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Adalbert Wollrab

Organische
Chemie
Eine Einführung für Lehramts-
und Nebenfachstudenten
4. Auflage
Springer-Lehrbuch
Adalbert Wollrab

Organische Chemie
Eine Einführung für Lehramts- und
Nebenfachstudenten

4. Auflage
Prof. Adalbert Wollrab
Pohlheim, Deutschland

ISSN 0937-7433
ISBN 978-3-642-45143-0 ISBN 978-3-642-45144-7 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-642-45144-7

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Planung und Lektorat: Rainer Münz, Sabine Bartels

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.

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Vorwort zur vierten Auflage
Die vierte Auflage setzt mich in die angenehme Lage, das Buch „Organische Chemie“ up to
date zu bringen, neuere Reaktionen, die Bedeutung erlangt haben, einzubringen und das
Buch weiter auszugestalten. Dazu gehört eine Erweiterung des Kapitels „Die Molekülorbital-
theorie“ um ein Unterkapitel „Pericyclische Reaktionen“ und ein zusätzlicher Anhang „Na-
mensreaktionen“ mit Kurzbeschreibungen der Namensreaktionen und Seitenhinweisen auf
die Stellen des Buches, die die entsprechende Reaktion eingehend behandeln.
Für die Durchsicht des Manuskripts und für wertvolle kollegiale Hinweise danke ich
Herrn Prof. Dr. Georg Wittke, Universität Koblenz-Landau. Mein Dank gilt auch Herrn Dr.
Rainer Münz, dem Cheflektor Chemie im Springer-Verlag und Frau Sabine Bartels, Pro-
jektmanagerin im Programmbereich Naturwissenschaften im Springer-Verlag für die ange-
nehme Zusammenarbeit.

Pohlheim, August 2013 Adalbert Wollrab

Vorwort zur dritten Auflage


Die dritte Auflage des Buches Organische Chemie erlaubt mir, einem von Studenten geäu-
ßerten Wunsch nachzukommen und das Buch mit Übungsaufgaben und deren Lösungen zu
ergänzen. Auch das Unterkapitel Molekülorbitaltheorie habe ich etwas erweitert. Für die
Durchsicht dieses Kapitels und wertvolle kollegiale Hinweise möchte ich mich bei Herrn
Prof. Dr. Peter R. Schreiner, Justus-Liebig-Universität, Gießen, bedanken.
Besonderen Dank schulde ich Frau Dr. Marion Hertel vom Springer Verlag für ihre kom-
petente Arbeit als Lektorin und für ihre konstruktiven Vorschläge. Sowohl ihr, als auch Frau
Birgit Münch und Herrn Patrick Waltemate danke ich für die angenehme Zusammenarbeit
bei dieser dritten Auflage des Buches.

Pohlheim, im Mai 2009 Adalbert Wollrab

Vorwort zur zweiten Auflage


Das zunächst im Verlag Vieweg erschienene Buch „Organische Chemie“ wurde vom Sprin-
ger-Verlag übernommen, und deshalb erscheint die zweite Auflage in einem neuen Habitus.
Die Neuauflage gibt mir die willkommene Gelegenheit, Druckfehler zu korrigieren. Den
Lesern und Kollegen danke ich für nützliche Hinweise und Anregungen. Ebenso möchte ich
mich bei Frau Dr. Marion Hertel für die gedeihliche Zusammenarbeit bedanken.

Pohlheim, im Juni 2002 Adalbert Wollrab


VI Vorwort zur ersten Auflage

Vorwort zur ersten Auflage


Das Lehr- und Lernbuch „Organische Chemie“ ist vor allem ein Angebot an Studierende des
Lehramts Chemie und Chemielehrer sowie eine Grundlage für Studierende der Lebensmittel-
chemie und Pharmazie, der Biologie und Medizin. Langjährige fachliche und didaktische
Erfahrungen mit Vorlesungen und Seminaren, mit Staatsexamensarbeiten und Prüfungen
haben die Konzeption bestimmt, und Anregungen von Studierenden wurden berücksichtigt.
Das Lehr- und Lernbuch ist sowohl eine wichtige Ergänzung für Vorlesungen, Seminare und
Praktika, in denen die Organische Chemie – wegen des verfügbaren Lehrdeputats – im all-
gemeinen nur exemplarisch behandelt wird, es ist aber auch zur Vorbereitung auf Prüfungen
geeignet. Verständnis und Kenntnisse werden lerngerecht vorbereitet und die Lernprozesse
durch übersichtliche Abbildungen unterstützt
Stoffklassen werden – ähnlich wie in der Fachsystematik – als Gliederungsprinzip gewählt.
Dieses strukturelle Konzept mit funktionellen Gruppen als Erkennungsmerkmalen und reakti-
ven Zentren hat sich bewährt, um eine strukturelle Übersicht zu vermitteln, Themen wie Erdöl
und Waschmittel, die für den Chemieunterricht wichtig sind, werden in geschlossener Form
behandelt. Biochemische und bioorganische Aspekte werden besonders berücksichtigt, um der
bevorzugten Fächerkombination Chemie/Biologie im Lehramt gerecht zu werden.
In den verschiedenen Kapiteln wird der Rückgriff auf Vorkenntnisse weitgehend vermie-
den. Bezüge und Vernetzungen werden durch konkrete Querverweise hergestellt, um das
Verständnis zu vertiefen und Vergleiche zu ermöglichen sowie Lernsequenzen zu verdeutli-
chen und das Prinzip des Spiralen Curriculums umzusetzen.
Jede Stoffklasse zeigt charakteristische Reaktionen, daher erscheint es sinnvoll, die orga-
nisch-chemischen Reaktionen im Rahmen der entsprechenden Stoffgruppe zu behandeln.
Dies hat den Vorteil, daß bei den Reaktionen auf konkrete Beispiele zurückgegriffen werden
kann, die in logischem Verbund mit dem zu erlernenden Stoffgebiet stehen. Farbstoffe und
Kunststoffe sind deshalb mit den Stoffklassen in Beziehung gesetzt und nicht separat aufge-
führt. Großtechnische Synthesen werden berücksichtigt und in einigen Kapiteln auch von den
im Labor üblichen Synthesen getrennt abgehandelt.
Reaktionsmechanismen sind den spezifischen Reaktionen zugeordnet und werden gründ-
lich und einsichtig diskutiert. Die einzelnen Reaktionsschritte werden detailliert formuliert
und ausführlich kommentiert, um das Verständnis zu erleichtern und Zusammenhänge zu
erkennen. Durch Wiederholungen wird eine Kenntnisstabilisierung ermöglicht.
Abbildungen werden übersichtlich und wahrnehmungsaktiv präsentiert, um den Lern-
prozeß und die Informationsspeicherung zu erleichtern. Die räumliche Anordnung der funk-
tionellen Gruppen und des Molekülgerüstes stimmt in Edukten und Produkten überein:
Strukturelle Änderungen sind deshalb unmittelbar erkennbar. Durch ,,Reaktionspfeile“ wer-
den die funktionellen Änderungen bzw. die Umgruppierungen von Bindungen operativ un-
terstützt. Abweichend von üblichen Darstellungen werden homolytische Spaltungen durch
reguläre Pfeile symbolisiert. Die integrierten Abbildungen erfüllen die Funktion von Mind
Maps und sind wichtige Lernhilfen.
Bei der Nomenklatur werden die verschiedenen Benennungen bewußt berücksichtigt. Tri-
vialnamen – wie Essigsäure und Zitronensäure – und rationelle Namen – wie Alkohole und
Aldehyde – werden verwendet, da diese Bezeichnungen in der Praxis üblich und den Ler-
Vorwort zur ersten Auflage VII

nenden gebräuchlich sind. Auch später in ihrem Unterricht, der von der Erfahrungswelt der
Schüler ausgehen soll, werden Lehrer diese Trivialnamen verwenden. Die systematischen
Namen werden gleichfalls eingeführt und beispielhaft darlegt, um den Rückgriff auf die
Chemieliteratur und Chemikalienverzeichnisse zu ermöglichen.
Theoretische Konzepte (u. a. Mesomerie) werden im allgemeinen in den entsprechenden
Stoffklassen integriert behandelt, um den direkten Bezug und die praktische Bedeutung auf-
zuzeigen. Die optische Ismomerie wird wegen der allgemeinen und übergreifenden Bedeu-
tung separat vorgestellt.
Bei der Konzeption der „Organische Chemie“ wurden Bedürfnisse der Studierenden in
den verschiedenen Bereichen ebenso berücksichtigt wie fachliche Anforderungen an eine
qualifizierte Übersicht der Organischen Chemie, um die Querschnittfunktion mit Fächern
aufzuzeigen, die als Life Sciences bezeichnet werden.

An dieser Stelle möchte ich allen jenen danken, die zum Gelingen dieses Buches beigetragen
haben. Vor allem schulde ich Herrn Prof. Dr. Günther Meier, Universität Gießen, Dank für
das Durchlesen des Manuskripts und für die vielen wertvollen kollegialen Ratschläge und
Hinweise und Herrn Prof. Dr. Georg Wittke, Universität Koblenz-Landau, für das Korrektur-
lesen und die freundlichen Ratschläge. Herrn Prof. Dr. Heinz Schmidkunz, Universität
Dortmund, danke ich, daß er mich zum Schreiben dieses Buches ermunterte. Besonderen
Dank schulde ich Frau Dr. Angelika Schulz, Verlag Vieweg, für ihre kompetente Arbeit als
Lektorin, für ihre konstruktiven Vorschläge, ihre Ratschläge und das Verständnis, das sie
dieser Arbeit entgegenbrachte. Schon alleine die Umsetzung des ursprünglich mit dem Atari
geschriebenen Manuskripts warf große Probleme auf, die mit ihrer Hilfe bravourös gemeis-
tert wurden. Frau Heidi Zimmermann, Universität Dortmund, hat gekonnt und mit Sorgfalt
die mit dem Stad-Programm gezeichneten Abbildungen überzeichnet und alle Formeln neu
geschrieben, eine riesige Arbeit, für die ich ihr Dank schulde, wie auch Herrn Prof. Richard
P. Kreher, Universität Dortmund, für die Anregungen und die angebrachten Korrekturen bei
den Graphiken. Dank gebührt auch dem Verlag Vieweg, der die Veröffentlichung des Bu-
ches ermöglichte. Den größten Dank allerdings schulde ich meiner Frau, die es klaglos hin-
genommen hat, daß ich die vielen Stunden am Computer saß, mich ihr nicht widmen konnte
und die mir vieles, das ich hätte in dieser Zeit tun müssen, abgenommen hat.

Pohlheim, im Juni 1999 Adalbert Wollrab


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung ...................................................................................................................... 1
1.1 Das Kohlenstoffatom unter die Lupe genommen ................................................... 1
1.2 Die funktionellen Gruppen organischer Verbindungen .......................................... 5
1.3 Die wellenmechanische Beschreibung der Elektronen im Kohlenstoffatom ........ 10
1.3.1 Die Wellennatur des Elektrons ............................................................... 10
1.3.2 Quantenzahl und Energieniveau ............................................................. 11
1.3.3 Orbitale und kovalente Bindungen ......................................................... 13
1.3.4 Hybridorbitale ......................................................................................... 17
1.3.5 Bindungslängen und Bindungsenergien der Kohlenstoff-Kohlenstoff-
Einfach-, Doppel- und Dreifachbindung ................................................. 27
1.3.6 Die räumliche Anordnung der Hybridorbitale ........................................ 29
1.4 Die polare kovalente Bindung und der induktive Effekt ...................................... 30
1.5 Modellvorstellungen und Gegenstandsmodelle in der Organischen Chemie ....... 32
1.6 Die chemischen Formeln ...................................................................................... 34
1.7 Die Nomenklatur organischer Verbindungen ....................................................... 39
1.7.1 Die Nomenklatur der n-Alkane ............................................................... 39
1.7.2 Die Benennung verzweigter Alkane ....................................................... 40
1.7.3 Die Benennung von Verbindungen mit funktionellen Gruppen.............. 43
1.7.4 Kriterien für die Wahl der Hauptkette .................................................... 46
Übungsaufgaben ............................................................................................................. 48
Lösungen ........................................................................................................................ 51
2 Alkane ............................................................................................................................ 54
2.1 Benennung der Alkane ......................................................................................... 54
2.2 Homologe Reihen der Alkane .............................................................................. 54
2.3 Kettenisomere ....................................................................................................... 55
2.4 Konformationen des Ethans und Butans............................................................... 55
2.4.1 Konformation des Ethans ........................................................................ 55
2.4.2 Konformationen des Butans .................................................................... 58
2.5 Physikalische Eigenschaften der Alkane .............................................................. 59
2.6 Vorkommen der Alkane ....................................................................................... 62
2.7 Synthese der Alkane ............................................................................................. 63
2.7.1 Darstellung der Alkane durch katalytische Hydrierung .......................... 64
2.7.2 Alkane aus Alkylhalogeniden ................................................................. 65
2.7.3 Alkane aus Alkalisalzen der Carbonsäuren ............................................. 66
2.8 Reaktionsgleichung und Reaktionsmechanismus ................................................. 67
2.9 Reaktionen der Alkane ......................................................................................... 68
2.9.1 Chlorierung und Bromierung der Alkane ............................................... 69
2.9.2 Einführung der Sulfonylchlorid- und Sulfogruppe in Alkane ................. 74
2.9.3 Die Oxidation von Alkanen mit Sauerstoff ............................................. 76
X Inhaltsverzeichnis

2.10 Methoden zur Trennung verzweigter und unverzweigter Alkane ........................ 80


2.10.1 Trennung mit Molekularsieb 0,5 nm....................................................... 80
2.10.2 Einschlußverbindungen mit Harnstoff .................................................... 80
Übungsaufgaben ............................................................................................................. 81
Lösungen ........................................................................................................................ 82
3 Alkene ............................................................................................................................ 84
3.1 Nomenklatur ......................................................................................................... 84
3.2 Bedeutung der Alkene .......................................................................................... 85
3.3 Die σ- und π-Bindung .......................................................................................... 85
3.4 Die Struktur der Alkene ....................................................................................... 85
3.5 Die cis-trans-Isomerie in Alkenen ........................................................................ 85
3.5.1 Die Z/E-Nomenklatur ............................................................................. 86
3.5.2 Die cis-trans-Isomerisierung ................................................................... 88
3.6 Darstellung der Alkene......................................................................................... 89
3.6.1 Eliminierungsreaktionen zur Darstellung der Alkene ............................. 90
3.6.2 Die Reaktionsmechanismen E1 und E2 .................................................. 94
3.6.3 Die Saytzew- und die Hofmann-Regel ................................................... 98
3.6.4 Darstellung der Alkene mit Organometallverbindungen ...................... 100
3.7 Reaktionen der Alkene ....................................................................................... 102
3.7.1 Die Mechanismen von Additionsreaktionen ......................................... 102
3.7.2 Die Markownikow-Regel ..................................................................... 107
3.7.3 Wagner-Meerwein-Umlagerungen ....................................................... 109
3.7.4 Elektrophile Additionsreaktionen ......................................................... 110
3.7.5 Cycloadditionen .................................................................................... 116
3.7.6 Radikalische Additionen ....................................................................... 126
3.7.7 Additionsreaktionen in Gegenwart von Metallkatalysatoren ................ 134
3.7.8 Polymerisationsreaktionen .................................................................... 136
3.7.9 Die Reaktionsmechanismen der Polymerisationsreaktionen ................ 137
3.8 Diene und Polyene ............................................................................................. 141
3.9 Die Mesomerie ................................................................................................... 143
3.9.1 Mesomere Effekte ................................................................................. 144
3.10 Reaktionen der Diene ......................................................................................... 146
3.10.1 Die Addition von Brom an Butadien .................................................... 146
3.10.2 Kinetisch und thermodynamisch gesteuerte Reaktionen ...................... 147
3.10.3 Polymerisationsreaktionen des Butadiens ............................................. 148
3.10.4 Die Diels-Alder-Reaktion ..................................................................... 148
3.10.5 Die Cope-Umlagerung .......................................................................... 149
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 150
Lösungen ...................................................................................................................... 152
4 Alkine........................................................................................................................... 156
4.1 Nomenklatur der Alkine ..................................................................................... 156
4.2 Die Dreifachbindung und die Struktur der Alkine ............................................. 156
4.3 Das Acetylen ...................................................................................................... 157
4.3.1 Die großtechnische Herstellung des Acetylens ..................................... 157
Inhaltsverzeichnis XI

4.4 Darstellung der Alkine ....................................................................................... 158


4.4.1 Darstellung von Ethin aus Calziumcarbid............................................. 158
4.4.2 Die Dehalogenierung von Tetrahalogenalkanen ................................... 158
4.4.3 Dehydrohalogenierung vicinaler oder geminaler Dihalogenalkane ...... 158
4.4.4 Die Alkylierung von Natriumacetylid ................................................... 159
4.5 Reaktionen der Alkine ........................................................................................ 159
4.5.1 Saure Eigenschaften der Alkine ............................................................ 161
4.5.2 Reaktionen mit Alkinylanionen als Nukleophil .................................... 162
4.5.3 Die Oligomerisierung der Alkine .......................................................... 164
4.5.4 Oxidationsreaktionen ............................................................................ 165
4.5.5 Reduktion der Alkine ............................................................................ 166
4.5.6 Additionen an Alkine ............................................................................ 167
4.5.7 Nucleophile Additionen an die Dreifachbindung der Alkine ................ 170
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 172
Lösungen ...................................................................................................................... 173
5 Alicyclische Verbindungen ........................................................................................ 176
5.1 Nomenklatur ....................................................................................................... 176
5.2 Physikalische Eigenschaften der Cycloalkane.................................................... 177
5.3 Der Cyclopropan- und Cyclobutanring .............................................................. 178
5.4 Der Cyclopentanring .......................................................................................... 180
5.5 Der Cyclohexanring ........................................................................................... 180
5.6 Die cis-trans-Isomerie von Substituenten in Ringverbindungen ........................ 186
5.7 Polycyclische Alkane ......................................................................................... 187
5.8 Synthese der Cycloalkane................................................................................... 189
5.8.1 Synthese des Cyclopropans................................................................... 189
5.8.2 Die Synthese mehrgliedriger alicyclischer Verbindungen .................... 191
5.9 Reaktionen der Cycloalkane ............................................................................... 192
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 193
Lösungen ...................................................................................................................... 194
6 Aromatische Verbindungen ....................................................................................... 196
6.1 Benzol und seine Derivate .................................................................................. 196
6.2 Die Valenzbindungstheorie ................................................................................ 197
6.3 Die Molekülorbitaltheorie .................................................................................. 201
6.3.1 Pericyclische Reaktionen ...................................................................... 210
6.4 Nomenklatur der Benzolderivate ........................................................................ 220
6.5 Gewinnung und Verwendung von Benzol.......................................................... 222
6.6 Reaktionen des Benzols ...................................................................................... 223
6.6.1 Die elektrophile aromatische Substitution (SE) ..................................... 223
6.6.2 Die Zweitsubstitution ............................................................................ 235
6.6.3 Kern- und Seitenkettenhalogenierung ................................................... 247
6.6.4 Nukleophile aromatische Substitutionen............................................... 247
6.6.5 Die radikalische Addition am Benzol ................................................... 249
6.6.6 Birch-Reduktion an Aromaten .............................................................. 250
6.7 Kriterien der Aromatizität .................................................................................. 251
XII Inhaltsverzeichnis

6.8 Überblick über aromatische Verbindungen ........................................................ 253


6.8.1 Benzoide Aromaten .............................................................................. 253
6.8.2 Nichtbenzoide Aromaten ...................................................................... 253
6.8.3 Heterocyclische Aromaten .................................................................... 255
6.8.4 Polycyclische nichtkondensierte Aromaten .......................................... 260
6.8.5 Kondensierte polycyclische Aromaten ................................................. 261
6.8.6 Polychlorierte aromatische Verbindungen ............................................ 266
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 269
Lösungen ...................................................................................................................... 270
7 Erdöl ............................................................................................................................ 273
7.1 Entstehung des Erdöls ........................................................................................ 273
7.2 Erdölvorkommen ................................................................................................ 273
7.3 Inhaltsstoffe des Erdöls ...................................................................................... 274
7.4 Destillationsfraktionen des Erdöls ...................................................................... 275
7.5 Kennzahlen von Kraftstoffen ............................................................................. 278
7.5.1 Die Octanzahl ....................................................................................... 278
7.5.2 Die Cetanzahl........................................................................................ 279
7.6 Das Cracken ....................................................................................................... 280
7.6.1 Thermisches Cracken ............................................................................ 280
7.6.2 Katalytisches Cracken........................................................................... 284
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 289
Lösungen ...................................................................................................................... 290
8 Optische Isomerie ....................................................................................................... 292
8.1 Das Licht als elektromagnetische Welle ............................................................ 292
8.1.1 Natürliches und linear polarisiertes Licht ............................................. 293
8.2 Die optische Aktivität......................................................................................... 295
8.2.1 Die spezifische Drehung ....................................................................... 296
8.3 Die Chiralität ...................................................................................................... 298
8.3.1 Chirale und achirale Moleküle .............................................................. 299
8.4 Enantiomere ....................................................................................................... 305
8.4.1 Racemische Gemische .......................................................................... 305
8.5 Das asymmetrische Kohlenstoffatom ................................................................. 307
8.5.1 Absolute und relative Konfiguration..................................................... 308
8.6 Nomenklatur chiraler Verbindungen .................................................................. 311
8.6.1 Die D/L-Nomenklatur ............................................................................ 311
8.6.2 Die R/S-Nomenklatur ............................................................................ 314
8.7 Diastereomere..................................................................................................... 318
8.7.1 Meso-Verbindungen ............................................................................. 320
8.7.2 Optische Isomerie in alicyclischen Verbindungen ................................ 321
8.8 Optisch aktive Verbindungen ohne asymmetrische Kohlenstoffatome .............. 323
8.8.1 Axiale Chiralität.................................................................................... 323
8.8.2 Planare Chiralität .................................................................................. 325
8.8.3 Helicität ................................................................................................ 325
8.9 Bildung asymmetrischer C-Atome bei chemischen Reaktionen ........................ 326
8.9.1 Reaktionen mit prochiralen Verbindungen ........................................... 326
Inhaltsverzeichnis XIII

8.9.2
Die asymmetrische Synthese ................................................................ 328
8.9.3
Räumliche Auswirkungen bei Reaktionen
am asymmetrischen C-Atom................................................................. 330
8.10 Trennung von Enantiomeren aus racemischen Gemischen ................................ 331
8.11 Die Chiralität in lebenden Organismen .............................................................. 334
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 338
Lösungen ...................................................................................................................... 340
9 Halogenalkane............................................................................................................. 345
9.1 Nomenklatur ....................................................................................................... 345
9.2 Eigenschaften und Bedeutung der Halogenalkane ............................................. 345
9.3 Darstellung der Halogenalkane .......................................................................... 346
9.3.1 Halogenierung von Alkanen ................................................................. 346
9.3.2 Halogenalkane aus Alkoholen .............................................................. 346
9.3.3 Halogenderivate aus Alkenen ............................................................... 347
9.3.4 Die Gewinnung von Fluoralkanen ........................................................ 347
9.4 Reaktionen der Halogenalkane ........................................................................... 349
9.4.1 Hydrogenolyse von Halogenalkanen .................................................... 349
9.4.2 Reaktion mit Metallen........................................................................... 350
9.4.3 Eliminierungsreaktionen ....................................................................... 350
9.4.4 Die Arbuzow-Michaelis-Reaktion ........................................................ 351
9.4.5 Nucleophile Substitutionsreaktionen .................................................... 351
9.5 Die aliphatische nucleophile Substitution (SN-Reaktion) ................................... 353
9.6 Reaktionsmechanismen der aliphatischen nucleophilen Substitution ................ 357
9.6.1 SN1-Mechanismus ................................................................................. 358
9.6.2 Der SN2-Mechanismus .......................................................................... 362
9.6.3 Faktoren, die eine nucleophile Substitution beeinflussen ..................... 364
9.6.4 Die nucleophile Substitution und die Eliminierung
als Konkurrenzreaktionen ..................................................................... 367
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 368
Lösungen ...................................................................................................................... 369
10 Alkohole ....................................................................................................................... 373
10.1 Nomenklatur der Alkohole ................................................................................. 373
10.2 Einteilung der Alkohole ..................................................................................... 374
10.3 Struktur der Alkohole ......................................................................................... 375
10.4 Physikalische Eigenschaften der Alkohole ......................................................... 375
10.5 Physiologische Eigenschaften ............................................................................ 377
10.5.1 Physiologische Eigenschaften des Methanols ....................................... 377
10.5.2 Physiologische Eigenschaften des Ethanols.......................................... 377
10.6 Synthese der Alkohole........................................................................................ 380
10.6.1 Großtechnische Synthese der Alkohole ................................................ 380
10.6.2 Darstellung der Alkohole im Labor ...................................................... 387
10.7 Reaktionen der Alkohole .................................................................................... 396
10.7.1 Schwach saure Eigenschaften der Alkohole ......................................... 396
10.7.2 Alkohole als Basen und Nucleophile .................................................... 396
10.7.3 Basizität und Nucleophilie .................................................................... 397
XIV Inhaltsverzeichnis

10.7.4 Umsetzung von Alkoholen zu Alkylhalogeniden ................................. 400


10.7.5 Die Dehydratisierung ............................................................................ 404
10.7.6 Veresterung von Alkoholen .................................................................. 405
10.7.7 Oxidation von Alkoholen...................................................................... 411
10.7.8 Die reduktive Desoxidierung von Alkoholen ....................................... 419
10.7.9 Die Mitsunobu-Reaktion....................................................................... 420
10.8 Alkoholische Getränke ....................................................................................... 422
10.8.1 Bier ....................................................................................................... 422
10.8.2 Weine .................................................................................................... 430
10.8.3 Alkoholdestillate ................................................................................... 432
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 433
Lösungen ...................................................................................................................... 434
11 Phenole ........................................................................................................................ 438
11.1 Nomenklatur der Phenole ................................................................................... 438
11.2 Eigenschaften der Phenole ................................................................................. 440
11.3 Verwendung ....................................................................................................... 440
11.4 Verfahren zur Phenolherstellung ........................................................................ 441
11.5 Reaktionen der Phenole ...................................................................................... 443
11.5.1 Nachweis, Esterbildung und Acidität der Phenole ................................ 444
11.5.2 Elektrophile Substitutionen am Phenol ................................................. 445
11.5.3 Die Oxidation von Phenolen ................................................................. 450
11.6 Phenolische Verbindungen in der Natur............................................................. 452
11.6.1 Pflanzenfarbstoffe ................................................................................. 452
11.6.2 Gerbstoffe ............................................................................................. 454
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 456
Lösungen ...................................................................................................................... 457
12 Ether ............................................................................................................................ 459
12.1 Nomenklatur der Ether ....................................................................................... 459
12.2 Struktur und physikalische Eigenschaften .......................................................... 460
12.3 Synthese der Ether .............................................................................................. 461
12.3.1 Synthese von Methyl-tert-butylether .................................................... 461
12.3.2 Dehydratisierung von Alkoholen .......................................................... 461
12.3.3 Die Williamson-Synthese ..................................................................... 463
12.3.4 Methylierung von Phenolen mit Diazomethan ..................................... 463
12.4 Reaktionen der Ether .......................................................................................... 463
12.4.1 Die Etherspaltung mit Säuren ............................................................... 464
12.4.2 Die Autoxidation der Ether ................................................................... 465
12.4.3 Die Claisen-Umlagerung ...................................................................... 467
12.5 Cyclische Ether .................................................................................................. 467
12.5.1 Nomenklatur der cyclischen Ether ........................................................ 467
12.5.2 Eigenschaften cyclischer Ether ............................................................. 469
12.5.3 Epoxide ................................................................................................. 469
12.5.4 Cyclische Ether mit fünf- und sechsgliedrigem Ring ........................... 473
12.5.5 Kronenether .......................................................................................... 473
Inhaltsverzeichnis XV

Übungsaufgaben ........................................................................................................... 476


Lösungen ...................................................................................................................... 477
13 Aldehyde und Ketone ................................................................................................. 479
13.1 Nomenklatur der Aldehyde und Ketone ............................................................. 479
13.2 Struktur und physikalische Eigenschaften .......................................................... 481
13.3 Synthese der Aldehyde und Ketone.................................................................... 483
13.3.1 Wichtige Aldehyde und Ketone und ihre großtechnische Synthese ..... 483
13.3.2 Die Synthese aliphatischer Aldehyde.................................................... 488
13.3.3 Synthese aromatischer Aldehyde .......................................................... 489
13.3.4 Die Synthese aliphatischer Ketone........................................................ 497
13.3.5 Synthese von Arylketonen .................................................................... 500
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone ................................................................ 501
13.4.1 Addition von C-Nucleophilen an Aldehyde und Ketone ...................... 504
13.4.2 Die Addition von O-Nucleophilen an Aldehyde und Ketone ............... 512
13.4.3 Die Addition von N-Nucleophilen an Aldehyde und Ketone ............... 515
13.4.4 Die Addition von S-Nucleophilen an Aldehyde und Ketone ................ 523
13.4.5 Additionsreaktionen an α,β-ungesättigten Carbonylverbindungen ....... 525
13.4.6 Oligomere und Polymere der Aldehyde ................................................ 528
13.4.7 Die C–H-Acidität von Aldehyden und Ketonen ................................... 530
13.4.8 Reduktion von Carbonylverbindungen ................................................. 541
13.4.9 Die Oxidation von Aldehyden .............................................................. 544
13.4.10 Die Oxidation von Ketonen .................................................................. 548
13.4.11 Disproportionierung von Aldehyden..................................................... 551
13.4.12 Nachweisreaktionen .............................................................................. 552
13.5 Vorkommen von Aldehyden und Ketonen in der Natur ..................................... 553
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 555
Lösungen ...................................................................................................................... 558
14 Chinone........................................................................................................................ 565
14.1 Darstellung der Chinone ..................................................................................... 566
14.2 Reaktionen der Chinone ..................................................................................... 566
14.2.1 Die Reduktion von Chinonen ................................................................ 566
14.2.2 Elektrophile Addition............................................................................ 568
14.2.3 Nucleophile Addition ............................................................................ 568
14.2.4 Die Diels-Alder-Reaktion ..................................................................... 570
14.2.5 Bildung von Charge-Transfer-Komplexen ........................................... 570
14.3 Vorkommen der Chinone in der Natur ............................................................... 572
14.3.1 Pilzfarbstoffe ......................................................................................... 572
14.3.2 Der Elektronentransport in der Atmungskette ...................................... 572
14.3.3 Derivate des Naphthochinons ............................................................... 575
14.3.4 Alizarin, ein Derivat des Anthrachinons ............................................... 576
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 577
Lösungen ...................................................................................................................... 578
XVI Inhaltsverzeichnis

15 Carbonsäuren ............................................................................................................. 581


15.1 Nomenklatur der Carbonsäuren .......................................................................... 581
15.1.1 Trivialnamen für aliphatische, gesättigte Monocarbonsäuren .............. 583
15.2 Physikalische Eigenschaften .............................................................................. 584
15.3 Synthese der Carbonsäuren ................................................................................ 585
15.3.1 Großtechnische Synthese der Ameisensäure und Essigsäure ............... 585
15.3.2 Carbonsäuresynthesen im Labor ........................................................... 589
15.4 Reaktionen der Carbonsäuren............................................................................. 595
15.4.1 Die sauren Eigenschaften der Carbonsäuren......................................... 597
15.4.2 Additions-Eliminierungs-Reaktionen ................................................... 599
15.4.3 Bildung von Säureanhydriden durch Dehydratisierung ........................ 605
15.4.4 Reaktionen am α-ständigen C-Atom .................................................... 606
15.4.5 Decarboxylierungsreaktionen ............................................................... 608
15.4.6 Die Reduktion und die Oxidation von Carbonsäuren ........................... 612
15.4.7 Carbonsäureabbau mit Barbier-Wieland-Reaktion ............................... 613
15.5 Ungesättigte Monocarbonsäuren ........................................................................ 614
15.5.1 Wichtige einfach ungesättigte aliphatische Monocarbonsäuren ........... 614
15.5.2 Mehrfach ungesättigte aliphatische Monocarbonsäuren ....................... 617
15.5.3 Aromatische Monocarbonsäuren .......................................................... 618
15.6 Dicarbonsäuren................................................................................................... 620
15.6.1 Aliphatische Dicarbonsäuren ................................................................ 620
15.6.2 Aromatische Dicarbonsäuren ................................................................ 626
15.7 Substitutionsderivate der Carbonsäuren ............................................................. 630
15.7.1 Hydroxycarbonsäuren ........................................................................... 630
15.7.2 Oxocarbonsäuren .................................................................................. 636
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 643
Lösungen ...................................................................................................................... 646
16 Seifen und synthetische Waschmittel ........................................................................ 654
16.1 Verfahren zur Seifenherstellung ......................................................................... 654
16.2 Eigenschaften der Seifen in wäßriger Lösung .................................................... 655
16.2.1 Lösen von Seife in Wasser.................................................................... 655
16.2.2 Grenzflächenspannung des Wassers ..................................................... 656
16.2.3 Tensidwirkung der Seife ....................................................................... 656
16.2.4 Der Waschprozeß .................................................................................. 656
16.2.5 Nachteilige Eigenschaften der Seifen ................................................... 657
16.3 Synthetische Waschmittel .................................................................................. 657
16.3.1 Anionische Tenside............................................................................... 657
16.3.2 Kationische Tenside.............................................................................. 658
16.3.3 Amphotere Tenside (Amphotenside) .................................................... 658
16.3.4 Nichtionische Tenside (Niotenside) ...................................................... 659
16.4 Zusammensetzung moderner Waschmittel ......................................................... 659
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 663
Lösungen ...................................................................................................................... 664
Inhaltsverzeichnis XVII

17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren ................................................................. 666


17.1 Carbonsäurehalogenide (Alkanoylhalogenide)................................................... 666
17.1.1 Nomenklatur ......................................................................................... 666
17.1.2 Darstellung der Carbonsäurechloride.................................................... 667
17.1.3 Reaktionen der Carbonsäurechloride .................................................... 667
17.2 Carbonsäureanhydride ........................................................................................ 672
17.2.1 Nomenklatur ......................................................................................... 672
17.2.2 Darstellung der Carbonsäureanhydride ................................................. 672
17.2.3 Reaktionen der Carbonsäureanhydride ................................................. 673
17.3 Carbonsäureester ................................................................................................ 676
17.3.1 Nomenklatur ......................................................................................... 676
17.3.2 Bedeutung und Eigenschaften der Carbonsäureester ............................ 677
17.3.3 Synthese der Carbonsäurester ............................................................... 678
17.3.4 Reaktionen der Carbonsäureester.......................................................... 681
17.3.5 Reaktionen der Carbonsäureester als C-Säuren .................................... 685
17.3.6 Die Reduktion von Carbonsäureestern.................................................. 689
17.4 Carbonsäureamide .............................................................................................. 691
17.4.1 Nomenklatur der Carbonsäureamide..................................................... 692
17.4.2 Großtechnische Herstellung des N,N-Dimethylformamids .................. 693
17.4.3 Die Darstellung der Carbonsäureamide im Labor................................. 694
17.4.4 Reaktionen der Carbonsäureamide und Carbonsäureimide .................. 697
17.5 Nitrile ................................................................................................................. 700
17.5.1 Nomenklatur der Nitrile ........................................................................ 700
17.5.2 Synthese der Nitrile............................................................................... 701
17.5.3 Reaktionen der Nitrile ........................................................................... 703
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 708
Lösungen ...................................................................................................................... 709
18 Derivate der Kohlensäure .......................................................................................... 713
18.1 Kohlensäureester, Chloride und Amide der Kohlensäure................................... 713
18.1.1 Phosgen ................................................................................................. 713
18.1.2 Chlorameisensäureester ........................................................................ 713
18.1.3 Kohlensäurediester ................................................................................ 714
18.1.4 Urethane ................................................................................................ 714
18.2 Harnstoff und seine Derivate .............................................................................. 716
18.2.1 Harnstoff ............................................................................................... 716
18.2.2 N-Methyl-N-nitrosoharnstoff ................................................................ 717
18.2.3 Semicarbazid ......................................................................................... 717
18.2.4 Guanidin................................................................................................ 718
18.2.5 Thioharnstoff ........................................................................................ 718
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 719
Lösungen ...................................................................................................................... 720
19 Lipide ........................................................................................................................... 722
19.1 Die chemische Zusammensetzung der Fette und Öle ......................................... 722
19.2 Einteilung der Fette und Öle............................................................................... 725
XVIII Inhaltsverzeichnis

19.3 Eigenschaften der Fette und Öle......................................................................... 726


19.4 Vorkommen und Gewinnung von Fetten und Ölen ............................................ 727
19.4.1 Vorkommen .......................................................................................... 727
19.4.2 Gewinnung pflanzlicher Fette ............................................................... 728
19.4.3 Gewinnung tierischer Fette .................................................................. 728
19.5 Fettähnliche Biomoleküle................................................................................... 728
19.5.1 Phospholipide (Phosphatide) ................................................................ 728
19.5.2 Glycolipide ........................................................................................... 731
19.5.3 Sterole (Sterine) .................................................................................... 731
19.5.4 Lipoproteine.......................................................................................... 734
19.5.5 Lipovitamine ......................................................................................... 736
19.6 Chemische Reaktionen von Fetten und Ölen ..................................................... 739
19.6.1 Die hydrolytische Spaltung von Fetten und Ölen ................................. 739
19.6.2 Die Umesterung .................................................................................... 740
19.6.3 Die Hydrierung ..................................................................................... 742
19.6.4 Die Autoxidation ungesättigter Triglyceride ........................................ 743
19.6.5 Polymerisationsreaktionen .................................................................... 747
19.7 Fette und Öle als Nahrungsmittel ....................................................................... 747
19.7.1 Verdauung und Resorption von Fetten ................................................. 748
19.7.2 Abbau der Fettsäuren ............................................................................ 749
19.7.3 Mitochondrien, die „Kraftstationen“ der Zelle ..................................... 752
19.7.4 Der Transport durch die Mitochondrienmembran ................................ 755
19.7.5 Die β-Oxidation der Carbonsäuren ....................................................... 755
19.7.6 Abbau des Glycerins ............................................................................. 756
19.8 Wachse ............................................................................................................... 756
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 758
Lösungen ...................................................................................................................... 759
20 Alicyclische Verbindungen in der Natur .................................................................. 762
20.1 Terpene............................................................................................................... 763
20.1.1 Monoterpene ......................................................................................... 765
20.1.2 Sesquiterpene ........................................................................................ 766
20.1.3 Diterpene............................................................................................... 767
20.1.4 Triterpene.............................................................................................. 768
20.1.5 Tetraterpene .......................................................................................... 768
20.2 Steroide .............................................................................................................. 769
20.2.1 Biosynthese des Cholesterols................................................................ 772
20.2.2 Sterole (Sterine) .................................................................................... 774
20.2.3 Steroid-Vitamine................................................................................... 775
20.2.4 Gallensäuren ......................................................................................... 776
20.2.5 Steroidhormone..................................................................................... 777
20.2.6 Steroidglycoside ................................................................................... 780
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 783
Lösungen ...................................................................................................................... 784
21 Kohlenhydrate ............................................................................................................ 787
21.1 Bedeutung und Einteilung der Kohlenhydrate ................................................... 788
Inhaltsverzeichnis XIX

21.1.1 Bedeutung der Kohlenhydrate .............................................................. 788


21.1.2 Einteilung der Kohlenhydrate ............................................................... 788
21.2 Monosaccharide.................................................................................................. 788
21.2.1 Einteilung der Monosaccharide ............................................................ 788
21.2.2 Die Fischer-Projektion .......................................................................... 789
21.2.3 D- und L-Zucker .................................................................................... 790
21.3 Aldosen............................................................................................................... 792
21.3.1 Verlängerung der Kohlenstoffkette von Aldosen.................................. 792
21.3.2 Wichtige Aldopentosen ......................................................................... 794
21.3.3 Wichtige Aldohexosen .......................................................................... 794
21.3.4 Cyclische Strukturen der Monosaccharide............................................ 795
21.4 Ketosen ............................................................................................................... 806
21.4.1 D(–)-Fructose ........................................................................................ 807
21.5 Derivate der Monosaccharide ............................................................................. 808
21.5.1 Desoxyzucker........................................................................................ 808
21.5.2 Aminozucker ......................................................................................... 809
21.5.3 L-(+)-Ascorbinsäure (Vitamin C).......................................................... 810
21.6 Reaktionen der Monosaccharide ........................................................................ 812
21.6.1 Reaktionen der Zucker als α-Hydroxycarbonylverbindungen .............. 812
21.6.2 Reaktionen mit Säuren und starken Basen ............................................ 815
21.6.3 Einführung von Schutzgruppen ............................................................ 816
21.6.4 Oxidationsreaktionen der Zucker .......................................................... 817
21.6.5 Reduktion der Monosaccharide ............................................................ 821
21.6.6 Abbau der Monosaccharide .................................................................. 822
21.6.7 Ester und Ether der Monosaccharide .................................................... 823
21.6.8 Ether- und Glycosidbildung .................................................................. 830
21.6.9 Glycoside, Nucleoside und Nucleotide ................................................. 832
21.6.10 In der Natur vorkommende Glycoside .................................................. 835
21.6.11 Nucleoside ............................................................................................ 836
21.6.12 Nucleotide ............................................................................................. 837
21.7 Disaccharide ....................................................................................................... 838
21.7.1 Reduzierende und nichtreduzierende Zucker ........................................ 838
21.7.2 Benennung der Disaccharide ................................................................ 840
21.7.3 Reduzierende Disaccharide ................................................................... 840
21.7.4 Nichtreduzierende Disaccharide ........................................................... 842
21.8 Polysaccharide .................................................................................................... 846
21.8.1 Homoglycane ........................................................................................ 846
21.8.2 Heteroglycane ....................................................................................... 856
21.8.3 Glycokonjugate ..................................................................................... 858
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 859
Lösungen ...................................................................................................................... 861
22 Amine........................................................................................................................... 869
22.1 Struktur der Amine ............................................................................................. 869
22.2 Nomenklatur der Amine ..................................................................................... 870
22.3 Eigenschaften, Vorkommen und Bedeutung der Amine .................................... 872
XX Inhaltsverzeichnis

22.4 Großtechnische Synthese der Amine.................................................................. 874


22.4.1 Synthese der Methylamine.................................................................... 874
22.4.2 Synthese der Diamine ........................................................................... 874
22.4.3 Synthese des Anilins ............................................................................. 875
22.5 Darstellung der Amine im Labor........................................................................ 875
22.5.1 Amine durch Reduktion von Stickstoffverbindungen........................... 875
22.5.2 Darstellung der Amine durch Alkylierung............................................ 879
22.5.3 Amine durch reduktive Aminierung ..................................................... 883
22.5.4 Aminsynthesen mit Umlagerungen....................................................... 885
22.6 Reaktionen der Amine ........................................................................................ 888
22.6.1 Acidobasische Eigenschaften der Amine .............................................. 889
22.6.2 Oxidation der Amine mit Peroxysäuren................................................ 890
22.6.3 Die Alkylierung und Acylierung der Amine ......................................... 891
22.6.4 Eliminierungsreaktionen ....................................................................... 894
22.6.5 Nachweisreaktionen .............................................................................. 895
22.6.6 N-Nitrosierung aliphatischer Amine ..................................................... 897
22.6.7 N-Nitrosierung aromatischer Amine ..................................................... 902
22.7 Reaktionen aromatischer Diazoniumsalze.......................................................... 903
22.7.1 Substitutionsreaktionen aromatischer Diazoniumsalze ......................... 903
22.7.2 Kupplungsreaktionen ............................................................................ 906
22.7.3 Geometrische Isomere der Azoverbindungen ....................................... 910
22.7.4 Azofarbstoffe und ihre Bedeutung ........................................................ 910
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 911
Lösungen ...................................................................................................................... 913
23 Aminosäuren ............................................................................................................... 916
23.1 Nomenklatur der Aminosäuren .......................................................................... 916
23.2 Aminosäuren in der Natur .................................................................................. 920
23.3 Struktur der Aminosäuren .................................................................................. 920
23.4 Darstellung der Aminosäuren ............................................................................. 921
23.4.1 Umsetzung von α-Halogencarbonsäuren mit Ammoniak..................... 922
23.4.2 Darstellung von Aminosäuren mit Hilfe der Malonestersynthese ........ 922
23.4.3 Die Strecker-Synthese........................................................................... 923
23.4.4 Die Erlenmeyersche Azlactonsynthese ................................................. 924
23.5 Reaktionen der Aminosäuren ............................................................................. 925
23.5.1 Säure-Basen-Eigenschaften der Aminosäuren ...................................... 925
23.5.2 Veresterung und Acylierung der Aminosäuren..................................... 928
23.5.3 Methylierung der Aminogruppe in Aminosäuren ................................. 929
23.5.4 Die N-Nitrosierung von Aminosäuren und Aminosäureestern ............. 929
23.5.5 Cyclisierung von Aminosäuren............................................................. 931
23.5.6 Kupfer-Komplexe der Aminosäuren ..................................................... 932
23.5.7 Die Oxidation von Cystein zu Cystin ................................................... 932
23.5.8 Farbreaktion mit Ninhydrin .................................................................. 932
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 934
Lösungen ...................................................................................................................... 936
Inhaltsverzeichnis XXI

24 Peptide und Proteine .................................................................................................. 940


24.1 Nomenklatur ....................................................................................................... 941
24.2 Bedeutung der Peptide und Proteine .................................................................. 942
24.3 Peptide ................................................................................................................ 943
24.3.1 Peptidhormone ...................................................................................... 943
24.3.2 Neuropeptide ......................................................................................... 946
24.3.3 Antibiotika auf Peptidbasis ................................................................... 947
24.3.4 Zoo- und Phytotoxine auf Peptidbasis .................................................. 949
24.4 Analyse der Peptide und Proteine ....................................................................... 949
24.4.1 Ermittlung der Aminosäure-Anteile im Protein .................................... 949
24.4.2 Bestimmung der Aminosäuresequenz ................................................... 950
24.5 Peptidsynthese .................................................................................................... 954
24.5.1 Schutzgruppen in der Peptidsynthese.................................................... 955
24.5.2 Die Aktivierung der Carboxygruppe..................................................... 958
24.5.3 Verlängerung der Peptidkette................................................................ 960
24.5.4 Festphasen-Peptidsynthese.................................................................... 961
24.6 Proteinstrukturen ................................................................................................ 964
24.6.1 Die Primärstruktur ................................................................................ 964
24.6.2 Die Sekundärstruktur ............................................................................ 965
24.6.3 Die Tertiärstruktur ................................................................................ 968
24.6.4 Die Quartärstruktur ............................................................................... 970
24.6.5 Die Denaturierung ................................................................................. 975
24.7 Klassifizierung der Proteine ............................................................................... 976
24.7.1 Fibrilläre Proteine ................................................................................. 976
24.7.2 Globuläre Proteine ................................................................................ 984
24.7.3 Konjugierte Proteine ............................................................................. 986
24.8 Proteine in der Ernährung ................................................................................... 989
24.8.1 Der Stoffwechsel der Proteine .............................................................. 989
24.8.2 Die Verdauung der Proteine.................................................................. 989
24.8.3 Proteasen und Peptidasen ...................................................................... 990
Übungsaufgaben ........................................................................................................... 995
Lösungen ...................................................................................................................... 996
25 Stickstoffhaltige Heterocyclen ................................................................................... 999
25.1 Nomenklatur stickstoffhaltiger Heterocyclen ..................................................... 999
25.2 Fünfringe mit Stickstoff als Heteroatom .......................................................... 1001
25.2.1 Pyrrol und seine Derivate.................................................................... 1001
25.2.2 Indol .................................................................................................... 1004
25.3 Sechsringe mit Stickstoff als Heteroatom......................................................... 1006
25.3.1 Pyridin und seine Derivate .................................................................. 1006
25.3.2 Stickstoffanaloga des Naphthalins ...................................................... 1011
25.3.3 Heterocyclen mit 2 Stickstoffatomen im Sechsring ............................ 1013
25.4 Siebenringe mit Stickstoff als Heteroatom ....................................................... 1014
25.5 Naturstoffe mit fünfgliedrigen Stickstoff-Heterocyclen ................................... 1015
25.5.1 Heterocyclen mit 1 Stickstoffatom im Fünfring ................................. 1015
25.5.2 Heterocyclen mit 2 Heteroatomen im Fünfring .................................. 1029
XXII Inhaltsverzeichnis

25.6 Naturstoffe mit sechsgliedrigen Stickstoff-Heterocyclen ................................. 1033


25.6.1 Heterocyclen mit einem Stickstoffatom im Sechsring ........................ 1033
25.6.2 Heterocyclen mit 2 Stickstoffatomen im Sechsring ............................ 1035
25.7 Bicyclische Heteroverbindungen...................................................................... 1037
25.7.1 Purinderivate ....................................................................................... 1037
25.7.2 Pterine ................................................................................................. 1039
25.7.3 Flavine ................................................................................................ 1041
Übungsaufgaben ......................................................................................................... 1044
Lösungen .................................................................................................................... 1045
26 Alkaloide ................................................................................................................... 1047
26.1 Alkaloide mit Pyrrolidin- und Indolstruktur ..................................................... 1047
26.1.1 Alkaloide mit Pyrrolidinstruktur ......................................................... 1047
26.1.2 Alkaloide mit Indolstruktur................................................................. 1047
26.2 Tropan-Alkaloide ............................................................................................. 1049
26.2.1 Tropin-Alkaloide ................................................................................ 1050
26.2.2 Pseudotropin-Alkaloide ...................................................................... 1051
26.3 Alkaloide mit Pyridin- und Piperidinstruktur ................................................... 1052
26.3.1 Pyridin-Alkaloide ............................................................................... 1052
26.3.2 Piperidin-Alkaloide............................................................................. 1053
26.4 Alkaloide mit Chinolin-Struktur....................................................................... 1054
26.5 Morphin- und Isochinolin-Alkaloide ................................................................ 1055
26.5.1 Opium, die Hauptquelle für Morphin- und Isochinolin-Alkaloide ..... 1055
26.5.2 Morphin-Alkaloide ............................................................................. 1055
26.5.3 Alkaloide mit Isochinolin-Struktur ..................................................... 1057
26.5.4 Berberin-Alkaloide ............................................................................. 1058
26.5.5 Curare-Alkaloide ................................................................................ 1058
Übungsaufgaben ......................................................................................................... 1059
Lösungen .................................................................................................................... 1060
27 Nucleinsäuren ........................................................................................................... 1063
27.1 Die Desoxyribonucleinsäure ............................................................................ 1064
27.1.1 Strukturen der Desoxyribonucleinsäure .............................................. 1067
27.2 Ribonucleinsäuren ............................................................................................ 1077
27.2.1 Die ribosomale RNA (r-RNA) ............................................................ 1078
27.2.2 Die Boten- oder Messenger-RNA (m-RNA) ...................................... 1079
27.2.3 Die Transfer-RNA (t-RNA) ................................................................ 1079
27.3 Die Biosynthese der Ribonucleinsäuren und der Proteine................................ 1081
27.3.1 Die Biosynthese der Ribonucleinsäuren ............................................. 1082
27.3.2 Die Biosynthese der Proteine .............................................................. 1083
Übungsaufgaben ......................................................................................................... 1091
Lösungen .................................................................................................................... 1092
Namensreaktionen ............................................................................................................ 1095
Sachwortverzeichnis......................................................................................................... 1105
1 Einführung
Wozu denn Organische Chemie lernen?
Die Organische Chemie ist die Chemie der Kohlenstoffverbindungen. Die Bezeichnung „or-
ganisch“ ist auf Berzelius (1806) zurückzuführen, der diese Verbindungen so benannte, weil
sie aus pflanzlichen und tierischen Organismen isoliert wurden. Es ist tatsächlich so, daß
alles Leben mit Kohlenstoffverbindungen und deren Umwandlungen verbunden ist. Die Or-
ganische Chemie bildet deshalb die Grundlage zum Verstehen von Prozessen in der lebenden
Natur. Desweiteren sind es organische Stoffe, die die Grundlage unserer Ernährung bilden
(Eiweiße, Zucker, Fette und Vitamine). Ohne Kohlenstoffverbindungen wäre auch unser
modernes Leben nicht denkbar: Wir sind umgeben von organischen Stoffen (Kunststoffe,
Farbstoffe, Waschmittel, Putzmittel, Kosmetika, Verpackungsmaterial, Kraftstoffe, Klebstof-
fe, Arzneimittel usw.) und verwenden sie im Haushalt und im Betrieb. Unsere Umwelt, und
die in der modernen Industriegesellschaft auftretenden Umweltprobleme, verstehen wir nicht
ohne Grundlagenkenntnisse der Organischen Chemie. Diese Kenntnisse braucht man auch
für das Verstehen anderer Wissenschaften, z. B. der Biologie, Medizin, Pharmazie, Toxiko-
logie und Ernährungswissenschaften.
Die keineswegs erschöpfende Aufzählung macht die Bedeutung der Organischen Chemie
ein wenig deutlich. Möglicherweise geben Ihnen diese Erwägungen auch einen Anreiz, sich
mit ihr eingehender zu befassen.

1.1 Das Kohlenstoffatom unter die Lupe genommen


Die Überschrift ist natürlich nicht so wörtlich zu nehmen, wie dies in Bild 1.1 dargestellt
wird, vielmehr ist sie so aufzufassen, daß wir uns mit dem Kohlenstoffatom etwas näher aus-
einandersetzen wollen.

C
Bild 1.1 Das Kohlenstoffatom „unter die Lupe genommen“

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 1


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
2 1 Einführung

- -
e e
K-Schale
- + -
e 6p e L-Schale

- - Atomkern
e e

Bild 1.2 Schalenmodell des Kohlenstoffatoms

Das Kohlenstoffatom hat im Kern außer den Neutronen, für die wir uns in diesem Zu-
sammenhang weiter nicht interessieren, noch 6 Protonen mit insgesamt 6 positiven Ladun-
gen. In der Atomhülle befinden sich 6 Elektronen mit insgesamt 6 negativen Ladungen, so
daß das Kohlenstoffatom nach außen hin elektroneutral ist. Legen wir unseren Überlegungen
zunächst das Schalenmodell1 zugrunde, so befinden sich auf der dem Kern nächstliegenden
Schale, der K-Schale, 2 Elektronen und auf der L-Schale, die gleichzeitig die Außenschale
des Kohlenstoffatoms ist, 4 Elektronen. Die Elektronen in der Außenschale sind an Bindun-
gen beteiligt und deshalb bezeichnet man sie als Valenzelektronen. Die Frage ist nun, wel-
cher Art diese Kohlenstoffbindungen sind, ob Ionenbindungen oder kovalente Bindungen.
Die Bildung einer Ionenbindung erfolgt durch eine Elektronenabgabe bei einem Atom
und einer Elektronenaufnahme bei einem anderen Atom. Das Atom, das ein Elektron spen-
det, wird zum positiven Ion (Kation), während das andere Atom durch den Elektronenemp-
fang in ein negatives Ion (Anion) umgewandelt wird. Beide Ionen sind durch die Anzie-

Hauptgruppen
Schalen
Perioden

I II III IV V VI VII VIII

1 2 Ordnungszahl
H He Elementsymbol
1 K 1 2 Elektronenkonfiguration
3 4 5 6 7 8 9 10 Ordnungszahl
Li Be B C N O F Ne Elementsymbol
K 2 2 2 2 2 2 2 2
Elektronenkonfiguration
2 L 1 2 3 4 5 6 7 8

Bild 1.3 Die Elektronenverteilung auf der K- und L-Schale für Elemente der ersten zwei Perioden
des Periodensystems der Elemente.

1
Bei Atomen, deren Elektronenhülle aus mehreren Elektronen besteht, benutzt man zur Charakterisie-
rung der Elektronenstruktur das Schalenmodell. Man geht davon aus, daß sich die Elektronen in einem
wahrscheinlichen Aufenthaltsraum in größerem oder kleinerem Abstand vom Kern bewegen und
spricht dann von Elektronenschalen, die bestimmten Energieniveaus von Energiezuständen entsprechen
(Modelle siehe auch Abschnitt 1.5)
1.1 Das Kohlenstoffatom unter die Lupe genommen 3

e- e- e- e-
- e- e - e-
e e- e- e-
-
3p+ e + 9p+ 3p+ + 9p+
- e- e- - e- e-
e e - e e-
e- e- e- e-
+ -
Li + F Li + F

Bild 1.4 Reaktion von Lithium und Fluor zum Lithiumfluorid (e– = Elektron, p+ = Proton)

hungskraft ungleichnamiger Ladungen gebunden. Durch die Elektronenabgabe auf der einen
und die Elektronenaufnahme auf der anderen Seite erreichen beide Bindungspartner die
stabile Elektronenkonfiguration des im Periodensystem nächstgelegenen Edelgases.
So wird z. B. Li durch die Abgabe eines Elektrons zum Li+-Kation, das die Elektronen-
konfiguration des Heliums besitzt (2 Elektronen auf der K-Schale), und Fluor, das ein Elek-
tron aufnimmt, wird zum Fluoridion F– mit der Elektronenkonfiguration des Neons (2 Elek-
tronen auf der K-Schale und 8 auf der L-Schale). Das Kohlenstoffatom müßte, um die
Elektronenkonfiguration des He oder Ne zu erreichen, entweder 4 Elektronen abgeben oder
4 Elektronen aufnehmen. Spielen wir dies gedanklich einmal durch. Bei der Abgabe eines
Elektrons wird der Kohlenstoff zunächst zum Kation C+. Da die Elektronen ja negative
Ladungsträger sind, wurde damit auch die negative Ladung auf der L-Schale um eine Ele-
mentarladung verringert. Die Abstoßungskräfte der gleichnamigen Ladungen auf dieser
Schale sind damit insgesamt kleiner geworden, die Elektronen werden näher zum Kern
verschoben und dadurch stärker an diesen gebunden. Die Abgabe eines weiteren Elektrons
ist infolge seiner stärkeren Bindung an den Kern mit viel größerem Energieaufwand ver-
bunden, und dieser vergrößert sich bei jeder weiteren Elektronenabgabe. Die Abgabe aller
4 Valenzelektronen des Kohlenstoffatoms ist also mit einem großen Energieaufwand ver-
bunden, und deshalb kann man die Bildung eines C4+-Kations nicht erwarten.
Durch Aufnahme eines Elektrons wird aus dem Kohlenstoffatom zunächst das Anion C–.
Der negative Ladungsüberschuß am C– macht sich bei Annäherung eines weiteren Elektrons,
das ja ebenfalls negative Ladung trägt, durch abstoßende Kräfte bemerkbar, so daß die Elek-
tronenaufnahme des zweiten Elektrons schon mit einem größeren Energieaufwand verbun-
den ist. Mit Vergrößerung der negativen Ladung im C2–- und C3–-Anion ist jede weitere
Elektronenaufnahme mit einem größeren Energieaufwand verbunden. Deshalb darf man
auch die Bildung eines C4–-Anions nicht annehmen.
Die kovalente Bindung (auch Atombindung genannt) wird auf die Weise gebildet, daß je-
des der beiden an der Bindung beteiligten Atome ein Elektron für die Bindung zur Verfü-
gung stellen. Sie teilen sich gemeinsam das Elektronenpaar, und damit erreicht jeder Bin-
dungspartner die stabile Elektronenkonfiguration des Edelgases. Da das Kohlenstoffatom die
stabile Elektronenkonfiguration eines Edelgases nicht durch Ausbildung einer Ionenbindung
erreichen kann, zeigt es eine extreme Neigung zur kovalenten Bindung.
Im Molekül des Methans z. B. bindet das Kohlenstoffatom kovalent vier Wasserstoff-
atome, womit es die Elektronenkonfiguration des Neons mit einem Elektronenoktett auf der
4 1 Einführung

H H H
: :

: :
: :
H:C:H H:C :H H:C:H
H H H
Lewis-Formel Elektronenoktett auf Elektronendublett auf
des Methans der Außenschale des der K-Schale des
Kohlenstoffatoms Wasserstoffatoms

Bild 1.5 Lewis-Formel des Methans

Außenschale erreicht, während die 4 Wasserstoffatome mit je 2 Elektronen die stabile Elek-
tronenkonfiguration des Heliums besitzen. Zur Veranschaulichung des Methanmoleküls wird
zunächst die Schreibweise von Lewis benutzt, wobei die Elektronen der Außenschale durch
einen Punkt symbolisiert werden.
In der Regel schreibt man diese Konstitutionsformeln noch einfacher, indem man ein
Elektronenpaar nicht durch zwei Punkte, sondern durch einen Strich symbolisiert und dies
sowohl bei der kovalenten Bindung als auch bei den nicht an einer Bindung beteiligten freien
Elektronenpaaren auf der Außenschale der Atome. Die kovalente Bindung bindet nicht nur
Atome verschiedener Elemente miteinander. Es können auch gleiche Atome kovalent gebun-
den sein, wie dies z. B. beim Wasserstoffmolekül H–H oder beim Chlormolekül Cl–Cl der
Fall ist. Die Kohlenstoffatome können sich sogar zu langen Ketten untereinander binden, die
unverzweigt

H H H H H H H H H H

z. B. H C C C C C C C C C C H
H H H H H H H H H H

oder verzweigt

H
H H
H H H C H H H H H H
z. B. H C C C C C C C C C C H
H H H H H H H H H H

sind. Kohlenwasserstoffe mit einer offenen Kohlenstoffkette, deren Kohlenstoffatome aus-


schließlich mit Einfachbindungen verknüpft sind, nennt man Alkane. Bei beiden vorange-
henden Formeln handelt es sich also um Alkane.

Kohlenstoffatome können auch ringförmig verknüpft sein (bei Cycloalkanen),


1.2 Die funktionellen Gruppen organischer Verbindungen 5

H H
C
H H
C C
H H
H H Cyclohexan
C C
H H
C
H H
und sie können ebenfalls mit einer Doppel- (bei Alkenen) oder Dreifachbindung (bei Alki-
nen) untereinander gebunden sein:

H H

z. B. C C H C C H
H H
Ethin
Ethen

Die in den Beispielen gebrachten Formeln zeigen die Verknüpfung der Atome unterein-
ander. Man bezeichnet solche Formeln als Konstitutionsformeln.

1.2 Die funktionellen Gruppen organischer Verbindungen


Die vielfachen Bindungsmöglichkeiten der Kohlenstoffatome untereinander (unverzweigte,
verzweigte Ketten, Ringe, Einfach-, Doppel- und Dreifachbindungen) lassen ahnen, daß al-
leine schon bei den Kohlenwasserstoffen, welche sich nur aus Kohlenstoff und Wasserstoff
zusammensetzen, eine sehr große Anzahl von Verbindungen denkbar ist. Wenn man sich nun
vorstellt, daß die Kohlenstoffatome nicht nur Wasserstoffatome, sondern auch andere Atome
zu binden vermögen, so kann man ermessen, welch eine ungeheure Anzahl von organischen
Verbindungen es gibt. Kohlenstoff und Wasserstoff unterscheiden sich in ihrer Elektronegati-
vität wenig, und die kovalente C-H-Bindung ist deshalb nicht polarisiert. Sauerstoff, Stick-
stoff und Halogene hingegen sind elektronegativer als Kohlenstoff. Der elektronegativere
Partner zieht die Bindungselektronen näher an sich, so daß die C–O-, C–N- und C–Cl-
Bindungen polarisiert sind. Man kann sich vorstellen, daß infolge der unsymmetrischen Ver-
teilung der Elektronendichte der Kohlenstoff in diesem Falle eine winzige positive Teilladung
δ+ besitzt, während das Sauerstoff-, das Stickstoff- oder das Chloratom eine winzige negative
Teilladung δ– aufweisen. Die Stellen im Molekül mit polarisierter Bindung bilden einen An-
griffspunkt für verschiedene Reagenzien, und so bedingt ein im Molekül der organischen
Verbindung befindliches elektronegatives Atom oder eine elektronegative Gruppe die Reak-
tivität dieser Verbindung. Diese Atome bzw. Gruppen von Atomen prägen das chemische
Verhalten organischer Verbindungen, sie haben bei deren chemischen Umsetzungen eine
Schlüsselfunktion. Man bezeichnet sie als funktionelle Gruppen. Die funktionellen Gruppen
ermöglichen eine Zuordnung organischer Verbindungen zu bestimmten Stoffklassen. Die
Einordnung organischer Verbindungen in Stoffklassen gewährt ein überschaubares Ord-
nungssystem, was bei der ungeheuren Anzahl dieser Verbindungen sicher wichtig ist. In Ta-
belle 1.1 erfolgt eine Auflistung der wichtigsten funktionellen Gruppen mit den ihnen ent-
sprechenden Stoffklassen und deren Formeln. Das Symbol R in der allgemeinen Formel steht
6 1 Einführung

für einen beliebigen Alkylrest. Diesen in der Formelschreibung vielfach benutzten Rest erhält
man aus der Formel des Alkans (siehe Kap. 2) durch Wegnahme eines Wasserstoffes.

Tabelle 1.1 Übersicht über die Stoffklassen organischer Verbindungen

Stoffklasse Konstitutionsformel charakteristisches Strukturelement


oder funktionelle Gruppe

A) Kohlenwasserstoffe
H H
Alkane (Paraffine,
Grenzkohlenwasserstoffe) Einfachbindung
R C C R C C

H H
H R
Alkene (Olefine) C C C C Doppelbindung
R H
Alkine (Acetylene) R C C R C C Dreifachbindung
CH2
Cycloalkane H2C Ringstruktur
(CH2)n

Aromaten aromatischer Ring

B) Sauerstoffhaltige Verbindungen

Alkohole R CH2 O H O H Hydroxygruppe


Alkanole
O H Hydroxygruppe am aroma-
Phenole O H tischen Ring

Die Gruppe –O–R wird als


Ether R O R C O C Alkoxygruppe bezeichnet

H H
Aldehyde R C C Formylgruppe
Alkanale O O

Ketone O Ketogruppe oder Car-


Alkanone C O bonylgruppe
R C R
1.2 Die funktionellen Gruppen organischer Verbindungen 7

Tabelle 1.1 Fortsetzung Übersicht über die Stoffklassen organischer Verbindungen

Stoffklasse Konstitutionsformel charakteristisches Strukturelement oder


funktionelle Gruppe
R O R
C
H O R

Acetal
Acetale, Ketale Acetalgruppierung
R O R
C
R O R

Ketal
O O
Carbonsäuren Carboxygruppe
Alkansäuren R C C
O H O H

O O

Säureanhydride R C C
Carbonyloxycarbonyl-
O O gruppe
R C C
O O

O O
Ester Alkoxycarbonylgruppe
R C O R' C O R'
Estergruppierung
H
Lactone Estergruppierung im Ring
R C (CH2)n

O C
O

C) Halogenverbindungen
Halogenalkane R X X = Halogen =
(Alkylhalogenide) –F, –Cl, –Br, –I
Halogencarbonsäuren H Halogen –X und auch
R C (CH2)n COOH
Carboxygruppe –COOH
im Molekül
X

Säurehalogenide O O Halogenocarbonylgruppe
Alkanoylhalogenide
Acylhalogenide R C C
X X
8 1 Einführung

Tabelle 1.1 Fortsetzung Übersicht über die Stoffklassen organischer Verbindungen

Stoffklasse Konstitutionsformel charakteristisches Strukturelement oder


funktionelle Gruppe

D) Stickstoffverbindungen

Amine R NH2 NH2 Aminogruppe

sekundäre Amine R NH R

R N R
tertiäre Amine
R

quartäre Ammoniumsalze R N(CH3)3 Cl


O O
Säureamide R C C Aminocarbonylgruppe
NH2 NH2 (Carbamoylgruppe)

H
Aminogruppe –NH2 und
Aminosäuren R C COOH
Carboxygruppe –COOH
NH2 im Molekül

Nitroalkane R CH2 NO2 NO2 Nitrogruppe

Nitrosoalkane R CH2 N O N O Nitrosogruppe


H
C NH
Aldimin
Aldimine, Ketimine R C NH Iminogruppe
R C
NH
Ketimin

Diazoniumverbindungen Ar N N N N Diazoniumgruppe

Azoverbindungen Ar N N Ar N N
Azogruppe
Ar = Arylgruppe
Nitrile, Cyanide R C N C N Nitril-, Cyanogruppe

Isonitrile R N C N C Isonitrilgruppe
1.2 Die funktionellen Gruppen organischer Verbindungen 9

Tabelle 1.1 Fortsetzung Übersicht über die Stoffklassen organischer Verbindungen

Stoffklasse Konstitutionsformel charakteristisches Strukturelement oder


funktionelle Gruppe

E) Schwefelverbindungen

Mercaptane (Thiole) R S H S H Mercaptogruppe


(Thiolgruppe)

Disulfide R S S R S S Disulfidbrücke

Thioether R S R C S C (Die Gruppe R–S– ist die


Alkylthiogruppe)
H H
Thioaldehyde R C C Thioformylgruppe
S S

R R
Thioketone R C C Alkylthionogruppe
(Thione) S S

O
Sulfone R SO2 R Sulfonylgruppe
S

O
Sulfonsäuren R SO3H Sulfogruppe
S OH

O O
Sulfonsäureester Alkylsulfogruppe
R S O S O R

O R O

O
Alkylsulfonylchlorid R SO2Cl Sulfonylchloridgruppe
S Cl

O
10 1 Einführung

1.3 Die wellenmechanische Beschreibung der Elektronen im


Kohlenstoffatom

1.3.1 Die Wellennatur des Elektrons


Ähnlich dem Welle-Teilchen-Dualismus beim Licht kann man auch den Elektronen sowohl
Teilchen- als auch Wellencharakter zusprechen. Elektronen mit hoher kinetischer Energie
können nach der Beziehung von de Broglie
h
λ=
m⋅ v
λ = Wellenlänge, h = Plancksche Konstante, m = Masse und v = Geschwindigkeit
als Wellen sehr kurzer Wellenlänge betrachtet werden. Schon 1927 gelang es, die Wellen-
natur des Elektrons durch Beugung von Elektronenstrahlen am Kristallgitter zu beweisen.
Die Wellen- oder Quantentheorie greift diesen Wellencharakter auf und betrachtet das Elek-
tron im Atom als stehende räumliche Welle. Diese räumliche Welle kann vereinfacht mit der
stehenden Welle einer schwingenden Saite verglichen werden, die bei gegebener Saitenlänge
Grund- und Oberschwingungen mit bestimmter Wellenlänge und einem bestimmten Ener-
giegehalt aufweist.
Die Welle können wir als räumlich sich fortpflanzende Schwingungen betrachten. Gehen
wir von einer Gleichgewichtslage der Schwingung aus, bei der die Auslenkung = 0 ist, so
wird die Auslenkung bei Fortpflanzung der Welle größer, bis sie einen Maximalwert, die
Amplitude, erreicht, worauf sie wieder kleiner wird und nach Überschreiten der Gleich-

λ3
Knoten
2
λ3
1=3. 2
+ + +
- - -
λ2
2
+ + λ2
1=2. 2
Energie

- -
Gleichgewichtslage
+ λ1
1=1. 2
-
λ1
2
Saitenlänge1

Bild 1.6 Stehende Welle einer schwingenden Saite


1.3 Die wellenmechanische Beschreibung der Elektronen im Kohlenstoffatom 11

gewichtslage (Auslenkung = 0 ) in die entgegengesetzte Phase übergeht. Die Stelle der Wel-
le, an der keine Auslenkung zu verzeichnen ist, bezeichnet man als Knoten. Mit zunehmen-
der Anzahl der Knoten ist die Welle energiereicher. Den Teil der Wellenbewegung, der über
dem Knoten (Auslenkung = 0) liegt, bezeichnet man willkürlich als positiv, und man spricht
von der positiven Phase der Wellenbewegung (siehe „+“ in Bild 1.6), während man den da-
runterliegenden Teil der Wellenbewegung als negative Wellenphase mit negativem Zeichen
auffaßt.2 Zwei Wellen können sich überlagern, woraus eine neue Welle resultiert. Schwingen
beide Wellen in der gleichen Phase (das gleiche Vorzeichen der Phase), vergrößert sich die
Auslenkung der Schwingungen, im anderen Falle werden die Schwingungen kleiner oder
sind im Extremfall gleich Null, d. h. beide Wellen löschen sich im Extremfall aus.

1.3.2 Quantenzahl und Energieniveau

Aufschluß über mögliche Energiezustände der Elektronen im Atom gibt die Auswertung von
Spektren. Die Hauptenergieniveaus (Schalen im Schalenmodell) bezeichnet man mit den
Buchstaben K, L, M, N usw., wobei die K-Schale mit dem niedrigsten Energieniveau dem
Atomkern am nächsten ist, und die Schalen in der Reihenfolge L, M, N usw. vom Atomkern
weiter entfernt sind. Das Hauptenergieniveau ist definiert durch die Hauptquantenzahl n,
eine natürliche Zahl z. B. 1 = K-Schale, 2 = L-Schale, 3 = M-Schale usw.
Elektronen auf der gleichen Schale können im Energiegehalt etwas differieren, so daß
man noch Unterniveaus (Unterschalen) unterscheidet und den Elektronen einen s-, p-, d- und
f-Zustand zuordnet. Diese Bezeichnungen stammen von Namen bestimmter Spektrallinien-
serien (s = sharp, p = principal, d = diffuse und f = fundamental). Die Unterniveaus werden
durch die Nebenquantenzahlen l charakterisiert, die in Abhängigkeit von der Hauptquanten-
zahl die Werte 0, 1, 2 ... bis (n–1) annehmen können. Der Wert l = 0 entspricht dem s-
Zustand, l = 1 dem p-Zustand, l = 2 dem d-Zustand und l = 3 dem f-Zustand. Die magneti-
sche Quantenzahl m bestimmt das Verhalten des Elektrons im Magnetfeld und kann die
Werte von –l, –(l–1), ... 0 ... l–1, l annehmen. Jeder magnetischen Quantenzahl m kann man
zwei Spinquantenzahlen s zuordnen, die den Drehsinn des Elektrons um seine Achse be-
schreiben und die Werte –1/2 bzw. +1/2 haben. Beachtet man das Paulische Ausschluß-
prinzip, das besagt, daß die Elektronen in jedem Atom sich mindestens in einer Quantenzahl
unterscheiden müssen, so kann man in den Energieniveaus die aus Tabelle 1.2 ersichtliche
Verteilung der Elektronen annehmen.
Die K-Schale kann mit maximal 2 s-Elektronen, die L-Schale mit 2 s-und 6 p-Elektronen,
die M-Schale mit 2 s-, 6 p- und 10 d-Elektronen besetzt werden. Wie das Energieni-
veauschema zeigt, steigt das Energieniveau von der K- zur L- und zur M-Schale. Das Füllen
der Schalen mit Elektronen erfolgt auf die Weise, daß zunächst die energieärmste K-Schale,
dann die L-Schale und darauffolgend die M-Schale besetzt werden. In der L-Schale wird zu-
nächst das s-Niveau, dann erst das p-Niveau mit Elektronen besetzt. Der Kohlenstoff mit ins-
gesamt 6 Elektronen hat im Grundzustand seine K-Schale mit zwei s-Elektronen und die L-

2
Das + und – der Wellenphasen haben nichts mit einer positiven oder negativen Ladung zu tun!
12 1 Einführung

Tabelle 1.2 Verteilung der Elektronen in den Energieniveaus (für n = 1, 2 und 3).

Haupt- Hauptenergi- Nebenquan- Unterener- Magnetquan- Spinquan- Maximale


quanten- eniveau tenzahl l gieniveau tenzahl m (–l tenzahl Anzahl der
zahl n (Schale) (0, 1, 2 ... ...0... + l) Elektronen
n–1)
1 K 0 s 0 –1/2, +1/2 2
2 L 0 s 0 –1/2, +1/2 2
1 p –1 –1/2, +1/2 6
0 –1/2, +1/2 insges. 8
+1 –1/2, +1/2
3 M 0 s 0 –1/2, +1/2 2
1 p –1 –1/2, +1/2 6
0 –1/2, +1/2
+1 –1/2, +1/2
2 d –2 –1/2, +1/2 10
–1 –1/2, +1/2
0 –1/2, +1/2 insges. 18
+1 –1/2, +1/2
+2 –1/2, +1/2

-
3d (10 e )
-
M-Schale n = 3 (18 e )
3p (6 e- )
-
3s (2 e )

-
Energie

2p (6 e )
-
L-Schale n = 2 (8 e )
-
2s (2 e )

-
K-Schale n = 1 (2 e ) -
1s (2 e )

Bild 1.7 Energieniveauschema der K-, L- und M-Schale (e– = Symbol für Elektron)

Schale mit zwei s- und zwei p-Elektronen besetzt. Die Besetzung der Schalen mit Elektronen
kann man auf vereinfachte Weise so angeben, daß man zuerst die Hauptquantenzahl nennt,
dann das Unterenergieniveau, worauf man die Anzahl der Elektronen, die sich in dem Un-
terenergieniveau befinden, als Hochzahl anfügt. Die Elektronenkonfiguration des Kohlen-
stoffatoms würde man also angeben mit:
1.3 Die wellenmechanische Beschreibung der Elektronen im Kohlenstoffatom 13

1s2 2s2 2p2

Anzahl Elektronen
Unterenergienivau (Unterschale)
Hauptquantenzahl

1.3.3 Orbitale und kovalente Bindungen

1.3.3.1 s- und p-Orbitale


Prof. Debye in Zürich beauftragte eines Tages seinen Assistenten mit der Aufgabe, die Ar-
beiten von de Broglie im Seminar mit Studenten zu besprechen. Der Assistent verwies auf
seine unzureichenden didaktischen Fähigkeiten, und es bedurfte der ganzen Autorität De-
byes, den Assistenten doch noch dazu zu bewegen, das Seminar zu leiten. Der Assistent,
nach dem Verlauf des Seminars befragt, zeigte dem Professor seine Gleichungen, mit denen
er das Thema den Studenten verständlich machen wollte. Nach Erblicken der Gleichungen
rief Debye angeblich aus: „Mensch, Sie haben doch die fundamentalen quantenmechani-
schen Gleichungen formuliert!“. Der Assistent hieß E. Schrödinger.
Die Schrödinger-Gleichung beschreibt, analog den Wellen einer schwingenden Saite, das
Elektron im Atom als stehende räumliche Welle, sie lautet:

8π 2 m
ΔΨ + (E − V )Ψ = 0
h2

Der Laplacesche Differenzialoperator Δ ist eine Rechenvorschrift für die zweite Ablei-
tung einer Funktion nach Ortskoordinaten, π ist die Ludolphsche Zahl (3,14....), m die
Masse des Elektrons, h die Plancksche Konstante, E die Gesamtenergie und V die potentielle
Energie des Elektrons. Ψ wird als Wellenfunktion bezeichnet.
Ψ2dv ist das Maß für die Wahrscheinlichkeit, das Elektron in einem Volumenelement dv
anzutreffen, so daß Ψ2 den zeitlichen Durchschnitt der Ladungsverteilung angibt, wobei man
die stehende Welle als negativ geladene Ladungswolke betrachtet. Aufgrund der Randbedin-
gungen, die sich aus der physikalischen Realität des Atoms ergeben, hat die Wellengleichung
nur für bestimmte Energien des Systems eine Lösung, woraus sich zwingend die Quan-
telung3 der Energieniveaus ergibt. Die Wellenfunktionen Ψ, welche zu solchen reellen Lö-
sungsmöglichkeiten führen, bezeichnet man als Eigenfunktionen oder auch als Atomorbitale.
In übertragenem Sinne gebraucht man den Ausdruck Atomorbital auch für den Raum, in dem
sich ein Elektron oder ein Elektronenpaar mit größter Wahrscheinlichkeit befindet. In der
graphischen Darstellung erscheinen Atomorbitale als kugel- oder lappenförmige Gebilde.
Die Atomorbitale unterscheiden sich durch ihr Energieniveau. Es werden zunächst die Orbi-
tale mit niedrigstem Energieniveau besetzt, wobei ein Orbital höchstens von zwei Elektronen
besetzt werden kann und beide Elektronen sich in ihrem Spin unterscheiden müssen.

3
Unter „Quantelung“ versteht man das Vorliegen diskreter, durch Quantenzahlen beschreibbarer Ener-
gieniveaus. Änderungen in Energiezuständen können nicht kontinuierlich, sondern nur in quantenmä-
ßigen Sprüngen erfolgen.
14 1 Einführung

1s-Orbital
2s-Orbital

Kern

kugelsymmetrische
Knotenfläche
Schnitt durch 1s-
Einschnitt und 2s-Orbital

Bild 1.8 1s- und 2s-Orbital

Das 1s-Orbital entspricht der Wellenfunktion mit der niedrigsten Energie. Es läßt sich
graphisch als diffuse kugelsymmetrische Elektronenwolke abbilden, in deren Mitte der
Atomkern liegt. Das 1s-Orbital hat keine Knotenebene. Das nächsthöhere Energieniveau hat
eine reelle Lösung der Wellengleichung, die dem 2s-Orbital entspricht. Dieses kann man
ebenfalls kugelsymmetrisch abbilden, es hat jedoch eine weitere Ausdehnung als das 1s-Or-
bital. Zwischen dem 1s- und dem 2s-Orbital befindet sich eine kugelsymmetrische Knoten-
fläche, auf der die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Elektrons gleich Null ist. Wie bei der
klassischen Welle ist das Vorzeichen auf beiden Seiten der Knotenebene entgegengesetzt.

z
Knotenebene

x Pz-Orbital

y
Atomkern

Bild 1.9 Das pz-Orbital


1.3 Die wellenmechanische Beschreibung der Elektronen im Kohlenstoffatom 15

z z z

x x x

y y y

(a) (b) (c)

Bild 1.10 Orientierung der px- (a), py- (b) und pz-Orbitale (c) im kartesischen Koordinatensystem

Für das nächsthöhere Niveau ergeben sich drei energetisch äquivalente Lösungen, das
2px-, 2py- und 2pz-Orbital, die im Gegensatz zu den s-Orbitalen räumlich gerichtet sind und
eine Hantelform besitzen, oder noch eher die Form zweier aufeinanderliegenden Brotlaibe,
mit einer durch den Atomkern verlaufenden Knotenebene. Bild 1.9 zeigt das 2pz-Orbital.
Man stelle sich vor, die Symmetrieachse des Orbitals wäre identisch mit der z-Achse eines
kartesischen Koordinatensystems und der Atomkern läge im Ursprung der Koordinaten. Die
Knotenebene des 2pz-Orbitals liegt dann in der Ebene der x- und y-Achse. Die beiden über
und unter der Knotenebene liegenden Orbitallappen befinden sich in entgegengesetzter Pha-
se. Dies wird durch die Zeichen + und – verdeutlicht.
Die räumliche Anordnung der px-, py- und pz-Orbitale im kartesischen Koordinatensystem
stelle man sich so vor, daß die p-Orbitale räumlich so orientiert werden können, daß ihre
Symmetrieachsen jeweils mit den Achsen des kartesischen Koordinatensystems identisch
sind (siehe Bild 1.10).
Die px-, py- und pz-Orbitale stehen im Atom senkrecht zueinander, so daß der Atomkern
im Symmetriezentrum der Orbitale liegt.

py-Orbital
z

pz-Orbital x
y

px-Orbital

Bild 1.11 Räumliche Anordnung der px-, py- und pz-Orbitale im Atom
16 1 Einführung

1.3.3.2 Die σ- und π-Bindung


Die Kovalenzbindung ist am einfachsten am Beispiel der Entstehung eines Wasserstoffmo-
leküls zu erklären: 2 Wasserstoffatome, deren s-Orbitale mit je einem Elektron besetzt sind,
nähern sich einander. Während im isolierten Wasserstoffatom nur die elektrostatische An-
ziehungskraft zwischen Elektron und Proton besteht, wird bei starker Näherung zweier
Wasserstoffatome auch die Anziehungskraft des Kerns des anderen Atoms auf das Elektron
wirksam. Schließlich dringen die negativen Ladungswolken der beiden einfach besetzten
s-Orbitale ineinander ein, sie „überlappen“. Die beiden mit je einem Elektron besetzten
Atomorbitale verschmelzen zum doppelt besetzten σ-Molekülorbital. Die negative La-
dungsdichte zwischen den Kernen ist besonders groß und bewirkt den Zusammenhalt der
beiden positiv geladenen Kerne im Wasserstoffmolekül. In diesem haben beide Kerne einen
Gleichgewichtsabstand, bei dem sich alle anziehenden (zwischen Atomkernen und Elektro-
nen) und abstoßenden Kräfte (zwischen beiden Protonen und zwischen Elektronen) im
Gleichgewicht befinden. Mit diesem Abstand erreicht das aus zwei Wasserstoffatomen be-
stehende System ein Energieminimum. Die Bindung zwischen beiden Kernen wird als σ-
Bindung bezeichnet, der Abstand beider Kerne voneinander als Bindungslänge.
Zu einer σ-Bindung führt nicht nur die Überlappung zweier s-Orbitale(z. B. im H2-Mole-
kül), sondern auch die Überlappung eines 1s- mit einem 2p-Orbital (z. B. im HF-Molekül)
oder zweier 2p-Orbitale entlang der Kernverbindungsachse (z. B. beim F2-Molekül). Über-
lappen zwei 2p-Orbitale senkrecht auf der Kernverbindungsachse, so wird eine π-Bindung
gebildet (z. B. im Ethen). Durch In-Phase-Überlappung (beide Phasenzeichen gleich) wird
ein bindendes Molekülorbital gebildet, die Außer-Phase-Überlappung (ungleiche Phasen-
zeichen der Orbitallappen) läßt ein antibindendes Molekülorbital entstehen. Im bindenden
Molekülorbital ist die Wellenfunktion im Bereich zwischen den Atomkernen verstärkt, und
die Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Bindungselektronen zwischen den Kernen ist groß.
Beim antibindenden Molekülorbital hingegen erfolgt eine Schwächung oder Auslöschung

E0 = Summe der potentiellen Energie


zweier isolierter Wasserstoffatome
r0 = Bindungslänge
Potentielle Energie

D = Bindungsenergie

E0

D
r0

Kernabstand

Bild 1.12 Die potentielle Energie als Funktion des Kernabstandes, wenn sich zwei H-Atome einander
nähern
1.3 Die wellenmechanische Beschreibung der Elektronen im Kohlenstoffatom 17

+ +
+ + + + - - + + -
- -
s s s p p p
p p

+ + - - + - +

σ-Bindungen π-Bindung

Bild 1.13 Überlappung von s- und p-Orbitalen zu bindenden Molekülorbitalen


(• = Kern- oder Atomrumpf)

der Wellenfunktion zwischen den Kernen. Bei der Bildung einer kovalenten Bindung bleibt
das antibindende Molekülorbital meistens unbesetzt.
Für Molekülorbitale gilt ebenso wie für Atomorbitale, daß sie nur von maximal 2 Elek-
tronen besetzt sein können, wobei diese entgegengesetzten Spin haben müssen.

1.3.4 Hybridorbitale
Im Grundzustand des Kohlenstoffatoms ist das 1s-Orbital mit 2 Elektronen und das 2s-Or-
bital ebenfalls mit 2 Elektronen besetzt. Verbleiben also noch 2 Elektronen für die Besetzung
der p-Orbitale. Hierbei gilt die Hundsche Regel, wonach energetisch gleichwertige Orbitale
zunächst alle einfach mit Elektronen zu besetzen sind und erst dann eine Doppelbesetzung
dieser Orbitale erfolgen kann. Demnach werden beim Kohlenstoff im Grundzustand zwei 2p-
Orbitale einfach besetzt, das weitere 2p-Orbital bleibt unbesetzt. Die Besetzung der Orbitale
des Kohlenstoffs im Grundzustand zeigt das Schema in Bild 1.14, wobei die einzelnen Käst-
chen die Orbitale, die Pfeile die Elektronen und die Pfeilrichtungen ihren Spin veranschauli-
chen sollen. Für Bindungen mit Wasserstoff stehen also beim Kohlenstoffatom im Grundzu-
stand nur die beiden einfach besetzten p-Orbitale zur Verfügung, da sein 2s-Orbital schon
doppelt besetzt ist. Die beiden einfach besetzten p-Orbitale des C-Atoms könnten mit s-
Orbitalen zweier Wasserstoffatome überlappen, die ebenfalls mit einem Elektron besetzt
sind, und zwei jeweils doppelt mit Elektronen besetzte σ-Molekülorbitale bilden. Demnach
sollte also bei der Reaktion des Kohlenstoffs mit Wasserstoff die Verbindung CH2 entstehen.
Eine solche Verbindung wäre sehr energiereich und damit unstabil; der Kohlenstoff wäre in
dieser Verbindung zweibindig und hätte anstelle des Oktetts nur ein Elektronensextett auf
seiner Außenschale:
H
C
H
18 1 Einführung

2p

Ε 2s

1s

Bild 1.14 Besetzung der Atomorbitale des Kohlenstoffs im Grundzustand

Eine solche Verbindung, das Carben, ist zwar als enorm reaktionsfähiges Partikel be-
kannt, das nur sehr kurze Zeit existieren kann, aber seine Bindungsverhältnisse entsprechen
nicht dem Kohlenstoffatom im Grundzustand. Außerdem wissen wir, daß der Kohlenstoff in
seinen stabilen Verbindungen in der Regel vierbindig ist. Die entsprechenden Bindungsver-
hältnisse des vierbindigen Kohlenstoffs in organischen Verbindungen erklärt man im wellen-
mechanischen Modell mit der Hybridisierung der s- und p-Orbitale. Quantenmechanisch
kann man die Hybridorbitale durch Kombination der die ursprünglichen Orbitale beschrei-
benden Eigenfunktionen ableiten. Es handelt sich hier also um eine mathematische Umfor-
mung der 2s- und 2p-Orbitale in energetisch gleichwertige Orbitale, die Hybridorbitale. Sie
stellen ein Orbitalsystem vor, das ein besseres Verständnis der Bindungsverhältnisse kova-
lenter Bindungen in organischen Verbindungen ermöglicht, das den realen Gegebenheiten
besser entspricht. An der Hybridisierung der Atomorbitale des Kohlenstoffs ist jeweils das
2s-Orbital beteiligt und ein, zwei oder drei 2p-Orbitale. Die Anzahl der Hybridorbitale ent-
spricht der Anzahl der ursprünglichen Orbitale. Die Hybridisierung des 2s- und eines 2p-Or-
bitals ergibt zwei sp-Hybridorbitale, des 2s- und zweier 2p-Orbitale ergibt drei sp2-Hybrid-
orbitale und des 2s- und aller drei 2p-Orbitale ergibt vier sp3-Hybridorbitale. Die hochge-
stellte Zahl gibt an, wieviel p-Orbitale an der Hybridisierung beteiligt sind.

1.3.4.1 sp3-Hybridorbitale
Nach der von Pauling eingeführten Vorstellung beeinflussen sich Atomorbitale gegenseitig
so, daß es zu einem Energieausgleich (Hybridisierung) kommt, der zu energetisch gleichen
Hybridorbitalen führt. Quantenmechanisch kann man sich die neuen hybriden Orbital-Eigen-
funktionen durch Kombination der die ursprünglichen Orbitale beschreibenden Eigenfunk-
tionen Ψ entstanden denken. Die Hybridisierung des 2s-Orbitals mit den drei 2p-Orbitalen
ergibt vier äquivalente sp3-Hybridorbitale.
Durch die Mischung eines 2s-Orbitals mit drei 2p-Orbitalen erfolgt bei der Hybridisie-
rung eine Umformung der Orbitallappen. Das sp3-Hybridorbital hat die Form einer Keule.
1.3 Die wellenmechanische Beschreibung der Elektronen im Kohlenstoffatom 19

z z z
+
+
+ - - -
x - + x x +
- - +
+
y y y
s + px + py + pz vier sp3-Orbitale

Hybridisierung

Bild 1.15 Die Hybridisierung eines s- und dreier p-Orbitale ergibt vier sp3-Hybridorbitale

Der größere Orbitallappen wird als Vorderlappen, der kleinere als Hinterlappen bezeichnet.
Das Plus- und das Minuszeichen kennzeichnen die Phase des Orbitallappens, sie dürfen nicht
mit einer elektrischen Ladung verwechselt werden! Es sei noch darauf hingewiesen, daß
auch sp2- und sp-Hybridorbitale eine Keulenform haben.
Die sp3-Hybridisierung hat eine veränderte räumliche Ausrichtung der Orbitale zur Folge,
wie in Bild 1.17 veranschaulicht wird. Die Symmetrieachsen der sp3-Hybridorbitale weisen
in die Ecken eines gedachten Tetraeders und schließen einen Winkel von 109°28' ein.
Die Elektronenverteilung im Kohlenstoffatom mit vier sp3-Hybridorbitalen wird in Bild
1.18 aufgezeigt. Das Kohlenstoffatom besitzt insgesamt sechs Elektronen. Zwei Elektronen
besetzen das 1s-Orbital, so daß noch vier Elektronen zur Besetzung der vier sp3-Orbitale
verbleiben. Nach der Hundschen Regel erfolgt die Besetzung der vier gleichwertigen sp3-
Orbitale mit je einem Elektron. Die Hundsche Regel besagt, daß bei gleichwertigen Orbita-
len diese zunächst einfach besetzt werden. Erst nachdem alle gleichwertigen Orbitale einfach
besetzt sind, kann eine Doppelbesetzung erfolgen.
Die vier einfach besetzten sp3-Hybridorbitale des C-Atoms können mit den einfach be-
setzten s-Orbitalen des Wasserstoffes überlappen und vier äquivalente C–H-σ-Bindungen
ausbilden. Dies entspricht der Bindungsrealität im Methan.

Hinterlappen
(back lobe)
+ -
Kern
Knotenebene
Vorderlappen

Bild 1.16 Das sp3-Hybridorbital


20 1 Einführung

Kern
109°28‘

109°28‘
109°28‘

= Symmetrieachse
der sp3-Orbitale

Bild 1.17 Räumliche Anordnung der vier sp3-Hybridorbitale

Das Zustandekommen einer C–C-σ-Bindung kann man sich so vorstellen, daß das sp3-
Hybridorbital eines C-Atoms mit dem eines anderen C-Atoms überlappt. Geht man von der
Vorstellung aus, daß sich auch Sauerstoff- und Stickstoffatome im sp3-Zustand befinden
können und daß ihre sp3-Hybridorbitale mit den sp3-Hybridorbitalen des Kohlenstoffs über-
lappen und σ-Bindungen bilden können, so kann man damit auch das Zustandekommen der
C–O- und C–N-σ-Bindungen erklären.

Ε 2 (sp3)4

1s2

Bild 1.18 Elektronenverteilung im sp3-hybridisierten C-Atom


1.3 Die wellenmechanische Beschreibung der Elektronen im Kohlenstoffatom 21

s-Orbital H
σ-Orbital
H
sp3-Orbital

C C
H
H H
H H
H

Überlappung der sp3-Orbitale des Das Methan-Molekül mit


sp3-hybridisierten C-Atoms mit den tetraedischer Anordnung
s-Orbitalen des Wasserstoffatoms der σ-Orbitale

Bild 1.19 Räumliche Anordnung der σ-Orbitale im Methanmolekül

In Bild 1.20 ist die Besetzung der Orbitale mit Elektronen durch Punkte veranschaulicht.
Man geht von der Annahme aus, daß das Sauerstoffatom und das Stickstoffatom bei Vorlie-
gen einer C–O- bzw. C–N-σ-Bindung ebenfalls sp3-hybridisiert sind. In den nichtbindenden
Orbitalen des Sauerstoffes und Stickstoffes sind in der Abbildung die freien Elektronenpaare
durch zwei Punkte veranschaulicht. Die mit einem Elektron besetzten Orbitale können noch
mit einem anderen Orbital, das ebenfalls mit einem Elektron besetzt ist, überlappen.

= mit einem Elektron,


C H C H = mit zwei Elektronen besetzt

Überlappung C-H-σ-Bindung

C C C C

C-C-σ-Bindung

C O C O

C-O-σ-Bindung

C N C N

C-N-σ-Bindung

Bild 1.20 Bildung von σ-Bindungen durch Überlappung mit sp3-Hybridorbitalen


22 1 Einführung

1.3.4.2 sp2-Hybridorbitale
Trigonale Atom-Hybridorbitale haben für den Kohlenstoff ebenfalls Bedeutung. Mit ihrer
Hilfe kann man die Bindungsverhältnisse in Alkenen und in Carbeniumionen erklären. Bei
der trigonalen- oder sp2-Hybridisierung wird das pz-Orbital unverändert gelassen, und es
werden ein 2s-, das 2px- und das 2py-Orbital umgeformt. Man erhält durch diese mathemati-
sche Operation drei gleichwertige, keulenförmige sp2-Hybridorbitale.
Alle drei sp2-Hybridorbitale (schraffiert gezeichnet) liegen in einer Ebene (in Bild 1.22
ist es die xy-Ebene ), ihre Symmetrieachsen schließen einen Winkel von 120° ein. Die Sym-
metrieachse des nach der sp2-Hybridisierung verbliebenen 2pz-Orbitals steht senkrecht zu
dieser Ebene, wobei sich ein Orbitallappen des p-Orbitals über, der andere unter der Ebene
befindet.
Bei der Überlegung, wie die Orbitale im sp2-hybridisierten Kohlenstoff mit Elektronen
besetzt sind, geht man von der Vierbindigkeit des Kohlenstoffatoms aus. Dies setzt voraus,
daß die drei sp2-Orbitale und das p-Orbital jeweils einfach besetzt sind, wie dies Bild 1.23
zeigt.
Doppelt gebundene Kohlenstoffatome in Alkenen sind sp2-hybridisiert, wobei die Dop-
pelbindung aus einer σ- und einer π-Bindung besteht. Nach der MO-Theorie (siehe Abschnitt
6.3) geht man von der Vorstellung aus, daß zwei sp2-Hybridorbitale (von jedem sp2-hy-
bridisierten C-Atom ein sp2-Hybridorbital, siehe Bild 1.24) zu einem σ-Orbital und zwei zu-
einander parallel stehende p-Orbitale (von jedem sp2-hybridisierten C-Atom ein p-Orbital) zu
einem π-Orbital überlappen. Das σ-Molekülorbital befindet sich auf der C–C-Verbindungs-
achse, ein Orbitallappen des π-Orbitals liegt über, der andere unter dem σ-Orbital. In Bild
1.24 sind das σ-Orbital und die sp2-Hybridorbitale schraffiert gekennzeichnet.

z z xy-Ebene z

+ - + - +
x - + x x
-
+
120°
y y
s + px + py y drei sp2-Hybridorbitale

Hybridisierung
= Symmetrieachse der
sp2-Hybridorbitale

Bild 1.21 Umformung der Orbitale bei der sp2-Hybridisierung


1.3 Die wellenmechanische Beschreibung der Elektronen im Kohlenstoffatom 23

120° z

+ + +
- +
+ x
- - +
-
120° 120°
+
y

sp2-Hybridorbitale ohne sp2-hybridisiertes


p-Orbital von oben gesehen Kohlenstoffatom

Bild 1.22 sp2–hybridisiertes C-Atom

Die vier verbleibenden sp2-Orbitale der beiden sp2-hybridisierten C-Atome liegen alle in
einer Ebene, die gleichzeitig auch die Knotenebene des π-Orbitals darstellt (siehe Bild 1.24).
Diese Ebene, in der sich auch die beiden sp2-hybridisierten C-Atome und die C–C-σ-Bin-
dung befinden, steht senkrecht auf der π-Orbitalebene (siehe Bild 1.25), die mitten durch die
beiden π-Orbitallappen geht. Die vier sp2-Hybridorbitale können mit je einem s-Orbital eines
Wasserstoffatoms zu vier C–H-σ-Bindungen überlappen. Die vier Wasserstoffatome und die
beiden Kohlenstoffatome liegen somit in einer Ebene (siehe Bild 1.25), was der realen räum-
lichen Anordnung der Atome im Ethen entspricht. Ethen hat die Summenformel C2H4.
Die räumliche Anordnung der Atome kann in der Konstitutionsformel ausgedrückt wer-
den. Da diese in der Papierebene geschrieben wird, muß man die dreidimensionale räumli-

2pz

2 (sp2)3

Ε
1s2

sp2-hybridisiertes
Kohlenstoffatom

Bild 1.23 Elektronenbesetzung der Orbitale des sp2-hybridisierten C-Atoms


24 1 Einführung

+ π-Orbital
σ-Orbital

Anmerkung: Die Hinterlappen der sp2-Orbitale und des σ-Orbitals wurden nicht eingezeichnet

Bild 1.24 σ- und π-Molekülorbitale in der C=C-Doppelbindung

che Anordnung der Bindungen durch eine entsprechende Symbolik veranschaulichen. Bin-
dungen, die sich hinter der Papierebene befinden würden, werden gestrichelt, Bindungen die
vor die Papierebene gehen würden, werden mit einem starken Strich oder einem Keilstrich
gekennzeichnet. Denkt man sich die Ebene des π-Orbitals in die Papierebene versetzt, so
wird die Konstitutionsformel des Ethens so aussehen:

unter Papierebene
H H
C C
H H
über Papierebene

Geht man jedoch von der Vorstellung aus, daß die π-Orbitalebene senkrecht zur Papier-
ebene steht, so liegen alle Atome des Ethens und auch die π-Bindungen in der Papierebene,
und in diesem Falle können die Bindungen mit einem einfachen Strich gezeichnet werden:
H H
C C
H H

π-Orbitalebene Ebene senkrecht


zur π-Orbitalebene

H H H H
C C C C
H H H H

Überlappung der sp2-Orbitale mit den Das Ethenmolekül,


s-Orbitalen der Wasserstoffatome alle H- und C-Atome liegen in einer Ebene

Anmerkung: Die Hinterlappen der sp2-Orbitale und der σ−Orbitale wurden nicht eingezeichnet.

Bild 1.25 Räumliche Anordnung der C- und H-Atome im Ethen


1.3 Die wellenmechanische Beschreibung der Elektronen im Kohlenstoffatom 25

Während die nur mit einer σ-Bindung untereinander gebundenen Kohlenstoffatome um


diese Bindung frei drehbar sind, ist die Drehbarkeit der doppelt gebundenen C-Atome um
ihre Achse nicht mehr gegeben, da sie durch die π-Bindung fixiert sind. Eine Drehung der
C-Atome um die C=C-Doppelbindung würde die Überlappung im π-Orbital lösen und damit
die π-Bindung spalten, wozu erhebliche Energie notwendig ist.

1.3.4.3 sp-Hybridorbitale
An der sp-Hybridisierung des Kohlenstoffatoms sind ein 2s- und ein 2p-Orbital beteiligt.
Daraus resultieren zwei sp-Hybridorbitale. Im sp-hybridisierten C-Atom befinden sich
außerdem noch zwei 2p-Orbitale. Zum Verständnis der Bindungsverhältnisse und der räum-
lichen Anordnung der Atome in Alkinen kann ein Modell zweier sp-hybridisierter Kohlen-
stoffatome herangezogen werden, wobei man von der Vorstellung ausgeht, daß jeweils ein
sp-Hybridorbital und zwei p-Orbitale des einen Kohlenstoffatoms mit einem sp-Hybridorbi-
tal und zwei p-Orbitalen des anderen Kohlenstoffatoms zu einem σ- und zwei π-Orbitalen
überlappen. Die zwei an den dreifach gebundenen C-Atomen verbleibenden sp-Atomorbitale
überlappen mit Atomorbitalen anderer Atome, z. B. mit dem s-Orbital des Wasserstoffs.
Bei der sp-Hybridisierung erfolgt eine Umformung des 2s- und des 2p-Orbitals zu zwei
gleichwertigen sp-Orbitalen. Die räumliche Ausrichtung beider Orbitale ist aus Bild 1.26
ersichtlich. Im kartesischen Koordinatensystem orientiert, liegen sie beide auf der x-Achse
einander gegenüber.
Nach der sp-Hybridisierung verbleiben auf der L-Schale des C-Atoms außer den zwei sp-
Orbitalen noch zwei p-Orbitale, welche aufeinander senkrecht stehen und mit je einem Elek-
tron besetzt sind. Das sp-hybridisierte C-Atom kann man im kartesischen Koordinatensystem
so orientieren, daß die Symmetrieachsen der beiden sp-Hybridorbitale auf der x-Achse und
die Symmetrieachsen des 2py-Orbitals und des 2pz-Orbitals auf der y-Achse und der z-Achse
liegen. In Bild 1.27 ist der hintere Orbitallappen des hantelförmigen py-Orbitals verdeckt.
Der Vierbindigkeit des Kohlenstoffs entsprechend, sind sowohl die sp-Orbitale als auch
die 2p-Orbitale mit je einem Elektron besetzt. Das sp-hybridisierte C-Atom hat die Elektro-
nenkonfiguration 1s2 2(sp)2 2py 2 pz.

z y

+ + - + + x
- -

sp sp

2s + 2px zwei sp-Hybridorbitale

sp-Hybridisierung

Bild 1.26 Umformung der Orbitale bei der sp-Hybridisierung


26 1 Einführung

py

pz
x

sp-Orbitale in Seitenansicht

Bild 1.27 sp-hybridisiertes C-Atom

Man kann sich vorstellen, daß in zwei sp-hybridisierten C-Atomen eine Überlappung
zweier sp-Orbitale zu einem σ-Orbital und die Überlappung zweier px-Orbitale und zweier
py-Orbitale zu zwei π-Orbitalen führt, wobei die π-Orbitale zueinander senkrecht stehen. Die
verbleibenden zwei sp-Orbitale, die noch mit Atomorbitalen anderer Atome überlappen kön-
nen, liegen ebenso wie die Kerne der sp-hybridisierten Kohlenstoffatome auf der x-Achse. In
Bild 1.29 sind das σ-Orbital und ebenso der hintere Lappen des auf der y-Achse liegenden
π-Orbitals verdeckt. Überlappen nun noch die s-Orbitale zweier Wasserstoffatome mit den
zwei verbleibenden sp-Orbitalen der untereinander dreifach gebundenen Kohlenstoffatome,
so resultiert daraus die Verbindung
H C C H

das Ethin. Im Ethin liegen die beiden H- und die beiden C-Atome auf einer Achse.

2py 2pz

2 (sp)2

Ε
1s2

sp-hybridisiertes
Kohlenstoffatom

Bild 1.28 Elektronenbesetzung der Orbitale des sp-hybridisierten C-Atoms


1.3 Die wellenmechanische Beschreibung der Elektronen im Kohlenstoffatom 27

seitlich gesehen: z

π-Orbital in
+ x xz-Ebene

y
Vorderlappen des
sp-Hybrid sp-Hybrid π-Orbitals in xy-Ebene
= sp-Orbitale

Von seitlich vorne gesehen:


(sp-Orbitale werden nur mit Symmetrieachse angedeutet)

C-Atom
sp-hybridisiert C-Atom
sp-hybridisiert
Symmetrieachse des sp-Orbitals
Andeutung der Überlappung

Bild 1.29 Orbitale der C-C-Dreifachbindung

1.3.5 Bindungslängen und Bindungsenergien der Kohlenstoff-


Kohlenstoff-Einfach-, Doppel- und Dreifachbindung

Bei der Bindungslänge geht es um einen Gleichgewichtsabstand zweier Atomkerne, der


einem Minimum der potentiellen Energie beider Atome bei einem Gleichgewicht der Anzie-
hungs- und Abstoßungskräfte entspricht. Die Bindungslänge ist um so kürzer, je größer die
Anziehungskräfte sind. Nach der Coulomb-Gleichung

Q− ⋅Q+
F =
4 π ε r2
(F = Kraft, Q = Ladung, ε = dielektrische Konstante, r = Entfernung der Ladungen)

nimmt die Anziehungskraft ungleichnamiger Ladungen mit der Ladungsgröße zu. Die größe-
re Elektronendichte zwischen den Atomrümpfen der C-Atome bei einer Doppel- und Drei-
fachbindung läßt deshalb auf eine kürzere Bindungslänge schließen. Weiter ist noch zu
berücksichtigen, daß die σ-Bindungen in Abhängigkeit von der Hybridisierung der an der
Bindung beteiligten C-Atome unterschiedlichen Charakter haben.
Die sp3-, sp2- und sp-Hybridorbitale haben alle die in Bild 1.16 dargestellte Keulenform,
sie unterscheiden sich jedoch in der Relation ihrer s- und p-Anteile. Bei der sp3-Hybridisie-
rung ist der p-Anteil am größten (75 % p : 25 % s), beim sp2-Orbital ist er kleiner
28 1 Einführung

(66,66 % p : 33,33 % s), und am kleinsten ist er im sp-Orbital (50 % p : 50 % s). Coulson
berechnete, daß das Überlappungsintegral (siehe Bild 1.30) am größten bei zwei sp-
Hybridorbitalen ist, dann folgen die sp2- und schließlich die sp3-Orbitale. Das Überlappungs-
integral ist das Maß für die Überlappung der bindenden Orbitale. Ist die Überlappung bin-
dender Orbitale größer, so liegt auch eine größere Elektronendichte zwischen den Kernen
vor. Es ist zu erwarten, daß mit zunehmender Überlappung der Hybridorbitale die Anzie-
hungskräfte auf die Atomkerne zunehmen und die Bindungen als Folge davon kürzer sein
müssen. Die Bindungsdissoziationsenergie charakterisiert die Festigkeit der Bindung. Eine
ebenso große Energie muß aufgewendet werden, um die entsprechende Bindung zu spalten.
Die Bindungsenergie der C=C-Doppelbindung hat keinesfalls den doppelten Wert der
C–C-Einfachbindung. Dies ist damit zu erklären, daß der Überlappungsgrad der p-Orbitale
geringer als der der Hybridorbitale ist.

0,8

0,7
Überlappungsintegral

0,6

0,5
sp3 sp
0,4 sp2

0,3
20 40 60 80 100 %
prozentualer s-Charakter

Bild 1.30 Überlappungsintegral von Hybrid-Atomorbitalen in Abhängigkeit vom ihrem s-Anteil


(nach: C.A. Coulson, Die chemische Bindung, Hirzel Verlag, Stuttgart, 1969)

Tabelle 1.3 Bindungslängen und Bindungsdissoziationsenergien

Bindungsart Bindungslänge in pm Bindungsdissoziationsenergie in kJ mol–1


C H (Ethan) 109 410
C C (Ethan) 154 347
C C (Ethen) 135 620
C C (Ethin) 120 810
1.3 Die wellenmechanische Beschreibung der Elektronen im Kohlenstoffatom 29

1.3.6 Die räumliche Anordnung der Hybridorbitale

Mit Ausnahme der kugelsymmetrischen s-Orbitale haben alle atomaren Elektronenzustände


bestimmte räumliche Vorzugsrichtungen, aus denen unmittelbar auch die räumliche Fest-
legung der Bindungsrichtungen kovalenter Bindungen folgt.
Bei der räumlichen Ausrichtung von Hybridorbitalen kann man davon ausgehen, daß
Elektronen aufgrund der Abstoßung gleichnamiger Ladungen sich in wahrscheinlichen Auf-
enthaltsräumen bewegen, die voneinander möglichst weit entfernt sind. Daraus ergeben sich
automatisch die räumlichen Ausrichtungen der Orbitale. Bild 1.31 zeigt die räumliche Aus-
richtung der Hybridorbitale, wobei zur besseren Überschaubarkeit nur die Symmetrieachsen
der Hybridorbitale eingezeichnet wurden.
Im sp3-hybridisierten C-Atom liegen insgesamt 4 sp3-Orbitale vor. Setzt man voraus, daß
sich die 4 Elektronenwolken gegenseitig abstoßen und einen möglichst großen räumlichen
Abstand voneinander gewinnen wollen, so ergibt sich daraus die tetraedrische Anordnung
der sp3-Orbitale. Die Symmetrieachsen schließen einen Winkel von 109°28' ein. Im sp2-hy-
bridisierten Kohlenstoffatom sind 3 sp2-Hybridorbitale vorhanden. Diese sind dann am
weitesten voneinander entfernt, wenn ihre Symmetrieachsen einen Winkel von 120° ein-
schließen. Im sp-hybridisierten Kohlenstoffatom liegen 2 sp-Orbitale vor, die in linearer
Anordnung am weitesten voneinander entfernt sind.

Ebene, in der die


sp2-Orbitale liegen z

109°28‘

120°
109°28‘ y 180°
109°28‘ 120°

tetraedrisch trigonal linear

sp3-Orbitale sp2-Orbitale sp-Orbitale

räumliche Anordnung der Hybridorbitale

Bild 1.31 Räumliche Anordnung der sp3-, sp2- und sp-Hybridorbitale (der besseren Übersicht halber
wurden nur die Symmetrieachsen der Hybridorbitale eingezeichnet)
30 1 Einführung

1.4 Die polare kovalente Bindung und der induktive Effekt


Die Fähigkeit eines Atoms, in der Bindungssituation die gemeinsamen Elektronen an sich zu
ziehen, wird durch den Wert der Elektronegativität charakterisiert. Diese Werte bilden eine
Skala, in der dem Fluor, das die höchste Elektronegativität besitzt, willkürlich der Wert 4
und Li der Wert 1 zugeordnet wurde. Die gebräuchlichste Elektronegativitätsskala stammt
von Pauling. Sie basiert auf experimentell abgeleiteten Werten der Bindungsenergie.
Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektronegativität der Elemente in den Peri-
oden von links nach rechts und in den Gruppen von unten nach oben zu. In der kovalenten
Bindung, die zwei gleiche Atome, z. B. zwei Kohlenstoffatome oder zwei Atome mit gerin-
gen Negativitätsunterschieden bindet, z. B. ein Kohlenstoff- mit einem Wasserstoffatom, darf
man eine symmetrische Verteilung der Elektronendichte zwischen beiden Bindungspartnern
annehmen. Bei Partnern mit unterschiedlicher Elektronegativität hingegen ist in der σ-
Bindung die Elektronendichte zwischen beiden Partnern ungleichmäßig verteilt, sie ist bei
dem elektronegativeren Partner größer. Durch diese ungleiche Ladungsverteilung liegt eine
polare kovalente Bindung vor. Ist X ein elektronegativeres Atom als das Kohlenstoffatom, so
kann man die Polarität der C–X-Bindung auf die Weise symbolisieren, daß man zu dem
elektronegativeren Partner ein δ– und zu dem anderen Bindungspartner ein δ+ schreibt, das
Symbol für eine negative bzw. positive Teilladung:

δ+ δ-
C X

Die Polarität der C–X-σ-Bindung beeinflußt auch die am nächsten liegenden σ-Bindun-
gen, denn das C-Atom mit positiver Teilladung zieht nun seinerseits die Elektronen der be-
nachbarten σ-Bindungen an. Die dadurch hervorgerufene Polarität ist aber schon geringer als
die der C–X-σ-Bindung. Bei der weiter entlegenen σ-Bindung wirkt sich diese polarisieren-
de Wirkung noch weniger aus. Diese, durch die Polarität einer σ-Bindung induzierte Polari-
sierung auf die in nächster Nähe befindlichen σ-Bindungen, bezeichnet man als induktiven
Effekt. Ist X ein Substituent, der infolge seiner Elektronegativität die Bindungselektronen
anzieht, so spricht man vom –I-Effekt (minus I-Effekt):

Hauptgruppen

I II III IV V VI VII VIII


1 2
H He
2,2 -
3 4 5 6 7 8 9 10
Li Be B C N O F Ne
1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 -
11 12 13 14 15 16 17 18
Na Mg Al Si P S Cl Ar
0,9 1,2 1,5 1,8 2,1 2,5 3,0 -

Bild 1.32 Die Elektronegativität nach Pauling für Elemente der drei ersten Perioden des Perioden-
systems der Elemente
1.4 Die polare kovalente Bindung und der induktive Effekt 31

δ+ δ-
C H C X

σ-Orbital σ-Orbital

unpolare σ-Bindung polare σ-Bindung

Bild 1.33 Polare und unpolare σ-Bindung

C C X –I-Effekt z. B. für X = Cl, Br, NO2 usw.

Ist X jedoch ein Substituent, der die Elektronen von sich wegschiebt, so liegt ein +I-Effekt vor:

C C X + I-Effekt z. B. für X = O–.

Substituenten mit positiver Ladung, z. B. –+NH3 üben einen starken –I-Effekt aus, wäh-
rend bei Substituenten mit negativer Ladung z. B. –O– ein starker +I-Effekt wirksam ist (die
negative Ladung schiebt die Bindungselektronen weg).
Sie haben nun mit der Bindungstheorie einen ersten Einblick in die Organische Chemie
bekommen. Falls Sie dieses Kapitel als schwierig empfunden haben, so kann ich Sie trösten,
es ist eine etwas schwierigere Passage gewesen, denn der Lehrstoff ist relativ abstrakt und
erfordert auch räumliches Vorstellungsvermögen. Wenn Sie es trotzdem geschafft haben,
darf ich Ihnen gratulieren. Falls nicht, werfen Sie die Flinte nicht ins Korn, bedenken Sie,
daß aller Anfang schwer ist, und studieren Sie dieses Kapitel nochmals durch. Die Organi-
sche Chemie ist kein Buch mit sieben Siegeln, man muß sich nur beim Lesen schwierigerer
Partien konzentrieren und zum Text auch die entsprechenden Bilder ansehen.

CH E
MIE
Bild 1.34
Erste Einblicke in die Organische Chemie
32 1 Einführung

1.5 Modellvorstellungen und Gegenstandsmodelle in der


Organischen Chemie
Die realen Gegebenheiten sind zumeist sehr komplex, sie können aber vereinfacht dargestellt
werden. Eine Photographie ist z. B. eine solche Vereinfachung. Sie stellt die dreidimensiona-
le Person auf dem zweidimensionalen Bild dar. Einiges allerdings kann dieses Photo nicht
vermitteln, z. B. den Klang der Stimme, und außerdem sieht man die Person auf dem Photo
gewöhnlich nur von vorne oder seitlich. Trotzdem ist es möglich, auf Grund der Gesichts-
züge, der Gestalt und der Farben zu erkennen, welche Person photographiert wurde. Es ist
sogar möglich, mit dem Paßphoto und den Angaben im Paß eine Person zu identifizieren.
Daraus erkennt man, daß eine solche Vereinfachung sehr nützlich sein kann. Allerdings sind
die Aussagen und die Schlußfolgerungen, die aus der vereinfachten Wiedergabe der realen
Gegebenheit gezogen werden können, begrenzt.
Modelle sind dadurch charakterisiert, daß sie die Wirklichkeit vereinfacht wiedergeben,
so daß man bestimmte komplexe Zusammenhänge besser übersehen und verstehen kann. Das
Modell ist nicht als Selbstzweck gedacht, sondern es muß einen nutzbringenden Effekt ha-
ben. Es kann z. B. zu einem besseren Verständnis komplexer Vorgänge oder Gegebenheiten
beitragen. Die dem Modell innewohnenden Vereinfachungen bringen es jedoch mit sich, daß
der Gültigkeitsbereich des Modells für Aussagen und Schlußfolgerungen begrenzt ist. Es ist
deshalb notwendig, die Realität und das Modell auseinanderzuhalten.

Theoretische Denkmodelle
Theoretische Denkmodelle erwachsen aus Überlegungen, Vorstellungen und Theorien. Sie
sind ein Hilfsmittel, um bestimmte Zusammenhänge besser zu begreifen und gegebenenfalls
auch Voraussagen treffen zu können.
Im vorhergehenden Kapitel wurde ein Denkmodell eingebracht: das wellenmechanische
Modell. Dieses läßt die eine Seite der Realität, nämlich den korpuskularen Charakter des
Elektrons, außer acht und basiert nur auf dem Wellencharakter des Elektrons. Aus der wel-
lenmechanischen Betrachtung ergab sich die Schrödinger-Gleichung und aus dieser wieder
ein mathematisches Modell, das Orbitalmodell. Dieses ermöglicht ein besseres Verständnis
der Bindungsverhältnisse organischer Verbindungen und der räumlichen Anordnung der
Atome in den Molekülen. Trotz der Vereinfachungen, die bei diesen Modellvorstellungen
vorliegen, bedarf es zum Verständnis doch eines gewissen Abstraktionsvermögens und ins-
besondere eines räumlichen Vorstellungsvermögens. Deshalb ist es wichtig, diese theoreti-
schen Denkmodelle durch gegenständliche Modelle zu unterstützen.

Gegenständliche Modelle
Gegenständliche Modelle sind aus bestimmten Materialien hergestellte didaktische Hilfs-
mittel. Ein allen bekanntes gegenständliches Modell ist die Modelleisenbahn. Sie entspricht
in wesentlichen äußeren Merkmalen dem Modellobjekt, nämlich der realen Eisenbahn, auch
in den Proportionen, kann sich aber in vielen anderen Dingen ( z. B. dem Antrieb ) vom Ori-
ginal durchaus unterscheiden. Die Modelleisenbahn ist auch viel kleiner als das Modell-
objekt. Bei den Atom- und Molekülmodellen ist es umgekehrt, die Modelle haben weit grö-
ßere Dimensionen als die Modellobjekte.
1.5 Modellvorstellungen und Gegenstandsmodelle in der Organischen Chemie 33

Kalottenmodell Kugel-Stift-Modell

Bild 1.35 Gegenständliche Modelle

Zu den gegenständlichen Modellen, die in der Organischen Chemie eingesetzt werden,


gehören die Orbitallappenmodelle, die zur Veranschaulichung räumlicher Vorstellungen bei
σ- und π-Bindungen, ebenso wie für Vorstellungen über Elektronenwolken delokalisierter
π-Elektronen, z. B. beim Benzol, dienen. Am meisten benutzt man in der Organischen Che-
mie Molekülmodelle, die in ganzen Sätzen in Molekülbaukästen geliefert werden. Sie zeigen
die räumliche Anordnung der Atome im Molekül. Die Molekülmodelle lassen sich im we-
sentlichen in zwei Gruppen gliedern: Es gibt raumfüllende Modelle, z. B. Kalottenmodelle,
und Gerüstmodelle, deren Vertreter z. B. das Kugel-Stift-Modell ist (siehe Bild 1.35). Die
raumfüllenden Modelle geben prinzipiell Auskunft über die Gestalt eines Moleküls. In
Kalottenmodellen z. B. haben die die Atome veranschaulichenden Kugeln je nach Atomart
verschiedene Radien, so daß die Verhältnisse dieser Radien untereinander den Verhältnissen
der Atomradien unterschiedlicher Atome entsprechen. Auch der Durchdringung der Atom-
hüllen ist Rechnung getragen. Kalottenmodelle entsprechen den räumlichen Gegebenheiten
von Molekülen weit besser als Gerüstmodelle. Sie sind aber zu kompakt, um Bindungs-
winkel und Bindungslängen gut demonstrieren zu können. Dazu benutzt man gewöhnlich
Gerüstmodelle.
In den Gerüstmodellen sind die Kugeln gewöhnlich gleich groß, bis auf die das Wasser-
stoffatom veranschaulichenden, etwas kleineren weißen Kugeln. Die Kugeln für Kohlenstoff
sind schwarz, für Sauerstoff rot, für Stickstoff blau und die für Schwefel gelb. In manchen
Gerüstmodellen sind die Atome lediglich als farbige Zentren angedeutet. Sie haben den Bin-
dungswinkeln entsprechende Bohrungen, in die Metallfedern, Metall-, Kunststoff- oder
Holzstifte passen. In anderen Gerüstmodellen, z. B. an Prentice-Hall-Modellen (auch als
Framework Molecular Models bezeichnet), sind an einem kleinen farbigen Kügelchen feste
kleine Kunststoffstifte angebracht, auf die Kunststoffhalme aufgesteckt werden können, die
die Kügelchen untereinander verbinden. In Dreiding-Modellen werden Metallstäbchen direkt
in Hohlstäbchen eingeschoben. So ist z. B. jedes sp3-Kohlenstoffatom aus vier Metallstäb-
chen zusammengesetzt (2 hohl und 2 massiv), wobei diese untereinander einen Winkel von
109°28' einschließen. Durch Ineinanderschieben des massiven in das hohle Stäbchen kann
aus zwei Methangerüsten das Ethangerüst dargestellt werden (siehe Bild 1.36).
34 1 Einführung

Prentice-Hall-Modell

Dreiding-Modell

Bild 1.36 Prentice-Hall- und Dreiding-Modell

1.6 Die chemischen Formeln


Die chemische Formel ist eine Kurzschreibweise mit Elementsymbolen, die über die chemi-
sche Zusammensetzung einer Verbindung, gegebenenfalls auch über die Struktur eines
Moleküls Aufschluß gibt. Sie gibt außerdem für jedes Element die Anzahl der das Molekül
aufbauenden Atome an. Mit Hilfe chemischer Formeln kann man chemische Gleichungen
formulieren, wobei die chemischen Formeln die Verbindungen angeben, die an der Reaktion
beteiligt sind. Die Reaktanten (auch Edukte genannt, sie sind die Ausgangsstoffe, die mitein-
ander reagieren sollen ) schreibt man auf die linke Seite, die Reaktionsprodukte auf die rech-
te Seite der chemischen Gleichung. An Stelle des Gleichheitszeichens schreibt man
gewöhnlich einen Pfeil, bei der Umkehrbarkeit von Reaktionen einen Doppelpfeil.

Die Summenformel
Die Summenformel (Bruttoformel) gibt die am Aufbau des Moleküls beteiligten Elemente
an. Bei organischen Summenformeln werden die Elemente in der Folge C, H, N, O usw. ge-
nannt. Die tiefgestellte kleine Zahl rechts neben dem Elementsymbol bedeutet die Anzahl
der im Molekül befindlichen Atome des jeweiligen Elements. Summenformeln sind z. B.
CH4 für Methan, CH4O für Methanol, C2H4O2 für Essigsäure und CH5N für Methylamin.

Die allgemeine Formel


Die allgemeine Formel ist für eine bestimmte Verbindungsklasse charakteristisch, z. B. ist
die Formel CnH2n+2 die allgemeine Formel für Alkane. Setzt man in diese Formel für n eine
natürliche Zahl ein, erhält man die Formel eines Alkans. Setzt man z. B. für n = 1 ein, be-
kommt man CH4, n =2: C2H6, n = 3: C3H8 usw. Die allgemeine Formel läßt jedoch nicht
immer eine eindeutige Zuordnung zu einer Verbindungsklasse zu, z. B. trifft die allgemeine
Formel CnH2n sowohl für Alkene als auch für Cycloalkane zu. Die allgemeine Formel für
1.6 Die chemischen Formeln 35

einen Alkylrest ist CnH2n+1. In verkürzten Konstitutionsformeln steht gewöhnlich für den
Alkylrest das Symbol R (= Rest). Will man andeuten, daß es sich bei mehreren Alkylresten
um unterschiedliche Alkylreste handelt, so kann dies durch die Schreibweise R, R', R'' oder
R1, R2, R3 ausgedrückt werden.

Die Konstitutionsformeln
Die Konstitutionsformeln bringen die wechselseitige Verkettung der Atome in den Molekü-
len und ihre räumliche Anordnung zum Ausdruck. Die kovalente Bindung wird durch einen
Strich dargestellt, bei der verkürzten Schreibweise von Konstitutionsformeln manchmal auch
durch einen Punkt. Die Doppelbindung wird durch zwei und die Dreifachbindung durch drei
parallele Striche ausgedrückt. Die Konstitutionsformel z. B. der Essigsäure kann folgender-
maßen geschrieben werden:
H
O
H C C
O H
H

Hierbei sei bemerkt, daß die mit einem Strich in dieser Konstitutionsformel symbolisier-
ten freien (nichtbindende) Elektronenpaare nicht immer geschrieben werden.
Häufig werden wegen der besseren Übersichtlichkeit und aus Zeit- und Arbeitsersparnis
auch Kurzstrukturformeln verwendet. Hierbei werden in bestimmten Gruppen, z. B. der Me-
thyl- CH3, Methylen- CH2, Nitro- NO2, Hydroxygruppe OH u. s. w., die einzelnen Atome
dieser Gruppen nicht durch Valenzstriche miteinander verbunden. Einige Beispiele seien in
Tabelle 1.4 angeführt.
Es gibt Verbindungen, die die gleiche Summenformel, aber eine unterschiedliche Konsti-
tutionsformel haben. Diese Verbindungen bezeichnet man als Isomere. Sie unterscheiden

Tabelle 1.4

Verbindung Konstitutionsformel Kurzstrukturformel

H H H H H H CH3–CH2–CH2–CH2–CH2–CH3
Hexan oder
H C C C C C C H
CH3 (CH2)4 CH3
H H H H H H

Ethin H C C H HC CH

H H
CH3–CH2–OH
Ethanol oder
H C C O H
CH3CH2OH
H H
H H H H H H H H H H H H H H H
O
Palmitinsäure H C C C C C C C C C C C C C C C C CH3 (CH2)14 COOH
O H
H H H H H H H H H H H H H H H
36 1 Einführung

sich in ihren physikalischen oder chemischen Eigenschaften. Zu ihnen gehören z. B. die


beiden Konstitutionsisomere Ethanol und Dimethylether. Diese haben die gleiche Summen-
formel C2H6O, unterscheiden sich aber darin, in welcher Folge die Atome untereinander
verknüpft sind.
H H H H

H C C O H H C O C H

H H H H
Ethanol und Dimethylether
Es ist schwierig, die räumlichen Strukturen auf die zweidimensionale Papierfläche so zu
schreiben, daß die räumlichen Gegebenheiten klar erkennbar sind. Man greift deshalb zu
einer Symbolik und zeichnet die Bindungen, die sich in Wirklichkeit unter der Schreibfläche
befinden würden, gestrichelt, die, die über die Fläche weisen würden, in Keilform oder mit
einem starken Valenzstrich. Die Konstitutionsformel des Hexans z. B., in der alle C-Atome
auf einer Geraden gezeichnet sind,
H H H H H H

H C C C C C C H

H H H H H H

vermittelt den Eindruck, als ob die Bindungswinkel zwischen zwei C–C-σ-Bindungen 180°
betragen würden. In Wirklichkeit sind es, wie wir wissen, 109°28'. Um dies einigermaßen
richtig wiedergeben zu können, müßten wir das Kohlenstoffgerüst des Hexans als Zickzack-
linie zeichnen, wobei die C–H-σ-Bindungen, wie Bild 1.37 zeigt, einmal unter und das ande-
re Mal über die Papierebene weisen würden, so daß die C–H-σ-Bindungen gestrichelt bzw.
als Keil geschrieben werden müßten:
H H H H H H
H C C C
C C C H
H H H H H H
Diese Schreibweise ist etwas umständlich und zeitraubend. Man vereinfacht sie deshalb
so, daß man das dreidimensionale Molekül auf die zweidimensionale Papierebene projeziert,
wie dies in Bild 1.38 mit einem Molekülmodel veranschaulicht wird. Dem projezierten
Schattenbild entspricht die einfache Schreibweise der Formel. In dieser Hinsicht hat sie auch
ihre Berechtigung. Die weitestgehende Vereinfachung von Konstitutionsformeln wird mit
Skelettformeln erreicht. Die unverzweigte Kohlenstoffkette wird mit einer Zickzacklinie von
Strichen dargestellt, wobei weder die Symbole C noch H geschrieben werden. Am Ende
jedes Strichs hat man sich ein C-Atom vorzustellen. Ausgehend von der Vierbindigkeit des
Kohlenstoffs werden in diesen Formeln die C–H-Bindungen und das Symbol H für Wasser-
stoff weggelassen. Diese verkürzte Schreibweise wird öfter auch bei Cycloalkanen (Kohlen-
stoffe untereinander zu einem Ring verknüpft) benutzt, wobei man sich vorstellen muß, daß
sich in jeder Ecke der Formel ein vierbindiges Kohlenstoffatom befindet. Bei Formeln, in
denen zwei oder mehrere Ringe miteinander verknüpft sind, wird an den sie verknüpfenden
1.6 Die chemischen Formeln 37

Kugel-Stift-Modell

Kalottenmodell

Bild 1.37 Molekülmodelle des Hexans

C-Atomen die C–H-Bindung und das H geschrieben, damit die räumliche Anordnung der
Atome an den Verknüpfungsstellen ersichtlich ist. Die Schreibweise mit Strichen ohne die
Symbole C und H ist besonders bei den Aromaten die Regel.

Bild 1.38 Projektion des Molekülmodells als Schattenbild


38 1 Einführung

Tabelle 1.5

Verbindung Konstitutionsformel Skelettformel


H H H H H H

Hexan H C C C C C C H

H H H H H H

H H H
2-Methyl- H C H
propan
H C C C H

H H H

H H H H H O
Hexansäure COOH
H C C C C C C
O H
H H H H H

H H
Butadien C C H
H C C
H H
H H

Cyclopentan H C C H
H H
C C
H C H

H H

H H H H H
H
H C C H
C C C
trans-Dekalin H H
H C C C H
H C C H
H H
H H H H

H CH3 CH3
H H
H CH3 C CH2 CH2 CH2 CH
H C H
H H C C C CH3
H CH3
Cholesterol CH3 H C H
C C C C H
H CH3 H
C C C H
H H H H
H O C H
C C H O
H H
H C C H
H
H H H H

H
H H
Benzol

H H
H
1.7 Die Nomenklatur organischer Verbindungen 39

1.7 Die Nomenklatur organischer Verbindungen


Die Benennung organischer Verbindungen geschah in den Anfängen der Chemie ohne Be-
achtung irgendwelcher Regeln. Man benannte die Stoffe danach, woraus sie isoliert wurden,
z. B. Ameisensäure (aus Ameisen), Essigsäure (aus Essig), Capronsäure (capra = die Ziege,
da die Capronsäure in Ziegenmilch vorkommt), Vanillin (aus der Vanille), oder nach ihren
Eigenschaften, z. B. Glycerin (nach dem griechischen glykys = süß), Pikrinsäure (pikros =
bitter), auch nach anderen Kriterien oder mehr oder weniger willkürlich. Diese Namen, die
sich nicht nach vorgegebenen Regeln richten, bezeichnet man als Trivialnamen. Einige ha-
ben nur noch historische Bedeutung, viele haben sich aber eingebürgert und werden neben
der systematischen Nomenklatur benutzt.
Die systematische Nomenklatur richtet sich bei der Namensgebung von Verbindungen
nach exakten, vorgegebenen Regeln. Sie wurde erstmalig auf einem chemischen Kongreß in
Genf 1892 eingeführt, und man bezeichnet sie deshalb manchmal auch als Genfer Nomen-
klatur. Die Regeln mußten im Laufe der Jahre angepaßt und verbessert werden. Damit befaßt
sich eine internationale Kommission der IUPAC (International Union of Pure and Applied
Chemistry), weshalb man diese Regeln zur Benennung organischer Verbindungen auch als
IUPAC-Regeln bezeichnet.

1.7.1 Die Nomenklatur der n-Alkane


Alkane haben die Endung -an. Die geradkettigen (unverzweigten) Alkane, die man auch als
n-Alkane (n = normal) bezeichnet, bilden die Basis für die Benennung organischer Verbin-
dungen nach der systematischen Nomenklatur (lat. nomenclatio = Benennung). Sie sollten
sich deshalb die in der Übersicht nachfolgend angeführten Namen der n-Alkane merken. Mit
Ausnahme der ersten vier Alkane besteht der Wortstamm des Alkans aus einer Zahl lateini-
schen oder griechischen Ursprungs, die der Anzahl der Kohlenstoffatome in der Kohlen-
stoffkette entspricht. Die n-Alkane werden wie in Tabelle 1.6 dargestellt benannt.

Tabelle 1.6 n-Alkane

Summen- Name des Summen- Name des Summen- Name des Al-
formel Alkans formel Alkans formel kans
CH4 Methan C11H24 Undecan C21H44 Heneicosan
C2H6 Ethan C12H26 Dodecan C22H46 Docosan
C3H8 Propan C13H28 Tridecan C23H48 Tricosan
C4H10 Butan C14H30 Tetradecan C24H50 Tetracosan
C5H12 Pentan C15H32 Pentadecan : :
C6H14 Hexan C16H34 Hexadecan C30H62 Triacontan
C7H16 Heptan C17H36 Heptadecan : :
C8H18 Octan C18H38 Octadecan C40H82 Tetracontan
C9H20 Nonan C19H40 Nonadecan
C10H22 Decan C20H42 Eicosan
40 1 Einführung

Acyclische Verbindungen (Verbindungen mit offener Kohlenstoffkette) werden in der


systematischen Nomenklatur als Derivate (Abkömmlinge) der n-Alkane aufgefaßt, wobei
man sich vorstellt, daß im n-Alkan die Wasserstoffe durch entsprechende Atome oder Grup-
pen ersetzt worden sind, z. B. wird bei Nitromethan formal ein Wasserstoffatom im Methan
durch die Nitrogruppe ersetzt.
H
H
H C H
H C NO2
H NO2
H
Methan Nitrogruppe Nitromethan

1.7.2 Die Benennung verzweigter Alkane

Bei Benennung verzweigter Alkane verfährt man so, als ob in einem n-Alkan, dessen Koh-
lenstoffkette der Hauptkette entspricht, ein Wasserstoffatom durch einen Alkylrest ersetzt
worden wäre.
Hat man ein verzweigtes Alkan zu benennen, geht man folgendermaßen vor: Man ermit-
telt die längste durchgehende Kohlenstoffkette, die dann als Hauptkette betrachtet wird und
numeriert sie durch. Die Durchnumerierung beginnt an dem Kettenende das der Seitenkette
am nächsten liegt:
H H CH3 H H H H
1 2 3 4 5 6 7
H C C C C C C C H
H H H H H H H
Nach Durchnumerierung der Hauptkette stellt man die Stellungsziffer der Seitenkette
fest, benennt die Seitenkette als Alkylrest und nennt zuletzt die Hauptkette mit der Endung
-an, wobei die Benennung der Hauptkette einem n-Alkan mit gleicher Anzahl der Kohlen-
stoffatome entspricht. Der Name des Alkylrestes leitet sich vom Namen des n-Alkans ab, das
die gleiche Anzahl der C-Atome hat, anstelle der Endung -an steht jedoch die Endung -yl.
Die Reihenfolge der Bennenung ist also folgende:
1. Die Nummer, die die Stellung der Seitenkette bezeichnet, worauf ein Bindestrich folgt,
im vorliegenden Beispiel 3-,
2. Benennung der Seitenkette als Alkylrest mit der Endung -yl, im Beispiel 3-Methyl,
3. Benennung der Hauptkette, entsprechend einem Alkan mit gleicher Anzahl der Kohlen-
stoffatome, im vorliegendem Beispiel 3-Methylheptan.
H H CH3 H H H H
1 2 3 4 5 6 7 Hauptkette
H C C C C C C C H
H H H H H H H
3-Methylheptan
1.7 Die Nomenklatur organischer Verbindungen 41

Hat die Verbindung mehrere Seitenketten, so numeriert man die Hauptkette so durch, daß
die Stellungen der Seitenketten mit einer möglichst niedrigen Zahl angegeben werden und
nennt die Seitenketten in alphabetischer Reihenfolge. Liegen in der Verbindung gleiche
Seitenketten vor, so faßt man diese bei der Benennung zusammen, wobei man vor die als Al-
kylreste bezeichneten Seitenketten die durch Kommas abgetrennte Stellungsziffern und ein
Präfix anführt, das die Anzahl der gleichen Seitenketten angibt: di- steht für zwei, tri- für
drei, tetra- für vier, penta- für fünf gleiche Seitenketten. Zuletzt wird die Hauptkette mit der
Endung -an benannt. Zum Beispiel wird die Verbindung mit der Konstitutionsformel
H CH3 H CH3 H H H H H CH3 H CH3 H H H H
1 2 3 4 5 6 7 8 8 7 6 5 4 3 2 1
H C C C C C C C C H H C C C C C C C C H

H H H CH3 H H H H H H H CH3 H H H H

Hauptkette richtig durchnumeriert Hauptkette falsch durchnumeriert


als 2,4,4-Trimethyloctan bezeichnet (und z. B. nicht als 5,5,7-Trimethyloctan).
Die Verbindung mit der Konstitutionsformel
H2C CH3

H CH3 H CH3 H CH2 H H H


1 2 3 4 5 6 7 8 9
H C C C C C C C C C H

H H H CH2 H H H H H

CH3

wird als 4-Ethyl-2,4-dimethyl-6-propylnonan bezeichnet. Die Vorsilben di-, tri- usw. werden
bei der alphabetischen Reihung der Seitenketten nicht berücksichtigt.
Sind eine Seitenkette von einem und eine zweite Seitenkette vom anderen Kettenende
gleichweit entfernt, so zählt man die Hauptkette von dem Kettenende durch, von dem her die
in der alphabetischen Reihenfolge erstgenannte Seitenkette die niedrigste Zahl erhält. Z. B.
wird die Verbindung mit der Konstitutionsformel
CH3 CH3

CH3 CH2 CH3 CH2

H H H CH2 H CH2 H H H H H H CH2 H CH2 H H H


1 2 3 4 5 6 7 8 9 9 8 7 6 5 4 3 2 1
H C C C C C C C C C H H C C C C C C C C C H

H H H H H H H H H H H H H H H H H H

(Hauptkette richtig durchnumeriert) (Hauptkette falsch durchnumeriert)


als 4-Ethyl-6-propylnonan bezeichnet (und nicht als 6-Ethyl-4-propylnonan).
Liegen Verbindungen vor, deren Seitenketten verzweigt sind, so numeriert man zunächst
die Hauptkette durch und verfährt im weiteren so, daß man
1. die Nummer des Kohlenstoffatoms der Hauptkette angibt, an das die Seitenkette ge-
knüpft ist, und einen Bindestrich schreibt, im vorliegenden Beispiel: 5-
42 1 Einführung

2. nach einer runden Klammer die Zahl des Kohlenstoffatoms angibt, an dem sich die
Verzweigung in der Seitenkette befindet, und nach einem Bindestrich, im Beispiel: 5-(1-
3. den Namen des Alkylrestes in der Verzweigung der Seitenkette nennt, im Beispiel: 5-(1-
Methyl
4. die in der Seitenkette befindliche durchnumerierte Kohlenstoffkette ebenfalls als Alkyl-
rest anführt und die Klammer schließt. Im vorliegenden Beispiel 5-(1-Methylethyl)
5. Zuletzt wird der Name der Hauptkette genannt. Im vorliegenden Beispiel: 5-(1-Methyl-
ethyl)nonan
2'
H3C CH3
1'CH
H H H H H H H H
9 8 7 6 5 4 3 2 1
H C C C C C C C C C H

H H H H H H H H H

Eine Kombination der IUPAC-Nomenklatur mit Trivialnamen ist ebenfalls gebräuchlich.


Man könnte z. B. die oben angeführte Verbindung auch als 5-Isopropylnonan bezeichnen,
indem man die Seitenkette mit ihrem Trivialnamen benennt. Trivialnamen für Seitenketten
vereinfachen die Benennung verzweigter Verbindungen und werden deshalb in der Nomen-
klatur oft benutzt. Nachstehend einige Trivialnamen von Alkylresten:
CH3 CH3 H CH3

H3C C H3C C CH2 H3C C C

H H H H

Isopropyl Isobutyl sek.-Butyl


CH3 CH3 H H CH3 H

H3C C H3C C C C H3C C C

CH3 H H H CH3 H

tert.-Butyl Isopentyl Neopentyl


Die Vorsilben di-, tri-, sek.-, tert.-, usw. werden bei der alphabetischen Reihung der Sei-
tenketten nicht beachtet, wohl aber die Vorsilben iso- und neo-.
Befinden sich im Molekül gleiche, komplexe Seitenketten, so wird ihre Anzahl nicht mit
den Silben di-, tri- usw. angegeben, sondern mit der Vorsilbe (Präfix): bis (= 2×), tris (= 3×),
tetrakis (= 4×), pentakis (= 5×) usw.
Kommen in einem verzweigten Alkan mehrere gleichlange Ketten als Hauptketten in
Frage, so hat diejenige Priorität, die
a) die meisten Seitenketten hat,
b) deren Seitenketten die niedrigste Stellungsziffer haben und
c) deren Seitenketten die größte Anzahl von Kohlenstoffatomen aufweisen.
1.7 Die Nomenklatur organischer Verbindungen 43

1.7.3 Die Benennung von Verbindungen mit funktionellen Gruppen


Bezüglich der Nomenklatur unterscheidet man funktionelle Gruppen, die als Präfix (lat. Vor-
silbe), und solche, die sowohl als Präfix als auch als Suffix (nachgestellte Silbe) benannt
werden können.
Wird die funktionelle Gruppe als Präfix benannt, so heißt dies, daß ihr Name vor der Be-
zeichnung der Hauptkette steht. Die funktionellen Gruppen und die Seitenketten werden in
alphabetischer Reihenfolge genannt. Die Ziffer, die angibt, an welcher Stelle die funktionelle
Gruppe an die Kohlenstoffkette gebunden ist, wird, durch einen Bindestrich getrennt, vor
dem Namen der Gruppe geschrieben. Die Hauptkette wird so gewählt, daß möglichst viele
funktionelle Gruppen und Seitenketten an diese gebunden sind. Die durchgehende Numerie-
rung der Hauptkette beginnt an dem Kettenende, welches einer funktionellen Gruppe bzw.
einer Seitenkette am nächsten liegt.

Funktionelle Gruppen, die nur als Präfix benannt werden dürfen


Die wichtigsten nur als Präfixe zu benennenden funktionellen Gruppen sind:
–Br Brom- –N2 Diazo- –OR Alkyloxy-
–Cl Chlor- –N3 Azido- oder Alkoxy-
–F Fluor- –NO Nitroso- –SR Alkylthio-
–I Iod- –NO2 Nitro-

z. B. wird die Verbindung


CH3

H H H CH2 H Br H NO2
8 7 6 5 4 3 2 1
H C C C C C C C C H

H H H Br H H Cl H

als 3,5-Dibrom-2-chlor-5-ethyl-1-nitrooctan bezeichnet.

Funktionelle Gruppen, die als Präfix oder Suffix benannt werden können
Wichtige funktionellen Gruppen, die sowohl als Präfix, als auch als Suffix benannt werden
können, sind nachfolgend tabellarisch aufgelistet. Solche, die ein C-Atom besitzen, werden
nachher gesondert behandelt.
Verbindungsklasse Gruppe Präfix Suffix
Amine –NH2 Amino- -amin
Alkohole –OH Hydroxy- -ol
Ketone C O Oxo- -on

Imine =NH Imino- -imin


Thiole –SH Mercapto- -thiol
Sulfonsäuren –SO3H Sulfo- -sulfonsäure
44 1 Einführung

Das Suffix wird nach dem Namen der Hauptkette angeführt. Die Stellungsziffer (eine
Zahl, die die Stellung der Substituenten nach Durchzählen der Hauptkette angibt) der mit
dem Suffix bezeichneten funktionellen Gruppe sollte möglichst niedrig sein und steht, durch
einen Bindestrich abgetrennt, vor dem Namen der Hauptkette. Es folgt die Benennung der
Hauptkette und das Suffix. Die Stellungsziffer des als Suffix bezeichneten Substituenten
kann auch vor dem Suffix stehen.
Z. B. werden die mit den Konstitutionsformeln gezeigten Verbindungen folgendermaßen
benannt:
H OH H H H H H H O H H
1 2 3 4 3 2 1 1 2 3 4
H C C C H H C C C C SO3H H C C C C H

H H H H H H H H H H H
2-Propanol oder Butansulfonsäure 2-Butanon oder
Propan-2-ol (Die 1- wird nicht geschrieben, Butan-2-on
wenn der Name eindeutig ist)

Funktionelle Gruppen, die ein Kohlenstoffatom besitzen und als Präfix oder Suffix benannt
werden können
Eine Reihe von funktionellen Gruppen besitzen ein C-Atom, mit dem sie an die Kohlenstoff-
kette gebunden sind. Dieses C-Atom kann man entweder als zur Kohlenstoffkette gehörig
oder nicht gehörig ansehen. Deshalb gibt es zwei Möglichkeiten, diese funktionellen Grup-
pen als Suffix zu bezeichnen. Zählt man z. B. das C-Atom der Carboxygruppe bei einer Car-
bonsäure in der Hauptkette mit, so schreibt man hinter die Bezeichnung der Hauptkette als
Suffix das Wort „-säure“. Betrachtet man das C-Atom der Carboxygruppe aber als nicht zur
Hauptkette gehörig, so steht als Suffix das Wort „-carbonsäure“. Die Verbindung
H H H H O
H C C C C C
OH
H H H H kann man als Pentansäure oder Butancarbonsäure bezeichnen.
Hierzu einige Beispiele:
H H H H O H H H H H O
O
6 5 4 3 2 1 H
4 3 2 1 H C H H C C C C C C
H C C C C O O
1 2 3 O C H
H C C C C C H H H H H
H H H H
H H
H H H
Butanal 1,2,3 -Propantricarbaldehyd Methylhexanoat
oder Propan-1,2,3-tricarbaldehyd

O OH H O O H H H
1 2 3 4 3 2 1
H C H H C C C C H H C C C N
O O
1 2 3
C C C C C H H H H
H O O H
H H H
Propan-1,2,3-tricarbonsäure Butan-2,3-dion Propannitril
1.7 Die Nomenklatur organischer Verbindungen 45

Tabelle 1.7 Funktionelle Gruppen, die als Präfix oder Suffix genannt werden können und ein C-
Atom haben, das in die Hauptkette einbezogen oder nicht einbezogen werden kann

Verbindungs- funktionelle Präfix Suffix mit Einbeziehung Suffix mit Nichteinbezie-


klasse Gruppe des C-Atoms der funktio- hung des C-Atoms der
nellen Gruppe in die funktionellen Gruppe in
Hauptkette die Hauptkette
O
Carbonsäuren C Carboxy- -säure -carbonsäure
OH

O
Säurehalide C Haloformyl- -oylhalid -carbonylhalid
X = F, Cl, Br, I X

O
Amide Carbamoyl- -amid -carboxyamid
C
NH2

O
Ester C R- ... oxy- R- ... (o)at R- ... carboxylat
OR
carbonyl

Nitrile C N Cyan- -nitril -carbonitril


O
Aldehyde C Formyl- -al -carbaldehyd
Alkanale H

Doppel- und Dreifachbindungen werden nur als Suffix genannt. Bei einer Doppelbindung wird
bei Benennung der Hauptkette die Endsilbe -an ersetzt durch die Silbe -en, bei einer Drei-
fachbindung durch die Endung -in. Die Zahl, die die Stellung der Mehrfachbindung angibt,
wird entweder vor den Namen der Hauptkette oder vor das Suffix gestellt. Es ist darauf zu ach-
ten, daß Doppel- bzw. Dreifachbindungen Bestandteil der Hauptkette sind. Zum Beispiel wird

H2C CH2 CH3

H CH2 H
H3C
2 3 4 5 6 7 8
C C C C C C CH3
H3 C1 H H als 4-Butyl-2-methyloct-2-en-6-in bezeichnet.

Hierarchie der Hauptgruppen


Befinden sich in der Verbindung mehrere funktionelle Gruppen, die mit Suffix benannt wer-
den können, so darf, außer dem Suffix für die Doppel- oder Dreifachbindung, nur eine einzi-
ge funktionelle Gruppe mit Suffix genannt werden. Diese bezeichnet man als Hauptgruppe.
Bei der Wahl der Hauptgruppe ist eine bestimmte Hierarchie der funktionellen Gruppen zu
beachten. Die folgende Aufstellung zeigt die Reihenfolge nach abnehmender Priorität:
46 1 Einführung

1. Säuren,
2. Säurederivate in der Reihenfolge Anhydride, Ester, Acylhalide, Amide und Imide,
3. Nitrile, Isocyanide,
4. Aldehyde, Ketone,
5. Alkohole und Phenole,
6. Amine, Imine usw.
Mit der Durchnumerierung der Hauptkette beginnt man am Suffix-Ende. Die mit den nach-
folgenden Konstitutionsformeln dargestellten Verbindungen werden z. B. wie folgt benannt:

H H O O
O
H O 4 3 2 1 H H
O H C C C C
H 5 4 3 2 1
C C C C C O C C H
H
H O H
O H H H

2-Hydroxy-3-oxo-pent-4-ensäure oder Ethyl-2,3-dioxo-butanoat


2-Hydroxy-3-oxo-4-pentensäure

1.7.4 Kriterien für die Wahl der Hauptkette


Die Hauptkette ist für die Benennung und Bezifferung der Verbindung maßgebend. Gibt es
mehrere Möglichkeiten für die Wahl der Hauptkette, sind folgende Kriterien, geordnet nach
abnehmender Priorität, entscheidend:
1. größte Anzahl der der Hauptgruppe entsprechenden funktionellen Gruppen in der
Hauptkette,
2. größte Anzahl der Mehrfachbindungen in der Hauptkette (Doppel- und Dreifachbindun-
gen werden gemeinsam gezählt),
3. längste Kohlenstoffkette,
4. maximale Anzahl von Doppelbindungen in der Hauptkette,
5. maximale Anzahl von Präfixen der Gruppen, die sowohl als Präfix als auch als Suffix
benannt werden können,
6. maximale Anzahl der Substituenten, die nur als Präfix benannt werden können.
Bei sonst gleichen, in den Punkten 1 bis 6 vorher genannten Kriterien, ist die Hauptkette
diejenige, in der (nach abnehmender Priorität geordnet)
a) die Hauptgruppen,
b) die Mehrfachbindungen,
c) die Doppelbindungen,
d) die Präfixe der Substituenten, die sowohl als Präfix als auch als Suffix benannt werden
können,
e) die Präfixe der Substituenten, die nur als Präfixe benannt werden können,
bei der Durchnumerierung der Kohlenstoffkette die niedrigste Ziffer bekommen.
1.7 Die Nomenklatur organischer Verbindungen 47

Beispiele:
11 10 9 8 7
HO CH2 C C CH CH
6 5 4 3 2 1
CH CH CH CH CH CH2 OH
5' 4' 3' 2' 1'
HO CH2 CH CH C C

6-(5-Hydroxy-3-penten-1-inyl)-2,4,7-undecatrien-9-in-1,11-diol und nicht


6-(5-Hydroxy-3-pentin-1-enyl)-2,4,9-undecatrien-7-in-1,11-diol
Bei der Wahl der Hauptkette wurde das Kriterium c) beachtet (Doppelbindungen haben
Priorität vor Dreifachbindungen und müssen beim Durchzählen der Hauptkette eine mög-
lichst niedrige Zahl haben). Die cis/trans-Isomerie wurde in dieser Formel nicht berücksich-
tigt, da sie erst im Kapitel über Alkene behandelt wird.
1 2 3 4 5 6 7
HOOC CH2 CH2 CH CH2 CH2 COOH
1' 2' 3' 4'
CH2 CH2 CH CH2 C N

Cl

4-(3-Chlor-4-cyanobutyl)-heptan-1,7-disäure
Bei der Wahl der Hauptkette wurde darauf geachtet, daß die Hauptgruppen Bestandteil
der Hauptkette sind.
OH
7 6
Cl CH2 CH
5 4 3 2 1
CH CH2 CH CH CH2 OH
2' 1'
HO CH2 CH NO2

7-Chlor-5-(2-hydroxy-1-nitroethyl)-hept-2-en-1,6-diol
Bei der Wahl der Hauptkette wurde darauf geachtet, daß die Hauptgruppen die niedrigs-
ten Zahlen bekommen, und die Doppelbindung Bestandteil der Hauptkette ist.
48 1 Einführung

Übungsaufgaben

? 1.1
In welcher Hauptgruppe des Periodensystems befindet sich der Kohlenstoff?

? 1.2
Welchen Stoffklassen entsprechen die unten angeführten Konstitutionsformeln?
O H
H R CH2
C C H 2C
R H (CH2)n R CH2 O H

a) b) c) d) e)

O
H R O R
O R C
R C C
R O R O R C R H O R O H

f) g) h) i) j)

O
H
R C
O R C (CH2)n
O
R C O C
O R C O R' O R X X = Cl, Br,I

k) l) m) n)

O O
R C R C
X R NH2 R N(CH3)3Cl NH2

o) p) r) s)

R S H R S S R R SO2 R R SO3H

t) u) v) w)
Übungsaufgaben 49

? 1.3
Benennen Sie die unten stehenden funktionellen Gruppen
O H O
C O C C
O H C O R' O H O NH2 NH2

a) b) c) d) e) f)

NO2 N O C NH N N N N

g) h) i) j) k)

O O

S S OH

C N S H O O

l) m) n) o)

? 1.4
Erklären Sie was man unter einem induktivem Effekt versteht, welche Auswirkungen er hat
und was der +I-Effekt und der –I-Effekt ist.

? 1.5
Was versteht man bei Benennung organischer Verbindungen unter dem Begriff Hauptkette?

? 1.6
Definieren Sie was in der chemischen Nomenklatur der Ausdruck Hauptgruppe bedeutet.

? 1.7
Welcher Suffix steht bei Anwendung der IUPAC-Nomenklatur im Namen folgender Stoff-
klassen:
a) Alkohol b) Aldehyd c) Keton d) Carbonsäure e) Amin f) Nitril
50 1 Einführung

? 1.8
Benennen Sie folgende Verbindungen:

CH3 H3C CH3

H 3C
CH3 H 3C H 3C OH
CH3
CH3

a) b) c)

OH
H2 C H 3C
H 3C CN
O CH3
CH3 OH
H 3C

d) e) f)

Cl

OH
H3 C
OH
H 3C

O O O

g) h)

N
CH3 CH O

i) j) k)

? 1.9
Wie sind die sp3-, sp2- und sp-Orbitale des Kohlenstoffs räumlich ausgerichtet?

? 1.10
Welche Bindungslängen haben die C-H-Bindung und die C-C-Bindung im Ethan, die Dop-
pelbindung im Ethen und die Dreifachbindung im Ethin?
Lösungen 51

Lösungen

! 1.1
Kohlenstoff ist ein Element der 4. Hauptgruppe des Periodensystems der Elemente

! 1.2
Die Konstitutionsformeln entsprechen jeweils der unten angeführten Stoffklasse

O H
H R CH2
C C H 2C
R H (CH2)n R CH2 O H

a) Alken c) Cycloalkan c) Aromat d) Alkohol e) Phenol

O
H R O R
O R C
R C C
R O R O R C R H O R O H

f) Ether g) Aldehyd h) Keton i) Acetal j) Carbonsäure,


Alkansäure

O
H
R C
O R C (CH2)n
O
R C O C
O R C O R' O R X X = Cl, Br,I

k) Säureanhydrid l) Ester m) Lacton n) Halogenalkan

O O
R C R C
X R NH2 R N(CH3)3Cl NH2

o) Säurehalogenid p) primäres Amin r) quartäres Ammoniumsalz s) Säureamid

R S H R S S R R SO2 R R SO3H

t) Thiol, Mercaptan u) Disulfid v) Sulfon w) Sulfonsäure


52 1 Einführung

! 1.3
Die Namen der Funktionellen Gruppen:

a) Carboxygruppe, b) Alkoxycarbonylgruppe, c) Hydroxygruppe d) Formylgruppe,


e) Aminogruppe, f) Aminocarbonylgruppe oder Carbamoylgruppe, g) Nitrogruppe,
h) Nitrosogruppe, i) Iminogruppe, j) Diazoniumgruppe, k) Azogruppe, l) Nitril- oder Cyanid-
gruppe, m) Thiol- oder Mercaptogruppe, n) Sulfonylgruppe, o) Sulfogruppe

! 1.4
Bei Bindungspartnern mit unterschiedlicher Elektronegativität ist in der σ-Bindung die
Elektronendichte zwischen beiden Partnern ungleich verteilt, sie ist beim elektronegativeren
Partner größer. Die Polarität dieser σ-Bindung beinflußt auch die benachbarten σ-Bindun-
gen, man bezeichnet dies als Induktiven Effekt. Zieht der den Effekt auslösende Substituent
infolge seiner Elektronegativität die Elektronen der Bindung an, so spricht man vom –I-Ef-
fekt, schiebt er hingegen die Elektronen von sich weg, so liegt ein +I-Effekt vor.

! 1.5
Die Hauptkette ist für die Benennung und Bezifferung der chemischen Verbindung maßge-
bend. Der Name der Hauptkette wird vom Namen des n-Alkans mit gleicher Anzahl der
Kohlenstoffatome abgeleitet. Bei den Alkanen ist die Hauptkette die längste Kohlenstoff-
kette. Bei Verzweigten Alkanen beginnt man mit der Durchnummerierung der Hauptkette an
dem Kettenende wo die Verzweigung am nächsten ist. Bei Vorliegen von funktionellen
Gruppen, Doppel- oder Dreifachbindungen in der Verbindung muß man bei der Wahl der
Hauptkette bestimmte Kriterien berücksichtigen. (siehe Kap. 1.7.4 )

! 1.6
Befinden sich in der Verbindung mehrere funktionelle Gruppen, die am Namensende der
Verbindung mit einer Endsilbe (Suffix) bezeichnet werden könnten, darf nur eine einzige
funktionelle Gruppe mit Suffix benannt werden. Diese wird als Hauptgruppe bezeichnet. Die
Wahl der Hauptgruppe erfolgt nach einem Prioritätsprinzip in der absteigenden Folge: Car-
boxygruppe, funktionelle Gruppen der Säurederivate, Nitrilgruppe, Formyl- und Ketogruppe,
Hydroxygruppe, Aminogruppe und Iminogruppe.

! 1.7
Der Suffix im Namen der Verbindungen der entsprechenden Stoffklassen lautet:

a) -ol, b) -al, c) -on, d) -säure, e) -amin, f) -nitril

! 1.8
a) 3,4-Dimethylhexan b) 5-(1'-Methylethyl)decan c) Butanol d) Diethylether
e) 5-Ethyl-3-methylhex-5-enol f) 3-Hydroxyhexannitril g) Octansäure
h) 6-Chlor-3-oxooctansäure i) 1-Methylcyclopenta-1,3-dien j) Ethylbenzol k) Nitrosobenzol
Lösungen 53

! 1.9
Im sp3-hybridisierten Kohlenstoff sind die sp3-Orbitale tetraedrisch angeordnet und ihre
Symmetrieachsen schließen einen Winkel von 109°28' ein. Die sp2-Orbitale liegen in einer
Ebene, die senkrecht zur Achse des p-Orbitals steht, und ihre Symmetrieachsen schließen
einen Winkel von 120° ein. Die Symmetrieachsen der sp-Orbitale liegen auf einer Geraden.
Diese Gerade steht senkrecht auf der Symmetrieachse der beiden p-Orbitale, die auch wiede-
rum senkrecht zu einander stehen (siehe Kap. 1.3.6 und Abbildung 1.31).

! 1.10
Die C-H-Bindung im Ethan hat die Bindungslänge 109 pm, die C-C-Einfachbindung
154 pm. Die Bindungslänge der Doppelbindung im Ethen Beträgt 135 pm und die Bindungs-
länge der Dreifachbindung im Ethin 120 pm.
2 Alkane
Alkane, auch Paraffine genannt, sind Kohlenwasserstoffe mit offener Kohlenstoffkette, deren
Kohlenstoffatome untereinander nur mit Einfachbindungen (σ-Bindungen) verknüpft sind.
Sie haben die allgemeine Formel CnH2n+2. Es gibt unverzweigte Alkane, die als n-Alkane (n
= normal) bezeichnet werden, und verzweigte Alkane.

2.1 Benennung der Alkane


Die systematische Benennung der Alkane wurde bereits im Abschnitt 1.7.1 und 1.7.2 einge-
hend dargelegt. Für bestimmte Alkane werden auch häufig Trivialnamen verwendet:

CH3 CH3 CH3 CH3 CH3

H3C C CH3 H3C C CH2 CH3 H3C C CH3 H3C C CH2 C CH3

H H CH3 CH3 H

Isobutan Isopentan Neopentan Isooctan

Im allgemeinen kann man 2-Methylalkane als Isoalkane bezeichnen, wobei man das
Kohlenstoffatom der Seitenkette mitrechnet und nach der Vorsilbe iso- den Namen des
n-Alkans nennt, das die gleiche Anzahl von C-Atomen hat. Die Vorsilbe iso- wird aber auch
für andere Verbindungen benutzt, wie das Beispiel des Isooctans zeigt, bei dem es sich um
das 2,2,4-Trimethylpentan handelt.

2.2 Homologe Reihen der Alkane


Eine homologe Reihe liegt dann vor, wenn die Glieder dieser Reihe, die Homologen (griech.
homos = dasselbe), der gleichen allgemeinen Formel entsprechen, die gleichen Struktur-
merkmale aufweisen und die benachbarten Glieder sich nur durch die Gruppe -CH2 unter-
scheiden. Die Strukturmerkmale der homologen Reihe der n-Alkane sind: eine unverzweigte
Kohlenstoffkette und die Verknüpfung der Kohlenstoffatome mit Einfachbindungen.
Schreibt man für die Methylgruppen in den verkürzten Strukturformeln der n-Alkane nicht,
wie üblich, -CH3, sondern -CH2–H, so ist ersichtlich, daß sich die benachbarten Glieder
dieser Reihe nur durch das Inkrement -CH2 (lat. incrementum = Zuwachs) unterscheiden:

H– CH 2– H Methan
H– CH 2 – CH 2 – H Ethan
H– CH 2 – CH 2 – CH 2 – H Propan
H– CH 2 – CH 2 – CH 2 – CH 2 – H Butan
usw.

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 54


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
2.4 Konformationen des Ethans und Butans 55

Auch bei den verzweigte Alkanen gibt es homologe Reihen. Eine solche homologe Reihe
wäre z.B. die homologe Reihe der 2-Methylalkane. Sie entspricht der allgemeinen Formel
CnH2n+2 und ihr Strukturmerkmal ist eine offene Kette mit einer Methylverzweigung am
zweiten Kohlenstoffatom der Hauptkette, wobei die Kohlenstoffatome nur mit Einfachbin-
dungen verknüpft sind. Eine weitere Homologenreihe bilden z.B. die 3-Methylalkane, die
alle eine Methylverzweigung am dritten Kohlenstoffatom der Hauptkette aufweisen.
R CH CH3 R CH CH2 CH3

CH3 CH3

2-Methylalkan 3-Methylalkan

Man kann ermessen, daß es bei den verzweigten Alkanen viele homologe Reihen geben
kann.

2.3 Kettenisomere
Als isomere Verbindungen werden solche angesehen, die die gleichen Atome in gleicher An-
zahl aufweisen, sich jedoch in der Anordnung der Atome im Molekül unterscheiden. Sie
haben die gleichen Summenformeln, jedoch unterschiedliche Strukturformeln.
Die Verbindungen

CH3 CH3

H3C CH2 CH2 CH2 CH3 H3C C CH2 CH3 H3C C CH3

H CH3

n-Pentan Isopentan Neopentan

haben alle die gleiche Summenformel, nämlich C5H12, sie unterscheiden sich aber in ihrer
Struktur: sie besitzen andere Seitenketten und ein anderes Kohlenstoffskelett. Man bezeich-
net sie deshalb als Skelett- oder Kettenisomere und ordnet sie den Konstitutionsisomeren zu
(siehe auch Abschnitt 1.6 „Die Strukturformel“). In den Konstitutionsisomeren haben die
Verbindungen die gleiche Summenformel, ihre Atome sind jedoch untereinander unter-
schiedlich verknüpft.

2.4 Konformationen des Ethans und Butans


2.4.1 Konformation des Ethans
In den Alkanen sind die Kohlenstoffatome um die C–C-σ-Bindung frei drehbar. Im Ethan
können deshalb durch Drehung (Torsion) um die C–C-Bindung die an das eine C-Atom ge-
bundenen drei Wasserstoffatome zu den drei am anderen C-Atom gebundenen Wasserstoff-
atomen verschiedene räumliche Stellungen einnehmen. Räumliche Anordnungen von Ato-
men oder Gruppen im Molekül, die durch einfache Drehung der Kohlenstoffatome um die
C–C-σ-Bindung zustande kommen, bezeichnet man als Konformationen.
56 2 Alkane

Bei der Rotation eines C-Atoms um die C–C-Bindung wird im Ethan eine Konformation er-
reicht, in der die an beide C-Atome gebundenen Wasserstoffatome in nächster Nähe zueinander
stehen. Betrachtet man das in Bild 2.1 gezeichnete Molekülmodell, erkennt man, daß bei Aus-
richtung der C–C-Einfachbindung in Blickrichtung die drei rückwärtigen Wasserstoffatome
von den vorderen verdeckt sind, also genau hintereinander stehen. Diese Konformation wird
als ekliptisch (engl. eclipsed = verdeckt) oder auch als Deckungsform bezeichnet.
Bei weiterer Drehung des C-Atoms um einen Torsionswinkel von 60° nimmt das Ethan-
molekül eine Konformation ein, in der die Wasserstoffatome voneinander am weitesten ent-
fernt sind und die Wasserstoffatome am rückwärtigen C-Atom zu jenen, die sich am vorde-
ren C-Atom befinden, auf Lücke stehen. Sie wird als gestaffelt bezeichnet (englisch: full
staggered, von to stagger = gestaffelt, versetzt anordnen).
Zwischen diesen beiden Extremkonformationen des Ethans kann das Molekül durch
Drehen um die C–C-Einfachbindung unendlich viele Zwischenkonformationen durchlaufen,
die man als schiefe Konformationen oder skew-Konformationen zusammenfaßt. Die durch
Drehung um die C–C-Einfachbindung bei verschiedenen Torsionswinkeln (Drehwinkeln)
erhaltenen Konformationsisomere werden als Konformere oder Rotamere bezeichnet.
Für die Veranschaulichung der räumlichen Anordnung bedient man sich der Sägebock-
Projektion (Sägebock, englisch: sawhorse) oder der Newman-Projektion.
In der Sägebock-Projektion wird die C–C-Bindung schräg nach hinten abgebildet. Das
Symbol C für die beiden mit dieser Bindung miteinander verknüpften C-Atome wird nicht
geschrieben.
Bei der Newman-Projektion stellt man sich vor, daß die C–C-Bindung in Blickrichtung
orientiert wird, wobei das rückwärtige Kohlenstoffatom in Deckung ist, so daß zur Darstel-
lung der Kohlenstoffatome nur ein Kreis gezeichnet wird. Die Bindungen des vorderen Koh-
lenstoffatoms werden so eingezeichnet, daß sie auch im Inneren des Kreises sichtbar sind,
die Bindungen am rückwärtigen Kohlenstoffatom sind nur außerhalb des Kreises sichtbar.

Konformation Modellansicht Sägebockprojektion Newman-Projektion

H HH
H
ekliptisch H
H
H H
H H H H

H H
H
H H H
gestaffelt
H

H H H H
H

Bild 2.1 Die ekliptische und gestaffelte Konformation des Ethans in der Sägebock-Projektion und
der Newman-Projektion
2.4 Konformationen des Ethans und Butans 57

Die Wasserstoffatome im Ethan stoßen sich gegenseitig ab. Dies ist auf nichtbindende
intramolekulare Wechselwirkungen zurückzuführen. Nichtbindend heißt in diesem Falle,
daß die Wechselwirkungen nicht über die Bindungen vermittelt werden, und intramolekular
heißt, daß die Wechselwirkungen innerhalb des Moleküls wirksam sind. In der ekliptischen
Konformation, in der die an den beiden Kohlenstoffatomen des Ethans gebundenen Was-
serstoffatome in Deckung sind, befinden sie sich zueinander in der kürzesten Entfernung.
In dieser Konformation machen sich die abstoßende Kräfte besonders bemerkbar, und im
Molekül tritt durch sie eine Spannung auf, die als Pitzer-Spannung bezeichnet wird. Die
potentielle Energie des Systems ist deshalb am größten in der ekliptischen Konformation,
sie nimmt bei einer weiteren Drehung um die C–C-σ-Bindung ab, bis sie mit der gestaffel-
ten Form ein Energieminimum erreicht. Bei einer Drehung von der gestaffelten über die
unendlich vielen Anordnungen skew zur ekliptischen Konformation muß ein bestimmter
Energiebetrag aufgewendet werden, die Rotationsenergie. Diese beträgt beim Ethan 12,6
kJ/mol. Die Methylgruppen im Ethan können frei um die C–C-Bindung rotieren, da die
Rotationsenergie bei Zimmertemperatur durch Übertragung von kinetischer Energie beim
Zusammenstoß von Molekülen aufgebracht wird. Die Rotameren des Ethans lassen sich bei
Zimmertemperatur deshalb nicht isolieren. Die Unterschiede in den potentiellen Energien
der Rotamere des Ethans lassen sich graphisch in einem Energiediagramm veranschauli-
chen, wobei die potentielle Energie auf der einen und der Torsionswinkel auf der anderen
Achse aufgetragen werden.
Die gestaffelte Konformation ist von allen Konformationen des Ethans am energie-
ärmsten, so daß bei Zimmertemperatur die meisten Ethanmoleküle in dieser Konformation
vorliegen.

ekliptisch ekliptisch ekliptisch ekliptisch

H H H H
HH HH HH HH
H H H H
H H H H H H H H

12,6
kJ/mol
Energie [kJ/mol]

H H H H H H
H H H
H H H
H H H H H H
gestaffelt gestaffelt gestaffelt

0° 60° 120° 180° 240° 300° 360°


Torsionswinkel [°]

Bild 2.2 Unterschiede der potentiellen Energie der Konformere des Ethans
58 2 Alkane

2.4.2 Konformationen des Butans

Betrachtet man das Molekülmodell des Butanmoleküls so, daß die C–C-Bindung des 2. und
3. Kohlenstoffatoms in Blickrichtung liegt und dreht dann eines dieser beiden Kohlenstoff-
atome um die mittlere C–C-σ-Bindung, so kann man viele Konformationen erkennen.
Befinden sich die beiden Methylgruppen des Butanmoleküls in Deckung, ist die Konfor-
mation synperiplanar. Da die Methylgruppen sich untereinander stärker abstoßen als die
Wasserstoffatome, ist dies die energiereichste Konformation des Butans. Bei weiterer Dre-
hung im Uhrzeigersinn nehmen die abstoßenden Kräfte etwas ab und erreichen bei einem
Torsionswinkel von 60° ein Zwischenminimum an potentieller Energie mit der synclinalen
Konformation. Beim weiteren Drehen des Kohlenstoffatoms um die C–C-σ-Bindung neh-
men die Abstoßungskräfte wieder zu. Nach einer Drehung um 120° befindet sich das Butan-
molekül in der anticlinalen Konformation, wobei sich die Methylgruppen mit Wasserstoff-
atomen in Deckung befinden und ein Zwischenmaximum an potentieller Energie erreicht
wird. Bei weiterer Drehung nimmt die Abstoßungskraft wieder ab, bis das Butanmolekül
schließlich in der antiperiplanaren Konformation die von allen Konformationen des Butans
niedrigste potentielle Energie erreicht. In dieser Konformation sind die beiden Methylgrup-
pen am weitesten voneinander entfernt, so daß die abstoßenden Kräfte sich am wenigsten
auswirken können, die Pitzer-Spannung also am geringsten ist. Die Unterschiede der poten-
tiellen Energie in Abhängigkeit von der Konformation des Butanmoleküls zeigt Bild 2.3.
Bei Zimmertemperatur überwiegt im Butan zu etwa 80 % die antiperiplanare Struktur,
das synclinale Konformere ist das zweithäufigste Konformere.

synperiplanar anticlinal anticlinal synperiplanar

CH3 H H CH3
H3C H H3C H H3
H3C C H3C H
H CH3 H H
H H H H H H H H

18,0 10,4 14,2


kJ/mol kJ/mol kJ/mol
Energie [kJ/mol]

3,8 kJ/mol
H H
H3C
H H
H3C CH3 H3C H3C
H H
CH3
H H H H H H
synclinal antiperiplanar synclinal

0° 60° 120° 180° 240° 300° 360°


Torsionswinkel [°]

Bild 2.3 Konformere des Butans


2.5 Physikalische Eigenschaften der Alkane 59

2.5 Physikalische Eigenschaften der Alkane


In den Alkanen sind sowohl die C–H- als auch die C–C-σ-Bindungen unpolar. Darum gibt es
in den Alkanmolekülen keine Dipole, so daß ihr Zusammenhalt im Kristall oder in der Flüs-
sigkeit nur durch Dispersionskräfte (London-Kräfte) gegeben ist. Dispersionskräfte sind
schwache Anziehungskräfte, die im wesentlichen aus dem Wechsel der relativen Kern- und
Elektronenkonfigurationen resultieren.
Im weiteren diene das Bohrsche Atommodell dazu, zu erläutern, wie diese Dispersions-
kräfte zustandekommen. Das Atommodell geht von der Vorstellung aus, daß die Elektronen
sich mit hoher Geschwindigkeit auf einer Kreisbahn um den im Zentrum befindlichen posi-
tiven Atomkern bewegen. Die Ladungsverteilung im Atom ist im Mittel symmetrisch, wo-
bei beide Ladungen ihren Schwerpunkt im Zentrum haben. Bei einer Abweichung des
Atomkerns von der Mittellage oder einem kurzzeitigen Ausscheren der Elektronen von der
gegebenen Kreisbahn fallen die Ladungsschwerpunkte nicht mehr zusammen. Die Ladungs-
verteilung ist unsymmetrisch, wodurch im Atom ein momentaner Dipol entsteht. Durch
Anziehung mit dem positiven Dipolende oder Abstoßung mit dem negativen Dipolende
wird auch bei den Elektronen des Nachbaratoms eine Abweichung von der Flugbahn verur-
sacht, so daß auch bei diesem vorübergehend ein Dipol vorliegt. Dies führt zu einer schwa-
chen Wechselwirkung zwischen beiden Atomen, ihre Dipole ziehen sich mit den ungleich-
namigen Ladungen gegenseitig an. Diese als Dispersionskräfte bezeichneten schwachen
Anziehungskräfte haben nur eine geringe Reichweite, denn die Anziehungskraft F zwi-
schen dem kurzzeitigen Dipol und dem induzierten (angeregten) Dipol ist umgekehrt pro-
portional zu der sechsten Potenz ihres Abstandes r:
F ~ 1 / r6
Deshalb sind sie nur zwischen direkt benachbarten Atomen oder Molekülen wirksam. Je
mehr Atome sich im Molekül befinden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß im ge-
gebenen Moment ein kurzzeitiger Dipol entsteht, der beim Nachbaratom einen Dipol indu-
ziert. Die Anziehungskraft beträgt pro Methyleneinheit (CH2–) etwa 4 bis 6 kJ/mol.
Die Zunahme der molaren Masse und damit auch der Dispersionskräfte führt zu höheren
Schmelz- und Siedetemperaturen und zu höheren Dichten der Alkane. Die ersten vier Ho-
mologen der n-Alkane vom Methan (CH4) bis Butan (C4H10) sind bei Zimmertemperatur
(20°C) gasförmig, n-Pentan (C5H12) bis n-Hexadecan (C16H34) sind flüssig, und die weiteren
n-Alkane sind fest.

- -
e e

+ δ- + δ+

Bild 2.4
symmetrische unsymmetrische Kurzzeitiger Dipol als Folge einer Bewegung
Ladungsverteilung des Atomkerns oder eines Ausscherens des
Elektrons aus seiner Bahn
60 2 Alkane

340 343
Siedetemperaturen 330
320 bei 1013 mbar 317
300 303
280 280
268
260 251
240
230
220
216
200 196
180
174
160
151
140 Dichte bei 20 °C
120 126 0,80
0,776 0,777
100 98 0,768
0,774 0,776
Temperatur [°C]

0,756
80 0,740 0,763 0,75
69 0,748
60 0,718 0,730
40 36 0,703 28 36,4 0,70
20 0,684 18 32
-0,5 0,660 5,9 10 22
0 -9,6 -5,5 0,65
-20 -25,6
Schmelz-
-29,7 temperaturen
-40 -42 0,60
-56,8 -53,5
-60
-80 0,557
-89
-90,6
0,55
-100 -95,3 Dichte [g/ml]
-120
-138 -129,8
-140
-164
-160
-183
-180
-182 -187,7
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Anzahl der Kohlenstoffatome

Bild 2.5 Zunahme der Dichte, der Schmelz- und Siedetemperaturen mit der Kettenlänge der n-Al-
kane

Dichte-Werte der Alkane. Je länger die Kohlenstoffkette ist, desto stärker sind die zwischen
den Molekülen der Alkane wirksamen Dispersionskräfte. Mit Zunahme der Anziehungskräf-
te werden die Moleküle dichter zusammengefügt. Liegt bei den n-Alkanen eine längere Koh-
lenstoffkette vor, nimmt die Dichte zu, bis ein bestimmter Limitwert erreicht wird, wo eine
dichtere Packung infolge der Abstoßungskräfte der Elektronenhüllen nicht mehr möglich ist.
Die Werte für die Dichte einiger n-Alkane sind aus Bild 2.5 zu ersehen.
2.5 Physikalische Eigenschaften der Alkane 61

Bild 2.6 Kristallgitter des n-Hexans

Schmelztemperaturen der Alkane. Die Alkane sind nichtionische Verbindungen, deren Ato-
me durch kovalente Bindungen verknüpft sind. Die Kristalle setzen sich aus Molekülen zu-
sammen, die alleine durch Dispersionskräfte im Kristallverband zusammengehalten werden.
Die Moleküle der n-Alkane sind im Kristall dicht gepackt. Die langgestreckten Kohlenstoff-
ketten kann man sich nebeneinander geschlichtet (ähnlich den Sardinen in der Sardinenbüch-
se) vorstellen, wie dies in Bild 2.6 veranschaulicht wird. Die Moleküle haben in dieser dich-
ten Packung nur eine beschränkte Bewegungsmöglichkeit. Beim Zuführen von Wärme
nimmt die Eigenbewegung der Moleküle zu, die Bewegungsenergie überwindet die schwa-
chen Dispersionskräfte, und das Kristallgitter fällt zusammen, der Kristall schmilzt. Da die
Alkanmoleküle im Kristall nur durch schwache Dispersionskräfte zusammengehalten wer-
den, sind die Schmelztemperaturen – verglichen mit ionischen Verbindungen – relativ nied-
rig. Die Dispersionskräfte sind mit Zunahme der Kettenlänge der Kohlenstoffkette stärker, so
daß die höheren Homologen der n-Alkane auch eine höhere Schmelztemperatur aufweisen.
Schmelz- und Siedetemperaturen sowie Dichten sind Stoffkonstanten, man kann Reinstoffe
mit ihrer Hilfe identifizieren. Bei den Schmelztemperaturen der n-Alkane kann man fest-
stellen, daß ihre Zunahme mit steigendem Molekulargewicht nicht in regelmäßigen In-
tervallen erfolgt. Die Packungsvoraussetzungen im Kristall sind für gerade und ungerade
n-Alkanketten unterschiedlich, so daß die Schmelztemperaturen mit wachsender Kohlen-
stoffkette alternieren. Die Packungsvoraussetzungen im Kristall sind auch für verzweigte
Alkane schlechter als für n-Alkane. Deshalb weisen verzweigte Alkane eine niedrigere
Schmelztemperatur auf. Symmetrische, verzweigte Alkane bilden jedoch leicht regelmäßige
Kristallgitter aus und haben deshalb relativ hohe Schmelztemperaturen.
Die Siedetemperaturen der Alkane. In den flüssigen Alkanen sind die Moleküle nicht so sys-
tematisch angeordnet wie im festen Zustand, und ihre Bewegungsfreiheit ist größer. Jedes
Alkanmolekül ist jedoch noch von anderen umgeben und die Moleküle ziehen sich gegen-
seitig mit Dispersionskräften an. Mit Zunahme der Temperatur nimmt auch die Eigenbe-
wegung der Moleküle zu. Bei genügend hoher Temperatur reicht die thermische Bewegung
62 2 Alkane

der Moleküle aus, die zwischenmolekularen Kräfte, die sie in der Flüssigkeit zusammenhal-
ten, zu überwinden, und sie gehen im gesamten Flüssigkeitsvolumen in die Gasphase über,
die Flüssigkeit siedet. Die Zunahme der molaren Masse der Alkane und die sich damit stär-
ker auswirkenden Dispersionskräfte erfordern beim Übergang von der flüssigen Phase in die
Gasphase mehr Energie, was mit einem Anstieg der Siedetemperaturen verbunden ist. Die
verzweigten Alkane haben, verglichen mit den n-Alkanen mit gleicher Anzahl der C-Atome,
niedrigere Siedetemperaturen.
Die Löslichkeit in Alkanen. Ionische Verbindungen können in Alkanen nicht gelöst werden.
Dies ist verständlich, wenn man bedenkt, daß die starken Kräfte, die den Zusammenhalt im
Ionengitter bedingen, um vieles größer sind, als die zwischen Alkanmolekülen und Ionen
wirkenden zwischenmolekularen Kräfte. Die Ionen können also von den Alkanen nicht aus
dem Kristallgitter herausgelöst werden. In Feststoffen mit unpolaren oder nur mäßig polaren
Substanzen sind die Kräfte, die die Moleküle zusammenhalten, von gleicher Größenordnung
wie die Kräfte, die zwischen den im Feststoff befindlichen Molekülen und den Alkanmole-
külen in der Flüssigkeit wirksam sind. Unpolare oder nur mäßig polare Substanzen können
deshalb mit Alkanen als Lösungsmittel aus ihrem Kristallverband herausgelöst werden. Auch
bei den Alkanen gilt die Faustregel „similia similibus solvuntur“, d. h. Gleiches löst Glei-
ches. In flüssigen Alkanen lassen sich z. B. feste Alkane, Fette oder Wachse gut lösen.
Die hydrophoben Eigenschaften der Alkane. Hydrophob bedeutet wasserabweisend. Schüt-
telt man flüssige Alkane mit Wasser, trennen sich beide Flüssigkeiten sofort wieder, und es
liegen zwei flüssige Phasen mit einer gut sichtbaren Phasengrenze vor. Die Alkane bilden,
infolge ihrer kleineren Dichte, die obere Phase. Zwischen den Wassermolekülen treten auf
Grund des vorhandenen Dipols starke Anziehungskräfte auf, und sie sind durch Wasser-
stoffbrücken untereinander verbunden. Dies bewirkt, daß die Alkanmoleküle, die nur mit
schwachen Dispersionskräften wirken, nicht in die wäßrige Phase eindringen können. Ein
Tropfen Wasser wird nach Auftreffen auf eine Alkanunterlage nicht zerfließen, da die den
Zusammenhalt der Wassermoleküle bewirkenden Kräfte weit größer sind als die Kräfte, die
zwischen den Alkan- und Wassermolekülen auftreten.

2.6 Vorkommen der Alkane


Methan kommt als Hauptkomponente im Erdgas vor. Daneben ist in diesem noch Ethan und
auch etwas Propan und Butan enthalten (durchschnittlich in Volumenprozenten: 86,3% Me-
than, 9,6% Ethan, 3% Propan und 1,1% Butan). Methan entsteht auch bei Fäulnisprozessen
im Schlamm von Teichen oder in Sümpfen und wird daher auch als „Sumpfgas“ bezeichnet.
In Steinkohlengruben kann es als „Grubengas“ mit Luft vermischt durch Funkenschlag oder
durch eine offene Flamme eine Explosion („schlagende Wetter“) auslösen. Bei der Bioauf-
bereitung pflanzlicher Abfälle entsteht durch Einwirkung von Mikroorganismen ebenfalls
Methan.
Im Erdöl sind Alkane in großen Mengen enthalten, wobei n-Alkane bei weitem überwie-
gen. Die n-Alkane stellen ein komplexes Gemisch dar, vom Methan bis zu Alkanen mit sehr
langen Kohlenstoffketten (z.B. C40).
2.7 Synthese der Alkane 63

80
%
70
Prozentualer Gewichtsanteil

60

50

40

30

20

10

17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
Anzahl der C-Atome im n- Alkan

Bild 2.7 Zusammensetzung der n-Alkane im Kutikularwachs der Conference-Butterbirne

Im Montanwachs, einem aus bituminöser Braunkohle erhaltenen Extrakt, befinden sich


n-Alkane von C21–C31, wobei die n-Alkane mit ungerader Anzahl der C-Atome überwiegen
(im böhmischen Montanwachs: C27 – 14 %, C29 – 39 % und C31 – 27,5 %).
Im Cuticularwachs an der Oberfläche von Blättern, Blüten und Früchten sind ebenfalls
(bis zu 40%) Alkane enthalten (C16–C33). Das Wachs verhindert einen zu großen Wasserver-
lust der Pflanze durch Abgabe von Wasserdampf (Transpiration). Im Alkananteil des Cuti-
cularwachses sind hauptsächlich n-Alkane vertreten. Verzweigte Alkane kommen darin nur
in Spuren vor. Die n-Alkane mit ungerader Anzahl der C-Atome überwiegen gegenüber den
geradzahligen Homologen beträchtlich. Man kann dies durch die Biosynthese der Alkane in
der Pflanze erklären, wobei man annimmt, daß die n-Alkane durch Decarboxylierung (Ab-
spaltung von CO2) geradzahliger höherer Carbonsäuren entstehen.

2.7 Synthese der Alkane


Von einer Synthese spricht man, wenn man die gewünschte Verbindung durch eine chemi-
sche Reaktion aus einer anderen Verbindung herstellt. Dies kann im Laboratorium in Milli-
gramm- oder Grammengen geschehen. Im Gegensatz dazu werden Stoffe in der chemischen
Industrie in Tonnenmengen produziert, wobei technische, ökonomische, ökologische und
andere Gesichtspunkte beachtet werden müssen. Im technischen Maßstab werden Alkane
keineswegs synthetisch gewonnen, sie liegen in Erdölfraktionen in Form von Gemischen
vor und werden, da eine Isolierung individueller Alkane für die industrielle Verwertung
64 2 Alkane

nicht notwendig ist, nach einer groben Fraktionierung durch die fraktionierte Destillation und
nach einer Raffination (Reinigungs- und Veredelungsprozeß) der weiteren Verarbeitung
zugeführt, z.B. für die Synthese langkettiger Sulfonsäuren, deren Salze als Textilhilfsmittel
und Waschmittel Verwendung finden.

2.7.1 Darstellung der Alkane durch katalytische Hydrierung

Mit Hilfe von Platin- oder Palladiumkatalysatoren sowie mit Raney-Nickel kann eine Anla-
gerung von Wasserstoff an Mehrfachbindungen erfolgen. Dieser Vorgang wird als katalyti-
sche Hydrierung bezeichnet. Alkene und Alkine werden bei der katalytischen Hydrierung zu
Alkanen umgesetzt.
H H
R H
Pt
C C + H2 R C C R'
H R'
H H
Alken Alkan
Der Palladium-Katalysator kommt gewöhnlich feinverteilt auf Aktivkohle zum Einsatz.
Für die Hydrierung mit einem Platinkatalysator verwendet man im Labor in der Regel Pla-
tinoxid nach Adams, das aus Hexachloroplatinsäure (H2PtCl6) durch Verschmelzen mit
NaNO2 erhalten wird. In Gegenwart von Wasserstoff wird es zu feinverteiltem Pt reduziert.
Raney-Nickel wird aus einer Aluminium-Nickel-Legierung gewonnen, die man, fein zer-
mahlen, mit konz. Natronlauge reagieren läßt, worauf man das Natriumaluminat heraus-
wäscht. Der in feingekörnter Form zurückbleibende Nickel besitzt die für eine katalytische
Wirksamkeit erforderliche große Oberfläche. Raney-Nickel ist pyrophor (entzündet sich an
der Luft) und wird deshalb unter Wasser aufbewahrt. Die Hydrierung mit Raney-Nickel be-
nötigt gewöhnlich schwachen Überdruck (3–7 bar) und gegebenenfalls auch eine höhere
Temperatur, während sie mit Pt- oder Pd-Katalysator schon bei normalem Druck und Zim-
mertemperatur erfolgt.

2.7.1.1 Kohlehydrierung
Großtechnisch kann man Kohlenwasserstoffe mit einem hohen Alkananteil durch Hydrie-
rung mit Hilfe des Bergius- oder des Fischer-Tropsch-Verfahrens aus Braunkohle gewinnen.
Im 2. Weltkrieg wurde in Deutschland der Benzinbedarf durch Produktion aus Kohle in rie-
sigen Hydrierwerken nach diesen Verfahren gedeckt. Heute gewinnt man das Benzin aus
Erdöl, weil es, auch bei inzwischen gestiegenen Erdölpreisen, immer noch billiger ist. Beim
Bergius-Verfahren wird die Kohle in Öl fein zerrieben und mit 2% Eisenkatalysator ver-
setzt. In einem Anmaischbehälter wird die Kohle dann mit Anreibeöl, einem Gemisch aus
Mittel- und Schweröl (im Verhältnis 2 : 3), versetzt und mit Wasserstoff unter Druck (300
bar) auf 380°C und später im Reaktor auf 425 °C erhitzt. Bei der Fischer-Tropsch-Synthese
wird die Kohle nicht direkt hydriert, vielmehr wird durch wechselnde Einwirkung von Was-
serdampf und Luft auf glühende Kohle diese zunächst in Synthesegas umgewandelt, das H2
und CO enthält. Das Gasgemisch H2/CO wird im Verhältnis 2 : 1 mit heißem Reaktionsgas
vorgewärmt, in den Reaktor geleitet, wo bei 220 °C in Gegenwart eines alkalisierten Eisen-
2.7 Synthese der Alkane 65

katalysators unter einem Druck von 25 bar die Hydrierung erfolgt, aus der Kohlenwasser-
stoffe resultieren. In der Alkanfraktion befinden sich etwa 91% n-Alkane. Prozentual vertei-
len sich die Produkte wie folgt: 6% Flüssiggas, 33% Benzin, 17% Schweröl, 10% Mittelpa-
raffin, 18% Hartparaffin und 4% Alkohole. Mit Hilfe dieses Verfahrens wird auch heute
noch in Südafrika Benzin aus Kohle gewonnen.
Die beiden genannten Verfahren dürften künftig, bei knapper werdender Erdölversor-
gung, wieder Bedeutung erlangen.

2.7.2 Alkane aus Alkylhalogeniden


Als Alkylhalogenide oder Halogenalkane werden acyclische Verbindungen mit der allgemei-
nen Formel R–X bezeichnet, wobei X für Fluor, Chlor, Brom oder Iod steht. Allerdings ist
darauf hinzuweisen, daß Fluoralkane wegen ihrer Reaktionsträgheit in diesem Falle nicht als
Edukte (Ausgangssubstanzen für die Reaktion) dienen. Die Reaktionsträgheit der Fluoral-
kane ist auf die Bindungsstärke der C–F-Bindung zurückzuführen. Die σ-Bindung zwischen
C-Atom und Halogenatom kommt durch Überlappung des sp3-Orbitals des C-Atoms und des
p-Orbitals des Halogenatoms zustande. Die Größe des p-Orbitals nimmt vom F zum I zu, die
Elektronenwolke ist diffuser, die Überlappung mit dem sp3-Orbital geringer und die C–X-
Bindung daher schwächer.

2.7.2.1 Die Wurtz-Synthese


Man läßt Alkylbromide oder Alkyliodide mit metallischem Natrium reagieren, wobei eine
Kopplung zweier Alkylreste stattfindet:
2 R − X + 2 Na → R − R + 2 NaX

Die Reaktion verläuft über eine metallorganische Zwischenstufe:


R − X + 2 Na → R − Na + NaX
X = Br oder I
R − Na + X − R → R − R + NaX

Die Wurtz-Fittig-Synthese dient zur Darstellung von aromatisch-aliphatischen Verbindungen,


wobei man ein Arylhalogenid (als Aryl bezeichnet man im allgemeinen einen aromatischen
Rest, Abkürzung Ar) und ein Alkylhalogenid mit Natrium reagieren läßt:
Ar − X + X − R + 2 Na → Ar − R + 2 NaX

2.7.2.2 Alkane aus Grignardverbindungen


Als Grignardverbindungen werden Verbindungen vom Typ RMgX bezeichnet. Man stellt sie
her, indem man zu in Ether befindlichen Magnesiumspänen langsam unter Rückfluß ein
Alkylhalogenid zutropfen läßt.
Ether
R − X + Mg ⎯⎯⎯
⎯→ R − Mg − X X = Cl, Br oder I

Der wasserfreie Ether dient als Lösungsmittel. Er bildet mit der Grignardverbindung
einen Komplex (ein Etherat). Hierbei wird dem Mg von den Sauerstoffatomen zweier Ether-
66 2 Alkane

moleküle je ein freies Elektronenpaar für eine koordinativ kovalente Bindung zur Verfügung
gestellt. Das Mg füllt auf diese Weise sein Elektronenoktett auf:
H5C2 C2H5
O

R Mg X + 2 H5C2 O C2H5 R Mg X

O
H5C2 C2H5

Die Grignardverbindungen können sehr vielseitig für Synthesen eingesetzt werden. Durch
Reaktionen mit Verbindungen, die Protonen abspalten können, z.B. mit Alkoholen, Wasser
oder Säuren, entstehen aus den in Ether gelösten Grignardverbindungen entsprechende Alkane:

⎯→ R − H + Mg (OR' ) X
Ether
R − Mg − X + H − O − R' ⎯⎯⎯

Die Reaktion ist exotherm, und es ist wegen des niedrigen Siedepunktes des Ethers ange-
zeigt, z.B. Wasser nicht direkt zuzutropfen, sondern es mit Ether zu schütteln und die mit
Wasser gesättigte Etherphase zuzugeben.
Die Reaktion von Grignard-Reagens wird nach Zerewitinow zur Bestimmung H-aktiver
organischer Verbindungen herangezogen. Man setzt Methylmagnesiumbromid ein und das
sich entwickelnde Methan wird gasvolumetrisch gemessen.

2.7.2.3 Reduktion von Alkylhalogeniden


Die Reduktion von Alkylhalogeniden kann durch Einwirkung von Zink und Mineralsäuren
erfolgen,
R − X + Zn + 2 HCl → R − H + HX + ZnCl2

oder mit Hilfe von komplexen Metallhydriden, z.B. mit Lithiumaluminiumhydrid (LiAlH4).
4 R − X + LiAlH4 → 4 R − H + LiX + AlX3 X = Cl, Br oder I

2.7.3 Alkane aus Alkalisalzen der Carbonsäuren

Anmerkung: Alkalisalze der Carbonsäuren haben die allgemeine Formel


O
R C
O Me mit Me = Li, Na, K

2.7.3.1 Die Alkalischmelze


Bei starkem Erhitzen eines Gemisches, bestehend aus dem Alkalisalz einer Carbonsäure und
fein zerriebenem Ätznatron oder Ätzkali, wird ein Alkan gebildet:
2.8 Reaktionsgleichung und Reaktionsmechanismus 67

O
Δ
R C + NaO H R H + Na2CO3
O Na

Das Symbol Δ über dem Reaktionspfeil bedeutet starkes Erhitzen.

2.7.3.2 Die Kolbe-Elektrolyse


Eine konzentrierte wäßrige oder methanolische Lösung der Alkalisalze der Carbonsäuren
wird bei hohen Stromdichten elektrolysiert, wobei an der Anode ein Alkan entsteht.
Elektrolyse
2 RCOO Na + 2 H2O R R + 2 CO2 + 2 NaOH + H2

Anode Kathode
Reaktionsmechanismus: Die Reaktion verläuft radikalisch. Zunächst wandert das Carboxy-
lation RCOO– zur Anode und gibt dort ein Elektron ab. Das entstandene Carboxylradikal
decarboxyliert, und die dabei gebildeten Alkylradikale rekombinieren.
Anode
O O
R C R C + e
O O

Carboxylradikal

O
R C R + O C O
O
Alkylradikal
Erläuterungen der Symbole:
R + R R R
e = Elektron
= ungepaartes Elektron des Radikals
= Elektronenpaar der kovalenten Bindung
= homöopolare Spaltung der kovalenten Bindung

2.8 Reaktionsgleichung und Reaktionsmechanismus


Bei der Reaktionsgleichung (abgekürzt RG) stehen links vom Reaktionspfeil die miteinander
reagierenden Ausgangsstoffe, die als Edukte oder Reaktanten bezeichnet werden, und rechts
davon die Produkte, das sind die Stoffe, die bei der Reaktion gebildet werden.

AB + CD AC + BD

Edukte Produkte
68 2 Alkane

Zum Unterschied von der Reaktionsgleichung, die global nur die Edukte und die aus der
Gesamtreaktion resultierenden Produkte nennt, werden im Reaktionsmechanismus (abge-
kürzt RM) die einzelnen Teilschritte der Reaktion aufgeführt. Der Reaktionsmechanismus
zeigt, wie die Umbildung der Edukte über verschiedene Intermediärstufen (Zwischenstufen)
zu Endprodukten erfolgt. Dieser Reaktionsweg wird gekennzeichnet durch mehr oder weni-
ger stabile Zwischenprodukte, die gegebenenfalls auch isolierbar sind, oder dadurch, daß
instabile Übergangszustände durchlaufen werden. Der Reaktionsmechanismus ermöglicht
ein tieferes Verständnis des Reaktionsablaufes.

2.9 Reaktionen der Alkane


In Alkanen sind sowohl die C–H- als auch die C–C-σ-Bindungen unpolar. Die Alkanmole-
küle bieten Ladungsträgern keine Angriffsstellen, so daß Alkane auch nicht mit Verbindun-
gen reagieren, die für den Reaktionsablauf einen Ionenmechanismus voraussetzen, z.B. mit
Säuren oder Laugen. Sie überstehen deshalb unverändert eine Behandlung mit konz. Schwe-
felsäure, Salpetersäure, konz. Natronlauge und lassen sich auch mit Kaliumdichromat oder
Kaliumpermanganat bei mäßig hohen Temperaturen nicht oxidieren. Alkane werden deshalb
mit dem Etikett „reaktionsträge“ versehen. Die im Handel und in der Technik noch ge-
bräuchliche Bezeichnung Paraffin für Alkane ist auf ihre Reaktionsträgheit gegenüber sol-
chen Reagenzien zurückzuführen. Der Name Paraffin stammt vom lateinischen parum affi-
nis, das mit „wenig verwandt“ übersetzt werden kann, womit man zum Ausdruck bringen
will, daß diese Stoffgruppe sich mit anderen Stoffen nicht umsetzt.
Die Reaktionsträgheit der Alkane bezieht sich aber nur auf Reaktionen, die nach einem
Ionenmechanismus erfolgen. Es wäre um die chemische Industrie schlecht bestellt, wenn die
Alkane so inert wären und sich nicht chemisch umsetzen ließen. Schließlich bildet Erdöl, das
einen hohen Alkananteil enthält, heute die Rohstoffbasis für die industrielle Erzeugung der
meisten organisch-chemischen Produkte. Auch unsere Alltagserfahrung lehrt uns, daß Alka-
ne nicht inert sind und mit dem Sauerstoff der Luft reagieren: eine brennende Paraffinkerze
gibt darüber Aufschluß; und wer wollte es schließlich bezweifeln, daß Heizöl oder Benzin,
die beide einen hohen Alkananteil aufweisen, brennen?
Die Alkane sind also chemisch reaktiv, aber diese Reaktivität bezieht sich auf Reaktio-
nen, die nach einem Radikalmechanismus ablaufen. Diese Reaktionen werden eingeleitet
durch die homöopolare Spaltung einer Bindung. Von den zwei Elektronen der Bindung be-
hält bei der Spaltung jeder Bindungspartner ein Elektron:

X Y X + Y

Die Produkte dieser Spaltung, die ein ungepaartes Elektron aufweisen (durch einen Punkt
veranschaulicht), werden als Radikale bezeichnet. Einen Hinweis auf radikalische Reak-
tionen geben die Reaktionsbedingungen: z.B. ein erforderliches Erhitzen des Reaktions-
gemisches auf höhere Temperaturen, Bestrahlen des Reaktionsgemisches mit energiereichem
Licht oder die Gegenwart von Verbindungen, die leicht in Radikale zerfallen (z.B. Di-
alkylperoxide R–O–O–R).
2.9 Reaktionen der Alkane 69

2.9.1 Chlorierung und Bromierung der Alkane

2.9.1.1 Die Chlorierung des Methans


Chlor und Methan reagieren bei Erhitzen oder durch Bestrahlung mit UV-Licht, wobei die
Wasserstoffatome im Methan durch Chloratome ersetzt werden. Hierbei entsteht ein Pro-
duktgemisch von Methylchlorid (CH3Cl), Methylenchlorid (CH2Cl2), Chloroform (CHCl3)
und Tetrachlorkohlenstoff (CCl4):
CH4 + Cl2 → CH3Cl + HCl
Monochlormethan (Methylchlorid )
CH3Cl + Cl2 → CH2Cl2 + HCl
Dichlormethan (Methylenchlorid)
CH2Cl2 + Cl2 → CHCl3 + HCl
Trichlormethan (Chloroform )
CHCl3 + Cl2 → CCl4 + HCl
Tetrachlormethan (Tetrachlorkohlenstoff )

Die Chlorierung des Methans ist eine exotherme Reaktion. Liegen die beiden Reaktions-
partner in bestimmten Konzentrationsverhältnissen vor, kann die Reaktion explosionsartig
verlaufen.
Großtechnisch wird die Chlorierung des Methans in flüssiger Phase mit Quecksilber-
tauchlampen durchgeführt; in der Gasphase erfolgt sie bei 400–450°C und schwach erhöh-
tem Druck. Der prozentuale Anteil der vier Produkte kann durch die Wahl der Reaktionsbe-
dingungen (molares Verhältnis der Edukte, Reaktionsdauer) variiert werden. Die Reaktions-
produkte sind aus dem Reaktionsgemisch leicht zu isolieren, da sie sehr unterschiedliche
Siedetemperaturen haben (CH3Cl –23,7°C, CH2Cl2 40°C, CHCl3 61°C und CCl4 76,7°C).
Methylchlorid findet vielfach Anwendung in der organischen Synthese (zur Methylie-
rung von Alkoholen, Phenolen und Cellulose, Herstellung von Fluorchloralkanen usw.),
Methylenchlorid, Chloroform und vor allem Tetrachlorkohlenstoff finden breite Anwendung
als Lösungsmittel, wobei allerdings bei dieser Anwendung wegen ihrer Toxizität Schutz-
maßnahmen zu beachten sind. Sie verursachen Blutschädigungen durch Einwirken auf die
Leber mit Prothrombinmangel, der Blutgerinnungsstörungen als Folge hat. Für den Gebrauch
der chlorierten Methane als Lösungsmittel ist es von Vorteil, daß diese nicht brennbar sind.
Man verwendete früher Tetrachlormethan sogar als Füllung in Löschgeräten. Davon ist
man jedoch abgekommen, da die chlorierten Methane in der offenen Flamme mit dem Sauer-
stoff der Luft zu Phosgen umgesetzt werden. Phosgen wurde im 1. Weltkrieg als Kampfgas
eingesetzt.

Cl
C O
Cl
Phosgen
70 2 Alkane

2.9.1.2 Der Mechanismus der radikalischen Substitution (SR)


Bei der Chlorierung des Methans werden in diesem Wasserstoffatome durch Chlor ersetzt.
Man spricht deshalb von einer Substitutionsreaktion. Sie erfolgt nach einem radikalischen
Reaktionsmechanismus, der als radikalische Substitution bezeichnet und mit dem Symbol SR
abgekürzt wird. Die SR-Reaktionen verlaufen alle nach einem Schema, das drei Stufen der
Reaktionsabfolge unterscheidet:
1. die Startreaktion (Initiation), wobei eine Verbindung in Radikale aufgespalten wird, wel-
che die Reaktion einleiten.
2. Bei der Kettenfortpflanzung (Kettenpropagation) reagiert das eingebrachte Radikal mit
dem Reaktionspartner, in aufeinanderfolgenden Teilreaktionen entsteht das Produkt unter
Rückbildung des Radikals. Dieses kann wieder auf gleiche Weise mit dem Edukt rea-
gieren, so daß ein cyclischer Ablauf vorliegt. Diese Reaktionscyclen können sich bis zur
Kettenabbruch-Reaktion viele Male wiederholen (100 bis 1000 Cyclen).
3. Durch die Kettenabbruchreaktionen (Termination) wird die Kettenfortpflanzung abg-
ebrochen. Die freien Radikale werden hierbei sozusagen „aus dem Verkehr gezogen“, in-
dem sich zwei Radikale binden (Rekombination von Radikalen) oder eine Disproportio-
nierung zweier Alkylradikale erfolgt, wobei ein Alkan und ein Alken entstehen.
Disproportionierung:

H H
H H
R C C H C C
R H
H H
H H
R C C H R C C H
H H H H

Bei der Rekombination zweier Radikale bringen beide ihr ungepaartes Elektron für eine
σ-Bindung ein.
Rekombination:

R + R R R

Schließlich kann auch ein Radikal mit einem Molekül reagieren, wobei ein neues Radi-
kal entsteht, das für die weitere Reaktionsfolge der Kettenfortpflanzung zu unreaktiv ist.
Ein solches – als „Radikalfänger“ bezeichnetes – Molekül kann z.B. molekularer Sauer-
stoff sein, nach dessen Reaktion mit Radikalen die weniger reaktiven Peroxy-Radikale
entstehen.
2.9 Reaktionen der Alkane 71

2.9.1.3 Reaktionsmechanismus der Chlorierung des Methans


1. Startreaktion. Die Chlorierung des Methans wird eingeleitet durch eine photolytische
(durch Strahlungsenergie herbeigeführte) oder thermische (durch Erhitzen bewirkte)
Spaltung des Chlormoleküls Cl2 in zwei Chloratome 2 Cl·, welche ein einsames Elektron
besitzen und somit Radikalcharakter haben.

Cl Cl Cl + Cl

Anmerkung: hν über dem Reaktionspfeil bedeutet Lichteinwirkung.


2. Kettenfortpflanzung. Die Kettenfortpflanzung beginnt mit der Reaktion des Chloratoms
mit dem Methan, wobei über einen Übergangszustand H3C…H…Cl das Methylradikal
H3C· gebildet wird. Dieses reagiert mit einem Chlormolekül, und es entsteht das Reakti-
onsprodukt CH3Cl und ein Chloratom. Das Chloratom kann mit einem Methanmolekül
reagieren, so daß sich der ganze Vorgang wiederholt.

