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Ausgabe Herbst 2010

gamma 188
• Urteile in Nightliner- und Brandis-Prozessen
• „TCM“: Eine Jugendbande und ihr Hass
• Neue Serie rechter Brandanschläge in Sachsen

antifaschistischer Newsflyer Leipzig & Umgebung gamma.redirectme.net


Liebe lesende AntifaschistInnen, was des einen
Freud, wird desselben Leid, wenn er sich denn
schnappen lässt. So erreichte uns kurz vor
Drucklegung die frohe Kunde, dass die Staats-
anwaltschaft Anklage gegen Riccardo Sturm
erheben wird. Der hinlänglich bekannte Althool
und Neonazi war, wie sein gleichgesonnener
Halbbruder Gabriel Sturm, am Brandis-Über-
fall beteiligt. Weil es, zugegeben, Besseres
gibt als die deutsche Justiz, wünschen wir den
Sturm-Brüdern eine besonders objektive. Über
eine nachsichtige freuen sich nämlich gerade
jene Nazis, die beim Leipzig-Aufmarsch am
17. Oktober 2009 dabei waren. Es gab dort
Die Terror Crew Muldental (TCM) mit Reichskriegsflagge. Über diese Neonazi-Grup-
mehr Anzeigen (v.a. Landfriedensbruch) als pierung aus der sächsischen Provinz berichten wir auf Seite 4. Die TCM ist längst ein
Teilnehmer (1349). Fast alle Ermittlungs- Fall für die Staatsanwaltschaft, einige Mitglieder waren maßgeblich am Angriff auf den
verfahren wurden jedoch wieder eingestellt. „Roten Stern Leipzig” in Brandis beteiligt. Mehr über die jüngsten Prozesse auf Seite 3.

„Viva la Zschocheria“: Neonazis


Am 16. Oktober raus auf die Straße
Naziaufmärsche verhindern – und gescheiterte Hausbesetzer
auf allen Ebenen, mit allen Mitteln!
Am 16. Oktober wollen Neonazis ihren „Recht auf Zukunft“-
Aufmarsch aus dem vergangenen Jahr wiederholen. Um
Gegenproteste zu umgehen und die drohende Kesselung
E ine bizarre Vorstellung: Anfang 2009 treffen
sich Jugendliche im Stadtteil Großzschoch-
er zum Einsammeln von Pfandflaschen. Stattli-
wüstete eine Sparkassenfiliale. Im Nachhinein
zeigte sich Neonazi und Zschocheria-Mitglied
Paul Hoffmann zwar skeptisch: „Einige denken
durch die Polizei zu verhindern, wurden zur allseitigen Ver- che zwölf Euro kamen so an einem Wochenende die könnten damit die Internationale Hochfinanz
wirrung gleich mehrere Aufmarsch-Routen angemeldet. zusammen – nicht für die Umwelt, sondern als stürzen“, schrieb er im gleichnamigen, grup-
Offenbar soll in Leipzig eine neue Strategie erprobt wer- bescheidener Grundstock für ein „Jugendhaus“. peneigenen Internet-Forum. Aber nicht nur
den. Zuvor wurde angekündigt, im Februar 2011 in Dres- Das hatten die Anhänger von „Viva La Zschoch- die Silvesterrandale dokumentieren: „Viva la
den „mehrere voneinander unabhängige Veranstaltungen eria“ kurz zuvor ins Auge gefasst, um einen Zschocheria“ ist eine von gewaltbereiten Neona-
durchzuführen“. Dies sei eine „Antwort auf die Repressio-
vorzeigbaren Treffpunkt zu bekommen. Der lag zis geführte Jugendclique, die sich im Südwesten
nen der Demokraten“. Bezogen auf Leipzig heißt es, dass
mehrere Anmeldungen „eine neue Flexibilität“ ermögli- bislang im Freien, an einem Springbrunnen vor Leipzigs herausgebildet hat.
