Erfolgreich

investieren
durch Analyse,
Strategie
und Disziplin

Ausschliesslich für Marketingzwecke

 Inhalt

Editorial
3 
Psychologische Anlegerfallen

4 Im Wechselbad der Gefühle

7 W
 arum es nicht leicht ist, diszipliniert zu investieren

11 Wie Erinnerungen uns täuschen

15 Prognosen sind (fast) immer falsch

20 Wie uns die Gegenwart in ihrem Bann hält

Schlussfolgerungen: Anlageerfolg durch Analyse,

25 
Anlagestrategie und viel Umsetzungsdisziplin

30 Literaturverzeichnis

31 Risikohinweise

Erfolgreich investieren durch Analyse,

Strategie und Disziplin

Herausgeber
UBS AG, Chief Investment Office WM
Postfach, CH-8098 Zürich
Projekt-Management
Denise Lorenz
Produkt-Management
Joscelin Tosoni
Redaktion
Viviane Vajda
Pierre Weill
Layout und Gestaltung
Publications Management & Creative Solutions
Sprachen
Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch
Autoren
Daniel Kalt, Andreas Höfert

UBS-Homepage: ubs.com
SAP-Nr. 84188D

Erstmals publiziert im September 2014,

überarbeitet im März 2016.

2 Erfolgreich investieren
Editorial

Christian Wiesendanger
Leiter Wealth Management Schweiz

Liebe Leserin, lieber Leser

Das Anlegen von Vermögenswerten ist eine sehr per-
sönliche Angelegenheit – und obendrein oft mit vielen
Emotionen verbunden. Dabei geht es Ihnen sicherlich
wie mir auch. Wenn die Märkte nach oben tendieren, be­
reitet das Anlegen Freude. Werden die Ausschläge an
den Finanzmärkten hingegen grösser und korrigieren die
Märkte heftig, bereitet der Blick ins Anlageportfolio
beklemmende Gefühle, ja Frust oder gar Stress.
Wir beschreiben in der vorliegenden Broschüre einige
der am weitesten verbreiteten verhaltenspsychologischen
Anlegerfallen:
Um diese Anlegerfallen zu vermeiden, betonen wir in
unseren Gesprächen mit Kundinnen und Kunden immer
wieder, dass es für den Anlageerfolg drei wesentliche
Erfolgsfaktoren braucht: eine nüchterne und fundierte
Analyse der Chancen und Risiken an den Finanzmärkten,
eine passende Anlagestrategie und vor allem viel Disziplin
in der Umsetzung dieser Anlagestrategie. Wer sich dieser
Zusammenhänge bewusst ist und entsprechend die
adäquate Anlagelösung wählt, schafft so die Voraussetzun-
gen für ein langfristig erfolg­reiches Anlegen.
Viel Vergnügen bei der Lektüre.

1. Anlegerinnen und Anleger befinden sich besonders

in stark schwankenden Märkten in einem Wechselbad
der Gefühle und lassen sich bei ­ihren Anlageentschei-
dungen oft durch Emotionen und ihr Bauch­gefühl leiten.
2. E s hat lange gedauert, bis sich die Erkenntnis durchge-
setzt hat, dass der «Homo oeconomicus» kein völlig
rational entscheidendes Wesen ist, weshalb es ihm nicht
leicht fällt, diszipliniert zu investieren.

3. A
 nleger lassen sich oft von ihren Erinnerungen täuschen
und nehmen diese als Ausgangspunkt für zukünftige
Entscheidungen.
4. Auch die Scheingenauigkeit von Prognosen und der
falsche Glaube an die Kontrolle über künftige Ereignisse
tragen zu Fehlentscheidungen bei.
5. Die Macht der Gewohnheit sowie die Angst vor Ver-
änderungen und Verlusten verleiten Anleger oft zu
falschen Entscheidungen.

Erfolgreich investieren 3
 Psychologische Anlegerfallen
Kapitel 1

Im Wechselbad
der Gefühle

4 Erfolgreich investieren
Im Wechselbad
der Gefühle
– Die stark schwankenden Märkte der vergangenen zehn Jahre haben
bei jedem Anleger ein wahres Wechselbad der Gefühle verursacht.
– Das Bauchgefühl ist beim Anlegen nicht der beste Ratgeber.
– Wer sich der irrationalen Verhaltensweisen beim Anlegen bewusst ist,
kann diesen Anlegerfallen durch geeignete Massnahmen entgehen.

Wer sich die Entwicklung des Schweizer Aktienmarktes an-
hand des Swiss Market Index (SMI) über die vergangenen
zehn Jahre vor Augen führt, stellt ein enormes Auf und Ab
fest (siehe Abbildung). 1994 noch bei einem Stand von
2500, kletterte der Schweizer Leitindex im Verlauf des Tele-
kom- und IT-Booms auf 8500, um nach dem Platzen der
Internet-Blase bis ins Jahr 2003 auf etwas über 3500 zu-
rückzufallen. Mit dem Ausbruch des Irak-Krieges kam dann
die Wende an den Aktienmärkten. Getragen durch die
lockere Geldpolitik und den durch exzessive Kreditvergabe
verursachten Immobilienboom in den USA wie auch in
zahlreichen anderen Ländern schwang sich der SMI
im Gleichschritt mit den globalen Aktienmärkten bis 2007
auf einen neuen Höchststand bei rund 9500 Indexpunkten.
Was danach folgte, ist uns unter dem Begriff
«Finanzkrise» noch allzu präsent, ein neuerlicher Absturz
um über 50 Prozent auf gut 4000 Punkte. Seit 2009 haben
wir einen fulminanten Anstieg und eine Verdoppelung auf
rund 8000 Punkte erlebt.

Anleger handeln oft emotional

Swiss Market Index

10000
Euphorie Wahnsinn, der Markt ist fantastisch,
Jetzt kaufe ich, sonst ich kaufe mehr!
verpasse ich alles. Hmm, die Märkte
9000 sehen gut aus.
???
Bedenken
Aufregung
8000
Ablehnung
Hmm, die Märkte sehen
gut aus. Angst Optimismus
7000
Nervenkitzel WOW, was für ein
gutes Investment. Hoffnung Erleichterung

Optimismus Panik
6000
Das ist nur eine vorübergehende
Korrektur, ich halte durch.
Depression
Kapitulation
5000

Niedergeschlagenheit Vielleicht sind die Märkte

4000 einfach nichts für mich…

Nicht auszuhalten, ich verkaufe!

3000
2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Erfolgreich investieren 5
 In diesen stark schwankenden Märkten
der letzten zehn Jahre durchlief wohl
jeder Anleger ein wahres Wechselbad
der Gefühle.

Und leider stellt sich dabei auch immer

wieder heraus, dass das Bauchgefühl
beim Anlegen nicht der beste Ratgeber
ist.

In diesen stark schwankenden Märkten der letzten zehn
Jahre durchlief wohl jeder Anleger ein wahres Wechselbad
der Gefühle. Diese reichen von Optimismus über Euphorie
in den Haussephasen von 1996 bis 2000 oder von 2004 bis
2007 bis hin zu Angst, Panik und Niedergeschlagenheit
während der akutesten Phase der jüngsten Finanzmarktkri-
se von Herbst 2008 bis Frühjahr 2009.
Wir stellen immer wieder fest, dass sich Anleger stark von
Emotionen leiten lassen. Und leider stellt sich dabei auch
immer wieder heraus, dass das Bauch­gefühl beim Anlegen
nicht der beste Ratgeber ist. Im Gegenteil: Emo­tional
getriebene Anleger neigen oft zu Fehlentscheiden oder gar
völlig irratio­nalen Verhaltensmustern.
Im Folgenden gehen wir auf die wichtigsten dieser Verhal-
tensmuster näher ein. Wir werden dabei sehen, dass
wir Menschen kognitiven Verzerrungen unterliegen, weil
wir im Prinzip ständig zwischen zwei verschiedenen Ent-
scheidungssystemen schwanken: einem schnellen,
intuitiven Handeln und einem langsamen, sehr bewussten
Entscheidungsprozess. Zudem zeigen wir auf, dass Men-
schen dazu neigen, Dinge schönzureden. So schreiben viele
Menschen (Anlage-)Erfolge ihrem Können, (Anlage-)Miss-
erfolge jedoch dem Zufall oder äusseren Umständen zu.
Wer sich psychologischer Anlegerfallen bewusst ist, dürfte
eher in der Lage sein, Fehlentscheide durch geeignete
Massnahmen zu vermeiden, und so langfristig bessere An-
lageresultate erzielen.

