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Ausgabe 2/2018, 10. Jg.

zukunft
forschung

INNOVATIVE
SCHWINGUNGEN
thema: schall I geschichte: privater buchbesitz in tirol I biologie: krebs erkennen­
architektur: raum als ort sozialer selbstfindung I chemie: treibhausgase recyceln­
informatik: große datenmengen erleben I kunstgeschichte: kunstkritiker gombrich

DAS MAGAZIN FÜR WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG DER UNIVERSITÄT INNS­BRUCK


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EDITORIAL

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

I
m Jahr 2019 haben wir Grund zum Feiern: Vor 350 Jahren die sich mit dem Phänomen des Schalls beschäftigen oder die-
wurde unsere Alma Mater gegründet. Am 15. Oktober 1669 sen als Werkzeug nutzen. Schall kann uns nicht nur in Form
genehmigte Kaiser Leopold I. die Einhebung des „Haller von Musik erfreuen, sondern ermöglicht zahlreiche technolo-
Salzaufschlags“, der Sondersteuer zur Finanzierung einer gische Lösungen, wie etwa die berührungsfreie Untersuchung
Minion
­Tiroler Landesuniversität. Dies war die Geburtsstunde der Uni- von Werkstoffen. Dass er auch wahrgenommen werden kann,

DE
versität Innsbruck. wenn das menschliche Ohr versagt, dafür haben Pioniere um
Feiern werden wir dieses runde Jubiläum gemeinsam mit der das Ehepaar Ingeborg und Erwin Hochmair gesorgt. Sie konn-
Bevölkerung, unseren Freunden und Förderern und zahlreichen ten als erste ein menschliches Sinnesorgan vollständig ersetzen.
Partnern in Innsbruck und unserem Umfeld. Im Juni laden wir Diese Technologie wird in Kooperation mit MED-EL an unserer
die Menschen zu einem Fest der Wissenschaft mitten in Inns- Universität weiterentwickelt. In dieser Ausgabe unseres For-
PEFC zertifiziert
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bruck. Im Oktober begehen wir den historischen Gründungstag schungsmagazins finden Sie viele weitere Beiträge zu stammt
aktuellen
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nachhaltig
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mit einer Festwoche, deren Höhepunkt ein außergewöhnlicher wissenschaftlichen Erkenntnissen und Projekten. bewirtschafteten
Wäldern und
bewirtschafteten
Wäldern und
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Festakt im Tiroler Landestheater sein wird. Ein großer Uniball, Quellen Quellen

Festkonzerte, die Präsentation der neuen Universitätsgeschich- Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre und freuen www.pefc.at www.pefc.at

te, viele Ausstellungen, Lesungen, ein umfangreiches Führungs- uns über Ihre Fragen und Anregungen!
programm und zahlreiche Projekte im öffentlichen Raum stel-
len die Universität Innsbruck und ihre Leistungen 2019 in den
Mittelpunkt. Machen Sie sich selbst ein Bild vom vielfältigen
Programm (www.uibk.ac.at/350-jahre), abonnieren Sie unseren
Jubiläums-Newsletter und feiern Sie mit uns mit!
Neben einem Blick in die Gründungszeit unserer Universi- TILMANN MÄRK, REKTOR
tät bietet dieses Magazin einen Einblick in Forschungsgebiete, ULRIKE TANZER, VIZEREKTORIN FÜR FORSCHUNG
Myriad

IMPRESSUM
Herausgeber & Medieninhaber: Leopold-Franzens-Universität Inns­bruck, Christoph-Probst-Platz, Innrain 52, 6020 Inns­bruck, www.uibk.ac.at
Projektleitung: Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kulturservice – Mag. Uwe Steger (us), Dr. Christian Flatz (cf); public-relations@uibk.ac.at PEFC zertifiziert PEFC zertifiziert
Dieses Produkt Dieses Produkt
Verleger: KULTIG Werbeagentur KG – Corporate Publishing, Maria-Theresien-Straße 21, 6020 Inns­bruck, www.kultig.at stammt aus stammt aus
Redaktion: Mag. Melanie Bartos (mb), Mag. Eva Fessler (ef), Mag. Andreas Hauser (ah), Mag. Stefan Hohenwarter (sh), nachhaltig
bewirtschafteten
nachhaltig
bewirtschafteten
Lisa Marchl, MSc (ml), Daniela Pümpel, MA (dp), Mag. Susanne Röck (sr) Wäldern und Wäldern und
kontrollierten kontrollierten
Layout & Bildbearbeitung: Florian Koch, Lara Hochreiter Fotos: Andreas Friedle, Universität Inns­bruck Druck: Gutenberg, 4021 Linz Quellen Quellen
www.pefc.at www.pefc.at

Foto: Uni Inns­bruck zukunft forschung 02/18 3


BILD DER
WISSENSCHAFT
INHALT

TITELTHEMA 8
TUNNELBAU. Spritzbeton ist beim Tunnelbau enormen Belastungen
a­ usgesetzt, wie er darauf reagiert, untersuchen Innsbrucker
Bauingenieure – unter anderem mit Schallmessungen. 8

MATHEMATIK. Photoakustische Tomografie misst Schallwellen


und wandelt die Daten in Bilder um, der Mathematiker Markus
­Haltmeier arbeitet an der Entwicklung der Methode. 12

MECHATRONIK. Cochlea-Implantate lassen taube Menschen TITELTHEMA. Schall erfreut uns nicht nur als Musik,
wieder hören, Grundlagen dafür wurden in Innsbruck erarbeitet. 14 Schallwellen ermöglichen auch zahlreiche technolo-
gische Lösungen. ZUKUNFT FORSCHUNG begab
HOLZBAU. Wie im Holzbau dem Lärm beizukommen ist, daran sich auf die Suche, wo an der Uni Innsbruck Schall im
forscht Anton Kraler. 16 Zentrum wissenschaftlichen Arbeitens steht.

MUSIKWISSENSCHAFT. Federico Celestini und Milijana Pavlović 22


folgen den Spuren Gustav Mahlers in die Dolomiten. 18

FORSCHUNG
GESCHICHTE. Der Historiker Michael Span ist Buchbesitz im
Pustertal im 18. Jahrhundert auf der Spur. Damit schließt er eine
Forschungslücke für den katholischen Raum.­ 26
STANDORT. Innsbrucks Bürgermeister Georg Willi
MEDIZIN. Mit Innsbrucker Know-how wurde ein neuer Test zur über den Raum als dritten Pädagogen, sein Anliegen,
Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs entwickelt.  30 das Prädikat Universitätsstadt zu stärken, und sein
eigenes unvollendetes Studium.
CHEMIE. Wissenschaftler konnten am Modellkatalysator­erstmals
wichtige Zwischenschritte in der Methan-Trockenreformierung­ 36
nachweisen. 32

PHYSIK. Innsbrucker Quantenphysiker konstruierten eine Diode


für Magnetfelder und testeten sie im Labor. 39

KUNSTGESCHICHTE. Sybille Moser-Ernst stellt das Œuvre des bri-


tischen Kunsthistorikers Ernst Gombrich wieder in das
Zentrum der Diskussion. 40
INFORMATIK. Das hochmoderne Visualisierungslabor
ARCHITEKTUR. Den Architekten Walter Klasz und den Theologen an der Universität Innsbruck eröffnet seinen Nut-
Christian Bauer verbindet ein Interesse am Entstehen sozialer Innova- zerinnen und Nutzern völlig neue Dimensionen im
tion in der Wechselwirkung zwischen Mensch und Raum. 42 Umgang mit großen Datenmengen.

RUBRIKEN
EDITORIAL/IMPRESSUM 3 | BILD DER WISSENSCHAFT: NEURONALE STAMMZELLE AUS DEM LABOR 4 | NEUBERUFUNG: CLAUDIA PASQUERO 6 | FUNDGRUBE VERGANGEN­HEIT:
GRÜNDUNG DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK 7 | BILDGLOSSAR: ECHOLOT-MESSUNG IM MONDSEE 20 | MELDUNGEN 24 | WISSENSTRANSFER 34 + 35 | TRANSFERSTELLE 44 | PREISE &
AUSZEICHNUNGEN 45 – 47 | ZWISCHENSTOPP: DOMINIK MARKL 48 | SPRUNGBRETT INNS­BRUCK: ROLAND VOGL 49 | ESSAY: VOM WECKER ZUM ZAPFENSTERICH von Ingo Schneider 50

Jüngste Fortschritte in der Stammzellforschung haben hohe Erwar- patentiert, mit dem aus Hautzellen Gehirnstammzellen gezüchtet wer-
tungen geweckt, dass Erkrankungen des zentralen Nervensystems den können. Diese können mitunter fehlerhafte oder kranke Zellen er-
durch die Entwicklung von Stammzelltherapien geheilt bzw. gemildert setzen und so zur Heilung von Krankheiten beitragen. Durch die künst-
werden können. Der Innsbrucker Stammzellforscher Frank Edenhofer liche Herstellung von neuronalen Stammzellen (im Bild) kann auf den
vom Institut für Molekularbiologie hat ein Verfahren entwickelt und Einsatz von embryonalen Stammzellen verzichtet werden.

Fotos: Andreas Friedle (2), AdobeStock/goanovi(1); COVERFOTO: AdobeStock/monsitj; BILD DER WISSENSCHAFT: Frank Edenhofer zukunft forschung 02/18 5
NEUBERUFUNG

AUF DER EXPO 2017 in Kasachstan präsentierte Claudia Pasquero das Projekt „BIO.tech HUT“, eine Zukunftsvision für Algenzucht in Städten.

ZUKUNFTSVISION BIO-STADT
Im „Synthetic Landscape Lab“ forscht die Architektin Claudia Pasquero an der
Schnittstelle zwischen Biologie, Computation und Design.

A
lgen, Bakterien oder Pilze: Sind der Menschen“, verdeutlicht Pasquero,
sie die Hoffnungsträger für die die international als Pionierin im Bereich
nachhaltige Planung von städ- der „Bio-Architektur“ – einer neuen Be-
tischen Lebensräumen der Zukunft? wegung innerhalb der Architektur – gilt.
„Ja“, ist Claudia Pasquero überzeugt. Bereits in mehreren Projekten brachte
Seit September 2017 ist sie Professorin Claudia Pasquero Mikroalgen zum Ein-
für Landschaftsarchitektur am Institut für satz. Algen werden künftig eine zuneh-
Städtebau und Raumplanung. Lebende mend wichtige Rolle in der Erzeugung
Organismen spielen in ihrer Arbeit eine von Energie, aber auch als Nahrungsmit-
wesentliche Rolle. „Wir begreifen Städte tel spielen. Gegenwärtig werden (Mikro-)
als lebendige Systeme im wahrsten Sinne Algen aber hauptsächlich in industriellen
des Wortes. Unsere Grundannahme ist, Produktionsanlagen hergestellt. Diese
dass es nicht mehr möglich sein sollte, Tatsache möchte die Architektin ändern.
einen Unterschied zwischen natürlicher „Mit unseren Prototypen möchten wir
und künstlicher Landschaft zu machen. zeigen, welchen Platz Algen und ihre
Der Fortschritt in Biologie und Techno- CLAUDIA PASQUERO, geb. 1974, ist Herstellung in Wohnungen oder Büros –
logie macht diesen fließenden Übergang neben ihrer Arbeit an der Universität also in der alltäglichen Umgebung der
möglich“, sagt Pasquero. Im Mittelpunkt Innsbruck international erfolgreich: Sie Menschen – haben könnten“, erklärt Pas-
steht für Claudia Pasquero daher weniger ist Co-Direktorin des ecoLogicStudios in quero. Dass die Versorgung mit Energie
die Gestaltung von einzelnen Gebäuden, London, Dozentin und Leiterin des Urban und Nahrungsmitteln sozusagen direkt in
sondern vielmehr eine generelle Orientie- Morphogenesis Lab der Bartlett UCL und den urbanen Räumen stattfindet und
rung an Mechanismen der Natur – und ih- leitende Mitarbeiterin des IAAC (Institute nicht aus den Städten ausgelagert wird,
re digitale Umsetzung in der Planung von for Advanced Architecture in Katalonien) in ist für Pasquero ein besonders wichtiger
urbanen Lebensräumen. „Wir arbeiten Barcelona. Im vergangenen Jahr kuratierte Aspekt: „Die Integration der Kultivierung
mit einer organischen Vision von Land- sie die Tallinn Architecture Biennale 2017. von Mikroalgen direkt in unser unmittel-
schaftsarchitektur, in der es möglich ist, Pasqueros Werke wurden international bares Umfeld lässt uns die Art und Weise,
Biologie und digitale Techniken zu kom- präsentiert, u.a. im FRAC in Orleans, auf wie wir konsumieren und produzieren,
binieren, um beispielsweise Energie aus der Architekturbiennale in Venedig, im überdenken. Wir werden sensibler für
Algen oder Bakterien zu gewinnen – und ZKM Karlsruhe oder in Mailand auf der diese Prozesse, da sie direkt vor unseren
zwar nicht außerhalb der Städte, sondern Expo 2015. Derzeit arbeitet sie an einem Augen stattfinden“, ist Pasquero über-
direkt in den Wohn- und Arbeitsräumen Projekt für das Centre Pompidou in Paris. zeugt. mb

6 zukunft forschung 02/18 Fotos: NAARO (1), Andreas Friedle (1)


FUNDGRUBE VERGANGENHEIT

AM ANFANG WAR DAS SALZ


1669, vor 350 Jahren wurde die Universität Innsbruck gegründet, schon drei Jahre später konnten in der
Aula des Jesuitengymnasiums die ersten Tiroler Baccalaurei und Magistri gefeiert werden.

FÜR DAS ERSTE Hauptgebäude der

D
as 17. Jahrhundert war für Tirol und 1610 121 Tiroler Studenten begrüßen Universität Innsbruck wurde von 1673
kein leichtes: Die Blütezeit des konnte. Die Regierung in Innsbruck rea- bis 1675 ein Gebäude in der heutigen
Schwazer Silberbergbaus neigte gierte, forderte eine Universität, konnte Herrengasse adaptiert, 1776 erfolgte
sich dem Ende zu, zudem ging mit dem Wiener Bedenken gegen eine „Überpro- die Übersiedlung in das frei gewordene
Aussterben der Tiroler Habsburger durch duktion“ von Akademikern zerstreuen Jesuitenkolleg in der Universitätsstraße,
den Verlust des Hofes in Innsbruck Wirt- und hoffte auf Wirtschaftswachstum, heute die Theologische Fakultät. Das
schaftskraft verloren. Auch die Bildungs- sah sie doch in einer Universität „ein Ge- Gebäude in der Herrengasse blickt auf
landschaft darbte. Wer zu dieser Zeit als meinnützliches, viel Geld im Land erhal- eine wechselhafte – und auch dunkle –
Tiroler studieren wollte, musste in die tendes, auch mehr Barschaft hereinzie- Vergangenheit zurück: Von 1939 bis 1945
Ferne, nach Wien, Freiburg oder an die hendes Werk.“ Selbst Klima und Kultur war es die Gestapo-Zentrale für Tirol und
Universität Ingolstadt, die zwischen 1600 mussten im „Bewerbungsverfahren“ her- Vorarlberg. Heute beherbergt es Teile der
halten: Die gesunde Luft sei besser „als in Tiroler Landesverwaltung.
Italia temperiret“, das Aufeinandertreffen
von deutscher und italienischer Kultur
sei ein Bonus – und auch der „wolfaile“ tersemester 1669/70 statt – die Philoso-
Wein. phische Fakultät war gegründet, die an-
fangs die sogenannten „niederen Studi-
Aufbau der Universität en“ Logik, Physik, Metaphysik etc. bein-
1669 schließlich gab Leopold I. der Tiro- haltete. Im ersten Jahrzehnt kamen mit
ler Forderung nach und genehmigte eine Französisch und Italienisch auch die ers­
Universität, die durch eine neue Steuer ten „lebenden Fremdsprachen“ hinzu,
finanziert werden sollte: Auf jedes in Ti- ein Tanz- und Fechtmeister kümmerte
DIE GESCHICHTE der Universität reicht rol verkaufte Fuder – rund 16 Kilogramm sich um die gesellschaftliche und sport-
bis ins Jahr 1562 zurück, als in Innsbruck – Hallersalz wurden zwölf „akade- liche Ausbildung. 1671 folgten mit der
ein Jesuitengymnasium errichtet wurde. mische“ Kreuzer eingehoben. Trotzdem, Theologie und der Jurisprudenz zwei
Darauf aufbauend gründete Kaiser es war eine auch heute gut bekannte weitere Fakultäten, 1674 kam die Medizi-
Leopold I. am 15. Oktober 1669 eine Unterfinanzierung: Einnahmen aus dem nische Fakultät dazu. Schon drei Jahre
Universität. Acht Jahre später, 1677, er- Salzaufschlag von 4.300 Gulden standen nach Universitätsgründung erlangten die
langte die Universität Innsbruck durch die Ausgaben an Personal- und Sachaufwen- ersten an der Universitas Oenipontana
Ausfertigung des kaiserlichen Stiftbriefs dungen von 7.000 Gulden gegenüber. ausgebildeten Philosophen akademische
durch Leopold I. und die päpstliche Be- Der Unterricht in der Anfangszeit lag Weihen, die neuen Baccalaurei und Ma-
stätigungsbulle von Innozenz XI. die volle in den Händen der Jesuiten, der erste gistri machten Innsbruck endgültig zu
Rechtsgültigkeit. Universitätskurs in Logik fand im Win- einer Universitätsstadt.  ah

Fotos: Uni Inns­bruck (2), Wikipedia/ Leitzsche (1) zukunft forschung 02/18 7
8 zukunft forschung 02/18 Foto: Andreas
Foto: BBT-SE
Friedle
RISSANALYSE
MIT SCHALL
Beim Bau des Brenner Basistunnels werden hunderttausende Kubikmeter Spritzbeton v­ erbaut,
um den Tunnelhohlraum abzusichern. Der Spritzbeton ist dabei enormen Belastungen
­ausgesetzt, wie er darauf reagiert, untersuchen Innsbrucker Bauingenieure und wollen mit
Schallmessungen mehr über Mikrorisse im Spritzbeton erfahren.

zukunft forschung 02/18 9


TITELTHEMA

MATTHIAS NEUNER, Günter Hofstetter und

E
r ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Martin Drexel (v.li.) im Labor. In den Kriechprüf-
Mammutprojekt, an dessen Ende zwei ständen wird die Verformung von Spritzbeton
Tunnelröhren tief unter dem Brenner unter konstanter Belastung untersucht.
von Innsbruck bis Franzensfeste die längste
unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt
bilden sollen. Inklusive Umfahrung Innsbruck Techniker mit Spritzbeton direkt von der Bau-
BEIM VORTRIEB des Brenner wird der Brenner Basistunnel (BBT) 64 Kilo- stelle, im Labor werden die Versuchskörper,
Basistunnels werden neue meter lang sein, das gesamte Tunnelsystem 30 Zentimeter hohe Betonzylinder mit zehn
Hohlräume mit einer Spritz- kommt auf eine Länge von rund 230 Kilome- Zentimeter Durchmesser, auf Herz und Nie-
betonschale gesichert, die ter. Allein auf österreichischer Seite werden ren geprüft. Um die Bildung von Mikrorissen
dauerhafte Innenschale wird dabei ungefähr 700.000 Kubikmeter Spritzbe- im Spritzbeton messen zu können, setzt Hof-
erst später betoniert (das Bild ton zur Hohlraumsicherung verbaut. Dabei stetters Team auch auf Schall.
auf den Seiten 8 und 9 zeigt wird mit einem Roboter auf die durch den
die Spritzbetonsicherung in Tunnelvortrieb neu geschaffene Hohlraumo- Vom Tiermodell zum Tunnelbau
Mauls). Für ihre Forschungen berfläche spezieller Beton gespritzt, es bildet An Tunnelbau dachte der US-Amerikaner
arbeiten die Innsbrucker Wis- sich eine Schale aus Spritzbeton mit je nach Carl Ethan Akeley Anfang des 20. Jahrhun-
senschaftler mit Proben, die benötigter Tragfähigkeit vorgegebener Di- derts nicht, als er ein Drahtgerüst und eine
direkt vor Ort beim Aufspritzen cke. Spritzbeton, der extremen Bedingungen spezielle Kanone konstruierte. Durch die Dü-
des Spritzbetons in zylinderför- ausgesetzt ist. „Die Überlagerungshöhen se sprühte er mit Druckluft Mörtel Richtung
migen Schalungen (Bild unten, betragen bis zu 1.800 Meter“, erklärt Günter Drahtgerüst und fügte gleichzeitig Wasser
rechter unterer Bildrand) Hofstetter, Leiter des Arbeitsbereichs Festig- hinzu. Dies führte zu festen dünnen Schich-
aufgenommen werden. keitslehre und Baustatik an der Universität ten, die nicht vom Drahtgerüst fielen, bevor
Innsbruck. In anderen Worten: Ein ganzes sie endgültig erstarren. Der Tierpräparator
Gebirge ruht auf den Röhren. Der aufge- Akeley wollte damit eigentlich plastische
brachte Spritzbeton ist daher bereits während Modelle von großen Tieren herstellen, er-
der Erhärtung hohen Beanspruchungen aus- kannte aber rasch, dass die Methode auch an-
gesetzt. „Uns interessieren die Eigenschaften derweitig einsetzbar war. 1911 erhielt er das
des Spritzbetons während der Erhärtung“, Patent für einen „Apparat zum Mischen und
sagt Hofstetter. Für ihre Tests arbeiten die Auftragen von plastischen Materialien”, der

10 zukunft forschung 02/18 Fotos: Andreas Friedle (3), Matthias Neuner (1)
TITELTHEMA