chen: „wir sind nicht an Zeit und Ort gebunden. Wir können einem Einkaufszentrum unweit der Dieskau-
uns am Tag der Demonstrationen selbst neu koordinieren, straße. Diese Zusammenkünfte unter freiem Rechte „Stadtteilarbeit“
die eine ist blockiert, dann laufen auf den anderen beiden Himmel waren der Clique wegen ausurfernder
umso mehr ungehindert durch die Stadt.“ Als Vorbild wird
Trinkgelage untersagt worden. Das noch leerste- Digital wie auf der Straße begegnen sich dort
der 1. Mai in Berlin genannt, wo eine größere Nazigruppe
auf eigene Faust losmarschiert ist – allerdings nicht unge- hende und künftige „Jugendhaus“ gefiel bei einer „unpolitische“ BewohnerInnen Großzschoch-
hindert, wofür ein rabiater Polizeieinsatz gesorgt hat. Vor-Ort-Besichtigung dann so gut, dass Marcus ers mit Teilen des „Freien Netzes“. Bekannte
Weidhase und Patrick Marco Fischer – sattsam Neonazi-Aktivisten wie Florian „Lümmel“ Jun-
Zählt man die nun angemeldeten Aufmärsche zusam-
men, müsste am 16. Oktober mit mehr als 1.500 Neo- bekannte Aktivisten der „Freien Kräfte“ in Leip- ge, Marcus „Rolle“ Weidhase, Patrick „Fischi“
nazis gerechnet werden. Diese Zahl scheint selbst den zig – es sogar besetzen wollten. Fischer, Florian Pahl, Paul Hoffmann sowie die
Organisatoren (Freie Netz, JN, Blue Caps) unrealistisch. Das Projekt war der erste ernsthafte Versuch, Brüder Sebastian und Florian Schuster mischen
Auf der Aufmarsch-Website heißt es: „Wir sind nicht grö- in Leipzig einen Neonazi-Jugendclub aufzubau- hier mit. Selbstanspruch: Mit bis zu 50 Sympa-
ßenwahnsinnig, wissen das dieses Jahr sich nicht wieder
en, nachdem fast fünf Jahre zuvor ein ähnliches thisantInnen im Schlepptau eine „Stadtteilar-
mehr als 1.400 junge Menschen […] einfinden werden“.
Vorhaben in Grünau gescheitert war. Das Pen- beit“ zu organisieren. Und eine sozial etablierte
Für die Durchführung von vier oder mehr Aufmärschen dant in Großzschocher ist ebenso eingeschlafen, Rekrutierungsbasis für ihr politisches Treiben
sind auch schlichtweg keine Ressourcen – genügend
sicher auch wegen des undurchdachten Finan- zu schaffen.
Lautsprecherwagen, separate Ordnergruppen usw. –
vorhanden. Die Nazis wären zufrieden, wenn sie einen zierungskonzepts. Koordiniert wurde all das im besagten On-
Marsch zustande bekämen. Die Routen ihrer Wahl wären Undurchdacht war es auch, als Anfang 2010 line-Forum, dessen Mitglieder ihre Anschau-
dann freilich nicht jene, die durch Connewitz oder um bei „Youtube“ ein Video auftauchte, dass mut- ungen nicht verstecken mochten. Davon zeugen
den Innenstadtring angemeldet wurden… maßlich dieselbe Großzschocher-Clique in den eindeutige Nutzernamen wie „14Landogar88“.
Wer etwas gegen Nazis hat, beteiligt sich am 16. Oktober vergangenen beiden Silverternächten zeigt. Patrick Fischer fand sein Pseudonym „Fasci.
an den vielfältigen Gegenaktionen. Auf dem Laufenden Dabei ging das „Zschocheria“-Umfeld in die Nation“ so faszinierend, dass er unter selbigem
halten könnt ihr euch unter http://1610.blogsport.de☐ Vollen, attackierte eine Straßenbahn und ver- das ehemalige Mobilisierungs-Blog der Nazi-
gamma
188  „Viva la Zschocheria“ (Fortsetzung von Seite 1)
 „Thematik 25“:
Kampagne „Recht auf Zukunft“ befüllte. Andere „zschocher zu ‚bewaffnen‘, sprich an verschiedenen Neonaziband aus Leipzig
User griffen auf Profilbilder zurück, die beispielswei- ecken in zschocher latten/steine usw verstecken so-
se den Schriftzug „Nationaler Sozialismus“ zeigen dass wir zu keiner zeit wehrlos sind.“ Das erwähnte
– oder ein Strichmännchen, das ein Antifa-Logo in Fanprojekt ist bis heute desöfteren mit Naziparolen
einem Mülleimer entsorgt. Dies schreckte nicht ein- beschmiert worden.
mal den Ex-Antifa und bekennenden Egotronic-Hö-
rer Florian Golitsch ab. Das ehemalige Mitglied der Casting im Kiez
antifaschistischen „D.I.Y.“-Gruppe aus Schleußig
hat in diesem Umfeld eine neue Heimat gefunden. Fischer selbst griff am 3. Januar 2009 gemeinsam
Längst ließ sich Golitsch mit seinen neuen, nunmehr mit Nazis, Lok-Hools und Zschocheria-Kollegen wie
rechten Freunden ablichten (siehe Foto unten); ge- Paul Hoffmann und Marcus Weidhase Fans der BSG
meinsames Feiern ist obligatorisch. Chemie an, die auf dem Weg zu einem Hallenturnier Wie diese Leipziger Rechtsrockband auf ihren
in der Ernst-Grube-Halle waren. Dabei wurde ein ausgefallenen Namen gekommen ist, ist nicht
Vorbereitung auf „Kiezverteidigung“ Fan schwer verletzt. bekannt. Angesichts von Bandshirts mit den
Aufdrucken „Rock Against Zionism“ oder „100%
Fischer kann auch kreativer und zeigte sich etwa NS, 0% BRD“ besteht allerdings Klarheit über
Neben der Organisation von Bade- und Kinoausflü- in radebrechender Sprache als „Regisseur, Schnitt die politischen Stoßrichtung der Kapelle.