Diese Tatsache wurde in der wirtschaftswissenschaft­lichen

Forschung lange Zeit ignoriert und die ökonomischen
Modellansätze zur Erklärung der Finanzmärkte und ihrer
Entscheidungsträger gingen lange von völlig rational
und gefühllos entscheidenden Investoren aus. Erst ab Mitte
der 1970er Jahre verschaffte sich eine neue wissenschaft-
liche Strömung Gehör. Unter dem Begriff «Behavioral
Finance» (Verhaltensökonomik der Finanzmärkte) began-
nen Wirtschaftswissenschafter und Psychologen auch Er-
kenntnisse aus der Psychologie und den Neurowissenschaf-
ten in die Erklärungsansätze der Verhaltensweise von
Finanzmarktteilnehmern einzubauen.

Dieses Forschungsfeld förderte durch gezielte Experimente

eine Vielzahl von teilweise krassen, irrationalen Verhal-
tensmustern zu Tage, die sich nur mit psychologischen
Ansätzen, nicht jedoch mit dem klassischen Modell des
rationalen «Homo oeconomicus», erklären liessen.

6 Erfolgreich investieren
Psychologische Anlegerfallen
Kapitel 2

Warum es
nicht leicht ist,
diszipliniert
zu investieren

Erfolgreich investieren 7
 Warum es nicht
leicht ist, diszipli-
niert zu investieren
– Die Forschung bestätigt, dass sich Menschen nicht völlig rational verhalten.
– Menschen haben Schwierigkeiten, wahrscheinliche wie auch unwahrscheinliche
Ereignisse richtig einzuschätzen.
– Der Eindruck, dass ein Ereignis umso wahrscheinlicher eintrete, je öfter es in der
Vergangenheit wahrgenommen wurde, führt immer wieder zu Fehlentscheidungen.
Wenn Sie sehr oft reisen und deshalb sehr viel
Zeit in Flughäfen verbringen, werden Sie sicherlich in den
dortigen Buchhandlungen die vielen Finanzbücher bemerkt
haben. Hier reihen sich Ratgeber an Ratgeber, wie man
zum erfolgreichen Investor wird, wie man innerhalb kürzes-
ter Zeit sein Anlagevermögen verdoppelt, verdreifacht oder
verzehnfacht, wie man an der Börse immer fehlerlos ge-
winnt und wie man von der nächsten Rally oder vom
nächsten Crash profitieren kann.
Es fragt sich, wer solche Bücher überhaupt liest, aber noch
mehr wundert man sich, wer solche Bücher überhaupt
schreibt. Haben denn erfolgreiche Investoren nichts ande-
res zu tun, als Bücher für die Flughafen­kiosks zu verfassen?
Oder sind sie vielleicht doch nicht so erfolgreich, so dass sie
ihr Geld mit Schriftstellerei verdienen müssen?
Wohlgemerkt, unter den – wenigen – wohlhabenden
Ökonomen gibt es deutlich mehr, die ihr Vermögen mit
Bücherschreiben verdient haben als durch erfolgreiches In-
vestieren. Unmittelbar fallen einem nur zwei wirklich nam-
hafte Ökonomen ein, die auch an der Börse begabt waren:
David Ricardo (1772–1823) und John Maynard Keynes
(1883–1946).
An der Disziplin hapert es aber meistens,
weshalb sehr viele Anleger nur
unterdurchschnittlich Erfolg haben.
8 Erfolgreich investieren
Beide schrieben auch Bücher, jedoch nicht über ihre Erfolge
als Investoren, sondern makroökonomische und fiskalpoliti-
sche Traktate.
Es gibt drei Eigenschaften, die unseres Erachtens einen er-
folgreichen Investor charakterisieren. Erstens muss man
eine klare Investitionsstrategie verfolgen, die auf den indivi-
duellen Bedürfnissen und Rahmenbedingungen, den
Zielen, die man erreichen möchte, sowie dem Risiko, das
man tatsächlich verkraften kann, beruhen. Zweitens
braucht der Anleger eine systematische Analyse der Finanz-
märkte, um Anlageopportunitäten aber auch Risiken zu
identifizieren.
Drittens schliesslich – und das ist unseres Erachtens der ent-
scheidende Punkt – muss man die Disziplin haben, die ein-
mal festgelegte Anlagestrategie konsequent umzusetzen.
Denn letzten Endes garantiert nur die disziplinierte Umset-
zung einer vorgegebenen Anlagestrategie auf lange Frist
den Anlageerfolg.
An der Disziplin hapert es aber meistens, weshalb sehr viele
Anleger nur unterdurchschnittlich Erfolg haben. Warum
ist das so? Die ökonomische Theorie geht davon aus, dass
der Mensch rational ist und entsprechend handelt. Gemäss
dem Modell des Homo oeconomicus laufen wir alle als
ökonometrisch gewiefte Computer durch die Gegend und
fällen unsere Entscheide ausschliesslich mit Kosten-Nut-
zen-Analysen. Diese beruhen gemäss diesem Modell auf
optimaler Verwendung der verfügbaren Information und
mit vollkommenem Verständnis für Statistik und dement-
sprechend optimaler Wahrscheinlichkeitsgewichtung von
Risiken und Erträgen.
«Buy high – sell low» … am Beispiel
der Korrektur vom Sommer 2011
Swiss Market Index (SMI), Nettoaktienkäufe/-verkäufe
von UBS WM Anlagekunden
9000
8500
8000
7500
7000
6500
6000
5500
5000
2011 2012 2013
Netto-Aktien-Zu-/Abflüsse UBS WM Anlagekunden SMI
Quelle: Reuters Ecowin, UBS Client Analysts
Natürlich werden sich die meisten von uns nicht in dieser
Karikatur wieder­erkennen. Viele unserer Entscheide wer-
den von Emotionen und Stimmungen beeinflusst und nicht
unbedingt rational gefällt. Wir denken, dass wir emotions-
los entscheiden können, wenn es hart auf hart kommt.
Dass dem leider nicht so ist, haben Psychologen schon in
den 1960er Jahren gezeigt, indem sie mit einfachen Experi-
menten aufzeigten, dass Menschen die Tendenz haben,
systematisch Fehlentscheidungen zu fällen und der kogniti-
ven Verzerrung unterliegen.
Gemäss diesen Erkenntnissen, insbesondere denjenigen
der Forschung von Daniel Kahneman und Amos Tversky
(Kahneman gewann den Nobelpreis in Ökonomie 2002,
Tversky war damals leider schon verstorben, sonst hätte er
ihn mit Kahneman geteilt), gibt es im Prinzip zwei Mecha-
nismen, die für unsere Entscheidungen verantwortlich sind.
Der erste Mechanismus, den Daniel Kahneman als System
1 definiert, ist derjenige des schnellen, intuitiven Denkens,
wo unsere Entscheidungen getroffen werden, bevor unser
Bewusstsein überhaupt wahrnimmt, dass wir sie getroffen
haben. Der zweite Denkmechanismus (System 2) ist viel
langsamer, braucht viel Energie und wird deshalb meistens
nur bewusst eingesetzt, wenn komplexe Probleme vorhan-
den sind. Warum haben wir überhaupt solch ein zweige-
teiltes Entscheidungssystem?
Stellen Sie sich vor, Sie würden vor 80000 Jahren durch
die Savanne wandern. Plötzlich hören Sie ein Rascheln im
hohen Gras. Mit dem System 2, dem rationalen System,
werden Sie abwägen, ob es sich dabei um einen Säbel-
zahntiger handelt oder nicht. Damit verlieren Sie aber den
wichtigen Vorsprung, den Sie brauchen würden, um am
2014
Leben zu bleiben, falls ein Säbel­zahntiger Sie tatsächlich
als potenzielle Beute beobachtet. In dieser Situation ist das
System 1, in dem Sie sofort losrennen, ohne überhaupt
zu den­ken, dem System 2 überlegen. Das Schlimmste, was
Ihnen hier passieren kann, ist, dass es sich am Ende
nicht um einen Säbelzahntiger handelte und Sie umsonst
gerannt sind.
Was in der Savanne vor 80000 Jahren noch als effizienter
Überlebensmechanismus funktionierte, kann sich in unserer
modernen Welt sehr schnell als Kurzschluss erweisen, ins-
besondere dann, wenn komplexe, durchdachte Entscheide
gefordert sind. Hierzu gehört auch das Anlegen. Wie
schnell Sie dem System 1 bei Anlageentscheidungen fol-
gen, sei an einem Beispiel dargestellt.
Vergleichen wir die folgenden Behauptungen und überle-
gen uns, welche davon die höhere Wahrscheinlichkeit hat.
– Die Eurokrise könnte sich neu entfachen.
–G riechenland steckt weiterhin in Finanzierungsnot und
muss deshalb die EU möglichst schnell um ein neues
Überbrückungsprogramm bitten. Wegen des Drucks, den
die politischen Parteien in Deutschland durch die Partei
«Alternative für Deutschland» verspüren, könnte der
grösste Kreditgeber entsprechend knausrig reagieren und
in der Folge könnte sich die Eurokrise neu entfachen.
Die meisten Menschen werden das zweite Szenario für
wahrscheinlicher halten, weil es mit eingängigen Argumen-
ten und Details unterlegt ist. Je mehr ein Szenario mit Ein-
zelheiten angereichert ist, desto mehr können wir es uns
vorstellen und desto mehr empfinden wir es als wahr-
scheinlich. Dies widerspricht jedoch einer Grundregel der
Erfolgreich investieren 9
Ein Ereignis wird umso unwahrschein­
licher, je mehr Details wir hinzu­fügen.
Wahrscheinlichkeitstheorie: Ein Ereignis wird umso un-
wahrschein­licher, je mehr Details wir hinzufügen. Die Euro-
krise kann aus irgendeinem Grund erneut eskalieren –
Portugal, Spanien, Frankreich oder Zypern geraten in
Schwierigkeiten. Griechenland ist hier nur ein mögliches
Szenario und deshalb ist die zweite Behauptung unwahr-
scheinlicher als die erste.