Apparat wurde vor allem in der Bauindustrie


eingesetzt – Akeley hatte das Trockenspritz-
verfahren erfunden.
„Heute wird vor allem mit Nassspritzbeton
gearbeitet“, weiß Matthias Neuner vom Ar-
beitsbereich Festigkeitslehre und Baustatik,
„und das ist ein High-Tech-Produkt.“ Nass-
spritzbeton beginnt innerhalb von Sekun-
den bis Minuten zu erhärten, erreicht wird
dies­durch chemische Beschleuniger. „In den
letzten 20, 30 Jahren hat sich auf diesem Ge-
„Mit dem Schallemissionsgerät wollen
biet sehr viel getan“, weiß Neuner. Mit ein
wir die Bildung von Mikrorissen im
Grund, dass Untersuchungen zu Spritzbeton
aus den 1990er-Jahren nicht mehr State of the ­Spritzbeton untersuchen.“ Matthias Neuner
Art sind. „Wir konnten im Labor ermitteln,
dass heutiger Spritzbeton gut das Doppelte Tunnelbau kommt noch ein weiteres Phäno-
an Belastung aufnehmen kann als jener, der men dazu: das nichtlineare Kriechen. „Über-
vor 20 Jahren eingesetzt wurde“, nennt der schreitet die konstante Belastung ein gewisses
Bauingenieur ein Beispiel. Neuners Disser- Niveau, nämlich rund 40 Prozent der Druck-
tation widmete sich den Themen Erhärtung festigkeit, nehmen die zeitlichen Kriechver-
des Spritzbetons und die davon abhängige formungen überproportional zu“, so Neuner.
Entwicklung seiner Eigenschaften, sind diese Bis dato sei dieses nichtlineare Kriechen für
doch von besonderer Bedeutung für die Trag- Spritzbeton überhaupt nicht untersucht – was
fähigkeit einer Spritzbetonschale. sich durch die Forschungsarbeit der Innsbru-
„Ziel ist es, den Tunnelkonstruktionsprozess cker Techniker nun ändern soll.
zu berechnen. Dazu müssen wir wissen, was
in dem Tunnel abhängig von der Geometrie Nichtlineares Kriechen
und den Umgebungsbedingungen passiert, „Man führt das Phänomen des nichtlinearen
mit welchen Verformungen zu rechnen ist, Kriechens auf Mikrorisse im Beton zurück.
wie sich Gebirge und Materialen – vor allem Durch die enorme Belastung kommt es zu
der Spritzbeton – verhalten. Daher wollen wir Schädigungen des Materials, dies führt zu
das Material Spritzbeton in einem Rechenmo- Verformungen“, schildert Neuner und Günter
dell beschreiben“, erläutert Neuner. Neben Hofstetter ergänzt: „Indirekt kann man nicht-
den klassischen Eigenschaften Steifigkeit, Fe- lineares Kriechen über die Verformungen des
stigkeit und Duktilität geht es dabei auch um Versuchskörpers messen. Ein genaueres Bild GÜNTER HOFSTETTER,
Schwind- und Kriechverhalten. „Ist Spritzbe- bekommt man aber mit Hilfe eines Schall­ Jahrgang 1959, studierte
ton einer permanenten Belastung durch ein emissionsgeräts.“ Auf den Versuchskörper Bauingenieurwesen an der TU
hohes Gewicht ausgesetzt, verformt­sich der verteilt werden sechs Sensoren geklebt, Wien, wo er 1987 dissertierte.
Beton mit der Zeit, er kriecht“, erläutert Neu- kommt es zu einem Mikroriss, zeichnen die Von 1983 bis 1995 war er for-
ner. Beton schwindet in Folge von chemischen Sensoren die dabei emittierten Schallwellen schend und lehrend an der TU
Reaktionen und Austrocknen, das Volumen auf. „Die Schallwellen brauchen unterschied- Wien tätig, unterbrochen von
des Materials verringert sich mit der Zeit. lich lang zu den Sensoren, aus diesen Zeitun- einem Jahr als Visiting Scholar
Das erstellte Materialmodell kalibrierte terschieden kann man die Lage der Mikrorisse an der University of Califor-
Neuner anhand der exakten Rezeptur des genau berechnen“, führt Neuner die weitere nia in Berkeley. 1995 wurde
im BBT verwendeten Materials. Beim Auf- Vorgangsweise an. Von den Untersuchungen Hofstetter an die Universität
tragen des Spritzbetons wurden Schalungen erwarten sich die Betonexperten Rückschlüsse Innsbruck als Universitäts-
für Versuchskörper gefüllt, die erhärteten Be- auf die Quantität der Mikrorisse, auf ihre lo- professor für Festigkeitslehre
tonzylinder kamen ins Labor. Während das kale Verteilung und ab welchem Belastungs­ berufen. Seither war er auch
Schwinden relativ einfach zu untersuchen ist niveau die Mikrorissbildung einsetzt. in verschiedenen universitären
(Neuner: „Man lässt den Versuchskörper ste- „Unsere Erkenntnisse sollen besser abgesi- Funktionen tätig, so ist er seit
hen und kontrolliert über die Zeit die Verfor- cherte Werte für die Berechnung der Standsi- 2013 Dekan der Fakultät für
mungen.“), benötigt es für das Kriechen einen cherheit der Spritzbetonschale liefern und Technische Wissenschaften.
eigenen Prüfstand, den Neuners Arbeitskol- helfen, das Material Spritzbeton besser und Hofstetters wissenschaftliche
lege Martin Drexel konstruierte. „Der Ver- effizienter zu nutzen“, hält Hofstetter fest. Bei Interessen liegen vor allem in
suchskörper ist über Wochen, Monate, even- 700.000 Kubikmeter Spritzbeton, die für den der Grundlagenforschung und
tuell sogar Jahre einer konstanten Belastung BBT auf österreichischer Seite benötigt wer- der angewandten Forschung
ausgesetzt, mit Wegaufnehmern misst man den, „kann man da ein bisschen was errei- auf dem Gebiet der rechnerge-
die Veränderungen“, sagt Neuner. Gerade im chen.“ah stützten Mechanik.

zukunft forschung 02/18 11


TITELTHEMA

MARKUS HALTMEIER
(*1977 in Zams) studierte in
Innsbruck Mathematik und
Physik. Nach seinem Abschluss
in Mathematik war er wissen-
schaftlicher Mitarbeiter der
Infmath Imaging Gruppe von
Otmar Scherzer, in seiner Dis-
sertation (2007) beschäftigte
er sich mit Photoakustischer
Bildgebung. 2009 wurde
Haltmeier Universitätsassistent
am Computational Science
Center der Universität Wien,
dort habilitierte er sich im Jahr
2010. Danach wechselte er als
Gruppenleiter für Statistische
Inverse Probleme an das Max-
Planck-Institut für Biophysika-
lische Chemie in Göttingen.
2012 wurde er ans Institut für
Mathematik der Uni Innsbruck
berufen, wo er seither die
Arbeitsgruppe Applied Mathe-
matics leitet.

12 zukunft forschung 02/18 Fotos: Andreas Friedle, Robert Nuster, Peter Burgholzer
TITELTHEMA

BILDHAFTER SCHALL
Mit Laser bestrahlte Objekte erwärmen sich und erzeugen Schallwellen. Photoakustische Tomografie misst
die Wellen und wandelt die Daten in Bilder der Objekte um. In der medizinischen Diagnostik sind damit
Blutgefäße darstellbar, der Mathematiker Markus Haltmeier arbeitet an der Entwicklung der Methode.

D
er Name Graham Bell ist un- führt dazu, dass sich das Objekt erwärmt erstes Ziel war die Erhöhung der Auflö-
trennbar mit der Geschichte des und ausdehnt. Diese thermische Expansi- sung“, blickt der Tiroler Forscher auf die
Telefons verbunden. Auch wenn on wiederum erzeugt akustische Wellen, Anfänge im Jahr 2003 zurück. Gemessen
Bell nicht der Erfinder war, er brachte die von Sensoren empfangen werden. wurde anfangs mit vielen nur millimeter-
die Übermittlung von Sprache mittels Diese Messdaten werden mit Hilfe von großen Sensoren, was einerseits die Auf-
elektrischer Signale zur Marktreife. Wirk- mathematischen Methoden in Diagnose- lösung limitierte, andererseits die Kosten
lich erfunden hat der gebürtige Schotte bilder umgewandelt. steigen ließ. Die – patentierte – Lösung
allerdings das Photophon. Dabei nutzte der Forscher war ein großer, ebener inte-
er Licht zur Übertragung von Schall, in Compressed Sensing grierender Sensor, der, so Haltmeier, den
seinem Fachartikel „On the Production Letzteres bezeichnen Mathematiker wie Schall nicht an vielen Punkten misst und
and Reproduction of Sound by Light“ Haltmeier als ein inverses Problem – von dessen Größe für die Rekonstruktion des
beschrieb er erstmals den sogenannten einem beobachteten Ergebnis soll auf die Bildes verwendet wurde. „Das war ein
photoakustischen Effekt – die Umwand- Ursache rückgeschlossen werden. Die erster Schritt“, resümiert Haltmeier, „vom
lung von Lichtenergie in akustische En- Berechnung der möglichst detaillierten großflächigen Sensor sind wir aufgrund
ergie. Weit über 100 Jahre später greifen Bilder, das Finden der passenden Algorith- seiner Komplexität abgekommen.“ Als
Mathematiker und Physiker auf diesen men steht im Zentrum der Forschung von Kompromiss zwischen kleinem Punkt und
photoakustischen Effekt zurück, um die Haltmeier, für die konkrete Umsetzung großer Fläche wandten sich die Forscher
medizinische Diagnostik um ein neues im Labor kooperiert er mit den Teams von der Linie zu, mit dem integrierenden Lini-
bildgebendes Verfahren zu erweitern – die Peter Burgholzer in Linz sowie Günther ensensor konnte eine Auflösung von unter
photoakustische Tomografie. Paltauf und Robert Nuster in Graz. „Ein 100 Mikrometer erreicht werden. Doch die
„Mit Computertomografen können Anzahl der benötigten Messungen soll –
Strukturen wie z.B. Knochen, die Rönt- unter gleichzeitiger Beibehaltung von ho-
genstrahlen absorbieren, gut gemessen hem Kontrast und hoher Auflösung – noch
werden. Schwächen haben sie bei wei- verringert werden, Haltmeier setzt dabei
chem Gewebe, vor allem bei Unterschie- auf „Compressed Sensing“-Methoden.
den im Gewebe, daher verwendet man „Die Grundidee ist dabei, anstelle von
Kontrastmittel. Mit der photoakustischen Punktmessungen spezielle zufällige Kom-
Tomografie hingegen können lichtabsor- binationen der einzelnen Druckwerte zu
bierende Strukturen sehr gut bildlich dar- messen“, erläutert Haltmeier den Ansatz.
gestellt werden, wir können damit Blut- Für einen photoakustischen Tomograf mit
gefäße, aber auch Melanome erkennen“, rund 500 Liniensensoren hieße das, dass
beschreibt Markus Haltmeier den Vorteile nicht alle Sensoren eigens verkabelt und
der Methode, bei der es sich, so der Inns- ausgelesen werden („Technisch schwer
brucker Mathematiker, ähnlich verhalte machbar und kostspielig.“), sondern die
wie bei Blitz und Donner. Liniensensoren „auf eine zufällige Weise
Während bei einem Gewitter Luft im verbunden werden“. Eine Messung wäre
Blitzkanal im wahrsten Sinn des Wortes dann der Auslesevorgang einer zufälligen
blitzartig auf bis zu 30.000 Grad Celsius Kombination vieler hypothetischer Mes-
erhitzt wird, sich dabei ausdehnt und sungen, aus der anschließend das Bild re-
nach Zusammenbrechen des – den Blitz- konstruiert wird. Noch steht Haltmeier
kanal umgebenden – Magnetfelds schlag- DIE TESTGERÄTE für photoakustische dabei am Anfang, in einem bis 2021 lau-
artig als Donner entweicht, arbeitet die Tomografie aus Graz und Linz arbeiten fenden FWF-Projekt will er neuartige Re-
photoakustische Tomografie mit Laser- mit eigens entwickelten integrierenden Li- konstruktionsalgorithmen entwickeln, die
pulsen. Ein Objekt – z.B. ein menschlicher niensensoren, Markus Haltmeier will diese in der Praxis realisierbar und effizient nu-
Körper oder eine Gewebeprobe – wird mit nun „zufällig verbinden“, um durch die merisch umsetzbar sind sowie auf einem
vielen Laserpulsen im Nanosekundenbe- Messung der zufälligen Kombination den soliden mathematischen Fundament ba-
reich beleuchtet, die Absorption des Lichts den Auslesevorgang zu beschleunigen. sieren.ah

zukunft forschung 02/18 13


TITELTHEMA

STIMULIERTER HÖRNERV
Der Hörsinn ist der erste menschliche Sinn, der technologisch wieder hergestellt werden kann.
Mit Cochlea-Implantaten können taube Menschen wieder hören, wesentliche Grundlagen dafür
wurden an der Universität Innsbruck erarbeitet.

E
igentlich ist es eine Kettenreakti- in der Kette ganz oder teilweise aus, heißt, sie sind nach Frequenzen angeord-
on: Schallwellen gelangen in den hat dies Konsequenzen: Fehlende oder net. Das kann man mit einem künstlichen
Gehörkanal und bringen dort – in beschädigte Haarzellen etwa können Elektrodenarray, wenn man es an die ent-
der Frequenz des Schalls – das Trom- den Hörnerv nicht (oder nur unzurei- sprechende Stelle legt, optimal ausnützen.
melfell zum Schwingen. Diese Schwin- chend) stimulieren, die Folgen sind eine Mit der Cochlea ist für die Elektrode zu-
gungen wiederum breiten sich über die schwere bis hochgradige Schallempfin- dem ein Kanal vorhanden, der sich von
Gehörknöchelchen in die Gehörschnecke dungsschwerhörigkeit. Es sei denn, der Kleinkind bis ins hohe Alter fast nicht
(Cochlea) aus und versetzen dort Flüssig- Hörnerv wird anderweitig, durch eine verändert“, sagt Clemens Zierhofer, der
keit in Bewegung. Dadurch geraten auch direkte Elektrostimulation, angeregt – das sich seit den 1980er-Jahren mit Cochlea-
die Haarzellen – feinste Sinneszellen – in Funktionsprinzip sogenannter Cochlea- Implantaten (CI) beschäftigt.
Bewegung. Dies löst neurale Signale aus, Implantate.
der Hörnerv fängt diese auf, leitet sie an „Das Ohr ist ein ideales Interface zwi- Pionierarbeit
das Gehirn weiter, wo sie als akustische schen einem künstlichen und dem natür- Die österreichischen Wissenschaftler
Ereignisse interpretiert werden – der lichen Hörsystem. In der Gehörschnecke Ingeborg und Erwin Hochmair entwi-
Mensch hört. Fällt allerdings ein Glied sind die Nerven tonotop sortiert, das ckelten in den 1970er-Jahren in Wien das

14 zukunft forschung 02/18 Fotos: AdobeStock/goanovi(1), Andreas Friedle (1)


TITELTHEMA

die das Audio­s ignal digitalisiert und plantat führte zu einer Verbesserung, der
überträgt, sowie eine Batterie“, erläutert Tinnitus wurde durch die Elektrostimu-
Zierhofer. Warum – im Gegensatz zum lation unterdrückt. „In einigen Projekten
Herzschrittmacher – die Batterie extern suchten wir nach den stochastischen Mus­
ist, erklärt sich durch einen Leistungsver- tern, die sich am besten dafür eignen“,
gleich. Zierhofer: „Ein Herzschrittmacher berichtet Zierhofer, „für eine Umsetzung
braucht circa einen Stimulationsimpuls braucht es aber noch einige Studien.“
pro Sekunde, um ein Audiosignal zu pro-
duzieren, benötigen wir 20.000 bis 50.000 Forschungsthemen
Impulse in der Sekunde.“ Mit seinen Aktuell beschäftigt sich Zierhofer mit der
ersten Arbeiten gelang es Zierhofer, die Stimulation eines anderen Sinnes – dem
Hochfrequenzstrecke zwischen Sprach- Gleichgewicht. Sitz des Gleichgewichtsor-
prozessor und Implantat – „Eine kritische gans, auch Vestibularorgan genannt, ist
Komponente, weil sie auf den gesamten das Innenohr, genauer gesagt die drei Bo-
Energieverbrauch Einfluss hat.“ – ein- gengänge. Ähnlich dem Hörsystem wer-
fach und effizient zu gestalten. „Danach den von den dort gelegenen Sinneszellen
habe ich im Rahmen von etlichen FWF- Informationen über einen Hirnnerv in die
Projekten, die aufgrund ihrer Wirtschafts- entsprechenden Nervenkerne im Hirn-
nähe durch die Nationalbank aufgestockt stamm gesandt, ein Ausfall führt zu Stö-
wurden, Strategien für besseres Hören rungen des Gleichgewichts, zu Schwindel
entwickelt“, berichtet der Nachrichten- und Übelkeit. „Wir versuchen über Elek-
techniker. Diese Grundarbeiten flossen troden die optimalen Stimuli zu finden,
in die Produkte von MED-EL ein, un- um das Vestibularorgan rekonstruieren zu
ter anderem in einen Hinter-dem-Ohr- können“. Als Außensensor soll ein Kreisel­
Sprachprozessor – zuvor musste der instrument (Gyroskop) zum Einsatz kom-
Prozessor am Körper getragen werden men, angedacht ist auch eine Kombination
– und schließlich in den ersten digitalen mit einem CI, „da Störungen im Innenohr
Hinter-dem-Ohr-Sprachprozessor, der oft mit Störungen des Vestibularorgans
nur mehr einen Bruchteil der zuvor be- verknüpft sind“. Idealerweise als Vollim-
nötigten Energie verbraucht. In einem plantat, denn „generell geht die Entwick-
anderen Forschungsprojekt beschäf- lung Richtung totally implan­table“. Die
tigte sich Zierhofer mit einer neuen, auf Next Generation von CI sollen ohne exter-
erste mikroelektronische Mehrkanal-CI, Feinstruktur­information basierenden Sti- nes System auskommen, der Sprachpro-
1977 wurde es erstmals in die Cochlea mulationsstrategie, die zur besseren Co- zessor wird ebenso implantiert. Einerseits
implantiert. Ein CI war und ist bis heu- dierung von Audiosignalen bei CI dient aus ästhetischen Gründen, andererseits ist
te der erste tatsächlich realisierte Ersatz und von MED-EL umgesetzt wurde. das empfindliche System im Schädelkno-
eines Sinnesorgans – dem Hörsinn. Erwin Sozusagen ein Nebenprodukt mündete chen besser geschützt. Zierhofer: „Das Sys-
Hochmair wurde 1985 als Professor für in eine Zusammenarbeit mit niederlän- tem muss natürlich von Zeit zu Zeit über
Angewandte Physik und Mikroelektronik dischen Partnern. „Es gibt CI-Patienten, eine Hochfrequenzstrecke sozusagen auf-
an die Universität Innsbruck berufen, vier die auf einem Ohr taub sind und an Tin- geladen werden – und da braucht es Nach-
Jahre später gründete er mit seiner Frau nitus leiden“, erzählt Zierhofer. Das Im- richtentechniker.“ah
in der Tiroler Landeshauptstadt das Un-
ternehmen MED-EL, das heute weltweit
mehr als 1.700 Mitarbeiter beschäftigt und CLEMENS ZIERHOFER, geboren 1962 in Innsbruck, studierte an der TU Wien Nach-
implantierbare Lösungen zur Behandlung richtentechnik und dissertierte 1989 in Innsbruck bei Erwin Hochmair. Zierhofer bekleidet
unterschiedlicher Arten von Hörverlust seit 1986 wissenschafltiche Funktionen an der Universität Innsbruck (Habilitation 1995,
anbietet. Wesentliche Grundlagen des CI a.o. Professur 2004), seit 2012 ist er Universitätsprofessor am Institut für Mechatronik und
von MED-EL wurden an der Universität leitet die Arbeitsgruppe „Signalverarbeitung
Innsbruck erarbeitet, vor allem was Zier- und Hochfrequenztechnik“. Von 2005 bis
hofers Arbeitsbereiche – Stimulationsstra- 2011 leitete er ein Christian-Doppler-Labor
tegien, Signalverarbeitung und Hochfre- für „Aktive Implantierbare Systeme“. Für
quenztechnik – betrifft. seine Arbeiten zu Cochlea-Implantaten
„Cochlea-Implantate bestehen aus wurde er 2005 als erster Österreicher in
zwei Teilen. Der interne Teil ist das Im- München mit dem Karl-Heinz-Beckurts-Preis
plantat, das digitale Daten empfängt, ausgezeichnet. Neben seiner universitären
decodiert und Stimulationssignale er- Tätigkeit war Zierhofer auch als Konsulent
zeugt. Der externe Teil ist der Sprach- bzw. Leitender Entwicklungsingenieur für
prozessor: ein Mikrophon, Elektronik, den Hörimplantathersteller MED-EL tätig.

zukunft forschung 02/18 15


TITELTHEMA

NACHWACHSENDER
SCHALLSCHUTZ
Wie im Holzbau dem Lärm beizukommen ist, daran forscht Anton Kraler.
Dabei ist es ein Vorurteil, dass es beim Schallschutz immer ausschließlich Masse sein muss.