gen oder der geplanten Teilnahme an einem Fuß- und Kameratyp“ zuständig für ein Mobilisierungs- Die Band, die seit ihrer Gründung 2008 eine
ballturnier im Dezember 2009 im eigenen Stadtteil video zum Naziaufmarsch am 17. Oktober 2009. Demo-CD veröffentlicht und eine handvoll Live-
gab es für die „Zschocheria“ auch weniger friedliche Die Statistenrollen hatte Fischer „nur mit Gesichtern Gigs gespielt hat, besteht aus den einschlägig
bekannten Neonazis Dennis Pätzold und Jan
Nachmittagsbeschäftigungen. Vor dem „With Full aus Groß- und Kleinzschocher“ besetzt. Mittlerweile Häntzschel (Jahrgang 1988, Sänger). Dieser ist
Force“-Festival 2009 hatte Patrick Fischer zwei Ter- übernimmt er als Vertreter des „Freien Netzes Leip- der Sohn von Cornelia Reller, einst Betreiberin
mine festgemacht, die für alle Mitreisenden Pflicht zig“ oder der „Widerstandsbewegung in Chemnitz“ der mittlerweile geschlossenen Nazikneipe
„Lady Liberty“ unweit des Leipziger Haupt-
sein sollten – um sich in der (übrigens israelischen) regelmäßig Ordner-Aufgaben und versucht sich als bahnhofes, und setzt mit seiner Einbindung in
Kampfsportart „Krav Maga“ unterrichten zu lassen. Redner, auch bei Ausflügen nach Tschechien. Zuletzt das Kameradschaftsprojekt „Freies Leipzig“ so
Fischer wollte, dass seiner Mitstreiter „das Abblocken sprach er am 14. August in Bad Nenndorf zur ver- etwas wie eine Familientradition fort. Dennis
Pätzold betreibt und administriert die Internet-
von Angriffen mit Messer, Flasche, Stange und ande- sammelten Mannschaft. seite vom „Freies Leipzig“. In der Band spielt er
ren Gegenständen“ lernen, „und wie ihr jemand (un- Das Demo-Video war nicht Fischers einziges Schlagzeug.
sanft) zu Boden bringt wenn er euch aus diversen Po- Filmprojekt: für seine gewünschte Ausbildungsstelle Auf der Demo-CD von „Thematik 25“ finden
sitionen festhalten oder Packen will.“ Der 19-Jährige, als Mediengestalter in Chemnitz wollte Fischer sein sich sowohl eigene Titel wie „Das Aktivisten-
der Anfang 2010 nach Chemnitz gezogen ist, nahm Portfolio aufbessern und dafür einen Dokumentar- lied“ oder „Gefallen mit 16“, aber auch diverse
Coverversionen von Rechtsrockgrößen wie
zuvor selbst Trainingsstunden bei Tommy Naumann film über Großzschocher drehen. Für zwei Rollen „Division Germania“ („Der Morgen wird unser
und Istvan Repaczki. Diese beiden führenden Köpfe wurden wiederum seine Freunde und Kameraden sein“) und „Noie Werte“ („Alter Mann“). Diese
der Leipziger Naziszene geben bis heute im Rahmen Marcus Weidhase und Florian Pahl „gecastet“. Letz- sprechen ebenfalls eine eindeutige NS-Sprache.