H H H

H C H + Cl H C H Cl H C + HCl

H H H
Übergangszustand

H H H

H C + Cl Cl H C Cl Cl H C Cl + Cl

H H Übergangszustand H

3. Kettenabbruchreaktionen. Der Abbruch der Kettenfortpflanzung erfolgt durch Rekombi-


nation Vereinigung bzw. Wiedervereinigung) von Radikalen, wobei sich zwei Radikale
binden, indem jedes sein ungepaartes Elektron für die neue σ-Βindung einbringt.
H H

H C + Cl H C Cl

H H
H H H H

Cl + Cl Cl Cl oder H C + C H H C C H

H H H H

Der erste Schritt der Kettenfortpflanzung verläuft über einen instabilen energiereichen
Übergangszustand (siehe Bild 2.8). In diesem Zustand ist die C–H-Bindung gelockert, aber
noch nicht gespalten, die H–Cl-Bindung noch nicht vollständig geknüpft. Bei Interaktion des
Chloratoms mit dem Wasserstoffatom des Methans weiten sich die Bindungswinkel zwischen
den C–H-Bindungen der restlichen Wasserstoffatome auf. Drei Elektronen (zwei
Bindungselektronen aus der C–H-Bindung und das ungepaarte Elektron aus dem Chlor-
72 2 Alkane

atom) sind über die drei Bindungszentren C–H–Cl delokalisiert, das heißt der wahrscheinliche
Aufenthalt der Elektronen erstreckt sich im Übergangszustand über alle drei Zentren. Aus die-
sem Übergangszustand heraus bilden sich Chlorwasserstoff und das Methylradikal mit einem
sp2-hybridisierten C-Atom. Die drei Wasserstoffatome des Methylradikals liegen in einer
Ebene, und das p-Orbital des Kohlenstoffatoms ist mit einem Elektron besetzt. Die Symme-
trieachse des p-Orbitals steht senkrecht zur Ebene, in der die drei Wasserstoffatome liegen.
Auch bei der Reaktion des Methylradikals mit Chlor erfolgt die Umwandlung in Methyl-
chlorid und ein Chloratom über einen Übergangszustand mit delokalisierten Elektronen.

2.9.1.4 Die Halogenierung höherer Alkane


Höhere Alkane sind bei der Halogenierung reaktiver als Methan. Bei den höheren Alkanen
kann – insbesondere bei der Bromierung – eine Selektivität der Halogenierung beobachtet
werden.
Die relative Reaktivität der Halogene. Für die Startreaktion ist bei der Chlorierung zur Spal-
tung des Chlormoleküls eine Bestrahlung mit UV-Licht notwendig. Da die Br–Br-Bindung
schwächer als die Cl–Cl-Bindung ist, kann die Startreaktion bei der Bromierung schon durch
Bestrahlung mit einer Glühlampe ausgelöst werden, wenn man das Reaktionsgemisch aus
nächster Nähe bestrahlt. Fluor reagiert mit Alkanen schon im Dunkel so heftig, daß nicht nur
perfluorierte Produkte gebildet werden, sondern auch eine Fragmentierung (Spalten in
Bruchstücke) der Moleküle eintreten kann. Die direkte Fluorierung wird deshalb nur in Aus-
nahmefällen und dann unter Kühlung und Verdünnung mit Stickstoff durchgeführt. Die
Reaktivität nimmt vom Fluor über Chlor und Brom zum Iod hin ab. Eine direkte Iodierung
der Alkane ist nicht zu erreichen.
Die Selektivität der Halogenierung. Die Selektivität der Halogenierung ist so zu verstehen,
daß die Reaktion bevorzugt an bestimmten Stellen des Alkanmoleküls erfolgt. In der Tat
wird die C–H-Bindung an tertiären Kohlenstoffatomen bevorzugt gespalten. Dann folgen die
C–H-Bindungen am sekundären und schließlich am primären Kohlenstoffatom.
R H H

R C H R C H R C H

R R H

tertiäres sekundäres primäres Kohlenstoffatom

p-Orbital 3e
- p-Orbital
H H
H
C H Cl C H Cl C + H Cl
H H
H sp3 H sp3 sp2 H H

Methan Chloratom Übergangszustand Methylradikal Chlorwasserstoff


-
e oder = Elektron
Bild 2.8 Übergangszustand bei der Reaktion des Methans mit dem Chloratom
2.9 Reaktionen der Alkane 73

Man kann dies auch so formulieren, daß die Methingruppe >CH– bevorzugt vor der Me-
thylengruppe –CH2– und diese wiederum vor der Methylgruppe –CH3 reagiert. Diese Selek-
tivität ist besonders beim Brom ausgeprägt, weniger beim Chlor, und Fluor reagiert fast un-
selektiv. Die Unselektivität des Fluors ist mit seiner hohen Reaktivität zu erklären, bei der
praktisch jede C–H-Bindung angegriffen wird. Reaktivität und Selektivität stehen also zu-
einander in umgekehrtem Verhältnis. Die Selektivität der Halogenierung ist mit der unter-
schiedlichen Stabilität der Radikale zu erklären, die bei der Halogenierung zunächst entste-
hen. Es werden bevorzugt die Produkte gebildet, die stabiler und energieärmer sind, wobei
das tertiäre Alkylradikal stabiler als das sekundäre und dieses wiederum stabiler als das pri-
märe ist:
R H H

R C stabiler als R C stabiler als R C

R R H

tertiäres sekundäres primäres Alkylradikal

Die unterschiedliche Stabilität der Alkylradikale ist mit der Hyperkonjugation zu erklä-
ren. Dieses Phänomen soll zunächst am Beispiel des Ethylradikals erläutert werden. Die im
Ethylradikal befindlichen C-Atome sind um ihre σ-Bindung frei drehbar, wobei Konformere
existieren, in denen die C–H-σ-Bindung des sp3-hybridisierten Kohlenstoffatoms und das
p-Orbital des benachbarten sp2-hybridisierten Kohlenstoffatoms in Deckung sind. In dieser
Konformation befinden sich beide Orbitale in unmittelbarer räumlicher Nähe, so daß es zwi-
schen beiden zu einer Überlappung kommen kann (in Bild 2.9 wird sie durch eine gestri-
chelte Linie zwischen beiden Orbitalen symbolisiert), die eine Delokalisierung des im
σ-Orbital befindlichen Elektronenpaares ermöglicht. Unter dem Begriff Delokalisierung des
Elektronenpaares versteht man in diesem Fall, daß der wahrscheinliche Aufenthaltsraum der
Elektronen nicht nur auf das σ-Orbital der C–H-Bindung beschränkt ist, sondern sich auch
auf das einfach besetzte p-Orbital ausweitet. Diese als Hyperkonjugation bezeichnete Wech-
selwirkung stabilisiert das Radikal. Im Falle, daß noch weitere Alkylreste an das sp3-hybridi-
sierte C-Atom gebunden sind, wie z.B. beim tert-Butylradikal (H3C)3C·, können sich auch
diese an der Hyperkonjugation beteiligen, wodurch der stabilisierende Effekt verstärkt wird.

H
H
C C
H
H H
Bild 2.9
Die Hyperkonjugation im Ethylradikal (das p-Orbital
sp2 sp3 des sp2-hybridisierten C-Atoms ist nur mit einem Elek-
tron besetzt.)
74 2 Alkane

2.9.2 Einführung der Sulfonylchlorid- und Sulfogruppe in Alkane

2.9.2.1 Die Sulfochlorierung


Die Sulfochlorierung erfolgt bei der Einwirkung von Schwefeldioxid und Chlor auf Alkane
unter energiereicher Bestrahlung, wobei Alkansulfonylchloride, die auch als Alkansulfo-
chloride bezeichnet werden, entstehen.

R H + SO2 + Cl2 R SO2 Cl + HCl
Alkan Alkansulfonylchlorid
1. Startreaktion. Die Reaktion wird durch eine Spaltung des Chlormoleküls gestartet.


Cl Cl Cl + Cl

2. Kettenfortpflanzung. Die Chloratome reagieren mit Alkanen unter Bildung von Alkyl-
radikalen. Die Umsetzung mit SO2 führt zu Alkansulfonylradikalen, die bei der Reaktion
mit Cl2 Alkansulfonylchloride bilden, wobei ein Chloratom freigesetzt wird.

R H + Cl R H Cl R + H Cl
Übergangszustand

R + SO2 R SO2
Alkansulfonylradikal

R SO2 + Cl Cl R SO2 Cl + Cl
Alkansulfonylchlorid
3. Kettenabbruchreaktionen. Der Kettenabbruch erfolgt durch Rekombination von Radika-
len.

R SO2 + Cl R SO2 Cl

R SO2 + R R SO2 R
Sulfon

R + Cl R Cl

Die Chlorierung der Alkane tritt bei der Sulfochlorierung als Nebenreaktion auf. Die Alkan-
sulfonylchloride werden weiterverarbeitet zu Wasch- und Netzmitteln.
2.9 Reaktionen der Alkane 75

2.9.2.2 Die Sulfoxidation

Die Sulfoxidation erfolgt durch Einwirken von Schwefeldioxid und Sauerstoff auf höhere
Alkane in Gegenwart von Radikalbildnern, z.B. Chlor oder Persäuren, oder unter Bestrah-
lung mit UV-Licht, wobei Alkansulfonsäuren gebildet werden.

1
hν, Starter Cl2
R H + SO2 + /2 O2 R SO3H
Alkan Alkansulfonsäure
Die Alkansulfonsäuren (auch als Alkylsulfonsäuren bezeichnet) sind starke Säuren, deren
Salze als Waschmittel Verwendung finden. Die Alkansulfonsäuresalze haben gegenüber den
herkömmlichen Seifen den Vorteil, daß ihre Calciumsalze in Wasser gut löslich sind und sie
außerdem in Lösung eine neutrale Reaktion zeigen.
Die Sulfoxidation läuft in folgenden Reaktionsschritten ab:
1. Startreaktion. Die Reaktion wird mit Hilfe eines Radikalbildners gestartet, z.B. Chlor,
das in Chloratome gespalten wird. Das Chloratom spaltet die C–H-Bindung eines Alkans,
und es entsteht ein Alkylradikal.


Cl Cl Cl + Cl

R H + Cl R H Cl R + H Cl

2. Kettenfortpflanzung. Das Alkylradikal bildet mit SO2 ein Alkansulfonylradikal. Am wei-


teren Teilschritt der Reaktion ist molekularer Sauerstoff beteiligt. Er ist paramagnetisch,
was auf die Anwesenheit zweier ungepaarter Elektronen mit parallelem Spin im Sauer-
stoffmolekül hinweist. Es ist also verständlich, daß der Sauerstoff sich wie ein Diradikal
verhält. Die diradikalische Struktur ·O–O· erklärt die besondere Affinität des Sauerstoffes
zu Radikalen. Der Sauerstoff reagiert mit dem Alkansulfonylradikal, wobei das
Alkanperoxosulfonylradikal gebildet wird. Dieses Radikal greift ein Alkan an, und die
Alkanperoxosulfonsäure entsteht. Sie zerfällt in ein Hydroxyradikal und das Alkansul-
fonradikal. Das letztere reagiert mit einem Alkan, und es entsteht das Reaktionsprodukt,
die Alkansulfonsäure (siehe nächste Seite).
3. Kettenabbruchreaktionen. Die Kettenabbruchreaktionen erfolgen durch Rekombination
(Vereinigung, Zusammenschluß) zweier Radikale.

R + R R R

R + O H R O H

H O + O H H O O H
76 2 Alkane

Kettenfortpflanzung (Erläuterung siehe vorhergehende Seite):

R + SO2 R SO2
Alkansulfonylradikal

O O

R S + O O R S O O

O O
Alkansulfonylradikal Alkanperoxosulfonylradikal

R SO2 O O + H R R SO2 O O H + R

Alkanperoxosulfonylradikal Alkanperoxosulfonsäure

R SO2 O O H R SO2 O + O H

Alkanperoxosulfonsäure Alkansulfonradikal

R SO2 O + H R R SO2 OH + R

Alkansulfonradikal Alkansulfonsäure

H O + H R H2O + R

2.9.3 Die Oxidation von Alkanen mit Sauerstoff

2.9.3.1 Die Autoxidation


Organische Stoffe können mit Luftsauerstoff auch ohne Katalysatoren sehr langsam oxidie-
ren. Diesen Vorgang bezeichnet man als Autoxidation (Selbstoxidation). Für n-Alkane ist
diese Oxidation kaum meßbar, verzweigte Kohlenwasserstoffe jedoch, insbesondere solche
mit tertiärem Kohlenstoffatom, sind der Selbstoxidation zugänglicher. In Gegenwart von
Schwermetallspuren oder Bromwasserstoff und bei höherer Temperatur reagieren Kohlen-
wasserstoffe, die ein tertiäres Kohlenstoffatom im Molekül haben, mit dem Sauerstoff der
Luft sehr bereitwillig, wobei reaktive, instabile Hydroperoxide entstehen. Bei der Reaktion
von Isobutan mit Luftsauerstoff entsteht tert-Butylhydroperoxid:
2.9 Reaktionen der Alkane 77

1. Startreaktion

CH3 CH3

H3C C H + O O H3C C + H O O

CH3 CH3
Isobutan (2-Methylpropan) tert-Butylradikal

2. Kettenfortpflanzung

CH3 CH3

H3C C + O O H3C C O O

CH3 CH3

tert-Butylradikal tert-Butylperoxyradikal

CH3 CH3 CH3 CH3

H3C C O O + H C CH3 H3C C O O H + C CH3

CH3 CH3 CH3 CH3

tert-Butylperoxyradikal tert-Butylhydroperoxid

CH3 CH3

H O O + H C CH3 H O O H + C CH3

CH3 CH3

3. Kettenabbruchreaktionen

CH3 CH3

H3C C + O O H H3C C O O H

CH3 CH3

CH3 CH3 CH3 CH3

H3C C + C CH3 H3C C C CH3

CH3 CH3 CH3 CH3


78 2 Alkane

Nach dem gleichen Reaktionsmechanismus erfolgt die Reaktion des Cumols, wobei
Cumolhydroperoxid entsteht.

CH3 CH3

C H + O2 C O O H

CH3 CH3

Cumol Cumolhydroperoxid
Cumol und Cumolhydroperoxid sind wichtige Zwischenprodukte bei der großtechnischen
Synthese des Phenols und Acetons aus Benzol und Propen (siehe Abschnitt 11.4c).

2.9.3.2 Die partielle Oxidation der Alkane

Bei der partiellen (teilweisen) Oxidation der Alkane können je nach Reaktionsbedingungen
verschiedene Produkte entstehen.

a) die Acetylensynthese. Durch partielle Oxidation können Methan, Flüssiggas oder Leicht-
benzin mit Sauerstoff zu Acetylen H–C≡C–H umgesetzt werden. Im von der BASF ent-
wickelten großtechnischen Verfahren werden Methan und Sauerstoff getrennt auf
500–600°C vorerhitzt, dann gemischt und in einem speziellen Brenner zur Reaktion ge-
bracht, wobei das Mischungsverhältnis CH4/O2 2 : 1 beträgt, so daß nur eine unvollstän-
dige Oxidation erfolgen kann. Nach einer Verweilzeit von nur einigen Millisekunden im
Brenner wird das Reaktionsgas mit Wasser oder Öl abgeschreckt, um Rußbildung zu ver-
hindern. Neben der partiellen Oxidation
2 CH4 + 3 2 O2 → H − C ≡ C − H + 3 H2O

erfolgt auch eine Dehydrodimerisierung (Abspaltung von Wasserstoff und Zusammen-


treten zweier Spaltprodukte), die ebenfalls zum Acetylen führt:
2 CH4 → H − C ≡ C − H + 3 H2

b) Partielle Oxidation von Alkanen zu sekundären Alkoholen. Durch Einleiten von Luft in
ein auf 140–180°C erhitztes Gemisch höherer Alkane erfolgt eine partielle Oxidation,
woraus ein komplexes Gemisch von Alkoholen, Ketonen, Estern und Säuren resultiert.
Die Reaktion verläuft über Alkylhydroperoxide als Zwischenprodukte, wobei die
O–O–H-Gruppen statistisch über die Paraffinkette verteilt sind. Es gibt eine Modifikati-
on dieser Reaktion (die Bashkirov-Oxidation), bei der man 0,1 Gew.-% KMnO4 und 4–5
Gew.-% Borsäure zu den Alkanen gibt, wobei Borsäureester gebildet werden, die weitere
Folgeoxidationen verhindern (siehe Abschnitt 10.7.6.4). Nach der Esterverseifung lie-
gen die Oxidationsprodukte in folgendem Mengenverhältnis vor: 70 % sekundäre Alko-
hole, 20 % Ketone und 10 % Carbonsäuren.
Die Alkohole werden zu Tensiden weiterverarbeitet (Stoffe, welche die Oberflächen-
spannung des Wassers herabsetzen, siehe Abschnitt 16.2).
2.9 Reaktionen der Alkane 79

1. H3BO3 140-180°C,
2. Esterhydrolyse
1
R CH2 R' + /2 O2 R CH R'

OH
2.9.3.3 Die Verbrennung von Alkanen
Bei der Verbrennung von Alkanen werden diese mit dem Sauerstoff der Luft zu Kohlen-
stoffdioxid und Wasser umgesetzt:

CnH2n + 2 + ( 3n 2 + 1 2) O 2 → n CO2 + (n + 1) H2O

Zum Starten der Reaktion müssen die Alkane zunächst auf die Zündungstemperatur er-
hitzt werden. Bei dieser Temperatur ist die kinetische Energie der Moleküle so hoch, daß
Bindungen gespalten werden, und Radikale entstehen, die komplizierte Folgereaktionen aus-
lösen, die schließlich zu den Reaktionsprodukten Kohlenstoffdioxid und Wasser führen. Bei
der Reaktion wird so viel Wärme freigesetzt, daß sie – einmal in Gang gesetzt – von alleine
weiter abläuft.
Reaktionen, bei deren Ablauf Wärme frei wird, bezeichnet man als exotherme Reakti-
onen, während solche, die Wärme verbrauchen, endotherme Reaktionen sind. Die bei norma-
lem Druck freiwerdende Reaktionswärme, in diesem Falle die Verbrennungswärme, wird
Reaktionsenthalpie genannt und mit dem Symbol ΔH gekennzeichnet. Die Reaktionswärme
wird gewöhnlich in kJ/mol angegeben. Bei exothermen Reaktionen gibt das System Energie
ab, so daß vor den entsprechenden Betrag ein negatives Vorzeichen gesetzt wird. Endother-
me Reaktionen erkennt man an einem positiven Vorzeichen. Gewöhnlich wird die Reak-
tionsenthalpie rechts neben die Reaktionsgleichung geschrieben, z.B.:

CH4 + 2 O 2 → CO2 + 2 H2O ΔH = –892 kJ/mol.

Die Verbrennung von fossilen Rohstoffen (Erdöl, Erdgas und Kohle) dient vornehmlich
Heizzwecken und der Energieversorgung. Heizöl, eine Fraktion des Erdöls, wird für Heiz-
zwecke verbraucht, Benzin und Dieselöl, ebenfalls Fraktionen des Erdöls, werden als Treib-
stoffe für Autos benutzt. Bei den Treibstoffen wird die bei der Verbrennung der Kohlenwas-
serstoffe freigesetzte Energie zum Teil in mechanische Energie, die der Fortbewegung der
Fahrzeuge dient, umgesetzt. Die ungeheuren Kohlenstoffdioxidmengen, die bei der Verbren-
nung von fossilen Rohstoffen oder deren Produkten anfallen, stellen ein gewaltiges Umwelt-
problem dar. Die Anreicherung von Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre führt dazu, daß
infolge einer geringeren Wärmeableitung der sog. Treibhauseffekt entsteht, das heißt, daß die
durchschnittliche Temperatur auf der Erde ansteigt. Diese klimatischen Veränderungen kön-
nen verheerende Folgen haben. Die Reserven an fossilen Rohstoffen sind begrenzt. Es ist
schon jetzt abzusehen, daß sie im Laufe des nächsten Jahrhunderts aufgebraucht sein werden.
Das, was auf der Erde in Jahrmillionen entstanden ist, wird in wenigen Generationen ver-
braucht. Die fossilen Rohstoffe bilden heute die Grundlage für die organisch chemische
Industrie. Es ist die Frage, woraus man die für unsere Bedürfnisse notwendigen Stoffe
(Kunststoffe, Arzneimittel, Farbstoffe usw.) dann herstellen will, wenn man die fossilen
Rohstoffe verbrannt hat.
80 2 Alkane

2.10 Methoden zur Trennung verzweigter und unverzweigter


Alkane
Zur Trennung der n-Alkane von verzweigten Alkanen kann man ein Molekularsieb 0,5 nm
benutzen oder sich der Einschlußverbindungen mit Harnstoff bedienen. Beide Methoden kön-
nen auch zur Trennung anderer acyclischer (nicht ringförmiger) Verbindungen mit unver-
zweigten und verzweigten Ketten genutzt werden (z.B. Alkohole, Carbonsäuren und Ester).

2.10.1 Trennung mit Molekularsieb 0,5 nm


Das Molekularsieb 0,5 nm ist ein Na-Ca-Al-Silikat mit Poren, deren Durchmesser mit
0,5 nm genau definiert ist. Molekularsiebe kommen in Form kleiner Perlen in den Handel.
Sie müssen vor Gebrauch durch Erhitzen auf 350°C aktiviert werden, wobei das in den Poren
aufgenommene Wasser ausgeheizt wird. Bei kleinen Mengen genügt es, das Molekularsieb
einige Minuten im Reagenzglas zu erhitzen. Man gibt es dann direkt in das flüssige Alkan-
gemisch oder das mit Benzol oder Toluol verdünnte Alkangemisch. Die n-Alkane können in
die Poren des Molekularsiebs gelangen, während verzweigte Paraffine, wie dies schematisch
in Bild 2.10 dargestellt ist, infolge der Verzweigung einen größeren Porendurchmesser be-
nötigen würden und deshalb in das Molekularsieb nicht eindringen können. Mit Hilfe des
Molekularsiebs kann man Gemische von n-Alkanen und verzweigten Alkanen trennen oder
wenigstens aufkonzentrieren.

2.10.2 Einschlußverbindungen mit Harnstoff


Versetzt man eine gesättigte methanolische Harnstofflösung mit einem flüssigen Alkan-
gemisch bestehend aus n-Alkanen und verzweigten Alkanen, scheiden sich sofort hexagona-
le Kristalle ab. In diesen sind die n-Alkane eingeschlossen, währenddessen die verzweigten
Alkane in der Mutterlauge bleiben. Man filtriert ab, wonach sich die verzweigten Paraffine
im Filtrat befinden und die Einschlußverbindungen (auch Klathrate genannt) als Rückstand
auf dem Filter verbleiben. Durch Erhitzen in Wasser werden die Einschlußverbindungen
zerlegt, die n-Alkane schwimmen oben auf der wäßrigen Phase.
Nicht nur n-Alkane können mit Harnstoff Einschlußverbindungen bilden, auch unver-
zweigte Alkohole, Ether, Aldehyde, Ketone und Carbonsäuren. Diese Verbindungen bilden
sozusagen den Kristallisationskeim, der zur spontanen Bildung der hexagonalen Harnstoff-
struktur führt, in deren Kanälen die Gastmoleküle eingelagert werden.

Molekularsieb 0,5 nm

Bild 2.10 Schema zur Erläuterung der Funktion des Molekularsiebes


Übungsaufgaben 81

Übungsaufgaben

? 2.1
Zeichnen Sie die Konformation des Ethans gestaffelt (staggered form) sowohl in Sägebock-
projektion als auch in Newman-Projektion.

? 2.2
Zeichnen Sie in Sägebockprojektion das Butan in a) synperiplanarer und b) antiperiplanarer
Konformation auf.

? 2.3
Benennen Sie das Produkt, das entsteht, wenn man Ethylbromid mit metallischem Natrium
reagieren läßt. Wie heißt die Synthese?

? 2.4
Was versteht man unter einer Grignard Verbindung und wie reagiert diese mit Alkohol oder
Wasser?

? 2.5
Auf welche Weise kann man ein Halogenalkan zum entsprechenden Kohlenwasserstoff re-
duzieren?

? 2.6
Ausgehend von Propansäure sollen Sie Butan synthetisieren. Schlagen Sie eine Synthese
vor!

? 2.7
Welche Reaktionen sind für Alkane charakteristisch?

? 2.8
Nach welchem Schema verläuft die Reaktion bei der radikalischen Substitution? (siehe
Kap. 2.9.1.2)

? 2.9
Welches Wasserstoffatom wird bei der Bromierung von Alkanen bevorzugt substituiert: das
am primären, sekundären oder tertiären Kohlenstoffatom? Geben Sie eine Reihung an und
begründen Sie die Selektivität.

? 2.10
Auf welche Weise kann man n-Alkane von verzweigten Alkanen trennen?
82 2 Alkane

Lösungen

! 2.1
Die Sägebock- und Newman-Projektion des Ethans in Staffelform:
Staffelform des Ethans
H
H H
H H
H H
H H
H H H

in Sägebock-Projektion in Newman-Projektion

! 2.2
Konformation des Butans
CH3 H H
H 3C
H3C
H H CH3
H H H H

a) synperiplanar b) antiperiplanar

! 2.3
Das Produkt ist Butan. Die Reaktion verläuft über eine metallorganische Zwischenstufe, in
diesem Fall über Ethylnatrium. Die Reaktion wird als Wurtz-Synthese bezeichnet (siehe Ka-
pitel 2.7.2.1).

! 2.4
Grignardverbindungen sind Verbindungen mit der chemischen Formel R-Mg-X, wobei X für
Cl, Br oder I steht. Sie reagieren mit Verbindungen, die Protonen abspalten können, z.B. mit
Wasser oder Alkoholen, wobei aus R-Mg-X das Produkt R-H gebildet wird (siehe Kapi-
tel 2.7.2.2). Grignardverbindungen sind ein vielseitiges Reagens für Synthesen, denn sie rea-
gieren mit einer ganzen Reihe von Verbindungen: mit Aldehyden und Ketonen (Kapi-
tel 10.6.2.8), mit Chinonen (Kapitel 14.2.3), mit Estern (Kapitel 17.3.6.2) und mit Nitrilen
(Kap. 13.3.4.3).

! 2.5
Man läßt das Halogenalkan, das zum Kohlenwasserstoff reduziert werden soll, mit Zn in
einer Mineralsäure oder in Ether mit LiAlH4 reagieren.
Lösungen 83

! 2.6
Für die Synthese des Butans aus Propansäure bietet sich die Kolbe-Elektrolyse an. In wäßri-
ger oder methanolischer Lösung des Natriumpropionats wird bei der Elektrolyse im Anoden-
raum unter Decarboxylierung Butan gebildet (siehe Kap. 2.7.3.2):
2 CH3CH2COO- CH3CH2CH2CH3 + 2CO2 + 2e-

! 2.7
Reaktionen, die über einen Radikalmechanismus ablaufen, sind für Alkane charakteristisch.
Die Reaktionsträgheit von Alkanen gegenüber polaren Reagenzien erklärt sich daraus, daß es
im Molekül des Alkans keine polaren kovalenten Bindungen gibt, die einen Angriffspunkt
für ein polares Reagens bieten.

! 2.8
Bei radikalischen Substitutionen unterscheidet man 3 Phasen:
1.) Die Startreaktion, welche die Reaktion einleitet.
2.) Die Kettenfortpflanzung (Kettenpropagation) bei der das Produkt unter gleichzeitiger
Rückbildung eines Radikals entsteht. Das Radikal reagiert wiederum mit dem Edukt, so
daß viele Reaktionscyclen hintereinander erfolgen können.
3.) Die Kettenabbruchreaktion (Termination) durch welche die Kettenfortpflanzung abge-
brochen wird.

! 2.9
Bei der Bromierung von Alkanen reagiert die Methingruppe =CH- bevorzugt vor der Methy-
lengruppe –CH2- und diese wiederum vor der Methylgruppe –CH3. Die Erklärung liegt in der
Hyperkonjugation, welche die Ursache dafür ist, daß ein tertiäres Alkylradikal stabiler ist als
ein sekundäres und dies wiederum stabiler als das primäre (siehe Kap. 2.9.1.4).

! 2.10
Man kann eine Trennung verzweigter von unverzweigten Alkanen mit Hilfe eines Moleku-
larsiebes mit 0,5 nm Porendurchmesser erreichen oder durch Einschlußverbindungen mit
Harnstoff. In die Poren des Molekularsiebs 0,5 nm kann ein unverzweigtes Alkan eindrin-
gen, ein verzweigtes Alkan wird durch die Verzweigung daran gehindert. In einer methanoli-
schen Harnstofflösung bilden n-Alkane mit dem Harnstoff eine Einschlußverbindung, die
sich aus der Lösung abscheidet, die verzweigten Alkane bleiben in der Lösung und können
abfiltriert werden, während die Einschlußverbindung als Rückstand auf dem Filter verbleibt.
Beim Erwärmen mit Wasser löst sich der Harnstoff in Wasser und das in Wasser nicht lösli-
che n-Alkan schwimmt im Wasser obenauf (siehe Kap. 2.10).
3 Alkene
Die Alkene, auch Olefine genannt, sind offenkettige (acyclische) Kohlenwasserstoffe mit
einer Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindung. Sie haben die allgemeine Formel CnH2n.

3.1 Nomenklatur
Die Nomenklatur der Alkene wird von den Namen der n-Alkane (siehe Abschnitt 1.7.1)
abgeleitet, wobei aber an die Stelle der Endung -an die Endsilbe -en tritt. Die Stellung der
Doppelbindung wird mit einer Zahl angegeben, die vor der Stammsilbe oder vor der End-
silbe -en steht (siehe auch Abschnitt 1.7.3). Die Stammsilbe wird abgeleitet vom Namen des
entsprechenden Alkans (siehe Abschnitt 1.7.1), wobei die Endung -an weggelassen wird,
z.B. heißt die Stammsilbe des Propans Prop, des Butans But usw.
Zur Nomenklatur der Alkene seien einige Beispiele gebracht:
H3C H H3C CH2 CH3 Cl CH2 CH3
C C C C C C
H3C CH2 CH3 H3C CH2 CH3 H3C CH2 CH2 CH2 CH3

2-Methyl-2-penten 3-Ethyl-2-methyl-2-penten 3-Chlor-4-ethyl-3-hepten

Verbindungen mit zwei, drei oder mehreren Doppelbindungen werden nach Anzahl die-
ser Doppelbindungen als Diene, Triene oder Polyene bezeichnet. Die Stellung der Doppel-
bindungen in der Kohlenstoffkette wird mit Zahlen gekennzeichnet, die mit einem Komma
getrennt sind, z.B. wird die Verbindung
CH3

H2C C CH CH2

2-Methyl-1,3-butadien1 genannt.
Der Anzahl der Doppelbindungen entsprechend wird die Silbe di-, tri- bzw. tetra- ge-
nannt, die vor der Endung -en steht. Alicyclische Verbindungen (siehe Kap. 5) mit einer
C=C-Doppelbindung im Kohlenstoffring werden als Cycloalkene bezeichnet.
Kohlenwasserstoffe mit Mehrfachbindungen werden auch als „ungesättigt“ bezeichnet,
weil sie nicht – wie die Alkane – die maximale Anzahl von Wasserstoffatomen im Molekül
enthalten und weitere Atome bzw. Atomgruppen zu binden vermögen.

1
Sie ist auch unter dem Trivialnamen „Isopren“ bekannt.

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 84


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
3.5 Die cis-trans-Isomerie in Alkenen 85

3.2 Bedeutung der Alkene


Das Ethen H2C=CH2, auch Ethylen genannt, und das Propen H2C=CH–CH3 gehören heute
mengenmäßig zu den wichtigsten Grundstoffen der chemischen Industrie. Ethen ist die Aus-
gangsbasis für etwa 30% aller Petrochemikalien (= Produkte, deren Rohstoffbasis das Erdöl
ist). Beide Olefine werden durch thermische Spaltung aus Erdölfraktionen erzeugt (siehe
Abschnitt 7.6.1.2) und stehen in großer Menge zur Verfügung. Alkene sind auch in der Natur
vorzufinden, z.B. langkettige Alkene im Bienen- und Rosenwachs. Ethen spielt beim Reife-
prozeß von Früchten eine Rolle.

3.3 Die σ- und π-Bindung


Die Doppelbindung besteht aus einer σ- und einer π-Bindung. Beide Bindungen weisen
qualitative Unterschiede auf.
Das π-Elektronenpaar ist beweglicher als die σ-Elektronen. Dies wirkt sich durch eine
größere Polarisierbarkeit der π-Bindung aus. Man kann sich das Zustandekommen der π-
Bindung durch Überlappung der p-Orbitale zweier sp2-hybridisierter Kohlenstoffatome vor-
stellen. Elektronen im p-Orbital haben ein höheres Energieniveau als die Elektronen im s-
oder sp2-Hybridorbital. Die aus der Überlappung der p-Orbitale resultierende π-Bindung ist
energiereicher als eine σ-Bindung. Der Überlappungsgrad der p-Atomorbitale ist geringer als
der der sp2-Hybridorbitale (siehe Abschnitt 1.3.5). Das erklärt, daß die π-Bindung schwächer
(um 63 kJ/mol) als eine C-C-σ-Bindung ist. Durch den Übergang der π-Bindung in eine σ-
Bindung wird bei der chemischen Reaktion das energiereiche Alken in ein energieärmeres
Alkanderivat umgewandelt. Bei der Addition an die Doppelbindung wird deshalb Energie
frei, es handelt sich um eine exotherme Reaktion.

3.4 Die Struktur der Alkene


Im Ethenmolekül befinden sich sowohl die beiden sp2-hybridisierten Kohlenstoffatome als
auch die vier Wasserstoffatome in einer Ebene (siehe Abschnitt 1.3.4.2). Die C-H-σ-Bindun-
gen schließen einen Bindungswinkel von 116,6° ein (siehe Bild 3.1).

3.5 Die cis-trans-Isomerie in Alkenen


Beide doppelt gebundenen Kohlenstoffatome sind durch die π-Bindung fixiert, so daß sie um
die Doppelbindung nicht drehbar sind. Eine Drehung der beiden C-Atome um die Doppel-
bindung ist nur unter Aufspaltung der π-Bindung möglich. Da die π-Bindung die freie Dreh-
barkeit um die C=C-Doppelbindung verhindert, können dann, wenn jedes der doppelt ge-
bundenen C-Atome ungleiche Substituenten trägt, zwei Isomere vorkommen, das cis- und
das trans-Isomer. Beide unterscheiden sich in ihren Eigenschaften.
86 3 Alkene

Ebene, in der sich π-Orbitallappen


die zwei C-Atome über der Ebene
und die vier H-Atome
des Ethans befinden

H H

H H

π-Orbitallappen
unter der Ebene

beide C-Atome und vier H-Atome liegen in einer Ebene,


das π-Orbital steht senkrecht zu dieser Ebene.
Die σ-Orbitale sind nur als Striche eingezeichnet.
Bild 3.1 Räumliche Struktur des Ethens

Die Bezeichnung cis- bzw. trans- richtet sich danach, in welcher Stellung zueinander
zwei Substituenten stehen, die sich je an einem der beiden doppelt gebundenen C-Atome be-
finden. Stehen die beiden Substituenten auf der gleichen Seite zur Doppelbindung, wird die
Verbindung als cis-Isomer bezeichnet, stehen sie auf entgegengesetzten Seiten, handelt es
sich um das trans-Isomer.
Die cis-trans-Isomerie, auch geometrische Isomerie genannt, kann am Beispiel des cis-2-
Butens und des trans-2-Butens erläutert werden. Die cis-Konfiguration ist die, in der die bei-
den Methylgruppen einander am nächsten sind, also von der π-Bindung aus gesehen auf der
gleichen Seite stehen, während sie in der trans-Konfiguration einander diametral gegenüber-
stehen und voneinander weiter entfernt sind. Die Formel für cis- oder trans-Isomere ist
bequem zu schreiben, wenn man sich vorstellt, daß die Atome bzw. Atomgruppen alle in
Papierebene liegen:
H H H CH3
C C C C
H3C CH3 H3C H
cis-2-Buten trans-2-Buten

3.5.1 Die Z/E-Nomenklatur


Im vorhergehenden Beispiel des cis- und trans-2-Butens haben wir uns nach der Stellung der
Methylgruppen orientiert. Standen sich die Methylgruppen näher, betrachtete man sie als cis-
ständig, standen sie weit voneinander entfernt, bezeichnete man sie als trans-ständig. Mit der
cis-trans-Nomenklatur kann man in diesem Falle die beiden Isomere eindeutig beschreiben.
Versuchen wir die Benennung mit der cis-trans-Nomenklatur nun beim 1-Brom-1-chlor-
2-iodethen, das ebenfalls zwei geometrische Isomere besitzt:
Cl I Cl H
C C C C
Br H Br I
3.5 Die cis-trans-Isomerie in Alkenen 87

H H H CH3

H3C CH3 H3C H

cis-2-Buten trans-2-Buten

Bild 3.2 Die beiden Isomere des 2-Butens

Die beiden Substituenten Cl und I sind in der unten angeführten Formel zueinander cis-
ständig, Br und I haben hingegen trans-Konfiguration (unter Konfiguration versteht man die
räumliche Anordnung der Atome oder Atomgruppen im Molekül). Je nachdem, auf welches
Substituentenpaar wir uns beziehen, können wir die gleiche Verbindung als cis- oder trans-
Isomer bezeichnen. Mit der cis-trans-Nomenklatur kann man also in diesem Fall die Ver-
bindung nicht eindeutig benennen. Aus diesem Grunde bedient man sich der Z/E-
Nomenklatur, die auch in solchen Fällen eine eindeutige Zuordnung gewährleistet. Man
benutzt hierbei die Sequenzregel von Cahn, Ingold und Prelog. Nach dieser haben die-
jenigen Atome die höhere Priorität, die die höhere Ordnungszahl im Periodensystem der
Elemente aufweisen (eingehender werden die Sequenzregeln im Abschnitt 8.6.2 behandelt).
Man betrachtet hierbei zunächst die Atome, die direkt an die sp2-hybridisierten C-Atome
(das sind die beiden C-Atome mit der Doppelbindung) gebunden sind. Man stellt fest, wel-
ches dieser Atome an dem einen C-Atom und welches am anderen C-Atom die höhere Prio-
rität hat. Sind die beiden Atome mit der höheren Priorität auf der gleichen Seite (von der
Doppelbindung aus gesehen), liegt die Z-Konfiguration vor (Z = zusammen), stehen sich
beide Atome mit der höheren Priorität diametral gegenüber, so handelt es sich um die E-
Konfiguration (E = entgegen).

Cl I
C C
Br H
E-Konfiguration

In der vorliegenden Formel bindet das eine C-Atom die beiden Substituenten Cl und Br.
Chlor hat die Ordnungszahl 17 und Brom die Ordnungszahl 35 (nachzulesen im Periodensys-
tem der Elemente). Von beiden Atomen hat Brom die höhere Ordnungszahl. Das andere C-
Atom bindet die Substituenten Wasserstoff und Iod. Wasserstoff hat die Ordnungszahl 1 und
Iod die Ordnungszahl 53. Iod hat also von beiden Atomen die höhere Ordnungszahl. Die
beiden Atome mit der höheren Ordnungszahl Br und I stehen einander diametral gegenüber,
die Verbindung hat also die E-Konfiguration und wird als (E)-1-Brom-1-chlor-2-iodethen
bezeichnet.
88 3 Alkene

3.5.2 Die cis-trans-Isomerisierung

Die cis-trans-Isomerisierung, bei der die cis- in die trans-Form übergeht und umgekehrt, ist
nur unter Spaltung der π-Bindung möglich. Diese Spaltung kann man durch Zuführen von
Energie herbeiführen, indem man das Alken auf 400–500°C erhitzt oder es einer intensiven
kurzwelligen Strahlung aussetzt. In dem Maße, wie sich die Überlappung der p-Orbitale löst,
kann schon die Rotation der sp2-hybridisierten C-Atome um die verbliebene σ-Bindung ein-
setzen. Auf dem Wege von einem geometrischen Isomer zum anderen wird unter Zuführen
von Energie ein Übergangszustand erreicht, der einem Energiemaximum entspricht, in dem
die p-Atomorbitale beider sp2-hybridisierten C-Atome senkrecht zueinander stehen. Nach
einer Drehung von insgesamt 180° können die p-Orbitale wieder voll überlappen, so daß die
Doppelbindung erneuert wird, dann aber das jeweils andere geometrische Isomer vorliegt.
Die cis-trans-Isomerisierung kann man auch mit NO2 erreichen. Dieses hat ein ungepaar-
tes Elektron und besitzt somit radikalischen Charakter. Es entkoppelt die π-Elektronen der
Doppelbindung, wobei zeitweise eine C–N-σ-Bindung entsteht und eine freie Drehbarkeit
um die C–C-σ-Bindung möglich ist. Spaltet sich das NO2 wieder ab, so wird die C=C-Dop-
pelbindung erneuert, wobei sowohl cis- als auch trans-Isomere im Gemisch vorliegen. Das
trans-Isomer ist die stabilere Verbindung und deshalb im Gemisch auch stärker vertreten.
NO2 NO2
NO2 NO2
H H H R H R
C C H C C H C C C C
R R R R R H R H
cis-Alken Rotation um σ-Bindung Abspaltung von ·NO2 trans-Alken

H R
C C
R H
Übergangszustand

H H
C C
R R H R
cis-Alken C C
R H
trans-Alken

Reaktionskoordinate

Bild 3.3 Energieprofil der cis-trans-Isomerisierung


3.6 Darstellung der Alkene 89

Es ist bei dieser Reaktion jedoch notwendig, das NO2 auf das Alken nur kurzzeitig ein-
wirken zu lassen, da sonst Produkte von Konkurrenzreaktionen überwiegen (Addition von
NO2 an die C=C-Doppelbindung).
Die cis-trans-Isomerie spielt beim Sehvorgang eine gewichtige Rolle. In den Stäbchen-
zellen der Netzhaut befindet sich das Rhodopsin, das aus der Eiweißkomponente Opsin und
einem ungesättigten Aldehyd, dem 11-(Z)-Retinal, besteht. Das letztere hat in 11-Stellung
eine Doppelbindung mit Z-Konfiguration. Fällt nun Licht des sichtbaren Wellenbereiches
auf diese Verbindung, geht die Z- in die E-Konfiguration über, und es erfolgt außerdem eine
Dissoziation des Rhodopsin-Komplexes. Die Veränderungen führen zu einer Nervenerre-
gung. Diese wird an das Gehirn weitergeleitet und ruft dort eine Lichtempfindung hervor.

H
1 7 11 1 7 9 11 15
9 13
6 8 10 6 8 10 12 14 C O
2 12 2

5 13 5
3 3
4 14 4
15 C O

H
11-(Z)-Retinal 11-(E)-Retinal

3.6 Darstellung der Alkene


Alkene fallen in großen Mengen beim Cracken von Erdölfraktionen an. Ethen wird groß-
technisch durch Steamcracken (siehe Abschnitt 7.6.1.2) aus Naphtha (siehe Abschnitt 7.4)
gewonnen. Die Darstellung der Alkene im Labor erfolgt hauptsächlich mit Hilfe von Elimi-
nierungsreaktionen. Sie können auch durch partielle Hydrierung von Alkinen dargestellt
werden. Bei partieller Hydrierung von Alkinen werden (Z)-Alkene gebildet. Für die Hydrie-
rung verwendet man den Lindlar-Katalysator, einen inaktivierten Palladium-Katalysator. Der
Einsatz dieses Katalysators für die Hydrierung ist notwendig, damit das entstandene Alken
nicht weiter in das entsprechende Alkan umgesetzt wird.

N
Chinolin

Den Lindlar-Katalysator erhält man durch Reduktion von PdCl2 auf Calciumcarbonat-
oder Bariumsulfatpulver und Inaktivierung des Katalysators mit Chinolin.

R R
Lindlar-Katalysator
R C C R + H2 C C
H H
90 3 Alkene

3.6.1 Eliminierungsreaktionen zur Darstellung der Alkene

Bei der Eliminierung wird ein Teil des Moleküls abgespalten. Bei der Abspaltung von Sub-
stituenten, die an benachbarte C-Atome gebunden waren (β-Eliminierung), wird eine Mehr-
fachbindung gebildet. Aus einem Alkanderivat entsteht auf diese Weise das energiereichere
Alken. Um eine Eliminierung zu erreichen, muß Energie zugeführt werden, die Reaktion ist
also endotherm.

3.6.1.1 Die Dehydrohalogenierung


Als Dehydrohalogenierung wird die Abspaltung eines Halogenwasserstoffes HX aus Halo-
genalkanen (siehe Abschnitt 9.1) bezeichnet. Sie erfolgt durch Erhitzen des Halogenalkans
mit Alkalihydroxiden in Alkohol oder mit Alkalialkoholaten (z.B. NaOR) in Alkohol oder
Dimethylsulfoxid (CH3)2S=O als Lösungsmittel.
H H
R H
R C C X + NaOH C C + NaX + H2O
H H
H H
X = Cl, Br, I

3.6.1.2 Die Dehalogenierung


Bei der Dehalogenierung wird aus einem 1,2-Dihalogenalkan durch Erhitzen mit Zinkstaub
in Alkohol als Lösungsmittel das Halogen abgespalten und als ZnX2 gebunden.
R H
R H
Alkohol
X C C X + Zn C C + ZnX2
H H
H H

3.6.1.3 Die Dehydratisierung


Von einer Dehydratisierung spricht man bei Abspaltung von Wasser aus dem Molekül. Die
Dehydratisierung von Alkoholen erfolgt gewöhnlich durch Erhitzen in Gegenwart von Säu-
ren. Sie gelingt am leichtesten bei tertiären Alkoholen, weniger leicht bei sekundären Alko-
holen, und bei primären Alkoholen sind relativ hohe Temperaturen (170–200°C) und starke
Säuren (Schwefelsäure, Phosphorsäure) notwendig.
Die Hydroxygruppe –OH ist eine schlechte Abgangsgruppe. Nach Zugabe der Säure wird
der Sauerstoff der Hydroxygruppe protoniert. Durch die entstandene Hydroxoniumgruppe –
+
OH2 wird die C–O-Bindung stärker polarisiert, so daß ihre heteropolare Spaltung sehr be-
günstigt wird.

H R H H R
H R' R
Erhitzen
R' C C O H R' C C O C C + H2O
H H R
H R H R
3.6 Darstellung der Alkene 91

Aus einem sekundären Alkohol können bei der Dehydratisierung zwei isomere Alkene
entstehen, die sich durch Stellung der Doppelbindung unterscheiden, z.B. können aus Butan-
2-ol das 1-Buten und das 2-Buten entstehen.

OH
H3C CH CH CH3 Hauptprodukt
H
H3C CH CH2 CH3
H2C CH CH2 CH3 Nebenprodukt

Das Hauptprodukt entsteht gemäß der Saytzev-Regel, die besagt, daß die Bildung der
Doppelbindung zu dem C-Atom hin erfolgt, das die wenigsten H-Atome bindet. Man kann
die Regel auch so formulieren, daß bevorzugt das Alken mit der größten Anzahl von Alkyl-
gruppen an den doppelt gebundenen C-Atomen entsteht. Die Regel gilt auch für Dehydro-
halogenierungen.
Die Dehydratisierung von Alkoholen gelingt ebenfalls durch Überleiten von Alkohol-
dämpfen über erhitztes feinkörniges Aluminiumoxid.

3.6.1.4 Dehydrierung
Die Dehydrierung ist eine Abspaltung von Wasserstoff aus dem Molekül. Sie gelingt bei
einem Alkan nur bei hohen Temperaturen (über 400°C) und mit Platin als Katalysator. Die
Reaktion in umgekehrter Richtung, nämlich die Hydrierung des Alkens mit Pt als Katalysa-
tor, erfolgt schon bei Zimmertemperatur.

H H
R H
Pt, 400 °C
R C C H C C + H2
Pt, Zimmertemp. H H
H H

3.6.1.5 Hofmann-Eliminierung der Tetraalkylammoniumhydroxide


Tetraalkylammoniumhydroxide haben die allgemeine Formel

R1 R2
N OH
3 4
R R

Man kann sie sich als Derivate des Ammoniumhydroxids NH4OH vorstellen, in dem die
an den Stickstoff gebundenen Wasserstoffatome formal durch Alkylreste ersetzt wurden.
Erhitzt man Trimethylalkylammoniumhydroxid, entsteht Trimethylamin, Wasser und ein
Alken. Ist die Alkylgruppe mit einem sekundären oder tertiären C-Atom an den Stickstoff
gebunden, können isomere Alkene als Reaktionsprodukte entstehen. Als Hauptprodukt wird
das Alken gebildet, das der Hofmann-Regel entspricht. Sie besagt, daß das Alken entsteht,
das an den doppelt gebundenen C-Atomen die kleinste Anzahl von Alkylresten trägt.
92 3 Alkene

H3C CH3
H3C CH2 H
N
Δ C
H3C CH2 CH CH3
+ (CH3)3N + H2O
C
H2C H O H
H H

3.6.1.6 Esterpyrolyse
Bei der Pyrolyse (griech. pyr = Feuer) werden Moleküle durch Erhitzen in kleinere Moleküle
gespalten. Erhitzt man einen Carbonsäureester auf 350–400°C, so entsteht ein Alken und
eine Carbonsäure. Man kann die Esterpyrolyse durch Erhitzen des Esters in flüssiger Phase
herbeiführen oder auch die Esterdämpfe über ein elektrisch beheiztes Dampfphasenrohr
leiten. Die Esterpyrolyse erfolgt nach dem Ei-Mechanismus (E = elimination, i = internal),
wobei das Molekül durch gleichzeitiges Auflösen bestehender Bindungen und die Bildung
neuer Bindungen (konzertierter Mechanismus) gespalten wird. Nach Durchschreiten eines
Energiemaximums mit einem ringförmigen Sechs-Zentren-Übergangszustand (sechs Atome
sind einbezogen) entstehen ein Alken und eine Carbonsäure.

R H R H R
H
H3C H3C H3C
C O Δ C O C O
+
H3C C C H3C C C C C
O R' O R' H3C O R'
H H H
Ester Übergangszustand Alken Carbonsäure

3.6.1.7 Pyrolyse von Xanthogenaten (Tschugajev-Reaktion)


Alkohole reagieren mit Schwefelkohlenstoff CS2 in Natronlauge, wobei das Natrium-O-
alkyldithiocarbonat entsteht.
R
CH2 S
R(CH2)2OH + CS2 + NaOH + H2O
H2C C
O S Na
Alkohol Natrium-O-alkyldithiocarbonat

Das Natrium-O-alkyldithiocarbonat kann mit Methyliodid zu Methyl-O-alkyldithiocarbo-


nat (Methyl-O-alkylxanthogenat) umgesetzt werden.
R R
CH2 S CH2 S
+ CH3I + NaI
H2C C H2C C
O S Na O S CH3
3.6 Darstellung der Alkene 93

Das Methyl-O-alkyldithiocarbonat kann schon bei einer Temperatur von 170–200°C


durch Pyrolyse gespalten werden, wobei als Endprodukte das entsprechende Alken, das
Methylmercaptan und das Kohlenoxidsulfid entstehen. Als Zwischenprodukt wird bei dieser
Reaktion das Methyldithiocarbonat CH3S–(CO)–SH gebildet, das jedoch sogleich zu Me-
thylmercaptan CH3SH und Kohlenoxidsulfid COS zerfällt.

S-Methyldithiocarbonat

H
S
R H R H
C S C C
H
+ O S CH3
H2C C C
O S CH3 H H

COS + HS CH3

Die Spaltung des Methyl-O-alkyldithiocarbonats erfolgt wie bei der Esterpyrolyse nach
dem Ei-Mechanismus über einen Sechs-Zentren-Übergangszustand. Der Nachteil dieser
Reaktion ist die Bildung des übelriechenden Methylmercaptans.

3.6.1.8 Peterson-Olefinierung
Die Peterson-Olefinierung ist eine Methode, mit der aus einem β-Hydroxyalkylsilan mit
hoher E/Z-Selektivität Alkene synthetisiert werden können. Der erste Schritt ist die Reaktion
des mit der Trimethylsilyl-Gruppe substituierten Grignard-Reagens und einer Carbonylver-
bindung zur Erstellung eines entsprechend substituierten β-Hydroxyalkylsilans. Man läßt
z. B. das Trimethylsilyl-Grignard-Reagens mit einem Keton reagieren und erhält, je nachdem
von welcher Seite das Reagens an die Carbonylgruppe herantritt, zwei β-Hydroxysilan-
Stereoisomere, die man voneinander trennen kann.

Nach der Trennung der beiden Stereoisomere erfolgt eine Eliminierungsreaktion, die
Trimethylsilylgruppe und die Hydroxygruppe werden eliminiert. Bei Zugabe einer Base
erfolgt eine syn-Eliminierung, bei Zugabe einer Säure eine anti-Eliminierung.
94 3 Alkene

3.6.2 Die Reaktionsmechanismen E1 und E2

Die beiden Reaktionsmechanismen spielen bei der β-Eliminierung, die auch als 1,2-Elimi-
nierung bezeichnet werden kann, eine Rolle. Nach ihnen erfolgen sowohl die Dehydrohalo-
genierung von Alkylhalogeniden als auch die Dehydratisierung von Alkoholen. Die funktio-
nelle Gruppe im Molekül, die bei diesen Reaktionsmechanismen abgespalten wird, befindet
sich am C-Atom, das in diesem Falle als α-ständig angesehen wird. Sie wird allgemein als
Abgangsgruppe bezeichnet. Das Wasserstoffatom, dessen Proton bei diesen Reaktions-
mechanismen ebenfalls abgespalten wird, befindet sich am benachbarten β-Kohlenstoffatom.

H L Abgangsgruppe (das Symbol für die Abgangsgruppe ist


der Buchstabe L, der Anfangsbuchstabe des englischen
R CH CH2 Ausdrucks leaving group)
β α

In der Bezeichnung E1 bzw. E2 bedeutet E die Abkürzung des Wortes Eliminierung, die
Ziffer 1 bzw. 2 besagt, daß es sich um eine monomolekulare (unimolekulare) bzw. um eine
bimolekulare Reaktion handelt. Monomolekular heißt, daß an dem langsamsten und damit
geschwindigkeitsbestimmenden Teilschritt der Reaktion nur ein Molekül – im Falle der E1-
Reaktion nur das zu eliminierende Substrat – beteiligt ist, während sich bei der bimolekula-
ren E2-Reaktion an diesem Schritt zwei Molekülarten beteiligen, nämlich das Substrat und
eine im Reaktionsgemisch befindliche Base. Die Abgangsgruppe L ist entweder ein elektro-
negatives Atom (z.B. Br oder Cl) oder eine Atomgruppe mit starkem –I-Effekt. Wichtig für
beide Reaktionen, sowohl für die E1- als auch für die E2-Reaktion, ist es, daß infolge der
Elektronegativität der Abgangsgruppe eine polare C–L-Bindung vorliegt, die eine heteropo-
lare Spaltung begünstigt. Bei der Spaltung verbleiben beide Bindungselektronen der C–L-
Bindung bei der Abgangsgruppe L.
Im allgemeinen kann man sagen, daß Verbindungen mit einer Abgangsgruppe am tertiä-
ren C-Atom in der Regel nach dem E1-Mechanismus und solche mit der Abgangsgruppe am
primären C-Atom nach dem E2-Mechanismus reagieren. Befindet sich die Abgangsgruppe
am sekundären C-Atom, kann die Eliminierung nach dem E1- oder E2-Mechanismus erfol-
gen; welcher von beiden überwiegt, hängt von der Art der Substituenten und den Reaktions-
bedingungen ab. Beide Mechanismen, E1 und E2, können auch nebeneinander ablaufen.
3.6 Darstellung der Alkene 95

3.6.2.1 Der E1-Mechanismus


Der Reaktionsmechanismus E1 besteht aus zwei Teilschritten. Im ersten Schritt wird die
Abgangsgruppe abgespalten, und es entsteht ein Carbeniumion. Im Carbeniumion liegt ein
dreibindiges Kohlenstoffatom mit einer positiven Ladung vor. Dieses ist sp2-hybridisiert, mit
einem unbesetzten p-Orbital. Im zweiten Schritt wird von dem am β-ständigen C-Atom ge-
bundenen Wasserstoffatom ein Proton abgespalten. Dabei übernimmt ein Teilchen mit basi-
schen Eigenschaften, sehr oft ein Lösungsmittelmolekül, die Rolle des Protonenakzeptors.
Gleichzeitig mit Abgang des Protons wird die C=C-Doppelbindung gebildet.
H CH3 H CH3
langsam
R C C L R C C + L L = Abgangsgruppe

H CH3 H CH3

H CH3
R CH3
schnell
R C C C C + H
H CH3
H CH3

Die Abspaltung der Abgangsgruppe ist der langsamste Teilschritt der Reaktion, und da an
diesem Schritt nur das Substratmolekül, im vorliegenden Beispiel die Verbindung
R–CH2–C(CH3)2L, beteiligt ist, bezeichnet man diesen Reaktionsmechanismus als mono-
molekular.
Die Kinetik der E1-Reaktion. Betrachten wir zunächst kurz die Kinetik der E1-Reaktion. Die
Kinetik befaßt sich im allgemeinen mit der Untersuchung von Reaktionsgeschwindigkeiten,
Reaktionsabläufen und deren Kontrollmöglichkeiten. Außer von der Reaktionstemperatur
hängt die Reaktionsgeschwindigkeit von der Konzentration der reagierenden Substanzen ab.
Man kann die Reaktionsgeschwindigkeit definieren als Konzentrationsänderungen der Eduk-
te bzw. Produkte pro Zeiteinheit. Setzt sich eine Reaktion aus mehreren hintereinander fol-
genden Einzelreaktionen zusammen, so ist es die am langsamsten ablaufende Teilreaktion,
die geschwindigkeitsbestimmend für die Gesamtreaktion ist. Im Falle der E1-Reaktion ist die
langsamste Teilreaktion die im ersten Reaktionsschritt erfolgende Abspaltung der Abgangs-
gruppe unter Bildung eines Carbeniumions. An diesem geschwindigkeitsbestimmenden
Schritt ist nur eine Molekülart, nämlich das Substratmolekül (das Molekül, an dem die Reak-
tion erfolgt) beteiligt. Die Reaktionsgeschwindigkeit v hängt nur von der Konzentration des
Substratmoleküls ab und entspricht demgemäß in der Regel einer Reaktion erster Ordnung,
für die in diesem Falle gilt: v = k · [Substrat]
Das Symbol k steht für eine Konstante, die für die entsprechende Meßtemperatur gültig ist.
Voraussetzungen, die einen E1-Mechanismus begünstigen. Die E1-Reaktion erfolgt vor-
nehmlich bei Verbindungen mit einem C-Atom, das gleichzeitig mit der Abgangsgruppe
noch drei Alkylreste bindet (z.B. tertiäre Alkylhalogenide oder Alkohole). In diesem Falle
wird im ersten Teilschritt der Reaktion ein Carbeniumion gebildet, dessen positiver sp2-hy-
bridisierter Kohlenstoff drei Alkylgruppen trägt. Das Carbeniumion kann durch die Hyper-
96 3 Alkene

konjugation, zu der alle drei Alkylgruppen beitragen, stabilisiert werden (siehe „Hyperkon-
jugation“ in Abschnitt 3.7.2.1).
Im ersten Reaktionsschritt des E1-Mechanismus wird das die Abgangsgruppe L tragende
sp3-hybridisierte C-Atom nach deren Abspaltung zum sp2–hybridisierten einfach positiv
geladenen Kohlenstoff,

es wird ein Carbeniumion gebildet:


R
R
C L C + L
R
R R R

sp3 sp2

Damit erfolgt eine Aufweitung des Bindungswinkels der Bindungen dieses C-Atoms von
109°28' auf 120°. Die Substituenten R sind damit voneinander etwas weiter entfernt. Deshalb
zeigen besonders Verbindungen mit sperrigen, viel Raum beanspruchenden Substituenten
eine Neigung zum E1-Mechanismus.
Polare Lösungsmittel können das bei der E1-Reaktion im ersten Reaktionsschritt gebilde-
te Ion solvatisieren. Die Moleküle des Lösungsmittels umgeben mit dem positiven Teil ihres
Dipols die negative Abgangsgruppe und unterstützen so ihre räumliche Trennung vom posi-
tiv geladenen Carbeniumion.

3.6.2.2 Der E2-Mechanismus


Bei der E2-Reaktion ist im geschwindigkeitsbestimmenden Schritt außer dem Substratmole-
kül auch das Molekül einer Base beteiligt, es geht also um eine bimolekulare Eliminierung.
Das abgespaltene Proton wird von der Base B gebunden und gleichzeitig (synchron) erfolgt
der Austritt der Abgangsgruppe. Bei dieser Reaktion werden simultan (gemeinsam, gleich-
zeitig) alte Bindungen gespalten und neue geknüpft. Die Reaktion erfolgt nach einem einstu-
figen, synchronen Mechanismus über einen Übergangszustand, in dem alte Bindungen noch
nicht vollständig gelöst und die Bildung neuer Bindungen noch nicht ganz vollzogen ist.

B H H B H H B H H H
H H + +
C C C C C C L
H H
R L R L R H

Substrat Übergangszustand Alken


B = Base; L = Abgangsgruppe (leaving group)
Die Dehydrohalogenierung von Alkylhalogeniden wird in alkalischem Medium vollzo-
gen, so daß als Base die OH–-Ionen fungieren. Die Dehydratisierung von Alkoholen ge-
3.6 Darstellung der Alkene 97

schieht in saurem Medium, gewöhnlich bei Zugabe von Schwefelsäure. In dieser Reaktion
sind HSO4–-Ionen und die Alkoholmoleküle die Teilchen mit basischen Eigenschaften. Die
HSO4–-Ionen sind die schwächeren Basen. Der Alkohol kann mit einem der freien Elektro-
nenpaare seines Sauerstoffatoms das bei der Eliminierung abgehende Proton binden:

R O H
R O H H R O H H H H H
H H + + H2O
C C C C C C
H H H H
R O H R O H R H

H H
R O + H
H

Günstige räumliche Voraussetzungen für die E2-Reaktion. Optimal für die E2-Eliminierung
ist eine antiperiplanare Anordnung des β-ständigen Wasserstoffatoms und der Abgangsgrup-
pe L (siehe Abschnitt 2.4.2). Das β-ständige H-Atom, die Abgangsgruppe und die an sie
gebundenen C-Atome befinden sich in dieser Konformation in einer Ebene. In der antiperi-
planaren Konformation kann eine Wechselwirkung zwischen den σ-Orbitalen der C–H- und
der C–L-Bindung erfolgen, welche das „Hinüberfließen“ der Elektronen aus dem σ-Orbital
in das sich aufbauende π-Orbital erleichtert. Die antiperiplanare Anordnung des Wasserstoffs
und der Abgangsgruppe ist auch deshalb von Vorteil, weil in dieser Konformation die σ-
Orbitale der C–H- und C–L-Bindung zueinander parallel stehen. Dies begünstigt eine Über-
lappung der sich bildenden p-Orbitale zum π-Orbital, die eine parallele Anordnung beider p-
Orbitale voraussetzt. Die synperiplanare Anordnung von H und L ist für die
E-Reaktion weniger günstig, da der Neigungswinkel der σ-Orbitale das Überlappen der sich
bildenden p-Orbitale erschwert.

L
H H H
H
C C C C
H H H
H H H
L
antiperiplanar synperiplanar

Bild 3.4 H und L in antiperiplanarer und synperiplanarer Konformation


98 3 Alkene

3.6.3 Die Saytzew- und die Hofmann-Regel

Im Falle, daß keine endständige Abgangsgruppe vorliegt, könnte die Doppelbindung zum
einen oder anderen C-Atom hin ausgebildet werden. Die Eliminierungsreaktion erfolgt aber
entweder nach der Saytzew- oder nach der Hofmann-Regel (siehe auch Abschnitte 3.6.1.3
und 3.6.1.5) in eine Richtung:
L
R CH CH CH3 + H L Saytzew-Produkt
R CH2 CH CH3
R CH2 CH CH2 + H L Hofmann-Produkt

Die Saytzew-Regel. Die Dehydratisierung und die Dehydrohalogenierung verlaufen nach der
Saytzew-Regel. Die Ausrichtung der Doppelbindung erfolgt bevorzugt zu dem C-Atom hin,
das mehr Alkylreste gebunden hat. Man erklärt dies damit, daß die sich bildende Doppelbin-
dung durch Hyperkonjugation mit Alkylresten (siehe Abschnitt 3.7.2.1) stabilisiert ist. Bei
der Eliminierung nach der Saytzew-Regel wird das thermodynamisch stabilere Produkt ge-
bildet.
Die Hofmann-Regel. Diese Regel gilt z.B. für die Pyrolyse von Tetraalkylammoniumhydro-
xiden (siehe Abschnitt 3.6.1.5), die Esterpyrolyse (siehe Abschnitt 3.6.1.6) und die Pyrolyse
von Xanthogenaten (siehe Abschnitt 3.6.1.7). Die Doppelbindung geht in diesem Falle in
Richtung zu dem C-Atom, das die wenigsten Alkylreste hat. Hughes und Ingold nahmen an,
daß die Orientierung der Doppelbindung nach der Hofmann-Regel auf die unterschiedliche
Acidität der Wasserstoffe zurückzuführen ist, die sich in den β-Stellungen zur Abgangsgrup-
pe befinden. Die Base bindet bevorzugt den Wasserstoff, der mehr acid ist. Die elektronen-
schiebende Wirkung der Alkylreste vermindert die Acidität, so daß der Wasserstoff in der
CH3-Gruppe acider als in der CH2- oder der CH-Gruppe ist und die Abspaltung des Protons
deshalb bevorzugt aus der Methylgruppe erfolgt.

H L H

R C C C H

weniger acid H H H B L = NR3

mehr acid
Die Hofmann-Orientierung der Doppelbindung hat außerdem, besonders bei Eliminie-
rungsreaktionen mit raumbeanspruchenden Gruppen, z.B. der Gruppe +N(CH3)3 in einer
quartären Ammoniumbase, räumliche Ursachen. Man nimmt an, daß die Hofmann-Eliminie-
rung kinetisch kontrolliert ist und die Reaktion nach dem E2-Mechanismus erfolgt. Hierbei
ist es vorteilhaft, wenn sich die Abgangsgruppe und der zu eliminierende Wasserstoff in
einer Konformation befinden, die eine anti-Eliminierung ermöglicht. Dies setzt eine antiperi-
planare Anordnung (siehe Abschnitt 2.4.2 und Bild 3.4) der Abgangsgruppe L und eines
β-ständigen Wasserstoffatoms voraus.
3.6 Darstellung der Alkene 99

Am Beispiel der Hofmann-Eliminierung des Isobutyltrimethylammoniumhydroxids wird


in Bild 3.5 gezeigt, daß eine 1,2-Eliminierung günstiger als eine 2,3-Eliminierung ist.

HO N(CH3)3
H3C CH2 CH CH2 + N(CH3)3 + H2O 1,2-Eliminierung
4 3 2 1 Δ Hauptprodukt
H3 C CH2 CH CH3

Isobutyltrimethyl-
H3C CH CH CH3 + N(CH3)3 + H2O 2,3-Eliminierung
ammoniumhydroxid

Bei der 2,3-Eliminierung sind zwei Konformationen mit antiperiplanarer Konformation


der Abgangsgruppe und eines β-ständigen Wasserstoffatoms denkbar. Bei diesen Konforma-
tionen befinden sich aber die sperrige Abgangsgruppe und eine Methylgruppe in nächster
Nachbarschaft, so daß diese Konformation infolge der Abstoßungskräfte beider Gruppen als
energiereich angesehen werden muß. Die für die Ausbildung des Übergangszustands benö-
tigte Aktivierungsenergie ist demgemäß relativ groß. Bei der 1,2-Eliminierung kann das
Molekül eine günstige Konformation einnehmen, in der die Ethylgruppe und die sperrige
Abgangsgruppe voneinander relativ weit entfernt sind. Die kinetisch gesteuerte Reaktion
läuft bevorzugt als 1,2-Eliminierung ab, da zur Ausbildung des Übergangszustandes eine
relativ geringere Aktivierungsenergie benötigt wird (siehe Bild 3.5).

ungünstige Konformationen günstige Konformation


bei 2,3-Eliminierung: bei 1,2-Eliminierung:

L L
L = + N(CH3)3 H3C
4
H H 4 CH
3

2 1 2 1 L
L H CH3 H CH3 H H
1 2 3 4
H3C C CH2 CH3 H H H
β α β 1
3 4
H H CH2 CH3
4
CH3 L H H
L 4
3 H 3 CH3
2C C 2C C
H H
H H
H3C 1 H3C 1

Bild 3.5 Antiperiplanare Konformationen von L und H bei der 1,2- und der 2,3-Eliminierungs-
reaktion von Isobutyltrimethylammoniumhydroxid
100 3 Alkene

3.6.4 Darstellung der Alkene mit Organometallverbindungen

3.6.4.1 Tebbe-Methylenierung
Carbonylverbindungen werden mit Tebbe-Reagens in terminale Alkene überführt. An die
Stelle des Carbonylsauerstoffes der Carbonylverbindung tritt eine Methylengruppe.

Auf diese Weise reagieren mit Tebbe-Reagens Aldehyde zu Alkenen, Ketone zu 2-


Alkylalkenen, Ester zu Enolethern und Amide zu Enaminen.
Das Tebbe-Reagens ist ein Titanaluminium-Komplex, den man aus Dicyclopentadie-
nyltitandichlorid und Trimethylaluminium herstellen kann, wobei HCl abgespalten wird.
Gibt man zum Tebbe-Reagens Pyridin als Base hinzu, so wird das reaktive Dicyclopentadie-
nyl(methylen)titan gebildet.

Dicyclopentadienyl(methylen)titan reagiert mit der Carbonylverbindung vermutlich über


einen viergliedrigen Ring zum terminalen Alken.

3.6.4.2 Olefinmetathese
Der Name Metathese leitet sich vom Griechischen ab: meta bedeutet Austausch und these
bedeutet Stellung. Bei der Olefinmetathese erfolgt eine Umalkylidenierung zweier Doppel-
3.6 Darstellung der Alkene 101

bindungen mit Hilfe eines homogenen carbenoiden Ruthenium- oder Molybdänkatalysators


des Grubbs- oder Schrock-Typs:

Man unterscheidet einige Typen der Olefinmetathese. Zu diesen gehören:


Die Kreuzmetathese, die auch acyclische Diolefin-Metathese genannt wird. Bei dieser
erfolgt eine Umalkylidenierung zweier substituierter Alkene unter Ethenausschluß. Diese
Reaktion wird auch unter der Abkürzung ADMET angeführt, die sich von der englischen
Bezeichnung acyclic diolefin metathesis ableitet.

Die Ringschluß-Metathese führt zu einem Ringschluß α,ω-terminaler Diolefine unter


Freisetzung von Ethylen und Bildung cyclischer Olefine. Die für die Reaktion verwendete
Abkürzung RCM entstammt der englischen Bezeichnung ring closing metathesis.

Die ringöffnende Metathese-Polymerisation erfolgt vor allem bei Cycloolefinen mit


Ringspannung. Unter Freisetzung von Ethen wird ein Polymer gebildet. Die für diese Reak-
tion verwendete Abkürzung ROMP ist auf die englische Bezeichnung ring opening metathe-
sis polymerisation zurückzuführen.

Der von Yves Chauvin für die Olefin-Metathese vorgeschlagene Reaktionsmechanismus


wird in dem nachfolgenden Schema veranschaulicht.
102 3 Alkene

Die Reaktion wird ausgelöst vom carbenoiden Metallkatalysator M=CH2 und verläuft
über Metallacyclobutane:

3.7 Reaktionen der Alkene


Alkene sind sehr reaktionsfreudig. In der Regel sind es die Doppelbindungen, an denen die
Reaktionen erfolgen. Es gibt eine ganze Reihe von Additionsreaktionen an die C=C-Doppel-
bindung, zu welchen elektrophile Additionen, radikalische Additionen, Cycloadditionen und
die katalytische Hydrierung zählen. Weiter sind es Polymerisationsreaktionen der Alkene,
die für die Produktion von Kunststoffen eine wichtige Rolle spielen. Die Reaktionsvielfalt
der Alkene erklärt die Schlüsselrolle des Ethens für die großtechnische Herstellung vieler
Produkte.
Im Laufe all dieser an der Doppelbindung erfolgenden Reaktionen werden die energie-
reichen Alkene zu energieärmeren Alkanderivaten umgesetzt, wobei Energie freigesetzt
wird. Diese Reaktionen sind also alle exotherm, sie erfolgen in vielen Fällen schon bei Zim-
mertemperatur.

3.7.1 Die Mechanismen von Additionsreaktionen

Die für Alkene charakteristische Reaktion ist die Additionsreaktion. Unter Auflösung der
π-Bindung wird der Addend addiert, und es entsteht das Addukt:

C C + X Y X C C Y

Alken Addend Addukt


3.7 Reaktionen der Alkene 103

Je nach der Natur der zu addierenden Verbindung und den Reaktionsbedingungen können
Additionen nach verschiedenen Reaktionsmechanismen erfolgen. Zu diesen zählen die elekt-
rophile Addition (AE), die radikalische Addition (AR) und synchrone Cycloadditionen (Reak-
tionsverlauf über einen cyclischen Übergangszustand oder ein cyclisches Zwischenprodukt
oder zu einem cyclischen Endprodukt).

3.7.1.1 Elektrophile Additionsreaktionen (AE-Reaktionen)


Die C=C-Doppelbindung stellt eine relativ diffuse Region hoher Elektronendichte und somit
auch negativer Ladungsdichte dar. Diese hohe negative Ladungsdichte erklärt die leichte
Angreifbarkeit der Doppelbindung durch ein Elektrophil. Dies kann ein Kation, z.B. +NO2
oder H+ sein, es kann sich aber auch um ein durch die π-Elektronen der Doppelbindung
leicht zu polarisierendes Molekül handeln, z.B. ein Brommolekül.
Die elektrophile Additionsreaktion ist dadurch charakterisiert, daß im ersten Schritt die
Addition des elektrophilen Teilchens an die C=C-Doppelbindung stattfindet, und dann im
zweiten Schritt die Addition des Anions erfolgt.

H H
C C
H H
elektrisches Feld
um Elektronen der Doppelbindung
Bild 3.6 Hohe negative Ladungsdichte der Doppel-
bindung

a) AE-Reaktionen, die über die Bildung eines Carbeniumions erfolgen


Die über ein Carbeniumion verlaufenden elektrophilen Additionsreaktionen finden bei der
Addition von Säuren (z.B. Schwefelsäure oder HBr) statt. Im ersten Reaktionsschritt kommt
es zu einer schwachen Wechselwirkung zwischen dem Elektrophil und der π-Bindung; es
wird ein loser π-Komplex gebildet. Dieser wird durch einen von der Doppelbindung auf das
Elektrophil weisenden Pfeil symbolisiert, um die Donorfunktion (Donor = Elektronenspen-
der) des Alkens aufzuzeigen.
H

C C + H X C C + X

π-Komplex
Aus dem π-Komplex entsteht im nächsten Reaktionsschritt ein Carbeniumion: Das
π-Elektronenpaar bindet das elektrophile Teilchen, in diesem Fall das H+, wobei unter Auf-
lösung der π-Bindung eine C-H-σ-Bindung entsteht. Das vorher sp2-hybridisierte C-Atom ist
nunmehr sp3-hybridisiert. Das im sp2-Zustand verbleibende C-Atom hat durch Auflösung der
π-Bindung ein Elektron eingebüßt und ist deshalb positiv geladen. Im sp2-hybridisierten,
positiv geladenen Kohlenstoffion
104 3 Alkene

ist das p-Orbital nicht mit Elektronen besetzt. Das C+ hat in seiner Außenschale nur ein Elek-
tronensextett und ist bestrebt, sie mit zwei weiteren Elektronen zum Oktett aufzufüllen. Es
reagiert deshalb im zweiten Reaktionsschritt mit dem Anion unter Bildung einer σ-Bindung,
womit die Addition abgeschlossen ist.

H
H
C C C C

sp2 sp2 sp3 sp2


π−Komplex Carbeniumion
H H X
C C X C C

b) AE-Reaktionen, die über die Bildung eines überbrückten Kations erfolgen

Nach diesem Mechanismus reagieren Alkene vornehmlich mit Molekülen, die leicht polari-
sierbar sind, z.B. mit Halogenen. Bei Näherung des polarisierbaren Moleküls X–Y induziert
das elektrische Feld um die Doppelbindung in diesem einen Dipol, und es entsteht der
π-Komplex. Aus diesem heraus bildet sich ein überbrücktes Kation und Y– wird abgespalten.
Das Alken fungiert hierbei als Nukleophil, das sich in der Verbindung X–Y mit seinem
π-Elektronenpaar an das X mit der positiven Teilladung bindet und dessen Bindungspartner,
das Y, substituiert. Im überbrückten Kation befindet sich die positive Ladung nicht allein am
X, sie ist auch auf die beiden überbrückten C-Atome verteilt. Das Anion Y– kann im weiteren
Reaktionsschritt von der der Brücke gegenüberliegenden Seite eines der beiden überbrückten
C-Atome, die eine positive Teilladung aufweisen, angreifen und bildet mit seinem freien
Elektronenpaar eine σ-Bindung. Die Liganden X und Y stehen unmittelbar nach der Reakti-
on einander diametral gegenüber, deshalb spricht man vom anti- oder trans-Mechanismus
dieser Reaktion. Erfolgt die Addition nicht an ein cyclisches Alken, so sind die beiden die
Liganden X und Y tragenden C-Atome frei um die C–C-σ-Bindung drehbar.
Y δ-

X δ+ X

C C + X Y C C C C + Y

π-Komplex überbrücktes Kation


3.7 Reaktionen der Alkene 105

X X
X X
C C C C oder C C C C
Y Y
Y Y
Erfolgt die Addition an ein Cycloalken, z.B. das Cyclohexen, so ist die freie Drehbarkeit
um die Einfachbindung eingeschränkt, und es werden trans-Produkte gebildet.

Y -
X Y
X

+
C C C C

π-Komplex Überbrücktes Kation

Bild 3.7 Reaktionsschritt vom π-Komplex zum überbrückten Kation

X X X X
und

Y Y
Y Y

Das eine trans-Produkt ist das genaue Spiegelbild des anderen.


X X
H H
und
H H
Y Y
Verbindungen, die sich in ihrer Struktur auf diese Weise unterscheiden, bezeichnet man
als Antipoden oder Enantiomere. Liegen beide Enantiomere im Gemisch in gleicher Menge
vor, bezeichnet man dieses als racemisches Gemisch. Um ein solches handelt es sich im
vorliegenden Falle, denn beide Enantiomere entstehen im Verhältnis 1 : 1.
Auch bei dem über ein Brückenion verlaufenden Reaktionsmechanismus erfolgt an un-
symmetrische Alkene die Addition unsymmetrischer Addenden nach der Markownikow-
Regel (siehe Abschnitt 3.7.2). Dies weist darauf hin, daß die beiden überbrückten C-Atome
106 3 Alkene

für den Angriff eines Anions nicht gleichwertig sind. Man geht von der Annahme aus, daß
sich bei unsymmetrischen Alkenen ein unsymmetrisches überbrücktes Ion bildet, so daß das
Anion sich nur an ein ganz bestimmtes C-Atom der Brücke anlagert. Das unsymmetrisch
überbrückte Kation ist auf einen Zustand zurückzuführen, der sich zwischen einem symme-
trischen überbrückten Kation und einem Carbeniumion befindet.
δ+ X
H3C X
δ+ H3C
H3C C C H C C H
H3C H
Y H
Y

3.7.1.2 Cycloadditionen

Cycloadditionsreaktionen erfolgen synchron (gleichzeitig, zeitgleich) über einen cyclischen


Übergangszustand (z.B. die Hydroborierung oder die trans-Hydroxylierung mit Peroxy-
benzoesäure), wobei gleichzeitig alte Bindungen abgebaut und neue gebildet werden.
A B A B A B
R' R''
C C R' C C R'' C C
R H R' R''
R H R H
cyclischer Übergangszustand
Erfolgt die Anlagerung des Addenden ohne dessen Aufspaltung und unter Bildung einer
σ-Bindung an den vorher doppelt gebundenen C-Atomen, so kann durch die Addition ein
cyclisches Zwischenprodukt oder ein cyclisches Produkt gebildet werden (z.B. die Bildung
des Molozonids bei der Ozonisierung und die Reaktion der Alkene mit Osmiumtetroxid oder
Kaliumpermanganat).

O
Ozon O O O
O O
+ H R' Primärozonid
Alken C C C C (Molozonid)
R H H R'
R H
Cycloadditionen können schon bei Zimmertemperatur erfolgen. Die für die Spaltung
einer Bindung benötigte Energie wird bei der gleichzeitigen Bildung einer neuen Bindung
wieder in das System eingebracht, so daß die Energiebilanz der Reaktion ausgeglichen ist.

3.7.1.3 Radikalische Additionen (AR)


Die radikalische Addition wird ausgelöst durch Zerfall von Peroxiden (z.B. radikalische
Addition von HBr) oder Bestrahlung mit UV-Licht. Die Reaktion setzt die homolytische
(homöopolare) Spaltung der σ-Bindung des Addenden X–Y voraus, wobei das Radikal X·
freigesetzt wird. Ein typisches Merkmal ist der kettenartige Verlauf der AR-Reaktion. Durch
die Wechselwirkung mit dem Radikal X· wird die π-Bindung des Alkens homöopolar
3.7 Reaktionen der Alkene 107

gespalten. Es entsteht ein Alkylradikal, das mit dem Addenden X–Y unter Bildung des
Addukts reagiert, wobei gleichzeitig das Radikal X· entsteht, so daß ein weiterer Cyclus der
Kettenreaktion beginnen kann.

Kettenreaktion:
X + C C X C C

X C C + Y X X C C Y + X

An welches der beiden doppelt gebundenen C-Atome das Radikal X· angelagert wird,
hängt davon ab, welches der beiden C-Atome räumlich zugänglicher ist, und ebenfalls da-
von, welches der beiden Alkylradikale, die bei diesem Reaktionsschritt entstehen können,
stabiler ist (siehe Abschnitt Hyperkonjugation auf Abschnitt 3.7.2.1). Die räumlichen Aspek-
te spielen in diesem Falle die wichtigere Rolle.

3.7.2 Die Markownikow-Regel

Erfolgt die elektrophile Addition einer Verbindung HX an ein unsymmetrisches Alken, so


könnte man sich vorstellen, daß man über zwei unterschiedliche Carbeniumionen als Zwi-
schenprodukte zwei Addukte erhält:
H CH3 H
H3C
Markownikow-
C C H + X H3C C C H Produkt
H3C H X H
H3C H
C C
H3C H CH3 H CH3 H

H3C C C + X H3C C C H anti-Markownikow-


H X Produkt
H H H X

Man erhält jedoch bei Addition der Säure HX an unsymmetrische Alkene ausschließlich
oder mit hoher Ausbeute nur ein Addukt, nämlich das Markownikow-Produkt. Markownikow
stellte (1870) auf Grund seiner Beobachtungen die Regel auf, daß bei Additionen von Halo-
genwasserstoffen an unsymmetrische Olefine das Halogen an dem an Wasserstoff ärmeren
Kohlenstoff angelagert wird. Erfolgt die Addition von HX an ein unsymmetrisches Alken
nach der Markownikow-Regel, bezeichnet man das Addukt als Markownikow-Produkt, im
anderen Falle spricht man vom anti-Markownikow-Produkt (z.B. bei der Addition von HBr
nach dem Radikal-Mechanismus).
108 3 Alkene

3.7.2.1 Die Regioselektivität der Addition von Säuren an unsymmetrische Alkene


Die Addition von HX an unsymmetrische Alkene nach der Markownikow-Regel kann als regi-
oselektiv bezeichnet werden. Von einer Regioselektivität spricht man dann, wenn im Molekül
von zwei oder mehreren ähnlichen Regionen vom Agens bevorzugt eine angegriffen wird.2
Die Regioselektivität der Addition von Säuren an unsymmetrische Alkene ist damit zu
erklären, daß im ersten Reaktionsschritt bei der Anlagerung von H+ an die Doppelbindung
bevorzugt das Carbeniumion entsteht, das stabiler ist. Ein tertiäres Carbeniumion ist stabiler
als ein sekundäres Carbeniumion und dieses ist wiederum stabiler als ein primäres Carbeni-
umion.

H H3C H H H
H3C
C C H stabiler als C C H stabiler als H3C C C
H3C H H H H H
tertiäres Carbeniumion sekundäres Carbeniumion primäres Carbeniumion

Die unterschiedliche Stabilität tertiärer, sekundärer und primärer Carbeniumionen ist auf
die Hyperkonjugation zurückzuführen. Der an das positive C-Atom gebundene Alkylrest ist
um die C–C-σ-Bindung frei drehbar. Das Molekül kann eine Konformation einnehmen, in
der das unbesetzte p-Orbital des sp2-hybridisierten positiv geladenen Kohlenstoffatoms R3C+
in unmittelbare Nähe zu dem σ-Orbital der C–H-Bindung der benachbarten Alkylgruppe
gelangt. Beide Orbitale können überlappen (in Bild 3.8 durch eine gestrichelte Linie veran-
schaulicht), und dies ermöglicht eine Delokalisierung des im σ-Orbital befindlichen Elektro-

unbesetztes p-Orbital

H H
H H H H H
H C C
+ + H +
C C H C C C C
H
H H H H C H
H H H
H
sp2 sp3 sp2 sp3 sp2 sp3

primäres Carbeniumion sekundäres Carbeniumion tertiäres Carbeniumion

Bild 3.8 Hyperkonjugation beim Ethyl-, Isopropyl- und tert.-Butylcarbeniumion

nenpaares, so daß sich die Aufenthaltswahrscheinlichkeit dieser Elektronen auch auf das p-
Orbital ausweitet. Diese als Hyperkonjugation bezeichnete Wechselwirkung stabilisiert das

2
regiospezifisch = es wird ausschließlich nur eine Region angegriffen.
3.7 Reaktionen der Alkene 109

Carbeniumion. Je mehr Alkylreste sich an der Hyperkonjugation beteiligen können, um so


stabiler ist das Carbeniumion. Im primären Carbeniumion ist nur ein Alkylrest, im sekundä-
ren Carbeniumion sind es zwei und im tertiären Carbeniumion sogar drei Alkylreste, die sich
an der Hyperkonjugation beteiligen können.

3.7.3 Wagner-Meerwein-Umlagerungen

Die Wagner-Meerwein-Umlagerungen finden an Carbeniumionen statt. Sie können z.B. bei


der E1-Reaktion, der AE-Reaktion oder einer SN1-Reaktion auftreten, also überall dort, wo
Carbeniumionen als Zwischenprodukte vorkommen. Durch Umlagerung einer Alkylgruppe
oder durch eine Hydrid-Verschiebung entsteht ein stabileres Carbeniumion. In der Regel
erfolgt die Umlagerung so, daß ein Carbeniumion entsteht, das mehr Alkylgruppen am C+
gebunden hat. Dieses kann durch Hyperkonjugation besser stabilisiert werden. Die weiteren
Folgereaktionen finden an dem durch Umlagerung gebildeten Carbeniumion statt.

3.7.3.1 Die Hydrid-Verschiebung


Die Hydrid-Verschiebung kann in einem Carbeniumion erfolgen, das durch die Umlagerung
in ein stabileres Carbeniumion umgewandelt wird. Die Reaktion verläuft über einen cycli-
schen Übergangszustand mit einer Drei-Zentren/Zwei-Elektronen-Bindung.

H H H

H3C C C R H3C C C R H3C C C R

CH3 H CH3 H CH3 H

unbesetztes p-Orbital 2 Elektronen unbesetztes p-Orbital


H
H H
+
R H3C +
+
C C H3C C C C C
R
H3C H H3C R
H3C H
H3C H
Übergangszustand

Bild 3.9 Hydrid-Verschiebung im Carbeniumion

3.7.3.2 Die Umlagerung von Alkylgruppen


Im Carbeniumion kann, ähnlich der Hydridverschiebung, eine anionoide Umlagerung einer
Alkylgruppe stattfinden, wenn auf diese Weise ein stabileres Carbeniumion entsteht. Die
110 3 Alkene

Alkylgruppe wandert hierbei als Anion unter Mitnahme des Bindungselektronenpaares. Die
Umlagerung erfolgt über einen cyclischen Übergangszustand.
CH3 CH3 CH3

H3C C C R H3C C C R H3C C C R

CH3 H CH3 H CH3 H


cyclischer Übergangszustand

3.7.4 Elektrophile Additionsreaktionen

3.7.4.1 Die Addition von Halogenwasserstoffen an Alkene


Die Neigung des Halogenwasserstoffes HX in H+ und X– zu dissoziieren, nimmt in der Reihe
HCl < HBr < HI zu. Dem entspricht auch die Additionsfähigkeit der Halogenwasserstoffe an
die Doppelbindung, da stärker dissoziierte Säuren leichter addiert werden. Ethen reagiert
nicht mit konz. Salzsäure, dafür aber mit Bromwasserstoff- und Iodwasserstoffsäure. Die
Addition eines Halogenwasserstoffes erfolgt nach folgendem Reaktionsmechanismus:

H H H

C C + H X C C X C C X C C X

π−Komplex Carbeniumion Halogenalkan

3.7.4.2 Die Addition von H2SO4 an Alkene


Alkene reagieren mit konz. H2SO4, wobei das Monoalkylsulfat entsteht:

H H
O SO3H
C C + H O SO3H C C + O SO3H C C

C C O SO3H

Monoalkylsulfat
Die Reaktion ist umkehrbar, bei höherer Temperatur erfolgt eine Eliminierung, wobei das
Monoalkylsulfat in das Alken und Schwefelsäure gespalten wird:
H H
0 - 15 °C
C C + H2SO4 H C C OSO3H
170 °C
H H
3.7 Reaktionen der Alkene 111

Die Addition von Schwefelsäure kann benutzt werden, um aus einem flüssigen Alkan-
Alken-Gemisch die Alkene zu entfernen. Alkane reagieren mit Schwefelsäure bei Zimmer-
temperatur nicht, die Alkene werden in das Monoalkylsulfat umgewandelt. Mit Wasser
ausgeschüttelt, geht das polare Monoalkylsulfat in die wäßrige Phase und kann mit dieser
abgetrennt werden.
Das Dialkylsulfat kann bei der Addition von H2SO4 an Alkene ebenfalls entstehen:

H O C C H H

C C C C O S O H C C O SO2 O C C
+
O
H O SO3H

Monoalkylsulfat Dialkylsulfat

Monoalkylsulfate und Dialkylsulfate können auch durch Veresterung der entsprechenden


Alkohole mit Schwefelsäure gebildet werden. Es handelt sich bei diesen Verbindungen also
um Ester. In ihnen ist das Schwefelatom nicht direkt an das C-Atom gebunden, wie dies z.B.
bei den Sulfonsäuren der Fall ist, sondern es liegt eine C–O–S-Verknüpfung vor. Wie andere
Ester können auch Alkylsulfate hydrolysiert werden, wobei als Reaktionsprodukt ein Alko-
hol erhalten wird:

C C O SO3H + H2O C C OH + H2SO4

3.7.4.3 Die saure Hydratisierung


Wasser selbst läßt sich an Alkene nicht addieren, seine Acidität ist zu gering. Die Addition
gelingt jedoch in Gegenwart starker Säuren:

H H

C C + H C C C C

H H H

C C C C C C + H

O H O
O
H H
H
H

Bei dieser Addition ist das Proton (bzw. das Oxoniumion H3O+) das Elektrophil, das
Wasser hingegen das Nukleophil.
112 3 Alkene

3.7.4.4 Addition von Salpetersäure


Aus den nachfolgenden Reaktionen ist ersichtlich, daß in konz. HNO3 auch H2O, NO3– und
NO2+ anwesend sind:

H NO3 NO3
H

H O NO2 H O NO2 H2O + NO2 + NO3

Die Addition an das Alken beginnt mit dem Angriff des starken Elektrophils NO2+:

NO2 NO2

C C + NO2 C C C C

Das Nitrocarbeniumion kann sowohl mit Wasser als auch mit dem Nitration reagieren. Nach
der Anlagerung von Wasser erfolgt die Deprotonierung des Oxoniumions:
NO2 H NO2 NO2
H
C C + O C C O C C O H + H
H H

Der entstehende Nitroalkohol reagiert sogleich mit der Salpetersäure unter Esterbildung:
NO2 NO2

C C O H + HO NO2 C C O NO2 + H2O

Bei der Addition des Nitrations an das Nitrocarbeniumion entsteht das gleiche End-
produkt wie nach der Anlagerung des Wassers und nachfolgender Veresterung des Nitro-
alkohols.

NO2 NO2
Salpetersäureester
C C + O NO2 C C O NO2 des Nitroalkohols

3.7.4.5 Die Hydrocarbonylierung


Die Hydrocarbonylierung von Alkenen mit CO und Wasser erfolgt unter saurer Katalyse mit
Mineralsäuren (bevorzugt wird H3PO4/BF3) bei 20–80°C und 20–100 bar. Der technische
Prozeß ist zweistufig, in der zweiten Stufe erfolgt die Zugabe von Wasser. Der erste Reak-
tionsschritt ist die Anlagerung des Protons an das Alken, es folgt die Reaktion des nu-
cleophilen Carbonyls mit dem Carbeniumion,
3.7 Reaktionen der Alkene 113

H H

C C + H C C C C

H H H

C C + C O C C C O C C C O

worauf eine Anlagerung von Wasser erfolgt. Eine Carbonsäure ist das Endprodukt dieser
Reaktion, die auch als Hydrocarboxylierung bezeichnet wird:

H C C C O H C C C O H C C C O

O O + H
O H H
H
H H
Carbonsäure
Anstelle von Wasser können bei dieser Reaktion als nucleophiles Reagens auch Alkohole
angelagert werden, so daß Ester entstehen,

H C C C O H C C C O H C C C O

O H O + H
R O H R R
Ester
oder Amine, so daß Säureamide gebildet werden.

H C C C O H C C C O H C C C O

N N + H
N R H R
R H H
H
H
Säureamid
Die Hydrocarboxylierung erfolgt mit hoher Ausbeute, wenn Nickel- oder Kobalttetra-
carbonyl als Katalysator wirksam sind. Die Addition an höhere Alkene erfolgt nach der Mar-
kownikow-Regel.
R H R H2O, CO, Co(CO)4, 80 °C, Druck R COOH
C C + H C CH3 C + H
H H H H CH3

Bei dem als Zwischenprodukt der Synthese gebildeten Carbeniumion tritt häufig eine
Wagner-Meerwein-Umlagerung durch Hydridverschiebung (siehe Abschnitt 3.7.3.1) auf, so
daß Gemische isomerer, verzweigter Carbonsäuren entstehen können.
114 3 Alkene

3.7.4.6 Addition der Halogene an ein Alken


Die Addition von Brom dient als Nachweisreaktion für das Vorhandensein einer C=C-Dop-
pelbindung oder einer Dreifachbindung. Man schüttelt die zu untersuchende Substanz oder
eine Lösung derselben mit Bromwasser. Sind ungesättigte Verbindungen zugegen, tritt eine
Entfärbung ein, die darauf zurückzuführen ist, daß das Brom an die Doppel- bzw. Dreifach-
bindung addiert wird, und das Reaktionsprodukt farblos ist. Der Reaktionsverlauf ist folgen-
der: Nähert sich das Brommolekül der Doppelbindung, so induziert (inducere = einführen)
die relativ hohe negative Ladungsdichte im Brommolekül eine Polarisierung, und es bildet
sich ein π-Komplex.
-
δ
Br
+
Br Br Br δ

C C C C π-Komplex

Die Polarisierung des Brommoleküls schreitet weiter bis zu seiner heteropolaren Spal-
tung. Nach dieser Spaltung liegt ein Bromoniumion (ganz allgemein ein Halogenonium-Ion)
nebst einem Bromidion vor. Im nächsten Reaktionsschritt nähert sich das Bromidion von der
entgegengesetzten Seite einem der überbrückten C-Atome und wird an dieses gebunden, in-
dem es eines der freien Elektronenpaare für diese Bindung zur Verfügung stellt.
-
δ
Br
+
Br δ
Br
Br Br

C C C C + Br C C + C C

Br Br

π-Komplex Bromonium-Ion 1,2-Dibromalkan

Die Fähigkeit überbrückte Halogenonium-Ionen zu bilden, steigt in der Reihe Chlor <
Brom < Iod. Beim Chlor ist diese Neigung nur schwach ausgeprägt. So erfolgt z.B. bei der
Addition von Chlor an cis-Stilben teilweise eine syn-Addition (beide Teile des Addenden
lagern sich an die Doppelbindung von der gleichen Seite her an), was darauf hinweist, daß in
diesem speziellen Fall ein anderer Additionsmechanismus – als der über ein Brückenion –
vorliegt.

H H H H
Cl Cl
C C + Cl2 C C

cis-Stilben 1,2-Dichlor-1,2-diphenylethan
3.7 Reaktionen der Alkene 115

Die Addition von Fluor bei tiefer Temperatur verläuft ausschließlich über einen syn-Mecha-
nismus. Man nimmt in diesem Falle eine Addition über Vierzentren-Übergangszustände an:

Ganz allgemein kann man sagen, daß Halogene leichter addiert werden als Halogen-
wasserstoffe. Die Reaktionsbereitschaft der Halogene zur Addition an Alkene nimmt ganz
im Gegensatz zu den Halogenwasserstoffen mit steigendem Molekulargewicht ab:

F2 > Cl2 > Br2 > I2

Die Bromaddition führt man gewöhnlich so durch, daß man Brom zunächst in CHCl3
oder CCl4 löst und die Lösung zu dem im gleichen Lösungsmittel gelösten Alken unter Küh-
len des Reaktionsgemisches solange zutropfen läßt, bis sich das Reaktionsgemisch nicht
mehr entfärbt. Die Reaktion mit Chlor erfolgt durch Einleiten von Chlorgas in das Alken
bzw. dessen Lösung. Die Addition von Iod an Alkene erfolgt langsam, und die entstandenen
vicinalen Diiodalkane (vicinus = der Nachbar) spalten das Iod leicht wieder ab:

I
C C + I2 C C

I
Die leichte Abspaltbarkeit des Iods aus vicinalen Diiodalkanen kann dazu benutzt wer-
den, um vicinale Dibromide oder Dichloride auf schonende Weise in das entsprechende Al-
ken umzuwandeln. Man gibt zur Acetonlösung des vicinalen Dibromalkans NaI und erhitzt
unter Reflux (Methode nach Finkelstein). Als Reflux bezeichnet man ein Erhitzen unter dem
Rückflußkühler, wobei das Kondensat in den Reaktionskolben zurückfließt. Beide Brom-
atome werden durch Iod ersetzt. Das entstandene Diiodderivat spaltet Iod unter Bildung
eines Alkens ab.
Br I
Aceton
C C + 2 NaI C C + 2 NaBr C C + 2 NaBr + I2

Br I

3.7.4.7 Addition der unterchlorigen Säure


Bei der Addition von unterchloriger Säure an Alkene werden Chlorhydrine erhalten. Die
anti-Stellung der OH-Gruppe und des Chlors weisen auf den Reaktionsmechanismus über
ein Brückenion hin. Bei der heteropolaren Spaltung der unterchlorigen Säure ist Chlor die
positive, die OH-Gruppe die negative Komponente.
116 3 Alkene

-
H O δ
+
Cl δ Cl
Cl

C C + Cl O H C C C C + O H C C

O H

Chlorhydrin
(vic-Chloralkanol)
Im alkalischen Medium entstehen aus den Chlorhydrinen leicht Epoxide:

Cl

C C C C + Na Cl + H2O

O H OH Na
O
Epoxid
(Oxiran)

In verdünnten Säuren erfolgt die Ringöffnung eines Epoxids unter Bildung eines Glykols.
Als Glykole bezeichnet man vicinale Diole (zweiwertige Alkohole, deren OH-Gruppen an
benachbarte C-Atome gebunden sind). Befindet sich das Epoxid an einem Kohlenstoffring,
so führt die Epoxidspaltung zu einem trans-Glykol.
H H H H H H H
O O O O + H

C C C C C C C C

O O O O
H H H
H
Glykol

3.7.5 Cycloadditionen

Cycloadditionen sind Reaktionen, bei welchen sich zwei oder mehrere Moleküle unter Um-
wandlung von π- zu σ-Bindungen zu einem Ring vereinen.

3.7.5.1 Die Hydroborierung


Das für die Hydroborierung benötigte Diboran B2H6 entsteht bei der Umsetzung von BCl3
mit Lithiumaluminiumhydrid in Ether,
Ether
4 BCl3 + 3 LiAlH4 ⎯⎯⎯
⎯→ 2 B2H6 + 3 LiAlCl4

oder beim Eintropfen des Bortrifluorid-Etherats BF3 · O(C2H5)2 in eine Lösung von Natrium-
borhydrid in Diethylenglykoldimethylether (H3COCH2CH2OCH2CH2OCH3).
3.7 Reaktionen der Alkene 117

4 BF3 + 3 NaBH4 ⎯
⎯→ 2 B2H6 + 3 NaBF4

Bei der Hydroborierung setzt man die Aufspaltung des Diborans B2H6 in 2 BH3 voraus.
Boran BH3 wird an die Doppelbindung addiert, wobei sich –BH2 regioselektiv (siehe Ab-
schnitt 3.7.2.1) an das mit mehr Wasserstoffatomen substituierte sp2-hybridisierte C-Atom
anlagert. Experimentelle Ergebnisse (syn-Anlagerung, festgestellte Substituenten-Einflüsse)
lassen einen Vierzentren-Mechanismus wahrscheinlich erscheinen.

BH3 H BH2 H BH2


R H
C C C C C C
R H R H R H
R H R H
Monoalkylboran
Bei dieser Reaktion spielen vor allem die räumlichen Verhältnisse eine Rolle. Die =CH2-
Gruppierung ist für das Bor besser zugänglich. Auf der Stufe des Monoalkylborans bleibt die
Reaktion nicht stehen. Die –BH2-Gruppe kann sich noch an ein weiteres Alkenmolekül und
der aus dieser weiteren Addition resultierende –BH-Rest schließlich an ein drittes Alken-
molekül addieren:
R R
R R R
C C
H CH2 H CH2 R C CH2
H
H BH H BH H BH

R C CH2 R C CH2 R C CH2

R R R
Dialkylboran
R R H H R R
H R R
R C CH2 R C CH2 C C R C CH2
C C H R
H H R H H
B H B H B C C R
H H H
H H
R C CH2 R C CH2 R C CH2

R R R
Trialkylboran

Bei der Hydrolyse des Trialkylborans mit Essigsäure erhält man das entsprechende Alkan:

H H
R R
CH3COOH
C CH2 B + 3 H2O 3 C CH3 + H3BO3
R R
3
118 3 Alkene

Wird Trialkylboran oxidativ hydrolysiert, so entsteht ein Alkohol. Für die Reaktion wird
gewöhnlich Wasserstoffperoxid in alkalischem Medium verwendet:

H H
R
H2O2 / NaOH
C CH2 B 3 R C CH2OH + Na3BO3
R
3 R

Bei der oxidativen Hydrolyse eines Triborans R3B mit Wasserstoffperoxid im alkalischen
Medium wird im ersten Reaktionsschritt das Wasserstoffperoxid-Anion an das Bor-
atom gebunden, worauf sich das Zwischenprodukt unter Freisetzung des Hydroxydions um-
lagert. Der entstandene Monoester R2BOR reagiert auf gleiche Weise weiter, wobei der Bor-
säureester (RO)3B entsteht, der im alkalischen Medium zum entsprechenden Alkohol und
BO33– verseift wird.

R R R

R B O O H R B O O H R B O R
- OH
R R

R
3 OH
B OR + 2 HOO B(OR)3 3 ROH + BO33-
R - 2 OH

Diese Reaktion ist insofern wichtig, als man, ausgehend vom Alken durch Hydroborie-
rung und nachfolgende oxidative Hydrolyse des Trialkylborans, ein anti-Markownikow-
Produkt erhält:

H H H
R H R
H2O2 / NaOH
3 C C + BH3 C CH2 B 3 R C C OH + Na3BO3
R H R
3 R H
anti-Markownikow-Produkt

Ausgehend vom gleichen Alken würde man mit der sauren Hydratisierung oder Addition
von H2SO4 und nachfolgender Hydrolyse des Esters stets nur ein Markownikow-Produkt
erhalten.

R H
R H
H / H2O
C C R C C H
R H
HO H
Markownikow-Produkt
3.7 Reaktionen der Alkene 119

3.7.5.2 Die Ozonisierung

Es ist bekannt, daß beim Durchschlagen eines elektrischen Funkens oder bei Bestrahlung mit
kurzwelligem Licht (< 250 nm) Sauerstoff in Ozon umgewandelt wird. Das erklärt auch den
Ozongehalt der Luft (10–6–10–5 Vol.% ) und die noch höhere Ozonkonzentration in den einer
intensiven kurzwelligen Strahlung ausgesetzten Luftschichten in etwa 25–40 km Höhe. Ozon
ist eine metastabile hochreaktive Verbindung mit starkem Oxidationsvermögen. Auch orga-
nische Verbindungen können mit Ozon reagieren. Die Reaktion des Ozons mit einem Alken,
die zur Ozonidbildung führt, wird als Ozonisierung bezeichnet:
O
in CCl4, -20 °C
C C + O3 C C
O O
Ozonid
Das für die Reaktion nötige Ozon wird in einem Siemensschen Ozonisator hergestellt.
Dieser besteht aus zwei koaxialen Glasrohren. Das engere Rohr wird an der Innenwand, das
weitere Rohr an der Außenwand mit Wasser gekühlt. Durch den Ringraum zwischen den
Rohren strömt Sauerstoff oder trockene Luft durch. Durch Anlegen einer Spannung von
3000 und mehr Volt erfolgen in diesem Raum dunkle Entladungen, die eine Ozonbildung
zur Folge haben. Der aus dem Ozonisator kommende Gasstrom kann bis zu 15 % Ozon
enthalten. Dieser Gasstrom wird durch eine Lösung der Alkene in Tetrachlorkohlenstoff
oder Ethylacetat geleitet. Das Reaktionsgefäß wird von außen mit Eis in Salzlösung oder mit
Trockeneis in Aceton gekühlt. Der Gasstrom wird weiter durch eine Waschflasche mit KI-
Lösung geführt. Das Ausscheiden von Iod kündigt das Ende der Reaktion an.
In geringen Konzentrationen kann Ozon zur Luftverbesserung und Trinkwasserent-
keimung verwendet werden. In stärkerer Konzentration wirkt Ozon jedoch verätzend auf die
Atmungsorgane. Vor dem Einatmen des bei der Ozonisierung in hoher Konzentration vorlie-
genden ozonreichen Gasgemisches sei dringend gewarnt! Als Verbindungsstücke können nur
PVC- oder Siliconschläuche verwendet werden, Gummischläuche werden von Ozon ange-
griffen und sind nach kurzer Zeit unbrauchbar.
Die Struktur des Ozons kann mit den nachfolgenden mesomeren, polaren Grenzformeln
beschrieben werden.3

O O O O
O O O O
O O O O

Der erste Reaktionsschritt bei der Ozonisierung führt zum instabilen Molozonid. Das
Molozonid zerfällt synchron in eine Carbonylverbindung und ein Carbonyloxid. Die Spalt-
stücke orientieren sich mit ungleichnamigen Ladungen zueinander und vereinigen sich durch

3
Mesomere Grenzformeln unterscheiden sich nur durch die unterschiedliche Anordnung der π-
Elektronen bzw. p-Elektronenpaare und Lokalisierung von Ladungen.
120 3 Alkene

eine 1,3-dipolare [3+2]-Cycloaddition zum Ozonid. Die Reaktion wird deshalb „1,3-dipolar“
genannt, weil die Ladungen sich beim Carbonyloxid

C O O

in Stellung 1 und 3 befinden. [3+2]-Cycloaddition bedeutet, daß die eine Komponente mit 2
und die andere mit 3 Atomen am Aufbau des Ringes beteiligt ist.

δ-
C O
C O O O
C δ+
O O C O C C
C O C O O O O

Molozonid Keton und Carbonyloxid Ozonid


(Primärozonid)
Ozonide sind relativ beständig, es empfiehlt sich aber, sie in Lösung zu halten, da sie
sich, besonders die als Nebenprodukt erhaltenen polymeren Ozonide, bei vollständigem Ab-
destillieren des Lösungsmittels explosionsartig zersetzen können. Ozonide lassen sich leicht
hydrolysieren. Die Spaltung des Olefins mit Ozon wird als Ozonolyse bezeichnet.
O
R R' R R'
C C + H2O C O + O C + H2O2
R R' R R'
O O

Trägt das Ozonid an jedem der beiden Brückenkohlenstoffatomen 2 Alkylreste, so erhält


man als Produkt der Hydrolyse zwei Ketone und Wasserstoffperoxid. Die Ozonolyse von
Verbindungen des Typs

O
R R'
C C
H H
O O

führt zu Aldehyden, die aber zum Teil durch das bei der Reaktion anfallende Wasserstoff-
peroxid zu Carbonsäuren weiteroxidiert werden. Man führt deshalb, um eindeutige Produkte
zu erhalten, die Ozonolyse reduktiv oder oxidativ durch. Die reduktive Ozonolyse erfolgt
durch katalytische Hydrierung mit Pd auf Calciumcarbonat, die Reaktionsprodukte sind
Aldehyde:

R R' O
O3 R R' Pd / H2 R R'
C C C C C O + O C + H2O
H H H H
H H O O

Hat das im Fünfring des Ozonids befindliche Kohlenstoffatom einen Wasserstoff gebun-
den, führt die oxidative Hydrolyse des Ozonids zu einer Carbonsäure:
3.7 Reaktionen der Alkene 121

R R' O
O3 R R' HCOOH / H2O2 R R'
C C C C C O + O C
H H HO OH
H H O O

Die Hydrolyseprodukte tetraalkylsubstituierter Ozonide vom Typ

O
R R'
C C
R R'
O O

sind Ketone
R R'
C O und O C
R R'

Die Produkte der Ozonolyse geben eine genaue Information über die Stellung einer Dop-
pelbindung des Alkens, das ozonisiert wurde. Die Ozonisierung wird deshalb oft zur Bestim-
mung der Lage der Doppelbindung bei der Strukturaufklärung von Stoffen herangezogen.

3.7.5.3 Die Dihydroxylierung


Bei milden Reaktionsbedingungen können Alkene mit bestimmten Oxidationsmitteln in Gly-
kole übergeführt werden. Die Dihydroxylierung, oft auch als Hydroxylierung bezeichnet,
kann nach einem syn- oder anti-Mechanismus erfolgen. Erfolgt die Dihydroxylierung nach
dem syn-Mechanismus, stehen die beiden Hydroxygruppen unmittelbar nach der Hydrolyse
des cyclischen Zwischenprodukts, von der C–C-Bindung her gesehen, zunächst auf der
gleichen Seite, was einer synperiplanaren Konformation der OH-Gruppen entspricht. Durch
die freie Drehbarkeit um die C–C-Einfachbindung kann das Molekül im weiteren zeitlichen
Verlauf natürlich andere Konformationen einnehmen. Beim Anti-Mechanismus stehen die
Hydroxygruppen unmittelbar nach der Hydrolyse einander diametral gegenüber. Mit Cyclo-
alkenen erhält man, bedingt durch die Einschränkung der freien Drehbarkeit um die C–C-
Bindung durch den Ring, bei der Dihydroxylierung nach dem syn-Mechanismus ein cis- und
nach dem anti-Mechanismus ein trans-Glykol.

a) Die anti-Dihydroxylierung
Als Oxidans dienen in diesem Falle gewöhnlich Peroxysäuren,

O O
R C C
O OH O OH
Peroxysäure Peroxybenzoesäure
Hydroperoxide RCH2–O–OH oder Wasserstoffperoxid in Eisessig. Oft wird Peroxybenzoe-
säure (Reaktion nach Prileschajew), oder 98 %iges Wasserstoffperoxid verwendet. Eine Anla-
gerung des Sauerstoffatoms führt über einen cyclischen Übergangszustand zur Epoxidbildung.
122 3 Alkene

R C O R C O R C O
Carbonsäure
H
O H O H O
O
O O
Epoxid
C C C C C C

Im sauren Medium erfolgt leicht eine Aufspaltung des Epoxids, wobei ein Glykol gebildet wird:

H H

O O HO HO

C C C C + H
C C C C
O OH
H H
+ H2O O
H H
Glykol
b) Die syn-Dihydroxylierung
Mit OsO4 und MnO4– erfolgt eine [2+3]-Cycloaddition an das Alken (von der Cyclisierung
betroffen sind 2 C-Atome des Alkens und 3 Atome des OsO4 bzw. MnO4–). Durch hydrolyti-
sche Spaltung des 5-Ringes gelangt man zum Glykol.

Die Dihydroxylierung mit Osmiumtetroxid


OsO4 wird nur zur Hydroxylierung von kleinen Mengen von Alkenen verwendet. Dies aus
zwei guten Gründen: es ist teuer und seine Dämpfe sind sehr giftig. Die Umwandlung der
Alkene in Glykole über ein OsO4-Addukt geschieht auf sehr schonende Weise, und es ist vor
allem gewährleistet, daß keine Weiteroxidation erfolgt. Die Hydroxylierung über die Additi-
on von Osmiumtetroxid ist deshalb für die Strukturaufklärung von einiger Bedeutung. Osmi-
umtetroxid bildet mit dem Alkan einen cyclischen Osmiumsäure-Ester, der als solcher auch
isoliert werden kann. Er wird oxidativ hydrolysiert oder reduktiv gespalten.

Anmerkung: THF = Tetrahydrofuran


3.7 Reaktionen der Alkene 123

Bei der Reaktion cyclischer Alkene mit Osmiumtetroxid und nachfolgender Hydrolyse
erhält man cis-Glykole.

O O
OH
H Os H2O2 H
+ OsO4 O O OH + OsO4

H H

Bei der Dihydroxylierung eines Alkens kann die Näherung des Osmiumtetroxids von der
einen oder der anderen Seite an das π-Orbital der Doppelbindung erfolgen und demgemäß
erhält man mit einem substituierten Alken ein Gemisch zweier isomerer cis-Diole:

Bei der Sharpless-Dihydroxylierung erfolgt die Addition des Osmiumtetroxids durch


Zugabe eines chiralen Liganden bevorzugt von einer Seite der Doppelbindung, die andere
Seite wird durch Anlagerung des chiralen Liganden blockiert. Verwendet werden chirale
Liganden auf Chinin-Basis (DHQ)2Phal (abgeleitet von Chinin) und (DHQD)2Phal (abgelei-
tet von Chinidin).
124 3 Alkene

Formeln der beiden chiralen Liganden:

Die Dihydroxylierung mit KMnO4


Die Hydroxylierung mit verdünnter wäßriger KMnO4-Lösung führt bei niedrigen Reaktions-
temperaturen (0–5°C) über eine cis-Addition zum Glykol. Das cyclische Addukt kann nicht
isoliert werden, es wird sogleich zum Glykol hydrolysiert.
H H H H
C C R C C R
R R OH
H H
O O 2 H 2O +V
Mn R C C R O Mn O
O O
O O HO OH OH
Mn
O O

Bei den gegebenen Bedingungen kann eine Weiteroxidation eines Teils des Glykols erfol-
gen. Die Reaktion hat deshalb für die präparative Darstellung der Glykole kaum Bedeutung.
Sie dient aber als typische Nachweisreaktion für ungesättigte Verbindungen. Sie erfolgt
durch Schütteln des Alkens mit Baeyer-Reagens (KMnO4 in 10 %iger Na2CO3-Lösung ) bei
Zimmertemperatur. Das Vorhandensein des Alkens oder eines Alkins ist am Verschwinden
der violetten Färbung und Ausfällung des dunkelbraunen MnO2-Niederschlags erkennbar.
Der braune Niederschlag ist darauf zurückzuführen, daß die zunächst entstandene Mangan-
(V)-Verbindung (das Hypomanganat) mit der vier- und sechswertigen Stufe des Mangans im
Disproportionierungsgleichgewicht steht,

+V 3 +VI 2 +IV 4
2 MnO4 MnO4 + MnO4

und MnO44– mit Wasser zu Braunstein MnO2 umgesetzt wird.


4
MnO4 + 4 H 2O Mn(OH)4 + 4 OH MnO2 + 4 OH + 2 H2O

Das sechswertige Manganat, das bei der Disproportionierung entsteht, ist ein starkes
Oxidationsmittel, das das Alken bzw. das Glykol ebenfalls oxidieren kann.
3.7 Reaktionen der Alkene 125

3.7.5.4 Die Epoxidierung


Alkene reagieren mit Peroxysäuren oder 98%igem Wasserstoffperoxid in Eisessig über einen
cyclischen Übergangszustand, wobei die Peroxysäure zur Carbonsäure reduziert und ein
Epoxid gebildet wird. Mit Peroxybenzoesäure als Oxidans wird die Reaktion nach Prile-
schaew benannt.

Im Alken liegen die beiden sp2-hybridisierten Kohlenstoffatome und ebenso die an sie
gebundenen Atome in einer Ebene, die senkrecht zur Ebene des π-Orbitals steht. Die Per-
oxysäure kann an das π-Orbital entweder von oberhalb oder unterhalb dieser Ebene herantre-
ten. Demgemäß können bei der Reaktion zwei Enantiomere in gleichem Mengenverhältnis
entstehen. Die Reaktion führt also zu einem Racemat.

Die Sharpless-Epoxidierung ist eine enantio- und diastereoselektive Reaktion für Alke-
ne, die in Allylstellung eine Hydroxylgruppe aufweisen. Sie erfolgt mit tert.-
Butylhydroperoxid als Oxidans und mit Titantetraisopropylat sowie D- oder L-
Weinsäurediester. Je nachdem, welcher Weinsäurediester bei der Reaktion zugegen ist, wird
ein Isomer des Epoxids bevorzugt dargestellt. Es handelt sich also bei dieser Reaktion um
eine asymmetrische Oxidationsreaktion.
126 3 Alkene

3.7.5.5 Die Oxymercurierung


Das Wort Mercurierung ist eine Bezeichnung für die Einführung von Quecksilber in organi-
sche Substanzen. Die Oxymercurierung, auch als Hofmann-Sand-Reaktion bekannt, ist ein
Verfahren, um Alkene mit Hilfe von Quecksilber-(II)-acetat in Alkohole umzusetzen. Die
Reaktion erfolgt zunächst mit Quecksilber-(II)-acetat und Wasser in einer wässrigen Tetra-
hydrofuranlösung, worauf das Zwischenprodukt mit Natriumborhydrid in Natronlauge in den
Alkohol überführt wird. Der entstandene Alkohol ist ein Markownikow-Produkt (siehe 3.7.2).

Reaktionsmechanismus: Die Mercurierung des Alkens mit Quecksilber-(II)-acetat erfolgt


über einen cyclischen Übergangszustand, wobei das höher substituierte C-Atom etwas stär-
ker positiviert ist. An diesem erfolgt unter Auflösung des Ringes der nucleophile Angriff des
Wassers. Das gebildete Oxoniumion spaltet ein Proton ab und es entsteht eine Quecksil-
beralkoholverbindung als Zwischenprodukt. Die Demercurierung des Zwischenprodukts im
weiteren Schritt erfolgt durch Substitution des Quecksilbermonoacetats durch ein Hydridion,
wobei der Alkohol entsteht.

3.7.6 Radikalische Additionen

3.7.6.1 Radikalische Addition des Bromwasserstoffes


Bei der elektrophilen Addition von HBr an Propen entsteht 2-Brompropan CH3CHBrCH3
(Markownikow-Produkt) und als Nebenprodukt noch 1-Brompropan CH3CH2CH2Br. Wird
die Reaktion in Gegenwart von Peroxiden durchgeführt, so wächst die Ausbeute des
3.7 Reaktionen der Alkene 127

1-Brompropans beträchtlich. Die Erklärung liegt darin, daß im Beisein von Peroxiden, die
leicht in Radikale zerfallen, die radikalische Addition von HBr an das Alken ausgelöst wird,
die zum anti-Markownikow-Produkt führt. Das Vorhandensein dieses Produkts als Neben-
produkt bei der elektrophilen Addition ist darauf zurückzuführen, daß neben der elektrophi-
len Addition auch, hervorgerufen durch O2 als Initiator, ein Teil des Bromwasserstoffs nach
dem radikalischen Mechanismus addiert wird.

Startreaktion:
Zum Initiieren der radikalischen Addition kann z.B. Dibenzoylperoxid verwendet werden,
das in Phenyl- und Benzoyloxyradikale zerfällt.

O O O

C6H5 C O O C C6H5 2 C6H5 C O


Benzoyloxyradikal
O

C6H5 C O C6H5 + CO2


Phenylradikal

Beide Radikale können mit Bromwasserstoff reagieren, wobei aus HBr ein Bromatom
freigesetzt wird.

C6H5 + H Br C6H6 + Br

O O

C6H5 C O + H Br C6H5 C O H + Br

Benzoesäure

Kettenfortpflanzung:
Bei der Kettenfortpflanzung reagiert das Bromatom mit dem Alken unter Auflösung der
Doppelbindung, wobei zunächst ein Radikal entsteht. Bei niedrigen Temperaturen dürfte, da
bei cyclischen Olefinen mit DBr (D = Deuterium) eine bevorzugte anti-Addition festgestellt
wurde, das Vorliegen des Radikals in einer überbrückten Form nicht auszuschließen sein.
Bei höheren Temperaturen geht diese Stereospezifität der Addition jedoch verloren. Das
nach Anlagerung des Bromatoms entstandene Radikal spaltet Bromwasserstoff homolytisch,
wobei das Bromatom freigesetzt wird. Reagiert dieses nun mit Propen, wiederholt sich der
ganze hier aufgezeigte Cyclus.
128 3 Alkene

Br Br
H3C H H3C
C C C C H
H H H H

Br Br
H3C H3C
C C H H C C + Br
H
H H
H Br H H

Kettenabbruchreaktionen:
Die Kettenabbruchreaktionen erfolgen durch Rekombination des Bromatoms mit dem Radikal,

Br
H3C H3C Br
C C H H C C
H
H H Br H
Br

oder indem sich zwei Radikale miteinander verbinden (Rekombination)

H Br Br H CH3 Br

2 C C H H C C C C H

CH3 H H CH3 H H

Die Anlagerung des Bromatoms bei der Kettenreaktion an das sp2-hybridisierte Kohlenstoff-
atom, das mehr H-Atome gebunden hat, ist zu erklären:
1.) mit den räumlichen Verhältnissen. Das mit Wasserstoff substituierte C-Atom ist für das
Bromatom am zugänglichsten.
2.) damit, daß die Stabilität der Radikale in folgender Reihe wächst (zur Erklärung siehe
den Absatz über die Hyperkonjugation im Abschnitt 2.9.1.4):

H H R R
H C R C R C R C
H H H R

Durch Anlagerung des Bromatoms an das die Wasserstoffe tragende C-Atom wird ein
stabileres Radikal gebildet als bei der Anlagerung an das andere sp2-hybridisierte Kohlen-
stoffatom:
3.7 Reaktionen der Alkene 129

Br Br H

H3C C C H stabiler als H3C C C

H H H H
Die radikalische Addition erfolgt nur mit HBr, nicht mit anderen Halogenwasserstoffen.
HI kann zwar leicht homolytisch gespalten werden, aber das Iodatom ist zu wenig reaktiv.
Für die homolytische Spaltung von HCl bzw. HF ist relativ viel Energie notwendig.

3.7.6.2 Die radikalische Addition der Halogene


Die radikalische Addition von Chlor und Brom erfolgt in der Gasphase oder in unpolaren
Lösungsmitteln bei Bestrahlung mit kurzwelligem Licht. In polaren Lösungsmitteln und
ohne Bestrahlung findet die elektrophile Addition statt.

Startreaktion:
Der Mechanismus der radikalische Addition von Halogenen wird am Beispiel der radikali-
schen Addition von Chlor gezeigt. Die Reaktion wird ausgelöst durch Spaltung des Chlor-
moleküls in Chloratome bei Bestrahlung mit kurzwelligem Licht.

Cl Cl 2 Cl

Kettenfortpflanzung:
Das Chloratom entkoppelt die Elektronen der π-Bindung und lagert sich an ein Kohlenstoff-
atom der Doppelbindung an. Das entstandene Radikal spaltet ein Chlormolekül und bindet
ein Chloratom. Das andere Chloratom reagiert mit einem weiteren Alkenmolekül und ein
neuer Cyclus der Kettenreaktion beginnt.

Cl

Cl

C C C C

Cl Cl

C C C C + Cl

Cl
Cl Cl

vicinales Dichloralkan
130 3 Alkene

Kettenabbruchreaktionen:
Der Abbruch der Kettenreaktion erfolgt durch Anlagerung eines Chloratoms an das Radikal
oder indem sich zwei Chloratome oder zwei Radikale miteinander verbinden (Rekombination).

Cl Cl

C C C C

Cl
Cl
oder

Cl Cl Cl

2 C C C C C C

3.7.6.3 Die Addition von Stickstoffoxiden


Stickstoffdioxid besitzt ein ungepaartes Elektron und kann deshalb leicht dimerisieren:

O O O
2 N N N
O O O

Spektroskopisch wurde in der Gasphase ebenfalls das weniger stabile Isomer ONONO2
nachgewiesen. Dieses spaltet sich leicht in NO+ und NO3–:

O O
O N O N O N O N + O N
O O

Die radikalische Addition von Stickstoffdioxid führt zum Dinitroalkan,

O O O
C C + 2 N N C C N
O O O
1,2-Dinitroalkan

während sich bei der polaren Addition β-Nitrosoalkylnitrat bildet:

C C + N O + O NO2 O N C C O NO2

β-Nitrosoalkylnitrat

Distickstofftrioxid dissoziiert in Stickoxid NO und Stickstoffdioxid NO2 (Bei Zimmertempe-


ratur und Normaldruck liegt in der Gasphase nur 10 % nichtdissoziiertes N2O3 vor.):
3.7 Reaktionen der Alkene 131

O O O
N N O N + N
O O

Die radikalische Addition von N2O3 an ein Alken führt zum Nitrosonitroalkan.

O O
C C + O N + N O N C C N
O O
Nitrosonitroalkan

Die polare Addition von N2O3 an ein Alken setzt die heteropolare Spaltung in NO+ und
NO2– voraus, es entsteht β-Nitrosoalkylnitrit.

O
C C + O N + N O N C C O N O
O
β-Nitrosoalkylnitrit

3.7.6.4 Die radikalische Addition der Thiole an Alkene


Die radikalische Addition der Thiole wird mit Peroxiden initiiert. Die Reaktion läuft nach
folgendem Schema ab:
Startreaktion:

R O O R 2 R O

R S H + O R R S + H O R

Kettenfortpflanzung:

C C + S R C C S R

R S H + C C S R R S + H C C S R

Thioether (Produkt)
132 3 Alkene

Kettenabbruchreaktionen:

R S + C C S R R S C C S R

oder

R S C C + C C S R R S C C C C S R

3.7.6.5 Radikalische Additionen mit C–C-Verknüpfungen

a) Radikalische Additionen von Alkoholen an Alkene


Alkohole reagieren mit Alkenen bei Bestrahlung oder Erhitzen mit Peroxiden ebenfalls nach
dem Radikalmechanismus. Die der radikalischen Addition von Thiolen an Alkene analoge
Reaktion mit Ether als Reaktionsprodukt erfolgt nur als Nebenreaktion. Dies ist damit zu er-
klären, daß die C–H-Bindung des Alkohols leichter homolytisch gespalten wird als die O–H-
Bindung. Der nachstehend aufgezeigte Reaktionsmechanismus zeigt, daß die Addition in
diesem Falle zu einem längerkettigen Alkohol führt.
Startreaktion:

R' O O R' R' O + O R'

H H

R' O + H C R R' O H + C R

O H O H

Kettenfortpflanzung:
H H

C C + C R C C C R

OH OH

H H H H

R C H C C C R R C + H C C C R

OH OH OH OH
3.7 Reaktionen der Alkene 133

Kettenabbruchreaktionen:

H H H H

R C + C C C R R C C C C R

OH OH OH OH

H H H H

R C C C + C C C R R C C C C C C R

OH OH OH OH

Erfolgt die Addition unter Einwirkung von kurzwelligem Licht, wird ein Photosensibili-
sator den Alkenen beigefügt. Photosensibilisatoren, z.B. Benzophenon (C6H5)2C=O, erleich-
tern die radikalische Addition unter Lichteinwirkung.

b) Radikalische Additionen von Aldehyden, Ketonen, Carbonsäuren und Estern


Bei Alkoholen und Aldehyden erfolgt die homolytische Spaltung der C–H-Bindung an dem
Kohlenstoffatom, das ebenfalls den Sauerstoff bindet. Bei Ketonen, Carbonsäuren und
Estern wird die C–H-Bindung an dem zur Carbonylgruppe α-ständigen Kohlenstoffatom ge-
spalten.

C C + H C R' H C C C R'

O O
Aldehyd Keton

H H

C C + H C C CH3 H C C C C CH3

H O H O
Keton Keton mit längerer Kohlenstoffkette

H H

C C + H C C O R' H C C C C O R'

H O H O
Ester Ester mit längerer Kohlenstoffkette
134 3 Alkene

c) Radikalische Additionen von Alkylhalogeniden


Beim Erhitzen von Alkylhalogeniden mit Peroxiden auf etwa 100°C werden diese homoly-
tisch gespalten, so daß radikalische Additionen mit einem Alken erfolgen.

C C + X CX3 X C C CX3 X = Cl, Br

C C + H CX3 H C C CX3

Als Nebenreaktionen entstehen bei diesen Additionen Telomere:

n C C + X CX3 X C C CX3

Telomere sind Polymere mit relativ kurzer Kette. Die Bildung von Telomeren kann durch
einen Überschuß des Addenden unterdrückt werden.

3.7.7 Additionsreaktionen in Gegenwart von Metallkatalysatoren

3.7.7.1 Die katalytische Hydrierung der Alkene


Unter katalytischer Hydrierung versteht man die Addition von Wasserstoff an ungesättigte
Verbindungen in Gegenwart eines Katalysators.

H H
Katalysator
C C + H2 C C

H H

Als Katalysator werden für katalytische Hydrierungen im Labor häufig Pt, Pd oder PtO2
nach Adams verwendet (siehe Abschnitt 2.7.1). Die Hydrierung mit diesen Katalysatoren
erfolgt schon bei Normaldruck und Zimmertemperatur. Die katalytische Hydrierung kann
mit flüssigen Alkenen ohne Lösungsmittel durchgeführt werden, häufig wird jedoch in einem
polaren Lösungsmittel, z.B. Alkohol, Ethylacetat, Essigsäure oder Dioxan, hydriert.
O

O Dioxan
3.7 Reaktionen der Alkene 135

Die Katalyse findet an der Oberfläche des Katalysators statt. Der Katalysator ist um so
wirksamer, je größer seine Oberfläche ist. Eine Möglichkeit der Oberflächenvergrößerung
bietet das Aufbringen des Katalysators in feinverteiltem Zustand auf die Oberfläche einer
Trägersubstanz. Als solche kann Aktivkohle, Aluminiumoxid, Silicagel, BaSO4 und CaCO3
dienen.
Für die Hydrierung in technischem Maßstab verwendet man häufig Raney-Nickel, da
dieses relativ billig ist. Die Hydrierung erfordert aber einen Druck von 3–7 bar und eventuell
auch eine etwas höhere Temperatur. Für diese Hydrierungen ist also schon ein Autoklav
notwendig. Für die Hochdruckhydrierung (200–350 bar und 150–200°C) werden z.B. Kup-
fer- und Zinkchromit oder Sulfide (Molybdän- und Wolframsulfid) benutzt. Diese katalysie-
ren nicht nur die Addition von Wasserstoff an die Doppel- und Dreifachbindung. Ester wer-
den in Gegenwart von Kupferchromit zu Alkoholen und mit Molybdän- und Wolframsulfid
als Katalysator bis zu den entsprechenden Alkanen reduziert. Eisen- und Cobaltkatalysatoren
werden ebenfalls in der Technik für Hydrierungen eingesetzt.
Im Labor kann die katalytische Hydrierung mit Pt- oder Pd-Katalysatoren mit der in Bild
3.10 gezeigten Apparatur durchgeführt werden. Nachdem das Reaktionsgefäß mit dem Alken
gefüllt und der Katalysator dazugegeben wurde, wird es mit der Apparatur verbunden. Bevor
der Wasserstoff in die Apparatur eingelassen wird, muß diese evakuiert werden. Die Hähne
an der Bürette werden geöffnet und Wasserstoff durch Senken der Nivellierbirne eingelas-
sen, worauf der Hahn zur Vorratsflasche wieder geschlossen wird. Erst dann wird der Mag-
netrührer in Bewegung gesetzt. Die Hydrierung ist beendet, wenn der Wasserspiegel in der
Bürette nicht mehr steigt. Bevor die Apparatur geöffnet wird, ist der Wasserstoff aus dieser
durch Evakuieren zu entfernen. Würde dies nicht geschehen, könnte der Wasserstoff mit der
in die Apparatur eindringenden Luft ein explosives Gasgemisch bilden, das durch den pyro-
phoren Katalysator leicht gezündet werden könnte.

Magnetrührer
Nivellierbirne
Reaktionsgefäß
Glashähne
zur Wasserstrahlpumpe

H2O
H2

Bürette Vorratsgefäß

Bild 3.10 Laborapparatur für die Hydrierung.


136 3 Alkene

Die heterogene Katalyse an Metallkatalysatoren geschieht durch Anlagerung des Wasser-


stoffes an die Oberfläche des Katalysators unter Spaltung der H–H-Bindung. Die Spaltung
der starken H–H-Bindung in Wechselwirkung mit dem Katalysator ermöglicht es, die kataly-
tische Hydrierung mit Pt- und Pd-Katalysatoren bei Zimmertemperatur durchzuführen. Die
Wasserstoffatome können sich von der Oberfläche des Katalysators lösen und mit den sp2-
hybridisierten C-Atomen C–H-Bindungen ausbilden.
Die katalytische Hydrierung ist eine syn-Addition, d.h. beide Wasserstoffatome werden
von derselben Seite an die Doppelbindung addiert.

H H Platinoberfläche

H H

H H H H
C C R C C R
R R H H

H H

Bild 3.11 Schema zur katalytischen Hydrierung

3.7.7.2 Die Epoxidation des Ethylens mit Sauerstoff


Die Epoxidation mit Luft oder Luftsauerstoff kann nur mit Ethen durchgeführt werden, ande-
re Alkene reagieren auf diese Weise nicht. Die Reaktion erfolgt mit Silber als Katalysator bei
220–280°C unter erhöhtem Druck.
1
H2C CH2 + /2 O2 H2C CH2
O
Ethylenoxid
(Weitere Angaben zu dieser Reaktion siehe im Abschnitt 10.6.1.6)

3.7.8 Polymerisationsreaktionen

Der Zusammenschluß von vielen Molekülen einer Verbindung unter Bildung größerer Mole-
küle ohne Abspaltung eines Reaktionsprodukts wird als Polymerisation bezeichnet. Bei den
Alkenen erfolgt dieser Zusammenschluß unter Auflösung von π-Bindungen mit gleichzeiti-
ger Bildung von σ-Bindungen. Durch Polymerisation von Alkenen oder Alkenderivaten
kann man Makromoleküle herstellen, die man als Polymere bezeichnet. Die Ausgangssub-
stanz dieser Reaktion wird Monomer genannt. Verwendet man für die Polymerisation meh-
3.7 Reaktionen der Alkene 137

rere Monomere, so spricht man von Copolymerisation. Durch Polymerisierung von Alkenen
oder Alkenderivaten kann man wichtige Kunststoffe herstellen. Z.B. aus Ethen (auch Ethylen
genannt) das Polyethylen, aus Propen (auch Propylen genannt) das Polypropylen, aus Vinyl-
chlorid H2C=CHCl das Polyvinylchlorid (PVC), aus Vinylacetat H2C=CH–O–COCH3 das
Polyvinylacetat, aus dem Methylester der Methacrylsäure H2C=C(CH3)COOCH3 das Plexi-
glas, aus Tetrafluorethylen F2C=CF2 das Polytetrafluorethylen (Teflon) und aus Styrol
C6H5–CH=CH2 das Polystyrol.
Die Bildung von Makromolekülen durch Polymerisation ist nicht nur auf Kunststoffe be-
schränkt. Aus Isopren H2C=C(CH3)–CH=CH2 wird im Kautschukbaum (Hevea brasiliensis)
durch 1,4-Polymerisation (die Verknüpfung erfolgt am 1. und 4. C-Atom des Monomers) ein
Polymer gebildet, in dem die verbliebenen Doppelbindungen Z-Konfiguration besitzen.

CH3
H3C H
n H2C C CH CH2 C C
CH2 CH2
n

Das Polymer befindet sich in Emulsion im Latex, einer milchigen, weißen Flüssigkeit,
die nach Anritzen der Stämme des Kautschukbaums ausfließt und aufgefangen wird. Der
Latex wird an Ort und Stelle mit Essig- oder Ameisensäure zur Gerinnung gebracht. Das
Gerinnungsprodukt (Koagulat) wird zwischen zwei sich mit unterschiedlicher Geschwindig-
keit bewegenden Walzen ausgewalzt und dabei unter Wasserzusatz gereinigt, wodurch der
Crepe-Kautschuk gewonnen wird. Dieser, in etwa 1 mm dicken „Fellen“ ausgewalzte, Kaut-
schuk wird in Räucherkammern bei 50°C getrocknet (smoked sheet). Der auf diese Weise
gewonnene Rohkautschuk wird mit 3–5 % Schwefel versetzt, geknetet und auf 130–140°C
erhitzt. Der Rohkautschuk enthält im Makromolekül noch viele Doppelbindungen. Diese rea-
gieren beim Erhitzen mit dem Schwefel, wobei eine Vernetzung durch Schwefelbrücken ent-
steht. Der Vorgang wird als Vulkanisation des Kautschuks bezeichnet (Vulcanus ist der röm.
Gott des Feuers). Der Kautschuk wird durch die Vulkanisation zäher, elastischer und ist
nichtklebrig.

3.7.9 Die Reaktionsmechanismen der Polymerisationsreaktionen

Die Polymerisationsreaktionen können nach verschiedenen Reaktionsmechanismen erfolgen.


Man unterscheidet die radikalische Polymerisation, die kationische Polymerisation, die an-
ionische Polymerisation und die metallkatalysierte Polymerisation.

3.7.9.1 Die radikalische Polymerisation


Startreaktion:
Die radikalische Polymerisation (siehe auch radikalische Reaktionen in Abschnitt 2.9.1.2)
wird in den meisten Fällen durch organische Peroxide, z.B. Dialkylperoxide, gestartet, die
leicht in Radikale zerfallen. Diese reagieren mit einem Alkenmolekül, wobei unter Aufspal-
tung der π-Bindung ein Alkylradikal entsteht.
138 3 Alkene

R O O R R O + O R

H H
H H
R O C C R O C C
H H
H H
Kettenfortpflanzung:
Alkylradikale sind sehr reaktiv und reagieren mit weiteren Alkenmolekülen so, daß bei je-
dem dieser Reaktionsschritte ein neues Radikal mit einer jeweils längeren Kohlenstoffkette
entsteht. Diese Reaktionsphase des Kettenwachstums wird als Kettenfortpflanzung oder
Propagation bezeichnet.

H H H H H H H H H H H H

R O C C C C C C R O C C C C C C

H H H H H H H H H H H H
n n

Kettenabbruchreaktionen. Das Kettenwachstum wird durch Kettenabbruchreaktionen (auch


als Termination bezeichnet) abgeschlossen. Sie können durch Rekombination zweier Alkyl-
radikale bzw. eines Alkylradikals mit einem bei der Startreaktion entstandenen Radikal oder
durch Disproportionierung erfolgen.
Rekombination zweier Radikale:
H H H H H H H H H H H H H H H H H H

2 R O C C C C C C R O C C C C C C C C C C C C O R

H H H H H H H H H H H H H H H H H H
n n n

Disproportionierung:
H H H H H H H H H H H

R O C C C C C C R O C C C C C C

H H H H H H H H H H H H
n Alken n

H H H H H H H H H H H H

R O C C C C C C R O C C C C C C H

H H H H H H H H H H H H
m Alkan m

Die Hochdruckpolymerisation von Ethen (1000–2000 bar, 150–250°C) liefert ein Poly-
ethylen mit vielen Kettenverzweigungen. Die Verzweigung kann entstehen, wenn ein Alkyl-
radikal eine nicht am Kettenende befindliche C–H-Bindung eines anderen Alkylradikals oder
eines schon gebildeten Polymers homolytisch spaltet, so daß ein sekundäres Radikal gebildet
wird, das dann mit Ethenmolekülen weiterreagieren kann.
3.7 Reaktionen der Alkene 139

H H H H H H H H H H H H

R C C C C C C R C C C C C C

H H H H H H H H H H H

H H H H H H H H H H H H

R C C C C C C R C C C C C C H

H H H H H H H H H H H H

H H H H H H H H H H H H H H H
H
R C C C C C C C C R C C C C C C C C
H
H H H H H H H H H CH2 H H H H
H H C
C
H H
C
H H

Das im Hochdruck-Verfahren erzeugte Polyethylen hat eine niedrige Dichte von 0,92 g/cm3
(low density polyethylene = LDPE), es ist elastisch und biegsam und wird zur Herstellung
von Folien, Filmen, Zahnrädern usw. verwendet.

3.7.9.2 Die kationische Polymerisation


Nach diesem Reaktionsmechanismus erfolgen säurekatalysierte Polymerisationen. Durch
Protonenanlagerung an die Doppelbindung des Alkens entsteht ein Carbeniumion, das dann
seinerseits mit einem Alkenmolekül weiterreagieren kann, so daß ein Carbeniumion mit
längerer Kohlenstoffkette gebildet wird. Diese Reaktion kann sich mit weiteren Alkenmole-
külen fortsetzen, wobei eine Kettenverlängerung erfolgt, bis ein Zusammenstoß mit einem
Anion oder die β-Eliminierung eines Protons diese Reaktion abschließt. Die kationische
Polymerisation wird durch Methylgruppen am doppeltgebundenen Kohlenstoffatom begün-
stigt. Sie üben einen +I-Effekt aus (angedeutet durch die Pfeile), der die am Carbeniumion
befindliche positive Ladung teilweise kompensiert.
CH3 H CH3
H
H C C H C C
H CH3 CH3
H

H CH3 H CH3 H CH3 CH3 H CH3 H CH3

H C C C C C C H3C C C C C C

H CH3 H CH3 H CH3 CH3 H CH3 H CH3


n n
140 3 Alkene

Abschluß der Polymerisation durch Alkenbildung aus einem Carbeniumion unter β-Eli-
minierung eines Protons:

CH3 H CH3 H CH3 CH3 H CH3


CH3
H3C C C C C C H3C C C C C C + H
CH3
CH3 H CH3 H CH3 CH3 H CH3 H
n n

3.7.9.3 Die anionische Polymerisation


Für die Ingangsetzung (Initiierung) der anionischen Polymerisation bedarf es starker Basen
(z.B. Natriumamid in flüssigem Ammoniak, Amide, Alkoxide, Alkyllithiumverbindungen
usw.). Für die Reaktion günstig sind Gruppen mit –I-Effekt bzw. –M-Effekt, z.B. die Nit-
rilgruppe –CN, die sich an einem der doppelt gebundenen C-Atome des Alkens befinden.

H X H X H X H X H X H X

B C C C C C C B C C C C C C

H H H H H H H H H H H H
n n

H X H X H X H X H X H X

B C C C C C C + H B C C C C C C H

H H H H H H H H HH HH
n n
X = elektronegative Gruppe
B = Base
3.7.9.4 Die metallkatalysierte Polymerisation
Die wichtigste metallkatalysierte Polymerisation ist die mit Ziegler-Natta-Katalysatoren ini-
tiierte Polymerisation von Ethen zu Polyethylen und Propen zu Polypropylen, die schon bei
niedrigen Temperaturen (etwa 100°C) und unterhalb 60 bar erfolgt. Der Katalysator besteht
aus TiCl4 und Triethylaluminium auf MgCl2 als Trägersubstanz. Es wird angenommen, daß
das Triethylaluminium als Alkylierungsmittel (Übertragung der Ethylgruppe auf Ti) und als
Lewis-Säure auftritt (das an Ti gebundene Chlor ist der π-Elektronendonator).

Cl CH2CH3 CH2CH3
Ti + Al(CH2CH3)3 Ti Ti
Cl Cl Cl Al(CH2CH3)2 Cl2Al(CH2CH3)2

Nach einer Komplexierung des Ethens mit dem Übergangsmetall Titan, das nun eine
freie Koordinationsstelle aufweist, erfolgt über einen Vierzentren-Übergangszustand ein Ein-
schub (Insertion) des Ethens zwischen Metall und den an das Metall gebundenen Alkylrest.
Durch Wiederholung des Vorgangs kommt eine Kettenverlängerung zustande. Das verein-
fachte Schema soll dies veranschaulichen:
3.8 Diene und Polyene 141

n mal wiederholter
Einschub von
H2C CH2
Ti C2H5 Ti Ti

H2C CH2 H2C CH2 C2H5 CH2 CH2(H2C CH2)nC2H5

Bei 200–300°C und 50 bar setzt mit Ethen eine Verdrängungsreaktion unter Freisetzung
eines unverzweigten, langkettigen 1-Alkens ein.

Ti Ti
H2C CH2 200-300 °C, 50 bar CH2 CH2

HC CH2 C CH3
R H H R
R= CH2CH2 n CH2CH3

Als Katalysator besonders aktiv (1g Katalysator für 1 Tonne Kunststoff) sind Metallo-
cene vom Typ (Aryl)2MeCl2 (Me = Titan, Zirconium oder Hafnium). Sie ermöglichen den
Einsatz von Copolymeren. Das im Niederdruck-Verfahren mit Ziegler-Natta-Katalysatoren
hergestellte Polyethylen hat fast unverzweigte lange Kohlenstoffketten und besitzt eine hohe
Dichte (high density polyethylene = HDPE). Es ist relativ hart und dient zur Herstellung von
Rohren, Behältern usw.

3.8 Diene und Polyene


Befinden sich in einem Kohlenwasserstoff zwei, drei, vier bzw. fünf Doppelbindungen, so
wird dieser als Dien, Trien, Tetraen bzw. Pentaen bezeichnet. Sind im Molekül viele Doppel-
bindungen anzutreffen, spricht man von einem Polyen. Verbindungen mit mehreren Doppel-
bindungen sind in der Natur häufig vorzufinden. Als Beispiel seien erwähnt das Squalen und
die Carotine (s. Abschnitt 20.1.5) oder der Naturkautschuk (s. Abschnitt 3.7.8).
Je nachdem, ob es sich um benachbarte Doppelbindungen handelt oder ob diese durch
jeweils eine Einfachbindung oder durch mindestens zwei Einfachbindungen voneinander
getrennt sind, unterscheidet man kumulierte, konjugierte und isolierte Doppelbindungen.
Isolierte Doppelbindungen sind durch wenigstens zwei Einfachbindungen voneinander ge-
trennt. Sie reagieren unabhängig voneinander wie einzelne Doppelbindungen.
Kumulierte Doppelbindungen stehen in direkter Nachbarschaft zueinander. Verbindungen
dieses Typs werden als Kumulene bezeichnet. Das einfachste Kumulen ist das Allen
H2C=C=CH2. Im Allen ist das mittlere C-Atom sp-hybridisiert, während beide C-Atome am
Kettenende sp2-hybridisiert sind. In zwei aufeinander senkrecht stehenden Ebenen liegen je
zwei Wasserstoffatome. Die Kohlenstoffatome liegen auf einer Geraden, die von beiden
Ebenen geschnitten wird. Die π-Orbitale liegen ebenfalls in einer der beiden Ebenen, sie
stehen senkrecht aufeinander. Das Allen kann man aus 2,3-Dichlorpropen durch Dehalo-
genierung mit Zinkstaub in Ethanol/Wasser als Lösungsmittel darstellen.
142 3 Alkene

H2C C CH2 + Zn H2C C CH2 + ZnCl2

Cl Cl

Das Allen ist bis 400°C stabil, bei Gegenwart von Aktivkohle als Katalysator erfolgt je-
doch bei 300°C eine Isomerisierung zu Methylacetylen.

H2C C CH2 H3C C CH

kumulierte Doppelbindungen
C C C C C C C C (lat. cumulare = anhäufen)

konjugierte Doppelbindungen
C C C C C C C C (lat. conjugatio = Vereinigung)

C C C C C C C C isolierte Doppelbindungen

pz-Orbital
py-Orbital
horizontal
H
H
C vertikal
H
H
2 2
sp sp sp Bild 3.12 Räumliche Anordnung
der Atome im Allen

Konjugierte Doppelbindungen liegen vor, wenn sich zwischen zwei C=C-Doppelbindungen


jeweils eine C–C-Einfachbindung befindet. Verbindungen mit konjugierten Doppelbindungen
sind energieärmer und stabiler als solche mit der gleichen Anzahl von isolierten Doppelbin-
dungen. Die zwischen den Doppelbindungen befindliche Einfachbindung ist etwas kürzer als
normale C–C-Bindungen. Dies kann damit erklärt werden, daß die sp2-Hybridorbitale, die zur
σ-Bindung überlappen, einen hohen s-Anteil aufweisen und kürzer als σ-Bindungen zwischen
sp3-hybridisierten Kohlenstoffatomen sind. Man kann auch von der Vorstellung ausgehen, daß
z.B. im Buta-1,3-dien die benachbarten p-Orbitale am C2 und C3 etwas überlappen können.
Die konjugierten Doppelbindungen sind etwas länger als isolierte Doppelbindungen. Die
Bindungsverhältnisse in konjugierten Systemen versucht man mit der Mesomerie zu erklären.
3.9 Die Mesomerie 143

3.9 Die Mesomerie


Das einfachste konjugierte Dien ist das Buta-1,3-dien. Die Verteilung der π-Elektronen im
Molekül entspricht nicht ganz der Formel H2C=CH–CH=CH2. Um die Elektronenverteilung
im Molekül besser abschätzen zu können, schreibt man zunächst alle durch Verschieben der
π-Elektronen denkbaren Formeln auf, auch solche, die von vornherein als energiereich ein-
geschätzt werden müssen, weil eine Ladungstrennung für die Formel vonnöten ist oder un-
gepaarte Elektronen vorliegen. Sicher ist der mit der Formel H2C=CH–CH=CH2 beschriebe-
ne Zustand wahrscheinlicher als die mit den anderen Formeln angedeuteten Zustände, denn
man kann ihn als energieärmsten Zustand einschätzen. Die in Bild 3.13 aufgezeigten Grenz-
formeln weisen darauf hin, daß im Butadien auch zwischen dem C2 und dem C3 eine gewisse
π-Elektronendichte zu erwarten ist. Die reale π-Elektronenverteilung im Molekül entspricht
keiner der in Bild 3.13 aufgezeigten Formeln, auch wenn die Formel H2C=CH–CH=CH2 den
tatsächlichen Zustand besser als die anderen Formeln beschreibt. Man bezeichnet diese For-
meln als mesomere Grenzformeln. Mesomere Grenzformeln entsprechen nicht der Realität,
sie sind für den Organiker nur ein Handwerkszeug, um die reale π- bzw. p-Elektronenvertei-
lung im Molekül besser abschätzen zu können. Die tatsächliche Struktur des Moleküls wird

+ -
C C C C C C C C

unbesetzt
C
C C
C C
C C
C

- +
C C C C C C C C

C
C C
C C
C C
C
unbesetzt

C C C C C C C C

C
C C
C C
C C
C

Bild 3.13 Grenzformeln des Butadiens


144 3 Alkene

als Resonanzhybrid bezeichnet. Man stellt sich die Beschreibung dieser Struktur so vor, daß
die als energieärmer eingestuften – und deshalb wahrscheinlicheren – mesomeren Grenzfor-
meln mehr zu berücksichtigen sind, daß aber auch die anderen Grenzformeln mit einer gerin-
geren Wichtung in die Schätzung einzubeziehen sind. Als energiearm sind mesomere Grenz-
formeln ohne formale Ladung einzuschätzen. Radikalische oder gar diradikalische mesomere
Grenzformeln sind als energiereich zu bewerten. Die diradikalische Formel des Butadiens
kann deshalb bei der Abschätzung der Elektronenverteilung vernachlässigt werden. Mesome-
re Grenzformeln mit Ladungen sind ebenfalls als relativ energiereich anzusehen. Mesomere
Grenzformeln mit Ladungen werden dann als etwas energieärmer eingestuft, wenn sie eine
möglichst geringe Anzahl formaler Ladungen aufweisen, die Ladungen möglichst weit
voneinander entfernt sind und die negative Ladung sich am elektronegativsten Atom befin-
det. Die Beschreibung einer wirklichen Struktur mit Hilfe von mesomeren Grenzformeln
wird als Mesomerie bezeichnet.
Das Resonanzhybrid des Butadiens kann man sich so vorstellen, daß zwischen C2 und C3
ein geringer partieller Doppelbindungscharakter vorliegt, daß aber zwischen C1 und C2 eben-
so wie zwischen C3 und C4 die π-Elektronendichte am größten ist. Die Energiedifferenz zwi-
schen dem Energieinhalt des Realmoleküls und dem berechneten Energieinhalt der energie-
ärmsten mesomeren Grenzformel ist die Mesomerieenergie oder Resonanzenergie. Die Re-
sonanzenergie ist um so größer, je größer die Zahl ähnlicher mesomerer Grenzformeln ist.
Sie ist dann maximal, wenn das System durch strukturell völlig gleichartige mesomere
Grenzformeln beschrieben werden kann (siehe Grenzformeln des Allylkations, Abschnitt
3.9.1.1). Die Resonanzenergie für Butadien beträgt zwischen 8–17 kJ/mol.
Das Abschätzen der realen π-Elektronenverteilung in Molekülen oder Ionen auf Grund
von mesomeren Grenzformeln ist nur für solche Verbindungen gerechtfertigt, bei denen man
voraussetzen kann, daß alle Atome in dem an der Mesomerie beteiligten Bereich in einer
Ebene liegen, so daß die darauf senkrecht stehenden p-Orbitale überlappen können.
Schreibt man einige Grenzformeln nebeneinander, so verbindet man diese mit dem Me-
someriepfeil <–>. Diesen darf man nicht mit einem Reaktionspfeil verwechseln, er zeigt le-
diglich an, daß es sich bei den nebeneinander stehenden Formeln um mesomere Grenz-
formeln handelt. Man kann, der besseren Übersicht halber, die nebeneinanderstehenden
mesomeren Grenzformeln noch in eckige Klammern setzen.

3.9.1 Mesomere Effekte

In mesomeren Grenzformeln können nicht nur π-Bindungen, sondern auch die nichtbindende
p-Elekronenpaare (besser gesagt, die sie symbolisierenden Striche) verschoben werden.
Funktionelle Gruppen werden auf diese Weise mit in den Mesomeriebereich der Formel
einbezogen. Erfolgt das Verschieben der π-Bindungen in Richtung zur funktionellen Gruppe
hin, spricht man vom –M-Effekt. In diesem Fall betrachtet man die betreffende Gruppe oder
das Atom als einen π-Elektronenakzeptor, z.B.

C O C O
3.9 Die Mesomerie 145

Bei konjugierten Systemen erfolgt das Verschieben der π-Bindungen in den mesomeren
Grenzformeln im gesamten Mesomeriebereich (Bereich konjugierter Doppelbindungen).

O O
C C C C C C C C C C C C C C
H H

Werden in den mesomeren Grenzformeln im Mesomeriebereich p-Elektronen oder


π-Bindungen (besser gesagt die sie symbolisierenden Striche) von der funktionellen Gruppe
weggeschoben, so spricht man vom +M-Effekt. Man kann sich die funktionelle Gruppe als
π-Elektronendonor vorstellen.

C C C C C C Cl C C C C C C Cl

Schematisch sei dies noch einmal zusammengefaßt:

C C X C C X + M-Effekt

C C C X C C C X - M-Effekt

Oftmals werden die Begriffe I-Effekt und M-Effekt verwechselt. Deshalb soll nochmals
klargestellt werden: der I-Effekt (siehe Abschnitt 1.4) bezieht sich ausschließlich auf σ-Bin-
dungen, während beim M-Effekt nur Verschiebungen von π-Bindungen und nichtbindenden
p-Elektronenpaaren in mesomeren Grenzformeln betrachtet werden.

3.9.1.1 Die Reaktivität von Allyl- und Vinylverbindungen


H2C=CH- wird als Vinylrest und H2C=CH–CH2- als Allylrest bezeichnet. Vinyl- und Allyl-
verbindungen weisen beide in ihren Reaktionen starke Unterschiede auf. Während z.B. im
Vinylchlorid H2C=CH–Cl das Chlor schlecht substituiert werden kann, ist dies beim Allyl-
chlorid H2C=CH–CH2–Cl leicht durchzuführen. Die Unterschiede in der Reaktivität beider
Verbindungen können mit Hilfe der Mesomerie erklärt werden. Die Grenzformeln des
Vinylchlorids

H2C CH Cl H2C CH Cl

weisen auf einen partiellen Doppelbindungscharakter der C–Cl-Bindung hin. Somit ist es
verständlich, daß Reaktionen, die die Spaltung dieser Bindung voraussetzen, schwer durch-
zuführen sind. Nicht nur die Substitution des Chlors ist in dieser Verbindung schwierig, auch
die Dehydrohalogenierung läßt sich schlecht durchführen.
146 3 Alkene

In einer Verbindung mit einer Allylgruppierung vom Typ R–CH=CH–CH2Cl läßt sich
die C–Cl-Bindung leicht spalten, denn hier liegt kein partieller Doppelbindungscharakter
dieser Bindung vor, wie man es beim Vinylchlorid annehmen mußte. Die Substitution wird
noch dadurch begünstigt, daß das Zwischenprodukt, das Allylkation, mesomeriestabilisiert
ist. Mesomeriestabilisiert heißt, daß die Verbindung, in diesem Fall das Allylkation, als Re-
sonanzhybrid einem relativ energiearmen und somit stabilen Zustand entspricht.

R R R
C CH CH2 Cl C CH CH2 C CH CH2 + Cl
H H H

Allylkation

Die Mesomerie des Allylkations erklärt auch das Entstehen zweier Reaktionsprodukte bei
der alkalischen Hydrolyse eines Alkylallylchlorids.

OH
R
C CH CH2
R R H
C CH CH2 C CH CH2 + O H +
OH
H H
R C CH CH2

3.10 Reaktionen der Diene

3.10.1 Die Addition von Brom an Butadien

Läßt man Buta-1,3-dien mit Brom reagieren, erfolgt neben der 1,2-Addition des Broms auch
die 1,4-Addition.
H2C CH CH CH2

H2 C CH CH CH2 + Br2 Br Br

H2C CH CH CH2

Br Br
Die zwei Reaktionsprodukte kann man damit erklären, daß als Zwischenprodukt ein Kat-
ion mit Allylgruppierung vorliegt.

Br Br

H2C CH CH CH2 + Br2 H2C CH CH CH2 H2C CH CH CH2

Br
3.10 Reaktionen der Diene 147

Da das mesomere Kation zwei reaktive Stellen hat, bezeichnet man es als ambident. Es
hängt von den Reaktionsbedingungen ab, in welchem Mengenverhältnis beide Reaktionspro-
dukte im Reaktionsgemisch vorliegen. Führt man die Reaktion bei Zimmertemperatur und in
unpolaren Lösungsmittel durch, überwiegt das 1,2-Addukt, nämlich das 3,4-Dibrom-1-buten
(54 % Ausbeute), währenddessen bei Erwärmen auf 60 °C und längerer Reaktionszeit vor-
wiegend das 1,4-Addukt, das1,4-Dibrom-2-buten (90 % Ausbeute), entsteht.

3.10.2 Kinetisch und thermodynamisch gesteuerte Reaktionen

Bild 3.14 zeigt das Energieprofil des letzten Reaktionsschrittes der Addition des Broms an
Butadien. An das Brommethylallylkation lagert sich in diesem Reaktionsschritt das Bromid-
ion an.

Übergangszustand

Übergangszustand EA
EA

+
H2C CH CH CH2
- Br
E Br
+
H2C CH CH CH2

H2 C CH CH CH2 Br
Brommethyl-Allyl-Kation
Br Br
H2C CH CH CH2
3,4-Dibrom-1-buten EA = Aktivierungsenergie
Br Br

1,4-Dibrom-2-buten

Reaktionskoordinate

Bild 3.14 Energieprofil der Reaktion vom Brommethyl-Allyl-Kation zum 3,4-Dibrom-1-buten und
zum 1,4-Dibrom-2-buten

Als Energieprofil wird ein Energiediagramm bezeichnet, bei dem man auf die y-Achse
die Energie (E) aufträgt und auf die x-Achse die Reaktionskoordinate. Die Reaktionskoordi-
nate (RK) bezieht sich auf Veränderungen im Molekül, z.B. Bindungslängen und Bindungs-
winkel, sie steht nicht in direkter Relation zum zeitlichen Ablauf der Reaktion.
Das Energieprofil zeigt, daß die 1,2-Addition die geringere Aktivierungsenergie EA benö-
tigt, weshalb sich dieses Reaktionsprodukt bei Zimmertemperatur schneller bilden kann. Da
die Bildung dieses Produkts von der Reaktionsgeschwindigkeit abhängig ist, wird diese
Reaktion als kinetisch gesteuert bezeichnet. Aus Bild 3.14 ist zu ersehen, daß das Produkt
der 1,4-Addition von den beiden möglichen Produkten das energieärmere und somit das
148 3 Alkene

thermodynamisch stabilere ist. Vorausgesetzt, daß die Reaktionen umkehrbar sind, entsteht
bei höherer Temperatur im längeren Zeitraum das thermodynamisch stabilere Produkt, die
Reaktion ist dann thermodynamisch gesteuert.

3.10.3 Polymerisationsreaktionen des Butadiens


Durch Polymerisation des Butadiens mit gepulvertem Natriummetall als Katalysator wurde
das Buna (Abkürzung von Butadien Natrium), ein künstlicher Kautschuk, hergestellt. Die
Gesamtproduktion des Buna in den Jahren 1937–1945 betrug bei der ehemaligen IG Farben-
industrie A.G. etwa 500 000 t. Das dafür notwendige Butadien wurde aus Acetylen (siehe
Abschnitt 13.4.1.3) hergestellt. Heute wird das Butadien industriell aus dem in der Petroche-
mie anfallenden Buten durch thermische Dehydrierung bzw. durch katalytische Dehydrierung
von Butan bei 600°C gewonnen. In USA und Rußland dient auch Ethanol als Ausgangsstoff
für die Butadiensynthese. Der mit Natriummetall als Initiator gewonnene Buna-Kautschuk
wird bei der Polymerisation 1,2-verknüpft und trans-1,4-verknüpft, wobei die 1,2-Verknüp-
fung im Molekül überwiegt. Das Produkt hat relativ ungünstige mechanische Eigenschaften.

H CH2 H H
HC CH2
C C C C
CH2 CH CH2 H CH2 CH2
n n n

1,2-Verknüpfung trans-1,4-Verknüpfung cis-1,4-Verknüpfung

Bei Verwendung von Alkyllithium als Polymerisationskatalysator kann man Butadien


cis-1,4-verknüpfen und damit eine dem Naturkautschuk ähnliche Konfiguration erreichen
(siehe Abschnitt 3.7.8). Heute verwendet man zur Herstellung von Synthesekautschuk haupt-
sächlich Copolymerisate. Polymerisiert man Butadien mit etwa 10 % Styrol C6H5–CH=CH2,
so erhält man das SBR-Copolymerisat (styrene-butadien-rubber), einen Synthesekautschuk
mit guten mechanischen Eigenschaften. Die Polymerisation erfolgt in Emulsion unter Per-
oxidkatalyse. Durch Copolymerisation von Butadien und Acrylnitril CH2 = CH C N
erhält man den Nitrilkautschuk (Perbunan). Chloropren, auch Neopren genannt, ist ein Poly-
merisat aus 2-Chlorbutadien, das ölfest ist und eine hohe Alterungsbeständigkeit aufweist.

3.10.4 Die Diels-Alder-Reaktion


Das Butadien kann mit einem durch elektronegative Substituenten aktivierten Alken reagie-
ren, wobei ein cyclisches Produkt entsteht.

H H
H H H H X = Gruppe mit
H X H - I-Effekt
C C X C X
HC C Δ HC C HC C H
R
HC C H2C C HC C
C C R C H
H R H
H H H H H H
3.10 Reaktionen der Diene 149

Die Reaktion läuft in einem Schritt über einen cyclischen Übergangszustand, wobei si-
multan (lat. = gemeinsam, gleichzeitig) drei π-Bindungen gespalten und zwei σ- und eine
π-Bindung neu gebildet werden. Von dieser konzertierten (= gleichzeitig, aufeinander abge-
stimmten) Spaltung alter bzw. Bildung neuer Bindungen sind die vier C-Atome des Diens
und die zwei sp2-hybridisierten Kohlenstoffatome des Alkens betroffen, weshalb man von
einer [4+2]-Cycloaddition spricht. Diese Cycloaddition erfolgt mit relativ hoher Ausbeute,
wenn mit dem elektronenreichen Dien ein elektronenarmes Alken reagiert. Das Alken, in
dieser Reaktion als Dienophil bezeichnet, wird durch Substituenten mit –I-Effekt (siehe
Abschnitt 1.4), also elektronenziehenden Substituenten, die die Elektronendichte am Alken
herabsetzen, aktiviert. Solche Substituenten sind z.B. die Nitrilgruppe -CN, die Carbonyl-
gruppe -C=O, die Carboxygruppe -COOH und die Nitrogruppe -NO2.
Die ursprüngliche Konfiguration der Substituenten am Dienophil bleibt bei der Ring-
bildung erhalten. Die im Dienophil cis-ständigen Substituenten X und R befinden sich auch
nach der Cyclisierung wieder in cis-Stellung.

3.10.5 Die Cope-Umlagerung

1,5-Diene werden beim Erhitzen isomerisiert. Diese unter gleichzeitiger Auflösung und Neu-
bildung von Bindungen erfolgende Isomerisierung wird als Cope-Umlagerung bezeichnet.
Sie verläuft über einen cyclischen Übergangszustand. Solche Reaktionen, die mit Bindungs-
wechsel von Doppel- und Einfachbindungen verbunden sind und über einen cyclischen
Übergangszustand ablaufen, werden allgemein als pericyclische Reaktionen bezeichnet.

R R R
Cope-Umlagerung

Eine der Cope-Reaktion ähnliche Umlagerung kann auch dann erfolgen, wenn anstelle
des C-Atoms ein Heteroatom (hetero bedeutet anders, in diesem Fall ein anderes Atom als
ein C-Atom, z.B. ein Sauerstoffatom) in der Dien-Gruppierung vorhanden ist. Ein Beispiel
dafür ist die Umlagerung eines Allylvinylethers beim Erhitzen. Diese Reaktion wird als
aliphatische Claisen-Umlagerung bezeichnet (Claisen-Umlagerung siehe Abschnitt 12.4.3).

H H

C C
H2C CH2 Δ H2C CH2
Aliphatische Claisen-Umlagerung
O CH2 O CH2
C C

H H
3 Alkene 150

Übungsaufgaben

? 3.1
Benennen Sie folgende Verbindungen:

H 3C Cl H 3C CH3
C C C C COOH
C C
H Br H
H CH3

? 3.2
Was versteht man unter Dehalogenierung, Dehydrohalogenierung und Dehydratisierung?

? 3.3
Auf welche Weise kann man eine Dehydrohalogenierung eines Alkylhalogenids (Halogen-
alkans) durchführen?

? 3.4
Wie verfährt man bei der Dehydratisierung von Alkoholen?

? 3.5
Welches Hauptprodukt entsteht bei der Dehydratisierung von 3-Methylbutan-2-ol?

? 3.6
Welche Produkte entstehen bei der Pyrolyse von Dodecylethanoat?
(Siehe Kap. 3.6.1.6)

? 3.7
Was versteht man unter einer monomolekularen und einer bimolekularen Eliminierungsreak-
tion?

? 3.8
Beschreiben Sie den Verlauf einer monomolekularen Eliminierungsreaktion (E1).

? 3.9
Beschreiben Sie den Reaktionsmechanismus einer bimolekularen Eliminierungsreaktion (E2).

? 3.10
Welche strukturellen Voraussetzungen des Substrats begünstigen einen E1-Mechanismus?

? 3.11
Beschreiben Sie den Reaktionsmechanismus der elektrophilen Addition einer Säure (HBr,
oder Schwefelsäure) an ein Alken.
Übungsaufgaben 151

? 3.12
Wie unterscheiden sich die Reaktionsmechanismen bei der elektrophilen Addition von Brom
und HBr an ein Alken?

? 3.13
Welche(s) Produkt(e) erhält man bei der elektrophilen Addition von Brom an Cyclopenten?

? 3.14
Welches Hauptprodukt entsteht bei der Addition von HBr an Propen? Begründen Sie die
Regioselektivität bei der Addition von Säuren an unsymmetrische Alkene.

? 3.15
Was versteht man unter einer Cycloaddition?

? 3.16
Welches Endprodukt entsteht
a) bei der Hydroborierung des Propens und der nachfolgenden oxidativen Hydrolyse mit
H2O2 in alkalischem Medium?
b) bei der Addition von Schwefelsäure am Propen und nachfolgender Hydrolyse des Esters?

? 3.17
In welcher räumlichen Anordnung befinden sich die Atome im Ethen?

? 3.18
Welche Produkte erhalten Sie: a) bei der Oxidation des Cyclohexens mit Wasserstoffperoxid
in Essigsäure und b) bei der Reaktion des Cyclohexens mit Osmiumtetroxid nach Hydrolyse
des Osmiumtetroxid-Addukts?

? 3.19
Beschreiben sie den Reaktionsablauf bei der radikalischen Polymerisierung des Ethens.

? 3.20
Was versteht man unter +M-Effekt und –M-Effekt?

? 3.21
Welches Produkt erhält man bei der Diels-Alder-Reaktion des Butadiens mit cis-1,2-
Dibromethen?
152 3 Alkene

Lösungen
! 3.1
a) (E)-1-Brom-1-chlorpropen
b) (2Z,4E)-2,4-Dimethylhexa-2,4-diensäure

! 3.2
Bei der Dehalogenierung wird aus einer Dihalogenverbindung ein Halogenmolekül abges-
palten. Unter Dehydrohalogenierung versteht man die Abspaltung eines Halogenwasserstof-
fes (HCl, HBr oder HI) aus einer Halogenverbindung und der Begriff Dehydratisierung be-
deutet ein Abspalten von Wasser aus dem Molekül. Bei den angeführten Reaktionen wird
aus einem Molekül ein Teil des Moleküls abgespalten, es handelt sich bei diesen Reaktionen
um Eliminierungsreaktionen.

! 3.3
Die Dehydrohalogenierung eines Halogenalkans erfolgt unter Erhitzen mit Alkalihydroxiden
in alkoholischer Lösung oder mit Alkalialkoholaten, z.B. NaOR in Alkohol oder Dimethyl-
sulfoxid (CH3)2S=O als Lösungsmittel.

! 3.4
Die Dehydratisierung eines Alkohols erfolgt in der Regel durch Erhitzen in Gegenwart einer
Mineralsäure. Durch die Zugabe einer Säure wird die Hydroxygruppe, die eine schlechte
Abgangsgruppe ist, protoniert. Durch die Hydroxoniumgruppe H2O+- wird die C-O-Bindung
stärker polarisiert, wodurch die Abspaltung begünstigt wird.

! 3.5
Bei der Dehydratisierung von 3-Methylbutan-2-ol entsteht, der Saytzew-Regel entsprechend,
2-Methylbut-2-en (Saytzew-Regel siehe Kap. 3.6.3).

! 3.6
Bei der Pyrolyse des Dodecylethanoats werden Dodecen und Essigsäure gebildet. Die Reak-
tion erfolgt nach einem Ei–Mechanismus über einen Ringförmigen Sechs-Zentren-Über-
gangszustand. (siehe Kap. 3.6.1.6).

! 3.7
In einer monomolekularen Reaktion ist an dem langsamsten und damit geschwindigkeitsbe-
stimmenden Teilschritt der Reaktion nur ein Molekül beteiligt. Im Falle der E1-Reaktion ist
es das zu eliminierende Substrat. Bei einer bimolekularen Reaktion sind an diesem ge-
schwindigkeitsbestimmenden Schritt zwei Moleküle beteiligt. Bei der E2-Reaktion ist es das
Substrat und eine Base.

! 3.8
Im ersten, die Reaktiongeschwindigkeit bestimmenden Teilschritt der monomolekularen
Eliminierungsreaktion (E1), erfolgt die Abspaltung der Abgangsgruppe unter Bildung eines
Carbeniumions. Im zweiten Schritt erfolgt die Abspaltung eines β-ständigen Protons unter
Ausbildung einer Doppelbindung.
Lösungen 153

! 3.9
Die bimolekulare Eliminierungsreaktion (E2) erfolgt über einen Übergangszustand. An die-
sem die Reaktionsgeschwindigkeit bestimmenden Teilschritt der Reaktion sind das Substrat
und eine Base beteiligt. Im weiteren Reaktionsschritt erfolgt die gleichzeitige Abspaltung der
Abgangsgruppe und der protonierten Base unter Ausbildung einer Doppelbindung am Sub-
strat. Optimal für die E2-Reaktion ist eine antiperiplanare Konformation der Abgangsgruppe
und des am nebenständigen C-Atom gebundenen Wasserstoffes, die das „hinüberfließen“ der
Elektronen aus dem σ-Orbital in das sich aufbauende π-Orbital erleichtert.

! 3.10
Die E1-Reaktion erfolgt bevorzugt mit solchen Verbindungen, bei denen die Abgangsgruppe
an ein tertiäres Kohlenstoffatom gebunden ist, z.B. bei einem tertiären Alkohol oder einem
tertiären Halogenalkan. Die Erklärung liegt darin, daß das im ersten Reaktionsschritt entste-
hende Carbeniumion durch Hyperkonjugation stabilisiert wird.

! 3.11
Bei der elektrophilen Additionsreaktion (AE-Reaktion) einer Säure (z.B. HBr oder H2SO4) an
eine C=C-Doppelbindung treten das Proton und das π-Elektronenpaar der Doppelbindung in
Wechselwirkung unter Bildung des π-Komplexes. Im geschwindigkeitsbestimmenden Teil-
schritt der Reaktion wird das elektrophile Teilchen H+ vom π-Elektronenpaar gebunden,
wobei die Auflösung der π-Bindung erfolgt, eine C-H-σ-Bindung gebildet wird und ein Car-
beniumion entsteht. Im nächsten Reaktionsschritt erfolgt die Reaktion des Carbeniumions
mit dem Anion unter Bildung einer σ-Bindung, womit die Addition abgeschlossen ist.

! 3.12
Die Reaktion des Broms mit einem Alken erfolgt über ein überbrücktes Kation, über das
Bromoniumion. Das bei der Reaktion freigesetzte Bromidion Br-- reagiert mit einem der bei-
den Brücken-C-Atome , die eine positive Teilladung aufweisen, von der Gegenseite der
Brücke unter Ausbildung einer σ-Bindung. Die Reaktion verläuft also nach einem trans-
Mechanismus.
Die Addition von HBr erfolgt über ein Carbeniumion als Zwischenprodukt. In diesem liegen
die Liganden, die an den positiv geladenen, sp2-hybridisierten Kohlenstoff gebunden sind, in
einer Ebene. Die Addition des Bromidions an das Carbeniumion kann von der Seite über
oder unter dieser Ebene her erfolgen. Wird bei der Addition ein neues asymmetrisches Zent-
rum gebildet wird, so ist das Produkt ein racemisches Gemisch (siehe Kap. 8.9.1).
154 3 Alkene

! 3.13
Bei der Addition von Brom an Cyclopenten entstehen zwei enantiomere Produkte: das
(1S,2S)-1,2-Dibrompentan und das (1R,2R)-1,2-Dibrompentan. In beiden Verbindungen
befinden sich die Bromatome zueinander in trans-Stellung. Enantiomere sind zwei Verbin-
dungen die zueinander im räumlichen Verhältnis wie Bild und Spiegelbild stehen.
H H

Cl H H H

Br H H H H Br

H H H H

H Br Br H

(1S,2S)-Dibrompentan (1R,2R)-Dibrompentan

! 3.14
Läßt man Propen mit HBr reagieren erhält man als Hauptprodukt 2-Brompropan. Die Ad-
dition erfolgte nach der Markownikow-Regel, die besagt, daß bei der Addition an ein un-
symmetrisches Alken das Anion an das Wasserstoffärmere C-Atom angelagert wird. Diese
Regioselektivität von Säuren an unsymmetrische Alkene ist damit zu erklären, daß bei An-
lagerung des Protons H+ an das Alken bevorzugt das Carbeniumion entsteht, das stabiler ist.
Ein tertiäres Carbeniumion ist stabiler als ein sekundäres und dieses wiederum stabiler als
ein primäres. Die unterschiedliche Stabilität ist auf die Hyperkonjugation zurückzuführen.

! 3.15
Eine Cycloaddition ist eine Reaktion bei welcher zwei oder mehrere Moleküle bei einer
Reaktion mit einer ungesättigten Verbindung sich unter Umwandlung von π- zu σ-Bindun-
gen zu einem Ring vereinen. Zu diesen Reaktionen zählen: die Hydroborierung, die Ozoni-
sierung und die Dihydroxylierung (siehe Kapitel 3.7.5).

! 3.16
a) bei der Umsetzung des Propens mit BH3 erhält man das Tripropylboran (CH3CH2CH2)B,
welches mit H2O2 im alkalischen Medium zu 3 Äquivalenten Propanol und einem Äqui-
valent Borat umgesetzt wird Bei der Hydroborierung wird ein anti-Markownikow-
Produkt gebildet (siehe Kapitel 3.7.5.1).
b) Bei der Addition der Schwefelsäure an Propen erhält man als Produkt Isopropylsulfat
(CH3)2CHOSO3H. Bei der Hydrolyse dieses Esters entsteht Isopropylalkohol. Die Addi-
tion erfolgt unter Bildung eines Markownikow-Produkts.

! 3.17
Alle Atome des Ethens befinden sich in einer Ebene.
Lösungen 155

! 3.18
Bei der Oxidation des Cyclohexens mit Wasserstoffperoxid in Essigsäure ist das Endprodukt
ein trans-Diol (1R, 2R-Cyclohexan-1,2-diol und 1S, 2S-Cyclohexan-1,2-diol), während nach
der Cycloaddition des Osmiumtetroxids an Cyclohexen und nachfolgender Hydrolyse des
Osmiumtetroxid-Addukts das cis-Diol (cis-Cyclohexan-1,2-diol) entsteht (siehe Kap. 3.7.5.3
und 8.7.2).

! 3.19
Den Reaktionsmechanismus der radikalische Polymeriasation des Ethens kann man folgen-
dermaßen beschreiben: Die Startreaktion beginnt mit der Bildung von Radikalen aus Per-
oxysäuren oder Dialkylperoxiden, die leicht in Radikale zerfallen. Diese Radikale reagieren
mit dem Ethenmolekül unter Aufspaltung der π-Bindung wobei ein Alkylradikal entsteht.
Die Kettenfortpflanzung erfolgt durch Reaktion des entstandenen Alkylradikals mit einem
Ethenmolekül, wobei unter Kettenverlängerung wiederum ein Radikal entsteht, das mit
einem weiteren Ethenmolekül reagiert, so dass die Kohlenstoffkette ständig um zwei Koh-
lenstoffatome bis zum Abbruch der Kettenfortpflanzung verlängert wird. Der Abbruch der
Kettenfortpflanzung geschieht durch Rekombination zweier Radikale oder durch Dispropor-
tionierung (siehe Kap. 3.7.9).

! 3.20
Mesomere Effekte betreffen π-Bindungen und nichtbindende p-Elektronenpaare. In mesome-
ren Grenzformeln kann man durch Verschieben der die π-Bindungen bzw. freie Elektro-
nenpaare veranschaulichenden Striche zu denkbaren fiktiven Strukturen gelangen, die nach
entsprechender Wichtung eine Vorstellung über die tatsächliche Verteilung der Elektro-
nendichte im Molekül ergeben. Werden in den mesomeren Grenzformeln im Mesomerie-
bereich p-Elektronenpaare oder π-Elektronen von der funktionellen Gruppe weggeschoben,
so spricht man vom +M-Effekt, erfolgt dies aber in Richtung zur funktionellen Gruppe hin,
so handelt es sich um einen –M-Effekt (siehe Kap. 3.9).

! 3.21
Bei der Diels-Alder-Reaktion des Butadiens mit cis-1,2-Dibromethen als Dienophil erhält
man als Produkt das cis-4,5-Dibromcyclohexen. Die Diels-Alder-Reaktion verläuft stereo-
spezifisch als syn-Addition, das heißt: waren die Substituenten im Dienophil in cis-Stellung,
so werden sie sich nach der Reaktion im Ring ebenfalls in cis-Stelung befinden, waren sie
hingegen im Dienophil in trans-Stellung werden sie auch im Reaktionsprodukt zueinander in
trans-Stellung sein.
4 Alkine
4.1 Nomenklatur der Alkine
Die Alkine, die auch als Acetylene bezeichnet werden, sind Kohlenwasserstoffe mit einer
Dreifachbindung. Das einfachste Alkin, das Ethin, wird auch – hauptsächlich in der Technik
– Acetylen genannt. Die Benennung der Alkine leitet sich nach der IUPAC-Nomenklatur
von den Namen der entsprechenden Alkane mit gleicher Anzahl der Kohlenstoffatome ab,
nur steht anstelle der Endung -an bei den Alkinen die Endsilbe -in. Die Stellung der Drei-
fachbindung in der Hauptkette wird durch eine Zahl ausgedrückt, die der Stammsilbe oder
der Endsilbe -in vorangestellt wird (siehe auch Abschnitt 1.7.3). Die Stammsilbe für die
Benennung der Hauptkette des Alkins ist identisch mit der des n-Alkans mit gleicher Anzahl
der C-Atome. Man erhält sie indem man im Alkan die Endung -an wegläßt. Beispiele:
H3C CH2 C C CH CH3 CH C C H

CH3 CH3

2-Methyl-3-hexin 3-Cyclohexylbutin

4.2 Die Dreifachbindung und die Struktur der Alkine


Die Dreifachbindung besteht aus einer σ- und zwei π-Bindungen. Das σ-Orbital, dessen
Symmetrieachse mit der C–C-Verbindungsachse identisch ist, ist umgeben von zwei π-Orbi-
talen, die zueinander senkrecht stehen. Das einfachste Alkin ist das Acetylen H C C H .
Im Acetylen befinden sich die beiden sp-hybridisierten C-Atome, ebenso wie die von ihnen
gebundenen Wasserstoffatome, auf einer Geraden, wie dies in Bild 4.1 veranschaulicht wird
(siehe auch Abschnitt 1.3.4.3).

π-Orbitale im Ethin

H H
H

Seitenansicht schräg von vorne

= Atomrumpf des Kohlenstoffes Bild 4.1


Geometrie des Ethinmoleküls

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 156


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
4.3 Das Acetylen 157

4.3 Das Acetylen


Das Acetylen (Ethin) gehört zu den wichtigen Ausgangsstoffen für verschiedene Synthesen.
Es hatte in Deutschland bis zum Ende des zweiten Weltkrieges als Rohstoff für die chemi-
sche Industrie eine Schlüsselrolle. Die Gründe für den umfassenden Einsatz des Acetylens in
der Industrie lagen zum einen in den vielfältigen synthetischen Möglichkeiten, die das Ace-
tylen bietet, zum anderen darin, daß man für die großtechnische Acetylenherstellung auf
heimische Rohstoffe zurückgreifen kann, nämlich auf Kalkstein und Kohle. Für die Pro-
duktion von Acetylen wird allerdings relativ viel Energie benötigt. Nach Kriegsende kam
billiges Erdöl auf den Markt, und es erschien ökonomischer, als Ausgangsstoffe für die che-
mische Industrie anstelle des Acetylens die aus dem Erdöl beim Cracken in großer Menge
anfallenden Rohstoffe Ethen und Propen einzusetzen. Das Acetylen könnte allerdings, mit
knapper und teurer werdendem Erdöl, als industrielles Ausgangsmaterial wieder an Bedeu-
tung gewinnen.
Außer zu chemischen Synthesen wird Acetylen auch noch mit Sauerstoff zum autogenen
Schweißen verwendet. Zur Vermeidung der Explosionsgefahr wird das Acetylen in Gas-
flaschen gehandelt, die mit Aceton getränktes Kieselgur enthalten. Das Acetylen wird in
diesen Flaschen unter einem Druck von 15 bar in Aceton gelöst (Dissousgas).

4.3.1 Die großtechnische Herstellung des Acetylens

a) Auf der Rohstoffbasis von Kalkstein und Kohle


Bei Erhitzen von Kalkstein auf 900–1000°C (Kalkbrennen) entsteht Calciumoxid, auch ge-
brannter Kalk oder Branntkalk genannt.

CaCO 3 ⎯⎯→ CaO + CO 2

Kohle wird durch trockene Destillation (Erhitzen unter Ausschluß der Luft) in Koks umge-
wandelt. In einem elektrischen Widerstandsofen (Carbidofen) wird Calciumoxid und Koks
bei 2200°C in Calciumcarbid CaC2 umgewandelt. Calciumcarbid kristallisiert in einem ioni-
schen NaCl-Gitter. Anstelle der Na+-Ionen muß man sich in diesem Gitter Ca2+-Ionen vorstel-
len und anstelle der Chlorid-Ionen Acetylid-Ionen (Ethinyl-Anionen). Das Calciumcarbid ist
als Calciumsalz des Acetylens anzusehen. Bringt man Calciumcarbid in Wasser, so entsteht
Acetylen. Das Wasser als relativ stärkere Säure verdrängt das Acetylen aus seinem Salz.
2
Ca C C + 2 H2O H C C H + Ca(OH)2
Acetylid-Ion

b) Aus Methan
Heute wird Acetylen hauptsächlich aus Methan hergestellt. Im Lichtbogenverfahren wird das
Methan im elektrischen Lichtbogen auf 1500°C erhitzt und die austretenden gasförmigen
Produkte mit Flüssiggas (siehe Abschnitt 7.4) und mit Wasser abgeschreckt.
158 4 Alkine

1500 °C +
2 CH4 H C C H 3 H2

Das Abschrecken der Reaktionsprodukte ist notwendig, damit sich das schon gebildete
Acetylen bei der hohen Temperatur nicht zersetzt. Das Acetylen wird mit selektiven Lö-
sungsmitteln, z.B. Dimethylformamid, aus dem Gasgemisch herausgelöst.
H C N(CH3)2

O Dimethylformamid
Ein weiteres Verfahren zur Gewinnung von Acetylen aus Methan ist das Sachsse-Bartho-
lomé-Verfahren. Man erhält bei der unvollständigen Verbrennung von Methan mit Sauer-
stoff und Abschrecken der Reaktionsprodukte mit Wasser etwa 9% Acetylen und Synthe-
segas (56 % H2 und 25 % CO).

3 1500 °C
2 CH4 + /2 O2 H C C H + 3 H2O

4.4 Darstellung der Alkine


4.4.1 Darstellung von Ethin aus Calziumcarbid

Tropft man Wasser auf Calziumcarbid entsteht Ethin (vgl. Abschnitt 4.3.1).

CaC2 + H2O ⎯
⎯→ H C C H + CaO

4.4.2 Die Dehalogenierung von Tetrahalogenalkanen

Sind die Bromatome im Tetrabromalkan an benachbarten C-Atomen gebunden, können sie


mit Zinkstaub in Ethanol unter Reflux zum Alkin dehalogeniert werden.
Br Br

R' C C R'' + 2 Zn R' C C R'' + 2 ZnBr2

Br Br

4.4.3 Dehydrohalogenierung vicinaler oder geminaler Dihalogenalkane

Bei vicinalen Dihalogenalkanen (vicinus = der Nachbar) befinden sich die beiden Halogena-
tome an benachbarten C-Atomen, während in geminalen Dihalogeniden (lat. geminus =
Zwilling) beide Halogenalkane an das gleiche C-Atom gebunden sind. Die Dehydrohaloge-
nierung wird gewöhnlich mit Natriumamid NaNH2 in flüssigem Ammoniak durchgeführt.
Das Zwischenprodukt ist ein Vinylhalogenid. Das Natriumamid ist eine starke Base, die für
die Dehydrohalogenierung des Vinylhalogenids zum Alkin auch notwendig ist, denn es liegt
eine Vinylgruppierung vor und diese erfordert für die Dehydrohalogenierung eine starke
Base (siehe der Abschnitt 3.9.1.1).
4.5 Reaktionen der Alkine 159

NaNH2 in fl. NH3 NaNH2 in fl. NH3


R CH CH R R CH C R R C C R
- HBr - HBr
Br Br Br

vicinales Dibromalkan Vinylbromid Alkin


Das für die Reaktion benötigte NaNH2 entsteht bei Einwirkung von metallischem Na auf
flüssiges NH3.

2 Na + 2 NH3 2 NaNH2 + H2

Benutzt man zur Dehydrohalogenierung Natriumhydroxid in Ethanol bei höherer Tempe-


ratur, erfolgt eine Verschiebung der Dreifachbindung zur Mitte des Moleküls.

4.4.4 Die Alkylierung von Natriumacetylid

Ist im Alkin am dreifach gebundenen C-Atom ein H-Atom gebunden, so bildet das Alkin mit
Natriumamid in flüssigem Ammoniak ein Natriumsalz, das Natriumacetylid. Das Acetylid-
Ion (Ethinyl-Anion) ist ein starkes Nukleophil und kann in einem Alkylhalogenid das Halo-
genatom ersetzen. Es entsteht auf diese Weise ein höheres Alkin.

fl. NH3
H C C H + Na NH2 H C C Na + NH3

H C C CH2 Br H C C CH2 + Na Br

Na R R

Im Acetylen können auch beide Wasserstoffatome durch Na ersetzt werden, sodaß auf
diesem Wege auch ein Dialkylacetylen synthetisiert werden kann.

+ fl. NH3
H C C H 2 NaNH 2 Na C C Na + 2 NH3

Na C C Na + 2R Br R C C R + 2 NaBr

4.5 Reaktionen der Alkine


Die Alkine besitzen eine Dreifachbindung, und man darf deshalb annehmen, daß sie infolge
der hohen Elektronendichte, ähnlich wie die Alkene, zu Additionsreaktionen befähigt sind.
Erwartungsgemäß kann man Alkine katalytisch hydrieren, man kann sie mit Kaliumperman-
160 4 Alkine

ganatlösung oxidieren, es findet auch eine Hydroborierung statt und ebenso elektrophile
Additionen. Man würde vermuten, daß Alkine infolge der großen Elektronendichte der Drei-
fachbindung eine besondere Neigung zu elektrophilen Additionen zeigen. In Wirklichkeit
addieren sie jedoch elektrophile Reagenzien weniger leicht als Alkene. Erstaunlicher noch
ist es, daß an Alkinen trotz der hohen Elektronendichte der Dreifachbindung nucleophile Ad-
ditionsreaktionen erfolgen. Bei der nucleophilen Additionsreaktion findet im ersten Schritt
die Anlagerung des Nukleophils an das Alkin statt, erst im zweiten Reaktionsschritt wird ein
positives Teilchen addiert. Ein Nukleophil kann ein Anion, z.B. ein Cyanidion CN–, oder ein
elektrisch neutrales Teilchen mit einem nichtbindenden Elektronenpaar sein, z.B. H2O. Man
müßte eigentlich annehmen, daß negativ geladenene Nukleophile von der hohen negativen
Ladungsdichte der Dreifachbindung abgestoßen werden, so daß die nucleophile Addition
nicht stattfinden kann. Um zu klären, warum nucleophile Additionen an Alkinen doch erfol-
gen, bedarf es einer eingehenden Betrachtung der Bindungsverhältnisse und der Ladungsver-
teilung in der Dreifachbindung. Sie hilft uns auch zu verstehen, warum Alkine mit einem H-
Atom am sp-hybridisierten C-Atom relativ sauer sind.
Die Bindungslänge der Kohlenstoff-Kohlenstoff-Dreifachbindung beträgt 120 pm und ist
kürzer als die der Doppelbindung mit 135 pm. Eine Ursache dafür ist darin zu erblicken, daß
die die C–C-σ-Bindung bildenden sp-Orbitale einen hohen s-Anteil (50% s- und 50%
p-Anteil) haben. Das Überlappungsintegral (s. Bild 1.30) der sp-Hybridorbitale ist größer als
das der sp2- und sp3-Orbitale. Da mit zunehmender Überlappung der Hybridorbitale die Elek-
tronendichte zwischen den Kernen zunimmt, ist die Anziehungskraft zwischen negativen
Elektronen und positiven Atomrümpfen größer und damit die Bindungslänge der Dreifach-
bindung kürzer. Hinzu kommt, daß die π-Elektronen von der relativ hohen positiven Ladung
beider Atomrümpfe der sp-hybridisierten C-Atome auch stark angezogen werden und sich
die Elektronendichte zwischen diesen C-Atomen damit zusätzlich erhöht. Die Konzentrie-
rung der drei Bindungselektronenpaare in den Raum zwischen den beiden C-Atomen bringt
es auch mit sich, daß die Kernladung der sp-hybridisierten C-Atome in bestimmten Rich-
tungen weniger stark abgeschirmt ist als bei sp2-hybridisierten C-Atomen. Nucleophile Teil-
chen, die sich aus den von den Elektronen nicht abgeschirmten Raumrichtungen nähern,
können deshalb mit der positiven Ladung der C-Atomrümpfe in Wechselwirkung treten, was
die nucleophilen Additionen an Alkine erklärt.
hohe negative
Ladungsdichte

von negativer Ladung nicht von negativer Ladung nicht


abgeschirmte Richtungen der H C C H abgeschirmte Richtungen der
Umgebung der C-Atome Umgebung der C-Atome

Die C–H-Bindung im Acetylen ist kürzer (105,7 pm) als im Ethen (107,9 pm) oder im
Ethan (109,4 pm). Auch hier spielt wieder der hohe s-Anteil des mit dem s-Orbital des Was-
serstoffatoms überlappenden sp-Hybridorbitals eine Rolle (mit zunehmenden s-Charakter ist
der Überlappungsintegral größer und damit die Bindung kürzer, siehe Abschnitt 1.3.5). Die
Bindungselektronen der C–H-σ-Bindung befinden sich nahe am sp-hybridisierten C-Atom
4.5 Reaktionen der Alkine 161

und werden von diesem stark angezogen. Hinzu kommt, daß die Bindungselektronenpaare
der Dreifachbindung im Raum zwischen den beiden sp-hybridisierten C-Atomen konzen-
triert sind, so daß der Atomrupf des C-Atoms in Richtung zur C–H-σ-Bindung von diesen
Elektronen nicht abgeschirmt ist. Die Anziehungskraft des positiv geladenen Atomrumpfes
auf die Bindungselektronen der C–H-σ-Bindung kann deshalb verstärkt wirksam sein. Das
sp-hybridisierte Kohlenstoffatom zeigt infolgedessen eine relativ höhere Elektronegativität
im Vergleich mit sp2- und sp3-hybridisierten Kohlenstoffatomen. Daraus resultiert eine so
hohe Bindungspolarität der C–H-σ-Bindung, daß die Dissoziation zum Acetylidion und
Proton erfolgen kann.

B
H C C H H C C + H B

Die Dissoziation des Acetylenmoleküls wird auch dadurch begünstigt, daß das dabei ent-
stehende Acetylidanion relativ stabil ist.
Das sp-hybridisierte C-Atom hat im Vergleich zum sp2- und sp3-hybridisierten C-Atom
eine größere Elektronegativität und bindet das freie Elektronenpaar des Carbanions stärker.
Mit Zunahme des s-Anteils nimmt infolgedessen auch die Stabilität des Carbanions zu:
H H
H3C C weniger stabil als H2C C weniger stabil als H C C
H
sp3-hybridisiert sp2-hybridisiert sp-hybridisiert

4.5.1 Saure Eigenschaften der Alkine

Acetylen und monosubstituierte Acetylene haben schwach saure Eigenschaften, d.h. sie
können ein Proton abspalten.

B
H C C H H C C + H B

Acetylen ist eine schwächere Säure als Wasser und eine stärkere Säure als flüssiges Ammoniak.

4.5.1.1 Darstellung von Acetyliden


Ein Alkin, das an einem der dreifachgebundenen C-Atome ein Wasserstoffatom bindet, kann
als schwache Säure Salze bilden. Die Salze bezeichnet man als Acetylide (Acetylenide) oder
auch als Carbide, z.B. Calciumcarbid. Das Natriumacetylid kann durch Reaktion des Alkins
mit Natriumamid NaNH2 in flüssigem Ammoniak synthetisiert werden.
flüss. NH3
H C C H + Na NH2 H C C Na + NH3

Natriumacetylid ist in Wasser nicht beständig. Das Wasser verdrängt als stärkere Säure
das Acetylen aus seinen Salzen.
162 4 Alkine

H C C Na + H2O H C C H + NaOH

Zum Unterschied von Acetyliden der Alkali- und Erdalkalimetalle, in welchen die Koh-
lenstoff-Metall-Bindung Ionencharakter hat, liegt bei Schwermetall-Acetyliden (Cu, Ag, Hg)
in der Kohlenstoff-Metall-Bindung ein hoher kovalenter Anteil vor. Letztere sind deshalb
auch in Wasser beständig. Man stellt sie her, indem man in die ammoniakalische Lösung des
Schwermetallnitrats Acetylen einleitet. Die Cu-, Ag-, bzw. Hg-Acetylide fallen in der wäßri-
gen Lösung als Niederschlag aus.

H C C H + 2 [Ag(NH3)2] NO3 AgC CAg + 2 NH4NO3 + 2 NH3

Schwermetallacetylide sind in trockenem Zustand explosiv. Sie explodieren sowohl auf


Druck als auch bei Erhitzen.

4.5.1.2 Reaktionen mit Grignard-Reagens


Das Grignard-Reagens kann mit all den Verbindungen reagieren, die saure Eigenschaften
haben, z.B. H2O und CH3OH, wobei ein Alkan entsteht. Auch mit Alkinen, die am Kohlen-
stoffatom der Dreifachbindung ein Wasserstoffatom gebunden haben und ein Proton abspal-
ten können, reagiert das Grignard-Reagens entsprechend.

R C C H + R' Mg X R C C Mg X + R' H
Alkin Grignard-Reagens Alkinyl-Grignard-Reagens Alkan

4.5.2 Reaktionen mit Alkinylanionen als Nukleophil

Nach Abspaltung des Protons entsteht aus dem Alkin ein Alkinylanion (Acetylidanion).

R C C H R C C + H

Alkinylanion
Das Alkinylanion verfügt über ein freies Elektronenpaar. Es kann an einem positiven
C-Atom oder einem C-Atom mit positiver Teilladung nucleophil angreifen und mit dem
freien Elektronenpaar eine C–C-Verknüpfung herstellen.

4.5.2.1 Die Alkylierung von Alkinylanionen


Das nucleophile Alkinylanion kann in Alkylhalogeniden das Halogen ersetzen.

R C C CH2 Br R C C CH2 + Na Br

Na R' R'
4.5 Reaktionen der Alkine 163

Man kann von einer Alkylierung sprechen, weil mit dieser Reaktion ein Alkylrest in das Al-
kin eingeführt wird.

4.5.2.2 Die Ethinylierung


Acetylen oder seine Monosubstitutionsprodukte reagieren bei 100°C und 15 bar mit Aldehy-
den oder Ketonen zu Alkinolen. Die Reaktion wird eingeleitet mit Kupferacetylid Cu2C2 als
Katalysator. Das Zwischenprodukt wird mit zugeführtem Acetylen unter Regenerierung des
Kupferacetylids zum Alkinol umgesetzt.

O Cu O
H C C H
Cu C C Cu C Cu C C C H
R H
R

O H

H C C C H + Cu C C Cu

R
Alkinol
Acetylen kann mit Aldehyden oder Ketonen auch zum Alkindiol umgesetzt werden:

R H R H R H R H H C C H
C Cu C C Cu C C C C C

O O O Cu O Cu

H H

R C C C C R + Cu C C Cu

O O
H H
Alkindiol

4.5.2.3 Reaktionen von Alkinyl-Grignard-Reagens mit Carbonylverbindungen

Das Alkinyl-Grignard-Reagens wird an die Carbonylgruppe der Aldehyde bzw. Ketone ad-
diert, wobei Alkinole entstehen.
R
H3C CH3
C CH3 CH3
C HX
C H3C C C C R H3C C C C R + MgX2
O
MgX O MgX O H
164 4 Alkine

4.5.3 Die Oligomerisierung der Alkine


Von einer Oligomerisierung (griech. oligos = wenig, klein; griech. meros = Teil) spricht man
dann, wenn sich nur einige gleiche Moleküle zusammenlagern (zum Unterschied zur Poly-
merisierung, bei der an der Reaktion viele Moleküle beteiligt sind).

4.5.3.1 Die Dimerisierung des Acetylens


In Gegenwart von Kupfer-(I)-chlorid und Ammoniumchlorid dimerisiert Acetylen zum Vi-
nylacetylen. Es handelt sich hier um eine nucleophile Addition des Acetylidions an Acetylen.

H C C H H C C H
CuCl, NH4Cl
H C C H C C
H H
Vinylacetylen
An die Dreifachbindung des Vinylacetylens kann unter Katalyse von CuCl und NH4Cl
Chlorwasserstoff addiert werden, wobei das Chloropren (2-Chlor-1,3-butadien) entsteht.
Dieses ist das Monomer des Polychloroprens, eines synthetischen Kautschuks, der unter dem
Handelsnamen Neopren bekannt ist.
Cl H
H C C H H C C
CuCl, NH4Cl
C C + HCl C C H

H H H H
Chloropren
(2-Chlor-1,3-butadien)

4.5.3.2 Die Cyclotrimerisierung der Alkine


Leitet man Alkine durch erhitzte, mit Nickel- oder Cobaltkatalysatoren ausgekleidete Röh-
ren, so erfolgt eine Cyclotrimerisierung, wobei aus Acetylen Benzol und aus höheren Alki-
nen alkylsubstituierte Benzolderivate entstehen.
CH
HC CH Δ, Ni- und Co-Katalysator
Benzol
HC CH
CH
R
CR
HC CH Δ, Ni- und Co-Katalysator
1,3,5-Trialkylbenzol
RC CR
CH R R
R
CR R R
RC CR Δ, Ni- und Co-Katalysator
Hexaalkylbenzol
RC CR
CR R R

R
4.5 Reaktionen der Alkine 165

4.5.3.3 Die Cyclotetramerisierung der Alkine

Mit Nickelcyanid als Katalysator gelingt in Tetrahydrofuran als Lösungsmittel bei einem
Überdruck von 15–20 bar die Tetramerisierung des Acetylens zu Cyclooctatetraen in relativ
hoher Ausbeute.

H H
HC CH C C
H H H H
C C Ni(CN)2, 15-20 bar C C

70 °C C C
C C H H
H H
HC CH C C
H H

Cyclooctatetraen

4.5.4 Oxidationsreaktionen

Mit Kaliumpermanganat werden disubstituierte Acetylene zunächst zu 1,2-Diketonen oxi-


diert. Die Oxidation geht aber – insbesondere bei Erwärmen der Lösung – weiter, und es
erfolgt eine Spaltung der Kette, wobei die entsprechenden Carbonsäuren entstehen.

O O
KMnO4 KMnO4, 100 °C
R C C R' R C C R' R COOH + HOOC R'

Gleiche Oxidationsprodukte erhält man bei der Ozonisierung der Alkine und nachfolgen-
der Hydrolyse.

O3
R C C R' R COOH + HOOC R'

Die nach dem oxidativen Abbau erhaltenen Carbonsäuren geben Aufschluß darüber, an
welcher Stelle im Alkin sich die Dreifachbindung befindet.

4.5.4.1 Die oxidative Kopplungsreaktion endständiger Alkine

Endständige Alkine werden in einer wäßrigen CuCl- und NH4Cl-Lösung in einer Sauer-
stoffatmosphäre oxidativ zum Diin gekoppelt. Diese Reaktion wird als Glaser-Reaktion
bezeichnet.

CuCl und NH4Cl


2 R C C H + 1 / 2 O2 R C C C C R + H2O
166 4 Alkine

4.5.5 Reduktion der Alkine

4.5.5.1 Die katalytische Hydrierung von Alkinen


Die katalytische Hydrierung der Alkine mit Pt oder Pd als Katalysatoren führt im ersten
Reaktionsschritt zum Alken, dieses wird aber bis zum Alkan weiterhydriert.

R R R R
H2 / Pt H2 / Pt
R C C R C C H C C H
H H
H H
Setzt man jedoch bei der katalytischen Hydrierung den Lindlar-Katalysator ein (siehe
Abschnitt 3.6), bleibt die Reaktion auf der Stufe des Alkens stehen. Bei disubstituierten
Acetylenen erhält man bei der katalytischen Hydrierung mit Lindlar-Katalysator ausschließ-
lich cis-Alkene.
R R
H2 / Lindlar-Katalysator
R C C R C C
H H
cis-Alken

4.5.5.2 Die Reduktion von Alkinen mit metallischem Natrium in flüssigem NH3
Die Reduktion von Alkinen mit metallischem Natrium in flüssigem Ammoniak führt zum
Alken. Disubstituierte Alkine ergeben bei diesen Reaktionsbedingungen ein trans-Alken.
R H
Na in flüss. Ammoniak
R C C R C C
H R
trans-Alken
Mit Natrium in flüssigem Ammoniak erfolgt zunächst die Übertragung eines Elektrons
vom Natrium an das π-System der Dreifachbindung, und es entsteht ein Radikal-Anion.

R C C R R C C R + Na C C + Na
R R
Radikal-Anion
Das stark basische Radikalanion wird vom Ammoniak unter Bildung eines Alkenyl-
radikals protoniert.

H NH2
H
C C + Na C C Na NH2

R R R R
Alkenylradikal
4.5 Reaktionen der Alkine 167

Das Alkenylradikal mit den beiden Alkylresten in cis-Stellung isomerisiert in die stabile-
re trans-Form.
H R H
Isomerisierung
C C C C
R R R
cis-Alkenylradikal trans-Alkenylradikal
Die Reaktion wird schließlich mit einer zweiten Übertragung eines Elektrons und einer
Protonierung abgeschlossen.
R H R H
C C Na C C Alkenyl-Anion
Na
R R
R H R H
Na
H2N H C C Na H2 N + C C
R H R

Bei der Protonierung tritt wiederum das NH3 als Protonenspender auf. Das entstandene trans-
Alken wird bei diesen Reaktionsbedingungen nicht weiterreduziert.

4.5.6 Additionen an Alkine

Reagenzien, die bereits bei der Addition an die C=C-Doppelbindung erwähnt wurden, kön-
nen ebenso an die Dreifachbindung addiert werden, wobei auch der Reaktionsmechanismus
dieser Reaktionen ähnlich ist. Zu diesen schon bei den Alkenen erwähnten Additionsreaktio-
nen zählen die katalytische Reduktion, die Hydroborierung, die Hydrocarbonylierung und
elektrophile Additionen, z.B. die Additionsreaktionen mit Br2 oder HBr. An Alkine können
aber außerdem noch nucleophile Additionen erfolgen. Beispiele dafür sind die Hydratisie-
rung und Vinylierungsreaktionen.

4.5.6.1 Die Hydroborierung


Die Hydroborierung der Alkine erfolgt ähnlich wie bei den Alkenen über einen cyclischen
Übergangszustand (siehe Abschnitt 3.7.5.1), der einen syn-Mechanismus bedingt (Anlage-
rung von H und BH2 von der gleichen Seite an die Doppelbindung). Mit Boran führt die
Reaktion zur Hydroborierung beider π-Bindungen. Will man ein Alkenylboran erhalten, so
setzt man für die Reaktion ein Dialkylboran ein, z.B. Dicyclohexylboran (C6H11)2BH. Bei
terminalen Alkinen wird das Bor an das endständige Kohlenstoffatom des Alkins addiert.
Dialkylsubstituierte Acetylene reagieren mit Dialkylboranen auf folgende Weise:
H B(C6H11)2
H B(C6H11)2
C C
R C C R
R R
168 4 Alkine

Bei der Hydrolyse des entstandenen Produkts mit Essigsäure erhält man ein cis-Alken.
H B(C6H11)2 H H
CH3COOH
C C C C
R R R R

Erfolgt eine oxidative Hydrolyse (siehe Abschnitt 3.7.5.1), so entsteht zunächst das ent-
sprechende Enol, das mit der Ketoform durch die Keto-Enol-Tautomerie in tautomerem
Gleichgewicht steht.
H B(C6H11)2 H OH H
O
H2O2 / OH
C C C C H C C
R R R R R
R
Enol Keton
Unter Tautomerie (griech. tauto = das Gleiche; griech. meros = Teil) versteht man das
Auftreten zweier verschiedener Verbindungen, wobei sich eine in die andere unter Verschie-
bung von Bindungen und simultaner Wanderung eines Protons umwandeln können und bei-
de Isomere (Tautomere) miteinander im Gleichgewicht stehen. Die Isomere unterscheiden
sich im vorliegenden Falle durch die Stellung des Wasserstoffatoms im Molekül (O–H und
C–H) und die Lage einer Doppelbindung. Die basenkatalysierte Tautomerisierung vom Enol
zum Keton erfolgt folgendermaßen:

H O H O H H O H O
C C C C C C + H2O
R R R R R R

H O H O H O H
O O
H H C C C C H C C
R R R R R
R

4.5.6.2 Die Hydrocarbonylierung


Ähnlich wie bei den Alkenen (siehe Abschnitt 3.7.4.5) kann auch bei den Alkinen die
Hydrocarbonylierung erfolgen. Dies geschieht unter Druck und in Gegenwart von Verbin-
dungen mit acidem H-Atom, z.B. Wasser oder Alkohol und mit Nickeltetracarbonyl Ni(CO)4
als Katalysator. Bei dieser Reaktion entsteht aus Acetylen, Kohlenstoffmonoxid und Wasser
die Acrylsäure. Setzt man anstelle von Wasser Alkohole bei dieser Reaktion ein, erhält man
die entsprechenden Acrylsäureester.
4.5 Reaktionen der Alkine 169

Ni(CO)4 Druck, Δ
H C C H + CO + H2O H2C CH COOH

Acrylsäure

Ni(CO)4 Druck, Δ
H C C H + CO + HOR H2C CH COOR

Acrylsäureester

4.5.6.3 Die Halogenaddition an Alkine


Die elektrophile Halogenaddition an ein dialkylsubstituiertes Acetylen führt zum trans-Di-
bromalken. Liegt Brom in Überschuß vor, erfolgt eine Addition an das vicinale Dibrom-
alken, es wird das Tetrabromalkan gebildet.

Br R Br Br
Br2 Br2
R C C R C C R C C R
R Br Br Br

4.5.6.4 Die Addition von Halogenwasserstoffen an Alkine


Bei der elektrophilen Addition von Halogenwasserstoff an ein Alkin wird zunächst unter
Bildung eines Alkenylkations ein Proton angelagert, worauf im zweiten Reaktionsschritt das
Halogenidion X– addiert wird. Die Addition des Halogenwasserstoffes erfolgt nach der Mar-
kownikow-Regel. Das entstandene Halogenalken kann zum Dihalogenalkan weiterreagieren.