E
ine möglichst dicke Wand, Beton Antwort ist Mehrschaligkeit, also mehre- Bauakustik
oder Stein, ordentlich Masse, das re Schichten: Stellen Sie sich Meereswellen Bei dem Masse-Feder-Masse-Prinzip
braucht man, um sich vor Lärm zu vor. Vor eine große Welle kann ich einen sollten die Hohlräume immer mit leich-
schützen: Das ist oft die allgemeine Vor- Betonklotz stellen, oder ich nehme mehre- tem Faserdämmstoff ausgefüllt werden,
stellung – je dicker, desto besser. Dass es re biegeweiche dünnere Schichten mit ent- der Schall wird dadurch absorbiert; bei
auch anders geht und vor allem auch mit sprechenden Abständen dazwischen. Die Luft alleine kann es zu Reflektionen in
Holz, zeigt Anton Kraler mit seiner For- erste Schicht biegt sich zum Beispiel stark den Hohlräumen kommen und dadurch
schung am Arbeitsbereich für Holzbau: durch, die zweite weniger, die dritte nicht zu einer geringeren Schalldämmung.
„Es stimmt schon, wir haben bei Holz nur mehr. Das ist das Grundprinzip: Auf eine „Die Bezeichnung ‚leichte Dämmung‘
rund ein Fünftel der Masse von Beton bei Masse folgt eine Feder – ein Hohlraum bezieht sich auf die Steifigkeit des Mate-
gleicher Größe. Mit Masse allein komme mit leichter Faserdämmung –, dann eine rials, das heißt, das Material kann leicht
ich dem Schall bei Holz also nicht bei. Die Masse, eine Feder, und so weiter.“ zusammengedrückt werden. Beim Bild

16 zukunft forschung 02/18 Fotos: Andreas Friedle (2), Anton Kraler (1)
TITELTHEMA

werden. Bei Wohnungstrenndecken darf seit langem im erweiterten Messbereich


ein Trittschallpegel von maximal 48 Dezi- von 50 bis 5.000 Hertz. Das Ziel muss
bel erzielt werden.“ sein, dass die Leute behaglich wohnen.
Schalldämmung im tiefen Frequenzbe-
Estrich: Trocken statt Nass reich hat meistens mit Masse oder groß-
Aufgrund der geringen Masse von Holz en Abständen zu tun, an der optimalen
ist der Aufbau einer Wohnungsdecke aus Abstimmung arbeiten wir gerade“, er-
Holz anders abzustimmen als bei Beton- klärt er. Überlegungen gibt es auch, mit
bau: Die fehlende Masse wird mit einer Reibungswiderstand zu arbeiten, um die
schweren Schüttung, häufig Kies, ausge- Schwingungen zu reduzieren. „Da stehen
glichen. Eine Schüttung wird ohnehin für wir aber noch am Anfang der Forschung.“
den Ausgleich der Installationsleitungen
benötigt. Bei der darauf folgenden Tritt- Nachwachsender Rohstoff
schalldämmplatte kommt es wieder auf Dass Holz als nachwachsender Rohstoff
die Steifigkeit des Materials an: „Wir für den Bau vermehrt gefördert werden
sprechen hier von der ‚dynamischen muss, steht für Anton Kraler außer Frage.
Steifigkeit‘. Diese sollte bei Trittschall- „Holz ist einer der ältesten Baustoffe, ein
dämmplatten im Holzbau nicht höher als Material, das bei richtigem Einsatz und
HIER WIRD das Bauschalldämmmaß einer 15 Mega-Newton pro Kubikmeter sein. Pflege quasi nicht verrottet, leicht zu be-
Außenwand gemessen, Arbeiten, die Anton Der Aufbau schließt in der Regel mit arbeiten ist und dessen Belastbarkeit in
Kraler auch durchführt. einem Zement-Estrich ab“, erklärt Kraler. Verhältnis zum Gewicht sensationell ist.
Ein Projektpartner von Anton Kraler hat Und Holz strahlt eine unübertreffliche
der großen Meereswelle wird das ver- seit Kurzem einen Baustoff entwickelt, Behaglichkeit aus“, betont er. „Natürlich
ständlich, die nächste Schicht wird nicht der hier vieles erleichtert: „Vereinfacht haben alle Baustoffe ihre Berechtigung,
mehr so stark angeregt. Ein weiterer gesprochen: Die arbeiten mit einem Kar- die Kombination sorgt für die Qualität.
entscheidender Faktor ist die Resonanz- ton, den sie mit entstaubtem Quarzsand Materialgerechter Einsatz ist hier das
frequenz zwischen den Bauteilschichten, füllen.“ Der neue Baustoff hat eine sehr Zauberwort. Holz soll vor allem da einge-
die müssen optimal abgestimmt sein“, hohe innere Dämpfung, sodass die Auf- setzt werden, wo wir es auch spüren,
sagt Anton Kraler. Massenverdopplung bauhöhe der Decke verringert werden beim Wohnen, in der Konstruktion, etc.
bringt bei leichten Baustoffen wie Holz kann. Auch die dynamische Steifigkeit An diesen und weiteren Möglichkeiten
nur wenig Verbesserung: Sie bringt ca. darf hier höher sein, es können auch sonst arbeiten wir.“sh
sechs Dezibel, aber eine resonanzmäßig zu steife Holzfaserdämmplatten einge-
richtig abgestimmte biegeweiche Schicht setzt werden. „Es ist hochinteressant,
bis zu 18 Dezibel. wir erreichen mit diesem Produkt auch
Anton Kraler arbeitet vor allem an Me- die geforderten Normwerte. Die Vorteile
thoden, wie man Schallschutz zwischen sind klar: Statt sieben Zentimeter Estrich
Wohneinheiten sicherstellen kann – bei ist diese Schicht nur drei Zentimeter dick,
Wänden und Decken, mit unterschied- zudem ein Trockenaufbau – statt nach 28
lichen Anforderungen. „Beim Schall sind Tagen Zement-Trockenzeit kann ich nach
das Material, die Verbindungsmittel und drei Tagen meinen Boden verlegen“, sagt
deren Kombination entscheidende Fak- Anton Kraler.
toren, da stecken einige komplexe bau- Ein zentraler Antrieb für den Schallspe-
physikalische Zusammenhänge dahin- zialisten ist die Zufriedenheit der Leute
ter“, erklärt er. Beim Bau wird zwischen in ihrem jeweiligen Wohnumfeld. Anton ANTON KRALER (*5. März 1968 in
Luftschall – also Lärm, der über die Luft Kraler arbeitet neben dem Schallschutz im Lienz) ist akademischer Quereinsteiger –
übertragen wird – und Körperschall, der Innenbereich an einem weiteren Projekt, der ausgebildete Tischlermeister studierte
über die Bauteile übertragen wird, unter- bei dem es um eine Verbesserung der Au- in Innsbruck Architektur und habilitierte
schieden. „Wir empfinden natürlich alles ßenwände im tieffrequenten Bereich geht: sich 2016 mit der Arbeit „Holzbau –
als Luftschall, spürbarer Körperschall wä- Der klassische Verkehrslärm, hier vor unter Berücksichtigung konstruktiver,
ren Vibrationen. Beim Körperschall inte- allem das als unangenehm empfundene bauphysikalischer, umweltschonender
ressiert uns besonders der Trittschall, also Brummen. „Der bauakustische Mess- und qualitätssteigernder Aspekte“. Sein
die Schritte in der Wohnung über, unter bereich liegt bei 100 bis 3.150 Hertz. Die zentrales Forschungsinteresse liegt im
oder neben mir, die ich idealerweise nicht unangenehmen tiefen Frequenzen, zum Bereich der Bauteilentwicklung, der
hören sollte. In Österreich sind die Norm- Beispiel das Brummen, liegen oft darun- Bauakustik und der Qualitätssicherung
werte für die Schallschutzanforderungen ter, bei 50 bis 100 Hertz. Das Ergebnis auf im Holzbau. Für seine praxisnahe und in-
sehr hoch. Bei Wohnungstrennwänden dem Messprotokoll ist dann zwar in Ord- novative Lehre erhielt er 2010 außerdem
und -decken muss ein Luftschalldämm- nung, die Bewohner sind aber dennoch einen LehrePlus!-Anerkennungspreis der
maß von mindestens 55 Dezibel erfüllt oft unzufrieden. Daher messen wir schon Universität Innsbruck.

zukunft forschung 02/18 17


TITELTHEMA

GUSTAV MAHLER wurde am 7. Juli 1860 in Kalischt/Böhmen geboren, er zählt zu den bedeutendsten Komponisten der Spätromantik, war
aber auch bekannter Dirigent und als Operndirektor bedeutender Reformer des Musiktheaters. Aufgewachsen im mährischen Iglau, kam er als
15-Jähriger nach Wien, wo er Klavier und Komposition studierte. Nach der Ausbildung folgten mehrere Stationen in Europa als Kapellmeis­ter
und Operndirektor, ehe er 1897 Hofoperndirektor in Wien wurde. 1908 wechselte er an die Metropolitan Opera in New York, drei Jahre später
starb er am 18. Mai 1911 in Wien. Das Bild zeigt Gustav Mahler am 10. August 1907 im Fischleintal, Sexten vor dem Einserkofel.

18 zukunft forschung 02/18 Foto: Médiathéque Musicale Mahler Paris


TITELTHEMA

WIDERHALL DER BERGE


Gustav Mahler nutzte die Sommermonate zum Komponieren seiner Werke, die Berge spielten dabei als
Kraftorte eine wichtige Rolle. Federico Celestini und Milijana Pavlović vom Institut für Musikwissenschaft
folgen den Spuren des Musikers, die auch in die Dolomiten und nach Toblach führen.

E
r hielt es in der Partitur fest, Herden- als erster Kapellmeister und Direktor der Speedhiking nennen.“) waren, lässt sich
glocken sollten seine Sechste Sinfo- Wiener Hofoper – der heutigen Staats­ aus einem Brief an den Dirigenten Bruno
nie bereichern, ihr Klang „in Entfer- oper – vorstand. Für ihre Forschungen Walter aus dem Jahr 1908 ablesen.
nung aufgestellt“ ertönen. „Wenn Gustav werfen die zwei Wissenschaftler auch im- 1907 war ein Schicksalsjahr für Mah-
Mahler an anderer Stelle schreibt ‚aus der mer wieder einen Blick über den Brenner, ler: der Tod der Tochter Maria Anna,
Ferne‘, dann ist das etwas anderes als ‚in Toblach im Südtiroler Pustertal war quasi der Abgang von der Hofoper nach
der Ferne‘. Mit ‚aus der ferne‘ meint er, der letzte Kraftort von Mahler. „In dem zahlreichen Ärgernissen und Intrigen,
dass der Klang der Glocken näher kommt, kleinen Komponierhäuschen, das heute
‚in der Ferne‘ würde bedeuten, dass sie noch authentisch steht, entstanden seine „In kritischen Phasen seiner
immer dort klingen“, betont die Musik- letzten Werke: Das Lied von der Erde, die
Komponierarbeit war es Mahler
wissenschaflerin Milijana Pavlović einen Neunte Sinfonie und die unvollendete
kleinen, aber feinen Unterschied, der ty- Zehnte Sinfonie“, sagt Pavlović.
wichtig, Abstand zu bekommen.
pisch für das Werk des großen Musikers Die Forscherin kam 2013 mit einem Den fand er bei kleinen Reisen in
ist. Mahler ging es auch nicht um die mu- Lise-Meitner-Stipendium des FWF an die die Berge.“ Milijana Pavlović

sikalische Darstellung ländlicher Idylle, Uni Innsbruck, um an einer von ihr ent-
vielmehr war es ihm, wie er einem Kriti- deckten Skizze von Mahler zu arbeiten. die Dia­g nose einer Herzkrankheit mit
ker gegenüber erklärte, ein „verhallendes Die begeisterte Berggeherin begann sich der ärztlichen Aufforderung, sich zu
Erdengeräusch“, ein letzter verklingender auch der Bedeutung der Berglandschaft schonen. Den Sommer 1908 verbrachte
Ton, den man „auf höchstem Gipfel im im Werk Mahlers zu widmen. „Mahlers Mahler wieder in Toblach und schrieb
Angesicht der Ewigkeit“ hört. Arbeit als Dirigent fand in der Stadt, im an Walter: „Diesmal habe ich nicht nur
urbanen Leben statt. Komponiert hat er den Ort, sondern auch meine ganze
„Mahler hat in seiner ­Musik immer in den Sommerferien, am Atter- Lebensweise zu verändern. Sie können
see, am Wörthersee, später in Toblach – sich vorstellen, wie schwer mir letzteres
Raum auch komponiert, etwa
im alpinen Raum, in von der Natur sehr wird. Ich hatte mich seit vielen Jahren an
durch ein leises und undeutlich schön geprägten Orten“, erklärt Cele- stete und kräftige Bewegung gewöhnt.
gespieltes Motiv, so dass es wie stini. Pavlović kann inzwischen zeigen, Auf Bergen und in Wäldern herumzu-
aus der Ferne klingt.“ Federico Celestini „dass die Berglandschaft wichtig für sein streifen und in einer Art keckem Raub
kreatives Arbeiten war“. meine Entwürfe davonzutragen. An den
„Mahler spielte viel mit Klangeffek- Schreibtisch trat ich nur wie ein Bauer
ten“, weiß Pavlović, Forscherin am Insti- Berge als Inspirationsort in die Scheune, um meine Skizzen in
tut für Musikwissenschaft der Universi- Das erste Mal in Toblach war Mahler Form zu bringen.“ Trotzdem – mit „Das
tät Innsbruck. Und Institutsleiter Federi- im Jahr 1897, eine Radtour brachte den Lied von der Erde“ entstand in diesem
co Celestini ergänzt: „Mahler hat Raum begeisterten Sportler vom Urlaubsort Sommer das, so Pavlović, persönlichste
nicht nur realisiert, in dem er etwa eine Vahrn bei Brixen an den Fuß der Dolo- Werk Mahlers. „Das Werk hat eine Son-
Gruppe hinter der Bühne spielen ließ. Er miten, in die sommerlichen Berge zog es derstellung, nicht nur formal und durch
hat Raum auch komponiert, etwa durch ihn dann immer wieder. „In kritischen die fernöstlichen Texte. Mit ‚Das Lied
ein leises und undeutlich gespieltes Mo- Phasen seiner Komponierarbeit, aber von der Erde‘ arbeitet er sich durch seine
tiv, so dass es wie aus der Ferne klingt.“ auch bei Komponierblockaden war es Krise“, sagt Federico Celestini. Zudem
Teilweise entstehe fast der Eindruck, sagt ihm wichtig, Abstand zu bekommen. thematisiert Mahler den Umgang mit
Celestini, Mahler habe – lange vor dem Den fand er bei kleinen Reisen in die fremden Kulturen, das Eigene und das
Tonfilm – Filmmusik komponiert: „Der Berge, drei, vier Tage. Dann war er wie- Andere oder Fremdheit.
Schluss des Ersten Satzes der Fünften der kreativ“, berichtet Pavlović, die in Berge spielen in „Das Lied von der Er-
Sinfonie klingt so, als würde sich das Or- der Zwischenzeit eine Liste der Werke de“ natürlich auch eine Rolle, in „Ab-
chester langsam entfernen. Heute wäre erstellt hat, die nach solchen Blitzaus- schied“, dem letzten Sechsten Satz heißt
das eine filmmusikalische Darstellung.“ flügen entstanden sind. Wie wichtig es: „Wohin ich geh‘?/Ich geh‘, ich
Pavlović und Celestini teilen ihr Inte- ihm die Berge, das intensive Bergge- wand‘re in die Berge./Ich suche Ruhe
resse an Mahler, der von 1897 bis 1907 hen (Pavlović: „Heute würde man es für mein einsam Herz.“ah

zukunft forschung 02/18 19


TITELTHEMA

DAS ECHO DER FISCHE


Echolote werden in der Seefahrt traditionell eingesetzt, um mittels Schall sicher durch Gewässer zu navigieren. Am
Forschungsinstitut für Limnologie der Uni Innsbruck in Mondsee versucht man, mithilfe von Echolot-Messungen
Fischbestände in stehenden Gewässern zu dokumentieren.

I
nformationen über die ursprüngliche Fischzusammensetzung in stehenden Gewässern er-
halten die Limnologen durch die Literatur: Im Mittelalter war es üblich, dass Fischer ihren
Fang in Klöstern abliefern mussten, wo er genau dokumentiert wurde. Da zu dieser Zeit
alle Fischarten als Speisefisch dienten – auch Kleinfische –, erhielt die Wissenschaft durch
diese Aufzeichnungen einen guten Überblick über die historische Zusammensetzung des Fisch-
bestands in den Gewässern der Region, wie beispielsweise dem oberösterreichischen Mondsee.

H
eute können die Limnologen auf moderne Methoden zurückgreifen: Mithilfe speziell
kalibrierter Echolote senden sie Schallwellen aus und können anhand der Echostärke
und der gemessenen Zeit, die zwischen der Aussendung eines Schallimpulses und der
Ankunft der von den Fischen reflektierten Schallwellen verstreicht, auswerten, wie
viele Kilogramm Fisch pro Hektar Seefläche vorhanden sind.

20 zukunft forschung 02/18 Fotos: R. Rösch (1), Eva Fessler (1), ILIM (2), S. K. Wanzenböck (1)
TITELTHEMA

E
inen Überblick über die Zusammensetzung der Arten können diese herkömmlichen
Echolot-Messungen allerdings nicht liefern. Nur durch parallele Netzfänge und die
Kombination dieser Ergebnisse mit den Echolot-Daten können auch Aussagen zur
Arten-Zusammensetzung getroffen werden. Im Bild ein Netzkäfig, mit dem eine Stan-
dardeichkurve für den Zusammenhang zwischen Fischgröße und Echostärke für Reinanken
(Coregonen) entwickelt wurde.

I
n einem aktuellen Forschungsprojekt testen die Wissenschaftler um Josef Wanzenböck
am Forschungsinstitut für Limnologie in Mondsee derzeit ein neues Breitband-Echolot, um
auch die Arten-Zusammensetzung mithilfe von Schall zu messen: Dieses Gerät arbeitet mit
unterschiedlichen Frequenzen. Bei marinen Fischen konnte bereits nachgewiesen werden,
dass unterschiedliche Fischarten bei verschiedenen Frequenzen besonders starke Echos zeigen.
Ob diese Methode auch bei Süßwasser-Fischen zum Einsatz kommen kann, sollen die Arbeiten
am Forschungsinstitut in den nächsten Jahren zeigen.

zukunft forschung 02/18 21


STANDORT

RÄUME FÜR BILDUNG


Innsbrucks Bürgermeister Georg Willi über den Raum als dritten Pädagogen, sein Anliegen,
das Prädikat Universitätsstadt zu stärken, und sein eigenes unvollendetes Studium.

ZUKUNFT: Ihr erster Termin als Bürger- chen sie, um die Jungen gut auszubilden in dem sich Menschen gerne aufhalten.
meister war der Besuch einer Schule, –, braucht es das Haus der Physik. Wenn das Wohnen hier auch noch leist-
ein Zeichen, dass Ihnen Bildung wich- ZUKUNFT: Was kann man abseits der bar wird, ist Innsbruck ein Anziehungs-
tig ist. Welche Akzente kann die Stadt Stadtplanung machen? punkt für Studierende, vorausgesetzt
Innsbruck in diesem Bereich überhaupt WILLI: Die baulichen Zuständigkeiten lie- die Qualität der Lehre passt. Wenn es
setzen? gen woanders, wir als Stadt können die die Universität schafft, weiter gute Leh-
GEORG WILLI: Beim Spatenstich der Pä- Universitätsstadt Innsbruck als Ganzes rende zu bekommen – und da ist Geld
dagogischen Hochschule in Innsbruck attraktiv machen. Wir haben den rie- oft nicht das Ausschlaggebende –, bleibt
fiel unlängst der Satz: Der Raum ist der sigen Vorteil, dass es viele Studierende der Universitätsstandort weiter attraktiv.
dritte Pädagoge. Gute Räume sind also cool finden, nach Innsbruck zu kommen ZUKUNFT: Billigeres Wohnen und eine at-
für Bildung wichtig und unterstützen – wir bieten einen alpin-urbanen Raum, traktive Universitätsstadt bedeuten, dass
den Unterricht. Als Stadt sind wir für noch mehr Studierende kommen, Woh-
die Kindergärten zuständig und für nen wieder teurer wird. Ein Teufelskreis.
den Pflichtschulbereich – nicht für den WILLI: Ja eh. Wenn wir aber mit dem, was
Unterricht, sondern für die bauliche wir machen, dazu beitragen, dass viele
Hülle. Je besser wir also Räume – vom junge Menschen eine gute Ausbildung
Raumklima über die Belichtung bis zum bekommen, diese dann entweder hier
Freiraum rundum – bauen, desto besser bleiben und wertvollen Input liefern
lernen junge Leute. oder in ihre Heimatländer gehen und
ZUKUNFT: Wie kann man besser bauen? dort Input liefern, ist das eine sehr schö-
WILLI: Nach internen Diskussionen und ne Aufgabe. Schauen wir also, dass sie
nach Gesprächen mit den Pädagoginnen Platz für leistbares Wohnen finden – weil
und Pädagogen haben wir z.B. beim es ist toll, eine Universitätsstadt zu sein.
Schulcampus Wilten festgestellt, dass WILLI: Was bedeutet die Universität ei-
in der geplanten Version am Campus gentlich für die Stadt?
es zu viele Kinder, nämlich 550, bei zu ZUKUNFT: Ich habe das Rektorat in den
wenig Freiflächen wären. Daher haben Gemeinderat eingeladen, damit die neu-
wir die Kinderanzahl auf 440 reduziert, en Gemeinderätinnen und -räte hören,
um das Verhältnis Schulraum – Freiraum was die Universität kann und welcher
besser zu gestalten. Zumal dies eine GEORG WILLI (geboren 1959 in Inns- Faktor sie für Innsbruck ist. Wenn wir
Schule – und das freut mich sehr – mit bruck) begann nach der Matura an der inklusive Lehrende 50.000 Menschen
verschränktem Unterricht ist, also mit Universität Innsbruck Jus und Biologie zu rund um die Uni haben, ist jeder dritte
Phasen, in denen unterrichtet wird, und studieren: „Beide Studien habe ich nicht Kopf in Innsbruck ein Student oder ein
Phasen, in denen die Kinder Freizeit ha- beendet, weil ich in die Politik gegangen an der Uni Tätiger. Das ist zum Teil zu
ben. Und da sollen sie spielen und ren- bin.“ Sein politisches Engagement führt wenig bekannt. Eine gute Uni, die ein
nen können. ihn in den Innsbrucker Gemeiderat (1989 bedeutender Teil unserer Gesellschaft
ZUKUNFT: Kann man diese räumliche Un- bis 1994), in den Tiroler Landtag (1994 ist, wirkt sich wiederum auf die Wirt-
terstützung auch Universitäten geben? bis 2013) und den Österreichischen schaft aus – gute Absolventen befeuern
WILLI: Wir können über die Stadtplanung Nationalrat (2013 bis 2017). Bei der Inns- den Wirtschaftsstandort. Das heißt, wenn
entscheidend mitreden, wie die Univer- brucker Gemeinderatswahl im April 2018 wir am Bildungssektor gut sind, geht die-
sitäten ausschauen, wie viel überbauten trat Georg Willi als Bürgermeisterkandi- se Entwicklung weiter. Und wir haben
und freien Raum sie haben. Mich freut dat der Grünen an. Die Grünen wurden mit Günther Platter einen Landeshaupt-
in diesem Zusammenhang das Bekennt- stimmenstärkste Partei, Willi kam in die mann, der – Kompliment – immer wieder
nis von Wissenschaftsminister Heinz Bürgermeister-Stichwahlwahl gegen die sagt, dass Bildung absolute Priorität hat.
Faßmann zum Haus der Physik in Inns­ amtierende Bürgermeisterin Christine ZUKUNFT: Die Universität Innsbruck fei-
bruck. Die Universität Innsbruck hat su- Oppitz-Plörer. Im Mai 2018 wurde Willi ert 2019 ihren 350. Geburtstag. Ist sie in
per Physikerinnen und Physiker, wenn zum neuen Bürgermeister der Tiroler diesen 350 Jahren in der Stadt und der
wir die halten wollen – und wir brau- Landeshauptstadt gewählt. Bevölkerung angekommen?