einer „Kampfsport und Selbstverteidigungs AG“ teren wünschte sich Fischer auch als Sprecher. Grund Der Vertrieb der CDs erfolgt über das „Thiazi-
Kurse im NPD-Zentrum in der Lindenauer Oder- ist Pahls Stimme, die sonst lyrische Rap-Texte wie Forum“ durch den Leipziger Daniel Schröder,
ebenfalls ein alter Bekannter in Leipzigs Neona-
mannstraße. Solche Kampfsporterfahrungen sollten die folgenden intoniert: „Du kommst in die Gas- ziszene. Neue Auftritte stehen allerdings gerade
nun der „Zschocheria“ dabei helfen, das „eroberte“ kammer, wie fehlgezüchtete Hunderassen, / Bren- nicht an, weil Häntzschel zurzeit eine Zwangs-
Viertel „verteidigen“ zu können. nendes Blut und ein Herz aus harten Lindenholz, / pause in der JVA einlegt. ☐
Dass Patrick Fischer der Gewalt nicht abgeneigt Ich bin ein Leizpiger Junge voller Stolz.“
ist, gab er in weiteren Foren-Beiträgen offen zu „Viva la Zschocheria“ war ein offener Verbund aus
verstehen: Als für Juni 2009 ein Auftritt der Band Nazis und SympathisantInnen. Seitdem Patrick Fi-  Die NPD auf „Sommertour“
Egotronic im BSG-Chemie-Fanprojekts in Groß- scher nach Chemnitz gezogen ist, hat das Projekt zu-
Im Sommer 2010 veranstalteten die NPD, JN
zschocher angekündigt wurde, wollte Fischer gegen mindest seinen virtuellen Elan verloren. Dass seine und der „Deutsche Stimme Verlag“ mehrere
das „Untermenschenaufkommen“ bei diesem Kon- hiergebliebene Clique damit ihre politischen Über- Großveranstaltungen in Sachsen. Ein Überblick:
zert vorgehen. Sein Vorschlag lief darauf hinaus, zeugungen eingebüßt hat, ist unwahrscheinlich. ☐ • 5. Juni: Jänkendorf b. Niesky – über 500 Nazis
beim 3. JN Sachsentag
• 12. Juni: Riesa – 10-Jahres-Feier des „Deut-
sche Stimme Verlages“ und des NPD-Kreisver-
bandes Meißen
• 17. Juni: Dresden – knapp 150 Nazis
bei Demonstration anlässlich des DDR-
„Volksaufstandes“
• 19. Juni: Roda b. Mutzschen – 4. NPD-Frakti-
onsfest, u.a. mit Udo Voigt, Holger Apfel und
Michael Schäfer (JN-Bundesvorsitzender)
• 25./26. Juni, 2. Juli, 9. Juli: Leipzig-Lindenau
(Odermannstr.) – Vortragsveranstaltungen und
Liederabende mit Vertretern der Bundes- und
Landes-NPD
• 7. August: Jänkendorf bei Niesky – 1.800
Nazis beim Pressefest des „Deutsche Stimme
Verlages“
• 15. August: Dresden – 60 Nazis beim Som-
merfest des NPD-Kreisverbandes Dresden
• 10. September: Roda bei Mutzschen – über
300 Nazis beim Liederabend mit Frank Renni-
cke, Redner u.a. Holger Apfel
• 11. September: Leipzig-Lindenau (Odermann-
Ortstermin am geplanten “Jugendhaus” (v.l.n.r.): Patrick Fischer, Florian Junge, Christoph Menger, str.) – Liederabend ☐
Florian Golitsch, Phillip Göbel, Nico Birkner, Markus Weidhase, John Wolf, Florian Pahl, Thomas Döring.
antifaschistischer Newsflyer für Leipzig und Umgebung
Aus den Gerichtssälen
 Nightliner-Prozesse am Anker sowie eine Seitenscheibe des Nightliners nismus und den letzten Ziffern der Postleitzahl „357“.
zertrümmert hatte, wird zwei Jahre und acht Mona- Mirko Völkner erzählte: „Das Mitführen von Teleskop-
Am Morgen des 1. Mai 2008 überfielen 15 bis 20 te lang einsitzen, Mirko Völkner ein Jahr und zehn schlagstöcken, Sturmhauben und Quarzsand-Handschu-
„rechtsorientierte Personen“ an der Haltestelle Es- Monate, Ronny „Tonne“ Günther ein Jahr und neun hen gehört zur Standardausrüstung unserer Gruppe.“
sener/Friedrichshafner Str. (Leipzig-Mockau) einen Monate sowie Enrico Wobst ein Jahr und sechs Mo- Quarzsandhanschuhe seien „normal in Mockau“. Zum
Nightliner-Bus. Zielgerichtet schlugen die Täter eine nate. Aufgrund von „Reifedefiziten“ wurden Sebastian „Anker“ berichtete Mäuslein: „Wir wollten gucken, ob
Person zusammen, die zuvor das Open-Air „Leipzig. Sendel, Tino Eschenwecker, Michél G. und Christian dort Linke sind, die hätten wir wahrscheinlich angegrif-
Courage zeigen“ besucht hatte. Das Opfer erlitt u.a. K. zu Jugendstrafen zwischen sechs und 16 Monaten fen. Und wenn dort Handgreiflichkeiten gewesen wären,
eine Schädel- und Bauchprellung. verurteilt, die allesamt für zwei Jahre zur Bewäh- hätten wir sicher mitgemacht.“ Vor dem Angriff auf den
Bereits im März 2009 waren einige der Angreifer rung ausgesetzt wurden. Ivo Robert Mäuslein wurde Nightliner hatte sich die Gruppe am Mockauer REWE-
verurteilt worden, darunter Dirk Schkölziger, der die nach einer Einlassung freigesprochen, obwohl er eine Markt getroffen und von dort an teils stark betrunken.