In einem ähnlichen Kontext kann man auch die Verfügbar-

keitsheuristik hervorheben. Das Eintreten eines Ereignisses
Selektive Wahrnehmung erscheint uns umso wahrscheinlicher, je mehr wir es in
der Vergangenheit wahrgenommen haben. Ereignisse, die
während der Technologieblase nur selten eintreten oder besser von uns wahr­genommen
werden, werden wir entsprechend als weniger wahrschein-
Immer neue Gründe, warum die lich einstufen. Kommt man in den Vereinigten Staaten
Aktien steigen müssen eher durch Haie oder durch herabstürzende Flugzeugsteile
Aktienindizes (umbasiert, Januar 1980 = 100)
zu Tode?
3000
Wegen der hohen Medienpräsenz, die Haifischattacken
2500
geniessen, werden Sie vermutlich die erste Todes­ursache
als wahrscheinlicher empfinden. Allerdings ist es dreissig
2000
Mal wahrscheinlicher, durch herabstürzende Flugzeugteile
zu sterben (1 zu 10 Millionen) als durch einen Haifischbiss
1500
(1 zu 300 Millionen).

1000
Mit der Verfügbarkeitsheuristik lässt sich entsprechend
auch erklären, warum es für die meisten Investoren, Ana-
500
lysten und Ökonomen schwierig war, die Dotcom-Blase
im Jahr 2000 und die US-Häusermarktblase im Jahr 2007
0 zu erkennen. Erinnern wir uns noch an den Präsidenten
80 84 88 92 96 00 04 der US-Notenbank Federal Reserve, Ben Bernanke, der
noch 2006 einen wei­teren Anstieg der US-Häuserpreise
S&P 500 Nasdaq
vorhersagte, weil es noch nie zu einer Preiskorrektur auf
Quelle: Bloomberg, UBS
dem gesamten US-Häusermarkt gekommen war. Nun,
nach den Erfahrungen von 2000 und 2007/2008, erscheint
uns die Wahrscheinlichkeit von Anlageblasen deutlich
höher. Es vergeht deshalb kaum ein Tag mehr, ohne
dass der eine oder andere Anlagespezialist die nächste
Mutter aller Finanzmarktblasen an die Wand malt. Wie viel
davon aber auf akkurater Analyse basiert und wie viel da-
von auf Verfügbarkeitsheuristik, bleibt offen.

10 Erfolgreich investieren
Psychologische Anlegerfallen
Kapitel 3

Wie Erinnerungen
uns täuschen

Erfolgreich investieren 11
 Wie Erinnerungen
uns täuschen
– Unsere Erinnerung sagt uns, dass unser Anlageerfolg
auf Talent und unser Anlagemisserfolg auf Pech zurückzuführen ist.
– Ein Investitionstagebuch hilft Ihnen, Ihre Anlageentscheide
nachzuvollziehen, Erinnerungsverzerrungen zu vermeiden und
aus vergangenen Fehlüberlegungen zu lernen.

Selbst wer glaubt, rational zu denken und zu handeln, be-

geht manchmal Fehler, die so gut wie unvermeidlich sind.

Solche Fehler entstehen dann, wenn wir uns zum Lösen

Selbst wer glaubt, rational zu denken
und zu handeln, begeht manchmal
Fehler, die so gut wie unvermeidlich sind.
komplexer Probleme auf ein ungeeignetes, jedoch schnelles
und intuitives Denksystem verlassen, anstatt ein mühsame-
res, langsameres, komplexeres und deshalb auch richtigeres
Denksystem anzuwenden1. Investieren ist eine komplexe
Angelegenheit und erfordert daher komplexeres Denken.
Allzu oft wird jedoch gerade beim Investieren das schnelle-
re Denksystem angewandt, und es kommt zu Fehlentschei-
dungen.
Unser Umgang mit der Vergangenheit und unseren Er-
innerungen ist ein besonders fruchtbarer Boden für solche
Fehlentscheidungen. Dies ist vor allem darauf zurückzufüh-
ren, dass unsere Erinnerungen ein verzerrtes Bild der
Vergangenheit widergeben. Zwei Fehler beziehungsweise
Verzerrungen seien hier besonders hervorgehoben: der
Rückschaufehler und die selbstwertdienliche Verzerrung.

Der Rückschaufehler (hindsight bias)

1
 nlehnend an Daniel Kahnemann reden
A dank Preissteigerung ihres Wohneigentums Neuhypothe-
wir vom System 1 für das schnelle Denken
und System 2 für das langsame Denken;
siehe Seite 9.
2
Für «no income, no job or assets», kein
Einkommen, kein Job oder kein Vermögen.
Erinnern wir uns an die Finanzkrise 2007/2008. Im Nach-
hinein ist es ziemlich offensichtlich, warum diese Krise
entstand, ja entstehen musste. Die US-Immobilienpreise
hatten sich zwischen Anfang 2000 und Mitte 2006 flä-
chendeckend verdoppelt (rund zwölf Prozent Wachstum
pro Jahr). In den Vereinigten Staaten wurden sogenannte
Ninja2-Darlehen im grossen Stil an Personen vergeben, die
nicht kreditwürdig waren. Viele US-Haushalte konnten
ken aufnehmen und finanzierten damit Konsumausgaben.
Banken waren um ein Vielfaches ihres Eigenkapitals ver-
schuldet und hatten so komplexe Papiere in ihren Bilanzen,
dass eine nüchterne Risikoanalyse unmöglich war. Das
Ganze musste gezwungenermassen kippen.