22 zukunft forschung 02/18 Fotos: Andreas Friedle


STANDORT

WILLI: Es gibt Städte, in denen man mehr


spürt, dass sie Universitätsstadt sind.
ZUKUNFT: An was liegt das?
WILLI: Das frage ich mich auch. Im Ver-
hältnis Einwohnerzahl zu Unis liegt Inns­
bruck vor Graz, trotzdem spürt man dort
das Studentisch-Universitäre mehr. Ich
glaube aber, dass der Neubau am Inn­
rain, der sehr markant wird, dazu bei-
tragen wird, Universität städtebaulich
sichtbar zu machen. In Innsbruck ist die
Universität über die Stadt verstreut, einen
Campus, der einen ganzen Stadtteil dar-
stellt, haben wir nicht. Für das Leben in
der Stadt ist das vielleicht sogar besser. Es
könnte der Eindruck entstehen, da sind
all jene, die mit Uni zu tun haben, dort ist
der Rest. Die Vermischung hingegen fin-
de ich gut. Trotzdem: Man könnte mehr
spüren, dass wir Universitätsstadt sind.
ZUKUNFT: Innsbruck pendelt in der
Selbstdarstellung zwischen Sport-, Tou-
rismus-, Kongress-, Kultur- und Univer-
sitätsstadt. In welche Richtung wird das
Pendel unter Ihnen ausschlagen?
WILLI: Mir ist es ein Anliegen, dass
das Prädikat Universitätsstadt stärker
wird. Im Tourismus sind wir langsam
an einem Punkt angelangt, dass es den
Menschen zu viel ist. Daher tendiere ich
im Tourismusbereich gerne Richtung
Qualität: Weniger Ankünfte, dafür län-
gere Verweildauer, damit die größere
Summe der Nächtigungen in einer hö-
heren Kategorie stattfindet. Da hilft wie-
derum die Uni mit vielen Kongressen,
die allein dadurch generiert werden,
dass wir Universitätsstadt sind. Damit
kommt eine Gruppe der ausgabefreu-
digsten Touristen zu uns. Sportstadt „Wenn wir mit dem, was wir Ich hätte mich nur hinsetzen müssen
und Kulturstadt sind wir auch, das wirkt machen, dazu beitragen, dass und es durchziehen. Daher mein Appell
wieder auf Studierende, die wegen des viele junge Menschen eine gute an die Studierenden: Es ist oft zach, aber
Sports nach Innsbruck gekommen sind. beißt durch, damit ihr fertig werdet.
Ausbildung bekommen, ist das
ZUKUNFT: Sind die Studierenden in der ZUKUNFT: Können Sie sich nach Ihrer po-
Stadt präsenter als früher.
eine sehr schöne Aufgabe.“ Georg Willi litischen Laufbahn ein Studium als Seni-
WILLI: Ja. Die finanziellen Verhältnisse orstudent vorstellen?
vieler Studierender sind dank ihrer El- WILLI: Erstens ja, aber zweitens: Ein Stu-
tern zum Teil gut. Viele müssen sich ihr in die Politik gegangen bin. Bei der Wel- dium zur Gänze, ich weiß nicht, ob ich
Studium aber finanzieren und sind da- come-Party für die Erstsemestrigen habe das schaffen würde. Je älter man wird,
her wichtiger Bestandteil der Arbeits- ich gesagt, dass sie sich kein Beispiel an desto mehr sinkt die Merkleistung. Ob
welt. Daher sind sie als Arbeitnehmer mir nehmen sollen. Wenn man ein Stu- ich nach meiner Zeit hier noch die Kapa-
sichtbar. Und viele, gerade touristische dium abbricht, ist es im Leben eine Nie- zität für den ganzen Stoff eines Studiums
Betriebe, sind dankbar – auch weil die derlage. Es hat auch lange an meinem habe? Ich weiß nicht. Das Schöne aber
Studierenden vielsprachig sind Selbstbewusstsein geknabbert. Mir hat ist: Man kann auf die Uni gehen und sich
ZUKUNFT: Ihre eigene Studentenkarriere auch nicht viel gefehlt, in Biologie lagen das anhören, was einen interessiert. Und
ist eine unvollendete. die Messergebnisse vor, ich hätte die Di- da gibt es eine Vielfalt interessanter Sa-
WILLI: Ich habe mein Doppelstudium – plomarbeit nur schreiben müssen. Und chen. Meinen Geist würde es sicher
Jus und Biologie – nicht beendet, weil ich bei Jus fehlte die dritte Staatsprüfung. wachhalten.ah

zukunft forschung 02/18 23


KURZMELDUNGEN

MALEN IM
PERMAFROST
Der Innsbrucker Geologe Yuri Dublyansky untersuchte mit
ULTRAKALTER ­modernen Methoden altsteinzeitliche Höhlenmalereien in der
„QUANTENCOCKTAIL“
Schulgan-Tasch-Höhle in Russland.
D ie Forschung an magnetischen Ele-

I
menten gewinnt weltweit an Dy- m Herbst 2017 machte sich Yuri Du- erstellt. Mithilfe von physikalischen
namik, da sich solche Atome als ideale blyansky vom Institut für Geologie Methoden, wie der Thorium-Uran-Me-
Plattform zur Erzeugung von dipolarer der Universität Innsbruck gemein- thode, können die Forscherinnen und
Quantenmaterie erwiesen haben, in sam mit einem Experten-Team und Forscher die Malereien bzw. die Ablage-
der Teilchen wie kleine Quantenma- dem professionellen Höhlenfotografen rungen unter und über den Zeichnungen
gnete miteinander interagieren. In einer Robbie Shone auf den Weg nach Russ- zeitlich genau datieren – eine Methode,
neuen Arbeit, die im November in der land, um die Höhlenmalereien in der die das Innsbrucker Team bereits in vie-
Fachzeitschrift Physical Review Letters Schulgan-Tasch-Höhle näher zu unter- len Projekten zur Anwendung brachte
veröffentlicht wurde, berichtet ein ös- suchen. Die Malereien zeigen Mammuts, und damit Ablagerungen in Höhlen
terreichisches Team um die Innsbrucker Pferde, Wollnashörner, Bisons und zahl- hunderttausende Jahre zurückdatieren
Physikerin Francesca Ferlaino über ei- reiche geometrische Formen wie paral- kann.
nen neuen Fortschritt auf dem Gebiet lele Linien oder Dreiecke. Die Malereien In der Höhle fanden die Forscher auch
der dipolaren Materie. Sie haben Erbium sind dunkelrot und wurden mit Ocker eine seltene Form von Kalzit, so genann-
und Dysprosium miteinander vermischt te kryogene Höhlenkalzite. „Dieses Mi-
und erstmals eine dipolare Quantenmi- neral bildet sich in sehr langsam frie-
schung erzeugt. renden Wasserbecken auf Höhleneis.
„Wir haben die Atomspektren dieser Das ist nur unter Permafrost-Bedin-
beiden Elemente sehr genau untersucht gungen möglich. Daher gehen wir davon
und uns überlegt, wie wir sie kombinie- aus, dass zu der Zeit, als die Menschen
ren und gleichzeitig Quantenentartung in die Höhle kamen und die Zeich-
erreichen können“, sagt Philipp Ilzhöfer nungen erstellten, im südlichen Ural Per-
aus der Gruppe um Ferlaino. „Es zeigte mafrost geherrscht hat“, verdeutlicht
sich, dass unser Schema noch besser Yuri Dublyansky. Das ist eine überra-
als erwartet funktioniert, so dass wir schende Erkenntnis, da es sehr ungemüt-
ein System schaffen konnten, in dem lich in der Höhle gewesen sein muss:
Bose-Einstein-Kondensate aus Erbium „Trotz ständiger Temperaturen unter
und Dysprosium koexistieren und mit- dem Gefrierpunkt sind die Menschen in
einander wechselwirken“, ergänzt sein die Höhle gegangen und haben mit
Kollege Arno Trautmann. Aufgrund der Ocker die Zeichnungen erstellt. Wir ge-
langreichweitigen Wechselwirkung zwi- hen daher davon aus, dass die Höhle für
schen den beiden Atomsorten eröffnet die Steinzeitmenschen ein besonderer,
dieses Ergebnis neue Perspektiven im vielleicht mystischer Ort gewesen sein
Bereich der dipolaren Quantenmaterie. muss, der ihnen viel bedeutet hat.“

ALPINES ESSEN ALS KULTURERBE

I Im Jahr 2013 wurde die Mediterrane Diät auf die Repräsentative Liste des immateriellen
Kulturerbes der Menschheit der UNESCO aufgenommen. Diesem Beispiel soll nun die
Alpine Essenskultur folgen. Das Interreg-Projekt „AlpFoodway“ arbeitet diese wissenschaftlich
auf. Auch in den Alpen zeigen sich eine Vielzahl länderübergreifender Gemeinsamkeiten und
Besonderheiten der Berglandwirtschaft, welche allerdings noch nicht so weit ins allgemeine
Bewusstsein vorgedrungen sind. „Durch das Projekt wird deutlich, dass nationalpolitische
Grenzen am Beispiel Essen fließend sind und an Bedeutung verlieren. Alpines Essen beinhaltet
eine Vielzahl an Traditionen und Praktiken und hebt in diesem Sinn die Alpen als einen Raum der Gemeinsamkeiten hervor“, erklärt Projekt-
mitarbeiter Michael Klingler vom Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus der Universität Innsbruck.

24 zukunft forschung 02/18 Fotos: Uni Innsbruck (1), Robbie Shone (1) , Michael Klingler (1)
GESCHICHTE

BESTSELLER VOR
250 JAHREN
Der Historiker Michael Span ist Buchbesitz im Pustertal im 18. Jahrhundert auf der Spur.
Damit schließt er eine Forschungslücke, der katholische Raum ist, anders als protestantische Gebiete,
bisher in Bezug darauf nämlich noch gar nicht erfasst.

D
an Brown, Wolf Haas, Elena Fer- halten, was der oder die Verstorbene be- Insgesamt kommt der Historiker nach
rante, Michael Köhlmeier, Mona sessen hat, da ist häufig auch Buchbesitz Untersuchung von bisher rund 1.500 In-
Kasten, Bernhard Aichner: Wer in erfasst“, erklärt Span. ventaren im Pustertal aus der Zeit von
letzter Zeit ein Buch dieser Autorinnen 1750 bis 1800 auf – konservativ geschätzt
bzw. Autoren gekauft hat, befindet sich in Lückenschluss – 2.102 Bücher, die in rund 20 Prozent
guter Gesellschaft. Sie alle waren in den Span und Team schließen damit eine der Quellen enthalten sind. 80 Prozent
vergangenen Wochen auf diversen öster- Lücke in der Forschung: Für den katho- erwähnen überhaupt keine Bücher. „Das
reichischen Belletristik-Bestseller-Listenlischen Alpenraum ist Buchbesitz bis- alles ist von einer ganzen Reihe an Un-
zu finden. Ob diesen Schriftstellerinnen lang nicht systematisch untersucht, für wägbarkeiten geprägt, besonders hin-
und Schriftstellern das gleiche Schick- den protestantisch-pietistischen Bereich, sichtlich der Vollständigkeit der Quellen.
sal droht wie ihren Vorgängern von vor besonders im heutigen Baden-Württem- Wir zählen zum Beispiel die Angabe
rund 250 Jahren – nämlich, in der breite- berg, gibt es da schon ausführlichere Er- ‚einige Bücher‘ immer mit dem Wert
ren Bevölkerung nahezu völlig vergessen hebungen. Zwei, die tatsächliche Zahl liegt also be-
zu werden –, steht in den Sternen. Fest „Den Kollegen in Baden-Württemberg stimmt höher. Und ein weiteres Beispiel
steht, dass Martin von Cochem, Abraham hilft die rechtliche Lage, es war nämlich zur Vollständigkeit: Etwa die Hälfte der
a Sancta Clara und Martin Prugger als verpflichtend, in mehreren Lebenspha- Inventare, die klar Einzelpersonen zuzu-
Autoren heute wohl in kaum einer Woh- sen Inventare anzulegen, zum Beispiel ordnen sind, nennt keine Schuhe. Das ist
bei einer Heirat. Hier in Ti- mir bei der Suche nach Buchbesitz zwar
„Wir können nicht nur nicht verlässlich rol sind wir weitestgehend egal, aber die Frage ist: Was fehlt noch?“,
auf die Verlassenschaften erläutert Michael Span. 806 Bücher wer-
sagen, ob die Menschen die Bücher, die sie
angewiesen, was uns aber den ohne nähere Beschreibung genannt,
­besaßen, gelesen haben, wir wissen nicht zum Beispiel nicht sagt, ob bei den restlichen liegt der Schwerpunkt
einmal, ob sie sie lesen konnten.“ Michael Span
nicht vielleicht jemand im aber ganz klar bei Büchern mit religiösem
Alter von 30 eine Biblio- Bezug – etwa Gebetbücher oder eben das
nung zu finden sind. „Vor allem Martin thek besessen hat. Wir haben nur den erwähnte „Leben Christi“ von Martin
von Cochem wurde sehr breit gelesen. Besitz zum Zeitpunkt des Todes“, sagt von Cochem. „Nicht-religiöse Literatur
Ein Werk von ihm ist ‚Das Leben Christi‘, Michael­Span. Dabei gilt es nun auch, ei- beschränkt sich auf einige wenige Ein-
das ist in vielen Haushalten zu finden, nige Vermutungen zu bestätigen oder zu zelpersonen. So haben etwa Menschen
wir haben insgesamt 81 Bände gezählt“, widerlegen: Etwa, dass im katholischen in Medizinberufen, etwa eine Hebamme,
erklärt Michael Span. Raum generell weniger gelesen wurde. Bader und Chirurgen, medizinische Bü-
Span widmet sich mit seinen Kollegen „Diese Vermutungen beruhen auf Un- cher. Ein ‚Kräuterbuch‘ ist erfasst, eine
Michael Prokosch und Peter Andorfer tersuchungen des Buchmarkts. Zudem Person besitzt ein Wörterbuch, ein paar
unter der Projektleitung von Brigitte gehörte zu einem guten protestantischen historische Werke, einige besitzen die
Mazohl in einem vom österreichischen Haushalt zumindest ein Liederbuch, ein Tiroler Landesordnung, also das Gesetz-
Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Psalmenbuch und die Heilige Schrift, buch, aber das alles hält sich in engen
Projekt dem Buchbestand im Alpenraum während Katholiken der Besitz einer Grenzen. Der weitaus größte Teil hat re-
zwischen 1750 und 1800. Konkret unter- Bibel in der Volkssprache de facto sogar ligiösen Bezug.“
sucht wird ein Gebiet um Bruneck im verboten war.“ Die Bibel sollte nur von
Pustertal in Südtirol, dort ist die Quel- Geistlichen gelesen und interpretiert Quellen und Rezeption
lenlage entsprechend gut. „Wir ziehen werden. Und die Gegenreformation hat- Die Bücher selbst sind für die Historiker
unsere Informationen vor allem aus Ver- te es auch auf Bücher abgesehen, was den zwar nachvollziehbar, die meisten sind
lassenschaftsabhandlungen. Nach dem privaten Buchbestand verringert haben auch in Bibliotheken noch vorhanden,
Tod wurde in Inventaren genau festge- dürfte. die konkreten Exemplare finden sich

26 zukunft forschung 02/18 Foto: Andreas Friedle


 GESCHICHTE

DER HISTORIKER Michael Span untersucht Buchbesitz im 18. Jahrhundert und schließt so eine Forschungslücke.

zukunft forschung 02/18 27


GESCHICHTE

DAS BUCH VON Martin von Cochem zum Leben Christi wurde breit gelesen, Michael Span zählte bei seinen Untersuchungen 81 Bände.

allerdings nicht mehr. „Natürlich wä- wir wissen nicht einmal, ob sie sie lesen sozioökonomische Verteilung: Zwar ist es
re gerade die Rezeption dieser Bücher konnten. Solche Dinge erfahren wir über so, dass Buchbesitzer im Schnitt finanzi-
spannend. Wir wissen zum Beispiel die Einzelfälle.“ ell besser gestellt waren, andererseits gibt
nicht, ob die genannten Personen diese Was sich aber jetzt schon ablesen lässt: es mehrere Personen, die auffällig wenig
Bücher auch gelesen haben. Weil wir Der Anteil der Buchbesitzerinnen bezie- besaßen, aber eine Vielzahl an Büchern.
die Bücher nicht haben, sehen wir auch hungsweise Buchbesitzer ist niedriger als Bücher als solche waren übrigens auch
keine Spuren darin – Unterstreichungen, in den erwähnten Vergleichsstudien. Das, damals kein Luxusgut, zumindest nicht
Eselsohren, Hinweise, die uns verraten was wir heute als Belletristik kennen, grundsätzlich – mit Ledereinbänden
könnten, wie diese Bücher rezipiert kommt im Pustertal damals nicht vor – konnten Bücher sehr teuer sein, ohne Ein-
wurden. Die meisten Menschen von obwohl es natürlich bereits solche Lese- band waren sie oft billig“, erklärt Micha-
damals haben auch so gut wie nichts stoffe gab –, es sei denn, die nicht näher el Span. Bis zum Projektabschluss im Ja-
Schriftliches hinterlassen, keine Auf- bezeichneten Bücher fallen in diese Kate- nuar 2020 kommen noch rund 500 Quel-
zeichnungen, die uns etwas über den gorie. Bei Männern ist der Anteil an len vom Oberamtsgericht Bruneck dazu,
Buchkonsum verraten würden.“ Buchbesitzern höher als unter Frauen, die Historiker planen auch hier eine de-
Frauen in der Stadt besitzen signifikant taillierte Erfassung und Aufarbeitung
Einzelfälle mehr und häufiger Bücher als auf dem nach Einzelfällen. Alle Daten werden
Um dem dennoch so gut wie möglich Land. Nach Berufen gibt es keinen beson- danach offen und kostenlos im Internet
auf die Schliche zu kommen, suchen deren Unterschied. „Interessant ist die verfügbar sein. sh
die Historiker auch nach schriftlichen
Spuren der ehemaligen Besitzer, etwa
Unterschriften, die zeigen, ob die Per- MICHAEL SPAN (*1982 in Rum) studierte in Innsbruck Geschichte und Politikwissen-
sonen schreiben konnten – das lässt mit- schaft, beide Diplomstudien schloss er 2008 ab. Er promovierte 2014 in Geschichte
unter Rückschlüsse auf die Lesefähigkeit („Ein Bürger unter Bauern? Michael Pfurtscheller und das Stubaital zwischen 1750 und
zu, obwohl man weiß, dass Lese- und 1850“), für sein Doktoratsprojekt erhielt er 2014 den EUREGIO-JungforscherInnenpreis.
Schreibfähigkeit nicht zwingend zusam- Derzeit ist er Mitarbeiter des FWF-Projekts „Reading in the Alps. Private book ownership
menhängen müssen. „Aufgrund der in the Catholically dominated Central Alps
vielen Unwägbarkeiten hinsichtlich der 1750–1800. A systematic study based on
Quellen gehen wir nun auch mehr auf inventories from the Tyrolean Pustertal“.
die Einzelfälle ein. Wir haben zum Bei- In seiner Forschung konzentriert er sich
spiel eine Frau, die sieben Bücher von ih- hauptsächlich auf die Geschichte der Sat-
rem Vater erbt, und haben aus derselben telzeit bzw. des 18. und 19. Jahrhunderts
Zeit, in der sie erbt, einen Vertrag von ihr. mit einem Schwerpunkt auf die Gesell-
Dort unterschreibt sie mit einem Kreuz. schaftsgeschichte Tirols, auf die historische
Das heißt: Wir können nicht nur nicht Buch- und LeserInnenforschung, politische
verlässlich sagen, ob die Menschen die Kommunikation „von unten“ und Erinne-
Bücher, die sie besaßen, gelesen haben, rungs- und Gedächtnispolitik.