Frontscheibe des Nachtbusses der Linie N6 mit einem Leuchtspurkugel in den „Anker“ abgefeuert hatte. Er Mitläufer Christian K. sagte aus, die Idee sei gewesen,
Kantholz eingeschlagen hatte. Am 19. April 2010 be- wird voraussichtlich die nächsten sieben Jahre eine an- „Linke aus dem Bus rauszuholen und zu verprügeln.“
gann schließlich der Prozess gegen neun weitere An- dere Strafe absitzen. Bei beiden Aktionen waren die Angreifer größtenteils
geklagte. Vier von ihnen mussten sich dabei zudem für Die Angeklagten stammen größtenteils aus Mockau, mit Palitüchern, Skimasken und Sturmhauben ver-
einen Angriff auf das Clubhaus „Anker“ verantworten. Sebastian Sendel und Thomas Kuhbach sind als Mit- mummt. Bei Mose wurde ein Brief von Mäuslein ge-
Beim Vorentscheid des „Courage zeigen“-Open-Airs glieder der Fangruppierung „Leutzscher Kameraden“ funden, in dem letzterer dem ehemaligen Kameraden
am 11. April 2008 hatte dort eine etwa zehnköpfige bekannt. Mäuslein, Wobst, Kuhbach und der im ersten und Zeugen R. Gewalt androhte, da dieser der Polizei
Gruppe randaliert und drei Gäste verletzt. „Nightliner-Prozess“ zu vier Jahren Haft verurteilte zu viel erzählt habe. R. musste nach massiven Drohun-
Nach sechs Verhandlungstagen wurden am 27. Mai Kai Mose waren zudem wegen des Brandanschlags auf gen fünfmal seinen Wohnort wechseln. Zudem habe
die Urteile verkündet. Vier mehrfach vorbestrafte An- den „Fischladen“ in Connewitz am 20. April 2008 an- Kuhbach weitere Zeugen bedroht, was ihm bereits ein
geklagte, von denen zum Tatzeitpunkt drei unter Be- geklagt. Dieses Verfahren wurde jedoch eingestellt. neues Verfahren bescherte.
währung standen, erhielten Haftstrafen: Thomas Kuh- Das rechtsoffene bis neonazistische Milieu um die Nur zwei der Angeklagten hatten sich zum bis zum
bach, der u.a. mit einem Teleskopschlagstock Fenster Mockauer Täter schmückt sich mit Stadtteilchauvi- Prozess bei ihren Opfern entschuldigt. ☐

 Nachspiele für Brandis am Boden liegenden RSL-Fan einschlägt. Während


des Prozesses präsentierte Lange Fotos, auf denen
Mehr als 50 Nazis waren am 23. Oktober 2009 am er sein T-Shirt zerschneidet. Diesen späten Versuch,
Übergriff auf Fans und SpielerInnen des „Roten Reue zu zeigen, nahm ihm das Gericht jedoch nicht
Stern Leipzig“ (RSL) in Brandis beteiligt. Über die ab. Angesichts der erdrückenden Beweislast hatte er
Prozesse der ersten drei Angeklagten – Eric Kußin, seine Anwesenheit und Beteiligung eingeräumt. Feh-
Christian Kaufmann und Robert Ihbe – haben wir lende Vorstrafen, der gestammelte Versuch, sich bei
bereits berichtet. Mittlerweile sind die Urteile gegen einem der Opfer zu entschuldigen, sowie etliche Rei-
die Muldentaler Nazischläger Alexander Lange und fedefizite, die ihm von der Jugendgerichtshilfe attes-
Chris Rox gefallen. tiert worden sind, führten dennoch zu der Entschei- Chris Rox Alexander Lange
Beide mussten sich vor dem Jugendgericht Leipzig dung, Lange nach Jugendstrafrecht zu verurteilen.
für drei gefährliche und eine schwere Körperverlet- Anders bei Chris Rox. Dieser kassierte bereits werden? Dass die RSL-Fans dann Stangen in die Hand
zung verantworten. Lange geht nun für zwei Jahre mehrere Vorstrafen, unter anderem wegen gefähr- nehmen und sich wehren, dass steht doch außer Fra-
und vier Monate, Rox sogar für drei Jahre und zwei licher Körperverletzung und dem Verwenden ver- ge“, erklärte der Richter.