12 Erfolgreich investieren
Wir schreiben Erfolge unserem eigenen
Handeln, unseren Kompetenzen und
unseren Fertigkeiten zu. Misserfolge
hingegen sind durch äussere Umstände
bis hin zu schierem Pech verursacht.
Interessanterweise bezeichnen sich mittlerweile viele Öko-
nomen und Finanzexperten als «einer der wenigen,
welche die Finanzkrise haben kommen sehen» oder lassen
sich so bezeichnen. Es gibt heute so viele dieser Ökono-
men, dass zumindest das Wort «wenige» in dieser Bezeich-
nung verschwinden sollte. Bei genauer Betrachtung dessen,
was diese allwissenden Ökonomen selbst noch 2008
schrieben, stellt man allerdings fest, dass in Wirklichkeit nur
eine Handvoll Experten sich als vorhersehend bezeichnen
dürften. Bedeutet dies, dass die Gilde der Ökonomen einer
Form kollektiver Mythomanie (Lügensucht) verfallen ist?
Mitnichten. Es ist bloss ein Rückschaufehler.
«Im Nachhinein ist man immer klüger», lautet das berühm-
te Sprichwort. Es geht aber oft so weit, dass man seine
im Nachhinein gewonnene Erfahrung zu einer immer schon
dagewesenen Erkenntnis umdefiniert. Von «das war so
offensichtlich, das hätte ich sehen müssen» über «es kann
nicht sein, dass ich es nicht gesehen habe» bis hin zu «das
habe ich gesehen» sind die Grenzen fliessend.
Warum dieser Fehler besonders beim Investieren eine Rolle
spielt, illustriert eine 2002 bei fast 850 US-Investoren
durchgeführte Umfrage. Fast die Hälfte aller Befragten gab
an, dass die Entwicklung der Technologie-, Telekommuni-
kations- und Internetaktien Ende der 1990er Jahre ganz
klar eine spekulative Blase war. Ein weiteres Drittel aller
Befragten gab an, dass es wahrscheinlich eine spekulative
Blase war. Alle befragten Investoren waren dennoch in die-
sen von ihnen im Nach­hinein als «deutlich überbewertet»
bezeichneten Aktien während der spekulativen Blase inves-
tiert gewesen.
Aus Fehlern sollte man ja bekanntlich lernen. Man kann
dies aber nicht, wenn man sich im Nachhinein seiner Fehler
nicht mehr bewusst ist, sondern meint, man hätte alles be-
reits vorher gewusst.
Die selbstwertdienliche Verzerrung
(self-serving oder attribution bias)
Eng verwandt mit dem Rückschau­fehler ist die selbstwert-
dienliche Verzerrung. Bei dieser schreiben wir Erfolge
unserem eigenen Handeln, unseren Kompetenzen und un-
seren Fertigkeiten zu. Misserfolge hingegen sind durch
äussere Umstände bis hin zu schierem Pech verursacht. Sol-
che retrospektiven Wahrnehmungen und Erklärungen
des vergangenen Geschehens erhöhen das Selbstwertge-
fühl und die gefühlte Wichtigkeit des Betroffenen.
Nicht nur Normalsterbliche fallen dieser Wahrnehmungs-
verzerrung zum Opfer. Wie sonst lässt sich erklären, warum
die ehemaligen Fed-Vorsitzenden Alan Greenspan und
Ben Bernanke ihren Beitrag zum Entstehen der Wohnim-
mobilien- und Kreditblasen 2007/2008 dermassen her-
unterspielen? Greenspan betont immer wieder, dass eine
zu lockere Geldpolitik «absolut nichts mit der Immobilien-
blase zu tun hatte». Er geht sogar so weit, den Gedanken
als «lächerlich» zu bezeichnen. Stattdessen schiebt
Greenspan die Schuld für die Krise externen Faktoren wie
dem «irrationalen Überschwang» von Banken und Immobi-
lienkäufern zu und Ben Bernanke weist auf die damalige
«weltweite Sparwelle» (insbesondere die sparwütigen
Chinesen) hin. Man mag ihnen glauben, dass Geldpolitik
keinen Einfluss auf die Krise hatte. Aber dann stellt sich
umgehend die Frage, warum die ultralockere US-Geld­
politik irgendetwas mit der US-Erholung seit 2010 zu tun
haben soll. Ist die lockere Geldpolitik wirklich so einseitig,
dass sie nur positive Ergebnisse hervorbringt, ohne negati-
ve­­Nebenwirkungen zu verur­sachen?
Politiker sind für selbstwertdienliche Verzerrungen beson-
ders anfällig. Wie oft hörten wir schon, wie sich die Staats-
und Regierungschefs in der Europäischen Union zu ihrer
klugen Politik gegenseitig gratulierten, wenn diese anschei-
nend zu positiven wirtschaftlichen Entwicklungen führte,
aber externen Faktoren die Schuld gaben, wenn es nicht so
gut lief? Die EU und die Bürokraten in Brüssel waren hier-
für immer schon beliebte Sündenböcke. Deshalb braucht
man sich wirklich nicht zu wundern, dass die Wählerinnen
und Wähler in Europa die Schuldzuweisungen, die ihren
führenden Politikern so locker über die Lippen kommen,
für bare Münze nahmen, und bei den lezten Europa-Parla-
mentswahlen der anti-euro­päischen Stimmung Luft
machten. Schliesslich ist diese Verzerrung gang und gäbe
im Sport. Oder haben Sie schon einmal einen Fussball-
trainer gesehen, der den Schiedsrichter kritisierte, nachdem
seine Mannschaft gewonnen hatte?
Es liegt auf der Hand, warum eine derartige Verzerrung
beim Investieren besonders viel Schaden anrichten kann.
Investitionserfolge blind als Ergebnisse der eigenen ausser-
gewöhnlichen Anlagekompetenzen zu feiern und gleich-
zeitig für Misserfolge den Mangel an Glück verantwortlich
zu machen, wird dazu führen, dass man, gekoppelt mit
dem Rückschaufehler, überhaupt nichts aus seinen Er-
fahrungen lernt. Im Prinzip gibt es vier Ergebnisse beim
Investieren. Die Tabelle zeigt diese auf.
Erfolgreich investieren 13
 Die vier möglichen Ergebnisse beim Investieren
Erfolg Misserfolg

Richtige Analyse Talent Pech

Falsche Analyse Glück des Dummen Gerechte Strafe

Erfolgreich Investieren bedeutet natürlich, dass man seine

Misserfolge analysiert. War es tatsächlich nur Pech oder
war meine Analyse vor der Investition falsch, und wenn ja,
wie kann ich so etwas in Zukunft vermeiden?

Sich aber nur auf Investitionsmisserfolge zu konzentrieren

ist leider nur die halbe Miete. Auch Investitionserfolge soll-
ten genau unter die Lupe genommen werden. Ist der Erfolg
tatsächlich auf eine richtige Analyse zurückzuführen oder
hatte ich einfach nur Glück? Das berühmte Zitat des ehe-
maligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder «Richtig ist, was
funktioniert3» ist hier fehl am Platz.

Vermeiden, dass einen die Vergangenheit

überrumpelt
Ein Trick von berühmten Investoren, um nicht in die Falle
zu tappen, die unsere Erinnerung uns stellt, ist, die Vergan-
Haben Sie schon einmal einen genheit zu «objektivieren». Das heisst, nicht unseren Er-
Fussballtrainer gesehen, innerungen zu vertrauen, sondern objektiveren Zeugen
dessen, was wir zum Zeitpunkt des Investitionsentscheids
der den Schiedsrichter kritisierte, tatsächlich dachten. Man sollte deshalb einen Investitions-
nachdem seine Mannschaft entscheid stets dokumentieren, bevor man ihn ausführt.
gewonnen hatte? Welche Überlegungen bewegen mich zu diesem Ent-
scheid? Was kann ich als Rendite erwarten? Von welchen
Risiken kann ich zum jetzigen Zeitpunkt ausgehen?
Man sollte die Antworten auf all diese Fragen in einem In-
vestitionstagebuch aufzeichnen. Kommt der Zeitpunkt,
den Erfolg einer Anlage zu geniessen oder den Misserfolg
zu verdauen, helfen die Aufzeichnungen, die Beweggründe
für das damalige Handeln zu begreifen.

3
Im Englischen geht dieses Zitat
«Truth is, what works» auf den
amerikanischen Philosophen
William James (1842–1910) zurück.

14 Erfolgreich investieren
Psychologische Anlegerfallen
Kapitel 4

Prognosen
sind (fast)
immer falsch

Erfolgreich investieren 15
 Prognosen
sind (fast)
immer falsch
– Prognosen vermitteln eine Scheingenauigkeit, sind aber häufig falsch.
– Menschen tendieren dazu, Strukturen und Muster aus der V ­ ergangenheit
in die Zukunft zu projizieren.
– Der falsche Glaube an Kontrolle über künftige Ereignisse und
der Versuch, komplexe Zusammenhänge schnell verstehen zu können,
verleiten Anleger häufig zu Fehlentscheiden.

Schaut man die Geschichte der
Ökonomie an, wird rasch offensichtlich,
dass Fehl­prognosen die Regel und
­korrekte Prognosen die Ausnahme sind.
Dieser Titel dürfte Sie irritieren. Ist es nicht das ultimative
Ziel eines jeden Ökonomen, Prognosen zu erstellen, die
eintreten? Wieso schneiden Ökonomen in ihrer Parade­
disziplin statistisch nicht besser ab als Astrologen, Kristall-
kugel- oder Kaffeesatzleser?

Schaut man die Geschichte der Ökonomie an, wird rasch

offensichtlich, dass Fehl­prognosen die Regel und korrekte
Prognosen die Ausnahme sind. Die immer noch berühmtes-
te Fehlaussage wurde 1929, nur wenige Tage vor dem Bör-
sencrash, von Irving Fisher, Professor an der Yale Universität

Griechisches Wachstum und IWF-Prognose

10
8
6
4
2
0
–2
–4
–6
–8
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Absoluter Prognosefehler Tatsächlicher Wert IWF-Prognose

