend, dass
der äußere Vorgang im Allgemeinen keine psychischen Auswirkungen zur Folge
hat.
! Die begründete Kausalitätsbeurteilung nach der naturwissenschaftlich-philoso-
phischen Bedingungstheorie und auch nach der Theorie der wesentlichen Bedin-
gungen erfordert neben der Definition der konkreten Gesundheitsstörung die
eindeutige Feststellung der schädigenden Ereignisse, z. B. Sturz vom Gerüst oder
Sprunggelenksbruch oder Behandlungskomplikationen.
Die Unfallkausalität ist prinzipiell nach folgenden rechtlichen Aspekten ausge-
schlossen:
! Die psychische Reaktion stellt ein bewusstes oder bewusstseinsnahes Verhalten
dar, insbesondere wenn sie im Wesentlichen auf Begehrens- oder anderen zweck-
bedingten Vorstellungen beruht. Dasselbe gilt im Allgemeinen, wenn ein solches
Handeln seinerseits eine psychische Grundlage hat, ausgenommen sind die Fälle
mit psychoreaktiven Antriebsmomenten und einer Verselbständigung der finalen
Handlungskräfte.
! Die psychische Störung kann (mutmaßlich) aus eigener Kraft durch eine „zumut-
bare Willensanstrengung“ überwunden werden, so die höchstrichterliche Recht-
sprechung und eine Meinung in der Literatur (aber vor allem gegen kritische
Stimmen aus gutachterlich-psychiatrischer Sicht). Dabei wird die Zumutbarkeit
bejaht, wenn sie ohne gesundheitliches Risiko einer Verschlimmerung individuell
möglich ist.
Für die Bewertung der Persönlichkeits- und Individualfaktoren sowie des äußeren
Ereignisses als rechtlich wesentliche Bedingung für die psychische Störung gelten
folgende Grundsätze:
! Das „normalerweise“ zu erwartende Verhalten (die Reaktion eines „Durch-
schnittsmenschen“) oder die „adäquate Verarbeitung“ eines äußeren Gesche-

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252 Psychische Störungen nach Unfällen

hens stellen kein unmittelbares Beurteilungskriterium dar. Die Kausalität kann


deshalb nicht generell wegen der allgemeinen Wesensart oder mit dem Hinweis
auf eine „Fehlverarbeitung“ oder „abnorme Reaktionsweise“ ausgeschlossen
werden. Eine bestimmte Individualität oder psychische Anlage spielt aber eine
Rolle bei der kausalen Wertung der verschiedenen Umstände, insbesondere ihres
Gewichts gegenüber dem die psychische Störung auslösenden Ereignis.
! Für die Bestimmung des Kausalgewichts des äußeren Ereignisses sind vor allem
folgende Umstände von Bedeutung: Art und Weise des äußeren Ereignisses und
Verletzungshergangs, unmittelbares Verhalten des Betroffenen nach dem Ge-
schehen und die späteren Reaktionen, frühere Verhaltensweisen in entsprechen-
den Situationen, psychische Vorerkrankungen, allgemeine geistig-seelische Ver-
anlagung, vor allem mit einer bestimmten Reaktionsbereitschaft, und das aktu-
elle Befinden sowie die allgemeinen Lebensverhältnisse im Zeitpunkt des Gesche-
hens. Als generelle Richtschnur für die Abwägung gegenüber der Primärpersön-
lichkeit gilt: Je ausgeprägter das beachtliche allgemeine Persönlichkeitsbild ist
und je geringfügiger der betreffende äußere Vorgang sich darstellen, um so eher
kommt dem letzteren Umstand keine wesentliche Bedeutung zu.
Wenn das zu beurteilende Störungsbild bereits vor dem betreffenden Ereignis ma-
nifest war, ist dessen Kausalwirkung unter dem Gesichtspunkt der „Verschlimme-
rung eines vorbestehenden Leidens“ zu prüfen (z.B. Steigerung einer schwach aus-
geprägten Phobie zu einer leicht ansprechbaren Panikbereitschaft). Bei einer länger
andauernden psychischen Störung kann die bisherige Bedingung ihre kausale Be-
deutung verlieren und durch eine andere Ursache ersetzt werden (z.B. durch ein
vorbestehendes Krankheitsbild, sog. Verschiebung der Wesensgrundlage). Beson-
ders für psychische Störungen ist als Gutachtenergebnis möglich und auch entspre-
chend klar festzustellen, dass sich die Kausalitätsfrage, z.B. wegen der unsicheren
Wertigkeit einzelner tatsächlicher Umstände oder einem unzureichendem Wissens-
stand, nicht ausreichend verlässlich beantworten lässt.

4.4 MdE-Maßstäbe für psychische Funktionsbeeinträchtigungen

Die Bemessung der MdE einer psychischen Störung – mit ihren einzelnen Beschwer-
den und verschiedenen Auswirkungen – sollte auf folgender (dokumentierter)
Grundlage vorgenommen werden:
! Es liegen gesicherte (aktuelle) Befunde vor und die damit verbundenen Beein-
trächtigungen sind (voll) bewiesen. Ihre funktionellen Folgen lassen sich hin-
sichtlich Art und Ausmaß konkret bestimmen.