28 zukunft forschung 02/18 Fotos: Michael Span (1), Andreas Friedle (1)
DIE UNI
INNSBRUCK
FEIERT 350
JAHRE.
Feiern Sie mit!

Mit einem vielfältigen Programm


begeht die Leopold-Franzens-Universität
Innsbruck 2019 ihr 350-jähriges
Bestehen. Zum Jubiläum öffnen wir die
Türen und machen die Faszination von
Forschung und Wissenschaft mit ihren
vielen Facetten für alle erlebbar.

Das Programm und alle Informationen


www.uibk.ac.at/350-jahre
zukunft forschung 02/18 29
MEDIZIN

VOM LABORKONZEPT
ZUR MARKTREIFE
„Im Endeffekt“, sagt Pidder Jansen-Dürr, „ist es eine Success Story.“ Dreizehn Jahre
Grundlagenforschung, sieben Jahre Arbeit Richtung Anwendung: Seit 2018 ist das Ergebnis der
Success Story, ein neuer diagnostischer Test zur ­Früherkennung des Zervixkarzinoms, am Markt.

D
er Gebärmutterhalstumor (Zer- dium endet. So infizieren bestimmte besteht also immer noch, insofern ist
vixkarzinom) ist die zweithäu- Typen die Epithelzellen der Haut, was für die bestmögliche Behandlung eine
figste gynäkologische Krebser- zu – gutartiger – Warzenbildung führen frühzeitige Erkennung wichtig. Bislang
krankung weltweit, allein in Österreich kann. Einige HPV-Typen, die High-risk- gab es dafür zwei Methoden: den auf-
erkrankten im Jahr 2015 knapp 400 Viren, können jedoch auch bösartige Ver- wendigen, aber auch unsicheren Pap-
Frauen daran, 139 starben in diesem Jahr änderungen hervorrufen, insbesondere Test, bei dem ein Zellabstrich auf auf-
an einem Zervixkarzinom. Häufigste Gebärmutterhalskrebs. In den letzten fällige Zellen untersucht wird; und den
Ursache der Erkrankung ist eine Infek- Jahren wurden Impfstoffe entwickelt, DNA-Test, mit dem die DNA von HPV
tion mit bestimmten Typen humaner doch ist ein flächendeckender Einsatz in einem Zell­abstrich nachgewiesen wer-
Papillomviren (HPV), die mittlerweile nicht absehbar und sie schützen nicht den kann. „Die Sensitivität des DNA-
in mehr als 100 verschiedene Typen von gegen alle HPV-Typen. Tests ist ungeschlagen, das Problem ist
Warzenviren eingeteilt werden, wobei Die Gefahr einer Infektion – vor allem die niedrige Spezifität“, verweist Pidder
nicht jede HPV-Infektion im Krebssta- durch ungeschützten Sexualverkehr – Jansen-Dürr, Alterns- und Krebsforscher

30 zukunft forschung 02/18 Fotos: Andreas Friedle


MEDIZIN

am Forschungsinstitut für Biomedizi- den Test benötigen wir die sogenannte


nische Alternsforschung der Universität Liquid-based cytology.“ Dünnschichtzy-
Innsbruck, auf den Umstand, dass mit tologie arbeitet im Gegensatz zum Pap-
dem Test nicht nur zum Tumor führen- Test, bei dem der Zellabstrich direkt auf
de Infektionen erkannt werden, sondern ein Glasplättchen ausgestrichen wird, mit
auch solche, die vom körpereigenen Im- einer Zelllösung. Der Zellabstrich kommt
munsystem selbst erfolgreich bekämpft in eine Lösung (ist damit auch über lange
werden bzw. schon wurden. „Bei 95 Zeit konservierbar), diese wird aufberei-
bis 99 Prozent der HPV-DNA-positiven tet, dabei werden Verunreinigungen ent-
Frauen wäre eine Therapie nicht ange- fernt. „Von den rund 20 Milliliter Lösung
bracht, da es sich um keine zu einem Tu- braucht unser Test drei Milliliter“, erläu-
mor führende Infektion handelt“, weiß tert Jansen-Dürr, der Abstrich sei dann
Jansen-Dürr. Unangenehme Untersu- PIDDER JANSEN-DÜRR, geboren 1956 ein „schöner Zellrasen“, der manuell,
chungen und Therapiemaßnahmen also in Kraiburg/Bayern, studierte Biologie und aber auch computerassistiert ausgewer-
– Kolposkopie (Gebärmutterhalsspiege- Biochemie an der Ludwig-Maximilians- tet werden kann. Ein weiterer Vorteil des
lung) bzw. Konisation (operative Entfer- Universität München. Nach seiner Promo- Tests liegt darin, dass die Abstrichprobe
nung eines Gewebestücks aus dem Mut- tion im Jahr 1986 war er als Gastwissen- des DNA-Tests als Grundlage dienen
termundbereich) –, die, so Jansen-Dürr, schaftler am Laboratoire de Genetique kann. Zeigt der DNA-Test, dass die Pa-
„nur zum Einsatz kommen sollten, wenn Moleculaire des Eucaryotes in Strasbourg/ tientin HPV-positiv ist, kommt der neue
es Sinn macht.“ Frankreich tätig. Im Anschluss arbeitete Test zum Einsatz: „Wir decken mit HPV
er als Group Leader am Deutschen Krebs- 16, 18 und 45 die drei wichtigsten Viren
Antikörper für E7-Protein forschungszentrum in Heidelberg, wo er ab, die weltweit für rund 80 Prozent der
Doch wie können Ärztinnen und Ärzte sich 1993 habilitierte. 1998 wurde er als Zervixkarzinomerkrankungen verant-
eine ungefährliche von einer folgen- Abteilungsleiter an das ÖAW-Institut für wortlich sind“, betont Jansen-Dürr.
schweren Infektion unterscheiden? Da Biomedizinische Alternsforschung (IBA)
kommt das Protein E7 ins Spiel, ein in Innsbruck berufen. Nach der Eingliede- Weitere Pläne
Gen-Produkt der HPV. In seiner Zeit am rung des IBA in die Universität Innsbruck Für Mikrogen geht es nun um die Ver-
Deutschen Krebsforschungszentrum in wurde er 2015 zum Professor für Mole- marktung, Forscher Pidder Jansen-Dürr
Heidelberg konnte Jansen-Dürr die Fra- kular- und Zellbiologie des menschlichen hat schon neue Überlegungen im Hin-
ge klären, wie E7 an der Zelltransforma- Alterns berufen. terkopf: Eine Ausweitung des Tests auf
tion – und somit der Tumorentstehung neun weitere Zervixkarzinom-verursa-
– beteiligt ist. Die Forschergemeinschaft chende HPV bzw. eine Übertragung des
stand damals allerdings vor dem Pro- verstärkung also mit Faktor 40. Weitere Tests auf Tumorerkrankungen im Hals-
blem, keinen entsprechenden Antikörper Techniken im ELISA ermöglichen die Kopf-Bereich.
für E7 in der Hand zu haben. Mit seinem Steigerung der Sensitivität auf Faktor „HPV-getriebene Tumoren im Hals-
Wechsel nach Innsbruck begann Jansen- 100. „Diesen Faktor benötigen wir, um Kopf-Bereich werden durch ein verän-
Dürr an der Lösung dieses Problems zu aus einem einfachen antikörperbasierten dertes Sexualverhalten immer häufiger“,
arbeiten. In jahrelanger Forschungsarbeit Assay einen Test mit nötiger Detektions- berichtet Jansen-Dürr, „Studien weisen
gelang es seinem Team, mit einem paten- kraft zu bekommen“, sagt Jansen-Dürr. darauf hin, dass diese Tumoren leichter
tierten Verfahren Antikörper für E7 zu Angedacht hatte der Biologe in Koopera- zu therapieren sind als jene, die durch
entwickeln und in einem weiteren Schritt tion mit einem französischen Wirtschafts- Rauchen oder genetische Veränderungen
damit die E7-Proteine aller zwölf Viren partner auch einen – einem Schwanger- entstanden sind.“ Weniger Chemothera-
mit hohem Tumorrisiko nachzuweisen. schaftstest ähnlichen – Schnelltest, der pie und Bestrahlung wäre für die Pati-
Mit dem Ergebnis zog Jansen-Dürr mit bei und von Frauen, die keine Möglich- enten ein Riesenunterschied, doch wie
Partnern aus Forschung und Wirtschaft keit einer medizinischen Untersuchung unterscheiden? Da kommt wieder E7 ins
ein 3,5-Millionen schweres EU-Projekt an haben, angewandt werden kann: „Leider Spiel kommt. „HPV-getriebene Tumoren
Land. „In den drei Jahren von PIPAVIR hat sich herausgestellt, dass die dafür im Hals-Kopf-Bereich werden zu 90 Pro-
ist viel weitergegangen“, resümiert der eingesetzte Technologie nicht sensitiv zent durch HPV 16 verursacht“, sagt
Wissenschaftler. Aus dem Laborkonzept genug ist.“ Jansen-Dürr. Mit einem Projekt-Umfang
entstand ein Prototyp für ein Enzyme Der ELISA-Test hingegen wurde in ei- ähnlich PIPAVAR, so der Forscher, wür-
-Linked Immunosorbent Assay (ELISA), ner Studie mit 1.500 Patientinnen erprobt, de sich auf Basis des Innsbrucker Know-
für dieses antikörperbasierte Nachweis- CE-zertifiziert, in Deutschland zugelas- hows die Entwicklung eines adaptierten
verfahren verstärkte man das E7-Signal. sen und von Industriepartner Mikrogen Tests ausgehen. Auch wenn in Europa
„Wir markieren die Antikörper mit Bio­ zu einem verkaufbaren Produkt weiter- „nur“ circa 15.000 Menschen im Jahr an
tin, daran kann man ein Streptavidin- entwickelt. Seit Anfang 2018 ist der dia- diesen Tumoren erkranken, eine spezi-
Molekül binden“, erläutert Jansen-Dürr. gnostische Test recomWell HPV 16/18/45 fische Diagnose würde jedenfalls helfen,
An dem Streptavidin-Molekül wiederum zur Früherkennung eines Zervixkar- viel Leid während der Therapie zu er-
„hängen“ 40 Signalenzyme, eine Signal- zinoms am Markt. Jansen-Dürr: „Für sparen. ah

zukunft forschung 02/18 31


CHEMIE

TREIBHAUSGASE
RECYCELN
Wissenschaftler der Universität Innsbruck konnten am
Modellkatalysator­erstmals wichtige Zwischenschritte in der
Methan-Trockenreformierung­nachweisen, die das Recyceln von
Treibhausgasen einen Schritt v­ orantreiben könnten.

M
ethan ist eines der schädlichsten nachweisen. „Dieses Ergebnis hilft einerseits,
Treibhausgase und trägt aufgrund Licht in das Verständnis des Prozesses der
seiner hohen Wirkung – es ist 25- Trockenreformierung zu bringen, es hat aber
mal so wirksam wie Kohlendioxid (CO 2) auch ganz praktische Vorteile – zeigt es doch
– mit rund 20 Prozent zum anthropogenen auf, wie der Katalyse-Prozess von Methan
Treibhauseffekt bei. Frei wird es hauptsäch- und Kohlendioxid optimiert und somit für die
lich bei der Magenfermentierung von Nutz- industrielle Nutzung realistischer gemacht
tieren und bei der Erdgas- und Ölgewinnung. werden könnte“, freut sich Bernhard Klötzer.
Bernhard Klötzer von der Universität Inns-
bruck hat gemeinsam mit seinen Kollegen Problem Verkokung
einen Prozess genauer untersucht, mit dem Vor allem bei kostengünstigeren Nickelkataly-
Methan gemeinsam mit dem bekannteren satoren stellen unerwünschte Verkokungs-Ef-
Treibhausgas Kohlendioxid recycelt werden fekte für die industrielle Nutzung ein großes
könnte. „Mithilfe der Trockenreformierung Problem dar. „Wenn Kohlenstoff während
ist es möglich, Methan und Kohlendioxid in der Katalyse nicht mehr effizient gelöst wer-
nützliches Synthesegas umzuwandeln. Die- den kann, reagiert er nicht weiter, sondern
ses wird in sehr großem Maßstab industriell lagert sich in unreaktiver Form ab und führt
genutzt – unter anderem zur Erzeugung von zu einer sogenannten Verkokung – der Kata-
synthetischem Diesel, wie er beispielsweise in lysator wird irreversibel blockiert. Damit wird
‚Gas-to-Liquid‘ angereicherten Kraftstoffen an der Prozess für einen industriellen Einsatz in-
Tankstellen angeboten wird“, erläutert Bern- effizient“, erklärt Klötzer. „Ein wesentlicher
hard Klötzer. Punkt – vor allem beim industriellen Einsatz

Internationale Kooperation
Am Synchotron BESSY des Helmholtz-Zen- TROCKENREFORMIERUNG
trums für Materialien und Energie in Ber- Bei der Reformierung wird üblicherweise aus
BERNHARD KLÖTZER, lin gelang es den Wissenschaftlern um den dem kleinsten Kohlenwasserstoff-Molekül
geboren 1965 in Innsbruck, Chemiker, die Reaktionszwischenstufen der Methan oder anderen Kohlenwasserstoff-
studierte von 1983 bis 1993 Trockenreformierung unter realen Reakti- Energieträgern ein sauerstoffhältiges Molekül
Chemie an der Univeristät onsbedingungen mit hoher Auflösung zu sowie Wasserstoff erzeugt – zum Beispiel
Innsbruck. Seit 1998 ist er am beobachten. „In einem industriell genutzten Syngas, bestehend aus Wasserstoff und
Institut für Physikalische Che- Katalysator sehen wir nur Start- und Endpro- Kohlenmonoxid. Bei der Dampfreformierung,
mie der Universität Innsbruck dukte, die genaue Analyse der Reaktionszwi- dem zurzeit bedeutendsten großindustriellen
tätig; seit 2011 als assoziierter schenstufen, die wir am Synchrotron BESSY Verfahren, dient Wasser als Sauerstofflieferant.
Professor. Forschungsaufent- vornehmen konnten, ermöglichen uns aller- Bei der Trockenreformierung wird, wie der
halte führten ihn an die Uni- dings den Prozess besser zu verstehen und Name schon sagt, auf Wasser verzichtet, der
versität Cambridge und an die somit Optimierungspotenzial aufzuzeigen“, Sauerstofflieferant ist hier das CO2. In den letz-
ETH Zürich. Seine Forschungs- erläutert Bernhard Klötzer. Im Zuge ihrer ten Jahren haben die zunehmenden Bedenken
bereiche sind die heterogene Untersuchungen konnten die Chemiker erst- bezüglich des Beitrags der Treibhausgase zur
Katalyse, speziell an bimetal- mals gelösten Kohlenstoff in Palladium als globalen Erwärmung das Interesse am Ersatz
lischen Katalysatoren, und die Reaktionszwischenstufe der Trockenreformie- von Dampf durch Kohlendioxid als Reaktions-
katalytische Nanotechnologie. rung unter praxisnahen Modellbedingungen partner verstärkt.

32 zukunft forschung 02/18 Fotos: Andreas Friedle (2), Wikipedia/Love Krittaya (1))
CHEMIE

BERNHARD KLÖTZER, Norbert Köpfle und Simon Penner (v.l.n.r) konnten am Modellkatalysator erstmals wichtige Zwischenschritte in der
Methan-Trockenreformierung nachweisen.

der Trockenreformierung – ist es also, mög- mensetzung und -grenzfläche. „Die Tests am
lichst viel gelösten und somit reaktiven Koh- Modell haben gezeigt, dass sich Palladium
lenstoff zu haben, um die Verkokungs-Effekte sehr gut eignet, um diese gewünschte Reakti-
gering zu halten.“ vierung zu verbessern“, erklärt Klötzer, der
In Zusammenarbeit mit der Max-Planck- allerdings betont, dass zuerst einmal das
Gesellschaft Berlin, dem Helmholtz-Zentrum komplexe Reaktionsnetzwerk der Trockenre-
Berlin, dem Lawrence Berkeley National La- formierung um diesen neuen Aspekt erwei-
boratory und der TU Berlin konnte Klötzer tert werden muss, um eine verbesserte Mo-
mit seiner Arbeitsgruppe am Institut für Phy- dellierung bzw. Optimierung am Computer
sikalische Chemie nun erstmals diesen gelö- zu erlauben. Optimiert man das System da-
sten Kohlenstoff in Palladium als Reaktions- hingehend, dass der graphitische Kohlenstoff
zwischenstufe der Trockenreformierung unter rascher gelöst wird und somit effizienter ab-
industriell relevanten Modellbedingungen reagieren kann, das heißt effektiv gar nicht
nachweisen. Die Tests der Wissenschaftler erst an der Oberfläche angereichert wird, be-
am Synchrotron BESSY in Berlin und am hindert er den Gesamtprozess kaum noch
Synchrotron ALS in Berkeley belegen, dass und als Endprodukt entsteht mit hoher Effizi-
ungelöster, graphitischer Kohlenstoff viel enz Synthesegas, das bereits industriell zum
langsamer reagiert und so zu einer zuneh- Einsatz kommt. „Auch wenn unsere Arbeit im
menden Verkokung des Katalysators führt. Bereich der anwendungsorientierten Grund-
„Ziel ist es also, den Vorgang so zu beeinflus- lagenforschung angesiedelt ist, sind wir über- BEI DER Erdölgewinnung
sen, dass diese unreaktive Kohlenstoffart so zeugt, dass diese Ergebnisse einen substan- werden die freiwerdenden
effizient wie möglich in reaktiven, gelösten ziellen Schritt darstellen, der die industrielle Treibhausgase wie Methan oft
atomaren Kohlenstoff umgewandelt wird“, Entwicklung von Trockenreformier-Katalysa- abgefackelt und damit zu zu-
erklärt Klötzer. toren für den Recyclingprozess von Methan sätzlichem CO2 – mithilfe der
Beschleunigt wird diese Umwandlung und Kohlendioxid wesentlich vorantreiben Trockenreformierung könnten
durch eine entsprechende Katalysatorzusam- könnte“, so Klötzer.  sr sie recycelt werden.

zukunft forschung 02/18 33


WISSENSTRANSFER

SPRÜHENDE IDEEN
Mit Unterstützung des Förderkreises der Uni Innsbruck werden aktuelle
Forschungsergebnisse in marktfähige Anwendungen weiterentwickelt.

BLICK IN DIE ZUKUNFT:

D
Schwimmende Pumpspei- er Förderkreis unterstützt in diesem sich die Plattform wieder hebt. Die Forscher
cher können gleichzeitig Jahr die Entwicklung von vier Proto- bauen nun ein erstes funktionelles Modell im
als „Bauplätze“ für neue typen, aus den Bereichen Elektronik, Maßstab 1:50 und werden die Idee im Rahmen
Stadtviertel genutzt werden. Wasserbau und Zoologie. „Als Schnittstelle eines im Sommer genehmigten K-Regio-Pro-
„Sie funktionieren sehr ähnlich zwischen der Universität und der Gesellschaft jekts vorantreiben.
wie Pumpspeicherkraftwerke liegt dem Förderkreis der Transfer von For- Georg Saxl vom Institut für Mechatronik
bei uns in den Alpen. Sie schungsergebnissen in marktfähige Anwen- möchte Gebäude mit ihren digitalen Zwil-
liefern dann Energie, wenn sie dungen besonders am Herzen“, sagt Koordi- lingen elektronisch verknüpfen. Als Grundla-
tatsächlich gebraucht wird“, natorin Sabina Kasslatter Mur. So wird die Ent- ge dienen ihm dazu in Innsbruck entwickelte
erklärt Projektmitarbeiter Ro- wicklung einer völlig neuen Mückenabwehr Mikrochips, die über eine Funkschnittstelle
bert Klar die schwimmenden gefördert, die Thorsten Schwerte vom Institut kommunizieren und ohne Batterie betrieben
Energiespeicher. für Zoologie entwickelt. Blutsaugende Insekten werden können. „Der große Vorteil dieses
zählen zu den gefährlichsten Krankheitsüber- Ansatzes ist, dass die Schaltungen vollständig
trägern auf der Erde. Der Zoologe arbeitet an wartungsfrei sind“, sagt Saxl. „Die Chips ma-
einem System, das mit Hilfe von dynamischen chen die einzelnen Elemente im Gebäude nicht
Lichtmustern Mücken vertreiben soll. Im La- nur identifizierbar, sondern können über Sen-
bor werden Mücken in einer ausgeklügelten soren auch Daten über Helligkeit oder Feuch-
Versuchsanordnung in einem Windkanal aus- tigkeit liefern.“ Konkret erproben will Saxl die
gesetzt, als Duftfahne dient Kohlendioxid. In Technologie nun in der Gebäudedämmung.
den Tunnel projiziert der Forscher dynamische Bei Messungen im Labor können schwache
Lichtmuster und verfolgt die Flugbahn der analoge Signale mit Hilfe von Diskriminatoren
Mücken. Zum Einsatz kommt Infrarotlicht, das digitalisiert werden. So lassen sie sich leichter
vom Menschen nicht wahrgenommen wird. weiterverarbeiten. Die am Markt erhältlichen
Ziel des Projekts ist der Bau eines verkleiner- Geräte sind Alleskönner und deshalb entspre-
ten Geräts zum Einsatz z.B. in Schlafzimmern. chend komplex und teuer. „Interessanterweise
Schwimmende Plattformen wollen Markus verschlechtert dieser Ansatz sogar oft das zeit-
Aufleger, Robert Klar und Bernd Steidl vom liche Verhalten“, erklärt Benedikt Pressl vom
Institut für Wasserbau als zukünftige Energie- Institut für Experimentalphysik. „Der von uns
speicher etablieren. Die von der Uni Innsbruck entwickelte Diskriminator zeigt eine exzellente
patentierte Idee ist recht simpel: Durch das Zeitauflösung, ist deutlich einfacher aufgebaut
Fluten einer großen, schweren und im Wasser und erfüllt genau die Anforderungen, für die
schwimmenden Plattform wird eine stromer- er in vielen Labors benötigt wird.“ Mit Unter-
Die Mitglieder unterstützen die Universität
als Netzwerk von Verbündeten, als Brücke
zeugende Turbine betrieben. Steht hingegen stützung des Förderkreises entwickelt Pressl
in die Gesellschaft – sowohl ideel als auch Energie zur Verfügung, kann das Wasser aus nun einen Prototyp für ein mehrkanaliges Sys-
materiell.
Infos: www.uibk.ac.at/foerderkreis1669 dem Hohlraum abgepumpt werden, wodurch tem.