Quelle: Internationaler Währungsfonds, UBS

16 Erfolgreich investieren

Die Volkswirtschaftslehre wird
als Sozialwissenschaft verstanden.
Durch eine extreme Mathematisierung
gibt sie sich jedoch den Anschein
einer «exakten» Naturwissenschaft,
nicht unähnlich der Physik.
und damals wohl renommiertester US-Ökonom, gemacht:
«Die Aktienkurse haben ein, wie es scheint, dauerhaft ho-
hes Niveau erreicht.» Aus jüngerer Zeit sei die Behauptung
von Ben Bernanke im Juni 2008, damals Chef der US-No-
tenbank und einer der angesehensten Makro­ökonomen
seiner Generation, erwähnt: «Dem Anschein nach hat sich
das Risiko einer Verlangsamung der US-Wirtschaft im ver-
gangenen Monat verringert.»
Die Abbildung zeigt die Wachstums­prognose des Internati-
onalen Währungsfonds (IWF) für Griechenland (im Jahr vor
dem prognostizierten Jahr), den tatsächlichen Wert des
Wachstums (gemessen zwei Jahre nach dem prognostizier-
ten Jahr) und den jeweiligen absoluten Prognosefehler. In
nur einem Jahr (2002) von insgesamt 13 Jahren wurde ins
Schwarze getroffen. Besonders extrem fällt das Jahr 2012
auf. 2011 prognostizierte der IWF, Griechenland würde im
darauffolgenden Jahr mit 1,1 Prozent wachsen. Tatsächlich
schrumpfte die Wirtschaft des Landes um sieben Prozent.
Mit anderen Worten enthält die IWF-Prognose zu Griechen-
land seit 2008 überhaupt keine brauchbare Information.
Dennoch geizte der IWF als Teil der berühmt-berüchtigten
Troika damals kaum mit Ratschlägen zur Sanierung des Lan-
des, basierend auf diesen überoptimistischen Prognosen.
Es gibt unseres Erachtens zwei fundamentale Ursachen,
warum ökonomische Prognosen fast immer falsch sind: Ers-
tens ist die Natur der Wirtschaftswissenschaft selbst ein in-
härenter Grund hierfür. Zweitens leitet uns das schnelle
Denken einmal mehr fehl, wenn es darum geht, in die
Zukunft zu schauen.
Mangelnde Daten
Die Volkswirtschaftslehre wird als Sozialwissenschaft
verstanden. Durch eine extreme Mathematisierung gibt sie
sich jedoch den Anschein einer «exakten» Naturwissen-
schaft, nicht unähnlich der Physik.
Dies ist aus zweierlei Gründen problematisch. Erstens beru-
hen sehr viele volkswirtschaftliche Aussagen auf Modellen
mit extrem vereinfachenden Annahmen. Sobald man diese
Annahmen nur leicht modifiziert, kommt man zu Aussa-
gen, die erheblich von den ursprünglich gemachten Aus­
sagen abweichen können. Deshalb verwenden Ökonomen
oft die sogenannte Ceteris-paribus-Klausel, wenn sie Aus­
sagen wagen. Ein Beispiel: Wenn alles andere unverändert
bleibt (ceteris paribus), dann führt ein zwanzigprozentiger
Anstieg des Ölpreises zu einer x­ -prozentigen Verlangs-
amung des Wirtschaftswachstums. Diese Ceteris-paribus-
Annahme ist aber oft nur kleingedruckt. Lag man
richtig, wird das Kleingedruckte nicht hervorgehoben.
Falls man jedoch, wie fast immer, falsch lag, kann man
im Nachhinein rechtfertigen, warum eine Aussage oder
Prognose doch nicht eingetroffen ist.
Zweitens können Ökonomen, insbesondere Makroökono-
men, im Gegensatz zu Physikern nur wenig experimentie-
ren. Die Daten, mit denen sie ihre Theorien testen und mit
denen sie schliesslich versuchen, Prognosen zu erstellen,
sind meistens fehlerhaft und unvollständig und die Zeiträu-
me zu kurz, um statistisch signifikante Aussagen zu liefern.
Um diesem Datenmangel Herr zu werden, haben die
Ökonomen hochkomplexe statistische Schätzinstrumente
entwickelt. Einer meiner ehemaligen Professoren für Öko-
nometrie benutzte hierzu eine prägnante Metapher:
«Empirische Physik ist wie mit einem Traktor über eine Au-
tobahn zu gleiten, während bei der empirischen Ökonomie
mit einem Ferrari über einen Landweg getuckert wird.»
Aber selbst die komplexesten Prognosever­fahren scheitern,
wenn gleichzeitig schnelles Denken eingesetzt wird. Drei
ähnlich gelagerte Fehler treten besonders oft im Zusam-
menhang mit Prognosen auf: der Induktionsfehler, die
narrative Verzerrung und die Illusion der Kontrolle.
Induktionsfehler
Wie bereits erklärt, ist oft die viel zu geringe empirische
Grundlage die Quelle für Fehlprognosen. Leider ist
unser Gehirn so konzipiert, dass es nach Strukturen in der
Vergangenheit sucht, um sie in die Zukunft zu projizieren.
«The trend is your friend», wie es immer wieder so schön
heisst. Dies steht zwar im krassen Widerspruch zum
Kleingedruckten sämtlicher Finanzpublikationen, dass man
aus vergangener Per­formance keine Rückschlüsse auf
zukünftige Performance ziehen sollte. Dennoch werden wir
quasi magisch angezogen von Trends, Zyklen und anderen
sich wiederholenden Mustern. Quantensprünge oder
Strukturbrüche hingegen können wir uns nur schwer
vorstellen.
Der Wissenschaftsphilosoph Nassim Nicholas Taleb, der
sich in seinem Essay «Der Schwarze Schwan» intensiv mit
der Unmöglichkeit des Prognostizierens beschäftigt, ent-
wickelte hierzu die sehr schöne Metapher des Truthahns.
Dieser wird Tag um Tag gefüttert, ohne dass er etwas dafür
Erfolgreich investieren 17
 tun muss. Daraus schliesst er, dass er im Truthahnparadies
lebt, und so kann er unmöglich den Tag vor Thanks­giving
prognostizieren, an dem er geschlachtet wird.
«Es gibt bekanntes Bekanntes: Dinge, von denen wir
wissen, dass wir sie wissen. Wir wissen auch, dass es
bekanntes Unbekanntes gibt: Dinge, die wir nicht wissen.
Aber es gibt auch unbekanntes Unbekanntes: Dinge,
von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen.»
Über das Bonmot des ehemaligen US-Verteidigungs-
ministers Donald Rumsfeld wurde 2002 ziemlich viel
gelacht. Rumsfelds Überlegungen sind meines Erachtens
jedoch sehr tiefgründig und bringen das Problem des
Induktionsfehlers auf den Punkt. Unser schnelles Denken
kann mit dem Konzept vom «unbekannten Unbekannten»,
im Wortschatz von Taleb als «schwarzer Schwan»
bezeichnet, nicht umgehen.
Narrative Verzerrung
Eng verwandt mit dem Induktions­fehler ist die narrative
Verzerrung. Ist einmal ein Muster oder Trend aus­findig ge-
macht, so wird dies in eine erklärende Narration (Geschich-
te) e­ ingebettet, welche zwar der Kommunikation dienen
und das Verständnis erleichtern kann, aber nicht zwangs-
läufig wahr sein muss. Dabei wird Wahrheit erschaffen,
indem die gleiche Geschichte immer wieder erzählt wird.1
Es gibt bekanntes Bekanntes: Dinge, von
denen wir wissen, dass wir sie wissen.
Wir wissen auch, dass es bekanntes
Unbekanntes gibt: Dinge, die wir nicht
wissen. Aber es gibt auch unbekanntes
Unbekanntes: Dinge, von denen wir
nicht wissen, dass wir sie nicht wissen.
1
 Eine Lüge, die oft genug erzählt wird, wird
«
irgendwann zur Wahrheit» gemäss Lenin.
18 Erfolgreich investieren
Zudem wird, ähnlich der im vergangenen Kapitel beschrie-
benen selbstwertdienlichen Verzerrung, alles, was unsere
Erklärung bestätigt, eifrig hervorgehoben, und im Gegen-
satz dazu, alles, was sie widerlegen könnte, abgestritten
oder zumindest heruntergespielt.
Schlimmer noch: Wir sind sehr gut darin, etwas, das wir im
Vorfeld (a priori) nicht gesehen haben und deshalb nicht
prognostizieren konnten, im Nachhinein (a posteriori) durch
einen geeigneten narrativen Rahmen zu erläutern. Ökono-
men sind geradezu Meister darin, morgen zu erklären, war-
um ihre Prognosen von gestern heute nicht eingetroffen
sind. Dies geht sogar so weit, dass mittlerweile selbst
«schwarze Schwäne» als Erklärung hinhalten. «Ich habe die
Finanzkrise nicht prognostiziert, weil sie als ‹unbekannte
Unbekannte› nicht prognostizierbar war» ist von Ökono-
men oft als Entschuldigung vorgeschoben worden. Dies
obwohl, wenn man richtig hingeschaut hätte, die Möglich-
keit einer Finanzkrise ziemlich offensichtlich war.
Radikalphilosoph Slavoj Žižek hat deshalb in einem anderen
Zusammenhang Rumsfelds Bekannte-Unbekannte-
Systematik um einen Quadranten erweitert, nämlich um
das unbekannte Bekannte. Er meint damit etwas, das
wir im tiefsten Inneren wissen, wir aber willentlich darauf
beharren, es nicht zu erkennen, weil es nicht in unsere
Weltsicht passt.
Illusion der Kontrolle
Die narrative Verzerrung findet ihren Höhepunkt in der
Illusion der Kontrolle. Hier geht unsere Selbstüberschät-
zung bei Prognosen sogar so weit, dass wir erwarten, dass
unsere Prognosen zwangsläufig eintreffen müssen, weil
wir sie prognostiziert haben.
Studien haben tatsächlich gezeigt, dass viele Menschen be-
reit sind, vier Mal mehr für ein Lotterielos zu bezahlen,
wenn sie die Losnummer selbst wählen können, als wenn
sie ein Los mit einer zufälligen Nummer erhalten. Diese
Illusion kann sich zu magischem Denken entwickeln. In sei-
nem Klassiker über positives Denken, Denke nach und
werde reich, erklärt Napoleon Hill, Gedanken seien Dinge,
die ihre eigene Verwirklichung antreiben. Ein fester Glaube
an den Erfolg sei zugleich der Schlüssel zum Erfolg. Hat
man keinen Erfolg, so hat man nicht fest genug daran ge-
glaubt.
 Erfolgreiche Anleger investieren sehr oft
nicht mit, sondern gegen den Trend.
Sie werden deshalb als «contrarians»
bezeichnet.