X H X H
HX HX
R C C H C C R C C H X = Br, I
R H X H

Bei der Addition an ein dialkylsubstituiertes Acetylen entsteht zunächst vornehmlich das
(Z)-Halogenalken (Z/E-Nomenklatur siehe Abschnitt 3.5.1).

H R
R C C R + HX C C
R X
(Z)-Halogenalken

Die weitere Addition von HX an das Halogenalken erfolgt nach der Markownikow-Regel.
170 4 Alkine

4.5.7 Nucleophile Additionen an die Dreifachbindung der Alkine

4.5.7.1 Die Hydratisierung

Bei mäßigem Erwärmen einer Quecksilber-(II)-Sulfatlösung in verd. Schwefelsäure erfolgt


nach Einbringen des Alkins in die Lösung die nucleophile Addition von Wasser an die Drei-
fachbindung. Die reversible Komplexbildung mit dem Hg2+-Ion erleichtert den nucleophilen
Angriff des Wassermoleküls.
H
O
Hg2 H
H C C H H C C H
- Hg2
Ethin
Hg2

H H
O
H O H
H
C C C C
H H H H
Vinylalkohol
(Ethenol)
Der Vinylalkohol steht durch die säurekatalysierte Keto-Enol-Tautomerie mit dem Acet-
aldehyd im chemischen Gleichgewicht. Acetaldehyd ist das Hauptprodukt.

H H H
H O H H O H H O O
C C C C H C C H C C H
H H H H H H
H H
Vinylalkohol (Enol-Form) Acetaldehyd
(Keto-Form)

Bei der Hydratisierung von Ethin entsteht Acetaldehyd, bei allen anderen Alkinen entste-
hen Ketone,

O
HO H
H3O / Hg2 ,100 °C C
R C C H + H2O C C
R H R CH3
Enol Keton

4.5.7.2 Die Addition von HCN an Acetylen


Cyanwasserstoff (Blausäure) kann in einer mit CuCl/NH4Cl-katalysierten nucleophilen Ad-
dition an Acetylen bei 80–90°C unter Bildung von Acrylnitril angelagert werden.
4.5 Reaktionen der Alkine 171

N C N C N C H
H
H C C H C C H C C
H H H
Acrylnitril
(Propennitril)

4.5.7.3 Die Vinylierung


Bei der Vinylierung entstehen aus Alkinen Vinylderivate. Die Vinylierung basiert auf der
Umsetzung eines Alkins mit einem Nukleophil, z.B. mit einem Alkoholation R–O– oder
einem Carbonsäureanion R–COO–. Im weiteren Reaktionsschritt wird an das Zwischen-
produkt ein Proton angelagert. Auf diese Weise entsteht z.B. aus Ethanol und Acetylen bei
Druck und 180°C mit Ethanolationen als Katalysator der Ethylvinylether. In dieser Reaktion
dient im zweiten Reaktionsschritt Ethanol als Protonenspender. Durch Abspaltung des Pro-
tons aus Ethanol wird das Ethanolation wieder regeneriert.

O CH2CH3
CH3CH2 O
CH3CH2 O CH3CH2 O H
H O CH2CH3
H C C H C C C C
H H H H
Ethylvinylether

Ähnlich reagieren Carbonsäuren in Gegenwart ihrer Zinksalze bei einem Druck von 10–15
bar und einer Temperatur von 155°C mit Acetylen zum entsprechenden Vinylester.

R COO H
(R COO )2 Zn2 , 15 bar, 155 °C
R COOH + H C C H C C
H H
Vinylester
172 4 Alkine

Übungsaufgaben

? 4.1
Wie reagiert Calciumcarbid mit Wasser? Schreiben Sie die Reaktionsgleichung auf.

? 4.2
Beschreiben Sie die Darstellung von Alkaliacetyliden, die Herstellung von Calciumacetylid
und die Darstellung von Cu-, Ag- oder Hg-Acetyliden. Welche Unterschiede in den Eigen-
schaften kann man zwischen Alkali- und Schwermetallacetyliden feststellen?

? 4.3
Beschreiben Sie, wie man ausgehend von Ethin das But-2-in-1,4-diol und aus diesem Buta-
1,3-dien herstellen kann.

? 4.4
Propinyllithium läßt man mit Bromethan in Tetrahydrofuran als Lösungsmittel reagieren.
Schreiben Sie die Reaktionsgleichung auf.

? 4.5
Welche Unterschiede zwischen Alkenen und Alkinen beobachtet man bei Additionsreaktio-
nen?

? 4.6
Welches Produkt erhält man bei der nucleophilen Addition von Blausäure an Ethin?

? 4.7
Acetylen wird in Anwesenheit von HgSO4 unter Erwärmen in verdünnte Schwefelsäure
eingeleitet. Schreiben Sie die Reaktionsgleichungen auf und benennen Sie das Endprodukt.
Lösungen 173

Lösungen

! 4.1
Bei der Reaktion des Calziumcarbids mit einem Äquivalent Wasser entsteht Acetylen (Ethin)
und Calziumoxid, mit einem Überschuß an Wasser wird anstelle des Calziumoxids Calzium-
hydroxid (Kalkmilch) Ca(OH)2 gebildet.

C C Ca2+ + H2O HC CH + CaO

C C Ca2+ + 2 H2O HC CH + Ca(OH)2

! 4.2
Ist an dem sp-hybridisierten Kohlenstoff der Alkine ein Wasserstoffatom gebunden, so
haben die Alkine saure Eigenschaften und können Salze bilden. Das Natrium-Salz der
Alkine, das Natriumacetylid, ist in Wasser nicht beständig. Zu dessen Synthese läßt man
Acetylen mit NaNH2 in Flüssigem Ammoniak reagieren. Calciumacetylid (Calciumcarbid)
wird aus Calciumoxid und Koks im elektrischen Widerstandsofen bei 2200°C großtech-
nisch hergestellt. Zum Unterschied von Acetyliden der Alkali und Erdalkalimetalle, in
welchen die Kohlenstoff-Metall-Bindung Ionencharakter hat, liegt bei Schwermetall-
Acetyliden (Cu,Ag,Hg) in der Kohlenstoff-Metall-Bindung ein hoher kovalenter Anteil vor.
Man kann sie auch in wäßriger Lösung synthetisieren wobei sie als Niederschlag aus der
Lösung ausfallen. Die Cu- Ag- bzw. Hg-Acetylide stellt man her, indem man die Alkine
mit dem entsprechenden Schwermetallnitrat in ammoniakalischer Lösung reagieren läßt. Zu
beachten ist, daß die Schwermetall-Acetylide in trockenem Zustand explosiv sind. Sie ex-
plodieren sowohl auf Druck als auch bei Erhitzen.
174 4 Alkine

! 4.3
Acetylen kann bei 100°C und 15 bar Druck und Kupferacetylid als Katalysator mit Formal-
dehyd zu But-2-in-1,4-diol umgesetzt werden. Dieses wird katalytisch hydriert und das 1,4-
Butandiol dehydratisiert, wobei 1,3-Butadien entsteht (Reppe-Verfahren). Anmerkung: durch
Polymerisierung von Butadien, das man auf diese Weise gewonnen hat, hat man im 2. Welt-
krieg eine kautschukartige Substanz, das Buna hergestellt.

100 °C, 15 bar


H H2 C C C CH2
Cu2C2
H C C H + O
H OH OH

CH2 Katalysator H2 H2
H 2C C C
+ 2 H2 H2C C C CH2

OH OH
OH OH

H2 H2 H
H 2C C C CH2 H2 C C C CH2 + 2 H 2O
H H

OH OH

! 4.4
Läßt man Propinyllithium mit Bromethan in Tetrahydrofuran als Lösungsmittel reagieren,
wird in einer SN-Reaktion das Brom durch den Propinylrest ersetzt (Alkylierung von Alkinen
siehe Kap. 4.4.4, SN-Reaktionen siehe Kap. 9.5)

Anmerkung: THF = Tetrahydrofuran

! 4.5
Die elektrophile Addition erfolgt sowohl bei Alkenen als auch bei Alkinen, aber bei Alkinen
langsamer. Zum Unterschied von den Alkenen können aber an Alkinen auch nucleophile
Additionen stattfinden. Bei einer nucleophilen Addition ist es das nucleophile Teilchen, das
zuerst im die Reaktion bestimmenden Schritt addiert wird.
Lösungen 175

! 4.6
Bei der nucleophilen Addition von Blausäure HCN an Ethin erhält man als Produkt Acryl-
nitril (Propennitril):

H C N
H C C H + H C N C C
H
H

! 4.7
Bei Einleiten von Acetylen (Ethin) in verdünnte Schwefelsäure, in der sich Quecksilber-(II)-
Sulfat als Katalysator befindet, wird bei der Reaktion zunächst Vinylalkohol (Ethenol) gebil-
det. Dieser steht mit dem Acetaldehyd durch die säurekatalysierte Keto-Enol-Tautomerie im
Reaktionsgleichgewicht, so daß Acetaldehyd (Ethanal) das Hauptprodukt der Reaktion ist.

OH O
H C C H H / Hg2 Keto-Enol-Tautomerie
H2 C C H3 C C
+ H 2O
H H
5 Alicyclische Verbindungen
Cycloalkane (griech. Kyklos = der Ring) sind Kohlenwasserstoffe, in welchen die Kohlen-
stoffatome nur mit Einfachbindungen und ringförmig miteinander verknüpft sind. Cycloalka-
ne sowie deren Derivate und auch Cycloalkene und Cycloalkine werden unter dem Begriff
alicyclische Verbindungen zusammengefaßt (abgeleitet von aliphatisch und cyclisch).
Alicyclische und ebenso aromatische Verbindungen (siehe Kapitel 6) gehören zu den
Carbocyclen. Diese werden definiert als cyclische Verbindungen, deren Ring ausschließlich
aus Kohlenstoffatomen aufgebaut ist. In Heterocyclen (siehe Abschnitt 12.5 und Kapitel 25)
hingegen sind nicht nur Kohlenstoffatome Bestandteil des Ringes, sondern auch andere
Atome, z.B. Sauerstoff-, Stickstoff- oder Schwefelatome, die man in diesem Zusammenhang
als Heteroatome bezeichnet (griech. heteros = das Andere).

5.1 Nomenklatur
Cycloalkane werden, der Anzahl der C-Atome im Ring entsprechend, nach den n-Alkanen
benannt und mit dem Präfix „Cyclo-“ gekennzeichnet:

H H H H
H H H H
H C H
C H C C H H C C H C C
H H H H H
H
C C H H
C C H C C H C C
H C H H C H
H H
H H H H H H
Cyclopropan Cyclobutan Cyclopentan Cyclohexan

Die Formeln der Cycloalkane werden häufig in verkürzter Schreibweise dargestellt, bei
der das ringförmige Kohlenstoffskelett als entsprechendes Vieleck gezeichnet wird, wobei
man sich vorstellen muß, daß in jeder Ecke dieses Vielecks eine Methylengruppe steht. Für
die Kohlenstoffatome im Ring werden das Symbol C, ebenso wie das Symbol H für die an sie
gebundenen Wasserstoffatome und die entsprechenden C–H-Bindungen nicht geschrieben:

Cyclopropan Cyclobutan Cyclopentan Cyclohexan

Bei alicyclischen Verbindungen werden die Seitenketten und funktionellen Gruppen voll
ausgeschrieben, Seitenketten werden aber auch oft nur in Form von Strichen (siehe Abschnitt
1.6) geschrieben.

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 176


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
5.2 Physikalische Eigenschaften der Cycloalkane 177

CH3 Cl

OH O

Methylcyclo- Cyclopentanol Cyclopentanon Chlorcyclohexan Cyclohexen


butan (Cyclohexylchlorid)

Befinden sich im Molekül zwei oder mehrere Substituenten, beginnt man die Durch-
numerierung der Kohlenstoffatome des Ringes mit dem C-Atom, das die Hauptgruppe (funk-
tionelle Gruppe der höchsten Priorität, siehe Abschnitt 1.7.3) trägt, und numeriert weiter in
Richtung zum nächstgelegenen Substituenten, z.B.:

O 2 CH3
4 5 HO 1 3

CH3
H3C 3 1 O
Cl 2
2-Chlorcyclohexanon 3-Methylcyclopentanon 3,3-Dimethylcyclohexanol

Liegt eine ringförmige Verbindung mit einer Seitenkette vor, und befindet sich in der
letzteren die Hauptgruppe (siehe Abschnitt 1.7.3), so wird die offene Kette als Hauptkette
betrachtet, der Ring als Substituent, z.B.:

CH2 C CH3

1-Cyclohexylpropan-2-on

5.2 Physikalische Eigenschaften der Cycloalkane


Die Cycloalkane sind unpolare Verbindungen und haben deshalb ähnliche physikalische
Eigenschaften wie die Alkane: sie sind hydrophob, mischen sich nicht mit Wasser und lösen
nur unpolare oder schwach polare Stoffe. Ihre Schmelz- und Siedetemperaturen sind höher
als die der n-Alkane mit gleicher Anzahl der C-Atome.

Tabelle 5.1 Schmelz-, Siedetemperaturen und Dichten einiger Cycloalkane.

Name Schmelztemperatur [°C] Siedetemperatur [°C] Dichte [g/mL]


Cyclopropan – 127 – 32,9 0,6880
Cyclobutan – 80 11 0,7038
Cyclopentan –94 49,5 0,7460
Cyclohexan 6,4 80,8 0,7781
178 5 Alicyclische Verbindungen

5.3 Der Cyclopropan- und Cyclobutanring


Geht man von der Vorstellung aus, daß die σ-Bindungen gerade und nicht gekrümmt sind, so
müßte der dreigliedrigen Ring des Cyclopropans einen Bindungswinkel von 60° haben, wäh-
rend für den viergliedrigen ebenen Ring des Cyclobutans ein Bindungswinkel von 90° anzu-
nehmen wäre:
H H
H H H H
C C C
90°
60°
C C H C C H
H H
H H H H

Demgegenüber ist zu erwägen, daß der ideale Bindungswinkel zwischen drei sp3-hybridi-
sierten Kohlenstoffatomen (im sp3-hybridisierten C-Atom sind die Orbitale in die Ecken
eines fiktiven Tetraeders gerichtet) 109°28' beträgt. Die C–C-Verbindungslinie liegt hierbei
auf der gleichen Geraden wie die Symmetrieachsen der überlappenden sp3-Orbitale, was ihre
maximale Überlappung gewährleistet.
Erfolgt die Überlappung der sp3-Orbitale seitlich der C–C-Verbindungslinie, so beträgt
der Bindungswinkel zwischen den drei C-Atomen im Cyclopropan keineswegs 60°, sondern
104°, was dem idealen tetraedrischen Bindungswinkel von 109°28' schon näher kommt. Im
Cyclobutan ist die Abweichung vom idealen Bindungswinkel noch kleiner. Die Überlappung
im Cyclopropan und Cyclobutan ist hierbei allerdings etwas geringer als jene, die bei norma-
len C–C-σ-Bindungen vorliegt, z.B. bei den Alkanen, welche tetraedrische Bindungswinkel
haben. Die seitlich von der C–C-Verbindungslinie erfolgte Überlappung zweier sp3-Orbitale
führt zu einer C–C-σ-Bindung, die wegen ihrer etwas gekrümmten Form auch „Bananenbin-
dung“ genannt wird. Sie ist, verglichen mit anderen C–C-σ-Bindungen, infolge der geringe-
ren Überlappung schwächer und kann deshalb auch leichter gespalten werden.

C C
109°28'

= C-C-Verbindungslinie
= Symmetrieachse der sp3-Orbitale Bild 5.1 Überlappung der sp3-Orbitale bei einem
Bindungswinkel von 109°28'
5.3 Der Cyclopropan- und Cyclobutanring 179

C C C

104°
C C
C C

Überlappung der sp3-Orbitale

a) im Cyclopropan b) im Cyclobutan

= C-C-Verbindungslinie
= Symmetrieachse der sp3-Orbitale

Bild 5.2 „Bananenbindung“ im Cyclopropan- und Cyclobutanring

Die Abweichung vom tetraedrischen Bindungswinkel verursacht im Cyclopropan- und


Cyclobutanring eine Winkelspannung. Diese durch die Abweichung vom tetraedrischen Bin-
dungswinkel in Drei- und Vierringen verursachte Spannung wird auch als Baeyer-Spannung
bezeichnet.
Im Cyclopropanmolekül sind die Wasserstoffatome ekliptisch angeordnet, so daß (siehe
Abschnitt 2.4.1) eine Pitzer-Spannung im Molekül besteht. Das Cyclobutanmolekül ist zur
Verminderung der Pitzer-Spannung nicht planar, sondern um 26° aus der Ebene heraus ge-
faltet.

C
26°
C

C
Kohlenstoffskelett des Cyclobutans

Bild 5.3 Faltstruktur des Kohlenstoffskeletts im Cyclobutan


180 5 Alicyclische Verbindungen

5.4 Der Cyclopentanring


In einem regelmäßigen Fünfeck betragen die Innenwinkel 108°. Zu einem Bindungswinkel
von 109°28', dem idealen Bindungswinkel sp3-hybridisierter Kohlenstoffatome, ist der Un-
terschied klein. Demnach wäre im planaren Cyclopentanring nur eine geringe Winkel-Span-
nung vorhanden. Es wäre jedoch eine beträchtliche Pitzer-Spannung zu erwarten, da alle
Wasserstoffatome bei dieser planaren Anordnung der Kohlenstoffatome im Cyclopentan
ekliptisch zueinanderstehen. Die Pitzer-Spannung kann durch ein mäßiges Ausdrehen der
Kohlenstoffatome aus der Ebene wesentlich verringert werden. Das Cyclopentan liegt des-
halb als Briefumschlag-Konformer (envelope form) vor, wobei vier C-Atome in einer Ebene
liegen und das fünfte sich außerhalb der Ebene befindet. Dieses Konformer ist nicht starr; in
raschem Wechsel schert jeweils ein anderes C-Atom des Ringes aus der Ebene aus.

C
C

C C
Kohlenstoffskelett geöffneter Briefumschlag
des Cyclopentans

Bild 5.4 Briefumschlag-Konformeres des Cyclopentans

5.5 Der Cyclohexanring


In einem Cyclohexanring, in dem alle Kohlenstoffatome in einer Ebene liegen, würden die
C–C-σ-Bindungen einen Bindungswinkel von 120° einschließen (siehe Bild 5.5). Der ideale
Bindungswinkel für sp3-hybridisierte C-Atome (Tetraederwinkel von 109°28') müßte also
beträchtlich aufgeweitet werden, was eine große Winkelspannung im Ring zur Folge hätte.
In diesem Ring würden außerdem alle Wasserstoffatome ekliptisch zueinander stehen, so daß
auch die Pitzer-Spannung recht groß wäre. Durch eine mäßige Drehung um die C–C-σ-Bin-
dungen kann das Cyclohexan aus dieser energiereichen in eine stabile Konformation gelan-
gen, in der keine Deformation des idealen Bindungswinkels notwendig ist und außerdem
keine Pitzer-Spannung infolge ekliptischer Stellung der Wasserstoffatome besteht. Die an
benachbarte C-Atome gebundenen Wasserstoffatome liegen in dieser neuen Konforma-
tion nur gestaffelt vor. Die spannungsfreie Konformation des Cyclohexans, in der vier
C-Atome in einer Ebene, eines über und das sechste unter dieser Ebene liegen, wird als Ses-
selform (chair form) bezeichnet. Man braucht sich nur einen Fernsehsessel mit Rückenlehne
und Fußstütze vorzustellen, um die Benennung dieses Konformers zu begreifen.
5.5 Der Cyclohexanring 181

120° 109°28‘

Ebener Sechsring Sesselform

Bild 5.5 Vom ebenen Sechsring des Cyclohexans zur Sesselform

H
H
H
H H
H
H
H
H
H
H
H
Drahtmodell Strukturformel

= Kohlenstoffatom = Wasserstoffatom

Bild 5.6 Sesselform des Cyclohexans

a
a
e
e e
a
a
e
e
e
a
a

e = äquatorial
a = axial
Bild 5.7
Axiale und äquatoriale Substituenten
182 5 Alicyclische Verbindungen

Man stelle sich eine Achse vor, welche, wie in Bild 5.7 veranschaulicht, durch die Mitte
eines in Sesselform vorliegenden Sechsringes führt. Vergleicht man nun die Achsenrichtung
und die Orientierung der σ-Bindungen, mit welchen die Substituenten an die Kohlenstoffato-
me des Ringes gebunden sind, so kann man grundsätzlich zwei verschiedene Bindungsarten
unterscheiden: axiale Bindungen, die mit der Achse parallel laufen und äquatoriale Bindun-
gen, die von der Achse wegweisen. Entsprechend werden die an sie gebundenen Substituen-
ten als äquatorial oder axial bezeichnet. Die Unterscheidung der Substituenten ist keineswegs
nur formal: axiale und äquatoriale Substituenten können eine unterschiedliche Reaktivität
aufweisen.
Von der Sesselform, die einem Energieminimum des Cyclohexanmoleküls entspricht,
kann dieses über die Halbsesselform zur Wannenform (englisch boat form) gelangen.
Der Übergang von der Sessel- in die Wannenform ist dadurch gewährleistet, daß im
Cyclohexanring eine beschränkte Drehbarkeit um die C–C- σ-Bindung gegeben ist.
Soweit der Leser Zugang zu einem Molekülbaukasten hat, sollte er am Kugelstiftmodell
des Cyclohexans die Umformung von der Sessel in die Wannenform eigenhändig vorneh-
men. Drückt man das unter der Ringebene befindliche Kohlenstoffatom (besser gesagt, die
schwarze Kugel, die das Kohlenstoffatom im Modell veranschaulichen soll) nach oben, um
zur Halbsesselform zu gelangen, verspürt man einen Widerstand. Dies ist verständlich, denn
dazu bedarf es einer Winkelaufweitung, die eine ziemlich große Ringspannung zur Folge hat.
Drückt man das Kohlenstoffatom weiter nach oben, so verspürt man nur einen geringen
Widerstand, denn der Sechsring wird in die Wannenform gebracht, in der alle Kohlenstoff-
atome des Ringes wieder einen tetraedrischen Bindungswinkel haben. In dieser Konforma-
tion liegt keine Winkelspannung vor. Trotzdem ist die Wannenform energiereicher als die
Sesselform. Die Wasserstoffatome an je zwei der vier in einer Ebene liegenden C-Atome des
Sechsringes befinden sich bei der Wannenform in ekliptischer Stellung zueinander, so daß
eine relativ hohe Pitzer-Spannung auftritt, während sie in der Sesselform gestaffelt vorliegen.
Dies ist aus Bild 5.9 ersichtlich. Betrachtet man in einem Molekülmodell des Cyclohexans,
wie in Bild 5.9 dargestellt, die beiden Kohlenstoffatome C2 und C3 und die Kohlenstoff-
atome C5 und C6 so, daß sich die C–C-Bindung in Blickrichtung befindet, so stellt man fest
(siehe Newman-Projektionen in Bild 5.9), daß in der Sesselform (Bild 5.9 links) die an den
beiden benachbarten C-Atomen gebundenen H-Atome gestaffelt und in der Wannenform
(Bild 5.9 rechts) ekliptisch angeordnet sind.

Sesselform Halbsesselform Wannenform

Bild 5.8 Von der Sessel- zur Wannenform


5.5 Der Cyclohexanring 183

Sesselform Wannenform

H H
H 1 4
H 4 H H H
2 H H
H 3 H 2 3
H
H H H
H 1 6 5
H H H 5
H 6
H H H
H
4
H H
H 4
H H H
H H 1
2 6
2 6
H H
HH HH
1
H H

Wasserstoffatome am Wasserstoffatome am
C2 und C3 sowie C6 und C5 C2 und C3 sowie C6 und C5
gestaffelt ekliptisch

Bild 5.9 Newman-Projektion der Sessel und Wannenform des Cyclohexans

Betrachtet man in Bild 5.9 in der Newman-Projektion die Konformationen der Kohlen-
stoffketten C1-C2-C3-C4 und C1-C6-C5-C4 des Cyclohexans, so stellt man außerdem fest, daß
in der Sesselform eine synclinale, in der Wannenform aber eine energiereiche synperiplanare
Konformation vorliegt (siehe den Abschnitt 2.4.2).

Flagpole

H H 4
1
H H
2 3

6 5

Bugspriet

Bild 5.10 Flagpole- und Bugspriet-Substituenten


184 5 Alicyclische Verbindungen

Die an beiden C-Atomen der Wannenspitze (C1 und C4) nach innen gerichteten Bindun-
gen tragen Substituenten, die als Flagpole-Substituenten bezeichnet werden. Die beiden an-
deren an diese C-Atome geknüpften Substituenten werden Bugspriet-Substituenten genannt.
Die Substituenten, die in der Wannenform des Sechsringes an die vier in einer Ebene liegen-
den C-Atome gebunden sind, haben keine besondere Bezeichnung. Die zwei Flagpole-Sub-
stituenten kommen so nahe zusammen, daß selbst zwischen Wasserstoffatomen schon eine
Abstoßungsenergie von ca. 12,6 kJ/mol vorliegt. Die 1,4-Wechselwirkung (so genannt, weil
die Wechselwirkung zwischen den am C1- und C4-Atom des Ringes gebundenen Substituen-
ten erfolgt) bewirkt eine transannulare Spannung. Dies ist eine Ringspannung, die durch ab-
stoßende Kräfte zwischen Substituenten hervorgerufen wird, die nicht an benachbarte, aber
voneinander weiter entfernte C-Atome des Ringes gebunden sind. Durch eine seitliche Ver-
schiebung der zwei C-Atome (C1 und C4), an welche die Flagpole-Substituenten gebunden
sind, gelangt die Wannenform in die Twistform, womit die transannulare Spannung ver-
ringert wird. Die seitliche Verschiebung der Flagpole-Substituenten ist mit einer leichten
Drehung der C-Atome um die C2/C3- und die C6/C5-Bindungen verbunden. Dadurch befin-
den sich die am C2 und C3 gebundenen Wasserstoffatome und ebenso die am C6 und C5 ge-
bundenen Wasserstoffatome nicht mehr in der Deckungsform, und die Pitzer-Spannung wird
damit etwas vermindert. Da die zwei Kohlenstoffatome der Wannenspitze sich in die eine
oder andere seitliche Richtung verschieben können, existieren zwei verschiedene Twistfor-
men. Diese lassen sich sehr leicht ineinander überführen, wobei die Wannenform einen
Übergangszustand darstellt. Bei Zimmertemperatur können die Konformeren des Cyclohex-
ans nicht isoliert werden, da durch Übertragung der kinetischen Energie beim Zusammenstoß
der Moleküle die zwischen den Konformeren liegenden Energiebarrieren der Übergangs-
zustände (Halbsessel- und Wannenform) überwunden werden können. Der Übergang von
einer in die andere Konformation (Sesselform / Twistform) ist umkehrbar, allerdings ist die
energieärmere, stabilere Sesselform bei Zimmertemperatur mit über 99 % im Konformeren-
gemisch des Cyclohexans vertreten. Bild 5.12 zeigt die Änderungen der potentiellen Energie
des Cyclohexans in Abhängigkeit von seiner jeweiligen Konformation. Der Begriff Kon-
formations-Koordinate beinhaltet die Veränderungen von Bindungswinkeln und Abständen
der Atome untereinander beim Übergang von einer zur anderen Konformation. In der Ses-
selform des Cyclohexans kommt es bei den axialen Substituenten infolge der räumlichen

1 4 1 4
1 4
2 3
3 2
6 5

2 5 6 5 6 3

Twistform Wannenform Twistform

Bild 5.11 Übergang von einer in die andere Twistform (nur mit Kohlenstoffskelett des Sechsringes
veranschaulicht)
5.5 Der Cyclohexanring 185

Halbsesselform Halbsesselform
Wannenform
Potentielle Energie Ep [kJ/mol]

6 kJ

Twistform Twistform
45 kJ
23 kJ

Sesselform Sesselform

Konformations-Koordinate

Übergang von der Sessel- Übergang von einer in Übergang von der Twist-
in die Twistform die andere Twistform in die Sesselform

Bild 5.12 Energieprofil beim Übergang von der Sessel- in die Twistform und von einer Twistform in
die andere

Nähe zu einer 1,3-Wechselwirkung, die besonders bei sperrigen Substituenten eine Span-
nung hervorrufen kann. Von einer 1,3-Wechselwirkung spricht man deshalb, weil diese
zwischen den am ersten und dritten C-Atom gebundenen Substituenten erfolgt. Die 1,3-
Wechselwirkung findet zwischen den drei über der Ringebene und den drei unter der Ring-
ebene befindlichen axialen Substituenten statt. In Bild 5.13 sind die axialen Substituenten
mit dem Buchstaben a, die äquatorialen Substituenten mit e gekennzeichnet, und die Wech-
selwirkung zwischen den axialen Substituenten wird durch einen gestrichelten Doppelpfeil
veranschaulicht.

a
a
e e
e
a a
e
e e
a
a

Bild 5.13 1,3-Wechselwirkung zwischen den axialen Substituenten in der Sesselkonformation des
Cyclohexans
186 5 Alicyclische Verbindungen

Wannenform
Sesselform Sesselform

Bild 5.14 Ringinversion des Methylcyclohexans

Das Cyclohexanmolekül kann durch Ringinversion von einer Sesselkonformation über


die Wannenform in eine andere Sesselkonformation gelangen. Alle Substituenten, die vorher
axial waren, befinden sich nach der Ringinversion in äquatorialer Stellung, und die Substi-
tuenten, die vorher äquatorial waren, sind dann an den Sechsring axial gebunden. Die 1,3-
Wechselwirkung in der Sesselkonformation tritt nur bei axialen, nicht aber bei äquatorialen
Substituenten auf. Im monosubstituierten Cyclohexan wird deshalb die Konformation mit
dem Substituenten in äquatorialer Stellung bevorzugt. Hat der Sechsring mehrere Substituen-
ten, so wird gewöhnlich die Konformation der Sesselform bevorzugt, in der der sperrige
Substituent die äquatoriale Stellung einnimmt.
In Bild 5.14 wird die Ringinversion am Molekülmodell des Methylcyclohexans gezeigt.
Das unterhalb der Ringebene befindliche Kohlenstoffatom des Sechsringes mit der Methyl-
gruppe wird hierbei nach oben und das Kohlenstoffatom des Sechsringes, das über der Ring-
ebene liegt, nach unten geklappt.

5.6 Die cis-trans-Isomerie von Substituenten in Ringverbindungen


Die eingeschränkte Drehbarkeit der Kohlenstoffatome im Ring um die C–C-σ-Bindung be-
dingt die cis-trans-Isomerie von Verbindungen mit zwei, an unterschiedliche C-Atome des
Ringes gebundenen, Substituenten. Ungeachtet der Konformationen, in der die cyclischen
Verbindungen vorliegen, kann man sich den Ring in einer Ebene vorstellen. Man betrachtet
die Bindungen, mit welchen beide Substituenten an den Ring geknüpft sind. Weisen diese in
der Konstitutionsformel beide über bzw. unter die Ringebene, bezeichnet man dieses Isomer
als cis-Isomer, weist eine Bindung über, die andere unter die Ringebene, so liegt ein trans-
Isomer vor. Zum Beispiel:
H3C CH3 H3C H

H H H CH3
cis-1,3-Dimethylcyclopentan trans-1,3-Dimethylcyclopentan
5.7 Polycyclische Alkane 187

Br

Br
Br
Br

Bromatome axial Bromatome äquatorial

Bild 5.15 Zwei Konformere des trans-1,2-Dibromcyclohexans

In den Formeln cyclischer Verbindungen sollen verstärkte Striche im unteren Teil des
Ringes andeuten, daß der Ring senkrecht zur Bildfläche steht, wobei er mit dem verstärkten
Teil zum Betrachter hin orientiert ist. Die nach oben gezeichneten, am Ring gebundenen
Substituenten befinden sich dann über dem Ring und die in der Formel unten stehenden
Substituenten unter dem Ring.
Beim disubstituierten oder mehrfach substituierten Cyclohexan liegt die Sesselform vor,
in der möglichst viele Substituenten äquatorial stehen. Zum Beispiel ist im
Br
H

H
Br trans-1,2-Dibromcyclohexan

das Konformer bevorzugt, in dem beide Bromatome äquatorial stehen (siehe Bild 5.15).
Gibt es im Ring mehrere Substituenten, so ist es notwendig, das Präfix cis- bzw. trans- zu
jedem Substituentenpaar zu schreiben, oder einen Substituenten zu bezeichnen, auf den sich
die Stellung der anderen Substituenten im Ring beziehen soll.

5.7 Polycyclische Alkane


In polycyclischen Alkanen sind mehrere Ringe miteinander verknüpft. Je nach Art der Ring-
verknüpfung unterscheidet man kondensierte und verbrückte Ringsysteme, und außerdem
noch Spiroverbindungen, in welchen zwei Ringe untereinander nur mit einem Kohlenstoff-
atom verbunden sind.

kondensierte Ringe verbrückte Ringe Spiroverbindung


188 5 Alicyclische Verbindungen

Die Atome, welche die Ringe untereinander verbinden, werden als Brückenkopf-Atome
bezeichnet. Sind zwei, drei, vier usw. Ringe miteinander verbunden, erhalten die Verbindun-
gen mit kondensierten oder verbrückten Ringen das Präfix bicyclo-, tricyclo-, tetracyclo-
usw. Dann führt man in eckigen Klammern in absteigender Zahlenfolge an, wieviel Kohlen-
stoffatome sich jeweils zwischen den Brückenatomen befinden. Sind beide Brückenatome
direkt miteinander verbunden, wird eine Null in die eckige Klammer geschrieben. Man zählt
dann alle Kohlenstoffatome in den Ringen zusammen und führt den Namen des n-Alkans mit
der gleichen Kohlenstoffanzahl an. Spiroverbindungen erhalten das Präfix Spiro-.
Brückenkopf-Atome

nullgliedrige Brücke

Bicyclo[4,4,0]decan, Bicyclo[2,2,2]octan Spiro[5,4]decan


Decahydronaphthalin oder Decalin

Ringe in kondensierten Ringsystemen können untereinander cis- oder trans-verknüpft


sein. Die cis- oder trans-Verknüpfung erkennt man an den an beiden Brückenkopf-Kohlen-
stoffen gebundenen Wasserstoffatomen bzw. Substituenten. Zeigen beide dort gebundenen
Substituenten über oder beide unter die miteinander verknüpften Ringe, liegt eine cis-Ver-
knüpfung, im anderen Falle eine trans-Verknüpfung vor.
H
H
H

trans-Bicyclo[4,4,0]decan cis-Bicyclo[4,4,0]decan
oder trans-Decalin oder cis-Decalin

Die Formeln des Decalins können auch vereinfacht als miteinander verbundene Sechs-
ecke geschrieben werden, indem man an den beiden Brückenkopf-Kohlenstoffen bei cis-
Verknüpfung die C–H-Bindung als normalen Strich schreibt, bei der trans-Verknüpfung die
nach unten weisende Bindung gestrichelt, die andere, nach oben zeigende Bindung, mit star-
kem oder normalem Strich oder Keilstrich kennzeichnet.
H H

H H
trans-Decalin cis-Decalin
5.8 Synthese der Cycloalkane 189

5.8 Synthese der Cycloalkane

5.8.1 Synthese des Cyclopropans

(a) Reaktion des Ethens mit einer Organozink-Verbindung (Simmons-Smith-Reaktion). Di-


iodmethan läßt man in wasserfreiem Ether auf aktiviertes Zink einwirken, wobei ein dem
Grignard-Reagens ähnliches Organozink-Reagens entsteht, das mit Alkenen unter Bil-
dung eines Dreirings reagiert.

ZnI I ZnI I ZnI2


CH2 CH2 CH2
H H C C C C
C C H H H H
H H H H
H H
Übergangszustand

Die punktierten Linien im Übergangszustand deuten an, daß die bisherigen Bindun-
gen an dieser Stelle nur gelockert, aber nicht ganz gelöst und neue Bindungen an anderer
Stelle im Entstehen begriffen sind. Die gestrichelten Bindungen weisen hinter die Bild-
ebene, die in Keilform gezeichneten Bindungen vor die Bildebene.
(b) Reaktion des Carbens mit Alkenen. Das Diazomethan spaltet bei Erhitzen (Δ) oder UV-
Bestrahlung (hν) Stickstoff ab, und das freigesetzte sehr reaktive Carben wird mit dem
Alken zum Cyclopropanderivat umgesetzt.

Δ oder hν
N N CH2 N N + CH2

Diazomethan Carben
H
R' H R'
C C
CH2 CH2
C C
R H R
H
cis-Alken cis-1,2-Dialkylcyclopropan

Das Carben ist eine sehr reaktive Verbindung mit einem zweibindigen C-Atom, dessen
Außenschale nur mit einem Elektronensextett besetzt ist. Es kann in zwei Zustandsformen
auftreten: im Grundzustand als Triplett-Carben und im angeregten Zustand als Singulett-
Carben (siehe Bild 5.16). Im Triplett-Carben sind zwei Orbitale mit je einem Elektron be-
setzt, es ist also ein Diradikal. Im Singulett-Carben ist das pz-Orbital des sp2-hybridisierten
C-Atoms unbesetzt und ein sp2-Hybridorbital ist mit zwei Elektronen besetzt. Das Singulett-
Carben besitzt also ein freies Elektronenpaar und weist eine Elektronenlücke auf.
190 5 Alicyclische Verbindungen

Grundzustand

H einfach besetzte
136° Orbitale
H

Triplett-Carben

Angeregter Zustand

unbesetztes Orbital
H
103° freies Elektronenpaar
H
sp2-hybridisiert
Singulett-Carben

Bild 5.16 Triplett- und Singulett-Carben

Bei der Spaltung des Diazomethans entsteht zuerst das Singulett-Carben, und dieses ist so
reaktiv, daß es mit dem Alken reagiert, noch bevor es den energieärmeren Zustand des
Triplett-Carbens erreichen kann. Die Addition mit dem Singulett-Carben erfolgt stereospezi-
fisch, wie dies in der vorhergehenden Reaktionsgleichung angedeutet wird: Liegt ein cis-Al-
ken vor, so sind die Alkylreste nach der Reaktion mit dem Carben auch am Cyclopropanring
in cis-Stellung, erfolgt die Reaktion hingegen mit einem trans-Alken, so sind die Alkylreste
auch im Cyclopropan trans angeordnet.
Erfolgt die Reaktion in unter Druck stehender Inertgasatmosphäre, so erreicht das Carben
den energieärmeren Zustand des Triplett-Carbens, noch bevor es mit dem Alken reagiert.
Das Triplett-Carben reagiert langsamer mit dem Alken, wobei sowohl cis- als auch trans-Ad-
ditionsprodukte entstehen. Die Addition des Triplett-Carbens ist also nicht stereospezifisch.
Dies ist so zu erklären, daß als Zwischenprodukt zunächst ein Diradikal entsteht, das um die
C–C-Bindung frei drehbar ist. Bei der Rekombination kann deshalb sowohl das cis- als auch
das trans-Isomer des Dialkylcyclopropans entstehen.
CH2
CH2 H H
C C cis-Isomer
CH2
H H H H R R
Rekombination
C C C C
R R R R CH2
R H
C C trans-Isomer

H R
5.8 Synthese der Cycloalkane 191

5.8.2 Die Synthese mehrgliedriger alicyclischer Verbindungen

Für die Synthese mehrgliedriger Cycloalkane können spezielle Reaktionen herangezogen


werden, in vielen Fällen aber auch Reaktionen, die bei der Synthese anderer Verbindungen
ebenfalls Verwendung finden. Die Reaktanten sind häufig Verbindungen, die an jedem Ket-
tenende eine funktionelle Gruppe haben. Die Reaktion verläuft so, daß eine intramolekulare
C–C-Verknüpfung erfolgt, die zum Ringschluß führt. Eine intramolekulare Verknüpfung
heißt, daß sie innerhalb eines Moleküls erfolgt, während eine intermolekulare Verknüpfung
zwischen den Molekülen stattfindet. Beide, intramolekulare und intermolekulare Verknüp-
fungen, finden gleichzeitig als Konkurrenzreaktionen statt.
Als Beispiel für eine solche Reaktion, die durch C–C-Verknüpfung zum Ringschluß
führt, kann die intramolekulare Wurtz-Reaktion mit α,ω-Dihalogenalkanen dienen, wobei Zn
anstelle von Na eingesetzt wird. α,ω bedeutet in diesem Fall, daß sich die Halogene am Ket-
tenanfang und Kettenende befinden (nach dem griechischen Alphabet, in dem α der An-
fangs- und ω der Endbuchstabe ist). Neben dem entsprechenden Cycloalkan, das durch
Ringschluß gebildet wird, entstehen durch intermolekulare C–C-Verknüpfungen längerketti-
ge α,ω-Dihalogenderivate.

Intramolekulare Wurtz-Reaktion:

(CH2)n
+ ZnBr2
H2C CH2
Br CH2(CH2)nCH2 Br

+ Zn
Br CH2(CH2)nCH2 CH2(CH2)nCH2 Br

und längerkettige α,ω-Dibromalkane


durch intermolekulare Verknüpfung

Durch Anwendung des „Verdünnungsprinzips“ können die intermolekularen Re-


aktionen unterdrückt werden, wodurch die Ausbeute des Cycloalkans steigt. Durch Ver-
dünnung mit einem Lösungsmittel wird die Konzentration der Edukte herabgesetzt.
Dadurch vermindert sich die Wahrscheinlichkeit des Zusammenstoßes zweier Eduktmole-
küle, es tritt mit größerer Häufigkeit der Fall ein, daß sich, ehe zwei Moleküle unterei-
nander reagieren können (intermolekulare Reaktion), der Ringschluß (intramolekulare
Reaktion) schon vollzogen hat.
Weitere Möglichkeiten der Synthese alicyclischer Verbindungen bieten die intermoleku-
lare Ringbildung mit der Diels-Alder-Reaktion (siehe Abschnitt 3.10.4), die Dieckmann-
Kondensation (siehe Abschnitt 17.3.5.2), die Malonestersynthese (siehe Abschnitt 17.3.5.5),
die Acyloin-Kondensation (siehe Abschnitt 17.3.6.4) und die Thorpe-Ziegler-Reaktion (siehe
Abschnitt 17.5.3.8).
192 5 Alicyclische Verbindungen

5.9 Reaktionen der Cycloalkane


In Cycloalkanen liegen, ähnlich wie bei den Alkanen, unpolare C–C- und C–H-σ-Bindungen
vor. Mit Ausnahme des Cyclopropans und Cyclobutans reagieren sie deshalb auch ähnlich
wie Alkane. Der Cyclopentan-, Cyclohexanring und die Ringe höherer Cycloalkane sind sta-
bil.
Beim Cyclopropan und Cyclobutan machen sich die Ringspannung durch Deformierung
des Bindungswinkels, die schwachen C–C-σ-Bindungen (siehe Bananenbindung), und beim
Cyclopropan außerdem noch starke Pitzerspannungen, bemerkbar. Cyclobutan ist etwas sta-
biler als Cyclopropan. Bei Erhitzen auf 200°C wird der Cyclopropanring aufgespalten, wobei
Propen entsteht. Cyclopropan reagiert mit verschiedenen Stoffen unter Aufspaltung des Rin-
ges, es reagiert z.B. mit Schwefelsäure, mit HBr, mit Br unter Lichteinwirkung, und es kann
auch katalytisch unter Ringaufspaltung hydriert werden. Beim Cyclobutan erfolgt die Ring-
aufspaltung mit Schwefelsäure oder HBr oder bei katalytischer Hydrierung erst bei höherer
Temperatur. Beide, Cyclopropan und Cyclobutan, reagieren im Unterschied zu
Ethen mit Kaliumpermanganatlösung oder Ozon bei Zimmertemperatur nicht.
CH2
+ H2SO4 H3C CH2 CH2 O SO3H
H2C CH2
1-Propylhydrogensulfat
CH2
+ HBr H3C CH2 CH2 Br
H2C CH2
1-Propylbromid

H CH2
CH2
200 °C H3C CH CH2
C
H2C CH2
H CH2
Propen
CH2
Ni / H2 80 °C
H3C CH2 CH3
H2C CH2
n-Propan
H2C CH2
Ni / H2 180 °C
H3C CH2 CH2 CH3
H2C CH2
n-Butan
Übungsaufgaben 193

Übungsaufgaben

? 5.1
Warum ist die Wannenform des Cyclohexans energiereicher als die Sesselform?

? 5.2
Was versteht man unter einer axialen und äquatorialen Bindung in der Sesselkonformation
des Cyclohexans?

? 5.3
Welche Veränderungen erfolgen bezüglich axialer bzw. äquatorialer Bindung an axialen und
äquatorialen Substituenten nach Ringinversion des Cyclohexanringes?

? 5.4
Worin liegt die Ursache der cis-trans-Isomerie zweier an einen Kohlenstoffring gebundener
Substituenten?

? 5.5
Wie sind die beiden Bromatome in der Sesselform des cis-1,2-Dibromcyclohexans axial
bzw. äquatorial gebunden?

? 5.6
In welcher cis- oder trans-Stellung zueinander stehen die an Brückenkohlenstoffatome ge-
bundenen Wasserstoffatome im cis- bzw. im trans-Decalin?
194 5 Alicyclische Verbindungen

Lösungen

! 5.1
Die Wannenform des Cyclohexans ist um 29 kJ/Mol energiereicher als die Sesselform. Dies
ist damit zu erklären, daß sich in der Wannenform acht Wasserstoffatome zueinander in
Deckungsform (ecclipsed form) befinden, so daß eine Pitzer-Spannung vorliegt, während in
der Sesselform die Wasserstoffatome in Staffelform angeordnet sind. In der Wannenform
findet außerdem noch eine Abstoßung der nach innen stehenden (flagpole)-
Wasserstoffatome statt, die eine Abstoßungsenergie von 12,6 kJ/Mol aufweist.

! 5.2
Man stelle sich eine fiktive Gerade vor, die senkrecht auf den in Sesselform vorliegenden
Cyclohexanring steht. Die Substituenten deren Bindung parallel zu dieser gedachten geraden
steht bezeichnet man als axial, die anderen als äquatorial.
a
a
e
e e
a
a
e
e
e
a
a

e = äquatorial
a = axial

Axiale und äquatoriale Substituenten am Cyclohexanring

! 5.3
Von einer Ringinversion spricht man, wenn eine Sesselform über die Wannenform in eine
andere Sesselform übergeht. Nach der Ringinversion werden axiale zu äquatorialen Substi-
tuenten und äquatoriale wiederum zu axialen Substituenten. Bevorzugt wird die Sesselform,
bei der insbesonders sperrige Substituenten eine Äquatoriale Stellung einnehmen.

! 5.4
Zwei an unterschiedliche C-Atome des Ringes gebundene Substituenten können zueinander
cis- oder trans- stehen. Diese cis-trans-Isomerie wird bedingt durch die eingeschränkte
Drehbarkeit um die C-C-σ-Bindungen im Ring.

! 5.5
Im cis-1,2-Dibromcyclohexan ist in der Sesselform das eine Bromatom axial, das andere
äquatorial gebunden.
Lösungen 195

! 5.6
Die Wasserstoffatome an den beiden Brückenkohlenstoffen des trans-Decalins stehen zu
einander in trans-Stellung, im cis-Decalin in cis-Stellung.
H H
H

trans-Decalin cis-Decalin
6 Aromatische Verbindungen
Als aromatisch werden cyclische Verbindungen bezeichnet, deren π-Elektronen über das
ganze Ringsystem delokalisiert sind. Elektrophile Substitutionen sind die für sie charakteris-
tischen Reaktionen. Der bekannteste Vertreter aromatischer Verbindungen ist das Benzol.
Einige Benzolderivate sind von besonderer Bedeutung für die Herstellung von Kunst- und
Farbstoffen. Die Bezeichnung „aromatisch“ wurde den benzolähnlichen Stoffen wegen des
Geruchs gegeben, der bei bestimmten Benzolderivaten (z.B. bei dem im Bittermandelöl
enthaltenen Benzaldehyd, dem Vanillin und dem im Waldmeister enthaltenen Cumarin)
wahrnehmbar ist.

H O H O
C C

OCH3 O O

OH

Benzaldehyd Vanillin Cumarin

Verbindungen mit aromatischen Eigenschaften haben den Sammelnamen Arene, und der
Rest nach Abspaltung eines Wasserstoffatoms wird als Arylrest bezeichnet (Abkürzung Ar).

6.1 Benzol und seine Derivate


Das Benzol wurde schon 1825 von Faraday im Leuchtgas entdeckt. Es ist eine farblose, stark
lichtbrechende Flüssigkeit mit charakteristischem Geruch, einer Schmelztemperatur von
5,5°C und einer Siedetemperatur von 80,1°C. Benzol gehört zu den cancerogenen (krebs-
erregenden) Stoffen. Die Elementaranalyse (Bestimmung der relativen Anteile von C und H
im Molekül) und die Molekulargewichtsbestimmung ergeben für Benzol die Formel C6H6.
Bei der katalytischen Hydrierung wird Benzol zu Cyclohexan umgesetzt, was auf einen un-
gesättigten Sechsring hinweist. Schon 1865 wurde von Kekulé eine Konstitutionsformel
dieser Verbindung in Form eines Sechsringes mit 3 Doppelbindungen vorgeschlagen (siehe
nächste Seite).
Sie würde einem Cyclohexatrien entsprechen. Diese Struktur steht aber in Widerspruch
zu den Eigenschaften des Benzols, das sich, in Gegensatz zu den Alkenen, bei der Addition
von Brom als ausgesprochen reaktionsträge erweist. Kekulé entwickelte, um dafür eine

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 196


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
6.2 Die Valenzbindungstheorie 197

H H

H H

Erklärung zu haben, eine für seine Zeit geniale Theorie. Er nahm an, daß die Doppelbindun-
gen in rascher Folge ihre Positionen wechseln und so zwischen zwei Strukturen oszillieren,
so daß sie nicht zwischen zwei bestimmten C-Atomen lokalisiert sind und demgemäß keine
Additionsreaktionen stattfinden können.

und

Kekulè-Strukturen

Heute erklärt man sich die Struktur des Benzols auf die Weise, daß die 6 π-Elektronen
delokalisiert, also auf den gesamten 6-Ring verteilt sind. Diese Elektronenverteilung ent-
spricht einem stabilen, energiearmen Zustand des Moleküls. Die theoretische Grundlage für
diese Anschauung ist in der Valenzbindungstheorie (valence-bond-theory), abgekürzt VB-
Theorie bzw. in der Molekülorbitaltheorie (molecular-orbital-theory), abgekürzt MO-Theo-
rie, zu suchen.

6.2 Die Valenzbindungstheorie


Die Valenzbindungstheorie (auch Resonanztheorie genannt) wendet man besonders bei Ver-
bindungen mit konjugierten Doppelbindungen an, um eine Vorstellung über die tatsächliche
Verteilung der π-Elektronen im Molekül zu bekommen. Sie wurde bereits, ohne sie als sol-
che zu bezeichnen, bei der Beschreibung der π-Elektronenverteilung des Butadiens unter
dem Thema Mesomerie (siehe Abschnitt 3.9) und bei der Diskussion der Reaktivität von
Allyl- und Vinylverbindungen (siehe Abschnitt 3.9.1.1) zu Hilfe genommen.
Bei der Valenzbindungs-Theorie geht man von denkbaren Formeln aus, die sich lediglich
in der Lokalisierung der π- und p-Elektronen voneinander unterscheiden. Man bezeichnet sie
als mesomere Grenzformeln (aus dem griechischen mesos = zwischen und meros = Teil). Die
mesomeren Grenzformeln schreibt man als Lewis-Formeln mit den klassischen Valenzstri-
chen, wobei man die π-Elektronenpaare zunächst als zwischen zwei bestimmten C-Atomen
lokalisiert ansieht. Die einzelnen mesomeren Grenzformeln beschreiben bei konjugierten
Systemen keineswegs die reale Elektronenverteilung, also nicht die tatsächliche Struktur des
Moleküls. Sie dienen lediglich dazu, die π-Elektronenverteilung im Molekül abzuschätzen
und das reale Molekül zu beschreiben. Das reale Molekül, das man als Resonanzhybrid be-
198 6 Aromatische Verbindungen

zeichnet, ist energieärmer und somit stabiler als jede der durch die mesomeren Grenzformeln
dargestellten fiktiven Verbindungen. Sagt man, eine Verbindung sei mesomerie- oder
resonanzstabilisiert, so bedeutet das, daß durch Delokalisation von π-Elektronen eine Stabili-
sierung erreicht wird.
Die theoretische Grundlage der Valenz-Bindungstheorie basiert darauf, daß man die La-
dungsdichteverteilung in einem Molekül aus den ψ-Funktionen der einzelnen Grenzformeln
ermitteln kann. Die molekulare Wellenfunktion Ψ (Wellenfunktion des Resonanzhybrids) er-
gibt sich aus der Linearkombination der Wellenfunktionen der Grenzformeln ψ1, ψ2. ... ψn.
Die einzelnen Wellenfunktionen ψi gehen mit einer Wichtung ein, die um so größer ist, je
energieärmer die entsprechende Grenzstruktur einzuschätzen ist, so daß ψi noch mit einem
entsprechenden Koeffizienten ci multipliziert wird:

Ψ = c1ψ1 + c2 ψ 2 +…+ cn ψ n

In der Praxis verfährt man bei der Ermittlung der Elektronenverteilung des realen Mo-
leküls (des Resonanzhybrids) nach der Valenzbindungstheorie so, daß man die einzelnen
denkbaren mesomeren Grenzformeln als Valenzstrichformeln nach Lewis aufschreibt und
abschätzt, welche der ihnen entsprechenden mesomeren Grenzstrukturen am energieärms-
ten sind (Kriterien dafür siehe Abschnitt 3.9), denn diese kommen der realen Elektronen-
verteilung im Molekül am nächsten. Die mesomeren Grenzformeln der energieärmsten
Grenzstrukturen des Moleküls werden bei der Abschätzung der Elektronenverteilung im
Resonanzhybrid mit größter Wichtung in Erwägung gezogen, während die als energiereich
einzuschätzenden mesomeren Grenzstrukturen weniger Berücksichtigung finden. Eine gute
Vorstellung über die reale Elektronenverteilung erhält man, wenn man die Grenzformeln
vergleicht und feststellt, wo sich die Valenzstriche für die π- und p-Elektronen befinden.
Dabei geht man davon aus, daß die Elektronendichte dort größer ist, wo sich die Valenz-
striche in Grenzformeln der als relativ energiearm einzuschätzenden mesomeren Grenz-
strukturen befinden.
Das Benzol kann man mit zwei gleichwertigen mesomeren Grenzformeln (Kekulé-For-
meln) beschreiben:

Bei dieser Schreibweise schreibt man die an die C-Atome gebundenen Wasser-
stoffatome nicht auf. Die beiden mesomeren Grenzformeln lassen darauf schließen, daß die
π-Elektronen im Sechsring des Benzols gleichmäßig verteilt und demnach keine lokalisier-
ten Doppelbindungen vorhanden sind. Man spricht in diesem Falle von einem delokali-
sierten π-Elektronensystem. Diese Annahme wird durch Röntgenstrahlbeugung bestätigt,
mit Hilfe derer festgestellt wurde, daß das Benzolmolekül in einem ebenen gleichseitigen
Sechseck angeordnet ist, in dem alle C–C- Bindungslängen gleich sind und alle Bindungs-
winkel 120° betragen. Die C–C-Bindungslänge im Benzol beträgt 139,7 pm, sie liegt somit
zwischen der Bindungslänge einer C–C-Einfach- und einer C=C-Doppelbindung.
6.2 Die Valenzbindungstheorie 199

Bild 6.1
Elektronendichteverteilung im Benzol

Das nicht existierende Cyclohexa-1,3,5-trien müßte, wenn man lokalisierte π-Bindungen


annimmt, abwechselnd längere C–C-Einfach- und kürzere C=C-Doppelbindungen aufwei-
sen. Die Kekulé-Formel

kann man als Formel für das fiktive Cyclohexatrien betrachten. Häufig wird diese Formel
aber auch als Symbol für das Benzol verwendet. Der Eindeutigkeit halber schreibt man das
Benzol besser in der Form, daß man in den Sechsring einen Kreis einzeichnet:

Das Sechseck mit Kreis steht anstelle der Beschreibung des Resonanzhybrids durch die
beiden mesomeren Grenzformeln (beide Kekulé-Formeln) und der Kreis symbolisiert das de-
lokalisierte π-Elektronensystem. Diese Schreibweise wird nicht nur für das Benzol, sondern
auch in anderen aromatischen Verbindungen verwendet.

H H

C C
120°
120°

H C C H
109 pm
120°
C C
139,7 pm

H H Bild 6.2
Geometrie des Benzolmoleküls
200 6 Aromatische Verbindungen

Wie schon erwähnt, ist das Resonanzhybrid energieärmer, als alle mit der mesomeren
Grenzformel dargestellten fiktiven Verbindungen. Der Energieunterschied zwischen der
Energie des Resonanzhybrids und der berechneten Energie der mit der mesomeren Grenzfor-
mel beschriebenen energieärmsten fiktiven Verbindung wird als Resonanzenergie oder Me-
somerieenergie bezeichnet. Die Resonanzenergie ist dann besonders groß, wenn das Reso-
nanzhybrid durch strukturell völlig gleichartige Grenzformeln beschrieben werden kann, wie
dies beim Benzol durch die beiden Kekulé-Formeln der Fall ist. Quantitative Angaben über
die Resonanzenergie des Benzols erbringen Messungen der Hydrierwärmen bei den katalyti-
schen Hydrierungen des Benzols und des Cyclohexens.
Die katalytische Hydrierung von Doppelbindungen ist eine exotherme Reaktion. Bei der
Hydrierung des Cyclohexens

+ H2 ΔH = –120 kJ/mol

werden ΔH = –120 kJ/mol Hydrierwärme frei. Setzt man für das Cyclohexatrien, das der
energieärmsten mesomeren Grenzformel entspricht, 3 lokalisierte Doppelbindungen voraus,
so müßte man für diese fiktive Verbindung die dreifache Hydrierwärme des Cyclohexens
annehmen, also ΔH = 3 · (–120 kJ/mol)= –360 kJ/mol. Die gemessene Hydrierwärme für das
Benzol beträgt ΔH = –209 kJ/mol. Der Energieunterschied ΔHRes = 360 kJ/mol – 209 kJ/mol
= 151 kJ/mol ist der Betrag für die Resonanzenergie des Benzols.

Cyclohexatrien

Δ HRes = 151 kJ/mol


Potentielle Energie

Δ H = -360 kJ/mol Benzol


berechnet

Δ H = -209 kJ/mol
gemessen
Δ H = Hydrierwärme
Cyclohexan
Δ HRes = Resonanz-
energie

Bild 6.3 Schema zur Berechnung der Resonanzenergie des Benzols


6.3 Die Molekülorbitaltheorie 201

23 kJ/mol
Potentielle Energie

Δ H = -232 kJ/mol
(anstelle von -240 kJ/mol)

Δ H = -120 kJ/mol Δ H = -209 kJ/mol


(anstelle von 3 x -120 kJ/mol = -360 kJ/mol)

Bild 6.4 Vergleich von Hydrierwärmen, die beim Hydrieren von Benzol, Cyclohexa-1,3-dien und
Cyclohexen frei werden.

Das Symbol ΔH steht allgemein für die Reaktionsenthalpie. Dies ist die Wärmemenge,
die ein System während der Reaktion mit seiner Umgebung austauscht. Ist die Reaktion exo-
therm, d.h. wird während der Reaktion Wärme an die Umgebung abgegeben, so steht vor der
Energieangabe ein Minuszeichen, wogegen bei einer endothermen Reaktion (einer wärme-
verbrauchenden Reaktion) ein Pluszeichen steht.
Bei der Hydrierung von Cyclohexa-1,3-dien zu Cyclohexan wird etwas weniger Hydrier-
wärme frei als der doppelten Hydrierwärme des Cyclohexens entsprechen würde. Dies ist
darauf zurückzuführen, daß das konjugierte Dien resonanzstabilisert ist. Die relativ niedrige
Hydrierwärme, die bei der Addition von Wasserstoff am Benzol frei wird, ist darauf zurück-
zuführen, daß das Benzol infolge seines optimal delokalisierten π-Elektronensystems eine
stabile, energiearme Verbindung darstellt. Die Hydrierwärme des Benzols ist deshalb sogar
noch um 23 kJ/mol niedriger als die des Cyclohexa-1,3-diens. Da chemische Systeme im
allgemeinen das Bestreben haben, vom energiereicheren in den energieärmeren Zustand
überzugehen, ist es verständlich, daß Cyclohexa-1,3-dien leicht zum Benzol dehydriert wer-
den kann.

6.3 Die Molekülorbitaltheorie


Die Molekülorbitaltheorie basiert auf der Vorstellung, daß bei der Bildung kovalenter Bin-
dungen aus Atomorbitalen Molekülorbitale entstehen. Der Bereich der Molekülorbitale muß
sich nicht auf zwei Atome beschränken, er kann auch mehrere Atome einschließen. Die für
die Berechnung der Molekülorbitale häufig angewendete Näherungsmethode, die LCAO-
Methode (linear combination of atomic orbitals), geht von der Annahme aus, daß die die
202 6 Aromatische Verbindungen

Molekülorbitale beschreibende Wellenfunktion Ψ durch lineare Kombination der an der Bin-


dung beteiligten Atomorbitale ϕ1, ϕ2, ϕ3 … ϕn ermittelt werden kann:
Ψ = c1ϕ1 + c2ϕ 2 +…+ cnϕ n ,

wobei c1, c2 ... cn Verteilungskoeffizienten darstellen. Zu den Voraussetzungen für Berech-


nungen nach der LCAO-Methode gehört, daß die Atomorbitale von vergleichbarer Energie
sein müssen, zum größten Teil überlappen können und entlang der Bindungsachse gleiche
Symmetrieeigenschaften aufweisen müssen. Aus den an den kovalenten Bindungen beteilig-
ten Atomorbitalen resultieren gleichviele Molekülorbitale. Diese können sich in ihrem Ener-
giegehalt unterscheiden. Je mehr Knotenebenen in einem Molekülorbital vorhanden sind,
desto energiereicher ist es. Energiegleiche Molekülorbitale bezeichnet man als entartet. Es
gibt die Bindung festigende bindende Molekülorbitale, die energieärmer als die sie konstitu-
ierenden Atomorbitale sind, und die Bindung lockernde antibindende Molekülorbitale, die
energiereicher als diese Atomorbitale sind. Die bindenden und antibindenden Molekülorbita-
le weisen bezüglich der Bindungsachse eine Symmetrie auf. Molekülorbitale, die an einer
Bindung nicht beteiligt sind, bezeichnet man als nichtbindende Molekülorbitale. Nichtbin-
dende Molekülorbitale sind in der Regel mit freien, an einer Bindung nicht beteiligten Elek-
tronenpaaren besetzt. Die Besetzung der bindenden und antibindenden Molekülorbitale mit
Elektronen geschieht nach der Regel, daß ein Molekülorbital nur mit je 2 Elektronen besetzt
werden kann, wobei sich diese in ihrer Spinquantenzahl unterscheiden müssen (Pauli-
Prinzip) und zunächst das energieärmste Molekülorbital doppelt zu besetzen ist, bevor ein
energiereicheres Orbital mit Elektronen besetzt werden kann. Bei der Besetzung energie-
gleicher (entarteter) Orbitale werden alle energiegleichen Orbitale zunächst einfach (mit
parallelem Spin) und erst dann doppelt besetzt (Hundsche Regel).
Als Beispiel, das diese Theorie etwas konkretisiert, soll die Bindung im Wasserstoff-
molekül erörtert werden. Die s-Orbitale der beiden Wasserstoffatome ϕ1 und ϕ2 ergeben bei
der Linearkombination ϕ1 + ϕ2 ein bindendes σ-Orbital, während ϕ1 – ϕ2 ein antibindendes
σ*-Orbital erbringt.
Das bindende σ-Orbital hat zwischen den Protonen (= Wasserstoffkerne) eine hohe Elek-
tronendichte, die den Zusammenhalt beider Kerne im Wasserstoffmolekül bewirkt.

Bild 6.5 Die beiden Molekülorbitale der Wasserstoffbindung


6.3 Die Molekülorbitaltheorie 203

Das antibindende σ*-Orbital hat zwei Orbitallappen mit entgegengesetzter Phase. Die
Phasen werden farblich mit hell und dunkel symbolisiert. Bei Überlagerung zweier Wellen
mit entgegengesetzten Schwingungsphasen werden die Schwingungsamplituden kleiner, oder
können sogar gleich null sein. Im σ*-Orbital ist die Elektronendichte zwischen den Kernen
gering, sie ist in der zwischen den Kernen befindlichen Knotenebene sogar gleich Null.
In den Molekularorbitalen des Wasserstoffmoleküls werden, da insgesamt 2 Elektronen
zur Verfügung stehen (jedes der beiden Wasserstoffatome bringt ein Valenzelektron für die
Bindung ein) nur das σ-Orbital besetzt, das energiereichere σ*-Orbital bleibt unbesetzt.
Infolge der hohen Elektronendichte zwischen den Kernen im σ-Orbital ist die Wasserstoff-
bindung stark und das Wasserstoffmolekül stabil.

σ∗− Orbital
(Antibindend)

s-Orbital s-Orbital
pot. Energie

σ− Orbital
(bindend)

Bild 6.6 Energiediagramm zur Besetzung der Molekülorbitale des Wasserstoffmoleküls

Die Linear-Kombination der p-Orbitale im Ethen ergibt gleichfalls zwei Molekülorbitale,


da sich die an der Bindungsbildung beteiligten zwei p-Orbitale auf zweierlei Weise mitei-
nander kombinieren lassen. Die Überlappung zweier p-Atomorbitale in der Kombination
ϕ1 + ϕ2 – mit den Orbitallappen beider Atome in gleicher Phase – führt zum π-Orbital, mit
einem Orbitallappen über und dem anderen unter den beiden Atomkernen der Bindungs-
partner. Die Knotenebene geht zwischen den beiden Orbitallappen des π-Orbitals durch die
beiden Atomkerne (siehe Bild 6.7). Im bindenden Molekülorbital halten sich die Elektronen
bevorzugt zwischen den Atomkernen auf, so daß durch die Wechselwirkung zwischen nega-
tiven Elektronen und positiven Kernen der Zusammenhalt der Atome in Form einer π-
Bindung gewährleistet wird.

Bild 6.7 Überlappung zweier p-Orbitale zum π-Orbital


204 6 Aromatische Verbindungen

In der Kombination φ1 – φ2 resultiert das antibindende π*-Orbital, das eine weitere Kno-
tenebene besitzt, die senkrecht auf der C-C-σ-Bindung des Ethens steht. In dieser Knoten-
ebene ist die Elektronendichte zwischen den Kohlenstoffkernen gleich null und die Ab-
stoßungskräfte der positiv geladenen Kohlenstoffrümpfe machen sich stark bemerkbar.

Bild 6.8 Antibindendes π∗-Orbital

Das bindende π-Orbital ist energieärmer als das antibindende π*-Orbital. Deshalb wird
im Ethen mit den zwei zur Verfügung stehenden π-Elektronen das π-Orbital besetzt, das
π*-Orbital bleibt unbesetzt.

Bild 6.9 Lineare Kombination der p-Orbitale im Ethen und die Besetzung der aus ihr resultierende
Molekülorbitale mit π-Elektronen

Im 1,3-Butadien gehen wir von der Vorstellung aus, daß vier p-Orbitale unter Bildung
von vier Molekülorbitalen in Wechselwirkung treten. Jede dieser Wellenfunktionen der Mo-
lekülorbitale des 1,3-Butadiens entspricht einer Gleichung vom Typ:

Ψ= c1φ1 + c2φ2 + c3φ3 + c4φ4.

Jedes Molekülorbital hat eines der beiden Symmetrieelemente: entweder eine Symmet-
rieebene m, die das Molekülorbital in zwei spiegelbildliche Hälften teilt, oder eine zweizäh-
lige Symmetrieachse C2. Die zweizählige Symmetrieachse C2 bringt das Molekülorbital bei
6.3 Die Molekülorbitaltheorie 205

einer Umdrehung von 180° zur Identität. Veranschaulicht wird dies am Beispiel des
ψ2-Molekülorbitals und des ψ3*-Molekülorbitals des s-cis-1,3-Butadiens in Abb. 6.10.

Symmetrie- Zweizählige
ebene m Symmetrieachse C 2

C2

Die Symmetrie- Nach Drehung der


ebene teilt das zweizähligen Symmetrie-
ψ3∗-Molekülorbital achse um 180° erscheint
des 1,3-Butadiens in das ψ2 -Molekülorbital
zwei spiegelbildliche des 1,3-Butadiens in
Hälften identischer Form

Bild 6.10 Symmetrieebene im ψ3*-Molekülorbital des s-cis-1,3-Butadiens und die zweizählige Sym-
metrieachse C2 im ψ2-Molekülorbital des s-cis-Butadiens

Im energieärmsten Molekülorbital des 1,3-Butadiens, dem ψ1-Molekülorbital sind alle


Koeffizienten c1, c2, c3 und c4 der Wellenfunktion positiv. Alle benachbarten Orbitale stehen
zueinander in gleicher Phase und können überlappen, die Bindungskräfte erreichen ihren
höchsten Wert.
Allgemein gilt, je mehr Knotenebenen, desto höher das Energieniveau eines Molekül-
orbitals. Das Molekülorbital ψ2 im nächst höheren Energieniveau hat zwischen dem 2. und
3. C-Atom eine Knotenebene. Die Koeffizienten c1 und c2 haben ein positives und c3 und c4
ein negatives Vorzeichen. Im Molekülorbital ψ2 besteht zwischen den 1. und 2. C-Atom und
dem 3. und 4. C-Atom eine bindende Wechselwirkung und eine antibindende Wechselwir-
kung zwischen dem 2. und 3. C-Atom.
Im Molekülorbital ψ3* haben die Koeffizienten c1 und c4 ein positives und c2 und c3 ein
negatives Vorzeichen. In diesem Molekülorbital liegen 2 Knotenebenen vor. Sie befinden
sich zwischen dem 1. und 2. C-Atom und zwischen dem 3. und 4. C-Atom. Eine bindende
Wechselwirkung besteht zwischen dem 2. und 3. C-Atom.
Das ψ4*-Atomorbital hat drei Knotenebenen und ist im 1,3-Butadien das energiereichste
Molekülorbital. Die Koeffizienten c1 und c3 haben ein positives, c2 und c4 ein negatives Vor-
zeichen. Es bestehen in diesem Molekülorbital keine bindenden Wechselwirkungen.
Die Elektronendichte ist in den Molekülorbitalen nicht gleichmäßig verteilt. In Abb. 6.11
wird sie durch Größe der p-Orbitale veranschaulicht. Eine hohe Elektronendichte in der
Mitte des Molekülorbitals ist bei ψ1 festzustellen, bei ψ2 ist sie höher an den Kettenenden.
Bei einer geraden Anzahl n von Molekülorbitalen ist jeweils die Hälfte der Molekülorbi-
tale n/2, bindend, die andere, energiereichere Hälfte antibindend.
206 6 Aromatische Verbindungen

Bild 6.11 Linearkombination der p-Orbitale im 1,3-Butadien und die Besetzung der Molekülorbitale
mit π-Elektronen

Im konjugierten System des Butadiens liegen 4 π-Elektronen vor Das Molekülorbital ψ1,
ebenso wie das Molekülorbital ψ2 werden doppelt besetzt. Bei der Besetzung von Orbitalen
gilt die Regel, daβ zunächst das energieärmere Orbital doppelt besetzt wird, ehe die Beset-
zung des nächst energiereicheren Orbitals erfolgt. Bei Besetzung energiegleicher Orbitale
werden diese erst einfach besetzt und erst, wenn alle einfach besetzt sind, erfolgt die Dop-
pelbesetzung (Hundsche Regel). Das höchste mit Elektronen besetzte Orbital (engl. highest
occupied molecular orbital, abgekürzt HOMO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (engl.:
lowest unoccupied molecular orbital) werden als Grenzorbitale bezeichnet. Sie spielen eine
Rolle bei pericyclischen Reaktionen (siehe Kapitel 3.10.4 und 3.10.5).
Im Allylsystem treten drei p-Orbitale miteinander in Wechselwirkung und bilden drei
Molekülorbitale. Jede Wellenfunktion der Molekülorbitale dieses Systems entspricht der
Gleichung ψ = c1φ1 + c2φ2 + c3φ3.
Bei ungerader Anzahl der p-Orbitale gibt es (n–1)/2 bindende Molekülorbitale, ebenso
viel antibindende Molekülorbitale und ein nichtbindendes Molekülorbital.
Im bindenden Molekülorbital ψ1, das das energieärmste Orbitalmolekül des Allylsystems
ist, haben alle 3 Koeffizienten c1, c2 und c3 ein positives Vorzeichen. Alle 3 p-Orbitale ste-
hen in gleicher Phase zueinander und können überlappen, zwischen den C-Atomen besteht
eine bindende Wechselwirkung.
Im Molekülorbital ψ2, das als nichtbindend bezeichnet wird, liegt eine Knotenebene vor,
die durch das 2. C-Atom hindurchgeht, so dass dort der Koeffizient gleich null ist. Die p-Or-
bitale am 1. und 3. C-Atom haben entgegen gesetzte Vorzeichen, sie sind aber voneinander
6.3 Die Molekülorbitaltheorie 207

entfernt, so dass sich Abstoβungskräfte nicht bemerkbar machen. Dieses Molekülorbital ist
weder bindend, noch antibindend, es ist ein nicht-bindendes Molekülorbital (engl. non-bon-
ding molecular orbital, abgekürzt NBMO). ψ2 hat das gleiche Energieniveau wie das p Orbital.
Im antibindenden Molekülorbital ψ3* des Allylsystems ist der Koeffizient am 1. C-Atom
positiv, am 2. C-Atom negativ und am 3. C-Atom positiv. Das Molekülorbital hat zwei Kno-
tenebenen. Die eine befindet sich zwischen dem 1. und 2. C-Atom, die andere zwischen dem
2. und 3. C-Atom.
Im Allylkation stehen nur zwei π-Elektronen für die Besetzung der Molekülorbitale zur
Verfügung und es wird das ψ1-Molekülorbital besetzt. In diesem Fall ist das ψ1-Molekül-
orbital das HOMO und das Ψ2-Molekülorbital das LUMO.
Im Allylradikal stehen zur Besetzung der Molekülorbitale drei Elektronen zur Verfügung.
Das ψ1-Molekülorbital wird doppelt und das ψ2-Molekülorbital einfach besetzt.
Das ψ2-Molekülorbital ist das SOMO und das ψ3*-Molekülorbital das LUMO. Mit der
Bezeichnung SOMO (singly occupied molecular orbital) wird das einfach besetzte Molekül-
orbital benannt, das auch das Grenzorbital des Radikals ist.
Im Allylanion sind die Molekülorbitale mit 4 Elektronen zu besetzen. Die Molekülorbi-
tale ψ1 und ψ2 werden doppelt besetzt. Das ψ2-Molekülorbital ist das HOMO, das ψ3*-Orbi-
tal das LUMO.

Bild 6.12 Linearkombination der p-Orbitale des Allylsystems und die Besetzung der Molekülorbitale
mit Elektronen.

Im Benzol sind alle C-Atome sp2-hybridisiert. Jedes C-Atom des 6-Ringes hat ein p-Or-
bital. Diese sechs p-Orbitale lassen sich unter Berücksichtigung der Symmetrie des Benzols
(sechszählige Hauptachse des Moleküls) auf sechsfache Weise kombinieren, so daß sechs
Molekülorbitale entstehen. In Bild 6.13 sind die die Molekülorbitale durch Überlappung
bildenden p-Orbitale mit der entsprechenden Phasenkennzeichnung (dunkel bzw. hell) und
den senkrecht auf den Sechsring stehenden Knotenebenen dargestellt. Mit zunehmender
Anzahl der Knotenebenen ist das Molekülorbital energiereicher.
208 6 Aromatische Verbindungen

Mit π-Elektronen besetzt sind im Benzol nur die bindenden Molekülorbitale ψ1, ψ2 und
ψ3. Die antibindenden Molekülorbitale sind unbesetzt.

Bild 6.13 Linearkombination der p-Orbitale im Benzol und Besetzung der Molekülorbitale mit π-
Elektronen

Das energieärmste Molekülorbital des Benzols ist das Molekülorbital ψ1. Es entsteht
durch Überlappung der p-Orbitallappen, die sich in Relation zueinander alle in gleicher Pha-
se befinden, so daß sich das Molekülorbital über den ganzen Sechsring erstreckt. Es hat ei-
nen ringförmigen Orbitallappen über und einen mit entgegengesetzter Phase unter dem
Sechsring. Die Knotenebene des Molekülorbitals geht durch die in einer Ebene liegenden C-
Atome des Sechsringes

Bild 6.14 Energieärmstes Molekülorbital des Benzols

Etwas energiereicher als das Molekülorbital ψ1 sind die beiden energiegleichen Orbitale
ψ2 und ψ3. Beide Molekülorbitale haben außer der durch den ebenen Ring gehenden Knoten-
ebene noch eine weitere, senkrecht auf dem Sechsring stehende Knotenebene.
6.3 Die Molekülorbitaltheorie 209

Beim Molekülorbital ψ2 überlappen nur je zwei und zwei in gleicher Phase befindliche
p-Orbitale. Eine auf dem Benzolring senkrecht stehende Knotenebene geht durch zwei ge-
genüberliegende Kohlenstoffatome des Sechsringes.

Senkrecht auf dem Sechsring stehende


Knotenebene, durch 2 gegenüberliegende
Kohlenstoffatome des Benmzolrings gehend

Das ψ2-Molekülorbital des Benzols

Bild 6.15 ψ2-Molekülorbital des Benzols

Das bindende Molekülorbital ψ3 hat zwei π-Orbitale, welche durch Überlappen von je 3
in gleicher Phase befindlichen p-Orbitalen zustande kommen. Die senkrechte Knotenebene
geht durch zwei gegenüberliegende C–C-Einfachbindungen.

C C
C C

Senkrecht auf den Bezolring stehende


Knotenebene, durch gegenüberliegende Das ψ3 -Molekülorbital des Benzols
Bindungen gehend

Bild 6.16 ψ3-Molekülorbital des Benzols

Die energiegleichen Molekülorbitale ψ2 und ψ3 sind die energiereichsten mit π-Elektro-


nen besetzten Molekülorbitale des Benzols (HOMO). Die energiegleichen Molekülorbitale
ψ4* und ψ5* sind die energieärmsten unbesetzten Molekülorbitale des Benzols (LUMO).
Bei Zuführung von Energie können π-Elektronen von HOMO in einen energiereicheren
Zustand nach LUMO angehoben werden. Je kleiner die Unterschiede in den Energieniveaus
von HOMO und LUMO sind, um so leichter läßt sich das betreffende Molekül anregen.
Eine Gesamtbetrachtung der mit π-Elektronen besetzten bindenden Molekülorbitale ψ1, ψ2
und ψ3 des Benzols ergibt, daß die π-Elektronen auf den ganzen Sechsring delokalisiert sind.
210 6 Aromatische Verbindungen

6.3.1 Pericyclische Reaktionen

Als pericyclisch werden solche chemischen Reaktionen bezeichnet, die ohne Zwischenstufen
über einen cyclischen Übergangszustand verlaufen, wobei eine gleichzeitige Umordnung
mehrerer Elektronen erfolgt, die neue Bindungsverhältnisse zur Folge hat. Während dem
gesamten Reaktionsverlauf bleibt eine bindende Wechselwirkung der Reaktanten bestehen.
Der Verlauf der Reaktion entspricht dem Symmetrieerhalt der beteiligten Orbitale, was eine
Vorhersage über Stereospezifität und Regioselektivität ermöglicht.

Zu den pericyclischen Reaktionen zählen:

elektrocyclische Reaktionen,
Cycloadditionen und Cycloreversionen,
cheletrope Reaktionen
und sigmatrope Umlagerungen.

6.3.1.1 Elektrocyclische Reaktionen


Unter dem Begriff elektrocyclische Reaktionen versteht man die Cyclisierung durch Bildung
einer σ-Bindung an den Enden eines durchgehenden konjugierten π-Systems und auch die
Umkehrung dieser Reaktion, die zu einer Ringöffnung führt. Die Reaktion kann sowohl
thermisch (durch Erhitzen) als auch photochemisch (durch Bestrahlung) erfolgen. Der Ver-
lauf der Reaktion wird bestimmt durch die Symmetrieeigenschaften des höchstbesetzten
Molekülorbitals (HOMO), denn in ihm befinden sich die an der Reaktion beteiligten Bin-
dungselektronen.

Thermische elektrocyclische Reaktionen


Betrachten wir beispielsweise die thermische elektrocyclische Reaktion des trans,trans-
Hexa-2,4-diens: Das bei der Reaktion beteiligte konjugierte π-System ist das des Buta-1,3-
diens. Das Molekülorbital ψ2 des Buta-1,3-diens ist das HOMO, dessen Geometrie den wei-
teren räumlichen Verlauf der Reaktion bestimmt. Die endständigen p-Orbitale des ψ2-
Molekülorbitals des trans,trans-Hexa-2,4-diens müssen, damit die Orbitallappen gleicher
Phase zur Bildung der neuen σ-Bindung überlappen können, beide eine gleichsinnige Dre-
hung erfahren: entweder im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn. Diese Drehung
beider C-Atome im gleichen Drehsinne wird als conrotatorisch bezeichnet. Die conrotatori-
sche Drehung entspricht der Symmetrie einer zweizähligen Symmetrieachse und sie steht
im Einklang mit der Symmetrie des ψ2-Molekülorbitals des trans,trans-Hexa-2,4-diens. Die
conrotatorische Drehung ist auch in Übereinstimmung mit der von Woodward und Hoff-
mann aufgestellten Regel, daß die pericyclischen Reaktionen unter Erhalt der Orbitalsym-
metrie verlaufen.
6.3 Die Molekülorbitaltheorie 211

Die conrotatorische Drehung der endständigen p-Orbitale bewirkt nicht nur das Entstehen
einer neuen σ-Bindung, die den Ringschluß vollzieht, die Drehung wird auch auf die beiden
Methylgruppen übertragen, so daß es zur Bildung des trans-3,4-Dimethylcyclobutens kommt.

Als Beispiel eines thermischen elektrocyclischen Ringschlusses einer Verbindung mit


drei konjugierten Doppelbindungen kann das trans,cis,trans-2,4,6-Octatrien dienen. Die
Symmetrie des 6-π-Elektronensystems ist im ψ3-Molekülorbital durch eine Symmetrieebene
gegeben. Die Cyclisierung erfolgt demnach disrotatorisch, das heißt, die Drehung beider C-
Atome erfolgt im entgegengesetzten Drehsinn.

Die disrotatorische Drehung bringt die beiden Methylgruppen bei Ringschluß in cis-
Stellung zueinander.
212 6 Aromatische Verbindungen

Photochemische elektrocyclische Reaktionen

Nehmen wir nun wiederum das trans,trans-Hexa-2,4-dien als Beispiel, nur betrachten wir
diesmal seine Cyclisierung bei der photochemischen elektrocyclischen Reaktion. Durch die
Bestrahlung wird ein Elektron im konjugierten π-System des Buta-1,3-diens in das Molekül-
orbital ψ3 angehoben, das nun das höchstbesetzte Molekülorbital ist, Die Symmetrieeigen-
schaften dieses Molekülorbitals bestimmen dann den weiteren Verlauf der Reaktion. Die
endständigen p-Orbitale müssen, damit die Orbitallappen gleicher Phase zur Bildung der σ-
Bindung überlappen können, eine Drehung im entgegengesetzten Drehsinn vollführen. Die
Drehung im entgegengesetzten Drehsinn wird als disrotatorisch bezeichnet. Sie entspricht
der Symmetrie des ψ3-Molekülorbitals, die durch eine Symmetrieebene gegeben ist. Dies
steht auch mit der der Woodward-Hoffmann-Regel im Einklang, daß die Reaktion unter
Erhaltung der Orbitalsymmetrie verlaufen muß.

Die disrotatorische Drehung der endständigen C-Atome bringt auch die beiden Methyl-
gruppen bei Ringschluß zueinander in cis-Stellung.

Thermische elektrocyclische Ringschlüsse mit Beteiligung von 4n π-Elektronen verlau-


fen conrotatorisch und mit (4n + 2) π-Elektronen disrotatorisch. Bei photochemischen elekt-
rocyclischen Reaktionen ist dies gerade umgekehrt der Fall.
6.3 Die Molekülorbitaltheorie 213

6.3.1.2 Cycloadditionen und Cycloreversionen

Unter Cycloaddition versteht man eine Reaktion, bei der ein π-Elektronensystem der einen
Verbindung mit dem π-Elektronensystem einer anderen Verbindung in Wechselwirkung
tritt, wobei unter Umordnung der π-Elektronen und Ausbildung zweier σ-Bindungen eine
cyclische Verbindung entsteht. Die Reaktion in umgekehrter Richtung, die zu den Edukten
der Cycloaddition zurückführt, wird als Cycloreversion bezeichnet. Bei der Cycloaddition
sind an der Ausbildung der σ-Bindung zwei π-Elektronen der einen Verbindung im HOMO
beteiligt. Da die entstehende σ-Bindung mit nur zwei Elektronen besetzt werden kann, muß
ein mit Elektronen unbesetztes Molekülorbital der anderen Verbindung an der Reaktion
teilhaben. Die Energiedifferenz zwischen dem HOMO der einen Verbindung und dem mit
Elektronen unbesetzten Molekülorbital der anderen Verbindung muß außerdem möglichst
klein sein, so daß nur das LUMO in Frage kommt, das zum HOMO der anderen Verbin-
dung einen möglichst kleinen Unterschied der Energieniveaus aufweist. An der Reaktion
beteiligt sind also die Grenzorbitale: das LUMO der einen und das HOMO der anderen
Verbindung. Die terminalen Orbitallappen im HOMO der einen und im LUMO der anderen
miteinander reagierenden Verbindungen müssen in gleicher Phase sein („in phase“), um
überlappen zu können.

Die Diels-Alder-Reaktion

Die bekannteste und wohl am meisten angewendete Cycloadditionsreaktion ist die Diels-
Alder-Reaktion. Sie spielt bei der Synthese von Naturstoffen z. B. von Steroiden mit der
Möglichkeit einer Einführung von Sechsringen eine Rolle. Die Diels-Alder-Reaktion ist eine
[4+2]-Cycloaddition. Dies bedeutet, daß sich an der Reaktion 4π-Elektronen des einen und
2π-Elektronen des anderen Reaktionspartners beteiligen.

Ein einfaches Beispiel einer Diels-Alder-Reaktion ist die Reaktion des 1,3-Butadiens mit
Ethen.

Faciale Selektivität
In beiden Fällen kommt es zu einer Überlappung, wenn sich der Reaktionspartner aus einer
Seite nähert. Diesen Vorgang bezeichnet man als suprafacial. Das Alken, das mit dem Dien
214 6 Aromatische Verbindungen

reagiert, bezeichnet man als Dienophil. Bei der Diels-Alder-Reaktion können die gleichna-
migen Orbitallappen beider Molekülorbitale bei suprafacialer Näherung überlappen, ohne
daß eine Drehung der p-Orbitale notwendig gewesen wäre. Die Folge ist eine faciale Selekti-
vität. Stehen zwei Substituenten des Dienophils z. B. zueinander in trans-Stellung, werden
sie auch nach Ringschluß wieder in trans-Stellung zueinander sein. Auch die relative Stel-
lung der Substituenten an der Dienkomponente bleibt unverändert.

Wechselwirkung zwischen Grenzorbitalpaaren

Bild 6.17 zeigt die Energieunterschiede zwischen zwei Grenzorbitalpaaren des 1,3-
Butadiens mit unterschiedlichen Dienophilen: mit einem Dienophil mit einem elektronen-
ziehenden Substituenten, mit Ethen als Dienophil und mit einem Dienophil mit elektronen-
spendenden Substituenten. Ist die Elektronenlücke kleiner, ist für den Reaktionsablauf ein
kleinerer Energieaufwand notwendig, die Reaktion erfolgt schneller. Es wird also die
Wechselwirkung zwischen den Grenzorbitalpaaren mit der kleineren Energielücke aus-
schlaggebend sein. Bei der Reaktion des 1,3-Butadiens mit einem elektronenspendenden
Substituenten sind es das HOMO des Dienophils und das LUMO des 1,3-Butadiens die
den kleinsten Energieunterschied aufweisen und bei der Reaktion des 1,3-Butadiens mit
dem Dienophil mit einem elektronenziehenden Substituenten ist für die Reaktion das
HOMO des 1,3-Butadiens und das LUMO des Dienophils bestimmend. Eine Betrachtung
von Bild 6.14 bietet auch die Erklärung dessen, warum die Reaktion des 1,3-Butadiens mit
einem substituierten Dienophil besser und schneller verläuft als mit Ethen. Die Diels-
Alder-Reaktion erfolgt am schnellsten mit einem Dien mit elektronenspendem Substituen-
ten und einem Dienophil mit elektronenziehendem Substituenten. Elektronenspendende
Substituenten (ERG = electron releasing group) können Substituenten mit +I –Effekt oder
π-Donoren sein, z.B. die Gruppen –OR, –SR oder –OSi(CH3)3, elektronenziehende Substi-
tuenten (EWG = electron withdrawing group) sind solche mit –I-Effekt oder π-Akzeptoren,
z. B. –COOR, –NO2, oder –CN.
6.3 Die Molekülorbitaltheorie 215

Bild 6.17 – Energieunterschiede zwischen Grenzorbitalpaaren

exo/endo-Selektivität
Bei der Diels-Alder-Reaktion des 1,3-Cyclopentadiens mit Maleinsäureanhydrid sind zwei
mögliche Produkte denkbar. Das endo- und das exo-Produkt. Es entsteht bevorzugt das endo-
Produkt.
216 6 Aromatische Verbindungen

Die bevorzugte Bildung des endo-Produkts erklärt man damit, daß es bei der Näherung
der beiden Moleküle nicht nur zu einer Wechselwirkung zwischen den endständigen p-
Orbitalen im HOMO des 1,3-Cyclopentadiens (1 und 4) und den p-Orbitalen im LUMO des
Maleinsäureanhydrids in Stellung 2 und 3 kommt, sondern auch zu einer Wechselwirkung
der beiden p-Orbitale der Carbonylkohlenstoffe im LUMO des Maleinsäureanhydrids (1 und
4) mit den p-Orbitalen 2 und 3 im HOMO des 1,3-Cyclopentadiens. Diese Wechselwirkun-
gen bewirken eine endo-Orientierung.

Regioselektivität der Diels-Alder-Reaktion


Die Diels-Alder-Reaktionen erfolgen regioselektiv. Hat das Dien am endständigen Kohlen-
stoffatom einen Substituenten –X gebunden und reagiert mit einem Dienophil, das einen
Substituenten –Y bindet, so befinden sich –X in Stellung 3 und –Y in Stellung 4 des Cyclo-
hexenringes. Nur wenn sowohl –X als auch –Y elektronenspendende Gruppen sind, erfolgt
die Addition in Stellung 3 und 5.

Reagiert ein in Stellung 2 mit –X substituiertes Dien mit einem Dienophil mit Substituenten
–Y, so befinden sich –X nach der Diels-Alder-Reaktion in Stellung 2 und –Y in Stellung 5
am Cyclohexenring des Reaktionsprodukts. Eine Ausnahme dieser Regel liegt dann vor,
wenn sowohl –X als auch –Y elektronenspendende Substituenten sind, dann befinden sich –
X in Stellung 2 und –Y in Stellung 4 am Cyclohexenring des Produkts.
6.3 Die Molekülorbitaltheorie 217

Regeln für die Cycloaddition


Symmetrieerlaubt im Sinne der Woodward-Hoffmann-Regeln sind thermische Cycloadditio-
nen in denen die Anzahl der π-Elektronen beider Komponenten der Summe [4nπ + 2π] ent-
spricht, wenn bei suprafacialer Näherung beider Komponenten eine Überlappung beider
Grenzorbitale erfolgen kann. Beispiele sind die thermische Addition des Butadiens an Hexa-
trien, eine [6πs + 4πs]-Cycloaddition (s = supra) und die Addition des Ethens an Octatetraen,
eine [8πs + 2πs]-Cycloaddition:

6.3.1.3 Cheletrope Reaktionen


Bei cheletropen Reationen werden zwei Atome der einen Verbindung an ein einziges Atom
der anderen Verbindung geknüpft . Ein Beispiel für eine cheletrope Reaktion ist die Reak-
tion des Carbens im Singulett-Zustand mit einem Alken (siehe auch Abschnitt 5.8.1), wo-
bei ein Cyclopropanring gebildet wird. Die Reaktion verläuft stereospezifisch, was auf eine
konzertierte Reaktion hinweist: cis-Substituenten am Alken sind auch am Cyclopropanring
cis-ständig und trans-Substituenten des Alkens befinden sich auch wieder im Cyclopropan-
ring in trans-Stellung zueinenander.
218 6 Aromatische Verbindungen

Den Vorgang beschreiben Skell und Cholod folgendermaßen: Die Addition des Singlett-
Carbens erfolgt in einem einzigen Schritt. Das unbesetzte p-Orbital des Singlett-Carbens greift
das Alken längs der σ-Achse unter Bildung eines Ladungstransfers an. Der Übergangszustand,
der aus einem elektronenarmen Alken und einem elektronenreichen Carbenanteil besteht, ist
polarisiert und schrumpft durch Verdrehung der CH2-Gruppe zusammen, wobei der Cyclopro-
panring entsteht.

6.3.1.4 Sigmatrope Umlagerungen

Die sigmatrope Umlagerung ist eine Reaktion, in der eine konzertierte Reorganisation von
Elektronen stattfindet, in deren Verlauf ein σ-gebundener Substituent, der sich am zum π-
Elektronensystem benachbarten Kohlenstoffatom befindet, an das andere Ende des π-
Elektronensystems wandert. Die Reaktion wird durch Angabe der Ordnung [i,j] gekenn-
zeichnet, wobei i für die Anzahl der wandernden Atome und j für die Anzahl der Atome im
π-System steht. Bleibt die wandernde Gruppe während des gesamten Prozesses der Wande-
rung auf derselben Seite des π-Systems, so bezeichnet man die Umlagerung als suprafacial,
wechselt sie auf die andere Seite, so bezeichnet man den Verlauf als antarafacial. Man geht
von der Vorstellung aus, daß die σ-Bindung des Substituenten homolytisch gespalten wird
und daß der Übergangszustand durch Überlappung des HOMO der wandernden Gruppe mit
dem HOMO des π-Systems zustande kommt. Ein einfaches Beispiel einer sigmatropen Um-
lagerung ist die [1,j]-Wasserstoffverschiebung:

Ist die wandernde Gruppe ein Alkylrest, so ist zu unterscheiden, ob im Übergangszustand


nur ein p-Orbitallappen oder beide p-Obitallappen des Alkylrestes an der Wechselwirkung
beteiligt sind. Ist nur ein p-Orbitallappen beteiligt, bleibt die ursprüngliche Konfiguration am
Alkylrest erhalten (Retention), sind beide p-Orbitallappen involviert, erfolgt am Alkylrest
eine Inversion.
6.3 Die Molekülorbitaltheorie 219

Für thermische sigmatrope Verschiebungen der Ordnung [1,j] gilt die Regel:
Ist die Gesamtzahl der an der Verschiebung teilnehmenden Elektronen (die π-Elektronen
und die zwei Elektronen der σ-Bindung) 4n, so sind die Verschiebungen suprafacial mit
Inversion und antarafacial mit Retention und für (4n + 2) die Umlagerungen suprafacial mit
Retention und antarafacial mit Inversion erlaubt.

[3,3]-sigmatrope Umlagerungen

Zu den [3,3]-sigmatropen Umlagerungen zählen so bedeutende Reaktionen wie die Cope-


Umlagerung, die aliphatische Claisen-Umlagerung, die Claisen-Umlagerung (siehe auch
Abschnitt 3.10.5 und 12.4.3) und die Oxy-Cope-Umlagerung.

R R Keto-Enol-
O O OH
O O Tautomerie

Cope Umlagerung Claisen-Umlagerung Claisen-Umlagerung


am Beispiel des von Allylvinylether des Allylphenylethers
3-Alkyl-1,5-hexadiens (aliphatische Claisen-
Umlagerung)

Keto-Enol-
HO HO O
Tautomerie

Oxy-Cope-Umlagerung
220 6 Aromatische Verbindungen

Man kann bei der Cope-Umlagerung von der Vorstellung ausgehen, daß im Edukt und im
Produkt der Cope-Umlagerung zwei Allylfragmente durch eine σ-Bindung verbunden sind.
In einer konzertierten Reaktion wird bevorzugt ein sesselförmiger Übergangszustand er-
reicht, wobei die stereochemischen Verhältnisse erhalten bleiben. Der Übergangszustand
wird im Formelbild als Wechselwirkung zweier Allylfragmente im HOMO = ψ2 dargestellt:

6.4 Nomenklatur der Benzolderivate


Bei monosubstituierten Benzolderivaten wird zunächst der Substituent genannt und dann das
Wort Benzol hinzugefügt, z.B.

NO2 Br CH2CH3 CH2CH2CH3

Nitrobenzol Brombenzol Ethylbenzol Propylbenzol

Bei Vorliegen mehrerer Substituenten ist eine Stellungsisomerie möglich, und deshalb ist
es notwendig, die Stellung der Substituenten im Benzolring anzugeben. Die Durchnumerie-
rung des Benzolringes erfolgt so, daß die Substituenten die niedrigste Zahl erhalten. Die
Substituenten werden in alphabetischer Reihenfolge genannt, z.B.

Br Cl
1 1
Cl NO2
6 6
2 2
5 3
5 3
4 CH3CH2 4 CH2CH2CH3

NO2

1-Brom-2-chlor- 1-Chlor-5-ethyl-2-
4-nitrobenzol nitro-3-propylbenzol

Vielfach wird für die Stellenangabe zweier Substituenten im Benzol anstelle von 1,2- die
Bezeichnung ortho-, abgekürzt o-, für die Stellung 1,3 meta-, abgekürzt m-, und für die Stel-
lung 1,4- para-, abgekürzt p-, angegeben, z.B.
6.4 Nomenklatur der Benzolderivate 221

Cl O2N NO2 CH3CH2

NO2 CH2CH2CH3

o-Chlornitrobenzol m-Dinitrobenzol p-Ethylpropylbenzol

Befinden sich am Benzolring drei Substituenten, kann anstelle der Stellenangabe 1,2,3-
die Bezeichnung vicinal, abgekürzt vic.-, anstelle von 1,2,4- asymmetrisch, abgekürzt asym.-
oder as.-, und anstelle von 1,3,5 das Präfix symmetrisch, abgekürzt sym.- stehen.
CH3 CH3 CH3

CH3 CH3

CH3 H3C CH3

CH3

vic.-Trimethylbenzol as.-Trimethylbenzol sym.-Trimethylbenzol


(Hemellitol) (Pseudocumol) (Mesitylen)

Einige Benzolderivate haben Trivialnamen, z.B.:


H3C CH3 H3C CH3
CH3 CH3 CH3 CH3 CH CH

CH3

CH3

CH3 CH3

Toluol o-Xylol m-Xylol p-Xylol Cumol p-Cymol

CH2
HC OH OH OH OH NH2

CH3

CH3

CH3

Styrol Phenol o-Kresol m-Kresol p-Kresol Anilin


222 6 Aromatische Verbindungen

Der Rest C6H5–, der oftmals als Ph- abgekürzt wird, heißt Phenylrest. Enthält das Benzol-
derivat eine komplizierte Seitenkette, so wird diese als Hauptkette angesehen, und der Phe-
nylrest als Substituent angegeben. Die Verbindung wird in diesem Falle als Phenylalkan be-
zeichnet. Auch bei Verbindungen mit mehr als einem Benzolring im Molekül ist es vorteilhaft,
das Alkan als Hauptkette zu betrachten. Einige Beispiele von Benennungen mit dem Phenylrest:

CH3 CH3

CH3CHCHCHCH3

C C CH

2,4-Dimethyl- Triphenylmethan Biphenyl Phenylacetylen


3-phenylpentan

Aromatische Restgruppen, die in der Nomenklatur häufiger Verwendung finden sind:

CH2 CH H3C

Benzyl- Benzyliden- (Benzal-) Tolyl-


Beispiele:
CH2CH3

CH2 Cl CHCl2 H3C CHCHCH3

CH3

Benzylchlorid Benzalchlorid 2-Methyl-3-p-tolylpentan


Es sei abschließend noch vermerkt, daß die bei uns als Benzol, Toluol, Styrol bezeichne-
ten Verbindungen im Englischen die Endung -ene haben, also: benzene, toluene, styrene
usw. Zum Teil wird in der deutschen Literatur, besonders in den neuen Bundesländern, in
Anpassung an die angelsächsische Literatur und die IUPAC-Nomenklaturregelung bei Aro-
maten die Endung -en verwendet, z.B. Benzen, Toluen usw.

6.5 Gewinnung und Verwendung von Benzol


Etwa die Hälfte des produzierten Benzols wird bei uns Motorkraftstoffen zugesetzt. Dieser
Zusatz erhöht die Octanzahl des Kraftstoffes und somit seine Klopffestigkeit. Benzin kann
bis zu 5% Benzol enthalten (beim Tanken Benzindämpfe nicht einatmen, Benzol ist gesund-
heitsschädigend!). Benzol findet auch als Extraktions- und Lösungsmittel Verwendung.
Benzol ist in der industriellen Chemie die wichtigste Basis für die Erzeugung aromati-
scher Zwischenprodukte und cycloaliphatischer Verbindungen. Der Hauptverbrauch des
6.6 Reaktionen des Benzols 223

Benzols für synthetische Zwecke liegt bei der Synthese des Ethylbenzols (43–49 %), das als
Zwischenprodukt für die Synthese des Styrols gebraucht wird, bei der Synthese des Cumols
(17–21 %), das ein Zwischenprodukt für die Herstellung von Phenol und Aceton darstellt
(Hock-Prozeß), und es wird zu Cyclohexan (18–25 %) katalytisch hydriert. Das Cyclohexan
dient als Ausgangsmaterial (siehe Abschnitt 17.4.3.6) für die Herstellung von Polyamiden
(Perlon, Dederon).
Benzol ist im Kokereigas und dem bei der Koksgewinnung anfallenden Steinkohlenteer
enthalten. Aus dem Kokereigas wird es durch Gaswäsche mit Anthracenöl (höhersiedende
Kohlenwasserstoffe) gewonnen oder es wird an Aktivkohle adsorbiert. Mit Umstellung der
Gasversorgung auf Erdgas ist allerdings die Gewinnung von Benzol aus Kokereigas stark zu-
rückgegangen. Der Anteil der Kohle als Rohstoffquelle für Benzol ist inzwischen auf rund
10 % gesunken. Heute gewinnt man Benzol hauptsächlich aus dem bei der Erdölverarbeitung
anfallenden Reformat- und Pyrolysebenzin. Neben Benzol kommen darin auch noch Toluol
und Xylole vor.
Das Reformatbenzin fällt beim Reformierprozeß an. Bei diesem Verfahren werden
Benzinfraktionen mit unzureichender Octanzahl zu Motorbenzin mit entsprechend höherer
Octanzahl umgesetzt. Es handelt sich um einen katalytischen Crackprozeß in Gegenwart von
Wasserstoff (siehe Abschnitt 7.6.2.5), bei dem Isomerisierungen und Cyclisierungen eintre-
ten und durch Dehydrierung von Cycloalkanen auch eine Umwandlung in Aromate erfolgt.
Das Pyrolysebenzin, das einen hohen Benzolgehalt aufweist, stammt aus dem Steam-
cracken, wobei Naphtha kurzfristig auf 800–900°C erhitzt wird (siehe Abschnitt 7.6.1.2).
Das Verfahren dient hauptsächlich der Erzeugung von Ethen.
Spezielle Trennverfahren werden für die Nichtaromaten/Aromaten-Trennung eingesetzt,
worauf eine Trennung der isolierten Aromatengemische erfolgt.

6.6 Reaktionen des Benzols


Der Reaktionstypus, der die Aromaten charakterisiert, ist die elektrophile aromatische Sub-
stitution. Zu dieser zählen wichtige Reaktionen, z.B. die Nitrierung, die Sulfonierung, die
Bromierung und die Friedel-Crafts-Reaktion. Die nucleophile aromatische Substitution ist
bei Derivaten des Benzols ebenfalls möglich, sie erfordert jedoch drastische Reaktions-
bedingungen oder die Aktivierung des Benzolkerns durch Substituenten mit –M-Effekt.
Schließlich ist die radikalische Halogenierung des Benzols zu erwähnen, die bei Bestrahlung
der Reaktanten erfolgt.

6.6.1 Die elektrophile aromatische Substitution (SE)


Die elektrophile aromatische Substitution wird mit dem Symbol SE abgekürzt, wobei S für
Substitution und E für elektrophil steht. SE-Reaktionen sind nicht nur für Benzol kenn-
zeichnend, sondern auch für andere aromatische Verbindungen. Mit ihrer Hilfe kann man
viele wichtige Derivate des Benzols synthetisieren.
Die Anhäufung von 6 π-Elektronen und damit auch die relativ hohe negative Ladungs-
dichte im Benzol läßt vermuten, daß es ähnlich wie bei den Alkenen zu einer Wechselwir-
kung zwischen elektrophilen Teilchen und den delokalisierten π-Elektronen kommen kann.
224 6 Aromatische Verbindungen

Diese Wechselwirkung kann zu einem losen Komplex des Elektrophils mit dem Benzol füh-
ren. Solche Komplexe wurden in einigen Fällen experimentell nachgewiesen. Der Komplex
wird als π-Komplex bezeichnet. Die Bildung des Komplexes, die den ersten Teilschritt der
SE-Reaktion vorstellt, ist ein reversibler Prozeß.

+ X X

Benzol π-Komplex X = Elektrophil


Der π-Komplex wird mit einem vom 6-Ring ausgehenden Pfeil veranschaulicht, der auf
das Elektrophil weist. Damit will man ausdrücken, daß das Benzol als Elektronendonator
(Elektronenspender) auftritt. Als Elektrophile können Kationen, z.B. NO2+, Verbindungen
mit polaren kovalenten Bindungen oder auch leicht polarisierbare Moleküle, z.B. Br2, auftre-
ten.
Im nächsten Reaktionsschritt wird das Elektrophil mit einer σ-Bindung an einen Kohlen-
stoff des Ringes gebunden. Die beiden Bindungselektronen stammen aus dem π-Elektronen-
sextett des vorher aromatischen Ringes. Im Zuge dieses Prozeßes erfolgt eine Umhybridi-
sierung des sp2-hybridisierten Ring-Kohlenstoffatomes, an dem sich die C–X-σ-Bindung
bildet, nach sp3. Der Reaktionsschritt ist mit einem hohen Aufwand an Aktivierungsenergie
verbunden, denn das Benzol, das vorher in einem energiearmen aromatischen Zustand war,
wird in das relativ energiereiche Phenonium-Ion (Cyclohexadienyl-Kation), den σ-Komplex,
umgewandelt. Infolge der hohen Aktivierungsenergie ist dies der langsamste Teilschritt der
Reaktion und damit auch geschwindigkeitsbestimmend für die gesamte Reaktion.
X

H
X

π-Komplex σ-Komplex
Die Ladungsverteilung der vier im Ring des σ-Komplexes verbliebenen π-Elektronen
läßt sich durch die folgenden mesomeren Grenzformeln beschreiben:

X X X

H H H Grenzformeln

H
Resonanzhybrid
6.6 Reaktionen des Benzols 225

Den mesomeren Grenzformeln entsprechend verteilen sich die vier π- Elektronen auf die
fünf sp2-hybridisierten Kohlenstoffatome des Ringes, wobei die Elektronendichte in den
m-Stellungen zum Substituenten X etwas größer ist. Die positive Ladung befindet sich be-
vorzugt in o- und p-Stellung. Der Kreisausschnitt mit der positiven Ladung in der Mitte des
Sechsringes soll den mit den vorher gezeigten Grenzformeln charakterisierten Sachverhalt
symbolisieren. Die Lücke im Kreisausschnitt beim sp3-hybridisierten C-Atom des Sechs-
ringes weist darauf hin, daß dieses Kohlenstoffatom,das mit vier σ-Bindungen bereits abge-
sättigt ist, an der Verteilung der π-Elektronen im Sechsring nicht partizipiert.
Im letzten Reaktionsschritt erfolgt die Abspaltung des Protons, wodurch die zwei
Valenzelektronen, die bisher die C–H-σ-Bindung bildeten, in den Sechsring einbezogen
werden. Auf diese Weise wird der aromatische Zustand wieder hergestellt. Dieser Reaktions-
schritt erfolgt schnell.

X
X
H + H

σ-Komplex substituiertes Benzol

Den Reaktionsmechanismus der SE-Reaktion kann man wie folgt zusammenfassen:

X
X
H
+ X X + H

Benzol Elektrophil π-Komplex σ-Komplex substituiertes Benzol

Zu der elektrophilen aromatischen Substitution ist noch anzumerken, daß die Friedel-
Crafts-Alkylierung und die Sulfonierung reversibel sind, nicht aber die Nitrierung. Für die
letztgenannten Reaktion gilt also der Doppelpfeil im letzten Reaktionsschritt nicht. Die De-
chlorierung, Debromierung und Deiodierung von Chlor-, Brom- und Iodbenzol zu Benzol in
Gegenwart von Lewis-Säuren und Cl–-, Br–- bzw. I–-Anionen lassen vermuten, daß es sich
auch bei der Chlorierung, Bromierung und Iodierung von Arenen im Prinzip um reversible
Reaktionen handelt.
Bild 6.18 beschreibt das Energieprofil einer elektrophilen aromatischen Substitution am
Benzol. Für die Bildung des σ-Komplexes aus den Edukten bedarf es einer hohen Aktivie-
rungsenergie. Dieser Reaktionsschritt ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der SE-
Reaktion. Die Mulden im Verlauf der Kurve des Energiediagramms weisen auf Zwischen-
produkte hin, während die Maxima der Kurve Übergangszustände charakterisieren. Der
Übergangszustand, der zum σ-Komplex führt, kann so beschrieben werden, daß die σ-Bin-
dung mit dem Elektrophil noch nicht ganz zustande gekommen ist, die Aromatizität des Rin-
ges jedoch schon nicht mehr gegeben ist.
226 6 Aromatische Verbindungen

X
H X
Übergangszustand +
+ H
Übergangszustand

X
+ H

EA EA = Aktivierungsenergie
σ-Komplex
Epot

ΔH = Reaktionsenthalpie

X
+

π-Komplex
ΔH
+ X+
X
+
+ H

Reaktionskoordinate

Bild 6.18 Energiediagramm einer SE-Reaktion

6.6.1.1 Die Nitrierung


Die Nitrierung des Benzols erfolgt durch das Nitronium-Ion +NO2. Dieses wird bei der Pro-
tonierung der Salpetersäure gebildet:

O
O O
H O N H O N H O + N
O O
H H H O

Die Salpetersäure vermag sich zwar auch selbst zu protonieren,

O
O O
H O N H O N N + H2O + NO3
O O
H H O
O
O N NO3
O

doch ist die Protonierung relativ schwach, so daß Nitrierungen alleine mit Salpetersäure nur
bei Benzolderivaten durchgeführt werden, die Substituenten besitzen, die den Benzolkern
6.6 Reaktionen des Benzols 227

mit + I- bzw. +M-Effekt aktivieren. Die nitrierende Wirkung eines als Nitriersäure bezeich-
neten konz. Salpetersäure/konz.Schwefelsäure-Gemisches im Volumenverhältnis 5:7 ist weit
stärker.

HNO3 + 2 H2SO4 NO2 + H3O + 2 HSO4

Eine weitere Steigerung der Reaktivität kann man mit einem Gemisch von rauchender
Salpetersäure und Oleum erreichen.
Den Reaktionsmechanismus der Nitrierung kann man wie folgt zusammenfassen:

O O
O O N N
O O
+ N N H + H

O O

Benzol Nitroniumion π-Komplex σ-Komplex Nitrobenzol


Benzolderivate, die einen Substituenten mit +I-Effekt oder +M-Effekt besitzen, lassen sich
besonders leicht nitrieren. In diesem Fall kann die Nitrierung bis zur Trinitroverbindung
erfolgen.
2,4,6-Trinitrotoluol (TNT) wird durch Nitrierung von Toluol mit Nitriersäure hergestellt.
CH3 CH3

O 2N NO2
HNO3 / H2SO4, 120 °C

NO2
Toluol 2,4,6-Trinitrotoluol
TNT ist ein stoßunempfindlicher Explosivstoff, der mit Initialzündung zur Explosion ge-
bracht wird. Die blaßgelbe kristalline Masse schmilzt bei 81°C, sie kann mit Wasserdampf
geschmolzen und in Formen gegossen werden.
O2N NO2
N N

NO2 Hexogen (1,3,5-Trinitro-perhydro-1,3,5-triazin)


Mit Hexogen gemischt wird TNT zur Füllung von Granaten und Bomben verwendet. Bei
der Explosion zerfällt TNT in CO2, CO, Wasserdampf und Stickstoff mit einer Detonations-
geschwindigkeit von 6900 m · s–1, wobei 4520 kJ/kg Energie frei werden. Die Wirkung an-
derer Sprengstoffe wird oft durch Vergleich mit der Sprengkraft von TNT gemessen.
228 6 Aromatische Verbindungen

Die Pikrinsäure ist das 2,4,6-Trinitrophenol. Sie wird nicht direkt durch Nitrierung von
Phenol hergestellt, denn Phenol selbst wird durch Salpetersäure, die ja ein Oxidans ist, oxi-
diert. Man sulfoniert deshalb Phenol zuerst, wobei man die Phenol-2,4-disulfonsäure erhält.
Die Sulfonierung ist eine reversible Reaktion, so daß durch Erhitzen dieses Produkts mit
konz. Salpetersäure die beiden –SO3H-Gruppen durch Nitrogruppen ersetzt werden und
dieses Produkt gleichzeitig noch weiter zur Pikrinsäure nitriert wird.
OH OH OH

SO3H O2N NO2


konz. H2SO4 konz. HNO3 / H2SO4
100 °C 24 St. O °C, 1 St. 30-45 °C

SO3H NO2
Phenol Phenoldisulfonsäure Pikrinsäure

Pikrinsäure (griechisch pikros = bitter) kristallisiert in hellgelben Blättchen und hat eine
Schmelztemperatur von 122°C. Seide, Wolle und Leder können mit Pikrinsäure leuchtend
gelb gefärbt werden. Im Ersten Weltkrieg wurden Gemische mit Pikrinsäure als Füllung für
Granaten verwendet. Als Initalzünder diente Knallquecksilber Hg(CNO)2. Die Pikrinsäure
greift jedoch das Metall der Granaten an, wobei sich unberechenbar explodierende, stoß-
empfindliche Pikrate bilden. Deshalb wird heute anstelle der Pikrinsäure zur Füllung von
Granaten TNT verwendet.

6.6.1.2 Die Sulfonierung


Die Sulfonierung erfolgt gewöhnlich mit rauchender Schwefelsäure, die etwa 8% Schwe-
feltrioxid SO3 enthält. SO3 ist stark elektrophil und bei der Sulfonierung das eigentliche
reaktive Teilchen. Auch bei der Sulfonierung mit konzentrierter Schwefelsäure sind SO3-
Moleküle das sulfonierende Agens:

2 H2SO4 HSO4 + SO3 + H3O

Der Reaktionsmechanismus der Sulfonierung kann folgendermaßen beschrieben werden:

O O
O O
O O S S
O O H
+ S S H
O O O O

Benzol Schwefeltrioxid π-Komplex σ-Komplex Benzolsulfonsäure


Erfolgt die Sulfonierung mit rauchender Schwefelsäure bei niedriger Temperatur
(<40°C), so entsteht die Benzolsulfonsäure, bei etwa 100–130°C die m-Benzoldisulfonsäure
und bei höheren Temperaturen wird die Benzol-1,3,5-trisulfonsäure gebildet.
6.6 Reaktionen des Benzols 229

SO3H rauchende H2SO4 SO3H rauchende H2SO4 HO3S SO3H


100-130 °C 180-350 °C

SO3H SO3H
Benzolsulfonsäure m-Benzoldisulfonsäure Benzol-1,3,5-trisulfonsäure

Die Sulfonierung ist eine umkehrbare Reaktion. Erhitzt man die Benzolsulfonsäure mit
verdünnter Schwefelsäure auf 100°C, so reagiert das bei der Umkehrung der Reaktion frei-
werdende SO3 mit Wasser zu Schwefelsäure und aus der Benzolsulfonsäure entsteht Benzol.
Man bezeichnet diese Reaktion als Desulfonierung.
SO3H H
verdünnte H2SO4 , 100 °C

Benzolsulfonsäure Benzol

Die Umkehrbarkeit der Sulfonierung ermöglicht auch die Einführung anderer Gruppen
anstelle der Sulfogruppe in den Benzolkern (siehe im vorhergehenden Absatz die Synthese
der Pikrinsäure), so daß die Benzolsulfonsäuren als Zwischenprodukte bei Synthesen eine
Rolle spielen.
Sulfonsäuren sind starke Säuren, in der Säurestärke vergleichbar mit der Schwefelsäure.
Sie sind ebenso wie ihre Salze wasserlöslich. Selbst die Schwermetallsalze sind, im Gegen-
satz zu den Sulfaten, gut wasserlöslich. Man sulfoniert deshalb langkettige Alkylbenzolderi-
vate und erhält nach der Neutralisation der entstandenen Alkylbenzolsulfonsäuren mit NaOH
Alkylbenzolsulfonate, die als Waschmittel auch in hartem Wasser voll wirksam sind (siehe
Abschnitt 16.3.1).

SO3, H2SO4 NaOH


R R SO3H R SO3 Na
H

Der Alkylrest R der Alkylbenzolsulfonate muß unverzweigt sein. Detergenzien mit ver-
zweigter Kohlenstoffkette sind nicht mehr für den Handel zugelassen, weil sie biologisch
schwer abbaubar sind und ihre Verwendung in den Haushalten zur Umweltverschmutzung
der Flüsse führte.
Die Einführung von Natriumsulfonatgruppen in Aromate dient auch dazu, substantive
Farbstoffe und andere Produkte wasserlöslich zu machen. Anwendung findet die Sulfonie-
rung bei der Herstellung von Sulfonamiden, einer Gruppe wichtiger Arzneimittel, welche in
den Bakterien die Synthese der für sie lebensnotwendigen Folsäure (siehe Abschnitt
25.7.2.1) hemmen. 4-Aminobenzolsulfonamid bildet die Grundstruktur dieser Arzneimittel.

H2N SO2NH2

4-Aminobenzolsulfonamid (p-Aminobenzolsulfonamid)
230 6 Aromatische Verbindungen

6.6.1.3 Die Halogenierung des Benzols


Für die Bromierung des Benzols ist eine Lewis-Säure notwendig, die mit Brom einen Kom-
plex bildet und damit die Br–Br-Bindung stark polarisiert. Als Lewis- Säure können z.B.
FeBr3, FeCl3 oder AlCl3 eingesetzt werden. Nach der Säure-Basen-Theorie nach Lewis ist
eine Säure eine Substanz mit unvollständiger Edelgaskonfiguration (mit einer Elektronen-
lücke), die einen Reaktionspartner zu binden vermag, der als Elektronenpaarspender ein
freies Elektronenpaar für die Bindung zur Verfügung stellt. Eine Base in diesem Sinne ist
eine Verbindung, die ein freies Elektronenpaar zur Verfügung stellt, um eine Lewis-Säure zu
binden. Brom ist im vorliegenden Fall die Lewis-Base und FeBr3 die Lewis-Säure.

Br Br + FeBr3 Br Br FeBr3

In der Praxis kann man so verfahren, daß man zum Benzol und Brom etwas Eisenpulver
gibt, das sich in FeBr3 umsetzt und so die Bromierung katalysiert. Die Reaktion erfolgt nach
folgendem Reaktionsmechanismus:

Br Br
Br Br FeBr3
+
Br Br FeBr3
FeBr3

Benzol π-Komplex

Br Br
H + + FeBr3
+ FeBr4 HBr

σ-Komplex Brombenzol
Durch die Komplexbildung mit FeBr3 wird die Br–Br-Bindung stark polarisiert. Über die
Wechselwirkung der π-Elektronen des Sechsrings kann sich Br+ aus dem Komplex lösen und
von einem Kohlenstoff des Ringes gebunden werden, wobei ein π-Elektronenpaar aus dem
Sechsring für die neue σ-Bindung verwendet und der σ-Komplex gebildet wird. Nach Ab-
spaltung des Protons aus dem σ-Komplex zerfällt der FeBr4–-Komplex zu HBr und FeBr3.
Sehr reaktive aromatische Verbindungen, z.B. Phenol, können auch ohne die Katalyse einer
Lewis-Säure mit Brom reagieren.
Nach gleichem Reaktionsmechanismus wie die Bromierung erfolgt ebenfalls die Chlorie-
rung des Benzols.
Technisch wird Chlorbenzol nach dem Raschig-Hooker-Verfahren durch Oxychlorierung
von Benzol hergestellt, wobei ein Gemisch von Benzol in der Dampfphase, Chlorwasser-
6.6 Reaktionen des Benzols 231

stoffgas und Luft bei 240°C über einen CuCl2/FeCl3-Katalysator geleitet wird, der auf Al2O3
als Trägersubstanz aufgetragen ist.

Cl
240 °C, CuCl2 / FeCl3
+ HCl + 1/2 O2 + H2O

Benzol Chlorbenzol

Die Iodierung des Benzols kann auf die Weise erfolgen, daß Iod vorher zum Iodonium-
Kation oxidiert wird.

+ I NO3 I NO3

Benzol Iodoniumnitrat π-Komplex

I I
H NO3 + H NO3

σ-Komplex Iodbenzol

Mit Fluor direkt reagiert Benzol keineswegs nach dem SE-Mechanismus, sondern es er-
folgt eine Reaktion mit radikalischem Ablauf. Die Reaktion ist stark exotherm und führt zu
Fluorderivaten des Cyclohexans.

6.6.1.4 Friedel-Crafts-Reaktionen (F.C.-Reaktionen)

Als Friedel-Crafts-Reaktionen bezeichnet man eine Reihe von SE-Reaktionen, die als Kataly-
sator wasserfreies AlCl3 oder eine andere Lewis-Säure verwenden und zu C–C-Verknüp-
fungen führen. Auf diese Weise reagieren Aromaten mit Alkylhalogeniden, mit Alkenen und
Carbonsäurechloriden. Friedel-Crafts-Alkylierungen sind reversible Reaktionen.
a) Alkylierungen mit Alkylhalogeniden. Mit Alkylhalogeniden und AlCl3 als Katalysator
können schon bei Zimmertemperatur Aromaten alkyliert werden, das heißt, man kann mit
dieser Friedel-Crafts-Reaktion Alkylreste an den aromatischen Ring knüpfen. Das Alkyl-
chlorid tritt als Lewis-Base auf, wobei das Chlor ein Elektronenpaar dem AlCl3, das eine
Lewis-Säure ist, zur Verfügung stellt.

R Cl + AlCl3 R Cl AlCl3
232 6 Aromatische Verbindungen

Durch die Komplexbildung wird die C–Cl-Bindung stark polarisiert, so daß ein elektro-
philer Angriff erfolgen kann.

R Cl
+ R Cl AlCl3
R Cl AlCl3
R
AlCl3 + HCl
H
+ AlCl3

Benzol σ-Komplex Alkylbenzol

Bei den Bedingungen der F.C.-Reaktion können mit Alkylhalogeniden Mehrfachalkylie-


rungen als Nebenreaktion auftreten. Im Verlaufe dieser Reaktion können bei der Abspaltung
von R+ auch Umlagerungen zum stabileren Carbeniumion stattfinden. Dies schränkt den
Wert der F.C.-Alkylierungen für präparative Zwecke ein.

b) Alkylierungen mit Alkenen. Alkene reagieren mit AlCl3, indem sie als Elektronenspender
das π-Elektronenpaar dem AlCl3 zur Bildung eines Komplexes zur Verfügung stellen. Dieser
Komplex ist bei der Friedel-Crafts-Reaktion als Elektrophil wirksam.

H
R H R
C C AlCl3 C C AlCl3
H H H H

Der Reaktionsmechanismus der F.C.-Reaktion mit Alkenen kann folgendermaßen be-


schrieben werden:
H
R H
R
R CH CH2 C C AlCl3
C C AlCl3
+ H
H H
AlCl3 H

Benzol π-Komplex

R H R

CH C H CH CH3

H AlCl3 + AlCl3

σ-Komplex Alkylbenzol
6.6 Reaktionen des Benzols 233

Zu der Alkylierung mit Alkenen nach Friedel-Crafts zählen zwei wichtige Reaktionen:
die Alkylierung des Benzols mit Ethen und mit Propen. Beide Alkene werden in großer
Menge durch das Steam-Cracken erzeugt (siehe Abschnitt 7.6.1.2).
Die Alkylierung des Benzols mit Ethen führt zum Ethylbenzol. Das Ethylbenzol wird am
Zinkoxid-Kontakt bei 800°C dehydriert, wobei Styrol entsteht.

CH2CH3 ZnO, CH CH2


AlCl3 800 °C
+ H2C CH2 + H2

Ethylbenzol Styrol

Styrol ist eine Flüssigkeit, die durch Licht oder Radikalbildner zum Polystyrol polymeri-
siert (Reaktionsmechanismus s. Abschnitt 3.7.9.1).

H2C CH2 HC CH2

n
Natriumperoxosulfat, 60-70 °C

n
Styrol Polystyrol

Aus Polystyrol werden verschiedene Haushaltsartikel hergestellt, geschäumtes Polystyrol


(Styropor) findet als Verpackungsmaterial und als Isoliermaterial Verwendung.
Mit Propen kann Benzol mit Hilfe der Friedel-Crafts-Reaktion alkyliert werden, wobei
Cumol entsteht.

H
H3C CH3
C

AlCl3
+ CH3 CH CH2
Cumol (Isopropylbenzol)

Cumol ist die Ausgangsverbindung, aus der man im Hock-Prozeß (Näheres siehe Ab-
schnitt 11.4 und 13.3.1.3) in einem Arbeitsgang sowohl Phenol als auch Aceton herstellt.
234 6 Aromatische Verbindungen

c) Acylierungen (Alkanoylierungen) mit Carbonsäurehalogeniden. Mit Carbonsäurehaloge-


niden oder Carbonsäureanhydriden kann man zu Bedingungen der Friedel-Crafts-Reaktion
die Acylgruppe –CO–R, die auch als Alkanoylgruppe bezeichnet wird, in den aromatischen
Ring einbringen. Zunächst entsteht aus dem Carbonsäurehalogenid ein Komplex mit dem
AlCl3, der in das Acylium-Ion und den [AlCl4]–-Komplex dissoziieren kann.

O O AlCl3 O AlCl3

R C Cl + AlCl3 R C Cl R C Cl

O AlCl3 O

R C Cl R C Cl AlCl3 R C O + AlCl4

stark polarisiert

Die angreifende Spezies kann in Abhängigkeit vom Alkylrest der Acylgruppe und von
den Reaktionsbedingungen ein Acylium-Ion oder ein Säurechlorid · AlCl3-Komplex sein. Der
Angriff des Acylium-Ions, das ein starkes Elektrophil darstellt, führt zum Acylbenzol.

AlCl4
Cl
Cl AlCl3
R C O R C O
R C O
AlCl3

R R
O O
C C
Cl AlCl3
H + AlCl3 + HCl

Acylbenzol

Ist das acylierende Agens ein Säurechlorid · AlCl3-Komplex, entsteht zunächst der Kom-
plex des Acylbenzols mit AlCl3, der in polarer Lösung in das Acylbenzol und AlCl3 zerfällt.
6.6 Reaktionen des Benzols 235

O AlCl3
O O AlCl3 O AlCl3
R C Cl O AlCl3
R C Cl R C Cl R C
R C Cl H

AlCl3 + HCl

Eine Mehrfach-Acylierung ist bei Friedel-Crafts-Bedingungen nicht als Nebenreaktion zu


erwarten, da der einmal eingeführte Acyl-Substituent durch seinen –I- und –M-Effekt die
Elektronendichte im Sechsring und damit seine Reaktivität herabsetzt, womit der Ring vor
weiterer Substitution geschützt ist. Der –I-Effekt der Seitenkette wird noch durch Komplex-
bildung des Acylbenzols mit Aluminiumchlorid verstärkt. Der Sauerstoff der Carbonylgrup-
pe tritt mit seinem freien Elektronenpaar als Donor der Lewis-Säure AlCl3 auf, und die posi-
tive Teilladung am C-Atom der Carbonylgruppe wird vergrößert.
R R
C O AlCl3 C O AlCl3

Komplex des Acylbenzols mit AlCl3

6.6.2 Die Zweitsubstitution

Als Zweitsubstitution wird eine SE-Reaktion bezeichnet, bei der schon ein Substituent am
aromatischen Kern gebunden ist und ein zweiter Substituent in den Kern eingeführt wird.

6.6.2.1 Aktivierender oder desaktivierender Einfluß des Erstsubstituenten


Die relativ hohe Elektronendichte der π-Elektronen des Benzolrings ist Voraussetzung für
die Wechselwirkung mit einem Elektrophil, das die SE-Reaktion einleitet. Am Benzolkern
befindliche Substituenten, die die Elektronendichte im Ring herabsetzen, desaktivieren die
aromatische Verbindung für SE-Reaktionen, die Zweitsubstitution wird erschwert. Substitu-
enten, die die Elektronendichte des Rings erhöhen, wirken hingegen aktivierend, sie erleich-
tern die Zweitsubstitution. So erfordert z.B. die Nitrierung von Benzol die Nitriersäure, wäh-
rend der durch die Hydroxygruppe aktivierte aromatische Sechsring des Phenols schon mit
40%iger Salpetersäure nitriert wird. Beeinflußt wird die Elektronendichte des aromatischen
Rings durch I- und M-Effekt des am Ring gebundenen Substituenten (Beschreibung des I-Ef-
fekts siehe Abschnitt 1.4, zum M-Effekt s. Abschnitt 3.9.1).
Eine desaktivierende Wirkung auf die SE-Reaktion haben Substituenten mit –I-Effekt,
z.B. Brom, das Trimethylammoniumkation –+N(CH3)3, die Formylgruppe –CHO und die
Acetylgruppe –CO–CH3. Sie ziehen σ-Elektronen zu sich hin und verringern dadurch die
Elektronendichte im Ring.
236 6 Aromatische Verbindungen

H O δ- H3 C O δ-
Br N(CH3)3 Cl C C
δ+ δ+

Brombenzol Trimethylphenyl- Benzaldehyd Acetophenon


ammoniumchlorid (1-Phenylethanon)

Auch Substituenten mit –M-Effekt, z.B. die Carboxygruppe –COOH oder die Nitrogrup-
pe –NO2, desaktivieren den aromatischen Kern, indem sie die Elektronendichte in diesem
verringern.

O OH O OH O OH O OH
C C C C

Benzoesäure (Benzolcarbonsäure)

O O O O O O O O
N N N N

Nitrobenzol

Die Zweitsubstitution aktivieren Erstsubstituenten mit +I-Effekt, z.B. die Methylgruppe


–CH3 im Toluol oder der Substituent –O– im Phenolat-Anion,
6.6 Reaktionen des Benzols 237

CH3 O

Toluol Phenolat-Anion
und Substituenten mit einem +M-Effekt, z.B. die Aminogruppe -NH2 im Anilin oder die
Hydroxygruppe -OH im Phenol, die die Elektronendichte im Ring erhöhen.

H H H H H H H H
N N N N

Anilin

H H H H
O O O O

Phenol
Die Wirkung des Erstsubstituenten hängt gegebenenfalls noch von den Reaktionsbedin-
gungen ab. Phenol reagiert z.B. in alkalischer Lösung besser, weil das in dieser Lösung
vorliegende Phenolat-Anion außer dem +M-Effekt einen +I-Effekt ausübt und damit die
Elektronendichte im Ring erhöht, während das Phenol selbst außer dem aktivierenden +M-
Effekt einen –I-Effekt hat, der dem +M-Effekt entgegenwirkt. Die Aminogruppe des Ani-
lins hat im basischen und neutralen Medium einen +M-Effekt, der einen aktivierenden
Einfluß ausübt. Im stark sauren Medium bindet das freie Elektronenpaar am Stickstoff der
Aminogruppe ein Proton. Im so entstandenen Anilinium-Ion steht kein freies Elektronen-
paar mehr für den +M-Effekt zur Verfügung, so daß nur noch der desaktivierende Einfluß
des –I-Effekts wirksam ist.
238 6 Aromatische Verbindungen

Beim Phenolat-Ion liegt sowohl ein +I- als auch ein +M-Effekt vor. Dadurch wird die ak-
tivierende Wirkung des Substituenten auf den aromatischen Kern verstärkt.

H H
H H
O O N H N H

Phenol Phenolat-Anion Anilin Anilinium-Ion


+M- und –I-Effekt +M- und +I-Effekt + M- und nur –I-Effekt
–I-Effekt (desaktivierend)
Die desaktivierende Wirkung eines Substituenten ist relativ stark, wenn dieser sowohl
einen –I- als auch einen –M-Effekt ausübt, wie dies z.B. bei der Carboxygruppe -COOH, der
Formylgruppe -CHO, der Acylgruppe -CO–R oder der Nitrogruppe NO2 der Fall ist. Beide
Effekte setzen die Elektronendichte im Ring herab.
Einige Substituenten haben sowohl einen +M- als auch einen –I-Effekt, z.B. die Hydro-
xygruppe -OH, die Methoxygruppe -O–CH3, die Aminogruppe -NH2 und die Halogene. In
diesem Fall überwiegt bezüglich des Einflußes auf die Reaktivität des Benzolkerns, mit Aus-
nahme der Halogene, die aktivierende Wirkung des +M-Effekts. Der +M-Effekt kommt bei
Halogenen deshalb schlecht zur Geltung, weil Fluor überaus elektronegativ ist, währenddes-
sen die anderen Halogene mit zunehmender Größe schlechter durch Überlappung ihrer p-Or-
bitale mit dem π-Orbital des aromatischen Systems in Resonanz treten können. Was die diri-
gierende Wirkung des Erstsubstituenten anbetrifft, so gilt aber auch bei den Halogenen, daß
sich der +M-Effekt stärker als der –I-Effekt auswirkt.

6.6.2.2 Die dirigierende Wirkung des Erstsubstituenten


Für die Zweitsubstitution stehen am aromatischen Kern fünf mögliche Substitutionsstellen
zur Verfügung, zwei o-Stellungen, zwei m-Stellungen und eine p-Stellung.
Vorausgesetzt, alle freien Stellen im aromatischen Ring könnten mit gleicher Wahr-
scheinlichkeit substituiert werden, so müßten die als Reaktionsprodukte gebildeten o- , m-
und p-Isomeren im Verhältnis 2 : 2 : 1 vorliegen. Dies ist in Wirklichkeit nicht der Fall. Es ist
vielmehr so, daß in Abhängigkeit davon, welcher Erstsubstituent an den aromatischen Ring

o- o-

m- m-

p- X = Erstsubstituent
6.6 Reaktionen des Benzols 239

gebunden ist, die Reaktionsprodukte entweder in o- und p-Stellung oder in m-Stellung bei wei-
tem überwiegen. Man spricht deshalb bei der Zweitsubstitution von der dirigierenden Wirkung
des Erstsubstituenten. Als Beispiel sei die Nitrierung von Toluol und Nitrobenzol angeführt:
CH3 CH3 CH3 CH3

NO2
Nitriersäure, 30 °C

NO2

NO2
o-Nitrotoluol m-Nitrotoluol p-Nitrotoluol
(60 %) (5 %) (35 %)
NO2 NO2 NO2 NO2

NO2
Nitriersäure, 30 °C

NO2

NO2
o-Dinitrobenzol m-Dinitrobenzol p-Dinitrobenzol
(6,4 %) (93,3 %) (0,3 %)
Die Methylgruppe dirigiert in die o- und p-Stellung, die Nitrogruppe jedoch in die m-
Stellung.
Bei der Zweitsubstitution geht es um konkurrierende Reaktionen, die zur Bildung von o-, m-
und p-Isomeren führen können. Unter diesem Aspekt ist zunächst der Reaktionsverlauf der SE-
Reaktion zu überdenken. Geht man von der Annahme aus, daß die Bildung der Produkte von der
Reaktionsgeschwindigkeit abhängt, die Reaktionen also kinetisch gesteuert werden (siehe Ab-
schnitt 3.10.2), so ist bei der SE-Reaktion die Bildung der σ-Komplexe in o-, m- und p-Stellung
von besonderem Interesse, denn sie stellt den langsamsten und somit geschwindigkeits-
bestimmenden Teilschritt der ganzen Reaktion dar. Die zur Bildung des σ-Komplexes benötigte
Aktivierungsenergie ist die größte Energiebarriere im ganzen Verlauf der SE-Reaktion. Das
entsprechende Produkt wird sich um so schneller bilden, je kleiner die Aktivierungsenergie ist,
die für den zu bildenden σ-Komplex erbracht werden muß. Ist z.B. die Aktivierungsenergie für
die Bildung des o- und p-σ-Komplexes niedriger als jene für die Bildung des m-σ-Komplexes,
so werden das o- und das p-Isomer schneller gebildet als das m-Isomer. Beide, o- und p-Isomer,
liegen dann im Reaktionsgemisch im Vergleich zum m-Isomer in größerer Konzentration vor.
Den Erstsubstituenten bezeichnet man in diesem Fall als o- und p-dirigierend.
Welches der drei Isomere (o-, m- und p-σ-Komplex) bei der Zweitsubstitution vornehm-
lich entsteht, hängt davon ab, wie energiearm und somit stabil die σ-Komplexe dieser Isomere
in Relation zueinander sind. Man geht dabei von der Annahme aus, daß für die Entstehung des
energieärmeren σ-Komplexes eine, im Vergleich zu den übrigen isomeren σ-Komplexen,
niedrigere Aktivierungsenergie erforderlich ist, so daß dieser σ-Komplex schneller und damit
bevorzugt gebildet wird. Die Aktivierungsenergie bezieht sich allerdings keineswegs auf den
240 6 Aromatische Verbindungen

X = Erstsubstituent X
Y
Y = Zweitsubstituent
+ H
o-
X Y
+ H
m- Y

X + H
p-
Y EA(p-) X
+ H
o- Y
EA(o-) X
E E + H
Y m-
EA(m-) + H
p- EA(m-)
X
EA(o-)
X X
EA(p-)
+ +
+ Y + Y

Reaktionskoordinate Reaktionskoordinate
a) Erstsubstituent dirigiert b) Erstsubstituent dirigiert
in o- und p-Stellung in m-Stellung

Bild 6.19 Energieprofil einer o-, m- und p-Substitution mit einem ortho- und para- und einem meta-
dirigierenden Erstsubstituenten.
Zeichenerklärung: EA(o-) = Aktivierungsenergie, die für den zum o-σ-Komplex führenden Über-
gangszustand erforderlich ist,
EA(m-) = Aktivierungsenergie, die für den zum m-σ-Komplex führenden Über-
gangszustand erforderlich ist,
EA(p-) = Aktivierungsenergie, die für den zum p-σ-Komplex führenden Über-
gangszustand erforderlich ist.

σ-Komplex selbst, sondern auf den Übergangszustand, über den der σ-Komplex erst gebildet
wird (siehe Bild 6.19). Damit stellt sich die Frage, ob der energieärmere σ-Komplex tatsäch-
lich über einen Übergangszustand gebildet wird, für dessen Zustandekommen auch eine ge-
ringere Aktivierungsenergie erforderlich ist. Das Hammond-Postulat kann zur Klärung dieser
Frage beitragen. Es besagt, daß der Übergangszustand eines endothermen Reaktionsschrittes
mehr den Produkten dieses Schrittes gleicht, während er bei einem exothermen Reaktions-
schritt den Edukten ähnlicher ist. Der Reaktionsschritt von den Edukten zum σ-Komplex ist
mit einen Energieaufwand verbunden, er ist also endotherm. Somit ist der Übergangszustand
dem Produkt, in unserem Falle dem σ-Komplex ähnlich, und die Energie des Übergangszu-
standes ist mit der des σ-Komplexes vergleichbar. Man kann davon ausgehen, daß ein – im
Vergleich zu anderen σ-Komplexen – energieärmerer σ-Komplex auch eine relativ niedrigere
Aktivierungsenergie des zum σ-Komplex führenden Übergangszustandes erfordert.
6.6 Reaktionen des Benzols 241

Auf die Stabilität des σ-Komplexes haben der I- und M-Effekt des Erstsubstituenten we-
sentlichen Einfluß. Zur Beantwortung der Frage, welcher der Komplexe energieärmer und
damit stabiler ist, kann man die Valenzbindungstheorie (auch Resonanztheorie genannt,
siehe Abschnit 6.2) zu Hilfe nehmen. Ganz allgemein kann man so vorgehen, daß man zu-
nächst alle mesomeren Grenzformeln für o-, m- und p-σ-Komplexe aufschreibt, wobei man
zunächst nicht berücksichtigt, welchen I- bzw. M-Effekt der Erstsubstituent hat:
Grenzformeln der o-, m- und -p-σ-Komplexe
ortho-Substitution:

Resonanzhybrid:
X X X X X
Y Y Y Y δ+ Y
H H H H
δ+ δ+

para-Substitution:

Resonanzhybrid:
X X X X X
δ+

δ+ δ+

Y H Y H Y H Y H
Y

meta-Substitution:

Resonanzhybrid:
X X X X X

δ+ δ+
Y Y Y Y
Y H H H H
δ+

X = Erstsubstituent, Y = Zweitsubstituent

Im nächsten Gedankenschritt prüft man, welchen Einfluß die einzelnen Effekte auf die
Stabilität der σ-Komplexe haben:
+I-Effekt des Erstsubstituenten. Der Substituent X mit +I-Effekt schiebt das Bindungselek-
tronenpaar in Richtung zum C-Atom der C–X-σ-Bindung. Der I-Effekt wirkt sich nur in un-
mittelbarer Nachbarschaft zu dem den I-Effekt verursachenden Substituenten aus. Der +I-
242 6 Aromatische Verbindungen

Effekt stabilisiert deshalb nur den o- und p-σ-Komplex, indem er die positive Teilladung des
Kohlenstoffatoms, das den Substituenten X bindet, herabsetzt.

positive positive keine positive


Teilladung Teilladung Teilladung
X X X
δ+ Y δ+
δ+ δ+
H und energieärmer als Y
δ+ δ+ δ+ δ+
δ+ H
Y H

+I-Effekt stabilisiert den σ-Komplex keine Stabilisierung durch +I-Effekt

Im Gegensatz zum o- und p-σ-Komplex kann eine stabilisierende Wirkung durch den
+I-Effekt beim m-σ-Komplex nicht eintreten, da am C-Atom, das den Erstsubstituenten
bindet, keine positive Teilladung vorhanden ist, die durch den Effekt kompensiert werden
könnte. Der o- und p-σ-Komplex sind deshalb durch die stabilisierende Wirkung des +I-
Effekts energieärmer als der m-σ-Komplex, so daß die Zweitsubstitution vornehmlich in
die o- und p-Stellung erfolgt. Substituenten mit +I-Effekt sind: Alkylgruppen und die
Gruppe –O–.

–I-Effekt des Erstsubstituenten. Erstsubstituenten X mit –I-Effekt ziehen die σ-Elektronen


der C–X-Bindung näher zu sich heran und vermindern dadurch die Elektronendichte am
Kohlenstoff der C–X-Bindung. Das bedeutet, daß im o- und p-σ-Komplex die positive
Teilladung an diesem Kohlenstoff noch vergrößert wird. Beide σ-Komplexe sind deshalb
energiereicher als der m-σ-Komplex, in dem die positiven Partialladungen besser delokali-
siert sind.

X X X
δ+ Y δ+
δ+ δ+
H und energiereicher als Y
δ+ δ+ δ+ δ+
δ+ H
Y H

Ein Erstsubstituent mit –I-Effekt dirigiert deshalb den Zweitsubstituenten in die m-Stel-
lung. Zu den Erstsubstituenten mit –I-Effekt gehören folgende Gruppen:
6.6 Reaktionen des Benzols 243

Halogene F, Cl, Br, I Trifluor-


CF3
methylgruppe

H H
O
Formylgruppe C C Nitrogruppe
N
O O
O

R R H
Acylgruppe Aminogruppe N
C C
H
O O

Cyangruppe Hydroxy-
O H
(Nitrilgruppe) C N C N gruppe

Methoxygruppe Alkoxy-
O CH3 O R
gruppe

H
und die Gruppe N H

+M-Effekt des Erstsubstituenten. Zu den auf Seite 199 bereits angeführten mesomeren
Grenzformeln kann man bei Substituenten mit +M-Effekt beim o- und p-σ-Komplex zusätz-
lich eine weitere Grenzformel mit einer Doppelbindung C=X schreiben, wobei sich die posi-
tive Ladung dann am Erstsubstituenten X befindet. Substituenten mit +M-Effekt erweitern
im o- und p-σ-Komplex den Bereich der Delokalisierung der positiven Ladung, indem auch
der Substituent in diesen Bereich einbezogen wird. Eine analoge Grenzstruktur ist im m-σ-
Komplex nicht zu formulieren.

X X X X

Y Y

H H und

Y H Y H
Je mehr eine Ladung delokalisiert ist, desto energieärmer ist die entsprechende Verbin-
dung. Der erweiterte Delokalisierungsbereich im o- und p-σ-Komplex bedeutet, daß diese
beiden Komplexe stabiler und energieärmer als der m-σ- Komplex sind. Erstsubstituenten
mit +M-Effekt dirigieren deshalb den Zweitsubstituenten in die o- und p-Stellung.
244 6 Aromatische Verbindungen

Zu den Substituenten mit +M-Effekt gehören:


Amino- H H H H Acetyl- H COCH3 H COCH3
gruppe N N amino- N N
–NH2 Y
gruppe Y Y
Y
NHCOCH3
H H H H

Hydroxy- H H Alkoxy- R R
gruppe – O O gruppe O O
OH Y Y
–OR Y Y

H H H H

Halogene Substituent
Cl, Br Cl Cl O– O O
und I Y Y Y Y
H H H H

Estergruppierung O O
(Alkylcarbonyl- C CH3 C CH3
O O
oxy-Gruppe)
O Y Y

H H
O C R

–M-Effekt des Erstsubstituenten. Erstsubstituenten mit –M-Effekt entziehen dem aromati-


schen Ring Elektronen, wie dies am Beispiel der Formylgruppe gezeigt wird.
m-σ-Komplex:
H O H O H O H O H O H O
C C C C C C

Y Y Y Y Y Y

H H H H H H

Während die positiven Ladungen beim m-σ-Komplex bei allen mesomeren Grenzformeln
voneinander getrennt sind, gibt es beim o- und p-σ-Komplex Grenzformeln mit positiver
Ladung an benachbarten C-Atomen (durch gestrichelte Einrahmung gekennzeichnet):
o-σ-Komplex:

H O H O H O H O H O H O
C C C C C C
Y Y Y Y Y Y

H H H H H H
6.6 Reaktionen des Benzols 245

p-σ-Komplex:

H O H O H O H O H O H O
C C C C C C

Y H Y H Y H Y H Y H Y H

Die in den mesomeren Grenzformeln des o- und p-σ-Komplexes in nächster Nachbar-


schaft zueinander befindlichen positiven Ladungen bedeuten (Abstoßung gleichnamiger La-
dungen) einen energiereichen Zustand, der im m-σ-Komplex nicht vorhanden ist. Bei Vor-
liegen eines Substituenten mit –M-Effekt ist der m-σ-Komplex energieärmer als der o- und
p-σ-Komplex, und die Zweitsubstitution erfolgt bevorzugt in die m-Stellung.

Zu den Substituenten mit –M-Effekt gehören:

Nitro- Carboxy- H O O H O O
O O O O
gruppe N N
gruppe C C

–NO2 –COOH
Y Y
Y Y H H
H H

Carbonyl- R O R O
Cyan- N N
gruppe C C gruppe C C
–C=O –CN
Y Y Y Y
H H H H

Sulfo- O O Carbamoyl- H2N O H 2N O


gruppe HO S O HO S O gruppe C C
–SO3H –CONH2
Y Y Y Y
H H H H

Alky- R O O R O O
loxy- C C Anmerkung: der Einfachheit halber
carbonyl- wurden nur je zwei mesomere Grenz-
gruppe formeln angeführt.
Y Y
–COOR
H H
246 6 Aromatische Verbindungen

Induktiver und mesomerer Effekt können einander auch entgegenwirken. Liegt beim
Erstsubstituenten sowohl ein +M- als auch ein –I-Effekt vor, so überwiegt in seiner dirigie-
renden Eigenschaft der den Benzolkern aktivierende +M-Effekt. Halogene und andere Sub-
stituenten, die einen derartigen gleichzeitigen +M- und –I-Effekt aufweisen, dirigieren also
bei der Zweitsubstitution in die o- und p-Stellung.
Das Verhältnis o- zur p-Substitution müßte bei gleicher Wahrscheinlichkeit der Substitu-
tion in die o- und p- Stellung 2 : 1 entsprechen, denn es existieren zwei ortho- und eine para-
Stellung. In vielen Fällen wird aber die p-Stellung aus räumlichen Gründen bevorzugt. Dies
spielt besonders dann eine Rolle, wenn der Erst- oder Zweitsubstituent sehr sperrig sind.
Auch die Ladungen beider Substituenten und die Möglichkeit Wasserstoffbrücken zu bilden,
sind bei der Zweitsubstitution in die ortho-Stellung als Faktoren zu berücksichtigen.
Bei Friedel-Crafts-Alkylierungen geht die Zweitsubstitution zunächst in die o- und p-
Stellung. Nach längerer Reaktionszeit und bei höherer Temperatur überwiegt jedoch das
meta-Produkt. Im ersten Fall wird die Reaktion kinetisch und im zweiten Fall thermodyna-
misch gesteuert (siehe Abschnitt 3.10.2).

Tabelle 6.1 Die dirigierende Wirkung des Erstsubstituenten

Substituenten I. Ordnung +I +M –I Substituenten II. Ordnung –I –M


(dirigieren in o- und p-Stellung) (dirigieren in m-Stellung)
Alkylgruppen + –+NH3 +

O + + –+N(CH3)3 +

–NH2 + + –NO2 + +
O
–OH + + C + +
H
O
–OCH3 + + C + +
OH
O
–NHCOR + + C + +
OR
O
–OCOR + + C + +
ONH2
Halogene + +
Bezüglich der dirigierenden Wirkung des Erstsubstituenten bei der Zweitsubstitution
kann zusammenfassend festgestellt werden:

Erstsubstituenten mit +M und/oder +I-Effekt dirigieren in die o- und p-Stellung,


Erstsubstituenten mit +M und –I-Effekt dirigieren in die o- und p-Stellung
und
Erstsubstituenten mit –M und/oder –I-Effekt dirigieren in die m-Stellung.
6.6 Reaktionen des Benzols 247

6.6.3 Kern- und Seitenkettenhalogenierung

Mit Chlor oder Brom kann, je nach Reaktionsbedingungen, bei einem Alkylbenzol der aro-
matische Kern oder die Seitenkette halogeniert werden. Bei der Halogenierung des aromati-
schen Kerns handelt es sich um eine elektrophile aromatische Substitution, während bei der
Halogenierung der Seitenkette eine radikalische Substitution vorliegt.
Die Halogenierung des aromatischen Kerns mit Chlor oder Brom erfolgt schon bei Zimmer-
temperatur oder bei mäßigem Erwärmen in Gegenwart einer Lewis-Säure als Katalysator. Die
Halogenierung in die Seitenkette erfordert eine höhere Temperatur, Sonnenlicht oder Bestrah-
lung mit kurzwelligem Licht und gegebenenfalls einen Radikalbildner (z.B. Tetraethylblei).
Die Chlorierung von Alkylbenzol mit elementarem Chlor bei 150–200°C oder das Be-
strahlen des Reaktionsgemisches mit einer Quecksilbertauchlampe bringen zwar relativ hohe
Ausbeuten an Chlorierungsprodukten der Seitenkette, sie sind aber wegen der hohen Reakti-
vität des Chlors wenig selektiv. Bei der Chlorierung des Toluols erhält man bei diesen Be-
dingungen ein Gemisch von drei Produkten:
CH2Cl CHCl2 CCl3

Benzylchlorid Benzalchlorid Benzotrichlorid


(Chlormethylbenzol) (Dichlormethylbenzol) (Trichlormethylbenzol)
Brom ist nicht so reaktiv wie Chlor. Bei der Bromierung der Methylgruppe des Toluols
entsteht nur Benzylbromid und Benzalbromid. Benzotribromid wird nicht gebildet. Für die
Initiierung der Reaktion ist schon sichtbares Licht geeignet. Bei Bestrahlung, einer Tempera-
tur von 78°C und einer Reaktionsdauer von 30 min bis 1 Stunde erhält man aus Toluol in
hoher Ausbeute (bis 70 %) Benzylbromid, bei längerer Reaktionszeit (2–10 Stunden), eben-
falls in hoher Ausbeute (bis 70 %), Benzalbromid.
CH3 CH2Br CHBr2

Br2, hν, 78 °C, 30 min Br2, hν, 78 °C, 10 Std.


- HBr - HBr

Anmerkung: als Merksatz für die Reaktionsbedingungen bei der Halogenierung des aro-
matischen Kerns: KKK (Kern, Kälte, Katalysator), und für die Halogenie-
rung der Seitenkette: SSS (Seitenkette, Siedehitze, Sonnenlicht).

6.6.4 Nukleophile aromatische Substitutionen


Die nukleophile aromatische Substitution gelingt dann, wenn in o- bzw. p-Stellung zur Grup-
pe, die substituiert werden soll, eine oder mehrere Gruppen mit –M-Effekt vorhanden sind.
Der elektronenziehende Effekt dieser Gruppen setzt die Elektronendichte des aromatischen
248 6 Aromatische Verbindungen

Ringes so weit herab, daß ein Angriff eines starken Nukleophils Nu– möglich ist. Es erfolgt
zunächst eine Addition des Nukleophils, wobei das intermediäre Cyclohexadienyl-Anion
durch den –M-Effekt etwas stabilisiert wird.

L
Nu Nu L O Nu L Nu L O
O
NO2 N N N
O O O

N N N N
O O O O O O O O

L = Abgangsgruppe Cyclohexadienyl-Anion

Im weiteren Schritt findet die Eliminierung der Abgangsgruppe als Anion L– statt, wobei
der aromatische Ring regeneriert wird.

L
Nu
Nu L O O
N N
O O

O O
N N
O O

Die Reaktion erfolgt nach einem zweistufigen Mechanismus einer Addition-Eliminierung.


Sie wird aber als nukleophile aromatische Substitution bezeichnet, denn sie basiert auf dem
Angriff eines Nukleophils, wobei die Abgangsgruppe L durch das Nukleophil ersetzt wird.
Es sind auch nukleophile aromatische Substitutionen mit Verbindungen bekannt, z.B. mit
Chlorbenzol, welche keine die Reaktion aktivierenden Gruppen mit –M-Effekt in o- und p-
Stellung besitzen. Diese erfolgen aber nur bei sehr drastischen Reaktionsbedingungen. Bei-
spiele dafür sind das Dow-Verfahren, bei dem Chlorbenzol mit 10%iger NaOH bei 350°C in
das Phenol umgesetzt wird, und das Raschig-Verfahren, mit dem aus Chlorbenzol mit über-
hitztem Wasserdampf bei 425°C ebenfalls Phenol hergestellt wird.

Cl OH

350 °C, 15 MPa


+ NaOH + NaCl

Chlorbenzol Phenol
6.6 Reaktionen des Benzols 249

Chlorbenzol reagiert auch mit Natriumamid in flüssigem Ammoniak, wobei Anilin ent-
steht. Großtechnisch wird Anilin aus Chlorbenzol durch Umsetzung mit Ammoniak bei
200°C in Gegenwart von CuCl als Katalysator gewonnen.

Cl NH2

flüss. NH3
+ NaNH2 + NaCl

Anilin

Man nimmt an, daß diese Reaktionen nach einem Reaktionsmechanismus ablaufen, bei
dem intermediär das 1,2-Dehydrobenzol, das man auch als Benz-in bezeichnet, entsteht. Der
Reaktionsmechanismus soll am Beispiel des Dow-Prozeßes erläutert werden. Die Reaktion
beginnt durch Einwirkung des Nukleophils mit der Abspaltung eines Protons in o-Stellung
zum Chlor und dem Abgang des Chloridanions. Das Proton wird vom Nukleophil gebunden:
Es handelt sich also bei dem ersten Schritt um eine Eliminierungsreaktion.

Cl

H O H
350 °C
+ Cl + H2O

1,2-Dehydrobenzol

Im 1,2-Dehydrobenzol sind die Valenzwinkel stark deformiert. Die Verbindung ist des-
halb energiereich und sehr reaktionsfreudig. Im weiteren Verlauf der Reaktion erfolgt eine
nukleophile Addition an die Dreifachbindung des 1,2-Dehydrobenzols.

O H O H O H

H
H O

- OH

6.6.5 Die radikalische Addition am Benzol

Wichtig ist die radikalische Addition von Chlor an Benzol. Unter Lichteinwirkung bilden
beide Reaktanten das γ-Hexachlorcyclohexan mit einer bis zu 15%igen Ausbeute, das unter
der Bezeichnung Lindan oder Gammexan als Insektizid bekannt ist.
250 6 Aromatische Verbindungen

H
Cl Cl H
h ν
+ 3 Cl2 Cl Cl Lindan
H H

Cl H H
Cl

6.6.6 Birch-Reduktion an Aromaten

Aromaten können mit Natrium, Kalium oder Lithium in Gegenwart von Alkoholen durch
Bildung von solvatisierten Elektronen reduziert werden.
Elektronen liefernde Substituenten vermindern die Ausbeute und sie befinden sich nach
erfolgter Reduktion in der nichtreduzierten Stellung, Elektronen ziehende Substituenten
dagegen erhöhen die Ausbeute und stehen im Reaktionsprodukt in der reduzierten Stellung.
Bevorzugt wird die 1,4-Reduktion. Beispiele:

Reaktionsmechanismus: Die Reduktion erfolgt in zwei Ein-Elektron-Übertragungen. Nat-


rium wird hierbei durch Abgabe eines Elektrons zum Natriumkation. Der Alkohol hat die
Funktion eines Protonenspenders, durch Abgabe eines Protons wird er zum Alkoholat.
6.7 Kriterien der Aromatizität 251

Eine Variante der Birch-Reduktion ist die Birch-Hückel-Reduktion mehrkerniger Aro-


maten. Sie erfolgt mit Natrium in flüssigem Ammoniak und Ether als Lösungsmittel.

6.7 Kriterien der Aromatizität


In den vorhergehenden Ausführungen haben Sie bereits Eigenschaften kennengelernt, die
aromatische Systeme charakterisieren. Dazu gehören vor allem einmal die chemischen
Eigenschaften aromatischer Verbindungen. Kennzeichnend für sie ist die elektrophile aroma-
tische Substitution. Obwohl die Summenformel eine stark ungesättigte Verbindung erkennen
läßt, sind sie, was Additionsreaktionen anbetrifft, ausgesprochen reaktionsträge. Aromatische
Ringe sind infolge ihrer hohen Resonanzenergie, die ein weiteres Merkmal aromatischer
Verbindungen ist, sehr stabil. So erfolgt z.B. die Oxidation des Toluols und p-Xylols aus-
schließlich in der Seitenkette, der aromatische Ring wird nicht oxidiert.

CH3 COOH CH3 COOH

KMnO4 KMnO4

CH3 COOH

Toluol Benzoesäure p-Xylol Terephthalsäure

Ein weiteres Erkennungsmerkmal aromatischer Verbindungen sind ihre 1H-NMR-Spek-


tren (1H-NMR = Kernmagnetische Resonanz von Protonen). In diesen Spektren findet man
bei Aromaten die Resonanzsignale der Protonen an anderer Stelle als bei aliphatischen unge-
sättigten Verbindungen.
Zu den aromatischen Verbindungen gehören auch solche, die oberflächlich betrachtet,
zunächst mit dem Benzol und seinen Derivaten bezüglich ihrer Formel wenig Ähnlichkeit
haben. Es stellt sich deshalb die Frage nach den strukturellen Kriterien aromatischer Verbin-
dungen. Es sind dies:
1.) Es ist ein ebener (planarer) Ring vorhanden,
2.) der Ring hat ein geschlossenes delokalisiertes π-Elektronensystem,
252 6 Aromatische Verbindungen

3.) mono-, bi- und tricyclische Aromaten erfüllen die Hückel-Regel. Nach dieser Regel
enthält das aromatische Ringsystem (4n + 2) π-Elektronen. Auch freie Elektronenpaare
können in das Ringsystem mit einbezogen werden (siehe das Cyclopentadienylanion,
Pyrrol, Furan, Thiophen usw.) Für n können die Zahlen 0, 1, 2, 3 ... usw. eingesetzt wer-
den. Setzt man z.B. die Zahl 1 für n ein, ergibt die Formel (4·1+ 2), also 6 π-Elektronen,
die z.B. im Benzolring vorhanden sind. Das Einsetzen der Zahlen 2, 3 und 4 für n ergibt
10, 14 und 18 π-Elektronen. Zum Beispiel sind 10 π-Elektronen im Naphthalin, 14 im
Anthracen und 18 im Naphthacen vorhanden (Formeln siehe Abschnitt 6.8.5).
Die in Punkt 1 definierte Voraussetzung eines ebenen Ringes hängt eng mit dem in Punkt 2
geforderten Kriterium nach Delokalisierung der π-Elektronen im Ring zusammen. Geht man
von der Vorstellung aus, daß für ein cyclisch delokalisiertes π-Elektronensystem alle p-Or-
bitale im Ring überlappen müssen, dann müssen alle im Ring benachbarten p-Orbitale paral-
lel zueinander stehen, wie dies z.B. beim Benzol der Fall ist. Die Voraussetzung aber, daß sie
zueinander parallel stehen, ist nur gegeben, wenn der Ring planar ist. Der Cyclooctatetraen-
Ring erfüllt z.B. diese Voraussetzung nicht, denn er ist nicht planar. Die in diesem Ring
zueinander nicht parallel stehenden Orbitale können nicht überlappen, so daß keine Delokali-
sierung der π-Elektronen über den Cyclooctatetraen-Ring zustande kommen kann (siehe Bild
6.20).

Benzol Cyclooctatetraen

delokalisierte π-Elektronen lokalisierte Doppelbindungen

C C
C
C C C
C
C C
C C

= Überlappung zueinander nicht parallele


p-Orbitale überlappen nicht

Bild 6.20 Überlappung der p-Orbitale im Benzol und im Cyclooctatetraen

Im übrigen ist im Cyclooctatetraen auch die Hückelregel nicht erfüllt, da dieses 8 π-Elek-
tronen aufweist. Das Cyclooctatetraen gehört also nicht zu den aromatischen Kohlenwasser-
stoffen. Auch im Cyclobutadien ist die Hückelregel nicht erfüllt, denn dieses hat 4 π-Elektro-
nen im Ring. Diese Verbindung ist ebenso wie Cyclooctatetraen nicht aromatisch.
6.8 Überblick über aromatische Verbindungen 253

H H

H C C H H H
C C C C

C C C C
H C C H H H
H H
Cyclooctatetraen (8 π-Elektronen) Cyclobutadien (4 π-Elektronen)

6.8 Überblick über aromatische Verbindungen


6.8.1 Benzoide Aromaten

Zu den benzoiden Aromaten gehören Verbindungen, die einen Benzol-Ring im Molekül ha-
ben. Benzol und Benzolderivate, z.B. Toluol, Xylol, Phenol, Anilin, Chlorbenzol, Nitroben-
zol usw. sind benzoide Aromaten.

6.8.2 Nichtbenzoide Aromaten

Nichtbenzoide Aromaten haben nicht die Struktur des Benzols. Sie erfüllen aber alle Merk-
male einer aromatischen Verbindung: sie haben einen ebenen Ring mit einem System cyc-
lisch delokalisierter π-Elektronen, deren Anzahl der Hückel-Regel entspricht. Monocyclische
Verbindungen dieses Typs sind das [14]-Annulen und das [18]-Annulen. Die Zahlen in den
eckigen Klammern bezeichnen die Anzahl der π-Elektronen im Ring. Ein bicyclischer nicht-
benzoider aromatischer Kohlenwasserstoff mit einem 5- und einem 7-Ring ist das Azulen,
eine blaue Verbindung (Name abgeleitet von azur = blau). Ein Derivat des Azulens, das
Chamazulen, ist im ätherischen Öl der echten Kamille und der Schafgarbe enthalten und hat
eine entzündungshemmende Wirkung (Azulene siehe auch Abschnitt 20.1.2).

7 8
1

6 2

5 3
4

[14]Annulen [18]Annulen Azulen


254 6 Aromatische Verbindungen

Zu den nichtbenzoiden Aromaten gehören ebenfalls aromatische Kationen und Anionen.


Setzt man in die Formel 4n + 2 für n = 0 ein, erhält man die Zahl 2. Es müßte also theore-
tisch auch einen ebenen Ring mit 2 π-Elektronen geben, der mesomeriestabilisiert ist und
aromatischen Charakter hat. Diese Voraussetzung erfüllt das Cyclopropenylkation. Seine
mesomeren Grenzformeln deuten an, daß die π-Elektronen in diesem Ring cyclisch delokali-
siert sind:

H H H

H H H H H H

Ebenso ist das Cycloheptatrienyl-Kation ein aromatisches Kation. Es entsteht durch Ein-
wirkung von Brom auf Cyclohepta-1,3,5-trien:

H Br
H H

Δ
+ Br2 + HBr

Cyclohepta-1,3,5-trien Cycloheptatrienylbromid
Das Cycloheptatrienyl-Kation ist mesomeriestabilisiert, es hat sechs delokalisierte
π-Elektronen, die über den gesamten siebengliedrigen Ring verteilt sind. Die Anzahl der
π-Elektronen entspricht der Hückel-Regel.

Mesomere Grenzformeln des Cycloheptatrienyl-Kations


Ein aromatisches Anion ist das Cyclopentadienyl-Anion. Es entsteht relativ leicht aus
Cyclopenta-1,3-dien, indem aus diesem ein Proton abgespalten wird.

H +

H H H

Nach Abspaltung des Protons wird das freie Elektronenpaar des Anions in den 5-Ring
einbezogen. Die sechs sich auf die fünf Kohlenstoffatome des Ringes verteilenden π-Elek-
tronen entsprechen der Hückel-Regel.
6.8 Überblick über aromatische Verbindungen 255

Mesomere Grenzformeln des Cyclopentadienyl-Anions

Mit Fe2+ bildet das Cyclopentadienyl-Anion das Ferrocen, eine Verbindung, in der das
2+
Fe von zwei gegenüberliegenden Seiten von je einem Cyclopentadienyl-Anion umgeben
ist. Verbindungen dieser Art werden als Sandwich-Verbindungen bezeichnet.

Fe

Bild 6.21 Ferrocen

6.8.3 Heterocyclische Aromaten

Als Heterocyclen bezeichnet man Verbindungen, in welchen der Ring nicht nur aus Kohlen-
stoffatomen besteht. Er enthält noch ein anderes Atom oder auch mehrere andere Atome, die
als Heteroatome bezeichnet werden (griech. hetero = anders, fremd). In der Regel ist das
Heteroatom ein Sauerstoff-, Schwefel- oder Stickstoffatom. Heterocyclen sind in der Natur
weit verbreitet, viele haben eine physiologische Wirkung. Alkaloide sind z.B. Naturstoffe mit
stickstoffhaltigen Heterocyclen. Es sind basische Verbindungen pflanzlichen Ursprungs, die
eine ausgeprägte Wirkung auf den menschlichen Organismus haben. Zu ihnen gehört das in
der Tabakpflanze enthaltene Pflanzengift Nikotin (siehe Abschnitt 26.3.1), welches das vege-
tative Nervensystem beeinflußt (eingenommen wirken 30–60 mg tödlich). Es wird beim
Rauchen mit dem Tabakrauch inhaliert. Längerzeitiges starkes Rauchen kann Herz- und
Kreislaufstörungen, Sehstörungen, nervöse Unruhe und Störungen im Magen-Darm-Kanal
verursachen. Außerdem können hochgradige Durchblutungsstörungen auftreten (Winiwarter-
Bürger-Krankheit), die oft eine Beinamputation notwendig machen.

CH3
N Nicotin
256 6 Aromatische Verbindungen

Eine Reihe aromatischer Verbindungen haben ein Heteroatom im aromatischen Ring und
werden deshalb als aromatische Heterocyclen bezeichnet. Sie haben im Fünf- oder Sechsring
ein delokalisiertes cyclisches π-Elektronensystem.
Die einfachsten Vertreter fünfgliedriger aromatischer Heterocyclen sind Furan, Thiophen
und Pyrrol.

β β
4 3 4 3
4 3
5 2 2
5 5 2
α O α S 1N
1 1
H
Furan Thiophen Pyrrol

Will man die Stellung von Substituenten am heterocyclischen Ring angeben, verfährt
man in der Regel so, daß man den Ring mit dem Heteroatom beginnend durchnumeriert. Be-
finden sich im Ring zwei Heteroatome, numeriert man den Ring in Richtung zum nächstlie-
genden Heteroatom durch. Die beiden zum Heteroatom nächstgelegenen Stellungen werden
als α-Stellung (bei fünfgliedrigen Heterocyclen die Stellungen 2 und 5), die beiden folgen-
den Stellungen (im fünfgliedrigen Heterocyclus die Stellungen 3 und 4) als β-Stellung be-
zeichnet.
In den aromatischen fünfgliedrigen Heterocyclen beteiligt sich ein freies Elektronenpaar
des Heteroatoms an der Mesomerie, die beiden Elektronen werden in das Ringsystem einbe-
zogen, und die sechs Elektronen bilden im Ring ein delokalisiertes cyclisches π-Elektronen-
system.

O O O O O

Mesomere Grenzformeln des Furans

Die elektrophile aromatische Substitution erfolgt vornehmlich in die α-Stellung. Der Pyr-
rolring ist in einigen wichtigen Naturstoffen vorzufinden, z.B. im für die Photosynthese der
Pflanzen wichtigen Blattgrün (Chlorophyll) und im Häm, der prosthetischen Gruppe (Wirk-
gruppe) des Hämoglobins. Das Eisen des Häms im Hämoglobin vermag Sauerstoff reversibel
zu binden. Diese Eigenschaft erklärt die Funktion des Hämoglobins als Sauerstoffträger der
roten Blutkörperchen.
6.8 Überblick über aromatische Verbindungen 257

R1 CH2CH3 OOC (CH2)2 CH3

HC CH HC CH
CH3 CH3
H2C CH N N
OOC (CH2)2

N Mg N N Fe N

H3C H3C
N O N CH CH2
HC HC CH
COOCH3
H H
H3C
H (CH2)2 COOR2 H2C CH CH3

Chlorophyll Häm
1
R = CH3 = Chlorophyll a
H
R1 = C = Chlorophyll b
O
CH3 CH3 CH3

R2 = CH2 CH C CH2 (CH2 CH2 CH CH2)2 CH2 CH2 CH CH3


(R2–OH = Phytol, siehe Abschnitt 20.1.3)
Die wichtigsten aromatischen Heterocyclen mit einem Sechsring sind jene, die den Stick-
stoff als Heteroatom enthalten. Pyridin ist der einfachste Vertreter dieser Verbindungen.
Man kann es auch als Azabenzol bezeichnen (die Vorsilbe aza- bedeutet, daß im Sechsring
formal die CH-Gruppe durch N ersetzt ist). Wird im Sechsring des Pyridins ein weiteres
Kohlenstoffatom durch Stickstoff ersetzt, wird die Verbindung als Diazabenzol bezeichnet.
Die Stellung der beiden Stickstoffatome im Ring wird durch vorgestellte Zahlen angegeben.
Im Pyridin werden die beiden dem Stickstoff nächstgelegenen Stellen 2 und 6 auch mit α,
die weiteren Stellen 3 und 5 mit β und die Stellung 4 mit γ angegeben.
γ

β β
4 N
3
3 3 N 3

6 6 N 6 6
N1 N1 N1 N1
α

Pyridin Pyridazin Pyrimidin Pyrazin


(Azabenzol) (1,2-Diazabenzol) (1,3-Diazabenzol) (1,4-Diazabenzol)

Das Pyrimidin hat eine besondere Bedeutung, denn seine Derivate Cytosin und Thymin sind
in den Desoxyribonucleinsäuren enthaltene Basen und Uracil, ebenfalls ein Pyrimidinderivat,
ist in den Ribonucleinsäuren zu finden. Die Desoxyribonucleinsäure bildet das Erbgut von
Menschen, Tieren und Pflanzen und enthalten die für die Lebensprozesse wichtigen Infor-
mationen. Die Ribonucleinsäuren spielen eine wichtige Rolle in der Biosynthese der Eiweiße.
258 6 Aromatische Verbindungen

NH2 OH OH

CH3
N N N

HO N HO N HO N
Cytosin Thymin Uracil
Pyridin ist eine unangenehm riechende, mit Wasser und Alkohol gut mischbare Flüssig-
keit, welche zur Denaturierung (Vergällen) von Brennspiritus verwendet wird.

N N N N N

Mesomere Grenzformeln des Pyridins


Das freie Elektronenpaar am Stickstoff beteiligt sich im Pyridin an der Mesomerie nicht,
so daß es ein Proton binden kann. Pyridin hat also basische Eigenschaften. Betrachtet man
die mesomeren Grenzformeln, so kann man eine relativ hohe Elektronendichte am Stickstoff
feststellen. Der Stickstoff, der infolge seiner in Relation zum Kohlenstoff höheren Elektro-
negativität die Elektronen anzieht, setzt die Elektronendichte im Rest des Ringes herab.
Elektrophile aromatische Substitutionen erfolgen deshalb am Pyridin relativ schlecht. Der
Angriff des Elektrophils erfolgt vornehmlich in die β-Stellung des Pyridins. Die relativ ge-
ringe Elektronendichte in der α- und γ-Stellung des Pyridins ermöglicht eine nucleophile
Substitution. Ein Beispiel dafür ist die Tschitschibabin-Reaktion. Erhitzt man Pyridin mit
Natriumamid in Toluol oder Dimethylanilin C6H5N(CH3)2 als Lösungsmittel, so erfolgt eine
Anlagerung des Amid-Anions. Nach Hydrolyse des Reaktionsproduktes mit Natronlauge
entsteht das 2-Aminopyridin:
Erhitzen in
Dimethylanilin H
H - H2
NH2 H
N N H N N
Na N
H
Na H Na

H H
O
+ Na O H
N NH N NH2

Na
2-Aminopyridin
Stickstoffanaloga des Naphthalins (siehe Abschnitt 25.3.2) sind das Chinolin und das Isochi-
nolin.
6.8 Überblick über aromatische Verbindungen 259

5 4 5 4
6 3 6 3

7 2 7 N
N1 2
8 8 1
Chinolin Isochinolin

Da der Pyridinring im Chinolin und Isochinolin im Vergleich zum Benzolring elektro-


nenarm ist, erfolgt eine elektrophile aromatische Substitution am Benzolring, während die
nucleophile Substitution am Pyridinring stattfindet.

N N
N N

Bevorzugte Stellungen Bevorzugte Stellungen


der elektrophilen Substitution der nucleophilen Substitution
Aromatische Heterocyclen mit einem 5- und 6-Ring sind das Indol und Purin.

4 6
3 1
5
5 N7
N
2 8
6 2 N9
N1 3N
4
7
H H
Indol Purin

Eine Reihe wichtiger Naturstoffe leitet sich vom Purin ab. Dazu gehören die in Desoxy-
ribonucleinsäuren enthaltenen Basen Adenin und Guanin und das im Tee enthaltene Theo-
phyllin, im Kakao vorkommende Theobromin und in Kaffee-Bohnen, der Cola-Nuß und
schwarzem Tee enthaltene Coffein (Das im Tee enthaltenen Coffein wurde früher als Thein
bezeichnet).

NH2 OH O O CH3 O
H CH3

N N H3C N N H3C N
N N N HN N

N N N O N N N
N H2N N O N O N
H H CH3
CH3 CH3

Adenin Guanin Theophyllin Theobromin Coffein


260 6 Aromatische Verbindungen

6.8.4 Polycyclische nichtkondensierte Aromaten

Zu den aromatischen polycyclischen Kohlenwasserstoffen, in denen die Benzolkerne mitei-


nander mit einer Einfachbindung oder über ein aliphatisches C-Atom verbunden sind, gehö-
ren folgende Verbindungen:

C H

Biphenyl Terphenyl Triphenylmethan

Das Biphenyl wird durch Pyrolyse von Benzol hergestellt.


Die Synthese symmetrischer Biaryle kann mit der Ullmann-Reaktion erfolgen, bei der
Aryliodide mit Kupfer oder Kupferbronze bei 100 °C bis 300 °C zu Biarylen umgesetzt wer-
den.
Zum Beispiel kann Biphenyl auf diese Weise aus Iodbenzol synthetisiert werden:

Die Reaktion des Iodbenzols mit Kupfer erfolgt über eine zweimalige oxidative Addition
und unter Bildung eines Diphenylkupferiod-Komplexes. Die nachfolgende reduktive Elimi-
nierung des Kupfer-(I)-iodids führt zum Biphenyl.

Das Triphenylmethan kann z.B. mit Hilfe der Friedel-Crafts-Reaktion aus Benzalchlorid
(siehe Abschnitt 6.6.1.4) und Benzol synthetisiert werden.
6.8 Überblick über aromatische Verbindungen 261

Cl
AlCl3
C H C H + 2 HCl

Cl

Benzalchlorid Benzol Triphenylmethan


Ein relativ stabiles Radikal ist das Triphenylmethylradikal. In diesem kann das freie
Elektron unter Einbeziehung der Benzolringe delokalisiert werden.

C C C C usw.

6.8.5 Kondensierte polycyclische Aromaten

Zu der Gruppe kondensierter polycyclischer Aromaten gehören Verbindungen, in denen die


Benzolringe miteinander über zwei gemeinsame C-Atome verbunden sind. Verbindungen
dieses Typs findet man im Steinkohlenteer, einem Produkt, das beim Verkoken von Stein-
kohle anfällt. Die einfachste derartige Verbindung ist das Naphthalin. Dieses wird unter an-
derem auch als Mottenpulver verwendet, es schmilzt bei 81°C und hat einen eigenartigen
Geruch. Die mesomeren Grenzstrukturen des Naphthalins weisen darauf hin, daß die Elek-
tronendichte nicht, wie im Benzol, vollkommen gleichmäßig auf die Kohlenstoffringe ver-
teilt ist.

Mesomere Grenzformeln des Naphthalins


Dies wurde auch durch Röntgenanalyse bestätigt, die zeigte, daß sich die Bindungen im
Ring in ihrer Länge etwas unterscheiden.
262 6 Aromatische Verbindungen

142 pm 137 pm

140 pm

139 pm

Die Numerierung der Ringe im Naphthalin geschieht wie folgt:


8 1
7 2

3
6
5 4

Die Stellung 1 wird oft als α- und 2 als β-Stellung bezeichnet. Die elektrophile aromati-
sche Substitution erfolgt vorzugsweise in die α-Stellung, was verständlich wird, wenn man
die mesomeren Grenzformeln der σ-Komplexe in α- und β-Stellung betrachtet.
Grenzformeln des α-σ-Komplexes:
X H X H X H X H X H

Benzolkerne in zwei mesomeren Grenzformeln

Grenzformeln des β-σ-Komplexes:

X X X X X

H H H H H

Benzolkern nur in einer mesomeren Grenzformel

Sowohl beim α- als auch beim β-σ-Komplex kann man fünf mesomere Grenzformeln
schreiben. Die Grenzformeln jedoch, in denen ein Benzolring enthalten ist, sind als beson-
ders energiearm und stabil anzusehen. Da es für den α-σ-Komplex 2 mesomere Grenzfor-
meln mit intakten Benzolring, für den β-σ-Komplex jedoch nur eine solche Grenzformel
gibt, ist anzunehmen, daß der α-σ-Komplex stabiler ist und die kinetisch gesteuerte elektro-
phile aromatische Substitution vornehmlich in die α-Stellung des Naphthalins erfolgt. Die
hohe Resonanzstabilisierung des σ-Komplexes ermöglicht die SE-Reaktion am Naphthalin
bei milden Reaktionsbedingungen, z.B. erfolgt die Substitution mit Brom auch ohne die
Katalyse einer Lewis-Säure.
6.8 Überblick über aromatische Verbindungen 263

Die Sulfonierung gehört zu den umkehrbaren SE-Reaktionen. Sie ist bei niedrigeren
Temperaturen kinetisch und bei höherer Temperatur und längerer Reaktionszeit thermody-
namisch gesteuert (über kinetisch und thermodynamisch gesteuerte Reaktionen siehe auch
Abschnitt 3.10.2). Bei der Sulfonierung des Naphthalins bei höherer Temperatur und länge-
rer Reaktionszeit wird überwiegend das thermodynamisch stabilere Produkt mit dem Substi-
tuenten in β-Stellung gebildet.

SO3H

konz. H2SO4, konz. H2SO4, SO3H


80 °C 160 °C

1-Naphthalinsulfonsäure Naphthalin 2-Napthalinsulfonsäure

Das für die Herstellung von Farbstoffen verwendete β-Naphthol kann aus der 2-Naphtha-
linsulfonsäure durch die Schmelze mit Natrium- oder Kaliumhydroxid gewonnen werden.

Na Na

SO3 O O H
NaOH, Δ H

β-Naphthol (2-Naphthol)

Die Zweitsubstitution erfolgt bei α-ständigen ortho- und para-dirigierenden Erstsubsti-


tuenten vorwiegend in die 2- und die 4-Stellung, wobei die 4-Stellung bevorzugt wird. Be-
findet sich der o- und p-dirigierende Substituent in Stellung β, dirigiert er den Zweitsubsti-
tuenten vornehmlich in die Stellung 1. Bei meta-dirigierenden Erstsubstituenten erfolgt die
Zweitsubstitution vornehmlich in die Stellungen 5 und 8, und das unabhängig davon, ob der
Erstsubstituent sich in α- oder β-Stellung befindet. Das nachfolgende Schema zeigt an wel-
chen Stellen im Molekül der Zweitsubstituent angreift:

X X

X X

XI = o- und p- dirigierender Erstsubstituent X = m-dirigierender Erstsubstituent


Weitere polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe sind die miteinander linear ver-
bundenen Kohlenwasserstoffe Anthracen und Tetracen (auch als Naphthacen bezeichnet). Im
Phenanthren und im Chrysen sind die Benzolkerne angular (im Winkel) angeordnet.
264 6 Aromatische Verbindungen

8 9 1 10 11 12 1
7 2 9 2

6 3 8 3
5 10 4 7 6 5 4

Anthracen Naphthacen

6 12 1
5 7 11 2
4 10
8 3
3 9
4
2 9 8 5
1 10 7 6

Phenanthren Chrysen

Im Anthracen und im Phenanthren reagieren bevorzugt die Stellungen 9 und 10. Die Re-
aktivität dieser Stellungen ist damit begründet, daß im Reaktionsprodukt zwei energiearme
Benzolstrukturen erhalten bleiben.
Als weitere Beispiele für kondensierte polycyclische Aromaten seien das Pyren und das
Coronen angeführt.
11 12
9 10 10 1
8 1
9 2

7 2

8 3
6 3
5 4 7 4

6 5
Pyren Coronen
Graphit, eine allotrope Modifikation des Kohlenstoffs, setzt sich aus Flächen kondensier-
ter Benzolringe zusammen, die in einem Abstand von 350 pm parallel zueinander angeordnet
sind. Man kann Graphit als ein aromatisches Riesenmolekül mit kondensierten Benzolringen
ansehen. Die Beweglichkeit der π-Elektronen erklärt die Leitfähigkeit des Graphits und die
relativ geringe Energie, die benötigt wird, um vom π- in den angeregten π*-Zustand zu ge-
langen, seine tiefschwarze Farbe. Die Energie des sichtbaren Lichtes genügt zur Anregung,
so daß Graphit dieses absorbiert. Zwischen den Schichten sind nur schwache van-der-Waals-
Kräfte wirksam, was die leichte Spalt- und Verschiebbarkeit längs der Ebenen erklärt. Die
leichte Abriebbarkeit des Graphits kommt in der Graphitmine des Bleistiftes zur Geltung.
Einige komplexe polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe werden von einfacheren
Verbindungen als deren Benzoderivate abgeleitet. Die Lage der Anellierungsstelle des Ben-
6.8 Überblick über aromatische Verbindungen 265

zolringes wird oftmals durch einen kleinen Buchstaben angegeben. Mit diesen Buchstaben
kennzeichnet man in alphabetischer Reihenfolge, mit der Seite beginnend, an der sich die C-
Atome mit der Stellenangabe 1 und 2 befinden, der Reihe nach die peripheren (im Molekül
außen gelegenen) Seiten des Grundsystems.

Bild 6.22 Kristallstruktur des Graphits

1
j k l m n a
2
i b Beispiel:
h g f e d c

Bezeichnung der Seiten des Grundsystems Benz[a]anthracen


Eine Reihe polycyclischer aromatischer Kohlenwasserstoffe ist cancerogen, das heißt,
diese Verbindungen sind krebserregend. Stellvertretend für diese Verbindungen seien ge-
nannt das Benz[a]pyren, das Dibenz[a,h]anthracen und das 3-Methylcholanthren.
8
7 9
5 6
a 4 10
a
3 11
h H 3C
12
2 1
Benz[a]pyren Dibenz[a,h]anthracen 3-Methylcholanthren
Benz[a]pyren ist in Autoabgasen zu finden, es entsteht bei der Verbrennung von Heizöl
in Ölheizungen und Kraftwerken, bei der Müllverbrennung, es kommt im Zigaretten- und
Zigarrenrauch vor, und selbst im gegrillten Fleisch ist es anzutreffen.
266 6 Aromatische Verbindungen

Man nimmt an, daß oxidierende Enzyme das Benz[a]pyren in Oxidationsprodukte um-
wandeln, die mit dem in der Desoxyribonucleinsäure befindlichen Guanin reagieren und
damit eine Veränderung der Desoxyribonucleinsäure bewirken, durch die das Wachstum von
rasch und undifferenziert wachsenden Zellen ausgelöst werden kann. Solche wuchernde Zel-
len sind typisch für Krebs. Im Prinzip geht es bei der untenstehenden Reaktion um eine Al-
kylierung. Es ist bekannt, daß auch andere Alkylierungsmittel, z.B. Diazomethan, carcinogen
sind.
O

H O
N
N
CH H N
N
H2 N N N CH

DNA HN N N
O
OH DNA

OH OH

OH OH

Diolepoxid des Benz[a]pyrens Reaktionsprodukt mit blockierter


Guaninbase am DNA Strang

6.8.6 Polychlorierte aromatische Verbindungen

Einige polychlorierte aromatische Verbindungen finden Verwendung als Insektizide (Insek-


tenvertilgungsmittel) und Herbizide (Unkrautvernichtungsmittel). Eines der ersten angewen-
deten Unkrautvernichtungsmittel war die 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure. Diese vernichtet
selektiv breitblättrige Unkräuter, während sie bei schmalblättrigen Pflanzen, zu denen alle
Getreidesorten zählen, ohne Wirkung ist.

OCH2COOH

Cl

Cl
2,4-Dichlorphenoxyessigsäure, abgekürzt 2,4-D
Eine der bekanntesten polychlorierten aromatischen Verbindungen ist das Insektizid
1,1,1-Trichlor-2,2-bis (p-chlorphenyl)ethan, das abgekürzt als Dichlordiphenyltrichlorethan
bezeichnet wird, woraus schließlich die allgemein verwendete Abkürzung DDT abgeleitet
wurde. Die Verbindung wurde schon im Jahre 1873 aus Chlorbenzol und Trichloracetalde-
6.8 Überblick über aromatische Verbindungen 267

hyd synthetisiert, die insektiziden Eigenschaften wurden aber erst 1939 von dem in der Fa.
Geigy tätigen P. Müller entdeckt, der dafür 1948 den Nobelpreis für Medizin erhielt.

O H H
C H2SO4
Cl + + Cl Cl C Cl
- H2O
CCl3
CCl3

Chlorbenzol Trichlor- Chlorbenzol 1,1,1-Trichlor-2,2-bis-


ethanol (p-chlorphenyl)ethan

DDT ist ein Kontaktinsektizid mit breitem Wirkungsspektrum, es kann zur Bekämpfung
von Fliegen, Mücken, Raupen, Käfern und deren Larven herangezogen werden. Auf Grund
dieser Eigenschaften wurde es erfolgreich zur Bekämpfung der Überträger von Malaria,
Fleckfieber, Typhus und Cholera eingesetzt. Der Nachteil dieser Verbindung ist ihre geringe
Abbaubarkeit in der Natur. DDT ist außerdem fettlöslich und kann im Fettgewebe angerei-
chert werden. Diese Anreicherung erfolgt insbesondere bei Fischen und Vögeln durch Auf-
nahme DDT-haltiger Nahrung. Eischalen der mit DDT verseuchten Vögel sind zu dünnwan-
dig, wodurch die Population verschiedener Vogelarten stark zurückgegangen war. Durch die
Nahrungskette kann es auch in den Menschen gelangen. Dieser besitzt zwar gegenüber DDT
eine hohe Verträglichkeit, doch ist die Langzeitwirkung wenig erforscht. Ein weiterer Nach-
teil von DDT ist die Ausbildung einer Resistenz, die z.B. bei der Stubenfliege beobachtet
werden konnte. Die Verwendung von DDT ist in vielen Ländern verboten, in der Bundes-
republik seit 1972, in einigen anderen Ländern ist sie eingeschränkt worden.
Umweltchemische Relevanz haben chlorierte Aromaten, die sich vom Dibenzodioxin
(auch als Dibenzo-para-Dioxin bezeichnet) und Dibenzofuran ableiten.
8 1 8 1
O Cl O Cl
7 2 7 2

6 3 6 3
O Cl O Cl O
5 4 5 4

Dibenzodioxin 2,3,6,7-Tetrachlordibenzodioxin Dibenzofuran


Das wohl bekannteste und bezüglich seiner Umweltschädlichkeit am besten untersuchte
chlorierte Dibenzodioxin ist das 2,3,6,7-Tetrachlordibenzodioxin, abgekürzt 2,3,6,7-TCDD
oder einfach TCDD, das nach einem Betriebsunfall in Seveso in der Presse für Schlagzeilen
sorgte (in den Medien wird es vielfach nur als Dioxin bezeichnet). Das TCDD ist hochgiftig,
die letale (tödliche) Menge für den Menschen ist 1 μg pro kg Lebendgewicht. Beim Men-
schen tritt als erstes Symptom Chlorakne (Akne = Pickelausschlag) auf, der Triglycerid- und
Cholesterinspiegel im Blut wird erhöht und es treten gastrointestinale Störungen (Störungen
im Verdauungstrakt) auf. Es erfolgt ein starker Abbau der Thymusdrüse, der eine Herabset-
zung der Immunabwehr zur Folge hat. TCDD ist biologisch schlecht abbaubar, es ist fettlös-
lich und kann durch die Nahrungskette in den Menschen gelangen. Das Beispiel von Seveso
hat gezeigt, daß in Betrieben mit Produktionsprozessen, bei denen TCDD als Nebenprodukt
entsteht, durch fehlerhaften Umgang und mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen eine Gefahr
der Freisetzung von TCDD besteht. Polychlordibenzodioxine und Polychlordibenzofurane
268 6 Aromatische Verbindungen

können auch bei der Haus- und Sondermüllverbrennung aus chlorhaltigen Stoffen entstehen.
Für die Entsorgung dieser Stoffe sind Verbrennungsanlagen nötig, die bei Temperaturen über
1000°C arbeiten.
Polychlorierte Biphenyle (PCB) werden als Kühlflüssigkeiten für Kondensatoren und Trans-
formatoren, für Thermostaten und als Weichmacher für Polystyrol verwendet. Bei ihrer Her-
stellung bekommt man ein Gemisch von Verbindungen mit unterschiedlichem Chlorgehalt.
Das Gemisch wird, ohne es zu trennen, verwendet. PCB sind giftig, ihre Giftigkeit variiert
mit ihrer Zusammensetzung. Bei der Verbrennung polychlorierter Biphenyle können Poly-
chlordibenzodioxine entstehen. Ihre Produktion wurde in der Bundesrepublik Deutschland
1983 eingestellt.
Übungsaufgaben 269

Übungsaufgaben

? 6.1
Wodurch wird die Anzahl der Molekülorbitale bestimmt?

? 6.2
Erklären Sie die Begriffe bindende, antibindende und nichtbindende Molekülorbitale!

? 6.3
Auf welche Weise erfolgt die Besetzung der Molekülorbitale mit Elektronen?

? 6.4
Welche Symmetrieeigenschaften weisen Molekülorbitale auf?

? 6.5
Was versteht man unter der Bezeichnung HOMO und LUMO?

? 6.6
Beschreiben Sie den Reaktionsmechanismus einer SE-Reaktion am Benzol!

? 6.7
Was versteht man unter einer Friedel-Crafts-Reaktion?

? 6.8
Erstsubstituenten am Benzol dirigieren bei der SE-Reaktion in ortho- und para-Stellung oder
in meta-Stellung. Welche Rolle spielen dabei I- und M-Effekte?

? 6.9
Welche Reaktionsbedingungen führen bei einem Alkylbenzol zur Halogenierung am aroma-
tischen Kern oder in der Seitenkette?

? 6.10
Nach welchen Kriterien kann man feststellen, ob bei der gegebenen Substanz eine aromati-
sche Verbindung vorliegt?

? 6.11
Bei welchen dieser Verbindungen handelt es sich um Aromate: Toluol, Pyridin, Pyrimidin,
Pyrrol, Cycloocta-1,3,5,7-tetraen, Naphthalin und Cyclobuta-1,3-dien?
270 6 Aromatische Verbindungen

Lösungen

! 6.1
Die Anzahl der Molekülorbitale richtet sich nach der Anzahl der sie konstituierenden Atom-
orbitale. Aus den die Molekülorbitale bildenden Atomorbitalen resultieren gleich viele Mo-
lekülorbitale.

! 6.2
Die Bindung festigende Molekülorbitale, die energieärmer als die sie konstituierenden
Atomorbitale sind, bezeichnet man als bindende Molekülorbitale. Die Bindung lockernde
Molekülorbitale, die energiereicher als die sie konstituierenden Atomorbitale sind, werden
antibindende Molekülorbitale genannt. Ist die Anzahl der die Molekülorbitale konstituieren-
den p-Atomorbitale (n) geradzahlig, so sind n/2 bindende und n/2 antibindende π-Molekül-
orbitale vorhanden.
Ist die Anzahl der p-Atomorbitale ungeradzahlig so gibt es (n–1)/2 bindende, (n–1)/2 anti-
bindende Molekülorbitale und ein nichtbindendes π-Molekülorbital. Das nichtbindende π-
Molekülorbital ist energiegleich mit den es konstituierenden p-Atomorbitalen.

! 6.3
Die Besetzung der Molekülorbitale mit Elektronen erfolgt so, daß zunächst das energieärms-
te Orbital doppelt zu besetzen ist, bevor ein energiereicheres Orbital besetzt werden kann.
Die Besetzung energiegleicher Orbitale mit Elektronen erfolgt nach der Hundschen Regel,
die besagt, daß alle energiegleichen Orbitale zunächst einfach und erst dann doppelt besetzt
werden.

! 6.4
Die Molekülorbitale werden charakterisiert durch bestimmte Symmetriemerkmale: entwe-
der liegt eine Symmetrieebene (m) vor, die auf der Ebene des Moleküls senkrecht steht und
es in 2 spiegelbildliche Hälften teilt, oder eine zweizählige Achse (C2). Das π-Orbital des
Ethens hat eine Symmetrieebene die man durch die Mitte der C-C-Bindung legen kann und
die das Molekül in zwei Hälften teilt. Bezüglich der Symmetrieebene ist das π-Mole-
külorbital symmetrisch, bezüglich der C2-Achse ist es antisymmetrisch. Das antibindende
π*-Molekülorbital des Ethens ist bezüglich der C2-Achse symmetrisch, bezüglich der
Symmetrieebene antisymmetrisch. Dreht man das π*-Orbital des Ethens um die C2-Achse
um180°, erhält man wiederum die vor der Drehung vorgelegene räumliche Anordnung des
Molekülorbitals.
Lösungen 271

! 6.5
Das energiereichste mit Elektronen besetzte Molekülorbital trägt die Bezeichnung HOMO
(highest occupied molecular orbital). Das energieärmste unbesetzte Molekülorbital wird mit
LUMO (lowest unoccupied molecular orbital) bezeichnet. Je kleiner die Unterschiede in den
Energieniveaus von HOMO und LUMO sind, desto leichter läßt sich das Molekül anregen.
Beim Benzol sind die energiegleichen (entarteten) Ψ2- und Ψ3-Molekülorbitale die energie-
reichsten mit Elektronen besetzten Orbitale (HOMO) und die entarteten Ψ4- und Ψ5-Mole-
külorbitale die mit Elektronen nicht besetzten Molekülorbitale (LUMO).

! 6.6
Der Reaktionsmechanismus einer SE-Reaktion (elektrophile aromatische Substitution) am
Benzol kann allgemein folgendermaßen beschrieben werden: Das nucleophile Teilchen nä-
hert sich dem Benzol und es kommt zu einer Wechselwirkung des elektrophilen Teilchens
mit den delokalisierten π-Elektronen des aromatischen Ringes, so daß ein loser Komplex
entsteht, der π-Komplex. Im nächsten, die Reaktionsgeschwindigkeit bestimmenden Schritt,
wird mit zwei Elektronen des aromatischen π-Elektronensextetts das Elektrophil mit einer σ-
Bindung an ein Kohlenstoffatom des Ringes gebunden, wobei der σ-Komplex gebildet wird.
Bei diesem Prozeß erfolgte eine Umhybridisierung des Kohlenstoffatoms von sp2 in sp3. Im
letzten Schritt erfolgt die Abspaltung eines Protons, der aromatische Zustand wird wieder
hergestellt und die elektrophile Substitution am Benzol ist vollzogen.

! 6.7
Friedel-Crafts-Reaktionen sind dadurch charakterisitisch, daß bei diesen SE-Reaktionen was-
serfreies AlCl3 oder eine andere Lewis-Säure als Katalysator verwendet werden. Nach Friedel-
Crafts (Abkürzung F.C.) können Alkylhalogenide, Alkene und Carbonsäurechloride mit Aro-
maten reagieren. Durch die Komplexbildung wird das elektrophile Teilchen stark polarisiert,
so daß ein elektrophiler Angriff leichter erfolgen kann. Mit Alkylhalogeniden und Alkenen
erfolgt eine Alkylierung des Aromaten. Mit Carbonsäurechloriden werden aromatische Ver-
bindungen acyliert (siehe Abschnitte 6.6.1.4b und 6.6.1.4c).

! 6.8
Auf die Zweitsubstitution am Benzolderivat haben der induktive und der mesomere Effekt des
Erstsubstituenten Einfluß. Erstsubstituenten mit +I- und +M-Effekt dirigieren den Zweitsubsti-
tuenten in ortho- und para-Stellung, mit –I- und –M-Effekt hingegen in meta-Stellung. Liegen
beim Erstsubstituenten sowohl ein +M- als auch ein –I-Effekt vor, dirigiert er in ortho- und para
Stellung.

! 6.9
Bei einem Alkylbenzol kann eine Halogenierung sowohl am aromatischen Kern als auch an
der Seitenkentte erfolgen. Bei der Halogenierung des aromatischen Kerns geht es um eine
elektrophile aromatische Substitution, während bei der Halogenierung der Seitenkette eine
radikalische Substitution vorliegt. Die Halogenierung des aromatischen Kerns erfolgt schon
bei Zimmertemperatur oder bei mäßigem Erwärmen in Gegenwart einer Lewis-Säure, wäh-
rend die Halogenierung der Seitenkette eine höhere Temperatur, kurzwelliges Licht, Sonnen-
licht oder einen Radikalbildner erfordert.
272 6 Aromatische Verbindungen

! 6.10
Für Aromaten kennzeichnend ist die elektrophile Substitution. Ein weiteres Merkmal aroma-
tischer Verbindungen findet man in ihren 1H-NMR-Spektren (NMR = nuclear magnetic
resonance, 1H-NMR bedeutet Kernmagnetische Resonanz von Protonen). Die Ringprotonen
in Aromaten absorbieren bei sehr niedrigem Feld (δ = 6,5-8,5 ppm). Die strukturellen Krite-
rien der Aromatizität sind:

1.) das Vorhandensein eines planaren Rings


2.) ein geschlossenes delokalisiertes π-System im Ring
3.) mono-, bi- und tricyclische Aromaten erfüllen die Hückel-Regel. Nach dieser Regel ent-
hält das aromatische Ringsystem (4n + 2) π-Elektronen.

! 6.11
Cycloocatetraen und Cyclobutadien gehören nicht zu den aromatischen Verbindungen. Alle
anderen genannten Verbindungen sind Aromate.
7 Erdöl
7.1 Entstehung des Erdöls
Im allgemeinen nimmt man heute an, daß das Erdöl aus unzähligen abgestorbenen Körpern
kleinster Meereslebewesen entstanden ist. Das Vorkommen von Porphyrinen und anderen
Verbindungen im Erdöl, die von lebenden Organismen stammen müssen, unterstützt diese
Annahme. Im Miozän, vor rund 10–15 Millionen Jahren, lebten im Meer mikroskopisch
kleine Lebewesen. Einzellige Strahlentierchen (Radiolarien) waren in großen Wassertiefen
anzutreffen, während winzige Schwebetierchen (Foraminiferen) in großer Zahl als Plankton
(griech. plankton = das Umhertreibende) das Wasser von Flachwasserzonen, Meeres-
buchten und Binnenmeeren bevölkerten. Die abgestorbenen Mikroorganismen sanken in
unvorstellbaren Mengen wie ein Dauerregen auf den Meeresgrund. Sie versanken im
Schlamm und bildeten dort – vermischt mit Ton, Mergel, Kalk und Sand – ganze Schich-
ten, sog. Faulschlammhorizonte, über welchen sich andere Sedimentschichten absetzten.
Die Sedimentschichten verwehrten dem im Meereswasser gelösten Sauerstoff den Zutritt,
so daß die organische Materie nicht verwesen konnte. Unter dem Einfluß von anaeroben
Bakterien, hohem Druck und Hitze und wahrscheinlich auch dem katalytischen Einfluß des
umgebenden Gesteins, vollzogen sich in der organischen Substanz reduktive Prozesse,
durch die sich im Laufe der Jahrmillionen das Erdöl bildete.
Nach dieser Theorie müßte sich dort, wo die entsprechenden Bedingungen vorliegen,
auch in neuerer Zeit Erdöl bilden. In 4000 Jahre alten Schlammablagerungen der Orinoco-
Mündung in Venezuela konnte man tatsächlich Kohlenwasserstoffe nachweisen.

7.2 Erdölvorkommen
Die Erdölvorkommen werden auf 217 Milliarden Tonnen förderbares Erdöl geschätzt (Quel-
le: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, 2011), die Hauptvorkommen sind
im Nahen Osten.
Die Weltförderung an Erdöl betrug im Jahre 2011 vier Milliarden Tonnen (Quelle: Fi-
scher Weltalmanach 2013). Führend in der Erdölförderung sind die OPEC-Länder, gefolgt
von Russland und den USA. Um die Ölreserven noch zu strecken, wird man gegebenenfalls
auch die Ölschiefer und Ölsande ausbeuten müssen, was mit hohem technischen und finanzi-
ellen Aufwand verbunden wäre. Große Lager an Ölschiefer befinden sich in Canada. Es ist
schon heute notwendig, Erdöl unter dem Meeresboden und in unwirtlichen Gegenden mit
hohen Investitionen und Betriebskosten zu fördern. Bei Off-shore-Bohrungen und
-Förderungen kommt noch das Risiko katastrophaler Umweltverschmutzungen hinzu. Exper-
ten vermuten die Existenz bisher unentdeckter umfangreicher Erdölvorkommen, ihr Potential
läßt sich jedoch nicht annähernd abschätzen.

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 273


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
274 7 Erdöl

2011 wurden in die Bundesrepublik 90,5 Millionen Tonnen Erdöl importiert (Quelle: AG
Energiebilanzen 2012). Deutschlands wichtigste Lieferanten waren Russland mit 39 %,
Norwegen mit 16,8 %, Großbritannien mit 14 %, Norwegen mit 8,2 %, Kasachstan mit
8,1 % und Nigeria mit 6 %. Die höchsten Anteile am Erdölverbrauch hatten im Jahre 2011
(Quelle: Fischer Weltalmanach 2013): die USA mit 20,5 %, die VR China mit 11,4 %, Japan
mit 5 % und Indien mit 4 %.

7.3 Inhaltsstoffe des Erdöls


Erdöl ist eine dunkelbraune, vielfach grün fluoreszierende, viskose Flüssigkeit mit intensi-
vem, unangenehmen Geruch. Es besteht aus einem komplexen Stoffgemisch. In der Haupt-
sache ist es ein Gemisch aus Kohlenwasserstoffen (Alkane, Cycloalkane und Aromaten, aber
keine Alkene und Alkine). Bezüglich ihrer Inhaltsstoffe unterscheiden sich die Erdöle je
nach Herkunft, z.B. enthält das pennsylvanische Erdöl hauptsächlich Alkane, das Erdöl aus
der GUS und das rumänische Erdöl enthalten einen hohen Anteil an Cycloalkanen, und in-
donesische Erdöle enthalten bis zu 40 % aromatische Kohlenwasserstoffe. Die Cycloalkane
werden in der Petrochemie als Naphthene bezeichnet.
Alkane. In den meisten Erdölen bilden die Alkane die Hauptfraktion der Kohlenwasserstoffe.
In dieser wiederum überwiegen die n-Alkane. In der Alkanfraktion sind n-Alkane vom Me-
than bis zum Alkan mit einer Kohlenstoffkette mit 78 C-Atomen vertreten. Die verzweigten
Alkane liegen hauptsächlich als 2-, 3- und 4-Methylalkane vor.
Naphthene. Als Naphthene werden alicyclische Verbindungen des Erdöls bezeichnet. Es sind
vor allem Verbindungen mit einem Fünf- oder einem Sechsring. Dazu zählen Cyclopentan
und Cyclohexan selbst und deren Mono-, Di- und Trimethylderivate. Auch Bicylo- und
Tricycloalkane wurden im Erdöl gefunden.
Aromaten. In der aromatischen Erdölfraktion sind z.B. Benzol, Toluol, Xylol, Cumol, Pseu-
documol (1,2,4-Trimethylbenzol) und polycyclische kondensierte Aromaten, auch solche,
die eine oder mehrere Methylgruppen als Seitenketten haben, enthalten.
Sauerstoffhaltige Verbindungen. Den Hauptanteil der sauerstoffhaltigen Verbindungen im
Erdöl bilden Naphthensäuren. Auch aliphatische Carbonsäuren von der Methansäure
HCOOH bis zur Heneicosansäure CH3(CH2)19COOH wurden im Erdöl gefunden. Außerdem
kommen im Erdöl noch Phenole und Ketone vor.
Die Naphthensäuren sind in amerikanischen Erdölen mit 0,1–0,3 %, in russischen und
rumänischen Erdölen bis zu 3 % enthalten. Es handelt sich dabei um Verbindungen mit
einem Fünf- oder Sechsring, an den die Carboxygruppe –COOH direkt gebunden oder
Bestandteil einer Seitenkette ist:
COOH
COOH CH2(CH2)nCOOH

n = 0 bis 4

Cyclopentancarbonsäure Cyclopentylalkansäure Cyclohexancarbonsäure


7.4 Destillationsfraktionen des Erdöls 275

Der Fünf- oder Sechsring der Naphthene enthält außerdem vielfach noch weitere Seiten-
ketten, zumeist Methylgruppen, z.B.:

CH2COOH COOH

H3C CH3

CH3

CH3
3-Methylcyclopentylethansäure 2,2,6-Trimethylcyclohexancarbonsäure

Die Blei-, Cobalt- und Mangansalze der Naphthensäuren verwendet man als Sikkative.
Dies sind Oxidationskatalysatoren für Anstriche und Firnisse. Kupfernaphthenate (= Kupfer-
salze der Naphthensäuren) dienen zum Imprägnieren von Baumwolle-, Jute und Hanffasern.
Napalm findet Verwendung zur Herstellung von Benzingelen und Brandbomben. Es ist ein
Gemisch, bestehend aus Aluminiumsalzen der Naphthensäuren und Aluminiumsalzen der
aus Kokosöl gewonnenen Fettsäuren, das in Benzin gelöst, ein Gel bildet.

Stickstoffhaltige Verbindungen. Stickstoffhaltige Verbindungen kommen in den Erdölen nur


in kleinen Mengen vor, von 0,01 % bis 0,9 %. Zumeist sind es heterocyclische Stickstoffver-
bindungen, z.B. Pyridin, Pyrrolderivate, Chinolin usw.

Schwefelverbindungen. Erdöle können bis 1 % Schwefelverbindungen enthalten. Es handelt


sich dabei um Mercaptane (Thiole) R–SH, um Thioether R–S–R oder um Heterocyclen, in
denen der Schwefel in einen Fünf- oder Sechsring eingebaut ist. Schwefelverbindungen im
Erdöl sind unerwünscht, denn sie belasten nach Verbrennen von Erdölfraktionen als SO2 die
Umwelt. Schwefelverbindungen in Benzin korrodieren außerdem bei der Verbrennung die
Motoren. Es ist notwendig, den Schwefel aus den Erdölfraktionen zu entfernen.