! Das Störungsbild ist diagnostisch differenziert beschrieben und auch nach einem
allgemein anerkannten, wissenschaftlichen Diagnosesystem gekennzeichnet.

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MdE-Maßstäbe für psychische Funktionsbeeinträchtigungen 253

! Die psychische Störung besitzt Krankheitswert und stellt damit einen Gesund-
heitsschaden dar. Außerdem liegen funktionelle (Leistungs-)Einschränkungen
vor, die sich auf das Erwerbsleben auswirken können.
! Die funktionellen Einschränkungen für das Erwerbsleben sind im Einzelnen fest-
gestellt und hinsichtlich ihrer Bedeutung für die individuelle (berufliche) Leis-
tungsfähigkeit insgesamt gewürdigt.

Allgemeiner Maßstab der MdE-Bewertung sind die Person des Betroffenen und
seine spezifischen individuellen Verhältnisse (Konstitution, Lebensumfeld usw.).
Die Belastungsstörungen sind in drei Ebenen aufgeteilt: psychisch-emotionale Be-
einträchtigung, z. B. Ängste und Depressionen, sozial-kommunikative Beeinträchti-
gung, z. B. Verfremdung, Verstimmungszustände und Misstrauen und körperlich-
funktionelle Beeinträchtigung, die sich in Störungsbildern der körperlichen Funk-
tion, die keine organischen Ursachen haben, zeigen, z. B. Lähmungen und chroni-
scher Schmerz. Für jede dieser Ebenen ist eine gesonderte Schweregradeinteilung
vorzunehmen.
Die MdE ist in einer Gesamtwürdigung der einzelnen Beeinträchtigungen einzu-
schätzen, deren Zusammenwirken berücksichtigt und die ganzheitliche Auswirkung
auf die Erwerbsfähigkeit bewertet werden muss. Diese Grundsätze gelten entspre-
chend für die Bildung einer Gesamt-MdE, die nicht in einer Addition der isolierten
MdE-Sätze für verschiedenartige Störungen (z.B. Vermeidungsverhalten und kör-
perliche Beeinträchtigung) bestehen darf. Bei der Bewertung der MdE für eine zu-
rückliegende Zeit oder nach einem längeren Zeitraum ist zu beurteilen, ob sich die
Ursachen der psychischen Störung im zeitlichen Verlauf geändert haben und ganz
oder teilweise durch unfallunabhängige Ursachen ersetzt wurden (sog. Verschie-
bung der Wesensgrundlage). Hieraus kann sich eine stärkere Staffelung der MdE
für die Vergangenheit oder eine erhebliche Verringerung der MdE für die Zukunft
ergeben. Liegt ein unfallunabhängiger psychischer Vorschaden vor, kann sich dieser
im Einzelfall in besonderer Weise auf die zu beurteilenden Störungen auswirken
und zu einer höheren MdE führen. Behandlungserfolge und (nachgewiesenen) funk-
tionellen Verbesserungen, z.B. durch eine Verhaltenstherapie mit Expositionsübun-
gen oder eine zumutbare Medikamenteneinnahme, bestimmen ebensfalls grund-
sätzlich die MdE.

Generell sind noch folgende Maßstäbe und Einzelaspekte bei der individuellen
MdE-Einschätzung zu beachten:

! Die Höhe der MdE bestimmt sich nach dem Ausmaß der Arbeitsmöglichkeiten,
die dem Betroffenen trotz zumutbarem Energieaufwand verschlossen sind (als
alleiniges Kriterium fraglich: Energieaufwand zur Überwindung der psychischen
Störung, um weiterhin erwerbstätig sein zu können).
! Ein nur kurzfristiger Erlebnisvorgang oder die „normale“ Verarbeitung der psy-
chischen Belastung wirkt sich nicht auf die MdE aus.

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254 Psychische Störungen nach Unfällen

! Von Bedeutung ist, ob und in welcher Weise die unmittelbare Funktionsbeein-


trächtigung individuell kompensiert werden kann und die mögliche Kompensa-
tion bzw. das Ausweichverhalten im beruflichen Umfeld akzeptiert wird.
! Die für körperlich-organische Unfallfolgen geltenden Erfahrungswerte umfassen
die regelmäßigen geistig-seelischen Begleiterscheinungen und psychischen
Schmerzempfindungen. Nur die das „übliche“ Maß übersteigenden Störungen
und Funktionsbeeinträchtigungen sind eigenständig zu bewerten.
! Anhaltspunkte für die MdE-Bemessung von psychischen Störungen mit wesent-
lichen körperlichen Auswirkungen bieten die Erfahrungswerte für organische
Gesundheitsschäden.