Hills Arbeit weist zwei offensichtliche Mängel auf: einen
Selektionsbias (wie viele erfolglose Menschen haben fest
an ihren Erfolg geglaubt?) und die Unmöglichkeit, die
These (dass jemand, der keinen Erfolg hatte, nicht fest ge-
nug an den Erfolg glaubte) zu widerlegen. In ihrem Buch
Smile or Die, einer vorzüglichen Kritik des positiven Den-
kens, zeigt Barbara Ehrenreich, dass die Illusion der Kontrol-
le zu Debakeln in der Medizin und der Politik führte
und eine der Hauptursachen der Finanzkrise in den Jahren
2007 und 2008 war.
Erfolgreiche Anleger investieren sehr oft nicht mit, sondern
gegen den Trend. Sie werden deshalb als «contrarians»
bezeichnet. Vielmehr als eine bestimmte Investitionsphilo-
sophie widerspiegelt diese Beobachtung allerdings die In-
vestitionsdisziplin – und zwar die Disziplin, Prognosen
grundsätzlich zu misstrauen.

Interessanterweise werden Sie kaum einen erfolgreichen

Investor finden, der seine Anlagestrategie aufgrund von
Wirtschaftsprognosen oder Prognosen zu Unternehmens-
gewinnen definiert. Natürlich arbeitet ein erfolgreicher
Investor nicht im informationslosen Raum. Natürlich wird
er oder sie sich fragen, wohin die Reise der Volkswirt-
schaft geht und was die Perspektiven eines bestimmten
Unternehmens sind. Viel wichtiger ist allerdings hier die
Bewertung einer Anlage oder einer Anlageklasse. Ist eine
Anlage zu teuer, so wird man sich trotz rosigen Prognosen
hüten, dort einzusteigen. Ist sie billig, so wird man sich
trotz trüben Aussichten dafür interessieren.

Erfolgreich investieren 19
 Psychologische Anlegerfallen
Kapitel 5

Wie uns die

Gegenwart in
ihrem Bann hält

20 Erfolgreich investieren
 Wie uns die
Gegenwart in
ihrem Bann hält
– Die Verankerung von unmittelbar Erlebtem (beispielsweise mit Zahlen)
als Richtschnur oder Ausgangspunkt für Handlungen wird oft zur Anlegerfalle.
– Eine weitere Anlegerfalle ist die «Macht der Gewohnheit» oder der Widerstand
gegen Veränderungen.
– Besonders schwerwiegende Folgen für den Anleger kann die «Verlustaversion»
haben.

Auch die Gegenwart ist voll von
Denk­fallen, in die wir fast zwangs­läufig
tappen.
In den beiden vorangehenden Kapiteln haben wir gezeigt,
wie die Vergangenheit uns zu Trugschlüssen führen kann
und wie wenig wir über die Zukunft wissen. Wie sieht
es aber mit der Gegenwart aus? Sollten nicht die Fehler, zu
denen uns unser schnelles Denken verleitet, zumindest
hier und jetzt am wenigsten Schaden anrichten? Schliess-
lich sollten wir solche Fehler auch schnell wieder korrigie-
ren können. Doch leider ist dem nicht so. Denn auch die
Gegenwart ist voll von Denkfallen, in die wir fast zwangs-
läufig tappen. Zwei davon werden nachfolgend dargestellt:
die Ankerheuristik und die Tendenz zum Status quo.

Ankerheuristik – oder warum wir überhaupt

Prognosen erstellen
Zugegeben, nachdem Sie im vorherigen Kapitel gelesen
haben, dass Prognosen (fast) immer falsch sind, werden Sie
sich gefragt haben, warum man überhaupt welche erstellt.
Warum beschäftigen sich tausende und abertausende
von Ökonomen, Analysten und sonstigen Experten in der
Finanzindustrie, bei Zentralbanken, in öffentlichen For-
schungsinstituten, an Universitäten und in internationalen
Wirtschafts­organisationen ständig mit Prognosen?

Als Antwort hier eine Anekdote aus dem Leben des ameri-
kanischen Wirtschaftsnobelpreisträgers Kenneth Arrow aus
seiner Zeit im zweiten Weltkrieg. Der angehende Ökonom
diente damals in der amerikanischen Armee als Statistiker
beim Wetterdienst. Nach einigen Wochen im Dienst be-
merkte er, dass die Wetterprognosen immer wieder falsch
waren. Offenherzig schrieb er ein Memo an seinen Gene-
ral, dass die Prognosen oft falsch wären und man die enor-
men Mittel zur Erstellung von Wetterprognosen anderswo