7.4 Destillationsfraktionen des Erdöls


Das Erdöl stellt ein komplexes Gemisch dar, das über tausend individuelle Verbindungen
enthält. Damit es einer Nutzung zugeführt werden kann, ist es notwendig, es in Fraktionen
aufzutrennen. Dies geschieht auf Grund der unterschiedlichen Siedetemperaturen der einzel-
nen Verbindungen mit Hilfe der fraktionierten Destillation.
Die Destillation ist ein Trennverfahren, bei dem die zu destillierenden Flüssigkeiten
durch Erhitzen in die Gasphase überführt und durch Abkühlen wieder verflüssigt werden
(kondensieren). Sind zwei Stoffe in gleicher Menge in einem Flüssigkeitsgemisch vertreten,
dann reichert sich die leichter flüchtige Verbindung mit der niedrigeren Siedetemperatur
infolge ihres höheren Dampfdrucks in der Gasphase an. Die kondensierte Flüssigkeit hat,
verglichen mit dem Ausgangsgemisch, einen höheren Stoffmengenanteil der leichtflüchtigen
Komponente. Der Trenneffekt wird noch dadurch verbessert, wenn dafür gesorgt wird, daß
der Wärme- und Stoffaustausch zwischen Gasphase und kondensierter Flüssigkeit (dem
276 7 Erdöl

Kondensat) möglichst intensiv ist. Dies erzielt man, indem man die Destillationskolonne mit
Füllkörpern bestückt (Draht-, Keramik- oder Glaskörper), an denen die kondensierte Flüssig-
keit zurückläuft. Das zurücklaufende Kondensat hat eine große Oberfläche, womit ein inni-
ger Kontakt mit der aufsteigenden Gasphase gegeben ist. Durch Einbauten von Glocken-
oder von Siebböden mit Füllkörpern in die Destillierkolonne kann der Trenneffekt verbessert
werden. Die Destillation, die über Füllkörper oder über Glockenböden erfolgt, bezeichnet
man als fraktionierte Destillation.
Die Destillation des Erdöls erfolgt in der Rohöl-Destillationsanlage. Das Rohöl wird im
Röhrenofen auf etwa 350°C aufgeheizt und gelangt in den Destillierturm (auch Fraktionierturm
oder Destillierkolonne genannt). In diesem befinden sich Glocken- oder Siebböden. Das bei
Normaldruck nicht verdampfbare Stoffgemisch sammelt sich am Boden des Destillierturms als
sog. atmosphärischer Rückstand, während das restliche Stoffgemisch in Form von Dämpfen im
Destillierturm hochsteigt. Beim Hochsteigen der Dämpfe werden diese kondensiert. Die auf
den einzelnen Glockenböden befindlichen Kondensate werden seitlich abgezogen.
Die Dämpfe müssen auf ihrem Weg zu dem höhergelegenen Boden zunächst die auf
diesem Boden befindlichen Glocken durchströmen. Sie durchqueren dabei das schon ange-
sammelte Destillat, wobei sie die noch im Destillat vorhandenen flüchtigen Anteile mitrei-
ßen. Für einen teilweisen Rücklauf des Kondensats sorgt ein im Boden befindlicher Über-
lauf. Auf den niedriger gelegenen Glockenböden sammeln sich die Kondensate mit den
höher siedenden Anteilen. Die Dämpfe mit niedriger siedenden Anteilen kondensieren erst
auf den höher gelegenen Glockenböden. Die Kondensate auf den jeweiligen Glockenböden
werden als Erdölfraktionen bezeichnet. Durch Destillation bei Normaldruck können fol-
gende Fraktionen erhalten werden: Gase, Leicht- und Schwerbenzin, Petroleum und Gasöle.
Die am Boden des Destillationsturmes angesammelten flüssigen Anteile, der sog. atmo-
sphärische Rückstand, können dem schweren Heizöl zugeführt oder im Vakuum-
Destillationsturm weiter aufgetrennt werden.

Destillat

Dampf
Überlauf
Bild 7.1 Destillationsglocke

Bei der weiteren Aufarbeitung des atmosphärischen Rückstands wird dieser zunächst in
einem Röhrenofen erhitzt und gelangt in den Vakuum-Fraktionierturm. Im Vakuum haben
die einzelnen Komponenten eine niedrigere Siedetemperatur, so daß auch die höhersieden-
den Anteile noch verdampfen und durch Destillation getrennt werden können. Aus der
7.4 Destillationsfraktionen des Erdöls 277

Vakuum-Destillation kann man folgende Fraktionen gewinnen: Spindelöl, Schmieröldestillat


und Zylinderöl. Je nach eingesetztem Rohöl kann der Vakuum-Rückstand dem schweren
Heizöl zugegeben oder als Bitumen (Asphalt) verwendet werden.
Von der Fraktionierung hängt es ab, wie eng geschnitten die abgezogenen Seitenströme
sind. Die Literaturangaben weichen deshalb bezüglich des Siedebereichs der Fraktionen
etwas ab. Die Siedebereichswerte in der weiteren Aufzählung der Erdölfraktionen wurden
dem Buch vom Erdöl, das von der BP herausgegeben wurde, entnommen.
Flüssiggas mit einem Siedebereich, der unter 0 °C liegt, enthält Propan, Isobutan und Butan.
Es wird in Camping-Kartuschen, in Druckflaschen zu Heizzwecken und als Füllung in Feu-
erzeuge verwendet.
Leichtbenzin mit dem Siedebereich von 30–100 °C (C5–C7) wird als Einsatzprodukt für die
petrochemische Industrie und im Gemisch mit Schwerbenzin als Kraftstoff für Ottomotoren
(Siedebereich 30–180°C) verwendet. Es kann in engere Fraktionen aufgetrennt werden:
Petrolether mit Siedebereich 30–70 °C (C5–C6), der als Lösungsmittel Verwendung findet,
und Ligroin mit Siedebereich 60–100 °C (C6–C7).
Schwerbenzin mit einem Siedebereich von 100–150 °C (C7–C9) dient nach dem katalytischen
Reformieren als Einsatzprodukt hochwertiger Kraftstoff-Mischkomponenten. Außerdem
kann es zusammen mit Leichtbenzin als Einsatzprodukt für die petrochemische Industrie
verwendet werden.

Gase

Leichtbenzin Vakuumpumpe
Schwerbenzin
Petroleum Spindelöl
Leichtgasöl
Schwergasöl Schmieröldestillat
Rohöl
Atmosph.
Rückstand Zylinderöl
350 °C
Röhrenofen
Destillationsturm 370 °C Vakuumrückstand
Röhrenofen
Vakuum-
destillationsturm

Bild 7.2 Rohöl-Destillationsanlage

Naphtha (C9–C11) wird mit einem Siedebereich von 150–180 °C angegeben. Diese Fraktion
dient im Gemisch mit Petroleum als Dieselkraftstoff und wird auch in der Petrochemie ein-
gesetzt. Es muß noch erwähnt werden, daß der Begriff Naphtha manchmal nicht nur für diese
Fraktion verwendet wird, sondern auch für das Schwerbenzin.
278 7 Erdöl

Petroleum (auch Kerosin genannt) mit einem Siedebereich von 180–250 °C (C12–C14) findet
als Flugturbinenkraftstoff Verwendung und ist Bestandteil von Dieselkraftstoff und Heizöl.
Früher wurde Petroleum auch häufig für Leuchtzwecke (Petroleumlampe) verwendet.
Gasöle decken einen Siedebereich von 250–400 °C ab. Man kann sie unterteilen in Leicht-
(250–350 °C) und Schwergasöle (350–400 °C). Sie dienen zur Herstellung von leichtem
Heizöl (HEL = Heizöl extra leicht), das in Heizungen der Haushalte eingesetzt wird. Im
Gemisch mit Petroleum wird es als Dieselkraftstoff verwendet.
Die Fraktionen können in vielen Fällen nicht ohne weitere Aufarbeitung ihrem Verwen-
dungszweck zugeführt werden. Die weitere Verarbeitung der Erdölfraktionen wird als Raffi-
nation bezeichnet.

7.5 Kennzahlen von Kraftstoffen

7.5.1 Die Octanzahl

Im Otto-Motor wird gegen Ende des Kolbenhubs das komprimierte Benzin-Luft-Gemisch


durch den Funken der Zündkerze entzündet. Die Flammfront durchwandert gleichmäßig das
noch nicht entzündete Gemisch, wobei sich die Gase sukzessive ausdehnen, wodurch der
Kolben nach unten bewegt wird. Bei einem ungeeigneten Benzingemisch kann es zu einer
Selbstentzündung des Gemisches kommen. Es verbrennt explosionsartig, die Folge ist das
die Motorteile schädigende „Klopfen“ des Motors. Besonders n-Alkane verursachen das
Klopfen des Motors, während verzweigte Alkane, Cycloalkane und Aromaten dafür weniger
anfällig sind. Als Antiklopfmittel ist Tetraethylblei Pb(C2H5)4 geeignet. Die Bleistamm-
lösung enthält außer 63 % Tetraethylblei noch 26 % Ethylbromid, 9 % Ethylchlorid und
einen Farbstoff (2 %). Die Ethylhalogenide setzen sich mit dem während der Verbrennung
entstehenden Bleioxid zu flüchtigen Bleihalogeniden um, die mit den Auspuffgasen ausge-
stoßen werden. Die Umwelt wird dadurch mit dem giftigen Schwermetall belastet. Damit
man Tetraethylblei dem Benzingemisch nicht mehr zufügen muß, wird die Benzinfraktion
für die Erhöhung der Octanzahl im Reforming-Prozeß veredelt, in dem die n-Alkane isome-
risiert, cyclisiert und aromatisiert werden. Die Octanzahl wird außerdem noch durch Benzol
(bis 5 % im Normalbenzin) und einen Zusatz von Methanol (ca. 3 % im Normalbezin) und
Methyl-tert-butylether MTBE (siehe Abschnitt 12.3.1) erhöht.
Die Octanzahl (OZ) ist das Maß für die Klopffestigkeit des zu untersuchenden Verga-
serkraftstoffs. Ihre Bestimmung erfolgt durch Vergleich der Klopffestigkeit des zu unter-
suchenden Kraftstoffs mit einem Kraftstoff-Gemisch, bestehend aus zwei Komponenten,
nämlich dem 2,2,4-Trimethylpentan, das als Isooctan bezeichnet wird, und dem n-Heptan.
Dem Isooctan wird willkürlich die Octanzahl 100 und dem n-Heptan die Octanzahl 0
zugeordnet.
7.5 Kennzahlen von Kraftstoffen 279

CH3 CH3

H3C C CH2 CH CH3 H3C (CH2)5 CH3

CH3

Isooctan (OZ = 100) n-Heptan (OZ = 0)

Der im Bezugsgemisch in Volumenprozenten ausgedrückte Anteil Isooctan steht


gleichzeitig für die Octanzahl. Sind z.B. im Isooctan/n-Heptan-Gemisch 90 % Isooctan
enthalten, entspricht dieses Gemisch der Octanzahl 90. Hat nun der untersuchte Kraftstoff
unter den gleichen Versuchsbedingungen die gleiche Klopffestigkeit wie das Isooctan/n-
Heptan-Gemisch, so wird dem Kraftstoff die Octanzahl des Vergleichsgemisches zuge-
sprochen. Der Vergleich erfolgt in einem genormten Einzylindermotor, die Klopfstärke
wird elektronisch gemessen und auf einer Skala am Klopfmesser abgelesen. Erfolgt der
Test ohne Gemischvorwärmung bei gemäßigter Temperatur, wobei die Drehzahl auf 600
U/min gehalten wird, spricht man von einer Research-Octanzahl (ROZ). Normalbenzine
haben eine Research-Octanzahl von 91, Super-Benzine eine von 95.

7.5.2 Die Cetanzahl

Beim Dieselmotor wird das Kraftstoff-Luft-Gemisch ohne elektrische Zündung entzündet.


Die während des Ansaugtaktes in den Zylinder eingeströmte Luft wird so stark komprimiert,
daß die entstehende Temperatur allein genügt, um die Verbrennung des zum geeigneten Zeit-
punkt eingespritzten, fein zerstäubten Kraftstoffs einzuleiten. In diesem Falle ist es also wün-
schenswert, daß die Entzündungstemperatur des Kraftstoffgemisches relativ niedrig liegt. Das
Verhältnis von paraffinischen und naphthenischen und aromatischen Bestandteilen ist bei der
Bewertung von Otto- und Dieselkraftstoffen gegenläufig. Allgemein haben paraffinische
Kohlenwasserstoffe die beste, aromatische Kohlenwasserstoffe hingegen die schlechteste
Zündwilligkeit. Für die Bewertung von Dieselkraftstoffen ist die Zündeigenschaft des Kraft-
stoffes maßgebend, die durch die Cetanzahl charakterisiert wird. Diese wird ähnlich wie die
Octanzahl in einem Spezialprüfmotor bestimmt. Als Vergleichsgemisch dient ein Gemisch
von Cetan (= n-Hexadecan C16H34) und α-Methylnaphthalin. Dem Cetan wird die Cetanzahl
100 und dem α-Methylnaphthalin die Cetanzahl 0 zugeordnet.
CH3

H3C (CH2)14 CH3

Cetan (Cetanzahl = 100) α-Methylnaphthalin (Cetanzahl = 0)


(2-Methylnaphthalin)
280 7 Erdöl

7.6 Das Cracken


Beim Cracken (engl. to crack = spalten) werden Bindungen der in Erdölfraktionen enthalte-
nen Inhaltsstoffe durch starkes Erhitzen gespalten. Alkane werden beim Cracken in Spalt-
produkte mit kürzerer Kette zerlegt. Auf diese Weise können Fraktionen mit höherem Sie-
debereich in ein Produktgemisch mit niedrigerem Siedebereich umgewandelt werden, z.B.
können durch Hydrocracken Gasöle zu Benzin gecrackt werden. Auch organische Schwefel-,
Stickstoff- und Sauerstoffverbindungen können gecrackt werden. Beim katalytischen
Cracken in Gegenwart von Wasserstoff werden die Heteroatome als H2S, NH3 bzw. H2O
eliminiert. Dieses Verfahren ist vor allem wichtig für die Entschwefelung von Erdölfraktio-
nen. Beim Cracken können Isomerisierungen, Cyclisierungen und Aromatisierungen eintre-
ten. Dies wird im Reforming-Verfahren gezielt dazu benutzt, um aus Benzingemischen
Kraftstoffe mit höherer Octanzahl zu bekommen.
Auf die Ausbeute und die Produkte des Crackens haben die folgenden Reaktionsbedin-
gungen Einfluß:
Die Spalttemperatur. Bei Temperaturanstieg stoßen die Teilchen heftiger und häufiger zu-
sammen. Es entstehen kürzere Spaltprodukte, die Spaltung verschiebt sich von der Ketten-
mitte zum Kettenende und die Crackgeschwindigkeit wird erhöht.
Die Verweilzeit. Eine kurze Verweilzeit bringt eine hohe Ausbeute an Olefinen, eine lange
Verweilzeit begünstigt Oligomerisierungen und eine Koksabscheidung.
Der Partialdruck der Kohlenwasserstoffe. Nach dem Prinzip des kleinsten Zwanges (Le-
Chatelier-Prinzip) weichen Systeme dem äußeren Zwang aus. Bei höherem Partialdruck wer-
den diejenigen Reaktionen bevorzugt, bei denen die Anzahl der Teilchen vermindert wird,
und das sind im wesentlichen Polymerisationsvorgänge. Erniedrigt man den Partialdruck,
z.B. durch Zusatz von Wasserdampf (siehe Steamcracking), erhält man niedrige Spaltpro-
dukte und Olefine.
Grundsätzlich unterscheidet man zwei Arten des Crackens: das thermische Cracken, das
durch bloßes starkes Erhitzen des Einsatzgutes erfolgt, und das katalytische Cracken, bei
dem zusätzlich Katalysatoren eingesetzt werden.

7.6.1 Thermisches Cracken

Beim Erhitzen der Kohlenwasserstoffe nimmt die Schwingung der Atome im Molekül zu.
Sie wird bei etwa 400°C so groß, daß die Bindungskräfte der C–C-Bindungen überwunden
werden und die Spaltung des Moleküls einsetzt. Dabei entstehen Spaltprodukte mit kürzerer
Kette. Die Bindung wird hierbei homöopolar gespalten, das heißt, sie wird so gespalten, daß
von den zwei Elektronen der Bindung je ein Elektron bei dem jeweiligen Bindungspartner
verbleibt. Es entstehen Radikale. Den Stoffumwandlungen beim thermischen Cracken liegt
also ein Radikalmechanismus zugrunde. Als Beispiel sei das Cracken von Butan angeführt.
Die Reaktion wird mit der Spaltung einer C–C- bzw. einer C–H-Bindung gestartet:
7.6 Das Cracken 281

H H H H
Δ
H3C C C CH3 H3C C + C CH3

H H H H

H H H H
Δ
H3C C C CH3 H3C C C + CH3

H H H H

H H H
Δ
H3C C C CH3 H3C C C CH3 + H

H H H H

H H H H H H
Δ + H
H3C C C C H H3C C C C

H H H H H H
Anmerkung: Die gestrichelte Linie zeigt eine homolytische Spaltung der Bindung an.

Die Radikale können mit einem Wasserstoffatom des Butanmoleküls unter Bildung eines
Alkans (Methan, Ethan, Propan oder Butan) und eines primären oder sekundären Butylradi-
kals reagieren.
H H H H H H

R + H C C C CH3 R H + C C C CH3

H H H H H H

H H H H H

R + H C C C CH3 R H + H C C C CH3

H H H H H H

H H H H H

H + H C C C CH3 H H + H C C C CH3

H H H H H H
R = Methyl-, Ethyl-, Propyl- oder Butylradikal

Radikale können zu Fragmenten zerfallen (radical fragmentation), wobei Alkene und


Radikale mit kürzerer Kette oder ein Wasserstoffatom entstehen.
282 7 Erdöl

H H H
H CH2 CH3
C C C CH3 C C + H
H H
H H H

H H H H
H H
C C C CH3 C C + C CH3
H H
H H H H

H H
H3C H
H C C C CH3 C C + CH3
H H
H H H

H H
H H
C C H C C + H
H H
H H
Der Abbruch der Kettenreaktion kann durch Rekombination zweier Radikale oder durch
Disproportionierung erfolgen. Bei der Disproportionierung entsteht aus zwei Radikalen
durch Übertragung eines Wasserstoffatoms gleichzeitig ein Alkan und ein Alken.
Rekombination zweier Radikale:

R + R R R

R + H R H

H + H H H

Disproportionierung:
H H
H CH3
H3C + H C C C H CH4 + C C
H H
H H H
Es gibt zwei wichtige Verfahren des thermischen Crackens: das Visbreaking-Verfahren
und das Steamcracken.

7.6.1.1 Das Visbreaking-Verfahren


Es dient hauptsächlich dazu, Destillationsrückstände des Rohöls in leichtflüssiges Heizöl
umzuwandeln. In diesem Verfahren werden vornehmlich lange Ketten bei einer relativ nie-
drigen Cracktemperatur (450–540°C) und kurzer Verweilzeit aufgespalten.
7.6 Das Cracken 283

7.6.1.2 Das Steamcracken


Dies ist eines der wichtigsten Crackverfahren überhaupt. Mit seiner Hilfe gewinnt man aus
dem Rohbenzin Ethen und Propen. Bedenkt man, daß Ethen und Propen heute mengenmä-
ßig zu den wichtigsten Grundstoffen der chemischen Industrie gehören und daß Ethen
alleine schon die Ausgangsbasis für rund 30 % aller Petrochemikalien bildet, so kann man
die Bedeutung des Steamcrackens ermessen. Der Crack-Prozeß erfolgt im Röhrenofen bei
einer Temperatur von 800°C und einer Verweilzeit von 1 sec oder bei 900°C und einer
Verweilzeit von 0,5 sec. Im ersten Falle wird hauptsächlich Ethen gebildet, im zweiten
Falle ist auch die Ausbeute an Propen relativ hoch. Bei den hohen Cracktemperaturen muß
die Verweilzeit kurz sein, sonst würden die Produkte carbonisieren, es würde Koks entste-
hen. Die Reaktionsprodukte müssen nach Austritt aus dem Crackofen mit Kühlöl rasch
abgekühlt (abgeschreckt) werden. Der Partialdruck der Kohlenwasserstoffe hat bei der
Spaltreaktion einen entscheidenden Einfluß. Ein hoher Partialdruck begünstigt Poly-
merisations- und Kondensationsreaktionen, während ein niedriger Partialdruck die Alken-
ausbeute erhöht. Um den Partialdruck der Kohlenwasserstoffe zu erniedrigen, wird zum
Rohbenzin Wasserdampf zugemischt. Dieses Gemisch wird in den Crackofen eingeleitet.
In diesem befindet sich ein 50–150 m langes Röhrensystem, das auf 800°C bzw. 900°C
aufgeheizt ist. Benzin und Wasserdampf strömen mit einer Geschwindigkeit von 830–860
km/h, sozusagen im Jet-Tempo, durch das Röhrensystem. Nach Verlassen des Crackofens
werden die Reaktionsprodukte rasch auf 200°C abgekühlt. Aus dem Kühlturm werden sie
in Trenntürme geleitet, wo sie in Ethen, Propen, Buten, Butadien und Crackbenzin aufge-
trennt werden.

Wasserdampf Zu den Trenntürmen

Rohbenzin

Kühlturm

800 °C Gasöl
Crackofen

Kühlöl Bild 7.3


Steamcracken

Bei den Reaktionsbedingungen des Steamcrackens erfolgt bei den durch das Cracken ent-
standenen Radikalen eine β-Spaltung, wobei ein Ethenmolekül und ein um zwei C-Einheiten
kleineres Radikal entsteht, das wiederum eine β-Spaltung erfährt. Diese β-Spaltung setzt sich
über die ganze Kette fort.
284 7 Erdöl

H H H H H H H H H H H H
H H
H C C C C C Cα C H C C C C C + C C
β
H H
H H H H H H H H H H H H

H H H H H H H H
H H
H C C C C C H C C C + C C
H H
H H H H H H H H

H H H H
H
H C C C H C C C + H
H
H H H H H

7.6.2 Katalytisches Cracken

Die Verwendung von Katalysatoren ermöglicht beim Cracken die Herabsetzung der Reak-
tionstemperatur. Das katalytische Cracken erbringt nicht nur eine Erhöhung der Benzinaus-
beute durch Cracken langkettiger Alkane aus höhersiedenden Anteilen, es dient auch der Ver-
besserung der Qualität der Kraftstoffe. Durch Cracken mit speziellen Katalysatoren kann in
Gegenwart von Wasserstoff auch Schwefel aus den Schwefelverbindungen eliminiert werden.
Für das katalytische Cracken verwendet man zumeist saure Katalysatoren. Früher waren
es natürliche Katalysatoren, z.B. Bentonit und Montmorillonit, sie wurden jedoch durch syn-
thetische Aluminohydrosilikate verdrängt. Beim Cracken entstehen durch Anlagerung von
Protonen an die beim Cracken entstandenen Alkene Carbeniumionen.

R CH CH2 + H R CH CH3

Isomerisierungen
In Carbeniumionen können Umlagerungen von Alkylgruppen stattfinden (s. Wagner-Meer-
wein-Umlagerungen in Abschnitt 3.7.3.2). Aus n-Alkanen entstehen auf diese Weise durch
Isomerisierungen beim Cracken in Gegenwart von Wasserstoff und Hydrierkatalysatoren,
über Carbeniumionen als Zwischenprodukt, verzweigte Alkane.

CH3
H3C H H3C H
Pt/H2
R CH CH2 CH3 R C CH2 C C H C C H
-H R H R H
H
7.6 Das Cracken 285

Alkylierungen
Die beim katalytischen Cracken entstehenden Carbeniumionen sind Elektrophile, welche bei
den gegebenen Reaktionsbedingungen elektrophil an Olefine addieren können. Auf diese
Weise wird in das Alken ein Alkylrest eingebracht, es erfolgt also eine Alkylierung des Al-
kens, wobei wiederum ein Carbeniumion gebildet wird.
CH3 CH3 CH3 CH3

H3C C H2C C CH3 H3C C CH2 C CH3

CH3 CH3

Durch Aufnahme eines Hydridions kann sich aus dem Carbeniumion ein Alkan bilden,
CH3 CH3 CH3 CH3

H3C C CH2 C CH3 H3C C CH2 C CH3

CH3 CH3 CH3 H CH3


H C CH3
C CH3
CH3
CH3

oder durch Abspaltung eines Protons ein Alken entstehen.


CH3 CH3

H3C C CH2 C CH2 + H


CH3 CH3 CH3
H3C C CH2 C CH3

CH3 CH3 CH3

H3C C CH C CH3 + H
CH3

7.6.2.1 Das Festbettverfahren

Das katalytische Cracken kann auf die Weise erfolgen, daß das Einsatzgut über den im Reak-
tor aufgeschichteten, also feststehenden Katalysator geleitet wird, z.B. beim Hydrofinieren
oder katalytischen Reformieren. In diesem Fall spricht man vom Festbettverfahren. Nach
längerem Gebrauch nimmt die Wirksamkeit des Katalysators infolge einer Ablagerung von
Rußteilchen an seiner Oberfläche oder durch Einwirkung von Katalysatorgiften ab. Er muß
deshalb von Zeit zu Zeit aus dem Reaktor zur Regenerierung herausgenommen und durch
neuen Katalysator ersetzt werden.
286 7 Erdöl

7.6.2.2 Das Fließstaubverfahren (Wirbelschichtverfahren)

Beim katalytischen Fließstaub-Crackverfahren erfolgt das Cracken mit aufgewirbeltem hei-


ßem Katalysatorstaub. Dieses am häufigsten angewandte Crackverfahren wird als FCC-
Verfahren (fluid catalytic cracking) bezeichnet.
Heißes Schweröl und Wasserdampf werden in das Steigrohr (Riser) des Crackers ein-
geleitet und kommen dort mit dem aus dem Regenerator kommenden heißen Aluminohydro-
silikatstaub (20–80μm), der als Katalysator dient, in Berührung. Das Einsatzöl verdampft
sofort, gelangt in den Reaktor und wirbelt den Katalysatorstaub auf. Der so aufgewirbelte
Staub wird nicht etwa aus dem Reaktor hinausgeblasen, er bildet vielmehr eine oben be-
grenzte Wirbelschicht im Reaktor. Diese Schicht wird auch als Fließbett bezeichnet. Inner-
halb weniger Sekunden werden die Kohlenwasserstoffe an der Oberfläche des heißen Kata-
lysators gecrackt. Das auf der Oberfläche des Katalysators verbleibende Öl wird mit heißem
Wasserdampf abgestrippt. Die Crackprodukte verlassen den Reaktor, während der durch
Rußbildung an der Oberfläche desaktivierte Katalysator in den Regenerator geleitet wird.
Die in den Regenerator strömende Luft verbrennt den Ruß auf dem Katalysator, wodurch
dieser regeneriert und bis auf 700°C aufgeheizt wird. Er kann wieder in das Steigrohr einge-
leitet werden und das Einsatzöl cracken.
Das im FCC-Verfahren erhaltene Gasöl hat noch einen relativ hohen Schwefelgehalt und
bedarf einer Nachbehandlung durch katalytische Druckentschwefelung.

zur Destillation Verbrennungsgase

Reaktor
Regenerator

Fließbett
verbrauc
hte
Katalysa r
tor

Ventil
ator
Wasserdampf atalys
ne r ie rter K
rege
Steigrohr
heißes Einsatzöl Luft zum Abbrennen
und Wasserdampf des Kohlenstoffs

Bild 7.4 Katalytisches Cracken im Wirbelschicht-Verfahren


7.6 Das Cracken 287

7.6.2.3 Das Hydrocracken

Mit diesem Verfahren werden Wachsdestillate zu Gasöl und Gasöle zu Benzin gecrackt.
Durch Isomerisierung entstehen beim Crackprozeß verzweigte Paraffine und der Schwefel-
gehalt wird stark herabgesetzt.
Dem Einsatzgut wird Wasserstoff zugemischt. Das Gemisch wird im Wärmetauscher
vorgewärmt, im Röhrenofen erhitzt und in den Reaktor eingeleitet. Dieser arbeitet im Wir-
belschichtverfahren. Das Cracken wird bei erhöhtem Druck und einer Temperatur von
430 °C durchgeführt. Als Katalysator verwendet man die beim Cracken üblichen Alumini-
umhydrosilikate, kombiniert mit Hydrierkatalysatoren (Co, Mo, Wo, Ni), welche durch
Schwefelverbindungen nicht vergiftet werden. Es geht hier um ein katalytisches Cracken,
das von einer katalytischen Hydrierung überlagert ist. Zur Produktion von Gasöl aus Wachs-
destillaten genügt ein Reaktor, für Ottokraftstoff sind zwei Reaktoren mit verschiedenen
Katalysatoren nötig. Der Nachteil des Hydrocrackens ist der relativ hohe Bedarf an Wasser-
stoff (300 m3 H2 je m3 Einsatzöl).

7.6.2.4 Das Hydrofinieren

Beim Hydrofinieren (auch als Hydrotreaten bezeichnet) geht es vor allem um eine Druckent-
schwefelung. Mit diesem Verfahren werden Petroleum- oder Gasölfraktionen gecrackt.
Organische Schwefel-, Stickstoff- und Sauerstoffverbindungen werden bei den Reaktions-
bedingungen reduktiv gespalten und es entstehen H2S, NH3 und H2O. Ungesättigte Verbin-
dungen werden hydriert.
Das Einsatzgut wird im Röhrenofen erhitzt, mit Wasserstoff bzw. mit wasserstoffreichem
Kreislaufgas vermischt und in den Reaktor eingeleitet. Die Reaktion erfolgt im Festbett-
reaktor (8 m hoch, 3 m Durchmesser) bei 300–380 °C und 60 bar. Als Katalysator dient ein
Kobalt-Molybdän-Katalysator, der in Form von Stäbchen (0,5 cm × 0,5 mm ) vorliegt, mit
denen der Reaktor gefüllt ist. Die Reaktionsprodukte werden in den Gasabscheider geleitet,
in dem die Gase vom flüssigen Anteil abgetrennt werden. Im Stripper werden Reste von
Schwefelwasserstoff und leichte Kohlenwasserstoffe herausgestrippt. Der Wasserstoff wird
im Kreislauf geführt, wobei noch wasserstoffreiches Platformergas nachgespeist wird.

7.6.2.5 Katalytisches Reformieren

Das katalytische Reformieren dient vor allem dazu, aus Benzinfraktionen mit einem Siedebe-
reich von 80–200 °C klopffeste, hochwertige Benzine zu gewinnen. Hierbei hat sich
besonders das Platforming-Verfahren (Abkürzung des Wortes platinium reforming) der
Universal Oil Products Company bewährt.
Nach Entschwefelung wird das Benzin im Röhrenofen erhitzt und unter Zuspeisung von
Wasserstoff in den Festbettreaktor eingeleitet. Die Reaktion erfolgt bei 380–480 °C und
einem Druck von 10–30 bar. Als Katalysator wird Platin verwendet. Dieses ist mit anderen
Katalysatoren, z.B. Rhenium, das die Lebensdauer des Katalysators verlängert, auf hoch-
reiner Tonerde aufgetragen. Die Umsetzung findet in drei hintereinander geschalteten Reak-
toren statt. Beim Reformieren finden endotherme Prozesse statt (z.B. Dehydrierungen), so
daß das Reaktionsgemisch abgekühlt wird. Um die Reaktion weiterführen zu können, ist es
288 7 Erdöl

notwendig, sie noch in zwei weiteren Reaktoren ablaufen zu lassen, wobei das Reaktions-
gemisch vor Eintritt in den nächsten Reaktor im Röhrenofen erhitzt werden muß.
Beim katalytischen Reformieren treten folgende Reaktionen ein:
1.) Isomerisierungen:
H
H H
C
H H H H H H H H
H C C C C C H H C C C C H
H H H H H H H H H

2.) Cyclisierungen:

H3C H H3C H
H H H H
C C
H C C
C H C H H
H + H2
H H H
H H C C
C C
C C
H H H H
H H H H

3.) Dehydrierung cyclischer Verbindungen zu Aromaten:

CH3 CH3
H
H C H H H
C
H C C H Pt C C
+ 3 H2
H H
C C C C
H C H H C H
H H H

4.) Hydrocracking: z.B.

C8H18 + H2 C3H8 + C5H12

Verzweigte Alkane und Cycloalkane haben ebenso wie Aromaten eine höhere Octanzahl
als n-Alkane, so daß durch die beim Platforming erfolgenden Mesomerisierungen, Cyclisie-
rungen und Aromatisierungen Benzingemische mit hoher Octanzahl gebildet werden.
Zur Regenerierung des Katalysators werden entweder die Reaktoren durch Ersatzreak-
toren (Swingreaktoren) ausgetauscht, oder es werden fortlaufend kleine Katalysatormengen
abgezogen, diese regeneriert und wieder in den Reaktor eingebracht. Das Regenerieren
erfolgt durch Erhitzen des Katalysators im Luftstrom.
Übungsaufgaben 289

Übungsaufgaben

? 7.1
Was wissen Sie über die Entstehung des Erdöls?

? 7.2
Welche Inhaltsstoffe findet man im Erdöl?

? 7.3
Was versteht man unter thermischem und katalytischem Cracken?

? 7.4
Was versteht man unter Steamcracken und wozu dient es?

? 7.5
Beschreiben Sie das Platforming-Verfahren und geben Sie an, wozu es eingesetzt wird.
290 7 Erdöl

Lösungen

! 7.1
Winzige Schwebetierchen (Foraminiferen) bevölkerten in großer Zahl als Plankton (griech.
Plankton = das Umhertreibende) das Wasser von Flachwasserzonen, Meeresbuchten und
Binnenmeeren. Die abgestorbenen Mikroorganismen sanken am Meeresboden und bildeten
ganze Schichten, die Faulschlammhorizonte, über welchen sich andere Sedimentschichten
absetzten. In der organischen Substanz vollzogen sich reduktive Prozesse, durch die sich im
Laufe der Jahrmillionen das Erdöl bildete.

! 7.2
Das Erdöl ist eine dunkelbraune viskose Flüssigkeit mit unangenehmem Geruch. Es besteht
aus einem komplexen Substanzgemisch. In den meisten Erdölen bilden Alkane die Haupt-
fraktionen des Erdöls, wobei die n-Alkane überwiegen. Im Erdöl befinden sich auch alicy-
clische Verbindungen, welche als Naphthene bezeichnet werden, aromatische Verbindungen
und Sauerstoffhaltige Verbindungen, mit Naphthensäuren als Hauptanteil. Stickstoffhaltige
Verbindungen und Schwefelverbindungen sind nur bis höchstens 1% im Substanzgemisch
des Erdöls vertreten. Es ist nötig Schwefelverbindungen aus den Erdölfraktionen zu ent-
fernen, denn bei ihrer Verbrennung erfolgt eine Umweltbelastung durch Schwefeldioxid.
Schwefelverbindungen im Benzin oder Dieselkraftstoff korrodieren bei der Verbrennung die
Motoren.

! 7.3
Beim thermischen Cracken werden die Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen bei einer Tem-
peratur über 450°C gespalten (engl. To crack = spalten), wobei Spaltprodukte mit einer kür-
zeren Kette entstehen. Bei der Spaltung entstehen Radikale und es erfolgen Radikalreaktio-
nen bei welchen Alkane mit kürzerer Kette und auch ungesättigte Verbindungen entstehen
Die wichtigsten thermischen Crackverfahren sind das Visbreaking-Verfahren, das dazu
dient, Destillationsrückstände des Rohöls in leichtflüssiges Heizöl umzwandeln und das
Steamcracken, mit welchem Ethen und Propen erzeugt werden.
Beim katalytischen Cracken erfolgt das Cracken in Gegenwart von Katalysatoren z.B. Alu-
minohydrosilikaten, die die Reaktionstemperatur herabsetzen. Es bringt eine Erhöhung der
Benzinausbeute durch Cracken langkettiger Alkane aus höhersiedenden Anteilen. Isomeri-
sierungs- und Alkylierungsreaktionen führen zu Produkten, die der Verbesserung von Kraft-
stoffen dienen.

! 7.4
Das Steamcracken ist ein Verfahren zur Herstellung von Ethen und Propen aus Rohbenzin.
In den Crackofen, der aus einem bis 150 m langen Röhrensystem besteht, wird Rohbenzin
und überhitzter Wasserdampf eingeleitet. Der Crackprozeß erfolgt bei 800°C und einer Ver-
weilzeit von einer Sekunde, wobei Ethen entsteht, oder bei einer Temperatur von 900°C und
einer Verweilzeit von 0,5 sec, wobei Propen als Hauptprodukt anfällt. Nach Verlassen des
Crackofens werden die Reaktionsprodukte abgekühlt und in Trenntürmen aufgetrennt.
Lösungen 291

! 7.5
Das Katalytische Reformieren dient zur Gewinnung von klopffesten, hochwertigen Benzi-
nen. Beim Platforming-Verfahren (Abkürzung von platinium reforming) wird das Benzin
nach Entschwefelung im Röhrenofen erhitzt und unter Zuspeisung von Wasserstoff in Fest-
bettreaktoren geleitet, in denen sich ein Platinkatalysator und andere Katalysatoren befinden.
Es finden Isomerisierungen, Cyclisierungen, Dehydrierungen und Hydrocracking in diesen
Reaktoren statt. Verzweigte Alkane, Cycloalkane und Aromate sind die Produkte dieser
Reaktion. Sie haben eine höhere Octanzahl als n-Alkane aus denen sie gebildet wurden, so
dass man durch das katalytische Reformieren ein klopffesteres Benzingemisch erhält.
8 Optische Isomerie

8.1 Das Licht als elektromagnetische Welle


Betrachten wir zunächst einmal eine elektrische Glühlampe als Lichtquelle. Beim Durchgang
des elektrischen Stromes durch den Wolframdraht der Glühlampe wird dieser erhitzt. Elek-
tronen in den Wolframatomen werden in einen energiereicheren unstabilen angeregten Zu-
stand versetzt. Bei Rückkehr des Elektrons in den vorhergehenden stabilen Grundzustand
wird die aufgenommene Energie in Form von Licht abgestrahlt:

E 2 − E1 = h ν

Das Symbol E2 bedeutet die Energie des Elektrons im angeregten Zustand, E1 die Energie
des Elektrons im Grundzustand, h die Planck-Konstante und ν die Frequenz der Strahlung.
Das Licht ist eine elektromagnetische Welle. Man kann sich ein einzelnes Wolfram-
atom in diesem Fall als kleinen Sender vorstellen, der eine elektromagnetische Welle aus-
strahlt.
Der elektrische und magnetische Feldvektor stehen rechtwinklig aufeinander und im
rechten Winkel zur Ausbreitungsrichtung des Lichts. Beide Vektoren schwingen in Ebenen,
die aufeinander senkrecht stehen und sich in der Geraden schneiden, die der Lichtstrahl bei
seiner Fortbewegung durchläuft. Bei der Fortpflanzung des Lichts entsteht durch die schwin-
genden Feldvektoren eine transversale (quer zur Ausbreitungsrichtung schwingende) Welle,
wie dies in Bild 8.2 für den elektrischen Feldvektor veranschaulicht wird. Die Schwingungen
dieses Vektors liegen in einer Ebene.

elektrischerFeldvektor

90°

90° Ausbreitungsrichtung
magnetischer
Feldvektor des Lichts

Bild 8.1 Der elektrische und magnetische Feldvektor des Lichts

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 292


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
8.1 Das Licht als elektromagnetische Welle 293

Wellenlänge λ

Fortbewegungsrichtung
des Lichts

= elektrischer Feldvektor

Bild 8.2 Die Schwingungen des elektrischen Feldvektors liegen in einer Ebene und beschreiben eine
Wellenlinie

8.1.1 Natürliches und linear polarisiertes Licht


Ein einzelnes angeregtes Atom kann man sich als einen Dipol vorstellen, der elektromagneti-
sche Schwingungen aussendet. Der elektrische Feldvektor der von einem einzigen Atom aus-
gestrahlten elektromagnetischen Welle schwingt in diesem Falle nur in einer Ebene. Licht,
dessen elektrischer Vektor nur in einer Ebene schwingt, wird als linear polarisiertes Licht be-
zeichnet. Im glühenden Wolframfaden senden aber gleichzeitig viele Atome, die in diesem
Augenblick verschieden räumlich orientiert sind, eine elektromagnetische Welle aus. In der
Temperaturstrahlung (Strahlung von glühenden Körpern) überlagern sich sehr viele solcher
Einzelakte in völlig ungeordneter Weise, so daß die elektrischen und magnetischen Vektoren
des von der Glühlampe ausgestrahlten Lichtes in allen möglichen Ebenen schwingen. Bild 8.3
veranschaulicht schematisch, daß der elektrische Vektor des aus der Glühlampe stammenden
natürlichen Lichtstrahls in allen möglichen, senkrecht zur Ausbreitungsrichtung des Lichtes
stehenden, Ebenen schwingt, während der elektrische Vektor des linear polarisierten Licht-
strahls nur in einer Ebene schwingt. Man muß sich bei Betrachtung der Abbildung vorstellen,
daß die Ausbreitungsrichtung des Lichtstrahls senkrecht zur Papierebene steht.

Bild 8.3 Schwingungs-


ebenen des elektrischen
gewöhnlicher Lichtstrahl linear polarisierter Lichtstrahl Feldvektors im gewöhn-
mit vielen Schwingungsebenen mit einer Schwingungsebene lichen und im linear pola-
risierten Lichtstrahl
294 8 Optische Isomerie

8.1.1.1 Das Nicolsche Prisma

Licht Licht
Licht

Aufschrift Aufschrift durch


Kalkspat gesehen

Bild 8.4 Die Doppelbrechung des Lichts im isländischen Kalkspat

Betrachtet man eine Aufschrift durch einen klaren isländischen Kalkspatkristall (aus
CaCO3 bestehend) hindurch, so sieht man die Schrift doppelt. Dieses Phänomen der Doppel-
brechung des Lichts im Kalkspat kann folgendermaßen erklärt werden: Das in den Kristall
eintretende natürliche (unpolarisierte) Licht wird auf Grund der Kristallstruktur des Kalk-
spats in zwei Strahlen aufgespalten, die zueinander senkrecht linear polarisiert sind. Der
ordentliche Strahl, dessen elektrischer Feldvektor senkrecht zur Hauptachse des Kristalls
schwingt, wird bei senkrechtem Einfall nicht abgelenkt. Der außerordentliche Strahl, dessen
elektrischer Feldvektor parallel zur Hauptachse schwingt, wird gebrochen. Entfernt man den
außerordentlichen Lichtstrahl, so befindet sich im Blickfeld des Betrachters linear polarisier-
tes Licht, dessen elektrischer Feldvektor senkrecht zur kristallographischen Hauptachse des
Kalkspats schwingt. Die Abtrennung des außerordentlichen Lichtstrahls kann mit Hilfe des
Nicolschen Prismas geschehen. Das ist ein längliches Kalkspatstück, das durch Diagonal-
schnitt zersägt und an der Schnittstelle mit Kanadabalsam wieder zusammengeklebt wird.
Der Kanadabalsam hat einen kleineren Brechungsindex als der Kalkspat. Der ordentliche
Strahl tritt durch die Balsamschicht fast ohne Reflexionsverluste hindurch, während der
außerordentliche Strahl auf diese Schicht unter einem Winkel auftrifft, der eine Totalrefle-
xion zur Folge hat. Der außerordentliche Strahl wird in Richtung auf eine geschwärzte Wand
reflektiert und von dieser absorbiert.
Eine Vorrichtung, wie das Nicolsche Prisma, mit der man aus natürlichem Licht polari-
siertes erzeugen kann, nennt man einen Polarisator. Justiert man zwei Nicolsche Prismen auf

unpolarisiertes Licht außerordentlicher Strahl

ordentlicher Strahl
90° 68°
polarisiertes Licht
Nicolsches Prisma

Bild 8.5 Das Nicolsche Prisma


8.2 Die optische Aktivität 295

Lichtquelle
Polarisator
Analysator

Analysa
tor parall
el zum P hell
olarisator

dunkel
Analysator
um 90° gedreht

Bild 8.6 Funktion des Polarisators und des Analysators

eine Achse, so erzeugt das der Lichtquelle nächst gelegene Prisma polarisiertes Licht. Dieses
geht, wenn beide Prismen parallel zueinander stehen, ungehindert durch das zweite Nicol-
sche Prisma, das als Analysator bezeichnet wird, hindurch, und der Betrachter sieht ein hel-
les Feld. Dreht man den Analysator, so wird das Blickfeld immer dunkler, bis es bei einer
Drehung um einen Winkel von 90° vollkommen dunkel erscheint. In diesem Fall wird das
auf den Analysator auffallende Licht, dessen elektrischer Vektor parallel zur Hauptachse des
Kristalls steht, als außerordentlicher Strahl abgelenkt und trifft somit nicht auf das Auge des
Betrachters.

8.2 Die optische Aktivität


Es gibt Kristalle, z.B. Natriumchlorat- oder Quarzkristalle, die beim Durchgang des linear
polarisierten Lichts die Schwingungsebene des polarisierten Lichts drehen. Diese Kristalle
zeichnen sich durch eine asymmetrische Kristallstruktur aus. Man kann Quarzkristalle fin-
den, deren Struktur so beschaffen ist, daß die Form des einen Kristalls dem genauen Spiegel-
bild des anderen entspricht. Der eine Kristall dreht die Schwingungsebene des polarisierten
Lichtes im Uhrzeigersinn (rechtsdrehend), der andere in entgegengesetztem Sinne (linksdre-
hend). Stoffe, die die Eigenschaft besitzen, die Schwingungsebene des linear polarisierten
Lichtes drehen zu können, bezeichnet man als optisch aktiv. In der Schmelze verliert Quarz
diese Eigenschaft, er ist in diesem Zustand optisch inaktiv. Die optische Aktivität ist dem-
nach an die Kristallstruktur dieser asymmetrischen Kristalle gebunden. Es gibt aber Verbin-
dungen, die auch in Lösungen noch die Schwingungsebene des linear polarisierten Lichtes
drehen können. In diesem Falle ist die optische Aktivität auf die Struktur der Moleküle zu-
296 8 Optische Isomerie

Bild 8.7 Quarzkristalle

rückzuführen. Die Drehung der Polarisationsebene des linear polarisierten Lichts beim
Durchgang durch die Lösung eines optisch aktiven Stoffes ist auf die Wechselwirkung zwi-
schen dem elektrischen Feld des Lichts und den in den Molekülen dieses Stoffes anwesenden
Elektronen zurückzuführen. Moleküle, die eine Symmetrieebene, ein Symmetriezentrum
oder eine Drehspiegelachse haben (siehe Abschnitte 8.3.1.1–8.3.1.3), sind, infolge der Sym-
metrie des Moleküls und damit der symmetrischen Elektronenverteilung im Molekül, optisch
inaktiv. Bei Vorliegen einer Symmetrieebene, die das Molekül in zwei spiegelbildliche Hälf-
ten teilt, kann man sich vorstellen, daß um den gleichen Winkel, um den die eine Molekül-
hälfte nach links dreht, die andere Hälfte die Ebene des polarisierten Lichts nach rechts
dreht, so daß im Endeffekt keine Drehung erfolgt. Bei Molekülen optisch aktiver Stoffe ist
eine solche Kompensation nicht gegeben.

8.2.1 Die spezifische Drehung


In der Lösung einer optisch aktiven Verbindung befinden sich im Lösungsmittel sehr, sehr
viele Moleküle dieser Verbindung. Man kann sich vorstellen, daß jedes dieser Moleküle
einen winzigen Beitrag zur Drehung der Polarisationsebene des linear polarisierten Lichts
leistet. Das polarisierte Licht trifft, da die Moleküle in der Lösung verschieden orientiert
sind, unter verschiedenen Winkeln auf sie auf. Daraus ergeben sich in den Einzelfällen unter-
schiedliche Drehungen der Polarisationsebene des polarisierten Lichts. Stellt man die Dre-
hung der Polarisationsebene nach Durchgang des Lichts durch die Lösung fest, so stellt dies
die Summe aller Einzelrotationen dar. Es handelt sich bei der festgestellten Drehung also um
einen statistischen Wert, der bei genau gleichen Meßbedingungen reproduzierbar ist.
Die Apparatur, mit der man die Drehung der Polarisationsebene feststellen kann, wird als
Polarimeter bezeichnet. Sie besteht aus einer Lichtquelle, einem Polarisator, einem Analysa-
tor und einem Fernglas zur Beobachtung. Diese Teile befinden sich in einem Gehäuse, das
aufklappbar ist, damit man in den Strahlengang des polarisierten Lichts zwischen Polarisator
und Analysator ein Probenrohr mit der zu messenden Lösung einbringen kann. Außerdem ist
an der Apparatur außen eine Kreisscheibe mit einer Gradeinteilung angebracht, von der man
den Winkel, um den der Analysator gedreht wird, ablesen kann. Stehen vor Einbringen der
Probe in den Strahlengang beide Nicolschen Prismen parallel zueinander, ist das Blickfeld
8.2 Die optische Aktivität 297

Lichtquelle Kreisscheibe mit


Polarisator Gradeinteilung
Analysator
Probenrohr
Beobachtungs-
fernrohr

Analysa
tor parall
el zum P dunkel
olarisato
r α Auge

l
Analysator um hell
Winkel α gedreht

α = gemessener Drehwinkel in Grad


l = Länge des Probenrohrs in Dezimeter

Bild 8.8 Das Polarimeter

optimal hell (siehe Bild 8.6). Nachdem das Probenrohr mit der zu messenden Lösung der
optisch aktiven Substanz in den Strahlengang geschoben wurde, wird das Blickfeld dunkler,
denn die Polarisationsebene wird beim Durchgang des Lichts durch die Lösung gedreht und
schwingt dann in einer anderen Ebene. Es ist notwendig, den Analysator zu drehen, damit
man wieder ein optimal helles Blickfeld hat. Der auf der Kreisscheibe gemessene Winkel,
um den der Analysator gedreht wurde, ist der Drehwinkel α, der gleichzeitig angibt, um
welchen Winkel die Polarisationsebene durch die Lösung gedreht wurde (siehe Bild 8.8).
Der Drehwinkel α hängt von der Art und von der Anzahl der in Lösung befindlichen
Moleküle der optisch aktiven Substanz ab, auf die der linear polarisierte Lichtstrahl während des
Durchgangs durch das Probenrohr trifft. In konzentrierterer Lösung trifft der Lichtstrahl auf
mehr gelöste Moleküle, so daß seine Polarisationsebene stärker gedreht wird. Der Drehwinkel
steht deshalb in direktem proportionalen Verhältnis zur Konzentration der Lösung. Auch von
der Länge des Probenrohrs ist er abhängig. Die doppelte Länge z.B. bedeutet, daß der Licht-
strahl auf seinem Weg durch die Lösung auch auf die doppelte Anzahl von Molekülen trifft. Will
man vergleichbare Werte haben, ist es notwendig, den Drehwinkel α auf eine Konzentrations-
einheit der Lösung und eine Längeneinheit des Probenrohrs zu beziehen. Die Konzentrations-
einheit ist definitionsgemäß 1 g/mL und die Längeneinheit für das Probenrohr ist ein Dezimeter
(dm) = 10 cm. Die spezifische Drehung [α] bezieht sich auf die angegebenen Einheiten. Außer-
dem wird berücksichtigt, daß die Messung auch geringfügig von der Wellenlänge des Lichts
und der Temperatur abhängt. Erstere wird deshalb hinter der eckigen Klammer als Indexzahl
und letztere als Hochzahl in °C angegeben. Genaue Messungen erfolgen oft mit dem Licht der
gelben Natrium-Linie (D-Linie), was durch ein tiefgestelltes D hinter der Klammer ausgedrückt
wird. Die spezifische Drehung [α] wird nach folgender Formel berechnet:
298 8 Optische Isomerie

gemessener Winkel α [ Grad]


[ α]D20 =
Konzentration [g mL] ⋅ Länge des Probenrohrs [ dm]

Die spezifische Drehung hängt auch vom Lösungsmittel ab. Dieses sollte deshalb in run-
den Klammern hinter dem entsprechenden Zahlenwert der spezifischen Drehung angeführt
werden.
Haben optisch aktive Verbindungen der gleichen Zusammensetzung, mit den gleichen
Bindungspartnern im Molekül, unterschiedliche spezifische Drehungen, bezeichnet man sie
als optische Isomere.

8.3 Die Chiralität


Das Wort chiral leitet sich vom griechischen cheir ab, was auf deutsch übersetzt Hand be-
deutet. Betrachtet man beide Hände mit der Handfläche zum Betrachter (siehe Bild 8.9), so
kann man feststellen, daß sie einander ähnlich und gleich groß, aber seitenverkehrt sind. Das,
was sich bei der einen Hand links befindet, ist bei der anderen Hand rechts. Legen wir die
Hände so aufeinander, daß die Handflächen beider Hände zum Betrachter weisen, sehen wir,
daß sie miteinander nicht zur Deckung gebracht werden können. Die Daumen befinden sich
jeweils bei linker und rechter Hand auf der entgegengesetzten Seite. Beim Anziehen von
Handschuhen kann man sich davon überzeugen, daß beide Hände nicht deckungsgleich sind.
Der rechte Handschuh paßt nur auf die rechte und der linke Handschuh nur auf die linke
Hand, sie sind gegenseitig nicht vertauschbar. Betrachtet man eine Hand im Spiegel, so kann
man feststellen, daß ihr Spiegelbild das genaue Abbild der anderen Hand ist. Es gibt noch
viele andere Objekte, die, ähnlich wie die beiden Hände, mit ihrer spiegelbildlichen Darstel-
lung nicht deckungsgleich sind, z.B. Füße, Ohren, Schrauben und Wendeltreppen. Man kann
sie als chiral („händig“) bezeichnen. Andere Objekte hingegen, die mit ihrem Spiegelbild
identisch sind, z.B. Schachteln mit rundem oder quadratischem Boden oder ein Ball, gehören
zu den achiralen (achiral = nicht chiral) Gegenständen. Die allgemeine Eigenschaft der
„Händigkeit“, das heißt, daß das Objekt und dessen Spiegelbild sich, ähnlich wie die linke
und die rechte Hand, nicht zur Deckung bringen lassen, wird als Chiralität bezeichnet.

linke Hand rechte Hand


Bild 8.9 Rechte und linke Hand
8.3 Die Chiralität 299

Spiegelbild der
linke Hand mit rechten Hand Bild 8.10 Die linke Hand
Handfläche zum Betrachter gleicht dem Spiegelbild der
rechte Hand rechten Hand

8.3.1 Chirale und achirale Moleküle


Moleküle, die mit ihrer spiegelbildlichen Darstellung, ähnlich wie linke und rechte Hand,
nicht zur Deckung zu bringen sind, bezeichnet man als chiral, solche dagegen, die mit ihrer
spiegelbildlichen Darstellung deckungsgleich (kongruent) sind, als achiral. Chirale Moleküle
sind optisch aktiv, achirale Moleküle hingegen sind optisch inaktiv.

Spiegelbild
Chirales Molekül ene
geleb
e
Spi
I I I
Spiegelbild
um 180° gedreht

Br Br Cl
H H
Cl H Br
Cl

I
Spiegelbild
Objekt
Chirales Molekül (Objekt)
Br
H Cl
= Kohlenstoffatom Das Molekül und dessen Spiegelbild
sind nicht deckungsgleich

Bild 8.11 Ein chirales Molekül und dessen Spielbild können nicht zur Deckung gebracht werden
300 8 Optische Isomerie

Um zu erkennen, ob das Molekül chiral ist, kann man die Molekülstruktur räumlich
zeichnen, auf dem Papier über eine Spiegelebene spiegeln, und dann gedanklich versuchen,
durch Drehen und/oder Verschieben (Translation) das Molekül mit dessen Spiegelbild zur
Deckung zu bringen. Das Spiegeln über eine Spiegelebene geschieht auf die Weise, daß man
von jedem Bildpunkt eine durch die Spiegelebene durchgehende Senkrechte zieht und auf
der gegenüberliegenden Seite der Ebene, in gleicher Entfernung von ihr, auf der Senkrechten
einen äquivalenten Bildpunkt zeichnet. Die Methode des Zeichnens und gedanklichen Dre-
hens des Spiegelbildes verlangt ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen. Einfacher ist es,
wenn man das Modell des Moleküls baut, dessen spiegelbildliche Struktur anfertigt und
versucht, beide zur Deckung zu bringen.
Bild 8.11 zeigt ein chirales Molekül (Bromchloriodmethan). Wenn man dieses Objekt
über eine Spiegelebene spiegelt, die spiegelbildliche Darstellung um die eingezeichnete
Achse um 180° dreht, und dann das Spiegelbild über das Objekt hält, so sieht man, daß zwar
die Wasserstoff- und die Iodatome übereinander stehen, nicht aber die Brom- und Chlorato-
me. Das Molekül ist mit seinem Spiegelbild nicht zur Deckung zu bringen und ist also chiral.
Eine weitere Methode, die Chiralität eines Moleküls zu erkennen, besteht darin, Symme-
trieelemente des Moleküls zu bestimmen. Hat ein Molekül weder eine Symmetrieebene,
noch ein Symmetriezentrum oder eine Drehspiegelachse, so ist es chiral. Besitzt es eines
dieser Symmetrieelemente, so ist es achiral. Man kann zeigen, daß sich, bei Vorhandensein
eines dieser Symmetrieelemente, das Molekül mit seiner spiegelbildlichen Darstellung zur
Deckung bringen läßt.

8.3.1.1 Die Symmetrieebene


Eine Symmetrieebene teilt beim Durchlegen durch das Molekül dieses in zwei spiegelbild-
liche Hälften. Für alle Atome auf der einen Seite der Symmetrieebene kann man – gegen-

Symmetrieebenen

Cl

Cl
Cl

Chloroform Acetaldehyd
(Trichlormethan) (Ethanal)

= Kohlenstoffatom = Wasserstoffatom cis-1,2-Dimethylcyclopentan

Bild 8.12 Moleküle mit einer Symmetrieebene


8.3 Die Chiralität 301

überliegend auf der anderen Seite in gleicher Entfernung zur Symmetrieebene – ein äquiva-
lentes Atom vorfinden. Die Symmetrieebene kann durchaus auch mitten durch Atome des
Moleküls hindurchgelegt werden.
Bild 8.12 zeigt die Struktur dreier Moleküle, die eine Symmetrieebene besitzen. Beim
Molekül des Chloroforms kann man sich vorstellen, daß die Symmetrieebene durch ein
Chlor-, das Wasserstoff- und das Kohlenstoffatom mitten hindurchgeht, und in gleicher Ent-
fernung von der Symmetrieebene links und rechts von ihr sich jeweils ein Chloratom befin-
den. Beim Acetaldehyd schneidet die Symmetrieebene ein Sauerstoffatom, geht mitten durch
die Doppelbindung und durch beide Kohlenstoffatome hindurch und schneidet ebenfalls
noch zwei Wasserstoffatome. Beim cis-1,2-Dimethylcyclopentan halbiert die Symmetrie-
ebene die Bindung der beiden die Methylgruppe tragenden Kohlenstoffatome, und geht mit-
ten durch das dieser Bindung gegenüberliegende C-Atom und die beiden an ihn gebundenen
Wasserstoffatome.
Die Spiegelung des cis-1,2-Dimethylcyclopentanmoleküls über eine Spiegelebene in Bild
8.13 zeigt, daß das Molekül und sein Spiegelbild identisch sind. Man braucht sich nur vorzu-
stellen, daß man beide, Objekt und Spiegelbild, übereinanderschiebt.

8.3.1.2 Das Symmetriezentrum


Ein Symmetriezentrum (Inversionszentrum) ist der Punkt eines Moleküls, über den man von
allen Atomen des Moleküls eine Gerade zu einem anderen äquivalenten Atom ziehen kann,
wobei das Symmetriezentrum die Strecke halbiert. Die Spiegelung über das Symmetriezen-
trum wird als Inversion oder Punktspiegelung bezeichnet.
In Bild 8.14 wird ein Molekül gezeigt, das ein solches Symmetriezentrum besitzt. Es be-
findet sich im Schnittpunkt der Gerade die die gegenüberliegenden C-Atome des viergliedri-
gen Ringes verbinden. In der Zeichnung wird die Punktspiegelung des Kohlenstoffes einer
Methylgruppe durchgeführt. Die Entfernung dieses Kohlenstoffatoms zum Symmetrie-

Objekt Spiegelebene Spiegelbild

Bild 8.13 Cis-1,2-Dimethylcyclopentan und sein Spiegelbild


302 8 Optische Isomerie

Symmetriezentrum

Cl

Cl

Bild 8.14 Molekül mit Symmetriezentrum

zentrum ist die gleiche, wie die vom Symmetriezentrum zum Kohlenstoffatom der anderen
Methylgruppe.
Man kann zeigen, daß Moleküle, die ein Symmetriezentrum besitzen, achiral sind, denn
diese Moleküle lassen sich mit ihren Spiegelbildern durch Drehen zur Deckung bringen. Bild
8.15 zeigt das schon in Bild 8.14 abgebildete Molekül mit Symmetriezentrum nochmals, das
nunmehr aber über eine Spiegelebene gespiegelt wird. Das Spiegelbild kann durch Drehung
um die eingezeichnete Achse und Übereinanderschieben über das Objekt mit diesem zur
Deckung gebracht werden, es ist mit dem Objekt deckungsgleich.

8.3.1.3 Die Drehspiegelachse


Die Drehspiegelachse ist ein Symmetrieelement, das sich aus zwei aufeinanderfolgenden
Symmetrieoperationen zusammensetzt: einer Drehung und einer Spiegelung. Die beiden
Symmetrieoperationen können in beliebiger Folge durchgeführt werden. Ein Objekt besitzt
eine n-zählige Drehspiegelachse, wenn es
1.) nach einer Drehung um 360° / n um eine Drehachse und
ne
be
ele
ieg

Cl Cl Cl
Sp

Cl Cl Cl
180°

Spiegelbild nach Drehung


Objekt Spiegelbild mit Objekt deckungsgleich

Bild 8.15 Das Objekt mit Symmetriezentrum und dessen Spiegelbild sind deckungsgleich
8.3 Die Chiralität 303

2.) nachfolgender (oder vorhergehender) Spiegelung an einer senkrecht zu dieser Achse


orientierten Spiegelebene
mit sich selbst zur Deckung kommt.
Für n kann nur eine ganze Zahl stehen. Bei n = 1, 2, 3, 4, 5 und 6 spricht man von einer
ein-, zwei-, drei-, vier-, fünf- und sechszähligen Drehspiegelachse. Setzt man für n = 1 ein,
bedeutet das eine Drehung um 360°. Führt man nachher noch die Spiegelung durch, so be-
kommt man das gleiche Ergebnis wie mit einer Spiegelung über eine Symmetrieebene. Bei
einer zweizähligen Drehspiegelachse gilt n = 2, was eine Drehung um 180° bedeutet. Die
nachfolgende Spiegelung um die senkrecht zur Drehspiegelachse liegende Ebene bringt das
gleiche Ergebnis wie die Punktspiegelung über ein Symmetriezentrum. Liegt in einer Ver-
bindung ein Molekül vor, das eine Drehspiegelachse besitzt, so ist die Verbindung achiral.
Das in Bild 8.16 gezeigte Molekül eines Tetrachlorspirans (die beiden Fünfringe mit
einem gemeinsamen C-Atom stehen senkrecht aufeinander, die Ringebenen sind zueinan-
der um 90° gedreht) hat eine vierzählige Drehspiegelachse. Bei der Spiegelung werden alle
über der Ebene stehenden Atome senkrecht zur Spiegelebene nach unten und die unter der
Spiegelebene befindlichen Atome nach oben gespiegelt. Dreht man dann das Molekül an
der senkrecht zur Spiegelebene stehenden Drehachse um 90°, so führt dies zu einer äqui-
valenten Orientierung des Moleküls. Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man die
Symmetrieoperationen in umgekehrter Reihenfolge durchführt, also erst um 90° dreht und
dann spiegelt.
Man kann, wie dies in Bild 8.17 dargestellt wird, zeigen, daß im Falle des Vorliegens
einer Drehspiegelachse das Molekül mit seinem Spiegelbild zur Deckung gebracht werden
kann, also achiral ist. Zum Beweis dafür wird das Spiegelbild zunächst um eine waagrechte
Achse um 180° und dann um die senkrechte Achse um 90° gedreht. Nach dieser Orientie-
rung des Spiegelbildes ist ersichtlich, daß es mit dem Objekt selbst deckungsgleich ist.

Spiegelebene

1. Spiegelung 2. Drehung

= Chlor = Kohlenstoff = Wasserstoff

Bild 8.16 Molekül mit vierzähliger Drehspiegelachse


304 8 Optische Isomerie

um waagerechte um senkrechte
Achse 180° drehen Achse 90° drehen
90°

180°

Objekt Spiegelbild Spiegelbild ist


Spiegelebene mit Objekt identisch

= Chlor = Kohlenstoff = Wasserstoff

Bild 8.17 Ein Molekül mit Drehspiegelachse ist mit seinem Spiegelbild deckungsgleich

Sollte es Ihnen Schwierigkeiten bereiten, anhand der Abbildungen nachzuvollziehen, wie


nach dem Drehen des Moleküls die Atome orientiert sind, so darf ich Ihnen empfehlen, die
Drehungen nach Angaben in der Zeichnung mit einem Molekülmodell durchzuführen.
Ein Beispiel für eine sechszählige Drehspiegelachse bietet das in Sesselform vorliegende
Cyclohexan. Durch Spiegelung des Cyclohexanrings an einer zur Drehachse D senkrecht
stehenden Ebene (die die C–C-Bindungen in der Mitte schneidet) und Drehung an der Achse
um 60°, gelangt man zu einer äquivalenten Orientierung des Moleküls.

senkrecht zur Achse


befindliche Spiegelebene
D D

Spiegelung 60°

Drehung von 60° um die Achse

Bild 8.18 Das Cyclohexanmolekül hat in Sesselkonformation eine sechszählige Drehspiegelachse


8.4 Enantiomere 305

Eine einzählige Drehspiegelachse und eine Symmetrieebene sind äquivalent. Ebenso be-
steht Äquivalenz zwischen einer zweizähligen Drehspiegelachse und einem Symmetriezen-
trum. Die Definition, daß ein Molekül dann chiral ist, wenn es keine Symmetrieebene, kein
Symmetriezentrum und keine Drehspiegelachse besitzt, läßt sich deshalb einfacher dahinge-
hend variieren, daß das Molekül dann chiral ist, wenn es keine Drehspiegelachse besitzt. Bei
Vorliegen einer Drehspiegelachse ist das Molekül achiral. Bestehende Praxis zur Feststel-
lung der Chiralität ist es jedoch, zunächst zu prüfen, ob das Molekül eine Symmetrieebene
oder ein Symmetriezentrum hat, weil dies einfacher als das Auffinden einer Drehspiegelach-
se ist. Bei der Symmetrieebene bedarf es nur der Spiegelung und beim Symmetriezentrum
nur der Punktspiegelung, während die Drehspiegelachse zwei Symmetrieoperationen ver-
langt, nämlich die Drehung und die Spiegelung. Hat man schon einmal festgestellt, daß das
Molekül eine Symmetrieebene oder ein Symmetriezentrum hat, weiß man, daß es achiral ist,
und man braucht sich nicht mehr damit zu befassen, ob es Drehspiegelachsen hat. Erst wenn
man festgestellt hat, daß das Molekül weder eine Symmetrieebene noch ein Symmetriezen-
trum hat, wird festgestellt, ob Drehspiegelachsen im Molekül zu finden sind. Diese Vorge-
hensweise ist auch dadurch gerechtfertigt, daß achirale Moleküle zumeist eine Symmetrie-
ebene oder ein Symmetriezentrum besitzen.

8.4 Enantiomere
Gibt es zwei optische Isomere, deren räumliche Strukturen dem Verhältnis von Objekt und
dessen Spiegelbild entsprechen, so bezeichnet man diese als Enantiomere, optische Antipo-
den oder Spiegelbildisomere. Enantiomere (griech. enantion = das Gegenteil) haben die
Eigenschaft, daß das eine Isomer die Ebene des linear polarisierten Lichts im Uhrzeigersinn
und das andere um genau den gleichen Betrag entgegen dem Uhrzeigersinn drehen.
Dreht eine Substanz im Uhrzeigersinn, wird sie als rechtsdrehend bezeichnet. Vor dem
Namen der Substanz kann in Klammer ein Pluszeichen geschrieben werden (+). Bei einer
linksdrehenden Verbindung schreibt man vor ihre Bezeichnung in Klammer ein Minuszei-
chen (–). Enantiomere haben, außer, daß sie die Ebene des polarisierten Lichts in entgegen-
gesetztem Sinne drehen, gleiche physikalische Eigenschaften. Sie haben z.B. gleiche
Schmelz- und Siedetemperaturen, die gleiche Löslichkeit usw. Sie haben auch gleiche che-
mische Eigenschaften, soweit bei einer chemischen Reaktion die Reaktionspartner achiral
sind.

8.4.1 Racemische Gemische

Ein Gemisch, das beide Enantiomere zu gleichen Teilen enthält, wird als racemisches Ge-
misch, racemische Form oder Racemat bezeichnet. Für ein solches Gemisch – in der Gas-
phase, als Flüssigkeit oder als Lösung vorliegend – werden alle drei Ausdrücke synonym
verwendet. Für Feststoffe (siehe weitere Ausführungen) wird bei diesen Begriffen unter-
schieden, wobei der Begriff „racemische Form“ allgemeine Bedeutung hat. Das Wort „race-
misch“ leitet sich vom lateinischen Wort racemus = Weintraube ab. In der Weintraube ist ein
306 8 Optische Isomerie

Gemisch beider Enantiomere der Weinsäure enthalten, das als Traubensäure bezeichnet
wird. Beim Durchgang des polarisierten Lichts durch die Lösung eines Racemats wird die
Ebene des polarisierten Lichts, trotz des Vorliegens zweier optisch aktiver Stoffe, insgesamt
nicht gedreht. Dreht nämlich das eine Enantiomer die Ebene des polarisierten Lichtes um
einen bestimmten Winkel im Uhrzeigersinn, so dreht das andere Enantiomer sie um den
gleichen Betrag entgegen dem Uhrzeigersinn. Liegt das racemische Gemisch als Gas oder
Flüssigkeit vor oder befindet es sich in Lösung, so hat es, außer der einen Eigenschaft, daß es
die Ebene des polarisierten Lichts nicht dreht, die gleichen physikalischen Eigenschaften
(Siedetemperatur, Brechungsindex, Lichtabsorption) wie Stoffe mit nur einem Enantiomer.
Beim Auskristallisieren der Stoffe aus der Lösung eines racemischen Gemisches spielen
die Anziehungskräfte eine Rolle, die in der racemischen Form einerseits zwischen den Mo-
lekülen enantiomerer Paare (zwischen Paaren bestehend aus je einem (+) und einem (–)
drehendem Molekül) und andererseits zwischen zwei gleichsinnig drehenden Molekülen
(beide rechts- (+) oder beide linksdrehend (–)) wirken. Unterschiede der Schmelztemperatu-
ren können festgestellt werden zwischen Konglomeraten bzw. Racematen und Feststoffen,
die nur einen der Enantiomere enthalten. Sie sind auf unterschiedliche Wechselwirkungen im
Feststoff zwischen Molekülen enantiomerer Paare und zwischen gleichsinnig drehenden
Molekülen zurückzuführen. Bei Feststoffen muß man zwischen den Begriffen racemische
Gemische, racemische Verbindungen und racemische Mischkristalle unterscheiden, man
gebraucht sie in diesem Falle nicht als Synonyma.

8.4.1.1 Racemische Gemische (Konglomerate)


Sind die Anziehungskräfte zwischen den gleichsinnig drehenden Molekülen größer als zwi-
schen Molekülen enantiomerer Paare, erhält man beim Auskristallisieren ein Konglomerat,
wobei die Kristalle eine einheitliche feste Phase bilden, oder es entstehen in gleichem Ver-
hältnis Kristalle, die in ihrer Form in spiegelbildlichem Verhältnis zueinander stehen. Jeder
individuelle Kristall enthält nur Moleküle mit gleichem Drehsinn. Enantiomere (zueinander
spiegelbildliche) Kristalle kann man, wie der französische Chemiker und Mikrobiologe
Louis Pasteur dies mit den Kristallen des D- und L-Natriumammoniumtartrats getan hat (sie-
he Abschnitt 8.10.1.1), mit der Pinzette herausholen und die Enantiomere auf diese Weise
voneinander trennen. Allerdings ein arbeitsaufwendiges Verfahren!

8.4.1.2 Racemische Verbindungen (Racemate)


Im Falle, daß die Kräfte zwischen enantiomeren (+)- und (–)-Molekülen (das eine rechts-
und das andere linksdrehend) größer sind als zwischen Molekülen mit gleichem Drehsinn, so
kristallisiert eine Molekülverbindung aus, die beide Enantiomere im Verhältnis 1 : 1 enthält.
Im Racemat sind in jedem individuellem Kristall beide Enantiomere in gleicher Menge ent-
halten.

8.4.1.3 Racemische Mischkristalle


Racemische Mischkristalle liegen vor, wenn zwischen Molekülen der Enantiomerenpaare
und den Molekülen mit gleichem Drehsinn (reine Enantiomere) gleiche Wechselwirkungen
bestehen. Die beiden Enantiomere kristallisieren als einheitliche feste Phase aus.
8.5 Das asymmetrische Kohlenstoffatom 307

Schmelztemperatur

(R) (S) (R) (S) (R) (S)


50 % R 50 % R 50 % R
50 % S 50 % S 50 % S
Konglomerat Racemat Racemat

Bild 8.19 Schmelzpunktdiagramme für Konglomerate und Racemate

Bei Vorliegen racemischer Mischkristalle stimmen die Schmelztemperaturen mit denen


der reinen Enantiomere überein, wogegen sich die Schmelztemperaturen bei Konglomeraten
oder Racematen von denen der reinen Enantiomere unterscheiden. Konglomerate haben eine
tiefere Schmelztemperatur, während Racemate eine höhere oder tiefere Schmelztemperatur
als die reinen Enantiomere haben können.

8.5 Das asymmetrische Kohlenstoffatom


Ein Kohlenstoffatom, das vier verschiedene Liganden bindet, wird als asymmetrisches
C-Atom bezeichnet. Das asymmetrische C-Atom wird manchmal in der Formel mit einem
Sternchen C* gekennzeichnet.

(-)-Milchsäure (+)-Milchsäure
180°
O OH HO O
C C

H3C OH HO CH3
t
H eh H
dr
ge

18
um
O OH
C

H3C H
= asymmetrisches C-Atom
OH
(+)-Milchsäure Bild 8.20 Enantiomere
der Milchsäure
308 8 Optische Isomerie

Moleküle, die ein asymmetrisches C-Atom besitzen, sind immer chiral. Verbindungen
mit zwei oder mehreren asymmetrischen C-Atomen sind ebenfalls chiral, mit Ausnahme der
Fälle, wo im Molekül eine Symmetrie vorliegt (z.B. die meso-Weinsäure). In Bild 8.11 wird
ein Molekül mit einem asymmetrischen Kohlenstoffatom dargestellt, und es wird auch ge-
zeigt, daß das Molekül mit seinem Spiegelbild nicht deckungsgleich ist, es ist chiral. Der
asymmetrische Kohlenstoff wird auch als Chiralitätszentrum bezeichnet, und man spricht bei
seinem Vorliegen von einer zentralen Chiralität. Bei den meisten optisch aktiven organischen
Substanzen liegt eine zentrale Chiralität vor. Verbindungen mit einem asymmetrischen Koh-
lenstoffatom können als (+)- oder (–)-Enantiomer vorliegen wie z.B. die Milchsäure. In Bild
8.20 wird gezeigt, daß die beiden spiegelbildlichen Formen der Milchsäure Enantiomere
sind, denn sie sind durch Drehung des Moleküls nicht zur Deckung zu bringen. In der Abbil-
dung befinden sich zwar die Methyl- und Carboxygruppe beider Enantiomere in
Deckung, die Hydroxygruppe und das Wasserstoffatom aber sind bei den beiden Enantiome-
ren vertauscht. Im Muskel ist das rechtsdrehende Enantiomer, die (+)-Milchsäure, anzutref-
fen, während in saurer Milch ein Racemat der Milchsäure, also das (+)- und das (–)-
Enantiomer in gleichem Verhältnis, enthalten sind.

8.5.1 Absolute und relative Konfiguration

Zunächst sollen die Begriffe Konstitution, Konfiguration und Konformation geklärt werden.
Die Konstitution bezieht sich auf die Art der Bindungen und die Bindungspartner, das heißt,
welche Atome miteinander und mit welchen Bindungen (Einfach-, Doppel- oder Dreifach-
bindung) sie verknüpft sind. Die Konstitution eines Moleküls ersieht man aus der Konstitu-
tionsformel. Dieser Formel kann man z.B. entnehmen, daß das cis-1,2-Dimethylcyclohexan
einen Sechsring hat und die beiden Methylgruppen an benachbarte C-Atome des Sechsrings
gebunden sind. Man kann aber nicht feststellen, ob es sich um ein cis- oder trans-Isomer
handelt. Die Konfiguration gibt die räumliche Anordnung der Atome im Molekül an, wobei
aber die verschiedenen Anordnungen der Atome, die sich aus der freien Drehbarkeit der
Atome um die Einfachbindung ergeben können, nicht berücksichtigt werden. An der Kon-
figurationsformel erkennt man, daß es sich beim cis-1,2-Dimethylcyclohexan um das cis-
Isomer handelt, man kann aus ihr aber nicht ersehen, welches Konformer vorliegt, z.B. ob
der Cyclohexanring die Sessel- oder Wannenform hat. Die Konformation schließlich gibt die
räumliche Anordnung aller Atome wieder, wobei auch die freie Drehbarkeit um die Einfach-
bindung berücksichtigt wird. So ist z.B. aus der Konformationsformel des cis-1,2-Dimethyl-
cyclohexans ersichtlich, daß dieses in Sesselform vorliegt und eine axiale und eine äquato-
riale Methylgruppe aufweist.
Es gibt keine einfache Beziehung zwischen dem Drehsinn einer optisch aktiven Substanz
und der absoluten (= realen) Konfiguration ihrer Moleküle. Bis zum Jahre 1951 hatte man
keine Mittel, die absolute Konfiguration zu bestimmen. Der an der Universität in New York
lehrende Dozent Rosanoff schlug im Jahre 1906 den Glycerinaldehyd (der einfachste Zucker
mit asymmetrischem C-Atom) als Standardverbindung vor, auf die die Konfiguration der
Zucker bezogen werden sollte. Dem rechtsdrehenden (+)-Glycerinaldehyd wurde willkürlich
die in Bild 8.22 gezeigte Konfiguration zugeordnet und dieser als D-Glycerinaldehyd be-
8.5 Das asymmetrische Kohlenstoffatom 309

CH3 H 3C H CH3
CH3 CH3
H H
CH3

Konstitutionsformel Konfigurationsformel Konformationsformel

Bild 8.21 Konstitutions-, Kofigurations- und Konformationsformel des cis-Dimethylcyclohexans

zeichnet, wobei D für das lateinische Wort dexter = rechts steht. Der linksdrehende (–)- Gly-
cerinaldehyd wurde L-Glycerinaldehyd benannt. L ist der Anfangsbuchstabe des lat. Wortes
laevis = links.
Andere Verbindungen wurden zum Glycerinaldehyd in Beziehung gebracht und damit ih-
re relative Konfiguration bestimmt. Dies geschah durch chemische Reaktionen, bei welchen
die untersuchten Verbindungen in Glycerinaldehyd oder in eine Verbindung überführt wur-
den, deren Konfiguration schon in Relation zum Glycerinaldehyd gebracht worden war. Die
Bestimmung der relativen Konfiguration einer Verbindung erfolgt also so, daß die Konfigu-
ration der einen mit der einer anderen Verbindung korreliert wird.
Die relative Konfiguration einer Verbindung zum D-(+)-Glycerinaldehyd kann auch so
bestimmt werden, daß man von einem Enantiomer des Glycerinaldehyds ausgehend die Ver-
bindung, deren relative Konfiguration man feststellen will, synthetisiert. Bei den chemischen
Reaktionen darf die Konfiguration am chiralen Kohlenstoff nicht verändert werden. Man
kann z.B., ausgehend vom D-(+)-Glycerinaldehyd die meso-Weinsäure und die D-(–)-Wein-
säure synthetisieren (siehe Bild 8.23). Zuerst wird HCN an die C=O-Doppelbindung addiert.
Es entsteht ein weiteres asymmetrisches C-Atom, wobei, da das Cyanidanion sich an das
C-Atom der Ketogruppe von zwei einander gegenüberliegenden Seiten anlagern kann, zwei
optische Isomere entstehen. Die Nitrilgruppe wird mit einer Säure zur Carboxygruppe
hydrolysiert. Die –CH2OH-Gruppe wird mit HNO3 oxidiert, so daß im Molekül eine weitere
Carboxygruppe vorliegt. Mit dieser Reaktionsfolge konnte die relative Konfiguration der
D-(–)-Weinsäure in Relation zum D-(+)-Glycerinaldehyd bestimmt werden.

O H O H
C C

HOH2C OH HO CH2OH
H H

D- (+)-Glycerinaldehyd L-(-)-Glycerinaldehyd Bild 8.22 Enantiomere


des Gycerinaldehyds
310 8 Optische Isomerie


C N C N C N
O H+ H OH HO H
H
C
* * + *

H OH H OH H OH
HOCH2 HOCH2 HOCH2

D-(+)-Glycerinaldehyd
H + /H2O H + /H2O

O OH O OH
C C
H OH HO H

* *

H OH H OH
HOCH2 HOCH2
= asymmetrisches C-Atom,
das bei der Reaktion
neu entstanden ist Oxidation Oxidation
*
= asymmetrisches C-Atom,
das vor der Reaktion schon
O OH O OH
vorhanden war.
C C
Die räumliche Anordnung
H OH HO H
seiner Liganden bleibt
unverändert
* *
= schräg nach rückwärts
gerichtete Bindungen H OH
OH H
C C
O HO O HO
= schräg nach vorne
gerichtete Bindungen
meso-Weinsäure D-(-)-Weinsäure

Bild 8.23 Synthese der D-(–)Weinsäure und der meso-Weinsäure, ausgehend vom D-(+)-Glycerin-
aldehyd

Bijvoet bestimmte 1951 erstmals an einem Einkristall des Natrium-Rubidium-Salzes des


rechtsdrehenden Enantiomers der Weinsäure durch Röntgenstrukturanalyse die absolute
Konfiguration dieser Verbindung. Es zeigte sich, daß die seinerzeit willkürlich festgelegte
Konfiguration des D-(+)-Glycerinaldehyds richtig war, daß sie der wirklichen (absoluten)
Konfiguration entspricht.
8.6 Nomenklatur chiraler Verbindungen 311

8.6 Nomenklatur chiraler Verbindungen

8.6.1 Die D/L-Nomenklatur

Die D/L-Nomenklatur ist auch heute noch in Gebrauch, wenn Aminosäuren, Hydroxysäuren
und Zucker mit Trivialnamen benannt werden. In diesen Verbindungen bindet jedes asym-
metrische Kohlenstoffatom zwei weitere Kohlenstoffatome, ein Wasserstoffatom und eine
Hydroxygruppe (-OH) oder eine Aminogruppe (-NH2). Die Aminosäuren haben an das
asymmetrischen C-Atom eine Aminogruppe, die Hydroxysäuren und die Zucker eine Hyd-
roxygruppe gebunden.
Die Formeln der vorgenannten Verbindungen werden gewöhnlich in der Fischer-Pro-
jektion geschrieben. Sollen Aminosäuren, Hydroxysäuren oder Zucker in der Fischer-
Projektion dargestellt werden, muß man sich das Molekül folgendermaßen im Raum ori-
entiert vorstellen:
1.) Die Kohlenstoffkette des Moleküls steht senkrecht, wobei das in der Kette endständige
C-Atom mit der höheren Oxidationszahl oben steht. Geordnet nach der Oxidationszahl
haben die funktionellen Gruppen folgende Präferenz: –COOH > C=O > –CHO >
–CH2OH.
2.) Man betrachtet jedes asymmetrische C-Atom so, daß die von ihm ausgehenden Kohlen-
stoff-Kohlenstoff-Bindungen schräg nach rückwärts weisen. Diese Bindungen stehen in
der Fischer-Projektionsformel senkrecht. Die Bindung zum Wasserstoff ebenso wie die
Bindung zum Substituenten (–OH- oder –NH2-Gruppe) gehen schräg nach vorne und
werden in der Fischer-Projektion waagerecht gezeichnet.

O H O H
C C

H C OH H C OH

HOCH2 HOCH2

Modell Konfigurationsformel Fischer-Projektionsformel

= Kohlenstoffatom
= Sauerstoffatom = nach rückwärts gerichtete Bindung
= Wasserstoffatom = nach vorne gerichtete Bindung

Bild 8.24 Modell und Formeln des D-(+)-Glycerinaldehyds in verschiedener Schreibweise


312 8 Optische Isomerie

C-Atom mit höchster


Oxidationszahl oben
unteres asymmetrisches
O H C-Atom
C
*
HO C H
=C
H C* OH Substituent rechts
=O
CH2OH
=H

Modell Fischer-Projektionsformel

Bild 8.25 Fischer-Projektionsformel der D-(–)-Threose

Aus der Fischer-Projektionsformel kann man ersehen, ob eine D- oder eine L-Verbindung
vorliegt. Bei den α-Aminosäuren betrachtet man die am α-ständigen C-Atom (das C-Atom in
Nachbarschaft zur Carboxygruppe) befindliche Aminogruppe. Steht sie in der Projek-
tionsformel links, ist es eine L-Aminosäure, befindet sich die NH2-Gruppe rechts, ist es eine D-
Aminosäure. In Hydroxysäuren und Zuckern legt man zunächst in der senkrecht orientierten
Kette das zu unterst stehende asymmetrische C-Atom fest. Die an dieses C-Atom gebundene
Hydroxygruppe bestimmt, ob die Verbindung eine D- oder L-Verbindung ist. Befindet sich in
der Fischer-Projektionsformel die OH-Gruppe rechts vom asymmetrischen C-Atom, handelt
es sich um eine D-Verbindung, steht sie links, so liegt eine L-Verbindung vor.
Die D-Form und die L-Form chiraler Moleküle stehen in spiegelbildlicher Relation zuein-
ander, es sind Enantiomere.
In den Fischer-Projektionsformeln sind bei den enantiomeren D- und L-Verbindungen die
an asymmetrischen C-Atomen (durch Sternchen markiert) befindlichen Substituenten und H-
Atome seitenvertauscht (siehe nächste Seite).
Die Bezeichnung D- und L- bezieht sich lediglich auf die Konfiguration chiraler Molekü-
le, nicht aber auf ihren Drehsinn. Die Bezeichnung D (dextro = rechts) heißt also keineswegs,
daß D-Enantiomere die Ebene des polarisierten Lichts auch nach rechts drehen müssen. Zwei
Stoffe mit D-Konfiguration können, wie das Beispiel D-(+)-Glycerinaldehyd und D-(–)-Ala-
nin zeigt, die Ebene des linear polarisierten Lichts in unterschiedlichem Drehsinn drehen.
Ähnliche Beispiele lassen sich auch für Stoffe mit L-Konfiguration finden.
Enantiomeren, z.B. die D-Threose und die L-Threose, stehen zueinander in einem räumli-
chen Verhältnis wie Objekt und dessen Spiegelbild, und deshalb gilt allgemein, daß die
D-Verbindung und die L-Verbindung eines Enantiomerenpaares die Ebene des linear polari-
sierten Lichtes im entgegengesetzten Drehsinn drehen.
8.6 Nomenklatur chiraler Verbindungen 313

H O H O HO O HO O
C C C C
* *
HO C* H H C * OH H2N C H H C NH2

CH2OH CH2OH CH3 CH3

L-(-)Glycerinaldehyd D -(+)Glycerinaldehyd L -(+)Alanin D -(-)Alanin

H O H O
C C

H C OH HO C H

HO C H H C OH

CH2OH CH2OH

L -(+)Threose D -(-)Threose

H O H O HO O HO O
C C C C

HO H H OH H2N H H NH2
HOCH2 HOCH2 CH3 CH3

L-(-)-Glycerinaldehyd D-(+)-Glycerinaldehyd L-(+)-Alanin D-(-)-Alanin

O OH O OH
C C
H OH HO H

= asymmetrisches C-Atom

= schräg nach rückwärts


HO H H OH
C
gerichtete Bindungen
O C
HO O HO
= schräg nach vorne
L-(+)-Weinsäure D-(-)-Weinsäure gerichtete Bindungen

Bild 8.26 Räumliche Darstellung einiger enantiomerer Verbindungen


314 8 Optische Isomerie

8.6.2 Die R/S-Nomenklatur


Eine breit anwendbare Möglichkeit, chirale Moleküle eindeutig zu benennen, bietet – in
Verbindung mit den von Cahn, Ingold und Prelog vorgeschlagenen Sequenzregeln – die R/S-
Nomenklatur.

8.6.2.1 Sequenzregeln
Will man das Molekül mit der R/S-Nomenklatur benennen, so ist es zunächst notwendig,
nach den Sequenzregeln die Priorität der Liganden am asymmetrischen C-Atom festzustel-
len. Man verfährt dabei nach folgenden Punkten:
1.) Man betrachtet jedes im Molekül vorhandene asymmetrische C-Atom einzeln. Zunächst
stellt man bei dem betrachteten asymmetrischen C-Atom fest, welche Atome direkt an das
asymmetrische C-Atom gebunden sind. Diese Atome werden, entsprechend ihrer Ord-
nungszahl im Periodensystem der Elemente in einer Reihenfolge (Sequenz) geordnet,
wobei Atome mit der höheren Ordnungszahl die höhere Priorität haben. Zum Beispiel

3 3 3 CH
Cl CH3 3
2
4 1 4 2 4
H C* I H C* Cl H2N C* H

Br 2 Br 1 Cl 1

1 2 3 4 = Priorität des Liganden

2.) Sind direkt an das asymmetrische C-Atom gleiche Atome gebunden, so stellt man bei je-
dem dieser Atome fest, welche weitere Atome sie direkt binden und geht zum nächsten
Atom mit der höchsten Priorität die Atomketten Atom für Atom entlang, bis man einen
Unterschied vorfindet. Nach der Regel, daß die höhere Ordnungszahl höhere Priorität
bedeutet, kann man dann über die Priorität der Liganden entscheiden.

2 CH2CH2OH
4 H C* O CH3 1

3 CH2CH2CH3
Beispiel:

Reihenfolge: –OCH3 > –CH2CH2OH > –CH2CH2CH3 > –H


Begründung: Das O der –OCH3-Gruppe ist direkt an das asymmetrische Kohlenstoff-
atom gebunden. O hat eine höhere Priorität als C und H, und deshalb hat
die –OCH3-Gruppe die höchste Priorität. Geht man in den Gruppen
–CH2CH2OH und –CH2CH2CH3 die Kohlenstoffkette entlang, so ist an das
2. C-Atom in dem einen Falle ein O, im anderen ein C gebunden. Da O die
höhere Priorität vor C hat, gilt: –CH2CH2OH > –CH2CH2CH3.
8.6 Nomenklatur chiraler Verbindungen 315

3.) Doppelt- oder dreifach-gebundene Atome werden so betrachtet, als ob an das näher zum
asymmetrischen C-Atom stehende doppelt/dreifach gebundene Atom 2 resp. 3 gleiche
Atome des Bindungspartners mit Einfachbindungen geknüpft wären. An den Bindungs-
partner werden, damit dieser nach Auflösung der Doppel- bzw. Dreifachbindung wieder
die gleiche Anzahl von Bindungen hat, zusätzlich bei einer Doppelbindung 1 C-Atom,
bei einer Dreifachbindung zwei C-Atome gebunden.

Formel Äquivalent für die Sequenzbe- Formel Äquivalent für die


stimmung Sequenzbestimmung

CH CH CH CH C O C O
C C
O C
C C N C
C C C C C N C N

C C N C

H O
2 C
Beispiel:
1 Cl C * CH2OH 3

4 CH2CH3

O
Reihenfolge: Cl > C > CH2OH > CH2CH3
H
Begründung: Cl hat eine höhere Ordnungszahl als C. Im C=O liegt eine Doppelbindung
vor, man betrachtet deshalb die Carbonylgruppe so, als ob die Gruppierung
–C–O–C vorliegen würde. Die Gruppierung –C–O–C kommt vor
–C–O–H, woraus folgt:
O
C > CH2OH
H

2
1 CH3
Beispiel:
1 H2N C* CH 4

C CH3
H3C CH3
3 CH3

Reihenfolge: NH2 > Phenyl > tert-Butyl > Isopropyl


316 8 Optische Isomerie

Begründung: Der Phenylrest wird so behandelt, als ob die Kekulé-Struktur vorliegen


würde. Das direkt an das asymmetrische C-Atom geknüpfte C-Atom des
Phenylrestes bindet formal ein C mit einer Einfach und ein C mit einer
Doppelbindung. Geht man im Phenyl- und tert-Butylrest die Kohlen-
stoffkette entlang, so hat das zweite Kohlenstoffatom im Phenylrest ein
C-Atom, im tert-Butylrest aber ein H-Atom gebunden. Also hat der Phe-
nylrest die höhere Priorität.

Vergleich:
C C H H
C C C C
entspricht: H und H C C
2 2 2
C CH C C 1C
H 1C C
H 1C
C
C
Phenylrest tert-Butylrest

4.) Liegt bei einem Liganden eine Verzweigung vor, so muß man die Atomkette entlangge-
hen, in der das nächste Atom die höhere Priorität hat. Erst dann, wenn man in dieser
Kette zur Kette des anderen Substituenten keinen Unterschied feststellen kann, kehrt
man zur Verzweigung zurück und geht eine andere Atomkette entlang. Zum Beispiel:

4 CH2CH3

2 HO C* OCH3 1

HC CH3

3 CH3

Reihenfolge: –OCH3 > –OH > Isopropyl > Ethyl


Begründung: In der Methoxygruppe ist an das O ein C und in der Hydroxygruppe ein
Wasserstoff gebunden. Da C die höhere Priorität vor H hat, folgt: –OCH3 >
OH. Geht man die Atomkette in der Ethyl- und Isopropylgruppe entlang,
findet man im ersten Durchgang in beiden Fällen die Folge –C–C–H. Kehrt
man zur Verzweigung zurück, trifft man bei der Abzweigung in der Ethyl-
gruppe auf ein H, in der Isopropylgruppe auf ein C. C hat höhere Priorität
als H, deshalb: Isopropyl > Ethyl.

H H H H
1. 1.
Ethylgruppe: C C H Isopropylgruppe: C C H
2. 2.
H H CH3 H
8.6 Nomenklatur chiraler Verbindungen 317

CH3
3
4 CH3
Beispiel: O CH2
1 Cl C* C CH2CH3
H
2 HC C CH3
H
H3C CH2 O CH3

Reihenfolge:
O CH2CH3
Cl > HC C CH3 > CH > CH3
H
C2H5 O CH3 C2H5

Begründung: Bei zwei Liganden liegt in der Atomkette mit der höheren Priorität (O vor
C) die gleiche Folge vor: –C–O–C–C. An das O dieser Kette ist in beiden
Fällen eine Ethylgruppe gebunden. Man kehrt deshalb zurück zur Ver-
zweigung und geht die andere Kette entlang. Sowohl in der Ethylgruppe als
auch der Isopropylgruppe liegt beim Entlanggehen der Kette zunächst die
Gruppierung –C–C–H vor. Man muß also nochmals zurück zur Verzwei-
gung und stellt in der weiteren Kette bei Isopropyl die Gruppierung –C–C–
H, beim Ethyl –C–H fest. Deshalb hat die Gruppe mit dem Isopropylrest
als Seitenkette die höhere Priorität.
Reihenfolge häufiger Liganden nach absteigender Priorität:
I > Br > Cl > SO3H > SCH3 > SH > F > OCH3 > OH > NO2 >

O O O O
N(CH3)2 > NH2 > CF3 > C > C > C > C >
OCH3 OH NH2 CH3
O H
C > C OH > CH2OH > C N > C6H5 > C(CH3)3 >
H H3C

CH(CH3)2 > C2H5 > CH3 > H

8.6.2.2 Zuordnung zur R- oder S-Konfiguration


Nachdem man die Reihenfolge der Liganden festgelegt hat, wird das Molekül räumlich so
ausgerichtet, daß bei Betrachtung des asymmetrischen C-Atoms die Gruppe oder das Atom
mit der niedrigsten Priorität vom Betrachter aus gesehen rückwärts, hinter dem asymmetri-
schen C-Atom liegt. Die Bindungen der verbleibenden drei an das asymmetrische C-Atom
gebundenen Liganden sind schräg nach vorne gerichtet. Beschreibt man, wenn man in ab-
nehmender Prioritätenfolge von einem zum anderen Liganden geht, einen Bogen im Uhr-
zeigersinn, so hat das Molekül am asymmetrischen C-Atom die R-Konfiguration (R für lat.
318 8 Optische Isomerie

Sequenz im Uhrzeigersinn = R Sequenz entgegen dem Uhrzeigersinn = S


12 12

9 3 9 3
1. 1.
OH 6 OH 6

C H C H
HOH2C O
2. C
3.
C H CH2OH
3.
H 2. O

(R)-(+)-Glycerinaldehyd oder (S)-(-)-Glycerinaldehyd oder


2-(R)-(+)-2,3-Dihydroxypropanal 2-(S)-(-)-2,3-Dihydroxypropanal

1. 2. 3. = Priorität der funktionellen Gruppe

Bild 8.27 Bestimmung der R/S-Nomenklatur am Glycerinaldehyd

rectus = rechts). Geschieht dies entgegen dem Uhrzeigersinn, so liegt eine S-Konfiguration
(S für lat. sinister = links) vor. Das Symbol R oder S wird in runden Klammern vor den Na-
men der Verbindung gesetzt. Noch vor der Klammer wird die Zahl angeführt, die die Stel-
lung des asymmetrischen C-Atoms in der Hauptkette angibt.

8.7 Diastereomere
Jedes asymmetrische Zentrum kann entweder R- oder S-Konfiguration besitzen. Bei Vorlie-
gen zweier asymmetrischer Zentren im Molekül ergeben sich vier mögliche Kombinationen:
RR, RS, SR und SS. Befinden sich im Molekül n asymmetrische Zentren, so gibt es 2n mögli-
che Kombinationen. Bei Molekülen mit mehreren asymmetrischen Kohlenstoffatomen kön-
nen deshalb theoretisch höchstens 2n optische Isomere existieren. Die Verbindung CH2(OH)–
C*H(OH)–C*H(OH)–CHO kann, da sie 2 asymmetrische Kohlenstoffatome hat, 22 = 4 opti-
sche Isomere bilden:
H O H O H O H O
C C C C

H
*
C OH HO C* H HO
* H
C H C
* OH

H C* OH HO C* H H C* OH HO C* H

CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH

D-(-)-Erythrose L -(+)-Erythrose D-(-)-Threose L-(+)-Threose

Enantiomere Enantiomere
8.7 Diastereomere 319

Die D-(–)-Erythrose und die L-(+)-Erythrose ebenso wie die D-(–)-Threose und die
L-(+)-Threose sind Enantiomerenpaare, das heißt, die Strukturen der Moleküle jedes Paares
stehen zueinander im Verhältnis wie Objekt und Spiegelbild. In der Fischer-Projektion ist zu
erkennen, daß es sich bei diesen Paaren um Enantiomere handelt, da an allen asymmetri-
schen C-Atomen die Liganden vertauscht sind.
Die Moleküle der D-(–)-Erythrose und der D-(–)-Threose z.B. stehen nicht in spiegelbild-
lichem Verhältnis zueinander (ein Molekül ist nicht das Spiegelbild des anderen). Solche
optische Isomere, deren Molekülstrukturen nicht in spiegelbildlichem Verhältnis zueinander
stehen, bezeichnet man als Diastereomere (griech. dia = jenseits). Man könnte dies auch so
formulieren, daß optische Isomere, welche nicht Enantiomere sind, Diastereomere sein müs-
sen. Diastereomerenpaare sind z.B.:

H O H O H O H O
C C C C

H C* OH H C* OH H C* OH HO C* H

H C* OH HO C* H H C* OH H C* OH

CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH

D -(-)-Erythrose L -(+)-Threose D -(-)-Erythrose D -(-)-Threose

Diastereomere Diastereomere

H O H O
C C

HO C* H H C* OH

HO C* H HO C* H

CH2OH CH2OH

L -(+)-Erythrose L -(+)-Threose

Diastereomere

Man erkennt bei Betrachten der Fischer-Projektion der zuvor angeführten Verbindungs-
paare, daß es sich um Diastereomeren handeln muß, da die an den asymmetrischen C-Ato-
men gebundenen H-Atome und OH-Gruppen nicht an allen asymmetrischen C-Atomen bei
der jeweils anderen Verbindung seitlich vertauscht sind.
Diastereomere, die sich nur in der Konfiguration an einem einzigen asymmetrischen
Kohlenstoffatom unterscheiden, bezeichnet man als Epimere. Die im vorangehenden Text er-
320 8 Optische Isomerie

wähnten diastereomeren Paare erfüllen diese Voraussetzung, es sind Epimere. Die Epimerie
ist ein Sonderfall der Diastereomerie.
Diastereomere unterscheiden sich in ihren spezifischen Drehwerten und auch in anderen
physikalischen Eigenschaften, z.B. in der Schmelztemperatur, Siedetemperatur und ihrer
Dichte. Auf Grund ihrer unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften kann man sie von-
einander trennen.

8.7.1 Meso-Verbindungen

Die Weinsäure hat zwei asymmetrische Kohlenstoffatome. Sie hat aber nicht, der Formel 2n
entsprechend, die Maximalzahl von vier optischen Isomeren, sondern man unterscheidet nur
drei isomere Verbindungen der Weinsäuren: die D-(–)-Weinsäure und die L-(+)-Weinsäure,
die ein Enantiomerenpaar sind, und die meso-Weinsäure (griech. mesos = Mitte).
Die beiden Formeln in der Fischer-Projektion für die meso-Weinsäure
COOH COOH

H C* OH HO C* H

H C* OH HO C* H

COOH COOH
sind identisch, denn man kann durch eine Drehung der Formel auf der Papierebene um 180°
eine Formel in die andere überführen.
Man kann, wie dies in Bild 8.29 gezeigt wird, das Molekül der Meso-Weinsäure mit seinem
Spiegelbild durch eine Drehung von 180° um eine durch die Molekülmitte durchgehende Achse
zur Deckung bringen. Die meso-Weinsäure ist demnach achiral und somit optisch inaktiv.
Die Erklärung dafür, daß die meso-Weinsäure trotz zweier asymmetrischer Zentren
optisch inaktiv ist, liegt in der Symmetrie ihres Moleküls. Eine Symmetrieebene teilt das
Molekül in zwei spiegelbildliche Hälften. Die Drehung der Polarisationsebene des linear
polarisierten Lichts durch eine Hälfte wird durch die andere Molekülhälfte kompensiert.
Verbindungen, die asymmetrische Zentren haben, aber infolge der Symmetrie ihres Moleküls
optisch inaktiv sind, werden als meso-Verbindungen bezeichnet.

O OH O OH O OH = schräg nach rückwärts


C C C gerichtete Bindungen
H OH HO H H OH

= schräg nach vorne


HO HO gerichtete Bindungen
HO H H H
C C C
O HO O HO O HO

L-(+)-Weinsäure D-(-)-Weinsäure meso-Weinsäure

Bild 8.28 Konfigurationen der Isomere der Weinsäure


8.7 Diastereomere 321

e
en
eleb
ieg
O OH Sp O OH
C C
H OH HO H

Achse senkrecht
180° zur Papierebene
HO
HO
H H
C C
O HO O HO

meso-Weinsäure Spiegelbild
Drehung 180° um
eingezeichnete Achse

Bild 8.29 Die Meso-Weinsäure und ihr Spiegelbild sind deckungsgleich

O OH
C
H OH
Symmetrieebene
senkrecht zur Papierebene
HO
H
C
O HO

meso-Weinsäure

Bild 8.30 Die meso-Weinsäure besitzt eine Symmetrieebene

8.7.2 Optische Isomerie in alicyclischen Verbindungen

Den Begriff alicyclisch verwendet man für cyclische Verbindungen, die ähnliche Bindungs-
verhältnisse und Eigenschaften wie die aliphatischen Verbindungen zeigen, die also keine
Aromaten sind.
Die Addition des Broms an Cyclohexen erfolgt nach dem anti-Mechanismus über ein
Bromonium-Ion (siehe Abschnitt 3.7.4.6). Es entsteht ein racemisches Gemisch des trans-
1,2-Dibromcyclohexans. Das eine Enantiomere hat die (1S,2S)- und das andere die (1R,2R)-
Konfiguration.
322 8 Optische Isomerie

H H H H

H Br Br H
H H H H
H
* (R) (S) * H
H H
H * H H * H
(R) (S)
H Br Br H

Spiegelebene

(1R,2R)-1,2-Dibromcyclohexan (1S,2S)-1,2-Dibromcyclohexan

Das cis-1,2-Dibromcyclohexan ist eine meso-Verbindung. Sie hat zwar zwei asymmetri-
sche Kohlenstoffatome, man kann jedoch durch die Mitte des Moleküls eine Symmetrie-
ebene legen, die das Molekül in zwei spiegelbildliche Hälften aufteilt. Die Verbindung ist
achiral und optisch inaktiv.

H H

H H
H H
Br Br
H * * H
(S) (R)
H H

Symmetrieebene
Das cis-1-Brom-2-chlorcyclohexan ist chiral, von dieser Verbindung können zwei Enantio-
mere vorliegen:

H H H H

H Br Br H
H H H H
* (R) (S) * Cl
H Cl H
H * H H * H
(S) (R)
H H H H

Spiegelebene

(1R,2S)-1-Brom-2- (1S,2R)-1-Brom-2-
chlorcyclohexan chlorcyclohexan
8.8 Optisch aktive Verbindungen ohne asymmetrische Kohlenstoffatome 323

Daneben existieren noch zwei enantiomere trans-Formen:

H H H H

H H H H
H H H H
H Cl * * Cl H
H * Br Br * H

H H H H

Spiegelebene
(1S,2S)-1-Brom-2-chlorcyclohexan (1R,2R)-1-Brom-2-chlorcyclohexan
Sowohl cis-1,4- als auch trans-1,4-disubstituierte Cycloalkane sind achiral, da man durch
das 1. und 4. C-Atom eine Symmetrieebene legen kann:
H H H H

Cl Br H Br
H H H H
Symmetrieebene Symmetrieebene
H H H H
H H Cl H

H H H H

Auch andere disubstitutierte Ringe mit gerader Anzahl der C-Atome, deren Substituenten
an gegenüberliegende C-Atome des Rings gebunden sind, sind achiral.

8.8 Optisch aktive Verbindungen ohne asymmetrische


Kohlenstoffatome
Ist die Ursache der Chiralität von Molekülen das Vorhandensein eines asymmetrischen
C-Atoms, oder auch mehrerer asymmetrischen C-Atome, so spricht man von einer zentralen
Chiralität. In den meisten Fällen liegt bei optisch aktiven organischen Substanzen diese Chi-
ralität vor. Es gibt aber auch Moleküle, deren Chiralität nicht auf ein asymmetrisches Koh-
lenstoffatom zurückzuführen ist. Dies ist der Fall bei axialer und planarer Chiralität, ebenso
wie bei der Helizität.

8.8.1 Axiale Chiralität


Als Beispiel axialer Chiralität kann die Chiralität von ungleich substituierten Allenen ange-
führt werden (Allen siehe Abschnitt 3.8). Die Chiralitätsachse geht durch die drei doppelt
gebundenen C-Atome des Allenderivats. An zwei der doppelt gebundenen C-Atome befin-
den sich zwei ungleiche Substituenten, welche infolge der Geometrie des Moleküls (zwei
direkt benachbarte, aufeinander senkrecht stehende π-Orbitale) auf zwei zueinander senk-
324 8 Optische Isomerie

Ebenen, in denen keine Symmetrie- Enantiomere


die Substituenten ebene
liegen

Cl Cl
Cl Cl

= Kohlenstoffatom ungleiche Objekt Spiegelbild


= Wasserstoffatom Substituenten Spiegelebene

Bild 8.31 Enantiomere des 1-Chlorbuta-1,2-diens

recht stehenden Ebenen liegen (siehe Bild 8.31). Legt man durch zwei an einem C-Atom
gebundene Substituenten eine Ebene, so befinden sich die beiden anderen Substituenten links
und rechts von der Ebene. Bei ungleichen Substituenten ist diese Ebene keine Symme-
trieebene. Das Molekül ist achiral, denn die spiegelbildlichen Formen lassen sich nicht zur
Deckung bringen, es sind Enantiomere.
Zwei Enantiomere können auch dann vorliegen, wenn an dem einen C-Atom des Allens
zwar unterschiedliche Substituenten gebunden sind, sie aber denen am anderen C-Atom
gleichen, z.B. beim Penta-2,3-dien H3C–CH=C=CH–CH3.
Eine axiale Chiralität kann auch bei mehrfach substituierten Spiranen vorliegen (Spiro-
verbindungen siehe Abschnitt 5.7). In Bild 8.32 wird ein entsprechendes Beispiel angeführt.
Die Atropisomerie ist ebenfalls der axialen Chiralität zuzuordnen. Es handelt sich dabei
um eine Enantiomerie, die Ihre Ursache in der Beschränkung der freien Drehbarkeit o-substi-
tuierter Biphenyle hat. Sperrige Substituenten in der o-Stellung verhindern die Drehung bei-
der Benzolringe um die Einfachbindung. Die Sechsringe stehen, wie dies Bild 8.33 zeigt,
senkrecht (bzw. verdrillt) aufeinander. Bei ungleichen o-Substituenten ist das Molekül chiral.

e
b en
ele
ieg
CH3 Sp CH3

CH3 H3C

Enantiomere einer Spiroverbindung

Bild 8.32 Chirale Spiroverbindungen


8.8 Optisch aktive Verbindungen ohne asymmetrische Kohlenstoffatome 325

H 3C CH3
CH
H3C

O2N
NO2
o-substituiertes Biphenyl
Bild 8.33 Chirales Biphenylderivat

8.8.2 Planare Chiralität

Eine planare Chiralität ist bei substituierten meta- und para-Cyclophanen gegeben. Die Ben-
zolringe sind in eine Ringstruktur eingebaut, die die Drehbarkeit der Benzolringe verhindert,
so daß bei Vorhandensein eines Substituenten am Benzolring das Molekül chiral ist.

H2C CH2

H2C CH2

Cl

Chlorparacyclophan

Bild 8.34 Chirales para-Cyclophanderivat

8.8.3 Helicität

Bei der Helicität geht es um eine Chiralität, die durch eine schraubenförmige Struktur gege-
ben ist. So wie Schrauben mit Links- oder Rechtsgewinde oder Wendeltreppen als chirale
Gegenstände anzusehen sind (siehe Abschnitt 8.3), so sind auch Moleküle mit schrauben-
förmiger Struktur chiral. Die Enantiomere unterscheiden sich ebenso wie eine Rechtsschrau-
be von einer Linksschraube. Die einer rechtsgängigen Schraube entsprechende Helix wird als
(P)-Helix (P = plus), die linksgängige Helix als (M)-Helix (M = minus) bezeichnet. Eine
schraubenförmige Anordnung liegt z.B. beim Hexahelicen vor.
326 8 Optische Isomerie

(P)-Hexahelicen Spiegelebene (M)-Hexahelicen

Bild 8.35 Enantiomere des Hexahelicens

8.9 Bildung asymmetrischer C-Atome bei chemischen


Reaktionen
In ein achirales Molekül kann unter bestimmten Voraussetzungen bei einer chemischen Re-
aktion Chiralität eingeführt werden. Liegt in einem Molekül schon ein Chiralitätszentrum
vor, entstehen bei der Bildung eines weiteren Chiralitätszentrums Diastereomere.

8.9.1 Reaktionen mit prochiralen Verbindungen

Als eine prochirale Verbindung wird eine achirale Verbindung bezeichnet, in deren Molekül
bei einer chemischen Reaktion die Chiralität eingeführt werden kann. In der Regel geht es
dabei um ein Molekül, das an einem seiner Kohlenstoffatome drei unterschiedliche Liganden
gebunden hat, z.B.

R1 O H
H C H oder C

R2 R

Wird in der Verbindung R1CH2R2 ein Wasserstoffatom substituiert oder erfolgt beim Al-
dehyd eine Addition an die Carbonylgruppe, so entsteht eine Verbindung mit einem asym-
metrischen C-Atom. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß der neueingeführte Ligand nicht
mit einem der Liganden, die schon an das betroffene C-Atom gebundenen sind, identisch ist.
Sind die Reaktanden achiral und liegen keine chiralen Einflüsse vor (z.B. durch ein chirales
8.9 Bildung asymmetrischer C-Atome bei chemischen Reaktionen 327

N = C-Atom
- O = O-Atom
N = N-Atom
H+
O N
= Cyanidanion
-
= H-Atom
H+ = Proton
N N
O O

50 % 50 %
(2S)-2-Hydroxypropannitril (2R)-2-Hydroxypropannitril

Bild 8.36 Reaktion von Acetaldehyd mit Blausäure unter Bildung eines racemischen Gemisches

Lösungsmittel oder einen chiralen Katalysator), so entstehen bei der Reaktion mit einer pro-
chiralen Verbindung racemische Gemische. So entsteht z.B. bei der nukleophilen Addition
von Blausäure HCN an Acetaldehyd (siehe auch Abschnitt 13.4.1.1) ein racemisches Ge-
misch von (2S)-2-Hydroxypropannitril und (2R)-2-Hydroxypropannitril.
In Bild 8.36 wird veranschaulicht, daß die Anlagerung des Cyanidanions an das Kohlen-
stoffatom der Carbonylgruppe von zwei Seiten erfolgen kann. Keine der Richtungen ist be-
vorzugt, so daß die Wahrscheinlichkeit, daß das eine oder das andere Produkt entsteht, gleich
ist. Beide Enantiomere entstehen deshalb in gleichen Mengen.
Als weiteres Beispiel zur Einführung der Chiralität in ein Molekül durch Bildung eines
asymmetrischen C-Atoms wird die Bromierung das Butans erörtert. Bei der Bromierung des
Butans erfolgt die Substitution bevorzugt an der Methylengruppe (siehe Abschnitt 2.9.1.4),
wobei ein H durch Brom ersetzt wird. Das als Zwischenprodukt gebildete sekundäre Butyl-
radikal muß man sich räumlich so vorstellen, daß die am radikalischen Zentrum befindlichen
Liganden (–CH3, –C2H5 und –H) in einer Ebene liegen. Das nur mit einem Elektron besetzte
p-Orbital steht senkrecht zu dieser Ebene. Die Wahrscheinlichkeit, daß das Brommolekül an
das p-Orbital von der einen oder der entgegengesetzten Seite herantritt, ist gleich. Die beiden
Enantiomere (2R)-2-Brombutan und (2S)-2-Brombutan werden deshalb im Mengenverhält-
nis 1:1 gebildet, es entsteht ein racemisches Gemisch.
Zur bevorzugten Bildung eines Enantiomers kann es kommen, wenn der mit der prochira-
len Verbindung reagierende Reaktionspartner zwar achiral ist, die Reaktion aber in chiralem
Lösungsmittel, im Beisein eines chiralen Katalysators (z.B. einem Enzym) oder bei
Bestrahlung mit zirkular polarisiertem Licht erfolgt.
328 8 Optische Isomerie

_ Br hν
Br Br + Br

CH3 CH3
H C H + Br H C + HBr
CH2CH3 CH2CH3

Br2 H3 C
*
C Br + Br
CH3 H
H5C2
C
HC (2R)-2-Brombutan
HC
2 H
3 CH3
Br *C + Br
H
C2H5
* = asymmetrisches C-Atom (2S)-2-Brombutan

Bild 8.37 Bromierung des Butans

Erfolgt die Reaktion einer prochiralen Verbindung mit dem Enantiomer einer optisch ak-
tiven Substanz, wobei ein neues Chiralitätszentrum gebildet wird, so kann eines der zwei bei
der Reaktion entstandenen Diastereomere überwiegen. In diesem Falle macht sich der Ein-
fluß des im Reaktanten schon vorhandenen Chiralitätszentrums bemerkbar, es erfolgt eine
asymmetrische Synthese.

8.9.2 Die asymmetrische Synthese


Wird ein neues asymmetrisches Zentrum in ein Molekül eingeführt, das schon ein oder mehre-
re chirale Zentren besitzt, so entstehen die beiden Epimere nicht im Verhältnis 1 : 1, ein Epi-
meres überwiegt im Reaktionsgemisch. Man spricht in diesem Falle von einer asymmetrischen
Synthese. Die vorrangige Bildung des einen optischen Isomeren ist in der asymmetrischen
Induktion begründet. Unter asymmetrischer Induktion versteht man, daß das schon vorhan-
dene Chiralitätszentrum die Bildung des einen Epimeren begünstigt. Man erklärt das so, daß
Zustände, die das Molekül auf dem Syntheseweg zu den beiden Epimeren zu durchlaufen hat,
infolge der unterschiedlichen räumlichen Konfiguration unterschiedliche Aktivierungs-
energien erfordern. Es entsteht deshalb bei kinetisch gesteuerten Reaktionen vorwiegend das
Produkt, dessen Übergangszustand die geringere Aktivierungsenergie erfordert.
Als Beispiel einer asymmetrischen Induktion wird die Reaktion des (2R)-2-Brompropanals
mit Blausäure (HCN) erörtert. HCN ist eine sehr schwache Säure, die in H+ und das Cyanidion

CN dissoziiert. HCN kann an die C=O-Doppelbindung addiert werden. Es geht dabei um eine
nukleophile Addition, das heißt, es wird zuerst das nucleophile Cyanidion an das Kohlenstoff-
atom der Carbonylgruppe addiert und im zweiten Schritt erfolgt die Anlagerung des Protons
an den Sauerstoff, wobei eine OH-Gruppe gebildet wird.
8.9 Bildung asymmetrischer C-Atome bei chemischen Reaktionen 329

Hauptprodukt
H H
H+ H H
H N H
* H * H
O
O
* H
Br Br
H H

-
-
= Kohlenstoffatom N = Cyanidanion
N N
= Cyanidgruppe H = H-Atom

H+ = Proton * = asymmetr. C-Atom

Bild 8.38 Reaktion des (2R)-2-Brompropanals mit HCN

Die Carbonylgruppe im (2R)-2-Brompropanal befindet sich in direkter Nachbarschaft


zum vorhandenen Chiralitätszentrum, welches den räumlichen Ablauf der Additionsreaktion
beeinflußt. Am Chiralitätszentrum sind, außer der Formylgruppe –CHO, nach ihrer Raum-
erfüllung geordnet, noch folgende Substituenten gebunden: –Br > –CH3 > –H. Das Molekül
bevorzugt eine solche Konformation, in der der Sauerstoff der Carbonylfunktion möglichst
weit von der größten, am benachbarten C-Atom befindlichen Gruppe, in dem Falle vom
Bromatom, entfernt ist (siehe Bild 8.38). Der Angriff des Cyanidions erfolgt von der Seite
her, wo sich am benachbarten asymmetrischen C-Atom der kleinste Substituent (in diesem
Falle das H) befindet, weil die andere Seite durch den größeren Substituenten, die CH3-
Gruppe, abgeschirmt wird. Es entsteht vorwiegend das (2S, 3R)-3-Brom-2-hydroxy butan-
nitril (siehe auch Bild 8.38):
Hauptprodukt Nebenprodukt

C N C N
H O
* H
C H C* OH HO C

H C* Br + HCN H C* Br + H C* Br

CH3 CH3 CH3

(2R)-2-Brompropanal (2S,3R)-3-Brom- (2R,3R)-3-Brom-


2-hydroxybutannitril 2-hydroxybutannitril

Die Addition des Nukleophils an den chiralen Aldehyd im vorangegangenen Beispiel


erfolgte nach der Cramschen Regel. Diese besagt, daß bei direkter Nachbarschaft der Carbo-
nylgruppe zum schon vorhandenen Chiralitätszentrum
a) das Molekül bevorzugt die Konformation einnimmt, in der der Sauerstoff der Car-
bonylruppe von der am asymmetrischen Kohlenstoffatom befindlichen größten Gruppe
möglichst weit entfernt ist, und
330 8 Optische Isomerie

b) das Nukleophil bevorzugt von der Seite des kleinsten Substituenten angreift, so daß ein
Epimeres als Hauptprodukt entsteht.
Die vorher beschriebene Reaktion ist stereoselektiv, das heißt ein Stereoisomer wird bei der
Reaktion bevorzugt gebildet. Stereoisomere sind Verbindungen mit gleicher Struktur, die sich
aber durch die räumliche Anordnung der Atome im Molekül unterscheiden. Von Stereospe-
zifität spricht man dann, wenn bei einer Reaktion von möglichen Stereoisomeren ausschließ-
lich nur ein einziges Stereoisomer als Reaktionsprodukt gebildet wird. Stereospezifische Reak-
tionen erfolgen in der lebenden Natur häufig, z.B. werden im Organismus L-Aminosäuren
synthetisiert. Auch die Biosynthese von Desoxyribonucleinsäuren, Ribonucleinsäuren und
Eiweißen geschieht mit hoher Stereospezifität. Die beeindruckende Stereospezifität der Reak-
tionen in lebenden Organismen beweist ebenfalls die Biosynthese der Steroide. Im Cholesterol
z.B. sind 8 chirale Zentren vorhanden. Theoretisch möglich wären bei nichtspezifischen Reak-
tionen
28 = 256 Stereoisomere. Die Biosynthese (siehe Abschnitt 20.2.1) ist so stereospezifisch, daß
von den möglichen Stereoisomeren nur ein einziges gebildet wird.

*
*
*
*
*
* *
*
HO Cholesterol

8.9.3 Räumliche Auswirkungen bei Reaktionen am asymmetri-


schen C-Atom
Eine Substitution am asymmetrischen C-Atom kann unter Retention, Inversion oder Race-
misierung erfolgen.

8.9.3.1 Retention
Die Konfiguration am asymmetrischen C-Atom bleibt bei der Retention erhalten. Es erfolgt
nur der Austausch eines Liganden, die räumliche Anordnung der Liganden am asymmetri-
schen C-Atom bleibt gleich.

8.9.3.2 Inversion
Bei der Inversion (lat. inversio = Umkehrung) tritt ein Konfigurationswechsel ein. Diese von
Walden 1895 erstmals bei Substitutionen am asymmetrischen C-Atom beobachtete Konfigu-
rations-Umkehr wird auch als Walden-Umkehr(ung) bezeichnet. Die Walden-Umkehr er-
folgt z.B. beim SN2-Mechanismus (siehe Abschnitt 9.6.2.1), wobei die Liganden, welche
nicht ausgetauscht werden, über einen Übergangszustand, bei dem sie in einer Ebene liegen,
in die entgegengesetzte Konfiguration übergehen. Man vergleicht dies mit dem Umklappen
eines Regenschirms beim Sturm.
8.10 Trennung von Enantiomeren aus racemischen Gemischen 331

a a a a a
Y + X C X + Y C Y + X C X + Y C + C Y
c c c c c
b b b b b
50 % 50 %
Retention Racemisierung

Wind

a a
X C + Y X + C Y
c c
b b

Inversion Umklappen des Regenschirms im Wind

Bild 8.39 Retention, Inversion und Racemisierung

8.9.3.3 Racemisierung
Von einer Racemisierung spricht man, wenn eine optisch aktive Substanz reagiert und ein
Racemat als Reaktionsprodukt entsteht. Eine Racemisierung tritt dann ein, wenn die Spal-
tung der Bindung direkt am asymmetrischen C-Atom unter Bildung eines Carbeniumions
(positive Ladung an einem Kohlenstoff), eines Carbanions (negative Ladung und freies Elek-
tronenpaar an einem Kohlenstoff) oder eines Radikals als Zwischenprodukt erfolgt.

8.10 Trennung von Enantiomeren aus racemischen Gemischen


Die Trennung der Enantiomere aus racemischen Gemischen ist deshalb schwierig, weil
Enantiomere gleiche physikalische und gegenüber achiralen Substanzen auch gleiche chemi-
sche Eigenschaften haben.

8.10.1.1 Mechanische Trennung enantiomerer Kristalle


Schon 1848 entdeckte Louis Pasteur, daß die Kristalle des Natrium-Ammonium-Salzes der
Traubensäure zwei spiegelbildliche Formen haben. Er sortierte, mit Lupe und Pinzette verse-
hen, die beiden spiegelbildlichen Kristalle und stellte fest, daß die Lösungen des einen Kris-
talls die Ebene des linear polarisierten Lichts im Uhrzeigersinn, die des anderen entgegen
dem Uhrzeigersin drehten. Damit war eine, wenn auch sehr arbeitsaufwendige und lang-
wierige Methode gefunden, Enantiomere zu trennen. Diese Methode ist aber nur sehr be-
schränkt anwendbar, denn es ist eher ein Sonderfall, daß aus racemischen Gemischen die
Enantiomere in Form spiegelbildlicher Kristalle auskristallisieren.
332 8 Optische Isomerie

8.10.1.2 Trennung der Enantiomere über diastereomere Zwischenprodukte


Zum Unterschied von den Enantiomeren haben Diastereomere unterschiedliche physikali-
sche Eigenschaften und lassen sich deshalb voneinander trennen. Man setzt ein racemisches
Gemisch, das als solches nicht in die beiden Enantiomere aufgetrennt werden kann, mit einer
optisch aktiven Hilfskomponente um, wobei man zwei Diastereomere erhält. Diese kann man
auf Grund ihrer unterschiedlichen Eigenschaften, z.B. unterschiedlicher Löslichkeit, vonei-
nander trennen. Nach der Trennung der Diastereomere kann man die beiden Verbindungen
gesondert wieder in ihre Ausgangskomponenten spalten und jedes der beiden Enantiomere
aus dem Reaktionsgemisch in reiner Form isolieren.
Liegt ein racemisches Gemisch einer Säure vor, kann man dieses mit dem Enantiomer
einer Base in ein Gemisch zweier diastereomerer Salze überführen, z.B.
racemisches Gemisch der Säure

(R)-Säure + (S)-Säure + 2 (R)-Base

(R,R)-Salz + (S,R)-Salz

Gemisch zweier diastereomerer Salze

Die diastereomeren Salze unterscheiden sich in ihren Eigenschaften, so daß man sie tren-
nen kann. Nach der Trennung kann man die optisch aktive Säure mit einer stärkeren Säure,
z.B. Salzsäure, aus ihrem Salz freisetzen:
(R,R) - Salz + HCl ⎯⎯→ (R) - Säure + (R) - Base HCl

(S,R) - Salz + HCl ⎯⎯→ (S) - Säure + (R) - Base HCl

Es sei noch darauf hingewiesen, daß man für die Trennung der enantiomeren Säuren aus
dem racemischen Gemisch anstelle der (R)-Base natürlich auch eine (S)-Base einsetzen kann.
Es ist nur wichtig, eine enantiomerenreine Base zu verwenden. Als enantiomerenrein ist eine
solche Base anzusehen, die nur in der (R)- oder nur in der (S)-Form vorliegt, keinesfalls aber
als Gemisch beider enantiomerer Formen.
Als enantiomerenreine Basen zur Trennung racemischer Säuregemische werden oftmals
die in der Natur vorkommenden Alkaloide Brucin, Strychnin, Chinin und Morphin verwen-
det (Alkaloide siehe Kapitel 26). Die aus der Brechnuß (Strychnos nux vomica) gewonnenen
Alkaloide Brucin und Strychnin sind starke Gifte. Morphin wird aus Opium, dem einge-
trockneten Milchsaft des Schlafmohns (Papaver somniferum) gewonnen. Es ist eine gefähr-
liche Droge, deren Genuß zu physischer und psychischer Abhängigkeit führt. In der Medizin
wird es, genau dosiert, als schmerzstillendes Mittel eingesetzt. Eine der gefährlichsten Dro-
gen ist das Diacetylderivat des Morphins, das Heroin. Das aus der Rinde des Chinabaumes
isolierte Chinin ist ein bekanntes Antimalariamittel. Es beseitigt einige akute Erscheinungen
der Krankheit, tötet jedoch nicht den Erreger der Malaria.
8.10 Trennung von Enantiomeren aus racemischen Gemischen 333

H2C CH H
N RO
H H
R HO H N
H
H O
R
N
H3C O NCH3
H
O O RO
H H
N
R=H Strychnin R=H Morphin
R = OCH3 Brucin Chinin R = COCH3 Heroin
Racemische Gemische von Basen können mit einer enantiomerenreinen Säure zu den
entsprechenden diastereomeren Salzen umgesetzt werden. Zur Umsetzung mit racemischen
Gemischen von Basen werden häufig folgende optisch aktiven Säuren eingesetzt: die L-(+)-
Milchsäure, die D-(–)-Weinsäure, die L-(+)-Weinsäure und die D-(+)-Äpfelsäure.
COOH COOH COOH COOH

HO C H HO C H H C OH H C OH

CH3 H C OH HO C H H C H

COOH COOH COOH

L-(+)-Milchsäure D-(–)-Weinsäure L-(+)-Weinsäure D-(+)-Äpfelsäure

Racemische Alkohoholgemische lassen sich mit dem Enantiomer einer Säure verestern.
Die erhaltenen Ester sind Diastereomere und können getrennt werden. Die getrennt vorlie-
genden Ester werden verseift und damit die optisch aktiven Alkohole freigesetzt.
Die Trennung der Enantiomere über diastereomere Zwischenprodukte ist wegen ihrer
breiten Anwendungsmöglichkeit die am häufigsten eingesetzte Methode zur Trennung von
Enantiomeren aus Gemischen.

8.10.1.3 Trennungen von Enantiomeren mit Hilfe von Mikroorganismen


Enzyme bestimmter Bakterien oder Pilze zeigen eine unterschiedliche Reaktivität gegenüber
ganz bestimmten D- und L-Enantiomeren. Der Pilz Penicillium glaucum metabolisiert z.B.
aus einer racemischen Lösung von Ammoniumtartrat nur das L-(+)-Enantiomer, das D-(–)-
Enantiomer verbleibt in der Lösung.

8.10.1.4 Trennungen von Enantiomeren mit Hilfe der Chromatographie


Die chromatographische Trennung eines Stoffgemisches erfolgt in der Säulenchromatogra-
phie beim Durchgang dieses Stoffgemisches durch eine Trennsäule. Sie besteht aus einem
trennaktiven feinkörnigen Material, das in ein Rohr gefüllt ist. Der Feststoff selbst, oder eine
auf ihm verankerte Flüssigkeit, stellt die unbewegliche (stationäre) Phase dar, während ein
Lösungsmittel, das durch die Säule strömt, die bewegliche (mobile) Phase bildet. Das Stoff-
gemisch wird mit dem Lösungsmittelstrom „mitgeschleppt“, und es erfolgt während des
Durchgangs durch die Trennsäule eine vielfach wiederholte Stoffverteilung der Stoffe
334 8 Optische Isomerie

zwischen der unbeweglichen und beweglichen Phase. Die Verbindungen des Stoffgemisches,
die hierbei länger von der stationären Phase festgehalten werden, wandern langsamer durch
die Trennsäule, da sie in Strömungsrichtung des Lösungsmittels (= mobile Phase) von die-
sem nur dann fortbewegt werden, wenn sie sich in ihm befinden. Durch die unterschiedliche
Wanderungsgeschwindigkeit der Komponenten des Stoffgemisches durch die Trennsäule
erfolgt deren Auftrennung. Bei der Gaschromatographie ist dies ähnlich, nur ist in diesem
Falle die mobile Phase ein Gas.
Für die Trennung von Enantiomeren wird auf der festen Phase eine optisch aktive Sub-
stanz verankert. Tritt ein Enantiomer stärker als das andere in diastereomere Wechsel-
wirkung mit der auf dem Feststoff befindlichen optisch aktiven Substanz, so wandert es lang-
samer durch die Trennsäule, und beide Enantiomere werden infolge ihrer unterschiedlichen
Wanderungsgeschwindigkeit voneinander getrennt.

8.11 Die Chiralität in lebenden Organismen


Die Chiralität spielt in der Natur eine gewichtige Rolle. Viele für den lebenden Organismus
wichtigen Stoffe sind chiral, und lebenswichtige Makromoleküle werden aus chiralen Bau-
steinen aufgebaut. Dafür gibt es viele Beispiele:
Die Desoxyribonucleinsäuren, welche in der Sequenz von Basenpaaren die für Vererbung
und Biosynthese wichtigen Informationen gespeichert haben, haben eine chirale Struktur in
der Form einer Doppelhelix (siehe Kapitel 27). Sowohl in den Desoxyribonucleinsäuren als
auch in den Ribonukleinsäuren, die die Eiweißsynthese steuern, ist in den sie aufbauenden
Einheiten der Stickstoff der Base an eine Zuckerkomponente gebunden, und zwar an ein
asymmetrisches C-Atom mit R-Konfiguration. Die Biosynthese der Eiweiße erfolgt nur mit
L-Aminosäuren. Die räumliche Struktur der Eiweiße spielt eine eminente Rolle für die Erfül-
lung ihrer Funktionen im Organismus. Eine der Sekundärstrukturen der Eiweiße ist die α-
Helix, eine chirale Struktur. Monosaccharide haben in der Regel eine D-Konfiguration und
bilden die Bausteine für die in der Natur vorkommenden Di-, Tri- und Polysaccharide. Stär-
ke und Cellulose z.B. werden aus D-Glucoseeinheiten aufgebaut. Stärke und Cellulose unter-
scheiden sich nur in der Art der Verknüpfung der Glucoseeinheiten miteinander. Die Glu-
coseeinheiten sind über eine Sauerstoffbrücke miteinander verbunden, wobei eines der an der
Verknüpfung beteiligten asymmetrischen C-Atome bei der Stärke die R- und bei der Cellulo-
se die S-Konfiguration aufweist.
Eine große Rolle spielen räumliche Voraussetzungen auch bei den Enzymen. Dies sind
Biokatalysatoren, wirksam für vielfältige Reaktionen, von der Hydratisierung von Kohlen-
dioxid über Reduktionen und Oxidationen bis hin zur Replikation eines Chromosoms. Alle
bisher untersuchten Enzyme gehören in die Stoffklasse der Eiweiße (siehe Abschnitt
24.7.3.1). Der Teil des Enzyms, der für die Wirkung direkt verantwortlich ist, bildet das
aktive Zentrum. Dieses kann ein Teil des Eiweißmoleküls selbst sein oder eine Verbindung
mit Nichtprotein-Charakter (Coenzym), welche in das Trägereiweiß (Apoenzym) eingebettet
ist. Das Trägereiweiß bestimmt die Substratspezifität, d.h. die Wahl des Reaktionspartners,
der eine stoffliche Umsetzung erfahren soll. Dies wird gewährleistet durch die räumliche
Struktur des Trägereiweißes, in das das Molekül des Substrats passen muß, etwa wie der
8.11 Die Chiralität in lebenden Organismen 335

Enzym
Enzym

Enzym
Enzym-Substrat-
Zwischenverbindung

= Substrat = aktives Zentrum = Produkt

Bild 8.40 Schematische Darstellung einer enzymatischen Reaktion

Schlüssel zum Türschloß. Die Katalyse bei der Umsetzung geschieht durch das aktive Zentrum.
Es wird eine kurzlebige Enzym-Substrat-Zwischenverbindung gebildet. Nach erfolgter Um-
setzung löst sich das umgesetzte Substrat sehr schnell und gibt das aktive Zentrum wieder frei.
Auf diese Weise können je aktives Zentrum 102–107 Substratmoleküle/min umgesetzt werden.
Die Enzyme weisen eine optische Spezifität auf. Dies besagt, daß von zwei optischen
Isomeren nur eines umgesetzt wird. Die optische Spezifität der Enzyme erklärt man mit dem
Modell einer Dreipunktbindung des Substrats an das Enzym. Vertauscht man zwei Substi-
tuenten am aktiven C-Atom des Substrats, können Substrat und Bindungsstelle des Enzyms
nicht mehr zur Deckung gebracht und das optische Enantiomere des Substrats nicht mehr
gebunden werden. Die hohe optische Spezifität der Enzyme zeigt sich z.B. bei der Maltase,
die nur α-glykosidische Bindungen hydrolysiert (siehe Abschnitt 21.7.3.1).

Substrat Substrat

und
bei Substrat vertauscht:

Enzym Enzym

Substrat und Enzym Substrat und Enzym


passen aufeinander passen nicht aufeinander

Bild 8.41 Modell zur Dreipunktbindung


336 8 Optische Isomerie

Die im lebenden Organismus erfolgenden Stoffumwandlungen würden ohne Enzyme mit


unmeßbar kleiner Geschwindigkeit ablaufen. Die Enzyme bewirken eine Erhöhung der
Reaktionsgeschwindigkeit, d.h. eine Senkung der Aktivierungsenergien, so daß die Reaktio-
nen schon bei Körpertemperatur erfolgen können. Vielfach läuft eine Reaktion in Zwischen-
schritten ab, wobei mehrere Enzyme an der Gesamtreaktion beteiligt sind. Dadurch, daß das
Zwischenprodukt der ersten Reaktion durch die nächste Reaktion fortlaufend verbraucht
wird und seine Konzentration dadurch sehr niedrig ist, wird es ständig nachgebildet, es stellt
sich ein sogenanntes „Fließgleichgewicht“ ein. Bei Verbrauch des Endprodukts wird dieses
ständig nachgebildet, so daß es in konstanter Konzentration vorliegt. Auch energieverbrau-
chende (endergonische) Reaktionen, bei denen das Reaktionsprodukt nur in sehr geringer
Menge gebildet wird, können auf diese Weise vollständig ablaufen.
Enantiomere Verbindungen zeigen unterschiedliche physiologische Wirkungen. Dihydro-
xyphenylalanin (= Dopa) ist ein Medikament gegen die Parkinsonsche Krankheit, die sich
durch Zittern, Schweißausbrüche, vermehrten Speichelfluß und Muskelsteife äußert. Das (S)-
Dopa ist das von beiden Enantiomeren wirksamere Präparat, das auch nicht die Toxizität des
(R)-Dopa aufweist.

NH2 NH2
H H
C C
HOOC CH2 OH HO H2C COOH

OH HO
(S)-Dopa (R)-Dopa

(R)-(–)-Adrenalin, das Hormon des Nebennierenmarks, wirkt stark blutdrucksteigernd


und fördert den Glykogenabbau in Leber und Muskel. Es ist um ein Vielfaches wirksamer
als (S)-(+)-Adrenalin. Das (–)-Ephedrin wird aus verschiedenen Ephedra-Arten gewonnen
und hat (1R,2S)-Konfiguration. Es wird als Arzneimittel verwendet und hat spasmolytische
und antiallergische Wirkung. (+)-Ephedrin ist als Arzneimittel unbrauchbar. Es hemmt sogar
die Aktivität des (–)-Ephedrins.

H2C NHCH3

H C* OH
O

HO *C 1 H N
*
OH
H3C N *C 2 H O N O
OH O
H CH3

(R)-(–)-Adrenalin (1R,2S)-(–)-Ephedrin (S)-(–)-Thalidomid


8.11 Die Chiralität in lebenden Organismen 337

Ein trauriges Beispiel für die unterschiedliche Wirksamkeit von Enantiomeren bietet das
Thalidomid, das als Racemat unter dem Namen Contergan als Schlaf- und Beruhigungsmittel
im Handel war, bis man 1961 feststellte, daß es bei Einnahme während der Schwangerschaft
Mißbildungen an Gliedmaßen und Wirbelsäule des Embryos verursachte. Nach einer Race-
mattrennung ergab eine spätere Untersuchung der Enantiomere an Mäusen, daß zwar beide
Enantiomere die Wirkung als Schlafmittel zeigen, aber nur das S-Enantiomer die negativen
Folgen hat. Die Stoffumwandlungen, bei der die Zellen ihre Energie und Reduktionsäqui-
valente gewinnen und den Bau ihrer Makromoleküle und den Abbau von Stoffen durchfüh-
ren, erfolgen in einem ganzen Netzwerk zusammenhängender chemischer Reaktionen. Diese
komplexen Prozeße werden allgemein als Stoffwechsel bezeichnet. Bei diesen Stoffum-
wandlungen wird zwischen den Enantiomeren unterschieden. Z.B. hat nur D-(+)-Glucose im
tierischen Stoffwechsel eine zentrale Stellung, nicht aber ihr Spiegelbild, die L-(–)-Glucose.
Die D-(+)-Glucose wird durch Hefe zu Ethanol vergoren, die L-(–)-Glucose dagegen nicht.
Unsere Geschmacks- und Geruchsrezeptoren vermitteln bei einigen Enantiomeren unter-
schiedliche Eindrücke, z.B. schmeckt D-(+)-Phenylalanin süß, während L-(–)-Phenylalanin
bitter schmeckt.

COOH COOH

H C* NH2 H2N C* H

CH2 CH2

D-(+)-Phenylalanin L-(–)-Phenylalanin

(R)-(–)-Carvon ist ein Geruchstoff der Krauseminze, während (S)-(+)-Carvon in den äthe-
rischen Ölen des Kümmels zu finden ist und diesem den typischen Geruch verleiht.

CH3 CH3

O O

C H C H
H3C H3C
CH2 CH2

(S)-(+)-Carvon (R)-(–)-Carvon
im Kümmel in Krauseminze
338 8 Optische Isomerie

Übungsaufgaben

? 8.1
Was sind chirale Moleküle?

? 8.2
Definieren Sie den Begriff Symmetrieebene.

? 8.3
Was versteht man unter dem Begriff Symmetriezentrum?

? 8.4
Was ist eine Drehspiegelachse?

? 8.5
Auf welche Weise misst man den Drehwinkel α und wie berechnet man die spezifische Dre-
hung [a]?

? 8.6
Was versteht man unter einem asymmetrischen Kohlenstoffatom?

? 8.7
Markieren Sie in den beiden chemische Formeln die asymmetrischen Kohlenstoffatome!
Cl
OH
H
CH3
OH O

HO
HO H
H H

H OH

? 8.8
Wie stellt man sich die räumliche Orientierung des Moleküls beim Schreiben der Fischer-
Projektion vor?

? 8.9
Definieren Sie den Begriff D/L und geben Sie Beispiele der Anwendung der D/L-Nomen-
klatur.

? 8.10
Wie verfährt man bei Ermittlung der S- bzw. R-Konfiguration?
Übungsaufgaben 339

? 8.11
Die Verbindungen a), b) und c) sollen mit der R/S- und der IUPAC-Nomenklatur benannt
werden. (Anmerkung: in Formel a) befinden sich der Wasserstoff, die Formylgruppe und das
asymmetrische Kohlenstoffatom in einer Ebene, die Methylgruppe vor und das Chlor hinter
dieser Ebene. Die chem. Formeln b) und c) sind in der Fischer-Projektion gezeichnet.).

H O O H
O H
C H OH
HO H
Cl HO H H OH
C
H CH3 CH2OH CH2OH

a) b) c)

Die Verbindung c) ist die D-Erythrose. Benennen Sie die Verbindung b) in der D/L-Nomen-
klatur mit dem Trivialnamen.

? 8.12
Was sind Stereoisomere und welche Art der Stereoisomerie gibt es?

? 8.13
Was sind Enantiomere und wie unterscheiden sie sich voneinander?

? 8.14
Was sind Diastereomere?

? 8.15
Was kann Ursache der Chiralität sein?

? 8.16
Was versteht man unter dem Begriff prochirales Zentrum?

? 8.17
Beschreiben Sie die räumlichen Veränderungen im Molekül und deren Auswirkungen bei
der Substitution eines an ein asymmetrisches Kohlenstoffatom gebundenen Liganden.

? 8.18
Auf welche Weise kann man ein enantionmeres Gemisch trennen?
340 8 Optische Isomerie

Lösungen

! 8.1
Moleküle, die mit ihrer spiegelbildlichen Darstellung, ähnlich wie linke und rechte Hand,
nicht zur Deckung zu bringen sind, bezeichnet man als chiral (griech. Cheir = Hand). Sie
haben weder eine Symmetrieebene noch ein Symmetriezentrum oder eine Drehspiegelachse.
Chirale Moleküle sind optisch aktiv, beim Durchgang des polarisierten Lichtes durch eine
Lösung einer chiralen Substanz erfolgt eine Drehung der Polarisationsebene. Moleküle achi-
raler Verbindungen sind symmetrisch, sie haben eines der drei genannten Symmetrieelemen-
te (siehe Kapitel 8.3.1).
! 8.2
Eine Symmetrieebene ist eine fiktive (gedachte) Ebene, die man durch das Molekül durchle-
gen kann und die es in zwei spiegelbildliche Hälften teilt. Für alle Atome auf der einen Seite
der Symmetrieebene findet man gegenüberliegend auf der anderen Seite in gleicher Entfer-
nung ein äquivalentes Atom.
! 8.3
Ein Symmetriezentrum ist der Punkt eines Moleküls, über den man von allen Atomen des
Moleküls eine gedachte Gerade zu einem anderen äquivalenten Atom ziehen kann, wobei
das Symmetriezentrum die Strecke halbiert.
! 8.4
Eine Drehspiegelachse ist ein Symmetrieelement, das sich aus zwei aufeinanderfolgenden
Symmetrieoperationen zusammensetzt: einer Drehung und einer Spiegelung. Ein Molekül
hat eine Drehspiegelachse, wenn es nach Durchführung der beiden Symmetrieoperationen
mit sich selbst wieder zur Deckung kommt (siehe Kapitel 8.3.1.3).
! 8.5
Die Drehung der Polarisationsebene beim Durchgang des polarisierten Lichtes durch die
Lösung einer chiralen Substanz kann mit dem Polarimeter gemessen werden. Dieser besteht
aus einer Lichtquelle, dem Polarisator, dem Probenrohr mit der zu messenden Lösung, dem
Analysator, einer Kreisscheibe mit Gradeinteilung und einer Optik zur Beobachhtung der
Helligkeit des durchgehenden polarisierten Lichts. Durch Drehung des Analysators und
Helligkeitsabgleich kann an der Kreisscheibe der Drehwinkel α gemessen werden. Der
Drehwinkel α ist abhängig von der Konzentration der Lösung und von der Länge des Pro-
benrohrs. Außerdem muß berücksichtigt werden, daß die Messung auch geringfügig von der
Temperatur und der Wellenlänge des Lichts abhängt. Will man vergleichbare Werte haben,
muß man dies berücksichtigen. Dies geschieht mit Angabe der spezifischen Drehung [α]D20.
Die spezifische Drehung wird nach folgender Formel berechnet:
gemessener Winkel α [Grad ]
[α]D20 =
Konzentration [g/mL ] . Länge des Probenrohrs [dm ]
Bei einer genauen Messung sollte auch noch das Lösungsmittel angegeben werden. Das
tiefgestellte D in [α]D20 bedeutet die Wellenlänge der gelben Natriumlinie und die hochge-
stellte Zahl 20 die Temperatur, bei der gemessen wurde (siehe Kapitel 8.2.1).
Lösungen 341

! 8.6
Ein Kohlenstoffatom, das vier verschiedene Liganden bindet, wird als asymmetrisches Koh-
lenstoffatom bezeichnet. Liegt ein asymmetrisches C-Atom im Molekül vor, ist dieses chiral.
Befinden sich im Molekül zwei oder mehreren asymmetrischen Kohlenstoffatome, ist das
Molekül ebenfalls chiral und optisch aktiv. Ist im Molekül jedoch, auch bei Vorhandensein
asymmetrischer Kohlenstoffatome eine Symmetrie vorhanden, wie z.B. bei der meso-Wein-
säure, so ist die Verbindung optisch inaktiv.

! 8.7
Die Markierungen mit * zeigen in beiden Formeln die Stellen an, wo sich asymmetrische
Kohlenstoffatome befinden.

Cl

H OH
CH3
*
OH O
* *
HO * *
HO * H
*
H H

H OH

! 8.8
Die Fischer-Projektion wendet man in der Regel bei Aminosäuren, Hydroxysäuren und bei
Zuckern an, wobei in der Formel die räumliche Anordnung der Liganden an asymmetrischen
Kohlenstoffatomen eindeutig zu ersehen ist. Man orientiert bei der Fischer-Projektion die
Kohlenstoffkette des Moleküls senkrecht, wobei das C-Atom mit der höheren Oxidationszahl
oben steht. Man geht dann die Kohlenstoffkette nach unten entlang und betrachtet jedes
asymmetrische Kohlenstoffatom so, daß die beiden C-C-Bindungen am asymmetrischen
Kohlenstoffatom vom Betrachter weg nach rückwärts weisen, wobei Wasserstoff, Stickstoff-
oder Sauerstoffatome schräg nach vorn zu stehen kommen und sich vom Betrachter aus links
bzw. rechts befinden.

! 8.9
Die D/L Nomenklatur wird angewandt bei Naturstoffen, wobei man diese mit Trivialnamen
benennt. Die D/L-Nomenklatur in Verbindung mit dem Trivialnamen bestimmt eindeutig die
räumliche Anordnung der Liganden an asymmetrischen Kohlenstoffatomen. Welcher Reihe
die Zucker oder Hydroxycarbonsäuren angehören, ob D- oder L-Reihe, entscheidet die –OH-
Gruppe am letztständigen asymmetrischen Kohlenstoffatom, Steht sie in der Fischer-
Projektion rechts, handelt es sich um eine D-Verbindung, links um eine L-Verbindung. Bei
Aminosäuren ist die Aminogruppe in α-Stellung für die Zuordnung in D- oder L-Reihe zu-
ständig. D- und L-Verbindungen, z.B. die D-Glucose und die L-Glucose, stehen zueinander in
spiegelbildlichem Verhältnis, es handelt sich um Enantiomerenpaare.
342 8 Optische Isomerie

! 8.10
Die R/S-Nomenklatur bietet eine breit anwendbare Möglichkeit chirale Verbindungen zu
benennen, wobei man die von Cahn, Ingold und Prelog vorgeschlagenen Sequenzregeln
anwendet. Nach dieser Regel haben die an das asymmmetrische Kohlenstoffatom gebunde-
nen Atome mit einer höheren Ordnungszahl die höhere Priorität. Sind zwei gleiche Atome an
das asymmetrische Kohlenstoffatom gebunden, muß man in der Kette entlanggehen, bis man
eine unterschiedliche Priorität feststellt. Man betrachtet jedes asymmetrische Kohlenstoff-
atom einzeln so, daß der Ligand mit der niedrigsten Priorität vom Betrachter aus rückwärts
zu stehen kommt und die drei anderen Liganden sich vorne befinden. Man geht nun vom
Liganden mit der höchsten Priorität zu dem mit nächst niedriger Priorität. Beschreibt man
dabei einen Bogen im Uhrzeigersinn, so hat das chirale Zentrum eine R-Konfiguration, be-
schreibt man einen Bogen entgegen dem Uhrzeigersinn, so liegt eine S-Konfiguration vor.

! 8.11
Die drei unten angeführten Verbindungen werden wie folgt mit R/S-Nomenklatur benannt:

H O O H
O H
C H OH
HO H
Cl HO H H OH
C
H CH3 CH2OH CH2OH

a) (2S )-2-Chlorpropanal b) (2S ,3S )-2,3,4- c) (2R ,3R )-2,3,4-


Trihydroxybutanal Trihydroxybutanal

Wie man das unter a) angeführte Molekül räumlich ausrichten muß, um festzustellen, ob eine
R- oder S-Konfiguration am asymmetrischen Kohlenstoffatom vorliegt, zeigt diese Darstel-
lung:
O H O H
C Drehen des Moleküls C
um senkrechte Achse H
Cl
C
H CH3 C
H3C Cl

Man muß sich vorstellen, man würde das Molekül so drehen, daß das Wasserstoffatom, das
in der Formel vordem links gestanden hat, sich nach der Drehung vom Beschauer her rück-
wärts befindet. Mit dieser Drehung des Moleküls kommt die in der Formel bisher rechtsste-
hende Methylgruppe links zu stehen und das rückwärts befindliche Chloratom wird nach
vorne rechts gedreht. Wendet man nun die Sequenzregeln nach Cahn, Ingold und Prelog an
und geht in dem so räumlich orientierten Molekül in einem Bogen vom Chlor zum Kohlen-
stoff der Formylgruppe und dann zum Kohlenstoff der Methylgruppe, so beschreibt man
einen Bogen gegen den Uhrzeigersinn, es liegt also eine S-Konfiguration vor.
Lösungen 343

Die Verbindung c) ist die D-Erythrose. Wenn man diese Angabe hat, kann man auch den
Namen der Verbindung b) ableiten: Die Hydroxylgruppe am letztständigen asymmetrische
Kohlenstoffatom der Verbindung b) steht in der Fischer-Projektion links, es handelt sich also
um einen Zucker der L-Reihe. Vergleicht man die räumliche Anordnung der Liganden an den
beiden asymmetrischen Kohlenstoffatomen der Verbindungen b) und c) so stellt man fest,
daß in beiden Verbindungen in der Fischer-Projektion die Liganden Wasserstoff und Hydro-
xylgruppe seitenverkehrt stehen. Die Verbindungen b) und c) stehen zueinander in spiegel-
bildlichem Verhältnis, es sind Enantiomere. Aus dieser Erwägung folgt, dass die Verbindung
b) die L-Erythrose ist.

! 8.12
Stereoisomere sind Verbindungen gleicher Konstitution aber mit unterschiedlicher räum-
licher Anordnung der Atome im Molekül. Man unterscheidet im wesentlichen drei Arten von
Stereoisomerie: die optische Isomerie, die auf die Chiralität des Moleküls zurückzuführen
ist, die cis-trans-Isomerie oder geometrische Isomerie, die bei cyclischen Verbindungen und
Verbindungen mit Doppelbindungen auftritt und die Rotationsisomerie, die bei Verbindun-
gen mit eingeschränkter Drehbarkeit um die C-C-Einfachbindung gegeben ist.

! 8.13
Enantiomere sind chirale Verbindungen, deren Moleküle in einem räumlichen Verhältnis wie
Bild und Spiegelbild zueinander stehen. Durch Drehen und Wenden kann man beide enantio-
meren Moleküle nicht zur Deckung bringen. Enantiomere bewirken eine Drehung der Ebene
des polarisierten Lichts um den gleichen Betrag, jedoch in entgegengesetztem Drehsinn. Sie
unterscheiden sich nicht in den skalaren Eigenschaften (z.B. Schmelzpunkt und Siedepunkt),
auch nicht in chemischen Reaktionen mit achiralen Verbindungen, können sich aber in ihrer
physiologischen Wirkung (pharmakologische oder toxikologische Wirkung) unterscheiden.

! 8.14
Optische Isomere, deren Molekülstrukturen nicht im spiegelbildlichem Verhältnis zu-
einander stehen, sind Diastereomere (griech. dia = jenseits). Diastereomere unterscheiden
sich sowohl in ihrem spezifischen Drehwert, als auch in den physikalischen Eigenschaften.

! 8.15
Liegt die Ursache der Chiralität im Vorhandensein asymmetrischer Kohlenstoffatome, so
spricht man von einer zentralen Chiralität. Es gibt aber optisch aktive Substanzen, deren
Chiralität andere Ursachen hat. Zu diesen Substanzen gehören Verbindungen mit axialer
Chiralität, z.B. das 1-Chlorbuta-1,2-dien, mehrfach substituierte Spirane, oder ortho-substi-
tuierte Biphenyle, deren Drehbarkeit durch sperrige ortho-Substituenten eingeschränkt ist.
Eine planare Chiralität liegt bei meta- und para-substituierten Cyclophanen vor. Bei der
Helicität geht es um eine Chiralität verursacht durch eine schraubenförmige Struktur. Um
eine solche Struktur geht es bei der rechtsgängigen (P)-Helix und der linksgängigen M-
Helix. Eine solche schraubenförmige Struktur finden wir auch in der α-Helix von Proteinen
(siehe Kap. 24.6.2.1) und der DNA-Helix (siehe Kap. 27.1.1.2).
344 8 Optische Isomerie

! 8.16
Bei bestimmten Reaktionen kann aus einer achiralen Verbindung eine chirale Substanz entste-
hen. Die Stelle des Moleküls an der diese Umwandlung geschieht wird als prochirales Zent-
rum bezeichnet. Dies kann ein Kohlenstoffatom sein, das drei verschiedene Liganden bindet
und bei der Reaktion zum asymmetrischen Zentrum wird. Achirale Substanzen, bei denen dies
erfolgt bezeichnet man als prochirale Verbindung. Liegen keine chiralen Einflüsse vor (chira-
les Lösungsmitel oder chiraler Katalysator) so entstehen bei der Reaktion mit einer prochiralen
Verbindung racemische Gemische. Wird in einer schon chiralen Verbindung ein neues Chira-
litätszentrum gebildet, kann das bereits vorhandene Chiralitätszentrum den Verlauf der Reak-
tion beeinflussen, besonders dann, wenn das neu zu bildende Chiralitätszentrum sich in Nach-
barschaft zum bereits bestehenden befindet. In diesem Falle kann ein stereoisomeres Produkt
überwiegen. Man spricht dann von einer asymmetrischen Synthese.

! 8.17
Bei einer chemischen Reaktion am asymmetrischen Kohlenstoffatom kann eine Retention,
eine Inversion oder eine Racemisierung erfolgen. Bei der Retention behalten drei Liganden
am asymmetrischen C-Atom die räumliche Anordnung bei und ein Ligand wird ausge-
tauscht. In diesem Falle liegt ein Konfigurationserhalt vor. Erfolgt die chemische Reaktion
am asymmetrischen C-Atom auf die Weise, daß die Liganden, die nicht ausgetauscht wer-
den, im Übergangszustand in einer Ebene liegen und in die entgegengesetzte Konfiguration
übergehen (Walden-Umkehr) während der neue Ligand von der Gegenseite an das asymmet-
rische C-Atom herantritt, so spricht man von einer Inversion. Sie ist mit einer Konfiguration-
sumkehr verbunden. Eine Racemisierung erfolgt dann, wenn am asymmetrischen C-Atom
sowohl das (S)- als auch das (R)-Produkt gebildet werden.

! 8.18
Ein Enantiomerengemisch kann man über diastereomere Zwischenprodukte, mit Hilfe von
Mikroorganismen oder unter Benutzung optisch aktiver Trägermaterialien mit Hilfe chro-
matographischer Methoden trennen. Zur Trennung über ein Enantiomerengemisch läßt man
z.B. ein racemisches Säuregemisch mit dem Enantiomer einer Base (die nur die S oder nur
die R-Konfiguration hat) reagieren und erhält als Zwischenprodukt ein diastereomeres Ge-
misch, das man auf Grund seiner unterschiedlichen Eigenschaften trennen kann. Nach der
Trennung wird das Säureenantiomer mit einer stärkeren Säure aus dem Salz freigesetzt. Auf
diese Weise erhält man nach Aufarbeitung das reine Enantiomer der Säure. Es gibt auch
Enantiomere, die aus racemischen Gemischen (Konglomeraten) in spiegelbildlicher Form
auskristallisieren, und diese können, wie dies 1848 schon Louis Pasteur bewiesen hat, durch
Handauslese voneinander getrennt werden (siehe Kapitel 8.10).
9 Halogenalkane
Halogensubstituierte Alkane (substituiert mit F, Cl, Br oder I) werden allgemein als Halogen-
alkane oder Alkylhalogenide bezeichnet.

9.1 Nomenklatur
Nach der IUPAC-Nomenklatur werden die Halogenalkane als Derivate des Alkans aufge-
faßt. Zunächst werden die Stellung des Halogens in der Kette und der Name des Halogens
angeführt. Danach wird der Name des Alkans mit der entsprechenden Anzahl der C-Atome
genannt. Ist die Benennung des Halogenalkans auch ohne Stellenangabe des Halogens ein-
deutig, braucht diese nicht angeführt zu werden. Unterschiedliche Halogene werden in
alphabetischer Reihenfolge genannt, z. B.
H Br H H H H H H H H

H C H H C I H C C C C H H C C C C H

Br Cl H Cl Cl H Br Cl Br H
Brommethan Bromchloriodmethan 2,3-Dichlorbutan 1,3-Dibrom-2-chlorbutan
Halogenalkane werden auch allgemein als Alkylhalogenide bezeichnet. Gebraucht man
diese ältere Nomenklatur, nennt man zuerst den Alkylrest, der die Endung -yl hat, worauf
man den Namen des Halogens mit der Endung -id anfügt. Die Verbindung CH3CH2Br kann
man demgemäß als Ethylbromid bezeichnen, CH3CHClCH3 als Isopropylchlorid. Man be-
nutzt diese Nomenklatur hauptsächlich bei einfachen Halogenalkanen und dort, wo es vor-
teilhaft ist, den Alkylrest mit seinem Trivialnamen anzuführen.
Einige Halogenalkane haben Trivialnamen, z.B. CH2Cl2 Methylenchlorid, CHCl3 Chloro-
form und CCl4 Tetrachlorkohlenstoff.

9.2 Eigenschaften und Bedeutung der Halogenalkane


Halogenalkane sind relativ unpolar. Sie sind daher in Wasser nicht löslich, jedoch gut löslich
in organischen Lösungsmitteln. Methylenchlorid, Chloroform und Tetrachlorkohlenstoff
werden häufig als Lösungsmittel für organische Verbindungen benutzt. Tetrachlorkohlen-
stoff wurde früher oft als Fleckenputzmittel verwendet. Es hat gegenüber anderen organi-
schen Lösungsmitteln den Vorteil, daß es nicht brennbar ist. Der Nachteil der Halogenalkane
als Lösungsmittel ist die Giftigkeit ihrer Dämpfe. Sie verursachen gefährliche Blutschädi-
gungen durch Einwirkung auf die Leber mit Prothrombinmangel und Gerinnungsstörungen.
Durch Lichteinwirkung oder in der Flamme entsteht aus den genannten Lösungsmitteln im

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 345


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
346 9 Halogenalkane

Beisein von Luft das giftige Phosgen COCl2 (im ersten Weltkrieg als Kampfgas benutzt).
Zur Herabsetzung der Phosgenbildung durch Lichteinwirkung wird dem Chloroform 0,5 %
Ethanol zugegeben. Alkylbromide und Alkyliodide zersetzen sich unter Lichteinfluß so, daß
Brom bzw. Iod frei wird. Diese Halogenalkane sind deshalb in braunen Flaschen aufzube-
wahren.
Wichtig sind die Halogenalkane als Alkylierungsmittel in organischen Synthesen. Mit
Ausnahme der Fluoralkane, die infolge der geringen Polarisierbarkeit und der Stärke der
C–F-Bindung wenig reaktionsfreudig sind, kann in Halogenalkanen das Halogenatom durch
ein Nucleophil leicht ersetzt werden.
Freone wurden als Treibgas für Sprays und als Kühlmittel in Kühlschränken benutzt. Sie
müssen durch andere Stoffe ersetzt werden, da sie in der Ozonosphäre (in 20–30 km Höhe)
die Ozonschicht zerstören, die als Schutzschild gegen zu starke UV-Einstrahlung wirkt.
Halothan CF3CHBrCl wird als einzuatmendes Anästhetikum (Schmerzbekämpfungsmit-
tel) verwendet.

9.3 Darstellung der Halogenalkane

9.3.1 Halogenierung von Alkanen

Die Chlorierung von Methan hat Bedeutung für die Herstellung von Methylchlorid, Methyl-
enchlorid, Chloroform und Tetrachlorkohlenstoff (siehe Abschnitt 2.9.1.1). Die einzelnen
Produkte, die im Reaktionsgemisch nebeneinander vorliegen, lassen sich, da sie große Unter-
schiede in der Siedetemperatur aufweisen, gut voneinander trennen. Für die Darstellung von
Halogenalkanen aus höheren Alkanen ist die Reaktion jedoch uninteressant, weil eine große
Anzahl von Reaktionsprodukten entsteht und man die Komponenten voneinander nicht sau-
ber trennen kann, da sich die Siedetemperaturen der Halogenalkane untereinander zu wenig
unterscheiden.

9.3.2 Halogenalkane aus Alkoholen

Chloralkane. Konzentrierte Salzsäure reagiert mit tertiären Alkoholen relativ gut, insbeson-
dere in Gegenwart von ZnC12 (siehe Abschnitt 10.7.4.1),
CH3 CH3

H3C C OH + HCl H3C C Cl + H2O

CH3 CH3

sie reagiert langsam mit sekundären Alkoholen und nicht, oder nur sehr schlecht, mit pri-
mären Alkoholen. Aus primären Alkoholen stellt man deshalb Chloralkane durch Erhitzen
mit PCl3 oder PCl5 her (siehe auch Abschnitt 10.7.4.1),

3 R CH2 OH + PCl3 3 R CH2 Cl + H3PO3


9.3 Darstellung der Halogenalkane 347

oder man läßt den Alkohol mit SOCl2 in Gegenwart von Pyridin reagieren:
Pyridin
R CH2 OH + SOCl2 R CH2 Cl + SO2 + HCl

Bromalkane. Bromalkane lassen sich aus Alkoholen (auch aus primären Alkoholen) durch
Erhitzen mit 48%iger Bromwasserstoffsäure herstellen oder indem man ein Gemisch aus
Alkohol, Schwefelsäure und KBr erhitzt.

R CH2 OH + H Br R CH2 Br + H2O

Auch durch Erhitzen des Alkohols mit PBr3 kann man Bromalkane darstellen.
Iodalkane. Die Darstellung von Iodalkanen gelingt durch Erhitzen eines Gemisches beste-
hend aus Alkohol, Iod und rotem Phosphor. Als eigentliches Reagens bei dieser Reaktion
wirkt das aus Phosphor und Iod gebildete PI3. Die Darstellung der Iodalkane aus höheren
Alkoholen erfordert erhöhten Druck.

9.3.3 Halogenderivate aus Alkenen

Monohalogenderivate lassen sich durch Addition von HX (X = Cl, Br oder I) an Alkene


synthetisieren (siehe Abschnitt 3.7.4.1), z. B.

H3C CH CH2 + H Br H3C CH CH3

Br
während bei der Addition von Cl2 oder Br2 an Alkene Dichlor- bzw. Dibromderivate entste-
hen (siehe Abschnitt 3.7.4.6), z.B.

H3C CH CH2 + Br2 H3C CH CH2

Br Br

9.3.4 Die Gewinnung von Fluoralkanen

Von den Fluoralkanen haben Fluorderivate des Methans die größte Bedeutung. Ihre Herstel-
lung durch direkte Einwirkung von Fluor auf Methan läßt sich schlecht durchführen, da die
Reaktion explosionsartig verläuft. Man verfährt deshalb so, daß man Chlorderivate des Me-
thans mit wasserfreiem Fluorwasserstoff in Gegenwart von Katalysatoren fluoriert. Fluor-
alkane können auch durch Umsetzung von Chlor-, Brom- oder Iodalkanen mit Metallfluori-
den dargestellt werden.
Reaktion von Halogenalkanen mit Metallfluoriden (Swarts-Reaktion). Läßt man Chlor-,
Brom- oder Iodalkane mit Quecksilber(I)fluorid, Silber- oder Kaliumfluorid reagieren, er-
folgt der Austausch von Chlor, Brom oder Iod durch Fluor.
348 9 Halogenalkane

2 R X + Hg2F2 2 R F + Hg2X2 X = Cl, Br oder I

Reaktion von Chloralkanen mit HF. Die Substiution von Chlor durch Fluor in Chlorderivaten
des Methans durch deren Umsetzung mit HF spielt eine Rolle in technischen Verfahren zur
Herstellung von Chlorfluormethanen. Die Herstellung der Chlorfluormethane kann in der
Gasphase bei 150°C mit Aluminiumfluorid, Chromfluorid oder Chromoxyfluorid als Festbe-
ttkatalysator oder in der Flüssigphase unter Druck bei 100°C mit Antimonfluorid als Kataly-
sator erfolgen. Durch Einwirkung von HF in Anwesenheit eines entsprechenden Katalysators
wird in Chlorderivaten des Methans (z.B. CH2Cl2) das Chlor stufenweise durch Fluor ersetzt.

150 °C, AlF3


CH2Cl2 + HF CH2ClF + HCl

150 °C, AlF3


CH2ClF + HF CH2F2 + HCl

Die Chlorfluormethanverbindungen werden im Handel als Freone (USA) oder Frigene


(Europa) bezeichnet. Für die technische Kennzeichnung wird ein zweistelliger Zahlencode
verwendet, wobei die erste Ziffer die um eins erhöhte Anzahl der Wasserstoffatome und die
zweite Ziffer die Anzahl der Fluoratome im Molekül angeben.

HF/SbF5 HF/SbF5 HF/SbF5


CCl4 CCl3F CCl2F2 CClF3
- HCl - HCl - HCl
Trichlorfluormethan Dichlordifluormethan Chlortrifluormethan
(Frigen 11, Sdt. 23,7°C) (Frigen 12, Sdt. –29,8°C) (Frigen 13, Sdt. –81,1°C)

HF/SbF5 HF/SbF5
CHCl3 CHCl2F CHClF2
- HCl - HCl
Dichlorfluormethan Chlordifluormethan
(Frigen 21, Sdt. 9°C) (Frigen 22, Sdt. –40,8°C)
Anmerkung: die Abkürzung Sdt. bedeutet Siedetemperatur.

Die Frigene sind tief siedende, untoxische, nicht brennbare, sehr stabile Verbindungen,
die in Kühlsystemen und als Treibgas in Spraydosen verwendet werden. Gelangen diese
Verbindungen in die Stratosphäre, so erfolgt dort durch energiereiche Strahlung ein Zerfall
dieser Verbindungen, wobei Chloratome entstehen, die den Abbau von Ozon katalysieren.
Die Abnahme der Ozonkonzentration in der Stratosphäre kann für das Leben auf der Erde
katastrophale Folgen haben. Man bemüht sich deshalb weltweit, die Frigene durch andere
Stoffe zu ersetzen. In der Bundesrepublik Deutschland sind für den Handel Frigene als
Treibmittel in Spraydosen oder als Kühlmittel in Kühlschränken und Klimaanlagen gesetz-
lich nicht mehr zugelassen.
Von den Chlorfluormethanen hat das Chlordifluormethan die größte Bedeutung. Durch
Pyrolyse dieser Substanz bei 250°C entsteht Tetrafluorethylen F2C=CF2.
9.4 Reaktionen der Halogenalkane 349

H F F F
250 °C
2 C C C + 2 HCl
Cl F F F
Tetrafluorethylen ist ein Gas, das bei Katalyse von Peroxiden unter Druck zu Poly-
tetrafluorethylen (Teflon) polymerisiert.

F F
F F
Katalysator, Druck
n C C C C
F F
F F n
Tetrafluorethylen Teflon
Teflon hat einen hohen Erweichungspunkt, der bei etwa 300°C liegt, es ist ein guter Iso-
lator und es ist resistent gegen Chemikalien. Nur schmelzende Alkalimetalle und Fluor grei-
fen es an. Teflonpulver sintert bei 360°C und bildet gut haftende Überzüge. Teflon wird zum
Innenbezug von Pfannen und Töpfen verwendet, zum Oberflächenschutz von Metallen und
für wasserabweisende Filme. Aus Teflon werden Rohre, Dichtungen und Hähne hergestellt.
Weitere Synthesen von Halogenalkanen werden in Abschnitt 15.4.5.3b (aus Silbersalzen,
die Hunsdiecker-Reaktion) und in Abschnitt 22.7.1.3 (aromatische Halogenderivate aus
Diazoniumsalzen) behandelt.

9.4 Reaktionen der Halogenalkane


Die nachfolgend beschriebenen Reaktionen können mit Iod-, Brom- oder Chloralkanen
durchgeführt werden. Infolge ihrer Reaktionsträgheit reagieren Fluoralkane auf diese Weise
nicht. In den weiteren Ausführungen steht X für Iod, Brom oder Chlor.

9.4.1 Hydrogenolyse von Halogenalkanen

Unter Hydrogenolyse versteht man eine Hydrierung, die unter gleichzeitigem Bindungsbruch
der C–X-Bindung erfolgt.
Halogenalkane lassen sich durch Erhitzen mit Zink und Säure (Mineralsäure oder Essig-
säure)
Zn / CH3COOH
R X R H

oder durch Erhitzen mit Lithiumaluminiumhydrid in Tetrahydrofuran


Tetrahydrofuran
4 R X + LiAlH4 4 R H + AlCl3 + LiCl

zu Alkanen umsetzen (siehe Abschnitt 2.7.2.3). Iodalkane reagieren besser als Bromalkane
und diese wiederum besser als Chloralkane. Fluoralkane reagieren nicht.
350 9 Halogenalkane

Iodalkane können auch bei Erhitzen mit konz. Iodwasserstoffsäure in Alkane umgesetzt
werden.
R I + H I R H + I2

9.4.2 Reaktion mit Metallen

Wurtzsche Synthese. Mit metallischem Natrium oder Kalium reagieren Halogenalkane unter
Verdoppelung der Kohlenstoffkette zu Alkanen (siehe Abschnitt 2.7.2.1).

2 R X + 2 Na R R + 2 NaX

Darstellung von Alkyllithiumverbindungen. Läßt man die Halogenalkane mit in Diethylether


oder Tetrahydrofuran (THF) suspendiertem Lithium reagieren, so entstehen die entsprechen-
den Alkyllithiumverbindungen.

C4H9Br + 2 Li
0 °C C4H9Li + LiBr

Organische Verbindungen, welche ein Metallatom enthalten, werden allgemein als Orga-
nometallverbindungen bezeichnet.
Grignard-Reagens. Die Apparatur zur Darstellung des Grignard-Reagens besteht aus einem
Dreihalskolben mit aufgesetztem Rückflußkühler und Tropftrichter. Die Reaktion führt man
unter trockener Stickstoffatmosphäre durch, oder man verhindert mit einem Chlorcalcium-
röhrchen den Zutritt von Luftfeuchtigkeit. Aus einem Tropftrichter läßt man langsam das mit
wasserfreiem Ether verdünnte Halogenalkan zu Magnesiumspänen zutropfen, welche sich
ebenfalls in wasserfreiem Ether (Diethylether oder Tetrahydrofuran) befinden. Bei der Reak-
tion entsteht ein Alkylmagnesiumhalogenid. Eine solche Verbindung wird allgemein als
Grignard-Reagens bezeichnet (siehe auch Abschnitt 2.7.2.2).
Diethylether
R X + Mg R Mg X

9.4.3 Eliminierungsreaktionen
Erhitzt man ein Halogenalkan mit Alkalihydroxid in Alkohol, so wird HX aus dem Molekül
abgespalten, und es entsteht ein Alken (siehe Abschnitt 3.6.1.1). Tertiäre Halogenalkane
spalten HX leicht ab, primäre Halogenalkane hingegen geben schlechte Alkenausbeuten.
CH3

(CH3)3C X + NaOH H3C C CH2 + NaX + H2O

Ein Alken entsteht ebenfalls durch Erhitzen eines Dihalogenalkans mit Zinkpulver in Etha-
nol (siehe auch Abschnitt 3.6.1.2).
9.4 Reaktionen der Halogenalkane 351

H H
Ethanol H H
R C C H + Zn C C + ZnX2
R H
X X

9.4.4 Die Arbuzow-Michaelis-Reaktion


In der Arbuzow-Michaelis-Reaktion erfolgt mit einem Alkylhalogenid eine Alkylierung des
Phosphors am Ester einer dreiwertigen organischen Phosphorverbindung.
Der Alkylester einer dreiwertigen Phosphorverbindung reagiert mit dem Alkylhalogenid
zunächst zum Phosphoniumsalz, der Alkylrest des Alkylhalogenids wird dabei an Phosphor
gebunden. Im nächsten Reaktionsschritt bindet das Halogenidion in einer SN2-Reaktion an
die Alkylgruppe des Esters, wobei ein Derivat des fünfwertigen Phosphors freigesetzt wird
und der ursprünglich am Ester befindliche Alkylrest nunmehr Bestandteil des Alkylhalo-
genids ist.

Die Arbuzow-Michaelis-Reaktion findet Verwendung bei der Herstellung Phosphor-


organischer Verbindungen.

9.4.5 Nucleophile Substitutionsreaktionen


Das Halogenatom ist im Vergleich zum Kohlenstoffatom elektronegativer, so daß die C–X-
Bindung eine polare kovalente Bindung darstellt:
H δ+ δ- δ + = positive Teilladung
C X δ- = negative Teilladung
H
R

Die C–X-Bindung kann leicht gespalten werden und das Halogen durch eine andere
funktionelle Gruppe, die in diesem Falle als Nucleophil bezeichnet wird, ersetzt werden. Für
das Nucleophil wird im weiteren das Symbol Nu verwendet.
Unter einem Nucleophil (lat. nucleus = Kern und griech. philos = liebend, also: Kern-
liebend) ist ein Anion oder eine elektroneutrale Verbindung zu verstehen, die ein freies
Elektronenpaar besitzt, mit dem sie sich an das C+ eines Carbeniumions oder an ein Kohlen-
352 9 Halogenalkane

stoffatom mit positiver Teilladung binden kann. Das Halogenalkan ist in dieser Substitu-
tionsreaktion als Reaktionspartner des Nucleophils der Elektronenakzeptor und wird ganz
allgemein als Elektrophil bezeichnet. Einen Vorgang, bei dem eine elektronegative funktio-
nelle Gruppe (im Falle des Halogenalkans das Halogen) durch ein Nucleophil ersetzt wird,
nennt man nucleophile Substitution und verwendet dafür die Abkürzung SN (S für Substitu-
tion und N für nucleophil), z. B.:

R X + Nu R Nu + X Nu = Nucleophil

Die Bezeichnung einer Reaktion richtet sich gewöhnlich nach dem angreifenden Rea-
gens. Bei der nucleophilen Substitution ist das Nucleophil das angreifende Reagens, das eine
funktionelle Gruppe ersetzt. Die Gruppe, die abgespalten wird, bezeichnet man als Abgangs-
gruppe. Die leichte Abspaltbarkeit der Halogene läßt diese als außerordentlich gute Ab-
gangsgruppe erscheinen. Es gibt eine Vielfalt von Nucleophilen, die in Halogenalkanen das
Halogenatom ersetzen können, und dies ist der Grund, warum Halogenalkane für viele Syn-
thesen wichtig sind.
Zur Übersicht sind einige bei nucleophilen Substitutionen öfter eingesetzte Nucleophile
aufgezählt, wobei diese nach dem Atom des Nucleophils geordnet sind, daß sich direkt an
das Elektrophil bindet.
O

O R O H O C6H5 O C CH3 H O H
O-Nucleophile
Alkoholat-Ion Hydroxid-Ion Phenolat-Ion Acetat-Ion Wasser

Halogenidionen I Br Cl F
als Nucleophile
Iodid-Ion Bromid-Ion Chlorid-Ion Fluorid-Ion

N-Nucleophile R3N R2NH R NH2 NH3 N3 C6H5NH2

tert. Amin sek. Amin prim. Amin Ammoniak Azid-Ion Anilin

O O
C-Nucleophile
HC C C N R O C CH C O R

Acetylid-Ion Cyanid-Ion Carbanion des Malonsäurediesters

O
S-Nucleophile 2
H O S O R S H S S

Hydrogensulfit-Ion Mercaptid-Ion Hydrogensulfid-Ion Sulfid-Ion


(Bisulfit-Ion)
9.5 Die aliphatische nucleophile Substitution (SN-Reaktion) 353

9.5 Die aliphatische nucleophile Substitution (SN-Reaktion)


Bei der nucleophilen Substitution am gesättigten Kohlenstoffatom (sp3-hybridisiertes
C-Atom) wird eine als Abgangsgruppe (benutztes Symbol L nach dem englischen leaving
group) bezeichnete Gruppe durch ein Nucleophil (benutztes Symbol Nu) ersetzt. Für die nuc-
leophile Substitution wird allgemein das Symbol SN als Abkürzung verwendet (S = Substitu-
tion und N = nucleophil). Voraussetzung für die SN-Reaktion ist die Elektronegativität der
Abgangsgruppe, denn die Bindung des Kohlenstoffatoms zu dem Atom der Abgangsgruppe
muß genügend polar sein, damit eine heteropolare Spaltung möglich ist. Indem die elektrone-
gative Abgangsgruppe die Bindungselektronen näher zu sich zieht, hat das Kohlenstoffatom
eine positive und das direkt an das Kohlenstoffatom gebundene Atom der Abgangsgruppe
eine negative Partialladung. Die Abgangsgruppe löst sich vom Kohlenstoffatom und nimmt
dabei die beiden Bindungselektronen mit. An ihre Stelle tritt das Nucleophil, das bei der SN-
Reaktion sein freies Elektronenpaar für eine Bindung mit dem Kohlenstoffatom verwendet.
δ+ δ-
Nu + R L Nu R + L

Das angreifende Nucleophil kann elektroneutral oder ein Anion sein. Ist das angreifende
Nucleophil neutral, entsteht ein Kation, handelt es sich bei ihm um ein Anion, wird eine
elektroneutrale Verbindung gebildet. Entsteht bei der SN-Reaktion zunächst ein Kation, kann
dieses ein Proton abspalten und die Verbindung dadurch elektroneutral werden.
H H

Nu + C L Nu C H + L
H
R R
Nucleophil Elektrophil Kation
(elektroneutral)

H H

Nu + C L Nu C H + L
H
R R
Nucleophil Elektrophil elektroneutrale
(Anion) Verbindung
Falls das Nucleophil gleichzeitig das Lösungsmittel darstellt, bezeichnet man die Reak-
tion als Solvolyse.
Die Abgangsgruppe kann elektroneutral sein oder eine positive Ladung tragen. Im ersten
Fall erfolgt die Abspaltung der Abgangsgruppe als Anion, im zweiten Fall als elektroneutrale
Verbindung, z.B.:
H H

N C + C Br N C C H + Br
H
R R
Nucleophil Elektrophil Anion
354 9 Halogenalkane

H H
H H
Br + C O Br C H + O
H H H
R R
Nucleophil Elektrophil elektroneutrale
Verbindung

Bei der SN-Reaktion ist es wichtig, daß sich die Abgangsgruppe vom Kohlenstoffatom
gut lösen kann. Deshalb hängt es auch von der Natur der Abgangsgruppe ab, wie leicht die
Reaktion erfolgt. Gute Abgangsgruppen sind die konjugierten Basen starker Säuren (zu dem
Begriff konjugierte Base siehe Abschnitt 10.7.3). Leicht abzuspaltende Gruppen sind z.B.:
O O

O S Br > O S CH3 > I > Br > Cl

O O

p-Brombenzolsulfonylgruppe p-Toluolsulfonylgruppe Iod Brom Chlor


(Brosylgruppe) (Tosylgruppe)

Gut abzuspaltende Gruppen sind außerdem solche, die eine positive Ladung tragen. Die
positive Ladung der Abgangsgruppe verstärkt die Polarisierung der Bindung zwischen
C-Atom und dem daran gebundenen Atom der Abgangsgruppe und unterstützt damit das
Lösen der Abgangsgruppe, z.B.:
R R R R
H H R' R'
R C O R C + O oder R C O R C + O
H H H H
R R R R

Die –OH-Gruppe und die –OR-Guppe sind, ebenso wie die –NH2-Gruppe, schwer ab-
spaltbar. Deshalb müssen diese Gruppen für SN-Reaktionen zunächst protoniert werden:
H H
R CH2 O + H R CH2 O und R CH2 O + H R CH2 O
H H R R
gut abspaltbare abspaltbare
Gruppe Gruppe

Auch nach Überführung des Alkohols in den Tosylester liegt mit der Tosylgruppe eine
besser abzuspaltende Gruppe vor:

O O

R O H + Cl S CH3 R O S CH3 + HCl

O O

p-Toluolsulfochlorid Tosylester (gut abspaltbare Gruppe)


9.5 Die aliphatische nucleophile Substitution (SN-Reaktion) 355

In den meisten Fällen erfolgt die SN-Reaktion mit Alkylhalogeniden. Diese lassen sich re-
lativ leicht synthetisieren, und das Halogen kann aus dem Alkylhalogenid bei der SN-
Reaktion leicht abgespalten werden.
Nucleophile Substitutionsreaktionen an einem Alkyhalogenid R–X sind gleichzeitig
auch Alkylierungsreaktionen. Man bringt bei dieser Reaktion in das Nucleophil einen
Alkylrest R ein.

R X + Nu R Nu + X X = Cl, Br, I

Es erfolgt also die Alkylierung des Nucleophils Nu mit R. Ist das Nucleophil ein Carbanion,
so erfolgt bei der nucleophilen Substitution eine C–C-Verknüpfung (siehe Tabelle 9.1).

Tabelle 9.1 Synthetisch wichtige nucleophile Substitutionen

nucleophiles Nucleophil Elektrophil Reaktionsprodukte


Atom
H H
Halogen SbF3, HF
F + C Br F C H + Br
H
R R
Fluorid-Ion Alkylfluorid (s. Abschnitt 9.3.4)
H H
Aceton
I + C Br I C H + Br
H
R R
Iodid-Ion Alkyliodid (s. Abschnitt 3.7.4.6)
H H
Sauerstoff
R' O + C Br R' O C H + Br
H
R R
Alkoholat-Ion Ether (s. Abschnitt 12.3.3)
H H H
H
R' O + C O R' O C H + H2O R' O C H
H H
H R H R R
+ H3O
Alkohol prot. Alkohol Ether
(s. Abschnitt 12.3.2)
H H

H O + C Br H O C H + Br
H
R R
Hydroxid-Ion Alkohol (s. Abschnitt 10.6.2.1)
356 9 Halogenalkane

O H O H

R' C O + C Br R' C O C H + Br
H
R R
Carboxylat-Ion Ester (s. Abschnitt 17.3.3.3)

H H
Kohlenstoff in
Carbanionen N C + C Br N C C H + Br
H
R R
Cyanid-Ion Nitril (s. Abschnitt 17.5.2.2)

nucleophiles Nucleophil Elektrophil Reaktionsprodukte


Atom

H H
Kohlenstoff in
Carbanionen H C C + C Br H C C C H + Br
H
R R
Acetylid-Ion Alkin (s. Abschnitt 4.4.4)

RO O RO O
C H C H

H C + C Br H C C H + Br
H
C R C R
RO O RO O

Carbanion des Alkylmalonsäure-


Malonsäurediesters diester (s. Abschnitt 15.3.2.5)

Stickstoff H H H H H H
NH3
H N + C Br H N C H + Br N C H
H
H R H R H R
+ NH4Br
Ammoniak prim. Amin
(s. Abschnitt 22.5.2)
R' H R' H R' H
NH3
H N + C Br H N C H + Br N C H
H
H R H R H R
+ NH4Br
9.6 Reaktionsmechanismen der aliphatischen nucleophilen Substitution 357

prim. Amin sek. Amin


R'' H R'' H R'' H
NH3
H N + C Br H N C H + Br N C H
H
R' R R' R R' R
+ NH4Br
sek. Amin tert. Amin
H H
Schwefel
H S + C Br H S C H + Br
H
R R
Hydrogensulfid-Ion Mercaptan (Alkylthiol)

nucleophiles Nucleophil Elektrophil Reaktionsprodukte


Atom
H H
Schwefel
R' S + C Br R' S C H + Br
H
R R
Mercaptid-Ion Thioether
H H H
2
S + 2R C Br R C S C R + 2 Br

H H H
Sulfid-Ion Thioether

H H
Phosphor
(C6H5)3P + C Br (C6H5)3P C H Br
H
R R
Triphenylphosphin Alkyltriphenylphosphoniumbromid
(s. Abschnitt 13.4.1.6)

9.6 Reaktionsmechanismen der aliphatischen nucleophilen


Substitution
Nucleophile Substitutionen (lat. substituere = ersetzen) am gesättigten C-Atom erfolgen in
den meisten Fällen nach dem Reaktionsmechanismus der monomolekularen nucleophilen
Substitution (SN1) oder der bimolekularen nucleophilen Substitution (SN2). Nach der SN1-
Reaktion reagieren bevorzugt Verbindungen, die die Abgangsgruppe an ein tertiäres Kohlen-
stoffatom gebunden haben, z.B. tertiäre Alkohole und tertiäre Alkylhalogenide. Die SN2-
Reaktion betrifft vornehmlich Verbindungen mit der Abgangsgruppe an einem primären
Kohlenstoffatom, z.B. primäre Alkohole und primäre Alkylhalogenide. Verbindungen, in
358 9 Halogenalkane

welchen die Abgangsgruppe am sekundären Kohlenstoffatom gebunden ist, können – je nach


Reaktionsbedingungen – nach dem SN1- oder dem SN2-Reaktionsmechanismus reagieren.
SN1-und SN2-Reaktionen sind Konkurrenzreaktionen, die auch nebeneinander ablaufen kön-
nen. Eine nucleophile Substitution kann auch nach dem SNi-Mechanismus erfolgen, der je-
doch relativ selten ist und bei der Reaktion von Alkoholen mit Thionylchlorid im Abschnitt
10.7.4.1 beschrieben wird.

9.6.1 SN1-Mechanismus
Die SN1-Reaktion läuft in zwei aufeinanderfolgenden Reaktionsschritten ab. Im ersten lang-
samen Schritt erfolgt die Abspaltung der Abgangsgruppe L, wobei ein Carbeniumion ent-
steht, und im zweiten schnellen Schritt bindet sich das Nucleophil Nu: oder Nu:– an den
positiven Kohlenstoff des Carbeniumions.

R1 R1
langsam
R2 C L R2 C + L

R3 R3

R1 R1
schnell
R2 C + Nu R2 C Nu

R3 R3

Bild 9.1 zeigt das Reaktionsprofil einer SN1-Reaktion. Über einen Übergangszustand, bei
welchem die C–L-σ-Bindung gelockert ist, wird nach Loslösen der Abgangsgruppe das Car-
beniumion als Zwischenprodukt gebildet. Die Produktbildung erfolgt über einen weiteren
Übergangszustand, bei dem die σ-Bindung mit dem Nucleophil noch nicht vollständig aus-
gebildet ist (durch Punkte symbolisiert).

9.6.1.1 Kinetik der SN1-Reaktion


Der langsamste Teilschritt der Reaktion ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt für den
Gesamtablauf der Reaktion. Zur Erläuterung diene ein Beispiel aus dem täglichen Leben:
Dreht man bei der Wasserleitung den Wasserhahn auf, so bestimmt der freigelegte Spalt
unter der Dichtung die pro Zeiteinheit durchfließende Wassermenge. Der kleine Spalt stellt
die größte Verengung in der Wasserleitung und somit auch das größte Hindernis dar, das die
Durchflußgeschwindigkeit des Wassers in der Wasserleitung bestimmt. Ähnlich verhält es
sich mit dem langsamsten Teilschritt der Reaktion. Er ist der Engpaß, der die Reaktions-
geschwindigkeit der Gesamtreaktion bestimmt.
9.6 Reaktionsmechanismen der aliphatischen nucleophilen Substitution 359

R1 R1
δ+ δ− δ+ δ−
R2 C L + Nu R
2
C Nu + L
3 3
R R
Übergangszustand Übergangszustand

R1
Energie

R2 C + Nu + L
3
R
R1 R1
Carbeniumion
2
R2 C L + Nu R C Nu + L
3 3
R R

Reaktionskoordinate

Bild 9.1 Energieprofil einer SN1-Reaktion

Der langsamste geschwindigkeitsbestimmende Teilschritt der SN1-Reaktion besteht im


Loslösen der Abgangsgruppe unter Bildung eines Carbeniumions. An dieser Teilreaktion ist
nur das Molekül des Substrats beteiligt (als Substrat wird die Verbindung bezeichnet, an der
die Umsetzung erfolgt). Man bezeichnet diese Reaktion deshalb als monomolekular. Im
Regelfall gehorchen SN1-Reaktionen einer Kinetik 1. Ordnung, das heißt, die Reaktionsge-
schwindigkeit ist im Idealfall nur von der Konzentration des Substrats abhängig und wird
nicht von der Konzentration des Nucleophils bestimmt.

Reaktionsgeschwindigkeit = k · [ Substrat]

Diese einfache Beziehung zwischen der Molekularität des geschwindigkeitsbestimmen-


den Prozeßes und der kinetischen Charakteristik der Reaktion ist aber nicht immer gegeben,
sie kann durch verschiedene Faktoren kompliziert werden.

9.6.1.2 Der sterische Verlauf der SN1-Reaktion


Den räumlichen Ablauf dieser Reaktion muß man sich so vorstellen, daß im Verlauf des
Loslösens der Abgangsgruppe L der Bindungswinkel zwischen den drei restlichen am
Kohlenstoff gebundenen Liganden aufgeweitet wird, bis schließlich nach Abgang dieser
Gruppe das Kohlenstoffatom und seine Liganden in einer Ebene liegen. Das Nucleophil
kann sich nun dem positiven Kohlenstoff von beiden Seiten der Ebene nähern. Die Wahr-
scheinlichkeit, daß dies von der einen oder der anderen Seite erfolgt, ist gleich. Bei op-
tisch aktiven Verbindungen erfolgt deshalb bei der SN1-Reaktion am asymmetrischen C-
Atom eine Racemisierung.
360 9 Halogenalkane

unbesetztes
p-Orbital
R1
R1
+
C L C + L
R2 sp3-hybridisiert R2 sp2-hybridisiert
R3
R3
Carbenium-Ion

R1
R1
C Nu
+
C R2 3
R
R2 +
R3 R1
Nu C
R2
Nu R3

Bild 9.2 Der räumliche Verlauf der SN1-Reaktion

Das C-Atom, das die Abgangsgruppe trägt, ist sp3-hybridisiert. Nach Loslösen der Ab-
gangsgruppe ist es sp2-hybridisiert und hat eine positive Ladung. Die an den positiven Koh-
lenstoff gebundenen Liganden liegen in einer Ebene, das unbesetzte p-Orbital des sp2-
hybridisierten Kohlenstoffs steht senkrecht zu dieser Ebene, mit einem Orbitallappen vor und
dem anderen hinter der Ebene. Im zweiten Teilschritt der SN1-Reaktion kann sich das Nucle-
ophil mit seinem freien Elektronenpaar dem p-Orbital des Carbeniumions von der einen oder
der anderen Seite nähern. Das Orbital der Nucleophils mit dem freien Elektronenpaar über-
lappt mit dem p-Orbital des sp2-hybridisierten Kohlenstoffs, der mit Ausbildung der
σ-Bindung wieder in den sp3-Hybridzustand versetzt wird.
Neben der Racemisierung tritt bei SN1-Reaktionen vielfach auch eine Inversion auf (siehe
Abschnitt 8.9.3.2). Man erklärt dies durch die Bildung von Ionenpaaren. Beim Lösen der
Abgangsgruppe L bilden die entstehenden beiden Ionen, das Carbeniumion und L:– zunächst
ein Kontakt-Ionenpaar, wobei sich beide Ionen zueinander in engem Kontakt befinden und
von einer gemeinsamen Solvathülle (Lösungsmittelmoleküle) umgeben sind. Zwischen beide
Ionen schieben sich einige Lösungsmittelmoleküle ein (in der nachfolgenden Darstellung
durch || symbolisiert), die beiden Ionen ziehen sich aber immer noch elektrostatisch an, sie
bilden ein externes Ionenpaar. Die Ionen entfernen sich schließlich immer weiter voneinan-
der und stehen, jedes von einer Solvathülle umgeben, miteinander nicht mehr in Wechsel-
wirkung. Reaktivere Carbeniumionen reagieren mit dem Nucleophil schon, bevor die abge-
trennte Abgangsgruppe L: – sich weit genug entfernen konnte (bei Vorliegen eines externen
Ionenpaares). Da die Abgangsgruppe den Zugang zum Carbeniumion abschirmt, greift das
Nucleophil von der Rückseite an, was eine Inversion der Konfiguration zur Folge hat.
9.6 Reaktionsmechanismen der aliphatischen nucleophilen Substitution 361

Nu
R1 R1 R1 R1
C L + Nu C L Nu C L Nu C + L
R2
R2 2
R R2
R3 R3 R3 R3
Substrat Kontaktionenpaar externes Ionenpaar Produkt

9.6.1.3 Strukturelle Voraussetzung des Substrats für den SN1-Mechanismus


Nach dem SN1-Mechanismus reagieren vor allem Verbindungen, die die Abgangsgruppe an
ein tertiäres C-Atom (C-Atom mit 3 Alkylresten) gebunden haben. Die Neigung zu SN1-
Reaktionen bei diesen Verbindungen ist mit der relativen Stabilität des im ersten Reaktions-
schritt entstehenden Carbeniumions zu erklären. Entsteht ein relativ stabiles Carbeniumion,
so erfolgt die Dissoziation des Substrats in Ionen besonders leicht Die Stabilität des Carbeni-
umions nimmt in der Reihe primär < sekundär < tertiär zu. Begründen kann man die relative
Stabilität tertiärer Carbeniumionen mit der Hyperkonjugation.
Die relative Stabilität tertiärer Carbeniumionen durch Hyperkonjugation soll am Beispiel des
tertiären Butylkations erklärt werden. Die CH3-Gruppen sind im tert-Butylkation um die C–
C-σ-Bindung frei drehbar und können in eine Konformation gelangen, in der das C–H-σ-
Orbital und das unbesetzte p-Orbital des sp2-hybridisierten C-Atoms parallel in nächster
Nähe zueinander stehen und überlappen können. Durch Wechselwirkung des C–H-σ-
Orbitals einer Methylgruppe mit dem unbesetzten p-Orbital des sp2-hybridisierten Kohlen-
stoffs kann eine Delokalisierung des bindenden Elektronenpaares der C–H-σ-Bindung auf
beide Orbitale erfolgen. Dieses Phänomen bezeichnet man als Hyperkonjugation. Auf diese
Weise erfolgt ein Elektronenschub der Methylgruppe zum C+ hin, an das sie gebunden ist. Im
tertiären Butylkation können sich alle drei Methylgruppen an der Hyperkonjugation beteili-
gen. Diese elektronenschiebende Wirkung der Methylgruppen zum Nachbaratom hin kom-
pensiert teilweise die positive Ladung am sp2-hybridisierten Kohlenstoff und stabilisiert
damit das tertiäre Carbeniumion.

unbesetztes p-Orbital H

H CH2
+
H2 C C H

CH2

Überlappung
Bild 9.3 Hyperkonjugation des tertiären Butylkations
Die Neigung tertiärer Verbindungen zum SN1-Mechanismus ist auch räumlich (sterisch)
bedingt. Beim Loslösen der Abgangsgruppe erfolgt ein Übergang des sp3-hybridisierten
Kohlenstoffatoms, dem Reaktionszentrum, zum sp2-Hybridzustand im Carbeniumion. Dieser
Übergang ist mit einer Aufweitung des Bindungswinkels von 109°28′ auf 120° verbunden.
Die sich gegenseitig abstoßenden Alkylgruppen gewinnen mehr Raum, die sterische Span-
362 9 Halogenalkane

nung wird dadurch vermindert. Deshalb neigen besonders Verbindungen mit sperrigen Sub-
stituenten am Reaktionszentrum zum SNl-Mechanismus.

9.6.2 Der SN2-Mechanismus

Nucleophile Substitutionen nach dem SN2-Mechanismus erfolgen bevorzugt mit Verbindun-


gen, die die Abgangsgruppe an ein primäres C-Atom gebunden haben, z.B. primäre Alkylha-
logenide oder primäre Alkohole. Auch Reaktionen mit sekundären Alkylhalogeniden und

R1 R1
109°28‘ 120° +
C L C 120° + L
R2
109°28‘ R2
R3 R3
Carbeniumion
Bild 9.4 Aufweitung des Bin-
dungswinkels bei SN1-Reaktionen

Nu C L
H R Übergangszustand

EA EA = Aktivierungsenergie
Energie

H
Nu + C L H
H
R Nu C + L
H
R
Reaktionskoordinate

Bild 9.5 Energieprofil einer SN2-Reaktion


9.6 Reaktionsmechanismen der aliphatischen nucleophilen Substitution 363

Alkoholen erfolgen vielfach nach dem SN2-Mechanismus. Die Reaktionsbedingungen sind


ausschlaggebend dafür, ob die Reaktion am sekundären C-Atom des Substrats nach dem
SN2-oder SNl-Mechanismus erfolgt. SN1-Reaktionen laufen eher bei geringer Konzentration
des Nucleophils, schwachen Nucleophilen und hoher Lösungsmittelpolarität ab, während
SN2-Reaktionen eine hohe Konzentration des Nucleophils, starke Nucleophile und Lösungs-
mittel niedriger Polarität erfordern.
Die SN2-Reaktion erfolgt über einen Übergangszustand, aus dem heraus das Reaktions-
produkt gebildet wird.

H
H H
δ- δ-
Nu + C L Nu C L Nu C + L
H H
R H R R
Übergangszustand

Im Übergangszustand ist das Nucleophil noch nicht vollständig an das C-Atom des Sub-
strats gebunden und die Abgangsgruppe L hat sich noch nicht vollständig gelöst (im Bild 9.5
durch eine punktierte Gerade symbolisiert).

9.6.2.1 Kinetik und sterischer Verlauf

Am Zustandekommen des bimolekularen Übergangszustandes sind sowohl das Nucleophil


als auch das Substrat beteiligt. Da an diesem geschwindigkeitsbestimmenden Schritt der
Reaktion beide Reaktanden beteiligt sind, wird diese Reaktion als bimolekulare nucleophile
Substitution bezeichnet. SN2-Reaktionen gehorchen in der Regel einer Kinetik 2. Ordnung.
Die Reaktionsgeschwindigkeit ist direkt proportional dem Produkt der Substratkonzentration
und der Konzentration des Nucleophils:

Reaktionsgeschwindigkeit = k · [Substrat] · [Nucleophil]

Das die Abgangsgruppe bindende Kohlenstoffatom ist sp3-hybridisiert. Das Nucleophil


greift diesen Kohlenstoff von der Rückseite an. Es erfolgt eine Umhybridisierung des Koh-
lenstoffatoms, welches im Übergangszustand sp2-hybridisiert ist. Im Übergangszustand be-
finden sich das Nucleophil, die Abgangsgruppe und das sp2-hybridisierte C-Atom auf einer
Geraden. Die drei Liganden und das sp2-hybridisierte C-Atom liegen in einer Ebene, die zu
dieser Geraden senkrecht steht. Beim Loslösen der Abgangsgruppe geht das sp2-hybridisierte
C-Atom wieder in den tetraedrischen sp3-Zustand über.
Der Angriff des Nucleophils erfolgt von der entgegengesetzten Seite zur Abgangsgruppe.
Die SN2-Reaktion verläuft unter Inversion der Konfiguration. Diese Inversion wird manch-
mal auch als Walden-Umkehr bezeichnet. Die Reaktion ist stereospezifisch, denn das Sub-
strat wird räumlich definiert umgewandelt. Ist das Substrat eine optisch aktive Substanz, wie
dies bei der in Bild 9.6 gezeigten Verbindung der Fall ist, so ist das Produkt nach der SN2-
Reaktion auch wieder optisch aktiv, es tritt keine Racemisierung ein.
364 9 Halogenalkane

9.6.3 Faktoren, die eine nucleophile Substitution beeinflussen

9.6.3.1 Struktur des Substratmoleküls


Primäre Halogenalkane und Alkohole reagieren nach dem SN2-Mechanismus, während bei
tertiären Verbindungen die SNl-Reaktion bevorzugt abläuft. Die Erklärung für den bevor-
zugten SN2-Mechanismus an primären Halogenalkanen, Alkoholen und anderen primären
Verbindungen liegt darin, daß am Kohlenstoffatom mit der positiven Teilladung die der
Abgangsgruppe L gegenüberliegende Seite dem sich nähernden Nucleophil leicht zugäng-
lich ist.

sp2
H H H
_
δ- δ-
Nu + C Cl Nu C Cl Nu C Cl
R1 sp3 R1 sp3 R1
R 2 2
R
R2

Übergangszustand

Bild 9.6 Sterischer Verlauf der SN2-Reaktion

R R
Nu C L Nu C L
R
H R
H
von der Rückseite gut zugänglich von der Rückseite schlecht zugänglich

Bei sekundären Halogenalkanen oder Alkoholen können sperrige Substituenten den Zu-
tritt des Nucleophils von der der Abgangsgruppe gegenüberliegenden Seite räumlich ab-
schirmen (sterische Hinderung). Die SN2-Reaktion kann dann entweder nicht oder nur
schlecht erfolgen, und es findet ausschließlich oder überwiegend die SN1-Reaktion statt.

H3C CH3
Der Zutritt des Nucleophils von der der Ab- C
gangsgruppe gegenüberliegenden Seite wird H3C C L
durch die sperrigen Gruppen (CH3)3C– ver- Nu H3C H
hindert:
C
H3C CH3
9.6 Reaktionsmechanismen der aliphatischen nucleophilen Substitution 365

Am Sechsring befindliche äquatoriale Substituenten sind nach dem SN2-Mechanismus


schlecht substituierbar, da die der Abgangsgruppe gegenüberliegende Seite nur schwer zu-
gänglich ist:

H
H H
H
Nu H H
H H
L
H H
H

9.6.3.2 Die Natur der Abgangsgruppe

Bei SN-Reaktionen hängt die Reaktivität des Substrats von der Natur der Abgangsgruppe L
ab. Die Polarität der σ-Bindung zwischen dem C-Atom und dem zur Abgangsgruppe gehö-
renden Atom ist Voraussetzung für die Abspaltung der Abgangsgruppe. Die Leichtigkeit, mit
der sich die Abgangsgruppe lösen kann, hat Einfluß auf die Reaktionsgeschwindigkeit. Die
polaren Effekte der Abgangsgruppe wirken sich aber gleichermaßen auf den SN1- wie auf
den SN2-Mechanismus aus, so daß das Verhältnis SN1/SN2 beim Übergang zu einer anderen
Abgangsgruppe nur wenig beeinflußt wird.

9.6.3.3 Die Stärke des Nucleophils

Bei SN1-Reaktionen greift das Nucleophil erst im zweiten schnellen Reaktionsschritt an. Das
im ersten Reaktionsschritt gebildete reaktive Carbeniumion reagiert auch mit schwächeren
Nucleophilen gut. Anders liegen die Verhältnisse bei der SN2-Reaktion. Die Reaktionsge-
schwindigkeit hängt in diesem Fall wesentlich von der Reaktivität des Nucleophils ab. Starke
Nucleophile wirken deshalb in Richtung einer bimolekularen nucleophilen Substitution.

R1
R1
δ+ δ- +
C L C L
R2
R3 R2
R3
δ+ δ+
H H δ+ δ+
O =
δ- δ-

Bild 9.7 Solvatisierung im ersten Teilschritt der SN1-Reaktion


366 9 Halogenalkane

9.6.3.4 Polarität des Lösungsmittels


Die Moleküle des polaren Lösungsmittels umgeben ein geladenes Teilchen so, daß sie sich mit
dem ungleichnamigen Pol ihres Dipols zum geladenen Teilchen hin orientieren. Ein solches
Umgeben eines Teilchens mit Molekülen des Lösungsmittels bezeichnet man als Solvati-
sierung. Das Ausmaß der Solvatisierung nimmt mit steigender spezifischer Ladung der zu sol-
vatisierenden Partikel zu, bei kleiner oder zerstreuter Ladung ist die Solvatisierung schwächer.
Die Solvatisierung des polaren Löungsmittels wirkt sich deshalb besonders stark beim SN1-
Mechanismus aus, bei dem mit dem Loslösen der Abgangsgruppe Ionen entstehen. Die Lö-
sungsmittelmoleküle, welche das Carbeniumion und die negative Abgangsgruppe umgeben,
schirmen die beiden Ionen gegeneinander ab, so daß sie sich besser voneinander lösen können.
Beim SN2-Mechanismus ist im Übergangszustand die Ladung auf den ganzen Komplex
verteilt, also zerstreut, so daß die Solvatisierung nur schwach ist. Die die heteropolare Spal-
tung unterstützende Solvatisierung wirkt sich hauptsächlich beim SN1-Mechanismus aus. Po-
lare Lösungsmittel bewirken deshalb bevorzugt einen Reaktionsablauf nach dem SN1-Me-
chanismus. Je nachdem, ob die polaren Lösungsmittel Wasserstoffbrücken ausbilden können
oder nicht, unterscheidet man dipolare protische und dipolare aprotische Lösungsmittel. Di-
polare protische Lösungsmittel können Wasserstoffbrücken ausbilden. Zu ihnen zählen z.B.
Wasser, Methanol, Ethanol und Formamid (HCONH2). Dipolare aprotische Lösungsmittel
haben kein H am O oder N gebunden und können daher keine Wasserstoffbrücken bilden. Zu
diesen Lösungsmitteln gehören z.B. Aceton CH3COCH3, Acetonitril CH3CN oder Dimethyl-
formamid HCON(CH3)2.
Bimolekulare Substitutionen zwischen einem neutralen Substrat und anionischen Nu-
cleophilen erfolgen in dipolaren aprotischen Lösungsmitteln um fünf bis sieben Zehnerpo-
tenzen schneller als in dipolaren protischen. Man kann dies so erklären, daß das Nucleophil
in dipolaren protischen Lösungsmitteln durch Ausbildung von Wasserstoffbrücken stärker
solvatisiert wird als in aprotischen Lösungsmitteln. Das Nucleophil wird durch die Solvati-
sierung mit dem protischen Lösungsmittel stark abgeschirmt, wodurch seine Nucleophilie
herabgesetzt wird. Die Reaktionsgeschwindigkeit der SN2-Reaktion ist in hohem Maße von
der Stärke des Nucleophils abhängig. Je stärker das Nucleophil, desto schneller und leichter
erfolgt die Substitution. Für SN2-Reaktionen werden deshalb häufig dipolare aprotische
Lösungsmittel verwendet. Für SN1-Reaktionen, bei welchen die Stärke des Nucleophils
keine so wesentliche Rolle spielt, jedoch die Solvatisierung des Carbeniumions und der
Abgangsgruppe wichtig ist, werden vorteilhaft dipolare protische Lösungsmittel eingesetzt.

9.6.3.5 Einfluß von Lewis-Säuren

Mit der Abgangsgruppe L können starke Lewis-Säuren, z.B. BF3, AlCl3 oder ZnCl2, Kom-
plexe bilden, wobei die Bindung C–L stärker polarisiert und dadurch gelockert wird, so daß
in der SN1-Reaktion das Loslösen der Abgangsgruppe erleichtert wird.
R1
R1 R1
C L AlCl3 C L AlCl3 C + L AlCl3
2 2 2
R R R
R3 R3 R3
9.6 Reaktionsmechanismen der aliphatischen nucleophilen Substitution 367

9.6.4 Die nucleophile Substitution und die Eliminierung


als Konkurrenzreaktionen

Verbindungen, die die Abgangsgruppe an ein tertiäres Kohlenstoffatom gebunden haben,


reagieren nach dem SN1- oder E1-Mechanismus. Im ersten Reaktionsschritt ist der Reak-
tionsmechanismus bei der SN1- und E1-Reaktion (siehe Abschnitt 3.6.2.1) vollkommen
gleich, es entsteht ein Carbeniumion. Dieses kann nach dem E1-Mechanismus ein Proton
abspalten, wobei ein Alken entsteht, oder es kann mit dem Nucleophil nach dem SN1-
Mechanismus reagieren und es entsteht das Substitutionsprodukt. Die Produkte der E1- und
SN1-Reaktion werden nebeneinander gebildet.
CH3
E1
H3C C CH2 + H Nu + L
CH3 CH3
Nu
H3C C L H3C C + L CH3
CH3 CH3 SN1
H3C C Nu + L

CH3

In welchem Mengenverhälnis beide Reaktionsprodukte entstehen, hängt von den Reak-


tionsbedingungen ab. Ist das Nucleophil Nu gleichzeitig eine starke Base, entsteht überwiegend
das Eliminierungsprodukt, nämlich das Alken. Dieses wird auch bevorzugt bei höheren Reakti-
onstemperaturen gebildet. Polare Lösungsmittel hingegen begünstigen die SN1-Reaktion.
Verbindungen mit der Abgangsgruppe am primären Kohlenstoffatom reagieren bevor-
zugt nach dem SN2-Mechanismus, so daß das Substitutionsprodukt in hoher Ausbeute erhal-
ten wird. Nur dann, wenn die SN2-Reaktion infolge der Sperrigkeit des Nucleophils oder der
Sperrigkeit des am primären C-Atom gebundenen Alkylrestes langsam verläuft, entstehen in
größerer Menge Eliminierungsprodukte. Auch bei erhöhter Reaktionstemperatur steigt die
Ausbeute an Eliminierungsprodukten.
368 9 Halogenalkane

Übungsaufgaben

? 9.1
Auf welche Weise kann man ausgehend von Tetrachlormethan Chlorfluormethane darstellen?