4.5 MdE-Tabelle für psychische Gesundheitsschäden

Bis zur Entwicklung von differenzierten MdE-Werten, beispielsweise aus begutach-


tungspraktischen Gründen ausgerichtet nach einzelnen klassifizierten Diagnosen,
werden folgende Anhaltswerte für funktionell beschriebene, gesamtheitliche Stö-
rungsbilder vorgeschlagen. Sie orientieren sich an MdE-Sätzen, von denen auch
erfahrene Gutachter ausgehen.

Prozentsatz
Belastungsstörungen mit emotionaler Einschränkung der Erlebnis-
und Gestaltungsfähigkeit
– in geringerem Ausmaß, allgemeiner Leidensdruck, auch mit leichte-
ren vegetativen Beschwerden, ohne wesentliche soziale Anpassungs-
– schwierigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bis 10
– in stärkerem Ausmaß, insbesondere mit sozial-kommunikativer Be-
– einträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 – 20
– in erheblichem Ausmaß, insbesondere mit starker sozial-kommuni-
– kativer Beeinträchtigung, auch angstbestimmten Verhaltensweisen . 20 – 30
– in schwerem Ausmaß, insbesondere mit starker sozial-kommunikati-
ver Beeinträchtigung, Angstzuständen und ausgeprägtem Vermei-
ungsverhalten, Antriebsminderung, vegetativer Übererregtheit (u.U.
– auch mit körperlicher Symptomatik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 – 50

Phobien als wesentliches Störungsbild


– allgemeine Phobie mit Ausrichtung auf unspezifische (auch wechseln-
de) Situationen oder Objekte, insbesondere mit emotionaler Ein-
schränkung und sozial-kommunikativer Beeinträchtigung (vor allem
Vermeidungsverhalten), auch vegetativen Beschwerden und Depres-
– sionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bis 30

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MdE-Tabelle für psychische Gesundheitsschäden 255

– spezifische (isolierte) Phobie mit unmittelbarer Ausrichtung auf we-


– sentliche, konkrete Arbeitssituationen oder berufliche Tätigkeitsfel-
– der (je nach ihrer Bedeutung im Erwerbsleben) . . . . . . . . . . . . . . . . bis 30

Ängste als wesentliches Störungsbild


– generalisierte und anhaltende Angst, insbesondere mit emotionaler
Einschränkung und psychomotorischer Beeinträchtigung, vegetati-
– ven Beschwerden, auch körperlichen Auswirkungen . . . . . . . . . . . . bis 30
– wiederkehrende Angstattacken (Panikanfälle), insbesondere mit star-
ker emotionaler Einschränkung und sozial-kommunikativer Beein-
trächtigung, auch Störung der kognitiven und intellekuellen Leis-
– tungsfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bis 30

Depressionen als wesentliches Störungsbild Prozentsatz


– wiederkehrende (episodische) Verstimmungszustände, insbesondere
mit Antriebsminderung und allgemein verminderter Konzentrations-
– und Belastungsfähigkeit, insgesamt in einem mittleren Ausmaß . . . . bis 20
– wiederkehrende oder anhaltende Verstimmungszustände, insbeson-
dere mit ausgeprägter Antriebsminderung und stark allgemein ver-
minderter Konzentrations- und Belastungsfähigkeit, auch mit Angst-
– anfällen, insgesamt in einem schweren Ausmaß . . . . . . . . . . . . . . . . 20 – 40

Somatoforme Störungsbilder
– körperlich wirkende und auch vegetativ ablaufende emotionale Be-
lastungen, insbesondere mit einem andauernden (und wechselndem)
– Beschwerdebild, insgesamt bis zu einem mittleren Ausmaß . . . . . . . bis 20
– ausgeprägte vegetativ-körperlich wirkende emotionale Belastungen
bei langem Beschwerdeverlauf, insbesondere mit erheblichen körper-
lichen-funktionellen Beeinträchtigungen und chronischen Schmerzen,
auch Störung des Sozialverhaltens, insgesamt in einem schweren
– Ausmaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 – 40

Persönlichkeitsänderungen
– nach Extrembelastung, insbesondere mit erheblichen sozialen Anpas-
sungsschwierigkeiten, Antriebsminderung, Verstimmungszuständen,
– auch körperlich wirkenden Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 – 50
– mit wesentlicher Beeinträchtigung des Sozialverhaltens (bis zur Ent-
fremdung), ausgeprägten Verstimmungszuständen und stärkeren
körperlich wirkenden Beschwerden, insgesamt zentrale Einschrän-
kung der Leistungsfähigkeit (bis zum völligen Abbruch des
– bisherigen Berufslebens) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . über 50

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256 Psychische Störungen nach Unfällen

Die individuelle MdE bestimmt sich nach dem konkreten Vorliegen der jeweils ty-
pischen Beeinträchtigungen, ihres funktionellen Ausmaßes und ihrer Gesamtwir-
kung auf das erwerbsrelevante Leistungsvermögen. Abweichungen von den An-
haltswerten sollten besonders begründet werden.

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