Erfolgreich investieren 21

Er erkannte auch etwas, das dem
menschlichen Wesen fundamental
widerstrebt, nämlich Veränderung.
1
 ie tatsächliche Zahl der Ärzte in London ist
D
mir nicht bekannt. Da die Weltgesundheitsor-
ganisation WHO die Ärztedichte in Grossbri-
tannien mit 2,8 pro 1000 Einwohner angibt,
die Londoner Innenstadt rund 8 Millionen
Einwohner zählt und man davon ausgehen
kann, dass die Ärztedichte in London höher ist
als anderswo in Grossbritannien, erscheint eine
Zahl von rund 25000 Ärzten plausibel.
22 Erfolgreich investieren
besser einsetzen könnte. Ein paar Tage später erhielt Arrow
folgende Antwort vom Stabschef des Generals: «Der
General ist sich durchaus bewusst, dass die Wetterprogno-
sen fast immer falsch sind. Er braucht sie dennoch zur
Planung.»
Die Anekdote zeigt, dass – ganz im Gegensatz zum Motto
von John Maynard Keynes «lieber ungefähr richtig als prä-
zise falsch» – Menschen eindeutig falsche Prognosen der
Unsicherheit vorziehen.
Menschen unterliegen der sogenannten Ankerheuristik
(Englisch «anchoring»). Jede noch so skurrile Zahl ist bes-
ser als gar keine, wenn es darum geht, Entscheidungen
zu treffen. James Montier, der mehrere lesenswerte Trakta-
te zur Verhaltens­finanz schrieb, rapportierte ein inte­
ressantes Experiment. Er bat seine Kunden, ihm jeweils die
vier letzten Zahlen ihrer Telefonnummer aufzu­sagen
und dann zu schätzen, wie viele Ärzte es in London gab.
Interessanterweise gaben diejenigen Kunden, deren letzte
vier Ziffern der Telefonnummer höher als 7000 waren,
im Durchschnitt eine Schätzung um die 8000 Ärzte ab,
während die Schätzung derjenigen, deren Telefonnummer
unter 3000 endet, bei durchschnittlich rund 4000 Ärzten
lag. Trotz der offensichtlichen Tatsache, dass eine Telefon-
nummer überhaupt nichts mit der Anzahl der Ärzte in
London zu tun hat, scheint sie, wenn sie vorher erwähnt
wurde, in die Schätzung einzufliessen.1
Die Ankerheuristik spielt auf den Finanzmärkten eine sehr
wichtige Rolle. Wir sind fasziniert vom Dow Jones bei
10 000 oder bei 15 000, vom S&P 500 bei 2000, vom alten
Höchststand des SMI oder von der Parität des Schweizer
Frankens zum US-Dollar. Wir vergessen dabei, dass diese
Zahlen im Endeffekt nur Konventionen sind. Ein Höchst-
stand beim Aktienmarkt oder eine runde Zahl bei einem
Wechselkurs sagt nichts darüber aus, ob ein Markt oder
eine Währung teuer oder günstig ist. Hierzu braucht es
Bewertungen, wie Kurs-Gewinn-Verhältnisse bei Aktien
oder Kaufkraftparitäten bei Währungen. Dennoch klam-
mern wir uns bei Kursen von Anlagen gerne an «psycholo-
gische Grenzen».
Tendenz zum Status quo –
oder wie die Angst vor Verlusten uns lähmt
Als Heraklit von Ephesos vor ungefähr 2500 Jahren durch
den kleinen Mäander nahe der Westküste der heutigen
Türkei watete, stellte er fest, dass alles fliesst (Griechisch
«panta rhei») und man dementsprechend nie zweimal
in den gleichen Fluss einsteigen kann. Dabei legte er nicht
nur einen der Grundsteine der westlichen Philosophie. Er
erkannte auch etwas, das dem menschlichen Wesen funda-
mental widerstrebt, nämlich Veränderung.
Die «Macht der Gewohnheit» oder «Menschen sind Ge-
wohnheitstiere» heisst es oft. Diese Redensarten widerspie-
geln unsere tief sitzende Angst vor dem unbekannten
Neuen. Wissenschaftlich wurde die «Macht der Gewohn-
heit» oder die Tendenz zum Status quo 1988 von zwei
ame­rikanischen Psychologen vertieft studiert. Bei der Wahl
zwischen zwei objektiv gleichwertigen Optionen gewinnt
eine Option durch das Zusatzmerkmal «aktueller Stand»
gemäss den Forschern signifikant an Attraktivität. Als
Beispiel sei die Wahl zwischen zwei sonst komplett gleich-
wertigen Politikern erwähnt, wo im Prinzip ein 50 / 50-
Ergebnis hervorgehen sollte. Das Ergebnis bei einer experi-
mentellen Wahl war 59 zu 41 Prozent zugunsten des Politi-
kers mit dem Zusatzprädikat «aktueller Amtsinhaber.»
Noch inte­ressanter ist, dass mit steigenden Wahlmöglich-
keiten die Verzerrung zugunsten des Status quo zunimmt.
Bei der Wahl unter vier sonst komplett gleichen Politikern
resultiert nicht eine 25/25/25/25-Verteilung, sondern
eine Verteilung von 38,5/20,5/20,5/20,5 zugunsten des
«aktuell amtierenden» Politikers.
Vielfach wird die Präferenz für den Status quo durch
Verlustaversion (Englisch «loss aversion») erklärt. Sie
steht im Zentrum der neuen Er­wartungstheorie (Englisch
«prospect theory»), für die Daniel Kahneman 2002 den
Nobelpreis erhielt. Die Aversion vor Verlusten kann anhand
der folgenden zwei Situationen dargestellt werden:
– Situation 1: Sie werden vor die Wahl gestellt, entweder
900 Franken auf sicher zu bekommen oder an einer Lotte-
rie teilzunehmen, an der Sie eine Chance von 90 Prozent
haben, 1000 Franken zu gewinnen, und ein Risiko von
zehn Prozent, leer auszugehen.
– Situation 2: Sie werden vor die Wahl gestellt, entweder
900 Franken auf sicher zu verlieren oder an einer Lotterie
teilzunehmen, an der Sie ein Risiko von 90 Prozent haben,
1000 Franken zu verlieren, und eine Chance von zehn Pro-
zent haben, nichts zu verlieren.
Die grosse Mehrheit wird sich in Situation 1 gegen die
Lotterie, in Situation 2 jedoch dafür entscheiden. Der Ent-
scheid in Situation 1 ist intuitiv nachvollziehbar. Die meisten
Menschen sind risikoscheu und präferieren deshalb den
Spatz in der Hand gegenüber der Taube auf dem Dach. Vor
dem Hintergrund der Risikoaversion erscheint aber die
Wahl der Lotterie in Situation 2 nicht rational. Schliesslich
besteht dort eine sehr signifikante Gefahr, bei einer
Die Menschen leiden deutlich
mehr unter tatsächlichen Verlusten, als
sie sich über Gewinne freuen können.
Teilnahme an der Lotterie noch mehr zu verlieren als bei
Nicht-Teilnahme.
Viele ähnliche Experimente haben jedoch gezeigt, dass
die Menschen deutlich mehr unter tatsächlichen Verlusten
leiden, als sie sich über Gewinne freuen können. Mit ande-
ren Worten, kann ein eingetretener Verlust nur durch einen
deutlich grösseren Gewinn kompensiert werden. Gemäss
verschiedenen von Kahneman aufgelisteten empirischen
Studien muss die Kompensation des Verlustes 1,5-mal bis
2,5-mal so hoch sein, damit sich eine Person auf dem
gleichen Zufriedenheitsniveau wiederfindet wie vor dem
Verlust.
Während Risikoaversion erklärt, warum viele Anleger sich
zu früh von gewinnbringenden Anlagen trennen und Ge-
winne mitnehmen, ist die Verlustaversion dafür verantwort-
lich, dass viele Anleger zu lange an erfolglosen Anlagen
festhalten in der verfehlten Annahme, dass nicht-realisierte
Verluste keine echten Verluste sind. Ökonomen sollten zu-
mindest für einmal ein wenig schlauer sein. Sie wissen,
dass nicht-realisierte Verluste zusätzliche Opportunitätskos-
ten verursachen können, da das übrig gebliebene Geld
bei realisierten Verlusten in der Zwischenzeit durchaus ge-
winnbringend hätte re-investiert werden können.
Nicht nur Investoren, sondern auch Politiker, Regierungen
und Medien machen diesen Denkfehler. Wie oft heisst es,
man sollte ein bis anhin erfolgloses Projekt nicht aufgeben,
weil «schon so viel investiert wurde.» Lieber gutes Geld
dem schlechten hinterherwerfen als zugeben, dass man
sich vertan hat. Der Bau der Concorde, des Flughafens
Berlin-Brandenburg und der Elbphilharmonie in Hamburg
sind Beispiele, bei denen das Argument der bereits verur-
sachten Kosten eine wichtige Rolle spielte, als entschieden
wurde, diese erfolglosen Projekte weiterzuführen.
Wie kann man sich als Anleger der Macht der Gewohnheit
oder der Verlustaversion entziehen? Bei Einzelanlagen
sollte man sich nicht nur über das angestrebte Kursziel
oder eine Rendite­erwartung im Klaren sein, sondern auch
einen Stop-Loss-Kurs angeben. Dabei setzt man im Fall
von Verlusten eine Kurslimite, bei der die Anlage automa-
Erfolgreich investieren 23
«Wenn ich das angelegte Vermögen
jetzt in bar erhalten würde, wie würde
ich es anlegen?»

tisch verkauft wird, um weitere Verluste zu vermeiden.

Bei steigenden Kursen sollten diese Stop-Loss-Kurse regel-
mässig nach oben angepasst werden.

Bei einem Gesamtportfolio gilt es, regelmässig zu überprü-

fen, ob das Portfolio immer noch den angestrebten Zielen
und dem Risikoprofil des Anlegers entspricht. Natürlich
ist auch regelmässig zu hinterfragen, ob die beim Aufbau
des Portfolios definierten Ziele und das damals erstellte
Risikoprofil immer noch aktuell sind.

Schliesslich sollten Anleger in regel­mässigen Abständen

vom aktuellen Portfolio komplett Abstand nehmen
und sich grundsätzlich folgende Frage stellen: «Wenn ich
das angelegte Vermögen jetzt in bar erhalten würde, wie
würde ich es anlegen?» Dieses hypothetische Portfolio
sollte man dann mit dem aktuellen vergleichen und beson-
ders die Unterschiede genau analysieren. Dies ist ein proba-
tes Mittel, um die Trägheit der Gegenwart zu überlisten.

24 Erfolgreich investieren
Schlussfolgerungen
Kapitel 6

Anlageerfolg
durch Analyse,
Anlagestrategie
und viel Um-
setzungsdisziplin

Erfolgreich investieren 25
Anlageerfolg
durch Analyse,
Anlagestrategie
und viel Disziplin
– Anleger sollten sich der verhaltenspsychologischen Fallen und Irrationalitäten
bewusst sein.
– Grundlage für erfolgreiches Investieren ist eine nüchterne und profunde Analyse
von Chancen und Risiken an den Anlagemärkten – die UBS House View bietet Ihnen
genau dies.
– Anleger sollten sich auf eine Anlagestrategie festlegen, die ihrem Risikoprofil und
ihrer Risikofähigkeit angepasst ist. Diese Anlagestrategie sollten sie konsequent
und mit viel Disziplin umsetzen. Eine Anlagelösung, die all diese Elemente verbindet,
sind die UBS Vermögensverwaltungsmandate.

Wir haben uns in den vorangehenden Kapiteln dieser Publi-

kation intensiv mit den häufigsten, durch die Verhalten-
sökonomie beobachteten Fehlverhalten von Anlegern aus-
einandergesetzt. Wir haben gesehen, dass wir als Anleger
dazu neigen, intuitive, schnelle Entscheide zu treffen und
dabei Mühe haben, unwahrscheinliche Ereignisse richtig
einzuschätzen. Ebenso neigen wir dazu, Anlageerfolge un-
serem Können und unserem Sachverstand, Misserfolge
jedoch äusseren Umständen und Zufällen zuzuordnen.
Dass wir uns dabei schwer tun, Fehler anzuerkennen und
daraus zu lernen, hilft natürlich nicht.