Monate in den Knast. Sie müssen außerdem die Pro- fassungswidriger Kenzeichen. Eine Verurteilung für Zur Sprache kam auch Rox‘ Kandidatur für die
zesskosten tragen und alle aus dem Angriff resultie- seine Beteiligung am Übergriff auf BesucherInnen NPD zur Bennewitzer Gemeinderatswahl 2009. Rox‘
renden Kosten der Geschädigten erstatten. der so genannten Highlandgames im September Verteidiger, der bei Kameradschaftlern und NPD
Sowohl Lange als auch Rox sind bekannte Neonazis: 2009 im nahe gelegenen Machern steht noch aus. äußerst beliebte Leipziger Anwalt Arndt Hohnstät-
Beide sind in der Kameradschaft „Terror Crew Mul- Besonders schwer wirkte sich gegen Rox aus, dass er ter, bemühte sich redlich, die NPD-Kandidatur als
dental“ (TCM) organisiert, die fast geschlossen und während des Angriffs einen Teleskopschlagstock mit Beweis für Rox‘ „Unreife“ darzustellen. Dabei relati-
mit einheitlichen Kapuzenpullovern am Übergriff in sich führte. Dies wertete das Gericht als Beleg, dass vierte und verharmloste Hohnstätter die menschen-
Brandis beteiligt war. Beide saßen für den Angriff der Angriff geplant und koordiniert stattgefunden feindlichen Forderungen und den neonazistischen
bereits mehrere Monate in Untersuchungshaft. Ge- hat. Das Gericht betonte außerdem, dass ein vorge- Charakter der NPD. Chris Rox erhielt über 150 Stim-
nützt hat es nichts, direkt nach seiner Haftzeit wur- sehener „Angriff auf Linke“ der alleinige Grund für men, er scheint also auf einen Teil der Bennewitzer
de Lange während einer Männertags-Sauftour von die Anwesenheit der Täter gewesen ist. Dafür spricht Bevölkerung den Eindruck eines ernstzunehmenden
der Polizei kontrolliert. Nazilieder gröhlend war die auch, dass der Wurzener Neonazi und Profiboxer „Volksvertreters“ gemacht zu haben. Das reichte dem
„Terrorcrew“ mit einem Trecker, an dem eine Reichs- Michael Woitag kurz vor der Attacke „Los jetzt los, Gericht, um ihn als „reif und erwachsen“ anzusehen.
kriegsflagge wehte, durchs Muldental gezogen. Auch wir sind nicht zum Fußball hier!“ rief. Auch Woitag Und zwar ohne, dass er auch nur ein Wort während
diesmal trugen sie einheitliche Kleidung. Auf ihren wird sich noch vor Gericht verantworten müssen. des mehrtägigen Prozesses von sich gab.
T-Shirts prangte in Anspielung Präzisierte wurde durch das Gericht der zeitliche Sonst ist Rox nicht so ruhig, weiß seine Jugendge-
auf den Angriff: „TCM vs. Umfang des Angriffs: Dieser begann mit dem Betre- richtshilfe, denn in seiner Freizeit „singt und musi-
RSL 1:0“, auf der Rück- ten des Geländes des FSV Brandis durch die ersten ziert der Chris im Jugendhaus Bennewitz.“ – Wusste
seite „No Fairness, no Nazis und endete, als alle Beteiligten wieder außer sie auch, das „der Chris“ Sänger der Neonaziband
Remorse“ sowie eine Wurfweite waren. Sämtliche Abwehrhandlungen der „Storm of Mind“ ist und seinen Kameraden am liebs-
Abbildung eines TCM- Angegriffenen gelten demzufolge als Notwehr. „Was ten mit antisemitischen und faschistischen Parolen
Schlägers, der auf einen sollen die denn machen, wenn die in die Ecke gedrängt einheizt? ☐
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„TCM“: Eine Jugendbande und ihr Hass
D ie politische Zielsetzung der etwa 20 Personen
umfassenden „Terror Crew Muldental“ (TCM)
lässt sich am besten durch ein Zitat der Wurzener
Nazis, rechten Jugendcliquen, Freefightern, Hooligans
und unpolitisch scheinenden Jugendlichen. Unter die-
se mischen sich oft auch Kameraden aus Nordsachsen,
tischen Vernetzung und der Suggerierung eines völki-
schen Gemeinschaftsgefühls.