34 zukunft forschung 02/18 Illustration: Uni Innsbruck


WISSENSTRANSFER

START-UP-ERFOLG

D as Uni-Spin-off Txture konnte sich


mit seiner Software zur Transfor-
mation großer IT-Landschaften beim
europaweit größten Start-up Accelera-
tor weXelerate gegen 1.220 Start-ups
aus 62 Ländern behaupten. Dies stellt
einen weiteren bedeutenden Meilen-
stein für das Tiroler Jungunternehmen
dar, an dem die Universität Innsbruck
über die Uni-Holding beteiligt ist. Das
Spin-off kann trotz des jungen Alters
schon Unternehmen wie Infineon, die

LEUCHTENDER ERFOLG IT der österreichischen Sozialversiche-


rungen oder den Flughafen Wien zu
seinen Kunden zählen.
Innsbrucker Chemiker arbeiten an einer völlig Europas größter Start-up Accelera-
tor weXelerate hat das Ziel, Großun-
neuen Klasse von Leuchtstoffen. ternehmen mit innovativen Start-ups

E
in Forschungsschwerpunkt der Ar- können und zusätzlich noch die Möglich-
beitsgruppe um den Chemiker Hu- keit zur Dotierung zu haben“, erläutert
bert Huppertz liegt im Bereich der Daniel Dutzler aus dem Team von Hup-
Alkalilithosilikate. Diese Substanzklasse pertz. In Rahmen einer Kooperation mit
wurde in den 1980er-Jahren ausgiebig OSRAM Semiconductors wird derzeit
erforscht und charakterisiert. Viele der geprüft, inwieweit diese neu entdeckten
damals entdeckten Materialien fanden Leuchtstoffe für zukünftige industrielle
jedoch keinerlei praktische Anwendung. Anwendungen relevant sein können. Um
Nun wurden an der Universität Inns- in dem stetig wachsenden und stark um-
bruck die ersten lumineszierenden Ver- kämpften Markt der LEDs mithalten zu
treter dieser Substanzklasse durch ge- können, war das Unternehmen vor eini- MATTHIAS FARWICK: „Wir verlagern
zieltes Dotieren mit dem Seltenerdele- gen Jahren eine Kooperation mit der Uni- einen Teil unseres Teams von Innsbruck
ment Europium synthetisiert. „Dass die- versität Innsbruck eingegangen, die zur nach Wien.“
se Materialien überhaupt lumineszieren, Gründung eines Forschungsschwer-
war für uns sehr überraschend, da es punkts zum Thema lumineszierende Ma- zu vernetzen. Unter den beteiligten
sehr ungewöhnlich ist, zwei derart unter- terialien am Institut für Allgemeine, An- Firmen befinden sich namhafte Größen
schiedliche Kationen der Stammverbin- organische und Theoretische Chemie wie UNIQA, Raiffeisen, Volksbank, T-
dungen gegeneinander austauschen zu geführt hat. Mobile und die Österreichische Kon-
trollbank.
„Wir verlagern einen Teil unseres
SPIN-OFF MEETING ZUM THEMA VERTRIEB Teams von Innsbruck nach Wien“, sagte
Matthias Farwick, Geschäftsführer der

B ereits zum dritten Mal kamen Vertreterinnen und


Vertreter von Ausgründungen der Uni Innsbruck
im Rahmen des Spin-off Meetings der Transferstelle
Txture GmbH. Das Unternehmen ver-
treibt eine innovative Softwareplatt-
form, die die Analyse und Transforma-
Wissenschaft - Wirtschaft - Gesellschaft zusammen. tion globaler IT-Landschaften großer
Diesmal stand das Thema Vertrieb im Mittelpunkt. Der Unternehmen revolutioniert. Im Zuge
Unternehmensberater Harald Denifle leitete den kurz- der digitalen Transformation müssen
weiligen Workshop und plauderte dabei auch „aus IT-lastige Branchen, beispielsweise im
dem Nähkästchen“. Im Zentrum standen kritische Erfolgsfaktoren im Vertrieb. Dabei wurde Banken-, Versicherungs- und Energie-
über die Vertriebsstruktur von Uni-Spin-offs, mögliche Vertriebswerkzeuge und kritische umfeld, immer stärker ihre Systeme agil
Phasen im Vertriebsprozess diskutiert. Zur Sprache kamen auch das Auftreten und die Dar- an die Anforderungen des Marktes an-
stellung des eigenen Unternehmens bei Messen, Kongressen und Events. „Mit dem Spin-off passen. Die genannten Branchen sind
Meeting bietet die Transferstelle der Universität ein regelmäßiges Format, das Weiterbildung, auch besonders stark von gesetzlichen
Austausch und Vernetzung ermöglicht“, sagt deren Leiterin Sara Matt-Leubner. „Dabei Vorgaben in Bezug auf ihre IT betroffen,
werden sowohl bestehende, als auch neue und potenzielle Ausgründer in unternehmens­ was sie zur schnellen Anpassung ihrer
relevante Themen eingeführt und Kooperation und Mentoring gefördert.“ IT-Systeme zwingt.

Fotos: Uni Inns­bruck (2), Andreas Friedle (1) zukunft forschung 02/18 35
INFORMATIK

GROSSE DATEN
ERLEBEN
Das hochmoderne Visualisierungslabor an der Uni Innsbruck eröffnet
seinen Nutzerinnen und Nutzern völlig neue Dimensionen im Umgang mit
großen Datenmengen.

U
nwillkürlich streckt man die Hand aus, Jahren im Zuge der damaligen Renovierungs-
will das Marmorrelief berühren, so arbeiten vermessen, aber ein gewisser Stolz
plastisch hat man die Szene aus dem ist ihm gerade jetzt anzusehen. Im kürzlich
Leben Maximilians I. vor Augen. Tatsächlich eröffneten Visualisierungslabor ist es nämlich
anfassen kann man zwar keine der 24 Mar- erstmals technisch möglich, die Projektergeb-
mortafeln, die das leere Grabmal des Kaisers nisse als Ganzes zu betrachten.
in der Innsbrucker Hofkirche schmücken, aber Bei der dreidimensionalen Vermessung
das Erlebnis ist dennoch faszinierend: Im Vi- des Kenotaphen in den Jahren 2002 und 2003
sualisierungslabor der Universität Innsbruck wurde der Detailliertheit der eingebetteten
zeigt Klaus Hanke, Leiter des Arbeitsbereichs Marmortafeln mit einem aufwendigen Mess-
Vermessung und Geoinformation, den Zuse- konzept Rechnung getragen. „Wir haben die
hern eine vollständige 3D-Visualisierung des klassische Nahbereichsphotogrammetrie mit
Kenotaphen Maximilians. Zwar hat er das be- Laserscanning in einer Auflösung von 0,2
deutende Kulturdenkmal bereits vor rund 15 Millimeter kombiniert“, berichtet Hanke.

36 zukunft forschung 02/18 Fotos: Andreas Friedle


INFORMATIK

DAS VISUALISIERUNGS-
Die 80 mal 45 Zentimeter großen Relieftafeln Zahlenkolonnen kann man nicht einfach so LABOR ermöglicht bis zu
mussten bei der 3D-Modellierung jeweils in anschauen. Man muss sie aufbereiten und 30 Personen gleichzeitig das
sechs Teile unterteilt werden, um die Ergeb- das Ergebnis visualisieren, um sie analysieren Ansehen von 2D- und 3D-
nisse bearbeiten und ansehen zu können. und diskutieren zu können“, sagt Alexander Inhalten auf einer 3,1 mal 1,7
„Wir führten das Projekt für die Tiroler Jubi- Ostermann, Leiter des Forschungsschwer- Meter großen Videowand.
läumsstiftung im Wissen durch, dass wir zum punktes Scientific Computing und Hauptini- Es verfügt über eine voll
damaligen Zeitpunkt nicht in der Lage sein tiator des Visualisierungslabors. „Eine weitere integrierte Virtual Reality (VR)
würden, uns das Ergebnis als Ganzes anzu- Notwendigkeit in vielen Forschungsprozes- Installation, die in Kombinati-
sehen. Jetzt ist es möglich“, so Hanke. 2019 sen ist es, Daten interaktiv verändern zu kön- on mit einer hochaufgelösten
werden die von ihm erfassten Daten Basis nen, wozu es sehr hohe Rechenleistungen VR-Brille einem zusätzlichen
mehrerer Ausstellungen zum 500. Todestag braucht“, ergänzt er. Entsprechend groß ist Nutzer eine virtuelle Erfah-
Kaiser Maximilians I. sein. Auch im Visuali- das Interesse unterschiedlichster Fachrich- rung ersten Ranges bietet.
sierungslabor möchte er im Maximilian-Jahr tungen am Visualisierungslabor. So haben Das Kernstück des Visualisie-
die eine oder andere Präsentation machen. sich zahlreiche Mitglieder des Schwerpunktes rungslabors ist neben dem
„Die Möglichkeit, das Publikum interaktiv Scientific Computing sowie das Rektorat Hochleistungsrechner die
einbeziehen zu können, ist bei solchen Veran- finanziell an der Realisierung beteiligt. Un- aus neun FullHD-Displays
staltungen natürlich sehr interessant“, betont terstützung kam außerdem vom Förderkreis bestehende Video-Wall. Das
der Vermessungsexperte. der Universität Innsbruck. „Damit konnten gesamte System wurde vom
wir das modernste Visualisierungslabor West- Zentralen Informatikdienst
Breiter Nutzerkreis österreichs einrichten“, freut sich Ostermann. (ZID) der Universität Innsbruck
So wie Klaus Hanke haben viele Wissen- Profitieren sollen davon im Übrigen nicht nur zusammen mit der Software-
schaftlerinnen und Wissenschaftler mit groß- Forschende, sondern auch Studierende und Schmiede three10 aus Mün-
en Datenmengen zu tun. „Egal ob experimen- die interessierte Bevölkerung. In der Lehre chen geplant und umgesetzt.
tell erhoben oder durch komplizierte Rechen- sieht Ostermann ein weiteres Haupteinsatz- „Bei allen Komponenten
prozesse generiert – wissenschaftliche Daten gebiet. „Zukünftige Arbeitgeber erwarten haben wir besonderen Wert
sind häufig unvorstellbar viele Zahlen. Diese sich von Absolventinnen und Absolventen auf offene Schnittstellen und
mathematischer, technischer und naturwis- die zukünftige Erweiterbarkeit
senschaftlicher Fächer eine State-of-the-Art- des Systems gelegt“, betont
Ausbildung. Dazu wird das Visualisierungs- Sabine Kreidl, Leiterin der Ab-
labor in Zukunft einen Beitrag leisten.“ teilung Zentrale Systeme am
Darüber hinaus will man auch ein breiteres ZID. Das Visualisierungslabor
Publikum ansprechen. „Menschen sind heute ist am Campus Technik ange-
visuell sehr anspruchsvoll, gehen ins 3D-Kino siedelt. Initiiert wurde seine
oder besitzen vielleicht sogar eine Virtual- Realisierung vom Forschungs-
Reality-Brille. Insofern bietet uns das Visuali- schwerpunkt Scientific Com-
sierungslabor die Möglichkeit, auch unsere puting. Der Förderkreis 1669
Forschung eindrucksvoll zu präsentieren, - Wissenschafft Gesellschaft
zum Beispiel bei Veranstaltungen wie der hat das Visualisierungslabor
Langen Nacht der Forschung“, so Oster- maßgeblich unterstützt.
mann, der immer wieder betont, dass das
„Wissenschaftliche Daten sind häufig Visualisierungslabor – obwohl am Campus
unvorstellbar viele Zahlen: Man muss Technik beheimatet – allen Disziplinen offen-
sie visualisieren, um sie analysieren steht und auch die fächerübergreifende Zu-
und diskutieren zu können.“Alexander Ostermann sammenarbeit fördern soll.ef

zukunft forschung 02/18 37


PHYSIK

ERSTE DIODE FÜR


MAGNETFELDER
Quantenphysiker um den Theoretiker Oriol Romero-Isart und den Experimentalphysiker
Gerhard Kirchmair haben eine Diode für Magnetfelder konstruiert und im Labor getestet.

SKIZZE DER in eine Richtung wirkenden


magnetischen Kopplung zwischen zwei
Spulen, die in der Nähe eines beweg-
lichen Leiters angeordnet sind. Wenn
ein Strom durch die linke Spule fließt,
erreicht das erzeugte Magnetfeld die
rechte Spule (oben). Wenn durch die
rechte Spule ein Strom fließt, erreicht das
Magnetfeld die linke Spule nicht (unten).

unidirektional“, sagt Prat Camps, „und


eine Diode für Magnetfelder entsteht.“
Gekoppelte magnetische Elemente fin-
den sich in vielen Schlüsseltechnologien
wie Elektromotoren, Transformatoren,
magnetischen Speichern oder MRT-
Geräten. In allen sind die magnetischen
Elemente symmetrisch gekoppelt. „Die
Verfügbarkeit eines neuen magnetischen
Werkzeugs wie einer Diode könnte daher
eine Reihe neuer Möglichkeiten eröffnen“,
blickt Gerhard Kirchmair in die Zukunft.
So könnte zum Beispiel die Effizienz von
drahtlosen Ladegeräten verbessert wer-
den, da die Energie nur noch von der
Ladestation zum Gerät und nicht mehr in
die andere Richtung fließen kann.

E
lektrische Dioden sind wichtige ein zweites zu übertragen. Wird ein Ma- Das Team um Oriol Romero-Isart hatte
elektronische Bauteile, die elektri- gnetfeld vom zweiten zum ersten Ele- bereits 2014 eine neue Technologie entwi-
schen Strom in eine Richtung leiten, ment geschickt, kann kein Magnetfeld ckelt, mit der magnetische Felder über
die Stromleitung in der anderen Richtung übertragen werden“, schildert Erstautor beliebig große Distanzen transportiert
aber unterbinden. Dioden finden sich in Jordi Prat Camps, der inzwischen an der werden können. Mit statischen magne-
praktisch jedem elektronischen Gerät. Für University of Sussex in England forscht. tischen Feldern war dies bisher nicht mög-
Magnetfelder gab es solche Bauelemente Technisch ausgedrückt bedeutet dies, dass lich, ihre Stärke nimmt mit dem Abstand
bisher nicht. Das ändern nun Physiker der die Induktivitäten zwischen den beiden von der Quelle rasant ab. Die Innsbrucker
Universität Innsbruck und des ÖAW-Insti- Quellen, die üblicherweise symmetrisch fanden eine verblüffend einfache Lösung
tuts für Quantenoptik und Quanteninfor- sind, extrem asymmetrisch gestaltet wer- für dieses Problem. Sie isolierten ein ferro-
mation (IQOQI). Sie entwarfen die erste den können. Das Schlüsselelement für das magnetisches Material mit einem Supra-
Diode für Magnetfelder und demonstrier- neue Bauelement ist ein elektrischer Lei- leiter und stellten so ein Material mit ex-
ten ihre Funktionsweise im Labor. ter, der sich mit konstanter Geschwindig- trem anisotropen Eigenschaften her. Eine
„Das von uns entwickelte Konzept keit bewegt. „Wird der Leiter in der Nähe Struktur aus abwechselnden Schichten
erlaubt es, das Magnetfeld von einem der magnetischen Elemente platziert und von Ferromagneten und Supraleitern er-
magnetischen Element – zum Beispiel mit der richtigen Geschwindigkeit be- wies sich als sehr guter magnetischer Lei-
einem Magneten oder einer Spule – auf wegt, wird die Kopplung zwischen ihnen ter. cf

38 zukunft forschung 02/18 Foto: Luis Veloso


KUNSTGESCHICHTE

REVOLUTIONÄRER
VORDENKER
Ernst Gombrich, ein britischer Kunsthistoriker mit österreichischen Wurzeln, war Vorbild, väterlicher Freund
und Lehrer für Sybille Moser-Ernst, Professorin am Institut für Kunstgeschichte. Die Kunsthistorikerin stellt
nun sein Oeuvre wieder in das Zentrum der Diskussion und lässt die Erinnerung an ihn lebendig werden.

URSULA MARINELLI und Sybille Moser-Ernst (v.li.) vom Institut für Kunstgeschichte beschäftigen sich intensiv mit Ernst H. Gombrich.

E
rnst H. Gombrich (1909 – 2001) zählt Seine Art der Kunstbetrachtung bewegte schichte an der Uni Innsbruck, zum Aus-
zu den weltweit bekanntesten Ver- sich aber nie ausschließlich innerhalb von gangspunkt für langjährige Forschungen
tretern seines Faches der Kunstge- Fachgrenzen. So dienten ihm Erkenntnisse und Projekte, die heuer ihren vorläufigen
schichte. In London fand er am Warburg der Psychologie und Biologie, sowie neue Abschluss in der umfangreichen Buchpu-
Institut nach seiner rechtzeitigen Flucht Lesarten der Geschichte und Philosophie blikation „ART and the MIND – Ernst H.
aus Österreich im Jahr 1936 eine neue in- als wichtige Grundlagen für seine Über- Gombrich mit dem Steckenpferd unter-
tellektuelle Heim- und Wirkungsstätte. legungen zu Kunst und Kultur. Diese fä- wegs“ fanden. „Mir war es immer wich-
Mit Büchern wie „Geschichte der Kunst“ cherübergreifende Denkweise wurde von tig, zuverlässige Instrumente für mein
oder „Kunst und Illusion“ setzte Gom- einer seiner Studierenden, Sybille Moser- Tun zu finden“, so die Wissenschaftlerin.
brich Meilensteine in der Kunstgeschichte. Ernst, Professorin am Institut für Kunstge- Von seiner speziellen Denkart fasziniert,