? 9.2
Wie stellt man Tetrafluorethylen und Polyfluorethylen (Teflon) her?

? 9.3
Welches Produkt erhält man, wenn man ein Halogenalkan mit Zn in Mineralsäure erhitzt?

? 9.4.
Wie reagiert ein Bromalkan a) Mit Natrium und b) mit einer Ethersuspension von Lithium?

? 9.5
Auf welche Weise kann man ein Grignard-Reagens darstellen?

? 9.6
Auf welche Weise erfolgt eine nucleophile Substitution (SN-Reaktion) am Halogenalkan?

? 9.7
Beschreiben sie den Reaktionsablauf beim SN1-Mechanismus.

? 9.8
Welche Faktoren begünstigen eine SN1-Reaktion?

? 9.9
Beschreiben Sie den Reaktionsablauf beim SN2-Mechanismus.

? 9.10
Welche Faktoren begünstigen eine SN2-Reaktion?

? 9.11
Welche Reaktionsbedingungen begünstigen die nucleophile Substitution und welche die Eli-
minierung?
Lösungen 369

Lösungen

! 9.1
Chlorfluormethane kann man im Festbettverfahren herstellen, indem man Tetrachlormethan
und HF in der Gasphase bei 150°C reagieren lässt, wobei man AlF3, Chromfluorid oder
Chromylfluorid als Kontaktsubstanz einsetzt. Die Herstellung von Chlorfluormethanen kann
man auch in der Flüssigphase durchführen wenn man Tetrachlormethan mit SbF5 als Kata-
lysator bei 100°C und unter Druck reagieren lässt, wobei das Chlor stufenweise durch Fluor
ersetzt wird:
HF/SbF5 HF/SbF5 HF/SbF5
CCI4 CCI3F CCI2F2 CCIF3
- HCl - HCl - HCl

! 9.2
Tetrafluorethylen stellt man durch Pyrolyse von Chlordifluormethan bei 250°C her:
H F F F
250°C
2 C C C + 2 HCl
Cl F F F

Unter Druck und in Anwesenheit von Peroxiden als Starter der radikalischen Polymerisation
polymerisiert Tetrafluorethylen zu Polytetrafluorethylen (Teflon).
F F
F F
Kataysator, Druck
n C C C C
F F
F F n

! 9.3
Erhitzt man ein Halogenalkan mit Zn in einer Mineralsäure oder Essigsäure, so erfolgt eine
Hydrogenolyse des Halogenalkans, das Reaktionsprodukt ist das entsprechende Alkan.
– 2+
2 R-X + Zn + 2 CH3COOH 2 R-H + (CH3COO )2 Zn X = Cl,Br,I

! 9.4
a) Bromaalkane und Iodalkane reagieren mit Natrium unter Verdoppelung der Anzahl der
Kohlenstoffatome zum entsprechenden Alkan (siehe Kapitel 2.7.2.1 Wurtzsche Synthese):

X R + 2 Na R R + 2 NaX X = Br, I

b) Um Alkyllithiumverbindungen herzustellen lässt man das Halogenalkan mit Lithium, das


in Tetrahydrofuran suspendiert ist, reagieren (siehe Kapitel 9.4.2):

RX + 2 Li RLi + LiX
370 9 Halogenalkane

! 9.5
Ein Grignard-Reagens kann man auf folgende Weise darstellen: In einen Dreihalskolben, der
mit Ether überschichtete Magnesiumspäne enthält, lässt man bei aufgesetztem Rückflußküh-
ler bei Zimmertemperatur aus einem Tropftrichtert das mit Diethylether verdünnte Halo-
genalkan langsam zutropfen. Es ist notwendig bei dieser Reaktion die Luftfeuchtigkeit aus-
zuschließen. Deshalb erfolgt die Reaktion in Stickstoffatomosphäre, oder man verhindert den
Zutritt der Luftfeuchtigkeit durch Aufsetzen eines Chlorcalziumröhrchens auf die Apparatur.
Bei der Reaktion wird das Alkylmagnesiumhalogenid R-Mg-X (X= Cl,Br oder I) gebildet,
das man allgemein als Grignard-Reagens bezeichnet.
(CH3CH2)2O
RX + Mg RMgX

Es wird angenommen, daß im Grignard–Reagens in Etherlösung zwischen Alkylmagne-


siumhalogenid, Dialkylmagnesium und Magnesiumhalogenid ein lösungsmittelabhängiges
Gleichgewicht vorliegt (Schlenck-Gleichgewicht).
2 RMgX R2Mg + MgX2

! 9.6
Bei der nucleophilen Substitution (SN-Reaktion) am Halogenalkan wird das Halogenatom
durch ein nucleophiles Teilchen (Abgekürzt Nu = Nucleophil) ersetzt. Ein nucleophiles Teil-
chen kann ein Anion oder eine elektroneutrale Verbindung mit einem freien Elektronenpaar
sein.
H H

R C X + Nu R C Nu + X

H H

! 9.7
Die Abkürzung SN bedeutet nucleophile Substitution und die Zahl 1 in SN1 steht für mono-
molekular. Monomolekular bedeutet, dass in der langsamsten und damit geschwindigkeits-
bestimmenden Teilreaktion nur eine Molekülart, nämlich die des Substrates beteiligt ist (als
Substrat wird die Verbindung bezeichnet, an der der Austausch des Substituenten erfolgt).
Der erste und geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Reaktion ist das Loslösen der Ab-
gangsgruppe und Bildung des Carbeniumions als Zwischenprodukt. Im weiteren Teilschritt
der Reaktion bindet sich das Nucleophil an das Carbeniumion, womit die Reaktion abge-
schlossen ist. Die Abgangsgruppe wird oft mit L symbolisiert ( nach dem engl. leaving
group), Sie wird bei chemischen Reaktionen auch als Nucleofug (lat. fuga = die Flucht)
bezeichnet.
Lösungen 371

R1 R1
langsam
R2 C L R2 C + :L

R3 R3

R1 R1
schnell
R2 C + :Nu R2 C Nu

R3 R3

Der räumliche Ablauf der SN1-Reaktion kann folgendermaßen beschrieben werden: Bei
Loslösen der Abgangsgruppe erfolgt eine Aufweitung des Bindungswinkels zwischen den
drei restlichen am Kohlenstoff gebundenen Liganden, so dass diese im entstandenen Carbe-
niumion in einer Ebene liegen. Das Nucleophil kann sich nun an das C+ von der Vorder- oder
der Rückseite dieser Ebene nähern und eine Bindung herstellen. Die Wahrscheinlichkeit,
dass sich das Nucleophil von der einen oder der anderen Seite nähert ist gleich. Erfolgt die
SN1-Reaktion an einem prochiralen Zentrum so erhält man ein Racemat.

Näherung des Nucleophils an das


R1 Carbeniumion von der einen oder
der anderen Seite

C
R2
R3

Nu

! 9.8
Entscheidend für die SN1-Reaktion sind die Strukturellen Voraussetzungen: Nucleophile
Substitutionen an tertiären Halogenalkanen oder tertiären Alkoholen verlaufen nach dem
SN1-Reaktionsmechanismus. Erklärt werden kann dies mit der Stabilisierung des Carbeni-
umions durch Hyperkonjugation. Ein weiterer Grund liegt auch darin, dass der für den kon-
kurrierenden SN2-Mechanismus notwendige Zugang von der Gegenseite der Abgangsgruppe
in den tertiären Verbindungen durch sperrige Substituenten verwehrt werden kann. Primäre
Alkohole oder Halogenalkane zeigen keine Neigung nach dem SN1-Mechanismus zu reagie-
ren. Bei sekundären Alkoholen und sekundären Halogenalkanen hängt es von den Reak-
tionsbedingungen ab, ob die Reaktion nach dem SN1- oder SN2-Mechanismus erfolgt. Die
SN1-Reaktion wird durch polare Lösungsmittel begünstigt. Beim Loslösen der Abgangs-
gruppe schirmen die Lösungsmittelmoleküle durch Solvatisieren das Carbeniumion und die
negativ geladene Abgangsgruppe voneinander ab und erleichtern dadurch diesen Abgang.
Lewis-Säuren können das Loslösen der Abgangsgruppe durch ein stärkeres Polarisieren der
Bindung zwischen Kohlenstoff und Abgangsgruppe erleichtern.
372 9 Halogenalkane

! 9.9
Der erste geschwindigkeitsbestimmende Reaktionsschritt der bimolekularen nucleophilen
Substitution (SN2), erfolgt über einen Übergangszustand. Das Nucleophil nähert sich dem C-
Atom, das die Abgangsgruppe bindet von der Gegenseite zur Abgangsgruppe, wobei sich der
Bindungswinkel der drei weiteren am C-Atom gebundenen Liganden aufweitet. Im Über-
gangszustand liegen das Nucleophil, das C-Atom und die Abgangsgruppe (L = leaving
group) auf einer Geraden und die drei weiteren Liganden R1, R2 und R3 befinden sich auf
einer Ebene, die zu dieser Geraden senkrecht steht. Im weiteren Teilschritt der Reaktion
erfolgt die Abspaltung der Abgangsgruppe. Der ganze Vorgang hat eine Inversion der Kon-
figuration zur Folge (Walden-Umkehr).

R1 R1
R1
δ− δ− + L
Nu + C L Nu C L Nu C
R2 R2
R2
R3 R3
R3

! 9.10
Nucleophile Substitutionen nach dem SN2-Mechanismus erfolgen bevorzugt mit Verbindun-
gen, deren Abgangsgruppe an ein primäres Kohlenstoffatom gebunden ist, z.B. primäre Al-
kohole oder primäre Halogenalkane. Substitutionen nach dem SN2-Mechanismus erfordern
eine hohe Konzentration des Nucleophils, starke Nucleophile und Lösungsmittel niedriger
Polarität. Bevorzugt werden dipolar aprotische Lösungsmittel (siehe Kapitel 9.6.3) verwendet.

! 9.11
Die nucleophile Substitution und die Eliminierung sind Konkurenzreaktionen. Der erste Re-
aktionsschritt bei SN1 und E1 ist sogar identisch und führt zum gleichen Zwischenprodukt,
dem Carbeniumion. Von diesem ausgehend, kann im weiteren Reaktionsverlauf eine Elimi-
nierung oder eine Substitution eintreten. Erfolgt die Reaktion bei höheren Temperaturen und
ist das Nucleophil gleichzeitig eine starke Base, entsteht vornehmlich das Eliminierungspro-
dukt. Polare Lösungsmittel begünstigen die SN1-Reaktion. Verbindungen mit der Abgangs-
gruppe am primären Kohlenstoffatom reagieren bevorzugt nach dem SN2-mechanismus und
führen zum Substitutionsprodukt. Nur bei höheren Temperaturen und der Sperrigkeit des
Nucleophils oder des Alkylrests am primären Kohlenstoffatom entstehen in größerer Mende
Eliminierungsprodukte.
10 Alkohole
Aliphatische oder alicyclische Verbindungen mit einer Hydroxygruppe –OH als funktionel-
ler Gruppe werden als Alkohole bezeichnet.
Anmerkung: Aliphatische Verbindungen sind organische Verbindungen mit offener Koh-
lenstoffkette. In alicyclischen Verbindungen sind die Kohlenstoffatome ringförmig ver-
knüpft, und die Verbindung zeigt keine aromatischen Eigenschaften.
H OH
C
H2C CH2
CH3CH2CH2CH2OH
H2C CH2
CH2
aliphatischer Alkohol alicyclischer Alkohol

10.1 Nomenklatur der Alkohole


Nach der IUPAC-Regel haben Verbindungen mit der Hydroxygruppe als Hauptgruppe die
Endung -ol, ansonsten das Präfix Hydroxy- (siehe Abschnitt 1.7.3). Alkohole mit 2, 3 oder 4
Hydroxygruppen werden mit der Endung di-, tri- bzw. tetraol bezeichnet.
H OH H OH
C OH
C
H3C CH CH CH2 H2C CH CH2 H2C CH2 H2C C
H
Br OH OH HO OH OH H2C CH2 H2C CH2
CH2

3-Brombutan-1,2-diol Propan-1,2,3-triol Cyclohexanol Cyclopentan-1,2-diol


Es ist auch gebräuchlich, Alkohole auf die Art zu benennen, daß man zunächst den Al-
kylrest nennt und die Endung -alkohol hinzufügt, z.B.:
H OH
C
H2C CH2
H3C OH H3C CH2 OH H3C CH CH3
H2C CH2
OH CH2

Methylalkohol Ethylalkohol Isopropylalkohol Cyclohexylalkohol


Neben der systematischen Nomenklatur werden für einige Alkohole noch Trivialnamen
(Namen, die sich eingebürgert haben) gebraucht:

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 373


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
374 10 Alkohole

H3C CH CH3 H3C CH2 CH2 CH2 OH H3C CH2 CH CH3

OH OH
2-Propanol n-Butanol sek.-Butanol
Isopropylalkohol

CH3 CH3

H3C C CH3 H3C CH

OH CH2OH

tert.-Butanol Isobutanol
Isobutylalkohol

CH3 CH2OH
H3C C CH3 H3C (CH2)3 CH2OH H 3C CH CH2 CH2OH

CH2OH CH3

Neopentylalkohol n-Amylalkohol Isoamylalkohol Benzylalkohol

CH3(CH2)14CH2OH H2C CH CH2OH HC C CH2OH H2C CH2 H2C CH CH2

HO OH HO OH OH
Cetylalkohol Allylalkohol Propargylalkohol Ethylen- Glycerin
(Cetanol) glykol (Glycerol)

10.2 Einteilung der Alkohole


Man kann die Alkohole in primäre, sekundäre und tertiäre Alkohole einteilen. In primären
Alkoholen bindet das C-Atom, das die OH-Gruppe trägt, einen einzigen Alkylrest, beim
sekundären Alkohol sind es zwei und beim tertiären Alkohol drei Alkylreste.

R OH R OH
R CH2OH C C
R H R R

primärer Alkohol sekundärer Alkohol tertiärer Alkohol

Diese Aufteilung ist keineswegs nur formal. Primäre, sekundäre und tertiäre Alkohole
unterscheiden sich in ihrer Reaktivität.
Die Anzahl der Hydroxygruppen bestimmt die Wertigkeit der Alkohole. Man unterschei-
det, je nachdem ob eine, zwei oder drei Hydroxygruppen im Molekül vorliegen, ein-, zwei
und dreiwertige Alkohole.
10.4 Physikalische Eigenschaften der Alkohole 375

OH OH
H OH
H3C CH2 OH H2C CH2 H2C CH CH2 H H
OH H
HO OH HO OH OH OH H
H OH
Ethylalkohol Ethylenglykol Glycerin myo-Inosit
(einwertiger (zweiwertiger (dreiwertiger (sechswertiger
Alkohol) Alkohol) Alkohol) Alkohol)

Befinden sich die Hydroxygruppen an verschiedenen C-Atomen, ist die Verbindung


stabil. Sind zwei oder drei Hydroxygruppen an das gleiche C-Atom gebunden, erfolgt leicht
eine Abspaltung von Wasser (Erlenmeyer-Regel):

H H OH OH
R C OH R C + H2O und R C OH R C + H2O
OH O OH O

10.3 Struktur der Alkohole


Alkohole kann man formal als Derivate des Wassers betrachten, dessen eines Wasser-
stoffatom durch einen Alkylrest ersetzt ist. Ähnlich wie die H–O–H-Bindungen im Wasser
sind auch die C–O–H-Bindungen im Alkohol gewinkelt, das Sauerstoffatom ist sp3-hybridi-
siert. Infolge der höheren Elektronegativität des Sauerstoffatoms ist die Ladungsverteilung
im Alkoholmolekül unsymmetrisch, und es weist, dem Wasser ähnlich, ein Dipolmoment auf
(siehe Bild 10.1).

10.4 Physikalische Eigenschaften der Alkohole


Ist ein Wasserstoffatom an F, N, oder O gebunden, so ist diese Bindung stark polar. Die
extreme Elektronegativität dieser drei Elemente bewirkt bei der F–H, N–H oder O–H-
Bindung eine hohe Konzentration negativer Ladung am F, N oder O und eine relativ große
positive Teilladung am Wasserstoffatom. Dieses Wasserstoffatom tritt in Wechselwirkung
mit freien Elektronenpaaren, die sich am F, N oder O eines anderen Moleküls befinden.
Diese Wechselwirkung führt zu einer relativ schwachen Bindung, die man als Wasserstoff-
brückenbindung bezeichnet. Ihre Bindungsstärke von 20–40 kJ/mol ist viel geringer als die
einer kovalenten Bindung (die Bindungstärke der OH-Bindung im Methanol beträgt z.B. 435
kJ/mol). Die Wasserstoffbrückenbildung kann auch zwischen verschiedenen Teilen ein und
desselben Moleküls erfolgen, wenn dafür günstige räumliche Voraussetzungen vorliegen.
Wasserstoffbrückenbindungen werden gewöhnlich gestrichelt oder punktiert in eine Formel
eingezeichnet. Sie spielen in der lebenden Natur eine gewichtige Rolle, z.B. sind sie an der
376 10 Alkohole

δ- O Dipolmoment
δ+ δ+ 6 · 10-30 Cm
H
104,5°
H O

Wasser H
H3C 108,9°

δ-
Dipolmoment
O
O sp3-hybridisiert,
δ+ δ+ 5,7 · 10-30 Cm tetraedrische Struktur,
H3C H
108,9° C-O-Bindung vor und
OH-Bindung hinter der
Methanol
Zeichenebene, die beiden
Bindungslängen: sp3-Orbitale mit freien
OH-Bindung 96 pm Elektronenpaaren in
OC-Bindung 143 pm Zeichenebene
Cm = Coulumbmeter

Bild 10.1 Die Molekülstruktur eines Alkohols

Fixierung des Raumgefüges der Eiweißstränge beteiligt und sind auch das Bindeglied zwi-
schen den Purinbasen und ihren komplementären Pyrimidinbasen in den Ribonucleinsäuren
und den Desoxyribonucleinsäuren.
Die relativ hohen Siedetemperaturen (siehe Tabelle 10.1) der Alkohole sind auf Wasser-
stoffbrücken zurückzuführen. Die durch intermolekulare Wasserstoffbrücken miteinander
verbundenen Alkohole bilden Assoziate. Für die Freisetzung der Alkoholmoleküle aus der
flüssigen Phase in die Dampfphase ist, da Wasserstoffbrückenbindungen gespalten werden
müssen, zusätzliche Energie notwendig.
H
R R H R
207 pm H
O R O
O H O R O
R O
H H H
O H
O 96 pm H O H
R Bindungslänge R O
R
Alkohol flüssig Alkoholdampf R

Die Polarität der OH-Bindung und die Fähigkeit der Alkohole, Wasserstoffbrücken zu
bilden, erklären auch die unbegrenzte Mischbarkeit niedriger Alkohole (Methanol, Ethanol,
Propanol, Isopropanol, Ethylenglykol, Glycerin) mit Wasser. Sie bilden mit den Wasser-
molekülen Assoziate über Wasserstoffbrücken. Mit zunehmender Kettenlänge der Alkohole
wird der unpolare Anteil der hydrophoben (wasserabstoßenden) Kohlenstoffkette größer,
wodurch die Löslichkeit in Wasser herabgesetzt wird. Während Propanol mit Wasser noch
unbegrenzt mischbar ist, lösen sich bei 20°C in 100 mL Wasser nur 7,9 g 1-Butanol, 2,7 g
1-Pentanol und 0,6 g 1-Hexanol. Ethylenglykol wird wegen seiner hohen Siede- und niedri-
gen Schmelztemperatur (siehe Tabelle 10.1) und der guten Wasserlöslichkeit als Frostschutz-
mittel verwendet. Infolge der Polarität der Alkoholmoleküle lösen sich Alkohole gut in pola-
ren organischen Lösungsmitteln, z.B. in Aceton oder Ether.
10.5 Physiologische Eigenschaften 377

Tabelle 10.1 Schmelz- und Siedetemperaturen einiger Alkohole

Alkohol Schmelztemperatur °C Siedetemperatur °C Dichte g/mL


Methanol –97 64,5 0,793
Ethanol –115 78,3 0,789
1-Propanol –126 97 0,804
Isopropanol –86 82,5 0,789
Allylalkohol –129 97 0,855
1-Butanol –90 118 0,810
sek-Butylalkohol –114 99,5 0,806
tert-Butylalkohol 25,5 83 0,789
Isobutylalkohol –108 108 0,802
1-Pentanol –78,5 138 0,817
Cyclopentanol –19 140 0,949
1-Hexanol –52 156,5 0,919
Cyclohexanol 24 161,5 0,962
Ethylenglykol –11,5 198 1,113
Benzylalkohol –15 205 1,046

10.5 Physiologische Eigenschaften

10.5.1 Physiologische Eigenschaften des Methanols

Methanol wird im Körper zu Formaldehyd H2C=O und dieses dann zu Ameisensäure


HCOOH oxidiert. Letztere verursacht eine pH-Senkung des Blutes, wodurch der Sauer-
stofftransport herabgesetzt wird. Methanol ist giftig, seine Einnahme verursacht eine Schädi-
gung des Zentralnervensystems, insbesondere der Sehnerven und kann deshalb zu einer Er-
blindung führen. Als Symptome einer Methylalkoholvergiftung treten Kopfschmerzen,
Bauchschmerzen, Übelkeit und Bewußtlosigkeit auf. Die tödliche Dosis liegt bei 30 bis 100
mL. Auch das Einatmen der Methanoldämpfe und die Aufnahme von Methanol über die
Haut ist gesundheitsgefährdend.

10.5.2 Physiologische Eigenschaften des Ethanols


Ethanol ist nach Auffassung der Weltgesundheitsorganisation die Rauschdroge Nummer 1.
In der Umgangssprache wird Ethanol gewöhnlich als Alkohol bezeichnet. Die Gefahren, die
mit dem Genuß von Alkohol verbunden sind, werden in der Regel unterschätzt. Schon der
einmalige Genuß von größeren Alkoholmengen kann gravierende Folgen haben. Ein hoher
Prozentsatz von Verkehrstoten ist auf Unfälle zurückzuführen, die alkoholisierten Kraftfah-
378 10 Alkohole

Bild 10.2
Übermäßiger Alkoholkonsum führt zur Sucht

rer verursacht haben. Das Gesetz belangt deshalb Kraftfahrer, die in trunkenem Zustand
fahren. In der Bundesrepublik Deutschland kann ab etwa 0,3 ‰ Alkohol im Blut eine Ver-
urteilung wegen alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit erfolgen, wenn beispielsweise alkohol-
typische Ausfälle (z.B. Fahrfehler) vorliegen. Ab 0,5 ‰ Blutalkoholkonzentration liegt eine
Ordnungswidrigkeit vor. Diese führt zu einer empfindlichen Geldbuße und einem Fahrver-
bot. Ab 1,1 ‰ wird der Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit erreicht. Wird eine Blut-
alkoholkonzentration von 1,6 ‰ und darüber erreicht, so ist eine medizinisch psychologische
Untersuchung (MPU) unausweichlich. Besonders gefährlich ist der Alkohol auch deshalb,
weil ständiger Alkoholkonsum zur Sucht führen kann, der Mensch wird zum Alkoholiker.
Die Zahl der behandlungsbedürftigen Alkoholiker in der Bundesrepublik Deutschland wird
auf 2,5 Millionen geschätzt, die Zahl der Toten infolge von Alkoholmißbrauch auf 60.000
Menschen jährlich. Beim chronischen Alkoholiker verfallen seine sozialen Beziehungen und
oft kommt er auch mit dem Strafgesetz in Konflikt. Übermäßiger Alkoholkonsum bringt
über viele Menschen Siechtum, Leid und Elend. Alkoholiker schaden nicht nur sich selbst,
sondern auch den Menschen, die ihnen nahestehen. Menschen, die ihre Sorgen in Alkohol
ertränken, entfernen damit keineswegs die Ursachen Ihrer Sorgen. Alkohol löst keine Prob-
leme, im Gegenteil, er schafft nur noch weitere.

10.5.2.1 Alkoholvergiftungen nach einmaligem Genuß


Der Mensch kann bei Genuß kleinerer Mengen Alkohol in eine gehobene Stimmung versetzt
werden, die gegebenenfalls mit einer Enthemmung einhergeht. Das Reaktionsvermögen wird
deutlich herabgesetzt. Erste Gehstörungen treten bei 0,3 ‰ Alkohol im Blut auf. Blindzielbe-
wegungen (z.B. mit dem Finger bei geschlossenen Augen auf die Nasenspitze treffen) sind bei
0,5 ‰ gestört. Die Grenze für koordinierte Reaktionen liegt bei 1,4 ‰ Alkohol im Blut. Bei etwa
2 ‰ tritt eine Bewußtseinstrübung auf. Der Tod tritt meist bei 3,5–4,5 ‰ Alkohol im Blut ein.
Die Blutalkoholkonzentration (BAK) kann mit Hilfe der Widmark-Formel geschätzt wer-
den, die aber nur als grobe Faustregel verstanden werden darf:
getrunkene Alkoholmenge in Gramm
BAK 0 00 =
Körpergewicht in kg ⋅ r
10.5 Physiologische Eigenschaften 379

Tabelle 10.2 Alkoholgehalt im Blut und seine Auswirkungen

‰ Alkoholgehalt im Blut Auswirkungen


0,5–0,9 Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit
1,5 Fahruntüchtigkeit
2,5 Bewußtlosigkeit
3,5–4,5 Tod

Der Reduktionsfaktor r schwankt innerhalb gewisser Grenzen. Für Männer mit normaler
Konstitution ist der r-Wert mit ca. 0,7 und für hagere Männer mit etwa 0,8 zu veranschlagen.
Die meisten Frauen und Personen mit relativ hohem Fettgewebsanteil haben einen r-Wert
von 0,55 bis 0,6. Pro Stunde sinkt die Blutalkoholkonzentration durch Abbau im Körper um
etwa 0,15 ‰. Ethanol wird in einer Reaktion, die durch das Enzym Alkohol-Dehydrogenase
katalysiert wird, durch NAD+ (Nicotinsäureamid-adenin-dinucleotid) zu Acetaldehyd oxi-
diert, das in die aktive Form der Essigsäure umgewandelt wird. Diese wird im Stoffwechsel
weiter umgesetzt. Die neurophysiologische Wirkung des Ethanols ist auf das Abbauprodukt
Acetaldehyd zurückzuführen, das mit biogenen Aminen (Dopamin, Adrenalin, Noradrenalin)
reagiert und sie ihrer Funktion als Neurotransmitter entzieht. Alkoholische Getränke sind um
so schädlicher, je mehr Alkohol sie enthalten. Durch die alkoholische Gärung werden zu-
cker- bzw. stärkehaltige Naturstoffe vergoren, wobei ein Alkoholgehalt von 19–20 % nicht
überschritten wird. Alkoholische Getränke mit höherem Prozentsatz werden durch Destillati-
on von Gärprodukten erzeugt. 0,5 Liter Bier enthalten 20 g bis 25 g Alkohol, 1 Liter Wein 70
g bis 100 g Alkohol, ein Gläschen Schnaps (0,02 Liter) etwa 5 g bis 7 g Alkohol.

10.5.2.2 Auswirkungen des Alkohols bei ständigem Alkoholkonsum

Beeinträchtigung des Hirn- und Nervenzellen sterben ab,


Reaktionsvermögens bleibende Hirnschäden

Herzschäden

Fettleber, Hepatitis, chronische


Leberzirrhose Magenschleimhautentzündung
Alkohol macht impotent
Entzündungen der
Zittern der Hände (Tremor)
Bauchspeicheldrüse
Gicht
Muskelschädigungen,
Muskelschwund
Nervenentzündung und
Zerfall des Nervensystems

Bild 10.3 Krankheitserscheinungen nach ständigem übermäßigem Alkoholgenuß


380 10 Alkohole

Ständiger übermäßiger Ethanolgenuß führt zu Herz-, Leber, Nierenschäden und Nerven-


störungen. In der Endphase tritt das Delirium tremens auf, das mit Halluzinationserscheinun-
gen und oftmals mit einem Verfolgungswahn verbunden ist.
Fuselöle. Fuselöle entstehen in geringen Mengen bei der alkoholischen Gärung. Zu ihnen
zählen Propanol, Butanol und Amylalkohole. Sie haben eine stärkere Rauschwirkung und
sind stärker giftig als Ethanol.

10.6 Synthese der Alkohole


10.6.1 Großtechnische Synthese der Alkohole

Zu den in großen Mengen produzierten niederen Alkoholen gehören Methanol, Ethanol,


Isopropanol und Butanole.

10.6.1.1 Methanol
Verwendung. Methanol kann zu Formaldehyd umgesetzt werden, der zu Kunststoffharzen
weiterverarbeitet wird. Es dient auch zur Herstellung von Methylestern z.B. das für die
Kunstfasererzeugung wichtige Dimethylterephthalat. Es ist für die Produktion von Methyl-
methacrylat (siehe Abschnitt 15.5.1.2) und von Methylamin notwendig. Außerdem ist es ein
ausgezeichnetes polares Lösungsmittel. Methanol hat den Vorzug, daß es aus relativ billigen
Rohstoffen, nämlich Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff synthetisiert werden kann. Es ist
einer der wirtschaftlichsten Syntheserohstoffe. Mit einer Weltjahresproduktion von etwa 10
Millionen Tonnen steht Methanol an der Spitze der niederen Alkohole.
Methanol könnte als Vergaserkraftstoff verwendet werden, wobei allerdings konstruktive
Veränderungen am Vergaser und eine Tankvergrößerung notwendig wären, denn es hat nur
etwa die Hälfte des Energieinhalts des Benzins. Durch Zugabe von Methanol zum Kraftstoff-
gemisch kann die Octanzahl erhöht werden. Im bleifreien Normalbenzin sind etwa drei Vo-
lumenprozent Methanol enthalten. Die Anhebung der Octanzahl kann auch durch Zugabe
von Methyl-tert-butylether zum Kraftstoffgemisch erfolgen, der aus Methanol und dem beim
Cracken aus Erdölfraktionen erzeugten Isobuten gewonnen wird:

CH3
H3C
Kat.
H3C OH + C CH2 H3C O C CH3
H3C
CH3
Methyl-tert-butylether (MTBE)

Synthese. Beide für die Synthese des Methanols erforderlichen Gase CO und H2 sind im
Synthesegas enthalten, das durch Einwirkung von Wasserdampf auf glühenden Koks erhal-
ten wird:

C + H2O CO + H2
10.6 Synthese der Alkohole 381

Die Methanolsynthese kann im BASF-Hochdruckverfahren bei 320–380°C und 340 bar


in Gegenwart eines ZnO/Cr2O3-Katalysators (ZnO zu Cr2O3 im Verhältnis 7 : 3) erfolgen.
380 °C, 340 bar, ZnO / Cr2O3
CO + 2 H2 CH3OH ΔH = –92 kJ/mol

Als Nebenprodukte entstehen bei dieser Reaktion Dimethylether, Methylformiat und hö-
here Alkohole, die durch Destillation abgetrennt werden. Die Methanolsynthese wird auch
im Niederdruckverfahren bei 100 bar und 240–260°C durchgeführt, wobei ein CuO-ZnO-
Al2O3-Katalysator verwendet wird.

10.6.1.2 Ethanol
Verwendung. Ethanol wird als Lösungsmittel und zur Herstellung von Riechstoffen und
pharmazeutischen Präparaten verwendet. Durch Oxidation kann es in Acetaldehyd und die-
ser wiederum in Essigsäure überführt werden. Ein Teil der Ethanolproduktion wird zu Ethyl-
acetat verestert. Ethylacetat ist ein wichtiges Lösungsmittel, das vor allem in der Lack-
industrie Verwendung findet.
Herstellung. Durch die alkoholische Gärung vergärbarer Zucker entsteht durch Katalyse der
in Hefe enthaltenen Enzyme Ethanol. Die Umsetzung der Glucose (siehe Abschnitt 21.6.7.6)
erfolgt nach der Bruttogleichung:
Hefe
C6H12O6 2 C2H5OH + 2 CO2

Auch die Stärke in stärkehaltigen Rohstoffen (Weizen, Roggen, Gerste, Mais und Kartof-
feln) läßt sich enzymatisch in vergärbare Zucker abbauen.
Großtechnisch wird Ethanol aus Ethen synthetisiert. Hierbei kommen zwei Verfahren in
Frage:
a) die Synthese über Ethyl- bzw. Diethylsulfate. Ethenhaltige Gase (35–95 % Ethen) wer-
den in Absorptionstürmen bei 55–80°C und 10–35 bar mit Schwefelsäure umgesetzt,
wobei Monoethylsulfat (Schwefelsäureethylester) entsteht (siehe Abschnitt 3.7.4.2), das
zum Teil noch mit Ethen weiter zu Diethylsulfat reagieren kann.

H2C CH2 + H2SO4 CH3CH2 O SO3H Monoethylsulfat

CH3CH2 O SO2 OH + H2C CH2 CH3CH2 O SO2 O CH2 CH3

Diethylsulfat
Beide Ester werden anschließend mit überhitztem Wasserdampf bzw. mit verdünnter
Schwefelsäure in säurefesten Türmen bei 70–100°C hydrolysiert.

CH3CH2 O SO3H
verd. H2SO4
CH3CH2 OH und verd. H2SO4
CH3CH2 O SO2 O CH2CH3
382 10 Alkohole

b) saure Hydratisierung von Ethen. Bei 300°C und 70 bar wird Wasserdampf und Ethen
(0,6 H2O : 1 C2H4) über Phosphorsäure geleitet, die auf Silicagel als Trägermaterial ver-
ankert ist (Reaktionsmechanismus siehe Abschnitt 3.7.4.3).

H
H2C CH2 + H2O CH3CH2OH

Technischer Alkohol wird mit Benzol, Aceton oder Pyridin vergällt.

10.6.1.3 Isopropanol
Verwendung. Isopropanol wird als Lösungsmittel und Extraktionsmittel verwendet. Es wird als
Zusatz zu Benzin zum Schutz gegen Vergaservereisung zugegeben. Das als Lösungsmittel und
zu Synthesen verwendete Aceton wird auch durch Oxidation von Isopropanol hergestellt.
Synthese des Isopropanols. Isopropanol wird, ähnlich wie das Ethanol, im zweistufigen
Schwefelsäureverfahren hergestellt, wobei zunächst eine Addition der Schwefelsäure an Pro-
pen erfolgt. Nach Verdünnen der im Prozeß anfallenden Schwefelsäure mit Wasserdampf
oder Wasser auf 40 % wird das Isopropylsulfat zu Isopropanol hydrolysiert.
verd. H2SO4
CH3CH CH2 + H2SO4 CH3CHCH3 CH3CHCH3 + H2SO4

OSO3H OH

Ein weiteres Verfahren zur Herstellung des Isopropanols aus Propen ist die katalytische
Hydratisierung. Diese hat zwei Varianten:
a) Die Gasphasen-Hydratisierung mit Katalysatoren auf Silicagel. Propen wird in der Gas-
phase mit Wasserdampf über saure Katalysatoren geleitet, wobei zunächst eine Protonie-
rung des Propens und dann die Anlagerung von Wasser erfolgt (siehe Abschnitt 3.7.4.3).
Im Hochdruckverfahren, das bei 270°C und 250 bar erfolgt, wird als Katalysator
WO3/ZnO, welcher an der Oberfläche von Silicagel aufgebracht ist, verwendet. Silicagel
ist wegen seiner großen Oberfläche als Trägermaterial geeignet.
270 °C, 250 bar, WO3 / ZnO
CH3CH CH2 + H2O CH3CHCH3

OH
Anmerkung: Silicagel kann aus Wasserglas, einer wäßrigen Lösung von Na2SiO3, durch
Zugeben von Mineralsäure erhalten werden, wobei zunächst die unstabile Säure H2SiO3
freigesetzt wird. Diese kondensiert spontan unter Wasserausschluß zum Silicagel (= Kie-
selgel).
Im Mitteldruckverfahren wird als Katalysator Phosphorsäure, die auf Silicagel als
Trägermaterial verankert ist, verwendet. Bei diesem Verfahren erfolgt die Hydratisierung
des Propens bei 180–260°C und 25–65 bar.
Der Nachteil der Gasphasen-Hydratisierung ist die geringe Isopropanol-Ausbeute bei
einem Durchlauf, so daß das nicht umgesetzte Propen rückgeführt und erneut in den
Reaktor eingeleitet werden muß.
10.6 Synthese der Alkohole 383

b) Die Direkthydratisierung im Rieselphasen-Verfahren. Wasser wird als flüssige Phase


zusammen mit Propen im Molverhältnis etwa 15 : 1 in den Reaktor geleitet, der mit
einem festen Ionenaustauscher vom Sulfonsäuretyp gefüllt ist. Beim Herabrieseln über
den sauren Ionenaustauscher erfolgt bei 130–160 °C und 80–100 bar durch sauer kataly-
sierte Hydratisierung die Umwandlung des Propens zu Isopropanol.
H H H
H H O O
SO3 H O
H2C CH H3C CH H3C C H H3C C H

SO3H CH3 CH3 CH3 CH3

+ H
Ionenaustauscher Propen Isopropanol
(2-Propanol)

10.6.1.4 Butylalkohole
Verwendung. Butylalkohole, insbesondere sek- und tert-Butanol, werden als solche oder in
Form ihrer Ester als Lösungsmittel verwendet. tert-Butanol wird als Antiklopfmittel zu
Treibstoffen zugesetzt. sek-Butanol wird zu Methylethylketon oxidiert. Methylethylketon ist
ein ausgezeichnetes Lösungsmittel für Lacke und Harze.
Synthese der Butylalkohole. n-Butanol kann durch Aldolkondensation von Acetaldehyd (s.
Abschnitt 13.4.7.2) und nachfolgender Hydrierung des Crotonaldehyds synthetisiert werden.

H H H
OH H Kat. / H2
2 CH3C CH3CH CH2 C CH3CH CH C CH3CH2CH2CH2OH
- H2O
O O O
OH
Acetaldehyd Acetaldol Crotonaldehyd n-Butanol

Eine weitere Synthese des n-Butanols geht vom Propen aus, das durch Reppe-
Hydrocarbonylierung ein Isomerengemisch von n-Butanol und Isobutanol ergibt.

110 °C, 15 bar


Katalysator
H3C CH CH2 H3C CH CH3 + H3C CH2 CH2 CH2OH
- 2 CO2
+ 3 CO + 2 H2O CH2OH
Isobutanol n-Butanol

Als Katalysator dient in diesem Falle ein Eisencarbonylwasserstoff-Amin-Komplex, der


aus Eisencarbonyl, Wasser und einem tertiären Amin gebildet wird.
R
3 Fe(CO)5 + R N + 2 H2O H2Fe3(CO)11 NR3 + 2 CO2 + 2 CO + H2
R

Dieser Komplex übernimmt die Funktion der Hydrierung und der CO-Addition.
384 10 Alkohole

sek-Butanol wird aus 1-Buten oder 2-Buten und tert-Butanol aus 2-Methylpropen syntheti-
siert, wobei in allen Fällen Schwefelsäure an das entsprechende Alken addiert und das Pro-
dukt dann hydrolysiert wird.
30 °C, 80%ige H2SO4 verd. H2SO4
CH3CH2CH CH2 CH3CH2CHCH3 CH3CH2CHCH3

OSO3H OH
1-Buten sek-Butanol
CH3 CH3 CH3
0 °C, 60%ige H2SO4 verd. H2SO4
H3C C CH2 H3C C CH3 H3C C CH3

OSO3H OH
2-Methylpropen tert-Butanol

10.6.1.5 Höhere Alkohole


Höhere Alkohole, zu denen man Alkohole mit einer Kohlenstoffkette von 6–18 Kohlenstoff-
atomen zählt, werden zur Herstellung von biologisch abbaubaren Alkylsulfaten und
Ethersulfaten im Waschmittelsektor verwendet. Alkylsulfate finden auch Verwendung bei
der Flotation in der Funktion eines Sammlers. Durch die Flotation erreicht man eine Tren-
nung der Erze vom tauben (nicht erzhaltigen) Gestein. Sie erfolgt in der Flotationszelle, in
der Erz und taubes Gestein in Form von winzigen Feststoffpartikeln (0,1 mm) in Wasser
aufgeschlämmt sind. Vom Boden der Flotationszelle steigen Luftbläschen auf. Die Trennung
der Erze vom tauben Gestein erfolgt nach dem Prinzip, daß sich der Sammler selektiv an
bestimmte Bestandteile des Feststoffgemenges anheftet. Alkylsulfate werden z.B. an oxidische
Erze, an Baryt und Sylvin adsorbiert. Es erfolgt eine Hydrophobierung der Feststoffpartikel
durch den Sammler, der sich mit der polaren funktionellen Gruppe (im Falle der Alkylsulfate

funktionelle Gruppe

Na +
- Na + Luftbläschen
H3C CH2 CH2 CH2 O SO3 -
O 3S O CH2 CH2 CH2 CH3
CH2 CH2 CH2 CH2
+ CH2 CH2 CH2 CH2
Na
-
O 3S O
Feststoffpartikel H 2C CH2
CH2
H2C
H2C CH2
H 2C CH3
hydrophobe Kohlenstoffkette

Bild 10.4 Flotation


10.6 Synthese der Alkohole 385

ist es die Gruppe –OSO3–) an die Oberfläche der Feststoffpartikel anlagert, während die hy-
drophobe Kette des Alkylrestes in das umgebende Wasser zeigt; die Feststoffpartikel sind
also von einer hydrophoben Hülle umgeben. Aufsteigende Luftbläschen binden sich an die
hydrophobe Kette des Sammlers und nehmen auf ihrem Wege nach oben die Feststoffparti-
kel mit.

a) Höhere Alkohole aus Fetten und Ölen


Fette und Öle bestehen hauptsächlich aus Triglyceriden. Dies sind Ester des Glycerins mit
Fettsäuren (n-Carbonsäuren). Die in Fetten und Ölen veresterten Carbonsäuren haben eine
Kettenlänge von 6 bis 20 Kohlenstoffatomen.
Höhere Alkohole können aus Fetten und Ölen durch Umesterung mit Methanol und an-
schließende Reduktion der Methylester gewonnen werden. Die Umesterung der Triglyceride
erfolgt durch Erhitzen mit einem Überschuß an Methanol unter saurer Katalyse, wobei Gly-
cerin freigesetzt wird. Die Reduktion der entstandenen Methylester zu entsprechenden Alko-
holen erfolgt durch katalytische Hydrierung bei 250–350°C und etwa 200 bar an einem
Cu-Cr-Oxid-Katalysator.)
Umesterung der Triglyceride:
O
R1 C O
1
O CH2 R C
HO CH2
O O CH3
2
R C O
H
O CH + 3 CH3OH R2 C + HO CH
O O CH3
R3 C O HO CH2
O CH2 R3 C
O CH3
Methylester Glycerin
Reduktion der Methylester:
H
O
250-350 °C, 200 bar, CuO/Cr2O3
R C + 2 H2 R C OH + CH3OH
O CH3
H
Auch aus Fettsäuren, welche aus Alkanen durch katalytische Oxidation entstehen, kön-
nen nach der Umsetzung in Methylester und nachfolgender katalytischer Hydrierung höhere
Alkohole gewonnen werden.

b) höhere Alkohole aus Alkenen durch Hydroformylierung


Höhere Alkohole lassen sich aus höheren Alkenen über die Oxosynthese (siehe Abschnitt
13.3.1.5) und nachfolgende Hydrierung der Aldehyde herstellen. Die auf diese Weise synthe-
tisierten Alkohole sind um ein C-Atom reicher als die Alkene, aus denen sie entstanden sind.
386 10 Alkohole

R CHCH3 R CHCH3
H
140-180 °C, CH2OH
C
250-300 bar O 115 °C, 3 bar
Co-Katalysator Ni-Katalysator
R CH CH2 + +
H
+ CO + H2 R CH2CH2C R CH2CH2CH2OH
O

c) Höhere Alkohole aus n-Alkanen durch Oxidation


Höhere sekundäre Alkohole werden durch Oxidation von n-Alkanen aus Kerosin-Fraktionen
(siehe Abschnitt 7.4) hergestellt. Die Alkane werden bei 140–180°C in Gegenwart von 0,1
Gew.-% KMnO4 und 4–5 Gew.-% Borsäure mit Luft bis zu einem Umsatz von 25 % zu
sekundären Alkoholen oxidiert. Als Zwischenprodukt entstehen Alkylhydroperoxide, die mit
Borsäure thermo- und oxidationsstabile Borsäureester bilden, so daß eine Weiteroxidation
des Zwischenprodukts zu Aldehyden und Carbonsäuren erschwert wird. In den Oxidations-
produkten sind enthalten: 70 % sekundäre Alkohole, etwa 20 % Ketone und etwa 10 % Car-
bonsäuren.
180 °C,
KMnO4 H3BO3
R CH2 CH3 + O2 R CH CH3
- 1/2O2
OOH

H /H2O
R CH CH3 R CH CH3 + H3BO3

OBO2H2 OH

d) Produktion höherer Alkohole mit Hilfe der Alfol-Synthese


Als Rohstoff für diese Synthese dient Ethen. Dieses läßt man bei 120°C und 100–140 bar
über Triethylaluminium strömen, und es erfolgt eine Polymerisierung durch Einschub von
Etheneinheiten zwischen Metall und Alkylrest.

CH3CH CH2CH3 CH3CH2 CH2CH2 CH2CH3


2
Al Al
CH3CH CH2 CH3CH2
2 H2C

C2H5(CH2CH2)y (CH2CH2)xC2H5
n H2C CH2
Al

(CH2CH2)zC2H5
10.6 Synthese der Alkohole 387

Das Reaktionsprodukt wird bei 50–100°C mit trockener Luft zum Aluminiumalkoxid
oxidiert, welches mit verdünnter Schwefelsäure zu langkettigen unverzweigten primären
Alkoholen hydrolysiert wird.

R1 O R1 HO R1
3 verd. H2SO4
R2 Al + /2 O2 R2 O Al HO R2 + 1/2 Al2(SO4)3
3 3
R O R HO R3

10.6.1.6 Ethylenglykol
Bei der großtechnischen Synthese von Ethylenglykol geht man vom Ethen aus, das bei
250°C unter Druck in Gegenwart eines Silberkatalysators mit Sauerstoff zu Ethylenoxid um-
gesetzt wird. Der Sauerstoff wird bei dieser Reaktion zunächst molekular am Silber adsor-
biert und reagiert dann in dieser aktivierten Form mit Ethylen. Das Silber ist in feinverteilter
Form auf einer Trägersubstanz aufgetragen. 1,2-Dichlorethan wird als Inhibitor zugegeben,
der eine Weiteroxidation zu CO2 und Wasser unterbinden soll.

1 Ag
H2C CH2 + /2 O2 H2C CH2
O
Ethylenoxid

Das Ethylenoxid reagiert unter Zugabe einer Säure als Katalysator in einem Überschuß
von Wasser bei 50–70°C zu Ethylenglykol. Die Glykol-Lösung wird auf Verdampfern auf-
konzentriert und im Vakuum destilliert.

H H H
O O OH
H
H2C CH2 H2C CH2 H2C CH2 H2C CH2 + H
O H O OH OH

10.6.2 Darstellung der Alkohole im Labor


Von einer Darstellung von Substanzen sprechen wir dann, wenn die Substanz nur in Gramm-
bzw. Milligrammengen synthetisiert wird. Hierbei spielen, im Gegensatz zur großtechni-
schen Synthese von Verbindungen, die ökonomischen Gesichtspunkte keine so große Rolle,
man kann gegebenenfalls auch teure Reagenzien verwenden.

10.6.2.1 Alkohole aus Alkylhalogeniden


Alkylhalogenide reagieren mit Alkalilauge, wobei das Halogen durch die Hydroxygruppe
–OH ersetzt wird. Das Ersetzen einer Gruppe durch eine andere bezeichnet man als Substitu-
tion. In der vorliegenden Reaktion handelt es sich um eine nukleophile Substitution (Nukleo-
phil siehe Abschnitt 9.4.4).
388 10 Alkohole

R X + NaOH R OH + NaX R = Cl, Br oder I

Neben der Substitutionsreaktion erfolgt noch als Nebenreaktion eine Eliminierung von
HX, also eine Dehydrohalogenierung, wobei aus dem Alkylhalogenid ein Alken entsteht
(siehe Dehydrohalogenierung, Abschnitt 3.6.1.1). Erhöht man die Temperatur, so wird die
Dehydrohalogenierung begünstigt.
Die Dehydrohalogenierung erfolgt nicht, wenn man feuchtes Silberoxid als Reagens ver-
wendet. Bei dieser Reaktion erfolgt der Austausch von –X für –OH bei chiralen Verbindun-
gen unter Retention (= unter Wahrung der Konfiguration, siehe Abschnitt 8.9.3.1).

R CH2 X + AgOH R CH2 OH + AgX

10.6.2.2 Alkohole aus Alkenen


Alkene reagieren mit konzentrierter Schwefelsäure bei 0–15°C, wobei die entsprechenden
Monoalkylsulfate (Alkylhydrogensulfate) entstehen. Die Addition der Schwefelsäure erfolgt
nach der Markownikow-Regel (siehe Abschnitt 3.7.2).
H R
H R 0-15 °C
C C + H2SO4 H C C H
H H 170 °C
H OSO3H
Die Monoalkylsulfate kann man durch Erhitzen mit Wasser oder verdünnter Schwefel-
säure hydrolytisch spalten, wobei die entsprechenden sekundären Alkohole gebildet werden.
H R H R

H C C H + H2O H C C H + H2SO4

H OSO3H H OH

Die Hydroborierung (siehe Abschnitt 3.7.5.1) bietet eine Möglichkeit, um vom 1-Alken
zum primären Alkohol zu gelangen. Durch Einwirkung von Diboran auf das 1-Alken erhält
man das Trialkylboran. Dieses wird durch oxidative alkalische Hydrolyse gespalten, wobei
der primäre Alkohol und Na3BO3 entstehen.

6 R CH CH2 + (BH3)2 2 (R CH2 CH2)3 B

H2O2/NaOH
(R CH2 CH2)3 B 3 R CH2 CH2 OH + Na3BO3

10.6.2.3 Hydrolyse von Estern


Ester können mit verdünnten Mineralsäuren zum Alkohol und der Carbonsäure hydrolysiert
werden. Die Verseifung der Ester mit Alkalihydroxiden führt zum Alkohol und dem Salz der
Carbonsäure.
10.6 Synthese der Alkohole 389

Hydrolyse von Estern mit Säuren:


O O
H
R C OR' + H2O R C OH + HO R'

Ester Carbonsäure Alkohol


Verseifen von Estern:
O O

R C OR' + NaOH R C O Na + HO R'


Ester Base Salz der Carbonsäure Alkohol

10.6.2.4 Reduktion von Carbonylverbindungen mit Metallen


Mit Eisen in Essigsäure oder mit Zinkstaub in Natronlauge werden Aldehyde bzw. Ketone zu
Alkoholen reduziert. Bei dieser Reduktion entstehen aber Nebenprodukte. Zum Beispiel tritt
vor allem mit Ketonen eine Dimerisierung zu zweiwertigen Alkoholen vom Pinakol-Typ ein.
Mit Ethanol als Lösungsmittel wird die Dimerisierung unterdrückt. Man benutzt zur Reduk-
tion deshalb häufig Ethanol als Protonenspender mit Na als Reduktionsmittel.
O 2 Na,2 CH3CH2OH
R C R CH2 OH
- 2 CH3CH2ONa
H
Das Elektron wird vom Na, das zum Natriumkation Na+ wird, auf die Carbonylverbin-
dung übertragen. Diese nimmt zunächst ein Elektron auf, und es entsteht das als Ketyl be-
zeichnete Radikalanion, das dann protoniert wird. Das Produkt nimmt noch ein Elektron auf
und bindet mit dem freien Elektronenpaar am Kohlenstoff unter Bildung des Alkohols ein
weiteres Proton.

R R R
e H O C2H5 e
C O C O C O H
R R - O C2H5 R
Ketyl

R R H
H O C2H5
C O H C e oder = Elektron
R - O C2H5 R OH

10.6.2.5 Die Pinakol-Reaktion


Läßt man Aceton mit Mg-Spänen oder Magnesiumamalgam in Benzol reagieren, so wird das
Mg zu Mg2+ oxidiert, wobei die Elektronen im Ein-Elektronen-Übertragungsschritt auf das
Keton übertragen werden und eine C–C-Kopplung der entstandenen beiden Radikale erfolgt.
Aus dem auf diese Weise gebildeten Magnesiumpinakolat kann durch Zugabe einer Säure
der zweiwertige Alkohol Pinakol freigesetzt werden.
390 10 Alkohole

R R
C O C O
R Benzol R
2
Mg Mg
R R
C O C O
R R
Keton

R R
C O C O H
R 2 2 H R 2
Mg + Mg
R R
C O C O H
R R

Magnesiumpinakolat Pinakol
Anmerkung: Das Wort „Pinakol“ leitet sich vom griech. Wort pinako her. Dies hat die Bedeutung
tafelförmig und bezieht sich auf die Kristallform des Pinakolhydrats C6H12(OH)2 · 6 H2O (Pinakol
selbst ist flüssig, bildet aber mit Wasser das Hexahydrat, das bei 45°C schmilzt).

10.6.2.6 Reduktion von Estern mit Natrium (Bouveault-Blanc-Reaktion)


Die Ester werden mit metallischem Natrium und Ethanol oder Butanol unter dem Rückfluß
erhitzt, wobei aus dem Ester zwei Alkohole entstehen.
O
Na/CH3CH2OH
R' CH2 C OR R' CH2 CH2 OH + HO R

Anstelle der Reduktion nach Bouveault-Blanc wird heute die Reduktion von Estern vor-
nehmlich mit LiAlH4 durchgeführt.

10.6.2.7 Die Reduktion von Aldehyden, Ketonen, Estern und Carbonsäuren mit LiAlH4

Aldehyde, Ketone, Ester und Carbonsäuren sind Carbonylverbindungen. Sie besitzen eine
C=O-Gruppierung, die als Carbonylfunktion bezeichnet wird. In dieser ist der Sauerstoff der
elektronegativere Bindungspartner, so daß die Bindungselektronen zum Sauerstoff hin ver-
schoben sind und die Doppelbindung stark polarisiert ist:
X
R C δ+ X = H, R, OR oder OH
O δ-

Lithiumaluminiumhydrid (Lithiumalanat) Li+[AlH4]– ist ein komplexes Hydrid, das in hoher


Reinheit ein weißes, mikrokristallines Pulver ist, gewöhnlich aber als graues Pulver in gut
verschlossenen Dosen in den Handel kommt. Die Dose sollte in Inertatmosphäre geöffnet
werden. Li+[AlH4]– zersetzt sich erst bei einer Temperatur von 125°C und ist in Diethylether
10.6 Synthese der Alkohole 391

und auch anderen Ethern etwas löslich. Meist wird Diethylether, in dem es sich relativ gut
löst, als Lösungsmittel verwendet.
Li+[AlH4]– reagiert mit Verbindungen, die eine C=O-Gruppierung haben, schon bei Zim-
mertemperatur, wobei das Hydridion H– sich mit seinem Elektronenpaar an den positivierten
Kohlenstoff bindet, während sich der Sauerstoff der Carbonylverbindung an das Aluminium-
atom anlagert. Nach dieser Umsetzung wird vorsichtig feuchter Ether zugegeben, um das
überschüssige Li+[AlH4]– umzusetzen. Es ist notwendig, Wasser nur sehr vorsichtig zuzuge-
ben, weil das im Reaktionsgemisch im Überschuß vorhandene Lithiumaluminiumhydrid mit
Verbindungen, die Protonen abspalten können (Säuren, Wasser, Alkohole) stark exotherm
reagiert. Gewöhnlich gibt man dann, um die Alkohole aus dem LiAl-Komplex freizusetzen,
verdünnte Salzsäure zu. LiCl und AlCl3 sind in Wasser gut löslich, was die weitere Auf-
arbeitung des Reaktionsgemisches erleichtert.
a) Reaktionen von Aldehyden mit Lithiumaluminiumhydrid.

H AlH3 Li H
H
Ether
C O R C O AlH3 Li
R
H
+ –
Der Komplex Li [RCH2OAlH3] kann drei weitere Hydridionen abgeben, welche von
drei Aldehydmolekülen auf die Carbonylgruppe übertragen werden, so daß die Gesamt-
reaktion folgendermaßen formuliert werden kann:
H
AlH4
Ether
4 R C + Li (R CH2 O)4Al Li
O

Aldehyd
Mit verdünnter Salzsäure wird der Alkohol aus dem komplexen Alkoholat (Alkoholate
siehe Abschnitt 10.7.1) freigesetzt:

(R CH2 O)4Al Li + 4 HCl 4R CH2 OH + AlCl3 + LiCl

primärer Alkohol
b) Reaktionen von Ketonen mit Lithiumaluminiumhydrid.

R R
Ether
4 C O + AlH4 Li ( CH O)4Al Li
R R
Keton
R R
( CH O)4Al Li + 4 HCl 4 CH OH + AlCl3 + LiCl
R R
sekundärer Alkohol
392 10 Alkohole

c) Ester reagieren mit Lithiumaluminiumhydrid zu Alkoholaten, die mit Wasser oder ver-
dünnten Säuren zu primären Alkoholen umgesetzt werden.
O

4R OR' + 2 Li Ether (R + (R'O)4 Al Li


C AlH4 CH2 O)4Al Li

Ester Lithiumaluminiumtetraalkanolat

(R CH2 O)4 Li + (R'O)4 Al Li + 8 HCl

4 RCH2 OH + 4 R'OH + 2 AlCl3 + 2 LiCl


primärer Alkohol

d) Carbonsäuren reagieren ebenfalls mit Lithiumaluminiumhydrid, wobei man über Alko-


holate zu primären Alkoholen gelangen kann. Carbonsäuren sind schwache Säuren und
spalten Protonen ab. Diese reagieren mit den Hydridionen des Lithiumaluminium-
hydrids, wobei H2 gebildet wird. Erst dann reagiert das Anion [AlH4]– mit der Car-
bonylgruppe und reduziert den Säurerest RCOO– zur Alkoxygruppe RCH2O–. Die
Gesamtreaktion kann folgendermaßen formuliert werden:

4 RCOOH + 3 Li AlH4 (R CH2 O)4Al Li + 2 LiAlO2 + 4 H2

Carbonsäure

(R CH2 O)4Al Li + 4 HCl 4R CH2 OH + AlCl3 + LiCl


primärer Alkohol

Anstelle des Lithiumaluminiumhydrids kann für die Reduktion von Aldehyden, Ketonen und
Säurechloriden (R–COCl) auch das Natriumborhydrid NaBH4 verwendet werden. Carbon-
säuren und deren Ester reduziert es aber nicht. Die Reduktion mit NaBH4 kann auch in wäß-
riger Lösung erfolgen.

10.6.2.8 Addition von Grignard-Reagens an Carbonylverbindungen


Grignard-Reagenzien (siehe Abschnitt 2.7.2.2 und 9.4.2) sind in der Synthese sehr vielseitig
verwendbar. Gewöhnlich wird für das Grignard-Reagens die Formel RMgX angegeben,
obwohl in Lösungen der Grignard-Verbindung folgendes Gleichgewicht angenommen wer-
den muß:

2R Mg X R Mg R + MgX2 X = Cl, Br oder I

Für die im weiteren zu besprechenden Reaktionen spielt dies aber keine wesentliche Rol-
le, da beide Verbindungen, das Alkylmagnesiumhalogenid RMgX und das Dialkylmagne-
sium R2Mg bei der Reaktion mit Carbonylverbindungen zwar unterschiedliche Zwischen-
produkte ergeben,
10.6 Synthese der Alkohole 393

R
R'
C O + R Mg X R' C O Mg X und
H
H

R
R'
C O + R Mg R R' C O Mg R
H
H

welche aber nach ihrer Hydrolyse zu dem gleichen Alkohol führen. In der Bindung C–Mg im
Grignard-Reagens ist der Kohlenstoff der elektronegativere Bindungspartner, so daß die
stark polare Bindung heteropolar gespalten wird.
Es wird angenommen, daß die Reaktion des Grignard-Reagens mit Carbonylverbindun-
gen über einen cyclischen, viergliedrigen Übergangszustand erfolgt:

R Mg X R Mg X R
R' R'
C O C O R' C O Mg X
H H
H
viergliedriger Übergangszustand
In der Literatur findet man aber auch Hinweise, daß bei der Reaktion ein sechsgliedriger
Übergangszustand vorliegen könnte, wobei sich an der Reaktion mit der Carbonylverbin-
dung zwei Moleküle des Grignard-Reagens beteiligen.

X
X
X
Mg Mg Mg
O R O R O R
X
R' C Mg R' C Mg R' C R + Mg
R R X
H H H X
sechsgliedriger Übergangszustand
a) Mit Formaldehyd und Grignard-Reagens entsteht das Alkoxymagnesiumhalogenid, das
nach der Hydrolyse mit Wasser oder Säure einen primären Alkohol bildet.
R Mg X R R
H
Ether HX
C O H C O Mg X H C O H + MgX2
H
H H
Formaldehyd Alkoxymagnesiumhalogenid primärer Magnesium-
Alkohol halogenid
b) Alle anderen Aldehyde reagieren mit Grignard-Reagens zu einem Produkt, nach dessen
Hydrolyse man einen sekundären Alkohol erhält.
394 10 Alkohole

R Mg X R R
R'
Ether HX
C O R' C O Mg X R' C O H + MgX2
H
H H
Aldehyd sekundärer Alkohol

c) Läßt man Grignard-Reagens mit Ketonen reagieren, so erhält man nach Hydrolyse des
Produkts einen tertiären Alkohol.

R Mg X R R
R'
Ether HX
C O R' C O Mg X R' C O H + MgX2
R''
R'' R''
Keton tertiärer Alkohol

d) Mit Ameisensäureester und Grignard-Reagens erhält man nach Hydrolyse des Reak-
tionsprodukts einen sekundären Alkohol, während das Reaktionsprodukt mit allen ande-
ren Carbonsäureestern ein tertiärer Alkohol ist. Wahrscheinlich entsteht bei der Reaktion
der Carbonsäureester mit Grignard-Reagens als Zwischenprodukt ein Keton (mit dem
Ameisensäureester ein Aldehyd), das mit einem zweiten Äquivalent Grignard-Reagens
weiterreagiert:

R Mg X R
R' R
Ether Ether MgX
C O R' C O Mg X C O
R'' O R' R'' O
O
R''
Ester
R Mg X R R
R
Ether HX
C O R C O Mg X R C O H + MgX2
R'
R' R'
tertiärer Alkohol
Bei der Reaktion von Carbonylverbindungen mit Grignard-Reagens kann eine Nebenreak-
tion erfolgen, bei der ein Alkoxymagnesiumhalogenid und ein Alken entstehen. Man nimmt
an, daß die Reaktion über einen cyclischen Übergangszustand verläuft:

C C C
C
H C H C H
R R
C MgX C MgX R C O MgX
H O H O
H
10.6 Synthese der Alkohole 395

10.6.2.9 Die Dihydroxylierung von Alkenen


Die Dihydroxylierung von Alkenen (Reaktionsmechanismen siehe Abschnitt 3.7.5.3) führt
zu Glykolen.

a) Die anti-Dihydroxylierung
Mit Peroxysäuren, gewöhnlich wird Peroxybenzoesäure verwendet (siehe Abschnitt 3.7.5.3a,
15.4.6.2 und 17.1.3.1c), erfolgt die Dihydroxylierung nach einem anti-Mechanismus. Nach
der Hydroxylierung von cyclischen Alkenen mit Peroxysäuren befinden sich die beiden OH-
Gruppen in trans-Stellung zueinander.
O
C OH H
O OH H OH
+ OH
H
OH H

b) Die syn-Dihydroxylierung
Die Dihydroxylierung mit Osmiumtetroxid:
Mit Osmiumtetroxid OsO4 und mit Kaliumpermanganat erfolgt eine syn-Dihydroxylierung
von Alkenen (siehe Abschnitt 3.7.5.3).
Mit OsO4 wird zunächst ein cyclischer Osmiumsäureester erhalten, der als solcher auch
isoliert werden kann. Er kann in alkalischer Lösung hydrolysiert werden. Ausgehend vom
Cyclohexen gelangt man auf diese Weise zum cis-Glykol.

O O OH
H Os H2O / OH H
+ OsO4 O O OH + H2OsO4
H H

Cyclohexen Osmiumsäureester cis-Cyclohexan-1,2-diol

Der hohe Preis des Osmiumtetroxids schränkt seine Anwendung zur präparativen Dar-
stellung der cis-Glykole ein, doch hat sich die Reaktion von OsO4 mit ungesättigten Verbin-
dungen bei Strukturaufklärungen vielfach bewährt.

Die Dihydroxylierung mit Kaliumpermanganat:


Die Hydroxylierung mit Kaliumpermanganat führt über einen syn-Mechanismus ebenfalls
zum Glykol (siehe Abschnitt 3.7.5.3). Als Zwischenprodukt entsteht ein Manganester, der
aber nicht isoliert werden kann und zum Glykol hydrolysiert wird. Mit Kaliumpermanganat
wird das Glykol leicht weiteroxidiert, so daß diese Reaktion zur präparativen Darstellung
von Glykolen nicht geeignet ist.
396 10 Alkohole

10.7 Reaktionen der Alkohole

10.7.1 Schwach saure Eigenschaften der Alkohole

Die OH-Bindung in der Hydroxygruppe des Alkohols ist stark polar. Das Sauerstoffatom als
elektronegativerer Bindungspartner zieht die Elektronen an sich und ermöglicht dadurch,
ähnlich wie dies beim Wassermolekül der Fall ist, eine Abspaltung des Protons.

R O H R O + H

Im Vergleich mit Wasser ist der Alkohol eine schwächere Säure, da der Alkylrest eine
elektronenschiebende Wirkung zeigt, die Elektronendichte am Sauerstoff des Alkohols
dadurch etwas erhöht und die Polarität der O–H-Bindung, die zur Abspaltung des Protons
führt, herabgesetzt wird.
Entsprechend seinen sauren Eigenschaften kann in Alkoholen der Wasserstoff durch ein
Metall ersetzt werden, und es entstehen salzähnliche Verbindungen, die als Alkoholate be-
zeichnet werden. Z.B. bilden Alkohole mit Alkali- und Erdalkalimetallen die entsprechenden
Alkoholate, wobei Wasserstoff frei wird.

2 R O H + 2 Na 2 R O Na + H2

Alkohol metallisches Natrium Natriumalkoholat Wasserstoff


Stärkere Säuren können schwächere Säuren aus ihren Salzen freisetzen. Wasser ist in die-
sem Falle die stärkere Säure, und es setzt aus den Alkoholaten die Alkohole frei. Alkoholate
sind deshalb in Wasser nicht beständig.

R O Na + H2O R O H + Na OH

10.7.2 Alkohole als Basen und Nucleophile

Verbindungen mit einem freien Elektronenpaar können sowohl als Base als auch als Nucleo-
phil auftreten.
Als Base wird eine Verbindung bezeichnet, die mit einem freien Elektronenpaar ein Pro-
ton binden kann, z.B.:

H H H R H R
O H O oder O O H
R R
Base Base
10.7 Reaktionen der Alkohole 397

Ein Nukleophil kann ein Molekül oder ein Anion sein, das das Bestreben hat, sich mit
dem freien Elektronenpaar an ein Elektrophil (siehe Abschnitt 9.4.4) zu binden: an ein Car-
beniumion R3C+ oder an ein C-Atom, das eine positive Teilladung besitzt, z.B.:
R R H
H
δ+ δ−
Cl C Cl C oder H O C Cl H O C + Cl
R H
R R H
R H H
Nucleophil Elektrophil Nucleophil Elektrophil
Der Alkohol hat am Sauerstoffatom der Hydroxygruppe freie Elektronenpaare, und er
tritt in beiden Funktionen auf, sowohl als Base als auch als Nucleophil.
Als schwache Base kann der Alkohol ein Proton binden, und es entsteht ein Oxonium-
Ion, z.B.:
H
H Cl
R O R O + Cl
H H
Alkohol Oxonium-Ion
Bei der Etherbildung in saurem Medium tritt ein nichtprotoniertes Alkoholmolekül als
Nucleophil auf. Es reagiert mit einem Oxonium-Ion, das nach obiger Reaktion im sauren
Medium aus dem Alkohol gebildet wurde und elektrophile Eigenschaften hat. Durch die
positive Ladung am Sauerstoff des Oxonium-Ions ist die C–O-Bindung stark polarisiert, die
Elektronen der Bindung sind zum Sauerstoffatom hin verschoben und das C-Atom trägt eine
positive Teilladung. Das (nichtprotonierte) Alkoholmolekül stellt als Nucleophil mit dem am
Sauerstoff befindlichen freien Elektronenpaar eine Bindung mit dem Kohlenstoff der Oxo-
nium-Verbindung her, der durch den –I-Effekt der Hydroxoniumgruppe eine positive Teil-
ladung trägt, wobei sich gleichzeitig die OH2+-Gruppe, die eine gute Abgangsgruppe bildet,
löst. Aus dem Zwischenprodukt wird ein Proton abgespalten, und es entsteht ein Ether.
R' H R' R'
H , 130 °C
R O C O R O C R O C + H
H - H2O H H
H H H H H H
Alkohol Oxonium-Ion Ether
(Nuceophil) (Elektrophil)

10.7.3 Basizität und Nucleophilie

Nach der Brönstedtschen Auffassung (1923) ist eine Säure eine Substanz, die aus ihrem
Molekül ein Proton abspaltet, eine Base hingegen eine Verbindung, die ein Proton zu binden
vermag. Die Säure spaltet in wäßriger Lösung ein Proton ab, und dieses wird von einem
Wassermolekül gebunden. Die Reaktionsprodukte sind ein Säurerest und ein Hydronium-Ion
H3O+. Wasser kann man in diesem Fall als Base betrachten, die das von der Säure abgespal-
tene Proton aufnimmt. Das entstandene Hydronium-Ion hingegen ist als Säure zu betrachten,
denn es kann ein Proton abspalten.
398 10 Alkohole

H H
O + H Cl O H + Cl
H H
Wasser Chlorwasserstoff Hydronium-Ion Chloridion
(Base) (Säure) (konjugierte Säure) (konjugierte Base)
konjugiertes Säure/Basenpaar
konjugiertes Säure/Basenpaar

Bei einer Säure-Base-Reaktion kann man zu der Base eine konjugierte Säure, und zu der
Säure eine ihr entsprechende konjugierte Base, auf der anderen Seite der Gleichung finden.
H2O ist im obigen Beispiel die Base und H3O+ die ihr entsprechende konjugierte Säure. Der
Säure HCl entspricht die konjugierte Base Cl–. In einem Überschuß an Wasser ist HCl voll-
ständig dissoziiert, HCl ist eine starke Säure. Die konjugierte Base Cl– muß demnach eine
schwache konjugierte Base sein, denn wäre sie sehr reaktiv, würde sie mit dem Hydronium-
Ion bereitwillig reagieren, wobei wiederum Chlorwasserstoff, also die nichtdissoziierte Säu-
re, entstehen würde. Diese müßte dann in relativ hoher Konzentration vorliegen, was dem
Begriff einer starken Säure mit hohem Dissoziationsgrad widerspricht. Allgemein kann man
sagen, daß starke Säuren schwache konjugierte Basen, schwache Säuren hingegen starke
konjugierte Basen haben. Diese Zusammenhänge bieten ein nützliches Hilfsmittel, um die
Basizität von Verbindungen abschätzen zu können. Man darf z.B. annehmen, daß die durch
die Abspaltung eines Protons aus Alkoholen entstandenen Alkoholationen relativ starke
Basen darstellen, denn Alkohole sind schwächer sauer als Wasser, und ihre konjugierten
Basen, nämlich Alkoholate R–O–, müssen demnach starke Basen sein.
Eine erweiterte Säure-Base-Theorie ist die von Lewis (1938). Er brachte den sauren und
basischen Charakter von Substanzen mit ihrer Elektronenstruktur in Zusammenhang. Säuren
sind Substanzen, die als Akzeptoren von Elektronenpaaren auftreten und Basen sind Verbin-
dungen, die ein Elektronenpaar für eine Bindung zur Verfügung stellen können, also Dono-
ren (sie werden auch als Donatoren bezeichnet) eines Elektronenpaares sind (siehe auch die
Halogenierung des Benzols, Abschnitt 6.6.1.3). Diese Definition schließt die Brönstedtsche
Säure-Basen-Theorie (Wechselwirkung zwischen Elektronenpaar einer Base und einem
Proton) als Spezialfall mit ein. Bei dieser Auslegung des Säure/Base-Begriffs kann man z.B.
einen Alkohol, der ein Elektronenpaar-Donator sein kann, als Lewis-Base betrachten. Ein
Carbeniumion, oder eine Verbindung mit positiver Teilladung am C-Atom, welche beide als
Akzeptoren eines Elektronenpaares auftreten können, kann man als Lewis-Säure bezeichnen.
Allgemein könnte man Nucleophile als Lewis-Basen und Elektrophile als Lewis-Säuren
betrachten und erwarten, daß Nucleophilie und Basenstärke miteinander korrespondieren.
Die folgenden Verbindungen haben tatsächlich in Bezug auf ihre Reaktivität als Nucleophil
und ihre Basenstärke die gleiche Reihung:

O
CH3CH2 O > H O > O > H3C C > H2O
O

Ethanolat-Ion Hydroxid-Ion Phenolation Acetation Wasser


10.7 Reaktionen der Alkohole 399

Diese Parallelität zwischen Basizität und Nucleophilie kann man besonders bei Verbin-
dungen feststellen, die das gleiche nucleophile Atom z.B. O, S oder N haben. In der vorher
angeführten Reihe sind es z.B. Verbindungen, in denen der Sauerstoff die nucleophile bzw.
basische Funktion ausübt. In vielen Fällen muß man aber feststellen, daß Basizität und Nu-
cleophilie einander nicht entsprechen. Ein Beispiel dafür ist das ambidente Sulfit-Ion. Unter
dem Begriff „ambident“ ist zu verstehen, daß sich zwei einander konkurrierende unterschied-
liche Zentren im Molekül befinden. Das Sulfit-Ion hat freie Elektronenpaare sowohl am
Sauerstoff- als auch am Schwefelatom. Bei der Reaktion des Sulfit-Ions mit einem Proton
wird dieses am Sauerstoff unter Bildung eines Hydrogensulfits gebunden, während bei der
Reaktion mit Methyliodid der Schwefel ein freies Elektronenpaar für eine S–C-Bindung zur
Verfügung stellt, wobei das Methylsulfonat-Ion entsteht.

O O

O S O H O S O H und

Sulfit-Ion + Proton Hydrogensulfit-Ion

Base Säure

O O
H H
δ+ δ−
O S C I O S C + I
HH H
O O H

Sulfition + Methyliodid Methylsulfonat-Ion + Iodidion

Nucleophil Elektrophil

Im Sulfit-Ion ist das Sauerstoffatom das stärker basische Atom, während der Schwefel
stärker nucleophil ist. Diese Unterschiede sind damit zu erklären, daß bei dem Angriff des
Nucleophils auf das Kohlenstoffatom mit der positiven Teilladung auch die Polarisierbar-
keit der Elektronenhülle des Nucleophils eine Rolle spielt. Die Außenelektronen des
Schwefels sind stärker polarisierbar als die des Sauerstoffs und deshalb für eine Wech-
selwirkung mit dem C-Atom des Elektrophils, das eine positive Teilladung besitzt, besser
geeignet.
Pearson unterscheidet entsprechend der Polarisierbarkeit ihrer Außenelektronen harte und
weiche Lewis-Säuren und Lewis-Basen. Harte Basen reagieren bevorzugt mit harten Säuren,
während weiche Basen wiederum mit weichen Säuren reagieren.
Harte Lewis-Säuren haben einen kleinen Ionenradius und wenig Elektronen in den
Außenorbitalen des Zentralatoms. Das Proton H+ ist als harte Lewis-Säure aufzufassen, das
bevorzugt mit harten Lewis-Basen reagiert. Mit zunehmender positiver Ladung am Kohlen-
400 10 Alkohole

stoffatom nimmt die Härte der Lewis-Säure zu, so daß man Carbeniumionen R3C+ zu den
harten Lewis-Säuren zählt.
Zu den harten Lewis-Basen gehören z.B. H2O, –OH, F–, CO32–, PO43–, SO42–, CH3COO–,
ROH, RO–, Cl–, NH3 und RNH2. Es sind Verbindungen mit einem Atom, dessen Elektronen-
hülle stark an den Kern gebunden und nicht polarisierbar ist.
Weiche Lewis-Säuren sind elektrophile Verbindungen, die auf Grund einer polaren kova-
lenten Bindung δ+C–Xδ– oder δ+C=O δ– am Kohlenstoffatom eine positive Teilladung aufwei-
sen und bevorzugt mit weichen Lewis-Basen reagieren.
Als weiche Lewis-Basen sind Nucleophile zu verstehen, deren Elektronenhülle leicht po-
larisierbar ist, z.B. die Verbindungen R2S, RSH, RS–, HSO3–, R3P, –CN, I–, R– und H–. Zu
den weichen Basen, die zugleich starke Nucleophile sind, gehören Carbanionen, z.B. das
Cyanidion und das Acetylidion. I– ist eine weiche Base. Mit abnehmender Deformabilität
ihrer Elektronenhülle nimmt die Basenhärte der Halogenidionen über Br– und Cl– zum F– zu,
und ihre Nucleophilie wird schwächer.
Die unvollkommene Korrelation der Basizität und Nucleophilie ist aus Sicht der bei
basischen und nucleophilen Reaktionen entstehenden Bindungen zu verstehen. Bei einem
Säure/Base-Gleichgewicht entsteht die Bindung durch Überlappen des Orbitals der Base
mit dem kleinen, kompakten 1s-Orbital des Wasserstoffs, während bei einem nucleophilen
Angriff auf das C-Atom eines Elektrophils das Orbital mit dem freien Elektronenpaar des
Nucleophils im Übergangszustand mit dem größeren und diffuseren Orbital des elek-
trophilen Kohlenstoffs überlappt. Die Polarisierbarkeit der Elektronenhülle ermöglicht eine
bessere Überlappung. Elemente der dritten und vierten Periode mit relativ diffusen freien
Elektronenpaaren, die leichter polarisierbar sind, können mit dem Orbital des elektrophi-
len Kohlenstoffs besser überlappen und sind deshalb nucleophiler als Elemente der zwei-
ten Periode mit vergleichbarer Basizität.
Bei Bestimmung der Nucleophilie einiger Nucleophile in wässrigem Medium erhielt
Swain und Scott (1953) folgende Reihung:
S2O32– (Thiosulfation) > SO32– (Sulfition) > I– > SCN– (Thiocyanation ) > C6H5NH2 > HO– >
N3– > Br– > Cl– > CH3COO– > H2O

10.7.4 Umsetzung von Alkoholen zu Alkylhalogeniden

10.7.4.1 Umsetzung zu Alkylchloriden


Reaktionen der Alkohole mit Salzsäure. Alkohole reagieren mit Salzsäure zu Alkylchloriden:

R OH + H Cl R Cl + H2O

Das Chlorid-Ion ist ein relativ schwaches Nucleophil. Primäre Alkohole reagieren des-
halb mit konz. Salzsäure, auch in Gegenwart von ZnCl2 als Lewis-Säure, sehr schlecht.
Etwas schneller reagieren sekundäre Alkohole und am besten tertiäre Alkohole.
10.7 Reaktionen der Alkohole 401

R1 R1 H
2 2
R C O H + H Cl R C O H + Cl

R3 R3

R1 R1
ZnCl2
R2 C + Cl R2 C Cl
- H2O
R3 R3

Auf Grund der unterschiedlichen Reaktionsgeschwindigkeiten kann man diese nach Lu-
kas benannte Reaktion dazu benutzen, primäre, sekundäre und tertiäre Alkohole zu unter-
scheiden. Tertiäre Alkohole reagieren, erkenntlich an der Trübung der Lösung, sofort und
sekundäre Alkohole erst nach einigen Minuten. Primäre Alkohole reagieren bei Zimmer-
temperatur nicht.
Reaktionen der Alkohole mit PCl3 und PCl5. Die Reaktion von Alkoholen mit Phosphor-
trichlorid PCl3 zu entsprechenden Alkylhalogeniden erfolgt durch Erhitzen des Reaktions-
gemisches und kann wie folgt formuliert werden:

3R CH2 OH + PCl3 3R CH2 Cl + H3PO3

Zunächst wird bei dieser Reaktion der protonierte Dichlorphosphitester gebildet.

H Cl H

R C O + P Cl R C O PCl2 + Cl

H H Cl H H

Phosphortrichlorid prot. Dichlorphosphitester


+
Die protonierte Dichlorphosphitgruppe – OHPCl2 ist eine gute Abgangsgruppe, so daß
sie durch die in der Reaktion gebildeten Chloridionen leicht ersetzt werden kann.
Cl Cl
Cl + CH2 O P Cl CH2 + HO P
R Cl Cl
H R
Dichlorphosphit
Das Dichlorphosphit kann mit dem Alkohol auf folgende Weise weiterreagieren:

Cl Cl Cl
CH2 O + P Cl Cl CH2 O P Cl CH2 + O P
R H OH R H OH R H OH
402 10 Alkohole

OH OH OH
CH2 O + P Cl Cl CH2 O P Cl CH2 + O P
R H OH R H OH R H OH

phosphorige Säure
Bei der Reaktion von Alkoholen mit Phosphorpentachlorid PCl5 entsteht zunächst das
Alkylchlorid und Phosphoroxychlorid POCl3:

R CH2 OH + PCl5 R CH2 Cl + HCl + POCl3

Phosphoroxychlorid kann mit Alkohol nach der folgenden Reaktionsgleichung weiter-


reagieren:

3R CH2 OH + POCl3 3R CH2 Cl + H3PO4


Phosphoroxychlorid Phosphorsäure
Reaktion mit Thionylchlorid. Für die Reaktion der Alkohole mit Thionylchlorid SOCl2 gilt
folgende Reaktionsgleichung:
Pyridin
R CH2 OH + SOCl2 R CH2 Cl + SO2 + HCl

Das in die Reaktion eingebrachte Pyridin ist eine Base, die den bei der Reaktion freiwer-
denden Chlorwasserstoff zu binden vermag, wobei Pyridinhydrochlorid entsteht.

Cl Cl

N H N H

Pyridin Pyridinhydrochlorid (Pyridiniumchlorid)


Mit Thionylchlorid reagieren Alkohole in Gegenwart von Pyridin zunächst zum Chlor-
sulfinsäureester.

Cl Cl
R CH2 O + S O R CH2 O S O
Cl
H H Cl
Thionylchlorid

Cl Cl
R CH2 O
R CH2 O S O S O
H Cl
H Cl
Chlorsulfinsäureester
10.7 Reaktionen der Alkohole 403

Erfolgt die Reaktion in stark polaren Lösungsmittel mit Pyridin, so wird im weiteren Re-
aktionsschritt aus dem Chlorsulfinsäureester Cl– freigesetzt, welches dann als Nucleophil die
Gruppe C5H5N+SO2 ersetzt:

Cl
S N Cl + CH2 O S N
CH2 O
O R O
R

Cl CH2 + SO2 + N

R
In unpolarem Lösungsmittel reagiert der Alkohol mit Thionylchlorid in einer SNi-Reak-
tion (i = intern) zunächst ebenfalls zum Chlorsulfinsäureester, worauf das sich vom Schwefel
lösende Chlor als internes Nucleophil an das Kohlenstoffatom von der Seite herantritt, auf
der die sich lösende C–O-Bindung liegt. Die SNi-Reaktion erfolgt unter Retention der Konfi-
guration am asymmetrischen Kohlenstoffatom (siehe Abschnitt 8.9.3.1):
R1 R1
C O C Cl + SO2
2 S O 2
R H R H
Cl

10.7.4.2 Umsetzung von Alkoholen zu Alkylbromiden


Umsetzung mit HBr. Das Bromidion ist ein relativ starkes Nucleophil. Man kann deshalb mit
konzentrierter Bromwasserstoffsäure (48 %ig) nicht nur tertiäre und sekundäre Alkohole,
sondern auch primäre Alkohole unter Erhitzen des Reaktionsgemisches in Alkylbromide
überführen.

H Br R H R

R CH2 O H Br CH2 O H Br CH2 + H2O

Alkylbromid
Die Umsetzung von primären Alkoholen zum Alkylbromid kann auch durch Erhitzen des
Alkohols mit KBr und konz. Schwefelsäure erfolgen. Die Schwefelsäure setzt aus dem KBr
den Bromwasserstoff frei, und sie bindet außerdem das bei der Reaktion gebildete Wasser.
Umsetzung mit PBr3. Mit Phosphortribromid reagieren Alkohole beim Erhitzen nach dem
schon bei Umsetzung des Phosphortrichlorids gezeigten Reaktionsmechanismus, wobei das
Alkylbromid nach folgender Reaktionsgleichung gebildet wird:
404 10 Alkohole

3 R CH2 OH + PBr3 3 R CH2 Br + H3PO3

10.7.4.3 Umsetzung von Alkoholen zu Alkyliodiden


Die Umsetzung von Alkoholen zu Alkyliodiden erfolgt durch Erhitzen des Alkohols mit Iod
und rotem Phosphor. Aus dem Iod und dem roten Phosphor wird dabei das Phosphortriiodid
PI3 gebildet, welches mit dem Alkohol reagiert:

2 P + 3 I2 2 PI3

3 R CH2 OH + PI3 3 R CH2 I + H3PO3

Die Reaktion von Iodwasserstoffsäure mit Alkoholen ist für die Darstellung von Alkyl-
iodiden ungeeignet, da die bei der Reaktion entstandenen Alkyliodide vom Iodwasserstoff HI
zum Alkan reduziert werden.

R CH2 I + HI R CH3 + I2

10.7.5 Die Dehydratisierung

Bei der Dehydratisierung geht es um eine Abspaltung von Wasser aus dem Alkoholmolekül.

H
R CH CH2 OH R CH CH2 + H2O

Sie gelingt am leichtesten bei tertiären Alkoholen und ist am schwierigsten mit primären
Alkoholen durchzuführen (siehe Abschnitt 3.6.1.3). Primäre Alkohole dehydratisieren nur
bei Gegenwart starker Säuren und bei relativ hohen Reaktionstemperaturen (170–200°C).
Die Dehydratisierung kann nach dem Eliminierungsmechanismus E1 oder E2 erfolgen
(siehe Abschnitt 3.6.2). Die –OH-Gruppe ist eine schlechte Abgangsgruppe, welche für die
Dehydratisierung erst durch Protonierung in die leichter abspaltbare Gruppe –+OH2 umge-
setzt werden muß.
Tertiäre Alkohole reagieren nach dem Reaktionsmechanismus E1:

H
H R1 H H R1 H H R1 R2 R1
- H2O
R2 C C O H R2 C C O H R2 C C C C
3
H R 3
H R3
H R H R3
10.7 Reaktionen der Alkohole 405

Primäre Alkohole reagieren nach dem Reaktionsmechanismus E2, wobei nichtprotonierte


Alkoholmoleküle die Funktion einer Base ausüben (siehe Abschnitt 10.7.3).

R
R CH2 CH2
H H
O H H O H H
+ C C C C
H H
H O H H O H
R R
Alkohol als Base H H

protonierter Alkohol E2-Übergangszustand


als Substrat

R R
CH2 CH2
H H
O H O + H + C C + H2O

H H R H
Alken

10.7.6 Veresterung von Alkoholen

Alkohole reagieren sowohl mit anorganischen als auch mit organischen Säuren, wobei unter
Abspaltung von Wasser ein Ester entsteht.

H O O R CH2 O O
R CH2 O H + S S + H2O
H O O H O O

H O R1 R CH2 O R1
H
R CH2 O H + C C + H2O

O O

Alkohol + Säure Ester + Wasser

Wird ein primärer Alkohol, der verestert werden soll, mit dem 18O-Isotop markiert, so
stellt man fest, daß bei der Veresterung mit anorganischen Säuren das 18O in dem bei der
Reaktion gebildeten Wasser zu finden ist, während es bei der Veresterung dieses Alkohols
mit einer Carbonsäure in den Ester eingebaut wird:
406 10 Alkohole

18
R CH2 O H + H O O R CH2 O O + H218O
S S
H O O H O O

18 H 18
R CH2 O H + H O R1 R CH2 O R1 + H2 O
C C

O O

Die Reaktionen laufen nach unterschiedlichen Reaktionsmechanismen ab, was die Unter-
schiede im Verbleib des Isotops 18O zum einen im Ester und zum anderen im Wassermolekül
erklärt (vergleichen Sie den bei der Veresterung mit Schwefelsäure in Abschnitt 10.7.6.1
angeführten Reaktionsmechanismus mit dem im Abschnitt 15.4.2.1 aufgezeigten Reaktions-
mechanismus der Veresterung primärer Alkohole mit Carbonsäuren).

10.7.6.1 Veresterung mit Schwefelsäure


Läßt man einen primären Alkohol mit einem Überschuß an konz. Schwefelsäure bei 0°C
reagieren, erhält man das entsprechende Alkylhydrogensulfat (Schwefelsäuremonoalkylester,
Monoalkylsulfat). Mit Methanol entsteht z.B. das Methylhydrogensulfat:

OH + H2SO4
0 °C
H3C H3C O SO3H + H2O

Die Natriumsalze von Monoalkylsulfaten mit 10 bis 18 Kohlenstoffatomen in der Kette


werden als Tenside verwendet. Sie werden durch Umsetzung der Alkohole mit Chlorsulfon-
säure und anschließender Neutralisation erhalten.

Cl O
NaOH
R O H + S R O SO3H R O SO3 Na
- HCl
HO O

Chlorsulfonsäure Monoalkylsulfat Natriummonoalkylsulfat


(Alkylhydrogensulfat)

Methylhydrogensulfat zerfällt beim Erhitzen im Vakuum zu Dimethylsulfat und Schwe-


felsäure. Das Dimethylsulfat kann aus dem Reaktionsgemisch im Vakuum abdestilliert wer-
den.
Erhitzen im Vakuum
2 CH3O SO3H (CH3O)2SO2 + H2SO4
Methylhydrogensulfat Dimethylsulfat
Technisch wird Dimethylsulfat aus Dimethylether und Schwefeltrioxid hergestellt.
10.7 Reaktionen der Alkohole 407

(CH3)2O + SO3 (CH3O)2SO2

Das Dimethylsulfat (Schwefelsäuredimethylester) ist eine farblose, mit Wasser nicht


mischbare, giftige Flüssigkeit, die eingeatmet Verätzungen der Atmungsorgane hervorruft,
und auch in die Haut eindringen kann. Man schützt sich mit einer Gasmaske, benetzte Haut-
stellen reibt man mit verd. Salmiakgeist ein. In der Synthese wird Dimethylsulfat als Methy-
lierungsmittel verwendet, z.B. bei der Methylierung von Aminoverbindungen. Die zu methy-
lierende Verbindung wird in schwach soda-alkalischer Lösung mit Dimethylsulfat vermischt
und durch weiteren Sodazusatz dauernd alkalisch gehalten.
Bei der Veresterung primärer Alkohole mit Schwefelsäure wird der Alkohol zunächst
protoniert, worauf das Hydrogensulfation HSO4– als Nucleophil die Hydroxoniumgruppe
H2O+ ersetzt (SN2 -Mechanismus):
R
O O H R O O R H O O C
S + C O S C O S H + H O
H 2
O O H H H O O H H H
H H O O H

Bei 0°C erhält man das Monoalkylhydrogensulfat als Hauptprodukt. Mit zunehmender
Reaktionstemperatur entstehen Dialkylether (siehe Abschnitt 10.7.2) und Alkene (siehe Ab-
schnitt 3.6.1.3) als weitere Produkte. Läßt man z.B. Ethanol mit konz. Schwefelsäure reagie-
ren, erhält man bei 140°C Diethylether und bei 170°C Ethen als Hauptprodukte.

10.7.6.2 Veresterung mit Salpetersäure


Salpetersäureester (Alkylnitrate) entstehen durch Einwirkung von konz. Salpetersäure auf
Alkohole in der Kälte.

R CH2 O H + HNO3 R CH2 O NO2 + H2O


Salpetersäure Alkylnitrat

Der Alkohol wird zum Teil in einer Nebenreaktion oxidiert, wobei die Salpetersäure zu
salpetriger Säure reduziert wird. Diese kann eine explosionsartige Weiteroxidation katalysie-
ren. Um dies zu verhindern, setzt man Harnstoff zu, der sich mit der salpetrigen Säure um-
setzt:
NH2
H
O C + 2 HNO2 3 H2O + 2 N2 + CO2
NH2
Harnstoff salpetrige Säure
Das Nitroglycerin (Glycerintrinitrat, 1,2,3-Propantrioltrinitrat) wird auf die Weise synthe-
tisiert, daß man Glycerin sukzessive in kleinen Mengen in eine Mischsäure, bestehend aus
konz. Salpetersäure und konz. Schwefelsäure (1 : 1 w/w), die 5–7% Schwefeltrioxid enthält,
zugibt, und darauf achtet, daß die Reaktionstemperatur 25°C nicht überschreitet.
408 10 Alkohole

H2SO4, SO3, bis 25 °C


CH2 CH CH2 + 3 HNO3 CH2 CH CH2 + 3 H2O

OH OH OH ONO2 ONO2 ONO2

Glycerin Glycerintrinitrat
1
Das Glycerintrinitrat , das in der Regel als Nitroglycerin bezeichnet wird, ist eine ölige,
geruchlose schwach gelbliche Flüssigkeit. Es ist hochexplosiv, explodiert beim Erhitzen, bei
Erschütterung, Schlag oder Stoß unter Bildung gasförmiger Produkte:

2 CH2 CH CH2 6 CO2 + 5 H2O + 3 N2 + 1/2 O2

ONO2 ONO2 ONO2

Die Bezeichnung Nitroglycerin, welche sich eingebürgert hat und durchweg verwendet
wird, ist irreführend und eigentlich falsch, denn in einer Nitroverbindung ist der Stickstoff
direkt an das Kohlenstoffatom gebunden, während es im vorliegenden Fall über ein Sauer-
stoffatom an den Kohlenstoff gebunden ist. Es handelt sich also um ein Trinitrat, um einen
Ester, keineswegs um eine Nitroverbindung. Das Gleiche gilt für die Benennung der Nitro-
cellulose (siehe Abschnitt 21.8.1.4), bei der es sich ebenfalls um einen Ester und keineswegs
um eine Nitroverbindung handelt.
Wegen der gefährlichen Handhabung des Nitroglycerins wird dieses nur in Spezialfällen
rein eingesetzt. 75 % Nitroglycerin, 24,5 % ausgeglühter Kieselgur (eine Diatomeenerde) mit
0,5 % Soda können zu einem handhabungssicheren Sprengstoff vermengt werden, der als
Dynamit bezeichnet wird. Kieselgur ist ein poröser Feststoff, der das Nitroglycerin aufsaugt.
Er dient nur als volumen- und gewichtsvergrößernder Ballast.
Die Nitrocellulose wird auf die Weise hergestellt, daß die Hydroxygruppen der Cellulose
mit Salpetersäure verestert werden. Dazu wird die Cellulose für einige Minuten in Nitrier-
säure belassen, bestehend aus 1 Teil konz. Salpetersäure und 2–3 Teilen konz. Schwefelsäu-
re. Dann wird das Reaktionsprodukt mit sodahaltigem Wasser ausgekocht. Bei Herstellung
kleiner Mengen genügt es, die Nitrocellulose zum Entfernen der Säuren in fließendem Was-
ser gut auszuwaschen und sie dann zu trocknen. Die Nitrocellulose, die auch als „Schieß-
baumwolle“ bezeichnet wird, bildet eine weiße, faserige Masse, die beim Entzünden augen-
blicklich ohne Rauchentwicklung verbrennt. Man kann sie in Ethanol/Ether (1 : 2 v/v) lösen
und bekommt ein gelatineartiges, verformbares Produkt, das zu Plättchen geschnitten als
rauchschwaches Schießpulver in Patronen von Handfeuerwaffen gefüllt wird.

10.7.6.3 Ester der Phosphorsäure


Alkohole reagieren mit Phosphorpentoxid P2O5, wobei Monoalkyl-, Dialkyl- und Trialkylp-
hosphate entstehen, z.B.:

1
Glycerintrinitrat wirkt auch gefäßerweiternd und findet in 1%iger ethanolischer Lösung als Medika-
ment bei angina pectoris Verwendung. Bei angina pectoris handelt es sich um eine Verengung der
Herzkranzgefäße, die eine ungenügende Sauerstoffzufuhr des Herzmuskels zur Folge hat. Infolge
mangelnder Durchblutung kann ein Herzinfarkt eintreten.
10.7 Reaktionen der Alkohole 409

C2H5O O C2H5O O
3 C2H5O H + P2O5 P + P
HO OH C2H5O OH
Monoethylphosphat Diethylphosphat

C2H5O O
3 C2H5O H + P2O5 H3PO4 + P
C2H5O OC2H5
Triethylphosphat

Zu den Phosphorsäureestern zählen wichtige Naturstoffe. Dazu gehören z.B. Phosphor-


säureester des Glycerins, die Phosphatide. Sie sind in die Gruppe der Lipide, zu denen Fette
und fettähnliche Verbindungen gehören, einzureihen. In den Phosphatiden ist das Glycerin
mit zwei längerkettigen Carbonsäuren (Fettsäuren) und mit Phosphorsäure verestert. Die
Phosphorsäure ist außerdem noch mit einem weiteren Alkohol verestert. Handelt es sich bei
diesem Alkohol um Ethanolamin, heißt das Phosphatid Kefalin, ist die Phosphorsäure mit
Cholin verestert, heißt die Verbindung Lecithin.

hydrophobe Ketten
HO CH2CH2 NH2 = Ethanolamin
O HO CH2CH2 N(CH3)3HO = Cholin
1
R C O CH2
Das Phosphatid mit dem Rest
R1 C O CH O X = CH2CH2 NH3 ist das Kefalin
O H2C O P O Das Phosphatid mit dem Rest
O X X = CH2CH2 N(CH3)3 ist das Lecithin
Phosphatid
hydrophile Gruppe

Phosphatide sind wichtige Komponenten biologischer Membranen. Die Phosphatidmole-


küle, die diese Membran bilden, orientieren sich so zueinander, daß die langen hydrophilen
aliphatischen Ketten der Fettsäurekomponenten R1 und R2 im Molekül des Phosphoglycerid-
esters parallel angeordnet sind und der mit Ethanolamin oder Cholin veresterte Phosphorsäu-
rerest sich als hydrophile Gruppe zur wäßrigen Phase hin orientiert. Indem sich die so gebil-
dete Schicht mit ihren Kettenenden an die Kettenenden einer anderen Schicht ankoppelt,
entsteht eine Phosphatid-Doppelschicht, die die Grenzschicht zwischen zwei wäßrigen Lö-
sungen bilden kann (siehe Bild 10.5).
Einige Phosphorsäure- und Thiophosphorsäureester sind wirksame Insektizide. Ihre Wir-
kung beruht auf der Phosphorylierung und Hemmung des Enzyms Acetylcholinesterase. Zu
den wirksamsten Insektiziden gehören das E 605 (Folidol, Parathion) und das Systox. Sie
sind auch für Warmblüter toxisch.
410 10 Alkohole

Wasser

hydrophobe
Kohlenstoffkette

hydrophile
Gruppe
Wasser

Bild 10.5 Phosphatid-Doppelschicht

O CH2CH3 O CH2CH3
S P O CH2CH3 S P O CH2CH3
O NO2 O CH2CH2 S CH2CH3

E 605 Systox
(Diethyl-p-nitrophenylthiophosphat) (Diethyl-2- (ethylmercapto)-ethylthiophosphat)

10.7.6.4 Borsäureester

Borsäureester entstehen bei der Reaktion von Alkoholen mit Borsäure oder Bortrioxid, mit
einem Tropfen konz. Schwefelsäure als Katalysator.

H
6 R OH + B2 O 3 2 B(O R)3 + 3 H2O

Bei Erhitzen von B2O3 mit Methanol bildet sich der flüchtige Borsäuretrimethylester, der
mit grüner Flamme brennt. Borsäure reagiert mit cyclischen cis-1,2-Glykolen, wobei ein
Komplex entsteht, der den elektrischen Strom besser leitet als Borsäure selbst. Man benutzt
diese Reaktion deshalb z.B. um festzustellen, ob bei Zuckern, die in Ringform vorliegen,
benachbarte Hydroxygruppen zueinander in cis- oder trans-Stellung sind.
Die Reaktion der Borsäure mit cyclischen cis-1,2-Glykolen erfolgt mit 2 Molekülen
des Diols, wobei sich an der Veresterung 3 OH-Gruppen beteiligen. Der entstandene Ester
stellt eine Lewis-Säure dar. Bor tritt als Akzeptor eines Elektronenpaares auf, wobei der
Sauerstoff der OH-Gruppe ein Elektronenpaar zur Verfügung stellt und ein Proton abge-
spalten wird.
10.7 Reaktionen der Alkohole 411

H H
OH H O OH HO
H + B H
- 3 H2O
OH HO HO

H H H H
O O O O
H B H H B H +H
O H O O O

10.7.7 Oxidation von Alkoholen

Primäre und sekundäre Alkohole können mit einem Oxidationsmittel, z.B. mit Chromsäure,
Dichromat/Schwefelsäure, Salpetersäure, Kaliumpermanganat oder Braunstein, oxidiert
werden.
Primäre Alkohole werden zunächst zum Aldehyd oxidiert. Der Aldehyd ist aber selbst
leicht oxidierbar, so daß die Oxidation weiter bis zur Carbonsäure erfolgt.

O O
Oxidationsmittel Oxidationsmittel
R CH2 OH R C R C
H OH
prim. Alkohol Aldehyd Carbonsäure
Ist der bei der Oxidation eines primären Alkohols gebildete Aldehyd flüchtig, so kann
man ihn isolieren, indem man ihn laufend aus dem Reaktionsgemisch abdestilliert (Ausbeute
bis 60 % Aldehyd ). Die Weiteroxidation zur Carbonsäure wird zum Teil unterbunden, wenn
man für die Oxidation des primären Alkohols als Oxidationsmittel einen Chromtrioxid-(Pyri-
din)2-Komplex in wasserfreiem Lösungsmittel oder tert-Butylchromat oder Braunstein in
Petrolether oder CCl4 benutzt.
Sekundäre Alkohole werden zu den entsprechenden Ketonen oxidiert.
R1 OH R1
Oxidationsmittel
C C O
R2 H R2
sek. Alkohol Keton

Ketone sind gegen Oxidationsmittel bei milden Reaktionsbedingungen beständig. Für man-
che Oxidationsreaktionen verwendet man sogar Aceton H3C–CO–CH3 als Lösungsmittel.
Tertiäre Alkohole sind bei milden Reaktionsbedingungen gegen Oxidationsmittel bestän-
dig. Bei drastischen Reaktionsbedingungen (höhere Reaktionstemperatur, starkes Oxida-
tionsmittel) erfolgt die Oxidation unter Aufspaltung der Kohlenstoffkette.
412 10 Alkohole

Ein häufig benutztes Oxidationsmittel für die Oxidation primärer oder sekundärer Alko-
hole ist Natrium- oder Kaliumdichromat in saurer wäßriger Lösung. Bei dieser Oxidation
greift der Alkohol als Nucleophil die Chromsäure an, und es wird der Chromsäureester ge-
bildet.
H
H 1 O
O OH R O OH
H
R1 O Cr C Cr
C O OH R2 H O OH
2
R H

H
1 OH OH
R O OH R1 O
C Cr C Cr O + H2O + H
R2 H O O H R2 H O

Chromsäureester
Im nächsten Reaktionsschritt bindet ein Wassermolekül mit einem freien Elektronenpaar
des Sauerstoffs ein Proton des Esters, wobei H3O+, HCrO3– und eine Carbonylverbindung
entstehen. Das Chrom wird hierbei um zwei Oxidationsstufen reduziert, der sekundäre Alko-
hol zum Keton oxidiert.
OH OH
R1 O R1
VI IV
C Cr O C O + Cr O
2 2
R H R
O O
H
O O
H H H H
In der Literatur findet man auch Hinweise darüber, daß das Proton im zweiten Reaktions-
schritt möglicherweise über einen cyclischen Mechanismus auf das Sauerstoffatom der Säu-
rekomponente übertragen wird:

OH OH
R1 O R1
VI IV
C Cr O C O + Cr O
2 2
R H R
O O
H

Die vierwertige Chromverbindung ist ein starkes Oxidans, das mit noch nicht umgesetz-
tem Alkohol reagieren kann und dabei zum dreiwertigen Chromoxid Cr2O3 reduziert wird.
Eine Disproportionierung der Cr(IV)-Verbindung in eine Cr(III)- und eine Cr(VI)-Verbin-
dung ist ebenfalls möglich.
10.7 Reaktionen der Alkohole 413

10.7.7.1 Beispiel zur Aufstellung einer Redoxgleichung

Als Oxidation ist der Vorgang zu bezeichnen, bei dem eine Verbindung Elektronen abgibt,
während bei einer Reduktion eine Verbindung Elektronen aufnimmt. Jede Oxidation eines
Stoffes ist von der Reduktion eines anderen Stoffes begleitet. Eine Verbindung gibt Elektro-
nen ab, und eine andere nimmt sie auf. Man bezeichnet Reaktionen dieses Typs als Redox-
reaktionen.
In der anorganischen Chemie geht man, um das Aufstellen einer Redoxgleichung zu er-
leichtern, häufig von Teilgleichungen (Halbgleichungen) aus. Gesondert wird in einer Teil-
gleichung der Oxidationsvorgang und in der anderen der Reduktionsvorgang festgehalten. Da
es sich um Gleichungen handelt, muß gewährleistet sein, daß zunächst im linken und rechten
Teil der Gleichung die gleiche Anzahl der Elektronen gegeben ist (man zieht die Elektronen-
bilanz), dann die Ladungen korrespondieren (man zieht die Ladungsbilanz) und schließlich
auch die Anzahl der Atomäquivalente links und rechts der Gleichung gleich ist (man zieht die
Stoffbilanz). Am Ende fügt man die links vom Reaktionspfeil stehenden Teile der Teilglei-
chungen und ebenso die rechts stehenden Teile zusammen und erhält die Redoxgleichung.
Auf gleiche Weise kann man bei der Aufstellung von Redoxreaktionen mit organischen
Stoffen verfahren. In der organischen Chemie stellt man bei dem von der Oxidation bzw. der
Reduktion betroffenen C-Atom die Oxidationszahl vor und nach der Reaktion fest und ermit-
telt die Anzahl der bei der Redox-Reaktion abgegebenen oder aufgenommenen Elektronen.
Die Oxidationszahl ist eine formale Zahl, die das Aufstellen von Redoxgleichungen erleich-
tert. Bei Ermittlung der Oxidationszahl verfährt man so, daß man die zwei Bindungselektro-
nen vollständig dem elektronegativeren Partner zuordnet. Bei gleichen Bindungspartnern,
z.B. bei der C–C-Bindung, ordnet man jedem der Partner ein Elektron zu. Als Beispiel wird
im Ethanol die Ermittlung der Oxidationszahl des C-Atoms erläutert, das die OH-Gruppe
trägt. Im Ethanol liegen an der C–C-Bindung gleiche Atome als Bindungspartner vor. Jedem
C-Atom wird ein Elektron der Bindung zugeordnet. Bei den C–H-Bindungen ist der Kohlen-
stoff der elektronegativere Bindungspartner. Ihm ordnet man deshalb beide Elektronen der
C–H-Bindung zu. Bei der C–O-Bindung ist der Sauerstoff der elektronegativere Bindungs-
partner. Diesem werden deshalb beide Bindungselektronen zugeordnet:
H +I
H
-II +I
O H H3C OH +I+(-II) = -I
H3C C C -I

H
H +I
Das Sauerstoffatom behält das Elektron, das es in die C–O-Bindung eingebracht hat, und
erhält formal zusätzlich noch ein weiteres Elektron, so daß die gesamte Hydroxygruppe nun
ein Elektron mehr hat und damit den formalen Überschuß einer negativen Ladung aufweist.
Das elektroneutrale Kohlenstoffatom hat 4 Elektronen in seiner Außenschale. Nach Zu-
ordnung der Elektronen zum jeweils elektronegativeren Partner hat das die Hydroxygruppe
tragende C-Atom formal 5 Elektronen. Formal hat es also ein Elektron mehr und damit eine
negative Ladung auf der Außenschale. Ihm wird deshalb die Oxidationszahl –1 zugesprochen.
414 10 Alkohole

Weitere Beispiele der Ermittlung der Oxidationszahl eines C-Atoms:

+I -I
H3C H H3C +II H3C O H
0 -II +I -II +III
C C O C O H3C C
-II
H3C O H H3C H O
-I +I

Oxidationszahl 0 Oxidationszahl +2 Oxidationszahl+1 Oxidationszahl +3


Isopropanol Aceton Acetaldehyd Essigsäure

Man stellt zunächst fest, an welchen Atomen bei der Reaktion eine Veränderung eintritt.
An diesen Atomen stellt man die Oxidationszahl fest. Dann stellt man gesondert für den Oxi-
dations- und den Reduktionsvorgang Teilgleichungen auf. Man geht dabei schrittweise vor,
indem man

a) ermittelt, wieviel Elektronen beim Oxidationsvorgang abgegeben und beim Reduktions-


vorgang aufgenommen werden. Die Anzahl der Elektronen wird für beide Teilgleichun-
gen in Übereinstimmung gebracht. Damit zieht man die Elektronenbilanz.
b) Die Ladungen müssen auf beiden Seiten der Teilgleichungen ausgeglichen sein, wofür
man auf eine Seite der Gleichung bei Bedarf H+ einsetzt, wenn die Reaktion in saurem
Medium stattfindet, oder OH–, wenn die Reaktion im basischen Medium erfolgt. Damit
zieht man die Ladungsbilanz.
c) Links und rechts vom Reaktionspfeil muß die gleiche Anzahl der entsprechenden Atom-
äquivalente stehen. Berücksichtigt man dies, so zieht man die Stoffbilanz.
d) Zuletzt faßt man die vom Reaktionspfeil links stehenden Teile der Halbgleichungen und
die rechts vom Reaktionspfeil stehenden Teile zusammen und erhält so die vollständige
Redoxgleichung.

Das Aufstellen der Redoxgleichung soll anhand eines Beispiels aufgezeigt werden, wobei
Isopropanol mit Dichromat zu Aceton oxidiert wird.

a) Aufstellen der Elektronenbilanz:

+VI 2 3
H3C 0 OH H3C Cr2O7 2 Cr
+II
C C O 2 (+VI) = +XII 2 (+III) = +VI
H3C H H3C
-2e +6e
Oxidationsvorgang Reduktionsvorgang
10.7 Reaktionen der Alkohole 415

Halbgleichungen des Elektronentransfers:

H3C OH H3C
C C O + 2e
H3C H H2C

+VI 2 3
Cr2O7 + 6e 2 Cr

Der Oxidations- und Reduktionsvorgang sind gekoppelt. Es können von der einen Ver-
bindung nur gerade so viele Elektronen aufgenommen werden, wie die andere Substanz
Elektronen abgegeben hat. Um eine zahlenmäßige Gleichheit der abgegebenen und auf-
genommenen Elektronen sicherzustellen, muß die obere Halbgleichung mit 3 multipli-
ziert werden (für die Reduktion von Cr2O72- zum 2 Cr3+ sind 6 Elektronen notwendig, die
aus der Oxidation des Isopropanols zum Aceton erhalten werden).

H3C OH H3C
3 C 3 C O + 6e
H3C H H3C

2 3
Cr2O7 + 6e 2 Cr

b) Aufstellen der Ladungsbilanz:


In der oberen Halbgleichung müssen auf der rechten Seite 6 negative Ladungen (6 Elek-
tronen) durch 6 positive Ladungen in Form von 6 H+ ausgeglichen werden.
In der unteren Halbgleichung stehen auf der linken Seite der Gleichung 8 negative La-
dungen (6 e– und Cr2O72–) und auf der rechten Seite 6 positive Ladungen (2 Cr3+). Zum
Ausgleich müssen links 14 positive Ladungen eingesetzt werden, also 14 H+.
H3C OH H3C
3 C 3 C O + 6e + 6H
H3C H H3C

2 3
Cr2O7 + 6e + 14 H 2 Cr

c ) Aufstellen der Stoffbilanz:


In der vorhergehenden oberen Halbgleichung stimmt die Stoffbilanz. Im rechten Teil der
unteren Gleichung fehlen 14 H und 7 O. Deshalb setzen wir dort 7 H2O ein.
416 10 Alkohole

H3C OH H3C
3 C 3 C O + 6e + 6H
H3C H H3C

2 3
Cr2O7 + 6e + 14 H 2 Cr + 7 H2O

d ) Zusammenfassen der beiden linken und der beiden rechten Seiten der Halbgleichungen:
In der zusammengefaßten Gleichung separiert man gleiche Ausdrücke auf eine Seite der
Gleichung (14 H+ auf der linken und 6 H+ auf der rechten Seite der Gleichung gibt
14 H+ – 6 H+ = 8 H+ auf der linken Seite der Gleichung) bzw. man kürzt, wenn gleiche
Ausdrücke in gleicher Anzahl auf beiden Seiten der Gleichung stehen (6e– auf der linken,
gegen 6e– auf der rechten Seite der Gleichung).
H3C OH H3C
2 3
3 C + Cr2O7 + 8H 3 C O + 2 Cr + 7 H2O
H3C H H3C

Bei Verwendung von Natriumdichromat in Gegenwart von Schwefelsäure lautet die voll-
ständige Reaktionsgleichung:

H3C OH H3C
3 C + Na2Cr2O7 + 4 H2SO4 3 C O + Cr2(SO4)3 + Na2SO4 + 7 H2O
H3C H H3C

10.7.7.2 Die Alcotest-Probe


Die Alcotest-Probe dient als Vorprobe, mit der bei Verkehrskontrollen und nach Unfällen bei
Kraftfahrern durch Untersuchung der Atemluft vorab festgestellt werden soll, ob die Kon-
zentration des Alkohols im Blut einen als rechtserheblich angesehenen Grenzbereich über-
schreitet oder nicht. Der Alkoholgehalt in der Atemluft läßt Rückschlüsse auf die Alkohol-
konzentration im Blut zu, weil der im Blut enthaltene Alkohol aus den Lungenkapillaren in
die Lungenbläschen gelangt und es dort zu einem Verteilungsgleichgewicht des Alkohols
zwischen Blut und Alveolarluft (Alveolarluft = Luft in den Lungenbläschen) kommt.
In dem zum Test benutzten Alcotest-Röhrchen befindet sich zwischen zwei Glaswat-
tepfropfen gekörntes, mit Dichromatschwefelsäure getränktes Silicagel. Beim Test wird über
das Alcotest-Röhrchen Atemluft in einen Kunststoffbeutel geblasen. Das Fassungsvermögen
des Kunststoffbeutels bedingt das Volumen der eingeblasenen Luft. Enthält die Atemluft
Alkoholdämpfe, werden diese durch das Dichromat im Alcotest-Röhrchen über Acetaldehyd
bis zur Essigsäure oxidiert. Gleichzeitig wird das sechswertige gelbe Chrom zum grünen
dreiwertigen Chrom reduziert:

3 C2H5OH + 2 K2Cr2O7 + 8 H2SO4 3 CH3COOH + 2 Cr2(SO4)3 + 2 K2SO4 + 11 H2O


(gelb) (grün)
10.7 Reaktionen der Alkohole 417

Kunststoffbeutel
Alkoteströhrchen
Mundstück

Markierung
Dichromatschwefelsäure

Bild 10.6 Das Alcotest-Röhrchen

Liegen in der ausgeatmeten Luft Alkoholdämpfe vor, so verfärbt sich also die Reaktions-
zone des Alcotest-Röhrchens in Strömungsrichtung von gelb nach grün. Überschreitet die
grün verfärbte Zone die Meßmarke des Alcotest-Röhrchens, deutet dies auf eine Blutalkohol-
konzentration hin, die über der gesetzlich zugelassenen Norm liegt, und die untersuchte Per-
son muß sich einer Blutentnahme unterziehen. Mit einer genaueren Methode (z.B. dem
Head-Space-Verfahren der Gaschromatographie) wird dann der genaue Alkoholgehalt im
Blut bestimmt.

10.7.7.3 Die oxidative Spaltung von Glykolen

Der Name „Glykol“ ist eine Sammelbezeichnung für zweiwertige Alkohole. Liegen benach-
barte (lat.= vicinale) Hydroxygruppen vor, so erfolgt mit Periodsäure HIO4 oder mit Blei-
tetraacetat Pb(OOC–CH3)4 eine Oxidation unter Bildung von Carbonylverbindungen als
Oxidationsprodukte. Cis-Diole lassen sich bereitwilliger oxidieren als trans-Diole, so daß
man für beide Oxidationsreaktionen einen Reaktionsmechanismus annimmt, der über ein
cyclisches Zwischenprodukt verläuft. Beide Reaktionen wurden zur Konstitutionsaufklärung
mehrwertiger Alkohole oder Zucker herangezogen.
Die Oxidation mit Periodsäure ist eingehend untersucht worden, sie erfolgt über die Bildung
eines cyclischen Diesters der Periodsäure:

R1 R1 R1
O H
R2 C OH R2 C O R2 C O
+ HIO4 I O + HIO3
R3 C OH - H2O R3 C O R3 C O
O
H H H

Die Oxidation mit Bleitetraacetat (Criegee-Spaltung) erfolgt bei Raumtemperatur in Benzol


oder verd. Eisessig nach folgender Reaktionsgleichung:
418 10 Alkohole

O
R1 C O
O H
1
R CHOH verd. CH3COOH + Pb(O C CH3)2
+ Pb(O C CH3)4
R2 CHOH H
+ 2 CH3COOH
R2 C
O

10.7.7.4 Die Swern-Oxidation


Mit Dimethylsulfoxid (DMSO) und Oxalylchlorid werden bei tiefen Temperaturen primäre
Alkohole zu Aldehyden und sekundäre Alkohole zu Ketonen oxidiert. Dimethylsulfoxid ist
das Oxidationsmittel, das bei der Reaktion zu Dimethylsulfid reduziert wird. Die Reaktion
erfolgt im basischen Medium.

Zunächst reagieren Dimethylsulfoxid und Oxalylchlorid zu einem Sulfoniumsalz als


Zwischenprodukt, das mit dem Alkohol unter Abspaltung von HCl, Kohlenmonoxid und
Kohlendioxid zum Dimethylalkoxysulfoniumchlorid umgesetzt wird. Dieses spaltet im basi-
schen Medium HCl ab und es entstehen die Reaktionsprodukte Dimethylsulfid und ein Alde-
hyd.
10.7 Reaktionen der Alkohole 419

10.7.8 Die reduktive Desoxidierung von Alkoholen


Die reduktive Desoxidierung von Alkoholen zum Alkan gelingt mit Hilfe der Barton-
McCombie-Reaktion. Alkohole reagieren in Lauge mit Schwefelkohlenstoff zum Natrium-
O-alkyldithiocarbonat, das mit Methyliodid in O-Alkylmethyldithiocarbonat umgesetzt wird
(siehe auch Abschnitt 3.6.1.7). Die als Ester gebundene Alkoholkomponente kann dann mit
Tributylzinnhydrid bis zum Alkan reduziert werden.
S
CS2 C H3C I S AIBN
NaOH Bu3SnH
R OH R O S Na C RH + COS + CH3SSnBu3
- H2O - NaI
R O S CH3

Natrium-O-alkyl- Methyl-O-alkyl- Alkan Kohlen- Methyltributyl-


Alkohol oxidsulfid zinnsulfid
dithiocarbonat dithiocarbonat

Anmerkung: Dithiocarbonate können auch als AIBN = Azobisisobutyronitril


Xanthogenate bezeichnet werden. Bu3SnH = Tributylzinnhydrid
(Tributylstannan)
Bu = CH3CH2CH2CH2-

Reaktionsmechanismus
Die Umsetzung des O-Alkylmethyldithiocarbonats (auch als O-Alkylmethylxanthogenat
bezeichnet) zum Alkan erfolgt in einer radikalischen Reaktion mit Azobisisobutyronitril, das
durch Zerfall in Radikale die Reaktion initiiert, und mit Tributylzinnhydrid, das ein Tri-
butylzinnradikal bildet und auch als Überträger von atomarem Wasserstoff auftritt.
1.) Start der Radikalreaktion
Sie wird ausgelöst durch den Zerfall des Azobisisobutyronitrils in Stickstoff und in Isobuty-
ronitrilradikale. Diese reagieren mit Tributylzinnhydrid, wobei das Isobutyronitril (2-
Methylpropannitril) und das Tributylzinnradikal entstehen.

2.) Kettenreaktion
Das Tributylzinnradikal ist ein Thiophil und deshalb erfolgt der Angriff dieses Radikals am
doppelt gebundenen Schwefelatom des O-Alkylmethyldithiocarbonats. Im weiteren Schritt
kommt es zu einer Radikalfragmentierung, wobei ein Alkylradikal entsteht und ein Zwi-
schenprodukt gebildet wird, das zu Kohlenoxidsulfid und Tributylzinnmethylsulfid zerfällt.
420 10 Alkohole

Tributylzinnhydrid reagiert mit dem Alkylradikal, wobei das Alkan als Reaktionsprodukt
gebildet wird. Außerdem entsteht das Tributylzinnradikal, das wieder in den weiteren Cyclus
der Kettenreaktion eintritt.

10.7.9 Die Mitsunobu-Reaktion


In der Mitsunobu-Reaktion wird in Gegenwart von Diethylazodicarboxylat (DEAD) und
Triphenylphosphan in primären und sekundären Alkoholen die Hydroxylgruppe durch ein
Nucleophil ersetzt. In dieser Reaktion reagieren die Alkohole mit Carbonsäuren zu Estern,
mit Phenolen zu Ethern und mit Phthalimid zum N-Alkylphthalimid. Voraussetzung ist, dass
die mit dem Alkohol reagierende Verbindung saure Eigenschaften aufweist, weil im Reakti-
onsverlauf ein Phosphonium-Zwischenprodukt protoniert werden muß. Phenole sind deshalb
als Reaktionspartner des Alkohols zur Bildung eines Ethers geeignet, Alkohole nicht.
10.7 Reaktionen der Alkohole 421

Bei dieser Reaktion ist es besonders wichtig, dass in optisch aktiven sekundären Alkoho-
len die Hydroxygruppe des Alkohols unter Inversion durch das Nucleophil ersetzt wird. Die
Reaktion findet Anwendung in der Naturstoffchemie.

Reaktionsmechanismus
Triphenylphosphan reagiert mit Diethylazodicarboxylat zu einem Zwischenprodukt, das
Alkohol deprotonieren kann, so dass ein Alkoholation gebildet wird.

Das Alkoholation reagiert mit der Hydrazophosphoniumverbindung und durch Zerfall


des Zwischenprodukts entstehen das Alkyltriphenylphosphoxoniumion und das Diethylhyd-
razodicarboxylatanion. Letzteres deprotoniert die Carbonsäure zum Carbonsäureanion

Das Carbonsäureanion greift das Alkyltriphenylphosphoxoniumion in einer SN2-Reaktion


von rückwärts an, so dass Triphenylphosphanoxid entsteht und unter Inversion der Ester
gebildet wird.
422 10 Alkohole

10.8 Alkoholische Getränke


In der Bundesrepublik Deutschland ist gesetzlich festgelegt, daß der Alkohol in alkoholi-
schen Getränken nur durch alkoholische Gärung hergestellt werden darf. Die alkoholische
Gärung ist ein Prozeß, bei dem Zucker unter Einwirkung von Hefe in Ethanol und Kohlen-
dioxid umgesetzt wird (siehe Abschnitt 21.6.7.6).

Hefe
C6H12O6 2 C2H5OH + 2 CO2

Der für den Gärungsprozeß notwendige Zucker kann auch aus stärkehaltigen Produkten
gewonnen werden.

10.8.1 Bier

Bier ist ein schwach alkoholisches Getränk, das aus stärkehaltigen Rohstoffen durch deren
Spaltung in Zucker und nachfolgender alkoholischer Gärung hergestellt wird. Im Jahre 1516
wurde von Wilhelm IV., Herzog von Bayern, das Reinheitsgebot verordnet. Dieses besagt,
daß Bier ausschließlich aus Malz, Hopfen, Hefe und Wasser zu brauen ist. Das Reinheits-
gebot ist die älteste, noch heute in der Bundesrepublik Deutschland gültige Lebensmittel-
verordnung. Zur Bierbereitung wird in der Bundesrepublik ausschließlich Gerstenmalz, bei
obergärigem Bier auch Weizenmalz verwendet.

10.8.1.1 Die Malzbereitung

„Hopfen und Malz, Gott erhalt's“ ist der fromme Spruch der Bierbrauer, denn beide, Hopfen
und Malz, sind wichtige Rohstoffe für die Herstellung des Bieres. Malz wird vorzugsweise
aus zweizeiliger, nickender Sommergerste (Hordeum distichum nutans) hergestellt. Die in der
Gerste enthaltene Stärke ist als solche nicht vergärbar, sie muß zu vergärbarem Zucker ab-
gebaut werden. Dies geschieht mit Hilfe von Enzymen, die bei der Malzbereitung beim Kei-
men des Gerstenkorns gebildet bzw. aktiviert werden. Der Abbau der Stärke erfolgt zum ge-
ringeren Teil schon während der Malzbereitung, hauptsächlich aber später beim Brauprozeß.
Sortierung. Für die Malzbereitung wird die Gerste gereinigt und nach Größen sortiert. Kör-
ner unter 2 mm werden nicht vermälzt. Die Sortierung in Fraktionen ist nötig, weil kleine
Körner schneller Wasser aufnehmen und ankeimen.
Die Weiche. Zum Keimen muß die Gerste einen bestimmten Wassergehalt haben. Darum
wird sie in „Weichstöcke“ gebracht. Dies sind Bottiche mit Wasserzu- und -ableitungen,
einem konischen Auslauf und einer Einrichtung zur Druckbelüftung. Das Weichverfahren
besteht aus mehrmaligem Wechsel zwischen Wasser- und Luftweiche. Das Keimgut wird
bei der Wasserweiche im Wasser belassen. Für die Luftweiche tropft das Wasser ab und
das Keimgut bleibt feucht an der Luft liegen. Vielfach wird anstelle der geschilderten
10.8 Alkoholische Getränke 423

klassischen Luft-Wasser-Weiche die Rieselweiche benutzt, wobei ein über dem Weichbot-
tich rotierender Berieselungsarm das Weichgut aus feinen Düsen bespritzt. Nach 1½–2
Tagen, wenn der Wassergehalt des Gerstenkorns auf 45 % gestiegen ist, wird die Weiche
beendet.
Das Keimen der Gerste erfolgt bei 12–20°C im Keimkasten, der einen gelochten Boden
hat, durch den Luft strömt. Das Keimgut wird mit spiralförmigen Wendern gelockert,
gehoben und gewendet. Der Keimprozeß ist nach 7 bis 8 Tagen beendet, wenn der Wur-
zelkeim die ein- bis zweifache Länge und der Blattkeim 3/4 der Kornlänge erreicht hat.
Das Produkt heißt Grünmalz.
Beim Keimen der Gerste werden drei wichtige Enzymgruppen gebildet: Amylasen
(Amylum = Stärke), die die Stärke zu Dextrinen und bis zur Maltose abbauen können,
Proteinasen, die Eiweiße in lösliche Spaltstücke und teilweise sogar bis zu Aminosäuren
spalten können, und schließlich Phosphatasen, die Phosphate aus Phosphorsäureestern
freisetzen können. Der Eiweißabbau setzt bereits während des Mälzens ein, wobei 45 %
des Gesamteiweißes zu löslichen Spaltstücken abgebaut werden. Der Abbau der Stärke
erfolgt während des Keimens nur geringfügig. Amylasen werden durch Kochen zerstört,
sie vertragen aber trockene Hitze besser und verlieren deshalb beim nachfolgenden Darren
ihre Wirksamkeit nicht.
Das Darren. Das Grünmalz wird in 0,6–1 m Schichtdicke auf einer Horde ausgebreitet.
Die Horde besteht aus einem Drahtgeflecht oder einem Blech mit gelochtem oder ge-
schlitztem Boden. Von unten bläst ein Druckventilator warme Luft durch das aufgeschich-
tete Grünmalz. Dieses wird bei 40°C zunächst auf 8 % Wassergehalt getrocknet, dann
wird die Temperatur der durchströmenden Luft auf 85–95°C, bei Malz für dunkle Biere
sogar auf 105°C erhöht. Aus dem Grünmalz entsteht auf diese Weise das Malz. Die Kei-
me werden in der Entkeimungsmaschine entfernt. Etwa noch anhaftende Wurzelkeime
und abstehende Spelzenteile werden mit Hilfe eines Bürstensystems entfernt („poliert“).
Die Absenkung des Wassergehalts durch den Darrprozeß auf 3–5 % macht das Malz
haltbar. Bei den höheren Temperaturen im Darrprozeß erfolgt durch Reaktion reduzieren-
der Zucker mit niedermolekularem Eiweiß (Maillard-Reaktion) die Bildung von Melanoi-
dinen (Dunkelstoffen), welche das Malzaroma bedingen. Die Maillard-Reaktion erfolgt
übrigens auch bei der Krustenbildung beim Brotbacken.

10.8.1.2 Die Würzebereitung


Das Schroten des Malzes. Beim Schroten werden die Malzkörner bei weitgehender Scho-
nung der Spelzen (sie werden im Läuterprozeß noch gebraucht) zerkleinert. Das Schroten er-
folgt in Schrotmühlen gewöhnlich mit drei Walzenpaaren. Das erste besorgt den Vorbruch.
Auf einem Siebsatz werden Spelzen, Grieße und Mehl getrennt. Die Spelzen bleiben auf dem
obersten Sieb liegen und laufen in das zweite Walzenpaar ein, wo sie von Mehlkörperteilen
befreit werden. Der Grieß wird dem dritten Walzenpaar zugeführt und intensiv gemahlen.
Die Schrotfraktionen werden zusammengefaßt und dem Maischprozeß zugeführt.
424 10 Alkohole

Sortierzylinder Braugerste
Rauch Silo

Futtergerste gekeimte Gerste

Darre
Wasser
Heißluft zur
Weiche Ent-
staubung Brauerei
Ventilator Wasser
Ventil Staub
Luft
Ent-
Luft keimung
Kühler
Heizung Malzkeime
Keimkasten

Wasser Malz

Bild 10.7 Die Malzbereitung

a) Das Maischen
Im Maischprozeß werden Malzbestandteile in Wasser gelöst. Unlösliche Bestandteile werden
durch Enzymwirkung in lösliche Spaltprodukte überführt. Die Malzstärke wird in diesem
Prozeß durch Enzyme (α- und β-Amylase) in vergärbare Zucker gespalten.
Der wichtigste Bestandteil des Malzes ist für den Brauprozeß die Stärke, die ein Makro-
molekül ist, das aus Glucoseeinheiten (α-glycosidisch verknüpft, siehe Abschnitt 21.3.4.1
und 21.8.1.1) aufgebaut ist. Die Stärke setzt sich zusammen aus der Amylose, deren Gluco-
sebausteine eine unverzweigte Kette bilden, und dem Amylopektin, in dem die Glucosebau-
steine auch als Seitenketten angeordnet sind. Die Amylose wird im Wasser kolloidal gelöst,
während das Amylopektin nur gallertartig aufquillt.
Im Verlaufe des Maischprozeßes werden einige Enzyme wirksam. Bei etwa 50°C errei-
chen Proteasen und Phosphatasen das Optimum ihrer Wirksamkeit. Proteasen spalten Eiwei-
ße und verhindern damit die Trübung des Bieres durch Ausflocken von höhermolekularen
Eiweißen. Die Phosphatasen spalten Phosphorester, wodurch die Konzentration an Phospha-
ten in der Würze stark zunimmt. Dies beeinflußt den pH-Wert der Würze und ist für den
später stattfindenden Gärungsprozeß wichtig, da bei der alkoholischen Gärung Phosphorylie-
rungen eine bedeutsame Rolle spielen. Die für den Maischprozeß wichtigsten Enzyme sind
die stärkespaltenden Enzyme, die Amylasen.
10.8 Alkoholische Getränke 425

Dextrin
Maltose CH2OH
O
CH2OH
O
O O
CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH
O O O O O O O O O O O O O O O O O O O O
HO O O O O O O O O O O O O O O O O O O O O

α-Amylase
β-Amylase

Bild 10.8 Die hydrolytische Spaltung des Amylopektins mit α- und β-Amylase

Die α-Amylase, auch Dextrinogen- oder Endo-Amylase genannt, wird erst während des
Keimprozeßes gebildet. Sie spaltet das Stärkemolekül von innen her zu größeren Bruch-
stücken mit 6 bis 7 Glucoseeinheiten, die als Dextrine bezeichnet werden. Der optimale
Wirkungsbereich der α-Amylase liegt bei 70–75°C. Sie wird erst bei über 80°C inaktiviert.
Die β-Amylase, auch saccharogene Amylase genannt, ist bereits im ruhenden Gersten-
korn vorhanden und wird beim Keimen lediglich aktiviert. Sie spaltet das Stärkemolekül
vom Kettenende her, wobei Maltose als Spaltstück entsteht, ein aus zwei Glucoseeinheiten
bestehender vergärbarer Zucker. Die β-Amylase entfaltet ihre optimale Wirkung bei 60–
65°C, sie wird aber schon bei 70°C inaktiviert.
Das Infusionsverfahren (siehe Bild 10.10) wird beim Brauen von Pils- und Exportbieren
angewendet. Der Maischprozeß erfolgt in der Maischpfanne, die einen mit Heizdampf be-
heizbaren Mantel besitzt. Das Einmaischen erfolgt bei 53–59°C . Danach wird aufgeheizt
und bei 60–65°C, einer Temperatur bei der die β-Amylase eine optimale Wirkung entfaltet,
eine Rast eingelegt. Dann wird bis auf eine Temperatur von 70°C weiter aufgeheizt. Bei
dieser Temperatur, bei der die α-Amylase optimal wirksam ist, wird wiederum eine Rast
eingelegt, worauf die Maische noch weiter bis auf 74°C aufgeheizt wird. Nach erfolgtem
Maischprozeß wird die Maische in den Läuterbottich abgepumpt.
Das Verfahren mit Teilmaischen (siehe Bild 10.9). Ideal wäre ein Maischprozeß, bei dem die
Malzstärke zunächst durch die α-Amylase in Dextrine aufgespalten würde, die dann von der
β-Amylase von beiden Kettenenden her zur Maltose abgebaut werden könnten. Das Erwär-
men der gesamten Maische auf 70°C, bei der die α-Amylase die optimale Wirksamkeit ent-
faltet, führt aber zur starken Schädigung der β-Amylase, so daß diese ihre Wirksamkeit ver-
liert. Das Problem läßt sich lösen, indem man mit Teilmaischen arbeitet. Für das Brauen von
Bockbieren, die eine intensivere Verzuckerung der Malzstärke erfordern, wendet man das
aufwendigere, aber für die Verzuckerung wirksamere Verfahren mit Teilmaischen an. Zum
Unterschied zum Infusionsverfahren, bei dem man nur die Maischpfanne einsetzt, wird für
dieses Verfahren ein nicht beheizbarer Maischbottich und die mit Wasserdampf beheizbare
Maischpfanne benutzt. Im Maischbottich erfolgt das Einmaischen bei 50°C. Aus ihm wird
ein Teil der Maische in die Maischpfanne abgezogen. Die abgezogene Teilmaische wird auf
70–75°C erwärmt. Bei dieser Temperatur ist die α-Amylase optimal wirksam, wobei die
Malzstärke in Dextrine gespalten wird. Danach wird die in der Maischpfanne befindliche
Maische zur besseren Extraktion der Dextrine noch gekocht und die Kochmaische zu der im
Maischbottich verbliebenen Maische, die intakte β-Amylase enthält, zurückgeführt. Die
Maische im Maischbottich wird durch Rückführung der heißen Teilmaische auf die für die
Wirksamkeit der β-Amylase optimale Temperatur von 60°C gebracht, so daß die Dextri-
426 10 Alkohole

Malz
Waage Anschwänzwasser

Walzenpaar
Schrotmühle
Siebsätze Läuterbottich
Aufhack- und Spelzen
Austreibermaschine
Dunstkamin Malztreber (Viehfutter)
Wasser
Läutergrant
Maische
Maischbottich

Hopfen
Pumpe
Rücklauf

Würzpfanne

Maischpfanne
Koch-
maische Heizdampf
zur Würze-
Aufbereitung
Rührer

Bild 10.9 Die Würzebereitung mit Teilmaischen

ne zu Maltose gespalten werden können. Das Abziehen einer Teilmaische kann wiederholt
werden. Nach der Anzahl der aus dem Maischbottich in die Maischpfanne gezogenen Teil-
maischen unterscheidet man Ein-, Zwei- und Dreimaischverfahren.

b) Das Läutern
Nach dem Maischprozeß wird die Maische in den Läuterbottich gebracht, in dem ihr flüssi-
ger Anteil (die Würze) vom festen Anteil (dem Treber) getrennt werden. Der Bottich hat
einen geschlitzten Boden, der die Funktion eines Siebs hat. Auf ihn setzt sich der hauptsäch-
lich aus Spelzen bestehende Malztreber ab, der als Filtermaterial wirkt. Soweit sich die Spel-
zen noch nicht genügend abgesetzt haben, ist die Würze trüb (Trübwürze) und wird von oben
wieder in den Läuterbottich zurückgeleitet. Später läuft klare Würze, die Vorderwürze,
durch den Läuterboden ab. Dieser hat mehrere Anstiche, durch die die Vorderwürze in den
Läutergrant gelangt, wo sie vor dem Ableiten in die Würzepfanne gesammelt wird. Nachdem
die gesamte Würze abfiltriert wurde, wird auf die Treberschicht heißes Wasser gespritzt (es
wird „angeschwänzt“), damit keine Würze im Treber verbleibt. Während des Filterns ver-
dichtet sich die Treberschicht und wird undurchlässig. Der Läuterbottich ist deshalb mit
einer Aufhackmaschine ausgerüstet. Sie besteht aus 2 bis 4 Armen, die um eine mittlere
Achse drehbar und mit senkrecht stehenden Messern verbunden sind. Sie hacken und lo-
ckern den Treberkuchen auf. Die Aufhackmesser können um 90° gedreht werden und schie-
10.8 Alkoholische Getränke 427

Malz Hopfen
Waage Würzpfanne Lagertank
Walzenpaar
Siebsätze Schrotmühle

Dunstkamin Heizdampf Kompressor

zur Abfüllung
Wasser Rührer Whirlpool
Maischpfanne
Koch-
maische Heizdampf Plattenkühler CO2
Anschwänz-
wasser Rührer Bierfilter
Aufhack- und
Austreibermaschine Kühl-
flüssigkeit
Läuterbottich
Spelzen Flotationsbecken CO2-
Wäscher
Malztreber
Gärbottich
Läutergrant
Luft
Pumpe
Kühlflüssigkeit

Bild 10.10 Der Brauprozeß (mit Infusionsverfahren)

ben dann den ausgelaugten Treber der Austreberluke zu. Der Treber wird als Viehfutter
verwendet.

c) Das Würzekochen
In der Würzepfanne wird die Würze 1,5 bis 2 Stunden mit Hopfen (150–500 g/100 L) ge-
kocht. Der Hopfen wird heute kaum mehr in Form von ganzen Hopfendolden zugegeben,
sondern entweder zerkleinert und zu Pillen (pellets) gepreßt oder in Form von Hopfen-
extrakt. Die Inhaltsstoffe des Hopfens (Gerbstoffe, Bitterstoffe und Hopfenöle) gelangen
beim Würzekochen in die Würze und die Hopfenbitterstoffe werden isomerisiert. Die Hop-
fenbitterstoffe Humulon, Cohumulon und Adhumulon, bzw. deren Isomerisierungsprodukte
beim Würzekochen, verleihen dem Bier den bitteren Geschmack und tragen zur Haltbarkeit
des Bieres bei. Die Hopfen- und Malzgerbstoffe koagulieren höhermolekulares Eiweiß.
Durch das Kochen wird die Würze sterilisiert, noch intakte Enzyme zerstört und die durch
das Anschwänzen verdünnte Würze wieder auf die erforderliche Konzentration eingeengt.
Der Hopfen (Humulus lupulus L.) ist eine rechtswindende Schlingpflanze, männliche und
weibliche Blüten befinden sich an verschiedenen Pflanzen. Angebaut werden nur weibliche
Pflanzen. Hauptanbaugebiete sind das Saazer Land (Tschech. Republik) und die Hallertau
(Autobahn Nürnberg-München). Die als Hopfendolde (Zapfen wäre richtiger) bezeichnete
etwa 2,5 cm große weibliche Blüte ist zapfenähnlich. Unter den Hopfenblättern befindet sich
das goldgelbe Hopfenmehl, auch Lupulin genannt, das Bitterstoffe, die Öle und einen Teil
der Gerbstoffe enthält. Zu den Hopfenbitterstoffen gehören das Humulon und Lupulon (Das
Lupulon selbst ist nicht bitter und unlöslich, für den Brauprozeß deshalb von geringer Be-
deutung, nur die aus ihm bei der Lagerung durch Luftoxidation entstandenen β-Weichharze
428 10 Alkohole

sind bitter und löslich.). Die Bitterstoffe haben bakteriostatische Eigenschaften, sie wirken
als Sedativum (Beruhigungsmittel) und als Diureticum (harntreibend). Die Hopfenöle sind
geruchsintensiv und mehr oder weniger flüchtig. Ihr Hauptbestandteil ist das cyclische
Sesquiterpen Humulen. Während des Würzekochens verflüchtigt sich ein Großteil der Hop-
fenöle, deshalb wird oftmals nachgehopft, das heißt gegen Ende des Kochens wird nochmals
etwas Hopfen zugegeben.

CH3 OH O
H3C
C CH2 C
H3C CH R2

CH3 O OH CH3
R1 CH2CH C
H3C
CH3
CH3

Humulen Hopfenbitterstoffe
Cohumulen: R = –OH, R2 = –CH(CH3)2
1

Humulon (α-Säure): R1 = –OH, R2 = –CH2CH(CH3)2


Adhumulon: R1 = –OH, R2 = –CH(CH3)(C2H5)
Lupulon (β-Säure): R1 = – CH2CH=C(CH3)2, R2 = –CH2CH(CH3)2

10.8.1.3 Die Nachbereitung der Würze


Das Abtrennen des Hopfentrebers und des Heißtrubs. Erfolgte das Hopfen der Würze mit
ganzen Hopfendolden, muß der Hopfentreber (ausgelaugter Hopfen) mit Hopfenseparatoren
abgetrennt werden. Dies sind schräge Siebe, die den Hopfentreber zurückhalten, die Würze
aber abtropfen lassen. In der Hopfenpresse wird die noch im Hopfentreber enthaltene Würze
ausgepreßt. Die Hopfenseparatoren und die Hopfenpresse entfallen, wenn man den Hopfen
bei der Würzebereitung, wie heute üblich, in Form von Pellets oder Hopfenextrakt zu-
gegeben hat. In der Würze befindet sich der Heißtrub (auch Grobtrub genannt), das sind die
beim Kochen der Würze durch Koagulation ausgeschiedenen Stoffe (hauptsächlich Eiweiße).
Der Heißtrub wird im Wirbelbottich (Whirlpool) abgetrennt. Dies ist ein nach unten zu ko-
nisch verengter Bottich, in den die Würze tangential einfließt. Durch die Rotationsbewegung
setzen sich der Heißtrub und die Rückstände aus den Hopfenpellets in der Mitte ab, und die
Würze wird über Anstiche abgezogen.
Das Würzekühlen und das Abtrennen des Kühltrubs. Die Würze wird in Plattenkühlern zu-
nächst auf 20°C, dann auf die Anstelltemperatur von 5°C abgekühlt. Bei dieser Temperatur
fällt der Kühltrub (bei der niedrigen Temperatur ausgeschiedenes Eiweiß) flockig aus. Er
kann in einem Flotationsbecken abgetrennt werden, das einen fein gelöcherten Boden hat,
durch den Luft hindurchgepreßt wird. Der Kühltrub wird von den nach oben steigenden Luft-
bläschen mitgerissen und bildet eine kompakte Schaumdecke. Beim Abpumpen der Würze
verbleibt sie im Bottich. Infolge des Durchgangs der Luft durch die Würze wird diese mit
Sauerstoff angereichert.
10.8 Alkoholische Getränke 429

10.8.1.4 Die Gärung, Lagerung und Bierabfüllung


Bei der Gärung werden Zucker durch die Enzyme der Hefe zu Alkohol und CO2 umgesetzt
(siehe Abschnitt 10.8 und 21.6.7.6). Die Würze wird mit obergäriger oder untergäriger Hefe
vergoren, je nachdem welche Biersorte gebraut wird. Untergärige Hefen, die gegen Ende der
Gärung zu Boden sinken, werden für Pils und Export, obergärige Hefen, die während der
Gärung nach oben steigen, werden z.B. zum Brauen von Alt, Kölsch, Berliner Weisse und
Malzbier eingesetzt.
Die Hauptgärung erfolgt im Gärbottich nach Zugabe der Brauhefe und dauert 7 bis 10 Ta-
ge. Mit untergäriger Hefe wird bei 5°C zur Gärung angestellt, die Temperatur steigt während
der Gärung auf 7–9°C. Zur Vermeidung eines weiteren Temperaturanstiegs wird die Würze
mit Kühlschlangen gekühlt. Der Gärprozeß mit obergäriger Hefe vollzieht sich bei 14–20°C.
Die Nachgärung, die Lagerung und das Abfüllen des Bieres. Die Nachgärung schließt an
die Hauptgärung an. Die Hefe aus der Hauptgärung wird abgezogen und durch eine kleine
Portion neuer Hefe ersetzt. Bei einer Temperatur von 20°C erfolgt die Nachgärung. Bei der
Nachgärung tritt eine Reifung und eine weitere Anreicherung des Bieres mit CO2 ein. Das Bier
wird anschließend gefiltert und in Drucktanks gepumpt, die sich im Lagerkeller befinden, wo
die weitere Reifung des Bieres erfolgt. Dort wird das Bier bei –2 bis +3°C 3–4 Wochen gela-
gert. Das Abfüllen in Fässer oder Flaschen geschieht so, daß in dem zu füllenden Gefäß vor
dem Füllen der gleiche Druck erzeugt wird, unter dem auch das abzufüllende Bier steht.

10.8.1.5 Biersorten
Nach der Vergärung mit ober- bzw. untergäriger Hefe unterscheidet man ober- und untergä-
rige Biere und nach der Stammwürze Einfach- (2–2,5 % Stammwürze), Schank- (7–8 %),
Voll- (11–14 %) und Starkbiere (über 16 %). Der Alkoholgehalt des Bieres in % beträgt,
grob geschätzt, etwa 1/3 des Stammwürzegehalts. Als Stammwürze werden die in der Bier-
würze (vor der Gärung) befindlichen nicht flüchtigen Anteile bezeichnet (z.B. Dextrine,
Maltose, Eiweiße und Hopfenbitterstoffe).
Pils ist ein untergäriges, stark gehopftes, helles Vollbier (ca. 4,5 % Alkohol). Export ist
ein helles oder dunkles untergäriges Vollbier, relativ schwach gehopft (ca. 5 % Alkohol).
Bockbier ist ein unter- oder obergäriges, helles oder dunkles Starkbier (ca. 6 % Alkohol). Alt
ist ein obergäriges, stark gehopftes dunkles Vollbier. Kölsch ist ein obergäriges, stark ge-
hopftes helles Vollbier. Weizenbier ist ein helles obergäriges Voll- oder Starkbier, CO2-reich,
weist manchmal durch Flaschengärung einen Hefebodensatz bzw. eine Trübung auf. Berliner
Weisse ist ein CO2-reiches obergäriges helles Schankbier mit säuerlichem Geschmack durch
zusätzliche Milchsäuregärung verursacht, es wird oft mit Himbeersaft genossen. Malzbier ist
ein obergäriges dunkles Vollbier, schwach vergoren, es hat daher einen hohen Zuckergehalt
und ist alkoholarm (1,5–2 % Alkohol). Oft wird es noch mit Couleur (durch Erhitzen ge-
bräunter Zucker) angefärbt. Alkoholfreies Bier enthält unter 0,5 % Alkohol. Man kann es
herstellen, indem man die Gärung abbricht, oder durch Fallstromvakuumdestillation, wobei
das Bier als dünner Film an einer Platte herunterrieselt, und der Alkohol im Vakuum auf
Grund seines im Vergleich zu Wasser niedrigeren Siedepunktes abdestilliert wird. Nach der
Destillation wird CO2 unter Druck in das Bier eingeleitet. In einer Apparatur kann man mit
der Fallstromvakuumdestillation etwa 20 hL/h Bier erzeugen. Eine weitere Methode ist die
Umkehrosmose mit semipermeablen Membranen.
430 10 Alkohole

10.8.2 Weine

Nach dem 1969 erlassenen Weingesetz ist Wein das aus dem Saft frischer Weintrauben her-
gestellte Getränk, das durch alkoholische Gärung mindestens 55 g Alkohol im Liter enthält
und dessen Kohlensäuredruck bei 20°C 2,5 bar nicht übersteigt. Weißweine werden aus
hellen Traubensorten z.B. aus Riesling, Silvaner, Müller-Thurgau (benannt nach Professor
Müller aus Thurgau), Traminer und Morio-Muskat hergestellt. Zur Herstellung von Rot-
weinen werden rote bzw. blaue Traubensorten vergoren, z.B. der blaue Spätburgunder (Pinot
noir), Trollinger und Bordeaux-Reben. Weine haben einen Alkoholgehalt von 6–12 %, bei
südländischen Weinen ist der Alkoholgehalt höher z.B. Malaga 10–14 %, Samos 11–15 %
und Sherry 12–19 %.
Die Weinlese. Als Weinlese wird das Ernten der Weintrauben bezeichnet. Diese werden mit
der Traubenschere vom Stock geschnitten, in Plastikwannen gesammelt und mit dem Traktor
zur Kelter gebracht.
Die Kelterung. Unter Kelterung versteht man das Zerquetschen und Auspressen der Wein-
beeren. Das Wort Kelter kommt vom lateinischen calcare = treten, denn im Mittelalter wur-
den die Trauben mit den Füßen zerstampft. Heute erfolgt das Zerquetschen der Trauben in
Traubenmühlen, wodurch die Zellen zerreißen, so daß der Saft leichter austreten kann. Die
erhaltene Maische wird mit Horizontalspindelpressen ausgepreßt. Der abfließende süße
Traubensaft wird als Most, die festen Preßrückstände als Treber oder Trester bezeichnet. Der
Treber wird als Viehfutter verwendet.
Im Unterschied zum Weißwein, bei dem der Treber vor dem Gärprozeß vom Most abge-
trennt wird (um das Lösen von Gerbstoffen aus dem Treber zu verhindern), wird er im Rot-
wein zunächst im Most belassen, damit der rote Farbstoff der Schalen vom im Gärungs-
prozeß entstandenen Alkohol gelöst werden kann. Werden die Schalen der roten Trauben
frühzeitig entfernt, entsteht der Rosé-Wein.
Die Mostbehandlung. Mit Trubschleudern (Zentrifugen) oder mit Hilfe von Kieselgurfiltra-
tion wird der Most entschleimt und zur Haltbarkeitserhöhung geschwefelt. Dies geschieht
entweder mit SO2 oder durch Zugabe von Kaliumpyrosulfit K2S2O5. Zur Entfernung unlieb-
samer Geruchs- und Geschmackstoffe kann der Most gegebenenfalls mit Aktivkohle behan-
delt werden.
Die Weingärung. Die Gärung kann durch die an der Beerenoberfläche haftenden Hefen er-
folgen. Es werden aber zumeist Reinhefen zugegeben, die hohe Alkoholausbeuten sichern,
gegen SO2 unempfindlich sind und den Wein geschmacklich verbessern. Durch Zugabe
relativ großer Ansätze edler Hefen zum Most werden schädliche Pilze und Hefen (z.B. Api-
culatushefen und Kahnpilze) verdrängt. Die Gärtemperatur wird bei Weißwein auf 12–14°C,
bei Rotwein auf 17–25°C gehalten. Die Hauptgärung läuft in 5–8 Tagen ab. Die Nachgärung
erfolgt im Weinkeller in Fässern, wo er bei 9°C einige Wochen bis einige Monate gelagert
wird. Bei der Lagerung entwickeln sich Aromastoffe (als „Bukett“ oder „Blume“ des Weines
bekannt), die Hefe setzt sich und Weinstein wird abgeschieden. Weinstein ist das saure Kali-
salz der L-Weinsäure, das Kalium-(L)-hydrogentartrat (L-Weinsäure siehe Abschnitt 8.7.1
und 15.7.1.6).
10.8 Alkoholische Getränke 431

Güteklassen der Weine


Seit 1971 muß in der Bundesrepublik Deutschland auf jeder Weinflasche die Güteklasse
ausgewiesen sein. Grundsätzlich wird der Wein im Drei-Güteklassen-System eingestuft:
Tafelwein, Qualitätswein und Qualitätswein mit Prädikat.
Tafelwein ist ein leichter Wein, der gesetzlich festgelegte Mindestvoraussetzungen erfüllen
muß.
Qualitätswein hat eine amtliche Prüfnummer, er stammt aus einem bestimmten Anbaugebiet.
An Qualitätsweine mit Prädikat werden höchste Ansprüche gestellt, die Trauben dürfen nur
aus einem eng begrenzten Bereich stammen. Folgende Prädikate werden vergeben:
Kabinett – die Weinlese darf nicht vor der Hauptlesezeit begonnen werden, er
muß ein Ausgangsmostgewicht von 70 Grad Öchsle aufweisen.
Die Öchslegrade beziehen sich auf die Dichte des Mosts und ge-
ben somit auch Aufschluß über seinen Zuckergehalt.
Spätlese – die Trauben müssen voll reif sein, sie werden später als üblich ge-
erntet, oft erst im November.
Auslese – vollreife Trauben werden ausgelesen und gesondert gekeltert.
Beerenauslese – es werden besonders gut gereifte und edelfaule Beeren gekeltert.
Trockenbeerenauslese – nur edelfaule, eingeschrumpfte Beeren werden verwendet.
Eiswein – wird aus gefrorenen Beeren hergestellt.
Im allgemeinen werden Weine mit wenig Restzucker als „trocken“ oder „halbtrocken“, sol-
che mit höherem Zuckergehalt als „lieblich“ bezeichnet.

Obst- und Beerenweine


Aus dem ausgepreßten Saft verschiedener Obstsorten oder Beeren (z.B. Äpfel, Birnen,
Johannisbeeren, Himbeeren, Heidelbeeren) kann man Obst- und Beerenweine mit oder ohne
Zusatz von Reinhefen und Wasser durch Vergärung des Mosts herstellen. Bei Obstweinen ist
die günstigste Gärtemperatur 12–15°C, bei Beerenweinen, die mit Reinzuchthefe vergärt
werden, 15–25°C. Es empfiehlt sich die Zugabe von Kaliumpyrosulfit (0,1 g/L) und für das
Wachstum der Hefe einen kleinen Zusatz von Ammoniumphosphat. Zur Herstellung von
Johannisbeerwein z.B. wird 1 L Saft nach Zugabe von 1,5 L Wasser und 330 g Zucker mit
Portweinhefe vergoren.

Sekt
Sekt (Schaumwein) wird aus Jungwein unter Zugabe von 24–26 g/L Zucker und Reinzucht-
hefe hergestellt. Die Gärung erfolgt bei 15–18°C, die Lagerung bei 8–10°C. Die Gärung
kann mehrere Monate dauern, die Lagerung 3–5 Jahre. Der CO2-Druck steigt auf 4–5 bar.
Nur Sekt aus dem Gebiet der Champagne darf als Champagner bezeichnet werden.
432 10 Alkohole

10.8.3 Alkoholdestillate

Bei der alkoholischen Gärung erhält man Getränke mit höchstens 20 % Alkoholgehalt. Will
man höher konzentrierte alkoholische Getränke herstellen, muß man die durch Vergärung
erhaltenen alkoholhaltigen Flüssigkeiten noch destillieren. Der Vorlauf (etwa 10 % des Des-
tillats) enthält Methanol und wird verworfen. Die höhersiedenden Fuselöle werden zum
Destillationsende als Nachlauf abgetrennt.
Weinbrand wird durch Destillation von Wein in mit Dampf beheizten Blasenapparaturen
gewonnen. Billigere Weinbrandsorten werden 1–5 Jahre, Spitzenweinbrand wird 20 und
mehr Jahre in Eichenfässern gelagert. Aus dem Eichenholz der Fässer werden Stoffe ausge-
laugt, die zum Geschmack des Weinbrands beitragen (z.B. Flavanole, Gerbsäure, Vanillin).
Das Eichenholz gewährt außerdem eine Transparenz für Luft, so daß auch Oxidationsproze-
ße bei der Lagerung stattfinden können. Nach der Lagerung wird der Weinbrand mit Wasser
auf Trinkstärke verdünnt. Weinbrand muß mindestens 38 Vol% Alkohol haben. Nur Wein-
brand aus der Region Cognac darf die Bezeichnung Cognac führen.
Whisky ist ein Kornbranntwein aus Gerstenmalz und/oder ungemälztem Getreide. Guter
Whisky soll mehrere Jahre in alten Eichenfässern lagern.
Wodka ist ein Kornbranntwein, billige Sorten sind Kartoffelbranntweine.
Gin, Genever, Steinhäger sind Branntweine, die durch Destillation von vergorenem Malz
und Roggen unter Zusatz von Wacholderbeeren (zur Aromatisierung) hergestellt wurden.
Calvados ist ein Apfelbranntwein.
Sliwowitz ein Zwetschenbranntwein.
Als Obstler werden in Österreich Obstbranntweine bezeichnet.
Rum ist das Destillat aus vergorener Zuckerrohrmelasse, vergorenem Zuckerrohrsirup oder
vergorenem Zuckerrohrsaft.
Liköre sind stark zuckerhaltige alkoholische Getränke mit 20–60 % Alkoholgehalt, die
Fruchtsäfte, Gewürzeextrakte, Kräuterauszüge, Essenzen oder andere Aromastoffe enthalten.
Zu den Likören zählen z.B. Früchte-, Beeren- und Kräuterliköre, Kaffee-, Schokoladen- und
Eierlikör.
Übungsaufgaben 433

Übungsaufgaben

? 10.1
Schreiben Sie die Strukturformeln folgender Verbindungen auf:
a) Isopropylalkohol b) sek.-Butanol c) tert.-Butanol d) Neopentylalkohol
e) Benzylalkohol f) Allylalkohol g) Ethylenglykol h) Glycerin

? 10.2
Welcher von diesen Alkoholen ist ein primärer, ein sekundärer oder ein tertiärer Alkohol?
CH2OH CH3

CH3CHCH3 H 3C C CH3

OH OH

a) b) c)

? 10.3
Geben Sie die Wertigkeit folgender Alkohole an:
a) Ethylalkohol b) Ethylenglykol c) Glycerin

? 10.4
Vervollständigen Sie die Reaktionsgleichung und benennen Sie das Produkt.
H , 60°C
CH3CH2OH + CH3CH2COOH

? 10.5
(2S)-2-Brom-2-phenylbutan wird in einer SN1-Reaktion mit verdünnter Natronlauge umge-
setzt. Schreiben Sie die Reaktionsgleichung auf und zeichnen Sie die chemischen Formeln in
der stereochemisch richtigen Form. Welche Konkurrenzreaktion zur SN1-Reaktion kann man
erwarten?
? 10.6
Ethanol wird mit Schwefelsäure a) bei 0°C, b) bei 130°C und c) bei 180°C umgesetzt.
Schreiben Sie die Reaktionsmechanismen bei jeder der drei chemischen Reaktionen auf.
? 10.7
Wie reagiert Natrium mit einem Alkohol?

? 10.8
Welche Produkte erhält man bei der Oxidation a) eines primären und b) eines sekundären
Alkohols in saurer Lösung mit Kaliumdichromat?

? 10.9
Peroxybenzoesäure reagiert mit Cyclopenten und das Reaktionsgemisch wird danach unter
Erwärmen mit einigen Tropfen Mineralsäure versetzt und erwärmt. Schreiben Sie die Reak-
tionsgleichungen dieser Reaktionen auf und benennen Sie die Endprodukte.
434 10 Alkohole

Lösungen

! 10.1
Nachfolgend die Strukturformeln und Namen der gefragten Alkohole:

CH3

CH3CHCH3 CH3CH2CHCH3 H 3C C CH3

OH OH OH

a) Isopropylalkohol b) sek.-Butanol c) tert.-Butanol

CH3
CH2OH
H 3C C CH3
CH2OH
CH2OH H 2C C
H

d) Neopentylalkohol e) Benzylalkohol f) Allylalkohol

H
H 2C CH2 H 2C C CH2

OH OH OH OH OH

g) Ethylenglykol h) Glycerin

! 10.2
Im primären Alkohol bindet das C-Atom, das die Hydroxygruppe trägt einen einzigen Alkyl-
rest, im sekundären Alkohol sind es zwei und im tertiären Alkohol drei Alkylreste. Anstelle
der Alkyl- können es auch Arylreste sein.

CH2OH CH3

CH3CHCH3 H 3C C CH3

OH OH

a) sekundärer Alkohol b) primärer Alkohol c) tertiärer Alkohol

! 10.3
Die Wertigkeit der Alkohole wird durch die Anzahl der Hydroxygruppen bestimmt.

H
H 2C CH2 H 2C C CH2

CH3CH2OH OH OH OH OH OH

a) einwertiger Alkohol b) zweiwertiger Alkohol c) dreiwertiger Alkohol


Lösungen 435

! 10.4
Es handelt sich bei der säurekatalysierten Reaktion des Alkohols mit der Carbonsäure um
eine Veresterung. Ethanol reagiert mit der Propionsäure bei saurer Katalyse zum Ethylpropi-
onat (Ethylpropanat):

H , 60°C
CH3CH2OH + CH3CH2COOH CH3CH2COOCH2CH3 + H2O

Den Reaktionsmechanismus der säurekatalysierten Veresterung finden sie in Kapitel 15.4.2.1

! 10.5
Bei der Reaktion des (2S)-2-Brom-2-Phenylbutan mit verdünnter Natronlauge nach dem
SN1-Reaktionsmechanismus entstehen zwei enantiomere Alkohole, das Produkt bildet ein
Racemat:

Br OH CH2CH3

CH3 CH3 CH3


CH2CH3 CH2CH3 OH
2
+ 2 NaOH + 2 NaBr

(2S)-2-Phenylbutanol-2 (2R)-2-Phenylbutanol-2

Die SN1-Reaktion steht außerdem mit der E1-Reaktion in Konkurrenz, so dass noch das
entsprechende Eliminierungsprodukt, das 2-Phenylbuten-2, als Nebenprodukt erwartet wer-
den kann, bei höherer Reaktionstemperatur kann es sogar das Hauptprodukt bilden.

! 10.6
a) Die Reaktion des Ethanols mit Schwefelsäure bei 0°C erfolgt nach einem SN2-Mecha-
nismus. Der Alkohol wird zunächst protoniert, worauf das Hydrogensulfation als Nucle-
ophil über einen Übergangszustand die Hydroxoniumgruppe ersetzt, das Reaktionspro-
dukt ist das Ethylhydrogensulfat:

H H
CH3 H H CH3 H
CH3 O SO3H
δ+ δ+
H O C H O C H O C O SO3H
H H
H H H
H
H SO3H
– H 2O
O SO3H O +H

H3CH2C CH2CH3
436 10 Alkohole

b) Die Reaktion des Ethanols mit Schwefelsäure bei 130°C erfolgt ebenfalls nach einem
SN2-Mechanismus, nur dass bei dieser Reaktion ein nicht protoniertes Alkoholmolekül
als Nucleophil die Hydroxoniumgruppe ersetzt, das Reaktionsprodukt ist der Diethyl-
ether:

H H
H H CH3 H
CH3 CH3
O CH2CH3
H O C H O C δ+ δ+
H O C O CH2CH3
H H
H H H H

H
H 3C O
– H2O H3CH2C CH2CH3
C O CH2CH3 + H
H
H

c) Die Reaktion des Ethanols bei 180°C erfolgt nach dem E2-Mechanismus, die Reaktions-
produkte sind Ethen, Schwefelsäure und Wasser:

H H + H2O
O H O H
H H H
H
C C C C C C
H O-SO3H H H O-SO3H H H
H H H
H H
+ H2SO4

! 10.7
Natrium reagiert mit Alkohol unter Freisetzung von Wasserstoff zum entsprechenden Alko-
holat:

2 RCH2 OH + 2 Na 2 RCH2 O Na + H2

! 10.8
Bei der Oxidation von primären Alkoholen mit Kaliumdichromat in saurer wässriger Lösung
ist das Endprodukt die entsprechende Carbonsäure, bei der Oxidation von sekundären Alko-
holen entsteht ein Keton und Tertiäre Alkohole sind bei milden Reaktionsbedingungen gegen
Oxidationen weitgehend beständig.
Lösungen 437

! 10.9
Cyclopenten reagiert mit Perbenzoesäure unter Epoxidbildung:

O O
C C
OH
+ O OH + OH

Im sauren Medium erfolgt eine Aufspaltung des Epoxids unter Bildung der entsprechenden
trans-Glygole. Die Endprodukte sind das (1R), (2R)-Cyclopentandiol und das (1S), (2S)-
Cyclopentandiol. Diese Verbindungen stehen zueinander in enantiomerem Verhältnis.

OH
H
H / H 2O H OH
2
O +
H OH
OH H
(1R,2R)-Cyclo- (1S,2S)-Cyclo-
pentan-1,2-diol pentan-1,2-diol
11 Phenole

Als Phenole bezeichnet man aromatische Hydroxyverbindungen, deren OH-Gruppen direkt


an einen Kohlenstoff des aromatischen Ringes gebunden sind. Je nach Anzahl dieser an den
aromatischen Ring gebundenen Hydroxygruppen unterscheidet man ein-, zwei- und dreiwer-
tige Phenole.

11.1 Nomenklatur der Phenole


Die Bezeichnung Phenol wird sowohl für das Hydroxybenzol, als auch als Sammelnamen für
Verbindungen gebraucht, die eine Hydroxygruppe an den aromatischen Ring gebunden ha-
ben. Das Phenol selbst bildet die Stammsubstanz, von der die Namen verschiedener phenoli-
scher Verbindungen abgeleitet werden:

OH OH OH OH

Cl NO2

N(CH3)2 NO2
Phenol o-Chlorphenol p-Dimethylaminophenol 2,4-Dinitrophenol

Bei phenolischen Säure- und Carbonylverbindungen wird die OH-Gruppe mit dem Präfix
Hydroxy- bezeichnet.

HO O H O
C C SO3H

OH HO OH

OH
m-Hydroxybenzoesäure p-Hydroxybenzaldehyd 3,5-Dihydroxybenzolsulfonsäure

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 438


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
11.1 Nomenklatur der Phenole 439

Es gibt viele phenolische Verbindungen mit Trivialnamen.


Einwertige Phenole:
OH OH OH OH

CH3 COOH

CH3

CH3

o-Kresol m-Kresol p-Kresol Salicylsäure

OH OH

O2N NO2 OH

NO2

Pikrinsäure α-Naphthol β-Naphthol


Zweiwertige Phenole:
OH OH OH

OH

OH

OH
Brenzcatechin Resorcin Hydrochinon
Dreiwertige Phenole:
OH OH OH OH

OH HO OH

OH HO OH OH

OH COOH
Pyrogallol Phloroglucin Hydroxyhydrochinon Gallussäure
440 11 Phenole

11.2 Eigenschaften der Phenole


Phenole sind kristalline Verbindungen mit charakteristischem Geruch. Sie können Wasser-
stoffbrücken ausbilden und haben deshalb im Vergleich mit anderen Aromaten relativ hohe
Schmelz- und Siedetemperaturen (für Phenol Schmelztemp. 43°C und Siedetemp. 182°C).
Die Wasserstoffbrückenbildung erklärt auch die Löslichkeit des Phenols in Wasser (bei Zim-
mertemperatur lösen sich 6,7 g Phenol in 100 mL Wasser). Die anderen Phenole sind aber in
Wasser weit weniger löslich. Enthält ein Phenol in ortho-Stellung zur Hydroxygruppe eine
OH-, NO2- oder Formylgruppe, können infolge der günstigen räumlichen Anordnung beider
Gruppen intramolekulare Wasserstoffbrücken entstehen, es werden Chelate gebildet. Von
Chelaten (griech. chele = Krebsschere) spricht man, wenn bei einer Verbindung mit einer
N–H- oder O–H-Bindung mit Hilfe einer intramolekularen Wasserstoffbrücke oder bei
einem Metallkation durch eine Komplexbindung (Wechselwirkung zwischen freiem Elektro-
nenpaar eines Atoms und dem Metallkation) ein Ring gebildet wird, in dem das Wasserstoff-
atom mit der positiven Teilladung oder das Metallkation sozusagen „in die Zange genommen
werden“.

δ-
O
H δ+

O
C

H Chelat des o-Hydroxybenzaldehyds


Orthosubstituierte Phenole, die solche Chelate bilden können, sind flüchtiger als die ent-
sprechenden meta- und para-Derivate. Man erklärt dies damit, daß diese Phenole infolge der
intramolekularen Wasserstoffbrückenbildung keine Assoziate mit Hilfe von intermolekula-
ren Wasserstoffbrücken bilden. Phenole selbst sind farblos, sie werden aber leicht oxidiert
und sind durch Spuren von Oxidationsprodukten gefärbt. Zum Beispiel färbt sich Phenol an
der Luft rosa. Phenol und Kresole haben eine bakterizide Wirkung und können als Desinfek-
tionsmittel eingesetzt werden, was jedoch dadurch beschränkt wird, daß Phenol ätzend auf
Haut und Schleimhäute wirkt. Früher wurde Phenol unter der noch von Runge stammenden
Bezeichnung „Carbolsäure“ in Krankenhäusern als Desinfektionsmittel verwendet. Phenol
ist giftig. Nach Einnahme von kleinen Mengen Phenol treten Krämpfe auf, es kommt zu
Temperatursturz und Bewußtlosigkeit, und es kann eine Nierenentzündung eintreten. Auch
das Einatmen von Phenoldämpfen kann schon Vergiftungserscheinungen zur Folge haben
(Ohrensausen, Schwindel, Erbrechen, Schlaflosigkeit).

11.3 Verwendung
Phenol ist ein wichtiges technisches Ausgangsprodukt. Die größten Mengen Phenol werden
zur Herstellung von Phenolharzen und für die Erzeugung von ε-Caprolactam gebraucht.
ε-Caprolactam bildet den Ausgangsstoff zur Herstellung hochmolekularer Polyamidfasern
11.4 Verfahren zur Phenolherstellung 441

(siehe Abschnitt 17.4.3.6). Phenol dient außerdem als Ausgangsstoff zur Herstellung von
Farbstoffen. Hydrochinon und Brenzcatechin werden in der Photographie zum Entwickeln
von Filmen verwendet.
α
β CH2
H2C O
γ C
H2C
δ N
H2C ε H
CH2 ε-Caprolactam

11.4 Verfahren zur Phenolherstellung


Bei der technischen Synthese des Phenols geht man in jedem Fall vom Benzol aus.

a) Phenol-Synthese über das Chlorbenzol. Im Raschig-Hooker-Verfahren wird Benzol


durch Oxychlorierung in Chlorbenzol umgewandelt (siehe Abschnitt 6.6.1.3),
Cl
1
240 °C, CuCl2/FeCl3
2 + 2 HCl + /2 O2 2 + H2O

welches bei 425°C mit überhitzten Wasserdampf am SiO2-Kontakt zu Phenol hydroly-


siert wird.
Cl OH
425 °C, SiO2
+ H2O (Dampf) + HCl

Chlorbenzol kann auch mit Hilfe des Dow-Verfahrens zu Phenol umgesetzt werden (sie-
he Abschnitt 6.6.4).

b) Phenolsynthese über die Benzolsulfonsäure. Die Sulfonierung des Benzols erfolgt mit
konz. Schwefelsäure oder Oleum bei 110–130°C. Das Reaktionsgemisch wird mit
NaOH neutralisiert.
SO3H SO3Na
110-130 °C NaOH
+ H2SO4 + H2O
- H2O

Benzolsulfonsäure Natriumbenzolsulfonat

Die Alkalischmelze des Natriumbenzolsulfonats (des Natriumsalzes der Benzolsulfon-


säure) mit NaOH bei 320–340°C führt zum Natriumphenolat. Das Phenol wird aus dem
Reaktionsgemisch mit SO2 freigesetzt.
442 11 Phenole

SO3Na ONa
Δ
+ 2 NaOH + Na2SO3 + H2O

Natriumbenzolsulfonat Natriumphenolat
ONa OH

+ H2O + SO2 + NaHSO3

Phenol
c) Das Hock-Verfahren. Nach diesem Verfahren wird Cumolhydroperoxid zu Phenol und
Aceton umgesetzt. Etwa 90 % des gesamten Synthese-Phenols wird nach dem Hock-Ver-
fahren gewonnen. Man geht bei der Synthese vom Benzol aus, das nach Friedel-Crafts (siehe
Abschnitt 13.3.1.3) mit dem aus dem Crackprozeß aus Erdölfraktionen stammenden Propen
alkyliert wird. Im UOP-Verfahren (Pacol-Olex-Prozeß) wird Benzol in der Gasphase mit
Bortrifluorid BF3 als Lewis-Säure und Promotor (Aktivator und Beschleuniger) und einem
Phosphorsäure/Siliziumdioxid-Komplex als protonenliefern-den Katalysator mit Propen
umgesetzt. Neuerdings wird Zeolith (Alkali- bzw. Erdalkali-Aluminiumsilikate mit Hohl-
räumen im Kristallgitter) als Katalysator eingesetzt. Es wird Cumol gebildet, das mit Sauer-
stoff und Mn- oder Cu-Salzen als Katalysator bei 120°C zum Cumolhydroperoxid oxidiert
wird (über den Reaktionsmechanismus siehe Abschnitt 2.9.3.1)
O H
H O
H3C CH3 H3C CH3
C C

BF3 O2
+ CH3 CH CH2

Cumol Cumolhydroperoxid
Die protonenkatalysierte Hock-Spaltung des Cumolhydroperoxids erfolgt mit 2 %iger
Schwefelsäure bei 60 °C oder mit 40 %iger Schwefelsäure bei 50 °C. Cumolhydroperoxid
wird in dem sauren Medium protoniert. Das protonierte Peroxid spaltet Wasser ab, und es
entsteht eine Verbindung mit einem Elektronensextett am Sauerstoff. Es erfolgt eine Um-
lagerung, wobei sich die Phenylgruppe unter Mitnahme beider Bindungselektronen löst
und an den Sauerstoff bindet. Nach der anionoiden Umlagerung liegt ein Carbeniumion
vor, an das Wasser angelagert wird. Nach Deprotonierung der Gruppe H2O+– liegt ein
Halbacetal vor (siehe Abschnitt 13.4.2.2). Dieses wird im sauren Medium zu Aceton und
Phenol gespalten.
11.5 Reaktionen der Phenole 443

CH3 H CH3 H CH3 CH3

H3C C O O H H3C C O O H H3C C O H3C C O

- H2O

Cumolhydroperoxid Oxoniumion mit Carbeniumion


Elektronensextett

CH3 CH3 CH3 + H CH3

H3C C O H3C C O H3C C O H3C C O H

H H O O O
O
H H H
H

H H
O O
CH3 CH3

H3C C + H3C C +
-H
O O

H
Aceton Phenol

Das Hock-Verfahren hat den großen Vorteil, daß neben dem Phenol noch Aceton entsteht,
das ebenfalls ein sehr nützliches Produkt ist (ausgezeichnetes Lösungsmittel, Ausgangs-
verbindung für Synthesen).

11.5 Reaktionen der Phenole


Phenole können ebenso wie Alkohole Ester bilden. Phenole sind stärker sauer als Alkohole,
Phenolate sind auch in Wasser beständig. Phenole können elektrophil substituiert werden,
wobei die Hydroxygruppe in die o- und p-Stellung dirigiert. Sie können auch leicht oxidiert
werden.
444 11 Phenole

11.5.1 Nachweis, Esterbildung und Acidität der Phenole


11.5.1.1 Nachweisreaktion mit FeCl3
Phenole reagieren, ebenso wie Enole, mit FeCl3 unter Bildung farbiger Komplexe. Auf diese
Weise können Enole und Phenole von Alkoholen unterschieden werden, denn Alkohole
bilden mit FeCl3 keine Komplexe.

11.5.1.2 Veresterung der Phenole


Phenole reagieren mit Säureanhydriden oder Säurechloriden unter Esterbildung (siehe Ab-
schnitt 17.3.3.2).
δ-
H O H O

O δ+C X O C X
-H
R R

O
O
O C X O C + X
R R

Phenolester X = Cl oder O C R

Bei Erhitzen der Phenolester mit AlCl3 oder anderen Lewis-Säuren (BF3, ZnCl2) in
trockenem Nitrobenzol erfolgt die Fries-Reaktion. Der Ester wird durch Komplexierung mit
der Lewis-Säure gespalten, es erfolgt ein elektrophiler Angriff des Acyl-Kations am aromati-
schen Ring in der o- bzw. p-Stellung, und man erhält die entsprechende Alkanoylphenole.

AlCl3 AlCl3 AlCl3 AlCl3


AlCl3
O C R O O O O

O + C R

AlCl3 AlCl3 AlCl3


AlCl3
O O H O O H

H und auch H
C R C R R C R C

O O O O

o-Acylphenol p-Acylphenol
11.5 Reaktionen der Phenole 445

11.5.1.3 Die Acidität der Phenole


Phenole sind stärker sauer als Alkohole. Während Alkohole nur mit unedlen Metallen (Alka-
limetalle und Mg) Alkoholate bilden, entstehen Phenolate auch durch Einwirkung von Alka-
lilauge auf Phenole.

O H O Na
+ NaOH + H2O

Phenole sind im Gegensatz zu den Alkoholen stärker sauer als Wasser. Deshalb sind Phe-
nolate in Wasser beständig, während Alkoholate mit Wasser zu Alkoholen und Basen um-
gesetzt werden. Stärkere Säuren verdrängen schwächere Säuren aus ihren Salzen. Phenole
sind schwächer sauer als Carbonsäuren und Kohlensäure. Durch Zugabe von Carbonsäuren
oder Einleiten von CO2 werden deshalb die Phenole aus den Phenolaten freigesetzt.
Die Mesomerieenergie des Phenols ist etwas größer als die des Benzols, weil im Phenol
zusätzlich ein freies Elektronenpaar des Sauerstoffes an der Mesomerie beteiligt ist:

OH OH OH OH OH

Das Phenolat-Anion ist noch stärker mesomeriestabilisert als das Phenol, denn in den
mesomeren Grenzformeln dieses Anions ist keine Ladungstrennung erforderlich:

O O O O O

Die Acidität des Phenols ist damit zu erklären, daß das Phenolat-Anion stärker mesome-
riestabilisiert ist als das Phenol selbst. Die für die Dissoziation des Phenols aufzubringende
Dissoziationsenergie ist deshalb entsprechend niedrig.

11.5.2 Elektrophile Substitutionen am Phenol

Die OH-Gruppe des Phenols hat einen +M-Effekt und erhöht darum die Elektronendichte im
aromatischen Kern. Damit wirkt sie aktivierend auf SE-Reaktionen (siehe Abschnitt 6.6.2.1 über
den aktivierenden und desaktivierenden Einfluß von Substituenten am Benzol). Bei der Halo-
446 11 Phenole

genierung ist deshalb keine Lewis-Säure notwendig. Die OH-Gruppe dirigiert in die p-und o-
Stellungen (siehe Abschnitt 6.6.2.2 über die dirigierende Wirkung des Erstsubstituenten).

11.5.2.1 Die Halogenierung


Bei niedriger Temperatur (0–5°C) in wenig polaren Lösungsmitteln (CHCl3, CCl4 und CS2)
kann die SE-Reaktion mit Chlor und Brom auf eine Monohalogenierung begrenzt werden.
Bei der Chlorierung entsteht das o- und p-Chlorphenol, die Bromierung führt hauptsächlich
zum p-Bromphenol. Bei höherer Temperatur und ausreichender Menge des Chlors entsteht
mit oder ohne Lösungsmittel das 2,4,6-Trichlorphenol. Die Bromierung ergibt unter diesen
Reaktionsbedingungen das 2,4,6-Tribromphenol. Mit Bromwasser reagiert das Phenol zu-
nächst ebenfalls zum 2,4,6-Tribromphenol, darauf folgt jedoch eine oxidative Bromierung,
wobei das 2,4,4,6-Tetrabromcyclohexa-2,5-dien-1-on entsteht. Dieser Teilschritt der Reak-
tion ist verständlich, wenn man bedenkt, daß Halogene auch als Oxidationsmittel eingesetzt
werden können und die Phenole relativ leicht zu oxidieren sind. Dieses Endprodukt der
Bromierung kann mit Natriumhydrogensulfit als Reduktionsmittel zum 2,4,6-Tribromphenol
reduziert werden.
OH OH O OH

Br Br Br Br NaHSO3 Br Br
Br2 H2O
+ 3 Br2
- 3 HBr - HBr - NaBr
- H2SO4

Br Br Br Br
Phenol 2,4,6-Tribromphenol 2,4,4,6-Tetrabrom- 2,4,6-Tribrom-
cyclohexa-2,5-dien-1-on phenol

11.5.2.2 Die Sulfonierung


Bei Zimmertemperatur wird Phenol mit konz. Schwefelsäure hauptsächlich zu o-Phenolsul-
fonsäure umgesetzt (siehe Abschnitt 6.6.1.2). Erhöht man die Reaktionstemperatur auf
100°C, so steigt die Ausbeute an p-Phenolsulfonsäure. Nach längerer Reaktionsdauer führt
die Sulfonierung bei 100°C zur Phenol-2,4-disulfonsäure.

11.5.2.3 Die Nitrierung


Mit verdünnter Salpetersäure reagiert Phenol bei Zimmertemperatur zu o-und p-Nitrophenol.

OH OH OH

NO2

+ HO NO2 und
- H2O

NO2
Phenol o-Nitrophenol p-Nitrophenol
11.5 Reaktionen der Phenole 447

Das o-Nitrophenol bildet mit Hilfe einer intramolekularen Wasserstoffbrücke einen Che-
latring und ist deshalb flüchtiger als das p-Nitrophenol, das über eine intermolekulare Was-
serstoffbrücke mit anderen Molekülen Assoziate bildet (siehe Abschnitt 11.2). o-Nitrophenol
läßt sich deshalb vom p-Nitrophenol mit Hilfe der Wasserdampfdestillation leicht trennen.

H
O O

N
O

Chelatring des o-Nitrophenols

Die Salpetersäure ist ein starkes Oxidationsmittel. Es ist deshalb verständlich, daß bei
den Reaktionsbedingungen einer energischen Nitrierung mit konzentrierter Salpetersäure vor
allem eine Oxidation des Phenols erfolgt. Bei der Gewinnung der Pikrinsäure aus Phenol
verfährt man deshalb so, daß man zunächst das Phenol mit konz. Schwefelsäure in die Phe-
nol-2,4-disulfonsäure umwandelt, in welcher dann mit Salpetersäure die SO3H-Gruppen
durch Nitrogruppen ersetzt werden, worauf das 2,4-Dinitrophenol mit der Salpetersäure
weiter zur Pikrinsäure nitriert wird (siehe Abschnitt 6.6.1.2).
OH OH OH

SO3H O2N NO2


konz. H2SO4 konz. HNO3 / H2SO4
100 °C 24 h 0 °C, 1 h 30-45 °C

SO3H NO2
Phenol-2,4-disulfonsäure Pikrinsäure

11.5.2.4 Die Nitrosierung


Die Nitrosierung des Phenols erfolgt mit Natriumnitrit NaNO2 in verdünnter Salzsäure oder
verdünnter Schwefelsäure. Aus dem Natriumnitrit NaNO2 wird die schwächere salpetrige
Säure HNO2 durch die stärkere Mineralsäure freigesetzt. HNO2 ist unbeständig und zerfällt
im sauren Medium nach Protonierung in Wasser und das Nitrosyl-Kation +N=O.

NaNO2 + HCl NaCl + HNO2

H O N O H O N O H2O + N O

H H

Das Nitrosyl-Kation greift das Phenol vor allem in der p-Stellung, aber auch in der
o-Stellung an. Das Verhältnis para zu ortho ist etwa 15 : 1.
448 11 Phenole

H H H H
O O O O

+ N O + H

H N O
N
O

11.5.2.5 Die Carboxylierung des Phenolations (Kolbe-Synthese)


Natriumphenolat reagiert mit Kohlenstoffdioxid bei 125°C und einem Überdruck von 5–10
bar zum Natriumsalicylat. Nach Ansäuern des Reaktionsgemisches erhält man die Salicyl-
säure. Die Reaktion wird als Kolbe-Synthese bezeichnet.

O Na O Na O
Na
O δ- H

+ C δ+ C O

O δ- O

H H
Na
O O
O OH
C C
O H2SO4 O
- NaHSO4

Natriumsalicylat Salicylsäure
Die Acetylsalicylsäure (Aspirin) wird in der Medizin als fiebersenkendes Mittel und ge-
gen Kopfschmerzen verwendet.

O OH
C

O CH3
C

O
Aspirin

11.5.2.6 Phenol-Formaldehyd-Harze
In verdünntem alkalischem Medium reagiert das Phenolation mit Formaldehyd zu Phenol-
Formaldehyd-Harzen. In der ersten Stufe der Reaktion erfolgt eine elektrophile Substitution
11.5 Reaktionen der Phenole 449

des Formaldehyds in die o- bzw. p-Stellung des Phenolations. Aus dem Zwischenprodukt
wird in der Seitenkette die Hydroxygruppe abgespalten und das o-Chinomethan gebildet.

O O O
δ-
O H

+ C δ+ C O
H H H H

H
O O
O H
C C
H H
H + O H

o-Chinomethan

Das o-Chinomethan kann mit einem Phenolation weiterreagieren.

O O O O
H H
C C
H H

O H O O H O
H
C C

H H
-H

weitere Substitution in o- und p- Stellung

Das Zwischenprodukt reagiert weiter, wobei es in den o- und p-Stellungen mit weiteren
Phenolationen über CH2-Brücken verknüpft wird. Es entsteht ein räumliches Polymer, das
Phenol-Formaldehyd-Harz. Dieses wird für die Sperrholzfabrikation, für Laminate und Phe-
nolgießharzmischungen verwendet.
Auf der Basis von Phenolharzen entwickelte Leo Hendrik Baekeland 1905 den nach ihm
benannten Phenoplast-Werkstoff Bakelit, den ersten industriell produzierten Kunststoff.
Bakelit ist ein Duroplast, das heißt, es ist nicht durch Erhitzen verformbar.
450 11 Phenole

11.5.3 Die Oxidation von Phenolen


Phenole können oxidiert werden. Besonders leicht lassen sich Hydrochinon und Brenzkate-
chin oxidieren, wobei p-Benzochinon, oft auch nur als p-Chinon bezeichnet, und o-Benzo-
chinon (auch als o-Chinon bezeichnet) entstehen.

H H
O O O O
Na2Cr2O7 O H Ag2O, Na2SO4 O
H2SO4, 30 °C wasserfreier Ether

O O
H
Hydrochinon p-Benzochinon Brenzkatechin o-Benzochinon

Dem p-Benzochinon entspricht eine p-chinoide und dem o-Benzochinon eine o-chinoide
Struktur. Von einer solchen spricht man auch dann, wenn anstelle des doppelt gebundenen
Sauerstoffes eine =NH-Gruppe oder eine =CH2-Gruppe vorliegen.

p-chinoide Struktur o-chinoide Struktur

Pyrogallol reagiert in wäßriger Lösung sehr schnell mit dem Sauerstoff der Luft, wobei
dunkle Reaktionsprodukte entstehen.

11.5.3.1 Der photographische Prozeß


In der Schwarz-Weiß-Photographie befindet sich in der auf dem Film aufgezogenen feinen
Gelatineschicht Silberbromid Ag+Br–. Beim Photographieren treffen Lichtquanten auf die
Bromidionen Br– und spalten ein Elektron ab. Das Elektron wandert, bis es zu einem Em-
pfindlichkeitskeim gelangt, der es aufnimmt und negativ geladen wird. Fehlordnungen im
Kristall ermöglichen eine Bewegung der Ag+-Ionen im Kristall. Trifft ein Ag+-Ion auf einen
negativ geladenen Empfindlichkeitskeim, nimmt es ein Elektron auf und wird damit zu me-
tallischem Silber reduziert. Die Silberatome bilden Latentbildkeime für die photographische
Entwicklung des Bildes. Die photographische Entwicklung des Bildes wird durchgeführt, um
11.5 Reaktionen der Phenole 451

das Bild sichtbar zu machen. Für die Filmentwicklung werden leichtoxidierbare organische
Substanzen verwendet, welche Ag+ zu Ag reduzieren. Dies geschieht bevorzugt in unmittel-
barer Nähe der Latentbildkeime, so daß an diesen Stellen das Bild durch das reduzierte Sil-
ber geschwärzt wird. Als Entwickler kann man Hydrochinonlösung in alkalischem Medium
benutzen. Das Hydrochinon hat schwach saure Eigenschaften und reagiert demgemäß mit
der Base, wobei das Hydrochinolat-Ion gebildet wird.

H
O O

+ 2 O H + 2 H2O

O O
H
Hydrochinon Hydrochinolat-Ion
Das Hydrochinolat-Ion wird durch Abgabe zweier Elektronen zum p-Benzochinon oxi-
diert, wobei es zwei Ag+-Ionen zu metallischem Silber reduziert. Es ist anzunehmen, daß
dieser Vorgang als Ein-Elektronen-Übertragung erfolgt. Das Hydrochinon gibt ein Elektron
an das Ag+ ab, und es entsteht ein Radikalanion. Dieses gibt ein weiteres Elektron ab, wobei
p-Benzochinon gebildet wird.

e
O O O O
Ag

+ Ag

O O O O

Hydrochinolat-Ion Radikalanion

O O O O

e + Ag
Ag

O O O O

p-Benzochinon
452 11 Phenole

Hat das Bild bei der Entwicklung seine optimale Schwärzung erreicht, so wird der Film
mit 3 %iger Essigsäure gewaschen, wodurch die Redox-Reaktion gestoppt wird (Stoppbad).
In der Gelatineschicht ist noch Ag+Br– enthalten. Das anwesende, nicht reduzierte Ag+ muß
entfernt werden, sonst würde am Licht der ganze Film schwarz werden. Der Film kommt
deshalb in das Fixierbad, das eine Thiosulfatlösung enthält. Dieses bildet mit Silberionen
leicht lösliche Komplexe, welche aus der Gelschicht in das Fixierbad ausgewaschen werden.
Nach dem Fixierprozeß wird der Film durch Lichteinwirkung nicht mehr geschwärzt. Man
hat ein Negativ erhalten.

11.6 Phenolische Verbindungen in der Natur

11.6.1 Pflanzenfarbstoffe

Es gibt eine Reihe von phenolischen Pflanzenfarbstoffen in der Natur. Sie kommen in Gly-
cosiden an Zucker gebunden oder auch in freier Form vor. Zu ihnen zählen die Flavonole,
die Isoflavonole und die Anthocyane.
Zum weiteren Verständnis sei kurz die Nomenklatur von ungesättigten heterocycli-
schen Sechsringen mit Sauerstoff als Heteroatom erwähnt. Ein heterocyclischer Sechsring
mit Sauerstoff als Heteroatom und zwei Doppelbindungen wird als Pyran bezeichnet.
Nach der Stellung der zwei im Sechsring befindlichen Doppelbindungen unterscheidet
man das α- und γ-Pyran. Befindet sich an Stelle der CH2-Gruppe im Sechsring eine Ke-
togruppe C=O, wird die Verbindung als α- bzw. γ-Pyron bezeichnet. Die Oxoniumverbin-
dung mit formal 3 Doppelbindungen im Sechsring ist das Pyrylium-Kation. Dieses hat
aromatischen Charakter. In den Pflanzenfarbstoffen ist der γ-Pyronring und auch der Pyry-
lium-Ring an einen Benzolkern kondensiert. Diese Verbindungen werden als Chromon
und Benzopyrylium bezeichnet.

O O
H H
C C C

CH2 C
O O O O O O O O

α-Pyran α-Pyron γ-Pyran γ-Pyron Pyrylium- Chromon oder Benzopyrylium


Kation Benzopyron

Das Grundskelett der Flavonole ist das 2-Phenylchromon (Flavon) und das der Isoflavo-
nole das 3-Phenylchromon (Isoflavon). Die Anthocyane sind glycosidische (mit Zucker ver-
bundene) Hydroxiderivate des 2-Phenylbenzopyrylium-Kations. Alle diese Verbindungen
besitzen als Bestandteil von Pflanzenfarbstoffen 2 bis 7 Hydroxygruppen und haben phenoli-
schen Charakter.
11.6 Phenolische Verbindungen in der Natur 453

3'
O O 2' 4'
5 5 5
C4 C 4 3 1' 5' 4
6 3 6 6 3
6'
2 2' 2 2'
7 1' 7 2 7 1'
O 3' O O 3'
8 8 8
1 1 1
6' 4' 6' 4'
5' 5'
2-Phenylchromon 3-Phenylchromon 2-Phenylbenzopyrylium-
(Flavon) (Isoflavon) Kation

Flavonole und Isoflavonole. Die Flavonole (lat. flavus = gelb) sind Hydroxiderivate des 2-
Phenylchromons und kommen als freie Hydroxyverbindungen, als Methylether und auch als
Glycoside in der Natur vor. Die Flavonole besitzen 2 bis 6 Hydroxygruppen gewöhnlich in
den Stellungen 3, 5, 7, 3', 4' und 5'. Die Zuckerreste sind meist in Stellung 3, 5 oder 7 an die
Flavonole geknüpft. Es sind (zumeist) gelbe Pflanzenfarbstoffe, die in Blütenblättern (z.B. in
Primula-Arten und der Kamille), in Hölzern und Rinden vorkommen. Kubanisches Gelbholz
verwendet man z.B. zum Färben von Seide und Wolle. Das am häufigsten vorkommende
Flavonol ist das Quercetin.
Die Isoflavonole sind Hydroxiderivate des 3-Phenylchromons. Diese gelben Pflanzen-
farbstoffe sind in der Natur nicht so verbreitet wie die Flavonole. Als Beispiel sei das Ge-
nistein, der gelbe Farbstoff des Färberginsters (Genista tinctoria), angeführt.

3'
4' OH
OH O OH O 2'

5 5 C 4 3 1'
C4 3 OH 5'
6 6
6'
7 2 2' 7
1' 3' OH 2
HO O HO O
8 8
1 1
4'
6'
OH
5'
Quercetin Genistein

Anthocyane. Anthocyane (griech. anthos = Blüte, cyanos = blau) sind rote oder blaue in Blüten
und Beeren enthaltene Pflanzenfarbstoffe. Es sind Glycoside, deren Aglykon (Nicht-
zuckeranteil) das mit Hydroxygruppen, gegebenenfalls auch Methoxygruppen, substituierte 2-
Phenylbenzopyrylium-Salz ist. Das Aglykon wird als Anthocyanidin bezeichnet. Die Hydro-
xygruppen können sich in den Stellungen 3, 5, 7, 3', 4' und 5' befinden. Es ist in jedem Fall eine
Hydroxygruppe in Stellung 4' im Anthocyanidin enthalten, die Zuckerreste sind an die Stellun-
gen 3 oder/und 5 geknüpft. Die Blütenblätter der Pelargonien und die Früchte der Erdbeeren
enthalten als Anthocyanidin das Pelargonidin, in den Blütenblättern der Rose und der Korn-
blume, ebenso wie in den Früchten der Kirsche und der Pflaume ist das Cyanidin enthalten.
Die Farbe der Anthocyanidine ist pH-abhängig. Im sauren Bereich sind sie rot, im basi-
schen blau bzw. violett.
454 11 Phenole

+ H2O
O H
O O
H

O O
H

rot blau

Tabelle 11.1 Übersicht der Anthocyanidine

Anthocyanidin Substituenten im Anthocyanidin


3 5 7 3' 4' 5'
Pelargonidin OH OH OH – OH –
Cyanidin OH OH OH OH OH –
Peonidin OH OH OH OCH3 OH –
Delfinidin OH OH OH OH OH OH
Malvidin OH OH OH OCH3 OH OCH3
Hirsutidin OH OH OCH3 OCH3 OH OCH3
OH OH
5 4 OH 5 4 OH
6 3 6 3
5 4
6 3 2' 2'
7 2 7 2
1' 3' 1' 3' OH
7 HO O HO O
2 8 8
1 1
O 4' 4'
8 6' 6'
1 OH OH
5' 5'

Benzopyrylium Pelargonidin Cyanidin

11.6.2 Gerbstoffe
Gerbstoffe, welche auch als Tannine (franz. tanner = gerben) bezeichnet werden, sind wasser-
lösliche, phenolische Verbindungen, mit deren Hilfe man im Gerbprozeß die leicht faulenden,
in Wasser verquellenden, beim Trocknen erstarrenden Häute in nichtfaulendes, in Wasser nicht
verquellendes, schmiegsames und zähes Leder verwandeln kann. Man nimmt an, daß beim
Gerbprozeß die Tannine zwischen benachbarten Proteinfasern Brücken bilden. Tannine werden
in der Textilindustrie als Beizmittel für Teerfarbstoffe und zur Tintenfabrikation verwendet.
Fe(II)-Salze geben mit gallussäurehaltigen Tanninen schwarze Tinte. Tannine finden auch in
der Medizin Anwendung als Mittel gegen Durchfall und als Blutstillungsmittel. Sie können aus
Galläpfeln extrahiert werden. Dies sind durch parasitäre Insekten hervorgerufene Auswüchse
von Pflanzengeweben, dadurch verursacht, daß das Insekt die Rinde oder das Blatt ansticht und
seine Eier hineinlegt. Tannine kommen auch in verschiedenen Pflanzenteilen vor, z.B. in Ei-
11.6 Phenolische Verbindungen in der Natur 455

chenrinde, Roßkastanien, Tee, Hopfen usw. Sie verleihen z.B. dem Aufgußtee und dem Bier den
herben, zusammenziehenden Geschmack. Die Gerbstoffe fällen Eiweißlösungen und bilden mit
Eisen-(III)-chlorid dunkelblaue oder grüne Farbkomplexe (Nachweis von Phenolen).
Man kennt nichthydrolysierbare (kondensierte) und hydrolysierbare Gerbstoffe. Beide
Gruppen kann man mit Hilfe chemischer Reaktionen unterscheiden. Zum Unterschied von
den hydrolysierbaren Gerbstoffen geben die nichthydrolysierbaren Gerbstoffe beim Erhitzen
mit Formaldehyd in Salzsäure einen Niederschlag. Mit Bleiacetat Pb(OCOCH3)2 in Gegen-
wart von Essigsäure wird nur mit hydrolysierbaren Gerbstoffen ein Niederschlag gebildet.
Kondensierte Gerbstoffe (Catechine) sind den Anthocyanen und Flavonolen chemisch sehr
nahestehende Verbindungen. Die entsprechenden Catechine kann man durch Hydrierung von
Anthocyanidinen erhalten. Die Anlagerung des Wasserstoffes erfolgt an den Doppelbindun-
gen des heterocyclischen Sechsrings. Die Catechine sind Penta- und Hexahydroxyflavane.
Als Beispiel sei das Teecatechin (3,5,7,3',4',5'-Hexahydroxyflavan) angeführt.
OH
H H H H
5 4
C 3 H C OH
6
H H
7 2 2'
1' 3' OH
O HO O
8 H
1 H
4'
6'
OH
5'
OH
Flavan Teecatechin
Hydrolysierbare Gerbstoffe geben als Produkte der Hydrolyse eine Phenolsäure, in der Regel
die Gallussäure, und gegebenenfalls auch einen Zucker, z.B. Glucose. Häufig wird bei Estern
der Gallussäure die Bezeichnung Depsid (griech. depsein = gerben) verwendet. Je nachdem,
wie viel Einheiten der Gallussäure miteinander verestert sind, spricht man von Di-, Tri- oder
Tetradepsiden. Ein Didepsid ist z.B. die m-Digallussäure. Vielfach ist die Gallussäure an
Zucker gebunden. Im Zucker können alle Hydroxygruppen mit Gallussäure, m-Digallussäure
oder auch Trigallussäure verestert sein.
OH
HO
OH CH2OX
C OH OH
HO H O OX
O H
C OH OX H
O C OH
OX H
O
O
OH H OX
OH
Gallussäure m-Digallussäure Tannin mit Glucose
als Zuckerkomponente
X = Gallussäure,
Di- oder Trigallussäure
456 11 Phenole

Übungsaufgaben

? 11.1
Benennen Sie die folgenden Verbindungen mit Trivialnamen:
OH

OH OH OH

OH

OH OH

a) b) c) d)

OH OH OH

OH CH3

OH HO OH
e) f) g)

? 11.2
Ergänzen Sie die angeführten Gleichungen:

H 3C H
C C
+ H
H
O2 / 120 °C
Zeolith Mn2+ als
BF3 Katalysator H , 60 °C

? 11.3
Auf welche Weise kann man Enole und Phenole von Alkoholen unterscheiden?

? 11.4
Wie verhalten sich Alkoholate und wie Phenolate in wässriger Lösung?

? 11.5
Welche Oxidationsprodukte erhält man aus Hydrochinon und aus Brenzcatechin?

? 11.6
Schreiben Sie die Formel des Flavons und des Phenylbenzopyrylium-Kations auf.
Lösungen 457

Lösungen

! 11.1
Die Trivialnamen der Verbindungen:
a) Phenol, b) Brenzcatechin, c) Resorcin, d) Hydrochinon, e) Pyrogallol,
f) Phloroglucin, g) o-Kresol

! 11.2
Benzol und Propen werden nach Friedel Crafts zu Cumol umgesetzt, und dieses wird mit
Sauerstoff zu Cumolhydroperoxid oxidiert. Anschließend erfolgt in 2%iger Schwefelsäure
bei 60°C die protonenkatalysierte Hock-Spaltung, wobei Aceton und Phenol entsteht (die
Reaktionsmechanismen zu den einzelnen Reaktionen finden Sie in Kapitel 6.6.1.4b, Kapi-
tel 2.9.3.1 und Kapitel 11.4c):
H3C
OH
H 3C H O C O
H 3C CH3
C C H3C CH3 H 3C OH
CH C
+ H
H +
O2 / 120 °C
Zeolith Mn2+ als
BF3 Katalysator H , 60 °C

! 11.3
Phenole und Enole bilden mit FeCl3 einen farbigen Komplex, dies ist jedoch bei Alkoholen
nicht der Fall.

! 11.4
Phenolate sind in Wasser beständig, während Alkoholate in Wasser zu Alkoholen und der
entsprechenden Base hydrolysiert werden. Die Erklärung liegt in der Mesomeriestabilisie-
rung des Phenolations (siehe Kapitel 11.5.1.3).

! 11.5
Oxidiert man Hydrochinon, so erhält man p-Benzochinon, die Oxidation des Brenzcatechins
führt zu o-Benzochinon (Reaktionsmechanismus siehe Kapitel 11.5.3.1).
458 11 Phenole

! 11.6
Flavon bildet das Grundskelett der Flavonole und das Phenylbenzopyrylium-Kation das
Grundskelett der Anthocyane. Flavonole und Anthocyane sind Pflanzenfarbstoffe (siehe
Kapitel 11.6.1).

O O

2-Phenylchromon (Flavon) 2-Phenylbenzopyrylium-Kation


12 Ether
Ether sind Verbindungen vom Typ R–O–R', wobei R und R' ein aliphatischer, alicyclischer
oder aromatischer Rest sein kann. Sind beide an den Sauerstoff gebundenen organischen
Reste gleich (R = R'), handelt es sich um einen einfachen Ether, der auch als symmetrischer
Ether bezeichnet wird. Bei ungleichen organischen Resten spricht man von einem gemisch-
ten oder unsymmetrischen Ether. Ist das Sauerstoffatom Bestandteil eines Ringes, so liegt ein
cyclischer Ether vor.

12.1 Nomenklatur der Ether


Nach den IUPAC-Regeln werden die Ether als Alkoxyalkane bezeichnet, wobei der größere
Alkylrest als Hauptkette angesehen wird und der kleinere Alkylrest Bestandteil der Alkoxy-
gruppe ist.
H OCH3
H C
H2C CH2
H3C O CH2CH3 CH3CH2CH2 C O CH2CH3
H2C CH2
CH2CH3 C
H H
Methoxyethan 3-Ethoxyhexan Methoxycyclohexan
OCH3

H3C O CH2 CH2 O CH3 O CHCH2CH3

CH2CH2CH3

1,2-Dimethoxyethan Methoxybenzol 3-Phenoxyhexan

Oft bildet man den Namen des Ethers, indem man die an den Sauerstoff gebundenen Al-
kyl- bzw. Arylreste nennt und das Wort Ether hinzufügt.

H3C CH3
CH3CH2 O CH2CH3 H C O C H CH3CH2 O
H3C CH3

Diethylether Diisopropylether Ethylphenylether

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 459


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
460 12 Ether

Einige Ether kann man mit Trivialnamen benennen, z.B.


OCH3 OCH2CH3

HO CH2CH2 O CH2CH2 OH
abgeleitet
von:
O O
Diethylenglykol Anisol Phenetol Tetrahydropyran Pyran

abgeleitet
H3C O CH2CH2 O CH2CH2 O CH3
von:
O O
Diethylenglykoldimethylether = Diglyme Tetrahydrofuran Furan

12.2 Struktur und physikalische Eigenschaften


Ether kann man formal als Derivate des Wassers auffassen, in welchem die Wasserstoff-
atome durch einen organischen Rest ersetzt sind:

O Wasser O Ether
H H R R

Der C–O–C-Bindungswinkel beträgt im Ether etwa 110°. Da das Sauerstoffatom elektro-


negativer als das Kohlenstoffatom ist, liegt eine polare kovalente C–O-Bindung vor, mit
einer negativen Teilladung am Sauerstoff- und einer positiven Teilladung am Kohlenstoff-
atom. Durch die ungleiche räumliche Ladungsverteilung hat das Ethermolekül, ähnlich wie
dies beim Wasser der Fall ist, einen Dipol, der allerdings infolge des +I-Effekts beider
Alkylreste, kleiner als beim Wasser und Alkohol ist.

δ- δ-
O
δ+ δ+ Dipolmoment
R 110° R'

Die Ethermoleküle können untereinander keine Wasserstoffbrücken bilden, da eine O–H-


Bindung fehlt. Wegen der relativ geringen Dipolmomente sind die den Zusammenhalt der
Ethermoleküle bewirkenden Kräfte schwach. Ether haben deshalb eine relativ niedrige
Schmelz- und Siedetemperatur (siehe Tabelle 12.1).
Die Löslichkeit der Ether in Wasser ist begrenzt, z.B. lösen sich bei Zimmertemperatur
nur 7,5 g Diethylether in 100 mL Wasser, Die Löslichkeit höhermolekularer Ether ist gering.
Ether bilden mit Wasser zwei flüssige Phasen. Oft wird Diethylether, der ein gutes Lösungs-
mittel ist, dazu benutzt, organische Verbindungen aus wäßriger Lösung zu extrahieren. Ge-
schieht dies in einem Scheidetrichter durch Schütteln beider Phasen, wobei die in der wäßri-
12.3 Synthese der Ether 461

Tabelle 12.1 Schmelz- und Siedetemperaturen einiger Ether

Bezeichnung Schmelztem- Siedetem- Bezeichnung Schmelztem- Siedetem-


des Ethers peratur °C peratur °C des Ethers peratur °C peratur °C
Dimethylether –140 –24 Tetrahydrofuran –108 66
Diethylether –116 34,6 1,4-Dioxan 11 101
Diisopropylether – 60 69 Anisol –37 154
Di-n-propylether –122 91 Phenetol – 33 172
Di-n-butylether –95 142 Diphenylether 27 259

gen Phase gelösten organischen Stoffe in die Etherphase übergehen, bezeichnet man dies als
Ausethern. Da die Siedetemperatur des Diethylethers niedrig ist, kann man den Ether durch
Abdestillieren von der in ihm gelösten organischen Verbindung leicht abtrennen. Die Flüch-
tigkeit des Diethylethers im Verein mit seiner Brennbarkeit stellen ein Gefahrenmoment dar,
ebenso seine Peroxidbildung (siehe Abschnitt 12.4.2).

12.3 Synthese der Ether

12.3.1 Synthese von Methyl-tert-butylether

Zur Vermeidung umweltbelastender Bleizusätze und zur Herabsetzung des gesundheits-


schädlichen Benzols wird dem Motorenbenzin Methyl-tert-butylether (MTBE), der eine
hohe Octanzahl hat, zugesetzt. Das in der Crackanlage erhaltene Isobuten wird mit Methanol
über zwei Festbettreaktoren geleitet, die mit saurem Ionenaustauscherharz gefüllt sind. Die
Reaktion ist exotherm, und deshalb wird das Einsatzgemisch zunächst auf 45°C abgekühlt,
bevor es in den zweiten Reaktor geleitet wird. Bei der Reaktion erfolgt zunächst eine Proto-
nierung des Isobutens, worauf sich das Methanol nucleophil anlagert.
H
CH2 CH3 H3C H CH3
H O CH3
C C H3C C O CH3 H3C C O CH3
H3C CH3 H3C CH3 -H
CH3 CH3

Im Labor können Ether durch Dehydratisierung von Alkoholen oder mit Hilfe der Willi-
amson-Synthese dargestellt werden.