Der politische Antlitz der Truppe wird folge-
Naziband „White Destiny“ aus ihrem „Muldentallied“ Leipzig, Döbeln oder Geringswalde, wenn sie Einla- richtig durch eine handvoll Mitglieder ge-
beschreiben: „National Befreite Zonen werden überall dungen der TCM folgen. stärkt, die seit Jahren auf regionalen Naziauf-
entstehen […] / ob Grimma, Colditz, Wurzen all das ist Beispielhaft seien hier das NS-HC-Konzert am märschen mitlaufen. Häufig beobachtet wer-
das Muldental, deutsch, stolz und radikal […] / wir sind 1. August 2009 im Gewerbegebiet Lüptitzer Höhe bei den auch Ausflüge ins 40 Kilometer entfernte
die Muldentaler, zum Widerstand bereit.“ Wurzen und die „Willkommensparty“ anlässlich Ro- Geringswalde, zu den Kameraden der dortigen Nazi-
Das Ziel, in Teilen des Muldentals eine „No-Go- bert Ihbes Gefängnisaufenthalts am 26. Juni 2009 im clique „Aktionsfront Geringswalde“. Gemeinsam
Area“ für MigrantInnen, Alternative und nicht-rechte Steinbruch Altenhain bei Trebsen genannt. Es traten hielten TCM und die Aktionsfront Geringswalde am
Jugendliche zu schaffen, hat die organisierte Nazisze- jeweils die Szenebands „Inkubation“ aus Döbeln und 16. Juni 2009 eine Kundgebung vor dem Knast in Re-
ne seit den 1990er Jahren mehr oder weniger erreicht. „Storm of Mind“ aus Bennewitz auf. In der einen spie- gis-Breitingen für ihren gefangen Kameraden Robert
Dies gilt besonders für die Region Colditz und Wurzen len Mitglieder der Kameradschaft „Division Döbeln“, Ihbe, einen der Brandis-Täter, ab.
sowie im ländlichen Raum um Thümmlitzwalde. in der anderen Mitglieder der TCM. Besagter Stein- Als einer der Kader der TCM gilt Chris Rox, ein
Die Vorgehensweise der rechten Jugendcliquen, die bruch gilt für die TCM und deren SympathisantInnen Schweinezüchter, NPD-Gemeinderatskandidat und
sich hier ausgebreitet haben, ist mithin militant. Dies besonders im Sommer als wöchentlicher Anlaufpunkt Sänger der Naziband „Storm of Mind“. Rox war, wie
belegen die Ausschreitungen mit mehreren Verletzten fürs Baden, Partys, Public-Viewing, Rechtsrock – bis seine TCM-Kameraden René Pohl, Robert Ihbe, Ale-
am 18. September 2009 bei den „Highland Games“ in hin zum „JN-Sommerlager“, das 2008 von der JN Leip- xander Lange, Daniel Hesse, Conrad Thomas, Patrick
Machern. Mit dabei: die Mitglieder und Sympathi- zig organisiert worden war. Otto, Eric (Harald) Schmölling, Steffen Mucke und
santen der „Terror Crew Muldental“. Dass es sich bei Fußballspiele kann die TCM nicht nur mit antisemi- Eric Sallie am 25. Oktober 2009 beim brutalen Angriff
Schlägereien dieser Sorte nicht um unpolitische Dorf- tischen und nazistischen Fangesängen begleiten – ihre auf die Spieler und Fans des Roten Stern Leipzig in
fest-Raufereien unter rivalisierenden Jugendbanden Mitglieder spielen auch selbst sehr gern. Bereits zum Brandis beteiligt. Zur Gruppe gehören außerdem Lutz
handelt, zeigt der Angriff auf die Fans des Roten Stern dritten Mal gewannen sie am 29. Mai 2010 ein vom Lindner, Mike Bender und Mario Krause.
Leipzig während des Bezirksklassespiels in Brandis am „Freien Netz Nordsachsen“ organisiertes Nazifußball- Neben Kontakten zu organisierten Nazistrukturen,
25. Oktober 2009. Auch hier waren TCM-Mitglieder turnier am Stadtrand Wurzens. Daran nahmen Nazi- rechten Hooligans und kampfsporterprobten Freefigh-
beteiligt. mannschaften aus Nordsachsen, Mittelsachsen und tern unterhält die TCM auch gute Kontakte zu Thomas
Diese organisieren auch Nazikonzerte und -partys. dem Muldentalkreis teil. Solche Turniere dienen frei- Persdorf, Betreiber des berüchtigten Naziversandhan-
Bei diesen Konzerten trifft sich ein Konglomerat aus lich nicht nur dem Spaß, sondern vor allem der poli- dels „Front Records“.  ☐

Eine weitere Serie rechter Brandanschläge in Sachsen


Nachdem es zuletzt im Jahr 2008 in Sachsen zu ei- Kurze Zeit nach den Brandanschlägen in Freiberg turellen Vereins „Treibhaus“ in Döbeln. Dem An-
ner Reihe von Brandanschlägen auf Geschäfte von fasste die Polizei einen 26-jährigen Täter. Er gab griff ging ein Gerichtsurteil in Döbeln gegen Mit-
MigrantInnen, alternative Jugendclubs und Asylbe- die Taten gegenüber der Soko Rex zu und begrün- glieder der verbotenen Kameradschaft „Sturm
werberInnen-Heime gekommen war, häufen sich dete sie damit, dass „die ausländischen Geschäfts- 34“ aus der Region Mittweida voraus, welche im
solche Fälle nun erneut. Seit Jahresbeginn gab es inhaber keinen Beitrag für den wirtschaftlichen Februar 2007 einen Überfall auf das Café Coura-
im Freistaat bereits 15 rechte Brandanschläge! Aufschwung in der Region leisten“. Die Polizei de- ge in Döbeln verübt hatten.