40 zukunft forschung 02/18 Foto: Andreas Friedle; Zeichnung: Sybille Moser-Ernst


KUNSTGESCHICHTE

reiste sie ab 1985 regelmäßig nach Lon- geschrieben hat, deren Dichte und Gül- War Dante Alighieri noch davon über-
don, wo sie in Ernst H. Gombrich einen tigkeit möglicherweise erst heute von Ex- zeugt, dass der Geist Gottes oder ein
wertvollen Lehrmeister fand. pertinnen und Experten adäquat evaluiert anderer Geist in den Künstler hineinge-
Ein Merkmal der Kunstwissenschaftle- werden können. fahren ist, war Gombrich hier anderer
rin Moser-Ernst ist ihre Neugier und ihr Meinung. Vor solchen Geistern hat er
Drang, die Wissenschaft in den Dingen Das Steckenpferd sich immer in Acht genommen“, verdeut-
zu suchen. „Dass ich mich für die Kunst- Im Kern seines Schaffens beschäftigte licht Moser-Ernst, die vertieft, dass es für
geschichte als Studienfach entschieden sich Gombrich mit dem künstlerischen Gombrich nicht mehr um die Idee des
habe, ist einer Reihe von Zufällen zu ver- Schöpfungsvorgang. „Er stellte sich die Abbildes, sondern vielmehr um das Stau-
danken. Ich habe, seit ich denken kann, Frage, wie Linien, Farben und Formen nen über das Erschaffen von Welt geht.
karikiert, und dann porträtiert. Meine dazu gebracht werden können, für Dinge
großen Interessen galten der Mathema- einzustehen, die wir dann als Betracht- Zum Buch
tik und der angewandten Physik. Das ende beispielsweise als eine Landschaft „Gombrich wünschte sich, dass das,
vorandrängende Tun in der Wissenschaft erkennen“, erläutert Moser-Ernst. Das was er schrieb, gelesen würde – und im
ist eine Umwegleistung“, so die Wissen- Zusammenspiel von Bild und Einbil- besten Fall sogar verstanden und disku-
schaftlerin. dungskraft verdeutlicht der Kunstwis- tiert. Dies, oder das Finden einer noch
Ernst Gombrich, den sie in diesem Sinn senschaftler in seinen „Meditations on a besseren Problemlösung, einer über den
zitiert, gab dafür einen erklärenden Ver- Hobby Horse“. So wird das Steckenpferd Lehrer hinausführenden Einsicht, wären
gleich: Seine Liebe galt eigentlich der Mu- zum Sinnbild für das komplexe Zusam-
sik, daher formulierte er aus ihrem Feld menspiel von künstlerischen Fertigkeiten „Gombrich war ein Vordenker,
die Metapher „Mir gefällt Mozart. Trotz- und dem menschlichen Bewusstsein.
der verschiedene
dem würde ich über Strawinsky arbeiten, „Wie kunstvoll der Kopf des Stecken-
damit ich etwas lerne und erkenne.“ Auch pferdes geformt ist, interessiert ein Kind
­Naturwissenschaftler weit
die Annäherung an ein interessiertes aber nur wenig. Es braucht einen Stecken zum mehr interessiert hat als
nicht-wissenschaftliches Publikum war Draufsitzen, Griffe zum Festhalten, einen ­Kunsthistoriker.“ Sybille Moser-Ernst

für Gombrich wichtig und keine Abwer- Wollschwanz und eine Mähne. Der Kopf,
tung des eigentlichen wissenschaftlichen das Aussehen des Pferdes und noch so sein größter Wunsch gewesen“, erinnert
Diskurses. Moser-Ernst betont, dass das vieles mehr entstehen in seiner Vorstel- sich die Wissenschaftlerin. Moser-Ernst
scheinbar populärwissenschaftliche Buch lung“, so Moser-Ernst über die Bedeu- organisierte 2009, anlässlich des 100.
von Gombrich zu Unrecht von den Exper- tung des Steckenpferdes für ein Kind. Geburtstags von Ernst Gombrich, mit
tinnen und Experten abgelehnt wurde: Das Steckenpferd aus der Kinderstube Unterstützung von Ursula Marinelli ei-
„Erst wenn man sein Buch ‚Geschichte wurde für das kunstwissenschaftliche ne Tagung, die einige unhintergehbare
der Kunst‘ mehrmals liest, erkennt man Denken entdeckt, um zu helfen, die Be- theoretische Grundlagen Gombrichs für
immer wieder neue Ebenen, die sich nach dingungen und die Grenzen der Bild- die Kunstwissenschaft zutage förderte,
und nach erschließen, die man vielleicht kunst zu ergründen. Gombrich will zei- auf die in Zukunft gebaut werden kann.
erst wahrnimmt, wenn man sehr gut in gen, was das vom Menschen geschaffene Im Buch „ART and the MIND – Ernst
der Wissenschaftsgeschichte und vor Gebilde leistet, um die Betrachtenden in H. Gombrich. Mit dem Steckenpferd
allem in der Kunstgeschichte ist“, so die eine andere Welt zu führen. „Gombrich unterwegs“ gelang es Moser-Ernst für
Wissenschaftlerin, die verdeutlicht, dass hat nie einen Kunstbegriff gestützt, der spezifische Fragen einige der besten ge-
Gombrich scheinbar „einfache“ Texte sich an metaphysische Kräfte wendet. genwärtigen Forscherinnen und Forscher
als Mitautoren zu gewinnen.
„Gombrich war ein Vordenker, der ver-
schiedene Naturwissenschaftler weit
mehr interessiert hat als Kunsthistoriker.
Wir wollten ein Buch herausbringen, das
aufweckt. Hätten wir nur ein Buch ge-
schrieben, um sein Andenken zu bewah-
ren, so hätten wir ihn geärgert“, so Mo-
ser-Ernst, die diese wissenschaftlichen
Ansätze auch in ihrer Lehre und For-
schung weiterträgt. Buchpräsentationen
gab es heuer an der Universität Inns-
bruck und dem Austrian Cultural Forum
in London. Ein „Werkstattgespräch“ über
das Buchprojekt wird noch bei einem der
Fördergeber des Buches, nämlich dem
Österreichischen Zukunftsfonds in Wien,
EINE ZEICHNUNG von Sybille Moser-Ernst zeigt Ernst Gombrich mit seiner Frau. stattfinden.  dp

zukunft forschung 02/18 41


ARCHITEKTUR

IM DAZWISCHEN
Den Architekten Walter Klasz und den Theologen Christian Bauer verbindet ein
Interesse am Entstehen sozialer Innovation in der Wechselwirkung zwischen Mensch und Raum.
Mit Studierenden haben sie ein Experiment gewagt und sich die Frage gestellt,
wo und wie ein Dazwischen entsteht. 

W
alter Klasz ist Architekt. Nach an der Universität Innsbruck und seit innovativen sozialen Ort umgebaut ha-
Stationen in Wien und an der einem Jahr Leiter des Instituts für Prak- ben“, so Christian Bauer.
Technischen Universität in tische Theologie. Er beschäftigt sich mit Es sind auch die weichen Faktoren
München war er zunächst selbstständig der Frage, wo Theologie praktisch wird. – was man fühlt, was man sozial wahr-
und hat die vergangenen vier Jahre als „Ich gehe an konkrete Orte und schaue, nimmt und wie die Leute in bestimmten
Forscher an der Universität Innsbruck was dort passiert, wie sie entstehen. Inte- Räumlichkeiten miteinander umgehen,
gearbeitet und seine Dissertation ge- ressant wird es, wenn soziale Situationen die einen Raum ausmachen. Dass sich in
schrieben. „Mich bewegt die Frage: Wie sich öffnen. Das hat für mich dann mit der Bäckerei beispielsweise jede und jeder
entsteht Form?“, beschreibt Klasz sein dem Geheimnis Gottes zu tun, man kann seinen Kaffee selbst nimmt, erstaunt viele
Forschungsinteresse. Dementsprechend es aber auch anders benennen“, so der Besucherinnen und Besucher im ersten
breit präsentiert sich auch sein Portfolio, Theologe. Moment, schafft aber einen Umgang auf
das von Booten über Kirchen bis hin zu Augenhöhe. „Die Bäckerei ist ein Ort, an
Büros reicht. „Die Beziehung zwischen Raum mit Seele dem man deutlich sieht, dass der Raum
der physischen Form und dem Sozialen, Um zu zeigen, was sie damit meinen, den Menschen dort gehört. Er hat eine
der Art des menschlichen Zusammenle- verweisen die beiden Forscher immer Seele, die ein Architekt alleine nicht er-
bens, ist der wesentliche rote Faden, der wieder auf die Bäckerei – Kulturbackstu- schaffen kann, sie entsteht aus einem di-
meine Arbeiten verbindet“, so Klasz wei- be in Innsbruck, eine lebendige und dy- alogischen Prozess. Das wollten wir auch
ter. Seine Dissertation beschäftigt sich mit namische Plattform für kulturellen und Studierenden weitergeben“, so Klasz.
selbstbildenden Formfindungsprozessen sozialen Austausch. „Für mich ist die Bä-
im Bereich des biegeelastischen Bauens. ckerei einer der spannendsten kulturellen Interdisziplinär
Eine Schnittstelle zur Metaebene fand Orte in Innsbruck. Eine alte k.u.k.-Mili- Gemeinsam haben sie das interdiszipli-
Klasz im Austausch mit Christian Bau- tärbäckerei, die junge Leute mit wenig näre Seminar „Formfindungsprozesse an
er. Der Theologe ist seit 2012 Professor Geld und vielen Ideen zu einem höchst Orten sozialer Innovation“ geleitet. Darin

42 zukunft forschung 02/18 Fotos: Andreas Friedle (1), Walter Klasz (2)
ARCHITEKTUR

DIE GRUPPE DES Seminars „Formfin-


treffen zwei Disziplinen aufeinander, die Jetzt müssten wir eigentlich weiterma- dungsprozesse an Orten sozialer Innovati-
sich ihrer Meinung nach gesellschaftlich chen. Wir haben dann beschlossen, dass on“ beim Dialog im Waltherpark (li.) und in
in einer produktiven Sinnkrise befinden. es keine klassische Seminararbeit geben einer Kirche in Gries im Sellrain (re.), einem
„Heute können wir in der Architektur soll, sondern noch einmal zwei vertiefen- Projekt von Walter Klasz. Die Bäckerei ist
beinahe alles bauen und dadurch wird de Austauschrunden an konkreten Or- für Walter Klasz (mi.li.) und Christian Bauer
auch die Frage nach ihrem Sinn größer“, ten, an denen fast alle Studierenden teil- (mi.re.) ein gelebter Ort sozialer Innovation,
so Klasz. Teilgenommen haben an dem genommen haben – ein selbstbildender an dem sie sich regelmäßig austauschen.
Seminar Studierende aus acht unter- Formfindungsprozess, der das Seminar
schiedlichen Disziplinen. zu einem performativen Ereignis machte.
Was als Seminar begonnen hat, wurde Diese Bereitschaft zum Engagement über tät ist ein idealer Ort für interdisziplinäre
am Ende selbst eine soziale Innovation. die Lehrveranstaltung hinaus hat uns Lehrveranstaltungen, ein echter Inspira-
„Das ganze Seminar war prozessori- sehr gefreut“, sagt Christian Bauer. Ein tionsraum. Eine Expertise der Schnittstel-
entiert. Wir wussten am Anfang selbst Studierender bemerkte abschließend: len kann sehr gewinnbringend sein und
noch nicht, was am Ende dabei heraus- „Das Seminar war selbst eine soziale ist eine eigene Form von wissenschaft-
kommen wird“, berichtet Christian Bauer Innovation.“ Auch in Zukunft plant der licher Exzellenz“, so der Theologe weiter.
über die Lehrveranstaltung. Im Zentrum Theologe weitere solcher Seminare, an Auch Walter Klasz tritt für seine Pro-
stand eine explorative Feldforschung in denen dann auch andere Disziplinen be- jekte in den intensiven Dialog mit Men-
kleinen Teams. Diese sollten sich anhand teiligt sein sollen. schen. Aktuell arbeitet er gemeinsam mit
verschiedener Orte in Innsbruck, wie der Tiroler Jungbauern und -bäuerinnen an
oben genannten Bäckerei, dem Spielraum Dazwischen einem Kapellenentwurf. „Unser erster
für Alle, dem Waltherpark oder zweier Auch in der Praxis verfolgen sowohl Workshop ist jedoch gescheitert. Die
Projekte von Walter Klasz, einer Kirche in der Architekt Walter Klasz als auch der freie Herangehensweise und der präsen-
Rif bei Salzburg oder der Neuschneewol- Praktische Theologe Christian Bauer für tierte Vorentwurf waren ihnen wohl zu
ke im Sellraintal ansehen, wie Raum das ihre Disziplinen ungewöhnliche Ansätze. offen. Früher hätte ich an diesem Punkt
soziale Miteinander beeinflusst und wie Christian Bauer arbeitet explorativ und aufgegeben. Jetzt ist es für mich als Ge-
durch das Miteinander sozialer Raum versucht herauszufinden, wofür Men- stalter wichtig geworden, Widerstand
entsteht, der über das rein Physische hi- schen heute leben und woran sie glauben. von Gegensatz zu unterscheiden. Ich
nausgeht. Ihre Eindrücke haben sie dann, Dafür tritt er bewusst aus klassischen re- vertraue in den Dialog, der über klas-
angereichert durch entsprechende Theo- ligiösen Umgebungen heraus und ver- sische Partizipation hinausgeht. Im Da-
rieelemente, ins Seminar eingebracht. sucht, Antworten im Dialog zu finden. zwischen formt sich etwas für alle Betei-
Bauer und Klasz sind sich einig, dass „Ein solches Arbeiten erweitert die Disk- ligten Überraschendes. Es entwickelt
auch für sie dieses Seminar einen Aha- ursarchive des christlichen Glaubens und sich eine Art dynamische Mehrautoren-
Effekt bereithielt. „Als wir am Schluss steht eher am Rand der Theologie. Aber schaft, welche die Disziplin von Chri-
fragten, was unsere Lehrveranstaltung Innovation kommt ja oftmals genau von stian Bauer berührt“, beschreibt Klasz
gebracht hat, sagten die Studierenden: diesem Rand“, so Bauer. „Die Universi- seine Arbeitsweise.  lm

zukunft forschung 02/18 43


TRANSFERSTELLE

UNTERNEHMERISCHES
DENKEN
Über vielfältige Formate fördert die Transferstelle der Universität Innsbruck unternehmerische
Studierende und WissenschafterInnen.

M
it finanzieller Unterstützung Universität an mehreren internationalen nannte INNC-Programm begonnen“,
des Förderkreises 1669 wird Entrepreneurship-Veranstaltungen teilge- erklärt Robert Schimpf vom InnCubator.
nach Vorbild der erfolgreichen nommen“, erzählt Matt-Leubner. „Nach dem ersten Jahr, in dem noch lau-
Entrepreneurial Postdocs of Cambridge fende Bewerbung möglich war, haben
(EPOC) nun auch in Innsbruck eine Gründungen werden unterstützt wir dieses sechsmonatige Coaching-
Entrepreneurial Researchers Society Seit zwei Jahren gibt es in Innsbruck mit Programm mit Workshops rund um
aufgebaut. „Dieses Projekt soll den un- dem InnCubator auch ein Gründerzen- das Thema Innovation und Gründung
ternehmerischen Geist von jungen Wis- trum, das von Universität Innsbruck und entwickelt. Alle Bewerberinnen und Be-
senschaftlerinnen und Wissenschaftlern Wirtschaftskammer Tirol in den Räum- werber beginnen gleichzeitig zu festen
erhöhen und sie dadurch insbesondere lichkeiten des WIFI gemeinsam betrieben Stichtagen, um die Teamdynamik und
auch für eine Karriere außerhalb der wird. Neben Co-working-Arbeitsplätzen die Unterstützung noch besser zu nüt-
Universität fit machen“, erklärt Sara bietet der InnCubator auch eine breite zen.“ Mit dem Programm „FoundHer“
Matt-Leubner, die Leiterin der Transfer- Palette an Unterstützungsmaßnahmen, werden besonders Frauen als potentielle
stelle der Universität Innsbruck. Diese und das Team des InnCubator steht den Gründerinnen angesprochen. Sie werden
Gesellschaft entwickelt Initiativen, die Gründerinnen und Gründern in allen für unterstützt, im Team eine Geschäftsidee
Forscherinnen und Forschern unterneh- die Frühphase einer Firmengründung für ein Projekt zu entwickeln und dieses
merisches Know-how vermitteln, sie wichtigen Belangen zur Seite – von tech- innerhalb von vier Monaten tatsächlich
mit den richtigen PartnerInnen zusam- nischer Unterstützung beim Prototypen- zu realisieren.
menbringen und auch die Möglichkeit bau über Infos zu Businessplan, Markt-
der Selbstständigkeit in den Fokus rü- beobachtung, Patent- und Markenrecht, Unternehmerisches Denken
cken. Darüber hinaus können sich die rechtlichen Aspekten im Gründungspro- „Das sind alles Initiativen, die Studieren-
Mitglieder auch international über das zess und Finanzierungsfragen bis hin zu de und junge WissenschaftlerInnen zum
p2i-network vernetzen, einer gemein- Partner- und Business-Angel-Themen. unternehmerischen Denken motivieren
samen Initiative von fünf Universitäten Seit dem erfolgreichen Start vor zwei sollen“, sagt Sara Matt-Leubner. „Die
(Cambridge, PSL Paris, Glasgow, FU Ber- Jahren wurde der InnCubator stetig wei- Universität unterstützt darüber hinaus
lin, Uni Innsbruck) und vier global agie- terentwickelt und ausgebaut. „Wir haben mit eigenen Lehrveranstaltungen zum
renden Unternehmen (BP, Schlumberger, bisher bereits 24 Start-ups betreut und für Thema Entrepreneurship und einer Pro-
Shell, AstraZeneca). „Auf diese Weise ha- die Selbständigkeit gerüstet, und 15 neue fessur für Innovation und Entrepreneur-
ben bereits zahlreiche Mitglieder unserer Projekte haben soeben bei uns das soge- ship diese Entwicklungen.“ 

44 zukunft forschung 02/18 Foto: rawpixel/Unsplash


FÖRDERUNGEN

EU-FLAGSHIP STARTET
Die Forschungen der Innsbrucker Physik zu zukünftigen Quantentechnologien werden in den nächsten
drei Jahren mit 5 Millionen Euro gefördert.

I
m Rahmen des EU-Flaggschiff-Pro- dann auch in Modulen miteinander ver- Experimentalphysiker Gregor Weihs be-
gramms für Quantentechnologien bunden werden können. Auf diese Weise teiligt sich ebenfalls an der Entwicklung
sollen in Europa in den kommenden soll die für einen universellen Quanten- von Komponenten für Quantenkommu-
zehn Jahren eine Milliarde Euro in die computer notwendige große Zahl von nikationssysteme. An einem Konsortium
Entwicklung von Quantentechnologien Quantenbits erreicht werden. zum Aufbau eines europäischen Netz-
investiert werden. Nun hat die Europä- Ein weiteres europäisches Forschungs- werks für aktive optische Laseruhren ist
ische Kommission eine erste Welle von konsortium arbeitet an der Entwicklung das Team um den Quantenoptiker Hel-
Projekten ausgewählt. Forschungsgrup- eines programmierbaren Quantensimu- mut Ritsch beteiligt.
pen an der Universität Innsbruck und am lators auf der Basis von Atomen, die in Das „Quantum Flagship“ wurde 2018
Innsbrucker Institut für Quantenoptik einem optischen Gitter gefangen sind, als eine der größten und ambitioniertes-
und Quanteninformation (IQOQI) der sowie ebenfalls mit der Ionenfallentech- ten Forschungsinitiativen der Europä-
Österreichischen Akademie der Wissen- nologie. Ein Quantensimulator erlaubt ischen Union gestartet. Mit einem Budget
schaften sind an fünf von zwanzig Pro- es, Phänomene in einem Quantensystem von einer Milliarde Euro über einen Zeit-
jekten beteiligt. Eines der Projekte wird zu simulieren, an denen herkömmliche raum von zehn Jahren bringt das Pro-
von der Forschungsgruppe um Rainer Computer aufgrund der Komplexität gramm Forschungseinrichtungen, Hoch-
Blatt und Thomas Monz koordiniert. Sie der Fragestellung scheitern. An diesem schulen, Industrie, Unternehmen und
forschen bereits sehr erfolgreich am Bau Projekt sind Teams um die Innsbrucker politische Entscheidungsträger in einer
eines universellen Quantencomputers Forscher Peter Zoller, Wolfgang Lechner gemeinsamen Initiative von bisher nicht
auf der Basis von gefangenen Ionen. Mit und Christian Roos beteiligt. Ein For- gekanntem Ausmaß zusammen. Das
den Mitteln der EU soll ein industrieller schungskonsortium, an dem die Grup- Hauptziel des Programms ist es, die wis-
Quantencomputer entwickelt werden, pen um Tracy Northup und Ben Lanyon senschaftliche Exzellenz Europas in die-
der bestimmte Aufgaben besser lösen beteiligt sind, wird gemeinsam mit uni- sem Forschungsgebiet zu festigen und
kann als klassische Supercomputer. Die versitären Forschungsteams in acht euro- auszubauen sowie die quantenphysika-
Ionenfallentechnologie bietet eine exzel- päischen Ländern ein erstes Quantenpro- lische Forschung vom Labor auf den
lente Kontrolle über die Quantenbits und zessor-Netzwerk errichten und damit die Markt zu bringen, und zwar durch kom-
die Forscher wollen diese Kontrolle nun Grundlage für ein zukünftiges Quanten- merzielle Anwendungen und zukunfts-
auf bis zu 50 Quantenbits ausweiten, die internet schaffen. Die Arbeitsgruppe um weisende Technologien.

Foto: Andreas Friedle zukunft forschung 02/18 45


PREISE & AUSZEICHNUNGEN

LANDESPREIS FÜR
GEMEINSAM GEEHRT
Zusammen mit Vitali
Efimov erhielt der

LINGUISTEN
Quantenphysiker
Rudolf Grimm im
Sommer die Faddeev-
Medaille. Gemeinsam
schrieben die beiden Martin Korenjak, Professor am Institut für Sprachen und Literaturen
ein Stück Physik-
geschichte. Vitali Efimov hatte 1970 den
der Universität Innsbruck, wurde mit dem Tiroler Landespreis für
später nach ihm benannten Efimov-Effekt Wissenschaft ausgezeichnet.
entdeckt. Das Team um Grimm konnte
35 Jahre später dieses Phänomen, dessen
Existenz in der Fachwelt lange angezweifelt
wurde, erstmals experimentell nachweisen.
Die Auszeichnung wurde in diesem Jahr
zum ersten Mal verliehen und ist nach dem
herausragenden russischen Physiker und
Mathematiker Ludvig Faddeev benannt.