12.3.2 Dehydratisierung von Alkoholen

Die Ethersynthese aus Alkoholen durch säurekatalysierte Dehydratisierung ist im allgemei-


nen auf symmetrische Ether beschränkt. Zum Beispiel kann der Diethylether, der ein gutes
Lösungsmittel ist, auf diese Weise synthetisiert werden. Das Reaktionsgemisch, bestehend
aus Ethylalkohol und Schwefelsäure, wird bei dieser Reaktion auf 130–140 °C erhitzt.
462 12 Ether

H H H
H2SO4, 130°C
2 H3C C OH H3C C O C CH3 + H2O

H H H
Die Etherbildung erfolgt nach einem SN-Mechanismus, wobei die Hydroxygruppe eines
Alkoholmoleküls zunächst protoniert wird. Anschließend erfolgt der nucleophile Angriff mit
einem nichtprotonierten Alkoholmolekül.

H H
H
R R
O CH2R
H O C H O C
H H
H H

H
R R
H2O + C O CH2R H2O + C O CH2R + H
H H
H H
Die sauer katalysierte Ethersynthese der Alkohole mit Schwefelsäure kann auch in zwei
aufeinanderfolgenden Reaktionen über das Alkylsulfat erfolgen. Der Alkohol wird zunächst
bei Zimmertemperatur mit Schwefelsäure zum Alkylsulfat verestert und der Ester dann bei
erhöhter Temperatur zum Ether umgesetzt.
20 °C
R CH2 OH + HO SO3H R CH2 O SO3H + H2O

140 °C
R CH2 O SO3H + HO R' R CH2 O R' + H2SO4

Die Umsetzung des Alkylsulfats mit dem Alkohol zum Ether erfolgt über eine nucleophi-
le Substitution. Der Alkohol ist in diesem Fall das Nucleophil, das die –O–SO3H-Gruppe, die
eine gute Abgangsgruppe ist, ersetzt.

R R R
140 °C
R' O + C O SO3H R' O C + O SO3H R' O C + H2SO4
H H H
H H H H H

Neben dem Ether kann bei der säurekatalysierten Dehydratisierung des Alkohols auch ein
Alken als Nebenprodukt entstehen. Eine höhere Reaktionstemperatur begünstigt die Alken-
bildung. Erhitzt man z.B. Ethanol mit Schwefelsäure auf 170–180 °C, entsteht Ethen als
Hauptprodukt (siehe Abschnitt 3.6.1.3).

H H
H H
H2SO4, 180 °C
H C C OH C C + H2O
H H
H H
12.4 Reaktionen der Ether 463

Die technische Herstellung von Diethylether erfolgt durch Anlagerung von Schwefel-
säure an Ethen (siehe Abschnitt 3.7.4.2), wobei das Mono- und Dialkylsulfat entstehen.
Diese werden bei 100 °C zum Teil hydrolysiert, und das als Hydrolyseprodukt entstandene
Ethanol reagiert bei höherer Temperatur mit dem Ethyl- bzw. Diethylsulfat (siehe obige
Gleichungen) zum Diethylether.

12.3.3 Die Williamson-Synthese

Die Williamson-Synthese dient vor allem der Herstellung unsymmetrischer Ether. Sie geht
vom Alkoholat (siehe Abschnitt 10.7.1) oder Phenolat (siehe Abschnitt 11.5.1.3) aus, welche
mit einem Alkylhalogenid umgesetzt werden.

R O Na + R' X R O R' + Na X X = Cl, Br oder I

Es erfolgt eine nucleophile Substitution, wobei die Abgangsgruppe X durch das Alkohol-
at- bzw. das Phenolation ersetzt wird.
R' R'
R O + C X R O C + X X = Cl, Br oder I
H H
H H
Für die Synthese der Methylether wird oftmals anstelle eines Methylhalogenids Dime-
thylsulfat (siehe Abschnitt 10.7.6.1) verwendet.

12.3.4 Methylierung von Phenolen mit Diazomethan

Phenole reagieren als saure Verbindungen (ähnlich wie Carbonsäuren, siehe Abschnitt
17.3.3.4) mit Diazomethan, wobei eine O-Methylierung der Phenole stattfindet, und die
entsprechenden Methylether entstehen. Die Methylierung von Alkoholen mit Diazomethan
gelingt nur in Gegenwart von Bortrifluorid BF3 als Katalysator.
O H O CH3

+ CH2 N N + N N

Phenol Diazomethan Phenolmethylether

12.4 Reaktionen der Ether


Ether sind relativ reaktionsträge, sie sind gegen Basen, Oxidations- und Reduktionsmittel
beständig. Mit dem Sauerstoff der Luft erfolgt jedoch bei Lichteinwirkung eine Autoxidation
der Ether zu Hydroperoxiden. Unter drastischen Bedingungen können Ether mit Säuren ge-
spalten werden.
464 12 Ether

Ether haben am Sauerstoffatom zwei freie Elektronenpaare und können deshalb von einer
Säure protoniert werden, wobei ein Oxonium-Salz entsteht.
R R
O + H I O H + I
R R
Oxoniumsalz
Mit Hilfe der freien Elektronenpaare können Ether als Elektronenpaar-Donatoren (Lewis-
Basen) Grignardverbindungen (siehe Abschnitt 9.4.2) komplexieren.
R' R'
R R R
2 O Mg O Mg O
+
R R R
X X
Die Löslichkeit dieser Komplexe erleichtert zum einen die Synthese der Grignardverbin-
dung, zum anderen erfolgen auch die Reaktionen der Grignardverbindungen mit anderen
Reagenzien leichter. Deshalb wird die Synthese von Grignardverbindungen ebenso wie Re-
aktionen mit diesen Verbindungen grundsätzlich in Ether (Dimethylether oder Tetrahydro-
furan) als Lösungsmittel ausgeführt. Vielfach verfährt man so, daß man in Ether als Lö-
sungsmittel die Grignardverbindung synthetisiert und ohne weitere Aufarbeitung zu der Lö-
sung das Reagens zugibt, das mit der Grignardverbindung reagieren soll.

12.4.1 Die Etherspaltung mit Säuren

Ether reagieren mit verdünnten Säuren nicht. Erhitzt man aber Ether eine Stunde unter Rück-
fluß in einem Gemisch aus gleichen Volumenteilen 48 %iger Bromwasserstoffsäure und Eis-
essig, so tritt eine Spaltung des Ethers ein, und es entsteht ein Bromalkan. Desgleichen werden
Ether mit konstant siedender Iodwasserstoffsäure gespalten, wenn man das Reaktionsgemisch
4–5 Stunden unter Rückfluß erhitzt.

R O R' + 2 H X R X + R' X + H2O X = Br oder I

Bei dieser Reaktion wird der Ether zunächst protoniert, worauf mit dem Halogenidion als
Nucleophil eine SN2-Reaktion am protonierten Ether erfolgt.

H X H X

R CH2 O CH2 R' R CH2 O CH2 R' X = Br oder I

X CH2 O CH2 R' X CH2 + HO CH2 R'


R R
12.4 Reaktionen der Ether 465

Der bei der Reaktion gebildete Alkohol wird protoniert und in einer SN2-Reaktion auch
in das Alkylhalogenid umgesetzt.

H X H X

R' CH2 O H R' CH2 O H

X CH2 O H X CH2 + H2O


R' R'
Auf der Etherspaltung durch Säuren beruht der quantitative Nachweis von Methoxy-
gruppen nach Zeisel. Der Ether wird mit Iodwasserstoffsäure erhitzt und das entweichende
Methyliodid in alkoholischer Silbernitratlösung aufgefangen. Das abgeschiedene AgI wird
gravimetrisch oder maßanalytisch bestimmt.

12.4.2 Die Autoxidation der Ether

Nach längerer Zeit unterliegt der Ether unter Einfluß des Sonnenlichts durch den Luftsau-
erstoff einer Autoxidation, wobei er in ein Alkoxyalkylhydroperoxid umgewandelt wird.
H H

R C O R' + O2 R C O R'

H O O H
Ether (Alkoxyalkan) Alkoxyalkylhydroperoxid
Diese Reaktion läuft nach einem Radikalmechanismus ab. Die direkt am Sauerstoff ge-
bundene Methylengruppe des Ethers bildet den Angriffspunkt für den Sauerstoff, der biradi-
kalischen Charakter hat. Dieser spaltet die C–H-Bindung, und es entsteht ein Alkoxyalkyl-
Radikal (Startreaktion).
Start:
R R
O O

H C H + O O H C + H O O

R' R'
Ether Sauerstoff Alkoxyalkyl- Hydroperoxy-
Radikal Radikal
Das Alkoxyalkyl-Radikal reagiert mit dem Sauerstoff, und es wird ein Alkoxyalkylper-
oxy-Radikal gebildet. Dieses spaltet die C–H-Bindung eines Ethermoleküls, und es entstehen
das Alkoxyalkylhydroperoxid und ein Alkoxyalkyl-Radikal. Das Alkoxyalkyl-Radikal kann
wiederum mit Sauerstoff reagieren (Kettenreaktion).
466 12 Ether

Kettenreaktion:
R R
O O

H C + O O H C O O

R' R'

Alkoxyalkyl-Radikal Alkoxyalkylperoxy-Radikal

R R R R
O O O O

H C O O + H C H H C O O H + C H

R' R' R' R'


Alkoxyalkylhydroperoxid
R R
O O

H O O + H C H H O O H + C H

R' R'

Abbruch der Kettenreaktion:

R R
O O

H O O + C H H O O C H

R' R'

R R R R
O O O O

H C O O + C H H C O O C H

R' R' R' R'

Dialkoxyalkylperoxid

Die bei der Autoxidation gebildeten Alkoxyalkylhydroperoxid-Moleküle kondensieren


unter Abspaltung von Alkoholmolekülen zu Etherperoxiden.
12.5 Cyclische Ether 467

R' R' R'

R O C O O H + nR O C O O H + R O C O O H

H H H
Alkoxyalkylhydroperoxid

R' R' R'

R O C O O C O O C O O H + n+1 H O R

H H H
n
Etherperoxid
Die Etherperoxide sind hochexplosiv, so daß es beim Abdestillieren von Ethern, die län-
gere Zeit am Licht gestanden haben, zu Explosionen kommen kann. Die Gegenwart von
Etherperoxiden erkennt man beim Schütteln einer Probe mit essigsaurer Kaliumiodidlösung
am Ausscheiden von Iod. Die Etherperoxide können durch Zugabe von Eisen(II)-Salzen
reduziert und damit unschädlich gemacht werden.

12.4.3 Die Claisen-Umlagerung


Mit Allylphenylethern erfolgt beim Erhitzen eine Umlagerung. Das Endprodukt der Reaktion
ist das o-Allylphenol (vergl. mit Cope-Umlagerung Abschnitt 3.10.5).

O O OH
CH2 CH2 CH2
H
CH CH CH
H2C CH2 CH2
Allylphenylether o-Allylphenol

12.5 Cyclische Ether


Als cyclische Ether bezeichnet man organische Verbindungen, die ein Sauerstoffatom im
Ring haben.

12.5.1 Nomenklatur der cyclischen Ether


Die cyclischen Ether rechnet man zu den Heterocyclen. Als Heterocyclen werden alle jene
organische Verbindungen bezeichnet, die im Ring außer dem Kohlenstoff noch ein oder auch
mehrere Heteroatome (andere Atome als Kohlenstoff) haben. In den cyclischen Ethern ist
468 12 Ether

dieses Heteroatom der Sauerstoff. Das Durchnumerieren des Ringes erfolgt so, daß dem
Heteroatom eine möglichst niedrige Zahl zugeordnet wird.. Befindet sich noch ein weiteres
Heteroatom im Ring, wird in dessen Richtung weiter numeriert, damit auch dieses eine mög-
lichst niedrige Zahl erhält (siehe auch Abschnitt 25.1).
In der IUPAC-Nomeklatur wird die Ringgröße und der Sättigungsgrad bei Heterocyclen
mit entsprechenden Endungen kenntlich gemacht (siehe Tabelle 12.2). Bei Verbindungen mit
einem Sauerstoffatom im Heterocyclus wird der Endung die Silbe oxa-, bei einem Schwe-
felatom die Silbe thia- vorangestellt, bei zwei Sauerstoffatomen das Präfix dioxa-. Folgt ein
Vokal, entfält in der Silbe das -a-.

Tabelle 12.2 Der Ringgröße entsprechende Endungen für Heterocyclen1

Ringgröße gesättigt mit einem Maximum an


Doppelbindungen im Ring
3-gliedrig -iran -iren
4-gliedrig -etan -etin
5-gliedrig -olan -ol
6-gliedrig -an -in
7-gliedrig -epan -epin

Beispiele zur Benennung sauerstoffhaltiger Heterocyclen nach IUPAC-Regeln:


1
O H O H3C O CH3 H2C CH2
2 3
H2C CH2 H3C CH2 C CH2 C C O CH2
H3C H O O

Oxiran 2-Ethyloxiran 2,2,3-Trimethyloxiran Oxetan Oxol Oxolan


(Furan)
H H
CH3 O4 O O
3
H
2
O O O H O O1 O O

Oxan 3-Methyloxan 2H-Oxin 4H-Oxin 1,4-Dioxan 1,4-Dioxin Dibenzo-1,4-dioxin


(α-Pyran) (γ-Pyran)
Oft werden auch bei sauerstoffhaltigen Heterocyclen Trivialnamen gebraucht. Oxiran-
verbindungen werden häufig als Epoxide und der Oxiranring als Epoxidring bezeichnet.
Oxiran selbst kann auch als Ethylenoxid benannt werden. Folgende Trivialnamen werden des
öfteren verwendet:

1
Anmerkung: Die Endungen gelten auch für Heterocyclen mit Schwefel. Ringe mit einem Stickstoff-
atom im Heterocyclus haben andere Endungen (siehe Abschnitt 25.1). Weitere Einzelheiten zur
Nomenklatur von Heterocyclen sind ebenfalls in Abschnitt 25.1 zu finden.
12.5 Cyclische Ether 469

O O
O
H2C CH2 H2C CH CH3
C COOH
O O O O
H
Ethylen- Propylen- Furan Furfural Brenz- Tetrahy-
oxid oxid schleimsäure drofuran

12.5.2 Eigenschaften cyclischer Ether

Im allgemeinen gleichen cyclische Ether in ihren physikalischen und chemischen Eigen-


schaften den Ethern mit offener Kette. Eine Ausnahme bilden Epoxide, die infolge der Ring-
spannung im Epoxidring sehr reaktiv sind und deshalb eine Reihe von Synthesen ermögli-
chen. Eine besondere Eigenschaft haben die Kronenether. Sie besitzen die Fähigkeit, ihrer
Größe entsprechend, bestimmte Ionen komplex zu binden.

12.5.3 Epoxide

Synthese. Bei der technischen Herstellung des Ethylenoxids geht man vom Ethen aus, das bei
250°C unter Druck am Silber-Kontakt mit Sauerstoff umgesetzt wird (siehe auch Abschnitt
3.7.7.2).

1
Ag, 250 °C, Druck
H2C CH2 + /2 O2 H2C CH2

O
Epoxide kann man aus Alkenen mit Peroxysäuren (siehe Abschnitt 3.7.5.3) oder aus
Chlorhydrin (siehe Abschnitt 3.7.4.7) durch Erhitzen mit Base herstellen. Z.B. wird bei der
Herstellung von Ethylenoxid Ethylenchlorhydrin mit Kalilauge oder Calciumhydroxid er-
wärmt, wobei das bei der Reaktion entstandene Ethylenoxid (Siedetemp. 10,7°C) kontinuier-
lich abdestilliert wird.

Cl H Cl H H H

H C C H H C C H + H2O H C C H + Cl + H2O

H O H OH H O O

Ethylenchlorhydrin Ethylenoxid

12.5.3.1 Reaktionen der Epoxide


Der dreigliedrige Epoxidring läßt sich infolge der Ringspannung leicht spalten. Epoxide sind
daher, im Gegensatz zu anderen Ethern, sehr reaktiv.
Die Ringöffnung des Epoxids kann im sauren Medium erfolgen. Bei der Reaktion mit
verdünnten Säuren entsteht ein vicinales Diol. Das Epoxid wird zunächst von der Säure pro-
470 12 Ether

toniert, worauf die Ringöffnung des protonierten Epoxids durch Wasser als Nucleophil er-
folgt.
H
H
O O O H
H H H H H H H
H
R C C R R C C R R C C H R C C H + H
O H O H O R H O R

H
Diol
Eine Ringöffnung des Epoxidringes kann ebenfalls im basischen Medium stattfinden, z.B.
mit Basen, Alkoholaten, Phenolaten, Ammoniak und Aminen. Die Öffnung des Epoxidringes
erfolgt in diesem Falle durch ein Nucleophil, z.B. durch HO–, R–O–, NH3 und NH2R. Der
Angriff des Nucleophils erfolgt von der dem Sauerstoff im Epoxidring entgegengesetzten
Seite, so daß die Ringöffnung mit einer Inversion am Reaktionszentrum verbunden ist. Die
Reaktion ist regioselektiv, da der nucleophile Angriff bevorzugt an dem weniger substituierten
Kohlenstoff des Epoxidringes erfolgt. Dieser ist für das Nucleophil räumlich zugänglicher.
Reaktion des Ethylenoxids mit NH3:

O O O H
H H
H C C H R C C R C C
H H
R R H N H R H N R
H N H
H H
H
1,2-Aminoalkohol
Reaktion des Ethylenoxids mit einem Alkohol in Gegenwart eines Alkoholats als Katalysa-
tor:

O O O H
H H O R' H
H C C H R C C R C C
H H
- O R'
R R R' O R R' O R
R' O

Reaktion des Ethylenoxids mit Basen:

O
O O O H
H H H H
H C C H R C C R C C + O H
H H
R R H O R H O R
H O
12.5 Cyclische Ether 471

Das nach der Öffnung des Epoxidringes gebildete Anion kann gegebenenfalls mit einem
noch nicht umgesetzten Epoxidmolekül reagieren.

O
O H
R C C
C C H
O H H O
O H H R
R R
H C C H R C C R C C
H H
R R H O R H O R
H O

Ausgehend vom Ethylenoxid kann man über diese Reaktionsschritte das Diethylenglykol
HO–CH2–CH2–O–CH2–CH2–OH synthetisieren.
Der Epoxidring kann auch mit Grignard-Reagens geöffnet werden.

O O MgX O H
H H
H X
H C C H R C C R C C
H - MgX2 H
R R R' R R' R
R' MgX
Alkohol

12.5.3.2 Epoxidharze
Durch Aufspaltung des Epoxidringes im Epichlorhydrin durch zweiwertige Alkohole oder
Phenole in Gegenwart von Alkalien bei etwa 100°C entstehen Epoxidharze. Als zweiwerti-
ges Phenol wird gewöhnlich 2,2-(Bis-p-hydroxyphenyl)propan, das auch als Bisphenol A
bezeichnet wird, verwendet. Das Bisphenol A kann durch Kondensation von Phenol mit
Aceton hergestellt werden. Im alkalischen Medium wird das Bisphenol A in das entspre-
chende Phenolatdianion (= Bisphenolat A) umgewandelt. Dieses öffnet im Epichlorhydrin
den Epoxidring unter Bildung des Bisphenol-A-Diglycidethers.

O O
H2C C CH2 CH3 H2C C CH2 O
Cl H O C O H Cl Anmerkung: Glycid = H2C C CH2

CH3 H O H
Epichlorhydrin Epichlorhydrin
Bisphenolat A

O O O O
H2C C CH2 CH3 H2C C CH2 H2C C CH2 CH3 CH2 C CH2
Cl H O C O H Cl H O C O H
- 2 Cl
CH3 CH3
Bisphenol-A-Diglycidether
472 12 Ether

Der Bisphenol-A-Diglycidether enthält zwei endständige Epoxidringe, die durch Bi-


sphenolat-A-Ionen geöffnet werden können. Indem im Wechsel Bisphenolat-A-Ionen und
Epichlorhydrin nach Anreihung an die Kette miteinander reagieren, entstehen lineare höher-
molekulare Epoxidharze.

O O O
H2C C CH2 CH3 CH2 C CH2 C2H C CH2
CH3
H O C O H H Cl usw.
O C O
CH3
CH3

O H CH3 H O CH3 H O
H2C C C O C O C C CH2 O C O C C CH2
H H CH3 H H n CH3 H H
Cl
Epoxidharz
Flüssige Epoxidharze mit niedrigerer Molekularmasse werden für Zweikomponenten-
Kleber verwendet und bilden die eine Komponente dieses Klebers. Die andere getrennt ge-
lieferte Komponente ist ein Amin, das die Funktion des Härters hat. Man vermengt kurz vor
der Anwendung beide Komponenten und bestreicht mit dem Gemenge die Klebstelle. Das
Amin reagiert mit den Epoxidgruppen des Epoxidharzes und sorgt damit für die Vernetzung
und Härtung des Klebers. Als Härter eignet sich z.B. das Diethylentriamin.
O
CH2
Epoxidharz
HC
O
H2C
H O H H O H

O C C CH2 + N CH2CH2 NH CH2CH2 N + H2C C C O

H H H H H H
Diethylentriamin
Epoxidharz Epoxidharz

O
CH2

HC OH
H H
H O CH2 O H

O C C CH2 N CH2CH2 N CH2CH2 N CH2 C C O

H H H H H H

räumlich vernetztes Epoxidharz


12.5 Cyclische Ether 473

12.5.4 Cyclische Ether mit fünf- und sechsgliedrigem Ring

Tetrahydrofuran (Siedetemperatur 66°C), abgekürzt THF, ist ein Ether mit fünfgliedrigem
Ring, der nicht nur in organischen Lösungsmitteln, sondern auch in Wasser löslich ist. Seine
relativ hohe Basizität ist darauf zurückzuführen, daß durch Fixierung der beiden Bindungen
des Sauerstoffes im Ring die freien Elektronenpaare am Sauerstoff besser zugänglich sind.
Er ist deshalb für die Komplexierung von Grignard-Reagenzien gut geeignet.
Die Ausgangsstoffe für die großtechnische Synthese des Tetrahydrofurans sind Acetylen
und Formaldehyd. Die Ethinylierung (siehe Abschnitt 4.5.2.2) von Formaldehyd mit Acety-
len erfolgt in der Rieselphase mit 10–30 %iger Formaldehydlösung bei 100°C und 5 bar in
einem mit Kupferacetylid/Bi2O3-Katalysator gefüllten Turm. Als Reaktionsprodukt wird
2-Butin-1,4-diol erhalten, das in der Flüssigphase bei 100°C und 250 bar an einem Raney-
Nickel-Katalysator hydriert wird. Das 1,4-Butandiol wird mit Säure (H3PO4 oder H2SO4)
versetzt und auf 120°C erhitzt, wobei durch intramolekulare Dehydratisierung Tetrahydro-
furan entsteht.
CuC2/Bi2O3 auf SiO2
O
100 °C, 5 bar
HC CH + 2 H C HO CH2C CCH2 OH
H 2-Butin-1,4-diol

H2/Raney-Nickel OH OH H3PO4 O
100 °C, 250 bar 120 °C
HO CH2C CCH2 OH CH2CH2CH2CH2 H2C CH2 + H2O

H2C CH2
2-Butin-1,4-diol Butan-1,4-diol Tetrahydrofuran
Ausgezeichnete Lösungsmittel, ähnlich wie Tetrahydrofuran ebenfalls sowohl in organi-
schen Flüssigkeiten wie auch in Wasser löslich, sind Tetrahydropyran (Siedetemperatur
88°C) und 1,4-Dioxan (Siedetemperatur 101°C). Beide sind Ether mit einem sechsgliedrigen
Ring.
O

O O
Tetrahydropyran 1,4-Dioxan

12.5.5 Kronenether

Kronenether sind cyclische Polyether, in deren Ring jeweils zwei Kohlenstoffatome mit
einem Sauerstoffatom abwechseln. Ihren Namen verdanken sie der kronenähnlichen Struktur
ihrer Moleküle im kristallinen Zustand. Die Benennung der Kronenether erfolgt auf die Wei-
se, daß man in eckigen Klammern die Anzahl der den Ring bildenden Atome anführt, dahin-
ter das Wort „Krone“ schreibt und nach einem Gedankenstrich die Anzahl der im Ring be-
findlichen Sauerstoffatome angibt.
474 12 Ether

Beispiele zur Nomenklatur der Kronenether:

O
O O O O O

O O O O
O O
O O O
[12]Krone-4 [15]Krone-5 [18]Krone-6

Ion-Dipol-Wechselwirkung eines Kronenethers mit einem Kation:

δ+ δ+
δ+ O δ- δ+
δ- δ-
δ+ O O
δ+
K
δ+ δ- δ- δ+
O O
δ-
δ+ Oδ+
δ+ δ+
K+-Komplex der [18]Krone-6

Der Kronenether kann als Wirtsmolekül ein Kation im inneren Hohlraum des Ringes
aufnehmen und es aufgrund von Ion-Dipol-Wechselwirkungen binden. Voraussetzung dafür
ist jedoch, daß das Kation nicht zu groß ist, damit es in den Ring hineinpaßt. Es darf aber
auch nicht zu klein sein, damit es den Hohlraum gänzlich ausfüllen kann, denn nur dann ist
eine starke Komplexierung des Kations gewährleistet. Das kleine Li+-Kation kann von der
[12]Krone-4 gebunden werden. Das Na+-Kation kann von der [15]Krone-5 und das K+-
Kation von der [18]Krone-6 komplexiert werden.
Bei der Komplexbildung wenden sich die Sauerstoffatome des Kronenethers, angezogen
durch die positive Ladung des Kations, in das Innere des Ringes. Als Folge davon zeigen die
CH2-Gruppen des Kronenethers nach außen, so daß das Kation von einer nach außen lipophil
wirkenden Hülle umgeben ist (siehe Bild 12.1). Dies befähigt den Kronenether-Komplex
sich in unpolaren Lösungsmitteln zu lösen. Man kann z.B. Kaliumpermanganat, dessen K+-
Ion im Kronenether komplexiert ist, im organischen Lösungsmittel lösen und Oxidationen
durchführen. Das MnO4– ist im organischen Lösungsmittel nicht solvatisiert („nackt“) und
dadurch besonders reaktiv.
Für SN2-Reaktionen ist die Stärke des Nucleophils wichtig. Wird dieses durch eine Sol-
vathülle abgeschirmt, verläuft die Reaktion sehr langsam. Die beiden Reaktanden müssen
mit größerer Geschwindigkeit zusammenstoßen, damit die Reaktion überhaupt erfolgen
kann. Komplexiert man das K+ im K+OH– oder K+F– mit [18]Krone-6 in CCl4 oder Benzol,
erfolgt die Reaktion sehr schnell. Die durch keine Solvathülle abgeschirmten „nackten“ An-
ionen sind sehr reaktiv.
12.5 Cyclische Ether 475

K+

Kugel-Stab-Modell der [18]Krone-6 Kugel-Stab-Modell des


[18]Krone-6-Kalium-Komplexes

Wasserstoff Kohlenstoff Sauerstoff

Bild 12.1 Ein Kronenether und sein K+-Komplex

Noch stabiler als die Kronenether-Komplexe sind Komplexe mit Kryptanden. Dies sind
cyclische Aminopolyether, die an den Stickstoffatomen durch eine Polyetherkette überbrückt
sind, so daß sie einen „dreidimensionalen“ Hohlraum besitzen. Die Komplexe werden als
Kryptate bezeichnet.

O O

N O O N

O O
Kryptand
476 12 Ether

Übungsaufgaben

? 12.1
Beschreiben Sie den Reaktionsmechanismus der Reaktion des Natriumethanolats mit Chlor-
propan. Wie wird die Reaktion eines Halogenalkans mit einem Alkoholat allgemein be-
nannt?

? 12.2
Was geschieht mit Ether, wenn er in Gegenwart von Sauerstoff dem Einfluß des Sonnen-
lichts ausgesetzt ist? Formulieren Sie die Reaktionsgleichungen.

? 12.3
Erhitzt man Allylphenylether, so erfolgt eine Umlagerung. Formulieren Sie die Reaktions-
gleichungen und vergleichen Sie diese Reaktion mit der aliphatischen Claisen-Umlagerung
in Kapitel 3.10.5.

? 12.4
Benennen Sie nach der IUPAC-Regel für Heterocyclen (Suffix entspricht der Ringgröße)
folgende Verbindungen:
a) Ethylenoxid b) Tetrahydrofuran c) Furan und d)Tetrahydropyran

? 12.5
In saurem Medium erfolgt bei Epoxiden eine Ringöffnung des Epoxidringes und es entsteht
ein Diol. Formulieren Sie den Reaktionmechanismus.

? 12.6
Was versteht man unter dem Begriff Kronenether und wie benennt man diese Verbindungen?
Lösungen 477

Lösungen

! 12.1
Bei der Reaktion handelt es sich um die Williamson-Synthese. Sie dient zur Herstellung
unsymmetrischer Ether. Die Reaktion erfolgt nach dem SN2-Mechanismus, in diesem kon-
kreten Falle wurde der Ethylpropylether synthetisiert:

H3CH2C CH2CH3
CH2CH3
δ− δ−
CH3CH2 O C Cl CH3CH2 O C Cl CH3CH2 O C
H
H H H
H H
+ Cl

! 12.2
Der Ether reagiert mit dem Sauerstoff radikalisch zum Alkoxyalkylhydroperoxid. Die Alko-
xyalkylhydroperoxid-Moleküle kondensieren unter Abspaltung von Alkoholmolekülen zu
Etherperoxiden (siehe Kap.12.4.2)

H H


R C O R' R C O R'

+ O2
H O O H
Alkoxyalkylhydroperoxid

R' R' R' R' R'

R O C O O H + R O C O O H R-O-C-O-O-C-O-O-C-O-O-H

H H H H H
n
n-1
Etherperoxid + n ROH

! 12.3
Beim Erhitzen von Allylphenylether erfolgt eine Umlagerung zum o-Allylphenol. Diese Um-
lagerung wird als Claisen-Umlagerung bezeichnet (siehe auch Kapitel 3.10.5 die Cope-
Umlagerung).

O O OH
CH2 CH2 CH2
H
CH CH CH
H2 C CH2 CH2
478 12 Ether

! 12.4
Nach den IUPAC-Regeln werden die mit Trivialnamen angegebenen Heterocyclen folgen-
dermaßen benannt:
a) Oxiran b) Oxolan c) Oxol d) Oxan (siehe Kapitel 12.5.1)

! 12.5
Die Ringöffnung eines Epoxids in saurem Medium:

H
H
O O O H
H H H H H H H
H
R C C R R C C R R C C H R C C H + H
O H O H O R H O R

! 12.6
Kronenether sind cyclische Polyether, in deren Ring jeweils zwei Kohlenstoffatome mit
einem Sauerstoffatom abwechseln. Man benennt sie auf die Weise, dass man in eckigen
Klammern die Anzahl der den Ring bildenden Atome anführt, dahinter das Wort Krone
schreibt und nach einem Gedankenstrich die Anzahl der im Ring befindlichen Sauerstoff-
atome angibt (siehe Kapitel 12.5.5).
13 Aldehyde und Ketone
Die Carbonylgruppe C=O ist für Aldehyde und Ketone die charakteristische Gruppe, die
weitgehend das chemische Verhalten der beiden Stoffklassen bestimmt. Ketone haben die
allgemeine Formel R1R2C=O, wobei R1 und R2 einen aliphatischen, alicyclischen oder
aromatischen Rest darstellen. Aldehyde binden anstelle des einen organischen Restes ein
Wasserstoffatom, sie haben die allgemeine Formel RHC=O. Der einfachste Aldehyd, der
Formaldehyd, hat an die Carbonylgruppe zwei Wasserstoffatome gebunden. Ist die Car-
bonylgruppe Bestandteil eines Ringes, so liegt ein cyclisches Keton vor.

O O O O O CH2
H C R C C R C C (CH2)n C O
H H H R' R
CH2

Form- aliphatischer aromatischer aliphatisches Alkylaryl- cyclisches


aldehyd Aldehyd Aldehyd Keton keton Keton

Die an zwei Kohlenstoffatome gebundene Carbonylgruppe ist für Ketone kennzeichnend.


Oftmals wird die Carbonylgruppe bei Ketonen auch als Ketogruppe bezeichnet. Charakteris-
tisch für Aldehyde1 ist die Formylgruppe, die manchmal auch Aldehydgruppe genannt wird.

Charakteristisch C O Charakteristisch C
für Aldehyde: für Ketone:
H C O
Formylgruppe C

13.1 Nomenklatur der Aldehyde und Ketone


Nach der IUPAC-Nomenklatur wird der Name der Aldehyde vom entsprechenden Alkan ab-
geleitet, wobei man in der Kohlenstoffkette das Kohlenstoffatom der Formylgruppe mit zählt
und die Endung -al hinzugefügt. Bei den Ketonen wird das Kohlenstoffatom der Carbonyl-
funktion ebenfalls mitgezählt und die Endung -on dem Namen des entsprechenden Alkans
nachgestellt.

1
Der Name „Aldehyd“ entstand durch Abkürzung der Bezeichnung Alkoholdehydrogenatus (Aldehyde
können durch Dehydrieren von Alkoholen dargestellt werden.). Darum heißt es auch der Aldehyd (von:
der Alkohol dehydrogenatus) und nicht das Aldehyd.

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 479


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
480 13 Aldehyde und Ketone

O CH3 C
O O
H C CH3CH2CH2CH C CH3 C CH2 C CH3
H H
CH3 CH3
Methanal 2-Methylpentanal 4,4-Dimethyl-2-pentanon Cyclohexanon

Man kann aus Zweckmäßigkeitsgründen einen Aldehyd auch so benennen, daß man die
Formylgruppe als Substituenten betrachtet, das C-Atom der Formylgruppe nicht in die
Hauptkette einbezieht und das Suffix -Carbaldehyd dem Namen der Hauptkette hinzufügt.
Ist die Carbonyl- oder die Formylgruppe nicht die Hauptgruppe (siehe Abschnitt 1.7.3),
wird die Formylgruppe mit dem Präfix Formyl- oder Methanoyl- angeführt. Die Formylgrup-
pe wird in diesem Falle als nicht zur Hauptkette gehörig betrachtet und ihr C-Atom deshalb
nicht mitgezählt. Die Carbonylgruppe in Ketonen wird mit dem Präfix Oxo-
bezeichnet. Der Kohlenstoff der Carbonylgruppe wird dann als zu der Hauptkette gehörig
betrachtet und mitgezählt.
H O H O
C C
O
H2 C CH H2C CH COOH
CH2 C H3 C CH2 CH2 C CH2 COOH
H2C H2C
CH2 CH2 H
Cyclopentan- 2-Formylcyclo- 3-Oxohexansäure
carbaldehyd pentancarbonsäure
Eine einfache, vielfach benutzte Methode der Benennung von Ketonen ist die, daß man
die an die Ketogruppe bindenden Alkyl- bzw. Arylreste benennt und dann das Wort Keton
hinzufügt.
Cl O

O O O
H3C H3C CH3 Br
CH C CH3 CH C CH CH2 C CH3
H3C H3C CH3

Isopropyl- Diisopropyl- Benzylmethyl- 4-Brom-1-naphthyl-


methylketon keton keton 1-chlor-2-naphthylketon

Aldehyde und Ketone werden oft mit Trivialnamen bezeichnet:


Trivialnamen einiger Aldehyde:

O O O O
H C H3C C H3C CH2 C H3C CH2 CH2 C
H H H H
Formaldehyd Acetaldehyd Propionaldehyd Butyraldehyd
13.2 Struktur und physikalische Eigenschaften 481

O O O O O
H3C (CH2)3 C H2 C C C C H2C CH C
H H H H H
O H OH OH

Valeraldehyd Glykolaldehyd Glyoxal Glycerinaldehyd


Glyceraldehyd

H O H O H O
C C C

O H
O O
H2 C CH C H3C CH CH C
H H

CH3
Acrolein Crotonaldehyd Benzaldehyd Salicylaldehyd p-Tolualdehyd

Trivialnamen einiger Ketone:

O O O O

H3C C CH3 H3C C H3C CH2 C C

Aceton Acetophenon Propiophenon Benzophenon

13.2 Struktur und physikalische Eigenschaften


Die Doppelbindung der Carbonylgruppe besteht aus einer σ- und einer π-Bindung. Die
π-Bindung der Carbonylgruppe ist gegeben durch Überlappung des p-Orbitals des sp2-hybri-
disierten Kohlenstoffatoms mit einem p-Orbital des Sauerstoffatoms. Die an die Carbonyl-
gruppe gebundenen Atome liegen, ebenso wie das C- und O-Atom dieser Gruppe, in einer
Ebene. Ein Orbitallappen der π-Bindung befindet sich über, der andere unter dieser Ebene.
Der Bindungswinkel zweier σ-Bindungen am Carbonyl-Kohlenstoff beträgt etwa 120°.
Der Sauerstoff ist stärker elektronegativ als der Kohlenstoff. Das Sauerstoffatom der Car-
bonylgruppe zieht deshalb vor allem die beweglichen π-Elektronen näher zu sich, so daß die
Doppelbindung der Carbonylgruppe polar ist. Wendet man die Valenzbindungstheorie (siehe
Abschnitt 6.2) an, so kann man diesen Zustand durch mesomere Grenzformeln ausdrücken,
oder man kann das Resonanzhybrid mit der als energieärmer anzunehmenden mesomeren
Grenzformel (die, bei der keine Ladungstrennung vorliegt) symbolisieren, wobei man zum
Carbonylkohlenstoff ein δ+ und zum Sauerstoffatom ein δ– schreibt. δ+ symbolisiert in die-
sem Falle eine positive Teilladung am Kohlenstoffatom und δ– eine negative Teilladung am
Sauerstoffatom.
482 13 Aldehyde und Ketone

sp2-Orbitale mit freien Elektronenpaaren

oberer Orbitallappen
+
R
π-Orbital ~120° C O
R' ~120°
-
unterer Orbitallappen
Ebene, in der sich R, R', das C- und O-Atom der
Carbonylgruppe und die sp2-Orbitale befinden

Bild 13.1 Bindungen der Carbonylgruppe und ihre räumliche Anordnung

R' R' R' δ+


δ-
C O C O oder C O
R R R

Der Polarität der Carbonyl-Doppelbindung entsprechend weisen Carbonylverbindungen


ein relativ hohes Dipolmoment auf (höher als Ether).
R' δ+
δ-
C O
R

Dipolmoment
Infolge der Dipol-Dipol-Wechselwirkung zwischen den Aldehyden bzw. Ketonen haben
diese eine höhere Schmelz- und Siedetemperatur als Alkane gleicher Molekülmasse. Die
Aldehyd- bzw. Ketonmoleküle können keine Wasserstoffbrücken untereinander bilden,
weshalb sie niedrigere Schmelz- und Siedetemperaturen als die entsprechenden Alkohole
aufweisen. Aldehyde und Ketone mit gleicher Molekülmasse zeigen nur kleine Unterschiede
in Schmelz- und Siedetemperaturen, da die Dipol-Dipol-Wechselwirkung zwischen den Mo-
lekülen bei beiden Stoffklassen etwa gleich ist.

Tabelle 13.1 Schmelz- und Siedetemperaturen einiger Aldehyde und Ketone

Name Schmelztempe- Siedetempe- Name Schmelztem- Siedetempe-


ratur [°C] ratur [°C] pe- ratur [°C]
ratur [°C]
Formaldehyd – 92 –21 Benzaldehyd –26 178
Acetaldehyd –121 20 Vanillin 82 285
Propionaldehyd –81 49 Aceton –94 56
Acrolein –88 52 2-Butanon –86 80
Butyraldehyd –99 76 Acetophenon 21 202
Valeraldehyd 91 103 Benzophenon 48 306
13.3 Synthese der Aldehyde und Ketone 483

Die niedermolekularen Aldehyde und Ketone (Formaldehyd, Acetaldehyd, Aceton und


Methylethylketon) sind in Wasser sehr gut löslich. Ihre Löslichkeit ist auf die Bildung von
Wasserstoffbrücken mit Wasser und auch auf Hydratbildung zurückzuführen (Aldehyde und
Ketone können zwar untereinander keine Wasserstoffbrücken ausbilden, doch sie können es
mit Wasser: R2C=O|…H–O–H ). Aldehyde bzw. Ketone mit sechs und mehr C-Atomen sind
jedoch in Wasser praktisch unlöslich. Bei ihnen überwiegen die hydrophoben Eigenschaften
der Kohlenstoffkette. Manche Aldehyde sind geruchsintensiv. Acrolein hat einen stechenden
Geruch (wahrnehmbar beim Anbrennen von Fetten), Vanillin, Anisaldehyd und Zimtaldehyd
riechen angenehm.

13.3 Synthese der Aldehyde und Ketone

13.3.1 Wichtige Aldehyde und Ketone und ihre großtechnische Synthese

13.3.1.1 Formaldehyd
H
C O
H
Eigenschaften. Formaldehyd ist ein stechend riechendes farbloses Gas, das in Gegenwart ge-
ringer Verunreinigungen leicht polymerisiert. Es besteht der Verdacht, daß es krebserregend
ist. In Wasser löst sich Formaldehyd unter Hydratbildung. In den Handel gelangt es in Form
von 35–55 %igen wäßrigen Lösungen, welche als Formalin bezeichnet werden. Formaldehyd
kann man ebenfalls aus dem im Handel erhältlichen Trioxan gewinnen, einer cyclischen
trimeren Form des Formaldehyds, oder aus dem Paraformaldehyd H–(–OCH2–)n–OH einem
festen linearen Polymeren des Formaldehyds. Beide Polymerisate können durch Erhitzen zu
Formaldehyd depolymerisiert werden.
Verwendung. Weltweit werden etwa 2 Millionen t Formaldehyd erzeugt, davon allein in der
Bundesrepublik Deutschland 500.000 t. Formaldehyd wird hauptsächlich zur Produktion von
Kunstharzen benötigt, welche durch Polykondensation des Formaldehyds mit Phenolen (sie-
he Abschnitt 11.5.2.6), mit Harnstoff H2NCONH2 oder mit Melamin entstehen (Melamin
wird technisch durch Cyclisierung von Harnstoff unter CO2- und NH3-Abspaltung bei 400°C
in Gegenwart von Al2O3 im Fließbettreaktor hergestellt). Formaldehyd wird außerdem als
Desinfektionsmittel, als Konservierungs- und Härtungsmittel in Form von Formalin für ana-
tomische Präparate und als Hilfsmittel in der Textil-, Leder-, Pelz- Papier- und Holzindustrie
verwendet.

NH2

N N

H2N N NH2 Melamin


484 13 Aldehyde und Ketone

Synthese. Formaldehyd wird fast ausschließlich durch Dehydrierung und Oxydehydrierung


des Methanols gewonnen, wobei Silber- oder Kupferkatalysatoren verwendet werden. Die
Reaktion erfolgt bei Temperaturen im Bereich von 600–720°C. Die Methanoldämpfe werden
mit einer unterstöchiometrischen Menge an Luft im Reaktor über eine nur wenige cm dicke,
aus Silbernetzen bestehende, Schicht geleitet. Im Primärschritt erfolgt die endotherme De-
hydrierung (Wasserstoffabspaltung bei Erhitzen) des Methanols.
H Ag-Katalysator,
H
680-720 °C
H C OH C O + H2 ΔH = + 84 kJ/mol
H
H
Der in dieser Reaktion freiwerdende Wasserstoff kann durch Zugabe von Luft verbrannt
werden. Durch dosierte Luftzuführung erfolgt die Oxydehydrierung. Die Zugabe der entspre-
chenden Luftmenge kann so gesteuert werden, daß im Reaktor ohne Wärmezufuhr von
außen die benötigte Reaktionstemperatur von 600–720°C aufrecht erhalten werden kann.
H Ag-Katalysator, H
1 680-720 °C
H C OH + /2 O2 C O + H2O ΔH = - 159 kJ/mol
H
H
Nach kurzer Verweilzeit in der Katalysatorschicht werden die heißen Reaktionsgase
schnell auf 150°C abgekühlt, um den thermischen Zerfall HCHO → CO + H2 zu verhindern.

13.3.1.2 Acetaldehyd

O
H3C C
H
Eigenschaften. Acetaldehyd ist eine niedrig siedende (20,2°C), stechend riechende Flüssig-
keit, löslich in Wasser, Alkoholen und Ether.
Verwendung. Es dient hauptsächlich zur Weiterverarbeitung zu Essigsäure, zur Produktion
von Acetanhydrid, Acrolein, Acetaldol, Crotonaldehyd und Butadien.
Synthese. Acetaldehyd wird hauptsächlich nach dem Wacker-Hoechst-Verfahren produziert.
Ethen wird bei diesem Verfahren in die salzsaure wäßrige Lösung eines Zweikomponenten-
Katalysators, bestehend aus PdCl2 und CuCl2, eingeleitet. In dieser Lösung wird es bei 120–
130°C und 3 bar mit Sauerstoff partiell zu Acetaldehyd oxidiert. Die bei dieser exothermen
Reaktion entstehende Reaktionswärme wird dazu verwendet, den Acetaldehyd aus dem Re-
aktionsgemisch abzudestillieren. Das Ethen wird im ersten Durchlauf nur zu 35–45 % umge-
setzt. Das nicht umgesetzte Ethen wird wieder in den Reaktor zurückgeführt.

O
PdCl2/CuCl2/HCl-Lösung, 130 °C, 3 bar
H2C CH2 + 1/2 O2 H3C C
H
13.3 Synthese der Aldehyde und Ketone 485

Die Reaktion ist mehrstufig. In der ersten Stufe erfolgt die schnellablaufende Oxidations-
reaktion.

O
H2C CH2 + PdCl2 + H2O H3C C + Pd + 2 HCl
H

In den weiteren zwei Teilschritten erfolgt die langsamere Regenerationsphase, die für die
Gesamtreaktion geschwindigkeitsbestimmend ist. Zuerst wird das Pd zu PdCl2 regeneriert
und dann wird mit Sauerstoff CuCl zu CuCl2 oxidiert.

Pd + 2 CuCl2 PdCl2 + 2 CuCl

2 CuCl + 2 HCl + 1/2 O2 2 CuCl2 + H2O

13.3.1.3 Aceton

H3C
C O
H3C

Eigenschaften. Aceton ist eine charakteristisch riechende, niedrig siedende Flüssigkeit (Sdp.
56,2°C), die mit Wasser, Alkoholen und Ether mischbar ist. Acetondämpfe wirken sich, über
einen längeren Zeitraum eingeatmet, gesundheitsschädigend aus. Darum wird in Betrieben,
in welchen Aceton als Lösungsmittel verwendet wird, in zeitlichen Abständen das Blutbild
der Werksangehörigen kontrolliert, die diesen Dämpfen ausgesetzt sind. Bei Zuckerkrankheit
(Diabetes mellitus) tritt Aceton im Harn als anomales Stoffwechselprodukt auf.
Verwendung. Aceton ist ein ausgezeichnetes Lösungsmittel. Es ist die Ausgangssubstanz für
viele Synthesen, z.B. für das Methylmethacrylat (siehe Abschnitt 15.5.1.2), das zur Herstel-
lung von Polymethylmethacrylat (= Plexiglas) dient, und für die Produktion von Bisphenol A
(siehe Abschnitt 12.5.3.2), das für die Herstellung von Epoxidharzen benötigt wird.
Herstellungsverfahren. Hauptsächliche Herstellungsverfahren des Acetons sind die partielle
Oxidation von Propen, die oxidative Dehydrierung von Isopropanol und die Synthese aus
Benzol und Propen über Cumol und Cumolhydroperoxid, das durch die Hock-Spaltung zu
Aceton und Phenol umgesetzt wird.
a) Aceton aus Cumol im Hock-Verfahren (siehe Abschnitt 11.4). Bei dieser Herstellung
geht man vom Benzol und dem beim Steamcracken (siehe Abschnitt 7.6.1.2) in großen
Mengen anfallenden Propen aus. Beide werden nach Friedel-Crafts (siehe Abschnitt
6.6.1.4) zum Cumol umgesetzt. Dieses wird mit Luftsauerstoff zum Cumolhydroperoxid
oxidiert (siehe Abschnitt 2.9.3.1). Das Cumolhydroperoxid wird im saurem Medium zu
Phenol und Aceton umgesetzt (siehe Abschnitt 11.4).
486 13 Aldehyde und Ketone

O H
H O
H3C
C CH2 H3C C CH3 H3C C CH3 OH
H
+ O
AlCl3 O2 H
+ H3C C CH3

Cumol Cumolhydroperoxid Phenol Aceton

b) Partielle Oxidation von Propen nach dem Wacker-Hoechst-Verfahren. Bei der Herstel-
lung des Acetons nach diesem Verfahren geht man vom Propen aus, das in eine salz-
saure wäßrige Lösung von PdCl2 und CuCl2 gleichzeitig mit Sauerstoff eingeleitet wird.
Die partielle Oxidation erfolgt in dieser Lösung bei 3 bar und 130°C (siehe auch die
Synthese des Aldehyds in Abschnitt 13.3.1.2).

130 °C, 3 bar O


1 PdCl2/CuCl2/HCl
H2C CH CH3 + /2 O2 H3C C CH3

c) Oxidative Dehydrierung von Isopropanol. In Gegenwart von Silber- oder Kupferkataly-


satoren erfolgt (siehe die Synthese des Formaldehyds in Abschnitt 13.3.1.1) bei 400–
600°C mit Sauerstoff die oxidative Dehydrierung des Isopropanols zu Aceton.

OH O
Ag, 400 °C
H3C CH CH3 H3C C CH3 + H2

Unter Zugabe von Sauerstoff erfolgt die Verbrennung des Wasserstoffs zu Wasser.
Neben der Dehydrierung erfolgt mit dem zugeführten Sauerstoff bei den Reaktionsbedin-
gungen auch die direkte Oxidation.

OH O
1 Ag, 400 °C
H3C CH CH3 + /2 O2 H3C C CH3 + H2O

13.3.1.4 Ethylmethylketon
H3C CH2
C O
H3C

Das Ethylmethylketon ist ein ausgezeichnetes Lösungsmittel (Siedepunkt 79,6°C). Es kann


durch katalytische Dehydrierung des sek-Butylalkohols bei 300°C am Kupferkontakt oder
nach dem Wacker-Hoechst-Verfahren durch Luftoxidation des 1-Butens in salzsaurer
PdCl2/CuCl2 -Lösung hergestellt werden.
13.3 Synthese der Aldehyde und Ketone 487

13.3.1.5 Die Hydroformylierung (die Oxosynthese)


Großtechnisch werden höhere Aldehyde mit Hilfe der Hydroformylierung hergestellt. Hier-
bei reagieren Alkene in Gegenwart eines Cobaltkatalysators mit einem Gemisch von H2 und
CO in flüssiger Phase, bei 140–180°C und 250–300 bar, wobei isomere Aldehyde entstehen.
Der Cobaltkatalysator wird entweder als Metall in Pulverform oder, in Verbindungen, als
Cobalthydroxid oder Cobaltsalz in die Reaktion eingebracht. Rhodium, Ruthenium und Pla-
tin sind als Katalysator ebenfalls verwendbar, aber für die großtechnische Synthese zu teuer.
H
R CH2 CH2 C
Katalysator, 150 °C, Druck
R CH CH2 + CO + H2 O
R CH CH3

C
H O
Bei der Reaktion wird Dicobaltoctacarbonyl Co2(CO)8 gebildet, das in Wasserstoffat-
mosphäre mit Cobalttetracarbonylwasserstoff H–Co(CO)4 im Reaktionsgleichgewicht steht.

H2 + Co2(CO)8 2H Co(CO)4

H–Co(CO)4 gibt CO ab, und es entsteht Cobalttricarbonylwasserstoff H–Co(CO)3.

H Co(CO)4 H Co(CO)3 + CO

Das Zentralatom Co hat im Cobalttricarbonylwasserstoff eine freie Koordinationsstelle,


so daß es sich an ein Kohlenstoffatom des Alkens binden kann. In Wechselwirkung mit dem
Alken entsteht zunächst ein π-Komplex. Unter Absättigung des Cobaltatoms mit CO wird
ein Alkylcobalttetracarbonylkomplex gebildet.

R CH CH2

H Co(CO)3 + CO R CH CH2

H Co(CO)4
π-Komplex Alkylcobalttetracarbonylkomplex
Im Alkyltetracarbonylkomplex erfolgt die Insertion (Einschub) einer Carbonylgruppe
zwischen den Kohlenstoff der CH2-Gruppe und Co unter Bildung eines Acylcobalttricarbo-
nylkomplexes.
R CH2 CH2 R CH2 CH2 C O

Co(CO)4 Co(CO)3
Alkylcobalttetracarbonylkomplex Acylcobalttricarbonylkomplex
Der Acylcobalttricarbonylkomplex wird mit Wasserstoff unter Rückbildung von H–Co(CO)3
reduktiv gespalten.
488 13 Aldehyde und Ketone

R CH2 CH2 C O R CH2 CH2 C O


+ H2 + H Co(CO)3
Co(CO)3 H
Acylcobalttricarbonylkomplex Aldehyd Cobalttricarbonyl-
wasserstoff

Aus der Hydroformylierung erhaltene höhere Aldehyde werden zum größten Teil zu
Alkoholen hydriert (siehe Abschnitt 10.6.1.5b), und diese werden weiter zu Tensiden ver-
arbeitet (siehe Abschnitt 16.3.1). Ein Teil der Aldehyde wird auch zu Carbonsäuren oxidiert.

13.3.2 Die Synthese aliphatischer Aldehyde


13.3.2.1 Oxidation primärer Alkohole
Die Oxidation primärer Alkohole führt zwar zunächst zu Aldehyden. Diese selbst, und insbe-
sondere ihre Hydrate, werden aber leicht weiter zu Carbonsäuren oxidiert. Die Oxidation mit
Chrom(VI)-Verbindungen in saurem Medium wird deshalb nur bei Alkoholen angewendet,
die zu flüchtigen Aldehyden umgesetzt werden. Diese kann man aus dem Reaktionsgemisch
kontinuierlich abdestillieren, so daß sie nicht weiterreagieren können. In nichtwäßrigen Lö-
sungsmittel kann aber mit dem komplexen Bispyridinchrom(VI)-oxid, das aus 1 Mol Chrom-
trioxid und 2 Mol Pyridin gebildet wird, die Oxidation zum Aldehyd erfolgen, wobei dieser
in guter Ausbeute erhalten wird.

H
O
CrO3(C5H5N)2, CHCl3, 25 °C, 1 h
R C OH R C
H
H

13.3.2.2 Reduktive Spaltung von Ozoniden


R O O R'
Ozonide vom Typ C C können durch reduktive Spaltung mit Zn in Essigsäure
H O H
oder durch katalytische Hydrierung mit Pd auf Calciumcarbonat zu Aldehyden umgesetzt
werden.

R O O R' O O
Zn/CH3COOH
C C R C + C R' + H2O
H O H H H

13.3.2.3 Reduktion von Säurechloriden


Säurechloride können durch katalytische Hydrierung mit Palladium, das auf Bariumsulfat als
Trägersubstanz aufgebracht und mit einer kleinen Menge eines schwefelhaltigen Kontaktgif-
tes (z.B. Thioharnstoff) versehen ist, zu Aldehyden reduziert werden (Rosenmund-Saizew-
13.3 Synthese der Aldehyde und Ketone 489

Reaktion). Die Desaktivierung des Katalysators ist notwendig, da sonst die entstandenen
Aldehyde weiter zum Alkohol reduziert würden.

O O
Pd/BaSO4
R C + H2 R C + HCl
Cl H
Säurechlorid Aldehyd

13.3.2.4 Reduktion von Nitrilen


Nitrile können mit modifizierten Aluminiumhydrid-Verbindungen, z.B. mit Diisobutylalumi-
niumhydrid
H3C
CH CH2 2AlH
H3C

oder mit Triethoxylithiumaluminiumhydrid LiAlH(OCH2CH3)3 zu Iminverbindungen reduziert


werden, die bei der Aufarbeitung mit verd. Säure zu Aldehyden umgesetzt werden.
H H
Ether Li H /H2O
R C N + LiAlH(OCH2CH3)3 R C R C
N Al(OCH2CH3)3 O

Bei Reaktion des Lithiumaluminiumhydrids mit Nitrilen werden diese bis zum entspre-
chenden Amin reduziert.

13.3.3 Synthese aromatischer Aldehyde


Die bereits angeführten Methoden zur Synthese aliphatischer Aldehyde können auch für die
Darstellung aromatischer Aldehyde genutzt werden. Man verfügt aber außerdem noch über
weitere spezielle Methoden für ihre Darstellung.

13.3.3.1 Oxidation der am aromatischen Kern gebundenen Methylgruppe


a) Oxidation mit Chromtrioxid in Acetanhydrid
Wird die Oxidation von Toluol mit Chromtrioxid in Acetanhydrid durchgeführt, so wird das
Diacetat des Benzaldehydhydrats gebildet, das gegenüber dem Oxidationsmittel beständig
ist. Bei der Hydrolyse wird es zu Benzaldehyd und Essigsäure umgesetzt.
O
O
O C CH3 O
H3C C
CH3 O CH C
H
CrO3, H3C C O C CH3 O
O H2O
+ 2 H3C C
O
OH
Diacetat des Benzaldehydhydrats Benzaldehyd
490 13 Aldehyde und Ketone

b) Die Étard-Reaktion
Arylmethan Ar–CH3 reagiert in Schwefelkohlenstoff bei 25–45°C mit zwei Äquivalenten
Chromylchlorid (CrO2Cl2), wobei eine Komplexverbindung entsteht, die sich in Form von
braunen Kristallen aus der Lösung abscheidet. Mit Wasser erfolgt die Hydrolyse des Kom-
plexes, wobei der Aldehyd Ar –CHO, Chromsäure und CrCl3 gebildet werden. Der Aldehyd
muß rasch durch Extraktion aus dem Reaktionsgemisch abgetrennt werden, damit er nicht
durch die Chromsäure weiteroxidiert wird.

OCrCl2OH O
CS2 H2O
Ar CH3 + 2 CrO2Cl2 Ar CH Ar C
- CrCl3, - H2CrO4
OCrCl2OH - HCl H

13.3.3.2 Aldehyde aus Arylmethylhalogeniden

a) Hydrolyse von Benzalchlorid

Benzalchlorid kann durch Chlorierung von Toluol (siehe Abschnitt 6.6.3) dargestellt werden.
Dieses wird zu Benzaldehyd hydrolysiert.

CH3 CHCl2 C
150 °C, hν H2O H
+ 2 Cl2 + 2 HCl
- 2 HCl

b) Die Sommelet-Reaktion

Benzylhalogenide reagieren mit Hexamethylentetramin zu quartären Ammoniumsalzen, die


bei saurer Hydrolyse zu Benzaldehyd umgesetzt werden.

CH2X 1.) (CH2)6N4 in CHCl3 C


H
2.) 50 %ige CH3COOH
X = Cl, Br oder I

Benzylhalogenid Benzaldehyd

Das bei der Umsetzung des Benzylhalogenids mit Hexamethylentetramin im ersten Reak-
tionsschritt gebildete quartäre Ammoniumsalz wird mit verdünnter Essigsäure hydrolysiert,
wobei zunächst Benzylamin, Ammoniak und Formaldehyd entstehen.
13.3 Synthese der Aldehyde und Ketone 491

Cl
N N
H 6 H2O/ H
Cl
verd. Essigsäure
CH2 N N C N N C NH2
N N
H H
+ 3 NH3 + 6 HCHO + HCl

quartäres Ammoniumsalz Benzylamin

Ammoniak und Formaldehyd reagieren zum Methylenimin H2C=NH (siehe Abschnitt


13.4.3.1), das im sauren Medium zu H2C=NH2+ protoniert wird. Diese Verbindung nimmt im
weiteren Reaktionsschritt das Hydridion auf, das vom Benzylamin abgespalten wird.

H
H C NH2
C NH2
H H H H
H C N C N + H3C NH2
H H H H H

C NH2

protoniertes Methylenimin protoniertes Benzalimin Methylamin

Das protonierte Benzalimin wird anschließend zum Benzaldehyd hydrolysiert.

C NH2 H
O
H H H
H
C NH2 C NH2 C + NH4
O O O
H H
H H
H
C NH2

protoniertes Benzalimin Benzaldehyd

An o-substituierten Benzylhalogeniden erfolgt die Sommelet-Reaktion aus sterischen


Gründen nicht.

c) Die Kröhnke-Reaktion
Das Arylmethylhalogenid Ar–CH2X wird im Reaktionsverlauf zum entsprechenden Aldehyd
oxidiert, während das in die Reaktion eingebrachte p-Nitrosodimethylanilin zu p-Hydroxyl-
aminodimethylanilin reduziert wird.
492 13 Aldehyde und Ketone

X 1.) Pyridin, 2.) OH O OH


3.) H / H2O
Ar CH2 + O N N(CH3)2 Ar C + H N N(CH3)2
H
p-Nitrosodimethylanilin p-Hydroxylaminodimethylanilin
Die Reaktion umfaßt mehrere Reaktionsschritte. Das Arylmethylhalogenid Ar-CH2X
wird zunächst mit Pyridin umgesetzt, wobei ein quartäres Pyridiniumsalz entsteht. Die posi-
tive Ladung am Stickstoff polarisiert die C–N-Bindung so stark, daß der Pyridiniumrest eine
gute Abgangsgruppe darstellt. Die SN2-Reaktion mit p-Nitrosodimethylanilin als Nucleophil
führt zu einem Zwischenprodukt,
CH3
X
O N N
CH3 CH3
N N CH2 N + O N N
H2C X Ar - X CH3
CH2
Ar
Ar
quartäres Pyridiniumsalz
das im alkalischen Medium ein Proton abspaltet. Es entsteht das Nitron, das bei saurer Hy-
drolyse zum Aldehyd Ar–CHO und p-Hydroxylaminodimethylanilin gespalten wird.

H / H
CH3 CH3 CH3
H2O
O N N O N N HO N N
- H2O
CH3 CH3 CH3
H C H H C
p-Hydroxyaminodimethylanilin
Ar O H Ar Nitron
H O
+ C

Ar aromatischer Aldehyd

13.3.3.3 Direkte Formylierung aromatischer Verbindungen


a) Gattermann-Koch-Synthese
Man leitet mehrere Stunden ein Gemisch von trockenem Chlorwasserstoffgas und Kohlen-
stoffmonoxid in eine Suspension von wasserfreiem CuCl und AlCl3 im aromatischen Koh-
lenwasserstoff ein. Als Zwischenprodukt wird wahrscheinlich Formylchlorid gebildet, das
mit AlCl3 komplexiert, worauf nach Art einer Friedel-Crafts-Reaktion (siehe Abschnitt
6.6.1.4) die elektrophile Substitution des aromatischen Kohlenwasserstoffs erfolgt. Die Aus-
beuten sind mäßig, für die Formylierung von Benzol muß AlBr3 anstelle von AlCl3 verwen-
det werden.

HCl + C O

H H
AlCl3 / CuCl
Ar H + Cl C Ar C + HCl
O O
13.3 Synthese der Aldehyde und Ketone 493

b) Gattermann-Synthese
Leitet man Chlorwasserstoffgas in das Reaktionsgemisch eines aromatischen Kohlenwasser-
stoffes Ar–H und eines Alkalicyanids in Gegenwart von AlCl3 oder ZnCl2 ein, so wird Blau-
säure freigesetzt, und es entsteht ein Zwischenprodukt, das durch Hydrolyse zum Aldehyd
umgesetzt wird.
1.) HCl, AlCl3 oder ZnCl2
O
2.) H / H2O
Ar H + 2H C N Ar C
- 2 NH3, - HCOOH
H
Die Reaktion verläuft in folgenden Reaktionsschritten:
Chlorwasserstoff wird bei 40°C in den aromatischen Kohlenwasserstoff eingeleitet, in dem
Natriumcyanid und Aluminiumchlorid suspendiert sind. Der Chlorwasserstoff setzt aus dem
Natriumcyanid die Blausäure HCN frei, die mit HCl wahrscheinlich zunächst Formimid-
chlorid Cl–CH=NH bildet, das sich an ein weiteres Molekül HCN anlagert.
Cl
HCl + H C N C N Formimidchlorid
H H

H
Cl Cl C N
C N + H C N C N H
H H H

Das Addukt Cl–CH=N–CH=NH bildet mit dem Aluminiumchlorid einen Komplex


Cl–CH=N–CH=NH · AlCl3, der mit dem aromatischen Kohlenwasserstoff reagiert
(SE-Reaktion). Die nachfolgende Hydrolyse ergibt in mäßiger Ausbeute den entsprechenden
aromatischen Aldehyd.
H H
AlCl3
Ar H + Cl C N Ar C N + HCl
C N H C N H
H H

H O
3 H2O
Ar C N Ar C + 2 NH3 + HCOOH
C N H H
H

c) Die Vilsmeier-Synthese
Die Vilsmeier-Synthese kann nur zur Formylierung reaktiver Aromaten, z.B. Anthracen,
Phenole, Phenolether oder Arylamine, verwendet werden.
494 13 Aldehyde und Ketone

Sie erfolgt mit N-Methylformanilid als Formylierungsreagens in Gegenwart von Phos-


phorylchlorid POCl3.

O
O
POCl3
H Ar + H C N Ar C + H N
H
CH3 CH3
Aromat N-Methylformanilid aromatischer Aldehyd N-Methylanilin

Das N-Methylformanilid wird aus N-Methylanilin und Ameisensäure in siedendem Tolu-


ol hergestellt. Das bei der Reaktion gebildete Wasser wird laufend abdestilliert, um eine
Gleichgewichtsverschiebung zum erwünschten Produkt, dem N-Methylformanilid, zu errei-
chen.

O
O
H O C
H H C
siedendes Toluol
N + N H + H2O
CH3 CH3
Ameisensäure N-Methylformanilid

N-Methylformanilid reagiert mit Phosphoroxidchlorid unter Bildung eines Esters, der


eine positive Ladung am Kohlenstoff aufweist. –O–POCl2 ist eine gute Abgangsgruppe und
wird durch das bei der Veresterung freigewordene Chloridion Cl– ersetzt.

Cl
O O
PCl2
N C N C
H H O
CH3 CH3

Cl O PCl2

O PCl2 Cl O
N C N C
O
H H
CH3 CH3
Ester Carbeniumion

Das als Zwischenprodukt gebildete Carbeniumion wird in einer SE-Reaktion mit der aroma-
tischen Verbindung umgesetzt. Das entstandene Iminium-Ion wird zum Aldehyd hydrolysiert.
13.3 Synthese der Aldehyde und Ketone 495

X X
Cl

C N

H CH3
Carbeniumion

X X Cl
H Cl
C N
C N
-H H CH3 - Cl
H CH3

X H X O H
H /H2O C
C N + H N
H
CH3 CH3

Aryliminium-Ion Aldehyd N-Methylanilinium-Ion

X = OH, NH2

d) Die Reimer-Tiemann-Formylierung
Die Formylierung von Phenolen durch die Reimer-Tiemann-Reaktion erfolgt mit Chloro-
form in alkalischer Lösung. Die Formylgruppe wird in ortho-Stellung zur Hydroxygruppe
eingeführt. Nur wenn beide ortho-Stellungen bereits besetzt sind, erfolgt die Substitution in
die para-Stellung. Auch Pyrrol und dessen Derivate können auf diese Weise formyliert wer-
den.

O O O
1.) HO C
2.) Hydrolyse H
+ CHCl3
- H2O, - Cl

In alkalischem Medium wird Chloroform zu Dichlorcarben umgesetzt. Die drei Chlorato-


me im Chloroform üben einen starken –I-Effekt aus, so daß die C–H-Bindung polarisiert ist
und das Chloroform als schwache C-Säure angesehen werden kann. Nach Abspaltung des
Protons aus dem Chloroform entsteht ein Carbanion. Dieses spaltet ein Chloridion ab, wobei
das Dichlorcarben gebildet wird. Man spricht in diesem Falle von einer α-Eliminierung, da
beide Atome, H und Cl, vom gleichen C-Atom abgespalten werden.
496 13 Aldehyde und Ketone

Cl Cl
Cl
H O H C Cl C Cl C
- H2O - Cl Cl
Cl Cl
Chloroform Carbanion Dichlorcarben

In der äußeren Schale des C-Atoms im Dichlorcarben befindet sich nur ein Elektronensex-
tett. Es hat deshalb das Bestreben dieses auf ein Elektronenoktett aufzufüllen, was die Reakti-
vität des Dichlorcarbens erklärt. Es reagiert als Singulett-Carben (siehe Abschnitt 5.8.1), das
ein unbesetztes p-Orbital und ein mit einem freien Elektronenpaar besetztes sp2-Orbital be-
sitzt. Mit seinem unbesetzten p-Orbital kann es mit einem Elektronendonor reagieren. Es hat
also die Eigenschaften eines Elektrophils. Gleichzeitig verfügt das Singulett-Carben über ein
freies Elektronenpaar im sp2-Orbital, mit dem es ein Proton zu binden vermag. Es hat dem-
nach auch basische Eigenschaften.
Bei der Reimer-Tiemann-Reaktion erfolgt zunächst der elektrophile Angriff des Di-
chlorcarbens auf das Phenolat-Ion. Durch Protonenwanderung wird die –CHCl2-Gruppe
gebildet, welche im alkalischen Medium zur Formylgruppe hydrolisiert wird. Z.B. entsteht
nach der Reaktion des Phenolations mit Dichlorcarben, der alkalischen Hydrolyse des Zwi-
schenprodukts und nach Ansäuern des Reaktionsgemisches der Salicylaldehyd.

Reaktion des Phenolat-Anions mit Dichlorcarben:

O O O H
H
CCl2 CCl2
CCl2

o-Dichlormethylphenolat
Hydrolyse:

O H O H H
O O H
O H
C Cl C O H C
O
Cl Cl
- Cl - Cl , - H2O

Salicylaldehyd-Anion
Ansäuern:
O H HO H

C C
O H O

Salicylaldehyd
13.3 Synthese der Aldehyde und Ketone 497

13.3.4 Die Synthese aliphatischer Ketone

13.3.4.1 Oxidation sekundärer Alkohole


Sekundäre Alkohole lassen sich mit Kaliumdichromat K2Cr2O7 in verdünnter Schwefelsäure
(Reaktionsmechanismus siehe Abschnitt 10.7.7), mit CrO3 in Eisessig, in Dimethylformamid
HCON(CH3)2 oder in Aceton, mit Kaliumpermanganat KMnO4 und mit anderen Oxidations-
mitteln bei Zimmertemperatur oder unter mäßigem Erwärmen oxidieren. Die Ketone sind
gegen Oxidationsmittel bei nicht allzu drastischen Reaktionsbedingungen weitgehend be-
ständig.

R1 O H R1
K2Cr2O7 / verd. H2SO4, 25 °C
C C O
2 2
R H R

13.3.4.2 Katalytische Dehydrierung sekundärer Alkohole


Die katalytische Dehydrierung (Abspaltung von Wasserstoff in Gegenwart eines Katalysa-
tors) bzw. oxidative Dehydrierung (Abspaltung von Wasserstoff und daneben ablaufende
gleichzeitige Oxidation mit Luftsauerstoff, siehe Abschnitte 13.3.1.1 und 13.3.1.3c) sind
wichtige Verfahren zur Herstellung von Aldehyden aus primären Alkoholen und von Keto-
nen aus sekundären Alkoholen.
Der Kolben mit dem sekundären Alkohol wird 50°C über die Siedetemperatur des Alko-
hols erhitzt und in den Kolben ein mäßiger Luftstrom eingeleitet. Die Alkoholdämpfe wer-
den mit dem Luftstrom durch ein auf 350–400°C aufgeheiztes Rohr geführt, das mit einem
kombinierten Cu/Ag-Katalysator auf Bimsstein gefüllt ist.
Die Dehydrierung ist ein endothermer Vorgang. Deshalb muß das Rohr mit dem Kataly-
sator beheizt werden. Der bei der Dehydrierung entstandene Wasserstoff wird durch den ein-
geleiteten Luftsauerstoff verbrannt und der Katalysator dadurch aufgeheizt. Das Temperatur-
optimum für die Wirkung des Katalysators liegt bei 400–450°C. Als Katalysatoren geeignet
sind metallisches Kupfer, Silber, Kupferchromoxid und Zinkoxid.
Katalytische Dehydrierung:

R1 O H R1
Cu / Ag-Katalysator, 400 °C
C C O + H2
2 2
R H R

Oxidative Dehydrierung:

R1 O H R1
1 Cu / Ag-Katalysator, 400 °C
C + /2 O2 C O
2 - H2O 2
R H R
498 13 Aldehyde und Ketone

13.3.4.3 Addition von Grignard-Verbindungen an Nitrile


Grignard-Verbindungen reagieren mit Nitrilen unter Bildung von Azomethinmagnesium-
halogeniden, deren saure Hydrolyse zum entsprechenden Keton führt.

R1 R1
2 1 H / 2 H2O
R C N + R MgX C N MgX C O
R 2 - Mg(OH)X, - NH4 R2
Azomethinmagnesiumhalogenid

Zunächst wird die Grignard-Verbindung an Nitrile addiert, wobei ein Azomethinmagne-


siumhalogenid entsteht. Nach Zugabe einer verdünnden Säure wird zunächst das Ketimin ge-
bildet, das im sauren Medium protoniert und zum entsprechenden Keton hydrolysiert wird.

R1 Mg R1 MgX
X R1 R1 H R1 H
2 H Y H
R C N C NH C N C N
R2 C N - MgXY
R2 R2 H R2 H
Azomethin- Ketimin Iminium-Ion
magnesiumhalogenid X = Cl, Br oder I
Y = OH, Cl, Br, I oder HSO4

H
H H H
O + NH4
1 1 1 O O H
R H R H H R H R1 H R1
C N C N C N C N C O
R2 H R2 H R2 H R2 H R2
protoniertes Ketimin

13.3.4.4 Hydratisierung von Alkinen

Die Hydratisierung von Alkinen erfolgt bei mäßigem Erwärmen in verdünnter Schwefelsäure
in Gegenwart von Quecksilber(II)-Ionen (RM siehe Abschnitt 4.5.7.1). Das zunächst entstan-
dene Enol wird durch die sauer katalysierte Keto-Enol-Tautomerie in die entsprechende Car-
bonylverbindung umgewandelt. So erhält man aus Acetylen durch Anlagerung von Wasser
Acetaldehyd, aus allen anderen Alkinen ein Keton. Die Addition des Wassers an unsymmet-
rische Alkine erfolgt nach der Markownikow-Regel (siehe Abschnitt 3.7.2).

O
2 HO H
H3O , Hg ,100 °C
R C CH + H2O C C C
R H R CH3
Enol Keton
13.3 Synthese der Aldehyde und Ketone 499

13.3.4.5 Reaktion von Carbonsäurechloriden mit Dialkylcadmium


Die Dialkylcadmiumverbindung kann durch Reaktion von Grignard-Reagens mit CdCl2 dar-
gestellt werden.

2 R MgCl + CdCl2 R Cd R + 2 MgCl2

Carbonsäurehalogenide reagieren mit Dialkylcadmium oder Diarylcadmium unter Bil-


dung eines Ketons. Im Unterschied zum Grignard-Reagens reagiert Dialkylcadmium mit Ke-
tonen nicht.

O O

2 R1 C Cl + R Cd R 2 R1 C R + CdCl2

13.3.4.6 Ketonbildung durch Pinakol-Umlagerung


Nach der Protonierung tetraalkylierter Diole vom Pinakol-Typ (siehe Abschnitt 10.6.2.5)
wird unter Abspaltung von Wasser ein Carbeniumion gebildet. Es folgt die anionoide Umla-
gerung einer Alkylgruppe, die als Pinakol-Umlagerung bekannt ist. Nach Abspaltung eines
Protons entsteht ein Keton. Aus Pinakol entsteht auf diese Weise Pinakolon:

H3C O H + H H3C OH2 H3C Pinakol-


- H2 O Umlagerung
HO C C CH3 HO C C CH3 HO C C CH3

H3C CH3 H3C CH3 H3C CH3


Pinakol

CH3 CH3 CH3


O
H O C C CH3 H O C C CH3 C C CH3 + H

H3 C CH3 H3C CH3 H3C CH3


Pinakolon

13.3.4.7 Pyrolyse von Calcium- oder Bariumsalzen der Carbonsäuren


Bei der trockenen Destillation von Calcium- oder Bariumsalzen der Carbonsäuren entstehen
Ketone.

O
Ca2 O
R C O Erhitzen
R C R + CaCO3
O C R

O
500 13 Aldehyde und Ketone

Werden mit dieser Methode höhere Ketone synthetisiert, so werden die Ketone im Vaku-
um abdestilliert, damit die Pyrolyse auch in diesem Falle bei etwa 300°C erfolgen kann und
ein Cracken der Reaktionsprodukte vermieden wird. Man kann die Synthese auch durch
Überleiten der Carbonsäuredämpfe über erhitztes Thoriumoxid ThO2 oder Manganoxid
MnO durchführen. Dabei entsteht das Salz der Carbonsäure, das sogleich in das Keton und
das entsprechenden Carbonat zerfällt. Das Carbonat reagiert mit der weiter zuströmenden
Carbonsäure, wobei wieder das Salz der Carbonsäure entsteht, worauf sich die Spaltung in
das Keton und das Carbonat wiederholt.
Die Pyrolyse der Barium- oder Calciumsalze von Disäuren eignet sich auch für die Syn-
these cyclischer Ketone.

H2C CH2 C O H2C CH2


Ca
2 300 °C
C O + CaCO3
H2C CH2 C O H2C CH2

Calciumsalz der Hexandisäure Cyclopentanon


Höhermolekulare Fettsäuren können nach Krafft durch Pyrolyse ihrer Erdalkalisalze mit
Calciumacetat zunächst in das entsprechende Methylketon umgesetzt werden, das dann
durch Oxidation in das nächst niedrige Homologe der Fettsäure überführt wird.

13.3.5 Synthese von Arylketonen


Für die Synthese von Arylketonen oder Alkylarylketonen lassen sich die vorgenannten Me-
thoden für aliphatische Ketone auch anwenden, außerdem gibt es aber für ihre Synthese noch
spezielle Darstellungsmethoden.

13.3.5.1 Die Friedel-Crafts-Reaktion mit Säurechloriden


Aromatische Kohlenwasserstoffe werden mit Säurechloriden durch elektrophile Acylierung
zu Ketonen umgesetzt, wenn eine Aktivierung des Säurechlorids mit Lewis-Säuren, z.B.
AlCl3, erfolgt (Reaktionsmechanismus siehe Abschnitt 6.6.1.4).

O O
AlCl3
Ar H + X C R Ar C R + HX X = Cl, Br, I

Anstelle von Säurechloriden können auch Säureanhydride zur Acylierung der Aromaten
eingesetzt werden.
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 501

13.3.5.2 Die Houben-Hoesch-Reaktion


Mehrwertige Phenole oder Phenolether reagieren mit Nitrilen und HCl in Gegenwart einer
Lewis-Säure, z.B. AlCl3 oder ZnCl2, wobei zunächst wahrscheinlich das Ketiminiumchlorid
entsteht, das zum Keton hydrolysiert wird.

HO OH HO OH HO OH
AlCl3 H2O
+ R C N + HCl H
- NH4Cl O
C N H C

R Cl R
Ketiminiumchlorid Keton

Es wird angenommen, daß das Nitril R–CN mit HCl protoniert wird und als elektrophiles
Teilchen R–+C=NH in einer SE-Reaktion mit dem Phenol zum Ketiminium-Salz umgesetzt
wird, das dann zum Keton hydrolysiert wird (RM der Hydrolyse siehe Abschnitt 13.3.4.3).

R C N + HCl

HO OH HO OH HO OH HO OH
AlCl3 H2O
R C N H H H - NH4Cl
O
Cl C N H C N H C

R Cl R Cl R
Ketiminiumchlorid Keton

13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone


Sowohl Aldehyde als auch Ketone haben im Molekül eine Carbonylgruppe, die ihre Reak-
tivität bedingt. Sie zeigen deshalb auch vielfach die gleichen Reaktionen.
Das Sauerstoffatom der Carbonylgruppe bewirkt durch die im Vergleich zu Kohlenstoff
höhere Elektronegativität eine Polarisierung der C=O-Doppelbindung.

C O C O

An das C-Atom der Carbonylgruppe, das eine positive Teilladung aufweist, kann die Ad-
dition eines Nucleophils erfolgen. Das Sauerstoffatom der Carbonylgruppe verfügt über freie
Elektronenpaare, hat somit schwach basische Eigenschaften und kann ein Proton binden.
Aldehyde und Ketone reagieren mit Grignard-Reagens, wobei über einen cyclischen
Übergangszustand ein Zwischenprodukt gebildet wird, aus dem durch Hydrolyse ein Alko-
hol entsteht (siehe Abschnitt 10.6.2.8).
502 13 Aldehyde und Ketone

Die positive Teilladung am Kohlenstoffatom der Carbonylgruppe bewirkt einen –I-Effekt


auf die in nächster Nähe befindlichen σ-Bindungen. Dies hat eine leichte Polarisation der
C–H-Bindung der in direkter Nachbarschaft zur Carbonylgruppe befindlichen CH-, CH2-
oder CH3-Gruppe zur Folge, die zur Abspaltung eines Protons führen kann (CH-Acidität),
wobei ein mesomeriestabilisiertes Ketocarbanion-Enolat-Ion gebildet wird.

δ+ δ- OH δ+ δ-
C C O C C O C C O + H2O

Ketocarbanion-Enolation

Reaktive Zentren der Aldehyde und Ketone schematisch dargestellt

Unterschiede in den Reaktionen der Aldehyde und Ketone


Zum Unterschied von den Ketonen haben die Aldehyde am C-Atom der Carbonylgruppe
ein Wasserstoffatom gebunden. Dies bedingt die leichte Oxidierbarkeit der Aldehyde.
Ketone dagegen sind Oxidationsmitteln gegenüber weitgehend beständig. Oftmals benutzt
man sogar Aceton als Lösungsmittel bei Oxidationsreaktionen. Aldehyde, vor allem For-
maldehyd und Acetaldehyd, bilden Oligomere bzw. Polymere, während Ketone auf diese
Weise nicht reagieren.
Bei Ketonen, an deren Carbonylgruppe sperrige Alkylreste gebunden sind, wird dem
Nucleophil der Zutritt zum Kohlenstoffatom des Carbonyls räumlich verwehrt, so daß die
nucleophile Addition an solche Ketone nicht stattfindet. In diesem Falle spricht man von
einer sterischen Hinderung.
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 503

Zutritt des Nucleophils |Nu wird durch sperrige Gruppen behindert:


H3C CH3
C
H3C
Nu C O
H3C
C
H3C CH3

Mechanismen der nucleophilen Addition an Carbonylverbindungen


Die Polarität der C=O-Doppelbindung und die damit verbundene positive Teilladung am
Kohlenstoffatom der Carbonylgruppe ermöglichen bei Aldehyden und Ketonen nucleophile
Additionsreaktionen.
OH
δ+ δ-
C O + Nu H C
Nu

Als nucleophil wird diese Addition deshalb bezeichnet, weil für diese Reaktion der
Angriff eines Nucleophils NuH bzw. Nu– charakteristisch ist, der die Reaktion auch in der
Regel einleitet.
Mit undissoziiertem NuH als Nucleophil:

δ+ δ- OH
C O C O C
Nu
Nu H
Nu H

Mit Nu– als Nucleophil:


H
O
δ+ δ- OH δ+ δ- H OH
H
C O C O C oder C O C O C

Nu Nu Nu
Nu
Nu Nu
O H

Die nucleophile Addition an die Carbonylgruppe kann auch mit basischer oder saurer Ka-
talyse erfolgen.
a) Die basenkatalysierte Addition. Im ersten Reaktionsschritt spaltet eine Base B aus dem
undissoziierten Molekül Nu–H zunächst ein Proton ab,

Nu H + B Nu + H B B = Base

worauf sich das Nucleophil Nu– mit seinem Elektronenpaar an das C-Atom der Car-
bonylgruppe bindet. Der Sauerstoff des Zwischenprodukts mit der negativen Ladung
504 13 Aldehyde und Ketone

nimmt von der protonierten Base oder vom im Reaktionsgemisch befindlichen Wasser
ein Proton auf.

O O H
H B
C O C C + B
Nu Nu
Nu

b) Die säurekatalysierte Addition. Im sauren Medium wird der Sauerstoff der Car-
bonylgruppe protoniert.

H
H
C O C O C O H

Carboxoniumion
Die positive Teilladung des Carbonylkohlenstoffs wird dadurch wesentlich verstärkt, so daß nun-
mehr der Angriff des Nucleophils besser erfolgen kann.

H Nu H Nu
C O C O H Nu H C C + H
OH OH

Da zunächst ein Proton (also ein Elektrophil) an das Sauerstoffatom der Carbonyl-
gruppe gebunden wird, könnte man meinen, eine elektrophile Addition an die Carbonyl-
verbindung läge vor. Diese rein formelle Sichtweise ist aber irreführend, denn die
typischen elektrophilen Reaktionen, die z.B. bei den Alkenen erfolgen, sind an der Car-
bonylgruppe nicht durchzuführen. Auch bei der säurekatalysierten Addition an die Car-
bonylgruppe ist der Angriff des Nucleophils das wesentliche Merkmal.

13.4.1 Addition von C-Nucleophilen an Aldehyde und Ketone

Carbanionen reagieren als Nucleophile mit den Carbonylverbindungen. Die Carbanionen


entstehen durch Abspaltung eines Protons aus Verbindungen, die eine polare C–H-Bindung
haben und deshalb als schwache Säuren angesehen werden können. Man bezeichnet diese
Verbindungen als C-Säuren. Die Reaktionen der C-Säuren mit Carbonylverbindungen sind
für verschiedene Synthesen wichtig, da dabei Kohlenstoffatome miteinander verknüpft wer-
den (C–C-Verknüpfung). Ein Beispiel dafür ist die Aldol-Reaktion (siehe Abschnitt
13.4.7.2). Die Addition von C-Nucleophilen an Aldehyde oder Ketone unter C–C-Verknüp-
fung erfolgt ebenfalls: bei der Reaktion mit Blausäure (Cyanhydrinbildung), der Addition
von Acetylen (Ethinylierung), bei der Reaktion mit Malonsäurediester (Knoevenagel-
Kondensation), der Reaktion mit Bernsteinsäurediester (Stobbe-Reaktion) und der Reaktion
mit einem Phosphor-Ylid (Wittig-Reaktion).
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 505

13.4.1.1 Die Cyanhydrinbildung


Cyanhydrin ist ein Sammelbegriff für α-Hydroxynitrile. Gibt man zu einer wäßrigen Lösung
des Natriumcyanids und eines Aldehyds oder Ketons unter Kühlung 35 %ige Schwefelsäure
(im Abzugsschrank!) hinzu, so wird Cyanwasserstoff (Blausäure) freigesetzt und ein Cyan-
hydrin gebildet. Für diese Reaktion geeignet sind Aldehyde und solche Ketone, die keine
sperrigen Reste an die Carbonylgruppe gebunden haben. Im ersten Reaktionsschritt greift das
stark nucleophile Cyanidion CN– die Carbonylverbindung an, wobei eine C–C-Verknüpfung
zustande kommt. Im zweiten Schritt wird H+ vom negativ geladenen Sauerstoff gebunden.
H
O O O
H
C C N R C C N R C C N
R H
H H
Cyanhydrin
Aldehyde, die am α-ständigen Kohlenstoffatom kein Wasserstoffatom gebunden haben,
können Cyanhydrine bilden, die durch Hydrolyse der Nitrilgruppe in stark saurem Medium
(siehe Abschnitt 15.3.2.4a) in α-Hydroxysäuren umgesetzt werden.

α-ständiges C-Atom
OH OH
O O
H /2 H2O
C + H C N C C N C C
- NH4
H OH
H H
Benzaldehyd Benzaldehydcyanhydrin Mandelsäure

Bei Aldehyden, die am α-ständigen C-Atom ein Wasserstoffatom gebunden haben, kann
nach der Addition von HCN im sauren Medium eine Dehydratisierung des Cyanhydrins zum
α, β-ungesättigten Nitril erfolgen.
Aus Aceton kann man über das Cyanhydrin als Zwischenprodukt das Methylmethacrylat
synthetisieren. Aus diesem wird Plexiglas hergestellt (siehe Abschnitt 15.5.1.2).

C N O
H3C H H3C OH H2C H2C
H H /CH3OH
C O C C C N C C OCH3
- H2O - NH4
H3C H3C C N H3C H3C

Aceton Acetoncyanhydrin Methacrylnitril Methylmethacrylat


(Methacrylsäuremethylester)

13.4.1.2 Die Benzoinaddition


Läßt man Aromatische Aldehyde ohne Zugabe einer Säure mit Natriumcyanid in wäßrig-
alkoholischer Lösung reagieren, so erfolgt unter katalytischer Wirkung des Cyanidions die
Bildung von Benzoinen. Cyanhydrin tritt in dieser Reaktion als Zwischenprodukt auf. Als
Beispiel diene die Reaktion mit Benzaldehyd:
506 13 Aldehyde und Ketone

OH O
O
C N
2 C C C
H
H
Benzaldehyd Benzoin

Bei der Benzoinaddition erfolgt zunächst die Addition des Cyanidions an die Carbonyl-
gruppe des Benzaldehyds, wobei das Cyanhydrin entsteht. Dieses hat infolge des –I-Effekts
der Hydroxy- und Nitrilgruppe die Eigenschaft einer C-Säure, die ein Proton in Benzyl-
Position abspaltet. Das hierbei entstandene Carbanion ist durch Mesomerie mit dem aromati-
schen Kern und der Cyanidgruppe mesomeriestabilisiert. Das Carbanion ist ein Nucleophil,
das an die Carbonylgruppe eines Benzaldehydmoleküls addiert wird, so daß eine C–C-Ver-
knüpfung stattfindet.

O O H H O H H O
O - H2O
C6H5 C H C6H5 C H C6H5 C H O H C6H5 C

+ C N C N C N Benzylposition N C

Cyanhydrin Carbanion

O
H O C C6H5 H O O H H H O O H
H O
C6H5 C C6H5 C C C6H5 C6H5 C C C6H5

N C N C H N C H

Carbanion

Infolge des starken –I-Effekts der Cyanidgruppe erfolgt die Deprotonierung der zur Cya-
nidgruppe α-ständigen Hydroxygruppe. Im letzten Reaktionsschritt erfolgt die Abspaltung
der Cyanidgruppe unter Bildung des Benzoins.

H O O H O O H O O H
α -H
C6H5 C C C6H5 C6H5 C C C6H5 C6H5 C C C6H5 + C N

N C H N C H H

Benzoin

Benzoin kann mit Salpetersäure zum Benzil oxidiert werden. Dieses lagert sich im alkali-
schen Medium durch Anionenwanderung der Phenylgruppe zum Benzilsäureanion um.
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 507

O O O O

C6H5 C C O H C6H5 C C OH

C6H5 C6H5

Benzil

O H
H
H O
O O O O
H
OH
C6H5 C C O H C6H5 C C O

C6H5 C6H5 H2O


Benzilsäureanion
13.4.1.3 Die Ethinylierung2
Acetylen und seine Monosubstitutionsprodukte werden unter Bildung eines Alkindiols bzw.
Alkinols nucleophil an Aldehyde oder Ketone addiert. Als Kontaktsubstanz dient bei dieser
Reaktion das auf einem Trägermaterial mit großer Oberfläche aufgetragene Kupferacetylid
(siehe Abschnitt 4.5.2.2).
O OH
Kupferacetylid
C + H C C R' R C C C R'
R H
H
Alkinol
Acetylen kann mit Formaldehyd und Kupferacetylid als Kontaktsubstanz zum 2-Butin-
1,4-diol umgesetzt werden.

O OH OH
Kupferacetylid
C + H C C H H C C C C H
2
H H
H H
2-Butin-1,4-diol
Früher wurde das nach obiger Reaktionsgleichung hergestellte 2-Butin-1,4-diol zur Syn-
these von Butadien verwendet, wobei es zunächst katalytisch hydriert und das Butan-1,4-diol
dann dehydratisiert wurde. Heute gewinnt man Butadien fast ausschließlich aus beim
Steamcracken (siehe Abschnitt 7.6.1.2) anfallenden C4-Crackschnitten.

2
Ethinylierung ist die von W. Reppe eingeführte Bezeichnung für die Addition von Acetylen bzw.
monosubstituierten Alkinen an Aldehyde oder Ketone, die unter Erhalt der Dreifachbindung erfolgt.
Kupferacetylid wird als Katalysator verwendet.
508 13 Aldehyde und Ketone

13.4.1.4 Die Knoevenagel-Kondensation

Als Knoevenagel-Kondensation bezeichnet man allgemein eine mit schwachen Basen kataly-
sierte Kondensationsreaktion von Aldehyden bzw. Ketonen mit Verbindungen, die eine akti-
vierte Methylengruppe besitzen.
Malonsäurediester reagieren mit Aldehyden oder Ketonen unter Katalyse schwacher Basen
(z.B. Pyridin oder Diethylamin) zum Alkylidenmalonsäurediester. Nach Ansäuern wird der
Diester hydrolysiert und es folgt eine Decarboxylierung. Als Endprodukt entsteht eine α,β-
ungesättigte Carbonsäure.

O O
H
R H C OC2H5 R C OC2H5 R O
Pyridin H /H2O
C O + C C C C C C
H - H2O - 2 C2H5OH
H C OC2H5 H C OC2H5 H OH
- CO2
O O

Aldehyd Malonsäurediester Alkylidenmalonsäurediester α,β-ungesättigte


Carbonsäure
Im Malonsäurediester befinden sich in direkter Nachbarschaft zur Methylengruppe zwei
Carbonylgruppen, die beide einen starken –I-Effekt ausüben und dadurch die C–H-Bindung
polarisieren. Der Malonsäurediester ist eine C-Säure, die aus der Methylengruppe ein Proton
abspaltet, das von der im Reaktionsgemisch anwesenden Base gebunden wird. Es entsteht
das mesomeriestabilisierte Malonsäurediester-Anion.

O O O
O
C OC2H5 C OC2H5 C OC2H5
N H C OC2H5 N H + CH CH CH
C C OC2H5 C OC2H5 C OC2H5
H C OC2H5
O O O
O

Pyridin Malonsäurediester Malonsäurediester-Anion


Im weiteren erfolgt eine nucleophile Addition des Malonsäurediester-Anions an die Dop-
pelbindung der Carbonylgruppe des Aldehyds bzw. des Ketons.

O O O O
O O
C OC2H5 C OC2H5 C OC2H5 C OC2H5
R C CH CH CH R C CH
C OC2H5 C OC2H5 C OC2H5 C OC2H5
H H
O O O O

Malonsäurediester-Anion
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 509

Nach Protonierung des Addukts erfolgt eine Dehydratisierung. Sie wird durch Abspal-
tung eines Protons aus der Methingruppe eingeleitet. Das Proton wird von der Base gebun-
den. Die Abspaltung von H+ aus der Methingruppe kann deshalb leicht erfolgen, weil die
C–H-Bindung durch den –I-Effekt benachbarter Carbonylgruppen polarisiert ist und ein me-
someriestabilisiertes Produkt entsteht.

H B
O H O O
O O H O H B
C OC2H5 C OC2H5 R C OC2H5
R C CH R C C H B C C +
C OC2H5 C OC2H5 H C OC2H5 H2O + B
H H
O O O

B = Base, z.B. Pyridin

Nach Hydrolyse des Alkylidenmalonsäurediesters decarboxyliert die Alkylidenmalonsäu-


re (siehe Abschnitt 15.4.5.2) und es entsteht eine α,β-ungesättigte Carbonsäure.

O O
H /H2O H
R C OC2H5 - 2 HOC2H5 R C OH R O
C C C C C C C + CO2
H 2 HOC2H5 H H
C OC2H5 C OH OH

O O

Alkylidenmalonsäurediester Alkylidenmalonsäure α,β-ungesättige Carbonsäure

13.4.1.5 Die Stobbe-Kondensation


Bernsteinsäurediester reagieren, bei basischer Katalyse mit Natriumethanolat, mit Aldehyden
und Ketonen zum Na-Salz des Alkylidenbernsteinsäuremonoesters.
R R
C2H5O Na
C O + H2C CH2 COOR' C C CH2 COO Na
- R'O , - C2H5OH
H H
COOR' COOR'
Bernsteinsäurediester Na-Salz des Alkyliden-
bernsteinsäuremonoesters
In Wechselwirkung mit dem Ethanolat-Ion als Protonenakzeptor spaltet der Bernstein-
säurediester zunächst ein Proton ab.
H
H CH2 COOR' H CH2 COOR'
C2H5 O H C CH2 COOR' C2H5 O H+ C C

C C C
O OR' O OR' O OR'

Bernsteinsäurediester Bernsteinsäurediester-Anion
510 13 Aldehyde und Ketone

Das Bernsteinsäurediester-Anion greift nucleophil die Carbonylgruppe des Aldehyds bzw.


Ketons an.

O H
O H CH2 COOR' H CH2 COOR'
R C C C R C C CH2 COOR'
H
C C H COOR'
O OR' O OR'

Bernsteinsäurediester-Anion Addukt
Das Addukt cyclisiert unter Abspaltung der Alkoxygruppe zu einem γ-Lacton.

O
O O R' O O R'
C C C + O R'
α
O CH2 O CH2 O CH2
γ β
R C C H R C C H R C C H

H COOR' H COOR' H COOR'


Addukt γ−Lacton
Im Lacton ist die C–H-Bindung durch die –COOR'-Gruppe aktiviert, es erfolgt eine Ab-
spaltung des Protons, das vom Ethanolat-Ion gebunden wird. Dieser Reaktionsschritt geht
einher mit der Ringspaltung, wobei das Salz des Alkylidenbernsteinsäuremonoesters gebildet
wird.
O O

C C
O CH2 O CH2

R C C H O C2H5 R C C + H O C2 H5

H COOR' H COOR'
Lacton Salz des Alkylidenbernsteinsäuremonosters
Anmerkung: Lactone sind cyclische Ester, γ gibt an, an welchem C-Atom das im Ring be-
findliche O-Atom gebunden ist.

13.4.1.6 Die Wittig-Reaktion


Triphenylphosphorylide reagieren mit Aldehyden und Ketonen im alkalischen Medium bei
Zimmertemperatur oder unter gelindem mehrstündigen Erwärmen, wobei ein Alken und
Triphenylphosphanoxid gebildet werden. In dieser Reaktion erfolgt unter milden Reaktions-
bedingungen eine C–C-Verknüpfung und regiospezifisch3 wird eine Kohlenstoff-Kohlen-
stoff-Doppelbindung gebildet.

3
Die Reaktion erfolgt an bestimmter Stelle des Moleküls (lat. regio = Gegend, Gebiet).
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 511

R1 R3 R1 R3
C O + (C6H5)3P C C C + (C6H5)3P O
2 4 2 4
R R R R
Keton Triphenylphosphorylid Alken Triphenylphosphanoxid

Zunächst erfolgt die nucleophile Addition des Triphenylphosphorylids an die Car-


bonylgruppe. Das zuerst entstandene Betain (als Betaine werden innere Salze bezeichnet,
siehe Abschnitt 23.5.3) reagiert zum Oxaphosphetan (Verbindung mit viergliedrigem Ring
mit Sauerstoff und Phosphor als Heteroatome). Aus diesem bilden sich, über einen vierglied-
rigen Übergangszustand, ein Alken und Triphenylphosphanoxid. Die Produktbildung kann
mit der starken Neigung des Phosphors, Sauerstoff zu binden, erklärt werden.

O P(C6H5)3 O P(C6H5)3 O P(C6H5)3

C C R3 R1 C C R3 R1 C C R3
R1 R2 R4 R2 R4 R2 R4
Ylid Betain Oxaphosphetan

O P(C6H5)3
R1 R3
1 3
R C C R C C + O P(C6H5)3
2 4
R R
R2 R4
Übergangszustand Alken Triphenylphosphanoxid

Das für die Reaktion benötigte Triphenylphosphorylid entsteht aus Triphenylphosphan


und einem Alkylhalogenid. Durch eine SN-Reaktion des Triphenylphosphans mit dem Alkyl-
halogenid wird zunächst das Phosphoniumsalz gebildet. Dieses wird mit einer starken Base,
z.B. Butyllithium, deprotoniert; es entsteht das Ylid. Die Bezeichnung Ylid deutet mit der
Silbe -yl die Kovalenz der P–C-Bindung und mit der Endsilbe -id die Ionenbindung an.

X H
H R R
R C4H9Li
(C6H5)3P C X (C6H5)3P C R (C6H5)3P C (C6H5)3P C
- C4H10
R - LiX R R
R
Phosphoniumsalz Ylid

Das Triphenylphosphan wird aus Chlorbenzol, Phosphor-(III)-chlorid und Natrium syn-


thetisiert. Man kann diese Reaktion als modifizierte Wurtz-Fittig-Reaktion auffassen (siehe
Abschnitt 2.7.2.1).
512 13 Aldehyde und Ketone

3 Cl + PCl3 + 6 Na P + 6 NaCl

Die Wittig-Reaktion ist in der Synthese vielseitig anwendbar, sie wurde z.B. für die Syn-
these des β-Carotins benutzt, und sie wird auch bei der großtechnischen Herstellung von
Vitamin A eingesetzt.

13.4.2 Die Addition von O-Nucleophilen an Aldehyde und Ketone

13.4.2.1 Hydratbildung
Wasser wird nucleophil an die Doppelbindung der Carbonylgruppe addiert. Auf Grund der
gerade noch ausreichenden Nucleophilie des Sauerstoffes im undissoziierten Wassermolekül
und der relativ hohen Elektrophilie der Carbonylgruppe ist auch eine unkatalysierte Anlage-
rung des Wassers an die C=O-Doppelbindung möglich. Das Addukt wird als Hydrat be-
zeichnet.

H
O O
O H H
R C + O R C O R C O H
H H H
H H

Aldehyd Aldehydhydrat
Die Reaktion des Wassers mit Aldehyden und Ketonen ist umkehrbar, die Carbonyl-
verbindung und das Carbonylhydrat stehen im Reaktionsgleichgewicht. Formaldehyd ist in
wäßrigen Lösungen fast vollständig und Acetaldehyd etwa zur Hälfte hydratisiert, während
Aceton nur ganz wenig hydratisiert ist. Ketone werden deshalb so wenig hydratisiert, weil
der +I-Effekt beider Alkylreste die positive Teilladung am Carbonylkohlenstoff vermindert,
was den Angriff des schwachen Nucleophils Wasser erschwert.
Die Einstellung des Reaktionsgleichgewichtes wird sowohl durch Säuren als auch durch
Basen beschleunigt.
Bei der säurekatalysierten Hydratisierung wird ein Proton vom Sauerstoffatom der
Carbonylgruppe gebunden. Das Kohlenstoffatom hat dann eine positive Ladung, was den
Angriff des Wassers als Nucleophil erleichtert.
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 513

H H
H H
H O O
O O H O H O H
R C R C R C R C O R C O H
H H H H
H H H
Aldehyd Carboxoniumion Aldehydhydrat
Bei der basenkatalysierten Hydratbildung ist das Hydroxid-Ion das nucleophile Agens.
Das intermediäre Addukt reagiert mit Wasser unter Bildung des Hydrats und Freisetzung des
Hydroxid-Ions.
H
H H
O O
O O
R C O H R C O H R C O H + O H
H
H H
Geminale Diole (zwei OH-Gruppen am gleichen C-Atom) sind nicht stabil und spalten
leicht Wasser ab (Erlenmeyer-Regel). Dies gilt auch für Hydrate. Bei Eindampfen der wäßri-
gen Lösung von Hydraten werden die ursprünglichen Carbonylverbindungen rückgebildet.
Eine Ausnahme bilden Hydrate, die am α-ständigen C-Atom elektronenanziehende Gruppen
oder Atome haben. Der starke –I-Effekt stabilisiert das Hydrat, so daß man es isolieren kann.
Beispiele dafür sind das Chloralhydrat und das Ninhydrin.

O O
Cl O Cl OH OH
Cl C C + H2O Cl C C OH O + H2O
Cl H Cl H OH

O O

Chloral Chloralhydrat Triketoindan Ninhydrin


Chloralhydrat ist eine kristalline Substanz (Smp. 57°C) mit narkotischer Wirkung (Miß-
brauch als „Knockout-Tropfen“). Ninhydrin wird in der Papier- und Dünnschichtchromato-
graphie als Sprühreagens zum Nachweis von α-Aminosäuren verwendet. Wird Ninhydrin er-
hitzt, reagiert es mit α-Aminosäuren zu einem blauen Farbstoff (Reaktionsmechanismus
siehe Abschnitt 23.5.8).

O O O

OH O
2 + R CH COOH N + R C
OH H
NH2
O O O
+ CO2 + 3 H2O + H
Ninhydrin α-Aminosäure blauer Farbstoff
514 13 Aldehyde und Ketone

13.4.2.2 Die Halbacetal- und Acetalbildung


Aldehyde und Ketone reagieren mit Alkohol zum Halbacetal (Semiacetal), das unter Einfluß
saurer Katalysatoren mit Alkohol weiter zum Vollacetal (auch einfach als Acetal bezeichnet)
umgesetzt wird. Als sauren Katalysator kann man Chlorwasserstoffgas in das Reaktions-
gemisch einführen oder man kann p-Toluolsulfonsäure zur Katalyse verwenden.
H R'
O O
O H O R', H
H
R C + H O R' R C O R' R C O R' + H2O
H
H H
Aldehyd Alkohol Halbacetal (Voll)Acetal

Bei der Halbacetalbildung erfolgt eine nucleophile Addition des Alkohols an die Car-
bonylgruppe. Die Halbacetalbildung erfolgt in manchen Fällen, z.B. bei der Ringbildung der
Zucker, auch ohne saure Katalyse. In der Regel wird jedoch die Reaktion sauer katalysiert.
Die Protonierung am Sauerstoffatom der Carbonylgruppe ermöglicht einen besseren nucleo-
philen Angriff des Alkohols, der ein schwaches Nucleophil ist. Nach Anlagerung des Alko-
hols wird unter Abspaltung eines Protons das Halbacetal gebildet.

H H
H
O O
O O H O H O R'
H
R C R C R C R C O R' R C O R'
- R'OH
H -H H H
H H H +H
Aldehyd Carboxoniumion Halbacetal

Die Reaktion bleibt gewöhnlich nicht beim Halbacetal stehen. Im ersten Reaktionsschritt
erfolgt im sauren Medium die Protonierung der OH-Gruppe. Danach wird in einer SN-
Reaktion die +OH2-Gruppe, die eine gute Abgangsgruppe bildet, durch den als Nucleophil
angreifenden Alkohol ersetzt. Bei der Deprotonierung des Oxoniumions entsteht das Acetal.

H H H H
H O O
- H2O O R'
R C O R' R C O R' R C O R'
H2O - R'OH
H H H

Halbacetal H R' H R'


O O

R C O R' R C O R'

H H
Acetal
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 515

Die Halbacetalbildung und die Acetalbildung sind umkehrbare Reaktionen. Im Reak-


tionsgleichgewicht liegt bei der Reaktion mit Aldehyden überwiegend die Halbacetal- bzw.
Acetalform vor, bei Ketonen hingegen ist das Gleichgewicht stark nach links verschoben.
Die Reaktionsprodukte der Ketone werden oft auch als Semiketale und Ketale bezeichnet.
Durch Zugabe verdünnter Säure zum Acetal wird das Reaktionsgleichgewicht zur Rück-
bildung der Carbonylverbindung verschoben. Die Reaktion wird als Acetal-Hydrolyse be-
zeichnet. In basischem Medium sind Acetale aber beständig. Sie sind auch beständig gegen
Oxidationsmittel. Soll in einer Verbindung eine funktionelle Gruppe oxidiert werden, aber
nicht die ebenfalls in dieser Verbindung anwesende Formylgruppe, so kann man sie durch
Überführen in das Acetal schützen. Nach erfolgter Oxidation in basischem Medium wird
durch Ansäuern der Aldehyd wieder freigesetzt. Besonders cyclische Acetale können nützli-
che Schutzgruppen darstellen. Ein cyclisches Acetal erhält man, läßt man z.B. Ethylenglykol
mit dem Aldehyd reagieren.

HO
O CH2 R O CH2
H
R C + C + H2O
CH2
H H O CH2
HO

Aldehyd Ethylenglykol cyclisches Acetal

13.4.3 Die Addition von N-Nucleophilen an Aldehyde und Ketone


Mit stickstoffhaltigen Verbindungen, die ein freies Elektronenpaar am Stickstoff aufwei-
sen, kann eine nucleophile Addition an Aldehyde und Ketone erfolgen. Das als Zwischen-
produkt gebildete Hydroxyderivat läßt sich nur in Ausnahmefällen isolieren, es spaltet
spontan Wasser ab.
H
O

C O H2N X C NH X C N X H2O

X = H, R, OH, NH2 oder NHCONH2

Beispiele:

OH H

C O NH2R C N R C NR H2O

primäres Amin Imin


516 13 Aldehyde und Ketone

OH H

C O NH2OH C N OH C N OH H2O

Hydroxylamin Oxim

OH H

C O H2 N NH2 C N NH2 C N NH2 H2O

Hydrazin Hydrazon

OH H

C O H2N NHCONH2 C N NHCONH2 C N NHCONH2 H2O

Semicarbazid Semicarbazon

Nach der Addition eines sekundären Amins an einen Aldehyd oder ein Keton ist beim
Addukt am Stickstoff kein Wasserstoffatom mehr vorhanden. Die Abspaltung von Wasser
kann deshalb nur so erfolgen, daß aus der nebenständigen C–H-Gruppierung ein Proton H+
abgespalten wird, so daß ein Enamin entsteht.

R
R' CH2 H OH
R R R' N
C O H N R' C C N C C R
R R H
H
sekundäres Amin Enamin

Tertiäre Amine reagieren mit Carbonylverbindungen nicht.


Durch Protonierung der Carbonylgruppe im sauren Medium wird die Elektrophilie der
Carbonylverbindung verstärkt. Andererseits kann, da Nucleophile auf Grund des Besitzes
freier Elektronenpaare auch basische Eigenschaften haben, das Nucleophil ein Proton binden
und seine Nucleophilie dadurch herabgesetzt werden. Die Wahl des pH-Wertes des Reak-
tionsmediums stellt also eine Kompromißlösung dar, welche einen optimalen Ablauf der
Reaktion gewährleistet. Die Acidität des Reaktionsmediums richtet sich hauptsächlich nach
dem zu addierenden Nucleophil. Stark nucleophile Reagenzien wie Ammoniak, primäre und
sekundäre Amine oder Hydroxylamin können auch ohne Säure- oder Basenkatalyse reagie-
ren. Die Additionen mit Aminen führt man jedoch gewöhnlich säurekatalysiert durch. Semi-
carbazide reagieren im gepufferten Medium (Essigsäure und Natriumacetat), und die Hydra-
zonbildung erfolgt in saurem Medium. Die Addition von Hydroxylamin wird in schwach
saurem oder in basischem Medium durchgeführt.
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 517

Phenylhydrazone, Oxime und Semicarbazide bilden Kristalle mit einer scharfen


Schmelztemperatur. Sie werden deshalb zur Identifizierung von Aldehyden und Ketonen he-
rangezogen. Die Reaktionen, die zur Bildung dieser gut kristallisierenden Produkte führen,
sind reversibel, so daß man aus den Reaktionsprodukten durch Erwärmen mit verdünnten
Säuren die Carbonylverbindungen wieder zurückgewinnen kann. Auf diese Weise lassen
sich Carbonylverbindungen aus Naturstoffgemischen relativ gut isolieren: Man trennt die gut
kristallisierenden Addukte von den in der Mutterlauge verbliebenen anderen Stoffen des Ge-
misches und gewinnt durch Zugabe verdünnter Säuren und Erwärmen des Reaktionsgemi-
sches die Carbonylverbindungen wieder zurück.

13.4.3.1 Addition des Ammoniaks


Die nucleophile Addition des Ammoniaks an die Carbonylverbindungen führt zunächst zum
Aminol, das auch als Aldehydammoniak bezeichnet wird. Im weiteren Reaktionsschritt wird
durch Wasserabspaltung das Imin gebildet. Die Reaktionen sind umkehrbar, das Reaktions-
gleichgewicht liegt auf der Seite der Ausgangsstoffe.

H
O NH
O NH2 H O NH2
C NH3 C C C + H 2O

Aminol Imin

Chloralammoniak, das bei der Addition des Ammoniaks an Chloral entsteht, wird durch
den –I-Effekt der Chloratome stabilisiert.

Cl OH
O
Cl3C C + NH3 Cl C C NH2
H
Cl H
Chloral Chloralammoniak

Formaldehyd bildet ebenfalls ein Addukt mit Ammoniak, das aber dann noch weiter-
reagiert: Bei Eindampfen eines Gemisches von Formalin und konzentrierter Ammoniak-
lösung wird kristallines Hexamethylentetramin gewonnen, das auch als Urotropin bezeichnet
wird. Es dient als Desinfiziens der Harnwege.

O
6 H C + 4 NH3 (CH2)6N4 + 6 H2O
H
Urotropin
Formaldehyd bildet mit Ammoniak zunächst Formaldehydammoniak. Dieses Zwischen-
produkt wird zu Methylenimin dehydratisiert.
518 13 Aldehyde und Ketone

H
O H O
O NH
H C + NH3 H C N H H C N H H C + H2 O
H H
H H H H
Formaldehydammoniak Methylenimin

Methylenimin trimerisiert zu Hexahydro-1,3,5-triazin (Nomenklatur siehe Abschnitt 25.1).

H H H H
C C H
H
H N N H N N
H H H H
C C C C
H N H
H N H
H Hexahydro-1,3,5-triazin
H

Das Hexahydro-1,3,5-triazin reagiert weiter mit Formaldehyd, und die als Zwischenpro-
dukt entstandene Trihydroxymethylverbindung kondensiert unter Wasserabspaltung mit
einem Ammoniakmolekül, wobei Hexamethylentetramin entsteht.

Hexahydro-1,3,5-triazin + Formaldehyd Hexamethylentetramin

13.4.3.2 Addition von primären Aminen


Primäre Amine reagieren mit Carbonylverbindungen, wobei das substituierte Imin, das auch
als Schiffsche Base bezeichnet wird, entsteht. Die Reaktionsprodukte der Amine mit Alde-
hyden kann man auch Aldimine, die der Ketone Ketimine nennen. Die Reaktion wird meist
sauer katalysiert. Nach Protonierung am Sauerstoffatom erfolgt der nucleophile Angriff des
Amins am Carboxoniumion, dem eine Deprotonierung am Stickstoff folgt. Bei der Reaktion
wird das Halbaminal als Zwischenprodukt gebildet. Als Halbaminale werden die Stickstoff-
analoga der Halbacetale (siehe Abschnitt 13.4.2.2) bezeichnet. Durch Wasserabspaltung
entsteht aus dem Halbaminal das Imin.
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 519

H H H H H
H + H
O O O N H O H O
R H H
C C C R' C N R' C N
R' H R' H R' H R R
H H
Carboxoniumion Halbaminal

H H H
O O + H
R' H R'
H H - H2O
R' C N +H R' C N C N C N R
R R H
H R
H H
Halbaminal Imin (Schiffsche Base)

Die Reaktionen, die zur Bildung des Imins führen, sind umkehrbar. Die Imine werden
leicht zu den Ausgangssubstanzen hydrolysiert und sind im allgemeinen wenig beständig. Im
Falle jedoch, daß bei den Reaktanden die Carbonylgruppe oder die Aminogruppe an einen
aromatischen Kern gebunden sind, ist das bei der Reaktion gebildete Imin relativ stabil, z.B.:

O N
C + H2N C + H2O
H H
Benzylidenanilin

Die Erklärung für die Stabilität der Arylimine ist darin zu suchen, daß die Doppelbindung
C=N in das konjugierte System des aromatischen Ringes einbezogen wird, womit eine zu-
sätzliche Resonanzstabilisierung gegeben ist.
In Analogie zur Keto-Enol-Tautomerie kann beim Imin eine Imin-Enamin-Tautomerie
vorliegen. Allerdings liegt das Gleichgewicht meist vollständig auf der Seite des Imins.

R' C C N R C C C C
R' N R R' N R
H
H H
Imin Enamin

13.4.3.3 Addition von sekundären Aminen


Die im sauren Medium durchgeführte Addition eines sekundären Amins an Aldehyde oder
Ketone führt über das Halbaminal zum Enamin.
520 13 Aldehyde und Ketone

OH
O R R R
- H2O
R' CH2 C + HN R' CH2 C N R' CH C N
H R R R
H H
Aldehyd sek-Amin Halbaminal Enamin
Die Protonierung der Carbonylverbindung im sauren Medium erleichtert die Addition des
sek-Amins. Das Addukt deprotoniert zum Halbaminal.

H H H H H H + H
O O O N R O H O
R
C C C CH2 C N R CH2 C N R
R' CH2 H R' CH2 H R' CH2 H
R' H R R' H R
Aldehyd Carboxoniumion Halbaminal

Die Hydroxygruppe des Halbaminals wird im sauren Medium protoniert, worauf Wasser
abgespalten wird. Aus dem hierbei gebildeten Carbenium-Iminium-Ion kann, da an das
Stickstoffatom kein Wasserstoffatom gebunden ist, im Gegensatz zur Addition des Ammoni-
aks und der primären Amine, kein Imin gebildet werden. Eine Stabilisierung des Moleküls
erfolgt deshalb durch Bildung eines α,β-ungesättigten Amins, des Enamins, durch Deproto-
nierung der Methylengruppe, die sich in Nachbarschaft zum positiven Kohlenstoffatom be-
findet. Die Deprotonierung kann deshalb erfolgen, weil die benachbarte positive Teilladung
die C–H-Bindung der Methylengruppe durch den –I-Effekt polarisiert und das Produkt der
Deprotonierung mesomeriestabilisiert ist.

H H H
O H O
- H2O
CH2 C N R CH2 C N R

R' H R R' H R
Halbaminal
R R
R H R R' N
-H R' N
CH2 C N R' C C N C C R C C R
R R H H H H
R' H H H

Carbenium-Iminium-Ion Enamin
Die durch Addition von sekundären Aminen an Carbonylverbindungen gebildeten Ena-
mine haben am Stickstoff zwei Alkylreste, aber kein Wasserstoffatom gebunden, so daß eine
für die Iminbildung notwendige H+-Abspaltung, die Voraussetzung für die Imin-Enamin-
Tautomerie ist, nicht erfolgen kann. Am Stickstoff disubstituierte Enamine sind stabile Ver-
bindungen, weil sie im Gegensatz zu anderen Enaminen in keinem tautomeren Gleich-
gewicht mit einem Imin stehen (vgl. vorhergehender Abschnitt). Sie haben nucleophile
Eigenschaften und sind vielseitig für Synthesen einsetzbar (siehe Abschnitt 22.6.3.4).
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 521

13.4.3.4 Oximbildung
Hydroxylamin reagiert bei basischer Katalyse in wäßriger oder alkoholischer Lösung mit
Carbonylverbindungen unter Oximbildung.
OH
H
C O + NH2OH C N C N OH + H2O
OH
Hydroxylamin Oxim
Gewöhnlich wird Hydroxylaminhydrochlorid eingesetzt, und das Hydroxylamin aus sei-
nem Salz durch Zugabe von Natriumcarbonat oder Pyridin freigesetzt.

Cl H Cl H
N + H N O H N H + N O H

H H
Pyridin Hydroxylaminhydrochlorid Pyridinhydrochlorid Hydroxylamin
Die Oximbildung erfolgt nach folgendem Reaktionsmechanismus:
H
H O H O
O H B
R C + N OH R C N OH R C N OH
B
R H R H R H
H H
H2O
O OH
R
R C N OH C N

R H R H

B = N und
R R OH
C N OH C N
R R
H + B + H B
H B= N H

13.4.3.5 Hydrazonbildung
Hydrazin reagiert mit Aldehyden oder Ketonen zunächst zum entsprechenden Hydrazon.
Dieses kann mit der Carbonylverbindung unter Bildung eines Azins weiterreagieren.
522 13 Aldehyde und Ketone

R
O C
R - H2O R R R
H
C O + H2N NH2 C N NH2 C N N C + H2O
H H H H
Hydrazin Hydrazon Azin

Größere Bedeutung als das Hydrazin selbst haben für die Darstellung von Hydrazonen
monosubstituierte Hydrazinderivate, da diese eine doppelte Kondensation ausschließen. Das
Hydrochlorid des 2,4-Dinitrophenylhydrazins reagiert in saurer wäßrig-ethanolischen Lö-
sung mit Aldehyden und Ketonen zum 2,4-Dinitrophenylhydrazon, das charakteristische
gelbe schwerlösliche Kristalle bildet. Die Reaktion wird zum chemischen Nachweis von
Aldehyden und Ketonen herangezogen.

R H H R H
H
C O + N N C N N + H2O
H H H

O2N NO2 O2N NO2

2,4-Dinitrophenylhydrazin 2,4-Dinitrophenylhydrazon

Die Reaktion erfolgt nach folgendem Reaktionsmechanismus:

H
Verwendete Abkürzung: X = N

O2N NO2

H H
H H H H
H O O O N O H O
X H H
C C C R' C N R' C N +H
R' H R' H R' H X X
H H
H H H
O H O H
H H R' H R' H
- H2 O
R' C N R' C N C N C N N
X X H X H
H H

O2N NO2

2,4-Dinitrophenylhydrazon
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 523

13.4.3.6 Darstellung von Semicarbazonen


Semicarbazidhydrochlorid NH2NHCONH2 · HCl wird in Alkohol/Wasser gelöst, die Carbo-
nylverbindung zugegeben und zum Abpuffern der Lösung eine Spatelspitze Natriumacetat
zugefügt. Das Reaktionsgemisch wird eine Stunde auf dem Wasserbad erhitzt. Nach Abküh-
len kristallisiert das Semicarbazon aus (Reaktionsgleichung siehe Abschnitt 13.4.3).

13.4.4 Die Addition von S-Nucleophilen an Aldehyde und Ketone

13.4.4.1 Bildung von Thioacetalen


Thiole (Mercaptane) reagieren auf gleiche Weise wie Alkohole mit Aldehyden und Ketonen.
Mit Aldehyden entstehen Thioacetale und mit Ketonen Thioketale (Mercaptale). Die Thio-
ketale werden oftmals auch als Thioacetale bezeichnet.
R R S R' R R S R'
- H2O - H2O
C O +2 H S R' C C O + 2 H S R' C
H H S R' R R S R'
Aldehyd Thiol Thioacetal Keton Thiol Thioketal
Thioacetale und Thioketale sind sehr beständige Verbindungen, sie lassen sich aber mit
Quecksilber-(II)-chlorid in wäßrigem Acetonitril CH3CN leicht hydrolysieren. Für die Syn-
these sind cyclische Thioacetale wichtig, die bei der Reaktion von Aldehyden mit 1,2-
Ethandithiol oder 1,3-Propandithiol entstehen.
1 6
R H S CH2 R S CH2
BF3 in Ether 2 5
C O + CH2 C CH2
3 4
H H S CH2 H S CH2
Aldehyd 1,3-Propandithiol 2-Alkyl-1,3-dithian
Sechsgliedrige gesättigte Heterocyclen haben die Endung -an. Die Bezeichnung dithi-
gibt an, daß zwei Schwefelatome im Heterocyclus sind. Durch Hydrogenolyse mit Raney-
Nickel erhält man aus 2-Alkyl-1,3-dithian das Alkan R–CH3.
2-Alkyl-1,3-dithian hat saure Eigenschaften, mit Butyllithium kann ein Proton abgespal-
ten werden. Die Abspaltung des Protons kann deshalb erfolgen, weil der Schwefel durch die
Polarisierbarkeit seiner Elektronenhülle eine benachbarte negative Ladung stabilisiert. Das
hierbei gebildete Anion ist ein Nucleophil. Es kann z.B. mit einem Alkylhalogenid unter
Bildung von 2,2-Dialkyl-1,3-dithian reagieren.
H
H
CH2 S CH2 S R C X CH2 S
R R
CH3(CH2)2CH2Li 'R
H2C C H2C C H2C C
- CH3(CH2)2CH3 - LiX
CH2 S H CH2 S Li CH2 S CH2

R'
2-Alkyl-1,3-dithian X = Cl, Br oder I 2,2-Dialkyl-1,3-dithian
524 13 Aldehyde und Ketone

Das Reaktionsprodukt kann in saurem Medium gespalten werden, wobei ein Keton entsteht.
CH2 S R CH2 SH R
H / H2O
H2C C H2C + O C
CH2 S CH2 CH2 SH CH2

R' R'
2,2-Dialkyl-1,3-dithian 1,3-Propandithiol Keton
Auf diese Weise kann man, vom Aldehyd ausgehend, über cyclische Thioacetale zu
einem Keton gelangen.
Die Reaktion des Aldehyds zum cyclischen Thioacetal hat sozusagen eine „Umpolung“
des Kohlenstoffatoms der Carbonylgruppe zur Folge. Das vorher elektrophile C-Atom be-
kommt durch Abspaltung des Protons aus dem cyclischen Thioacetal nucleophile Eigen-
schaften.

13.4.4.2 Die Bisulfit-Addition


Aldehyde und Ketone bilden nach Schütteln mit konzentrierter wäßriger Natriumhydrogen-
sulfitlösung (nach älterer Nomenklatur Natriumbisulfit) das als Bisulfit-Addukt bezeichnete
Natriumsalz der α-Hydroxysulfonsäuren, das in kristalliner Form ausgeschieden wird. Keto-
ne mit sperrigen Gruppen reagieren nicht, ebensowenig wie Arylketone.

O H O
H
R C + S O Na R C S O Na
O OH O
O
H
α-Hydroxysulfonsäure
Bei der Bisulfit-Addition lagert sich das Hydrogensulfitanion als S-Nucleophil an die
Carbonylgruppe an. Die positive Ladung am Schwefel polarisiert die O-H-Bindung der
benachbarten Hydroxygruppe. Es erfolgt die Abspaltung des Protons, das vom Carbonyl-
sauerstoff gebunden zur Bildung des Natriumsalzes der α-Hydroxysulfonsäure, des Bisulfit-
addukts, führt.

O H O H O
H
R C S O Na R C S O Na R C S O Na
O O O O O O
H H H
Das Bisulfit-Addukt ist in Wasser löslich und kristallisiert aus diesem aus. Aldehyde und
Ketone können nach Bildung eines Bisulfitadduktes durch dessen Auskristallisieren aus
wäßriger Lösung gereinigt werden, worauf durch Zugabe von Säuren wieder die Carbonyl-
verbindung aus dem Bisulfitaddukt freigesetzt wird.
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 525

13.4.5 Additionsreaktionen an α,β-ungesättigten Carbonylverbindungen

13.4.5.1 Die α,β-ungesättigten Verbindungen Acrolein und Crotonaldehyd


Zu den α,β-ungesättigten Aldehyden zählen Acrolein H2C=CH–CHO und Crotonaldehyd
H3C–CH=CH–CHO.
Acrolein ist eine niedrig siedende Flüssigkeit (Siedepunkt 52°C), deren Dämpfe einen
stechenden Geruch haben und die Schleimhäute reizen. Es entsteht beim Überhitzen von
Fetten.
Acrolein wird bei Erhitzen von Glycerin mit Kaliumhydrogensulfat als wasserabspalten-
dem Mittel gebildet. Die nach Eliminierung der OH-Gruppe am sekundären C-Atom gebilde-
te Enol-Form geht durch Wanderung des Protons der Hydroxygruppe zum nebenstehenden
C-Atom in die Keto-Form über (Keto-Enol-Tautomerie). Aus 3-Hydroxypropanal entsteht
schließlich durch Dehydratisierung das Acrolein.

H
H OH H O O
Keto-
H C OH C Enol- C
Tautomerie C H
KHSO4 KHSO4
H C OH H C H C H H C
- H2O - H2O
H C OH H C OH H C OH C

H H H H H
Glycerin Propen-1,3-diol 3-Hydroxypropanal Acrolein
(Enol-Form) (Keto-Form)

Crotonaldehyd kann als cis- oder trans-Isomer vorkommen. Es entsteht bei der basisch
katalysierten Aldolkondensation des Acetaldehyds (siehe Abschnitt 13.4.7.2).

H3C H3C H
OH
2 C O C C
- H2O
H H C O
H
trans-Crotonaldehyd
((E)-2-Butenal)

13.4.5.2 Die 1,4-Addition an α,β-ungesättigte Carbonylverbindungen


Sind die C=C- und die C=O-Bindung in Konjugation, so bilden die π-Elektronen beider
Doppelbindungen ein durch Mesomerie stabilisiertes Resonanzhybrid, das durch folgende
mesomere Grenzformeln charakterisiert ist.

C C C O C C C O C C C O
526 13 Aldehyde und Ketone

Die Ladungsverteilung im Molekül erklärt, warum bei α,β-ungesättigten Aldehyden und


Ketonen neben der 1,2-Addition auch eine 1,4-Addition erfolgt. Die 1,4-Addition ist sogar
meist die bevorzugte Reaktion.

H 1 H H O H H O H
H O
4 3 2 H
CH3 O C C C CH3 O C C C CH3 O C C C
H H H H
H H

Bei der 1,4-Addition entsteht zunächst ein Enol, das durch die Keto-Enol-Tautomerie mit
der Keto-Form im tautomeren Gleichgewicht steht.

H H H H H
H
Enol-Form CH3 O C C C CH3 O C C C Keto-Form

H O H H O
H

Andere elektronenanziehenden Gruppen mit einer Doppel- bzw. Dreifachbindung, z.B.


–COOR, –CONR2, –CN, –NO2 und –SO2OR reagieren entsprechend, wenn sich in α,β-Stel-
lung zu der Mehrfachbindung der funktionellen Gruppe eine C=C-Doppelbindung befindet.

13.4.5.3 Die Michael-Addition


Erfolgt die 1,4-Addition an α,β-ungesättigte Aldehyde oder Ketone mit einem C-Nucleophil,
wobei eine C–C-Verknüpfung zustande kommt, so bezeichnet man die Reaktion als Michael-
Addition. Ein Beispiel für eine Michael-Addition ist die nucleophile Addition des Malon-
säurediethylesters an Acrolein.

O O
H O H
C 2H 5 O C H H C 2H 5 O C
β α Pyridin H H
C C C C C OH
C2H5 O C H H H C2H5 O C C C C
Acrolein H
O O H
Malonsäurediethylester

O O

C 2H 5 O C H Keto-Enol- C 2H 5 O C H
H H Tautomerie H H
C OH C O
C2H5 O C C C C C2H5 O C C C C
H H
O H O H H
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 527

13.4.5.4 Radikalreaktion von Alkylhalogeniden mit α,β-ungesättigten Carbonylverbindungen


Die Addition von Alkylradikalen an Olefine in Gegenwart von Organozinnhydriden wird als
Giese-Reaktion bezeichnet. Eine solche Additionsreaktion findet auch bei der Radikalreakti-
on von Alkylhalogeniden mit α,β-ungesättigten Carbonylverbindungen statt. Alkylhalogenide
und α,β-ungesättigte Carbonylverbindungen reagieren im Gemisch mit Tributylstannan (Tri-
butylzinnhydrid) und Azobisisobutyronitril (AIBN), wobei der Alkylrest des Alkylhalogenids
unter Auflösung der Doppelbindung an das β-ständige C-Atom der Carbonylverbindung
angefügt wird. Reagieren können α,β-ungesättigte Aldehyde und Ketone, ebenso wie α,β-
ungesättigte Carbonsäureester und α,β-ungesättigte Nitrile, wobei Aldehyde, Ketone, Car-
bonsäureester und Nitrile, vergrößert um den angefügten Alkylrest, die Reaktionsprodukte
sind.

Alkyliodide reagieren am besten, Alkylbromide schlechter und Alkylchloride sind für die
Reaktion ungeeignet.

Reaktionsmechanismus
1.) Start der Radikalreaktion:
Ausgelöst wird die Reaktion durch Zerfall des Azobisisobutyronitrils in Isobutyronitrilradi-
kale und diese wiederum reagieren mit dem Tributylstannan, wobei Isobutyronitril und Tri-
butylstannylradikale entstehen.

2.) Kettenreaktion:
Alkyliodid wird mit dem Tributylstannylradikal zum Alkylradikal und Tributylzinniodid
umgesetzt. Unter Aufspaltung der Doppelbindung wird der Alkylrest an das β-ständige C-
Atom der α,β-ungesättigten Carbonylverbindung gebunden, das ungepaarte Elektron des
528 13 Aldehyde und Ketone

entstandenen Radikals der Carbonylverbindung befindet sich dann am α-ständigen C-Atom.


Dieses Radikal reagiert mit Tributylstannan und es entsteht eine um den Alkylrest vergrößer-
te Carbonylverbindung und ein Tributylstannylradikal, das einen weiteren Reaktionscyclus
der Kettenreaktion einleiten kann.

13.4.6 Oligomere und Polymere der Aldehyde

Zum Unterschied zu den Polymeren sind es bei den Oligomeren relativ wenige Moleküle, die
sich durch Zusammenfügen zu einem größeren Molekül vereinigen. Formaldehyd und Acet-
aldehyd bilden cyclische Oligomere und der besonders reaktive Formaldehyd auch Poly-
mere.
Aldehyde bilden Oligomere, Ketone jedoch nicht. Bei den Ketonen wird die partielle po-
sitive Ladung am C-Atom der Carbonylgruppe teilweise durch den +I-Effekt der beiden an
dieses C-Atom gebundenen Alkylreste herabgesetzt. Die Nucleophilie des Sauerstoffes im
Ketonmolekül reicht deshalb nicht aus, sich an das Carbonyl-Kohlenstoffatom eines anderen
Ketons zu binden.

13.4.6.1 Oligomere und Polymere des Formaldehyds


In saurer wäßriger Lösung erfolgt eine cyclische Trimerisierung des Formaldehyds. Es ent-
steht das 1,3,5-Trioxan, das auch als Trioxymethylen bezeichnet wird.

H H
H2C
C
O O H O O
H H
H2C CH2 C C
O H O H

1,3,5-Trioxan
Die Anlagerung eines Protons an den Sauerstoff des Formaldehyds vergrößert die positi-
ve Teilladung am C-Atom der Carbonylgruppe, so daß ein weiteres Formaldehydmolekül
dieses elektrophile Zentrum als O-Nucleophil angreifen kann. In synchroner Reaktion erfolgt
bei saurer Katalyse die cyclische Trimerisierung des Formaldehyds zu 1,3,5-Trioxan.
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 529

H H H
C O + H C O H C O H
H H H

H H
H H H H
C
C C
O O H O O H O O +H
H H H H H H H
C C C C C
C O O
H H H H H
O

Bei Zugabe von Kalkmilch Ca(OH)2 zur wäßrigen Formaldehydlösung erfolgt eine an-
ionoide Polymerisation, wobei ein lineares Produkt entsteht.
H H H H H H

H O C O nC O C O H O C O C O C O

H H H H H H
n

H H H H H H H H + O H
O
H O C O C O C O H O C O C O C O H
- OH
H H H H H H
n n

In Gegenwart eines Alkoholats oder eines tertiären Amins erfolgt die Polymerisierung
des Formaldehyds zu harten hochmolekularen Polyoxymethylenen. Dies sind mehr oder
weniger durchsichtige feste Kunststoffe, die sich auch zu Fäden verarbeiten lassen. Hoch-
polymeres Polyoxymethylen dient als Basis für Kunststoffe, welche unter der Bezeichnung
„Delrin“ oder „Celcon“ im Handel sind.
Auch beim Einengen einer wäßrigen Formaldehydlösung wird ein festes lineares Produkt
gebildet, der Paraformaldehyd, den man als Polykondensationsprodukt des Formalde-
hydhydrats ansehen kann.
H H H H

HO C O H + n HO C O H + HO C OH + (n-1) HO C OH

H H H H

H H H

H O C O C O C O H + (n+1) H2O

H H H
n

Paraformaldehyd
530 13 Aldehyde und Ketone

Das Polymerengemisch ist in Wasser unlöslich. Erhitzt auf etwa 200°C depolymerisiert
es. Auf diese Weise kann man gasförmigen wasserfreien Formaldehyd gewinnen.

13.4.6.2 Oligomere des Acetaldehyds


Gibt man zu Acetaldehyd bei Zimmertemperatur einige Tropfen konz. Schwefelsäure, erfolgt
eine cyclische Trimerisierung des Acetaldehyds zu flüssigem Paraldehyd (2,4,6-Trimethyl-
1,3,5-trioxan , Nomenklatur s. Abschnitte 12.5.1 und 25.1).
H3C H
H3C H
C
C
O O H2SO4, 20 °C O O
H CH3
Paraldehyd (Sdt. 124°C)
H H CH3
C C C
C O
H3C H3C H
O

Paraldehyd ist, ähnlich wie Acetale, gegenüber Basen beständig. Erhitzt man aber Par-
aldehyd unter Zufügen einiger Tropfen Schwefelsäure, erfolgt eine Depolymerisierung. Ace-
taldehyd kann man aus dem Reaktionsgemisch abdestillieren.
Versetzt man Acetaldehyd mit einigen Tropfen konz. Schwefelsäure, wobei man das
Reaktionsgemisch unter 0°C kühlt, so erfolgt eine cyclische Tetramerisierung des Acetalde-
hyds zu Metaldehyd.
H3C H
C O H
O
H2SO4, unter 0 °C O C
4 CH3C H CH3
H C O
H3C O C
H3C H

Metaldehyd
Metaldehyd ist fest und farblos, es depolymerisiert bei Erhitzen und wird als „Trocken-“
oder „Hartspiritus“ zum Anzünden von Holzkohle beim Grillen verwendet.

13.4.7 Die C–H-Acidität von Aldehyden und Ketonen

Carbonylverbindungen üben auf Grund der Polarität der C–O-Doppelbindung, und der
damit verbundenen positiven Teilladung am Kohlenstoff der Carbonylgruppe, auf die be-
nachbarten Bindungen einen –I-Effekt aus. Die Elektronen der C–H-Bindungen der α-
ständigen Me-thin-, Methylen- oder Methylgruppe werden dadurch näher zum α-C-Atom
verlagert. Daraus resultiert eine Polarisierung der C–H-Bindung, die die Abspaltung eines
Protons ermöglicht, wodurch ein durch Mesomerie stabilisiertes Ketocarbanion-Enolation
entsteht. Carbanionen sind Verbindungen mit einer negativen Ladung und einem freien
Elektronenpaar am Kohlenstoff.
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 531

α-ständige
CH2-Gruppe
H
O H O H O
R C C C C C C + H
H R H R H
H
α-Wasserstoff
Ketocarbanion-Enolation
Organische Verbindungen, die eine C–H-Bindung aufweisen, welche so polar ist, daß ein
Proton abspaltbar ist, können als C-Säuren bezeichnet werden. Man spricht in diesem Falle
von einer C–H-Acidität.
Die Abspaltung eines Protons aus einer zur Carbonylgruppe α-ständigen CH-, CH2- oder
CH3-Gruppe wird sowohl durch saure als auch durch basische Katalyse erleichtert.

C C C

Nichtkonjugiertes Carbanion

Bild 13.2 sp3-Hybridisierung des Carbanion-Kohlenstoffes im nichtkonjugierten Carbanion

Die C–H-Acidität der Aldehyde und Ketone und die damit verbundene Bildung eines
Carbanions ist die Voraussetzung für verschiedene Reaktionen. Zu diesen gehören die Keto-
Enol-Tautomerie, die Aldol-Reaktion, die sauer katalysierte Bromierung der Aldehyde und
Ketone, die Haloformreaktion und die Mannich-Reaktion.
Carbanionen entstehen bei bestimmten chemischen Reaktion als sehr reaktive Zwi-
schenprodukte. In Carbanionen, die kein konjugiertes System mit π-Elektronen bilden,
befinden sich die zwei nicht-bindenden Elektronen des negativ geladenen Kohlenstoffes
(des Carbanion-Kohlenstoffes) in einem sp3-Orbital. Das sp3-Orbital mit den beiden nicht-
bindenden Elektronen schwingt in sehr schneller Folge über das C-Atom hinweg durch,
so daß die drei an das C-Atom gebundenen Liganden mit diesem eine rasch invertierende
Pyramide bilden.
Bei Allyl-Carbanionen oder Carbanionen, die aus Carbonylverbindungen durch Abspal-
tung eines Protons aus einer α-ständigen C–H-Gruppierung entstehen, nimmt man jedoch
an, daß der Carbanion-Kohlenstoff sp2-hybridisiert ist, so daß sein p-Orbital mit dem be-
nachbarten π-System überlappen kann. Daraus resultiert ein Energiegewinn in Form von
Resonanzenergie.
532 13 Aldehyde und Ketone

C
C O
H

Carbanion mit C = O-Bindung in Konjugation

Bild 13.3 sp2-Hybridisierung des Carbanion-Kohlenstoffes im konjugierten Carbanion

13.4.7.1 Die Keto-Enol-Tautomerie


Von einer Tautomerie spricht man dann, wenn zwei Strukturisomere in einem dynamischen
Gleichgewicht stehen und sich nur in der Position einer beweglichen Gruppe und der Lage
einer Doppelbindung unterscheiden, wie dies z.B. bei Acetaldehyd und Vinylalkohol der Fall
ist.

H
O H O H
H C C C C
H H H
H
Acetaldehyd (Keto-Form) Vinylalkohol (Enol-Form)

Ein Sonderfall der Tautomerie ist die Prototropie, bei der durch Wanderung eines Protons
ein Strukturisomeres in ein anderes übergeht. Bei Aldehyden und Ketonen liegen auf Grund
dieser Prototropie beide Tautomere, die Keto- und die Enol-Form, nebeneinander in einem
chemischen Gleichgewicht vor.
H
H
O H O H O H O H
R C C C C C C C C
H R H R H R H
H
Keto-Form Ketocarbanion-Enolation Enol-Form

Die Einstellung des chemischen Gleichgewichts bei der Keto-Enol-Tautomerie wird so-
wohl durch saure als auch basische Katalyse beschleunigt.
Bei der sauer katalysierten Keto-Enol-Tautomerie eines Aldehyds wird ein Proton vom
Sauerstoffatom der Carbonylgruppe gebunden, wobei ein mesomeriestabilisiertes Carboxo-
niumion entsteht. Seine positive Ladung verstärkt den –I-Effekt, so daß die Abspaltung des
Protons aus der zur Formylgruppe α-ständigen CH-, CH2- bzw. CH3-Gruppe unter Bildung
der Enol-Form relativ leicht erfolgen kann.
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 533

H H H
O O H O H H O H
H -H
R C C R C C R C C C C
H -H H H H R H
H H H
Keto-Form Carboxoniumion Enol-Form

Die Abspaltung des Protons kann auch durch eine Base unterstützt werden, die das Pro-
ton bindet. Die basenkatalysierte Keto-Enol-Tautomerisierung erfolgt über ein mesomerie-
stabilisiertes Ketocarbanion-Enolation.

+ O H
H H H
O H O H O O H O H
R C C C C C C C C
H R H R H R H
H

O H

Keto-Form Ketocarbanion-Enolation Enol-Form

Die O–H-Bindung dissoziiert, infolge der Elektronegativität des Sauerstoffes, leichter als
die C–H-Bindung. Die Enol-Form wäre demnach im Vergleich mit der Keto-Form die stär-
kere Säure. Wandert das Proton des Enols zurück zum Carbanion-Kohlenstoff, wird es von
diesem fester gebunden als vorher vom Sauerstoff. Bei der Keto-Enol-Tautomerie überwiegt
deshalb in der Regel bei weitem die Keto-Form. Beim Aceton z.B. befinden sich nur 0,00025
% der Moleküle in der Enolform. Im Vergleich zu den Ketonen sind Aldehyde etwas stärker
enolisiert. Besonders stark enolisiert sind β-Diketone. In diesen befindet sich die Methylen-
gruppe in Nachbarschaft zweier Carbonylgruppen, die beide einen –I-Effekt ausüben und
damit eine leichtere Abspaltung des Protons aus der Methylengruppe bewirken. Die Stabilität
der Enol-Form ist damit begründet, daß sie durch eine Wasserstoffbrücke gefestigt ist und in
ihr ein konjugiertes System von Doppelbindungen vorliegt. Ein Beispiel bietet Acetylaceton
(Pentan-2,4-dion), das zu 80 % in der Enol-Form vorliegt.

O O H
Acetylaceton O O 80 % Enolform
20 % Keto-Form βC C
α
H3C C CH3 C C
H H H3C C CH3

H
Ein relativ hoher Anteil der Enolform ist auch bei β-Ketoaldehyden und β-Ketosäure-
estern zu finden. Zum Beispiel bildet die Enolform etwa 8 % des Acetessigsäureethylesters:

CH3COCH2COOCH2CH3 (92 %)  CH3C(OH)=CHCOOCH2CH3 (8 %)


534 13 Aldehyde und Ketone

In Gegenwart von Natriumethanolat als Base wird aus der zwischen den Carbonylgruppen
befindlichen Methylengruppe des β-Diketons leicht ein Proton abgespalten. Das mesomerie-
stabiliserte Diketocarbanion-Ketoenolation ist ein starkes Nucleophil, das in Alkyl-
halogeniden das Halogen substituiert. In β-Diketonen kann mit dieser Reaktion das Wasser-
stoffatom der Methylengruppe (gegebenenfalls auch beide H-Atome) durch einen Alkylrest
ersetzt werden.
Bildung des Carbanions:

CH3 CH3 CH3 CH3


O C O C O C O C
H - HOCH2CH3 H H H
C C C C
C H
O O CH2CH3 O C O C O C
CH3 CH3 CH3 CH3
β−Diketon Diketocarbanion-Ketoenolation

Nucleophile Substitution:

CH3 CH3 CH3 CH3


O C O C O C O C
H H H H
C C C H C + I
O C O C H C I C CH2 R
O C O
CH3 R CH3
CH3 CH3

α-Alkyl-β-diketon

13.4.7.2 Die Aldolreaktion


Durch basische Katalyse mit Natronlauge bildet Acetaldehyd das Aldol (3-Hydroxybutanal).

OH
O O
15 %ige Natronlauge, 5 °C, 5 h
2 H3C C H3C C CH2 C
H H
H

Aldol ist nicht nur der Trivialname des 3-Hydroxybutanals, es ist auch die allgemeine
Bezeichnung für β-Hydroxyaldehyde und β-Hydroxyketone.
Bei der Aldolreaktion geht es um die Addition einer C–H-aciden Carbonylverbindung an
die Carbonylgruppe eines Aldehyds oder Ketons. Unter basischer Katalyse wird zunächst
vom Aldehyd oder dem Keton aus einer α-ständigen Methin-, Methylen- oder Methylgruppe
ein Proton abgespalten, das vom Hydroxidion gebunden wird.
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 535

H H
O O H O
R C C C C C C + H2O
H R H R H
H

O H

Ketocarbanion-Enolation
Im weiteren Schritt erfolgt die nucleophile Addition des Ketocarbanion-Enolations an die
Carbonylgruppe eines Aldehydmoleküls mit nachfolgender Protonierung des β-Ketoalkoho-
lats unter Bildung des Aldols.

H
O H O H O
R C C C C C C
H R H R H
H

Aldehyd Ketocarbanion-Enolation
H + OH
H H
H O H O
O O O
R C C CH C R C C CH C
H H
H H R H H R

β-Ketoalkoholat Aldol
Bei höherer Basenkonzentration und höherer Temperatur erfolgt eine Wasserabspaltung,
weshalb die Reaktion oft auch als Aldolkondensation bezeichnet wird. Dabei entsteht ein
α,β-ungesätigter Aldehyd.
H

H O R H R
O O
β α
R C C C C R C C C C + OH + H2O
H H
H H H H H

O H

α,β-ungesättigter Aldehyd
Die Aldolreaktion kann mit allen Aldehyden erfolgen, die am α-C-Atom ein Wasserstoff-
atom gebunden haben. Ketone reagieren auf die gleiche Weise, nur langsamer, und im Reak-
tionsgleichgewicht ist die Konzentration der Ausgangssubstanzen weit höher als die des Aldols.
536 13 Aldehyde und Ketone

Das aus dem Aldehyd nach Abspaltung des Protons gebildete Ketocarbanion-Enolation
kann durch zwei mesomere Grenzformeln symbolisiert werden:

H O H O
C C C C
R H R H

Sie deuten an, daß im tatsächlich vorliegenden Resonanzhybrid eine erhöhte Elektronen-
dichte sowohl am α-ständigen C–Atom als auch am O-Atom angenommen werden muß. Das
Ketocarbanion-Enolation ist ambident, das heißt, es hat zwei einander konkurrierende Zen-
tren, die im Prinzip beide für den nucleophilen Angriff auf das C-Atom der Carbonylgruppe
des Aldehyds bzw. Ketons in Frage kämen.

H O H O O-Nucleophiles
C-Nucleophiles Zentrum
Zentrum C C C C
R H R H
ambidentes Anion

Die Reaktion verläuft aber eindeutig so, daß die nucleophile Addition an die Car-
bonylgruppe des Aldehyds oder Ketons mit dem C-Atom des Ketocarbanion-Enolations
erfolgt. Die Erklärung ist zum einen thermodynamisch begründet, nämlich daß bei der C–C-
Verknüpfung ein stabileres Produkt als bei der C–O-Verknüpfung entsteht. Zum anderen
darin, daß weiche Basen bevorzugt mit weichen Säuren reagieren (siehe Abschnitt 10.7.3).
Der Aldehyd mit der positiven Teilladung am C-Atom der Carbonylgruppe ist als weiche
Säure und ein Carbanion mit dem freien Elektronenpaar am Kohlenstoff als weiche Base zu
betrachten.

13.4.7.3 Die sauer katalysierte Halogenierung


Aldehyde und Ketone werden bei saurer Katalyse mit Iod, Brom oder Chlor in α-Stellung
halogeniert.

O O
H
C C H + X2 C C H + HX X = Cl, Br oder I

H X
Bei der sauer katalysierten Halogenierung wird zunächst ein Proton vom Sauerstoff der
Carbonylverbindung gebunden. Dadurch vergrößert sich die positive Teilladung am Car-
bonyl-Kohlenstoffatom, und der –I-Effekt bewirkt eine Abspaltung des Protons aus der α-
ständigen Methyl-, Methylen- bzw. Methingruppe unter Bildung des Enols.
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 537

H H H
O O H O H H O H
H -H
R C C R C C R C C C C
H -H H H H R H
H H H

Carboxoniumion Enol

Das Enol polarisiert die X–X-Bindung des Halogens und bindet das X, das eine positive
Teilladung aufweist. Aus dem entstandenen α-Halogencarboxoniumion als Zwischenprodukt
erfolgt die Abspaltung eines Protons unter Bildung eines α-Halogenaldehyds (gegebenen-
falls eines α-Halogenketons).
H H H H
O H O H O H O
R C C R C C R C C R C C
H H H H
X X X
X + HX
X
X = Cl, Br oder I α-Halogencarboxoniumion α-Halogenaldehyd
Die Reaktion bleibt beim monosubstituierten Halogenaldehyd bzw. Halogenketon stehen,
soweit das Halogen nicht im Überschuß im Reaktionsgemisch vorhanden ist. Dies ist so zu
erklären, daß nach erfolgter Erstsubstitution das Halogen einen –I-Effekt ausübt. Dadurch
wird die Verfügbarkeit der freien Elektronenpaare am Sauerstoff der Carbonylgruppe für die
Bindung eines Protons herabgesetzt. Der erste Schritt zur Enolbildung, die eine Voraus-
setzung für die sauer katalysierte Halogenierung ist, wird dadurch erschwert, so daß die
Zweitsubstitution schon erheblich langsamer verläuft.

13.4.7.4 Die Haloform-Reaktion


In alkalischem Medium bilden Methylketone oder Acetaldehyd mit Halogenen ein allgemein
als Haloform bezeichnetes Produkt.

O
OH
H3C C R + 3 X2 X3C H + R COO X = Cl, Br oder I
- 3 HX
Haloform Carbonsäureanion

Bei Durchführung dieser Reaktion mit Iod (besser mit Lugolscher Lösung = Iod in wäß-
riger Kaliumiodid-Lösung) entsteht das in Wasser schlecht lösliche, gelbe Iodoform, das
einen intensiven, charakteristischen Geruch hat. Die Reaktion dient als Nachweis für Me-
thylketone und Acetaldehyd. In diesen Verbindungen befindet sich die Methylgruppe in
direkter Nachbarschaft zur Carbonylgruppe. Auch Ethanol wird bei diesen Reaktionsbedin-
gungen zu Iodoform umgesetzt. Das im Reaktionsgemisch gebildete Hypoiodit IO–

I2 + 2 OH I + IO + H2O
538 13 Aldehyde und Ketone

oxidiert Ethanol zu Acetaldehyd, mit dem natürlich dann die Iodoformreaktion erfolgt.
Bei der Iodoformreaktion wird im ersten Reaktionsschritt im Methylketon ein Proton aus
der Methylgruppe abgespalten, das vom Hydroxidion gebunden wird. Es entsteht das Keto-
carbanion-Enolation des Methylketons.
H
R H R H R
H O H C C H O H + C C C C
O H O H O
H
Ketocarbanion-Enolation des Methylketons

Das Ketocarbanion-Enolation polarisiert die I–I-Bindung und bindet das I mit der positi-
ven Teilladung.
H
H R H R R
I I + C C C C I + I C C
H O H O O
H

Bei der basenkatalysierten Reaktion werden auch noch die weiteren Wasserstoffe der
–CH2I-Gruppe durch Iod ersetzt. Hierbei ist jeder weitere Halogenierungsschritt schneller als
der vorangegangene, da der –I-Effekt des Iodatoms die Abspaltung des Protons und damit
die Bildung des Ketocarbanion-Enolations erleichtert.

+ I
H H
R H R H R R
I I
I C C - H2O C C C C I C C
O I O I O O
H I

H O

Ketocarbanion-Enolation

H O
+ I
H I
R I R I R R
I I
I C C C C C C I C C
- H2O
O I O I O O
I I

Triiodmethylalkylketon
Der vereinigte –I-Effekt (durch Pfeil veranschaulicht) aller drei Iodatome trägt zur star-
ken Polarisierung der C–C-Bindung bei, so daß diese nach Anlagerung eines Hydroxidions
an das C-Atom der Carbonylgruppe heteropolar gespalten wird.
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 539

I I R I O H
R O H
I C C δ+ I C C O H I C + R C
O δ- O
I I O I

Triiodmethylalkylketon Carbanion Carbonsäure


Das Carbanion ist sehr reaktiv, es bindet ein Proton und es entsteht das Iodoform, wäh-
rend die Carbonsäure mit der Base ein Salz bildet, so daß ein Carbonsäureanion im Produkt-
gemisch vorliegt:
I I R R
O
I C + I C H+ O H und C O H + O H C O + H2O
H H
O O
I I

Carbanion Iodoform Carbonsäure Carbonsäureanion

13.4.7.5 Die Mannich-Reaktion


Für die Mannich-Reaktion sind drei Komponenten erforderlich. In der Regel ist dies ein se-
kundäres Amin, das in Form seines Hydrochlorids eingesetzt wird, Formaldehyd und ein
Keton oder ein Aldehyd als C–H-acide Verbindung. Die Reaktion wird auf die Weise durch-
geführt, daß man das Reaktionsgemisch bestehend aus dem Hydrochlorid des sekundären
Amins, einer 35%igen Formaldehydlösung und einem Überschuß der C–H-aciden Carbonyl-
verbindung einige Stunden unter dem Rückflußkühler erhitzt. Als Reaktionsprodukt erhält
man das Hydrochlorid einer β-Aminocarbonylverbindung.

O H O R1 O R1
α β
R C CH2 + H C H + H N H R C CH2 CH2 N H + H2O

R2 Cl R2 Cl
Keton als Form- Hydrochlorid Hydrochlorid der
C–H-acide aldehyd des sekundären β-Aminocarbonyl-
Verbindung Amins Verbindung

Reaktionsmechanismus der Mannich-Reaktion


Das Hydrochlorid des sekundären Amins befindet sich mit dem freien sekundären Amin im
chemischen Gleichgewicht:

R1 H R1
N Cl N + H Cl
R2 H R2 H
Formaldehyd wird protoniert, worauf das freie sekundäre Amin das Carboxoniumion des
Formaldehyds als Nucleophil angreift. Es folgt eine Deprotonierung am Stickstoff und als
540 13 Aldehyde und Ketone

Zwischenprodukt entsteht das Halbaminal (Analogie zum Halbacetal), das nach Protonierung
der Hydroxygruppe Wasser abspaltet und ein Carbenium-Iminium-Ion bildet (siehe auch
Abschnitt 13.4.3.3).
H H H H H
O O O N R1 O H O +H
H R2
C C C H C N R1 H C N R1
H H H H H H
H R2 H R2
Carboxoniumion des Formaldehyds Halbaminal
H H H
O H O
R1 - H O H R1 H R1
R1 2
H C N H C N C N C N
2
R 2 R H R 2
H R2
H H
Halbaminal Carbenium-Iminium-Ion
Die C–H-acide Carbonylverbindung unterliegt der Keto-Enol-Tautomerie.

O H OH
H
R C CH2 R C CH2

Das Enol reagiert als Nucleophil mit dem Carbenium-Iminium-Ion, wobei als Endpro-
dukt das Salz der Mannich-Base entsteht.
H H H
O H H R1 O H H O H H
1 1
R C CH2 C N R C N R C C C N R R C C C N R1

H R2 H R2 H H R2 H H R2
Enol Carbenium-Iminium-Ion Carboxoniumion

H H
O H H O H H

R C C C N R1 R C C C N R1

H H R2 H H R2
Carboxoniumion

H
O H H O H H H Cl
Cl
R C C C N R1 R C C C N R1

H H R2 H H R2
Mannich-Base Salz der Mannich-Base
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 541

Bei der Mannich-Reaktion erfolgt eine C–C-Verknüpfung, wobei die C–H-acide Verbin-
dung aminomethyliert wird. Außer Aldehyden und Ketonen können auch andere C–H-acide
Verbindungen eingesetzt werden, z.B. aliphatische Nitroverbindungen, Blausäure und Acety-
len. Einheitliche Produkte entstehen nur aus sekundären Aminen, denn Ammoniak und pri-
märe Amine können mit den am Stickstoff noch verfügbaren H-Atomen weiterreagieren.

13.4.8 Reduktion von Carbonylverbindungen

Sowohl Aldehyde als auch Ketone können leicht zu Alkoholen reduziert werden. Mit Hilfe
der Clemmensen-Reaktion, der Kishner-Wolff-Reaktion und über Thioacetale gelingt auch
die Überführung dieser Carbonylverbindungen in Kohlenwasserstoffe.

13.4.8.1 Reduktion zu Alkoholen


a) Reduktion mit Natrium in Ethanol
Aldehyde bzw. Ketone können mit Na in Ethanol zu entsprechenden Alkoholen reduziert
werden (siehe Abschnitt 10.6.2.4).
OH
O
Na, CH3CH2OH
R C R C H
- CH3CH2ONa
H
H

Bei der Reduktion von Ketonen können Pinakole als Nebenprodukte entstehen (Pinakol-
bildung siehe Abschnitt 10.6.2.5).

b) Reduktion durch katalytische Hydrierung


Mit Platin-, Palladium- oder Nickelkatalysatoren kann auch die Doppelbindung der Aldehy-
de und Ketone hydriert werden, wobei aus Aldehyden primäre Alkohole und aus Ketonen
sekundäre Alkohole gebildet werden. Bei Anwendung von Raney-Nickel als Katalysator ist
ein leichter Überdruck erforderlich.
OH
O
Pt
R C + H2 R C H
H
H

Bei der katalytischen Hydrierung von Verbindungen mit mehreren funktionellen Gruppen
muß allerdings bedacht werden, daß auch andere Gruppen reduziert werden können
(C–C-Doppel- und Dreifachbindungen, –CN und –NO2).

c) Reduktion mit Metallhydriden


Mit Metallhydriden reagieren Aldehyde und Ketone zu entsprechenden Alkoholaten, die nach
Zugabe von Wasser oder Säuren in Alkohole umgesetzt werden (siehe Abschnitt 10.6.2.7). Für
die Reaktion verwendet man vielfach Lithiumaluminiumhydrid oder Natriumborhydrid.
542 13 Aldehyde und Ketone

Reaktionen von Aldehyden mit Lithiumaluminiumhydrid:


H
Ether 4 HCl
4R C + AlH4 Li (R CH2O)4Al Li 4R CH2 OH + AlCl3 + LiCl
O

primärer Alkohol
Reaktionen von Ketonen mit Lithiumaluminiumhydrid:
R R R
Ether 4 HCl
4 C O + AlH4 Li CHO 4Al Li 4 CH OH + AlCl3 + LiCl
R R R
sekundärer Alkohol

d) Die Meerwein-Ponndorf-Verley-Reaktion
Ketone werden mit Isopropylalkohol in Gegenwart von Aluminiumisopropylat zu sekundären
Alkoholen umgesetzt. Die Reaktion erfolgt meist in Benzol oder Toluol als Lösungmittel. Sie ist
umkehrbar. Das Gleichgewicht der Redoxreaktion läßt sich durch Abdestillieren des aus dem
Isopropylalkohol gebildeten Acetons zugunsten des neugebildeten sekundären Alkohols ver-
schieben.
H3C H
C
R1 H3C H H3C O Al R1 H H3C
3
C O + C C + C O
R 2 H3C OH R2 OH H3C
Keton sek. Alkohol
Für die Reduktion von Aldehyden ist diese Reaktion weniger geeignet, da mit dem Alu-
miniumisopropylat als starker Base auch die Aldol-Reaktion, gegebenenfalls die Cannizzaro-
Reaktion erfolgt. Die Reduktion der Ketone mit der Meerwein-Ponndorf-Verley-Reaktion
hat den Vorteil, daß bei ungesättigten Ketonen die C–C-Doppel- oder C–C-Dreifachbindung
nicht angegriffen wird. Die Reaktion hat sich bei der Reduktion der Ketogruppe empfind-
licher Naturstoffe besonders bewährt.
Man nimmt an, daß die Meerwein-Ponndorf-Verley-Reaktion über einen cyclischen
Übergangszustand erfolgt, wobei eine Hydridübertragung stattfindet.
H H H

H3C C CH3 H3C C CH3 H3C C CH3

O 2
O 2
O 2

Al Al Al
O O O
O O
O
C C C
C C
CH3 R1 CH3 R1 H C
R1 R2 H CH3 R2 H CH3 R2
H3C CH3
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 543

Meerwein selbst beschreibt den Reaktionsmechanismus folgendermaßen: „Der eigentli-


che Reduktionsvorgang besteht letzten Endes in einem Übergang zweier Molekülverbindun-
gen ineinander unter gleichzeitiger Verschiebung eines Hydrid-Ions von dem α-Kohlenstoff
der Alkoxy-Gruppe des Metallalkoholats an das Kohlenstoffatom der Carbonylgruppe des
Aldehyds bzw. Ketons.“
Die Oppenauer-Verley-Reaktion stellt eine Umkehrung der Meerwein-Ponndorf-Verley-
Reaktion dar. Man läßt in Gegenwart von Aluminiumisopropylat einen sekundären Alkohol
mit einem großen Überschuß an Aceton in Benzol oder Toluol als Lösungsmittel reagieren.
Der sekundäre Alkohol wird zum Keton oxidiert.

13.4.8.2 Reduktion zu Kohlenwasserstoffen


Die Reduktion von Aldehyden und Ketonen zu Kohlenwasserstoffen kann direkt mit Hilfe
der Clemmensen-Reaktion erfolgen oder indirekt über Oxime (Kishner-Wolff-Reaktion)
oder über Mercaptale.

a) Die Clemmensen-Reaktion
Mit Hilfe der Clemmensen-Reaktion können Ketone mit Zinkamalgam in konz. Salzsäure zu
den entsprechenden Kohlenwasserstoffen reduziert werden.
R1 R1 H
Zn / Hg, HCl, erhitzen
C O C
R2 R2 H

Die Clemmensen-Reaktion ist für die Reduktion von ungesättigten Ketonen nicht geeignet,
da auch die C–C-Mehrfachbindungen reduziert werden. Auch für Aldehyde ist sie nicht zu
empfehlen, da Nebenreaktionen erfolgen.

b) Die Kishner-Wolff-Reaktion
Die Kishner-Wolff-Reaktion erfolgt mit der Carbonylverbindung und Hydrazin unter Zusatz
von KOH, wobei zunächst das Hydrazon entsteht, mit dem die tautomere Azoverbindung im
Gleichgewicht steht, aus der beim Erhitzen N2 freigesetzt und der Kohlenwasserstoff gebil-
det wird.

R1 R1 R1 H
C O + H2N
OH 200 °C C + N2
NH2 C N NH2
R2 2
R R2 H

Die Reaktion wurde früher im Druckrohr oder Autoklaven vorgenommen, heute wird sie
gewöhnlich in der Modifikation nach Huang-Minlon durchgeführt, wobei man die Carbonyl-
verbindung mit zerriebenen KOH-Plätzchen und Hydrazinhydrat in Di- oder Triethylen-
glycol unter Erhitzen auf 180°C reagieren läßt.
Die Katalyse der starken Base ermöglicht eine Prototropie, so daß im ersten Reaktions-
schritt im Gleichgewicht neben dem Hydrazon die tautomere Azoverbindung vorliegt.
544 13 Aldehyde und Ketone

O
H
R1 H O H R1 R1 H H
1
C N N C N N C N N R C N N
2 H H2O 2 H 2 H OH H
R R R
R2
Hydrazon Azoverbindung
Die Azoverbindung wird deprotoniert, worauf die Abspaltung des Stickstoffmoleküls er-
folgt. Das Carbanion setzt sich mit Wasser zum Kohlenwasserstoff um.

+ O H
O
H H 1 1 H
H O H R H H H R
R 1 C N N R1 C N N C C
- N2
+ H2O R2 R2 H
R 2 R2
Azoverbindung Carbanion Kohlenwasserstoff

c) Reduktion von Carbonylverbindungen über Thioacetale


Thiole reagieren mit Carbonylverbindungen zu Thioacetalen (siehe Abschnitt 13.4.4.1), die
mit Wasserstoff in Gegenwart von Raney-Nickel zum Kohlenwasserstoff hydriert werden
können.
R1 R1 S CH2 R1 H
HS CH2 Raney-Nickel / H2 HS CH2
C O + C C +
- H2O HS CH2
HS CH2 R2 R2
R2 S CH2 H
Keton Ethandithiol Thioacetal Kohlen- Ethan-
wasserstoff dithiol

13.4.9 Die Oxidation von Aldehyden

Aldehyde werden, im Gegensatz zu Ketonen, die gegenüber Oxidationsmitteln relativ bestän-


dig sind, schon mit schwachen Oxidationsmitteln zu Carbonsäuren oxidiert. Darauf beruhen
Nachweisreaktionen (Tollenssche Probe und Fehlingreaktion), die der Feststellung dienen, ob
es sich bei einer Carbonylverbindung um einen Aldehyd oder ein Keton handelt. Aldehyde
unterliegen auch einer Autoxidation durch Luftsauerstoff. Bei den Oxidationen der Aldehyde
erfolgt eine Spaltung der C–H-Bindung der Formylgruppe.

13.4.9.1 Die Tollenssche Probe


Im basischen Medium der Tollensschen Probe wird Ag+ durch einen Aldehyd zu metalli-
schem Silber reduziert, das als Silberspiegel die Innenwand des Reaktionsgefäßes bedeckt.
Der Aldehyd wird bei dem Redoxvorgang zur Carbonsäure oxidiert. Das für die Reaktion
benötigte Tollens-Reagens wird auf die Weise hergestellt, daß zu einer Lösung von Silber-
nitrat einige Tropfen Ammoniakwasser gegeben werden. Zunächst entsteht ein brauner Nie-
derschlag, der aber mit einigen weiteren Tropfen Ammoniakwasser wieder aufgelöst wird.
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 545

Es wird das Silberdiamin-Ion [Ag(NH3)2]+ gebildet. Der Lösung werden einige Tropfen Na-
tronlauge zugegeben. Die Komplexbildung verhindert, daß im basischen Medium das
schwerlösliche Ag2O gebildet wird. Die Reaktion des Aldehyds mit dem Silberdiaminnitrat
erfolgt bei Zimmertemperatur oder bei mäßigem Erwärmen und braucht einige Zeit, bis sich
der Silberspiegel abscheidet. Bei zu starkem Erhitzen fällt das Silber in Form eines dunklen
Niederschlages aus. Die Reaktion erfolgt nach folgender Reaktionsgleichung:

O O
R C + 2 Ag(NH3)2 NO3 + 2 NaOH R C + 2 Ag + 2 NaNO3 + 3 NH3 + H2O
H O NH4

Sie dient zum Nachweis, daß es sich bei der Carbonylverbindung um einen Aldehyd han-
delt, sie hat aber auch industrielle Bedeutung, denn sie wird zur Spiegelherstellung und auch
zur Herstellung von silberbeschichteten Weihnachtskugeln eingesetzt. C–C-Mehrfachbin-
dungen werden bei der Tollens-Reaktion nicht angegriffen. Man kann deshalb auf diese
Weise ungesättigte Aldehyde zu ungesättigten Säuren oxidieren.

13.4.9.2 Die Fehlingsche Probe


Die Fehlingsche Probe dient zum Nachweis von Aldehyden. Sie besteht darin, daß der Alde-
hyd bei Erhitzen mit Fehling-Reagens zur Carbonsäure oxidiert und dabei gleichzeitig zwei-
wertiges Kupfer Cu2+ zu rotem Cu2O reduziert wird. Das Fehling-Reagens besteht aus zwei
Lösungen, die gesondert aufbewahrt und erst unmittelbar vor der Probe zu gleichen Teilen
miteinander vermischt werden. Fehling I ist eine Kupfersulfat-Lösung und Fehling II besteht
aus verdünnter Natronlauge, die Kalium-Natriumtartrat (Seignette-Salz) enthält. Tartrate sind
Salze der Weinsäure HOOC–CHOH–CHOH–COOH. Ohne das Tartrat würde nach Ver-
mischen der Kupfersulfatlösung mit der Base das schwer lösliche Kupfer-(II)-hydroxid ent-
stehen und aus der Lösung ausflocken. Die oxidierende Wirkung des zweiwertigen Kupfers
könnte somit nicht eintreten. Das Kalium-Natriumtartrat bildet mit dem Cu2+-Ion einen
Chelatkomplex, der auch in der Base beständig ist, und das Kupferion in Lösung hält.

O O
Na O C C O Na
H H
H C O 2 O C H
Cu
H C O O C H
H H
K O C C O K
O O
2
Cu - Tartratkomplex
546 13 Aldehyde und Ketone

Der Nachweis von Aldehyden mit Fehling-Reagens erfolgt nach folgender Reaktions-
gleichung:

O O
R C + 2 Cu SO4 + 5 NaOH R C + Cu2O + 2 Na2SO4 + 3 H2O
H O Na

Die Fehling-Probe wird auch in der Medizin angewandt, sie dient zum Nachweis von
Zucker im Harn.

13.4.9.3 Oxidation mit Chromsäure


Soweit sich im Molekül außer der Formylgruppe nicht weitere funktionelle Gruppen befin-
den, die ebenfalls oxidiert werden könnten, kann der Aldehyd auch mit starken Oxidations-
mitteln oxidiert werden. Die bei der Oxidation der Aldehyde erhaltenen Carbonsäuren sind
gegen Oxidationsmittel sehr beständig. Man oxidiert Aldehyde zumeist mit Natriumdichro-
mat in verd. Schwefelsäure, wobei die Chromsäure als Oxidans wirksam wird.

O O
K2Cr2O7 / H
R C R C
H O H

Im sauren Medium erfolgt zunächst die Protonierung des Aldehyds:

O H O H O H
R C R C R C
H H H

Man nimmt an, daß die Reaktion über die Bildung eines Halbacetalesters der Chromsäure
als Zwischenprodukt verläuft:

H
+H
OH OH O OH O
O H
R C O Cr OH R C O Cr OH R C O Cr OH
H O H O H O
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 547

Über einen cyclischen Übergangszustand erfolgt die Spaltung in eine Chrom-(IV)-Ver-


bindung und die Carbonsäure. Die Chrom-(IV)-Verbindung disproportioniert in wäßriger
Lösung zur Chrom-(VI)- und Chrom-(III)-Verbindung.

O
H O O O HO
C Cr C O + Cr
R H O O H R HO OH

13.4.9.4 Die Autoxidation von Aldehyden


Durch Spuren von Metallionen oder durch Lichteinfluß kann es bei Zimmertemperatur zu
einer Autoxidation von Aldehyden mit Luftsauerstoff kommen, wobei Carbonsäuren entste-
hen. Läßt man z.B. einige Tropfen Benzaldehyd auf einem Uhrglas einige Stunden an der
Luft stehen, werden Benzoesäurekristalle gebildet.

O O
1 hν
C + /2 O2 C
H OH

Die Autoxidation von Aldehyden mit Luftsauerstoff zur Peroxycarbonsäure erfolgt nach
einem Radikalmechanismus, wobei der Sauerstoff als Biradikal auftritt und die Reaktion
startet, indem er den Wasserstoff der Formylgruppe bindet und ein Acylradikal entsteht. Das
Acylradikal reagiert mit Sauerstoff zum Peroxycarbonsäureradikal, das mit einem Aldehyd-
molekül zur Peroxycarbonsäure umgesetzt wird. Hierbei entsteht wieder ein Acylradikal, das
mit Sauerstoff reagieren kann.
Start:

O O

R C + O O R C + H O O
H
Acylradikal Peroxyradikal
Kettenfortpflanzung:
O O
R C R C
O O
O O

O O O O
R C + C R R C + C R
O O H O O H

Peroxycarbonsäureradikal Peroxycarbonsäure
548 13 Aldehyde und Ketone

Die Peroxycarbonsäure wird an ein weiteres Aldehydmolekül addiert, und es entsteht als
Zwischenprodukt der Peroxycarbonsäure-α-hydroxyalkylester. Dieser wird unter Umlage-
rung eines Hydridions gespalten, wobei zwei gleiche Carbonsäuremoleküle gebildet werden.

H H H

O O O O O O O
R C C R O C O C
H R R
O
C H C H
R O R O

Peroxy- Aldehyd Peroxycarbonsäure-


carbonsäure α-hydroxyalkylester

H O
O O H
O
R C R C + C
O O C R O H O R

H
Peroxycarbonsäure-α-hydroxyalkylester

13.4.10 Die Oxidation von Ketonen

Ketone sind im allgemeinen schwer oxidierbar. Es bedarf starker Oxidantien, um ihre Oxida-
tion bewirken zu können. Mit Peroxycarbonsäuren werden Ketone zu Estern umgesetzt
(Baeyer-Villiger-Oxidation). Bei diesen Oxidationen erfolgt eine Spaltung der C–C-Bin-
dung. Die Oxidation der Ketone mit Selendioxid führt zu α-Dicarbonylverbindungen.

13.4.10.1 Oxidative Spaltung


Ketone lassen sich unter Aufspaltung der Kohlenstoffkette mit alkalischem Permanganat
oder mit heißer Salpetersäure oxidieren. Die Kohlenstoffkette wird neben der Ketogruppe
gespalten, wobei Carbonsäuren entstehen. Da die Kette zu beiden Seiten der Ketogruppe
gespalten werden kann, entstehen bei unsymmetrischen Ketonen gleich vier Carbonsäuren,
so daß die Reaktion in diesem Falle für präparative Zwecke uninteressant ist.

O
heiße HNO3 R COOH + HOOC CH2 R'
R CH2 C CH2 R'
+ R H2C COOH + HOOC R'

Anders stellt sich dies bei cyclischen Ketonen dar. Die oxidative Spaltung führt in diesem
Falle nur zu einem Produkt. Sie ist deshalb auch für präparative Zwecke nutzbar.
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 549

CH2 COOH
H2C heiße HNO3 H2C
C O COOH
H2C H2C
CH2 CH2
Cyclopentanon Glutarsäure

Man nimmt an, daß die Reaktion über die Enolform des Ketons erfolgt und die C=C-
Doppelbindung bei der Oxidation angegriffen wird.

13.4.10.2 Die Baeyer-Villiger-Oxidation


Die Oxidation erfolgt mit einer Peroxycarbonsäure, wobei aus dem Keton ein Ester gebildet
wird.

O O O O

H3C C R + R' C O O H H3C C O R + R' C O H

Zunächst erfolgt die nucleophile Addition der Peroxysäure an das Keton unter Bildung
des Halbketalesters der Peroxycarbonsäure.

H
O O O O
H H O O
R' C C CH3 R' C R' C
O O R O O C CH3 O O C CH3

R R
Peroxy- Keton Halbketalester der
carbonsäure Peroxycarbonsäure

Das Addukt (Halbketalester der Peroxycarbonsäure) wird in einer synchronen Reaktion,


bei der ein organischer Rest zum Sauerstoff wandert, gespalten. Die Wanderungsneigung
organischer Reste nimmt in der Reihenfolge Phenyl > tertiärer > sekundärer > primärer Al-
kylrest > Methylgruppe ab. Die Peroxycarbonsäure wird im Reaktionsverlauf zur Carbonsäu-
re reduziert, während das Keton unter Umlagerung einer Alkylgruppe zum Carbonsäure-
ester oxidiert wird.

H O
O O H
O
R' C R' C + C
O O C CH3 O R O CH3

R
550 13 Aldehyde und Ketone

13.4.10.3 Oxidation mit Selendioxid (Riley-Oxidation)


Methyl- oder Methylengruppen in Nachbarschaft zu einer Ketogruppe oder Formylgruppe
werden in geeignetem Lösungsmittel (Eisessig, Dioxan oder Wasser) mit Selendioxid zu α-
Diketonen bzw. zu α-Ketoaldehyden oxidiert. Als Nebenprodukt entstehen Carbonsäuren.

O
O O
SeO2
R' CH2 C R' C C
R R

13.4.10.4 Faworski-Umlagerung
Die Faworski-Umlagerung erfolgt bei einer Reaktion von α-Halogenketonen mit starken
Basen. Mit Alkalilauge werden Halogenketone zur Carbonsäure, mit Alkoholaten zu Estern
und mit Aminen als Base zum n-Alkylsäureamid umgesetzt.

Die Faworski-Umlagerung kann auch zu einer Ringverengung eines Sechs- oder Vierrin-
ges führen: 2-Chlorcyclohexanon wird mit Lauge in das Salz der Cyclopentancarbonsäure
und 2-Bromcyclobutanon in das Salz der Cyclopropansäure umgesetzt, durch Ansäuern der
Carbonsäuresalze erhält man dann die entsprechenden cyclischen Carbonsäuren.

Reaktionsmechanismus
Die Methylengruppe in α-Stellung zur Carbonylgruppe wird durch die Base (das Alkoholat-
ion) deprotoniert und unter Eliminierung des Chloridanions wird ein Cyclopropanonring
gebildet. Nach nucleophiler Addition der Base an den Carbonylkohlenstoff erfolgt die Umla-
gerung zum Ester.
13.4 Reaktionen der Aldehyde und Ketone 551

13.4.10.5 Die Willgerodt-Reaktion


Ein Alkylphenylketon wird bei der Willgerodt-Reaktion unter Druck im Autoklav bei 200 °C
in wässriger Ammoniumpolysulfidlösung in die ω-Phenylcarbonsäure mit der gleichen An-
zahl von Kohlenstoffatomen wie das Edukt umgesetzt. Vielfach erhält man bei dieser Reak-
tion erst das Thioamid oder Amid der ω-Phenylcarbonsäure, das dann mit Natronlauge zum
Na-Salz der ω-Phenylcarbonsäure verseift wird. Die Reaktion erfolgt mit Alkylphenylketo-
nen, deren Alkylkette auch verzweigt sein kann. Sie findet aber nicht bei solchen Alkylphe-
nylketonen statt, die in ihrer Alkylkette einen quartären Kohlenstoff haben. Mit zunehmen-
der Kettenlänge werden die Ausbeuten an ω-Phenylcarbonsäure kleiner.

Eine Variante der Willgerodt-Reaktion ist die Willgerodt-Kindler-Reaktion. Das Al-


kylphenylketon wird mit Schwefel und einem sekundären Amin bei milderen Reaktionsbe-
dingungen in das Thioamid umgesetzt, das nachher mit Kalilauge verseift wird.
Die Willgerodt-Kindler-Reaktion hat den Vorteil, daß sie drucklos erfolgen kann.

Der Reaktionsmechanismus der Willgerodt-Reaktion ist noch nicht vollends geklärt.

13.4.11 Disproportionierung von Aldehyden

Unter Disproportionierung versteht man eine Reaktion, bei der eine Verbindung mit einer
mittleren Oxidationszahl in zwei Produkte umgesetzt wird, eines mit höherer und eines mit
niedrigerer Oxidationszahl.
552 13 Aldehyde und Ketone

13.4.11.1 Die Cannizzaro-Reaktion


Aldehyde, die keinen am α-ständigen C-Atom gebundenen Wasserstoff aufweisen, z.B.
Benzaldehyd oder Formaldehyd, reagieren im stark basischen Medium so, daß eine Dispro-
portionierung zum Alkohol und zum Salz der Carbonsäure eintritt.

OH
O O
O H
2H C H C + H C H
H O
H
Formaldehyd Ameisensäureanion Methylalkohol

Zunächst greift das Hydroxidion als Nucleophil den Aldehyd an. Im weiteren Reaktions-
schritt wird ein Hydridion auf ein weiteres Aldehydmolekül übertragen, das als Hydrid-
akzeptor auftritt.
Angriff des Hydroxidions:

O
O
H C O H H C O H
H
H

Übertragung des Hydridions:

O
O O
H C O H H C H C
O H O
H + +
O H H
H C
H C O H C O H
H
H H

13.4.12 Nachweisreaktionen

Eine Nachweisreaktion für das Vorhandensein von Carbonylverbindungen ist die Reaktion
mit 2,4-Dinitrophenylhydrazin zum gelben kristallinen 2,4-Dinitrophenylhydrazon (siehe Ab-
schnitt 13.4.3.5). Das Vorliegen einer Carbonylverbindung kann man aber auch aus einem
Infrarot-Spektrum ersehen. Zur Unterscheidung, ob ein Aldehyd oder Keton vorliegt, dienen
weitere Reaktionen. Die Tollenssche Probe (Abschnitt 13.4.9.1) und die Fehlingsche Probe
13.5 Vorkommen von Aldehyden und Ketonen in der Natur 553

(Abschnitt 13.4.9.2) basieren darauf, daß Aldehyde mit Ag+ und Cu2+ in basischem Medium
oxidierbar sind und Ketone nicht. Ein weiterer Nachweis darüber, daß ein Aldehyd vor-
liegt, kann mit fuchsinschwefeliger Säure, einer durch Einleiten von SO2 entfärbten wäßri-
gen Fuchsinlösung, erbracht werden. In Anwesenheit von Aldehyden tritt eine Rotfärbung ein.

13.5 Vorkommen von Aldehyden und Ketonen in der Natur


Aldehyde und Ketone sind in der Natur weit verbreitet. Viele Ketone sind im Bereich der Ter-
penoide zu finden. Dazu gehören die im Pfefferminzöl vorkommenden cyclischen Monoter-
pene Menthon (siehe Abschnitt 20.1.1) und Carvon, die im Zitronenöl enthaltenen Monoterpe-
ne Citral-a, Citral-b und Citronellal und die bicyclischen Monoterpene L-(–)-Campher aus dem
Mutterkrautöl und D-(+)-Campher aus dem Holz des Japanbaumes (siehe Abschnitt 20.1.1).
O O O

C C C
H H H
O

O
O
O

Menthon Carvon Citral-a Citral-b Citronellal L-(-)-Campher D-(+)-Campher

Auch einige Steroide besitzen Ketogruppen. Zu ihnen gehören z.B. die Nebennieren-
rinden-Hormone Cortisol und Cortison (siehe Abschnitt 20.2.5.1) und die männlichen Keim-
drüsenhormone Testosteron und Androstendion (siehe Abschnitt 20.2.5.2).
O 20 21 O 20 21
H3C C CH2OH H3C C CH2OH H3C OH H3C O
HO 11 17
OH O 11 17
OH H
H3C H H3C H H3C H H3C H

3 H H 3 H H H H H H
O 5 O 5 O O
Cortisol Cortison Testosteron Androstendion

Im Bereich der Alkaloide (siehe Kapitel 26) gibt es ebenfalls Verbindungen, die eine Ke-
togruppe im Molekül aufweisen. Dazu gehören die in der Rinde des Granatapfelbaumes
(Punica granatum L.) enthaltenen Alkaloide Pseudopelletierin und Isopelletierin. Diese
Alkaloide steigern die Reflexerregbarkeit und verzögern die Muskelerschlaffung. In hohen
Dosen erfolgt eine Lähmung der motorischen Endplatten (Verbindungsstelle zwischen Ner-
venfaser und Muskelzelle). Therapeutisch werden sie als Anthelminthicum (Mittel gegen
Wurmerkrankungen), besonders gegen Bandwürmer, angewendet.
554 13 Aldehyde und Ketone

H3C
N
O

Pseudopelletierin Isopelletierin
HN CH2 C CH3

Aromatische Aldehyde kommen in der Natur ebenfalls vor, z.B. der im Zimt vorkom-
mende Zimtaldehyd und das in der Vanilleschote enthaltene Vanillin.

H O
H H C

C C
C O

H
OCH3

OH

Zimtaldehyd Vanillin

Auch Zucker zählen zu den Naturstoffen, in denen eine Keto- oder Formylgruppe vorzu-
finden ist. Monosaccharide (Einfachzucker) können als Verbindungen definiert werden, die
eine Keto- oder Formylgruppe und Hydroxygruppen im Molekül enthalten.
Übungsaufgaben 555

Übungsaufgaben

? 13.1
Benennen Sie mit Trivialnamen die folgenden Verbindungen:

O O O
O O
C C C C C
H H H 3C H H 3C CH3 H H

a) b) c) d)

H O H O
C C

OH
O
H 2C C C
H
H

e) f) g)

C O

H 3C

h) i)

? 13.2
Wie verläuft die Oxidation von Toluol mit Chromtrioxid in Acetanhydrid? Schreiben Sie die
Reaktionsgleichungen auf.

? 13.3
Auf welche Weise reagieren Aromate mit Kohlenmonoxid und HCl bei der Gattermann-
Koch-Synthese?

? 13.4
Wie reagieren Aromatische Kohlenwasserstoffe mit Carbonsäurechloriden in Gegenwart von
Lewis-Säuren?
556 13 Aldehyde und Ketone

? 13.5
Wie reagiert Benzaldehyd
a) in einer wässrigen Natriumcanidlösung unter Zugabe von 35%iger Schwefelsäure?
b) mit Natriumcyanid in wässrig-alkoholischer Lösung ohne Zugabe einer Säure?

? 13.6
Beschreiben Sie a) den Reaktionsverlauf der Knoevenagel-Reaktion eines Aldehyds mit Ma-
lonsäurediethylester und Pyridin als basischen Katalysator und b) was erfolgt, wenn man das
vorher erhaltene Produkt in saurem Medium hydrolysiert.

? 13.7
a) Ergänzen Sie die Reaktionsgleichungen:
R
H HO-R',H
C O + H O R' ? ?
H

b) Erklären Sie den Reaktionsmechanismus der sauer katalysierten Reaktion eines Aldehyds
mit einem Alkohol.

? 13.8
Welche Reaktionsprodukte erhält man bei der nukleophilen Addition an ein Aldehyd oder
Keton
a) mit einem primären Amin, b) mit Hydroxylamin, c) mit Hydrazin, d) mit Semicarbazid?
Geben Sie sowohl die chemische Formel als auch den Namen des Reaktionsprodukts an.

? 13.9
Welche Reaktionsprodukte entstehen bei der nucleophilen Addition eines Thiols an Aldehy-
de bzw. Ketone?

? 13.10
Erläutern Sie die einzelnen Reaktionsschritte der sauer katalysierten Keto-Enol-Tautomerie
eines Aldehyds.

? 13.11
Erläutern Sie die einzelnen Reaktionsschritte bei der Aldol-Reaktion.

? 13.12
Vervollständigen Sie die Reaktionsgleichung:

O O R1 Einige
Stunden
erhitzen
R C CH3 + H C H + H N H

R2 Cl
Übungsaufgaben 557

? 13.13
Was erfolgt, wenn man zum Aldehyd in Diethylether Lithiumaluminiumhydrid gibt und zum
Reaktionsprodukt nachher verdünnte Salzsäure hinzufügt?

? 13.14
Vervollständigen Sie die Reaktionsgleichungen:

R1
OH 200 °C
C O + H 2N NH2
R2

? 13.15
Was geschieht, wenn man zu einem Aldehyd in ammoniakalischer Silbernitratlösung einige
Tropfen Natronlauge hinzufügt und erwärmt? Schreiben Sie die Reaktionsgleichung auf.

? 13.16
Formulieren Sie die Reaktionsgleichung der Baeyer-Villiger-Reaktion eines Methylketons
mit einer Peroxycarbonsäure.

? 13.17
Was geschieht, wenn man Benzaldehyd in starker Lauge erwärmt? Schreiben Sie die Reak-
tionsgleichung auf.
558 13 Aldehyde und Ketone

Lösungen

! 13.1
a) Formaldehyd b) Acetaldehyd c) Aceton d) Glyoxal e) Acrolein f) Benzyaldehyd
g) Salicylaldehyd h) Acetophenon i) Benzophenon

! 13.2
Die Oxidation von Toluol mit Chromtrioxid in Acetanhydrid erfolgt über das Diacetat des
Benzaldehydhydrats. Dieses wird zu Benzaldehyd und Essigsäure hydrolysiert:
O
O
O C CH3 O
H 3C C
CH3 O CH C
H
CrO3 , H3C C O C CH3 O
O H2 O
+ 2 H 3C C
O
OH
Diacetat des Benzaldehydhydrats Benzaldehyd

! 13.3
Bei der Gattermann-Koch-Synthese wird ein Gemisch von trockenem HCl und CO durch
eine Suspension von wasserfreien CuCl und Aluminiumchlorid des zu formylierenden aro-
matischen Kohlenwasserstoffs mehrere Stunden geleitet. Als Zwischenprodukt wird wahr-
scheinlich Formylchlorid gebildet, das in einer Friedel-Crafts-Reaktion mit dem Aromati-
schen Kohlenwasserstoff reagiert:

HCl + C O

H H
AlCl3 / CuCl
Ar H + Cl C Ar C + HCl
O O

! 13.4
Aromatische Kohlenwasserstoffe reagieren mit Carbonsäurechloriden in Gegenwart einer
Lewis Säure nach Friedel-Crafts, wobei das entsprechende Keton entsteht (Reaktionsme-
chanismus siehe Abschnitt 6.6.1.4c):
O O
AlCl3
Ar H + X C R Ar C R + HX X = Cl, Br, I
Lösungen 559

! 13.5
a) bei der Zugabe der Säure wird Blausäure frei, die an die Doppelbindung der Carbonyl-
gruppe des Benzaldehyds nucleophil addiert wird und es wird das Benzaldehydcyan-
hydrin gebildet:

OH
O H
C + H C N C C N
H
H

Benzaldehydcyanhydrin

b) Läßt man Benzaldehyd ohne Zugabe einer Säure mit Natriumcyanid in wässrig-alkoho-
lischer Lösung reagieren, entsteht Benzoin (siehe Kapitel 13.4.1.2)

OH O
O
C N
2 C C C

H
H
Benzoin
Benzaldehyd

! 13.6
a) Bei der Knoevenagel-Reaktion wird der Malonsäuredieethylester deprotoniert und das
Malonsäurediester-Anion nucleophil an die Carbonylgruppe des Aldehyds addiert. Nach
Protonierung des Produkts erfolgt eine Abspaltung von Wasser unter Bildung des Alkyli-
denmalonsäurediesters.Die Wasserabspaltung erfolgt deshalb so leicht weil die beiden
Carbonylgruppen des Diesters mit der neu entstandenen Doppelbindung in Konjugation
stehen, also eine Mesomeriestabilisierung vorliegt.

b) nach Ansäuren des Produkts erfolgt die Hydrolyse des Diesters und unter Decarboxylie-
rung entsteht die entsprechende α,β-ungesättigte Carbonsäure (Reaktionsmechanismus
siehe Kapitel 13.4.1.4).

O O
H
R H C OC2H5 R C OC2H5 R O
Pyridin H /H2O
C O + C C C C C C
H – H2O – 2 C2H5OH
H C OC2H5 H C OC2H5 H OH
– CO2
O O
Alkylidenmalon- α,β−ungesättigte
säurediester Carbonsäure
560 13 Aldehyde und Ketone

! 13.7
a) Aldehyde reagieren im sauren Medium mit Alkoholen zunächst zum Halbacetal und dann
weiter zum (Voll)acetal:
H R'
O O
O H O R', H
H
R C + H O R' R C O R' R C O R' + H2O
H
H H

b) Im sauren Medium erfolgt zunächst die Protonierung des Aldehyds, wodurch die positive
Ladung am Carbonylkohlenstoff des Aldehyds verstärkt und so die nucleophile Addition
des relativ schwachen Nucleophils Alkohol ermöglicht wird. Es erfolgt die Deprotonie-
rung des Addukts unter Bildung des Halbacetals:
H H
H
O O
O O H O H O R'
H
R C R C R C R C O R' R C O R'
- R'OH
H -H H H
H H H +H

Das Halbacetal wird im sauren Medium protoniert und die Hydroxonium-Gruppe in einer
nucleophilen Substitution durch ein Alkoholmolekül ersetzt, worauf eine Deprotonierung
unter Bildung des (Voll)Acetals erfolgt:
H H H H
H O O
– H2O O R'
R C O R' R C O R' R C O R'
H2O – R'OH
H H H

Halbacetal H R' H R'


O O

R C O R' R C O R'

H H
Acetal

! 13.8
Die nucleophile Addition an einen Aldehyd oder ein Keton führt nach Abspaltung von Was-
ser:
a) mit einem primären Amin zum Imin
OH H

C O + NH2R C N R C NR + H 2O

Imin
Lösungen 561

b) mit Hydroxylamin zum Oxim


OH H

C O + NH2OH C N OH C N OH + H2 O

Oxim

c) mit Hydrazin zum Hydrazon


OH H

C O + H2 N NH2 C N NH2 C N NH2 + H 2O

Hydrazon

d) mit Semicarbazid zum Semicarbazon


OH H

C O + H2 N NHCONH2 C N NHCONH2 C N NHCONH2 + H2O

Semicarbazon

! 13.9
Thiole (Mercaptane) werden nucleophil an Aldehyde oder Ketone unter Bildung von Thio-
acetalen bzw. Thioketalen addiert:

R – H2O R S R' R – H 2O R S R'


C O +2 H S R' C C O + 2 H S R' C
H H S R' R R S R'

Thioacetal Thioketal

! 13.10
Bei der sauer katalysierten Keto-Enol-Tautomerie wird die Keto-Form des Aldehyds proto-
niert. Anschließend wird vom Carboxoniumion ein Proton aus der zur protonierten Formyl-
gruppe α-ständigen CH3-, CH2- bzw. CH-Gruppe abgespalten, wobei die Enol-Form gebildet
wird:

H H H
O O H O H H O H
H -H
R C C R C C R C C C C
H -H H H H R H
H H H

Keto-Form Carboxoniumion Enol-Form


562 13 Aldehyde und Ketone

! 13.11
Aldehyde stellen eine C-H-acide Verbindung dar. Unter basischer Katalyse wird vom Alde-
hyd aus einer α-ständigen Methin-, Methylen- oder Methylgruppe ein Proton abgespalten,
das vom Hydroxid-Ion gebunden wird. Das auf diese Weise entstandene Ketocarbanion-
Enolation wird nucleophil an den Kohlenstoff der Formylgruppe des Aldehyds addiert. Das
β-Ketoalkoholat reagiert in wässriger Lösung indem es dem Wasser ein Proton entreißt und
es entsteht das Aldol:

H
O H O H
R C C O
C C C C + H 2O
H H R H R H
O H

Aldehyd Ketocarbanion-Enolation

H H O H
O O
R C C C C C C
H H R H R H

Aldehyd Ketocarbanion-Enolation

H
H H
H O H O O H O H O
R C C C C R C C C C
H H R H H H R H

β−Ketoalkoholat Aldol

Bei Höherer Basenkonzentration und höherer Temperatur dehydratisiert Aldol, wobei ein
α,β-ungesättigter Aldehyd entsteht. Die Reaktion erfolgt deshalb leicht, weil das α,β-un-
gesättigte Reaktionsprodukt durch Konjugation mit der Carbonylgruppe mesomeriestabilisert
ist.

H O R H R
O O
β α
R C C C C R C C C C + OH + H2 O
H H
H H H H H

O H
Lösungen 563

! 13.12
Bei einem Gemisch bestehend aus einem Keton als C-H-acider Verbindung, Formaldehyd
und dem Hydrochlorid eines sekundären Amins, das einige Stunden unter dem Rückflußküh-
ler erhitzt wird, erfolgt die Mannich Reaktion. Unter Wasserabspaltung wird das Hydroch-
lorid der β-Aminocarbonyl-Verbindung gebildet (Reaktionsmechanismus siehe Kapitel
13.4.7.5):

Einige
O H O R1 Stunden O R1
erhitzen α β
R C CH2 + H C H + H N H R C CH 2 CH 2 N H + H2O

R2 Cl R2 Cl

! 13.13
Der Aldehyd wird mit Lithiumaluminiumhydrid zum entsprechenden Lithiumaluminiumal-
koholat-Komplex umgesetzt, aus dem nach Zugabe der Säure der primäre Alkohol freige-
setzt wird. Auf diese Weisen kann man den Aldehyd zum primären Alkohol reduzieren:

H
Ether 4 HCl
4R C + AlH4 Li (R CH2O)4Al Li 4R CH2 OH + AlCl3 + LiCl
O

! 13.14
Die Carbonylverbindung wird mit Hydrazin unter Zusatz von Kaliumhydroxid in das Hydra-
zon umgewandelt und bei 200°C entsteht unter Abspaltung von Stickstoff der entsprechende
Kohlenwasserstoff. Diese Reaktion wird als Kishner-Wolff-Reaktion bezeichnet (Reak-
tionsmechanismus siehe Abschnitt 13.4.8.2b).

R1 R1 R1 H
OH 200 °C
C O + H2N NH2 C N NH2 C + N2
R2 R2 R2 H

! 13.15
Versetzt man das Gemisch einer ammoniakalischen Silbernitratlösung und eines Aldehyds
mit einigen Tropfen Natronlauge und erwärmt dieses, so erhält man das Salz der entspre-
chenden Carbonsäure und das Silberion wird zu metallischem Silber reduziert (die Silber-
spiegel-Probe als Schulversuch). Diese Redox-Reaktion wird als Tollenssche Probe be-
zeichnet:

O O
R C + 2 Ag(NH3)2 NO3 + 2 NaOH R C + 2 Ag + 2 NaNO3 + 3 NH3 + H2O
H O NH4
564 13 Aldehyde und Ketone

! 13.16
Bei der Baeyer-Villiger-Reaktion wird aus dem Methylketon der entsprechende Ester ge-
bildet (Reaktionsmechanismus siehe Kapitel 13.4.10.2):

O O O O

H3C C R + R' C O O H H3C C O R + R' C O H

! 13.17
Aldehyde, die keinen am α-ständigen C-Atom gebundenen Wasserstoff aufweisen, reagieren
in stark alkalischem Medium unter Disproportionierung zum Alkohol und dem Salz der
Carbonsäure. Die Reaktion wird als Cannizzaro-Reaktion bezeichnet (Reaktionsmechanis-
mus siehe Kapitel 13.4.11.1). Benzaldehyd disproportioniert in alkalischem Medium zu Ben-
zylalkohol und Benzoatanion:

H H O
OH
2 C C H + C
O OH O
14 Chinone
Chinone sind kristalline, gelb bis rot gefärbte Carbonylverbindungen, die eine chinoide
Struktur aufweisen. Zwei Ketogruppen bilden mit Doppelbindungen in einem oder mehreren
Sechsringen ein konjugiertes System. Grundsätzlich unterscheidet man eine o- und eine
p-chinoide Struktur.

O O

p-chinoide o-chinoide p-Benzo- o-Benzo-


Struktur Struktur chinon chinon

Zu den Chinonen zählen u. a. auch:

O O
1 1 8 1
2 O 2 O
2 7

3 6
3
4 O 4
5
O

1,4-Naphthochinon 1,2-Naphthochinon 2,6-Naphthochinon

O O
O
8 1 9 10
9
2 8 1
7
7 2
6 3
5 10 4 6 5 4 3
O

9,10-Anthrachinon 9,10-Phenanthrenchinon

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 565


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
566 14 Chinone

14.1 Darstellung der Chinone


Die Oxidation des Hydrochinons mit Natriumdichromat in Schwefelsäure führt zum p-Ben-
zochinon. Auch Phenol oder Anilin werden zu p-Benzochinon oxidiert.

OH O

Na2Cr2O7, H2SO4, 30 °C
(gelb)

OH O

Hydrochinon p-Benzochinon
Brenzkatechin kann mit Silberoxid in Diethylether unter Beigabe von wasserfreiem Na-
triumsulfat zu o-Benzochinon oxidiert werden. Das o-Benzochinon ist wasserempfindlich.
Deshalb ist die Gegenwart von Natriumsulfat im Reaktionsgemisch notwendig, um das bei
der Reaktion gebildete Wasser zu binden.

OH O

OH O
Ag2O, Na2SO4, Ether
(rot)

Brenzkatechin o-Benzochinon
Mit Chromsäure, Wasserstoffperoxid oder Luftsauerstoff in Gegenwart von Vanadium-
pentoxid können Naphthalin zum 1,4-Naphthochinon, Anthracen zum 9,10-Anthrachinon
und Phenanthren zu 9,10-Phenanthrenchinon oxidiert werden.

14.2 Reaktionen der Chinone


Chinone können leicht reduziert werden. An die C–C-Doppelbindung der Chinone können
elektrophile und an die Carbonyl-Doppelbindung nucleophile Additionsreaktionen erfolgen.
Chinone sind dienophile Verbindungen, die eine Diels-Alder-Reaktion ermöglichen. Mit
Hydrochinon bildet p-Benzochinon einen Ladungsübertragungskomplex (charge-transfer-
Komplex).

14.2.1 Die Reduktion von Chinonen

Die Reduktion von Chinonen geht leicht vonstatten, z.B. kann p-Benzochinon in saurem
Medium mit Fe2+ zu Hydrochinon reduziert werden, wobei das Fe2+ zu Fe3+ oxidiert wird.
14.2 Reaktionen der Chinone 567

O OH

+ 2 Fe 2 + 2H + 2 Fe 3

O OH

p-Benzochinon Hydrochinon
Die Reduktion des Chinons findet in zwei aufeinanderfolgenden Ein-Elektron-Übertra-
gungen statt.

O O O O

e
2 3
Fe + Fe

O O O O

Semichinon-Radikal-Anion
Das im ersten Elektron-Übertragungsschritt gebildete Radikal-Anion nimmt ein zweites
Elektron auf, wobei das Hydrochinolat-Dianion entsteht, das unter Aufnahme von zwei Pro-
tonen Hydrochinon bildet.

O O O O

Fe
2
+ Fe 3

O O O O

Semichinon-Radikal-Anion Hydrochinolat-Dianion
H
O O

+ 2H
Hydrochinon

O O
H
568 14 Chinone

14.2.2 Elektrophile Addition

An die C–C-Doppelbindung der Chinone kann eine elektrophile Addition erfolgen, z.B. wird
in Essigsäure gelöstes Brom an p-Benzochinon elektrophil addiert.

O O O
Br Br Br

Br2 in CH3COOH H Br2 in CH3COOH H H


Br Br Br

H H H
O O O

5,6-Dibromcyclo- 2,3,5,6-Tetrabrom-
hex-2-en-1,4-dion cyclohexan-1,4-dion

14.2.3 Nucleophile Addition

In Chinonen befindet sich die C=C-Bindung in Konjugation zur C=O-Bindung. Man kann
Chinone als α,β-ungesättigte Ketone auffassen und kann deshalb (siehe Abschnitt 13.4.5.2)
bei der nucleophilen Addition erwarten, daß eine 1,4-Addition erfolgt:

Als Beispiel für eine 1,4-Addition an Chinone sei die nucleophile Addition von Methanol
an p-Benzochinon in Gegenwart von ZnCl2 angeführt. Das ZnCl2 hat bei dieser Reaktion die
Funktion einer Lewis-Säure. Der Sauerstoff der Carbonylgruppe bindet mit seinem freien
Elektronenpaar die Lewis-Säure und erleichtert dadurch dem Methanol, das ein relativ
schwaches Nucleophil darstellt, den nucleophilen Angriff. Die Keto-Enol-Tautomerie des
Addukts im letzten Reaktionsschritt führt zum 2-Methoxyhydrochinon. Die Enolisierung er-
folgt deshalb leicht, weil durch Abspaltung des Protons der Sechsring in den resonanzstabili-
sierten aromatischen Zustand gelangt.
14.2 Reaktionen der Chinone 569

ZnCl2 ZnCl2 ZnCl2 H H


O O O O O
Keto-Enol-
H Tautomerie
H
O CH3
O CH3 O CH3
- ZnCl2 O CH3
H H
O O O O O
H
p-Benzochinon 2-Methoxyhydrochinon
Das 2-Methoxyhydrochinon reagiert weiter. Es steht in einem Redox-Gleichgewicht mit
dem noch im Reaktionsgemisch vorhandenen p-Benzochinon, wobei Hydrochinon und
2-Methoxy-p-benzochinon gebildet werden.
H H
O O O O

+ +
O CH3 O CH3

O O O O
H H
2-Methoxyhydrochinon p-Benzochinon 2-Methoxy-p-benzochinon Hydrochinon
Das 2-Methoxy-p-benzochinon addiert nochmals Methanol, worauf sich auf Grund der
Keto-Enol-Tautomerie das 2,5-Dimethoxyhydrochinon bildet. Durch Ausbildung der Enol-
Form gelangt der Sechsring in den stabilen aromatischen Zustand.
H
Keto-Enol-
O O Tautomerie O
H3C O
H H3C O
H
ZnCl2
+ H3C O
O CH3 O CH3 O CH3

O O O
H
H
2,5-Dimethoxyhydrochinon
Auch mit HCN, Aminen und Thiolen erfolgt eine 1,4-Addition, gefolgt von einer Enoli-
sierung nach dem Schema:
H H
O O O

Keto-Enol-
1,4-Addition Nu Tautomerie
+ Nu H
H Nu
H
O O O
H
570 14 Chinone

Mit Grignard-Reagens hingegen erfolgt eine 1,2-Addition. Hierbei entsteht ein Addukt,
in dem die chinoide Konjugation partiell erhalten ist. Die Hydrolyse des Addukts ergibt ein
Chinol.

O
R OMgX R OH

H2O
+ RMgX Chinol

O O O

Mit Hydroxylamin und Hydrazin reagieren Chinone zu Oximen und Hydrazonen.

14.2.4 Die Diels-Alder-Reaktion

Im p-Benzochinon befindet sich die C=C-Bindung in Nachbarschaft zweier Carbonylgrup-


pen, die die C=C-Bindung durch ihren –I-Effekt für die Reaktion mit einem Dien aktivieren,
so daß das Chinon als Dienophil reagieren kann. Bei der Diels-Alder-Reaktion (siehe auch
Abschnitt 3.10.4) des p-Benzochinons mit 1,3-Butadien erfolgt ein Ringschluß zum Tetra-
hydro-1,4-naphthochinon. Dieses kann leicht zum 1,4-Naphthochinon dehydriert werden.

O O O
CH2 Diels-Alder-
H2C Reaktion
Oxidation
H2C
CH2

O O O

Tetrahydro-1,4-naphthochinon 1,4-Naphthochinon

14.2.5 Bildung von Charge-Transfer-Komplexen

Die C–O-Doppelbindung ist stark polarisiert, so daß im p-Benzochinon beide Kohlenstoff-


atome der Carbonylgruppen eine positive Teilladung haben. Infolge der Konjugation der
Doppelbindungen wird sich, wie die mesomeren Grenzformeln vermuten lassen, der Elektro-
nenmangel auf alle Kohlenstoffatome des Sechsringes verteilen.
14.2 Reaktionen der Chinone 571

O O O O

O O O O

Im Hydrochinon hingegen haben beide Hydroxygruppen einen +M-Effekt, der die Elek-
tronendichte im aromatischen Sechsring erhöht.
H H H H
O O O O

O O O O
H H H H

Löst man p-Benzochinon und Hydrochinon in äquimolarem Verhältnis, erhält man eine
dunkelgrüne Verbindung, das Chinhydron.
H δ- O H O
δ+ O O
δ- δ+
δ- δ- δ+ δ+
+
δ- δ- δ+ δ+
δ- δ+

δ+ O O δ-
H O H O

Hydrochinon p-Benzochinon Chinhydron


Das Chinhydron ist ein kristalliner Molekülkomplex, der als Ladungsübertragungskom-
plex oder auch als Charge-Transfer-Komplex bezeichnet wird. Ein solcher Komplex enthält
eine Komponente mit hoher Elektronendichte, während die andere Komponente einen Elek-
tronenmangel verzeichnet. Die Komponente mit hoher Elektronendichte tritt als Elektronen-
donor auf, die andere Komponente als Elektronenakzeptor (wird mit dem Pfeil symbolisiert).
Darum werden diese Komplexe manchmal auch als Donor-Akzeptor-Komplexe bezeichnet.
Im Chinhydron stehen beide Sechsringe zueinander parallel.
Das Chinhydron ist in neutralem und saurem Medium beständig, es ist unbeständig in ba-
sischem Medium (pH > 9). Eine Chinhydronlösung kann im Bereich bis pH 9 für pH-Mes-
sungen als Standard-Vergleichselektrode benutzt werden.
572 14 Chinone

14.3 Vorkommen der Chinone in der Natur

14.3.1 Pilzfarbstoffe

Im Schimmelpilz, Aspergillus fumigatus Fresenius, wurde das Fumigatin und in Penicillium


spinulosum Thom das Spinulosin isoliert. Man nimmt an, daß die Verbindungen eine Funk-
tion im Redox-System des Stoffwechsels der Pilze erfüllen. Im Pilz Polyporus nidulans
Pers., der parasitär auf Eichen wächst, wurde die braunviolette Polyporsäure gefunden.