mentiert trotzdem einen „rechten Hintergrund“.
Schon im Februar und März gab es Angriffe, die • 29. August: Antisemitischer Brandanschlag auf
einem Dönerimbiss in Zschopau, dem Kulturverein das Begräbnishaus des Neuen Jüdischen Fried-
• 29. Juli: In Eilenburg wird ein Asia-Imbisswagen
„Roter Baum Dresden“, dem Auto eines Linke-Poli- hofs in Dresden-Johannstadt.
angezündet und vollständig zerstört.
tikers in Pirna sowie dem Kulturverein „Roter Weg“
• 5. September: Durch einen Brandanschlag auf ei-
und dem Linke-Bürgerbüro in Freiberg galten. Hin- • 19. August: Brandanschlag auf das Wohnprojekt
nen vietnamesischen Imbisswagen in Brandis wur-
zu kommen Brandanschläge auf vier Imbisse, drei „Praxis“ in Dresden-Löbtau. Die „Praxis“ steht
de die Existenzgrundlage der Familie zerstört.
Autos, eine Friedhofshalle sowie drei Wohn- und bereits seit längerem im Fokus der lokalen Nazi-
Kulturprojekte innerhalb von nur zwei Monaten: szene und wurde mehrfach angegriffen: Wenige
Tage zuvor wurde mit einer Mülltonne ein Fenster
• 24. Juni: Nach dem WM-Spiel Ghana–Deutsch-
eingeworfen. Durch die Brandanschläge wird den Betroffenen
land brennt ein Dönerimbiss in Eilenburg vollstän-
Personen und Familien oft die Existenzgrundlage
dig aus. • 24. August: Brandanschlag mittels Molotow-
zerstört, daher unterstützt die GAMMA-Redakti-
Cocktail auf das Wohnprojekt Robert-Matzke
• 14./15. Juli: In Döbeln brennen drei Autos von on den Spendenaufruf der RAA:
Straße16 in Dresden-Pieschen. Die RM16 ist
MitarbeiterInnen und regelmäßigen BesucherIn-
nen des soziokulturellen Vereins „Treibhaus“ ab.
schon seit Jahren im Visier von Nazis. Mehrfach InhaberIn: RAA Sachsen e.V.
wurden Scheiben eingeworfen und seit einigen Kto-nr.: 0643998600
• 26. Juli: In Freiberg wird die Tür eines indischen Monaten kursieren Nazi-Aufkleber, die dazu auf- BLZ: 850 802 00
Restaurants in Brand gesetzt. rufen, die RM16 anzugreifen. Betreff: Brandanschläge
• 29. Juli: In Freiberg wird ein türkisches Restau- • 26. August: Unbekannte TäterInnen entzünden Die Spender_innen werden veröffentlicht. Anony-
rant durch Brandsätze angezündet. ein Transparent an der Hausfassade des soziokul- me Spenden im Betreff kennzeichnen!

Redaktionelles (Stand: 01.10.2010) Mehr zu Nazi-Aktivitäten:

• E-Mail: gammazine@no-log.org • Leipzig:  www.chronikle.org • Nordbayern: www.art-nb.de


• Dresden: venceremos.antifa.net/art/review • Recherche Nord: www.recherche-nord.com
• WWW: http://gamma.redirectme.net
• RDL: aardl.blogsport.de/recherche • Recherche Ost: www.recherche-ost.com
Ihr könnt euch das GAMMA auf Wunsch bei • Dessau: www.infothek-dessau.de • Antifa-Infoblatt:nadir.org/nadir/periodika/aib
Erscheinen einer neuen Ausgabe zumailen • Berlin & bundesweit: www.apabiz.de • Der Rechte Rand: www.der-rechte-rand.de
lassen. Schreibt uns einfach eine E-Mail. • Thüringen: artthur.antifa.net • Lotta (NRW): projekte.free.de/lotta/

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