Wir haben uns im Chief Investment Office von UBS Wealth

1
 Bedarf können Sie jederzeit noch
Bei
weitere detailliertere Analysepubli­kationen
des Chief Investment Office von UBS Wealth
Management beziehen; entweder online
über UBS e-banking / Quotes oder über Ihren
Kundenberater.
Management Gedanken darüber gemacht, mit welchen
Massnahmen sich solche, für den langfristigen Anlageer-
folg fatale, Verhaltensmuster eliminieren lassen. Wir haben
versucht zu identifizieren, welche Faktoren langfristig
erfolgreiche Anleger auszeichnen und sind dabei auf drei
wesentliche Merkmale gestos­sen. Diese bilden auch das
Herzstück unseres Anlageprozesses.
Fundierte und sachliche Analyse
Erstens basiert erfolgreiches Anlegen auf einer systemati-
schen und umfassenden Analyse der Anlagemärkte und

26 Erfolgreich investieren
Die UBS House View basiert auf einem
weltweiten Netzwerk von mehreren hundert
Analysten und Anlageexperten, die für das
UBS Chief Investment Office Tag für Tag,
rund um die Uhr die Finanzmärkte in ihren
jeweiligen Regionen beobachten.
Was zeichnet erfolgreiche Anleger aus?
Analyse
Systematische Analyse
aller relevanten
Anlagemärkte und
Einschätzung von
deren Risiko-Ertrags-
Aussichten
UBS House View
deren fundamentalen Treibern. Diese Analyse erhalten
unsere Anlagekunden monatlich in kompakter Form in der
Broschüre «UBS House View», in der wir ihnen die Haus-
meinung von UBS zu den Finanzmärkten darlegen1. Die
UBS House View basiert auf einem weltweiten Netzwerk
von mehreren hundert Analysten und Anlageexperten, die
für das UBS Chief Investment Office Tag für Tag, rund
um die Uhr die Finanzmärkte in ihren jeweiligen Regionen
beobachten. Über wöchentliche und monatliche Telefon-
und Videokonferenzen diskutieren wir die Einschätzungen
zu den Märkten, hinterfragen uns gegenseitig und ziehen
in den Diskussionsforen auch gezielt externe Experten bei.
In diesen Gruppendiskussionen kommen rationalere Ent-
scheide zustande, und emotionale Verzerrungen können
besser verhindert werden, als wenn sich jemand alleine im
stillen Kämmerchen eine Meinung über die Märkte bildet.
Individuell passende
Anlagestrategie
Zweitens muss der erfolgreiche Anleger eine auf seine indi-
viduellen Bedürfnisse zugeschnittene Anlagestrategie fest-
legen. Dies ist eine der wesentlichen Aufgaben einer guten
Anlage­beratung und beginnt damit, dass der Kunden­
berater die Bedürfnisse des Kunden genau versteht. Es gilt
also zuerst einmal zuzuhören und Fragen zu beantworten
wie: Was sind meine langfristigen finanziellen Ziele und
Rahmenbedingungen? Welche Renditeerwartungen habe
ich mit meinem Anlageportfolio? Und besonders wichtig:
Welche Schwankungsrisiken bin ich imstande zu tragen?
Anlagestrategie Disziplin
Was sind meine Breit diversifiziert
Ertragserwartungen? investiert sein
Wie hohe Schwan- Portfolio laufend
kungsrisiken kann und überwachen und neu
will ich eingehen? ausrichten
Welche Anlage-
strategie passt zu mir?
Zielvereinbarung
Wahl
mit Kundenberaterin
Anlagelösung
oder Kundenberater
All diese Überlegungen münden dann in der Festlegung
einer bestimmten Anlagestrategie. Der eher risikoscheue
Anleger wird in seinem Portfolio eine eher tiefe Akti-
en-quote aufweisen und etwas weniger hohe Ertragser-
wartungen verfolgen. Demgegenüber darf ein risikofreudi-
ger Anleger durchaus einen höheren Anteil von Aktien
oder hochverzinslichen Unternehmensanleihen in seinem
Portfolio halten und dadurch längerfristig höhere Ertrags-
erwartung­en hegen.
Disziplin, Disziplin und nochmals Disziplin
Der dritte – und vielleicht entscheidende – Faktor für ein
erfolgreiches Anlegen ist schliesslich, dass die einmal fest-
gelegte Anlagestrategie sowie die Einschätzung der Märkte
und der daraus abgeleiteten Anlageschwerpunkte mit
viel Disziplin umgesetzt werden. Dazu gehört zuerst einmal
der Aufbau eines Portfolios, welches die Anlagen gemäss
der Anlagestrategie auf die verschiedenen Anlageklassen
wie Aktien, Staats- oder Unterneh­mens­anleihen oder auch
alternative Anlagen aufteilt. Der Aufbau eines solchen
Anlageportfolios kann und soll durchaus schrittweise erfol-
gen, denn – wie unsere Überlegungen in den vorhergehen-
den Kapiteln gezeigt haben – es ist äussert schwierig, den
richtigen Zeitpunkt für einen Markt­einstieg korrekt zu anti-
zipieren. Und somit gilt es auch, das Risiko eines falschen
Einstiegszeitpunktes über die Zeit zu diversifizieren. Nur
ein konsequentes Vorgehen und eine kontinuierliche und
beharrliche Umsetzung der vorgegebenen Anlagestrategie
garantiert letzten Endes auf lange Frist den Anlageerfolg.
Erfolgreich investieren 27
 Die nebenstehende Grafik zeigt, dass
UBS-Kunden, die über ein Vermögensver-
waltungsmandat eine hohe Anlage­disziplin
umsetzen, im Durchschnitt deutlich höhere
Renditen erzielen, als Anleger, die
ohne die oben genannte Anlagelösung
selber investieren.

Der Versuch die Märkte zu «timen» kann bei schlecht ge-
wählten Ein- und Ausstiegszeitpunkten extreme Folgen ha-
ben. Die Abbildung zeigt eine Anlage im US-Aktienmarkt
während 25 Jahren. Ein Initial-Investment von USD 100 000
anfangs 1989 in den S&P 500 wuchs bis Mitte 2013 auf
über USD 1 Million, wenn man ununterbrochen investiert
war. Wer hingegen durch unglückliches Ein- und Ausstei-
gen in den Aktienmarkt die fünf besten Handelstage ver-
passte, erzielte lediglich USD 675000 oder einen
­Minderertrag von 34 Prozent. Bei Verpassen der zehn
besten Handelstage betrug dieser gegenüber der «buy
and hold»-Strategie 50 Prozent, bei 25 Handelstagen gar
75 Prozent. Da ein unglückliches Market-Timing verheerend
sein kann, ist es äussert wichtig, an der gewählten Anlage-
strategie konsequent festzu­halten.
Mit passender Anlagelösung umsetzen
UBS hilft Ihnen mit einer passenden Anlagelösung diszipli-
niert zu investieren. Hierfür bieten sich zwei verschiedene
Lösungen an: Beim UBS Vermögensverwaltungsmandat
delegieren Sie sämtliche Anlageentscheidungen an unsere
Anlagespezialisten. Diese sorgen dafür, dass Ihr Portfolio
stets überwacht wird und mit Ihrer individuellen Anlage-
strategie in Einklang steht. Falls Sie es vorziehen, über
Änderungen in Ihrem Portfolio selbst zu entscheiden,
empfiehlt sich die Anlagelösung UBS Advice. Bei dieser
Variante wird eine hohe Anlagedisziplin aufrecht erhalten,
indem Ihr Portfolio regelmässig überwacht wird und Ihre
Kundenberaterin oder Ihr Kundenberater Ihnen bei Bedarf
Änderungsvorschläge und Anlageopportunitäten zukom-
men lässt. Den Anlageentscheid fällen in jedem Fall Sie.

28 Erfolgreich investieren
Disziplin zahlt sich aus
Performance-Vergleich Vermögensverwaltungsmandat Rendite gegenüber
herkömmlichen Beratungsporfolios

6%

5% 5,3%
4,9%
4% 4,6%

3% 3,3%
2,9%
2%
2,2%
1%

0%
2012 2013 1. Halbjahr 2014
Vermögensverwaltungsmandat Rendite
Herkömmliche Beratungsportfolios (ohne UBS Beratungsmandate, z.B. UBS Advice) mit Rendite-
ähnlichem Risikoprofil
Die vergangene Performance ist kein zuverlässiger Indikator für künige Ergebnisse
Quelle: UBS Nur zur Veranschaulichung

Investiert bleiben – Performance-Verlust bei

schlechtem Market-Timing
Minderertrag, wenn die besten x Handelstage verpasst wurden
Investment von USD 100 000 in den S&P 500 von 1989 bis 2013

1,2

1,0
1018000 –34% –50% –61% –69% –75%
Wer die besten
Millionen USD

0,8
Handelstage verpasst,
0,6 675000
hat enorme
508000
0,4
397000 Performance-­Einbussen.
0,2 316000
256 000

0
0 5 10 15 20 25
Anzahl verpasste beste Handelstage

Initial-Investment 1989
Gesamtvermögen 2013
Minderertrag gegenüber «buy and hold»-Strategie

Quelle: UBS Nur zur Veranschaulichung

Erfolgreich investieren 29
Literatur-
verzeichnis
Ariely, Dan (2008): Predictably irrational, New York: Harper Collins. Auf Deutsch:
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30 Erfolgreich investieren
Risikohinweise

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