O O O

H3C OH H3C OH HO

O CH3 HO O CH3 OH

O O O

Fumigatin Spinulosin Polyporsäure

14.3.2 Der Elektronentransport in der Atmungskette

Die Energiequelle der aeroben Zelle ist die Atmung. Der Vorgang spielt sich in den Mito-
chondrien, den „Kraftstationen der Zelle“, ab. In der Zelle werden Nährstoffe (Kohlenhydra-
te und Fettsäuren) enzymatisch oxidativ abgebaut, wobei als Endabbauprodukt CO2 und H2O
anfallen. In der ersten Phase der biologischen Oxidation erfolgt die Dehydrierung des Sub-
strats. Die dabei freiwerdenden Elektronen werden ebenso wie der Wasserstoff über eine
Kette hintereinandergeschalteter Enzyme übertragen, die als Atmungskette bezeichnet wird.
In der Endphase kommt es zur Oxidation unter Beteiligung des Atmungssauerstoffes, der die
Elektronen aufnimmt und mit Protonen Wasser bildet. Das erste Glied der Atmungskette ist
die oxidierte Form des Nicotinamid-Adenin-Dinucleotids NAD+ (siehe Abschnitt 25.6.1.1a),
das in die reduzierte Form NADH gebracht wird (siehe Bild 14.1).
Vom NADH erfolgt die Elektronenübertragung auf das Flavinmononukleotid FMN (sie-
he Abschnitt 25.7.3.2), von diesem auf das Ubichinon und dann auf weitere Verbindungen
der Atmungskette (siehe Bild 14.2).
Die Elektronen werden von einer Verbindung auf eine andere mit jeweils positiveren Re-
doxpotential E0' transportiert, bis sie schließlich auf molekularen Sauerstoff übertragen wer-
den, der mit den vom Ubichinon freigesetzten Protonen Wasser bildet (siehe Bild 14.3).
Die bei der Atmung freigesetzte Energie wird dazu benutzt, um Adenosindiphosphat
(ADP) in Adenosintriphosphat (ATP) zu überführen (oxidative Phosphorylierung). Die Oxi-
14.3 Vorkommen der Chinone in der Natur 573

An Reduktion beteiligter Bereich

H
H H
O NH2
CONH2 CONH2
O P O N C
R R C N
O HC
N N C CH
CH2 CH2 O P O CH2 N N
O O O
H + 2e O H H Adenin
H H H H

H H H H Diphosphat- H H
gruppe OH OH
OH OH OH OH Ribose
NAD+ NADH Adenosin

R = Adenosindiphosphatrest Adenosindiphosphatrest

Bild 14.1 Reduktion von NAD+ zu NADH

Flavinrest O H O

H3C N C H H3C N C H
N N

C C
H3C N N O H3C N N O

H C H H C H H

H C OH 2H + 2e H C OH
FMN H C OH H C OH FMNH2

H C OH O H C OH O

H2C O P O H2C O P O
Ribitylrest O O

Flavinmononukleotid reduzierte Form

An der Reduktion beteiligter Molekülbereich:


H

N N
2H + 2e

N N

Bild 14.2 Reduktion von FMN zu FMNH2


574 14 Chinone

Substrat • H2 Substrat (oxidierte Form) E0(Volt) = Standard-Redox-


potential der Reaktion

- 0,3 NAD+ NADH + H⊕ NAD+ - 0,32V

0,0 FMN FMN • H2 FMN - 0,12V

0,1 + 0,10V CoQ • ox CoQ • red CoQ • ox + 2 H⊕

+ 0,12V 2 Cytochrom b Fe3⊕ 2 Cyt b Fe2⊕ 2 Cyt b Fe3⊕


0,2
+ 0,25V 2 Cyt c Fe3⊕ 2 Cyt c Fe2⊕ 2 Cyt c Fe3⊕

+ 0,29V 2 Cyt a Fe3⊕ 2 Cyt a Fe2⊕ 2 Cyt a Fe3⊕

0,8 + 0,8V ½ O2 O2

E0/V H2O

Energieübertragung: 3 ADP + 3 H3PO4 3 ATP


(Cyt = Cytochrom.
Cytochrome siehe Abschnitt 25.5.1.2b)

Bild 14.3 Schema der Atmungskette

dationsenergie wird sozusagen in Form von ATP-Energie kurzfristig gespeichert. In einer


durchschnittlichen Zelle wird ein ATP-Molekül innerhalb einer Minute nach seiner Entste-
hung verbraucht. Die freie Energie, die bei der Hydrolyse von ATP freigesetzt wird, dient
zum Antrieb von Reaktionen, die Energie erfordern. Für die Muskelkontraktion, für Biosyn-
thesen und zur Signalverstärkung wird die Energie aus der Umwandlung des energiereichen
Adenosintriphosphats in das energieärmere Adenosindiphosphat bezogen (freie Standard-
energie der Hydrolyse ΔG' = –30,5 kJ/Mol bzw. –7,3 kcal/Mol).

NH2 NH2

O O C O O O C
N N
C N C N
H O P O P O HC O P O P O P O HC
C CH C CH
O O CH2 N N O O O CH2 N N
O O
H H Energie aus Oxidationsreaktionen H H Adenin
O
H H H H
H O P O
Muskelkontraktion
OH OH Biosynthesen + H2O OH OH
O Signalverstärkung Ribose
Transportarbeit Adenosin
Phosphat + Adenosindiphosphat Wasser + Adenosintriphosphat

Ein Glied der Atmungskette ist das Coenzym Q (abgekürzt CoQ), dessen reduzierte Form
durch Abgabe zweier Elektronen in die oxidierte Form übergeht. Das CoQ ist ein Chi-
nonderivat mit einer langen, aus Isopreneinheiten bestehenden Kette. Die unpolare Kohlen-
wasserstoffkette erleichtert das Diffundieren des CoQ durch die Mitochondrienmembran.
Die Anzahl der Isopreneinheiten ist speciesabhängig. Bei Säugetieren enthält die Kette mei-
14.3 Vorkommen der Chinone in der Natur 575

stens zehn Isopreneinheiten. In diesem Fall bezeichnet man das Coenzym als CoQ10. Das
Coenzym Q wird manchmal auch Ubichinon genannt, weil es ubiquitär, d.h. weitverbreitet,
vorkommt. CoQ ist der einzige Elektronenüberträger der Atmungskette, der nicht kovalent
mit einem Protein verknüpft ist. Das Coenzym Q überträgt in der Atmungskette die Elektro-
nen vom Flavinmononucleotid (FMN) auf das Cytochrom b.
H
O -2e ,- 2 H O

H3C O CH3 2e ,2H H3C O CH3

CH3 CH3

H3C O (CH2 CH C CH2)n H H3C O (CH2 CH C CH2)n H

O O
H
Reduzierte Form des CoQ Oxidierte Form des CoQ
Eine ähnliche Funktion haben die Plastochinone beim Elektronentransport der in den
Chloroplasten stattfindenden Photosynthese (siehe Abschnitt 25.5.1.3). Auch die Plasto-
chinone haben eine isoprenoide Seitenkette. In der Regel besteht sie aus 9 Isopreneinheiten.

14.3.3 Derivate des Naphthochinons


14.3.3.1 Vitamin K1 und K2
Vitamine sind Wirkstoffe, die sich der Mensch in kleinen Mengen mit der Nahrung zuführen
muß, weil sie für den Ablauf von Lebensfunktionen notwendig sind und der menschliche Or-
ganismus sie nicht synthetisieren kann. Die Vitamine der K-Gruppe (Abkürzung K von: Ko-
agulationsvitamine) enthalten einen Naphthochinonring mit einer langen Seitenkette (s. auch
Abschnitt 19.5.5.4). Vitamin K1 kommt in grünen Pflanzenteilen vor, während Vitamin K2 in
Bakterien zu finden ist, wo es offenbar Bestandteil der Atmungskette ist und Ubichinon
ersetzt. Für Säugetiere und Menschen hat die Vitamin-K-Gruppe Vitamincharakter, bei Vi-
tamin-K-Mangel funktioniert der Mechanismus der Blutgerinnung (Koagulation) nicht mehr.

CH3

CH3 CH3 CH3

CH2 CH C CH2 CH2 CH2 CH CH2 2 CH2 CH2 CH CH3

O
Vitamin K1

CH3

CH3 CH3 CH3

CH2 CH C CH2 CH2 CH C CH2 5 CH2 CH C CH3

O
Vitamin K2
576 14 Chinone

14.3.3.2 Weitere Naphthochinonderivate


Schält man die grünen Schalen von Walnüssen, bekommt man nach einiger Zeit dunkelbrau-
ne Flecken auf den Händen. Diese rühren vom Juglon (5-Hydroxy-1,4-naphthochinon) her,
das aus dem 1,4,5-Trihydroxynaphthalin durch Luftoxidation entstanden ist. Plumbagin (2-
Methyl-5-hydroxy-1,4-naphthochinon) kommt in den Sträuchern verschiedener Plumbago-
Arten vor. Aus dem in Ägypten wachsenden Henna-Strauch (Lawsonia inermis) gewinnt
man durch Extraktion das Lawson (2-Hydroxy-1,4-naphthochinon), ein Farbstoff mit dem
man Wolle und Seide orange färben kann. Lapachol ist ein gelber Farbstoff, der in den
Fasern verschiedener Holzarten zu finden ist.

OH O OH O O O

OH OH

CH3
CH3 CH2CH C
CH3
O O O O

Juglon Plumbagin Lawson Lapachol

14.3.4 Alizarin, ein Derivat des Anthrachinons

Alizarin wird durch Extraktion aus der Krappwurzel gewonnen, in der es in der Ruberythrin-
säure an Zucker (Glucose und Xylose) gebunden vorkommt. Alizarin ist ein Beizenfarbstoff,
der auf der Cellulosefaser nicht direkt haftet, sondern erst nach Vorbehandlung mit einer als
Beize bezeichneten Mittlersubstanz. Mit Aluminiumsalzen bildet es einen roten Aluminium-
alizarinlack, bei dem das Aluminium an die Faser und das Farbstoffmolekül gebunden ist.

Textil-
faser

O O

O OH Al
OH H
O O
O

O
Alizarin
Aluminium-
O
Alizarinlack
Übungsaufgaben 577

Übungsaufgaben

? 14.1
Benennen Sie die folgenden Verbindungen:

O O O

O O

O O
a) b) c) d)

O O
O

O
e) f)

? 14.2
Vervollständigen Sie die Reaktionsgleichung:

+ 2Fe2 + 2H

? 14.3
Wie reagiert p-Benzochinon
a) mit Brom in Essigsäure
b) mit Blausäure
c) mit Grignard-Reagens in Diethylether. Welche Verbindung erhält man nach Zugabe von
Wasser zum Reaktionsprodukt?

? 14.4
Schreiben Sie die Formel des Chinhydrons auf und erklären Sie, was ein Charge-Transfer-
Komplex ist.
578 14 Chinone

Lösungen

! 14.1
O O O

O O

O O
a) p-Benzochinon b) o-Benzochinon c) 1,4-Naphthochinon d) 1,6-Naphthochinon

O O
O

O
e) 9,10-Anthrachinon f ) 9,10-Phenanthrenchinon

! 14.2
Die Reduktion des p-Benzochinons mit Fe2+ zu Hydrochinon in saurem Medium findet in
zwei aufeinanderfolgenden Ein-Elektron-Übertragungen statt, wobei Fe2+ zu Fe3+ oxidiert
wird (Reaktionsmechanismus siehe Kapitel 14.2.1).
O OH

+ 2Fe2 + 2H + 2Fe3

O OH
Lösungen 579

! 14.3
Am p-Benzochinon können sowohl elektrophile als auch nukleophile Additionen erfolgen.
Das p-Benzochinon reagiert
a) mit Brom in Essigsäure in einer elektrophilen Addition an die C=C-Doppelbindung zu-
nächst zum entsprechenden Dibromderivat und durch Addition an die weitere C=C-
Doppelbindung zum 2,3,5,6-Tetrabromcyclohexan-1,4-dion
O O O
Br Br Br

Br2 in CH3COOH H Br2 in CH3COOH H H


Br Br Br

H H H
O O O

b) Mit HCN erfolgt am p-Benzochinon eine Michael-Adition (siehe Kapitel 13.4.5.3), also
eine nucleophile 1,4-Addition wie an einem α,β-ungesättigten Keton, gefolgt von einer
Enolisierung:
O OH OH

Keto-Enol-
1,4-Addition Tautomerie
+ HCN CN

H H CN

O O OH

c) Mit Grignard Reagens reagiert die Carbonylgruppe über einen cyclischen Übergangszu-
stand (siehe Kapitel 10.6.2.8) und es erfolgt eine 1,2-Addition, nach Hydrolyse des Pro-
dukts entsteht ein Chinol:
O
R OMgX R OH

H2O
+ RMgX

O O O
580 14 Chinone

! 14.4
p-Benzochinon und Hydrochinon in äquimolarem Verhältnis gelöst, bilden einen kristallinen
Ladungsübertragungskomplex, das Chinhydron. Ein Ladungsübertragungs-Komplex, der
auch als Charge-Transfer-Komplex bezeichnet wird, enthält eine Komponente mit hoher
Elektronendichte (in diesem Falle das Hydrochinon) und eine Komponente mit Elektronen-
mangel (das p-Benzochinon). Die Komponente mit hoher Elektronendichte tritt als Elektro-
nendonor (mit Pfeil symbolisiert), die andere als Elektronenakzeptor auf. Im Chinhydron
stehen beide Sechsringe parallel zu einander:
O H O

O H O
15 Carbonsäuren
Carbonsäuren sind organische Verbindungen, die eine Carboxygruppe –COOH als funktio-
nelle Gruppe besitzen. Je nach Anzahl der Carboxygruppen spricht man von Mono-, Di- oder
Tricarbonsäuren, z.B.

H O O
C
O O O O O
R C C CH2 C C CH C
O H H O O H H O O H

Monocarbonsäure Dicarbonsäure Tricarbonsäure


Unverzweigte aliphatische Monocarbonsäuren sind – verestert mit Glycerin – ein Be-
standteil von Fetten und Ölen. Aliphatische Monocarbonsäuren werden deshalb oft auch als
Fettsäuren bezeichnet. (Das Wort „aliphatisch“, das man zur Bezeichnung von Verbindungen
mit offener Kohlenstoffkette gebraucht, leitet sich vom griech. aliphos = Fett ab.)

15.1 Nomenklatur der Carbonsäuren


Die Benennung der Carbonsäuren nach IUPAC-Regeln erfolgt so, daß man die Carboxyg-
ruppe in die Hauptkette einbezieht, das C-Atom der Carboxygruppe also mitzählt, und beim
Durchnummerieren der Hauptkette mit dem C-Atom der Carboxygruppe beginnt. Man be-
nennt die in der Carbonsäure noch vorhandenen Substituenten, bezeichnet die Hauptkette mit
dem Namen des Kohlenwasserstoffs mit der entsprechenden Anzahl an Kohlenstoffatomen
und fügt dann das Wort -säure hinzu. Im Falle, daß zwei Carboxygruppen im Molekül vor-
handen sind, wird die Endung -disäure angefügt. Zum Beispiel:

H H H H H3C CH2 Br H H Br
3 2 1 4 3 2 1 3 2 1 5 4 3 2 1
H C C COOH H3C C C COOH H C C COOH HOOC C C C COOH
4
H H H CH3 HOOC H H H H
Propansäure 2-Methylbutansäure 2-Brom-3-ethyl- 2-Brompentandisäure
butandisäure

CH CH2 6 5
H3C 4 CH3 HOOC C C4 H
3 2 5 4 3 2 1 3 2
C C H3C C C CH COOH C C
1 1
H3C COOH H COOH
2,3-Dimethyl-2-butensäure 2-Vinyl-3-pentinsäure 2-(E)-2-Hexen-4-indisäure

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 581


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_15, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
582 15 Carbonsäuren

Im Falle, daß eine Carboxygruppe nicht in die Hauptkette einzuordnen ist, wird beim Ab-
zählen der C-Atome der Hauptkette das C-Atom der Carboxygruppe nicht mitgezählt. Es
wird die Stellung der Carboxygruppe angegeben, die Hauptkette nach dem entsprechenden
Kohlenwasserstoff benannt und die Endung -carbonsäure zugefügt, z.B.:
COOH HOOC COOH
3' 2' 2 3 8 1
HOOC COOH 7 2
4' 1' 1 4
2 1 COOH
H2C CH 3
6
5' 6' 6 5 COOH
COOH 5 4
1,1,2-Ethantri- Cyclohexan- 4-Biphenylcarbonsäure 1,3,8-Naphthalin-
carbonsäure carbonsäure tricarbonsäure
Befindet sich die Carboxygruppe in einer Seitenkette, kann man sie als Substituent be-
trachten und mit Carboxy- benennen, z.B.:

COOH
1
CH2 CH2 COOH
2
5 4 3 2 1
H3C CH CH2 CH CH COOH 3
COOH COOH CH2 COOH
2-(Carboxyethyl)-1,1,4-pentantricarbonsäure 3-(Carboxymethyl)-
1-naphthalincarbonsäure

O
Entfernt man gedanklich aus der Formel der Carbonsäure R C die Hydroxygruppe,
OH
O
so erhält man die Restgruppe R C , die man allgemein als Alkanoyl- oder Acylgruppe

bezeichnet. Der Name der Acylgruppe leitet sich vom Namen der Carbonsäure ab, indem
man anstelle des Suffixes -säure die Silbe -oyl verwendet, z.B.:

OH
O O O O
H3C CH2 C H3C CH2 CH C C CH2 CH2 CH2 C

Propanoyl- 2-Hydroxybutanoyl- Pentandioyl-

O
Befindet sich im Molekül neben der Gruppe C noch eine Carboxygruppe

O
C , so bezeichnet man die Carboxygruppe mit Carboxy- und die Gruppe
OH
O
C mit der Endung -oyl oder -carbonyl, z.B.:
15.1 Nomenklatur der Carbonsäuren 583

O O
5 4 3 2 1
C CH2 CH2 CH2 CH2 C
H O

5-Carboxypentanoyl-
Leitet man den Namen der Acylgruppe von einer Carbonsäure ab, deren Name die Endung
O
-carbonsäure hat, so erhält die Gruppierung C die Bezeichnung Carbonyl-, z.B.:

O O
C C
O
C H 2C CH CH2

C
O

Cyclohexancarbonyl- 1,2,3-Propantricarbonyl-

O
Der Säurerest R C leitet seinen Namen von der Bezeichnung der Carbonsäure
O

ab, wobei anstelle vom Suffix -säure die Endung -(o)at steht, z.B.:
CH3
O O
H3C CH2 CH2 C H3C C C
O O
H
Butanoat 2-Methylpropanoat

15.1.1 Trivialnamen für aliphatische, gesättigte Monocarbonsäuren

Viele Carbonsäuren, besonders solche, die in der Natur vorkommen, haben Trivialnamen.
Einige Trivialnamen leiten sich von der natürlichen Herkunft der Carbonsäuren ab. So ist
z.B. die Ameisensäure in den Drüsensekreten der Ameisen, Essigsäure (verdünnt) im Speise-
essig, Buttersäure in ranziger Butter und Capronsäure in Ziegenmilch (lat. Ziege = capra) zu
finden. Die Laurinsäure ist in Lorbeerfrüchten (Lorbeerbaum = Laurus nobilis) enthalten.
Die Myristinsäure kommt als Ester gebunden im Triglycerid der Muskatnuß (Muskatnuß =
Myristica fragans) und Palmitinsäure im Palmöl vor. Der Name Stearinsäure leitet sich vom
griech. stear = Fett, Talg ab. Die Korksäure wurde aus Kork isoliert. Die lat. Bezeichnung
für die Ameise ist formica, daher die Bezeichnung Formiate für Salze der Ameisensäure. Der
Name Acetat für die Salze der Essigsäure leitet sich vom lat. Acetum = Essig ab.
584 15 Carbonsäuren

Tabelle 15.1 Trivialnamen unverzweigter, gesättigter, aliphatischer Monocarbonsäuren

Anzahl der Formel Trivialname Benennung der Benennung des


C-Atome Acylgruppe Säurerestes
C1 HCOOH Ameisensäure Formyl- Formiat
C2 H3C–COOH Essigsäure Acetyl- Acetat
C3 H3C–CH2–COOH Propionsäure Propionyl- Propionat
C4 H3C–(CH2)2–COOH Buttersäure Butyryl- Butyrat
C5 H3C–(CH2)3–COOH Valeriansäure Valeryl- Valerat
C6 H3C–(CH2)4–COOH Capronsäure Capronoyl- Capronat
C8 H3C–(CH2)6–COOH Caprylsäure Capryloyl- Caprylat
C10 H3C–(CH2)8–COOH Caprinsäure Caprinoyl- Caprinat
C12 H3C–(CH2)10–COOH Laurinsäure Lauroyl- Laurat
C14 H3C–(CH2)12–COOH Myristinsäure Myristoyl- Myristat
C16 H3C–(CH2)14–COOH Palmitinsäure Palmitoyl- Palmitat
C18 H3C–(CH2)16–COOH Stearinsäure Stearoyl- Stearat

15.2 Physikalische Eigenschaften


Carbonsäuren gehören, durch die polare Carboxygruppe bedingt, zu den polaren organischen
Verbindungen. In Fettsäuren mit der allgemeinen Formel CnH2n+1COOH nimmt die Polarität
des Moleküls mit zunehmender Kettenlänge des Alkylrestes ab, da der Anteil des unpolaren
Alkylrestes CnH2n+1 der Carboxygruppe gegenüber größer wird. Carbonsäuren können nicht
nur mit Wasser oder Alkoholen, sondern auch untereinander Wasserstoffbrücken bilden. Die
relativ hohen Siedetemperaturen der Carbonsäuren sind nicht nur auf ihre Polarität, sondern
auch darauf zurückzuführen, daß die Carbonsäuremoleküle durch Wasserstoffbrücken bimo-
lekulare Assoziate bilden.

O H O
R C C R
O H O

Von der Ameisensäure bis zur Nonansäure sind die Fettsäuren flüssig, die höheren Fett-
säuren sind bei Zimmertemperatur fest. Die Dicarbonsäuren sind, ebenso wie die aromati-
schen Carbonsäuren, bei Zimmertemperatur feste Stoffe. Die ungesättigten Monocarbonsäu-
ren sind flüssig, die Elaidinsäure (siehe Abschnitt 15.5.1.3) jedoch ist bei Zimmertemperatur
fest (Smt. 51°C). Die niederen Fettsäuren bis zur Buttersäure sind mit Wasser in jedem Ver-
hältnis mischbar, bei den Fettsäuren mit höherem Molekulargewicht nimmt die Löslichkeit
in Wasser ab. Carbonsäuren sind in der Regel in polaren organischen Lösungsmitteln gut
löslich, höhere Fettsäuren auch in unpolaren Lösungsmitteln.
15.3 Synthese der Carbonsäuren 585

Tabelle 15.2 Schmelz- und Siedetemperaturen einiger Carbonsäuren

Name Formel Schmelztempe- Siedetempe-


ratur in °C ratur in °C
Ameisensäure HCOOH 8,6 100,6
Essigsäure H3C–COOH 16,6 118
Propionsäure H3C–CH2–COOH –22 141
Buttersäure H3C–(CH2)2–COOH –6 164
Valeriansäure H3C–(CH2)3–COOH –34 178
Capronsäure H3C–(CH2)4–COOH –3 205
Caprylsäure H3C–(CH2)6–COOH 16 239
Palmitinsäure H3C–(CH2)14–COOH 63 26975
Stearinsäure H3C–(CH2)16–COOH 70 28775
Oxalsäure HOOC–COOH 189,5 sublimiert
Malonsäure HOOC–CH2–COOH 135,6 sublimiert
H3C(CH2)7 (CH2)7COOH
Ölsäure C C 16 2237,5
H H
H3C(CH2)4 CH2 (CH2)7COOH
Linolsäure C C C C –5 2307,5
H HH H
COOH

Benzoesäure 122 250

COOH

COOH
Bildung von
Phthalsäure 231 Phthalanhydrid

Anmerkung: Die Hochzahl bei der Siedetemperatur einiger Carbonsäuren gibt den Druck in mbar an,
bei dem die Siedetemperatur ermittelt wurde.

15.3 Synthese der Carbonsäuren


15.3.1 Großtechnische Synthese der Ameisensäure und Essigsäure
15.3.1.1 Ameisensäure HCOOH (Methansäure)
Der Name Ameisensäure (Acidum Formicicum) rührt von ihrem Vorkommen in Drüsen der
Ameisen (Formicidae) her. Die Ameisensäure wurde schon 1749 von Marggraf durch Destil-
lation von Ameisen relativ rein dargestellt. Die Salze und Ester der Ameisensäure werden –
586 15 Carbonsäuren

abgeleitet vom lateinischen Namen der Ameisensäure – als Formiate bezeichnet. Auch in
den Brennhaaren der Brennesseln ist Ameisensäure enthalten. Ameisensäure ist eine farb-
lose, stechend riechende Flüssigkeit, die mit Wasser, Alkohol und Ether in jedem Verhältnis
mischbar ist. Sie ist eine starke organische Säure. Auf der Haut wirkt unverdünnte Ameisen-
säure ätzend.
Die Ameisensäure wird zur Unterstützung der Milchsäure-Gärung bei der Grün-
futtersilage und zur pH-Einstellung in Bädern und Beizen in verschiedenen Industriezweigen
verwendet. In begrenztem Umfange dient sie auch der Lebensmittelkonservierung, z.B. in
Fruchtsäften.
Die technische Herstellung der Ameisensäure erfolgt durch Umsetzung von gepulvertem
Ätznatron mit Kohlenstoffmonoxid bei 8–30 bar und 115–150°C. Es entsteht das Natrium-
formiat, aus dem die Ameisensäure durch Ansäuern freigesetzt und dann abdestilliert wird.

O O
8 bar, 130 °C verd. H2SO4
CO + NaOH H C Na H C + NaHSO4
O O H

Übergießt man Ameisensäure mit konz. Schwefelsäure, so entsteht durch Wasserentzug


Kohlenstoffmonoxid.
O
konz. H2SO4
H C C O + H2O
OH

Von den höheren Homologen unterscheidet sich Ameisensäure durch ihre reduzierende
Wirkung, z.B. reduziert sie im sauren Medium Kaliumpermanganat:

5 HCOOH + 2 KMnO4 + 3 H2SO4 5 CO2 + 8 H2O + 2 MnSO4 + K2SO4

Die reduzierende Wirkung der Ameisensäure ist zu verstehen, wenn man ihre Struktur-
formel betrachtet. Sie enthält nicht nur die Carboxygruppe, sondern auch die Formylgruppe,
so daß sie auch das Reduziervermögen der Aldehyde besitzt.

O O
H C H C
OH OH

Carboxygruppe Formylgruppe

15.3.1.2 Essigsäure H3CCOOH (Ethansäure)


Essigsäure ist eine stechend riechende farblose Flüssigkeit, die mit Wasser, Ethanol, Diethyl-
ether, Tetrachlorkohlenstoff und Chloroform in jedem Verhältnis mischbar ist. Bei Zimmer-
temperatur ist sie flüssig, sie kommt aber bei etwas niedrigerer Temperatur (ihre Schmelz-
temperatur beträgt 16,6°C) in fester Form wie Eis aussehend vor und wird deshalb auch als
15.3 Synthese der Carbonsäuren 587

Eisessig bezeichnet. Unverdünnt wirkt sie auf die Haut stark ätzend. Die zur Zubereitung
von Speisen verwendete stark verdünnte wässrige Lösung der Essigsäure wird als Essig be-
zeichnet. Tafelessig enthält 3,5 % Essigsäure und der durch Essigsäuregärung von Wein
erhaltene Weinessig enthält etwa 5 % Essigsäure. Läßt man alkoholhaltige Getränke (z.B.
Bier, Branntwein, Obstwein) längere Zeit in einem warmen Raum stehen, wird Ethanol
durch Essigsäurebakterien (Bacterium aceti) zu Essigsäure umgesetzt. Der Speiseessig wird
gewöhnlich aus dem aus Kartoffeln gewonnenen Kartoffelsprit (6–10 % Ethanol) im Schnel-
lessigverfahren (Schützenbach, 1823) hergestellt. Man gießt den mit etwas fertigem Essig
und Malzextrakt (zur zweckmäßigen Ernährung der Essigbakterien) vermischten Kartof-
felsprit auf Rotbuchenholzhobelspäne, die sich locker aufgeschüttet in einem 2–4 m hohen
und etwa 2 m breiten Behälter befinden. Die alkoholhaltige Flüssigkeit rieselt ganz langsam
über die von unten belüfteten Buchenholzspäne, auf denen sich die Essigbakterien befinden.
Beim Durchsickern der Flüssigkeit durch die Schicht der Buchenholzspäne wird Ethanol zu
Essigsäure umgesetzt. Der so entstandenene Essig sammelt sich am Boden des Behälters und
fließt durch ein gewinkeltes Röhrchen, den „Schwanenhals“, ab. Im Handel erhältlich ist
auch „Essigessenz“. Dies ist eine konzentrierte wäßrige Lösung von Essigsäure mit einem
Gehalt von 60–80 % Essigsäure. Unverdünnt ist sie ätzend. Mit der zwanzigfachen Menge
Wasser verdünnt kann sie als Tafelessig verwendet werden.
Großtechnisch wird die Essigsäure durch Flüssigphasenoxidation von n-Butan gewonnen.
Dies kann bei 60–80 bar und 170–200°C mit Luft oder mit O2-angereicherter Luft ohne

Kartoffelsprit
Luftlöcher

Siebboden

Rotbuchen-
holzspäne Winkel-
thermometer

Lattenrost

Luft Luft
Essig Schwanenhals

Bild 15.1 Schnellessigverfahren


588 15 Carbonsäuren

Katalysator erfolgen (Hüls-Butan-Prozeß) oder bei 54 bar und 175°C mit Cobaltacetat als
Katalysator (Celanese-n-Butan-LPO-Prozeß). Aus Buten kann Essigsäure ebenfalls oxidativ
gewonnen werden.
Essigsäure wird großtechnisch auch durch Oxidation von Acetaldehyd mit Luftsauerstoff
gewonnen, und das entweder ohne Katalysatoren (Reaktionsmechanismus siehe Abschnitt
13.4.9.4) oder in Gegenwart von Cobalt- oder Manganacetat als Redox-Katalysatoren. Die
Oxidation erfolgt mit Sauerstoff bei 50–70°C in Essigsäure als Lösungsmittel.

O O
O2, 50-70 °C, Manganacetat als Katalysator
H3C C H3C C
Essigsäure als Lösungsmittel
H O H

Die Oxidation des Acetaldehyds mit Sauerstoff verläuft als Radikalreaktion. Der Redox-
Katalysator dient bei diesem Prozeß zur Erzeugung von Acetyl-Radikalen, die die Oxida-
tionsreaktion initiieren.
Startreaktion:

O O
H3C C + Me 3
H3C C + H + Me2
H
Acetylradikal Me = Metall
Das Acetylradikal bindet den Sauerstoff und wird zum Peroxyessigsäureradikal. Dieses
reagiert mit Acetaldehyd unter Freisetzung eines Acetylradikals und Bildung von Peroxy-
essigsäure.
Kettenreaktion:

O O
H3C C + O O H3C C
O O
Acetylradikal Peroxyessigsäureradikal

O O O O
H3C C + C CH3 H3C C + C CH3
O O H O O H

Acetaldehyd Peroxyessigsäure Acetylradikal

Mit der in der Kettenreaktion gebildete Peroxyessigsäure erfolgt die Addition an die Car-
bonylfunktion des Acetaldehyds, wobei das α-Hydroxyethylperoxyacetat gebildet wird. Die-
ses zerfällt unter Umlagerung eines Hydridions in Essigsäure.
15.3 Synthese der Carbonsäuren 589

O H
H O O O
H3 C C H O O
C CH3 H3C C H3C C
O O
H O O C CH3 O O C CH3

H H
Peroxyessigsäure Acetaldehyd α-Hydroxyethylperoxyacetat

H O
O O H
O
H3C C H3C C + C
O O C CH3 O O CH3

H H

α-Hydroxyethylperoxyacetat Essigsäure

Das Metallkation erlangt die höhere Oxidationsstufe wieder, indem es der Peroxyessig-
säure ein Elektron abgibt, wobei diese in ein Acetyloxyradikal und OH– zerfällt.

O e O
H3C C + Me2 H3C C + Me3 + OH
O O H O

Peroxyessigsäure Acetyloxyradikal e = Elektron

Das Acetyloxyradikal spaltet die C–H-Bindung des Acetaldehyds und wird zu Essigsäu-
re. Das bei diesem Reaktionsschritt aus dem Acetaldehyd entstandene Acetylradikal mündet
in die Kettenreaktion ein. Das Hydroxid-Ion OH– bildet mit dem in der Startreaktion abge-
spaltenen Proton H+ Wasser.
Essigsäure dient hauptsächlich zur Herstellung von Estern. Die größte Bedeutung hat das
Vinylacetat, aus dem Polyvinylacetat hergestellt wird. An zweiter Stelle steht die Produktion
des Celluloseacetats. Weiter wird Essigsäure zur Herstellung von Acetanhydrid, Acetanilid,
Acetylchlorid, und Acetamid verwendet. Sie dient auch als polares Lösungsmittel.

15.3.2 Carbonsäuresynthesen im Labor

15.3.2.1 Oxidation primärer Alkohole und Oxidation von Aldehyden


Primäre Alkohole werden zunächst zum entsprechenden Aldehyd (siehe Oxidationsreaktio-
nen mit Alkoholen in Abschnitt 10.7.7), und dann weiter zur Carbonsäure oxidiert (siehe die
Oxidation von Aldehyden in Abschnitt 13.4.9). Als Oxidationsmittel wird CrO3, Kalium-
dichromat mit verdünnter Schwefelsäure, Kaliumpermanganat oder Salpetersäure benutzt.
Die Reaktion erfordert nur ein mäßiges Erwärmen (25–70°C).
590 15 Carbonsäuren

CrO3 in CH3COOH, 20 min bei 60 °C


CH3(CH2)14CH2OH CH3(CH2)14COOH

Cyclische Alkohole können in Gegenwart von Vanadinpentoxid bei Erhitzen mit


50%iger Salpetersäure unter oxidativer Ringspaltung zu Dicarbonsäuren umgesetzt werden.

CH2 OH CH2 O CH2 OH


H2C C 50 %ige HNO3, 60 °C H2C C 50 %ige HNO3, 60 °C H2C C
O
H V2O5 als Katalysator V2O5 als Katalysator OH
H2C CH2 H2C CH2 H2C C
CH2 CH2 CH2 O

15.3.2.2 Oxidative Spaltung von Alkenen und 1,2-Glykolen zu Carbonsäuren


Alkene werden bei vorsichtiger Oxidation mit wäßriger KMnO4-Lösung zunächst zu Glyko-
len oxidiert (siehe Abschnitt 3.7.5.3b). Mit einem Überschuß an KMnO4 erfolgt eine oxidati-
ve Spaltung zu Carbonsäuren.

OH OH
R R' O O
KMnO4 KMnO4
C C R C C R' R C + C R'
H H OH HO
H H

15.3.2.3 Carboxylierung von Grignard-Verbindungen


Läßt man eine Lösung von Grignard-Reagens in Ether (Reaktionen mit Grignard-Reagens
siehe Abschnitt 10.6.2.8) langsam auf Trockeneis (festes CO2) tropfen, erfolgt die Addition
des Grignard-Reagens an Kohlendioxid. Das Trockeneis tritt in diesem Fall nicht nur als
Reaktionspartner auf, es dient auch der Kühlung der exothermen Reaktion. Das Reaktions-
produkt kann mit einer Mineralsäure zur entsprechenden Carbonsäure hydrolysiert werden.

R Mg Cl
R R
Ether HCl
O C O O C O C + MgCl2
O Mg Cl O H

Bei der Addition des Grignard-Reagens an CO2 wird die Kohlenstoffkette des Alkylrestes
im Grignard-Reagens durch die C–C-Verknüpfung um ein Kohlenstoffatom verlängert.
15.3 Synthese der Carbonsäuren 591

15.3.2.4 Die Hydrolyse von Nitrilen


a) sauer katalysierte Hydrolyse von Nitrilen
Nitrile können durch längeres Kochen mit starken Säuren, z.B. konz. Salzsäure oder 50%-
iger Schwefelsäure, zur Carbonsäure hydrolysiert werden.

konz. H2SO4/CH3COOH/H2O 1:1:1


1 h Erhitzen unter Rückfluß
CH3(CH2)4 C N CH3(CH2)4 COOH
Hexannitril Hexansäure (Capronsäure)

Die Hydrolyse der Nitrile mit Säuren zu Carbonsäuren vollzieht sich über das Säureamid
als Zwischenprodukt. Erfolgt die Hydrolyse bei Zimmertemperatur, läßt sich dieses in man-
chen Fällen sogar isolieren. Zunächst erfolgt durch die Säure die Protonierung des Nitrils,
dann die Anlagerung eines Wassermoleküls, das als Nucleophil auftritt.

H H H
O O
H
R C N H R C N H R C N H R C N H

Nitril

Durch die positive Ladung am Sauerstoff des Oxoniumions –+OH2 wird die O–H-Bin-
dung stark polarisiert, was zur Abspaltung eines Protons führt. Es folgt eine Protonierung des
Iminols am Stickstoff, worauf unter Abspaltung eines Protons aus der OH-Gruppe schließ-
lich das Säureamid gebildet wird.

H
O
H
H H H R C N
O -H O H H -H O
H
R C N H R C N H H R C N
O H
H
R C N
H
Oxonium-Verbindung Iminol Säureamid

Bei Erhitzen des Reaktionsgemisches bleibt die Hydrolyse beim Säureamid nicht stehen,
sondern geht weiter bis zur Carbonsäure. Nach der Protonierung des Carbonylsauerstoffes
592 15 Carbonsäuren

erfolgt eine nucleophile Addition von Wasser an das Carboxoniumion, worauf ein Proton aus
der –+OH2-Gruppe abgespalten wird.
H
O
H
R C N H H H
O H O O O
H H -H H
H H H
R C N R C N R C N
O
H H H H
O O
R C N
H H H
H
Säureamid Carboxoniumion

Das freie Elektronenpaar am Stickstoff des Dihydroxyamins bindet ein Proton, so daß der
Stickstoff eine positive Ladung erhält. Diese verstärkt die Polarität der C–N-Bindung, was zu
einer Abspaltung von NH3 führt. Im letzten Reaktionsschritt erfolgt eine Deprotonierung
unter Bildung der Carbonsäure.

H H
O O H
H H O H O
H - NH3 -H
R C N R C N R C R C
H H O H O H
O O
H H
Dihydroxyamin Carbonsäure

b) basisch katalysierte Hydrolyse von Nitrilen


Die basische Hydrolyse von Nitrilen erfordert konzentrierte starke Basen und – ebenso wie
die saure Hydrolyse der Nitrile – ein längerzeitiges Erhitzen des Reaktionsgemisches, z.B.:

O
25 %ige Natronlauge
CH2 C N CH2 C
6 h Erhitzen unter Rückfluß
O Na

Benzylcyanid Natriumsalz der Phenylessigsäure

Die basische Hydrolyse (auch als Verseifung bezeichnet) erfolgt über das Säureamid als
Zwischenprodukt. Zuerst erfolgt ein nucleophiler Angriff des Hydroxidions an das C-Atom
der Nitrilgruppe. Der Stickstoff mit der negativen Ladung nimmt vom Wasser ein Proton
auf, und die Hydroxygruppe des Iminols wird durch ein Hydroxidion OH– deprotoniert. Der
negativ geladene Stickstoff des Amidat-Ions entreißt einem Wassermolekül ein Proton, wo-
bei das Carbonsäureamid entsteht.
15.3 Synthese der Carbonsäuren 593

N H
R C
O
N O N H
H H
R C N R C R C N H
+ H2O
O H O H R C
O H
O H O

Iminol

H
H H
N H N H O N
R C R C R C H + O H
O O O

Amidat-Ion Säureamid
Die Verseifung des Nitrils bleibt auf der Stufe des Säureamids nicht stehen, sie geht bei
den drastischen Reaktionsbedingungen (starke Base, mehrstündiges Erhitzen) weiter bis zum
Salz der Carbonsäure. Als erstes erfolgt der nucleophile Angriff eines Hydroxidions am C-
Atom der Carbonylgruppe. Das Amidion NH2– wird abgespalten, und es entsteht die Carbon-
säure, die natürlich mit der Base sogleich das entsprechende Salz bildet. Das abgespaltene
Amidion NH2– entreißt einem Wassermolekül ein Proton, wobei Ammoniak gebildet wird.
H
O -N
O H H O O H O
R C H R C N R C R C + H2O
N H O H O
O
O H H
H

H H
O N H O + H N
H H H H

Durch Ansäuern des Reaktionsgemisches mit einer Mineralsäure kann die Carbonsäure
aus ihrem Salz freigesetzt werden.

O O
R C + H3O Cl R C + H2O + Na Cl
O Na O H

Ausgehend von Alkoholen kann man, über die Zwischenprodukte Alkylhalogenid und
Nitril, Carbonsäuren synthetisieren. Ein wesentlicher Gesichtspunkt für diese Synthese ist
der Umstand, daß Alkohole relativ gut zugänglich sind. Bei dieser Synthese erfolgt zunächst
594 15 Carbonsäuren

die Umsetzung des Alkohols zum Alkylhalogenid (siehe Abschnitt 10.7.4), worauf die nu-
cleophile Substitution des Halogens im Alkylhalogenid durch das Cyanidion (siehe Tabelle
9.1, Abschnitt 9.5) erfolgt. Schließlich wird das Alkylnitril zur entsprechenden Carbonsäure
hydrolysiert. Die Kohlenstoffkette der Carbonsäure ist um ein C-Atom länger als die des
Alkohols, von dem man bei dieser Reaktionsfolge ausgegangen ist.

PCl5 C N H , Erhitzen
R OH R Cl R C N R COOH
- POCl3, - HCl - Cl H2O

15.3.2.5 Die Malonestersynthese


Der Malonsäurediester (Dialkylpropandioat) reagiert mit Natriumethanolat zum Natriumsalz
des Malonsäurediesters, das mit einem Halogenalkan zum 2-Alkylmalonsäurediester umge-
setzt wird. Nach Hydrolyse des Diesters erfolgt eine Decarboxylierung, und man erhält eine
Carbonsäure.
COOR' COOR' COOR'
NaOR'' R X H /H2O
H C H Na C H R C H R CH2 COOH
- HOR'' - NaX - 2 HOR'
COOR' COOR' COOR' - CO2

Im Malonsäurediester befindet sich die Methylengruppe –CH2– in Nachbarschaft zu zwei


Carbonylgruppen. Beide Carbonylgruppen üben einen –I-Effekt aus. Dies führt zu einer
Polarisierung der C–H-Bindung der Methylengruppe, so daß durch eine starke Base eine
Deprotonierung erfolgen kann. Das Deprotonierungsprodukt, das Malonsäurediester-Anion,
ist mesomeriestabilisiert. Der Malonsäurediester bildet z.B. mit Natriumethanolat unter Frei-
werden von Ethanol das Natriumsalz des Malonsäurediesters.

R O R O R O O
R
O C H O C2H5 O C O C O C
C C C H C H Na
Na - C2H5OH
O C H O C H O C O C
R O R O R O R
O

Malonsäuredieester Natriumsalz des Malonsäurediesters


Das Carbanion, das nach Abspaltung des Protons aus dem Malonsäurediester entstanden
ist, ist ein starkes Nucleophil. Es kann in einem Alkylhalogenid das Halogen ersetzen.

O O

R O C H H R O C CH2 R'
-X
C C X C
R O C H R O C H
R'
X = Cl, Br oder I
O O
Carbanion des Malonsäurediesters 2-Alkylmalonsäurediester
15.4 Reaktionen der Carbonsäuren 595

Bei der Hydrolyse des 2-Alkylmalonsäurediesters entsteht die 2-Alkylmalonsäure, aus


der unter Abspaltung von Kohlenstoffdioxid eine Carbonsäure entsteht.

R' CH2 COOR R' CH2 COOH R' CH2 COOH


Salzsäure Δ
C C C + CO2
- 2 ROH
H COOR H COOH H H

Die Alkylierung des Malonsäurediesters kann stufenweise über den 2-Alkylmalonsäure-


diester zum 2,2-Dialkylmalonsäurediester erfolgen. Bei der Hydrolyse des 2,2-Dialkyl-
malonsäurediesters wird CO2 abgespalten, und es entsteht eine verzweigte Carbonsäure.

R' COOR R' COOR R' COOR R' COOH


O C2H5 R'' X H /H2O
C C C C
- C2H5OH -X - 2 ROH
H COOR COOR R'' COOR R'' H + CO2

2-Alkylmalonsäure- Carbanion des 2-Alkyl- 2,2-Dialkylmalon- verzweigte


diester malonsäurediesters säurediester Carbonsäure
Der Malonsäurediester reagiert auch mit Aldehyden und Ketonen (siehe die Knoevena-
gel-Kondensation Abschnitt 13.4.1.4). Diese Reaktion dient zur Synthese von α,β-unge-
sättigten Carbonsäuren.

15.3.2.6 Darstellung aromatischer Carbonsäuren durch Oxidation der Seitenkette


Der aromatische Ring ist gegenüber Oxidationsmitteln sehr beständig. Es wird deshalb be-
vorzugt die Seitenkette in aromatischen Verbindungen oxidiert. Benzoesäure kann z.B. aus
Toluol durch Oxidation mit sodaalkalischer Kaliumpermanganatlösung oder mit schwefel-
saurer Natriumdichromatlösung nach längerem Erhitzen des Reaktionsgemisches unter
Rückfluß erhalten werden. Dialkylierte Aromaten kann man bei kräftiger Oxidation in aro-
matische Dicarbonsäuren überführen.

CH3 COOH

H2O/KMnO4 + Na2CO3, 3 h Erhitzen

15.4 Reaktionen der Carbonsäuren


Die Reaktionen der Carbonsäuren sind mit der Reaktivität und den Eigenschaften der Car-
boxygruppe –COOH zu erklären. In dieser funktionellen Gruppe ist an das C-Atom der Car-
bonylgruppe eine Hydroxygruppe gebunden. Carbonsäuren können dissoziieren und haben
somit saure Eigenschaften:
596 15 Carbonsäuren

R COOH R COO + H
Der doppelt gebundene Sauerstoff der Carboxygruppe zeigt basische Eigenschaften, er
kann ein Proton binden:

O + H O H O H O H
R C R C R C R C
O H O H O H O H

Der Carbonylkohlenstoff der Carboxygruppe hat eine positive Teilladung und bietet da-
mit eine Angriffsstelle für ein Nucleophil. Die OH-Gruppe, die Bestandteil der Carboxy-
gruppe ist, kann (nach Protonierung) durch das Nucleophil ersetzt werden. Dies erfolgt in
einer Additions-Eliminierungsreaktion, wobei zuerst das Nucleophil an die C=O-Doppel-
bindung addiert wird. Nach Protonierung der OH-Gruppe erfolgt im weiteren Reaktions-
schritt die Eliminierung, z.B.:

H O nucleophile H O H O O
Addition Eliminierung H
H N C H N C R N C R C + O
O R H H2N R H
H H O O
H
H H H

Da hier formal eine Substitution unter Bildung eines tetraedrischen Zwischenprodukts er-
folgt, spricht man von einer SN2t-Reaktion.
Die Carboxygruppe ist eine elektronegative Gruppe und übt einen –I-Effekt aus, so daß
die C–H-Bindungen der in direkter Nachbarschaft zur Carboxygruppe befindlichen CH-,
CH2- oder CH3-Gruppe polarisiert werden. Dies kann, begünstigt durch die Bildung eines
mesomeriestabilisierten Produkts, zur Abspaltung von H+ aus diesen α-ständigen Gruppen
führen. In diesem Falle reagiert die Carbonsäure als C-Säure. Der an das α-ständige C-Atom
der Carbonsäure gebundene Wasserstoff kann durch ein Halogen ersetzt werden. Carbon-
säuren können außerdem noch CO2 abspalten (decarboxylieren), und sie können reduziert
werden. Gegenüber Oxidationsmitteln sind Carbonsäuren weitgehend beständig.

Schematischer Überblick: δ- basische Eigenschaften


H ( H wird gebunden)
O
α δ+
R C C
O H saure Eigenschaften
H (Abspaltung von H )
Abspaltung eines Protons
( Reaktionen am α-ständigen C-Atom) elektrophil, daher Angriffsstelle
für ein nucleophiles Reagens
15.4 Reaktionen der Carbonsäuren 597

15.4.1 Die sauren Eigenschaften der Carbonsäuren

Carbonsäuren sind stärker sauer als Alkohole und Phenole, obwohl das Proton in allen diesen
Fällen aus einer Hydroxygruppe abgespalten wird. Eine der Ursachen für die größere Säure-
stärke der Carbonsäuren ist die positive Teilladung am Kohlenstoff der Carbonylgruppe, die
zur Polarisierung der O–H-Bindung beiträgt und die Abspaltung des Protons erleichtert. Die
entscheidende Ursache für den sauren Charakter der Carbonsäuren aber ist die Bildung reso-
nanzstabilisierter Anionen bei der Deprotonierung.

O O O O
R C R C R C R C + H
O H O H O O

Carbonsäure Carbonsäureanion

Der Umstand, daß das Resonanzhybrid des Carboxylat-Anions durch zwei strukturell
völlig gleichartige mesomere Grenzformeln beschrieben werden kann, weist darauf hin, daß
im Carboxylat-Anion eine relativ hohe Resonanzenergie vorliegt. Die negative Ladung ist im
Resonanzhybrid auf drei Atome verteilt, wodurch die Basizität des Carboxylat-Anions her-
abgesetzt wird. Die Protonierung, die die Voraussetzung für die Rückreaktion der Dissozia-
tion ist, wird dadurch erschwert.

O
R C
O
Resonanzhybrid des
Carboxylat-Ions

Elektronenziehende Gruppen am α-ständigen C-Atom erhöhen die Acidität. Zum Bei-


spiel nimmt die Säurestärke mit der Anzahl der Chloratome am α-ständigen C-Atom der
Carbonsäure zu.

Säurestärke
H H H Cl
O O O O
H C C < H C C < Cl C C < Cl C C
O H O H O H O H
H Cl Cl Cl
Essigsäure Monochloressigsäure Dichloressigsäure Trichloressigsäure
598 15 Carbonsäuren

15.4.1.1 Bildung von Carbonsäuresalzen


Dem Säurecharakter entsprechend bilden die Carbonsäuren mit Basen Salze:

O O
R C + R C
O H NH3 O NH4

O O
R C + Na R C + H2O
O H O H O Na

Natrium-, Kalium- und Ammoniumsalze der Carbonsäuren sind in Wasser löslich.


Schwermetallsalze (Eisen-, Silber- und Kupfersalze) der höheren Fettsäuren sind im Wasser
nur schwer löslich.
Die Benennung der Carbonsäuresalze erfolgt so, daß man zunächst das entsprechende
Kation anführt und dann zum Namen des Alkans, das die gleiche Anzahl der Kohlenstoff-
atome wie die Carbonsäure aufweist (das C-Atom der Carboxygruppe wird mitgezählt), die
Endung -(o)at hinzufügt. Z.B.

CH3CH2 COO Na CH3(CH2)10 COO K


Natriumpropanoat Kaliumdodecanoat
Vielfach werden Salze der Carbonsäuren auch mit dem Trivialnamen bezeichnet (siehe
Tabelle 15.1), z.B.

COO K CH3(CH2)16 COO Na

Kaliumbenzoat Natriumstearat
In den zwei völlig gleichwertigen mesomeren Grenzformeln des Carboxylat-Ions ist in
der einen Grenzformel das eine, in der anderen Grenzformel das andere Sauerstoffatom dop-
pelt gebunden. Man darf annehmen, daß im Resonanzhybrid ein Zustand vorliegt, in dem die
π-Elektronen über alle drei Atome der Carboxylat-Gruppe verteilt sind. Im Einklang damit
ergaben Messungen, daß beide C–O-Bindungen des Carboxylat-Anions die gleiche Bin-
dungslänge haben, nämlich 126 pm.

O O O
R C R C bzw. R C
O O O

Carboxylat-Ion
15.4 Reaktionen der Carbonsäuren 599

-
O
C O
R

= σ-Bindung
= Überlappung Bild 15.2
Delokalisierung der Elektronen im Carboxylat-Anion
Die Überlappung der p-Orbitale des sp2-hybridisierten Kohlenstoffs und der beiden Sauer-
stoffatome ergibt ein π-Orbital mit vier delokalisierten π-Elektronen und einem über drei
Atome verteilten negativen Ladungsüberschuß. Das Carboxylat-Ion ist resonanzstabilisiert,
wodurch sich seine Reaktivität verringert. Der negative Ladungsüberschuß, der auch den
Kohlenstoff der Carboxylat-Gruppe mit einschließt, erschwert den nucleophilen Angriff (z.B.
bei Reaktionen des Carboxylat-Anions mit Organolithiumverbindungen oder mit LiAlH4).

15.4.2 Additions-Eliminierungs-Reaktionen
Für Carbonsäuren und deren Derivate kann man ganz allgemein die Formel

O
C L L = Cl, Br, I, OH, OR, OCOR, oder NH2
R
schreiben. Die Gruppe L (L= leaving group = Abgangsgruppe, siehe Abschnitt 9.5) kann
durch ein Nucleophil Nu ersetzt werden. Im Unterschied zur nucleophilen Substitution an
gesättigten C-Atomen (siehe SN1 und SN2 in Abschnitt 9.6) erfolgt in Carbonsäuren und Car-
bonsäurederivaten die Substitution der Abgangsgruppe L durch das Nucleophil mit einem
Additions-Eliminierungs-Mechanismus. Im ersten Schritt findet die Anlagerung des Nucleo-
phils an die C=O-Doppelbindung statt, wobei das Carbonsäurederivat in ein tetraedrisches
Zwischenprodukt umgesetzt wird. Im zweiten Schritt erfolgt die Abtrennung der Abgangs-
gruppe L. Bei diesem zweiten Schritt wird die C=O-Doppelbindung wieder hergestellt. Das
Kohlenstoffatom der Carbonylgruppe ist bei der Additions-Eliminierungs-Reaktion zunächst
sp2-hybridisiert, dann im tetraedrischen Zwischenprodukt sp3-hybridisiert und im End-
produkt wieder sp2-hybridisiert (siehe Graphik nächste Seite).
Das Ergebnis der Additions-Eliminierungsreaktion an der Carbonsäure bzw. deren Deri-
vaten ist der Austausch der Abgangsgruppe L durch das Nucleophil Nu. Deshalb bezeichnet
man die Reaktion auch als SN2t-Reaktion. Das Symbol SN bedeutet nucleophile Substitution,
das t besagt, daß der Reaktionsmechanismus über ein tetraedrisches Zwischenprodukt ver-
läuft, und die 2 zeigt an, daß die langsamste, für die Gesamtreaktion geschwindigkeitsbe-
stimmende Teilreaktion bimolekular ist. Die Reaktionsgeschwindigkeit hängt sowohl von
der Konzentration des Nucleophils als auch von der Konzentration der Carbonsäure bzw. des
Carbonsäurederivats ab.
600 15 Carbonsäuren

O
Erster Schritt: O
nucleophile Addition Nu C L Nu C L
R
R
sp2 sp3
trigonal tetraedrisches
Zwischenprodukt

O
Zweiter Schritt: O
Eliminierung der Abgangsgruppe Nu C L Nu C + L
R
R
sp3 sp2
tetraedrisch trigonal

Der Angriff des Nucleophils im ersten Reaktionsschritt der SN2t-Reaktion erfolgt um so


leichter, je stärker das Nucleophil ist und je größer die positive Teilladung am Kohlenstoff
der Carbonylfunktion ist.
Entscheidend für die Loslösung der Abgangsgruppe aus dem tetraedrischen Zwischen-
produkt im zweiten Reaktionsschritt der SN2t-Reaktion ist die Fähigkeit dieser Gruppe, die
Bindungselektronen der C–L-Bindung an sich zu ziehen.
Eine Voraussetzung für den Angriff des Nucleophils im ersten Teilschritt der SN2t-Reak-
tion ist die positive Teilladung am sp2-hybridisierten C-Atom. Diese ist gegeben durch die
Polarität der Doppelbindung der Carbonylfunktion und ebenso durch den –I-Effekt der Ab-
gangsgruppe. Eine stärkere Polarisierung der C=O-Bindung wird bei der sauer katalysierten
SN2t-Reaktion durch die Protonierung des Sauerstoffatoms erreicht:

δ- H O H O H O
H O
δ+
C L C L C L C L
R R R R

Diese unterstützt den nucleophilen Angriff, indem sie die positive Teilladung am sp2-hy-
bridisierten Kohlenstoffatom verstärkt.
Der +M-Effekt der Abgangsgruppe hingegen verringert die Reaktivität der Carbonsäure
und ihrer Derivate durch die damit verbundene Mesomeriestabilisierung und erschwert damit
den nucleophilen Angriff im ersten Schritt der SN2t-Reaktion.

O O Mesomeriestabilisierung durch
C L C L +M-Effekt der Abgangsgruppe L
R R
15.4 Reaktionen der Carbonsäuren 601

Der die Reaktivität herabsetzende +M-Effekt ist am stärksten bei Carbonsäurederivaten,


in denen die Abgangsgruppe mit einem Stickstoffatom an das sp2-hybridisierte C-Atom ge-
bunden ist, weniger stark, wenn es ein Sauerstoffatom ist, und am schwächsten, wenn ein
Halogenatom vorliegt.
Die Reaktivität der Carbonsäure und ihrer Derivate für SN2t-Reaktionen nimmt vom Car-
bonsäureamid über die Carbonsäure, dem Carbonsäureester und dem Carbonsäureanhydrid
zum Carbonsäurehalogenid (Alkanoylhalogenid) zu:

O O O O O O
C NH2 < C OH < C OR' < C O C < C X
R R R R R R
X = Cl, Br

Carbonsäure- Carbonsäure Carbonsäure- Carbonsäure- Carbonsäure-


amid ester anhydrid halogenid

15.4.2.1 Die Veresterung von Carbonsäuren


Die Veresterung von Carbonsäuren mit Alkoholen erfolgt durch mehrstündiges Erhitzen der
Reaktanden bei Katalyse mit einer starken Säure (z.B. Schwefelsäure, Benzolsulfonsäure).

O O
H
R C + H O R' R C + H2O
O H O R'

Carbonsäure Alkohol Carbonsäureester Wasser

Die Veresterung ist eine umkehrbare Reaktion, und es stellt sich bei ihr ein Reaktions-
gleichgewicht ein, das durch eine Gleichgewichtskonstante K charakterisiert wird:

K=
[ Carbonsäureester ] ⋅ [ Wasser ]
[ Carbonsäure] ⋅ [ Alkohol]
Bei der Veresterung strebt man eine möglichst hohe Ausbeute des Esters an. Dies kann
entweder durch möglichst hohe Konzentration eines der Edukte oder durch Entzug des Was-
sers aus dem Reaktionsraum erreicht werden. Aus ökonomischen Gründen wird das billigere
von beiden Edukten im Überschuß zugegeben. Der Wasserentzug kann z.B. durch Schwefel-
säure erfolgen, die hygroskopisch ist und das entstehende Wasser bindet, oder durch Ab-
destillieren des Wassers in Form eines azeotropen Gemisches. Durch Markierung eines pri-
mären bzw. sekundären Alkohols mit dem Isotop 18O stellte man fest, daß sich nach der
Veresterung das Isotop 18O im Ester und nicht im Wasser befand. Der im Wassermolekül be-
findliche Sauerstoff konnte also nicht vom Alkohol, er mußte von der Carbonsäure stammen.
602 15 Carbonsäuren

Als Erklärung hierfür läßt sich folgender Reaktionsmechanismus der sauer katalysierten
Veresterung formulieren:

O
R C O
18 H
H + +
H O R' R C H2O
O 18
O R'

Zunächst erfolgt die Protonierung des Carbonylsauerstoffes der Carboxygruppe. Damit


wird die Polarisierung der C=O-Bindung verstärkt und die positive Teilladung am sp2-hybri-
disierten C-Atom erhöht. Durch NMR-Spektren wurde bewiesen, daß die Protonierung am
Carbonylsauerstoff und keineswegs am Hydroxysauerstoff der Carbonsäure erfolgt. Der
Grund dafür ist, daß bei Protonierung des Carbonylsauerstoffes ein mesomeriestabiliertes
Produkt entsteht (3 mesomere Grenzformeln des Dihydroxycarbeniumions), während im
anderen Fall ein Oxoniumion entstehen würde, das keine Mesomeriestabilisierung einbringt.
Die durch die Protonierung erhöhte positive Teilladung am Carbonylkohlenstoff ermöglicht
den nucleophilen Angriff des schwachen Nucleophils Alkohol. Es entsteht eine tetraedrische
Oxonium-Verbindung mit sp3-hybridisiertem C-Atom.
H
H
O
O H O H O H O H H
O R'
R C R C R C R C R C O
O H O H O H O H R'
O
H

Carbonsäure Dihydroxycarbeniumion Oxonium-Verbindung


(sp2-hybridisiert) (C-Atom sp3-hybridisiert)

Dadurch, daß das Sauerstoffatom des Alkohols sein freies Elektronenpaar für eine C–O-
Bindung zur Verfügung gestellt hat, bekommt es eine positive Ladung, durch die die O–H-
Bindung der Alkoholkomponente in der Oxoniumdiol-Verbindung stark polarisiert wird,
worauf eine Deprotonierung erfolgt. Eine der beiden OH-Gruppen des tetraedrischen Ortho-
carbonsäuremonoesters wird im sauren Medium protoniert und danach die H2O+-Gruppe, die
infolge der Polarisierung der C–O-Bindung eine gute Abgangsgruppe ist, abgespalten. Mit
Abspaltung dieser Abgangsgruppe wird das sp3-hybridisierte C-Atom wieder in den sp2-Hy-
bridzustand versetzt.
H H H H
sp2-hybridisiert
O H O O
-H H - H2O
R C O R C O R' R C O R' R C O R' R C O R'
R'
O O O O O
H H H H H
Oxoniumdiol- Orthocarbonsäure- Carboxoniumion
Verbindung monoester
Die positive Teilladung am Sauerstoff des Carboxoniumions verstärkt die Polarisierung
der OH-Bindung und führt zur Deprotonierung. Das Endprodukt ist ein Carbonsäureester.
15.4 Reaktionen der Carbonsäuren 603

Bei der sauer katalysierten Veresterung primärer und sekundärer Alkohole wird der Alkohol
samt seines Sauerstoffatoms in das Estermolekül inkorporiert.
sp2-hybridisiert
R C O R' R C O R' R C O R' + H

O O O
H H
Carboxoniumion Carbonsäureester
Die sauer katalysierte Veresterung von Carbonsäuren mit einem tertiären Alkohol erfolgt
nach einem anderen Reaktionsmechanismus. Nach Protonierung der Hydroxygruppe des Alko-
hols wird aus diesem die H2O+-Gruppe leicht abgespalten, da als Zwischenprodukt ein tertiäres
Carbeniumion entsteht, das durch Hyperkonjugation (siehe Abschnitt 3.7.2.1) stabilisiert wird.

R H R H R

R C O H R C O R C + H2O

R R H R
Die Carbonsäure tritt dann als Nucleophil auf, das mit dem Carbeniumion reagiert.

R R R R
O R'
C R C O R' R C O R' R C O R'
R C
C C C
R O R R R
H O O O + H
H H

15.4.2.2 Umsetzung der Carbonsäuren zu Carbonsäurechloriden


Erhitzt man Carbonsäuren oder deren Alkalisalze mit PCl3 oder PCl5, so entstehen Carbon-
säurechloride:

O O
3 R C + PCl3 3 R C + H3PO3
OH Cl

O O
R C + PCl5 R C + POCl3 + HCl
OH Cl

Zur Darstellung von Carbonsäurechloriden im Laboratorium läßt man häufig Thionyl-


chlorid SOCl2 (Sdt. 76°C) mit Carbonsäuren bei Zimmertemperatur oder bei mäßigem Er-
wärmen reagieren. Außer dem Carbonsäurechlorid entstehen nur die gasförmigen Reak-
tionsprodukte HCl und SO2, die aus dem Reaktionsraum entweichen (im Abzugsschrank
arbeiten!).
604 15 Carbonsäuren

O O
R C + SOCl2 R C + HCl + SO2
OH Cl

Im ersten Reaktionsschritt reagiert die Carbonsäure mit Thionylchlorid zum entsprechen-


den Ester unter Freisetzung von H+ und Cl–.

O O O O O O O O
Cl Cl
C + S C S C S C S

R O Cl Cl R O Cl -H R O Cl - Cl R O Cl

H H
Carbonsäure + Thionylchlorid Ester
Der Carbonylsauerstoff des Esters bindet das vorher abgespaltene Proton, wodurch die
C=O-Bindung polarisiert wird. Das Chloridion lagert sich dann nucleophil an das sp2-hybri-
disierte C-Atom an.
H H H
H O O O O O O O
O
C S + Cl C S C S R C O S

R O Cl R O Cl R O Cl Cl
Cl
+ Cl

Im letzten Schritt werden SO2 und HCl abgespalten.


H
O
O O
R C O S R C + HCl + SO2
Cl Cl
Cl

15.4.2.3 Umsetzung von Carbonsäuren zu Carbonsäuramiden


Ammoniak und Amine verfügen am Stickstoff über ein freies Elektronenpaar. Sie sind so-
wohl Basen als auch Nucleophile. Als Base reagiert Ammoniak mit Carbonsäuren unter Bil-
dung von Ammoniumsalzen (Ammoniumalkanoate).
H
O O
H
R C + R C + H N H
O H N H O
H
H
Carbonsäure Ammoniak Ammoniumalkanoat
15.4 Reaktionen der Carbonsäuren 605

Die Reaktion ist umkehrbar und das Reaktionsgleichgewicht ist temperaturabhängig.


Beim Erhitzen wird die Rückreaktion begünstigt und in hoher Konzentration wird die Car-
bonsäure und Ammoniak gebildet. Ammoniak kann dann als Nucleophil in einer SN2t-Reak-
tion mit der Carbonsäure reagieren, wobei das Carbonsäureamid gebildet wird.

O O
R C + NH3 R C + H2O
OH NH2

Die Reaktion wird mit einem nucleophilen Angriff des Ammoniaks eingeleitet. Nach
einem Protonenübergang von der positiv geladenen NH3+-Gruppe zum Sauerstoff der
OH-Gruppe erfolgt unter Abspaltung von Wasser die Bildung des Carbonsäureamids.

δ-
O O
O O H
δ+
R C R C O H R C O H R C + O
O H N H H
H N H H N H
H N H H
H H
H
Carbonsäureamid
Die Reaktion der Carbonsäure R–COOH mit einem Amin R'–NH2 führt zu einem N-Al-
kylcarbonsäureamid R–CONHR'.

15.4.3 Bildung von Säureanhydriden durch Dehydratisierung

Erhitzt man Carbonsäuren mit wasserentziehenden Mitteln, z.B. P2O5, so erhält man unter
Wasserabspaltung aus der Carbonsäure das Carbonsäureanhydrid.

O O
R C R C
O H P2O5, Erhitzen
+ O + H2O
O H R C
R C O
O

Carbonsäure Carbonsäureanhydrid

Dicarbonsäuren (z.B. Bernsteinsäure, Glutarsäure und Phthalsäure) reagieren, soweit bei


der Wasserabspaltung ein heterocyclischer 5- oder 6-Ring entsteht, zum Säureanhydrid auch
ohne wasserentziehende Mittel, einfach durch Erhitzen.
606 15 Carbonsäuren

O
O
CH2 C
CH2 C
O H Erhitzen
H2C H2C O + H2O
O H
CH2 C
CH2 C
O
O

Glutarsäure Glutarsäureanhydrid
(Pentandisäure) (Pentandisäureanhydrid)

15.4.4 Reaktionen am α-ständigen C-Atom

Die Carboxygruppe übt einen starken –I-Effekt aus, der die Polarisierung der C–H-
Bindungen am α-ständigen C-Atom der Carbonsäure zur Folge hat. Aus der α-ständigen
CH-, CH2- bzw. CH3-Gruppierung kann ein Proton abgespalten und die Enolform gebildet
werden.

δ-
H
O H O H O H O H
δ+
R C C C C C C C C
O H R O H R O H R O H
H
+ H
Carbonsäure Enolat-Ion Enolform der Carbonsäure

15.4.4.1 Die Halogenierung von Carbonsäuren


Carbonsäuren lassen sich in Gegenwart von Spuren von Iod und rotem Phosphor in α-
Stellung halogenieren.

H H
O O
I2, P
R C C + Cl2 R C C + HCl
O H O H
H Cl

Die Reaktion erfolgt wahrscheinlich über die Enolform der Carbonsäure.

H H H
O H O H O H O
Cl Cl
R C C C C R C C R C C
O H R O H - Cl O H -H O H
H Cl Cl
15.4 Reaktionen der Carbonsäuren 607

15.4.4.2 Die Hell-Volhard-Zelinsky-Reaktion


Die Hell-Volhard-Zelinsky-Reaktion erfolgt mit aliphatischen Carbonsäuren und Cl2 bzw.
Br2 in Gegenwart des entsprechenden Phosphortrihalogenids. Sie dient zur Darstellung von
α-Chlor- und α-Bromcarbonsäuren.
Bei der Darstellung von α-Bromcarbonsäuren setzt man die Carbonsäure unter Erhitzen
mit reichlich Brom und rotem Phosphor um.
H H
O O
P, Δ
R C C + Br2 R C C + HBr
O H O H
H Br

Bei dieser Reaktion entsteht aus Phosphor und Brom das Phosphortribromid, das mit der
Carbonsäure zu Carbonsäurebromid (Alkanoylbromid) und phosphoriger Säure umgesetzt
wird.
H H
O O
3 R C C + PBr3 3 R C C + H3PO3
O H Br
H H
Carbonsäure Carbonsäurebromid
Am Carbonsäurebromid erfolgt die Protonierung des Sauerstoffatoms der Carbonyl-
gruppe. Die Carboxoniumgruppe übt einen –I-Effekt aus,

C O H C O H

der durch den –I-Effekt des Bromatoms noch verstärkt wird. Durch Abspaltung eines Pro-
tons in α-Position enolisiert das Zwischenprodukt sehr rasch.
H H H
O H O H O H H O H
R C C R C C R C C C C
Br Br Br R Br
H H H +H

Das Enol reagiert als Nucleophil mit dem Brommolekül, wobei das α-Bromcarbonsäure-
bromid entsteht.

H H H H
O H O H O H O
C C R C C R C C R C C
R Br - Br Br Br -H Br
Br Br Br
+ Br Br

α-Bromcarbonsäurebromid
608 15 Carbonsäuren

Das α-Bromcarbonsäurebromid reagiert mit noch nicht umgesetzter Carbonsäure, es fin-


det ein Austausch des Broms statt, und es wird die α-Bromcarbonsäure und das Carbonsäu-
rebromid gebildet. Dieser Austausch findet wahrscheinlich in einer umkehrbaren Reaktion
über ein Anhydrid als Zwischenprodukt statt.

H H H H
O O O O
R C C + R C C R C C + R C C
Br O H O H Br
Br H Br H

α-Bromcarbon- Carbonsäure α-Bromcarbon- Carbonsäurebromid


säurebromid säure

Das Carbonsäurebromid kann wiederum mit Brom reagieren, so daß schließlich alle Car-
bonsäure in die α-Bromcarbonsäure umgesetzt wird.
Die α-Bromcarbonsäuren sind für Synthesen interessant. Die SN-Reaktion von OH–-
Ionen mit einer α-Bromcarbonsäure führt zur α-Hydroxycarbonsäure.

HOOC COOH
H O C Br H O C + Br
H H
R R
α-Hydroxycarbonsäure

Läßt man die α-Bromcarbonsäure mit Ammoniak reagieren, erhält man eine α-Amino-
carbonsäure.

H H
HOOC COOH H COOH
H N C Br H N C + Br N C + HBr
R R R
H
H H H H H
α-Aminocarbonsäure

15.4.5 Decarboxylierungsreaktionen

Unter dem Begriff Decarboxylierung ist eine Abspaltung von CO2 aus Carbonsäuren oder
deren Derivaten zu verstehen. Aliphatische Monocarbonsäuren werden nur schwer decar-
boxyliert, sie sind auch bei höheren Temperaturen noch weitgehend stabil. Carbonsäuren mit
aktivierenden Substituenten in α-Stellung decarboxylieren jedoch relativ leicht. Carbonsäu-
ren mit Substituenten in β-Stellung können über einen cyclischen Übergangszustand decar-
boxylieren. Decarboxylierungen können auch über einen radikalischen Reaktionsmechanis-
mus erfolgen und durch Pyrolyse von Carbonsäuresalzen. Die Decarboxylierung spielt eine
wichtige Rolle bei Stoffwechselvorgängen (z.B. Decarboxylierung von Aminosäuren zu bio-
genen Aminen, im Citronensäure-Zyklus und bei der alkoholischen Gärung).
15.4 Reaktionen der Carbonsäuren 609

15.4.5.1 Decarboxylierung von Carbonsäuren mit Substituenten mit –I-Effekt in α-Stellung


Carbonsäuren, die in α-Stellung eine Gruppe mit starkem –I-Effekt haben, decarboxylieren
schon bei einer Temperatur von 100–150°C. Solche Gruppen sind z.B. die Nitrogruppe
–NO2, die Trichlormethylgruppe –CCl3, die Nitrilgruppe -CN, die Carbonylgruppe -C=O
und die Carboxygruppe -COOH. Als Beispiel diene die Trichloressigsäure, die bei Erhitzen
leicht decarboxyliert und die Decarboxylierung von α-Oxocarbonsäuren:

Cl Cl
O H
Δ Δ + CO2
Cl C C Cl C H + CO2 R C COOH R C
O H O
Cl Cl O
Trichloressigsäure Chloroform α-Oxocarbonsäure Aldehyd

Die Decarboxylierung der α-Oxocarbonsäure kann bei etwas niedrigerer Temperatur er-
folgen, wenn man die α-Oxosäure zunächst mit Anilin in die Schiffsche Base umwandelt
(siehe Abschnitt 13.4.3.2) und diese dann erhitzt. Nach der dabei erfolgten Decarboxylierung
wird das Reaktionsprodukt mit Salzsäure hydrolysiert.
H
R C
C6H5 NH2 Δ , - CO2 HCl/H2O O
R C COOH R C COOH R C H +
- H2O
O N N Cl NH3
C6H5 C6H5
C6H5

Der starke –I-Effekt der Substituenten in α-Stellung erleichtert die Dissoziation der Car-
bonsäure (siehe Abschnitt 15.4.1)

Cl Cl
O O
Cl C C Cl C C + H
O H O
Cl Cl

und bewirkt dann eine heteropolare Spaltung der C–C-Bindung, wobei ein Carbanion und
CO2 entstehen.

Cl Cl O
O
Cl C C Cl C + C
O
Cl Cl O

Das bei der vorhergehenden Teilreaktion gebildete Carbanion ist sehr reaktiv, es ist eine
starke Base und kann ein Proton binden.
610 15 Carbonsäuren

Cl Cl

Cl C H Cl C H

Cl Cl

15.4.5.2 Decarboxylierungen über einen cyclischen Übergangszustand


Man nimmt an, daß die Decarboxylierung von β-Oxosäuren über einen sechsgliedrigen cyc-
lischen Übergangszustand verläuft. Die Bildung des cyclischen Übergangszustands wird
erleichtert durch eine entsprechende räumliche Anordnung der Atome des Edukts, die durch
eine intramolekulare Wasserstoffbrücke zwischen dem Sauerstoffatom der β-ständigen Car-
bonylgruppe und dem Wasserstoffatom der Carboxygruppe gefestigt wird.

H H H O
O O O O O
+ C
C C C C C
R C O R C O R C H O
H H H H
H
β-Oxocarbonsäure Enol

Das zunächst gebildete Enol steht im Reaktionsgleichgewicht mit der Keto-Form (Keto-
Enol-Tautomerie), wobei die Keto-Form bevorzugt gebildet wird.

H
O O

C C
R C H R C H
H
H H
Enol-Form Keto-Form

Auf diese Weise entsteht aus der β-Oxosäure durch Decarboxylierung ein Methylketon.
Die Decarboxylierung der Malonsäure bzw. ihrer Mono- oder Dialkylderivate führt nach
dem gleichen Reaktionsmechanismus zur entsprechenden Monocarbonsäure.

H H H Keto-Enol-
O O O O O Tautomerie O

C C C C - CO2 C C
HO C O HO C O HO C R HO C H
R R R R R
R R
Dialkylmalonsäure Carbonsäure
15.4 Reaktionen der Carbonsäuren 611

15.4.5.3 Radikalische Decarboxylierungen

a) Die Kolbe-Elektrolyse
Führt man in wäßriger oder methanolisch-wäßriger Lösung die Elektrolyse von Natriumsal-
zen der Carbonsäuren durch, so bilden sich an der Anode ein Alkan und CO2. Die Elektroly-
se erfordert eine hohe Stromdichte an der Anode und wird als Kolbe-Elektrolyse bezeichnet.

Elektrolyse
2 RCOO Na + 2 H2O R R + 2 CO2 + 2 NaOH + H2

Anode Kathode

Die Reaktion verläuft radikalisch, der Reaktionsmechanismus wird in Abschnitt 2.7.3.2


beschrieben.

b) Die Hunsdiecker-Reaktion
Erhitzt man das Silbersalz einer Carbonsäure und Brom in Tetrachlorkohlenstoff, so erfolgt
eine Decarboxylierung, und es werden ein Alkylbromid und Silberbromid gebildet.

RCOO Ag + Br2 R Br + AgBr + CO2

Der erste Reaktionsschritt führt zu einem Alkanoylhypobromid.

O O
R C + Br Br R C + AgBr
O Ag O Br

Die O–Br-Bindung des Alkanoylhypobromids wird homöopolar gespalten, wobei das


Acyloxyradikal R–COO· und atomares Brom Br· entstehen.

Start der Radikalreaktion:

O O
R C R C + Br
O Br O

Alkanoylhypobromit Acyloxyradikal
612 15 Carbonsäuren

Das Acyloxyradikal wird unter Bildung von CO2 und einem Alkylradikal homolytisch
gespalten. Das Alkylradikal kann mit dem Alkanoylbromid unter homolytischer Spaltung der
O–Br-Bindung reagieren, wobei wiederum ein Acyloxyradikal entsteht und das Alkylbromid
als Reaktionsprodukt gebildet wird.

Kettenreaktion:

O
R C R + CO2
O Alkylradikal

O O
R C R C + R Br
O Br R O
Alkylbromid

15.4.6 Die Reduktion und die Oxidation von Carbonsäuren

15.4.6.1 Die Reduktion mit Lithiumaluminiumhydrid


Bei der Reaktion einer Carbonsäure mit LiAlH4 entstehen zunächst Salze der Carbonsäuren,
und es entweicht Wasserstoff. Die Salze der Carbonsäure reagieren weiter mit überschüssi-
gem LiALH4, und es entsteht ein Lithumaluminiumalkoholat, das mit verdünnter Salzsäure
zum Alkohol und LiCl und AlCl3 umgesetzt wird (siehe auch Abschnitt 10.6.2.7).

R COO Li
LiAlH4 in Ether LiAlH4 in Ether
4 R COOH + (R CH2 O)4Al Li
- 2 H2 - LiAlO2
3
(R COO)3 Al Lithiumaluminium-Alkoholat
Salze der Carbonsäure

4 HCl
(R CH2 O)4Al Li 4 R CH2 OH
- LiCl, - AlCl3
primärer Alkohol

Häufiger angewendet wird die Reduktion von Carbonsäureestern, da diese keinen Über-
schuß an LiAlH4 erfordert.

15.4.6.2 Die Oxidation mit Wasserstoffperoxid


Carbonsäuren reagieren bei saurer Katalyse mit Wasserstoffperoxid zu Peroxycarbonsäuren.
15.4 Reaktionen der Carbonsäuren 613

H
H
O H
O O H O H
H O O H
R C R C R C R C O
O H O H O H O H
O
H
H H H H
O H O H O + H2O
R C O O H R C O O H R C O O H R C O O H

O O O O + H
H H H
Peroxycarbonsäure

15.4.7 Carbonsäureabbau mit Barbier-Wieland-Reaktion


Als Barbier-Wieland-Reaktion wird eine Reaktionsfolge benannt, mit der ein Abbau einer
Carbonsäure zu dem nächst niedrigen Homologen erfolgt. Die Carbonsäure wird zunächst in
den Methylester überführt, der dann mit Phenylmagnesiumbromid (Reaktionsmechanismus
siehe Abschnitt 10.6.2.8) zu einem Zwischenprodukt reagiert, nach dessen Ansäuern oder
Zugabe von Wasser ein tertiärer Alkohol entsteht. Dieser wird mit Acetanhydrid dehydrati-
siert und das 1,1-Diphenylalken mit Chromtrioxid oxidiert.
Die Endprodukte sind die um eine Methylengruppe ärmere Carbonsäure und das Diphe-
nylketon.
614 15 Carbonsäuren

15.5 Ungesättigte Monocarbonsäuren

15.5.1 Wichtige einfach ungesättigte aliphatische Monocarbonsäuren

Trivialnamen
H3C H H3C COOH
H2C CH COOH H2C C COOH C C C C
H COOH H H
CH3
Acrylsäure Methacrylsäure Crotonsäure Isocrotonsäure
Propensäure 2-Methylpropensäure (E)-2-Butensäure (Z)-2-Butensäure

H3C(CH2)7 (CH2)7COOH H3C(CH2)7 H


C C C C
H H H (CH2)7COOH
Ölsäure Elaidinsäure
(Z)-9-Octadecensäure (E)-9-Octadecensäure

15.5.1.1 Acrylsäure (Propensäure)


Die großtechnische Synthese der Acrylsäure geht aus vom Propen. Sie kann nach einem ein-
oder zweistufigem Verfahren durchgeführt werden. Im einstufigen Prozeß läßt man Propen
mit dem Sauerstoff der Luft bei 200–400°C und 10 bar in Gegenwart von Katalysatoren rea-
gieren, die Schwermetallmolybdate enthalten und außerdem Tellurverbindungen als Promo-
toren. Promotoren sind Stoffe, die nachteilige Veränderungen von Katalysatoren während
der Reaktion stark einschränken und die Wirksamkeit der Katalysatoren steigern können. Bei
der Reaktion entstehen sowohl Acrolein als auch Acrylsäure.

200 °C, 10 bar, O O


Katalysator
2 H2C CH CH3 + 5/2 O2 H2C CH C + H2C CH C
- 2 H2O
H OH
Propen Acrolein Acrylsäure

Im zweistufigen Prozeß, der eine hohe Gesamtausbeute an Acrylsäure gewährleistet, wird


im Festbettreaktor Propen zunächst zu Acrolein oxidiert, das dann bei selektiven Reaktions-
bedingungen im zweiten Reaktor zur Acrylsäure weiteroxidiert wird.

O 1 O
O2, Bi/Mo /2 O2, Mo/V
H2C CH CH3 H2C CH C H2C CH C
300-350 °C 260-300 °C
H OH
H2O
Propen Acrolein Acrylsäure
15.5 Ungesättigte Monocarbonsäuren 615

Die Acrylsäure ist eine stechend riechende Flüssigkeit (Siedetemperatur 141°C), die zu
einem glasartigen Kunststoff, der Polyacrylsäure, polymerisiert werden kann. Die Polymeri-
sation, die nach einem Radikalmechanismus erfolgt, findet in 30%iger wässeriger Lösung
der Acrylsäure statt.
H COOH
H COOH
n C C C C
H H n
H H
Acrylsäure Polyacrylsäure

15.5.1.2 Methacrylsäure (2-Methylpropensäure)


Die Methacrylsäure ist im Kamillenöl zu finden. Bedeutung hat der Methacrylsäuremethyl-
ester, er dient zur Herstellung von Plexiglas. Die Synthese der Methacrylsäure erfolgt aus
Aceton und Blausäure. Die Blausäure lagert sich nucleophil an die Carbonylgruppe des Ace-
tons an (RM siehe in Abschnitt 13.4.1.1), und es entsteht das Acetoncyanhydrin (2-Hydroxy-
2-methylpropannitril). Im sauren Medium erfolgt die Dehydratisierung des Acetoncyan-
hydrins. Sie erfolgt deshalb so leicht, weil sich nach Abspaltung des Wassers die entstandene
Doppelbindung mit der Dreifachbindung der Nitrilgruppe in Konjugation befindet und das
bei dieser Reaktion gebildete Zwischenprodukt, das 2-Methylpropennitril, mesomeriestabili-
siert ist. Die Hydrolyse der Nitrilgruppe erfolgt mit Schwefelsäure, wobei die Methacryl-
säure gebildet wird. Setzt man das 2-Methylpropennitril mit konz. Schwefelsäure in Metha-
nol um, wird der Methacrylsäuremethylester, das Methylmethacrylat (Sdt. 100°C), gebildet.
H COOH
H2SO4/H2O
H C C
O H CH3
O H C N
H C N Methacrylsäure
H3C C H3C C C N C C
- H2O
CH3 H CH3
CH3
Aceton Acetoncyanhydrin 2-Methylpropennitril
H COOCH3
C C
CH3OH/H2SO4
H CH3

Methylmethacrylat

Wichtiger als die Methacrylsäure ist ihr Methylester, das Methylmethacrylat (Methyl-2-
methylpropenoat). Dieses dient hauptsächlich zur Herstellung des Polymethylmethacrylats,
eines thermoplastischen (schmelzbar und gießbar bei 140–155°C), farblosen, glasartigen
Kunststoffs, der relativ hart und bruchsicher und gegenüber Basen, Säuren, Benzin und Mi-
neralöl beständig ist. Er wird unter dem Handelsnamen Plexiglas vertrieben.
Die Polymerisierung des Methylmethacrylats zu Polymethylmethacrylat erfolgt in Lö-
sung oder in Emulsion oder bei Erhitzen auf 100°C ohne Lösungsmittel, mit Benzoyl-, Ace-
tyl- oder Wasserstoffperoxid als Katalysatoren.
616 15 Carbonsäuren

H COOCH3 H COOCH3
Benzoylperoxid
n C C C C
H CH3 n
H CH3
Methylmethacrylat Polymethylmethacrylat

15.5.1.3 Die Ölsäure


Die Ölsäure (cis-9-Octadecensäure) kann im Organismus von Säugetieren aus Stearinsäure
synthetisiert werden. Sie kommt mit Glycerin verestert in Fetten und Ölen vor, hauptsächlich
im Oliven- und Mandelöl, sowie im Fischtran. Nach längerem Stehen an der Luft wird Öl-
säure in α-Stellung zur Doppelbindung zum entsprechenden Hydroperoxyderivat oxidiert.
OOH

H3C (CH2)6 CH2 (CH2)7COOH H3C (CH2)6 CH (CH2)7COOH


C C + O2 C C
H H H H
Ölsäure Ölsäurehydroperoxid

Das Ölsäurehydroperoxid kann leicht weiter oxidiert werden, wobei unter Bruch der
Kohlenstoffkette niedrigere Säuren als Spaltprodukte gebildet werden. Die homöopolare
Spaltung der C–H-Bindung der in α-Stellung zur Doppelbindung befindlichen Methylen-
gruppe wird deshalb bevorzugt, weil das entstehende Radikal ein relativ stabiles Zwischen-
produkt darstellt, da es mesomeriestabilisiert ist:

C CH CH C CH CH

H H

Die Ölsäure hat cis-Konfiguration (Z-Konfiguration). Sie kann unter Einfluß von NO2 in
das trans-Isomer, die Elaidinsäure, isomerisieren. Durch Anlagerung von NO2, das ein un-
gepaartes Elektron besitzt, an die Doppelbindung der Ölsäure wird die π-Bindung homöo-

H3C (CH2)7 (CH2)7 COOH H3C (CH2)7 sp3 sp2 (CH2)7 COOH
C C H C C
H H N H
Ölsäure O O
N
O O

H3C (CH2)7 (CH2)7 COOH H (CH2)7 COOH


C C C C
N N
H + H O O H3C (CH2)7 H + O O
Ölsäure (Smt. 13 °C) Elaidinsäure (Smt. 44 °C)
15.5 Ungesättigte Monocarbonsäuren 617

polar gespalten, und es wird ein Radikal gebildet, dessen sp2-hybridisiertes C-Atom um die
σ-Bindung frei drehbar ist. Nach Abspaltung der Nitrogruppe wird die Doppelbindung wie-
der hergestellt, wobei die Ölsäure und die Elaidinsäure nebeneinander entstehen. Die stabile-
re Elaidinsäure liegt in höherer Konzentration vor (66 %).
Salze der Ölsäure nennt man Oleate.

15.5.2 Mehrfach ungesättigte aliphatische Monocarbonsäuren

15.5.2.1 Die Sorbinsäure

Die Sorbinsäure (E,E-2,4-Hexadiensäure) (Smt. 133°C) hat zwei konjugierte Doppelbindun-


gen und verdankt ihren Namen ihrem Vorkommen im Saft der Vogelbeere (Sorbus aucupa-
ria). Sie hemmt das Wachstum von Hefen und Pilzen und wird als Konservierungsmittel für
Lebensmittel verwendet.
H3C H
C C H
H C C
H COOH

15.5.2.2 Die Linol-, Linolen- und Arachidonsäure


Die Linolsäure und die Linolensäure sind – verestert mit Glycerin – in Pflanzenölen zu fin-
den, insbesondere im Leinöl, Nußöl und Hanföl. Die Arachidonsäure kommt besonders in
Phosphatiden vor (siehe Abschnitt 10.7.6.3).

CH3(CH2)4 CH2 (CH2)7COOH


12 9
C C C C
H H H H
Linolsäure
(Z,Z)-9,12-Octadecadiensäure

H3CCH2 CH2 CH2


15 12 9 (CH2)7COOH
C C C C C C
H H H HH H
Linolensäure
(Z,Z,Z)-9,12,15-Octadecatriensäure

H3C(CH2)4 CH2 CH2 CH2


14 11 8 5 (CH2)3COOH
C C C C C C C C
H H H HH HH H Arachidonsäure
(Z,Z,Z,Z)-5,8,11,14-Eicosatetraensäure
618 15 Carbonsäuren

Die Linol-, Linolen- und Arachidonsäure können im Organismus von Säugetieren nicht
synthetisiert werden und müssen deshalb mit der Nahrung aufgenommen werden. Sie werden
als essentielle Fettsäuren bezeichnet. Ihr Fehlen ruft Mangelerscheinungen hervor, und sie
werden deshalb im Handel (z.B. bei Kosmetika) manchmal als Vitamin F bezeichnet, obzwar
sie zu den Hauptnährstoffen gehören und deshalb nicht den Vitaminen zuzuordnen sind. Ihr
Fehlen in der Nahrung verursacht beim Menschen schuppige Dermatitis an den Extremitäten,
Mattigkeit, Depression, Anorexie (Appetitlosigkeit), Hyperästhesien (gesteigerte Empfind-
lichkeit für Berührungsreize) und Parästhesien (Mißempfindungen in Form von Kribbeln,
Taub- oder Pelzigsein der Haut). Unter der Wirkung der mehrfach ungesättigten Fettsäuren
kommt es auch zu einer Senkung des Blutcholesterinspiegels, und es wird eine Verlängerung
der Gerinnungszeit des Blutes beobachtet.
Leinöl, das einen hohen Anteil von Triglyceriden mit mehrfach ungesättigten Fettsäure-
komponenten enthält, gehört zu den in der Ölfarbenindustrie verwendeten „trocknenden
Ölen“. Die mehrfach ungesättigen Fettsäurekomponenten polymerisieren sehr leicht, wobei
der Sauerstoff der Luft die radikalische Polymerisation startet, die eine Verhärtung des Lein-
öls zur Folge hat. Der Vorgang wird durch Zugabe von Sikkativen (Kobalt-, Mangan- oder
Bleisalze) beschleunigt (siehe Abschnitt 19.6.4).
Die Autoxidation der hier angeführten mehrfach ungesättigten Fettsäuren erfolgt sehr
leicht, weil die entstehenden ungesättigten Radikale mesomeriestabilisiert sind:

CH HC C HC HC

H O O
- HOO
CH CH C CH CH CH CH C CH CH

H H

CH CH C CH CH

15.5.3 Aromatische Monocarbonsäuren

Trivialnamen
COOH COOH COOH COOH COOH COOH COOH

CH3 COOH

CH3 COOH

CH3 COOH
Benzoe- o-Toluyl- m-Toluyl- p-Toluyl- Phthal- Isophthal- Terephthal-
säure säure säure säure säure säure säure
15.5 Ungesättigte Monocarbonsäuren 619

COOH
H COOH
C C OH CHCOOH
H
OH

Zimtsäure Salicylsäure Mandelsäure


(E)-3-phenyl-2-propensäure o-Hydroxybenzoesäure α-Hydroxyphenylethansäure

15.5.3.1 Benzoesäure
Benzoesäure (Smt. 122°C) bildet glänzende schuppenförmige Kristalle. Beim Erhitzen subli-
miert sie. Sie ist in heißem Wasser, in Alkohol und Ether löslich. Benzoesäure wird als Kon-
servierungsstoff für Lebensmittel verwendet. Aus dem Körper wird sie in Form von Hippur-
säure C6H5–CO–NH–CH2COOH ausgeschieden.
Die Herstellung der Benzoesäure kann durch Oxidation von Toluol mit Luftsauerstoff,
KMnO4 oder HNO3 erfolgen. Der aromatische Ring ist infolge der hohen Resonanzenergie
stabil (siehe Abschnitt 6.7), so daß die Seitenkette bevorzugt vor dem aromatischen Ring
oxidiert wird.
CH3 COOH

120 °C, 3 bar, Co-Salz (Katalysator)


+ 1,5 O2 + H2O

Toluol Benzoesäure

15.5.3.2 Salicylsäure (o-Hydroxybenzoesäure)


COOH

OH

Die Salicylsäure (o-Hydroxybenzoesäure) verdankt ihren Namen ihrem Vorkommen in der


Weide (Salix). Sie kommt außerdem in Sennesblättern, Senegawurzeln und Kamillenblüten
vor und in Form ihres Esters in vielen ätherischen Ölen (z.B. Birkenrinden-, Veilchen- und
Nelkenöl). Die Salicylsäure ist in heißem Wasser, in Alkohol und Ether löslich und kristalli-
siert in nadelförmigen Kristallen (Smt. 156°C) aus.
Der antirheumatische Effekt der Salicylsäure beruht wahrscheinlich auf einer Anregung
der Hypophyse, die in der Nebennierenrinde eine vermehrte Produktion von antirheumati-
schen Hormonen (Cortison) auslöst. Hippokrates empfahl gegen rheumatische Schmerzen
schon vor etwa 2.400 Jahren die Weidenrinde, die, wie wir heute wissen, Salicylsäure ent-
hält. In höherer Dosis (2–4 g) ruft die Salicylsäure Ohrensausen und Herabsetzung des
620 15 Carbonsäuren

Sehvermögens hervor, eine einmalige Dosis von 20 g ist lebensgefährlich (Temperaturabfall,


Herzschwäche, Krämpfe und Atemlähmung treten ein).
Die Salicylsäure wird aus Phenol mit Hilfe der Kolbe-Synthese hergestellt (siehe Ab-
schnitt 11.5.2.5). Ihr Essigsäureester, die Acetylsalicylsäure ist unter dem Namen Aspirin als
Arzneimittel bekannt.
OCOCH3
Acetylsalicylsäure (Aspirin)

COOH

Aspirin findet bei Rheumatismus, Kopf- und Zahnweh, Ischias, Gelenkschmerz und Er-
kältungen Anwendung. Es ist ein schmerzlinderndes und fiebersenkendes Mittel. Außerdem
setzt es die Gefahr eines Zusammenballens (Aggregation) der Thrombozyten (Blutblättchen)
herab, deren Verklumpen in Herzkranzgefäßen einen Herzinfarkt und in einer Gehirnarterie
einen Schlaganfall zur Folge haben kann.

15.6 Dicarbonsäuren

15.6.1 Aliphatische Dicarbonsäuren

Trivialnamen der gesättigten aliphatischen Dicarbonsäuren

Anzahl der Formel Trivialname Benennung der Benennung des


C-Atome Acylgruppe Säurerests
C2 HOOC–COOH Oxalsäure Oxalyl- Oxalat
C3 HOOC–CH2–COOH Malonsäure Malonyl- Malonat
C4 HOOC–(CH2)2–COOH Bernsteinsäure Succinyl- Succinat
C5 HOOC–(CH2)3–COOH Glutarsäure Glutaryl- Glutarat
C6 HOOC–(CH2)4–COOH Adipinsäure Adipoyl- Adipat
C8 HOOC–(CH2)6–COOH Korksäure Suberoyl- Suberoat
C10 HOOC–(CH2)8–COOH Sebacinsäure Sebacoyl- Sebacat

Trivialnamen einfach ungesättigter Dicarbonsäuren

HOOC COOH HOOC H HOOC COOH HOOC CH3


C C C C C C C C
H H H COOH H CH3 H COOH
Maleinsäure Fumarsäure Citraconsäure Mesaconsäure
(Z)-2-Butendisäure (E)-2-Butendisäure (Z)-2-Methyl- (E)-2-Methyl-
2-butendisäure 2-butendisäure
15.6 Dicarbonsäuren 621

15.6.1.1 Oxalsäure (HOOC–COOH) (Ethandisäure)


Oxalsäure (Smt. 189,5°C) ist in Wasser, Alkohol und Ether löslich. Aus Wasser kristallisiert
sie als Dihydrat (Smt. 101,5°C). Oxalsäure kommt in Form des sauren Kaliumsalzes in Sau-
erklee, Sauerampfer, Rhabarber und Spinat vor. Größere Mengen von Oxalsäure wirken
durch Störung des Calciumstoffwechsels als Gift. In Gramm-Mengen eingenommen wirkt
Oxalsäure tödlich (Herzversagen). Im Harn befinden sich geringe Mengen Calciumoxalat.
Aus Calciumoxalat können sich Blasen- und Nierensteine entwickeln.
Durch Erhitzen von Natriumformiat auf 360°C wird Natriumoxalat gewonnen. Die Oxal-
säure kann aus ihrem Natriumsalz durch Schwefelsäure freigesetzt werden.

H COO Na COO Na COOH


360 °C, Ätznatron H2SO4
H COO Na - H2 COO Na - Na2SO4 COOH
Natriumformiat Natriumoxalat Oxalsäure
In der Analytik wird das Oxalsäure-Dihydrat H2C2O4 · 2 H2O als Urtitersubstanz für die
Alkali- und Manganometrie eingesetzt.

15.6.1.2 Malonsäure (HOOC–CH2–COOH) (Propandisäure)


Die Malonsäure verdankt ihren Namen dem Umstand, daß sie durch Oxidation aus Äpfelsäu-
re (malus = Apfel) gewonnen wurde. Sie kommt im Saft der Zuckerrübe vor. Wichtig sind
die Diester der Malonsäure, sie werden häufig in der Synthese eingesetzt (siehe z.B. die
Knoevenagel-Kondensation in Abschnitt 13.4.1.4). Beim Erhitzen decarboxyliert die Malon-
säure relativ leicht (siehe Abschnitt 15.4.5.2). Die Darstellung der Malonsäure erfolgt aus
dem Salz der Chloressigsäure. Dieses wird mit Kaliumcyanid zum Salz der Cyanessigsäure
umgesetzt, welche mit konz. Salzsäure unter Bildung der Malonsäure hydrolysiert wird.
Führt man die Hydrolyse der Cyanessigsäure in abs. Ethanol mit Schwefelsäure durch, ge-
winnt man den Malonsäurediethylester.

H2C COOH
2 HCl/2 H2O
H2C COO Na H2C COO Na - NH4Cl, - NaCl COOH
KCN Malonsäure
Cl C N
- KCl
Natriumsalz der Natriumsalz der 2 CH3CH2OH/2 H2SO4 H2C CO OCH2CH3
Chloressigsäure Cyanessigsäure
- NH4HSO4, - NaHSO4 CO OCH2CH3
Malonsäurediethylester

15.6.1.3 Bernsteinsäure (HOOC–(CH2)2–COOH) (Butandisäure)


Bernsteinsäure kommt im Bernstein, in Tomaten und in Algen, Pilzen und Flechten vor. Sie
bildet tafelförmige Kristalle (Smt. 185°C).
Die Darstellung der Bernsteinsäure erfolgt aus 1,2-Dibromethan, das mit KCN zum Bu-
tandinitril reagiert. Dieses wird mit konz. Salzsäure zu Bernsteinsäure hydrolysiert.
622 15 Carbonsäuren

H2C Br H2C C N H2C COOH


2 KCN 2 HCl/4 H2O
H2C Br - 2 KBr H2C C N - 2 NH4Cl H2C COOH
Dibromethan Butandinitril Bernsteinsäure
Die Salze und Ester der Bernsteinsäure heißen Succinate (lat. succinum = Bernstein). Die
Ester der Bernsteinsäure können mit Aldehyden und Ketonen unter Katalyse einer starken
Base, z.B. Natriumethanolat, zum Salz des Alkylidenbernsteinsäuremonoesters umgesetzt
werden. Die Reaktion wird als Stobbe-Kondensation bezeichnet. Sie verläuft über ein γ-
Lacton als Zwischenprodukt (Reaktionsmechanismus der Stobbe-Kondensation s. Abschnitt
13.4.1.5).
Et Et Et Et
O O O O O O O O
C R' C R' C R' C R'
O Et β γ O Et
H C H +C R H C C R H C C R C C
- HO Et α - HO Et
- O Et R
CH2 O CH2 O H 2C O H 2C O

C C C C
O O O O O O
Et Et
γ-Lacton Salz des
Anmerkung: Et = CH2CH3 Alkylidenbernstein-
säuremonoesters
Erhitzt man Bernsteinsäure, so wird sie unter Wasserabspaltung zu ihrem Anhydrid um-
gesetzt. Dieses kann mit NH3 reagieren, wobei über das entsprechende Monoamid der Bern-
steinsäure (Succinmonoamid) das Succinimid gebildet wird.
O O O
H2C COOH H2C C H2C C H 2C C
Δ NH3 NH2 - H2O
O NH
OH
H2C COOH H2C C H2C C H 2C C
O O O
Bernsteinsäure Bernsteinsäureanhydrid Monoamid der Bernsteinsäure Succinimid
Löst man Succinimid bei 0°C in Natronlauge und gibt in CCl4 gelöstes Brom hinzu, ent-
steht das N-Bromsuccinimid.
O O
H2C C H2C C
N H + Br Br + NaOH N Br + NaBr + H2O
H2C C H2C C
O O
Succinimid N-Bromsuccinimid
N-Bromsuccinimid ist ein wichtiges Reagens. Es ersetzt ganz spezifisch an einem in
Nachbarschaft zur Doppelbindung befindlichen C-Atom das an ihn gebundene Wasserstoff-
atom durch Brom (radikalische Substitution in Allylstellung). Für diese Reaktion wird das
15.6 Dicarbonsäuren 623

N-Bromsuccinimid in CCl4 suspendiert. Die Reaktion wird als Wohl-Ziegler-Reaktion be-


zeichnet.
H O Br O
H2C C H 2C C
R CH CH CH CH3 + N Br R CH CH CH CH3 + NH
H2C C H 2C C
O O

Bevorzugt wird das an ein tertiäres Kohlenstoffatom gebundene Wasserstoffatom durch


Brom ersetzt. Weniger reaktiv für die Substitution des Wasserstoffes durch Brom ist die
Methylengruppe und am wenigsten reaktiv die Methylgruppe.
R H H

R C CH CH2 > R C CH CH2 > H C CH CH2

H H H

15.6.1.4 Glutarsäure (HOOC–(CH2)3–COOH) (Pentandisäure)


Die Glutarsäure (Smt. 98°C) wird durch oxidative Ringspaltung des Cyclopentanons mit
50%iger Salpetersäure in Gegenwart von V2O5 hergestellt.
CH2 COOH
H2C HNO3, V2O5 H2C
C O COOH
H2C H2C
CH2 CH2
Cyclopentanon Glutarsäure
Bei Erhitzen bildet die Glutarsäure unter Wassersabspaltung sehr leicht das Glutar-
säureanhydrid (Smt. 57°C).
O
CH2 COOH CH2 C
Δ
H2C H2C O + H2O
CH2 COOH CH2 C
O
Glutarsäure Glutarsäureanhydrid

15.6.1.5 Adipinsäure (HOOC–(CH2)4–COOH) (Hexandisäure)


Die Adipinsäure (Smt. 153°C) leitet ihren Namen vom lat. adipis = Fett ab, weil sie ur-
sprünglich als Oxidationsprodukt verschiedener Fettsäuren gewonnen wurde.
Die Synthese der Adipinsäure kann ausgehen vom Phenol, das durch Hydrierung des
aromatischen Sechsringes in Gegenwart eines Pd-Katalysators zum Cyclohexanol umgesetzt
wird. Aus Cyclohexanol erhält man durch Oxidation mit 60%iger Salpetersäure in Gegen-
wart eines Katalysators, bestehend aus NH4-Metavanadat/Cu-Nitrat, bei 50–80°C über das
Cyclohexanon unter oxidativer Aufspaltung des Sechsringes die Adipinsäure.
624 15 Carbonsäuren

OH OH O
60%ige HNO3, 60%ige HNO3, COOH
H2/Pd 80°C, Katalysator 80°C, Katalysator
COOH

Phenol Cyclohexanol Cyclohexanon Adipinsäure

Die größte Bedeutung hat die Adipinsäure für die Herstellung von Nylon. Erhitzt man ein
Gemisch von Adipinsäure und Hexamethylendiamin in Stickstoffatmosphäre auf 280°C, so
erfolgt eine Polykondensation zum 6,6-Nylon.

O O H H O O H H
n C (CH2)4 C + n N (CH2)6 N C (CH2)4 C N (CH2)6 N
HO OH H H HO H
+ 2 n-1 H2O n
Adipinsäure Hexamethylendiamin 6,6-Nylon

Die Zahlen 6,6 verdeutlichen, daß das Polyamid aus zwei Monomeren mit je 6 Kohlen-
stoffatomen in der Kohlenstoffkette aufgebaut wurde. Das 6,10-Nylon (Bürstennylon) wird
z.B. aus Hexamethylendiamin und Sebacinsäure HOOC–(CH2)8–COOH synthetisiert.
Das für die Nylonproduktion erforderliche Hexamethylendiamin (1,6-Hexandiamin) kann
aus Adipinsäure hergestellt werden, die mit NH3 Ammoniumadipat bildet. Dieses wird in der
Schmelze bei 200–300°C durch protonenkatalysierte Dehydratisierung (z.B. mit H3PO4) über
das Adipinsäurediamid zum Hexandinitril (Adiponitril) umgesetzt. Aus diesem entsteht
durch katalytische Hydrierung mit Raney-Nickel bei 130°C und Druck das Hexamethylen-
diamin.

COOH NH3 COO NH4 CONH2 C N H2/Ni CH2NH2


COOH COO NH4 - 2 H2O CONH2 - 2 H2O C N CH2NH2

Adipinsäure Ammonium- Adipinsäure- Adiponitril Hexamethy-


adipat diamid lendiamin

15.6.1.6 Malein- und Fumarsäure


Bei beiden Säuren handelt es sich um einfach ungesättigte Dicarbonsäuren, die Maleinsäure
ist das cis- (Z-) und die Fumarsäure das trans-Isomere (E-Isomere):

H COOH HOOC H
C C

C C
H COOH H COOH

Maleinsäure (cis) Fumarsäure (trans)


(Z)-2-Buten-1,4-disäure (E)-2-Buten-1,4-disäure
15.6 Dicarbonsäuren 625

Die Maleinsäure kommt in der Natur nicht vor. Sie hat ihren Namen von der Äpfelsäure
erhalten (acidum malicum), die beim Erhitzen Wasser abspaltet und das Maleinsäure-
anhydrid bildet, das mit Wasser in die Maleinsäure umgesetzt werden kann.

O O
O
HO
C H H C
C OH C
Δ C H2O C OH
H
H O
C OH - 2 H2O - H2O C OH
C
C H C H C
H
O O O

Äpfelsäure Maleinsäureanhydrid Maleinsäure


Die Fumarsäure verdankt ihren Namen ihrem Vorkommen im Erdrauch (Fumaria offi-
cinalis). Sie ist auch in Pilzen und Flechten zu finden.
Die Maleinsäure (Smt. 130°C) löst sich gut in Wasser, Fumarsäure hingegen ist in Was-
ser schwer löslich. Fumarsäure sublimiert bei etwa 200°C, während die Maleinsäure schon
bei mäßigem Erhitzen das Maleinsäureanhydrid bildet. Die Erstdissoziation der Maleinsäure
ist stärker als die der Fumarsäure, weil das Anion der Maleinsäure durch eine intramoleku-
lare Wasserstoffbrücke stabilisiert wird.

O O

H C H C O
C O H C
H + H
C O H C
H C H C O

O O

Maleinsäureanhydrid kann als Dienophil mit einem Dien eine Diels-Alder-Reaktion ein-
gehen (siehe Abschnitt 3.10.4). Die Doppelbindung des Maleinsäureanhydrids ist durch die
benachbarten Carbonylgruppen für diese Reaktion zur Genüge aktiviert.

O O O
H2 H2 H
CH2 C H C
C C C
HC HC HC HC C C
O O O
HC HC HC HC C C
CH2 C C C H C C
H2 H2 H
O O O

Beim Bestrahlen mit UV-Licht wird die Maleinsäure in die stabilere Fumarsäure umge-
wandelt:
626 15 Carbonsäuren

O O

H C C H
C O H hν H O C

C O H C O H
H C H C

O O

Maleinsäure Fumarsäure

15.6.2 Aromatische Dicarbonsäuren

15.6.2.1 Phthalsäure (1,2-Benzoldicarbonsäure)

COOH

COOH

Phthalsäure spaltet, noch bevor sie schmilzt, Wasser ab, und es bildet sich Phthalsäurean-
hydrid (Smt. 131°C). Die technische Herstellung der Phthalsäure geht aus vom Naphthalin,
das mit Luft in einen mit V2O5/Al2O3 gefüllten Röhrenkontakt eingespeist und dort bei 360–
400°C oxidiert wird. Über 1,4-Naphthochinon wird die Phthalsäure gebildet, die jedoch bei
den Reaktionsbedingungen Wasser abspaltet, so daß Phthalsäureanhydrid entsteht. Die
Phthalsäure erhält man durch Hydrolyse des Phthalsäureanhydrids, indem man dieses in
heißem Wasser löst und Salzsäure hinzufügt.
O

COOH
O2, 360 °C O2, 360 °C
V2O5 V2O5
COOH

Naphthalin 1,4-Naphthochinon O Phthalsäure

CO COOH
HCl/H2O
- H2O O
CO
COOH
Phthalsäureanhydrid Phthalsäure
15.6 Dicarbonsäuren 627

Phthaleine sind Farbstoffe, die ihren Namen davon herleiten, daß bei ihrer Synthese einer
der Reaktionspartner die Phthalsäure bzw. deren Anhydrid ist. Der bekannteste Vertreter
dieser Farbstoffamilie ist das Phenolphthalein. Man stellt es dar, indem man ein Gemisch
von Phthalsäure bzw. Phthalsäureanhydrid und Phenol mit einigen Tropfen konzentrierter
Schwefelsäure erhitzt.
OH

H OH

Δ, H2SO4
C O C
- H2O
O H OH O
C C
O OH
O
Phthalsäureanhydrid Phenol Phenolphthalein
Phenolphthalein benutzt man als Säure-Base-Indikator. Im sauren und neutralen Bereich
liegt es in der farblosen Leukoform vor, im alkalischen Bereich ist das Phenolphthalein rot
gefärbt.

O H O H

O H
C C + H2O
H
O
C C
O H O O
O O

farblose Leukoform (Lacton) rotes Phenolphthalein (chinoide Struktur)


In der chinoiden Struktur des Phenolphthaleins befinden sich die Doppelbindung durchge-
hend in Konjugation, so daß eine weitgehende Delokalisierung der π-Elektronen möglich ist. Im
farblosen Lacton der Leukoform ist diese Konjugation unterbrochen. Der Energieunterschied
zwischen HOMO und LUMO (siehe Abschnitt 6.3) der π-Orbitale ist um so kleiner, je umfang-
reicher die Delokalisierung der π-Elektronen ist. Deshalb genügt in der chinoiden Form schon
die Energie des sichtbaren Lichts, um die π-Elektronen von HOMO in den energiereicheren
Zustand nach LUMO anzuheben. Das Licht der Wellenlänge, das komplementär zu rotem Licht
ist, wird absorbiert, und die chinoide Form des Phenolphthaleins erscheint uns rot.
Wird ein Gemisch von Pthalsäureanhydrid und Resorcin in Gegenwart von Zinkchlorid
bei etwa 200°C geschmolzen, so entsteht Fluorescein. Bei Zugabe von Brom zu einer etha-
nolischen Lösung von Fluorescein fällt ein Niederschlag des in Ethanol schlecht löslichen
Eosins aus.
628 15 Carbonsäuren

OH OH
Br Br
H OH

200 °C O 4 Br2 O
OH ZnCl2 Ethanol
C O C C Br
OH - H2O - 4 Br2
O O O
C C C
H OH OH OH
O O O
Br
Phthalsäure- Resorcin Fluorescein Eosin
anhydrid

Fluorescein verdankt seinen Namen einer starken grünen Fluoreszens, die es als Salz in
der chinoiden Struktur besitzt, die auch noch in einer Verdünnung von 1 : 400.000.000 wahr-
nehmbar ist. Man gebraucht es z.B., um den unterirdischen Verlauf von Gewässern festzu-
stellen. Das Natriumsalz des Eosins ist ein rotes kristallines Pulver, das in Lösung grünlich
fluoresziert.
Phthalsäureester höherer Alkohole werden als PVC-Weichmacher verwendet. Phthal-
säureanhydrid und Glycerin sind die Rohstoffe zur Herstellung von Glyptalharz (Alkydharz).
Erhitzt man beide Komponenten auf 250°C, entsteht zunächst ein Monoester.

O
OC CO HOOC COOCH2CHCH2OH

OH
HOCH2CHCH2OH
+
OH
Phthalsäure- Glycerin Phthalsäuremonoglycerylester
anhydrid

Die Carboxygruppe des einen Phthalsäuremonoglyceryl-Moleküls kann mit der Hydro-


xygruppe eines anderen Phthalsäuremonoglyceryl-Moleküls unter Wasserausschluß wiede-
rum verestert werden, so daß durch diese Veresterung der Moleküle untereinander lange
Ketten eines Polyesters entstehen.

HOOC COOCH2CHCH2OH OC COOCH2CHCH2O

OH OH
Polykondensation
n
- n H2O
n

Der entstandene Polyester besitzt noch immer freie Hydroxygruppen, sodaß er mit
Phthalsäure bzw. Phthalsäureanhydrid zum räumlich vernetzten Glyptalharz reagieren kann.
15.6 Dicarbonsäuren 629

OC COOCH2CHCH2O OC COOCH2CHCH2O
OH O

CO OH CO
n n

CO OH Vernetzung CO
- 2 H2O
OH O

OC COOCH2CHCH2O OC COOCH2CHCH2O

u u

15.6.2.2 Terephthalsäure (1,4-Benzoldicarbonsäure)


COOH

HOOC
Die Terephthalsäure, bzw. deren Ester, das Dimethylterephthalat, werden zur Herstellung
von Polyesterfasern, die unter dem Namen Terylen, Dacron, Trevira und Diolen bekannt
sind, verwendet. Die Terephthalsäure sublimiert bei etwa 300°C, sie ist selbst in heißem
Wasser fast unlöslich und ebensowenig in gebräuchlichen organischen Lösungsmitteln. Es
ist deshalb problematisch, die aus der Synthese erhaltene rohe Terephthalsäure als solche zu
reinigen, sie wird vielmehr in den Dimethylester überführt, welcher durch Kristallisation und
Destillation auf die für die Faserherstellung nötige Qualität gebracht wird. Es erweist sich
aus diesem Grunde auch als vorteilhaft, bei der Synthese aus p-Xylol nicht die Terephthal-
säure, sondern direkt das Dimethylterephthalat herzustellen. Auf diese Weise verfährt man
bei der p-Xylol-Oxidation mit simultaner Veresterung in der Flüssigphase nach dem Verfah-
ren von BASF, Du Pont und Montecatini.
Die p-Xylol-Oxidation mit simultaner Veresterung erfolgt im Gegenstromprinzip, wobei
von oben p-Xylol und von unten Methanol und Luft in den Reaktor eingespeist werden. In
Gegenwart von Co-Salzen wird das p-Xylol mit dem Sauerstoff der Luft bei 100–200°C und
10–20 bar oxidiert und mit Methanol gleichzeitig zum Dimethylterephtalat umgesetzt.
CH3 COOCH3

CH3OH + O2, 200 °C, 10 bar, Co-Salze


- H2O

CH3 COOCH3
p-Xylol Dimethylterephthalat
630 15 Carbonsäuren

Das Verfahren zur Herstellung des Polyethylenterephthalats durch Umesterung des Di-
methylterephthalats (oder Veresterung der Terephthalsäure) mit Ethylenglykol führt bei 100–
150°C und 10–70 bar in Gegenwart von Co-, Cu- oder Zn-Acetat zunächst zum bis-(2-
Hydroxyethyl)-terephthalat:
O O
H2C CH2 O O H2C CH2
C C H2C CH2 C C CH2 CH2
OH O H O HO OH
O O O
OH OH
H3C CH3
+ CH3OH + CH3OH

Ethylen- Dimethylterephthalat Ethylen- bis-(2-Hydroxyethyl)-terephthalat


glycol glycol
Dieses Zwischenprodukt wird im Vakuum bei 150–270°C in Gegenwart von Sb2O3 zum
Polyethylenterephthalat umgesetzt.
O O O O
n H2C CH2 C C CH2 CH2 + (n + 1) C C

O O H3C O O CH3
OH OH

bis-(2-Hydroxyethyl)-terephthalat Dimethylterephthalat
Sb2O3

O O O O O O
C C CH2 CH2 C C CH2 CH2 C C
O O O O O O CH
n 3
CH3 Polyethylenterephthalat + (n + 1) CH3OH

15.7 Substitutionsderivate der Carbonsäuren

15.7.1 Hydroxycarbonsäuren

Im Molekül der Hydroxycarbonsäuren befinden sich sowohl eine Hydroxy- als auch eine
Carboxygruppe. Zu den Hydroxycarbonsäuren gehören die in saurer Milch vorkommende
Milchsäure und einige in Früchten enthaltene Pflanzensäuren (z.B. Äpfelsäure, Weinsäure
und Zitronensäure).

15.7.1.1 Darstellung von Hydroxycarbonsäuren und von β-Hydroxycarbonsäureestern


Hydroxycarbonsäuren entstehen aus Halogencarbonsäuren durch nucleophile Substitution
des Halogens mit Hydroxyl-Ionen.
NaOH HCl
R CH COOH R CH COO Na R CH COOH
- NaCl, - H2O - NaCl
Cl OH OH
15.7 Substitutionsderivate der Carbonsäuren 631

Erfolgt die Synthese mit γ- oder δ-Halogencarbonsäuren, so werden Lactone erhalten.


Dies sind innere Ester, die sich auch leicht aus γ- oder δ-Hydroxycarbonsäuren bilden kön-
nen, wobei ein heterocyclischer 5- bzw. 6-Ring entsteht.

β β
CH2 CH2
γ α γ α β α β α
H2C CH2 H2C CH2 H2C CH2 H2C CH2
H O H γ H H γ
Cl C C O δ CH C O R C C O CH C O
δ - H2O
R O R O
R O H - Cl H O O H
+ H2O
δ-Chlorcarbonsäure δ-Lacton γ-Hydroxycarbonsäure γ-Lacton

15.7.1.2 Reformatzky-Reaktion
Die Reformatzky-Reaktion dient der Synthese von β-Hydroxycarbonsäureestern. α-Halogen-
carbonsäureester werden in die zinkorganische Verbindung umgewandelt, die mit einem Ke-
ton oder Aldehyd reagiert. Man verfährt dabei so, daß man den α-Halogencarbonsäureester
und den Aldehyd (bzw. das Keton) im Gemisch in einem Lösungsmittel (Ether, Benzol oder
Toluol) zu feinem Zinkgranulat, das mit gleichem Lösungsmittel überschichtet wurde, zugibt,
und das Gemisch etwa 3 Stunden unter Rückfluß erhitzt. Es wird bei dieser Reaktion em-
pfohlen, das Zink vorher durch Zugabe eines Körnchens Iod zum Lösungsmittel anzuätzen.
1.) Zn R'
R'
2.) H2O
C O + X CH2COOR R'' C CH2COOR
- Zn(OH)X
R''
OH
Keton α-Halogencarbonsäureester β-Hydroxycarbonsäureester
Bei der Reformatzky-Reaktion reagiert der α-Halogencarbonsäureester zunächst mit dem
Zink und bildet die zinkorganische Verbindung.

O Toluol O
X = Cl, Br, oder I
H2C C + Zn H2C C
Et = CH2CH3
O Et O Et
X ZnX

Die zinkorganische Verbindung kann sich, ähnlich wie beim Grignard-Reagens an die
Doppelbindung der Carbonylverbindung anlagern, sie ist aber weniger reaktiv als das Grig-
nard-Reagens, so daß sie mit Estercarbonylgruppen nicht reagiert. Nach Hydrolyse des
Adduktes erhält man den β-Hydroxycarbonsäureester.

R'' R'' R''


O O H2O β α O
R' C CH2 C R' C CH2 C R' C CH2 C
O Et O Et O Et
O ZnX O ZnX O H
+ Zn(OH)X
632 15 Carbonsäuren

Die β-Hydroxyester lassen sich leicht dehydratisieren. Das Dehydratisierungsprodukt ist


resonanzstabilisiert, da sich die α,β-Doppelbindung in Konjugation mit der Carbonylgruppe
befindet.

15.7.1.3 Eigenschaften der Hydroxycarbonsäuren


β-Hydroxycarbonsäuren dehydratisieren in saurem Medium sehr leicht, wobei die α,β-unge-
sättigte Carbonsäure entsteht. Die Abspaltung von Wasser geschieht deshalb so leicht, weil
dabei ein mesomeriestabilisiertes Produkt gebildet wird, in dem die C=C-Doppelbindung
und die C=O-Doppelbindung in Konjugation stehen.

O O O
H
R CH CH2 C R CH CH C R CH CH C
- H2O
O H O H O H
O H

α-Hydroxycarbonsäuren spalten beim Erhitzen intermolekular Wasser ab und bilden Lac-


tide. Der Name rührt her von der Milchsäure (Acidum lacticum), bei der die Lactidbildung
zuerst festgestellt wurde. Die Lactide bilden einen Dioxanring (2 Sauerstoffatome sind Be-
standteil eines 6-Ringes, siehe Abschnitt 12.5.1).
R OH HO O R O O
C C Δ C3 4 5 C
H H H
+ H 2 6C
C - 2 H2O C
C 1
O O R
O OH HO R
α-Hydroxy- α-Hydroxy- Lactid
säure säure (3,6-Dialkyl-1,4-dioxan-2,5-dion)

15.7.1.4 Milchsäure (CH3CH(OH)COOH) (2-Hydroxypropansäure)


Ein racemisches Gemisch der D- und L-Milchsäure entsteht bei der mit Streptococcus lactis
bzw. Lactobacillus lactis erfolgten Vergärung des Milchzuckers (der Lactose). Die D,L-
Milchsäure ist auch im Magensaft, in Sauerkraut, Bier, Wein und in sauren Gurken enthal-
ten. Die L-Milchsäure ist in tierischen Organen und in Muskeln in kleiner Konzentration zu
finden. Der Muskel hat im normalen Zustand 15–26 mg % L-Milchsäure (mg % = mg in
100 g Muskelgewebe). Im Muskel entsteht sie aus Brenztraubensäure CH3COCOOH (siehe
Abschnitt 21.6.7.6). Bei Kontraktur des Muskels kommt es zu einer Steigerung der Kon-
zentration der L-Milchsäure. Sie kann bei anstrengender Tätigkeit des Muskels bis 600 mg%
erreichen und ruft dann eine Muskelstarre hervor (z.B. Wadenkrämpfe nach zu großer An-
strengung und Muskelkater).
COOH COOH

H C OH HO C H

CH3 CH3
D-(–)-Milchsäure L-(+)-Milchsäure
2R-2-Hydroxypropansäure 2S-2-Hydroxypropansäure
15.7 Substitutionsderivate der Carbonsäuren 633

120 ° R-Form
COOH COOH
H COOH
Drehung um 120 ° um
H C OH H OH die eingezeichnete Achse HO
CH3 CH3
CH3

Fischer-Projektion räumliche Darstellung


= Bindung nach vorne
der D -Milchsäure der D -Milchsäure aus
nebenstehender Projektion = Bindung nach rückwärts

Bild 15.3 Ableitung der R- bzw. S-Form aus der Fischer-Projektion

Die Zugehörigkeit der D-Milchsäure zur R-Form kann man aus der Fischer Projektion
(siehe Abschnitt 8.6.1) auf folgende Weise ableiten: Man stelle sich vor, daß in der Fischer-
Projektion das asymmetrische Kohlenstoffatom in der Papierebene liegt, die Carboxy- und
die Methylgruppe sich unter der Papierebene befinden und der Wasserstoff links und die
Hydroxygruppe rechts vor der Papierebene sind. Dreht man das so räumlich fixierte Molekül
um eine in Papierebene liegende gedachte Achse um 120° (siehe Bild 15.3), daß das Wasser-
stoffatom (vom Betrachter weg) unter der Papierebene liegt, so erscheinen die verbleibenden
drei Gruppen vor der Papierebene, die Hydroxygruppe nunmehr links, die Carboxygruppe
rechts oben und die Methylgruppe rechts unten. Geht man nun nach der Sequenzregel von
Cahn, Ingold und Prelog (siehe Abschnitt 8.6.2.1) von der Hydroxygruppe, die die höchste
Priorität hat, zur Carboxygruppe mit der zweithöchsten Priorität und schließlich zur Methyl-
gruppe, so beschreibt man einen Bogen im Uhrzeigersinn. Definitionsgemäß entspricht dies
der R-Form.
Milchsäure wird als Zusatz für Limonaden verwendet. Als Rohstoffquelle für die Milch-
säureherstellung dient Kartoffel- oder Getreidestärke, welche durch die Diastase zu Maltose
gespalten wird. Diese wird durch den Lactobacillus delbrueckii zunächst weiter zu Glucose
gespalten und die Glucose dann zu Milchsäure vergoren. Die Salze der Milchsäure werden
als Lactate bezeichnet.

15.7.1.5 Äpfelsäure (2-Hydroxy-1,4-butandisäure)


In der Natur kommt nur die L-Äpfelsäure vor, man findet sie in unreifen Äpfeln, in Stachel-
beeren, in Vogelbeeren und der Berberitze. Die Salze der Äpfelsäure heißen Malate (lat.
malus = Apfel).

COOH

HO C H

H C H L-Äpfelsäure (2S-2-Hydroxy-1,4-butandisäure)
COOH
634 15 Carbonsäuren

15.7.1.6 Weinsäure (2,3-Dihydroxy-1,4-butandisäure)


Die L-(+)-Weinsäure (= (2R,3R)-(+)-2,3-Dihydroxybutandisäure) (Smt. 170°C) kommt so-
wohl frei als auch in Form ihrer Salze, die man Tartrate nennt, in vielen Früchten in der
Natur vor. Beim Stehen des Weines scheidet sich manchmal das Kaliumhydrogentartrat ab,
das als Weinstein (lat. tartarum) bezeichnet wird. Die D-Weinsäure findet man in Blättern
des Bauhinia-Strauches, der in Zentralafrika wächst. Ein racemisches Gemisch der D- und L-
Weinsäure heißt Traubensäure. Die Mesoweinsäure (siehe Abschnitt 8.7.1) kommt in der
Natur nicht vor und wird synthetisch durch Dihydroxylierung der Maleinsäure mit Kalium-
permanganat dargestellt.
1
COOH COOH COOH
2
H C OH HO C H H C OH
3
HO C H H C OH H C OH
4
COOH COOH COOH
L-Weinsäure D-Weinsäure Mesoweinsäure
(2R,3R)-(+)-Weinsäure (2S,3S)-(–)-Weinsäure

Traubensäure
Die Weinsäure dient als Konservierungsstoff für Eiweiß, Leim und Gelatine. Das als
Seignettensalz bezeichnete Kaliumnatriumtartrat ist, gelöst in Natronlauge, Bestandteil der
Fehling-II-Lösung (siehe Abschnitt 13.4.9.2).

15.7.1.7 Citronensäure (2-Hydroxy-1,2,3-propantricarbonsäure)


H2C COOH

HO C COOH

H2C COOH

Die Citronensäure bildet den Hauptbestandteil der Säuren in Zitronen, Orangen, Grapefruit,
Ananas, Erdbeeren, Johannis- und Preiselbeeren. Sie kann durch Vergärung von Kohlenhyd-
raten mit bestimmten Penicillium-Arten gewonnen werden oder nach Eindicken von Zitro-
nensaft, aus welchem sie in Form rhombischer Prismen als Monohydrat (Smt. 153°C) aus-
kristallisiert. Läßt man auf Citronensäure konzentrierte Schwefelsäure einwirken, erfolgt
eine Abspaltung von Wasser und Kohlenstoffmonoxid, und es entsteht die Acetondicarbon-
säure, welche leicht decarboxyliert und Aceton bildet.

H2C COOH H2C COOH CH3


konz. H2SO4 H
HO C COOH C O C O
- H2O, - CO - 2 CO2
H2C COOH H2C COOH CH3
Citronensäure Acetondicarbonsäure Aceton
15.7 Substitutionsderivate der Carbonsäuren 635

Zucker Lipide
O
Abbau Abbau
H3C C ~ SCoA H
Acetyl-CoA HSCoA + H
O C COO H C COO

H C COO HO C COO
H2O
H H C COO
Citronensäurecyclus
Oxalacetat H H2O
NADH + H
Citrat
H2O
H NAD H C COO

HO C COO C COO

H C COO H C COO
Bedeutung der Abkürzungen:
H H
L- Malat HSCoA = Coenzym A cis-Aconitat
FAD = Flavin-adenin-dinucleotid
FAD H2 = reduzierte Form des FAD H2O
GDP = Guanosindiphosphat - H2O
GTP = Guanosintriphosphat
H2O
H2O NAD+ = Nicotinamid-adenin-dinucleotid
NADH = reduzierte Form des H
Nicotinamid-adenin-dinucleotids
H C COO
HO C COO
OOC C H
H C COO
Fumarat
H C COO

FAD H2 H
Isocitrat
NAD
FAD

GTP NADH CO2


H GDP
+ HSCoA + anorg. + H
H C COO Phosphat HSCoA
NADH
H C COO + H + NAD O C COO
O C ~ SCoA
H H C H
H C H
Succinat CO2 H C COO
H C COO
H
H
α-Oxoglutarat
Succinyl-CoenzymA

Bild 15.4 Der Citronensäurecyclus


636 15 Carbonsäuren

Beim Erhitzen spaltet die Citronensäure Wasser ab und bildet die Aconitsäure, die ihren
Namen dem Vorkommen im blauen Eisenhut aconitum napellus verdankt.
H2C COOH HOOC CH
Erhitzen
HO C COOH C COOH
- H2O
H2C COOH H2C COOH
Aconitsäure

Die Citronensäure spielt in dem nach ihr benannten Citronensäurecyclus (auch Tricar-
bonsäurecyclus oder nach ihrem Entdecker Krebscyclus genannt) eine gewichtige Rolle
(siehe Bild 15.4).
Fette und Kohlenhydrate werden im Körper zum Acetyl-Coenzym A abgebaut, wobei die
für chemische Umsetzungen im Organismus und für Bewegungsabläufe notwendige Energie
gewonnen wird. Im Citronensäurecyclus erfolgt dann unter Abspaltung von CO2 der Abbau
des Acetyl-Coenzyms A. In diesem Cyclus reagiert das Acetyl-Coenzym A in einer aldol-
ähnlichen Reaktion mit Oxalacetat zunächst zum Citrat. In einer Reihe weiterer Reaktions-
schritte, zu denen auch zwei Reaktionsschritte mit einer Decarboxylierung zählen, wird das
Oxalacetat rückgebildet, das wiederum mit Acetyl-Coenzym A reagieren kann. Die einzel-
nen Reaktionsschritte werden von entsprechenden Enzymen des Citronensäurecyclus kataly-
siert. Die Gesamtbilanz des Abbaus von Acetyl-Coenzym A im Citronensäurecyclus läßt
sich auf folgende Weise ausdrücken:
O

H3C C ~ SCoA + 3 H2O 2 CO2 + 8 H + HSCoA

Wasserstoff wird im Citronensäurecyclus auf NAD+ und FAD übertragen und über die
Atmungskette (siehe Abschnitt 14.3.2) mit Sauerstoff zur Reaktion gebracht.

15.7.2 Oxocarbonsäuren

Carbonsäuren, die außer der Carboxygruppe auch eine Carbonylgruppe im Molekül haben,
werden als Oxocarbonsäuren oder Ketocarbonsäuren – oder einfach Oxosäuren – bezeichnet.
Durch griechische Buchstaben wird angegeben, ob Keto- und Carboxygruppe benachbart
(α-Stellung) oder durch einen (β-Stellung) oder mehrere Kohlenstoffe in der Kohlen-
stoffkette voneinander getrennt sind. Die Carbonylgruppe in Oxocarbonsäuren reagiert
ähnlich wie bei Aldehyden und Ketonen. Zum Beispiel werden mit Hydroxylamin Oxime
und mit Phenylhydrazin Phenylhydrazone gebildet.

15.7.2.1 α-Oxocarbonsäuren
Die Brenztraubensäure (2-Oxopropansäure) (Smt. 12°C, Sdt. 165°C) ist die wichtigste
α-Oxocarbonsäure. Ihr Name leitet sich von der Traubensäure (siehe Abschnitt 15.7.1.6) ab,
aus der sie durch Destillation mit KHSO4 gewonnen werden kann.
15.7 Substitutionsderivate der Carbonsäuren 637

H H COOH
Keto-Enol-
HO C COOH KHSO C Tautomerie H2C COOH CH3
4
- H 2O - CO2
HO C COOH C C C
HO COOH O COOH O COOH
H
Weinsäure Brenztraubensäure
Die Brenztraubensäure decarboxyliert bei Erwärmen mit verdünnter Schwefelsäure,
O
O
verdünnte H2SO4
H3C C COOH H3C C + CO2
H
Brenztraubensäure Acetaldehyd
und sie decarbonyliert (CO wird abgespalten) bei Erhitzen mit konzentrierter Schwefelsäure.
O
O
konz. H2SO4
H3C C COOH H3C C + CO
OH
Brenztraubensäure Essigsäure
Die Brenztraubensäure ist ein Abbauprodukt der Glycolyse (siehe Abschnitt 21.6.7.6) und
ein Zwischenprodukt bei der alkoholischen Gärung.

15.7.2.2 β-Oxocarbonsäuren
β α
β-Oxocarbonsäuren R CO CH2 COOH sind unbeständig, sie decarboxylieren sehr
leicht (siehe Abschnitt 15.4.5.2). Eine β-Oxocarbonsäure ist z.B. die Acetessigsäure
(3-Oxobutansäure). Von Bedeutung ist ihr Ethylester, der für viele Synthesen zu gebrauchen
ist. Er kann aus dem Ethylacetat (Essigsäureethylester, Ethylethanoat) mit Hilfe der Claisen-
Esterkondensation synthetisiert werden.

15.7.2.3 Die Claisen-Esterkondensation


Die Claisen-Esterkondensation dient ganz allgemein zur Darstellung der β-Oxocarbonsäure-
ester. Mit Ihrer Hilfe kann man z.B. aus Ethylacetat den Acetessigsäureethylester (Ethyl-3-
oxobutanoat) synthetisieren. Man erhitzt Ethylacetat (Essigsäureethylester, Ethylethanoat)
CH3–COO–CH2–CH3 in Gegenwart von Natriumethanolat, metallischen Natrium oder
Natriumamid, wobei basisch katalysiert die Kondensation zweier Moleküle des Esters unter
Bildung des Acetessigsäureethylesters (Ethyl-3-oxobutanoat) erfolgt.
O
O CH3CH2O O
O H3C C CH2 C + HO CH2CH3
H2C C
H3C C O CH2CH3 O CH2CH3
O CH2CH3 H

Essigsäurethylester Acetessigsäureethylester Ethanol


638 15 Carbonsäuren

Durch Abdestillieren des Ethanols kann die Ausbeute des Acetessigsäureethylesters er-
höht werden.
Der Reaktionsmechanismus der Claisen-Kondensation des Ethylacetats läßt sich bei Ka-
talyse mit Natriumethanolat wie folgt beschreiben. Im Ethylacetat bewirkt die positive Teil-
ladung am Kohlenstoffatom der Carbonylgruppe die Polarisierung der C–H-Bindung der
benachbarten Methylgruppe und damit die Acidität des α-Wasserstoffs. Das Ethanolat-Ion
bindet als starke Base das aus der Methylgruppe –CH3 abgespaltene Proton. Bei der Reaktion
entsteht ein mesomeriestabilisiertes Produkt, das Natriumenolat des Essigsäureethyl-
esters, und außerdem auch Ethanol.

O O O

H2C C O CH2CH3 H2C C O CH2CH3 H2C C O CH2CH3

H Na + HOCH2CH3
O CH2CH3
Na
Natriumenolat des Essigsäureethylesters
Im weiteren erfolgt eine Additions-Eliminierungs-Reaktion (SN2t-Reaktion). Das Enolat-
ion des Essigsäureethylesters ist ein starkes Nucleophil, das sich an das C-Atom der Car-
bonylgruppe des Essigsäureethylesters anlagern kann.

O O O Na O O

H3C C + H2C C O C2H5 H 2C C O C2H5 H3C C CH2 C O C2H5

O Na O
C2H5 C2H5
Essigsäurethyl- Natriumenolat des Essigsäurethylesters tetraedrisches Zwischenprodukt
ester
Unter Abspaltung des Ethanolations wird die Carbonylfunktion regeneriert, wobei der
Acetessigsäureethylester und Natriumethanolat gebildet werden.

Na O O O O

H3C C CH2 C O C2H5 H3C C CH2 C O C2H5 + C2H5 O Na

O
C2H5
Acetessigsäureethylester Natriumethanolat
Der Acetessigsäureethylester wird mit Natriumethanolat zu einem Salz, dem Natrium-
acetessigsäureethylester, umgesetzt. Die Methylengruppe des Acetessigsäureethylesters be-
findet sich in Nachbarschaft zweier Ketogruppen, die beide einen –I-Effekt ausüben. Aus der
Methylengruppe, deren C–H-Bindung dadurch stark polarisiert ist, kann deshalb ein Proton
abgespalten werden, das vom Ethanolat-Ion des Natriumethanolats, das eine starke Base ist,
gebunden wird. Es entsteht der mesomeriestabilisierte Natriumacetessigsäureethylester und
Ethanol. Verbindungen, wie der Acetessigsäureethylester, die eine so polare C–H-Bindung
15.7 Substitutionsderivate der Carbonsäuren 639

besitzen, daß sie in Anwesenheit einer Base ein Proton abspalten, bezeichnet man als
C-Säuren.

O H O O H O O H O

H3C C C C O C2H5 H3C C C C O C2H5 H3C C C C O C2H5

H
O C2H5 Na + H O C2H5
Na
Natriumacetessigsäureethylester

Der Acetessigsäureethylester kann aus dem Natriumacetessigsäureethylester durch Zuga-


be von Eis und verdünnter Salzsäure wieder freigesetzt werden.

O H O O H O O H O
HCl
H3C C C C O C2H5 H3C C C C O C2H5 H3C C C C O C2H5

Na H + NaCl
Natriumacetessigsäureethylester Acetessigsäureethylester

15.7.2.4 Der Acetessigsäureethylester und seine Reaktionen


Der Acetessigsäureethylester ist eine angenehm riechende Flüssigkeit (Smt. –39°C, Sdt.
180°C).
Keto-Enol-Tautomerie. Die Ketoform des Acetessigsäureethylesters ist im Gleichgewicht
mit der Enolform (Keto-Enol-Tautomerie). Der prozentuale Anteil der Enolform ist relativ
hoch, ungelöst befinden sich 7,5 % des Acetessigsäureethylesters in der Enolform, bei
18°C gelöst in Wasser liegen 0,4 %, in Ethanol 10,5 % und in Hexan 46 % des Esters in
der Enolform vor. Die Enol-Form hat im Acetessigsäureethylester deshalb einen hohen
Anteil, weil der –I-Effekt der beiden Carbonylgruppen eine leichte Abspaltung des Protons
aus der Methylengruppe der Keto-Form zur Folge hat, die Enol-Form ein konjugiertes
System von Doppelbindungen besitzt und durch Bildung einer intramolekularen Wasser-
stoffbrücke stabilisiert wird.
H
O O O O

C C C2H5 C C C2H5
H3C CH2 O H3C CH O

Ketoform Enolform
des Acetessigsäureethylesters
Das Vorliegen der Enol-Form des Acetessigsäureethylesters kann mit FeCl3 nachgewie-
sen werden. Eisenchlorid bildet mit Verbindungen, die die Enol-Gruppierung R2C=C(OH)R
aufweisen, einen roten Eisen(III)-Enolat-Komplex.
Alkylierung. Das Enolat-Anion des Acetessigsäureethylesters ist ein starkes Nucleophil. Läßt
man Natriumacetessigsäureethylester mit einem Alkylhalogenid reagieren, erhält man über
640 15 Carbonsäuren

eine SN2-Reaktion das Monoalkylderivat des Acetessigsäureethylesters, das Ethyl-2-alkyl-3-


oxobutanoat.

CH3 CH3 H CH3


H
O C O C H C Br C
O C H
Na C C R C R + Na + Br

O C H O C H O C H

OC2H5 OC2H5 OC2H5


Enolat-Anion des Acetessigsäureethylesters Ethyl-2-alkyl-3-oxobutanoat

Der monoalkylierte Acetessigsäureethylester ist, ebenso wie der Acetessigsäureethyl-


ester, eine C-Säure und kann mit Natriumethanolat zum Natriumsalz umgesetzt werden. Die-
ses kann mit einem Alkylhalogenid reagieren, wobei das Dialkylderivat des Acetessigsäure-
ethylesters, das Ethyl-2,2-dialkyl-3-oxobutanoat, entsteht. Hierbei handelt es sich ebenfalls
um eine SN2-Reaktion, bei der das Enolat-Anion als Nucleophil das Alkylhalogenid angreift.
CH3 CH3 H CH3
O C O C H C Br C
CH2R CH2R O CH2R
Na C C R C + Na Br

C C CH2R
O O O C
OC2H5 OC2H5 OC2H5

monosubstituierter disubstituierter
Natriumacetessigsäureethylester Acetessigsäureethylester

Acylierung. Bei der Reaktion des Enolat-Anions des Acetessigsäureethylesters mit einem
Säurechlorid, kann man je nach Reaktionsbedingungen ein C-Acylderivat oder ein O-Acyl-
derivat in Form eines Enolesters erhalten. Führt man die Reaktion in benzolischer Lösung
und in Gegenwart von Mg durch, so erhält man das C-Acylderivat, das Ethyl-2-acyl-3-
oxobutanoat.

CH3 CH3 Cl CH3 CH3


O C O C H C O O C Cl O C
H O
C C R HC C O HC C
- Cl R
O C O C O C R O C
OC2H5 OC2H5 OC2H5 OC2H5
Enolat-Anion des Acetessigsäureethylesters Ethyl-2-acyl-3-oxobutanoat

Läßt man hingegen das Säurechlorid mit dem Enolat-Anion des Acetessigsäureethyl-
esters in Pyridin als Lösungsmittel reagieren, so erhält man den Enolester des Acetessig-
säureethylesters.
15.7 Substitutionsderivate der Carbonsäuren 641

CH3 CH3 O CH3


Cl O C O C H R C O C
H
Pyridin
O C + C C C H
- Cl
R O C O C O C
OC2H5 OC2H5 OC2H5
Enolat-Anion des Enolester des
Acetessigsäureethylesters Acetessigsäureethylesters
Hydrolytische Spaltung. Die Hydrolyse von β-Oxocarbonsäureestern mit Basen kann, je
nach der Konzentration der Base, zu verschiedenen Produkten führen. Mit verdünnten Säu-
ren oder Basen erfolgt bei Erwärmen zunächst die Hydrolyse des Esters, worauf die bei der
Hydrolyse entstandene Oxosäure decarboxyliert (siehe Abschnitt 15.4.5.2) und das entspre-
chende Keton entsteht. Man bezeichnet dies als Ketospaltung des β-Oxocarbonsäureesters.
Zum Beispiel:

O O O O O
H2O/H oder OH
C C C2H5 C C H C + CO2
H3C CH2 O - HOC2H5 H3C CH2 O H3C CH3

Bei Erhitzen mit starken Basen erfolgt die Säurespaltung des β-Oxocarbonsäureesters.
Die Reaktion kommt einer Umkehrung der Claisen- Kondensation gleich. Z.B. entstehen aus
einem Äquivalent Acetessigsäureethylester mit konzentrierter Natronlauge zwei Äquivalente
Natriumacetat.

O O O

C C C2H5 + 2 NaOH 2 C + H O C2H5


H3C CH2 O H3C O Na

Bei der Säurespaltung des Acetessigsäureethylesters erfolgt zunächst der nucleophile


Angriff des Hydroxid-Ions an der Ketogruppe dieses Esters. Das tetraedrische Zwischenpro-
dukt spaltet das Carbanion des Essigsäureethylesters ab.

O O O O
O
O
C C C2H5 C C2H5 C C2H5
H3C CH2 O H3C C CH2 O H3C C + CH2 O
O H
O O
H H
Acetessigsäureethylester tetraedrisches Essigsäure Carbanion des
Zwischenprodukt Essigsäure-
ethylesters
Die freie Säure reagiert mit der Base und bildet ein Salz.
642 15 Carbonsäuren

Na O
O
H3C C + O H H3C C + H2O
O H O Na

Das Carbanion des Essigsäureethylesters entreißt einem Wassermolekül ein Proton, und
es entsteht das Ethylacetat. Mit der Base tritt eine Verseifung des Esters ein, und es wird das
Salz der Essigsäure und Ethanol gebildet.

O O O O
H H
O H
C C2H5 C C2H5 C + HO C2H5
CH2 O H3C O H 3C O
-H O
Übungsaufgaben 643

Übungsaufgaben

? 15.1
Benennen Sie mit Trivialnamen die folgenden Verbindungen
HCOOH CH3COOH CH3(CH2)2COOH CH3(CH2)8COOH

a) b) c) d)

CH3(CH2)10COOH CH3(CH2)12COOH CH3(CH2)14COOH CH3(CH2)16COOH

e) f) g) h)

CH3(CH2)4 (CH2)7COOH
CH3(CH2)7 (CH2)7COOH CH2
C C C C C C
H H
H H H H

i) j)

COOH COOH

COOH

k) l)

? 15.2
Ergänzen Sie die Reaktionsgleichung:
konz. H 2SO 4/CH 3COOH/ konz. H 2SO 4/CH 3COOH/
Wasser 1:1:1, erhitzen Wasser 1:1:1, 1 h
unter Rückfluß erhitzen unter Rückfluß
R C N

? 15.3
Beschreiben Sie ganz allgemein den Additions-Eliminierungsmechanismus (SN2t-Mechanis-
mus) bei Carbonsäurederivaten (benutzen Sie dabei für das Nucleophil die Abkürzung Nu
und für die Abgangsgruppe L). Setzen Sie bei der Reaktion ein Nucleophil mit negativer
Ladung ein.

? 15.4
Ergänzen Sie die Reaktionsgleichung:
Einige Stunden
erhitzen, H
RCOOH + R'OH
644 15 Carbonsäuren

? 15.5
Beschreiben Sie den Reaktionsmechanismus der sauer katalysierten Veresterung einer Car-
bonsäure mit einem Alkohol.

? 15.6
Wie reagiert eine Carbonsäure mit Thionylchlorid? Schreiben Sie die Reaktionsgleichung
auf.

? 15.7
α-Oxocarbonsäuren und β-Oxocarbonsäuren decarboxylieren bei Erhitzen relativ leicht. Was
ist der Grund dafür?

? 15.8
Ergänzen Sie die Reaktionsgleichung der Kolbe-Elektrolyse:
Elektrolyse
2 RCOO Na + 2 H 2O

? 15.9
Benennen Sie mit Trivialnamen die folgenden Dicarbonsäuren:
a) Ethandisäure, b) Propandisäure, c) Butandisäure, d)Pentandisäure und e) Hexandisäure.

? 15.10
Was entsteht, wenn man Bernsteinsäure erhitzt und das Reaktionsprodukt mit NH3 reagieren
läßt? Schreiben Sie die Reaktionsgleichungen auf.

? 15.11
Succinimid wird bei 0°C in Natronlauge gelöst und in Tetrachlormethan gelöstes Brom hin-
zugefügt. Schreiben Sie die Reaktionsgleichung der Reaktion auf.

? 15.12
Wie verhalten sich Maleinsäure und Fumarsäure, wenn man sie erhitzt?

? 15.13
Was geschieht mit α-Hydroxycarbonsäuren beim Erhitzen?

? 15.14
a) Schreiben Sie die Formel der Citronensäure und in Fischerprojektion die Formeln der L-
Weinsäure, der D-Weinsäure und der Mesoweinsäure auf.
b) Was ist Traubensäure?
c) Wie heißen die Salze der Weinsäure und der Citronensäure?
Übungsaufgaben 645

? 15.15
a) Schreiben Sie die Gleichung für die Claisen-Esterkondensation des Essigsäureethylesters
auf und
b) beschreiben Sie den Reaktionsmechanismus der Claisen-Esterkondensation am Beispiel
des Essigsäureethylesters.

? 15.16
a) wie verhält sich Acetessigsäureethylester beim Erwärmen mit verdünnten Säuren oder
Basen?
b) welche Reaktion erfolgt mit Acetessigsäureethylester bei Erhitzen mit starker Lauge?
646 15 Carbonsäuren

Lösungen

! 15.1
Die Trivialnamen der Carbonsäuren:

HCOOH CH3COOH CH3(CH2)2COOH CH3(CH2)8COOH

a) Ameisensäure b) Essigsäure c) Buttersäure d) Caprinsäure

CH3(CH2)10COOH CH3(CH2)12COOH CH3(CH2)14COOH CH3(CH2)16COOH

e) Laurinsäure f ) Myristinsäure g) Palmitinsäure h) Stearinsäure

CH3(CH2)4 (CH2)7COOH
CH3(CH2)7 (CH2)7COOH CH2
C C C C C C
H H
H H H H

i) Ölsäure j) Linolsäure

COOH COOH

COOH

k) Benzoesäure l) Phthalsäure

! 15.2
Erhitzt man Nitrile mit Schwefelsäure wird zunächst das Carbonsäureamid als Zwischen-
produkt gebildet, das dann zur entsprechenden Carbonsäure weiter hydrolysiert wird (Reak-
tionsmechanismus siehe Kapitel 15.3.2.4):

konz. H 2SO 4/CH 3COOH/ konz. H 2SO 4/CH 3COOH/


Wasser 1:1:1, erhitzen O Wasser 1:1:1, 1 h O
unter Rückfluß erhitzen unter Rückfluß
R C N R C R C
NH2 OH
Lösungen 647

! 15.3
Die Additions-Eliminierungs-Reaktionen an Carbonsäurederivaten kann auch als SN2t-Reak-
tion betrachtet werden, wobei das Symbol S für Substitution, N für nucleophil, 2 für bimole-
kular und t für tetraedrisch stehen. Der erste geschwindigkeitsbestimmende Schritt, an dem
sowohl das Nucleophil, als auch das Substrat beteiligt sind, führt zu einem tetraedrischen
Zwischenprodukt und im zweiten Reaktionsschritt erfolgt das Lösen der Abgangsgruppe.

O O
O

Nu C L Nu C L Nu C + L
R R
R

(Nu = Nucleopohil, L= Leaving group = Abgangsgruppe)

! 15.4
Die Veresterung von Carbonsäuren mit Alkoholen erfolgt mit saurer Katalyse durch mehr-
stündiges Erhitzen der Reaktanten:

O O
H
R C + H O R' R C + H2O
O H O R'

Carbonsäure Alkohol Ester

! 15.5
Bei der sauer katalysierten Veresterung eines Alkohols mit einer Carbonsäure erfolgt zuerst
die Protonierung des Carbonylsauerstoffes der Carbonsäure, wodurch die positive Teilladung
am Carbonylkohlenstoff erhöht wird und so die Addition des relativ schwachen Nucleophils
Alkohol ermöglicht wird. Es wird die tetraedrische Oxoniumdiol-Verbindung gebildet:

H
H
O
O H O H O H O H H
O R'
R C R C R C R C R C O
O H O H O H O H R'
O
H
Carbonsäure Dihydroxycarbeniumion Oxoniumdiol-
Verbindung
648 15 Carbonsäuren

Im weiteren Reaktionsschritt erfolgt eine Deprotonierung der Oxoniumdiol-Verbindung und


im sauren Medium wird der Sauerstoff einer Hydroxylgruppe des Orthocarbonsäuremono-
esters protoniert und die H2O+-Gruppe, die eine gute Abgangsgruppe darstellt, abgespalten.

H H H H
sp2-hybridisiert
O H O O
–H H – H 2O
R C O R C O R' R C O R' R C O R' R C O R'
R'
O O O O O
H H H H H
Oxoniumdiol- Orthocarbonsäure- Carboxoniumion
Verbindung monoester

Die positive Teilladung am Sauerstoff des Carboxoniumions verstärkt die Polarisierung der
O-H-Bindung und es erfolgt eine Deprotonierung unter Bildung des Carbonsäureesters.

R C O R' R C O R' R C O R' + H

O O O

H H
Carboxoniumion Carbonsäureester

Es ist zu beachten, dass alle Teilschritte der Reaktion umkehrbar sind. Unter Zugabe von
Wasser und Erwärmen wird der gesamte Vorgang umgekehrt, es erfolgt die Hydrolyse des
Esters.

! 15.6
Mit Thionylchlorid SOCl2 reagiert die Carbonsäure unter Bildung des Carbonsäurechlorids.
Außer dem Carbonsäurechlorid entstehen nur gasförmige Produkte, die aus dem Reaktions-
raum entweichen und das überschüssige Thionylchlorid kann (Siedetemperatur 76°C) leicht
aus dem Reaktionsraum abdestilliert werden, so dass eine nachfolgende Reinigung des Pro-
dukts erspart bleibt.

O O
R C + SOCl2 R C + HCl + SO2
OH Cl
Lösungen 649

! 15.7
Carbonsäuren, die in α-Stellung zur Carboxylgruppe eine Gruppe mit starkem -I-Effekt
haben, decarboxylieren relativ leicht. Der –I-Effekt begünstigt die Dissoziation der Carbon-
säure und trägt auch zur Polarisierung der C-C-Bindung zwischen dem Kohlenstoffatom
der Carboxylgruppe und dem zu ihr α-ständigem Kohlenstoffatom bei, wodurch die Decar-
boxylierung erleichtert wird (siehe Kapitel 15.4.5.1). Dies erklärt die relativ leichte Decar-
boxylierung der α-Oxocarbonsäuren, denn sie haben eine Carbonylgruppe in α-Stellung zur
Carboxylgruppe, die einen –I-Effekt ausübt. Die Decarboxylierung der β-Oxocarbonsäuren
verläuft über einen cyclischen Übergangszustand, der durch eine intramolekulare Wasser-
stoffbrücke zwischen dem Sauerstoffatom der β-ständigen Carbonylgruppe und dem Was-
serstoffatom der Carboxygruppe gefestigt wird.

H H H O
O O O O O
+ C
C C C C C
R C O R C O R C H O
H H H H
H
β-Oxocarbonsäure Enol

Die Enolform befindet sich im Reaktionsgleichgewicht mit der Ketoform, die bevorzugt
gebildet wird, das Produkt ist ein Methylketon.

H
O
O
Keto-Enol-Tautomerie
C
C H
R C
R C H
H
H
H
Enol Methylketon

! 15.8
Die Elektrolyse von Carbonsäuresalzen in methanolisch-wäßriger Lösung wird als Kolbe-
Elektrolyse bezeichnet. Bei der Anodenreaktion erfolgt eine radikalische Decarboxylierung
wobei ein Alkan entsteht (Reaktionsmechanismus siehe Kapitel 2.7.3.2).

Elektrolyse
2 RCOO Na + 2 H 2O R R + 2 CO2 + 2 NaOH + H2

Anode Kathode
650 15 Carbonsäuren

! 15.9
Die Trivialnamen der ersten fünf Dicarbonsäuren:

HOOC-COOH HOOC-CH2-COOH HOOC-(CH2)2-COOH

a) Oxalsäure b) Malonsäure c) Bernsteinsäure

HOOC-(CH2)3-COOH HOOC-(CH2)4-COOH

d) Glutarsäure e) Adipinsäure

! 15.10
Erhitzt man Bernsteinsäure, so tritt eine Wasserabspaltung ein und es entsteht Bernsteinsäu-
reanhydrid. Läßt man dieses mit NH3 reagieren, so entsteht zunächst das Monoamid der
Bernsteinsäure und dann das Succinimid.

O O O

Δ
H2C COOH H2C C NH3 H2C C – H2 O H2C C
NH2
O NH
OH
H2C C H2C C H2C C
H2C COOH
O O O
Bernsteinsäure Bernsteinsäureanhydrid Monoamid der Bernsteinsäure Succinimid

! 15.11
Löst man Succinimid bei 0°C in Natronlauge und gibt in Tetrachlormethan gelöstes Brom
hinzu, entsteht das N-Bromsuccinimid.

O O
H 2C C H2C C
N H + Br Br + NaOH N Br + NaBr + H 2O
H2C C H2C C
O O

Succinimid N-Bromsuccinimid

Mit N-Bromsuccinimid kann man ein in Allyllstelung befindliches Wasserstoffatom durch


Brom ersetzen (radikalische Substitution in Allylstellung).
Lösungen 651

! 15.12
Die Fumarsäure sublimiert bei 200°C. Die Maleinsäure bildet schon bei mäßigem Erhitzen
Maleinsäureanhydrid.

O
O
C
HC OH HC C
O + H2O
HC OH
C HC C
O
O
Maleinsäure Maleinsäureanhydrid

! 15.13
α-Hydroxycarbonsäuren spalten bei Erhitzen Wasser ab und bilden Lactide:

R OH HO O R
O O
4
H
C C Δ C3 5C
+ H H
H – 2 H 2O C
2 6
C
C C 1
O O
O OH HO R R

α-Hydroxycarbonsäuren Lactid
3,6-Dialkyl-1,4-dioxan-2,5-dion

Bestandteil der Lactide ist ein Dioxanring (Nomenklatur Sauerstoffhaltiger Heterocyclen


siehe Kapitel 12.5.1)

! 15.14
a) die chemischen Formeln der Citronensäure, der L- und D-Weinsäure und der Mesowein-
säure:
1
COOH COOH COOH
H 2C COOH 2
H C OH HO C H H C OH
HO C COOH 3
HO C H H C OH H C OH
H 2C COOH 4
COOH COOH COOH
Citronensäure L-Weinsäure D-Weinsäure Mesoweinsäure

b) Traubensäure heißt ein racemisches Gemisch der D- und L-Weinsäure


c) Die Salze der Citronensäure heißen Citrate und die der Weinsäure Tartrate
652 15 Carbonsäuren

! 15.15
a) Die Reaktionsgleichung der Claisen-Esterkondensation des Ethylacetats:
O
O CH3CH2O O
O H3C C CH2 C
+ HO CH2CH3
H 2C C
H 3C C O CH2CH3 O CH2CH3
O CH2CH3 H

Essigsäureethylester Acetessigsäureethylester

b) Die Claisen-Kondensation erfolgt unter Katalyse mit Natriumethanolat als starker Base.
Ethylacetat hat die Eigenschaften einer C-Säure. Die Carbonylgruppe bewirkt durch ihren
–I-Effekt die Polarisierung der benachbarten Methylgruppe, die ein Proton abspaltet, das
vom Ethanolation gebunden wird.

Im nächsten Schritt erfolgt die nucleophile Addition des Enolations des Essigsäureethylesters
an die Carbonylgruppe des Essigsäureethylesters unter Bildung eines tetraedrischen Zwi-
schenprodukts

O O O Na O O

H 3C C + H2 C C O C 2H 5 H2C C O C 2H5 H3C C CH2 C O C2H5

O Na O
C2H 5 C 2H5

Essisäure- Natriumenolat des tetraedrisches


ethylester Essigsäureethylesters Zwischenprodukt

Unter Abspaltung des Ethanolations wird der Acetessigsäureethylester gebildet.

Na O O O O

H3C C CH2 C O C 2H 5 H3C C CH2 C O C 2 H 5 + C 2H 5 O Na

O
C 2H 5 Acetessigsäureethylester Natriumethanolat
Lösungen 653

! 15.16
a) Mit verdünnten Säuren oder Laugen erfolgt bei β-Oxocarbonsäureestern die Ketospal-
tung. Der Acetessigsäureethylester wird bei Erwärmen mit verdünnter Säure oder Lauge
zunächst hydrolysiert, worauf (siehe Abschnitt 15.4.5.2) eine Decarboxylierung eintritt
und Aceton gebildet wird.
O O O O O
H 2O / H
C C C 2H 5 C C H C + CO2
H 3C CH2 O H3 C CH2 O H 3C CH3

Acetessigsäureethylester Acetessigsäure Aceton

b) Bei Erhitzen mit starken Basen erfolgt bei β-Oxocarbonsäureestern die Säurespaltung
(Reaktionsmechanismus siehe Kapitel 15.7.2.4)
O O O

C C C2H5 + 2 NaOH 2 C + H O C2 H5
H 3C CH2 O H3C O Na

Acetessigsäureethylester Natriumacetat Ethanol


16 Seifen und synthetische Waschmittel
Seifen sind die Natrium- oder Kaliumsalze höherer Fettsäuren. Sie sind die ältesten Wasch-
mittel (Hinweis auf sumerischen Tontäfelchen 2500 v. Chr.), die man durch Verkochen von
Pflanzenölen mit Pottasche herstellte. Die Natriumsalze höherer Fettsäuren sind fest, sie
werden als Kernseife und die Kaliumsalze, welche eine schmierige Konsistenz haben, als
Schmierseife bezeichnet.

16.1 Verfahren zur Seifenherstellung


Seifen können durch Verseifung von Fetten, die im wesentlichen aus Triglyceriden bestehen,
gewonnen werden. Triglyceride sind Triester des dreiwertigen Alkohols Glycerin mit höhe-
ren Fettsäuren.

O O

H2C O C R1 Na O C R1
O H 2C O H O

HC O C R2 + 3 NaOH HC O H + Na O C R2
O O
H 2C O H
H2C O C R3 Na O C R3

Die industrielle Herstellung von Seifen durch Verseifung von Fetten wird als Seifen-
sieden bezeichnet. Minderwertige Fette werden mit Natron- oder Kalilauge einige Stunden
erhitzt. Man erhält einen dickflüssigen „Seifenleim“. Erfolgt die Verseifung mit Natron-
lauge, so wird durch Zugabe von Natriumchlorid die Löslichkeit der Seifen herabgesetzt, und
man erhält den „Seifenkern“ und eine wäßrige Unterlauge, in der sich das bei der Verseifung
freigesetzte Glycerin befindet. Der Seifenkern wird getrocknet und nach Zusatz von Farb-
und Duftstoffen zu Seifenstücken gepreßt. Nach einem neueren Verfahren werden die Fette
in Druckkesseln mit Wasserdampf bei 180°C hydrolysiert. Die freien, in Wasser nur schwer-
löslichen Fettsäuren lassen sich nach Abkühlen leicht von der Glycerinlösung abtrennen und
können mit Natronlauge oder Natriumcarbonat zu Seifen verarbeitet werden. Die für die Sei-
fenherstellung notwendigen Fettsäuren gewinnt man auch durch Flüssigphasen-Oxidation
von n-Paraffinen mit Mn-Salzen als Katalysator.

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 654


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_16, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
16.2 Eigenschaften der Seifen in wäßriger Lösung 655

16.2 Eigenschaften der Seifen in wäßriger Lösung

16.2.1 Lösen von Seife in Wasser

Das Carbonsäureanion der Seifen besteht aus dem – eine lange hydrophobe Kette bildenden
– Alkylrest und der hydrophilen Carboxylatgruppe –COO–. Löst man Seife in Wasser, er-
folgt bei geringer Seifenkonzentration zunächst eine Anreicherung der Seifenionen an der
Phasengrenze Wasser/Luft. Die Carbonsäureanionen der Seife sind an der Grenzfläche so
orientiert, daß ihre hydrophoben Alkylreste in die Luft weisen, während die hydrophilen
Carboxylatgruppen in das Wasser tauchen. Bei weiterem Lösen der Seife erfolgt in der wäß-
rigen Phase eine Zusammenballung von Carbonsäureanionen zu Micellen. Die kugelförmi-
gen Micellen bestehen aus etwa 100 Carbonsäureanionen und haben die Größe kolloidaler
Teilchen. Die hydrophoben Ketten der Alkylreste lagern sich bei der Micellbildung mit ihren
Enden aneinander, so daß sie, ihrem hydrophoben Charakter entsprechend, die Berührung
mit Wasser möglichst vermeiden. Die polaren Carboxylat-Kopfgruppen bilden in der Micelle
zum Wasser hin einen kugelförmigen Wall, der die Alkylreste einschließt. Die Anwesenheit
von Micellen kann man mit dem Tyndall-Kegel nachweisen. Schickt man durch die Seifen-
lösung einen Lichtstrahl, erfolgt eine Streuung des Lichts durch Reflexion an den Micellen,
und man kann seitlich einen Lichtkegel beobachten.

Luft

C C C C C C
O O- O O- O O- O O- O O- O O-

O O-
O

C Wasser
O

C
O
C

-
O

O-
O-

Micelle
C

C
-O

- O
O

O
C
C

H
C
O
O-

= O
O O-
H

Bild 16.1 Seife in Wasser, Orientierung der Carbonsäureanionen


656 16 Seifen und synthetische Waschmittel

16.2.2 Grenzflächenspannung des Wassers

Im Wasser ziehen sich die Wassermoleküle infolge ihres Dipolcharakters gegenseitig an


und bilden untereinander Wasserstoffbrücken. An der Phasengrenze Wasser/Luft wirken
die Anziehungskräfte zwischen den Wassermolekülen nur seitlich und nach innen, nicht
aber zur Gasphase hin. Der starke Zusammenhalt der Wassermoleküle untereinander be-
wirkt die Oberflächenspannung des Wassers. Ein leichter Gegenstand mit hydrophober
Oberfläche sinkt nicht, auch wenn seine Dichte größer als die des Wassers ist. Legt man
z.B. eine eingefettete Rasierklinge vorsichtig flach auf das Wasser, geht sie nicht unter.
Um die Grenzfläche des Wassers zu durchdringen, müßte der Gegenstand den Zu-
sammenhalt der Wassermoleküle überwinden. Eine Grenzflächenspannung des Wassers
liegt nicht nur an der Phase Wasser/Luft vor, auch an der Grenzfläche Feststoff/Wasser
tritt sie auf, z.B. an der Grenzfläche Textilfaser/Wasser. Sie bedingt die schlechte Benetz-
barkeit der Textilfaser.

16.2.3 Tensidwirkung der Seife

Die Carbonsäureanionen der Seife stehen in der Seifenlösung an der Grenzfläche Wasser/
Luft parallel zueinander. Sie trennen Wassermoleküle voneinander, verhindern dadurch
deren Zusammenhalt und stoßen sich infolge der gleichnamigen Ladungen ihrer in das Was-
ser tauchenden –COO–-Gruppen ab. Die Grenzflächenspannung des Wassers wird dadurch
erheblich herabgesetzt. Stoffe, die die Grenzflächenspannung herabsetzen, werden als Tensi-
de bezeichnet.

16.2.4 Der Waschprozeß

Die Grenzflächenspannung des Wassers wird in Seifenlösungen nicht nur an der Phasen-
grenze Wasser/Luft, sondern auch an anderen Phasengrenzen z.B. Textilfaser/Wasser herab-
gesetzt. Die Carbonsäureanionen lagern sich mit ihrem hydrophoben Alkylrest an die Ober-
fläche der Textilfaser an, während die Carboxylatgruppe –COO– in das Wasser taucht und
damit die Benetzbarkeit der Textilfaser vermittelt. Die hydrophoben Alkylreste des Carbon-
säureanions lagern sich ebenfalls an die Oberfläche der hydrophoben Schmutzteilchen an
(z.B. Öltröpfchen), wobei die polaren Carboxylatgruppen zum Wasser hin orientiert sind.
Sowohl die Schmutzteilchen, als auch die Textilunterlage sind dann von negativen Ladungs-
trägern umgeben und die gegenseitige Abstoßung der gleichnamigen Ladungsträger ermög-
licht das Ablösen der Schmutzteilchen.
Die gleichgeladenen, die Schmutzteilchen umgebenden Anionenhüllen stoßen sich ge-
genseitig ab. Öltröpfchen werden zu kleineren Tröpfchen zerteilt (dispergiert). Die gleich-
namige Ladung der Oberfläche verhindert, daß sich die kleinen Tröpfchen untereinander
wieder zusammenballen, so daß die Öltröpfchen in der Waschflüssigkeit schweben. Seifen
haben also auch eine Emulgatorfunktion. Nach Entfernen der Waschflüssigkeit mit den in ihr
schwebenden Schmutzteilchen und Nachspülen ist der Waschvorgang beendet.
16.3 Synthetische Waschmittel 657

= H3C(CH2)nCOO
-
= COO - -Gruppe
= Textilfaser

Bild 16.2 Das Ablösen eines Öltröpfchens von der Textilfaser beim Waschen

16.2.5 Nachteilige Eigenschaften der Seifen

Seifen haben leider auch Eigenschaften, die sich im Waschprozeß unangenehm bemerkbar
machen. Sie bilden mit den in Wasser enthaltenen Ca2+-Ionen Calziumsalze, die schlecht
löslich sind. Die Ablagerung von Kalkseife auf der Textilfaser führt zu Verkrustungen auf
dem Gewebe, welche die Wäsche grau und hart machen und den sogenannten „Grauschleier“
verursachen. Das Ausfällen der Calziumsalze führt außerdem zu einem erhöhten Seifen-
verbrauch. Seifen sind Salze schwacher Säuren und starker Basen. In Wasser erfolgt die
Hydrolyse der Seife und die Seifenlösung zeigt eine alkalische Reaktion. Beim Waschen von
Wolle wirkt sich die alkalische Reaktion nachteilig aus, sie bewirkt das Verfilzen der Wolle.

R COO Na + H2O R COOH + NaOH

16.3 Synthetische Waschmittel


Heute beschränkt sich die Anwendung der Seife fast nur auf die Körperpflege. Die modernen
Waschmittel enthalten synthetische waschaktive Substanzen, die die Nachteile der Seifen
nicht aufweisen. Synthetische Tenside haben, ebenso wie die Seifen, einen räumlich getrenn-
ten hydrophoben und hydrophilen Bereich. Der hydrophobe Bereich wird von einem alipha-
tischen oder alkylaromatischen Kohlenwasserstoffrest gebildet. Die Alkylkette der Wasch-
mittel muß nach dem Detergenziengesetz der BRD von 1964 unverzweigt sein, damit ein
biologischer Abbau der Tenside in den Abwässern gewährleistet wird. Je nach Charakter der
hydrophilen Gruppe kann man Tenside in vier verschiedene Klassen einteilen: anionische,
kationische, amphotere und nichtionische Tenside.

16.3.1 Anionische Tenside

In anionischen Tensiden ist der hydrophobe Kohlenwasserstoffrest mit einer hydrophilen,


negativ geladenen funktionellen Gruppe verbunden. Die anionischen Tenside sind die in mo-
658 16 Seifen und synthetische Waschmittel

dernen Waschmitteln im größten Umfange eingesetzten Tenside. Zu den anionischen Tensi-


den zählt im übrigen auch die Seife.
Alkylsulfate, die man auch als Fettalkoholsulfate (FAS) bezeichnet, sind Alkali- oder
Ammoniumsalze der Monoalkylschwefelsäure. Sie besitzen einen unverzweigten Alkylrest
mit 12 bis 18 C-Atomen.

R O SO3 Na Alkylsulfat

Fettalkoholsulfate erhält man durch Veresterung von Fettalkoholen mit konz. Schwefel-
säure oder Chlorsulfonsäure Cl–SO3–OH.
In Alkansulfonaten (AS) (Herstellung siehe Abschnitt 2.9.2.1 und 2.9.2.2) und Alkyl-
benzolsulfonaten (ABS) ist der Schwefel der Sulfonatgruppe –SO3– direkt an ein Kohlen-
stoffatom gebunden.
R' R'

H C SO3 Na R SO3 Na bzw. H C SO3 Na

R'' R''
Alkansulfonat Alkylbenzolsulfonat

16.3.2 Kationische Tenside

Kationische Tenside haben an den Kohlenwasserstoffrest eine positiv geladene funktionelle


Gruppe gebunden. In der Regel sind es quartäre Ammoniumsalze vom Typ
R(CH2)n R'
N X X = Cl , Br oder CH3 OSO3
R'' R'''

Man nennt diese Tenside Invertseifen, weil sie im Gegensatz zu den Seifen an den Koh-
lenwasserstoffrest eine positiv geladene funktionelle Gruppe gebunden haben. Quartäre
Ammoniumverbindungen spielen in Waschmitteln keine große Rolle. Sie haben antistatische
Wirkung und werden als Weichmacher im Spülbad eingesetzt.

16.3.3 Amphotere Tenside (Amphotenside)

An den hydrophoben Wasserstoffrest dieser Tenside ist sowohl eine positiv als auch eine ne-
gativ geladene funktionelle Gruppe gebunden. Sie haben sowohl basische als auch saure Ei-
genschaften und werden deshalb als amphoter bezeichnet. Amphotenside sind z.B. Betaine:

R'

R (CH2)n N CH2 COO

R''
16.4 Zusammensetzung moderner Waschmittel 659

Als Betain bezeichnet man innere Salze des Typs R3N+–CH2COO–. Amphotenside haben
keimtötende Wirkung, ein gutes Waschvermögen, sind aber teuer und werden deshalb in
Waschmitteln kaum verwendet.

16.3.4 Nichtionische Tenside (Niotenside)

Nichtionische Tenside bestehen aus einem hydrophoben Alkylrest mit 12–18 C-Atomen und
elektroneutralen Glykolethergruppen als hydrophilem Teil. Es sind Alkylpolyglykolether
(Fettalkoholoxethylate):
R (OCH2CH2)n OH n = 5 bis 14
Die Löslichkeit der Alkylpolyglykolether ist temperaturabhängig. Bei höherer Tempera-
tur bilden sie eine Emulsion in Form von winzigen öligen Tröpfchen, es erfolgt eine Trübung
der wäßrigen Lösung, und die Waschkraft nimmt ab.

16.4 Zusammensetzung moderner Waschmittel


Die wesentlichen Bestandteile der Vollwaschmittel sind Tenside (5–15 %), Zeolithe als Ent-
härter (20–35 %), Natriumperborat als Bleichmittel (10–30 %), Soda zur Verstärkung der
Waschwirkung (5–20 %), Stabilisatoren (0,2–2 %), Schaumregulatoren (3–8 %), Vergrau-
ungsinhibitoren (0,5–2 %), optische Aufheller (0,1–0,3 %), Enzyme (0,5–0,8 %), Korrosi-
onsinhibitoren (3–6 %), Stellmittel (5–15 %) und Duftstoffe (0,1–0,2 %).
Tenside. Die waschaktive Komponente in modernen Waschmitteln besteht hauptsächlich aus
anionischen Tensiden gegebenenfalls aus einem Gemisch von anionischen und nichtioni-
schen Tensiden.
Enthärter. Beim Erhitzen von hartem Wasser fällt ein feiner kristalliner Niederschlag von
CaCO3 bzw. MgCO3 aus, der durch Scheuerwirkung das Gewebe schädigt. Waschmittel
enthalten deshalb Enthärter, die dem Wasser Ca2+- und Mg2+-Ionen entziehen, so daß eine
Ausfällung von Magnesium- und Calciumcarbonat verhindert wird. Die wichtigsten Enthär-
ter in Waschmitteln sind heute Zeolithe (Bezeichnung von Cronstedt 1756 eingeführt, abge-
leitet von griech. zein = sieden und Lithos = Stein). Dies ist eine Gruppe von Alkali- bzw.
Erdalkali-Aluminosilicaten. Das in Waschmitteln als Enthärter verwendete Zeolith ist ein
feinpulveriges Natrium-Aluminiumsilicat, das im Handel unter dem Handelsnamen Sasil
(sodium aluminium silicate) vertrieben wird. Es handelt sich um einen anorganischen Ionen-
austauscher, der röhrenförmige Hohlräume enthält, in die anstelle der Na+-Ionen Ca2+- oder
Mg2+-Ionen aufgenommen werden können, die dem Waschwasser auf diese Weise entzogen
werden. In den Kläranlagen verbleibt es im Klärschlamm. Zeolithe haben das früher als
Enthärter verwendete Pentanatriumtriphosphat fast vollkommen verdrängt.
660 16 Seifen und synthetische Waschmittel

Na Na Na
O O O

Na O P O P O P O Na

O O O

Pentanatriumtriphosphat
Das Pentanatriumphosphat, das Ca2+- und Mg2+-Ionen in einen wasserlöslichen Komplex
bindet, wurde deshalb als Enthärter durch Zeolithe ersetzt, weil es in höheren Konzentrationen
in Gewässern Umweltschäden verursachte. Gelangt das Pentanatriumtriphosphat nämlich mit
den Abwässern über Kläranlagen in die Flüsse, wird es in einfache Phosphate gespalten, wel-
che zu den lebenswichtigen Nährsalzen der Pflanzen gehören. Das Wachstum der Wasser-
pflanzen wird durch das erhöhte Angebot an diesem Nährsalz gefördert. Zunächst wird die
Sauerstoffkonzentration im Wasser erhöht, da die Pflanzen bei verstärktem Wachstum auch
mehr Sauerstoff abgeben. Nach Absterben der Pflanzen sinken diese zu Boden und werden
durch Bakterien zersetzt. Diese benötigen für den Zersetzungsprozeß sehr viel Sauerstoff, den
sie dem Wasser entziehen, und es wird Faulschlamm gebildet. Dadurch wird die Sauerstoff-
konzentration im Wasser stark herabgesetzt. In stehenden oder langsam fließenden Gewässern
setzt ein Fischsterben ein, das durch ungenügende Konzentration von Sauerstoff im Wasser
und eine Vergiftung durch Abbauprodukte des Faulschlammes verursacht wird. Das Gewässer
geht durch Überdüngung zugrunde, es eutrophiert. In modernen Waschmitteln wird häufig
eine Kombination aus Zeolith A (als Enthärter), aus Polycarboxylaten (zur Schmutz-
dispergierung und als Antivergrauungsmittel) und Soda (zur Verstärkung der Waschwirkung)
verwendet. Polycarboxylate sind Natriumsalze von Copolymeren aus Acryl- und Maleinsäure.
Bleichmittel. Verfärbungen des Textils, die z.B. von Obst-, Rotwein-oder Tintenflecken her-
rühren, lassen sich auch durch Tenside nur unvollständig entfernen. Für die vollständige
Beseitigung der Verfärbung müssen die sie verursachenden Farbstoffe beim Waschvorgang
durch ein Bleichmittel oxidativ zerstört werden. Als Bleichmittel wird Natriumperborat ver-
wendet. Dieses ist in kristallinen Zustand stabil, in wäßriger Lösung jedoch erfolgt seine
Zersetzung, wobei Wasserstoffperoxid, ein starkes Oxidationsmittel, freigesetzt wird.

2
HO O O OH
B B 2 Na 2 H2O2 + Na2B2O4
HO O O OH
Natriumperborat

Natriumperborat ist erst bei Temperaturen oberhalb 60–70°C wirksam. N-Acetylverbin-


dungen als Bleichaktivatoren ermöglichen durch Bildung eines Peroxyessigsäure-Anions
eine Bleiche unter 60°C. Als N-Acetylverbindung dominiert am europäischen Markt das
N,N,N',N'-Tetraacetylethylendiamin (TAED) (H3C–CO)2N–CH2–CH2–N(COCH3)2.
16.4 Zusammensetzung moderner Waschmittel 661

Die oxidative Zerstörung der Farbflecke erzielte man früher durch die Rasenbleiche. Die
am Rasen aufgelegte Wäsche wird dabei vom Sauerstoff, der vom Gras atomar freigesetzt
wird, gebleicht.
Stabilisatoren. Schon Spuren von Schwermetallionen aktivieren eine schnelle Zersetzung des
Wasserstoffperoxids. Die rasante Freisetzung von aktivem Sauerstoff beeinträchtigt die
Bleichwirkung und schädigt die Textilfaser. Deshalb ist es notwendig, die Schwermetall-
ionen (z.B. Fe2+, Cu2+ und Mn2+) aus der Waschlösung zu entfernen. Dazu benutzt man
Komplexbildner, z.B. Ethylendiamintetraacetat (EDTA) bzw. Natriumnitrilotriessigsäure
(NTA) oder Silikate, welche die Schwermetallionen adsorbieren.

Na OOC CH2 CH2 COO Na CH2COO Na


N CH2CH2 N N CH2COO Na
Na OOC CH2 CH2 COO Na CH2COO Na
Ethylendiamintetraacetat Natriumnitrilotriessigsäure

Schaumregulatoren. Außer bei Wollwäsche ist die Schaumbildung beim Waschen in


Waschmaschinen unerwünscht, da sie in Trommelwaschmaschinen zum Überschäumen der
Waschlauge führen kann. Deshalb werden dem Waschmittel Schaumregulatoren beigegeben,
die ein übermäßiges Schäumen verhindern. Als Schaumregulatoren werden z.B. bei Wasch-
mitteln mit ABS im Waschtemperaturbereich über 75°C Seifen mit einer Kettenlänge von
C18–C22 eingesetzt. Weitere Schaumregulatoren sind Polycarboxylate, Trialkylmelamine und
Dimethylpolysiloxane.

R H
N

CH3 CH3 CH3


N N
H3C Si O Si O Si CH3
H H
N N N
CH3 CH3 n CH3
R R
Trialkylmelamin Dimethylpolysiloxan (Dimetricon)

Vergrauungsinhibitoren. Das Wiederaufziehen einmal gelöster Schmutzteilchen auf die Tex-


tilfaser läßt sich beim Waschprozeß mit synthetischen Tensiden nicht ganz verhindern. Dies
würde nach mehrmaligem Waschen zur Vergrauung des Textils führen. Man mengt deshalb
den Waschmitteln Vergrauungsinhibitoren zu. Dies sind Stoffe, die von der Oberfläche der
Textilfaser adsorbiert werden und das Wiederaufziehen bereits gelöster Schmutzteilchen
verhindern oder erschweren. In der Regel haben der Inhibitor und die Textilfaser eine ähn-
liche Struktur. Für Baumwolltextilien wird Cellulose eingesetzt, deren OH-Gruppen am C6
des β-D-Glucopyranosyl-Bausteins (siehe Abschnitte 21.3.4.1 und 21.3.4.3) teilweise durch
die Gruppe –O–CH2–COO– ersetzt wurden:
662 16 Seifen und synthetische Waschmittel

6 CH O CH2 COO Na
2

H O O
5
H
4 H 1
OH
O H
3 2
H OH
Für vollsynthetische Polyamidfasern verwendet man als Vergrauungsinhibitoren oligo-
mere Polyamide und für Polyesterfasern oligomere Polyester.
Optische Aufheller (Weißtöner) haben die Eigenschaft, daß sie UV-Licht absorbieren und
dann blaues Fluoreszenslicht ausstrahlen. Das Blau kompensiert durch additive Farbmi-
schung den Gelbstich der Faser, dem Auge erscheint die Wäsche weiß. Für Baumwolltextil
verwendet man als optische Aufheller z.B. mit hydrophilen Gruppen substituierte Stilben-
derivate.
H2N SO3H

H H
C C C C
H H

HO3S NH2
trans-Stilben 4,4'-Diamino-trans-stilben-2,2'-disulfonsäure
(optischer Aufheller)
Enzyme. Nach dem Antrocknen lassen sich Eiweißverschmutzungen mit Tensiden nur un-
vollständig von der Faser trennen. Man setzt deshalb den Waschmitteln Enzyme zu, die aus
Mikroorganismen der Gattung Bacillus subtilis gewonnen werden. Diese eiweißspaltenden
(proteolytischen) Enzyme sind bis 60°C stabil und zerlegen die Eiweiße zu Produkten, die im
Waschprozeß von der Textiloberfläche entfernt werden.
Korrosionsinhibitoren werden Waschmitteln zugesetzt, um die Korrosion von Aluminium-
teilen der Waschmaschine zu verhindern. Ein solcher Inhibitor ist z.B. Wasserglas.
Stellmittel sind waschinaktive anorganische Salze, die das Verklumpen des Waschpulvers
verhindern sollen.
Übungsaufgaben 663

Übungsaufgaben

? 16.1
Nach welchen industriellen Verfahren stellt man Seifen her?

? 16.2
Auf welche Weise sind Seifen beim Waschprozeß wirksam?

? 16.3
Was sind Tenside und welche Eigenschaften haben sie?

? 16.4
Welche Verbindungen finden Anwendung als anionische Tenside?

? 16.5
Was sind kationische Tenside?

? 16.6
Welche Verbindungen bezeichnet man als Amphotere Tenside?

? 16.7
Welcher Verbindungstyp bildet nichtionische Tenside?

? 16.8
Welche Stoffe setzt man in modernen Waschmitteln als Enthärter ein und wozu braucht man
einen solchen?

? 16.9
Welche Funktion erfüllt das Natriumperborat in Waschmitteln?
664 16 Seifen und synthetische Waschmittel

Lösungen

! 16.1
Zur Seifenherstellung werden minderwertige Fette verwendet. Diese werden in Druckkesseln
bei 180°C hydrolysiert. Die freien, in Wasser nur schwerlöslichen Fettsäuren schwimmen
oben auf der Glycerinlösung und können nach Abkühlen leicht abgetrennt werden. Mit Nat-
ronlauge, Natriumcarbonat oder Kalilauge erhitzt, bilden die Fettsäuren Salze, die als Seifen
bezeichnet werden. Mit Natronlauge erhält man Kernseife, mit Kalilauge Schmierseife. Die
für die Seifenherstellung notwendigen Fettsäuren kann man auch mit Mn-Salzen als Kon-
taktsubstanz durch Flüssigphasenoxidation von n-Paraffinen gewinnen

! 16.2
An der Phasengrenze Feststoff/Wasser wird die Grenzflächenspannung des Wassers durch
Seifen herabgesetzt. Die Carbonsäureanionen der Seife lagern sich mit ihrem hydrophoben
Alkylrest an die Oberfläche des Feststoffes an und bewirken dessen Benetzbarkeit. Sie la-
gern sich ebenfalls an die Oberfläche der Schmutzteilchen an, wobei die Carboxylgruppen
zum Wasser hin orientiert sind. Sowohl die Schmutzteilchen als auch die Unterlage, an der
sie haften, sind von negativen Ladungsträgern umgeben. Die gegenseitige Abstoßung der
gleichnamigen Ladungsträger bewirkt das Ablösen der Schmutzteilchen von der Unterlage.
Die die Schmutzteilchen umgebenden Anionenhüllen stoßen sich gegenseitig ab. Öltröpf-
chen werden zu kleineren Tröpfchen zerteilt (dispergiert) und schweben in der Waschflüs-
sigkeit. Seifen haben also auch Emulgatorwirkung.

! 16.3
Tenside sind Verbindungen, die die Grenzflächenspannung des Wassers herabsetzen und
waschaktiv sind. Sie haben als gemeinsames Merkmal einen räumlich getrennten hydropho-
ben und hydrophilen Bereich. Der hydrophobe Bereich besteht aus einem aliphatischen oder
alkylaromatischen Kohlenwasserstoffrest mit längerer Kohlenstoffkette. Den hydrophilen
Bereich bildet eine polare funktionelle Gruppe.

! 16.4
In anionischen Tensiden ist eine negativ geladene funktionelle Gruppe an den hydrophoben
Kohlenwasserstoffrest gebunden. Anionische Tenside sind die in Waschmitteln im größten
Umfange eingesetzten Tenside. Zu ihnen gehören Alkylsulfate, Alkansulfonate, Alkylben-
zolsulfonate und auch die Seifen. Die Anwendung der Seife beschränkt sich heute fast nur
noch auf die Körperpflege.

R O SO3 Na R CH2 SO3 Na R SO3 Na R COO Na

Alkylsulfat Alkylsulfonat Alkylbenzolsulfonat Seife


Lösungen 665

! 16.5
Kationische Tenside sind in der Regel quartäre Ammoniumsalze:

R(CH2)n R'
N X X = Cl , Br oder CH3 OSO3
R'' R'''

! 16.6
Als amphotere Tenside bezeichnet man Verbindungen die außer einem langen Alkylrest
sowohl eine negativ als auch eine positiv geladene funktionelle Gruppe besitzen, z.B. ein
Betain mit langer Kohlenstoffkette des Alkyrestes:

R'

R (CH2 )n N CH2 COO

R''

Betain

! 16.7
Nichtionische Tenside sind Alkylpolyglykolether:

R (OCH2CH2)n OH n = 5 bis 14

Alkylpolyglykolether

! 16.8
Bei Erhitzen von hartem Wasser fällt ein kristalliner Niederschlag von Calcium- bzw. Mag-
nesiumcarbonat aus, der durch Scheuerwirkung das Textilgewebe schädigt. Deshalb benutzt
man in modernen Waschmitteln Zeolite als Enthärter. Dies ist ein feinpulveriges Alumini-
umhydrosilikat, das röhrenförmige Hohlräume enthält, in die anstelle der Natriumionen Cal-
cium- bzw. Magnesiumionen aufgenommen werden, die auf diese Weise der Waschlösung
entzogen werden.

! 16.9
Natriumperborat wird in modernen Waschmitteln als Bleichmittel zur Entfernung von Obst-,
Rotwein- oder Tintenflecken benutzt. In wässriger Lösung erfolgt seine Zersetzung des Nat-
riumperborats unter Bildung von Wasserstoffperoxid, das die Flecken oxidativ zerstört.

2
HO O O OH

B B 2 Na 2 H2O2 + Na2B2O4

HO O O OH

Natriumperborat
17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren
Man unterscheidet Substitutionsderivate und funktionelle Derivate der Carbonsäure. Zu den
Substitutionsderivaten der Carbonsäure gehören Carbonsäuren mit einem substituierten
Alkylrest. Dazu zählen Halogensäuren (siehe Abschnitt 15.4.4.1 und 15.4.4.2), Hydroxy-
und Oxosäuren (siehe Abschnitt 15.7) und ebenso Aminosäuren (siehe Kapitel 23). Funktio-
nelle Derivate der Carbonsäuren sind hingegen Verbindungen, die eine funktionelle Gruppe
besitzen, deren Hydrolyse zur Carboxygruppe führt. Zu ihnen gehören Carbonsäurehalo-
genide, Carbonsäureanhydride, Carbonsäureester, Carbonsäureamide, Carbonsäureimide und
Nitrile.

17.1 Carbonsäurehalogenide (Alkanoylhalogenide)


Carbonsäurehalogenide (Alkanoylhalogenide) werden oftmals auch einfach als Säurehalo-
genide oder Acylhalogenide bezeichnet. Formal kann man sie von Carbonsäuren ableiten,
indem man in diesen die Hydroxygruppe durch ein Halogen ersetzt:
O
R C Carbonsäurehalogenid
X X = Cl, Br oder I

17.1.1 Nomenklatur

Die Namensgebung des Carbonsäurehalogenids erfolgt, indem man den Acylrest benennt
und dann die Bezeichnung -bromid, -chlorid bzw. -iodid hinzufügt. Bei der Benennung des
Acylrestes kann man sich der IUPAC-Nomenklatur bedienen, oder man kann den Namen des
Acylrestes vom Trivialnamen der Säure ableiten, z.B.:

O O O
CH3C C CH3(CH2)16C C
Cl Br Cl
Acetylchlorid Stearoylbromid Benzoylchlorid
Ethanoylchlorid Octadecanoylbromid

O
Der Substituent C wird als Halogencarbonyl bezeichnet.
X

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 666


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_17, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
17.1 Carbonsäurehalogenide (Alkanoylhalogenide) 667

17.1.2 Darstellung der Carbonsäurechloride

Von den Carbonsäurehalogeniden sind die Carbonsäurechloride am preiswertesten und am


zugänglichsten. Man kann sie durch Umsetzen der Carbonsäuren mit Thionylchlorid, Phos-
phortrichlorid oder Phosphorpentachlorid darstellen (siehe Abschnitt 15.4.2.2):

R COOH + SOCl2 R COCl + HCl + SO2

17.1.3 Reaktionen der Carbonsäurechloride

17.1.3.1 Additions-Eliminierungsreaktionen der Carbonsäurechloride


Von allen Carbonsäurederivaten sind Carbonsäurehalogenide am reaktivsten. Sie reagieren
deshalb schon bei mäßigem Erwärmen nach folgendem Reaktionsmechanismus mit Nucleo-
philen (siehe auch Abschnitt 15.4.2):

X +H X
X Nu
H Nu C O H Nu C O Nu C O C O + HX
R' R'
R' R'
Nucleophil O

H Nu = H OH, H O R H O C R, H NH2, H NHR, H NR2,

H NH NH2 und H NH OH X = Cl, Br, oder I

Mit Anionen als Nucleophil läuft die Reaktion nach folgendem Reaktionsmechanismus ab:

X
X Nu
Nu C O Nu C O C O + X
R R
R
O
Nu = H O ,R O ,R C
O

Man kann, vom Carbonsäurechlorid ausgehend, andere funktionelle Derivate der Carbon-
säuren darstellen, z.B.:
668 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

O
H O R' Alkohol R C O R' + HCl Ester
O
O O
H O C R' Carbonsäure
R C O C R' + HCl Carbonsäureanhydrid
O
NH3 Ammoniak
R C NH2 + HCl Carbonsäureamid
O
O
NH2R' Monoalkylamin
R C R C NHR' + HCl N-Alkylcarbonsäureamid
Cl O
NHR'2 Dialkylamin
R C NR'2 + HCl N,N-Dialkylcarbonsäureamid
O
H2N NH2 Hydrazin R C NH NH2 + HCl Carbonsäurehydrazid
O
H2N OH Hydroxylamin
R C NH OH + HCl Hydroxamsäure

a) Die Hydrolyse
Mit Wasser werden Carbonsäurechloride zur Carbonsäure hydrolysiert.

O O
R C + H2O R C + HCl
Cl O H

Säurechloride sind sehr reaktiv, so daß die Hydrolyse erfolgen kann, obwohl Wasser ein
relativ schwaches Nucleophil ist.

Cl Cl
Cl H O
H O C O H O C O H O C O C O + HCl

H R' +H R'
H R' R'

Mit Base reagieren die Carbonsäurechloride noch lebhafter, weil das Hydroxidion ein
stärkeres Nucleophil als das Wasser ist.

O O
R C + OH R C + Cl
Cl O H
17.1 Carbonsäurehalogenide (Alkanoylhalogenide) 669

b) Die Schotten-Baumann-Reaktion
Relativ langsam reagiert infolge seiner Mesomeriestabilisierung das Benzoylchlorid mit
Basen. Nach Schotten-Baumann kann man deshalb Alkohole mit Benzoylchlorid im alkali-
schen Medium zum Ester umsetzen.
O O
Zimmertemp.
C + H OR + NaOH C + NaCl + H2O
Cl O R
Benzoylchlorid Benzoesäureester
Im Reaktionsgemisch des Alkohols und der Base liegt folgendes Reaktionsgleichgewicht
vor,

R O H + O H R O + H2O

so daß eine geringe Konzentration von Alkoholationen –O– vorhanden ist. Die Alkoholat-
ionen sind im Vergleich zu den Hydroxidionen die stärkeren Nucleophile und reagieren
rascher. Benzoylchlorid reagiert deshalb bevorzugt mit den Alkoholationen unter Bildung
des Benzoesäureesters. Die Schotten-Baumann-Reaktion dient zum Nachweis alkoholischer
oder phenolischer Hydroxygruppen. Das Vorliegen eines Alkohols oder Phenols erkennt
man am Ausscheiden des in der Base nicht löslichen Benzoesäureesters.

c) Darstellung von Peroxycarbonsäuren aus Carbonsäurechloriden


Peroxybenzoesäure wird durch Perhydrolyse des Benzoylchlorids hergestellt. In alklischem
Medium wird Benzoylchlorid mit konzentrierter Wasserstoffperoxidlösung (Perhydrol) bei
0°C zunächst zu Dibenzoylperoxid umgesetzt.

O O O O

C C C C
Cl Cl O O
2 NaOH + 2 NaCl
+ H O O H + - 2 H2O

Benzoylchlorid Dibenzoylperoxid
Das Dibenzoylperoxid zerfällt leicht in Radikale und wird deshalb als Starter für Radikal-
reaktionen benützt. Die Überführung des Dibenzoylperoxids in die Peroxybenzoesäure (oft
auch als Perbenzoesäure bezeichnet) kann in einer methanolischen Lösung mit Natrium-
methanolat bei 0°C erfolgen.

O O O O

C C C C
O O CH3OH O O Na H3C O
+ CH3O Na +

Dibenzoylperoxid Natrium- Natrium- Methylbenzoat


methanolat peroxybenzoat
670 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

Aus dem Natriumsalz der Peroxybenzoesäure (Natriumperoxybenzoat) kann man die


Peroxybenzoesäure mit verd. Schwefelsäure bei 0°C freisetzen und in Chloroform als
Lösungsmittel aufnehmen.

O O

C 0 °C, CHCl3 C
O O Na + H2SO4 O O H + NaHSO4

Natriumperoxybenzoat Peroxybenzoesäure

Die Peroxybenzoesäure dient als Oxidationsmittel, z.B. bei der Dihydroxylierung von
Alkenen, und als Starter für Radikalreaktionen.
Im allgemeinen können Peroxycarbonsäuren ausgehend vom entsprechenden Carbon-
säurechlorid und Natriumperoxid synthetisiert werden. Das als Zwischenprodukt erhaltene
Diacylperoxyd kann durch vorsichtige Hydrolyse zur Peroxycarbonsäure umgesetzt werden.

H2O/OH H
2R C Cl + Na2O2 R C O O C R R C O O R C O OH
- 2 NaCl - RCOO
O O O O O

17.1.3.2 Die Arndt-Eistert-Reaktion


Ausgehend von einer Carbonsäure kann man, nach deren Überführung in das Carbonsäure-
chlorid, mit Hilfe der Arndt-Eistert-Reaktion zu einer Carbonsäure gelangen, deren Alkylrest
um eine Methylengruppe verlängert ist. Diese Reaktionsfolge bietet die Möglichkeit, eine
Carbonsäure bei milden Reaktionsbedingungen in ihr nächsthöheres Homologes zu überfüh-
ren. Man läßt bei der Arndt-Eistert-Reaktion das Carbonsäurechlorid mit Diazomethan rea-
gieren, wobei ein Diazoketon als Zwischenprodukt gebildet wird. Mit kolloidalem Silber
oder mit Silberoxid als Katalysator spaltet das Diazoketon Stickstoff ab, wobei in wäßriger
Lösung die entsprechende Carbonsäure entsteht. Führt man die Reaktion in Alkohol als Lö-
sungsmittel durch, wird ein Ester gebildet.

H2O/Ag2O
R CH2 CO OH
Cl N2CH - N2
Carbonsäure (Alkylrest um
C O + CH2N2 C O eine CH2-Gruppe verlängert)
- Cl
R -H R R'OH/Ag2O
R CH2 CO OR'
Carbonsäure- Diazomethan Diazoketon - N2
chlorid Ester

Reaktionsmechanismus der Arndt-Eistert-Reaktion. Carbonsäurechloride werden mit Diazo-


methan über einen SN2t-Mechanismus zum Alkanoylmethyldiazonium-Ion umgesetzt.
17.1 Carbonsäurehalogenide (Alkanoylhalogenide) 671

H H H Cl H
Cl
N N C N N C C O N N C C O N N C C O
R - Cl
H H H R H R
Diazomethan Säurechlorid Alkanoylmethyldiazonium-Ion
Die im Alkanoylmethyldiazonium-Ion zwischen dem Stickstoff und der Carbonylgruppe
befindliche Methylengruppe spaltet infolge des –I-Effekts der benachbarten Gruppen leicht
ein Proton ab. Mit Silberoxid als Katalysator wird aus dem Diazoketon, unter Bildung eines
Ketocarbens als Zwischenprodukt, molekularer Stickstoff abgespalten.

H H H H

N N C C O N N C C O N N C C O N N + C C O
-H
H R R R R
Alkanoylmethyldiazonium-Ion Diazoketon Ketocarben

Ketocarbene sind mit einem Kohlenstoffatom, das nur ein Elektronensextett in der
Außenschale besitzt, energiereiche reaktive Verbindungen (über Carbene siehe Abschnitt
5.8.1b). Der Alkylrest des Ketocarbens wandert unter Mitnahme seines Bindungselektronen-
paares als Anion zum Kohlenstoffatom mit dem Elektronensextett und füllt es mit seinem
Elektronenpaar zum Elektronenoktett auf. Diese Umlagerung des Alkylanions im Ketocar-
ben wird als Wolff-Umlagerung bezeichnet. Das hierbei gebildete Keten ist sehr reak-
tionsfreudig und wird unter Anlagerung von Wasser zur Carbonsäure umgesetzt.
H H H H
H Wolff- H O H O H O
Umlagerung H
C C O R C C O R C C O R C C O H

R
Ketocarben Keten Endiol
H
H O H O
Keto-Enol-
Tautomerie
R C C O H R C C O H

H
Endiol Carbonsäure

17.1.3.3 Eliminierungsreaktionen der Carbonsäurechloride


Durch Einwirkung von Triethylamin wird aus Carbonsäurechloriden HCl abgespalten, wobei
das entsprechende Keten entsteht.

Cl
C O + (C2H5)3N R CH C O + (C2H5)3N H Cl
R CH2
Carbonsäurechlorid Triethylamin Keten Triethylammoniumchlorid
672 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

17.2 Carbonsäureanhydride

17.2.1 Nomenklatur

Man kann sich vorstellen, daß ein Molekül des Carbonsäureanhydrids aus zwei Molekülen
Carbonsäure durch Abspaltung von Wasser entstanden sein kann, z.B.:

O
O
CH3CH2C
CH3CH2C
OH
OH O + H2O
CH3CH2C CH3CH2C
O O
Propionsäure Propionsäureanhydrid

Dieser Vorstellung gemäß verfährt man bei der Benennung des Carbonsäureanhydrids.
Man nennt den Namen der entsprechenden Carbonsäure, aus der das Anhydrid hätte durch
Wasserentzug entstehen können, und fügt die Bezeichnung Anhydrid hinzu. Liegt ein ge-
mischtes Anhydrid vor, nennt man die eine, dann die andere Säure und endet mit dem Wort
Anhydrid.

O O
O O
H3C C C C H3C C
H2C
O O O O
H3C C H2C CH3CH2 C
C C
O O
O O
Essigsäure- Phthalsäure- Bernsteinsäure- Essigsäure-
anhydrid anhydrid anhydrid propionsäure-
Acetanhydrid Butandisäure- anhydrid
Ethansäure- anhydrid Ethansäure-
anhydrid propansäureanhydrid

17.2.2 Darstellung der Carbonsäureanhydride

Carbonsäureanhydride lassen sich aus der entsprechenden Carbonsäure durch Erhitzen mit
wasserentziehenden Mitteln, z.B. P2O5, darstellen (siehe Abschnitt 15.4.3). Präparativ stellt
man Carbonsäureanhydride auch durch Einwirkung des Carbonsäurechlorids auf Salze der
Carbonsäure her.
17.2 Carbonsäureanhydride 673

O O O
R' C Cl
Cl R' C R' C O
O C O O C O O C + Na Cl
R R
Na R Na
Carbon- Carbonsäure- tetraedrisches Carbonsäureanhydrid
säuresalz chlorid Zwischenprodukt
Das wichtigste Carbonsäureanhydrid ist das Acetanhydrid. Großtechnisch wird es im
Wacker-Verfahren aus Keten und Essigsäure hergestellt.

O
O O O
H 3C C H
O H3C C H3C C Keto-Enol- H 3C C
Tautomerie
O H O O
H 2C C O H2C C H2C C H 3C C
O O H O

Essigsäure + Keten Acetanhydrid


Das für die Acetanhydrid-Herstellung notwendige Keten wird durch pyrogene Spaltung
von Aceton hergestellt, indem Acetondämpfe über eine auf 780°C erhitzte Chrom-Nickel-
Spirale geleitet werden.

O
Cr/Ni-Spirale, 780 °C
H3C C CH3 H2C C O + CH4

Das Keten ist ein unangenehm riechendes, giftiges Gas (Sdt. –56°C), das nur bei tiefen
Temperaturen beständig ist. Deshalb wird es gleich nach Herstellung für die weitere Reak-
tion verwendet.

17.2.3 Reaktionen der Carbonsäureanhydride

17.2.3.1 Additions-Eliminierungs-Reaktionen der Carbonsäureanhydride


Carbonsäureanhydride sind etwas weniger reaktiv als Carbonsäurechloride und reagieren
ähnlich wie diese mit Nucleophilen. Man benutzt sie zur Einführung des Acylrestes R–
C=O in eine nucleophile Verbindung. In einer SN2t-Reaktion reagieren Carbonsäureanhyd-
ride mit Alkoholen zum entsprechenden Ester und mit Ammoniak zum Carbonsäureamid.
Aus primären oder sekundären Aminen und Carbonsäureanhydrid entstehen N-Mono- bzw.
N,N-Dialkylcarbonsäureamide. Mit Wasser werden Carbonsäureanhydride zur Carbonsäure
hydrolysiert.
674 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

O O
R OH R C O R + R C O H
O O
2 NH3
R C NH2 + R C O NH4
O
O O
R C H
2 NH2R
O R C N + R C O NH3R
R C R
O O O
R
2 NHR2
R C N + R C O NH2R2
O R
H2O
2R C OH

Der Reaktionsmechanismus sei am Beispiel der Amidbildung aufgezeigt. Neben dem


Säureamid entsteht das Ammoniumsalz der Carbonsäure.
H
O O H O H
N H O H
R C R C N H R C N H
O H R C N H
O H O H
R C O H
R C R C
O R C
O O
O
O H O NH4
R C + NH3
R C
O O

17.2.3.2 Reaktionen am α-ständigen C-Atom


Die Perkin-Synthese. Basisch katalysiert mit Natriumacetat oder Pyridin reagieren aromati-
sche Aldehyde mit Carbonsäureanhydriden unter Bildung einer α,β-ungesättigten Carbon-
säure, z.B.:

O
O H3C C H COOH
CH3COO Na β α
C + O C C + CH3COOH
H H3C C H
O

Benzaldehyd Acetanhydrid Zimtsäure Essigsäure


(Ethansäureanhydrid) (3-Phenylpropensäure)
17.2 Carbonsäureanhydride 675

Das Carbonsäureanhydrid reagiert bei der Perkinsynthese als schwache C-Säure. Die ba-
sische Katalyse erfolgt durch das Natriumacetat, wobei das Acetat-Anion das vom Carbon-
säureanhydrid abgespaltene Proton bindet.

O H O H O
H
H3C C O O C C C C
O H C C H3C C + H O H O

H O O H H3C C H3C C
H3C C O O
O

Carbanion des Essigsäureanhydrids

Das Carbanion des Carbonsäureanhydrids reagiert als Nucleophil mit dem aromatischen
Aldehyd, der negative Sauerstoff des Zwischenprodukts bindet ein Proton und es folgt eine
Wasserabspaltung. Diese erfolgt leicht, weil ein mesomeriestabilisiertes konjugiertes Sys-
tem entsteht. Das Endprodukt nach Hydrolyse des Anhydrids ist eine α,β-ungesättigte
Carbonsäure.

O H
O H O H O O
C C C C C C C C
H H O H O H O
H
H3C C H3C C H3C C
O O O

H
O H O H H
O O O
CH3COOH
C C C C C C C C C
- H2O
H O - CH3COO H O O
H H H
H3C C H3C C H3C C
O O O

H Hydrolyse H O H
O O
H2O
C C C C C C + H3C C
O O H O
H H
H3C C
O

Anstelle des aromatischen Aldehyds kann bei der Perkin-Synthese als Carbonylkompo-
nente auch ein anderer Aldehyd eingesetzt werden, der am ß-ständigen C-Atom keinen Was-
serstoff gebunden hat.
676 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

17.3 Carbonsäureester
Carbonsäureester können bei der sauer katalysierten Veresterung aus einer Carbonsäure und
einem Alkohol entstehen (siehe Abschnitt 15.4.2.1).