WILHELM-EXNER-MEDAILLE
Der Physiker Gregor
Weihs erhielt im
Oktober die Wilhelm-
Exner-Medaille für be-
sondere wissenschaft-
liche Leistungen.
Diese Auszeichnung
wird seit fast 100 BEI DER ÜBERREICHUNG des Wissenschaftspreises im Landhaus: Florian Schaffenrath,
Jahren vom Österreichischen Gewerbeverein Bildungslandesrätin Beate Palfrader und Martin Korenjak (v.l.)
verliehen und ging in diesem Jahr auch an

A
Thomas Jenewein, Zhenan Bao und Armand nfang November überreichte Erfassung der vom 16. bis zum 18.
Paul Alivisatos. Weihs beschäftigt sich mit Bildungslandesrätin Beate Pal- Jahrhundert in Tirol erschienenen neu-
der Konstruktion von neuen Quellen für frader den Tiroler Landespreis lateinischen Literatur leistete er einen
einzelne Photonen und verschränkte Pho- für Wissenschaft an Martin Korenjak. wesentlichen Beitrag zur sprachwis-
tonenpaare. Diese bilden eine wesentliche Der Linguist ist im Bereich Gräzistik senschaftlichen Forschung und erhielt
technologische Grundlage für zukünftige und Latinistik am Institut für Spra- internationale Anerkennung“, drückte
Quantenkommunikation und -computer. chen und Literaturen tätig und leitet Beate Palfrader ihre Wertschätzung
eine Forschungsgruppe am Innsbrucker aus. Im Jahr 2017 erhielt Korenjak einen
GROSSES EHRENZEICHEN Ludwig-Boltzmann-Institut für Neu- „Advanced Grant“ vom Europäischen
Für seine Leistungen um die Fakultät für lateinische Studien. „Es freut mich au- Forschungsrat ERC. Martin Korenjak,
Technische Wissenschaften und ihr Studi- ßerordentlich, dass dieser renommierte geboren 1971 in Wels, Oberösterreich,
enangebot erhielt der Bauingenieur Rudolf Preis heuer an einen Philologen geht“, ist seit 2009 Professor an der Universität
Stark das Große gratulierte Beate Palfrader und merkt Innsbruck. Er ist Mitglied zahlreicher
Ehrenzeichen für an: „Die überaus große Bedeutung der Fachgesellschaften und hat eine Reihe
Verdienste um die Sprache ist vielen oftmals nicht bewusst. wissenschaftlicher Konferenzen organi-
Republik Österreich. Dabei hat die Sprache Einfluss auf alle siert und geleitet. Gemeinsam mit Karl-
Der Ausbau der Stu- Lebens- und Gesellschaftsbereiche. Erst heinz Töchterle hat er außerdem 1999
dien, darunter die durch sie schaffen wir Realität – umso die Konferenzreihe PONTES zur Rezep-
Einrichtung des Me- wichtiger ist es, uns ihrer Rolle für das tion der klassischen Antike initiiert.
chatronik-Studiums Handeln bewusst zu werden.“ Der Landespreis für Wissenschaft ist
gemeinsam mit der UMIT zuerst in Innsbruck Der Forschungsschwerpunkt von mit 14.000 Euro dotiert und wird seit
und in Hall und schließlich in Lienz, geht Martin Korenjak liegt in der Rolle von 1984 vergeben. Auch der Tiroler Förder-
maßgeblich auf seine Initiative zurück. Über Latein als lingua franca der Gelehrten- preis für Wissenschaft wurde im No-
die ursprünglich rein bauingenieurwissen- welt der Renaissance und als wichtigstes vember verliehen – 4.000 Euro gingen an
schaftliche Prägung der Fakultät kam es un- sprachliches Medium bei der Herausbil- den Direktor des Ludwig-Boltzmann-
ter seiner Federführung zur Erweiterung hin dung der modernen (Natur-)Wissen- Instituts für Neulateinische Studien, Flo-
zu einer technischen Fakultät. schaften. „Mit der nahezu vollständigen rian Schaffenrath.

46 zukunft forschung 02/18 Fotos: Land Tirol/Gerzabek (1), Uni Innsbruck (1), IQOQI/Knabl (1), Andreas Friedle (1)
PREISE & AUSZEICHNUNGEN

PHYSIKERIN AUSGEZEICHNET
Das New Journal
of Physics Editorial
Board, die Deutsche
Physikalische Gesell-
schaft und das Insti-
tute of Physics haben
Lauriane Chomaz,
eine junge Wissen-
schaftlerin aus der Gruppe von Francesca
Ferlaino, zur Gewinnerin des New Journal
of Physics Early Career Award 2018 gekürt.
Die Jury wählte Lauriane Chomaz unter 18
Kandidaten zur besten Jungforscherin, da sie
einen bedeutenden Beitrag zur Erforschung
ultrakalter Gase geleistet hat, darunter als
Erstautorin einer Reihe von einflussreichen
Arbeiten, die die grundlegenden Eigenschaf-

PERSÖNLICHKEITEN ten dieser Systeme beleuchten.

KLIMAFORSCHER GEWÜRDIGT

GEEHRT
Georg Kaser, Dekan
der Fakultät für Geo-
und Atmosphärenwis-
senschaften, wurde
mit dem Ehrenkreuz
Beim Dies Academicus wurden heuer neun Persönlichkeiten
für Wissenschaft und
ausgezeichnet, die sich wertvolle Verdienste um die Uni Innsbruck Kunst I. Klasse aus-
erworben und durch ihre wissenschaftlichen Spitzenleistungen gezeichnet. Kaser hat
dazu beigetragen, den Aspekt der Kryosphä-
überzeugt haben. re, und damit der höchst klimarelevanten
großen Eisschilde Grönlands und der Ant-

I
ch kann mit großer Freude berich- gezeichnet hat. Mit seinen mehr als 600 arktis, im Zusammenhang mit dem globalen
ten, dass sich auch im vergangenen Veröffentlichungen hat er ein beeindru- Klimawandel und regionaler Wasserverfüg-
Studienjahr die positive Entwick- ckendes wissenschaftliches Werk aus barkeit zu thematisieren und systematisieren.
lung der Universität Innsbruck fortge- über fünf Jahrzehnten vorgelegt. Seit
setzt hat“, betonte Rektor Tilmann Märk 2013 sind mehr als 30 dieser Publika- TOMAS HIRSCHFELD AWARD
beim diesjährigen Dies Academicus. Ein tionen mit Beteiligung der Universität Christan Huck vom
Grundstein für diese Erfolge sind auch Innsbruck verfasst worden, darunter ei- Institut für Analytische
die vielfältigen Kooperationen – sowohl ne Arbeit im renommierten Fachjournal Chemie und Radio­
international als auch am Standort. „Für Nature Physics. Francesco A. Gianturco chemie erhielt im
die Erfolge der Universität sind vor allem hat mit international führenden Labora- Sommer den Tomas
unsere fast 5.000 Mitarbeiterinnen und torien zusammengearbeitet, die auf seine Hirschfeld Award,
Mitarbeiter verantwortlich, die in For- Hilfe bei der Analyse neuer experimen- der jährlich vom In-
schung, Lehre und Administration tätig teller Resultate zählen konnten. Gerade ternational Council
sind.“ Seit dem Jahr 1848 ist der Große für diese Kooperationen ist er mit einer for Near Infrared Spectroscopy (ICNIRS) für
Ehrungstag ein fester Bestandteil des Reihe hoher Auszeichnungen wie dem besondere Leistungen auf dem Gebiet der
akademischen Jahres an der Universität Humboldt- und dem Max-Planck-Preis Nah-Infrarot-Spektroskopie vergeben wird.
Innsbruck, heuer wurde er zum siebten gewürdigt worden. Damit wurden insbesondere seine Beiträge
Mal als Dies Academicus mit einem öf- Georg Ott, Karlheinz Töchterle und zur Untersuchung von Nano-Materialien
fentlichen Fachvortrag des neuen Ehren- Patrizia Zoller-Frischauf wurde im Rah- und zur schnellen Kontrolle der Blutqualität
doktors am Nachmittag begangen. men des Dies Academicus die Würde mithilfe von NIR-Spektroskopie gewürdigt.
Der neue Ehrendoktor der Naturwis- einer Ehrensenatorin und eines Ehrense- Darüber hinaus hob das ICNIRS die Entwick-
senschaften, Francesco A. Gianturco, ist nators verliehen. Zur Ehrenbürgerin und lung neuer Methoden hervor, die es erlau-
ein international höchst angesehener zum Ehrenbürger wurden Elisabeth Bla- ben, mithilfe von Miniatur-NIR-Instrumenten
Theoretiker, der sich auf den Gebieten nik und Johann Popelak ernannt. Ehren- den optimalen Erntezeitpunkt von Heilpflan-
der Molekülphysik und der moleku- zeichen erhielten Maria Dawid, Andreas zen zu bestimmen und Lebensmittelbetrug
laren Dynamik in vielfacher Weise aus- Maislinger und Herlinde Menardi.  schnell zu erkennen.

Foto: privat (1), Matthew Brookes (1), Uni Inns­bruck (2) zukunft forschung 02/18 47
ZWISCHENSTOPP INNS­BRUCK

WIRKMACHT HEILIGER TEXTE


Mit der politischen Bedeutung religiöser Schriften beschäftigt sich der Bibelwissenschaftler
Dominik Markl. Er war im Sommersemester als Gastprofessor an der Universität Innsbruck tätig und
hat hier seine Studien zur politischen Wirkmacht heiliger Texte vertieft.

„Wir haben einiges an


­Kompetenz verloren in der
Wahrnehmung der politischen
Dimension heiliger Texte.“
 Dominik Markl

Frage gestellt.“ Hier sieht Markl auch eine


wichtige Aufgabe der Bibelwissenschaften
in der Lehre. Die Menschen wachsen mit
diesen Texten auf. Das kann einerseits zu
einer großen Wertschätzung, anderseits
aber auch zu einer naiven Wahrnehmung
führen. „Das akademische Studium ist
daher immer auch eine psychologische
Herausforderung, das Altliebgewonnene
mit neuen Augen zu sehen, was letztlich

N
ach rund zehn Jahren im Ausland der Fall. Markl untersucht seit einiger Zeit das Abenteuer jeder kritischen, humanisti-
kehrte Dominik Markl SJ als Gast- die politische Rezeptions- und Wirkungs- schen Bildung ist“, betont Markl, der sich
professor an die Theologische Fa- geschichte der Bibel. „Der Charakter der dieser spannenden Aufgabe aktuell am
kultät der Universität Innsbruck zurück. biblischen Texte ist so facettenreich, dass päpstlichen Bibelinstitut stellt.
Hier hatte er Theologie studiert und 2006 es viele Jahre der intensiven Auseinan- Die Bibel ist eine Sammlung von Texten,
promoviert. Seither war er in verschie- dersetzung braucht“, sagt der Theologe. die über den Zeitraum von einem Jahrtau-
denen Funktionen in München, London, Dieses Wissen kann heute oft nicht mehr send entstanden und über weitere zwei
Kenia und den USA tätig. Heute lehrt er vorausgesetzt werden. „Die historische Jahrtausende laufend kopiert und tradiert
am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom. Die Beschäftigung scheint mir wichtig, weil worden ist. „Der Textkorpus vermittelt
Forschungsschwerpunkte von Dominik man hier vieles deutlicher sieht, als wenn einen Sukkus altorientalischer Religionen,
Markl liegen auf den ersten fünf Büchern man sich nur mit den gegenwärtigen Pro- freilich auch mit einigen revolutionären
des Alten Testaments, im Besonderen auf blemen beschäftigt“, sagt Markl. Neuerungen. Bei der Auswahl wurde die-
Exodus und Deuteronomium im Zusam- sen Texten sehr hohe Qualität zugespro-
menhang antiker Rechtsgeschichte und Fundamentalismus chen. Zum Teil ist dies auch eine poetische
Verfassungstheorie. Im Rahmen seiner In der Auseinandersetzung mit der Rezep- Qualität, denn die Psalmen oder Hiob
Gastprofessur beschäftigte sich Dominik tionsgeschichte der Bibel sieht Markl auch zählen zur höchsten Weltliteratur. Das
Markl vor allem mit der politischen Di- die Chance, die politische Brisanz heiliger Buch Deuteronomium, mit dem ich mich
mension der Bibel und der politischen Texte zu reflektieren. Dies könne im Di- am meisten beschäftigt habe, ist überaus
Wirkung von religiösen Texten. alog mit muslimischen Kollegen auch interessant“, sagt Markl. „Es gibt in der
„Wir haben einiges an Kompetenz fruchtbar in Hinblick auf den islamischen Bibel kein anderes Buch, das so hoch re-
verloren in der Wahrnehmung der poli- Fundamentalismus sein. „Langfristig stellt flektiert ist. Auch wie es sich selbst einla-
tischen Dimension heiliger Texte“, resü- sich schon die Frage, ob es dem Islam ge- dend und auch bedrohend weitervermit-
miert Dominik Markl. Die Ursache dafür lingt, eine kritische Hermeneutik des Ko- teln will durch die Zeiten, das ist dem
sieht er im Dogma der Trennung von Reli- ran zu entwickeln“, sagt Markl. „Das ist Buch gelungen. Ich glaube, dass die
gion und Staat. „Dieses ist lebenspraktisch ja auch im Christentum eine relativ junge höchst komplexe Selbstreflexion dieser
für uns sehr sinnvoll, es hat aber auch zu Entwicklung, wo diese kritische Herme- Texte eine Art Wirkmacht entfaltet hat, die
Wahrnehmungsverdunkelungen geführt neutik vor allem ab dem 18. Jahrhun- wesentlich zur Entstehung des Judentums
und man tut heute so, als hätten heilige dert entstanden ist. Sie scheint uns heute und indirekt zur Entstehung der drei
Texte keine politische Dimension.“ Histo- selbstverständlich, wird in fundamentalis- Buchreligionen beigetragen hat“, resü-
risch betrachtet sei genau das Gegenteil tischen Gegenbewegungen aber ständig in miert der Alttestamentler cf

48 zukunft forschung 02/18 Foto: Uni Innsbruck


SPRUNGBRETT INNS­BRUCK

„Ich denke, dass die Menschen


in den USA und speziell im
Silicon Valley eine optimistische
‚can do‘-Herangehensweise
hinsichtlich der Herausforde-
rungen des Lebens haben. Dies
inspiriert und leitet auch meine
Forschung.“ Roland Vogl

TECHNOLOGIE IM RECHT
Als Experte für Rechtsinformatik wechselte Roland Vogl an die Stanford Law School,
wo er sich mit Innovationen im Recht beschäftigt.

W
ie die Technologie helfen kann, wurde ihm dieser Wunsch erfüllt. Schon täten im Silicon Valley“, sagt der Experte.
das Rechtssystem effizienter während seines Studiums in Innsbruck Vogl ist Mitgründer und Executive Direc-
und nutzerfreundlicher zu ma- erkannte Roland Vogl sein Interesse für tor von CodeX – The Stanford Center for
chen, ist einer der wissenschaftlichen die internationale Zusammenarbeit. Legal Informatics, ein Zentrum, welches
Schwerpunkte, mit denen sich Roland „Die Uni Innsbruck ermöglichte es mir, sich insbesondere mit der Automatisie-
Vogl heute an der Stanford University meinen internationalen Interessen nach- rung und Mechanisierung von rechtli-
beschäftigt. Nach seinem Studium der zugehen. Diese Erfahrungen eröffneten chen Abläufen befasst. Das Zentrum
Rechtswissenschaften an der Universi- mir neue Einsichten und weckten in mir steht im Brennpunkt der Innovationen im
tät Innsbruck und seiner Arbeit bei den den Wunsch, auch weiterhin internatio- Bereich der Rechtstechnologie und ist
Europäischen Institutionen in Brüssel be- nal tätig zu sein“, so der Wissenschaftler, mittlerweile nicht mehr nur ein For-
warb sich Vogl erfolgreich für das „Stan- der betont, „Innsbruck ist nach wie vor schungszentrum, sondern auch eine
ford Program in International Legal Stu- Heimat und die Uni Innsbruck meine Al- Community von innovativen Unter-
dies“. „Die Stanford University, mit ihrer ma Mater, wo ich in meinem Grundstu- nehmern und Forschern. „Ich denke,
zentralen Lage im Silicon Valley, erschien dium rechtliches Denken und in meinem dass die Menschen in den USA und spe-
mir als der beste Platz mich tiefer mit Doktoratsstudium wissenschaftliches ziell im Silicon Valley eine optimistische
dem Thema Datenschutz im Internet zu Arbeiten lernen durfte“, betont der Wis- ‚can do‘-Herangehensweise hinsichtlich
befassen. Ursprünglich wollte ich nur ein senschaftler. der Herausforderungen des Lebens ha-
Jahr bleiben, fand Kalifornien, das Silicon ben. Dies inspiriert und leitet auch meine
Valley und Standford aber so spannend, Inspiration Forschung. Ich arbeite an der Schnittstel-
dass ich nach Möglichkeiten suchte, Vogl befasst sich insbesondere mit dem le zwischen Forschung und Unterneh-
bleiben zu können“, betont Vogl. Als Thema Innovation im Recht und Rechts- mertum und finde das Netzwerk und
Anwalt in einer Kanzlei und später als informatik. „Ich bin regelmäßig inspiriert Umfeld hier sehr hilfreich, um neue
Leiter des Programms „Law, Science and von der intellektuellen Energie in Stan- Ideen zu verfolgen und umzusetzen“,
Technology“ an der Stanford Law School ford und den unternehmerischen Aktivi- verdeutlicht Vogl.  dp

Foto: privat zukunft forschung 02/18 49


ESSAY

VOM WECKER
ZUM ZAPFENSTREICH
Ingo Schneider über die lange Geschichte der Vernachlässigung des
Hörens als Forschungsfeld der Geistes- und Sozialwissenschaften.

S
chön sei es ja nicht gerade. Was ihn an sich die Einsicht einstellte, dass hier ein grund-
seinem neuen Hybridauto aber regel- legendes Versäumnis vorlag. Erste Schritte zu
recht irritiert habe und woran er sich erst Beseitigung dieser Forschungslücke unternahm
gewöhnen musste, erzählte ein Freund, Kolle- der kanadische Komponist und Klangforscher
ge und ehemaliger Alfa Romeo-Fahrer vor nun Raymond Murray Schafer mit dem von ihm
schon etlichen Jahren, das sei die Stille gewesen: 1971 begründeten „World Soundscape Project“,
Du fährst los und hörst praktisch nichts, kein das sich das Ziel setzte, weltweit „soundscapes“
Motorengeräusch, fast lautlos gleitest du durch (ein von Schafer geprägter Begriff) aufzuneh-
den Straßenverkehr. men und zu erforschen. So erfreulich die Idee
„Schließlich können Die Augen hatten sich also eher und schnel- im ersten Angang erscheint, muss man doch
wir ja nur hörend ler mit der neuen Situation abgefunden oder in festhalten, dass ihr eine kulturpessimistische,
diese gefügt als die Ohren. Selbstverständlich sprich die stete Zunahme an akustischen Quel-
­verarbeiten,
– das soll diese kleine Geschichte verdeutlichen len bedauernde Haltung zugrunde liegt, dass
was wir wissen.“ – nehmen wir kulturelle Phänomene und so- das Word Soundscape Projekt aber auch über
ziale Situationen immer mit mehreren Sinnen die reine Dokumentation unterschiedlicher
wahr. Schallwellen, Klänge und Geräusche jeg- Klänge wenig hinausreichte.
licher Art sind ebenso elementare Bestandteile Die Beantwortung der Frage, mit welchen
unseres Alltags wie Bilder, Objekte und Texte. Forschungsfragen, Methoden und Theorien
Während diese aber seit langem legitime, ja die man der längst überfälligen Berücksichtigung
zentralen Quellen der Geistes- und Sozialwis- des Hörens, des Hörsinns und der Welt der
senschaften sind, blieben jene bis in die zweite Klänge und Geräusche in der geistes- und
Hälfte des 20. Jahrhunderts weitgehend unbe- sozialwissenschaftlichen Forschung gerecht
rücksichtigt. Noch allgemeiner formuliert: Die werden kann, ist anspruchsvoll und bis heute
Geistes- aber auch die Sozialwissenschaften nicht befriedigend gelöst. Sie kann nicht pau-
waren von Anfang an und sind es noch immer schal beantwortet werden. Denkt man über die
sehr stark schrift- und bildbasiert. Es herrschte Geografie der Disziplinen hinaus – und das ist
ein Primat des Sehsinns. auf alle Fälle geboten –, eröffnen sich eine Rei-
Die Geschichte der Vernachlässigung anderer he spannender Forschungsaufgaben. Diese be-
Sinne – nur von jener des Hörsinn soll hier die ginnen bereits mit der fundamentalen Einsicht,
Rede sein – reicht weit zurück. Eine prominente wie sehr unser Gehör als Organ des Verstehens
Stimme in ihr war zweifellos Jakob Grimm mit nicht nur in unmittelbar sprachlichem Sinn von
seinem Diktum: „Das auge ist ein herr, das ohr unserer Sozialisation und kulturellen Prägung
INGO SCHNEIDER studierte ein knecht, jenes schaut um, wohin es will, abhängig sind. Schließlich können wir ja nur
Volkskunde (Europäische dieses nimmt auf, was ihm zugeführt wird.“ hörend verarbeiten, was wir wissen. Solange
Ethnologie), Kunstgeschich- (Über das Alter 1860, in: Kleinere Schriften, S. Klänge unseren Hörerwartungen entsprechen,
te und Publizistik an den 200). Aber noch ein so umsichtiger Denker wie solange ist für uns alles in Ordnung. Was aber,
Universitäten Innsbruck und Jacques Derrida schrieb die Skepsis gegenüber wenn dies nicht der Fall ist? Dann verstehen
Salzburg. Er ist seit 2001 habi- dem Hören fort, indem er dem Gehör als Organ wir nicht oder falsch. Eine Anthropologie des
litiert und seit 2011 Professor unterstellte, es würde sich zum Ge-horchen ver- Hörens könnte so gesehen bereits beim Miss-
für Europäische Ethnologie führen und damit an selbstgewählten Freiheiten verständnis ansetzen. Um auf die Eingangsge-
an der Universität Innsbruck. hindern lassen. Bis heute gilt der Schall weithin schichte vom irritierenden Klang eines Hybrid-
Seine Arbeitsschwerpunkte als Domäne der physikalischen Akustik. Wenn autos zurückzukommen: Wenn man bedenkt,
liegen im Bereich der interna- es sich um Klänge, Töne, Harmonien, Melodien wie sehr unsere gesamte akustische Alltags-
tionalen Erzählforschung, der handelt, denken wir zunächst an die Musikwis- wahrnehmung vom Wecker über den Staub-
Kulturtheorie und der Theorie senschaft. Und Phänomene der Sprache werden sauger bis zum Klang von Autos von unserem
des Kulturellen Erbes sowie in erster Linie der Linguistik und Philosophie erlernten Hörwissen geprägt ist, spannt sich ein
der regionalen Ethnografie zugeordnet. Unter diesen Umständen ist es weites und erst in Ansätzen erschlossenes For-
(Südtirol). nicht verwunderlich, dass es lange dauerte, bis schungsfeld auf.

50 zukunft forschung 02/18 Foto: Andreas Friedle


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