H
R COOH + R'OH R COOR' + H2O

O
Die Alkyloxycarbonyl-Gruppierung C ist für Ester kennzeichnend.
OR

17.3.1 Nomenklatur

Die Vorstellung, daß die Esterbildung aus der Carbonsäure und dem Alkohol erfolgt, schlägt
sich auch in der Nomenklatur der Ester nieder.
1.) Davon ausgehend, kann man den Ester so benennen, daß man zunächst die Carbonsäure
und dann den Alkylrest des Alkohols nennt, aus dem der Ester hätte gebildet werden
können. Schließlich fügt man noch das Wort Ester an. Zum Beispiel kann man den Ester
H3CCOOCH2CH3, den man sich aus Essigsäure und Ethanol entstanden denken kann,
als Essigsäureethylester bezeichnen.
2.) Man kann Ester auch so benennen, daß man den Namen des zur Alkoholkomponente
gehörigen Alkylrestes voranstellt und den Trivialnamen für den Säurerest RCOO be-
nutzt (siehe Abschnitt 15.1.1). Der Ester H3CCOOCH2CH3 wäre demgemäß als Ethyl-
acetat zu benennen.
3.) Ähnlich bezeichnet man Ester nach der IUPAC-Nomenklatur ganz allgemein als Alkyl-
alkanoate, wobei sich der Name des Alkyls auf den an den Sauerstoff gebundenen
Alkylrest des Esters und die Bezeichnung Alkanoat auf die RCOO-Gruppierung bezieht.
Z.B. wäre der Ester H3CCOOCH2CH3 als Ethylethanoat zu benennen.
Alle drei hier angeführten Nomenklaturen werden nebeneinander benutzt, z.B.:
O
O O C O CH3
H3C CH2 C O CH3 CH3(CH2)16 C O CH2CH3

C O CH3

O
Propionsäuremethylester Stearinsäureethylester Phthalsäuredimethylester
Methylpropionat Ethylstearat Dimethylphthalat
Methylpropanoat Ethyloctadecanoat
17.3 Carbonsäureester 677

Die Estergruppe –COOR kann man allgemein als Alkoxycarbonyl- oder Alkyloxycar-
bonyl-Gruppe bezeichnen. Cyclische Ester bezeichnet man als Lactone. Mit den griechischen
Buchstaben α, β, γ, δ... usw. wird die Größe der Lactonringe angegeben, wobei man in der
Reihung der Buchstaben mit dem C-Atom neben der Carbonylgruppe beginnt und beim
Kohlenstoff mit der C–O-Bindung endet, z.B.:

δ
O O
γ
γ C O δ-Lacton C O γ-Lacton
β
β α α

17.3.2 Bedeutung und Eigenschaften der Carbonsäureester

Carbonsäureester sind in der Natur weitverbreitet. Fette und Öle sind Ester des dreiwertigen
Alkohols Glycerin und höherer Fettsäuren. In Phosphatiden, den wichtigen Komponenten
biologischer Zellmembranen, sind außer der Phosphorsäurekomponente noch zwei höhere
Fettsäuren mit Glycerin verestert (siehe Abschnitt 10.7.6.3). Wachse sind die Ester langket-
tiger primärer Alkohole und langkettiger Carbonsäuren. Niedermolekulare Ester haben einen
spezifischen, angenehmen fruchtartigen oder blumigen Geruch und sind Geruchs- und
Geschmackstoffe. Sie verleihen, zusammen mit anderen Komponenten, dem Wein seine
besondere Geruchs- und Geschmacksnote, das „Bouquet“ des Weines, und bilden die Aro-
mastoffe von Früchten und Essenzen (Essenzen sind konzentrierte alkoholische Lösungen
von Geschmacks- und Duftstoffen für die Geruchs- und Geschmacksverbesserung von Nah-
rungsmitteln und Getränken) (siehe Tabelle 17.1).
Ester sind in organischen Lösungsmitteln gut löslich. In Wasser sind auch niedere Ester
nur bedingt löslich, höhere Ester sind in Wasser praktisch unlöslich. In 100 mL Wasser lösen
sich bei 20°C 30 g Methylformiat, 11 g Ethylformiat, 11 g Methylacetat, 8,5 g Ethylacetat
und 0,7 g Butylacetat. Ester sind gute Lösungsmittel für organische Stoffe, sie werden des-
halb in der Lackindustrie oft verwendet, z.B. Ethylacetat (Sdt. 77,2°C) und Butylacetat (Sdt.
124,5°C). Große Bedeutung haben die Polyester, die als Kunststoffe breite Anwendung fin-
den (siehe Abschnitt 15.6.2.2).

Tabelle 17.1 Natürliches Vorkommen von Estern

Ester Formel Aromastoff in


Ethansäurepentylester CH3COOCH2CH2CH2CH2CH3 Birnenessenz
Propansäurebutylester CH3CH2COOCH2CH2CH2CH3 Rumessenz
Butansäuremethylester CH3CH2CH2COOCH3 Ananasessenz
Butansäureethylester CH3CH2CH2COOCH2CH3 Pfirsichessenz
Pentansäurepentylester CH3CH2CH2CH2COOCH2CH2CH2CH2CH3 Apfelessenz
678 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

17.3.3 Synthese der Carbonsäurester

17.3.3.1 Die säurekatalysierte Veresterung


Die säurekatalysierte Veresterung von Carbonsäuren mit Alkoholen erfolgt durch Erhitzen
beider Edukte in Gegenwart von konz. Schwefelsäure oder Benzolsulfonsäure (siehe Ab-
schnitt 15.4.2.1).
O O
H
R C + R' OH R C + H2O
OH O R'

17.3.3.2 Die Alkoholyse von Acylhalogeniden und Säureanhydriden


Acylhalogenide reagieren unter Erhitzen mit Alkoholen unter Esterbildung und Abspaltung
von Halogenwasserstoffsäure HX. Die Spaltung einer Verbindung durch einen Alkohol be-
zeichnet man als Alkoholyse. Durch Zusatz einer Base, gewöhnlich Pyridin oder Dimethyla-
nilin, kann das bei der Alkoholyse abgespaltene HX neutralisiert werden.

N(CH3)2 Dimethylanilin

O O
R C + R' OH R C + HX X = Cl, Br
X O R'
Acylhalogenid Ester

+ HX

N N X

H
Pyridin Pyridiniumhalogenid
Der Alkohol bildet in diesem Falle das Nucleophil. –X wird in einer SN2t-Reaktion durch
die Gruppe –OR ersetzt.

O O
O O
R C O R' R C O R' R C O R' R C + HX
X O R'
H X H X H

Anstelle des Alkohols können auch Alkoholate mit Carbonsäurehalogeniden unter Ester-
bildung reagieren.
17.3 Carbonsäureester 679

Läßt man unter Erhitzen Carbonsäureanhydride mit Alkoholen reagieren, erhält man 1
Mol Ester und 1 Mol Carbonsäure (siehe Abschnitt 17.2.3.1). Der Alkohol ist auch bei dieser
Reaktion das Nucleophil, die Abgangsgruppe ist das Carboxylation R–COO–, das mit dem
abgespaltenen Proton H+ die Carbonsäure bildet.

O
O O
O R C
R C O R' R C O R' R C O R' O R'
O +
H O H O H
R C O H
O R C O R C O R C
O

17.3.3.3 Die Alkylierung von Carbonsäuresalzen


Carbonsäuresalze können in dipolar aprotischen Lösungsmitteln (siehe Abschnitt 9.6.3.4) mit
primären oder sekundären Alkylbromiden oder Alkyliodiden reagieren, wobei die entspre-
chenden Carbonsäureester gebildet werden.

R COO Na + X CH2 R' R COOCH2 R' + Na X X = Br, I

In dieser Reaktion ist das Carboxylation das Nucleophil, welches das Halogen im Alkyl-
halogenid in einer SN-Reaktion ersetzt.

O O O
R'
R C R' R C R C R'
O C X O C X O C + X
H H
H H H H

17.3.3.4 Methylester durch Umsetzung von Carbonsäuren mit Diazomethan


Carbonsäuren lassen sich bei Zimmertemperatur mit Diazomethan umsetzen, wobei Methyl-
ester entstehen.

R COOH + CH2N2 R COOCH3 + N2

Das Diazomethan wird zunächst von der Carbonsäure protoniert, worauf es mit dem Car-
boxylat-Ion reagiert, das als Nucleophil in einer SN-Reaktion die Gruppe N2, welche eine
sehr gute Abgangsgruppe darstellt, ersetzt.
680 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

O
H H H
R C O
O H C N N C N N C N N R C
O
H H H
+
H3C N N H3C N N

Diazomethan

O O
R C H H R C H
O C N N C N N O C + N N
H H H
H H H
Carboxylat-Ion Methylester
Diazomethan stellt man her, indem man zunächst Natronlauge mit Ether überschichtet
und dann in die alkalische Lösung N-Methyl-N-nitrosoharnstoff einbringt.
CONH2
HO
H3C N CH2N2 + CO2 + NH3
NO
N-Methyl-N-nitrosoharnstoff (Reaktonsmechanismus siehe Abschnitt 18.2.2)
Das Diazomethan geht in die Etherschicht über. Die gelbgefärbte Lösung des Diazome-
thans in Ether gibt man zu der Carbonsäure, welche in den Methylester umgesetzt wird. Den
Überschuß an Diazomethan setzt man mit Essigsäure zu Methylacetat um. Die Arbeiten sind
unbedingt im Abzugsschrank durchzuführen, da Diazomethan krebserregend (cancerogen)
ist.

17.3.3.5 Darstellung von Orthoameisensäureestern


Durch Einwirkung von Natriumethanolat auf Chloroform gewinnt man den Orthoameisen-
säureester.
Cl OR

H C Cl + 3 NaOR H C OR + 3 NaCl
Cl OR
Chloroform Orthoameisensäureester

Weitere Darstellungsarten des Orthoameisensäureesters siehe Abschnitt 17.5.3.2. Ortho-


ameisensäureester kann man als Ester der nichtexistierenden hydratisierten Form der Amei-
sensäure, der Orthoameisensäure HC(OH)3, betrachten.
Orthoameisensäureester reagieren mit aromatischen Aldehyden und mit Ketonen zum
entsprechenden Acetal bzw. Ketal, z.B.:
17.3 Carbonsäureester 681

O OC2H5 O
C + HC(OC2H5)3 C H + H C
H OC2H5 OC2H5
Benzaldehyd Orthoameisen- Dieethylacetal des Ameisensäure-
säureethylester Benzaldehyds ethylester

17.3.4 Reaktionen der Carbonsäureester

17.3.4.1 Hydrolyse der Carbonsäureester


Die Hydrolyse des Esters nur mit Wasser alleine erfolgt äußerst langsam. Zum einen ist
Wasser nur ein schwaches Nucleophil, und zum anderen ist die Elektrophilie der Ester auch
nicht sehr ausgeprägt. Deshalb ist es notwendig, die Hydrolyse sauer oder basisch zu kataly-
sieren.
a) Die säurekatalysierte Hydrolyse erfolgt durch Erhitzen des Esters mit Mineralsäuren. Der
Ester wird dabei in Carbonsäure und Alkohol gespalten.
O O
H
R C + H2O R C + H O R'
O R' O H
Der Ablauf der säurekatalysierten Hydrolyse kann als umgekehrter Vorgang der Vereste-
rung angesehen werden. Zuerst wird der Carbonylsauerstoff protoniert. Es folgt eine Anlage-
rung von Wasser und dann eine Deprotonierung der Gruppe +OH2. Die Alkoxygruppe wird
nach deren Protonierung abgespalten. Aus dem Carbenium-Oxonium-Ion, das man auch als
Carboxoniumion bezeichnen kann, wird durch Deprotonierung die Carbonsäure gebildet.
H
H H
O
O O
O H O H O H H H +H
R C R C R C R C O R C O H
O R' O R' O R' H
O O
R' R'
H H H H
O O O O O +H

R C O H R C O H R C O H R C O H R C O H

O H O H + O H + O H
R' R' R' R'
Carboxonium-Ion
Die sauer katalysierte Hydrolyse von Carbonsäureestern mit einer tertiären Alkoholkom-
ponente erfolgt nach einem anderen Reaktionsmechanismus. Sie verläuft über ein tertiäres
Carbeniumion als Zwischenprodukt. Das tertiäre Carbeniumion entsteht deshalb relativ
leicht, weil es durch Hyperkonjugation stabilisiert wird.
682 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

O H O H O H O H
R C R C R C R C + C(CH3)3
O C(CH3)3 O C(CH3)3 O C(CH3)3 O

H H
O C(CH3)3 O C(CH3)3 H + H O C(CH3)3
H H

b) Die Verseifung von Carbonsäureestern. Die Hydrolyse von Estern mit Basen wird ge-
wöhnlich als Verseifung bezeichnet, weil bei diesem Vorgang aus höheren Estern Seifen als
Reaktionsprodukt entstehen.

O O O
R C + NaOH R C R C Na + H O R'
O R' O O

Die Esterverseifung wird eingeleitet vom nucleophilen Angriff des Hydroxidions. Die
Alkoxygruppe wird im nächsten Reaktionsschritt abgespalten. Das Alkoholation reagiert mit
Wasser zum Alkohol, während die Carbonsäure im basischen Medium unter Abspaltung
eines Protons ein Salz bildet.

O O O
O
O H
R C O H R C O H R C O H R C O + H2O
O R' +
O
R' H2O
O R' H O R' + O H

Der letzte Teilschritt, in dem die Carbonsäure in das Carboxylat-Ion überführt wird, ist
nicht umkehrbar. Die Carboxylatgruppe ist mesomeriestabilisiert, wobei die negative Ladung
auf alle drei Atome der Carboxylatgruppe verteilt ist (siehe Abschnitt 15.4.1). Im Carboxyla-
tion hat das C-Atom keine positive Teilladung und ein Angriff des Alkohols als Nucleophil
kann deshalb nicht erfolgen. Nach dem Prinzip der mikroskopischen Reversibilität ist die
Gesamtreaktion nur dann umkehrbar, wenn alle Teilreaktionen umkehrbar sind. Da bei der
basischen Hydrolyse der letzte Reaktionsschritt nicht umkehrbar ist, ist auch die Gesamt-
reaktion nicht umkehrbar. Eine Esterbildung mit Carbonsäure und Alkohol in alkalischem
Medium erfolgt deshalb nicht. Die Spaltung der Ester mit Basen hat gegenüber der säure-
katalysierten Hydrolyse Vorteile. Zum einen geht die Verseifung mit Basen schneller, denn
das Hydroxid-Ion ist ein stärkeres Nucleophil als Wasser, und zum anderen verläuft sie we-
gen der Irreversibilität der Reaktion vollständig. Die saure Hydrolyse von Estern wird des-
halb in der Regel nur dann durchgeführt, wenn in der Carbonsäure noch Substituenten vor-
handen sind, die mit Basen reagieren könnten.
17.3 Carbonsäureester 683

17.3.4.2 Die Alkoholyse von Carbonsäureestern (Umesterung)


Bei Zugabe einiger Tropfen konz. Schwefelsäure zu einem Gemisch von Ester und Alkohol
erfolgt in Analogie zu der sauer katalysierten Esterhydrolyse die Alkoholyse des Esters. Die
Reaktion wird gewöhnlich als Umesterung bezeichnet, weil wiederum ein Ester gebildet
wird, wobei im reagierenden Ester die Alkoxygruppe durch die Alkoxygruppe des Alkohols
ersetzt wird.
O O
H
R C + R'' O H R C + R' O H
O R' O R''
Der Reaktionsmechanismus ist der gleiche wie bei der sauer katalysierten Esterhydrolyse,
nur tritt an die Stelle des Wassers bei dieser Reaktion der Alkohol R"–OH.
H
H H
O
O O
O H O H O H R'' H +H
R C R C R C R C O R C O R''
O R' O R' O R' R''
O O
R' R'
H H H H
O O O O O +H

R C O R'' R C O R'' R C O R'' R C O R'' R C O R''

O H O H + O H + O H

R' R' R'


R'

Bei der Umesterung handelt es sich um einen Gleichgewichtsprozeß. Zur Erhöhung der
Ausbeute des bei der Umesterung erhaltenen Produktes kann man den Alkohol in Überschuß
zum Ester geben (man verwendet den Alkohol als Lösungsmittel), oder man kann den bei
der Reaktion gebildeten Alkohol aus dem Reaktionsgemisch entfernen. So wird z.B. bei der
im Abschnitt 15.6.2.2 beschriebenen Synthese des Polyethylenterephthalats aus Dimethyl-
terephthalat und Ethylenglykol das bei der Umesterung freigesetzte Methanol im Vakuum
abdestilliert, um das Reaktionsgleichgewicht in Richtung Polyethylenglykolbildung zu ver-
schieben.
Die Umesterung kann auch basisch katalysiert werden bzw. mit Alkoholaten erfolgen.

O
O O
R C O R'' R C O R'' R C + O R'
O R' O R''
O
R'

17.3.4.3 Die Ammonolyse von Carbonsäureestern


Ester reagieren mit Ammoniak, wobei die Alkoxygruppe des Esters durch die Aminogruppe
ersetzt wird, so daß ein Amid und Alkohol gebildet werden. Entsprechend reagieren auch
Amine. Die Reaktion wird als Ammonolyse bezeichnet.
684 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

O O
R C + NH3 R C + H O R'
O R' NH2

Die Reaktion mit Ammoniak erfolgt durch mehrstündiges Schütteln des Esters mit kon-
zentrierter Ammoniaklösung oder Erhitzen des Reaktionsgemisches. Bei dieser Reaktion ist
die Stickstoffverbindung das Nucleophil, das die Alkoxygruppe ersetzt.

H
O H O H O H
O
N H
R C R C N H R C N H R C N H
O R' H +
O H O
O
R' R' H
R' H

Auch andere Stickstoffverbindungen reagieren auf ähnliche Weise. Hydrazin reagiert mit
Carbonsäureestern zu Carbonsäurehydraziden, Hydroxylamin zu Hydroxamsäuren.

O O
R C + H2N NH2 R C + H O R'
O R' NH NH2
Hydrazin Carbonsäurehydrazid

O O
R C + H2N OH R C + H O R'
O R' NH OH
Hydroxylamin Hydroxamsäure

Auf der Grundlage der Ammonolyse von Estern findet auch die Synthese der Barbitur-
säure aus Malonsäurediethylester und Harnstoff statt.
H H O
O
N H CH3CH2O C N C
CH3CH2O
O C + CH2 O C CH2 + 2 CH3CH2OH
N H CH3CH2O C N C
O
H H O
Harnstoff Malonsäurediethylester Barbitursäure Ethanol

Läßt man in Gegenwart von Natriumethanolat einen substituierten Malonsäurediester mit


Harnstoff reagieren, erhält man als Kondensationsprodukt ein entsprechendes Barbitursäure-
derivat. Diese Barbitursäurederivate haben die Sammelbezeichnung Barbiturate (siehe auch
Abschnitt 25.3.3.1). Auf diese Weise wird z.B. das Schlafmittel Veronal synthetisiert:
17.3 Carbonsäureester 685

H H O
O
3 4
N H CH3CH2O C CH2CH3 N C CH2CH3
CH3CH2O 2 5
O C + C O C C
1 6
N H CH3CH2O C CH2CH3 N C CH2CH3
O
H H O+ 2 CH3CH2OH
Harnstoff diethylsubstituierter 5,5-Diethylbarbitursäure (Veronal)
Malonsäurediethylester
(Diethyl-2,2-diethylpropandioat)

17.3.5 Reaktionen der Carbonsäureester als C-Säuren

Im Ester verursacht der –I-Effekt der Carbonylgruppe (Elektronenzug durch Pfeile veran-
schaulicht) eine Polarisierung der in nächster Nachbarschaft befindlichen C–H-Bindung.
Dies kann schließlich zur Abspaltung eines Protons aus der zur Carbonylgruppe α-ständigen
CH3-, CH2- oder CH-Gruppe führen.
H δ-
O H O H O
δ+
R C C C C C C + H
OR R OR R OR
H

Die Abspaltung des Protons H+ wird dadurch erleichtert, daß das entstandene Carbanion
mesomeriestabilisiert ist. Sie erfolgt besonders dann leicht, wenn eine starke Base zugegen
ist, die das Proton bindet. Als Base (B) werden Natriumethanolat C2H5O–Na+, Kalium-tert-
butanolat (CH3)3C–O–K+ (gelöst im entsprechenden Alkohol) oder Natriumamid NaNH2
verwendet.

H δ-
O H O H O
δ+
R C C C C C C + H B
OR R OR R OR
H
B

Befindet sich die CH2-Gruppe oder die CH-Gruppe in Nachbarschaft zweier Car-
bonylgruppen, wie dies z.B. beim Malonsäurediethylester (siehe Abschnitt 13.4.1.4) oder
beim β-Oxoester (siehe Abschnitt 15.7.2.3) der Fall ist, so erfolgt die Abspaltung des Pro-
tons noch leichter. Verbindungen, deren C–H-Bindung so polarisiert ist, daß sie ein Proton
abspalten können, werden als C-Säuren bezeichnet. Das nach Abspaltung des Protons vorlie-
gende Carbanion des Esters ist ein starkes Nucleophil. Auf dieser nucleophilen Eigenschaft
basieren einige wichtige Reaktionen der Carbonsäureester mit elektrophilen Substanzen. Sie
sind für Synthesen sehr wichtig, weil sie eine C–C-Verknüpfung ermöglichen.
686 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

17.3.5.1 Die Claisen-Esterkondensation


Die Reaktion dient zur Darstellung von β-Oxosäureestern.

R'O
2R CH2 COOR' R CH2 CO CH COOR'
- R'OH
R
Die Claisen-Esterkondensation wurde bereits im Abschnitt 15.7.2.3 eingehend beschrie-
ben, und ebenso die Reaktionen der β-Oxoester in Abschnitt 15.7.2.4.

17.3.5.2 Die Dieckmann-Kondensation


Die Dieckmann-Kondensation ist eine intramolekulare Reaktion von Disäurediestern, die
nach dem bei der Claisen-Esterkondensation beschriebenen Reaktionsmechanismus verläuft
(siehe Abschnitt 15.7.2.3), und zu einem Ringschluß führt.

O O
CH2 CH C CH2 CH C
O R O R
(CH2)n H (CH2)n
O O R O
+ O
CH2 C CH2 C
H R
O R O R

O O O
CH2 CH C CH2 CH C CH2 CH C
O R O R O R
(CH2)n (CH2)n (CH2)n
O
CH2 C CH2 C O CH2 C O
O R + O
O
R R R = CH2CH3

Die Dieckmann-Kondensation eignet sich für die Synthese von cyclischen Oxosäure-
estern mit einem fünf-, sechs- oder siebengliedrigen Ring. Höhergliedrige Ringe geben nur
eine geringe Ausbeute. Bei der Synthese großer Ringe ist das „Verdünnungsprinzip“ anzu-
wenden (siehe Abschnitt 5.8.2).

17.3.5.3 Die Stobbe-Kondensation


Die Ausgangsstoffe für die Stobbe-Reaktion sind der Bernsteinsäurediester und Aldehyde
oder Ketone. Natriumethylat dient als Base, die das aus der Methylengruppe des Bernsteinsäu-
rediesters abgespaltene Proton aufnimmt, worauf das Carbanion des Bernsteinsäurediesters
sich als Nucleophil an die Carbonylverbindung anlagert (Reaktionsmechanismus siehe Ab-
schnitt 13.4.1.5). Das Reaktionsprodukt ist das Salz des Alkylidenbernsteinsäuremonoesters.
17.3 Carbonsäureester 687

R H2C CO OCH2CH3 R CH2 COO


O CH2CH3
C O + C C
H2C CO OCH2CH3 -2H O CH2CH3
R' R' CO OCH2CH3
Keton Bernsteinsäurediethylester Salz des Alkyliden-
bernsteinsäuremonoesters

17.3.5.4 Darzens Glycidsynthese


Darzens Glycidsynthese geht vom α-Halogencarbonsäureester und einem Aldehyd oder
Keton aus. Die Reaktion findet in Ether, Benzol oder Xylol in Gegenwart eines basischen
Katalysators (Natriumethanolat oder Kalium-tert-butanolat) statt. Das Reaktionsprodukt ist
ein Glycidester, der nach Verseifung und Decarboxylierung zu einer Carbonylverbindung
umgesetzt werden kann. Geht man vom Halogenessigsäureester aus, erhält man einen Alde-
hyd, geht man von einem α-Halogencarbonsäureester vom Typ RCH(X)COOC2H5 aus, ist
das Endprodukt ein Keton.

H R' H R'
R R' O O H
O C2H5 OH /H2O, Δ
C + H C C R C C C R C C
- HO C2H5 - CO2
O C2H5 O O C2H5 - HO C H O
O X - X 2 5 H

α-Halogencarbonsäureester Glycidester Aldehyd

Der α-Halogencarbonsäureester spaltet zunächst ein Proton ab, das von der Base gebun-
den wird.

H H
O O
CH3CH2 O H C C CH3CH2 O H + C C
O CH2CH3 O CH2CH3
X X

Halogencarbonsäureester Anion des


Halogencarbonsäureesters

Das Anion des Halogencarbonsäureesters greift als starkes Nucleophil einen Aldehyd
bzw. ein Keton an. Das Zwischenprodukt erfährt einen Ringschluß zum Epoxid, die entstan-
dene Verbindung wird als Glycidester bezeichnet.

H R' H R' H
R R' O O O
C C C R C C C R C C C
O CH2CH3 O CH2CH3 O O CH2CH3
O X O X
+ X

Glycidester
688 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

Nach vorsichtiger Hydrolyse des Glycidesters erfolgt bei Erwärmen schon unter 100°C
eine Decarboxylierung, und es entsteht zunächst ein Enol, das im Gleichgewicht (Keto-Enol-
Tautomerie) mit dem entsprechenden Aldehyd steht.

R' H R' H
O O
HO /H2O - CO2
R C C C - HOCH2CH3 R C C C
O O CH2CH3 O O

R' H H Keto-Enol- R' H


R'
H2O Tautomerie
C C C C R C C
R O - OH R O H O
H

17.3.5.5 Die Malonestersynthese


In der als Malonestersynthese bezeichneten Reaktion wird der Malonsäurediester in Gegen-
wart einer starken Base in ein Carbanion umgesetzt, das dann mit einem Halogenalkan rea-
giert. Zunächst wird ein Wasserstoffatom der Methylengruppe des Malonsäurediesters durch
einen Alkylrest ersetzt (siehe Abschnitt 15.3.2.5). Danach kann das noch verbleibende
H-Atom durch den gleichen oder einen anderen Alkylrest ebenfalls ersetzt werden. Wird der
Diester hydrolysiert, erfolgt eine Decarboxylierung, wobei eine Monocarbonsäure entsteht.

COOC2H5 1.) C2H5O Na COOC2H5 1.) C2H5O Na COOC2H5 H /H O COOH


2
2.) R X R 2.) R' X R Erhitzen R
CH2 C C C
- C2H5OH H - C2H5OH R' - 2 C2H5OH R'
COOC2H5 - Na X COOC2H5 - Na X COOC2H5 - CO2 H
Malonsäure- Alkylmalon- Dialkylmalon- Carbon-
diethylester säurediethylester säurediethylester säure

Als Reaktionspartner des Malonsäurediesters eignen sich primäre und sekundäre Halo-
genalkane. Tertiäre Halogenalkane sind für diese Reaktion ungeeignet, denn diese werden
bei den Reaktionsbedingungen zum entsprechenden Alken dehydrohalogeniert (siehe Ab-
schnitt 3.6.1.1).
Mit Dihalogenalkanen kann bei der Malonestersynthese auch eine intramolekulare Cycli-
sierung erfolgen.

COOC2H5 H2C X COOC2H5 COOC2H5


C2H5O Na CH2 (CH2)n C2H5O Na CH2
CH2 + (CH2)n C C (CH2)n
- C2H5OH H CH2X - C2H5OH CH2
COOC2H5 H2C X - Na X COOC2H5 - Na X COOC2H5
17.3 Carbonsäureester 689

17.3.5.6 Die Knoevenagel-Kondensation


In Gegenwart schwacher Basen wird der Malonsäurediester mit Aldehyden oder Ketonen in
der als Knoevenagel-Kondensation bezeichneten Reaktion (siehe Abschnitt 13.4.1.4) zum
Alkylidenmalonsäurediester umgesetzt. Nach Ansäuern wird der Diester zur Disäure hydro-
lysiert. Diese decarboxyliert spontan und es entsteht eine α,β-ungesättigte Carbonsäure.

O O O

R H C OC2H5 R C OC2H5 R C OH
Pyridin H /H2O
C O + C
- H2O
C C C C
- 2 C2H5OH
R' H C OC2H5 R' C OC2H5 - CO2 R' H

O O

Keton Malonsäurediester Alkylidenmalonsäurediester α,β-ungesättige


Carbonsäure
Mit ungesättigten Aldehyden oder Ketonen, deren Doppelbindungen in Konjugation zu
der Doppelbindung der Carbonylfunktion stehen, erfolgt bei den Reaktionsbedingungen der
Knoevenagel-Kondensation die Michael-Addition (siehe Abschnitt 13.4.5.3). Mit Acrolein
erfolgt z.B. eine 1,4-Addition:
O O
RO C H O RO C H
C CH2 CH C C O
RO C H RO C CH2 CH C
O O H

O H O
RO C H RO C H
C OH C O
RO C CH2 CH C RO C CH2 CH2 C
O H O H

17.3.6 Die Reduktion von Carbonsäureestern

17.3.6.1 Reduktion mit LiAlH4


Carbonsäureester können mit LiAlH4 zu primären Alkoholen reduziert werden (siehe Ab-
schnitt 10.6.2.7).

4R CO OR' (R CH2 O)4Al Li 4R CH2 OH


+ Ether 8 HCl +
3 - 2 AlCl3
2 Li AlH4 R'O Li + R'O 3Al - 2 LiCl 4 R' OH
690 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

17.3.6.2 Reaktion von Estern mit Grignard-Reagens


Mit Grignard-Reagens (siehe Abschnitt 10.6.2.8) in Ether als Lösungsmittel werden Ester
zunächst zu Ketonen umgesetzt, die dann mit Grignard-Reagens weiter zu tertiären Alkohol-
aten reagieren, nach deren Hydrolyse tertiäre Alkohole entstehen.

MgX MgX
O O MgX O OMgX O H
R'' - R'OMgX R'' H2O
C C R'' C R C R'' R C R''
- Mg(OH)X
R OR' R OR' R R''
R'' R''

17.3.6.3 Die Bouveault-Blanc-Reaktion


Erhitzt man einen Ester mit metallischem Natrium in einem Alkohol (Ethanol, Butanol, Iso-
propanol oder Cyclohexanol) unter Rückfluß, wird der Ester zu entsprechenden Alkoholaten
umgesetzt, die nach Ansäuern Alkohole bilden.
Erhitzen in CH3CH2OH mit Na
R COOR' R CH2 O + R' O

Der Reaktionsmechanismus der Reduktion wird am Beispiel des Carbonsäureethylesters


erklärt. Das Natrium hat bei dieser Reduktion die Funktion eines Elektronenspenders. Durch
Überführen zweier Elektronen von zwei Natriumatomen auf den Ester entsteht ein divalentes
Anion, das dem Alkohol ein Proton entreißt. Im nächsten Schritt wird das Ethanolat-Ion aus
dem Molekül eliminiert und ein Aldehyd gebildet.

O O O O O
Na H O R'
C C C R C H C
- Na - Na - O R' - OC2H5 R
R OC2H5 R OC2H5 R OC2H5 H
OC2H5
Na
divalentes Anion Aldehyd
Der Aldehyd nimmt vom Natrium 2 Elektronen auf, welche dann wiederum ein Proton
binden, so daß schließlich das Alkoholat-Ion entsteht. Nach Zugabe von Wasser wird daraus
der entsprechende Alkohol gebildet.

O O O O O O H
Na H O R' H H
C C C R C H R C H
- Na - Na - O R' - O H
R H R H R H
H H
Na
primärer Alkohol

17.3.6.4 Die Acyloin-Kondensation


Läßt man den Ester mit Natrium in Benzol oder Toluol als Lösungmittel reagieren, so stehen,
im Gegensatz zur oben genannten Bouveault-Blanc-Reaktion, keine Protonen zur Verfü-
17.4 Carbonsäureamide 691

gung, und die Reaktion nimmt einen anderen Verlauf, der als Acyloin-Kondensation bekannt
ist. Aus zwei Estermolekülen entsteht ein α-Hydroxyketon, das Acyloin. Aus Disäure-
diestern kann man mit Hilfe der Acyloin-Kondensation in relativ hoher Ausbeute cyclische
Ketoalkohole gewinnen.
H
Na O O Na O O
4 Na, erhitzen in Toluol 2 HCl
2R CO OR' R C C R R C C R
- 2 R'ONa - 2 NaCl
H
Ester Dinatriumsalz des Endiols Acyloin
Das Natrium ist auch in dieser Reaktion der Elektronenspender. Durch Übertragen eines
Elektrons auf den Ester entsteht ein Radikalanion, das als Ketyl bezeichnet werden kann.
Zwei Radikalanionen verbinden sich zu einem Dianion, das zwei Alkoholat-Ionen abspaltet,
wobei ein α-Diketon entsteht.

Na O O Na Na O O Na O O
O
2R C R C C R R C C R R C C R
2 Na
OR'
R'O OR' R'O OR'
+ 2 R' O Na

2 Radikalanionen Dianion α-Diketon


Das Diketon wird durch Aufnahme zweier Elektronen zum Salz des Endiols reduziert.
Nach Ansäuern geht es in das Endiol über. Dieses unterliegt der Keto-Enol-Tautomerie, die
Ketoform des Endiols ist das Acyloin.
H H H
O O Na O O Na O O O O
2 HCl
R C C R R C C R R C C R R C C R
- 2 NaCl
Na Na H
Salz des Endiols Endiol Acyloin

17.4 Carbonsäureamide
Carbonsäureamide, oftmals auch nur als Säureamide bezeichnet, kann man als Acylderivate
des Ammoniaks betrachten.

O
R C
NH2

Carbonsäureamid
692 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

Die am Stickstoff mono- und disubstituierten Carbonsäureamide kann man sich als Acyl-
derivate eines primären Amins R-NH2, oder eines sekundären Amins R-NH-R' vorstellen:

O O
R C R' R C R'
N N
H R''
monosubstituiertes und disubstituiertes Carbonsäureamid
Diacylderivate des Ammoniaks bzw. eines primären Amins bezeichnet man als Imide, z.B.:

O O O

C C C
H2C
NH NH N CH3
H2C
C C C

O O O

Succinimid Phthalimid N-Methyl-phthalimid


Cyclische Amide bezeichnet man als Lactame. Ähnlich wie bei den Lactonen (siehe Ab-
schnitt 15.7.1.1) wird auch die Ringgröße der Lactame durch Buchstaben des griechischen
Alphabets ausgedrückt, wobei der Kohlenstoff neben der Carbonylfunktion als α-Kohlen-
stoff bezeichnet wird und den weiteren Kohlenstoffen des Ringes die weiteren Buchstaben
des Alphabets zugesprochen werden, bis man zu dem Kohlenstoffatom gelangt, das das
Stickstoffatom bindet. Der ihm zugeordnete Buchstabe des Alphabets kennzeichnet die
Ringgröße des Lactams, z.B.:
α
CH2
β O
H2C C

H2C NH
γ
CH2 δ-Lactam
δ

Formamid H-CONH2 (Smt. 2°C) und N,N-Dimethylformamid H-CON(CH3)2 (Smt. 2,6°C,


Sdt. 155°C) sind flüssig, die höheren Carbonsäureamide sind bei Zimmertemperatur fest.
N,N-Dimethylformamid (DMF) wird bei Synthesen häufig als dipolar aprotisches Lösungs-
mittel verwendet. Es dient auch als Lösungsmittel für Polyacrylnitril.

17.4.1 Nomenklatur der Carbonsäureamide

Nach der IUPAC-Nomenklatur werden die Amide als Alkanamide bezeichnet, wobei der
Name des Alkans mit gleich vielen C-Atomen verwendet, und das Wort Amid hinzugefügt
wird. Ist ein Alkylrest an den Stickstoff des Amids gebunden, wird vor die Bezeichnung
dieses Alkylrestes ein N und ein Bindestrich gestellt, z.B.:
17.4 Carbonsäureamide 693

CH3
O O O O O
H C H C H3C C H3C CH2 C CH3CH2 CH C
NH2 N(CH3)2 NH2 NH(CH3) NH2
Methan- N,N-Dimethyl- Ethanamid N-Methylpropan- 2-Methylbutanamid
amid methanamid amid

In Anwendung kommt häufig auch noch die ältere Nomenklatur, wobei man für die
Acylgruppe den Trivialnamen des Acylrestes (siehe Abschnitt 15.1 und 15.1.1) unter Auslas-
sung der Endung -yl oder -oyl verwendet, und das Wort Amid hinzufügt, z.B.:
O O O O O
H C H C H3C C CH3CH2 C CH3CH2CH2 C
NH2 N(CH3)2 NH2 NH(CH3) NH2
Formamid N,N-Dimethyl- Acetamid N-Methyl- Butyramid
formamid propionamid

H3C O O C
CH CH2 C C N CH2CH3
H3C NH2 NH2 C

O
3-Methylbutyramid Benzamid N-Ethylphthalimid

17.4.2 Großtechnische Herstellung des N,N-Dimethylformamids

N,N-Dimethylformamid, das ein ausgezeichnetes organisches Lösungsmittel ist (geschätzte


Weltproduktion 150.000 jato1), kann durch Umsetzung von Methylformiat mit Dimethyl-
amin gewonnen werden.
O O

H C OCH3 + NH(CH3)2 H C N(CH3)2 + CH3OH

Es kann auch bei 100°C und 100–300 bar mit Natriummethanolat als Katalysator durch
Einführung von CO in eine methanolische Dimethylaminlösung großtechnisch hergestellt
werden.
O
CH3OH, 100 °C, 150 bar,CH3ONa
CO + NH(CH3)2 H C N(CH3)2

1
jato = Jahrestonnen = Produktion in Tonnen pro Jahr
694 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

17.4.3 Die Darstellung der Carbonsäureamide im Labor

17.4.3.1 Carbonsäureamide aus Carbonsäurechloriden


Durch Umsetzung von Carbonsäurechloriden mit Ammoniak oder einem Amin erhält man
das entsprechende Amid (RM siehe Abschnitt 17.1.3.1).
O R O
R C + HN R C R + HCl
Cl H N
H

17.4.3.2 Carbonsäureamide aus Carbonsäureanhydriden


Durch Umsetzung von Carbonsäureanhydriden mit Ammoniak oder einem Amin werden
Carbonsäureamide gebildet (RM siehe Abschnitt 17.2.3.1).
O
O
R C
R C
NH2
O + NH3 +
OH
R C
O R C
O

17.4.3.3 Carbonsäureamide aus Carbonsäureestern durch Ammonolyse


O R'' O
R C + HN R C R'' + H O R'
O R' H N
H
(RM siehe Abschnitt 17.3.4.3)

17.4.3.4 Carbonsäureamide durch Erhitzen von Ammoniumsalzen der Carbonsäuren


Erhitzt man Ammoniumsalze der Carbonsäure, wird unter Abspaltung von Wasser das Car-
bonsäureamid gebildet (siehe Abschnitt 15.4.2.3).
O O
Erhitzen
R C O NH4 R C NH2 + H2O

17.4.3.5 Carbonsäureamide durch partielle Hydrolyse von Nitrilen


Sowohl bei der sauren Hydrolyse als auch beim Verseifen von Nitrilen wird das Säureamid
als Zwischenprodukt gebildet. Führt man die Reaktion bei entsprechend niedrigen Reak-
tionstemperaturen aus, kann dieses Zwischenprodukt vielfach isoliert werden (die Reak-
tionsmechanismen siehe Abschnitt 15.3.2.4).
17.4 Carbonsäureamide 695

17.4.3.6 Darstellung von Carbonsäureamiden aus Oximen durch Beckmann-Umlagerung


Wird das Oxim eines Ketons (Ketoxim) oder eines Aldehyds (Aldoxim) (Oxime siehe Ab-
schnitt 13.4.3.4) mit konz. Schwefelsäure oder PCl5 erhitzt, erhält man ein Säureamid.

R befindet sich R R' R' befindet sich O R'


in anti-Stellung in syn-Stellung C
C konz. H2SO4
zur OH- Gruppe zur OH- Gruppe
N N
OH R H
Ketoxim N-Alkylamid

Ähnlich wie bei den Alkenen die cis-trans-Isomerie, so gibt es bei den Oximen eine syn-
anti-Isomerie. In der chemischen Nomenklatur wird bei stickstoffhaltigen Derivaten der
Ausdruck syn-anti im Sinne von cis-trans verwendet. Die Beckmann-Umlagerung ist stereo-
spezifisch, da im Ketoxim der in Anti-Stellung zur Hydroxygruppe befindliche Alkylrest
nach Auflösung der C–C-Bindung mit den beiden Bindungs-Elektronen zum Stickstoff wan-
dert. Den Vorgang kann man als trans-Anionotropie charakterisieren.
Die Reaktion beginnt mit der Protonierung der Hydroxygruppe des Oxims, worauf bei
Abspaltung der H2O+-Gruppe eine anionotrope Umlagerung eines Alkylrestes, die Beck-
mann-Umlagerung, stattfindet. Es ist nicht anzunehmen, daß zuerst die Abspaltung der
H2O+-Gruppe und nachfolgend erst die anionotrope Umlagerung stattfindet. Die Stereospezi-
fität der Reaktion weist vielmehr darauf hin, daß die Abspaltung der H2O+-Gruppe und die
Wanderung des in Anti-Stellung zu dieser Gruppe befindlichen Alkylrestes als Carbanion
zum Stickstoff synchron verlaufen. Das abgespaltene Wassermolekül lagert sich als Nucleo-
phil an das Carbeniumion an und füllt damit die Elektronenlücke am Kohlenstoff. Aus der
H2O+-Gruppe wird H+ abgespalten. Im letzten Schritt erfolgt eine Prototropie, die OH-Grup-
pe spaltet ein H+ ab, das zum Stickstoff wandert und von diesem gebunden wird.

H H

R R' R R' H O R' H O R' H O R' O R'


Beckmann-
C C Umlagerung C C -H C C

N N N N N N
O H O H R R R R H

H H
Oxim protoniertes Carbeniumion Oxoniumion Iminol Amid
Oxim

Ein Paradebeispiel für die Beckmann-Umlagerung ist die großtechnische Herstellung des
ε-Caprolactams, eines Zwischenprodukts für die Produktion von Nylon-6 (näheres über das
Nylon-6,6 und das Nylon-6,10 siehe Abschnitt 15.6.1.5). Der Ausgangsstoff für die Synthese
des ε-Caprolactams ist das Cyclohexanonoxim. Dieses kann, ausgehend vom Benzol oder
Phenol durch folgende mehrstufige Reaktionen hergestellt werden:
696 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

O2/Mn oder Co-


H2/Ni oder Pt Naphthenat O
20-40 bar, 200 °C 8-15 bar, 160 °C

N OH
H2NOH H2SO4
Benzol Cyclohexan Cyclohexanon 85 °C
- H2SO4
OH
OH H2/Pd Zn- oder Cu- O
10 bar, 150 °C Kat., 400 °C
H

Phenol Cyclohexanol Cyclohexanon

Das Cyclohexanonoxim läßt man mit konz. Schwefelsäure bei 120°C reagieren, und es
wird das ε-Caprolactam gebildet.

H
O H O H H
H
N H N O H
O H
C C Beckmann- N C N C
H2C CH2 H2C CH2 Umlagerung CH2 CH2
H2C H2C
H2C CH2 H2C CH2 H2C CH2 H2C CH2
CH2 CH2
CH2 CH2
Cyclohaxanonoxim
H

O H O H H O
N C N C N C
-H
H2C CH2 H2C CH2 H2C CH2

H2C CH2 H2C CH2 H2C CH2


CH2 CH2 CH2
ε-Caprolactam

Der Ring des ε-Caprolactams wird bei saurer Katalyse mit konz. Salzsäure bei 250°C
aufgespalten und das Spaltprodukt zum Nylon-6 polymerisiert. Die Zahl 6 besagt, daß der
Baustein für dieses Polymere, das Monomer, sechs Kohlenstoffatome besitzt.

H O
N C O
CH2 H , 250 °C
n H2C NH (CH2)5 C
n
H2C CH2
CH2
ε-Caprolactam
17.4 Carbonsäureamide 697

17.4.3.7 Die Darstellung von Carbonsäureimiden


Die Imide der Dicarbonsäuren lassen sich leicht darstellen, wenn dabei ein Fünf- oder Sechs-
ring gebildet wird. Man kann das Anhydrid der Carbonsäure mit NH3 reagieren lassen, oder
man bildet das Monoammonium- oder das Diammoniumsalz der Disäure und erhitzt dieses:
O O
O
C OH C O NH4
C
+ NH3 Erhitzen
NH + 2 H2O
C OH C OH C

O O O

17.4.4 Reaktionen der Carbonsäureamide und Carbonsäureimide


Carbonsäureamide zeigen in wäßriger Lösung eine neutrale Reaktion. Trotz des freien Elek-
tronenpaares am Stickstoff sind Säureamide äußerst schwache Basen, denn das Elektronen-
paar ist an der Mesomeriestabilisierung des Säureamids beteiligt und deshalb für die Bin-
dung eines Protons schlecht verfügbar.

O O
R C R C
N H N H

H H
Mesomere Grenzformeln des Carbonsäureamids
Die Reaktion mit Nucleophilen setzt eine positive Teilladung am Kohlenstoff der Carbo-
nylfunktion voraus. Die Mesomeriestabilisierung erklärt (siehe auch Abschnitt 15.4.2), wa-
rum die Carbonylgruppe der Carbonsäureamide gegenüber Nucleophilen relativ unreaktiv
ist. Die partielle positive Ladung am Stickstoff polarisiert die N–H-Bindung, so daß die
Säureamide sehr schwache saure Eigenschaften zeigen. Die sauren Eigenschaften liegen bei
Carbonsäureimiden, die zwei aktivierende Carbonylgruppen besitzen, in noch stärkerem
Maße vor. Die Mesomerie ist bei Säureimiden noch ausgeprägter und die Partialladung am
Stickstoff höher, so daß die Deprotonierung der Carbonsäureimide leichter als die der Car-
bonsäureamide erfolgen kann.

O O O

C C C
N H N H N H
C C C

O O O

Mesomere Grenzformeln des Carbonsäureimids


698 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

Die negative Ladung der nach Abspaltung des Protons aus dem Carbonsäureimid ent-
standenen konjugierten Base (siehe Abschnitt 10.7.3) ist über die Sauerstoffatome und das
Stickstoffatom delokalisiert. Zudem braucht man beim Carbonsäureimid-Anion eine La-
dungstrennung (in positive und negative Ladung), wie sie bei den polaren Grenzformeln des
Carbonsäureimids aufgezeigt wird, nicht zu berücksichtigen. Das Carbonsäureimid-Anion ist
relativ stabil, was ebenfalls zum sauren Charakter des Carbonsäureimids beiträgt, denn ein
stabiles Dissoziationsprodukt begünstigt die Dissoziation.

O O O

C C C
N N N
C C C

O O O

Mesomere Grenzformeln des Carbonsäureimid-Anions


Carbonsäureimide können Salze bilden, z.B. bildet das Phthalimid in alkoholischer Kali-
lauge oder durch Umsetzung mit K2CO3 in wäßriger Lösung das Phthalimidkalium.

O O

C Alkoholische C
Kalilauge
N H + KOH N K + H2O
C C

O O

Phthalimid Phthalimidkalium

17.4.4.1 Die Hydrolyse von Carbonsäureamiden


Die Hydrolyse der Carbonsäureamide kann sauer oder basisch katalysiert stattfinden (RM
siehe Abschnitt 15.3.2.4). Entsprechend dem Umstand, daß Säureamide nicht sehr reaktiv
sind, ist es notwendig, das Reaktionsgemisch mit konzentrierten Basen oder konz. Mineral-
säuren längere Zeit zu erhitzen.
O O
HCl
R C + H2O R C
- NH4Cl
NH2 OH

O O
R C + NaOH R C + NH3
NH2 O Na
17.4 Carbonsäureamide 699

Bei milderen Reaktionsbedingungen kann man die Carbonsäureamide mit salpetriger


Säure in die entsprechende Carbonsäuren umsetzen (RM siehe Abschnitt 22.6.6.1). Man ver-
fährt dabei so, daß man zu dem in verdünnter Salz- oder Schwefelsäure befindlichen Carbon-
säureamid Natriumnitrit NaNO2 zugibt. Die stärkere Mineralsäure setzt die schwächere sal-
petrige Säure HNO2 aus ihrem Salz frei. Nach erfolgter Nitrosierung (siehe Abschnitt 22.6.6)
wird N2 abgespalten und die Carbonsäure gebildet.
O O
H
R C + HNO2 R C + H2O + N2
NH2 OH

17.4.4.2 Die Dehydratisierung von Carbonsäureamiden


Erhitzt man die Carbonsäureamide mit P2O5, so werden sie zum entsprechenden Nitril de-
hydratisiert.
O
P2O5
R C R C N
- H2O
NH2

17.4.4.3 Der Hofmannsche Abbau von Carbonsäureamiden


Bei Erwärmen des Carbonsäureamids in einer Hypobromitlösung NaBrO oder Hypochlorit-
lösung NaClO, oder bei Erwärmen mit Brom oder Chlor in Natronlauge auf 70°C, wird CO2
abgespalten, und man erhält ein primäres Amin.
O
R C + 2 NaOH + X2 R NH2 + 2 NaX + CO2 + H2O X = Br, Cl
NH2

Im ersten Reaktionsschritt wird das Säureamid deprotoniert, und es erfolgt ein nucleophi-
ler Angriff des Amidat-Ions am Halogenmolekül, das heteropolar gespalten wird, wobei das
N-Halogenamid gebildet wird. Durch den –I-Effekt der Carbonylgruppe und des Halogens
wird die N–H-Bindung stark polarisiert. Das N-Halogenamid spaltet ein Proton ab, das vom
Hydroxid-Ion gebunden wird. Hierbei entsteht das N-Halogenamidat. Die Abspaltung des
Halogenid-Ions führt zum Acylnitren. In Analogie zu den Carbenen (siehe Abschnitt 5.8.1)
werden Stickstoffverbindungen mit einem Elektronensextet am Stickstoff als Nitrene be-
zeichnet.

O O O O O
- H2O X X O H
R C H O H R C R C H R C R C
- H 2O
N N H - X N N N
H X X
X

Säureamid Amidat-Ion N-Halogen- N-Halogen- Acylnitren


amid amidat
700 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

Nitrene sind sehr reaktive Verbindungen, die stark dazu neigen, das Elektronensextett am
Stickstoff zum Elektronenoktett aufzufüllen. Im vorliegenden Fall geschieht dies durch An-
ionotropie des Alkylrestes zum Stickstoff (Anionotropie = Wanderung des Alkylrestes mit
dem Elektronenpaar als Anion). Diese Umlagerung wird als Hofmann-Umlagerung bezeich-
net. Es entsteht das Alkylisocyanat. Die Bezeichnung „iso“ bedeutet in diesem Falle, daß der
Alkylrest nicht an den Sauerstoff gebunden ist, denn dies wäre ein Alkylcyanat R–O–CN,
sondern an den Stickstoff. Isocyanate sind sehr reaktive Verbindungen. Es erfolgt eine nu-
cleophile Addition des Wassers an die Carbonylfunktion. Bei der darauf folgenden Prototro-
pie (Wanderung von H+ zu einem anderen Bindungspartner innerhalb des Moleküls) entsteht
die N-Alkylcarbaminsäure, die instabil ist und zum primären Amin decarboxyliert. Die Carb-
aminsäure hat die Formel:
O
H2N C
OH
Sie kann auch als Monoamid der Kohlensäure aufgefaßt werden.
H H
Hofmann- O O O
O O
Umlagerung H
R C C C H C
N R N R N O R N O H
Acylnitren Alkylisocyanat H
H
O
H O H
Prototropie
C C O R N + O C O
R N O H R N H
H
N-Alkylcarbaminsäure Amin

17.5 Nitrile
Nitrile können zu entsprechenden Carbonsäuren hydrolysiert werden und sind deshalb den
funktionellen Derivaten der Carbonsäuren zuzuordnen. Die funktionelle Gruppe der Nitrile ist
die Nitrilgruppe –CN, die auch als Cyanogruppe bezeichnet wird. Von industrieller Bedeutung
ist das Acrylnitril H2C=CH–CN (Smt. –82°C, Sdt. 77,3°C), das zu Polymeren verarbeitet wird.
Das Acetonitril CH3–CN (Smt. –44,9°C, Sdt. 81,6°C) dient als polares Lösungsmittel.

17.5.1 Nomenklatur der Nitrile


Nach der IUPAC-Nomenklatur werden die Nitrile als Alkannitrile bezeichnet. Man nennt
den Namen des Alkans mit gleicher Anzahl der Kohlenstoffatome (das Kohlenstoffatom der
Nitrilgruppe mitgezählt!) und fügt das Wort Nitril hinzu. Als Substituent wird die Nit-
rilgruppe mit dem Wort Cyan oder Cyano bezeichnet.
17.5 Nitrile 701

Nitrile kann man auch als Alkylcyanide benennen. Man nennt den Alkylrest (das C-Atom
der CN-Gruppe wird nicht mitgezählt), und fügt das Wort Cyanid hinzu.
Die ältere, noch gebräuchliche Nomenklatur, leitet den Namen des Nitrils von dem Salz
der Carbonsäure ab, das das Verseifungsprodukt des Nitrils darstellt. Die Endungen -at bzw.
-oat werden ersetzt durch die Endung -onitril.

H3C C N N C (CH2)4 C N CH3CH2 C C N

Ethannitril Hexandinitril CH3


Acetonitril Adiponitril
2-Methyl-2-phenyl-butannitril

O
C N CH2 C N N C (CH2)3 C
OCH3

Benzonitril Benzylcyanid Methyl-4-cyano-butanoat

17.5.2 Synthese der Nitrile

17.5.2.1 Die großtechnische Herstellung des Acrylnitrils


Acrylnitril wird hauptsächlich durch Ammonoxidation von Propen hergestellt. Im techni-
schen Verfahren nach Sohio (Standard Oil of Ohio) werden Propen, Ammoniak und Luft
unter Zusatz von Wasserdampf mit einem Uranylantimonat-Katalysator im Wirbelbett-
verfahren bei 450°C und 1,5 bar zu Acrylnitril umgesetzt.

UO2/Sb2O3, 450 °C, 1,5 bar


H2C CH CH3 + NH3 + 3/2 O2 H2C CH C N + 3 H2O

Als Nebenprodukt der Reaktion fällt Acetonitril an, das als selektives, stark polares apro-
tisches Lösungsmittel Verwendung findet. Außerdem entsteht bei dieser Reaktion Blausäure
HCN, die für verschiedene Synthesen gebraucht wird.
Acrylnitril dient als Monomer zur Herstellung von Polyacrylnitril. Die Polymerisation
(siehe Abschnitt 3.7.8) erfolgt radikalisch (siehe Abschnitt 3.7.9.1) mit Peroxiden als Kataly-
sator. Da das Polyacrylnitril in seinem Monomer nicht löslich ist, flockt es aus diesem aus.

Peroxid
n H2C CH CH2 CH
n
C N C N
702 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

Das Polyacrylnitril wird in Dimethylformamid gelöst und im Trocken- oder Naßspinn-


verfahren zur Polyacrylnitrilfaser (Orlon®, Dralon®) versponnen. Die Faser hat eine hohe
Festigkeit, ist licht- und wetterbeständig und besitzt wollähnliche Eigenschaften. Acrylnitril-
Copolymerisate mit 10–25 % Methylmethacrylat und Styrol dienen zur Herstellung von
Verpackungshohlkörpern. Durch Copolymerisation von Acrylnitril, Butadien und Styrol
wird Nitrilkautschuk gewonnen.

17.5.2.2 Die Kolbe-Nitrilsynthese


Erhitzt man unter Rückfluß primäre oder sekundäre Halogenalkane und Alkalicyanide meh-
rere Stunden in wasserfreiem Aceton, erhält man ein Nitril, und als Nebenprodukt ein Iso-
nitril. Für aliphatische primäre Halogenalkane kann man anstelle von Aceton auch Alkohol,
oder ein Alkohol/Wassergemisch als Lösungsmittel verwenden. Tertiäre Halogenalkane sind
für die Kolbe-Nitrilsynthese ungeeignet.

R C N + X
Nitril
R X + C N X = Br, Cl

C N R + X
Isonitril
Es erfolgt eine SN-Reaktion, wobei das Cyanid-Ion nucleophil angreift und das Halogen
ersetzt.
R' R'
N Cl + C X N C C + X
H H
H H
Das Cyanid-Ion ist ambident, es kann das Halogenalkan als C-Nucleophil und als N-Nu-
cleophil angreifen, denn es verfügt sowohl am Stickstoff als auch am Kohlenstoff über ein
freies Elektronenpaar. Greift das Cyanid-Ion als C-Nucleophil an, entsteht das Nitril, der An-
griff als N-Nucleophil führt zum Isonitril. Das Verhältnis von Nitril und Isonitril hängt vom
Reaktionsmechanismus ab. Erfolgt die Reaktion nach dem SN2-Mechanismus, entsteht das
Nitril, und das Isonitril wird nur in geringem Maße gebildet. Primäre Halogenalkane geben
deshalb eine hohe Nitrilausbeute, und man kann die Reaktion auch in dipolaren protischen
Lösungsmittel durchführen (siehe Abschnitt 9.6.3.4), z.B. in Alkohol oder sogar in einem
Alkohol/Wasser-Gemisch. Sekundäre Halogenalkane, oder solche die stärker zur SN1-Reak-
tion neigen, müssen in einem dipolaren aprotischen Lösungsmittel, z.B. in Aceton umgesetzt
werden, um die Nitrilausbeute zu erhöhen. Das Isonitril hat einen unangenehmen Geruch und
ist stark giftig. Erfolgt die Reaktion nach dem SN2-Mechanismus, hat das Halogenalkan in-
folge der polaren C–X-Bindung eine positive Teilladung am Kohlenstoff und stellt eine wei-
che Lewis-Säure dar (siehe Abschnitt 10.7.3). Nach der Faustregel, daß eine weiche Lewis-
Säure vornehmlich mit weicher Lewis-Base reagiert, erfolgt der nucleophile Angriff auf das
Halogenalkan mit dem Kohlenstoff des Cyanidions, der eine weiche Lewis-Base ist. Das bei
dem SN1-Mechanismus auftretende Carbeniumion ist als eine harte Lewis-Säure anzusehen,
die auch gut mit dem Stickstoff des Cyanidions reagieren kann.
17.5 Nitrile 703

17.5.2.3 Darstellung der Nitrile durch Wasserabspaltung


Erhitzt man Carbonsäureamide mit einem wasserabspaltenden Mittel, z.B. P2O5, erhält man
Nitrile. Eine weitere Möglichkeit, Nitrile darzustellen, besteht darin, daß man Aldoxime mit
Acetanhydrid erhitzt, wobei aus dem Aldoxim Wasser abgespalten wird und das Acetanhyd-
rid unter Wasseraufnahme Essigsäure bildet.
O
P2O5
R C R C N
- H2O
NH2

N OH
(CH3CO)2O
R C R C N
- 2 CH3COOH
H
Aldoxim

17.5.2.4 Darstellung aromatischer Nitrile


Aromatische Nitrile kann man durch die Schmelze alkalischer Sulfonsäuresalze mit Natrium-
cyanid erhalten

Δ
SO3Na + NaCN C N + Na2SO3

oder aus aromatischen Aminen, z.B. Anilin, wobei das Amin in das Diazoniumsalz überführt
und dieses dann mit CuCN in das Nitril umgesetzt wird (Sandmeyer-Reaktion).

NaNO2/HCl CuCN
NH2 N N Cl C N + N2
- CuCl

17.5.3 Reaktionen der Nitrile

17.5.3.1 Die Hydrolyse der Nitrile


Nitrile können durch starke Säuren (siehe Abschnitt 15.3.2.4a) hydrolysiert und mit konzen-
trierten Basen auch verseift werden (siehe Abschnitt 15.3.2.4b). In beiden Fällen ist in der
Regel ein längeres Erhitzen (1/2 Stunde bis mehrere Stunden) notwendig.

H2SO4, Erhitzen H2SO4/H2O, Erhitzen


R C N + H2O R CONH2 R COOH
- NH4HSO4

NaOH, Erhitzen NaOH, Erhitzen


R C N + H2O R CONH2 R COONa + NH3
704 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

17.5.3.2 Reaktionen des Nitrils zum Iminoester und zum Amidin


In wasserfreiem Medium reagiert das Nitril mit Chlorwasserstoff unter Bildung eines Imid-
chlorids, das mit einem Alkohol weiter zum Iminoester-Hydrochlorid reagiert. Aus diesem
kann man durch Einwirkung mit NH3 das Amidin-Hydrochlorid darstellen. Das Amidin-
Hydrochlorid kann man aber auch direkt durch Reaktion des Ammoniaks mit Imidchlorid
erhalten.

N H Cl
R' O H R C NH2 Cl
R C
O
R C N H R' H O
Iminoester-
R' Hydrochlorid
R C N HCl NH3
- R'OH

R C N H
NH3 N H Cl NH2 Cl
+ Cl R C R C
H Amidin-
H2N NH2
Hydrochlorid

Die Reaktionen sind insofern präparativ interessant, als man von beiden Produkten, so-
wohl vom Iminoester-Hydrochlorid als auch vom Amidin-Hydrochlorid, durch Alkoholyse
mit einem Überschuß an Alkohol einen Orthoester darstellen kann (Orthoameisensäureester
siehe auch Abschnitt 17.3.3.5).
R
O
NH2 Cl
R C 2R O H R C O R
- NH4Cl
O O
R' R'
Iminoester-Hydrochlorid Orthoester

17.5.3.3 Reaktion der Nitrile mit Grignard-Reagens


Bei der Reaktion von Grignard-Reagens mit Nitrilen wird das Iminiumsalz gebildet, das mit
Wasser zum Imin umgesetzt wird.
R R
H2O
R C N C N MgX C N H + Mg(OH)X

R' MgX R' R'

Mit Wasser reagiert das Imin weiter, und es entsteht, über das Aminol als Zwischen-
produkt, ein Keton:
17.5 Nitrile 705

H H
H H
O
O O H
R
C N H R C N H R C NH2
R'
R' R'
Imin Aminol

O
O
R C NH3 R C + NH3

R' R'
Keton

17.5.3.4 Die katalytische Hydrierung von Nitrilen


Die Nitrile kann man katalytisch mit PtO2 nach Adams mit Pd auf Al2O3 als Trägersubstanz
oder mit Raney-Nickel hydrieren. Mit Raney-Nickel führt man die Reduktion bei höherer
Temperatur und unter Druck durch. Als Lösungsmittel benutzt man einen Alkohol. Die Re-
duktion des Nitrils führt über das Aldimin, das als Zwischenprodukt nicht isoliert werden
kann, zum primären Amin.

H2/PtO2, C2H5OH H2/PtO2, C2H5OH


R C N R CH NH R CH2 NH2

Nitril Aldimin Amin

Durch Addition des Amins an das als Zwischenprodukt vorliegende Aldimin entsteht ein
sekundäres Amin als Nebenprodukt.

R CH NH
R CH NH R CH NH2 R CH R CH2
- NH3 Pt/H2
H N H H N H N H N N H

CH2 CH2 CH2 CH2 CH2

R R R R R

17.5.3.5 Reduktion der Nitrile mit Natrium in absolutem Ethanol


Die Reduktion verläuft über das Aldimin als Zwischenprodukt, das bei den Reaktionsbedin-
gungen nicht isoliert werden kann. Das Reaktionsprodukt ist ein primäres Amin.
706 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

17.5.3.6 Reduktion mit SnCl2 nach Stephen


Führt man die Reduktion mit wasserfreiem SnCl2 in absolutem Ether unter Einleiten von
Chlorwasserstoffgas durch, entsteht nach Protonierung des Nitrils das Nitriliumtetrachloro-
stannat, und dieses geht über in das Aldiminiumhexachlorostannat, das zum Aldehyd hydro-
lysiert werden kann. Bei dieser Reaktion erfolgt eine Reduzierung der Nitrilgruppe zur Imi-
nogruppe, wobei das zwei- zum vierwertigen Zinn oxidiert wird.
+3 Ether +3 II 2
R C N + SnCl2 + 2 HCl H R C NH SnCl4

Nitril Nitriliumtetrachlorostannat

O
2 HCl +1 IV 2 H2O
H R CH NH2 SnCl6 R C
- SnCl4
- HCl H
Aldiminiumhexachlorostannat - NH4Cl Aldehyd

17.5.3.7 Reduktion der Nitrile mit LiAlH4


Läßt man Nitrile mit LiAlH4 in Ether reagieren, erhält man ein Reaktionsprodukt, nach des-
sen Hydrolyse ein primäres Amin entsteht.
1.) LiAlH4 2.)H2O
R C N R CH2 NH2

Mit modifizierten Aluminiumhydrid-Verbindungen können Nitrile zu Aldehyden redu-


ziert werden (siehe Abschnitt 13.3.2.4).

17.5.3.8 Die Thorpe-Reaktion


Ist am α-C-Atom des Nitrils ein Wasserstoff gebunden, kann das Nitril, ähnlich wie ein
Ester, als C-Säure reagieren. Es können aldolartige Reaktionen, die als Thorpe-Reaktion
bekannt sind, durchgeführt werden. Mit Dinitrilen können diese Reaktionen zur Ringbildung
führen und werden dann als Thorpe-Ziegler-Reaktion bezeichnet. Mit Hilfe dieser Reaktion
kann man fünf bis zehngliedrige Ringe in guter Ausbeute synthetisieren, für 11- bis 13-
gliedrige Ringe ist die Ausbeute sehr gering, sie steigt aber wieder bei 14-gliedrigen und
höheren Ringen. Die Reaktion kann, ähnlich wie bei der Aldol-Kondensation, durch eine
starke Base, z.B. ein Alkoholat-Ion, eingeleitet werden. Aus der zur Cyangruppe α-ständigen
Methylengruppe wird H+ abgespalten und dieses von der Base gebunden. Mit dem freien
Elektronenpaar greift das Carbanion das Kohlenstoffatom der Nitrilgruppe an, so daß eine
C–C-Verknüpfung stattfindet.

( CH2)n CH C N ( CH2)n CH C N ( CH2)n CH C N

H O R H O R H O R

CH2 C N CH2 C N CH2 C N


17.5 Nitrile 707

Der negativ geladene Stickstoff bindet ein Proton, und es entsteht ein β-Iminonitril, das
im tautomeren Gleichgewicht mit der Enamin-Form steht.

( CH2)n CH C N ( CH2)n CH C N ( CH2)n C C N


H
- O R
CH2 C N CH2 C N H CH2 C N H
H O R

β-Iminonitril Enamin
Das Reaktionsprodukt kann zum β-Oxonitril hydrolysiert werden.

( CH2)n C C N Imin-Enamin- ( CH2)n CH C N ( CH2)n CH C N


Tautomerie H2O
H + NH3
CH2 C N H CH2 C N H CH2 C O

β-Iminonitril β-Oxonitril

17.5.3.9 Alkylierung von Nitrilen


Das Nitril kann mit einem Halogenalkan und Natriumamid als Base in flüssigem Ammoniak
alkyliert werden.
H CH3
NaNH2/NH3 (flüssig), - 80 °C
R C C N + 2 CH3Br R C C N
- 2 HBr
H CH3
708 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

Übungsaufgaben

? 17.1
Welche Produkte entstehen bei der Reaktion eines Carbonsäurechlorids mit:
a) Alkohol b) Carbonsäure c) Ammoniak d) Monoalkylamin e) Dialkylamin
f) Hydrazin g) Hydroxylamin?
Schreiben Sie die Formel der Produkte auf und benennen Sie die Produkte.

? 17.2
Ordnen Sie folgende Verbindungen nach ihrer Reaktivität für SN2t-Reaktionen ein:
a) Carbonsäurreester b) Carbonsäure c) Carbonsäureamid d) Carbonsäurehalogenid
e) Carbonsäureanhydrid

? 17.3
Schreiben Sie a) die Reaktionsgleichung für die Verseifung von Carbonsäureestern und
b) den Reaktionsmechanismus der Verseifung auf.

? 17.4
Schreiben Sie die Reaktionsgleichung für die sauer katalysierte Alkoholyse von Carbonsäu-
reestern auf (Umesterung).

? 17.5
Welche Reaktion erfolgt, wenn ein Ester mit Natrium in Ethanol unter Rückfluß erhitzt
wird? Schreiben Sie die Reaktionsgleichung auf und geben Sie an, wie diese Reaktion be-
nannt wird.

? 17.6
Welche Reaktion erfolgt, wenn ein Ester mit Natrium in Toluol erhitzt und das Reaktions-
produkt angesäuert wird? Schreiben Sie die Reaktionsgleichung auf und geben Sie an, wie
diese Reaktion benannt wird.

? 17.7
Ergänzen Sie die Reaktionsgleichungen:

20°C Erhitzen
CH3COOH + NH3

? 17.8
Ein Ketoxim reagiert mit konzentrierter Schwefelsäure. Beschreiben Sie den Reaktions-
mechanismus der Reaktion.

? 17.9
Wie reagieren Nitrile mit Grignard-Reagens und was erhält man nach Hydrolyse des Pro-
dukts?
Lösungen 709

Lösungen

! 17.1
Vom Carbonsäurechlorid ausgehend, kann man andere funktionelle Derivate der Carbonsäu-
re darstellen:
O
H O R' Alkohol
R C O R' + HCl Ester
O
O O
H O C R' Carbonsäure
R C O C R' + HCl Carbonsäureanhydrid
O
NH3 Ammoniak
R C NH2 + HCl Carbonsäureamid
O
O NH2 R' Monoalkylamin
R C R C NHR' + HCl N-Alkylcarbonsäureamid
Cl O
NHR' Dialkylamin
R C NR'2 + HCl N,N-Dialkylcarbonsäureamid
O
H2 N NH2 Hydrazin
R C NH NH2 + HCl Carbonsäurehydrazid
O
H2 N OH Hydroxylamin
R C NH OH + HCl Hydroxamsäure

! 17.2
Der –I-Effekt der Abgangsgruppe erhöht die positive Teilladung am Carbonylkohlenstoff
und erleichtert somit die Addition des Nucleophils beim ersten Reaktionsschritt der SN2t-
Reaktion. Die Polarität der C-L-Bindung erleichtert auch den Abgang der Abgangsgruppe L
im zweiten Teilschritt dieser Reaktion. Entscheidend ist die Elektronegativität des an das
C-Atom der Carbonylgruppe gebundenen Atoms der Abgangsgruppe, denn je höher die
Elektronegativität dieses Atoms, desto größer die Polarität der Bindung zwischen diesen Bin-
dungspartnern. Der +M-Effekt, der die Ablösung der Abgangsgruppe erschwert, steht dazu
in umgekehrtem Verhältnis (siehe Kapitel 15.4.2). Die Reaktivität von funktionellen Deriva-
ten der Carbonsäure bezüglich der SN2t-Reaktionen nimmt in dieser Reihe zu:
O O O O O O
C NH2 < C OH < C OR' < C O C < C X
R R R R R R
X = Cl, Br
Carbonsäure- Carbonsäure Carbonsäure- Carbonsäure- Carbonsäure-
amid ester anhydrid halogenid
710 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

! 17.3
a) Die Hydrolyse von Estern mit Lauge bezeichnet man als Verseifung. Die Reaktionspro-
dukte der Verseifung sind Carbonsäuresalz und Alkohol:

O O O
R C + NaOH R C R C Na + H O R'
O R' O O

Carbonsäureester Carbonsäuresalz Alkohol

! b) Die Verseifung wird eingeleitet mit der Addition der Hydroxygruppe an das C-Atom der
Carbonylgruppe des Esters, worauf im weiteren Reaktionsschritt das Alkoholation abge-
spalten wird, das mit Wasser zumAlkohol reagiert. Die in diesem Reaktionsschritt gebil-
dete Carbonsäure reagiert mit der Lauge zum Salz der Carbonsäure.

O O O
O
O H
R C O H R C O H R C O H R C O + H 2O
O R' Carbonsäure Carbonsäureanion
O
+
R'
Ester H 2O
O R' H O R' + O H
Alkoholat Alkohol

! 17.4
Bei der sauer katalysierten Alkoholyse von Carbonsäureestern, die als Umesterung bezeich-
net wird, ist das Reaktionsprodukt wiederum ein Ester, wobei die Alkoxygruppe des Esters
in der Reaktion durch die Alkoxygruppe des Alkohols ersetzt wird (Reaktionsmechanismus
siehe Kapitel 17.3.4.2).
O O
H
R C + R'' O H R C + R' O H
O R' O R''

! 17.5
Erhitzt man einen Ester mit Natrium in Ethanol unter Rückfluß, so erhält man als Produkt
zunächst die entsprechenden Alkoholate, die bei Zugabe von Wasser oder Ansäuern Alkoho-
le bilden. Die Reaktion wird als Bouveault-Blanc-Reaktion bezeichnet (Reaktionsmecha-
nismus siehe Kapitel 17.3.6.3).
Na/CH3 CH2OH, Erhitzen H / H 2O
RCOOR' RCH2 O + R' O RCH2OH + R'OH
Lösungen 711

! 17.6
Erhitzt man einen Ester mit Natrium in Toluol, so entsteht zunächst das Dinatriumsalz des
Endiols. Nach Ansäuern erhält man Acyloin (Reaktionsmechanismus siehe Kapitel 17.3.6.4).
Die Reaktion wird als Acyloin-Kondensation bezeichnet.

! 17.7
Leitet man Ammoniak in Essigsäure ein, erhält man Ammoniumacetat. Erhitzt man dieses,
entsteht Acetamid

20°C Erhitzen
CH3COOH + NH3 CH3COO NH4 CH3CONH2 + H2O

Ammoniumacetat Acetamid

! 17.8
Die Reaktion eines Ketoxims mit Schwefelsäure beginnt mit der Protonierung der Hydroxy-
gruppe, darauf folgt die Beckmann-Umlagerung wobei gleichzeitig mit dem Lösen der
Hydroxoniumgruppe eine Anionotrope Umlagerung des zu dieser Gruppe in anti-Stellung
befindlichen Alkylrestes stattfindet. Es erfolgt eine Anlagerung von Wasser an das Carbeni-
umion, eine Deprotonierung und im letzten Reaktionsschritt eine Prototropie, die vom Iminol
zum Amid führt.

H H H H H
R R' R R' R' R'
R' R' O
O O O
C C Beckmann- C C
Umlagerung C –H C

N N N N
N N
O H O H R R H
R R

H H
Oxim protoniertes Oxim Carbeniumion Oxoniumion Iminol Amid
712 17 Funktionelle Derivate der Carbonsäuren

! 17.9
Bei der Reaktion des Nitrils mit Grignard-Reagens wird das Iminiumsalz gebildet, das mit
Wasser zum Imin umgesetzt wird.

R R
H 2O
R C N C N MgX C N H + Mg(OH)X

R' R'
R' MgX

Nitril Iminiumsalz Imin


18 Derivate der Kohlensäure

18.1 Kohlensäureester, Chloride und Amide der Kohlensäure


Die Kohlensäure ist unbeständig, sie zerfällt in Wasser und Kohlendioxid.

H O
C O H2O + O C O
H O
Kohlensäure

Beständig sind aber ihre Salze, die Carbonate, und die Derivate der Kohlensäure.

18.1.1 Phosgen

Das als Phosgen bezeichnete Kohlensäuredichlorid (Smt. –118°C, Sdt. 8°C) ist ein giftiges
Gas, das im 1. Weltkrieg als Kampfgas eingesetzt wurde. Es wird zur Synthese manigfaltiger
Stoffe verwendet, z.B. von Farbstoffen (Kristallviolett und Victoriablau) und zur Herstellung
von Polyurethanen (siehe Abschnitt 18.1.4.1). Es entsteht bei Überleiten von Kohlenmono-
xid und Chlor über Aktivkohle.

Cl
Aktivkohle
Cl2 + CO C O
Cl
Phosgen

Chloroform- und Tetrachlorkohlenstoffdämpfe bilden in der Flamme unter Luftzutritt


ebenfalls Phosgen. Tetrachlorkohlenstoff, der früher als wirksames Brandbekämpfungsmittel
in Feuerlöschern zu finden war, darf aus diesem Grunde nicht mehr zur Brandbekämpfung
eingesetzt werden.

18.1.2 Chlorameisensäureester

Läßt man Phosgen mit einem Alkohol reagieren, entsteht das Kohlensäureestermonochlorid,
das in der Regel als Chlorameisensäureester bezeichnet wird.
Cl Cl
R OH + C O C O + HCl
Cl R O
Phosgen Chlorameisensäureester

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 713


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_18, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
714 18 Derivate der Kohlensäure

18.1.3 Kohlensäurediester

Erfolgt die Umsetzung des Phosgens mit einem Überschuß an Alkohol in Gegenwart von
Pyridin oder Natriumethanolat (Basen, die HCl zu binden vermögen), so entsteht der Koh-
lensäurediester.
Cl R O
Pyridin
2R OH + C O C O + 2 HCl
Cl R O
Phosgen Kohlensäurediester
Der Kohlensäurediester kann aber auch durch Umsetzung des Chlorameisensäureesters
mit Alkohol gewonnen werden.
Cl R O
Pyridin
R OH + C O C O + HCl
R O R O
Chlorameisensäureester Kohlensäurediester

18.1.4 Urethane

Läßt man Chlorameisensäureester mit Ammoniak oder einem Amin reagieren, erhält man
den Ester des Kohlensäuremonoamids, das Urethan.
Cl H2N
2 NH3 + C O C O + NH4Cl
R O R O
Chlorameisensäureester Urethan
Das unbeständige Kohlensäuremonoamid
H2N
C O
HO
ist die Carbaminsäure, und deshalb können die Urethane auch als Carbaminsäureester oder
Carbamate bezeichnet werden. Man kann Urethane auch aus Alkyl- oder Arylisocyanaten
durch Umsetzung mit Alkoholen darstellen.
H R'
H R'
O O
O R' H O R'
R N C O R N C R N C N C
O O H R O

Alkylisocyanat Urethan
Die als Ausgangssubstanz für die Synthese der Urethane benötigten Alkylisocyanate
kann man bei der Reaktion von Halogenalkanen mit Natriumcyanat erhalten.
18.1 Kohlensäureester, Chloride und Amide der Kohlensäure 715

R R
Na O C N O C N C X O C N C + Na X
H H
H H
Natriumcyanat Halogenalkan Alkylisocyanat

18.1.4.1 Polyurethane
Von technischer Bedeutung ist die Polyaddition von Diol-Verbindungen an aromatische oder
aliphatische Diisocyanate, die zum Polyurethan führt. Als Beispiel wird die Reaktion des
Hexamethylendiisocyanats mit 1,4-Butandiol angeführt.
Das für die Reaktion benötigte Hexamethylendiisocyanat kann durch Reaktion des Hexa-
methylendiamins mit Phosgen und nachfolgender Abspaltung von Chlorwasserstoffgas bei
erhöhter Temperatur hergestellt werden.

Cl O O
H2N (CH2)6 NH2 + 2 C O C HN (CH2)6 NH C
- 2 HCl
Hexamethylendiamin Cl Cl Cl

Δ
O C N (CH2)6 N C O
- 2 HCl
Hexamethylendiisocyanat

Den für die Reaktion benötigten zweiten Reaktionspartner, das 1,4-Butandiol, kann man
ausgehend vom Formaldehyd mit Acetylen herstellen, indem man das bei der Ethinylierung
(siehe Abschnitt 4.5.2.2) erhaltene But-2-in-1,4-diol hydriert.

O Kupfer-
acetylid Ni/H2
2H C + H C C H H2C C C CH2 H2C CH2 CH2 CH2
100 °C
H
OH OH 250 bar OH OH
Formaldehyd Acetylen But-2-in-1,4-diol 1,4-Butandiol

Durch Polyaddition von 1,4-Butandiol an Hexamethylendiisocyanat erhält man Polyurethan.

n O C N (CH2)6 N C O + n H O CH2 CH2 CH2 CH2 O H

Hexamethylendiisocyanat 1,4-Butandiol
Polyaddition

O CH2 CH2 CH2 CH2 O


C NH (CH2)6 NH C
n
O
O
Polyurethan
716 18 Derivate der Kohlensäure

Durch Zugabe einer kleinen Menge Wasser zum Reaktionsgemisch werden Polyurethan-
Schaumstoffe gebildet, die in Möbel- und Fahrzeugpolstern, als Isolierstoffe usw. Verwen-
dung finden. Das Wasser reagiert mit dem Hexamethylendiisocyanat, wobei CO2 entsteht,
das das Polyurethan aufschäumt. Für Polyurethan-Hartschaumstoffe werden Chlorfluorkoh-
lenwasserstoffe zum Schäumen verwendet, inbesondere Frigen 11 (siehe Abschnitt 9.3.4).
O O
O C N (CH2)6 N C O + 2 H2O C NH (CH2)6 NH C
HO OH
Hexamethylendiisocyanat Hexamethylendicarbaminsäure

H2N (CH2)6 NH2 + 2 CO2

Hexamethylendiamin

18.2 Harnstoff und seine Derivate

18.2.1 Harnstoff

Im Gegensatz zu dem Monoamid der Kohlensäure, der Carbaminsäure, die unbeständig ist
und sogleich in NH3 und CO2 zerfällt, ist das Diamid der Kohlensäure, der Harnstoff (Smt.
132,7°C), eine stabile Verbindung. Er ist eines der Eiweißabbau-Produkte bei Mensch und
Säugetieren und wird mit dem Harn ausgeschieden.
Eine historisch wichtige Synthese des Harnstoffes ist seine Darstellung durch Erhitzen
des Ammoniumcyanats.

H2N
Δ
NH4 O C N C O
H2N
Ammoniumcyanat Harnstoff

Mit Hilfe dieser Synthese, in der er aus Ammoniumcyanat, einem aus dem anorganischen
Bereich stammenden Stoff, eine organische Substanz darstellte, konnte Wöhler seinen Zeit-
genossen beweisen, daß es keiner „Lebenskraft“ bedarf, um eine organische Substanz zu
synthetisieren. Er trat damit der Vitalismus-Theorie entgegen, die von der Überzeugung aus-
ging, daß es zur Entstehung einer organischen Substanz einer besonderen Lebenskraft be-
darf, die den lebenden Organismen innewohnt.
Technisch wird Harnstoff aus einem Gemisch aus CO2 und NH3 bei 150°C und 35 bar
hergestellt. Es entsteht zunächst das Ammoniumcarbamat, aus dem sich bei den Reaktions-
bedingungen Harnstoff bildet.

NH4 O H2N
2 NH3 + O C O C O C O + H2O
H2N H2N
Ammoniumcarbamat Harnstoff
18.2 Harnstoff und seine Derivate 717

Harnstoff dient zur Herstellung von Harnstoff-Formaldehyd-Harzen:

O
H H H H
...... + N C N C N C N + ......
H H
H H H H
O O

- H2O

...... HN C NH CH2 NH C NH ......


O O

und er wird auch für Synthesen von Arzneimitteln (Synthese der Barbitursäure siehe Ab-
schnitt 17.3.4.3) benötigt. In der Landwirtschaft wird er als stickstoffhaltiges Düngemittel
eingesetzt. Mit Hilfe von Einschlußverbindungen mit Harnstoff kann man Verbindungen mit
unverzweigter von solchen mit verzweigter Kohlenstoffkette trennen (siehe Ab-
schnitt 2.10.2).

18.2.2 N-Methyl-N-nitrosoharnstoff
Für die Entwicklung von Diazomethan (siehe Abschnitt 5.8.1) verwendet man oft N-Methyl-
N-nitrosoharnstoff. Zur Darstellung des N-Methyl-N-nitrosoharnstoffes geht man aus vom
Methylamin-Hydrochlorid, das man mit einem Überschuß an Harnstoff unter Erhitzen in
wäßriger Lösung reagieren läßt. Der bei dieser Reaktion gebildete N-Methylharnstoff wird
nitrosiert.
H NO
H2NCONH2, H2O NaNO2/H2SO4
CH3NH2 HCl H2N CO N H2N CO N
3 h Reflux - 10 °C
CH3 CH3
Methylamin-Hydrochlorid N-Methylharnstoff N-Methyl-N-nitrosoharnstoff

Mit Natronlauge reagiert N-Methyl-N-nitrosoharnstoff unter Freisetzung von Diazome-


than (Reaktionsgleichung siehe Abschnitt 17.3.3.4). Die Reaktion wird eingeleitet durch ei-
nen nucleophilen Angriff des Hydroxidions an der Carbonylfunktion des N-Methyl-N-nitro-
soharnstoffes. Aus dem tetraedrischen Zwischenprodukt entsteht das Methyldiazohydroxid,
und das unbeständige Kohlensäureamid, das in CO2 und NH3 zerfällt. Aus dem Methyldiazo-
hydroxid wird unter Abspaltung von Wasser Diazomethan gebildet (siehe Schema 18.1).

18.2.3 Semicarbazid
Läßt man Kaliumcyanat auf Hydrazin-Hydrochlorid einwirken, erhält man das Semicarbazid.
NH2
K O C N + H2N NH2 HCl O C + KCl
NH NH2
Kaliumcyanat Hydrazinhydrochlorid Semicarbazid
718 18 Derivate der Kohlensäure

Schema 18.1:

O O O H O H
N O N O N O
H2N C N H2N C N H2N C + N
CH3 CH3
O O O CH3
H H H
N-Methyl-N-nitrosoharnstoff
NH3 + CO2
+

CH2 N N + O H
N O H
N
H2C H
CH2 N N + H2O
O H

Diazomethan Methyldiazohydroxid

Semicarbazid reagiert mit Aldehyden und Ketonen, wobei schwer lösliche Semicarbazone
gebildet werden (siehe Abschnitt 13.4.3.6). Die Schmelztemperaturen der Semicarbazone
werden zur Identifizierung der Carbonylverbindungen herangezogen.

18.2.4 Guanidin

Guanidin-Hydrochlorid erhält man bei Erhitzen von Cyanamid mit Ammoniumchlorid.


NH2
H2N C N + NH4Cl Cl H2N C
NH2
Cyanamid Ammoniumchlorid Guanidin-Hydrochlorid

18.2.5 Thioharnstoff

Thioharnstoff erhält man aus der Schmelze (180°C) des Ammoniumrhodanids


NH2
Δ
NH4 S C N S C
NH2
Ammoniumrhodanid Thioharnstoff
Ähnlich wie Harnstoff gibt auch Thioharnstoff Kondensationsprodukte mit Formaldehyd.
Thioharnstoff wird auch für die Synthese von Arzneimitteln verwendet.
Übungsaufgaben 719

Übungsaufgaben

? 18.1
Schreiben Sie die chemischen Formeln folgender Verbindungen auf:
a) Phosgen b) Chlorameisensäureester c) Kohlensäurediester d) Urethan
e) Harnstoff f) Guanidin g) Nitril h) Isonitril i) Alkylcyanat j) Alkylisocyanat

? 18.2
Welches Produkt erhält man, wenn man Hexamethylendiisocyanat mit 1,4-Butandiol reagie-
ren lässt?

? 18.3
Welches Produkt erhält man bei Erhitzen von Ammoniumcyanat?

? 18.4
Ergänzen Sie die chemischen Gleichungen:

H2NCONH2,H2O NaNO2/H2SO4, –10 °C


CH3NH2.HCl
3 h Reflux

? 18.5
N-Methyl-N-nitrosoharnstoff reagiert in alkalischer Lösung. Schreiben Sie die Reaktions-
gleichung auf.
720 18 Derivate der Kohlensäure

Lösungen

! 18.1
Cl Cl RO H 2N
C O C O C O C O
Cl RO RO RO

a) Phosgen b) Chlorameisen- c) Kohlensäure- d) Urethan


säureester diester

H 2N H 2N
C O C NH R C N R N C

H 2N H 2N
e) Harnstoff f) Guanidin g) Nitril h) Isonitril

R O C N R N C O
i) Alkylcyanat j) Alkylisocyanat

! 18.2
Es erfolgt eine Polyaddition des 1,4-Butandiols an das Hexamethylendiisocyanat und man
erhält Polyurethan:
n O C N (CH2 )6 N C O + n HO-CH2 CH2 CH2 CH2 OH

Hexamethylendiisocyanat 1,4-Butandiol

Polyaddition

OCH2CH2 CH2 CH2 O


C NH (CH2 )6 NH C
O O n
Polyurethan

! 18.3
Erhitzt man Ammoniumcyanat, erhält man Harnstoff. Dies ist eine historisch wichtige Reak-
tion mit der Wöhler seinen Zeitgenossen beweisen konnte, dass er aus einem aus dem anor-
ganischen Bereich stammenden Stoff eine organische Substanz darstellen konnte und es dazu
keiner besonderen „Lebenskraft“ bedurfte, womit er der seinerzeit herrschenden Vitalismus-
Theorie entgegentrat.
H 2N
NH4 O C N C O
H2 N

Ammoniumcyanat Harnstoff
Lösungen 721

! 18.4
Erhitzt man Methylaminhydrochlorid in wässriger Lösung mit Harnstoff, so erhält man
N-Methylharnstoff. Das Produkt der Nitrosierung des N-Methylharnstoffs ist N-Methyl-N-
nitrosoharnstoff.
O O
H NaNO2/H2SO4 NO
H2NCONH2, H2O –10 °C
CH3NH2.HCl H2N C N H2N C N
3 h Erhitzen
CH3 CH3

! 18.5
Überschichtet man eine Lauge mit Ether und bringt in die Lauge N-Methyl-N-nitrosoharn-
stoff ein, so wird Diazomethan gebildet, das in die Etherschicht aufgenommen wird (Reak-
tionsmechanismus siehe Kapitel 18.2.2):

CONH2 OH
H3C N N N CH2 + CO2 + NH3
NO

N-Methyl-N-nitrosoharnstoff Diazomethan

Diazomethan wird für verschiedene Synthesen genutzt (siehe Kapitel 5.8.1, 12.3.4 und
17.3.3.4). Bei Erhitzen oder Bestrahlung spaltet Diazomethan Stickstoff ab und es wird Car-
ben gebildet (siehe Kapitel 5.8.1).
19 Lipide
Zu den Lipiden gehören Fette, Öle, Wachse und fettähnliche Stoffe.

19.1 Die chemische Zusammensetzung der Fette und Öle


Fette und Öle bestehen hauptsächlich aus Triestern des Glycerins, den Triglyceriden (der
Ausdruck Triacylglyceride ist ebenfalls gebräuchlich). In den Triglyceriden ist der dreiwerti-
ge Alkohol Glycerin mit drei Fettsäuren verestert.
O

O H2C O C R1

R2 C O CH Triglycerid
H2C O C R3

O
Alle an der Triglyceridbildung beteiligten Fettsäuren sind unverzweigt. Die gesättigten
Fettsäuren haben, beginnend mit der Buttersäure (C4) bis zur Stearinsäure (C18) (siehe Ab-
schnitt 15.1.1), eine Kohlenstoffkette von 4 bis 18 Kohlenstoffatomen. Die häufigste unge-
sättigte Säurekomponente der Triglyceride mit einer Doppelbindung ist die Ölsäure (siehe
Abschnitt 15.5.1.3), weniger vertreten ist die (Z)-9-Hexadecensäure, die als Palmitoleinsäure
bezeichnet wird. Von den mehrfach ungesättigten Fettsäuren sind vor allem vertreten: die
Linolsäure, die Linolensäure und die Arachidonsäure, (Strukturformeln siehe Abschnitt
15.5.2.2). Alle Fettsäurekomponenten der Triglyceride haben eines gemeinsam: Sie haben
eine Kohlenstoffkette mit gerader Anzahl der Kohlenstoffatome. Dies ist mit ihrer Biosyn-
these zu erklären, die ausgeht von aktivierter Essigsäure, die jeweils um weitere C2-Einheiten
verlängert wird.
Das Fettsäuremuster in Triglyceriden ist für die Tier- oder Pflanzenart, von der diese
stammen, spezifisch, es ist aber Schwankungen unterworfen, die bei tierischen Fetten von
der Ernährung, bei pflanzlichen Fetten vom Klima und von den Anbaubedingungen abhän-
gen. Sowohl bei Tieren als auch bei Pflanzen einer Art kann das Fettsäuremuster der Tri-
glyceride auch Unterschiede zeigen, die auf die Züchtung zurückzuführen sind.
Gesättigte Fettsäuren. Kokosfett und Palmkernfett sind laurin- und myristinreiche Fette.
Kakaobutter ist ein palmitin- (25%) und stearinreiches (34%) Fett.
Essentielle Fettsäuren. Die Linol-, Linolen- und Arachidonsäure werden als essentielle Fett-
säuren bezeichnet, da der menschliche Organismus nicht in der Lage ist, sie zu synthetisieren

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 722


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_19, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
19.1 Die chemische Zusammensetzung der Fette und Öle 723

Tabelle 19.1 Prozentuale Verteilung der Fettsäurekomponenten in Nahrungsfetten

Fettsäure Olivenöl Sojaöl Kokosfett Butter Schweinefett Rindertalg


Anzahl d. C-Atome
(Anzahl d. Doppelb.)
Buttersäure C4 3–4
Capronsäure C6 0–1 1,5–2
Caprylsäure C8 8–9,5 1–2
Caprinsäure C10 4–10 2–3
Laurinsäure C12 44–51 2–4,5
Myristinsäure C14 0–1 0–0,5 13–18 8–14 1–2 2–6
Palmitinsäure C16 7–20 3–11 7–10 25–32 25–30 25–37
Stearinsäure C18 1–3 2–5 1–4 9–13 12–16 15–30
Ölsäure C18 (1) 60–85 23–31 5–8 19–33 41–53 28–45
Linolsäure C18 (2) 4–22 49–55 1–3 2–3,5 3–10 2–3
Linolensäure C18 (3) 2–10

und sie deshalb mit der Nahrung aufgenommen werden müssen. Einige Pflanzenöle haben
Triglyceride, die mit essentiellen Fettsäuren als Esterkomponente reich versehen sind. Zu
diesen gehören Soja-, Sonnenblumen-, Distel-, Sesam-, Raps- und Hanföl.
Essentiellen Fettsäuren sind die Ausgangsverbindungen für die Biosynthese der Prosta-
glandine. Die Biosynthese der Prostaglandine geht von mehrfach ungesättigten Carbon-
säuren mit 20 Kohlenstoffatomen aus. Z.B. vollzieht sich im Stoffwechsel die Umwandlung
der γ-Linolensäure (6,9,12-Octadecatriensäure) zum Prostaglandin E1 zunächst durch Ver-
längerung der Kohlenstoffkette auf 20 Kohlenstoffatome, worauf eine Cyclisierung der
Dihomo-γ-linolensäure unter Bildung eines Fünfringes und eine enzymatische Oxidation
zum Prostaglandin E1 erfolgt (der Ausdruck Dihomo bedeutet eine Erweiterung um zwei
Methylengruppen). Der Buchstabe A, B, E oder F kennzeichnet die Anzahl und Stellung der
Sauerstoffatome im Molekül und die Lage der Doppelbindung im Fünfring. Die Indexzahl 1
weist darauf hin, daß sich außerhalb des Fünfringes eine Doppelbindung befindet.

Kettenver-
CH3 längerung CH3
COOH COOH

γ-Linolensäure Dihomo-γ-linolensäure
OH
HO
Cyclisierung,
Oxidation CH3

COOH
O
Prostaglandin E1
724 19 Lipide

Prostaglandine sind Verbindungen, die selbst keine Hormone sind, aber regulierend in die
Aktivitäten von Hormonen eingreifen. Prostaglandin E1 z.B. hemmt die lipolytische Wirkung
(Lipolyse = Spaltung der Fette) von Adrenalin, Glucagon und Corticotropin.
ω-3-Fettsäuren. Körperfette der Seetiere (Trane, Fischöle, Leberöle) enthalten stärker unge-
sättigte Fettsäuren mit einer Kohlenstoffkette von 20, 22 und 24 Kohlenstoffatomen. Im Öl
von Kaltwasserfischen (Hering, Makrele, Lachs) sind Fettsäuren vom ω-3-Typ enthalten.
Dies sind mehrfach ungesättigte Carbonsäuren mit 20 bzw. 22 Kohlenstoffatomen, wobei
sich die erste Doppelbindung, vom CH3-Kettenende her gezählt, zwischen dem 3. und 4.
C-Atom befindet (entgegen den sonstigen Gepflogenheiten vom Kettenende her gezählt,
deshalb ω-3). Ein Beispiel ist die ω-3-Eicosapentaensäure (Eicosan = 20 C-Atome).

2
C H2 C H2 C H2 C H2 C H2 C H2 C H2
1
H3C CH CH CH CH CH CH CH CH CH CH CH2 COOH
3 4
ω-3-Eicosapentaensäure

Die ω-3-Fettsäuren verringern das Arteriosklerose- und das Herzinfarktrisiko. Sie wirken
entzündungshemmend, verdünnen das Blut und senken den Cholesterolspiegel. Man wurde
auf sie aufmerksam, als man nachforschte, warum Eskimos, die sich kalorienreich und fett-
reich ernähren, kaum zu koronaren Erkrankungen neigen.
Konjugen- und Isolenfettsäuren. Die in Fetten und Ölen vorkommenden ungesättigten Fett-
säuren haben in der Regel cis-Konfiguration. Eine Ausnahme bildet die Elaeostearinsäure
mit einer cis- und zwei trans-Doppelbindungen.

CH3(CH2)3 H
C C H
H C C (CH2)7COOH
H C C
H H
Elaeostearinsäure, eine Konjugenfettsäure

Diese (Z,E,E)-9,11,13-Octadecatriensäure ist im chinesischen Holzöl (Tungöl) zu 75–


90 % enthalten. Sie zählt zu den Konjugenfettsäuren, die konjugierte Doppelbindungen auf-
weisen. Chinesisches Holzöl wird als Lackrohstoff geschätzt, da es die Eigenschaft hat, in
Lacken an der Luft schnell zu widerstandsfähigen Filmen zu trocknen. Diese Eigenschaft ist
bei den Konjugenfettsäuren stärker ausgeprägt als bei den Isolenfettsäuren. Isolenfettsäuren
sind Fettsäuren mit zwei oder mehreren isolierten Doppelbindungen, zu ihnen gehören z.B.
die Linol-, Linolen- und Arachidonsäure.
Elaeostearinsäure ist, außer im Tungöl, sonst in Fetten und Ölen nur in kleinen Mengen
und nur auf wenige Fette beschränkt, vertreten. Sie ist in Samen von Cucurbitaceen (Kürbis-
gewächse) und im Samenfett von punica granatum (Granatapfelbaum) zu finden. Die α-Pa-
rinarsäure (9,11,13,15-Octadecatetraensäure) ist Bestandteil des Samenfetts von Balsamina-
ceen (Springkrautgewächse).
19.2 Einteilung der Fette und Öle 725

Positions-Verteilungsmuster der Fettsäuren in Triglyceriden. Werden die Fettsäuren mit


Glycerin in Stellung 1 oder 3 verestert, befinden sich die Acylgruppen im Triglycerid in α-
bzw. α'-Stellung. Von einer β-Stellung spricht man, wenn das Glycerin in Stellung 2 ver-
estert ist.

O Acylgruppe in:
α
O H 2C O C R 1 α-Stellung bzw. 1-Stellung
β
Triglycerid R2 C O CH β-Stellung bzw. 2-Stellung

H 2C O C R3 α'-Stellung bzw. 3-Stellung


α'
O

Die Pankreaslipase spaltet die Triglyceride bevorzugt in α- und α'-Stellung. Es ist dem-
nach möglich zu unterscheiden, welche Acylgruppen sich im Triglycerid in α- bzw. α'-Stel-
lung und welche sich in β-Stellung befinden. Bei den Pflanzenfetten sind die gesättigten
Fettsäuren bevorzugt in der α- bzw. α'- Stellung verestert. Die Ölsäure läßt kein einheitliches
Muster in der Verteilung erkennen, und die höher ungesättigten Fettsäuren sind bevorzugt in
der β-Stellung verestert. In den Ölen und Fetten aus anderen Resourcen kann man ein sol-
ches Verteilungsmuster einheitlich nicht feststellen.
Mono- und Diglyceride kommen in Fetten und Ölen nur in kleiner Menge vor. Sie wirken
als Emulgatoren. Emulgatoren sind Verbindungen, die die Emulsionsbildung einer Flüssig-
keit, die in einer anderen Flüssigkeit nicht löslich ist, fördert. Die eine Flüssigkeit schwebt
dann in der anderen in Form feiner Tröpfchen. Z.B. ist Milch eine Emulsion, in der feine
Fetttröpfchen in Wasser schweben. Als Emulgatoren wirksam sind Verbindungen mit einer
langen hydrophoben Kohlenstoffkette, an deren Ende sich eine hydrophile Gruppe befindet.

19.2 Einteilung der Fette und Öle


Die Einteilung in Fette und Öle geschieht hauptsächlich nach ihrer Konsistenz:
– Fette sind bei Zimmertemperatur fest oder halbfest und
– Öle sind flüssig.
Die Bezeichnung Fette verwendet man aber oftmals auch als Sammelbegriff für Fette und
Öle. Es ist nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß auch dickflüssige Erdölfraktionen beste-
hend aus einem Kohlenwasserstoffgemisch als Öle bezeichnet werden. Die Bezeichnung
Mineralöl ist richtiger, um diese Öle, die als Nahrungsmittel vollkommen ungeeignet sind
und ganz anderen Zwecken dienen, auch in der Nomenklatur von Speiseölen zu unterschei-
den.
Gewisse pflanzliche Öle besitzen die Fähigkeit, an der Luft zu trocknen und zähe, dauer-
hafte Filme zu bilden. Diese Eigenschaft ist dem Gehalt der Triglyceride an mehrfach unge-
sättigten Fettsäurekomponenten zuzuschreiben. Demgemäß kann man die pflanzlichen Öle
noch unterteilen:
726 19 Lipide

1.) in nichttrocknende (z.B. Olivenöl, Erdnußöl),


2.) in halbtrocknende (z.B. Sonnenblumen-, Soja-, Sesam-, Mais- und Rüböl) und
3.) in trocknende Öle (z.B. Leinöl, Hanföl, Mohnöl, Nußöl, Holzöl und Perillaöl).
Nach der Herkunft unterscheidet man:
1.) pflanzliche Fette und Öle (z.B. Kokosnußfett, Olivenöl und Sonnenblumenöl). Sie enthal-
ten Phytosterole (siehe Abschnitt 20.2.2) als Begleitstoffe.
2.) Tierfette (z.B. Butter, Rindertalg und Tran). Sie sind durch ihren Gehalt an Zoosterolen
(siehe Abschnitt 20.2.2) als Begleitstoff gekennzeichnet und
3.) aus Mikroorganismen gewonnene Fette.
Die tierischen Fette kann man wiederum unterteilen in Landtier- und Seetierfette. Die
Landtierfette kann man weiterhin aufteilen in Milchfette und Depotfette und die Seetierfette
in Fette von Säugetieren und Fischen.

19.3 Eigenschaften der Fette und Öle


Den langen aliphatischen Ketten entsprechend sind Triglyceride lipophil. Sie sind in Was-
ser nicht löslich und bilden infolge ihrer kleineren Dichte die obere Phase. In organischen
Lösungsmitteln sind Fette und Öle gut löslich, z.B. in Petrolether, Chloroform und Tetra-
chlorkohlenstoff. Ihrem unpolaren Charakter entsprechend haben sie trotz ihrer hohen
Molmasse relativ niedrige Schmelztemperaturen.
Fette und Öle setzen sich aus einem Gemisch verschiedener Triglyceride zusammen und
haben deshalb keine scharfe Schmelztemperatur. Die Schmelztemperatur der einzelnen Tri-
glyceride hängt im wesentlichen davon ab, welche Fettsäurekomponenten es hat und wie lang
deren Kohlenstoffkette ist (längere Kette, höhere Schmelztemperatur). Triglyceride mit ge-
sättigten Fettsäuren haben eine höhere, solche mit ungesättigten Fettsäuren eine niedrigere
Schmelztemperatur.
Im festen Zustand sind die Triglyceridmoleküle dicht gepackt. Je dichter die Packung,
desto stärker können sich die zwischenmolekularen Kräfte auswirken und die Schmelztempe-
ratur ist höher. Die lineare Struktur der gesättigten Fettsäurekomponenten im Triglycerid
ermöglicht eine dichte Packung. Die cis-Doppelbindung bewirkt einen Knick in der Kohlen-
stoffkette der ungesättigten Säuren (siehe Bild 19.1), so daß diese nicht parallel neben ander-
en Fettsäuren liegen können. Die zwischenmolekularen Kräfte können nicht so wirksam sein.
Triglyceride mit einer cis-ungesättigten Fettsäure als Esterkomponente besitzen eine niedri-
gere Schmelztemperatur als solche, deren Esterkomponenten nur aus gesättigten Fettsäuren
bestehen.
Mit zunehmender Kettenlänge der Fettsäurekomponenten sind die Schmelztemperaturen
der Triglyceride höher. Die Stellung der Säurekomponente im Triglycerid (ob mit der pri-
mären oder sekundären Hydroxygruppe des Glycerins verestert) hat ebenfalls Einfluß auf die
Schmelztemperatur. Triglyceride mit ungesättigtem Acylrest in β-Stellung haben eine nie-
drigere Schmelztemperatur als jene mit dem ungesättigten Acylrest in α- bzw. α'-Stellung.
19.4 Vorkommen und Gewinnung von Fetten und Ölen 727

Palmitinsäure (gesättigt, Kohlenstoffkette linear)

Ölsäure (cis-Konfiguration,Kohlenstoffkette geknickt)

Kohlenstoff Sauerstoff Wasserstoff

Bild 19.1 Lineare Kohlenstoffkette der Palmitinsäure und Knick in der Kohlenstoffkette der Ölsäure,
gezeigt im Kalottenmodell

19.4 Vorkommen und Gewinnung von Fetten und Ölen


19.4.1 Vorkommen

Im Pflanzenreich kommen Fette und Öle vor allem als Reservestoff in Samen oder im
Fruchtfleisch einiger Früchte vor. Zu den Ölen aus Fruchtfleisch zählen: das Palmöl (Frucht-
fleisch der Ölpalme), das Olivenöl (Früchte des Ölbaumes, Olive) und das Avocatoöl
(Fruchtfleisch der Avocatobirne).

Tabelle 19.2 Fettgehalt in Samen bzw. im Fruchtfleisch einiger Pflanzen

Baumwollsaat 20–25 % Mohnsamen 46–50 %


Sojabohnen 16–20 % Palmkern 49–52 %
Leinsamen 37–40 % Sesamsamen 50–55 %
Erdnuß 36–49 % Oliven 35–60 %
Rübensamen 39–41 % Ölpalme 45–65 %
Rapssamen 44 % Kopra1 65–70 %
Sonnenblumenkörner 45 %

1
Kopra = getrocknetes, grob zerkleinertes, festes Nährgewebe der Kokosnuß, das sehr fettreich ist und
durch dessen Auspressen man Kokosfett erhält.
728 19 Lipide

19.4.2 Gewinnung pflanzlicher Fette

Pflanzliche Fette werden im Preß- oder Extraktionsverfahren gewonnen.


Preßverfahren. Das Pressen erfolgt in Schneckenpressen. Bei Kaltpressen ist die Ausbeute
kleiner, aber die Qualität besser. Die Ölsaat wird in Wärmepfannen oder Etagenwärmern auf
70°C erhitzt, um die Ausbeute zu erhöhen. Um sie weiter zu erhöhen, wird wiederholt ge-
preßt, wobei der Preßkuchen vorher erneut zerkleinert wird. Der Rückstand, der 5–10 % Öl
haben kann, wird noch extrahiert.
Extraktionsverfahren. Extrahiert werden insbesondere fettarme Saaten (z.B. Sojabohnen),
wobei als Lösungsmittel bevorzugt Benzin (Sdt. 70–100°C) benutzt wird. Die Extraktion
erfolgt im kontinuierlichen Verfahren. Das Öl-Lösungsmittelgemisch (die Miscella) wird zur
Entfernung von Trübteilchen durch Filterpressen gepreßt. In Destillierkollonen wird das
Lösungsmittel abdestilliert und in den Extraktionsprozeß rückgeführt. Letzte Lösungsmittel-
reste werden aus dem Öl durch Behandlung mit Wasserdampf entfernt.

19.4.3 Gewinnung tierischer Fette


Tierfette werden in der Regel durch Ausschmelzen gewonnen. Extraktions- und Preßverfah-
ren werden nur bei Knochenfetten und Fischölen angewandt. Milch wird durch Zentrifugie-
ren entrahmt. Der Rahm wird zu Butter verarbeitet.
Trockenschmelze. In Fettkochern wird das Fett aus dem Fettgewebe ausgeschmolzen. Die
Kessel werden direkt oder mit Dampf beheizt.
Naßschmelze. Das Fett wird direkt mit Dampf (Frischdampf) oder mit heißemWasser ausge-
schmolzen.

19.5 Fettähnliche Biomoleküle


Fette, Öle und fettähnliche Stoffe werden unter dem Sammelnamen Lipide zusammengefaßt.
Für die fettähnlichen Stoffe wurde früher im deutschsprachigem Raum die Sammelbezeich-
nung Lipoide (griechisch lipos = Fett, lipoid = fettähnlich) verwendet. Die fettähnlichen
Stoffe werden, ebenso wie die Fette, im Stoffwechsel aus Acetylcoenzym-A-Einheiten syn-
thetisiert. Sie sind in Wasser nicht löslich, wohl aber in organischen Lösungsmitteln, z.B. in
Benzol, Ether und Chloroform und sie sind vor allem auch fettlöslich.

19.5.1 Phospholipide (Phosphatide)


Die Phospholipide sind sehr wichtige Naturstoffe, denn sie bilden die Membranbausteine
aller biologischen Membranen (siehe Abschnitt 10.7.6.3). Sie spielen auch als Emulgatoren
in der Lebensmittelindustrie eine Rolle. Zu den Phospholipiden gehören die Glycerin-
phosphatide und das Sphingomyelin.
19.5 Fettähnliche Biomoleküle 729

19.5.1.1 Glycerinphosphatide
Phosphatidylsäuren sind Verbindungen, in denen Glycerin in Stellung 1 und 2 mit Fettsäuren
und in Stellung 3 mit Phosphorsäure verestert ist. In Glycerinphosphatiden ist die Phosphat-
Gruppe der Phosphatidylsäure noch mit einer Hydroxyverbindung verestert. Die an den
Phosphatidylrest (siehe Formel unten) gebundene Komponente kann sich von einem zum
anderen Glycerinphosphatid unterscheiden. Die wichtigsten Glycerinphosphatide sind das
Lecithin, in dem der Phosphatidylrest mit Cholin, und das Kefalin, in dem er mit Ethanol-
amin verknüpft ist. Der Name Lecithin stammt vom griechischen lekithos = Eidotter, weil es
zuerst im Eidotter gefunden wurde. Kephalin leitet sich vom griechischen kephale = Kopf
ab, weil es erstmals aus Hirnsubstanz isoliert worden war.

O O

R1 C O CH2 R1 C O CH2

R2 C O CH O R2 C O CH O

O H2C O P O O H2C O P O

O O X

Phosphatidylrest Phosphatid

Im Phosphatid als Ester gebundene Hydroxy- Name der Hydroxy- Name des Phosphatids
verbindung HO–X verbindung

HO CH2CH2 NH2 Ethanolamin Kephalin

Cholin Lecithin
HO CH2CH2 N (CH3)3 HO

HO CH2 CH COOH Serin Phosphatidylserin


NH2

OH OH
3 2
H OH mit Phosphatidyl- myo-Inosit Phosphatidylinosit
H H rest verestert
4 OH H 1

OH H
5 6
H OH

19.5.1.2 Sphingomyelin
Im Sphingomyelin ist das Sphingosin und noch ein weiterer Alkohol, nämlich das Cholin,
mit Phosphorsäure verestert. Der Acylrest der Fettsäure ist an den Stickstoff des Sphingosin-
restes gebunden.
730 19 Lipide

H3C (CH2)12 H H3C (CH2)12 H


C C C C
H CH CH CH2 H CH CH CH2 O (CH3)3N

OH NH2 OH OH NH O P O CH2CH2

Sphingosin Acylrest R C O O

Sphingosin + Acylrest Phosphat Cholin

Sphingomyelin

Phospholipide sind Hauptbestandteil biologischer Membranen. Sie können (siehe Ab-


schnitt 10.7.6.3, Bild 10.5) eine Doppelschicht bilden. Eine Schicht besteht aus parallel an-
einandergereihten hydrophoben Ketten der Fettsäurekomponenten. Mit ihren Kettenenden
koppelt sie an die Kettenenden einer gleichartig strukturierten anderen Schicht an. Es sind
schwache van-der-Waals-Kräfte die die hydrophoben Ketten aneinanderhalten und das An-
koppeln der beiden Schichten untereinander ermöglichen. Zwischen den polaren Kopfgrup-
pen, die zur wäßrigen Phase orientiert sind, und dem sie umgebenden Wasser sind Coulomb-
und Solvatationskräfte wirksam. Die so gebildeten biologischen Membranen dürfen nicht
starr sein, damit ein Stofftransport in und aus der Zelle möglich ist. Die cis-Konfiguration
ungesättigter Fettsäuren unterbricht die regelmäßige Anordnung so weit, daß die Membran
bei physiologischen Temperaturen halbflüssig und durchlässig ist.
Eine besondere Funktion bei der Signalübertragung von der Zelloberfläche in die Zelle
erfüllt das in der Plasmamembran verankerte Phosphatidylinosit-4,5-diphosphat (PIP2). Es
wird durch das Enzym Phospholipase in Diacylglycerin (DG) und Inosittriphosphat (IP3)
gespalten. Beide sind Botenstoffe, die im Zellinneren physiologische und biochemische
Prozesse auslösen können. Inosintriphosphat kann z.B. die Ausschüttung von Ca2+-Ionen be-
wirken, um eine Muskelkontraktion einzuleiten (siehe Abschnitt 24.7.1.4).

O O
H2C O C H2C O C
O O
R R
C O CH C O CH
R R
H2C O O H2C OH
P Diacylglycerin
OH OH O
O
H O + O P O
H H Phospholipase OH OH
2 H
OPO3
H O
2 O3PO H H H
2 H
OPO3
H OH
2 H
O3PO
Phosphatidylinosit-4,5-diphosphat
H OH
Inosittriphosphat
19.5 Fettähnliche Biomoleküle 731

19.5.2 Glycolipide
Glycolipide bestehen aus einer Lipid- und einer Zuckerkomponente. Sie haben eine gewisse
Ähnlichkeit mit dem Sphingomyelin insofern, als sie Sphingosin als Alkoholkomponente
enthalten. Sie unterscheiden sich aber dadurch, daß der Alkohol nicht mit Phosphorsäure
verestert ist, sondern einen oder auch mehrere Zucker bindet. An den Stickstoff der Amino-
gruppe in der Sphingosinkomponente ist amidisch ein Acylrest einer Fettsäure gebunden.
Glycolipide können ebenso wie die Phospholipide Doppelschichten ausbilden und sind Be-
standteil biologischer Membranen.

19.5.2.1 Cerebroside
Cerebroside sind die einfachsten Glycolipide. Sie enthalten als Bauelemente das Sphingosin,
eine Fettsäureeinheit und eine Zuckereinheit, bestehend aus Glucose oder Galactose, die mit
dem Sphingosin glycosidisch (siehe Abschnitt 21.6.8.1 und 21.6.9) verknüpft sind. Als Bei-
spiel diene ein Galactocerebrosid (das N-Acylsphingosyl-β-D-galactopyranosid):
Sphingosin

H (CH2)12CH3
C C
CH2OH CH2 CH CH H
OH O O NH OH
H
Zuckereinheit OH H C O
(Galactose) Acylrest der Fettsäure
H H R
H OH
Galactocerebrosid
Die Cerebroside enthalten als Fettsäurekomponenten hauptsächlich die Lignocerinsäure
CH3(CH2)22COOH und die Nervonsäure CH3(CH2)7CH=CH(CH2)13COOH.

19.5.2.2 Ganglioside
Ganglioside sind sehr komplexe Glycolipide, sie ähneln den Cerebrosiden, haben aber statt
eines Zuckers bis zu vier Zuckereinheiten. Die Zucker können außerdem noch N-Acetylneu-
raminsäure (siehe Abschnitt 21.5.2) binden. Ganglioside sind Bausteine von Zellmembranen
im Nervengewebe (Nervenknoten = ganglion).

19.5.3 Sterole (Sterine)


Die Sterole zählen zu den Steroiden (siehe Abschnitt 20.2), das sind Naturstoffe, die als
gemeinsames Merkmal ein Kohlenstoffskelett haben, das aus drei angular angeordneten
Sechsringen und einem Fünfring besteht. Sie kommen sowohl mit Fettsäuren verestert als
auch unverestert vor.
732 19 Lipide

19.5.3.1 Phytosterole
Phytosterole (griech. phytón = Gewächs und Phyto- in Wortzusammensetzung Pflanze-)
kommen in Pflanzen vor. Begleitstoffe pflanzlicher Fette und Öle sind das Stigmasterol und
β-Sitosterol. Das β-Sitosterol (Sitos = Getreide) ist das häufigste in Pflanzen vorkommende
Sterol, es ist in Mais-, Weizenkeim-, Reiskeim- und Sojaöl in relativ hoher Konzentration
anzutreffen. Das Stigmasterol findet man in Mais-, Raps- und Reiskeimöl, sowie in Kokos-
und Kakaofett. Besonders hoch ist der Stigmasterolgehalt im Sojaöl.

19.5.3.2 Mykosterole
Wie schon der Name (griech. mikes = Pilz) besagt, kommen Mykosterole in Pilzen vor. Zu
den Mykosterolen gehört das Ergosterol, das in Hefen und Pilzen anzutreffen ist. Sein Vor-
kommen beschränkt sich aber nicht nur auf Pilze, es kommt auch in Butter, Lebertran und
Eigelb in nicht unbeträchtlichen Mengen vor. Bei Bestrahlung wird das Ergosterol in das
Provitamin D umgewandelt, aus dem der Organismus das Vitamin D (Calciferol) syntheti-
siert (siehe Abschnitt 20.2.3). Die Vitamine der D-Gruppe werden als antirachitische Vita-
mine bezeichnet, da bei ihrem Fehlen bei Kindern Rachitis und bei Erwachsenen Entkal-
kungsvorgänge in den Knochen, Knochenerweichung (Osteomalazie) und Knochenschwund
(Osteoporose) auftreten.

H3C

H3C H
CH3
H
H3C H
CH3 H3C
H3C H
H3C H
H CH3
H H β-Sitosterol
H3C H
HO CH3
H3C H H
H3C CH3
H CH3
H H Stigmasterol H3C H
HO CH3
H3C

H H Ergosterol
HO

19.5.3.3 Zoosterole
Zu den Zoosterolen gehören das Cholesterol und das 7-Dehydrocholesterol. Cholesterol ist
das wichtigste Zoosterol. Es bildet die Begleitsubstanz menschlicher und tierischer Fette
(siehe auch Abschnitt 20.2.2). 7-Dehydrocholesterol wird bei Bestrahlung in Vitamin D
(Cholecalciferol) umgewandelt (siehe Abschnitt 20.2.3).
19.5 Fettähnliche Biomoleküle 733

H3C H3C
CH3 CH3
H H
H3C H H3C H
CH3 CH3
H3C H H3C

H H H H

HO Cholesterol HO 7-Dehydrocholesterol
(Cholesterin)

Cholesterol (auch als Cholesterin bezeichnet) wird im menschlichen Organismus syntheti-


siert, es wird aber auch mit der Nahrung, insbesondere mit fettem Schweinefleisch, fetter
Wurst, Innereien und fettem Käse, zusätzlich aufgenommen. Sehr viel Cholesterol enthalten
Eidotter, Hirn, Leber, Kaviar, Austern, Hummer und Bries.
Cholesterol ist für das Wachstum und die Leistungsfähigkeit der Zellen im menschlichen
und tierischen Organismus unerläßlich. Es kommt in allen tierischen Geweben vor, ist Be-
standteil der Zellmembranen und beeinflußt deren Durchlässigkeit. Es schützt die roten Blut-
körperchen vor dem Zerfall. Von Cholesterol gehen die Synthesen verschiedener Steroide
aus, z.B. die Synthese der Sexualhormone (siehe Abschnitt 20.2.5.2) und der Gallensäuren
(siehe Abschnitt 20.2.4).
Ein zu hoher Cholesterolspiegel im Blut kann schwerwiegende negative gesundheitliche
Folgen haben. Mit zunehmenden Alter und bei ungesunder Ernährung (cholesterolreiche und
fettreiche Nahrung) steigt die Konzentration an Cholesterol im Körper. In Form kleiner Lip-
oproteidkügelchen (LDL) strömt es mit dem Blut durch die Blutgefäße und kann durch Ab-
lagerung an den Gefäßwänden arteriosklerotische Gefäßerkrankungen verursachen. Die
Arteriosklerose (Arterienverkalkung) ist eine progressive Erkrankung. Zunächst finden Lipi-
dablagerungen in den glatten Muskelfaserzellen der Arterienwand statt, die zum Einengen
des Gefäßvolumens führen. Zu Beginn der Arterienverkalkung kommt es an der Innenwand
der Gefäße zu kleinen Verletzungen, an denen sich Blutfettsubstanzen, z.B. Cholesterol, aber
auch Eiweißkörper und Kalksalze ablagern. Die calcifizierten Plaques (dicke, gelblich-weiße
Beläge an der Innenwand der Blutgefäße) verengen die Öffnung des Gefäßes immer mehr,
bis die Arterien enge, starre Röhren geworden sind. Wenn sich an den rauhen und engen
Stellen der Innenwand ein Blutgerinsel (Thrombus) bildet, erfolgt der vollkommene Ver-
schluß des Gefäßes. Der plötzliche Stopp der Blutversorgung (Infarkt) hat den Untergang des
dahinterliegenden Gewebes zur Folge.
Die Arteriosklerose und die als Folge auftretenden Herz-Kreislauferkrankungen sind die
häufigste Todesursache in den Industrieländern. Erhöhter Cholesterolgehalt im Blut erhöht
das Risiko zur Arteriosklerose und zu den damit verbundenen Herz- und Kreislauferkran-
kungen. Weitere Risikofaktoren sind Bluthochdruck, Übergewicht, Bewegungsmangel und
Rauchen.
Der Cholesterolspiegel im Blut kann durch sinnvolle Ernährung herabgesetzt werden, in-
dem man maßvoll und fettarm ißt. Die Nahrungsfette sollten cholesterolarm (Pflanzenöle an-
stelle von Butter und Tierfetten), arm an gesättigten Fettsäuren und reich an mehrfach unge-
sättigten Fettsäuren sein.
734 19 Lipide

19.5.4 Lipoproteine

Lipoproteine, die den Transport der wasserunlöslichen Lipide im Blut besorgen, sind aus
Proteinen und Lipiden zusammengesetzt. Sie werden von Leber und Darm synthetisiert und
bestehen aus einem Kern aus hydrophoben Lipiden, umgeben von polaren Lipiden und
schließlich von Proteinen. Man kann sie in der Ultrazentrifuge fraktionieren, wobei man,
nach zunehmender Dichte, vier Fraktionen erhält:
a) Chylomikronen
b) very low density lipoproteins (VLDL)
c) low density lipoproteins (LDL)
d) high density lipoproteins (HDL)
Die Chylomikronen sind die größten Lipoproteine, die Nahrungstriglyceride, Cholesterol und
andere Lipide vom Darm zum Fettgewebe transportieren.
Die very low density lipoproteins (VLDL) bringen endogen gebildete Triglyceride zum Fett-
gewebe, der Rest wird in low density lipoproteins, die reichlich Cholesterolester enthalten,
umgewandelt.
Die low density lipoproteins (LDL) transportieren als einige Millionstel Millimeter große
Kügelchen Cholesterol zu den peripheren Geweben. Die Cholesterolaufnahme der Zelle
verläuft über LDL-Rezeptoren, die von der Zelle selbst synthetisiert werden. Diese nehmen
die low density lipoproteins auf und schleusen sie zur Verwertung in das Zellinnere ein. Bei
Cholesterolüberschuß in der Zelle werden keine neuen Rezeptoren synthetisiert, und die
Aufnahme der LDL in die Zelle ist blockiert. Bei altersbedingter Reduktion der Rezeptoren
oder bei zu hohen Blutfettwerten kommt es deshalb außerhalb der Zellen zu einem LDL-
Stau, der LDL-Cholesterolspiegel im Blut wird deutlich erhöht, und es kommt zur Ablage-
rung des Cholesterols an den Gefäßwänden. Die degenerative Gefäßerkrankung durch Lipid-
einlagerungen wird als Arteriosklerose bezeichnet.
Das Organ, das den überwiegenden Teil an low density lipoproteins verbraucht, ist die
Leber, die das Cholesterol für die Synthese von Gallensäuren benötigt. Bei zuviel choleste-
rinhaltiger Nahrung verringert sie die Zahl an LDL-Rezeptoren und der LDL-Cholesterol-
spiegel im Blut steigt.
Ist die Nahrung zu kalorienreich, können Fettgewebe und Muskelzellen den Überschuß
an Lipiden (vor allem Cholesterolester) nicht mehr speichern. Der Organismus greift regelnd
ein, indem die Leber den Überschuß an Lipiden aus dem Blutstrom zunächst entfernt, einen
Teil des Cholesterols zur Synthese von Gallensäure gebraucht und den Rest der Lipide in
VLDL umsetzt, das nach einiger Zeit in den Blutstrom ausgeschieden wird. Dort wird VLDL
nach kurzer Zeit in low density lipoproteins umgewandelt, die das Blut als LDL-Partikel
belasten. Der Abbau dieser Partikel wird noch erschwert, wenn zuviel gesättigte Fettsäuren
mit der Nahrung aufgenommen worden sind.
Die high density lipoproteins (HDL) werden in der Leber synthetisiert, sie enthalten viel
Phospholipide und Cholesterol. Die high density lipoproteins transportieren das Cholesterol
von den peripheren Geweben zur Leber, wo es abgebaut wird. Ein hoher Anteil der Lipopro-
teine an HDL senkt das Arteriosklerose-Risiko.
19.5 Fettähnliche Biomoleküle 735

Das Verhältnis von LDL zu HDL ist für die medizinische Diagnose wichtig. Bedenklich
sind hohe Anteile an LDL und niedrige Anteile an HDL, denn dieses Verhältnis beider
Lipoproteine begünstigt die Arteriosklerose.

19.5.4.1 Kohlenwasserstoffe
Das Squalen ist ein Triterpen (siehe Abschnitt 20.1.4), das als Begleitstoff in mehreren Fet-
ten vorkommt, hauptsächlich im Olivenöl und in Fischleberölen.
CH3 CH3 CH3

CH3
H3C

CH3 CH3 CH3


Squalen

19.5.4.2 Lipochrome
Natürliche Farbstoffe, die als Begleitstoffe der Fette auftreten, werden als Lipochrome be-
zeichnet. Die etwas grünliche Farbe von Raps- und Sojaöl ist auf Verunreinigungen mit
Chlorophyll zurückzuführen (Strukturformel siehe Abschnitt 25.5.1.3). Gelbe oder orange-
rote Färbungen werden von Carotinoiden verursacht. Zu ihnen gehören die Carotine und mit
ihnen verwandte Tetraterpene. Sie sind in Fetten gut löslich.
β-Carotin. Das wichtigste Lipochrom ist das β-Carotin, das an der Rotfärbung des rohen
Palmöls Anteil hat und in Karotten vorkommt. Im tierischen Organismus wird es in der
Darmschleimhaut enzymatisch in 2 Moleküle Vitamin A gespalten.
H3C
H3C CH3 CH3 CH3

CH3 CH3 H3C CH3


CH3
β -Carotin

Zeaxanthin ist ein gelber Farbstoff, der in Mais enthalten ist.


H3C OH
H3C CH3 CH3 CH3

H3C CH3
CH3 CH3
HO CH3
Zeaxanthin

Lutein (Xanthophyll) ist der gelbe Farbstoff des Eidotters. Es ist auch in grünen Blättern
enthalten.
736 19 Lipide

H3C OH
H3C CH3 CH3 CH3
H

CH3 CH3 H3C CH3


HO CH3
Lutein

Lycopin ist der rote Farbstoff der Tomaten und Hagebutten. Er kommt auch noch in einer
Reihe anderer Früchte vor.
H3C
H3C CH3 CH3 CH3

CH3 CH3 H3C CH3


CH3
Lycopin

Bixin ist der in der tropischen Annatto-Frucht vorkommende gelbe Farbstoff. Er wird zum
Anfärben von Margarine verwendet.
CH3 CH3 O

C
HOOC OCH3

CH3 CH3
Bixin

19.5.5 Lipovitamine

Vitamine sind Substanzen, die der Mensch in relativ kleiner Menge benötigt und die mit der
Nahrung zugeführt werden müssen, weil der menschliche Organismus nicht imstande ist, sie
zu synthetisieren. Ihr Fehlen ruft Mangelerscheinungen hervor. Fettlösliche Vitamine, die als
Begleitstoffe von Fetten und Ölen auftreten, werden als Lipovitamine bezeichnet. Zu ihnen
gehören das Vitamin A, die Vitamine D2 und D3, Tocopherole und der Vitamin-K-Komplex.

19.5.5.1 Vitamin A
Vitamin A, das auch Retinol genannt wird (siehe auch Abschnitt 20.1.3), kommt vor allem in
Eigelb, Milch und Lebertran vor. Es spielt beim Aufbau des Sehpurpurs eine Rolle. Das
Oxidationsprodukt des Retinols ist das 11-(Z)-Retinal (siehe Abschnitt 3.5.2), das mit dem
Protein Opsin den Sehpurpur, das Rhodopsin, bildet. Mangelerscheinungen bei Vitamin-A-
Mangel sind Nachtblindheit, Gewichtsabnahme, Austrocknung der Binde- und Hornhaut der
Augen (Xerophthalmie), Trockenheit und stärkere Pigmentierung der Haut, Falten- und
Schuppenbildung.
19.5 Fettähnliche Biomoleküle 737

CH3 CH3
H3C CH3
CH2OH

CH3
Vitamin A

19.5.5.2 Die Vitamine D2 (Calciferol) und D3 (Cholecalciferol)


Calciferol wird über Praecalciferol bei Bestrahlung aus Ergosterol gebildet (siehe Abschnitt
20.2.3), und Cholecalciferol entsteht bei Bestrahlung von 7-Dehydrocholesterol. Beide
kommen in Butter, Milch, Eigelb und in Fischölen vor. Mangelsymptome sind bei Kindern
Rachitis, bei Erwachsenen Entkalkungsvorgänge in den Knochen. Längerzeitige Überdosie-
rung von Vitamin D kann zu toxischen Wirkungen (Hypervitaminose) führen: Kalkablage-
rungen in verschiedenen Geweben, z.B. Niere, Lunge, Lymphknoten und Arterien.
H
CH3
H 3C H3C
CH3 H CH3
H
H 3C H3C
CH3 CH3
CH2 CH2

H H

HO HO
Calciferol Cholecalciferol

19.5.5.3 Vitamin E
Vitamin E ist eine Sammelbezeichnung für Tocopherole. Tocopherole sind Chromanderivate,
die in 2-Stellung eine 16 Kohlenstoffatome zählende isoprenoide Seitenkette und eine Me-
thylgruppe und in Stellung 6 eine Hydroxygruppe haben und sich nur durch die Anzahl und
die Stellung der Methylgruppen am Benzolring unterscheiden. Sie sind im Pflanzenreich
weit verbreitet, kommen aber nur in geringen Mengen vor. Reich an Vitamin E sind Getrei-
dekeimlinge und deren Öl, grüne Salate, Eidotter, Milch und Butter. Der tägliche Bedarf
eines Menschen an Vitamin E beträgt etwa 10 mg. Das α-Tocopherol ist von den Tocophero-
len das physiologisch wirksamste. Vitamin E ist für die normale Funktion aller Organe un-
entbehrlich. Es setzt den Sauerstoffverbrauch bzw. den Grundumsatz der Gewebe herab,
beeinflußt den Kohlenhydratumsatz und den Wasserhaushalt des Körpers. Es ist wichtig für
die normale Funktion der männlichen Keimdrüsen, den normalen Ablauf der Schwanger-
schaft, für die Funktionstüchtigkeit des Nervensystems und der Muskulatur. Tocopherole
werden zu Fetten als Antioxidans zugegeben, um das Ranzigwerden zu unterbinden. Gegen
Erhitzen sind Tocopherole beständig, sie werden aber durch Bestrahlung mit UV-Licht und
durch den Sauerstoff der Luft zerstört.
738 19 Lipide

CH3
5 4 5
HO
6 3
CH3
7 2
7 2
O1 R1 8 O CH3 H H
8
CH3 CH3 CH3
2
R
Chroman Tocopherol R1 R2
α-Tocopherol CH3 CH3
β-Tocopherol H CH3
γ-Tocopherol CH3 H
δ-Tocopherol H H
19.5.5.4 Die Vitamine K1 und K2
Vitamin K ist ein Sammelbegriff für fettlösliche Vitamine, deren Grundgerüst das 2-Methyl-
1,4-naphthochinon ist. Ein weiteres Merkmal ist eine isoprenoide Seitenkette in 3-Stellung.
Vitamin K ist wichtig für die Blutgerinnung, es ist ein Blutgerinnungsfaktor. Das erklärt die
Abkürzung K, die dem Anfangsbuchstaben des Wortes Koagulation = Blutgerinnung ent-
spricht.
Vitamin K1, das auch als Phyllochinon oder Phytomenadion bezeichnet wird, ist das 2-Me-
thyl-3-phytyl-1,4-naphthochinon. Oftmals findet man in der Literatur die Bezeichnung
Vitamin K1(20). (Die Zahl 20 nimmt Bezug auf die Anzahl der C-Atome in der isoprenoiden
Seitenkette.) Vitamin K1 kommt in Bakterien und in grünen Teilen von Pflanzen vor.
Vitamin K2, das Menachinon, wurde aus faulendem Fischmehl isoliert. Beide Vitamine, das
Vitamin K1 und K2, sind physiologisch wirksam. Die Hauptversorgungsquelle des Menschen
ist das von den Coli-Bakterien im Darm synthetisierte Vitamin K.
O
CH3

CH3
H H
O CH3 CH3 CH3 CH3
Vitamin K1
O (Phyllochinon)

CH3

CH3

O CH3 CH3 CH3 CH3 CH3 CH3 CH3


Vitamin K2

Die Anwesenheit von Vitamin K ist wichtig für den komplexen Prozeß der Blutgerin-
nung. Vitamin-K-Mangel führt zu Störungen der Blutgerinnung, und er äußert sich in Blu-
tungen im Unterzellgewebe, in der Muskulatur, im Darm und anderen Organen. Der tatsäch-
liche Bedarf an Vitamin K ist nicht bekannt, der Bedarf wird aber in ausreichendem Maße
durch Synthese von Vitamin K durch Darmbakterien gedeckt.
19.6 Chemische Reaktionen von Fetten und Ölen 739

19.6 Chemische Reaktionen von Fetten und Ölen

19.6.1 Die hydrolytische Spaltung von Fetten und Ölen

19.6.1.1 Die Verseifung


Die Verseifung von Fetten erfolgt mit Natron- oder Kalilauge, wobei die Triglyceride in Gly-
cerin und in die Natrium- bzw. Kaliumsalze der Fettsäuren gespalten werden. Diese Salze
werden als Seifen bezeichnet (siehe Abschnitt 15.4.1.1).
O O

H2C O C R1 Na O C R1
O H2C O H O

HC O C R2 + 3 NaOH HC O H + Na O C R2
O O
H2C O H
H2C O C R3 Na O C R3
R = C3H7 bis C17H35
Fette sind zwar in alkalischen Medien praktisch nicht löslich, doch geht die Verseifung
trotzdem zügig vor sich. Die am Anfang in kleiner Konzentration gebildete Seife wirkt als
Emulgator, so daß die Reaktion dann schneller weiterschreiten kann (kleinere Tröpfchen
haben eine größere Oberfläche und ermöglichen einen besseren Kontakt mit der Base).

19.6.1.2 Hydrolytische Spaltung der Fette in freie Fettsäuren


Im Labormaßstab können freie Fettsäuren aus Triglyceriden durch Erhitzen mit Mineral-
säuren unter intensivem Rühren gewonnen werden. Die höheren freien Fettsäuren sind in
Wasser nicht löslich und bilden die obere Phase.
O O

H2C O C R1 HO C R1
O H2C O H O

HC O C R2 + 3 H2O HC O H + HO C R2
O O
H2C O H
H2C O C R3 HO C R3

Großtechnisch werden die freien Fettsäuren mit heißem Wasser oder Wasserdampf in
Gegenwart alkalischer (CaO, MgO) oder saurer Katalysatoren (aromatische Sulfonsäuren)
aus Fetten gewonnen. Dazu dient das Twitchel-Verfahren, das Autoklaven-Verfahren oder
ein kontinuierliches Verfahren.
Das Twitchel-Verfahren. Zu Fett oder Öl wird im offenen Kessel Wasser im Verhältnis 2 : 1
gegeben und außerdem noch 1 % Sulfonsäure und 0,5 % Schwefelsäure. In den Kessel wird
16–24 Stunden Wasserdampf eingeleitet. Anschließend wird das glycerinhaltige Wasser
740 19 Lipide

abgezogen, durch frisches Wasser ersetzt und das Reaktionsprodukt so lange erhitzt, bis die
Hydrolyse zu 95 % erfolgt ist.
Das Autoklaven-Verfahren. Das Fett wird mit Wasser und 2 % eines alkalischen Katalysa-
tors, z.B. Ca(OH)2 in den Autoklaven eingebracht, und das Reaktionsgemisch bei 8–12 bar
auf 160–185°C erhitzt. Die Hydrolyse erfolgt zu 90 %.
Kontinuierliches Verfahren. Fett wird mit einem Zusatz von Calciumhydroxid von unten in
einen Reaktionsturm eingeleitet, während von oben Hochdruckdampf eingeblasen und der
Reaktionsraum auf einen Druck von ca. 55 bar gebracht wird. Am Kopf des Turmes wird die
Fettsäure, am Boden das Glycerinwasser abgezogen. Die Hydrolyse dauert etwa 2 Stunden
und erfolgt zu 96–99 %.

19.6.1.3 Enzymatische Spaltung


Die Spaltung der Fette und Öle kann auch mit Hilfe von Enzymen erfolgen, z.B. mit der im
Ricinussamen enthaltenen Lipase. Sie setzt einen, wenn auch minimalen Wassergehalt vo-
raus (es genügen 0,3 %), der auch bei vielen Fetten und Ölen vorhanden ist. Die enzymati-
sche Spaltung der Triglyceride findet für die großtechnische Gewinnung der Fettsäuren keine
Anwendung. Sie spielt aber eine wichtige Rolle beim Ranzigwerden von Fetten, besonders
dann, wenn in Pflanzenfetten noch Fruchtfleischanteile vorhanden sind. Als ranzig bezeich-
nen wir die Fette dann, wenn das Fett eine nachteilige Geruchs- und Geschmacks-
umwandlung erfahren hat, die seine Qualität als Nahrungsmittel vermindern. Es sind niedere
Fettsäuren (Buttersäure, Caprylsäure und Caprinsäure), die schon, in ganz kleinen Mengen
freigesetzt, das Fett als ranzig erscheinen lassen. Fette können ebenfalls durch Mikroben
gespalten werden. Besonders gefährdet sind Palmkern-, Kokosfett und Butter. Mikroorga-
nismen können Fette auch auf die Weise spalten, daß Methylketone entstehen. Diese Spal-
tung kann als β-oxidative Spaltung aufgefaßt werden, wobei anstelle der Abspaltung eines
Acetyl-Coenzym-A-Restes eine Decarboxylierung eintritt. Die Methylketone sind geruchs-
intensiv, ihnen verdankt z.B. der Roquefortkäse sein Aroma.

19.6.2 Die Umesterung

Bei der Umesterung findet in den Triglyceriden ein Austausch der Acylreste statt. Die Acyl-
reste erfahren hierbei keine Veränderung. Als Katalysator wird häufig Natriumethanolat
eingesetzt, die Reaktion findet bei Temperaturen von 60–200°C statt. Werden die Acylreste
innerhalb desselben Glyceridmoleküls vertauscht, handelt es sich um eine intramolekulare
Umesterung.
O O O

H2C O C R2 H 2C O C R1 H2C O C R1
O O O
CH3CH2ONa CH3CH2ONa
HC O C R1 HC O C R2 HC O C R3
O O O

H2C O C R3 H 2C O C R3 H2C O C R2
19.6 Chemische Reaktionen von Fetten und Ölen 741

Findet der Austausch der Acylreste zwischen verschiedenen Triglyceridmolekülen statt,


spricht man von einer intermolekularen Umesterung, z.B.:
O O O O

H2C O C R2 H2C O C R4 H2C O C R1 H2C O C R2


O O O O
CH3CH2ONa
HC O C R1 + HC O C R5 HC O C R4 + HC O C R5
O O O O

H2C O C R3 H2C O C R6 H2C O C R3 H2C O C R6

Bei der Umesterung von Fetten und Ölen finden sowohl intramolekulare als auch inter-
molekulare Umesterungen statt.

19.6.2.1 Die Einphasen-Umesterung


Die Einphasen-Umesterung geschieht bei höheren Temperaturen mit Alkalialkoholat als
Katalysator. Das Produkt der Umesterung besitzt andere physikalische Eigenschaften als das
als Ausgangsstoff benutzte Fett. Z.B. kann ein Fett oder Öl durch die Umesterung eine Än-
derung der Schmelztemperatur erfahren. Ob es zu einer Erhöhung oder Erniedrigung der
Schmelztemperatur kommt, hängt von der Triglyceridzusammensetzung des Fettes ab. Die
Umesterung eines Fettes führt zu einer statistischen Verteilung der Acylreste in den Trigly-
ceriden, und dies läßt eine Erniedrigung der Schmelztemperatur erwarten. Bei Pflanzenölen
ist der ungesättigte Acylrest überwiegend an den mittelständigen Sauerstoff des Glycerin-
restes gebunden, also in β-Stellung. Ein solches Triglycerid hat eine niedrigere Schmelz-
temperatur als ein Triglycerid mit dem ungesättigten Acylrest in α- oder α'-Stellung. Bei
manchen Pflanzenölen führt deshalb die Umesterung zu einer Erhöhung der Schmelztempe-
ratur, man spricht dann von einer Fetthärtung.

19.6.2.2 Die gerichtete Umesterung


Sie erfolgt bei niedrigerer Temperatur, bei der die höherschmelzenden Triglyceride aus der
flüssigen Phase auskristallisieren und abgetrennt werden können, so daß man eine niedriger-
und eine höherschmelzende Fraktion erhält.

19.6.2.3 Die Umesterung verschiedener Fette untereinander


Die Umesterung von Fetten führt zu Fetten mit anderen Eigenschaften.

19.6.2.4 Die Alkoholyse


Die Alkoholyse (siehe Abschnitt 17.3.4.2) von Triglyceriden wird dann durchgeführt, wenn
man mit Hilfe der Gaschromatographie feststellen möchte, welche Fettsäurekomponenten in
den Triglyceriden vertreten sind. In der Regel überführt man die Fettsäurekomponenten der
Triglyceride durch sauer katalysierte Methanolyse in Methylester. Zu diesem Zwecke gibt
man zu Methanol einige Tropfen konz. Schwefelsäure, oder man leitet gasförmiges HCl in
Methanol ein, gibt zu dieser methanolischen Lösung das zu untersuchende Fett oder Öl und
erhitzt das Gemisch unter dem Rückflußkühler. Als Reaktionsprodukte erhält man Glycerin
und die Methylester der Fettsäuren.
742 19 Lipide

O O

H2C O C R1 + CH3OH H2C OH + H3C O C R1


O O
H
HC O C R2 + CH3OH HC OH + H3C O C R2
O O

H2C O C R3 + CH3OH H2C OH + H3C O C R3

19.6.3 Die Hydrierung

Aus Pflanzenölen können durch katalytische Hydrierung (siehe Abschnitt 3.7.7.1) Fette
gewonnen werden, die bei Zimmertemperatur eine halbfeste oder feste Konsistenz aufwei-
sen. Die Hydrierung ist deshalb auch eine Methode zur „Fetthärtung“. Seetieröle sind erst
nach der Hydrierung für den menschlichen Genuß geeignet.
Die ungesättigten Triglyceride können vollständig oder partiell hydriert werden. Durch
vollständige Hydrierung werden hochschmelzende Koch-, Brat- und Backfette erzeugt.
O O

H2C O C (CH2)14CH3 H2/Ni, 3-5 bar H2C O C (CH2)14CH3


150-220 °C
O O

HC O C (CH2)7 CH CH CH2 CH CH (CH2)4CH3 HC O C (CH2)16CH3


O O

H2C O C (CH2)12CH3 H2C O C (CH2)12CH3

Durch geeignete Wahl des Katalysators und der Reaktionsbedingungen kann man auch
partiell hydrieren. Für die partielle Hydrierung werden manchmal Kupferkatalysatoren ein-
gesetzt. Sie beschleunigen die Hydrierung vom Trien zum Monoen mit ausgeprägter Selekti-
vität, sind jedoch im Einsatz unwirtschaftlich. Mit partieller Hydrierung erzeugt man Öle, die
reich an veresterten Monoensäuren sind. Sie sind bezüglich der Autoxidation relativ stabil
und werden als Salatöle und Backfette verwendet. Man kann aus linolenreichen Ölen durch
selektive partielle Hydrierung relativ oxidationsstabile Produkte erhalten, in denen die essen-
tielle Linolsäure als Triglyceridkomponente enthalten ist.
Zur katalytischen Hydrierung werden am häufigsten Nickelkatalysatoren verwendet. Trä-
gerfreie Nickelkontakte erhält man, indem man Nickelformiat Ni(HCOO)2 im zu hydrieren-
den Öl suspendiert und auf 200–300°C erhitzt. Es entsteht feinverteiltes pyrophores Nickel:
250 °C
Ni(HCOO)2 Ni + 2 CO2 + H2

Nickelkatalysatoren werden für die Fetthärtung häufig auf einem Träger eingebracht. Als
Trägermaterial dient Kieselgur. Dieses wird mit Nickelhydroxid bezogen, das aus einer Lö-
sung von Nickelnitrat mit NaOH oder Natriumcarbonat ausgefällt wird. Das mit Nickelhyd-
roxid beschichtete Kieselgur wird bei 350–500°C getrocknet und danach das Nickelhydroxid
mit Wasserstoff zu Nickel reduziert.
19.6 Chemische Reaktionen von Fetten und Ölen 743

Die Hydrierung erfolgt bei 150–220°C und einem Wasserstoffdruck von 1–5 bar.
Als Nebenreaktionen können bei der Hydrierung Isomerisierungen durch Wanderung der
Doppelbindungen oder cis-trans-Isomerisierungen erfolgen. Ungesättigte Begleitstoffe der
Öle, z.B. Carotinoide, können natürlich ebenfalls hydriert werden.

19.6.4 Die Autoxidation ungesättigter Triglyceride

Ungesättigte Triglyceride haben eine Neigung zur Autoxidation (zum Begriff Autoxidation
siehe Abschnitt 2.9.3.1). Der Angriff des in der Luft enthaltenen Sauerstoffes erfolgt bevor-
zugt in Allylstellung zur Doppelbindung, wobei als Zwischenprodukt die entsprechenden
Hydroperoxide gebildet werden.

H H

R C CH CH C R'
H H
O H
R C CH CH C R' + O2 HO
H H
H H
R C CH CH C R'
Allylstellung
H O
OH

Die C–H-Bindung in Allylstellung wird deshalb bevorzugt gespalten, weil das im ersten
Reaktionsschritt gebildete Radikal resonanzstabilisiert ist und der Energieaufwand für die
homöopolare Spaltung deshalb im Vergleich zu anderen C–H-Bindungen kleiner ist.

H H

R C CH CH C R'
H H
H
R C CH CH C R' + H O O
H
H
H H
O O C CH CH C R'
R
H

Isolenfettsäuren mit mehreren Doppelbindungen, z.B. die Linol- und Linolensäure, haben
eine noch stärkere Neigung zur Autoxidation, da in diesen Fällen eine noch bessere Reso-
nanzstabilisierung des nach der homöopolaren Spaltung entstandenen Radikals möglich ist.
Die C–H-Bindung der zwischen den Doppelbindungen liegenden CH2-Gruppe kann beson-
ders leicht gespalten werden:
744 19 Lipide

H O CH2OCOR

CH3(CH2)4 CH CH C CH CH (CH2)7C O CH

CH2OCOR'

H O CH2OCOR

CH3(CH2)4 CH CH C CH CH (CH2)7C O CH

CH2OCOR'

H O CH2OCOR

CH3(CH2)4 CH CH C CH CH (CH2)7C O CH

CH2OCOR'

Tabelle 19.3 Energieaufwand für die homolytische Spaltung einer C–H-Bindung

Gruppierung, in der die C–H-Bindung gespalten werden soll Dissoziationsenergie


H
aus der Methylgruppe 422 kJ/mol
H2C
H
aus der Methylengruppe 410 kJ/mol
H 3C CH
H
in Allylstellung 322 kJ/mol
CH CH CH
H Methylengruppe zwischen
2 Doppelbindungen 272 kJ/mol
CH CH CH CH CH

Bei der Autoxidation der Triglyceride liegt ein Radikalmechanismus vor. Der Sauerstoff
wirkt als Biradikal, das die C–H-Bindung spaltet.

R CH CH CH R' R CH CH CH R' + H O O
Start:
O O
H

Das entstandene Radikal reagiert mit dem Sauerstoff zum Peroxyradikal. Dieses spaltet
in einem anderen Molekül eine C–H-Bindung, wobei das Hydroperoxid und ein Radikal
entstehen. Das letztere kann wiederum mit Sauerstoff reagieren, wodurch sich die Ketten-
reaktion fortsetzt.
19.6 Chemische Reaktionen von Fetten und Ölen 745

Kettenreaktion:
R CH CH CH R' R CH CH CH R'
O O O O
Peroxyradikal

R CH CH CH R' R CH CH CH R' +

O O O O H CH CH CH R'''
H CH CH CH R'''
Hydroperoxid Radikal
R'' R''

Der Abbruch der Kettenreaktion erfolgt durch Rekombination von Radikalen oder durch
Oxidationsinhibitoren (Antioxidantien). Die Antioxidantien fangen die Radikale ab, wodurch
neue Radikale entstehen. Diese sind jedoch so inaktiv, daß die Kettenreaktion zum Stillstand
kommt.
Die nachfolgenden Reaktionen des Hydroperoxids sind vielfältig, je nachdem, mit wel-
chen Fetten die Autoxidation stattfindet und unter welchen Reaktionsbedingungen sie er-
folgt. Man kann sowohl einen Fettabbau als auch eine Verkettung der Triglyceridmoleküle
über Ether- oder Peroxidbrücken beobachten.
Die Hydroperoxide sind relativ labil und zerfallen leicht in Sekundärprodukte, die das
Fett ungenießbar machen oder seine Genießbarkeit herabsetzen. Bei dem Vorgang, der als
Ranzigwerden von Fetten bekannt ist, erfolgt eine Spaltung des Peroxids, wobei Aldehyde
als Bruchstücke dieser Spaltung entstehen:
H
R CH CH CH CH2 R' R CH CH C + CH2 R' + O H
O
O O H
oder
H
R CH CH CH CH2 R' R CH CH + C CH2 R' + O H
O
O O H

Außer gesättigten und ungesättigten Aldehyden gehören zu den Abbauprodukten der


Autoxidation von Ölen und Fetten noch Carbonsäuren, Hydroxycarbonsäuren und Oxo-
carbonsäuren. Zur Hemmung der Autoxidation und damit des Ranzigwerdens von Fetten und
Ölen können Antioxidantien zugefügt werden, die als Radikalfänger fungieren. Natürliche
Antioxidantien sind Tocopherole und Carotinoide.
Bei trocknenden Ölen (z.B. dem Leinöl) wird durch die Autoxidation an der Luft ein
dauerhafter, zäher Film gebildet. Man nimmt an, daß dies durch Vernetzung der Triglycerid-
moleküle über Sauerstoffbrücken geschieht. Ein wahrscheinlicher Reaktionsmechanismus
der Autoxidation trocknender Öle nach Bildung des Hydroperoxids ist der, daß die O–O-
Bindung des Hydroperoxids gespalten wird und das Oxyradikal mit der Doppelbindung eines
anderen Moleküls in Wechselwirkung tritt, wobei beide Moleküle über Sauerstoff verknüpft
werden und ein Radikal ensteht.
746 19 Lipide

R CH CH CH CH2 R' R CH CH CH CH2 R'

O O H O + O H
Oxyradikal

R CH CH CH CH2 R' R CH CH CH CH2 R'

O O

R'' CH CH CH2 R'''


R'' CH CH CH2 R'''

Das Radikal reagiert mit Sauerstoff zum Peroxyradikal, das mit der Doppelbindung eines
weiteren Moleküls reagieren kann, wodurch eine Peroxyvernetzung zustande kommt.

R CH CH CH CH2 R' R CH CH CH CH2 R'

O O

R'' CH CH CH2 R''' R'' CH CH CH2 R'''

+ O O O O

R CH CH CH CH2 R' R CH CH CH CH2 R'

O O

R'' CH CH CH2 R''' R'' CH CH CH2 R'''

O O O O

R'''' CH CH CH2 R'''''


R'''' CH CH CH2 R'''''
usw. ....
Das Trocknen des Öles kann durch Sikkative (Trockenstoffe, Prooxidantien) beschleu-
nigt werden. Als Sikkative werden hauptsächlich Salze bzw. Seifen des Cobalts, Bleis oder
Mangans den trocknenden Ölen zugefügt, z.B. Cobaltsalze von Napthensäuren (siehe Ab-
schnitt 7.3). Ihre katalytische Wirkung beruht auf der Spaltung der Hydroperoxide.

R O O H Co2 R O + O H + Co3

e
R O O H Co3 R O O + H + Co2

e = Elektron

Trocknende Öle mit einem Zusatz von Sikkativen werden als Firnisse bezeichnet.
19.7 Fette und Öle als Nahrungsmittel 747

19.6.5 Polymerisationsreaktionen

Erhitzt man Triglyceride, die als Fettsäurekomponenten Isolenfettsäuren enthalten, können


diese in Konjugenfettsäuren isomerisiert werden. Das Triglycerid mit konjugierten Doppel-
bindungen kann dann mit Isolenfettsäurekomponenten eines anderen Triglycerids eine Diels-
Alder-Reaktion eingehen (siehe Abschnitt 3.10.4), wodurch beide Triglyceride unter Bildung
eines Sechringes verknüpft werden.
R R R R

R'' R''
Isomerisierung und dann: Diels-Alder

R' R'''
R' R' R'
R'''

Bei höherer Temperatur können außerdem Triglyceridradikale entstehen, welche dimeri-


sieren und cyclisieren können. Bei Anwesenheit von Luft können Polymere entstehen, die
über Ether- oder Peroxidbrücken verknüpft sind.

19.7 Fette und Öle als Nahrungsmittel


Eine Vorbedingung für die Leistungsfähigkeit und Gesundheit des Menschen ist eine richti-
ge und ausreichende Ernährung. Fette, Kohlenhydrate (Zucker) und Eiweiße sind Grundnah-
rungsstoffe, die durch weitere Stoffe, z.B. Vitamine und Mineralsalze ergänzt werden. Den
Bedarf des Körpers an Energie für das Wachstum, die Erhaltung der Körpertemperatur, für
die Bewegungsabläufe und für den Stoffwechsel deckt der Organismus hauptsächlich aus
Fetten, Ölen, Kohlenhydraten und auch aus Eiweißen. Fette und Öle sind wichtige Energie-
lieferanten für unseren Organismus. 1 g Fett hat ein Energieäquivalent von 37 kJ (9,3 kcal),
mehr als doppelt so viel wie 1 g Zucker (17 kJ = 4 kcal) oder 1 g Eiweiß (17 kJ = 4 kcal).
Als Faustregel gilt, daß ein Mensch für seine Ernährung etwa 1g Fett pro kg Körpergewicht
täglich zu sich nehmen sollte. Zu beachten ist hierbei natürlich auch, welche körperliche
Leistung täglich jeweils zu erbringen ist. Ein manuell schwer arbeitender Mensch, z.B. ein
Maurer, braucht natürlich täglich insgesamt mehr Kalorien (bis 3.600 kcal = 15.000 kJ) als
jemand, der eine mittelschwere körperliche Tätigkeit ausüben muß, z.B. ein Elektriker (ca.
3.000 kcal = 12.500 kJ), oder jemand, der nur einer leichten körperlichen Arbeit nachgeht,
z.B. ein Büroarbeiter (ca. 2.400 kcal= 10.000 kJ). Infolge übermäßiger Nahrungszufuhr
kann der Energieverbrauch mit der Energieaufnahme nicht mehr Schritt halten. Der Über-
schuß wird als Depotfett im Fettgewebe gespeichert. Der Fettüberschuß belastet den Orga-
nismus (z.B. den Stoffwechsel, durch Übergewicht des Körpers die Gelenke usw.). Der
Organismus wird durch übermäßige Ernährung auf die Dauer überfordert, und es kommt zu
Gesundheitsstörungen, z.B. Zuckerkrankheit, Gicht, Herz- und Kreislaufkrankheiten und
Bluthochdruck. Die Ernährungsweise der Menschen in den Industrieländern ist im allgemei-
748 19 Lipide

nen ungesund, vor allem ist der Fettkonsum zu hoch. Im Durchschnitt sollte der Fettkonsum
eines Menschen bei etwa 75 g Fett pro Tag liegen, 135–140 g ist der durchschnittliche tägli-
che Konsum des Bundesbürgers. Beim Fettkonsum ist zu berücksichtigen, daß es nicht nur
die auf den ersten Blick als Fette oder Öle erkennbaren Nahrungsmittel sind (z.B. Schwei-
ne-, Gansfett, Rindertalg, Butter und Pflanzenöle), die mit hohen Kalorien zu Buche schla-
gen, sondern auch die „versteckten“ Fette z.B. in Wurst, Käse, Backwaren usw.
Wie jedes Extrem, ist natürlich auch das von Übel, wenn man versucht den Fettkonsum
möglichst vollkommen einzuschränken. Der Konsum von Fetten und Ölen in ausgewogenen
Mengen ist für unsere Gesundheit unabdingbar. Die essentiellen Fettsäuren, die unser Körper
nicht synthetisieren kann, müssen wir mit der Nahrung zu uns nehmen. Aus dieser Sicht ist
zu beachten, welche Fette wir einnehmen, denn Fett ist nicht gleich Fett. Pflanzenöle mit
einem hohen Anteil an essentiellen Fettsäuren sind zu bevorzugen. Die Fette sind auch für
die Versorgung unseres Körpers mit wichtigen fettlöslichen Stoffen, z.B. fettlöslichen Vita-
minen, notwendig. Am besten ernähren wir uns mit einer abwechslungsreichen Kost, die die
Grundnahrungsstoffe Fette, Kohlenhydrate und Eiweiße in ausgewogenen Relationen ent-
hält, die reich an Balaststoffen ist, die Gemüse und Obst einschließt und nicht zu kalorien-
reich ist.

19.7.1 Verdauung und Resorption von Fetten

Bei der Verdauung werden Nahrungsstoffe durch Enzyme in niedermolekulare Stoffe abge-
baut, die zur Aufnahme durch die Darmwand geeignet sind. Der Abbau erfolgt bei Fetten
durch fettspaltende Enzyme, den Lipasen. Unter Resorption versteht man die Aufnahme
niedermolekularer Stoffe durch die Darmwand und ihre Überführung in die Blutbahn.

19.7.1.1 Die Verdauung von Fetten


Im Magen befindet sich eine schwach wirkende Magenlipase, die nur fein emulgiertes Fett,
z.B. Milchfett, hydrolysieren kann. Die Spaltung der Fette erfolgt hauptsächlich im Dünn-
darm mit Hilfe der Lipase der Bauchspeicheldrüse (Pankreaslipase) und der Lipase des
Dünndarms. Die Pankreaslipase greift nur die α- und α'-ständigen Glyceridester an, das
Enzym der Darmwand greift auch β-ständige Ester an. Die hydrolytische Spaltung der Tri-
glyceride geschieht stufenweise, bevorzugt werden die Triglyceride in α- und α'-Stellung
gespalten. Zunächst entstehen α, β-Diglyceride bzw. α', β-Diglyceride, dann β-Monoglyceri-
de und zuletzt können auch noch Monoglyceride in Glycerin und freie Fettsäuren gespalten
werden. Die Triglyceride werden im Dünndarm überwiegend zu β-Monoglyceriden gespal-
ten (Schema siehe nächste Seite).
Für die Spaltung der Fette durch Lipasen im Dünndarm spielen die Salze der Glycochol-
säure und Taurocholsäure (siehe Gallensäure Abschnitt 20.2.4), die aus der Gallenblase in
den Zwölffingerdarm (duodenum) ausgeschieden werden, eine sehr wichtige Rolle. Sie set-
zen die Grenzflächenspannung zwischen Fett und Wasser herab und bewirken eine Emul-
sionsbildung der Fette in Wasser. Die Lipasen sind, ganz in Gegensatz zu den Fetten, hydro-
phil und befinden sich in der wäßrigen Phase. Sie können deshalb nur an der Phasengrenze
Fett/Wasser wirksam sein. Durch die Emulsionsbildung wird die Phasengrenze Fett/Wasser
19.7 Fette und Öle als Nahrungsmittel 749

O O
α 1
α
O H2C O C R O H2C O C R1 O H2C OH
β H2O β H2O β
R2
C O CH Lipase R 2
C O CH Lipase R2
C O CH

H2C O C R3 H2C OH H2C OH


α'
α,β -Diglycerid β -Monoglycerid
O
Triglycerid + HO C R3
+ HO C R3
O
O
O
+ HO C R1

H2O H2C OH O O O
Lipase
HO CH + R1 C OH + R2 C OH + R3 C OH

H2C OH

vergrößert (kleinere Fetttröpfchen = insgesamt größere Oberfläche), so daß die Lipasen die
Spaltung der Triglyceride besser bewältigen können. Unterstützt wird die Emulsionsbildung
noch dadurch, daß auch die bei der Spaltung entstehenden Di- und Monoglyceride Emulga-
toren sind.

19.7.1.2 Resorption der Lipidabbauprodukte und Transport der resynthetisierten Lipide


Die Spaltprodukte der Triglyceride werden von Zellen, die den Dünndarm auskleiden, resor-
biert. Etwa 75 % des Nahrungsfettes werden als β-Monoglycerid resorbiert. Die Gallen-
säuren erleichtern die Aufnahme durch Micellenbildung, in die die unpolaren Lipidabbau-
produkte eingebaut werden. Auf diese Weise können sie durch die wäßrige Grenzschicht der
Darmwand transportiert werden. Die Spaltprodukte werden noch in den Zellen der Darm-
wand zu Triglyceriden resynthetisiert, von Lipoproteinen, den Chylomikronen, die als Trans-
portmittel dienen, aufgenommen und erreichen über das Lymphsystem den Blutkreislauf.
Von dort gelangen die Triglyceride in die Kapillaren des Fettgewebes und der Zellmuskula-
tur, wo sie durch die Lipoproteinlipase in freie Fettsäuren und Glycerin abgebaut werden.

19.7.2 Abbau der Fettsäuren

Die Fettsäuren müssen zuerst aktiviert und aus dem Cytoplasma der Zelle in die Mitochon-
drien transportiert werden, damit dort der Abbau erfolgen kann.

19.7.2.1 Aktivierung der Fettsäuren


Die Aktivierung der Fettsäuren im Cytoplasma erfolgt unter Katalyse von Acyl-Coenzym-A-
Synthetasen durch Überführung der Fettsäuren in das Acylcoenzym A.
Im ersten Reaktionsschritt wird das Fettsäureanion mit Adenosintriphosphat (ATP) unter
Abspaltung von Pyrophosphat zu Acyladenylat umgesetzt.
750 19 Lipide

Adenosin

NH2 NH2
O O O C O C
N N
C N C N
O P O P O P O HC O P O HC
C CH C CH
O O O CH2 N N O C O CH2 N N
O O
O
H H Adenin CH2 H H Adenin
R CH2 CH2 C H H Pyro- H H
CH2
OH OH Ribose phosphat OH OH Ribose
O
R
Fettsäureanion + ATP Acyladenylat

Das Acyladenylat reagiert weiter mit Coenzym A (CoA), wobei als Reaktionsprodukt
Acylcoenzym A (AcylCoA) und Adenosinmonophosphat (AMP) gebildet werden.

NH2 NH2
O C O C
N N
CoA S H O C N C N
P O HC CoA S H O P O HC
C CH C CH
O C O CH2 N N O C O CH2 N N
O O
CH2 H H Adenin CH2 + H H
H H H H
CH2 CH2
OH OH Ribose OH OH
R R
CoA Acyladenylat Acyl-CoA Adenosinmonophosphat (AMP)

Das für diese Reaktion wichtige Coenzym A hat folgende Strukturformel:

NH2
O O OH CH3 O O C
N
C N
HS(CH2)2NH C (CH2)2 NH C CH C CH2 O P O P O HC
C CH
CH3 O O CH2 N N
O
H H 1' Adenin
β-Mercapto- Pantothenoylrest H 3' 2' H
ethylamin OH
Ribose
O

PO32

Coenzym A 3'-Phosphorsäureester des


Adenosindiphosphats
19.7 Fette und Öle als Nahrungsmittel 751

Die Zusammensetzung des Coenzyms A wird verständlich aus seiner Biosynthese, die
vom Pantothenat ausgeht, das mit ATP phosphoryliert wird.

O O OH CH3 ATP ADP O O OH CH3


1' 2' 3' 4' 1' 2' 3' 4'
C (CH2)2 NH C CH C CH2 OH C (CH2)2 NH C CH C CH2 OPO32
O O
CH3 CH3

Pantothenat 4'-Phosphopantothenat

Das 4'-Phosphopantothenat reagiert dann mit der Aminogruppe des Cysteins


HS-CH2CH(NH2)COOH unter Amidbildung, worauf eine Decarboxylierung stattfindet.

O O H
C O O OH CH3
1' 2' 3' 4'
HS CH2 C NH2 + C (CH2)2NH C CH C CH2 OPO32
O
H CH3

Cystein 4'-Phosphopantothenat
ATP
Phosphopantothenoylcystein-Synthetase
Phosphat + ADP

O O H
C O O OH CH3

HS CH2 CH NH C (CH2)2NH C CH C CH2 OPO32


4'-Phosphopantothenoylcystein CH3

Phosphopantothenoylcystein-Decarboxylase
CO2

O O OH CH3

HS CH2 CH2 NH C (CH2)2NH C CH C CH2 OPO32


4'-Phosphopantethein CH3

4'-Phosphopantethein reagiert mit Adenosintriphosphat (ATP) unter Abspaltung von


Pyrophosphat zum Dephosphocoenzym A, das schließlich mit ATP am Ribosylrest phospho-
ryliert wird. Das Endprodukt ist das Coenzym A.
752 19 Lipide

O O OH CH3

HS CH2 CH2 NH C (CH2)2 NH C CH C CH2 OPO32


4'-Phosphopantethein
CH3
ATP
Dephospho-CoA-Pyrophosphorylase
Pyrophosphat
NH2
O O OH CH3 O O C
N
C N
HS(CH2)2NH C (CH2)2 NH C CH C CH2 O P O P O HC
C CH
Dephosphocoenzym A CH3 O O CH2 N N
O
H H
ATP
Dephospho-CoA-Kinase H H
ADP OH OH

NH2
O O OH CH3 O O C
N
C N
HS(CH2)2NH C (CH2)2 NH C CH C CH2 O P O P O HC
C CH
Coenzym A CH3 O O CH2 N N
O
H H
H H
O OH

PO32

Die Natur benutzt Thioester des Coenzyms A, die man auch als Acylcoenzym A bezeich-
nen kann, um Acylreste auf Nucleophile zu übertragen:

O O
Enzym/H2O
R C S CoA + NuH R C Nu + H S CoA

Acylcoenzym A Nucleophil acyliertes Nucleophil Coenzym A

19.7.3 Mitochondrien, die „Kraftstationen“ der Zelle

Kurzbeschreibung der Zelle. Die Zelle ist die kleinste lebensfähige Grundeinheit der Lebe-
wesen. Sie hat ihren eigenen Energie- und Stoffwechsel. Spezielle Funktionen der Zelle sind
an bestimmte Zellstrukturen gebunden. Prinzipell unterscheidet man zwei Zelltypen: die
Protocyten der Prokaryonten (Bakterien und Blaualgen), die keinen Zellkern besitzen, und
die Eucyten oder eukaryontischen Zellen (bei allen übrigen Organismen) mit Zellkern. Die
tierischen und pflanzlichen Zellen unterscheiden sich vor allem dadurch, daß die pflanz-
lichen Zellen (außer Pilzen und Blaualgen) zusätzlich Plastiden (Chloro-, Chromo- und Leu-
19.7 Fette und Öle als Nahrungsmittel 753

Querschnitt durch die Zelle


Zellmembran
Lysosom
Golgi-Apparat
Mitochondrium
rauhes endoplasmatisches
Reticulum mit Ribosomen
Nucleolus
Polysomem
Zellkern
Vakuole

Längsschnitt durch
das Mitochondrium
innere
Membran
Centriolen
äußere
Einstülpung der Zellmembran Membran
glattes endoplasmatisches Retikulum Cristae Matrix

Bild 19.2 Schematische Darstellung einer tierischen Zelle und des Mitochondriums

koplasten) besitzen. Die Chloroplasten mit eingelagertem Chlorophyll befähigen die Pflanzen
zur Photosynthese. Außerdem hat die Pflanzenzelle eine große Vakuole und eine aus 4 Schich-
ten bestehende Zellwand, während die Tierzelle nur von einer Zellmembran begrenzt wird.
Die Zellen im tierischen Organismus haben in verschiedenen Organen und Geweben un-
terschiedliche Aufgaben wahrzunehmen (Sekretbildung in Drüsen, Kontraktion in Muskel-
zellen, Reizleitung in Nervenzellen, Sekretion und Resorption in Nierenzellen usw.). Gemäß
dieser Arbeitsteilung zeigen Zellen in vielzelligen Lebewesen eine Spezialisierung auf be-
stimmte Stoffwechselfunktionen und Strukturen, die in enger Beziehung zu den Aufgaben
stehen, die sie im entsprechenden Organ zu bewältigen haben. Trotz dieser Spezialisierung
haben die Zellen gemeinsame Strukturmerkmale.
Die tierische Zelle wird von einer Zellmembran umhüllt. Zur Aufnahme von Teilchen, die
infolge ihrer Größe nicht durch die Zellmembran diffundieren oder transportiert werden kön-
nen, kann sich die Zellmembran nach innen einstülpen und dann abschnüren (Endocytose),
und ähnlich können durch Ausstülpen und Abschnüren der Zellwand auch Stoffe aus der Zelle
ausgeschieden werden (Exocytose). Im Inneren der Zelle gibt es subzelluläre Struktureinhei-
ten, die durch eine Membran abgegrenzt sind, bestimmte Enzyme besitzen und spezielle Auf-
gaben wahrnehmen (Zellkern, Mitochondrien, endoplasmatisches Reticulum, Lysosomen).
Man bezeichnet diese subzellulären Struktureinheiten allgemein als Organellen der Zelle.
Der Zellkern ist das wichtigste Organell der Zelle. Er enthält Chromosomen, welche aus
Chromatin bestehen, einem Komplex aus Desoxyribonucleinsäure = DNS (englisch: deoxy-
ribonucleic acid = DNA) und Protein. Die DNS enthält, durch Basenpaare codiert, die gene-
tische Information der Zelle und den Schlüssel zur Synthese der Ribonucleinsäuren = RNS
754 19 Lipide

(englisch: ribonucleic acid = RNA). Im Zellkern erfolgt auch die Synthese des Nicotinamid-
Adenin-Dinucleotids (siehe Abschnitt 14.3.2). Dort befinden sich auch die Enzyme des
DNS-Stoffwechsels und des Nucleotidstoffwechsels (z.B. DNS-Polymerase, RNS-Polymera-
se, NAD- und ATP-synthetisierende Enzymsysteme). Er enthält außerdem noch den für die
Chromosomenbildung wichtigen Nucleolus. Die Kernhülle besteht aus einer Doppelmem-
bran mit Poren, deren Durchmesser den Substanzfluß zwischen Zellkern und Cytoplasma er-
möglicht, jedoch den Durchgang umfangreicherer Molekülaggregate verhindert.
Der Zwischenraum zwischen Kernhülle und Zellwand wird vom Cytoplasma einge-
nommen. Dieses umfaßt die in dem Zwischenraum befindlichen Organellen und das Cytosol,
ein hochorganisiertes Gel, das diesen Raum ausfüllt. Im Cytosol befinden sich auch be-
stimmte Enzyme. Die Zusammensetzung des Cytosols weist in verschiedenen Regionen des
von ihm eingenommenen Raumes Unterschiede auf. Diese räumliche Strukturierung des
Cytosols ermöglicht das Cytoskelett, ein Fasergeflecht, das der Zelle Form und Bewegungs-
fähigkeit verleiht. Ein Bestandteil des Cytoskeletts sind die Centriolen (Mikrotubuli), die aus
dem Protein Tubulin aufgebaut sind und aus hohlen zylindrischen Strukturen bestehen. Sie
bilden die Leitstruktur für die Form der Zelle und die Bewegung der Organellen in der Zelle,
und sie spielen bei der Zellteilung eine gewichtige Rolle.
Das endoplasmatische Reticulum bildet eine labyrinthartige Struktur, die an den Zellkern
grenzt. Das rauhe endoplasmatische Reticulum ist mit Ribosomen besetzt, an welchen die
Synthese von Proteinen (Eiweißen) erfolgt. Die Ribosomen sind Granula (Körnchen) von
etwa 20 nm Durchmesser und befinden sich auf der Oberfläche des endoplasmatischen Reti-
culums. Im glatten endoplasmatischen Reticulum, das keine Ribosomen hat, erfolgt die Syn-
these der Lipide.
Der Golgi-Apparat besteht aus einem Stapel flacher Membransäcke. Im Golgi-Apparat werden
viele Substanzen, die im endoplasmatischen Reticulum entstanden sind, weiterverarbeitet.
Lysosomen sind kleine, von einer Einzelmembran umgebene Organellen mit hydrolytischen
Enzymen zur Verdauung zellfremder Substanzen und für das Recycling zelleigener Be-
standteile.
Vacuolen sind durch eine Membran begrenzte Bläschen, gefüllt mit Flüssigkeit. Sie dienen
als Depot für Nähr- und Abfallstoffe.
Polysomen sind mit Messenger-RNS verbundene Ribosomen. Man findet sie, in Gruppen
zusammengeschlossen, frei im Cytoplasma vor allem in den Zellen, die Proteine nur für den
zelleigenen Bedarf synthetisieren. Sie sind aber auch in Zellen nachweisbar, die ein rauhes
endoplasmatisches Reticulum besitzen.
Das Mitochondrium (griech. mitos = Faden, chondros = Körnchen) ist ein ellipsoides Orga-
nell mit einer glatten äußeren Membran und einer stark gefalteten inneren Membran mit Ein-
stülpungen, die man als Cristae (lat. cristae = Kamm) bezeichnet. Die äußere Membran ist
für die meisten Moleküle und Ionen durchgängig, während die innere Membran für viele
Ionen und die meisten ungeladenen Moleküle eine erhebliche Permeabilitätsschranke dar-
stellt. Für den Transport solcher Stoffe durch die Membranwand bedarf es spezifischer Pro-
teine, der Carrier-Proteine, die die Membranwand durchdringen und diese Stoffe in den
Innenraum durchschleusen können. Die innere Membran teilt das Mitochondrium in zwei
Innenräume (Kompartimente): einen Intermembranraum (Intercristae) zwischen der äußeren
19.7 Fette und Öle als Nahrungsmittel 755

und der inneren Membran und einen inneren Matrixraum. Die für die Atmungskette erforder-
lichen Enzyme befinden sich an der inneren Membranwand oder in der gelartigen Matrix.
Außerdem sind dort auch die Enzyme für den oxidativen Abbau der Fettsäuren und die im
Zitronensäurecyclus wirkenden Enzyme vorzufinden. In diesem Raum spielen sich drei ener-
gieliefernde Prozeße ab: die oxidative Phosphorylierung (siehe Abschnitt 14.3.2), der Fett-
säureabbau durch die β-Oxidation und der Abbau von Acetylcoenzym A im Zitronensäure-
cyclus (siehe Abschnitt 15.7.1.7). Die bei diesen Prozeßen freiwerdende Energie wird in
ATP gespeichert, indem ADP in ATP umgewandelt wird.

19.7.4 Der Transport durch die Mitochondrienmembran


Der Abbau der Fettsäuren erfolgt im Matrixraum der Mitochondrie. Die im Cytosol der Zelle
zum AcylCoA aktivierte Fettsäure kann jedoch als solche nicht durch die Mitochondrien-
wand gelangen. Das Molekül muß für den Transport zunächst in Acylcarnitin umgewandelt
werden, das dann mit Hilfe des Carnitin-Carrier-Proteins in die mitochondrielle Matrix durch
die Mitochondrienmembran durchgeschleust werden kann.

O O

R CH2 CH2 C SCoA Carnitin-Acyl- R CH2 CH2 C + HSCoA


AcylCoA O H Transferase
O
(CH3)3N CH2 CH CH2 COO (CH3)3N CH2 CH CH2 COO

Carnitin Acylcarnitin

Die durch die Carnitin-Acyl-Transferase katalysierte Reaktion von AcylCoA in


Acylcarnitin ist umkehhrbar. Im Matrixraum wird das Acylcarnitin mit in der Matrix be-
findlichem CoA wieder in das AcylCoA umgesetzt, wobei Carnitin freigesetzt wird. Das
AcylCoA wird dann durch β-Oxidation abgebaut, während das Carnitin in das Cytosol
zurücktransportiert wird.

19.7.5 Die β-Oxidation der Carbonsäuren


a) AcylCoA wird, katalysiert durch die Acyl-CoA-Dehydrogenase, vom Flavin-adenin-di-
nucleotid (FAD) zum trans-Δ2-Enoyl-CoA dehydriert.
b) Im zweiten Schritt erfolgt mit Hilfe der Enoyl-CoA-Hydratase eine Hydratisierung der
Doppelbindung, wobei das 3-L-Hydroxyacyl-CoA entsteht,
c) das im dritten Reaktionsschritt, katalysiert durch die 3-L-Hydroxyacyl-CoA-Dehydroge-
nase, zum β-Ketoacyl-CoA dehydriert wird.
d) Im letzten Reaktionsschritt, der als Thiolase-Reaktion bezeichnet wird, erfolgt mit Hilfe
der β-Ketoacyl-CoA-Thiolase unter Zuführung von Coenzym A eine Claisen-Esterspal-
tung, die zu einem um zwei Kohlenstoffatome kürzeren Acylcoenzym A führt. Ein
Äquivalent Acetylcoenzym A wird freigesetzt, das zum weiteren Abbau in den Krebs-
Cyclus einfließt (siehe Abschnitt 15.7.1.7).
756 19 Lipide

O
O H2O OH O
FAD FADH2 H C SCoA
R CH2 CH2 C SCoA C C R CH CH2 C SCoA
Acyl-CoA- R H
Enoyl-CoA-
3- L-Hydroxyacyl-CoA
Acyl-CoA dehydrogenase hydratase
trans-Δ2-
Enoyl-CoA
O O HS CoA O O
NAD+ NADH + H
R C CH2 C SCoA R C S CoA + H3C C SCoA
3- L-Hydroxyacyl- β-Ketoacyl-
β-Ketoacyl-CoA um 2 C-Atome Acetyl-CoA
CoA-dehydrogenase CoA-thiolase kürzeres Acyl-CoA

Diese Reaktionsfolge wiederholt sich bis zum vollständigen Abbau der Fettsäure zum
Acetylcoenzym A, dessen Abbau dann weiter im Citronensäurecyclus erfolgt.

19.7.6 Abbau des Glycerins

Das bei der Hydrolyse der Triglyceride im Fettgewebe freigesetzte Glycerin wird zur Leber
transportiert, wo es zum Glycerinaldehyd-3-Phosphat umgesetzt und schließlich durch Gly-
colyse (siehe Abschnitt 21.6.7.6) weiter abgebaut wird.
H O
CH2OH CH2OH CH2OH C
ATP ADP NAD+ NADH + H
CHOH CHOH C O CH OH
2 Glycolyse
Glycerin- Glycerinphosphat- Triose-
CH2OH kinase CH2OPO32 Dehydrogenase CH2OPO32 phosphat- CH2OPO32
Isomerase
Glycerin Glycerin-3- Dihydroxy- Glycerinaldehyd-
phosphat acetonphosphat 3-Phosphat

19.8 Wachse
Wachse sind Ester von Carbonsäuren mit langer unverzweigter Kohlenstoffkette (C16–C34)
und Alkoholen, die ebenfalls eine lange, unverzweigte Kohlenstoffkette (C16–C32) aufweisen.
Bei beiden Wachskomponenten, sowohl der Säure- als auch der Alkoholkomponente, hat die
Kohlenstoffkette eine gerade Anzahl von Kohlenstoffatomen.
O
CH3(CH2)nC n = 14 bis 32, m = 15 bis 31
O (CH2)mCH3

Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet man auch ein Gemisch aus Wachsen und Be-
gleitstoffen mit wachsähnlichen Eigenschaften als Wachse. In diesen Gemischen kommen
Wachse in der Natur gewöhnlich vor. Als wachsähnlich sind Stoffe zu verstehen, die eine
lange unverzweigte Kohlenstoffkette mit 16–34 C-Atomen aufweisen, hydrophob sind und
19.8 Wachse 757

sich in unpolaren organischen Lösungsmitteln lösen. Zu den Begleitstoffen zählen Alkane,


Alkene, Wachssäuren (C20–C34), primäre und sekundäre Alkohole, Ketone, Hydroxy- und
Oxosäuren.
Das wohl bekannteste Wachs ist das Bienenwachs, aus dem die Bienen ihre Waben bau-
en. Die Hauptkomponente ist das Myricylpalmitat CH3(CH2)14COO(CH2)29CH3. Viele Insek-
ten schützen sich vor Wasserverdunstung durch eine Schutzschicht von Wachs, mit der ihre
Cuticula (lat. Häutchen) überzogen ist. Die Cuticula ist ein an der Oberfläche abgeschiedenes
nichtzelliges, manchmal kalk- oder chitinhaltiges Häutchen, mit dem sich viele Tiere schüt-
zen. Auch die Pflanzen schützen verschiedene über der Erde wachsende Pflanzenteile mit
Kutikularwachs gegen Wasserverlust. Blätter und Früchte sind vielfach mit einer Wachs-
schicht überzogen. Manche Früchte, z.B. Äpfel und Orangen, werden vor der Lagerung mit
Wachs besprüht, um die Wasserverdunstung zu minimieren und sie länger haltbar zu ma-
chen. Im Handel sind verschiedene Pflanzenwachse zu beziehen, z.B. Carnauba-, Candellila-
und Ouricurywachse.
Manche spezielle Braunkohlearten (Wachskohle) enthalten einen extrahierbaren Anteil,
das Montanwachs. Dieses setzt sich zusammen aus einem Harz- und einem Wachsanteil. Bei
der Hydrolyse von Montanwachs erhält man unverzweigte lange Alkohole (C22–C32) und
unverzweigte lange Carbonsäuren (C22–C34), z.B. die Montansäure CH3(CH2)26COOH. So-
wohl in den Säuren als auch den Alkoholen dominieren die Homologen mit gerader Anzahl
der Kohlenstoffatome.
Wachse finden Verwendung in der Schuhindustrie, in der Druckindustrie, in Schuh-
cremen, in Möbelpolituren, als Kabelwachse, für Bohnermassen, für Papierleimungsmittel
usw. Industriell werden verschiedene Substanzen mit wachsähnlichen Eigenschaften produ-
ziert. Vollsynthetische Wachse können z.B. aus Paraffinen durch Oxidation und Veresterung
der als Oxidationsprodukte anfallenden Säuren und Alkohole gewonnen werden. Auch von
den Polyethylenen leitet sich eine Stoffgruppe mit wachsähnlichen Eigenschaften her (Poly-
thene, Lupulene).
758 19 Lipide

Übungsaufgaben

? 19.1
Was sind Triglyceride?

? 19.2
Worin unterscheiden sich Fette und Öle?

? 19.3
Welche Säurekomponenten enthalten Fette und pflanzliche Öle?

? 19.4
Was sind essentielle Fettsäuren?

? 19.5
Makrele und Lachs enthalten ω-3-Fettsäuren. Was versteht man unter diesem Begriff?

? 19.6
Definieren Sie den Begriff Glycerinphosphatid und schreiben Sie die Formel des Kephalins
auf.

? 19.7
Mit welcher Hydroxyverbindung ist die Phosphatidylsäure im a) Kephalin, b) Lecithin und
c) im Phosphatidylinosit verestert?

? 19.8
Was sind Lipoproteine und wie teilt man sie ein?

? 19.9
Welche Vitamine gehören zu den Lipovitaminen?

? 19.10
An welcher Stelle des Moleküls erfolgt bei der Autoxidation ungesättigter Triglyceride der
Angriff des Sauerstoffmoleküls und warum?
Lösungen 759

Lösungen

! 19.1
Glyceride sind Ester des dreiwertigen Alkohols Glycerin mit Carbonsäuren. Fette und Öle
bestehen Hauptsächlich aus Triglyceriden. In diesen ist Glycerin mit drei Fettsäuren
verestert. In Diglyceriden ist Glycerin mit zwei Fettsäuren und in Monoglyceriden nur mit
einer Fettsäure verestert.

! 19.2
Fette und Öle unterscheiden sich in der Konsistenz. Fette sind bei Zimmertempertur fest oder
Halbfest und Öle flüssig. Der Unterschied liegt auch in der Zusammensetzung. Die Triglyce-
ride fetter Öle haben im Vergleich zu den Fetten einen höheren Anteil an ungesättigten Fett-
säuren. Der Begriff fette Öle wird häufig für Pflanzenöle gebraucht, weil es auch andere Öle
gibt, nämlich Mineralöle, die hauptsächlich aus Alkanen bestehen und ätherische Öle, die
aus niedrig siedenden und geruchsintensiven Inhaltsstoffen (Terpene) bestehen.

! 19.3
Die Triglyceride in Fetten und pflanzlichen Ölen enthalten als Säurekomponente gesättigte
Fettsäuren mit überwiegenden Anteil der Fettsäuren mit 14 bis 18 Kohlenstoffatomen, Ko-
kosfett enthält auch Carbonsäuren mit 6 bis 12 Atomen und Butter auch noch die Buttersäu-
re. Auch ungesättigte Fettsäuren sind, verestert mit Glycerin, Bestandteil der Triglyceride
von Fetten und Pflanzenölen: die Ölsäure und die Linolsäure, in manchen Pflanzenölen auch
die Linolensäure. Alle Säurekomponenten der Triglyceride haben eine gerade Anzahl von
Kohlenstoffatomen in der Kette und sind unverzweigt.

! 19.4
Als essentielle Fettsäuren werden die Linol- Linolen- und Arachidonsäure bezeichnet:
CH3 (CH2)4 12 CH2 9 (CH2)7 COOH
C C C C
H H H H
Linolsäure
(Z,Z)-9,12-Octadecadiensäure

CH3CH2 15 CH 12 CH2 9 (CH ) COOH


2 2 7
C C C C C C
H H H H H H
Linolensäure
(Z,Z,Z)-9,12,15-Octadecatriensäure

CH3(CH2)4 14 CH 11 CH 8 CH 5 (CH2 )3 COOH


2 2 2 C C
C C C C C C
H H H H H H H H
Arachidonsäure
(Z,Z,Z,Z)-5,8,11,14-Eicosatetraensäure

Es sind solche Säuren, die der menschliche Organismus nicht in der Lage ist zu synthetisie-
ren und die mit der Nahrung aufgenommen werden.
760 19 Lipide

! 19.5
ω-3-Fettsäuren sind mehrfach ungesättigte Fettsäuren mit 20 bzw. 22 Kohlenstoffatomen,
deren erste Doppelbindung sich, vom CH3-Ende der Kohlenstoffkette her gezählt, zwischen
dem 3. und 4. Kohlenstoffatom befindet. Sie kommen im Öl von Kaltwasserfischen vor und
verringern das Arteriosklerose- und Herzinfarktrisiko.

! 19.6
Glycerinphosphatide setzen sich zusammen aus der Phosphatidylsäure und einer Hydro-
xyverbindung. Die Hydroxyverbindung liegt im Glycerinphosphatid als Ester der Phos-
phatidylsäure vor. Phosphatidylsäuren sind Verbindungen, in denen Glycerin in Stellung 1
und 2 mit Fettsäuren und in Stellung 3 mit Phosphorsäure verestert ist. Ein Glycerinphos-
phatid ist z.B. das Kefalin, dessen Phosphatidylsäure mit Ethanolamin verestert ist:
O

R1 C O CH2

R2 C O CH O

O CH2 O P O

O CH2CH2NH2
Kefalin

! 19.7
Die Phosphatidylsäure ist a) im Kephalin mit Ethanolamin, b) im Lecithin mit Cholin und
c) im Phosphatidylinosit mit myo-Inosit verestert (siehe Kapitel 19.5.1.1).

! 19.8
Lipoproteine sind aus Proteinen und Lipiden zusammengesetzt. Sie besorgen den Transport
der wasserunlöslichen Lipide im Blut. Nach steigender Dichte teilt man sie ein in:
a) Chylomikronen, die Lipide vom Darm zum Fettgewebe transportieren,
b) Very low density proteins (VLDL), die endogen gebildete Lipide zum Fettgewebe trans-
portieren
c) Die Low density lipoproteins (LDL) transportieren Cholesterol zu den peripheren Gewe-
ben und
d) High density lipoproteins (HDL) transportieren Cholesterol zur Leber, wo es abgebaut
wird.

! 19.9
Lipovitamine sind fettlösliche Vitamine, die als Begleitstoffe von Fetten und Ölen auftreten.
Zu ihnen zählen: das VitaminA, die Vitamine D2 und D3, Tocopherole und der Vitamin-K-
Komplex (siehe Kapitel 19.5.5).
Lösungen 761

! 19.10
Bei der Autoxidation ungesättigter Triglyceride erfolgt der Angriff des Sauerstoffmoleküls in
Allylstellung zur Doppelbindung. Die Kohlenstoff-Wasserstoffbindung wird in dieser Stel-
lung bevorzugt gespalten, weil das in diesem ersten Reaktionsschritt der Autoxidation gebil-
dete Radikal resonanzstabilisiert ist und der Energieaufwand für die homöopolare Spaltung
deshalb im Vergleich zu anderen C-H-Bindungen kleiner ist:

H H

R C CH CH C R'
H H
H
R C CH CH C R' + H O O
H
H
H H
O O C CH CH C R'
R
H
20 Alicyclische Verbindungen in der Natur
Naturprodukte mit einem Cyclopropan- und Cyclobutanring sind selten. Als Beispiel für
Verbindungen mit einem Cyclopropanring kann die aus dem Lactobacillus arabinosus iso-
lierte Lactobacillsäure dienen.

CH2

CH3(CH2)5 CH CH (CH2)9COOH Lactobacillsäure

Die aus Erythroxylon coca gewonnene Truxillsäure wäre ein Beispiel für eine in der Na-
tur vorkommende Verbindung mit Cyclobutanring.

HOOC
C C
H H

H H
C C
COOH

Truxillsäure

Auch vielgliedrige Ringverbindungen sind nicht allzu häufig. Als Beispiele können die
Riechstoffe Muscon und Zibeton dienen.

H3C
CH CH2 (CH2)7
HC
C O C O
HC
(CH2)11 CH2 (CH2)7
Muscon Zibeton

Muscon ist der wichtigste Riechstoff des tierischen Moschus, es findet in teuren Parfü-
men Verwendung. Zibeton wird aus dem Zibet, einem Drüsensekret der abessinischen Zibet-
katze, gewonnen. Es dient als Fixiermittel für Parfüme.
Verbindungen mit Fünf- und Sechsringen kommen in der Natur sehr häufig vor, beson-
ders in Form von polycyclischen Verbindungen. Steroide sind eine Naturstoffklasse zu der
ausschließlich polycyclische Verbindungen zählen. Auch die in der Natur aus Isopreneinhei-
ten synthetisierten Terpene bilden eine Naturstoffklasse, in der viele polycyclische Verbin-
dungen vorkommen.

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 762


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_20, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
20.1 Terpene 763

20.1 Terpene
Terpene sind in der Natur weit verbreitet, zu ihnen gehören sowohl cyclische als auch acycli-
sche Verbindungen. In vielen Pflanzen sind sie als Riechstoffe enthalten, z.B. in der Rose,
Pfefferminze, Citronenmelisse, Thymian, Kümmel, Fenchel, in Orangenschalen, im Eucalyp-
tus usw. Aus diesen können sie durch Wasserdampfdestillation freigesetzt werden. Das Pro-
dukt wird als ätherisches Öl bezeichnet. Ätherische Öle werden in der Parfümerie und zur
Aromatisierung von Nahrungsmitteln und Getränken verwendet. Eingehende Untersuchun-
gen dieser Stoffe zeigten, daß ihre Kohlenstoffskelette Strukturen aufweisen, die einer An-
einanderreihung von verzweigten C5-Einheiten entsprechen (C5 = aliphatische Verbindung
mit 5 C-Atomen):
C
C C C C

Die Terpenverbindungen werden deshalb, je nachdem aus wieviel C5-Einheiten sie zu-
sammengesetzt sind, eingeteilt in Monoterpene (2 Einheiten), Sesquiterpene (3 Einheiten),
Diterpene (4 Einheiten), Triterpene (6 Einheiten) und Tetraterpene (8 Einheiten).
Man vermutete, die Pflanze würde Terpenverbindungen aus Isopreneinheiten aufbauen.
CH3

H2C C CH CH2 Isopren (2-Methyl-1,3-butadien)

Spätere Forschungen erbrachten die Erkenntnis, daß die Biosynthese der Terpene tatsäch-
lich über eine verzweigte C5-Verbindung, dem Isopentenylpyrophosphat, erfolgt. Als Aus-
gangsstoff für die Biosynthese dient aktivierte Essigsäure, das Acetyl-Coenzym A.

H3C C OH H3C C ~S CoA CoA SH

O O
Essigsäure Acetyl-Coenzym A Coenzym A

Man benutzt die Abkürzung CoA–SH oder CoA für das Coenzym A. Die Strukturformel des
CoA wird in Abschnitt 19.7.2.1 angeführt. Das Acetyl-Coenzym A hat eine sehr energiereiche,
manchmal mit ~ symbolisierte Bindung, eine sog. makroergische Bindung, die leicht gespalten
werden kann, so daß der Acetylrest CH3CO in andere Verbindungen übertragen werden kann.

Die Biosynthese des Isopentenylpyrophosphats


Eine Vorstufe der Biosynthese des Isopentenylpyrophosphats ist das Mevalonat. Bei der Bio-
synthese des Mevalonats reagieren zunächst zwei Moleküle Acetyl-Coenzym A miteinander
zum Acetoacetyl-Coenzym A, das mit einem weiteren Acetyl-Coenzym-A-Molekül in einer
aldolartigen Reaktion zum 3-Hydroxy-3-methylglutaryl-CoA umgesetzt wird. Durch re-
duktive Abspaltung des Coenzyms A entsteht das Mevalonat, ein Zwischenprodukt zur Syn-
these des Isopentenylpyrophosphats, aus welchem wiederum die Biosynthese von Terpen-
verbindungen erfolgt.
764 20 Alicyclische Verbindungen in der Natur

HO CH3
O H O C
CoA S ~C C H + CoA S ~ C CH3 OOC CH2 CH2 CH2OH

H
Acetyl-CoA Acetyl-CoA Mevalonat

CoA SH
4 H / Reduktase
CoA SH

H
O
O H O CH3
CH3
CoA S~ C CH2 C O C CH2 C CH2 C S ~ CoA
CH2 C~S CoA
O
H
O CoA SH + H OH O
Acetoacetyl-CoA
3-Hydroxy-3-methylglutaryl-CoA
Das Mevalonat wird durch dreimalige Phosphorylierung mit ATP in das 3-Phospho-5-
pyrophosphomevalonat umgesetzt und geht, nach Abspaltung von CO2 und Phosphat, in das
Isopentenylpyrophosphat über, aus dem die Terpenverbindungen in der Pflanze aufgebaut
werden können.
3-Phospho-
5-pyrophosphomevalonat

O O
2 2 2
OPO3 O POPO3 O POPO3

H3C CH2 H3C H2C O H3C CH2 O

H2C C CH2 H2C C CH2 H2C C CH2


ATP ADP
OOC HO 2
OOC HO C OPO3
ATP ADP O O

ADP - CO2
- PO4 3
ATP

OH

H3C CH2 O
2
H2C C CH2 O POPO3

OOC HO H3C CH2 O

Mevalonat H2C C CH2

Isopentenylpyrophosphat
Anmerkung: Adenosintriphosphat ATP ist ein Phosphorylierungsagens, das einen Phosphatrest auf ein
Substrat übertragen kann und dabei zum Adenosindiphosphat ADP umgesetzt wird (siehe auch Ab-
schnitt 14.3.2).
20.1 Terpene 765

20.1.1 Monoterpene

Die acyclischen Terpenkohlenwasserstoffe Ocimen und Myrcen sind im Basilikum- bzw.


Lorbeer enthalten.

C5-Einheit C5-Einheit C5-Einheit C5-Einheit

CH3 CH3 CH3 CH2

H3C C CH CH2 CH C CH CH2 H3C C CH CH2 CH2 C CH CH2

Ocimen Myrcen
Im Rosenöl, einem aus der Rosa damascena gewonnenen ätherischen Öl, ist bis zu 60 %
Geraniol und ein hoher Prozentsatz von Citronellol enthalten.

CH3 CH3 CH3 CH3

H3 C C CH CH2 CH2 C CH CH2OH H3C C CH CH2 CH2 CH CH2 CH2OH

Geraniol Citronellol
Zu den monocyclischen Monoterpenen zählen die Terpenkohlenwasserstoffe α-Terpinen,
γ-Terpinen und das in der Orangenschale vorkommende Limonen.

C5-Einheit

C5-Einheit

α-Terpinen γ -Terpinen (+)-Limonen

Menthol und Menthon kommen im Pfefferminzöl vor.

OH O

(–)-Menthol (–)-Menthon
Zu den bicyclischen Terpenen gehören das Sabinen, das Δ3-Caren und die im Terpentinöl
enthaltenen α-Pinen und β-Pinen sowie der Campher. Das Symbol Δ3 bedeutet, daß sich die
Doppelbindung zwischen dem 3. und 4. C-Atom befindet.
766 20 Alicyclische Verbindungen in der Natur

3 O
O
2
1

Sabinen Δ3-Caren α-Pinen β-Pinen L-(–)-Campher D-(+)-Campher

Der Campher kommt in Form zweier Isomere vor, als L-Campher und D-Campher. Die
beiden Isomere stehen in der räumlichen Anordnung der Atome im Molekül im spiegelbildli-
chem Verhältnis zueinander (ein Molekül ist das Spiegelbild des anderen). Das Vorzeichen in
der Klammer zeigt an, ob beim Durchgang des polarisierten Lichtes durch diese Substanz die
Ebene des polarisierten Lichtes im Uhrzeigersinn (+) oder entgegen dem Uhrzeigersinn (–)
gedreht wird (siehe Abschnitt 8.2). Der D-(+)-Campher, auch Japancampher genannt, wird aus
zerkleinertem Holz des Japanbaumes gewonnen. Der L-(–)-Campher ist im Mutterkrautöl zu
finden und wird als Matricariacampher bezeichnet. Campher wird in der Medizin zum Einrei-
ben bei Neuralgien und rheumatischen Schmerzen verwendet. Er kann mit niedrig nitrierten
Nitrocellulosen zu Celluloid, das früher als Filmmaterial benutzt wurde, verarbeitet werden.

20.1.2 Sesquiterpene

Zu den acyclischen Sesquiterpenen zählt das nach Maiglöckchen duftende Farnesol. Dieses
wird aus Nerolidol, dem Hauptbestandteil des Capreuvaöls, hergestellt.

OH
CH2OH

Farnesol Nerolidol
Zu den monocyclischen Sesquiterpenen gehört das in Fichtennadel- und Zitronenöl be-
findliche γ-Bisabolen. Das in Cadeöl anzutreffende Cadinen und das im Sellerieöl vorkom-
mende β-Selinen gehören zu den bicyclischen Sesquiterpenen.

γ-Bisabolen Cadinen β-Selinen


Interessante bicyclische Verbindungen sind das im Vetiveröl vorkommende violette Ve-
tivazulen und das blaue im Geraniumöl befindliche Guajazulen. Beide sind bicyclische Ses-
quiterpene mit einem Fünf- und Siebenring.
20.1 Terpene 767

Vetivazulen Guajazulen

20.1.3 Diterpene

Das bei der Hydrolyse des Chlorophylls erhaltene Phytol ist ein acyclisches Diterpen.

CH3 H3C H H3C H CH3


15 3 1 Phytol
H3C 11 7 OH
2

Zu den monocyclischen Diterpenen gehört das im Lebertran, Eigelb und in der Milch
vorkommende fettlösliche Vitamin A1. Dieses spielt bei der Biosynthese des Sehpurpurs
(Rhodopsin) in der Netzhaut eine Rolle (siehe auch Abschnitt 3.5.2). Bei Vitamin-A-Mangel
tritt Nachtblindheit auf. Vitamin A2 kommt in Süßwasserfischen vor und besitzt eine geringe-
re biologische Aktivität.

CH2OH 7 9 13 15 CH OH
2 1 6 2

3 5
4
Vitamin A1 (Retinol) Vitamin A2 (3,4-Dehydroretinol)

Ein tricyclisches Diterpen ist die im Kolophonium enthaltene Abietinsäure. Das z.B. als
Geigenharz verwendete Kolophonium wird aus dem Harz verschiedener Kiefernarten ge-
wonnen. Nach Abdestillieren des Terpentinöls aus dem Harz ist es im Rückstand enthalten.

CH3

H
HOOC CH3 Abietinsäure
768 20 Alicyclische Verbindungen in der Natur

20.1.4 Triterpene

Zu den acyclischen Triterpenen gehört das aus Fischleberölen gewonnene Squalen.

Squalen
Das im Bärlappgewächs Lycopodium clavatum enthaltene α-Onocerin und das im Woll-
fett enthaltene Lanosterol sind tetracyclische Triterpene. Die Struktur des Lanosterols gibt
einen deutlichen Hinweis auf die Verwandschaft mit den Steroiden.
OH
CH3 CH3
H H CH3 H
CH3
CH3 CH3
CH3 H2C CH3 CH3

CH2
H CH3

HO HO
H H
H3C CH3 H3C CH3
α-Onocerin Lanosterol
Stellvertretend für die vielen in der Natur vorkommenden pentacyclischen Triterpene sei
hier nur das aus der Birkenrinde und dem Montanwachs isolierte Betulin erwähnt.
CH3

H3C
H

CH3 CH3 H CH2OH

H CH3

HO
H
H 3C CH3 Betulin

20.1.5 Tetraterpene

Ein acyclisches (nichtcyclisches) Tetraterpen ist das in Tomaten, Hagebutten und anderen
Früchten anzutreffende Lycopin. Es ist ein mit Carotin isomerer Kohlenwasserstoff.

Lycopin
20.2 Steroide 769

Das aus Mohrrüben isolierte Carotin besteht aus 3 isomeren Tetraterpenen, dem α-, β-
und γ-Carotin.
4'
3'
5'
7 9 11 13 15 12' 10' 6'
1' 2'
2 1
6 15' 13' 9' 7' H
3 5
4 α-Carotin

β-Carotin

γ-Carotin

Das Zeaxanthin ist das im gelben Maiskorn enthaltene 3,3'-Dihydroxy- β-carotin.


OH
3'

1 1'

3
HO Ze-
axanthin

20.2 Steroide
Steroide sind tetracyclische Naturstoffe. Zu ihnen gehören die Sterole (auch Sterine ge-
nannt), die Gallensäuren, die Steroid-Hormone (Sexual- und Nebennierenrindenhormone)
und Steroid-Glycoside. Sie haben alle ein Grundgerüst bestehend aus drei miteinander angu-
lar (im Winkel) verbundenen Sechsringen und einem Fünfring. Die Durchnumerierung der
Kohlenstoffatome in diesem tetracyclischen Grundskelett geschieht auf folgende Weise:

12 17
11 13

1 C D 16
10 9
2 14
8 15
A B
3 7
5
4 6
770 20 Alicyclische Verbindungen in der Natur

Die Ringe B/C sind immer trans-verknüpft. Die Ringe C/D sind, mit Ausnahme der Herz-
glycoside, ebenfalls trans-verknüpft. Die Ringe A/B sind entweder trans- oder cis-verknüpft.
Die Substituenten sind in den Steroiden in der Regel nur an bestimmte C-Atome des Ringes
gebunden. In Stellung 3 befindet sich gewöhnlich eine Hydroxy- oder Ketogruppe, in den
Stellungen 10 und 13 jeweils eine Methylgruppe, und an das Kohlenstoffatom in Stellung 17
kann eine Seitenkette gebunden sein. Die Substituenten, die sich über der Ringebene be-
finden, werden als β-ständig, die unter der Ringebene als α-ständig bezeichnet. Die an die
Kohlenstoffatome C10, C13 und C17 gebundenen Substituenten sind immer β-ständig, die
Hydroxygruppe am C3 kann α- oder β-ständig sein. Die cis-Verknüpfung der A/B-Ringe
kann mit 5 β- angegeben werden, womit gemeint ist, daß bei der cis-Verknüpfung das H-
Atom am C5 β-ständig ist. Bei der A/B- trans-Verknüpfung kann man die Bezeichnung 5 α-
vor den Namen des Steroids setzen. Hat das A/B-trans-verknüpfte Steroid keinen eigenen
Namen, kann man nach einer älteren Nomenklatur auch den Namen des A/B-cis-verknüpften
isomeren Steroids verwenden und das Präfix allo- voranstellen.

R3 R2
R2 11 13 R3
R1 12
17
H
2 10 C D
1 9
R1 H B
8 14 15
A H
16
β 3 4 6
H
5 7
β H H
α
H

α H
Konfigurationsformel eines 5α-Steroids Konformationsformel eines 5α-Steroids
(Ringe A/B trans)

R2
11 13 R3
2 R3 R1 12
R C 17
10 D
9 8
B H 14 15
1
R1 16
H
H 6 H
5 7
A
2
H H 4
β β
3

α H α
Konfigurationsformel eines 5β-Steroids Konformationsformel eines 5β-Steroids
(Ringe A/B cis)

Die Sechsringe liegen in den Steroiden durchweg in der Sesselform vor. Für das Ver-
ständnis der Steroidnomenklatur werden zunächst einmal die Grundstrukturen der gesättigten
Steroidkohlenwasserstoffe vorgestellt. Das nichtsubstituierte 5β-Steroid (A/B cis) heißt Ste-
ran. Es ist ein Kohlenwasserstoff, dessen Kohlenstoffskelett aus drei angular miteinander
verbundenen Sechs- und einem Fünfring aufgebaut ist. Die Ringe A/B sind cis- und B/C und
C/D sind trans-verknüpft.
20.2 Steroide 771

Stellung 13 Stellung 17
H
CH2 CH2
Stellung 10 H2C C
H H CH2
CH2 C C
H2C C C CH2 Steran
H H
H2C C CH2
CH2 CH2
Stellung 3 H Stellung 5

Denkt man sich im Steran den am Kohlenstoffatom in Stellung 13 gebundenen Wasser-


stoff durch eine Methylgruppe ersetzt, gelangt man zum Östran. Ersetzt man in diesem den
am Kohlenstoff in Stellung 10 gebundenen Wasserstoff formal durch eine Methylgruppe
gelangt man zum Testan. Das 5α-Isomer (A/B trans) des Testans ist das Androstan. Wird der
im Testan am Kohlenstoffatom in der Stellung 17 gebundene Wasserstoff durch eine Ethyl-
gruppe ersetzt, liegt das Pregnan vor, dessen 5α-Isomer das allo-Pregnan ist. Denkt man sich
im Testan den Wasserstoff am C17 durch einen 1-Methylbutylrest ersetzt, so liegt das Cholan
vor. Wird er durch einen 1,5-Dimethylhexylrest ersetzt, so erhält man das Koprostan. Dessen
5α-Isomer ist das Cholestan.
H
CH3 CH3 CH3
CH3
H H CH3 H CH3 H

H H H H H H

H H H

Östran Testan, 5β-Androstan Pregnan

H CH3 H CH3 CH3


H H
CH3 CH3
CH3 CH3
CH3 H CH3 H

H H H H

H H

Cholan Koprostan

Von den aufgezählten Grundtypen gesättigter Steroid-Kohlenwasserstoffe lassen sich die


Namen der in der Natur vorkommenden Steroide ableiten. Die Tabelle 20.1 bringt eine
Übersicht dieser Grundstrukturen.
772 20 Alicyclische Verbindungen in der Natur

Tabelle 20.1 Grundstrukturen der Steroide

R3 R3
R2 R2
H H
1 1
R H R H

H H H H

H H
A/B cis A/B trans
R1 R2 R3 (5β-Isomer) (5α-Isomer)
–H –H –H Steran –
–H –CH3 –H Östran –
–CH3 –CH3 –H 5β-Androstan (Testan) 5α-Androstan
–CH3 –CH3 –CH2CH3 Pregnan 5α-Pregnan (allo-Pregnan)
–CH3 –CH3 CH(CH2)2CH3
Cholan 5α-Cholan (allo-Cholan)
CH3
–CH3 –CH3 CH(CH2)3CH CH3 Koprostan Cholestan
(5β-Cholestan) (5α-Cholestan)
CH3 CH3

20.2.1 Biosynthese des Cholesterols

Terpenverbindungen und Steroide stehen bezüglich der Biosynthese in einem engen Verhält-
nis zueinander. Die Biosynthese der Steroide geht, ebenso wie die der Terpene, vom Acetyl-
Coenzym A aus. Wie bei den Terpenen sind die Mevalonsäure und das Isopentenyl-
pyrophosphat die Zwischenprodukte der Steroidsynthese (siehe Abschnitt 20.1). Für die
Biosynthese des Cholesterols liegen Forschungsergebnisse vor, die erhärten, daß sie über die
Triterpene Squalen und Lanosterol erfolgt.
Der Ringschluß des offenkettigen Squalens zum Lanosterol wird durch eine Epoxidbil-
dung an der ersten Doppelbindung des Squalens vorbereitet. Der Sauerstoff des Epoxids
wird protoniert, was zu einer Spaltung des Epoxidringes führt, worauf das zweite C-Atom
des Squalens eine positive Ladung trägt, welche Cyclisierungen (Ringbildungen) auslöst. Sie
vollzieht sich durch Verschieben der π-Elektronen, wobei Doppelbindungen gelöst und
gleichzeitig σ-Bindungen gebildet werden. Nach der Cyclisierung erfolgen, ausgelöst durch
die positive Ladung im entstandenen Carbeniumion, mehrere Wagner-Meerwein-Umlage-
rungen (siehe Abschnitt 3.7.3) unter Hydridverschiebung der Wasserstoffe von der β17- in
die β20-Stellung und von der α13- in die α17-Stellung, und zweier Methylgruppen von der
β14- in die β13-Stellung und von der α8- in die α14-Stellung. Unter Abspaltung eines Pro-
tons in Stellung 9 wird eine Doppelbindung in Stellung 8,9 gebildet. Bei der Umlagerung
lösen sich die Hydrid- bzw. Methylgruppen von einem Kohlenstoffatom unter Mitnahme des
20.2 Steroide 773

Bindungselektronenpaars, mit dem sie sich an ein benachbartes positiv geladenes Kohlen-
stoffatom binden. Als Reaktionsprodukt entsteht das Lanosterol. Vom Lanosterol führt der
Weg über mehrere durch Enzyme katalysierte Reaktionen zum Cholesterol. Hierbei erfolgen:
eine oxidative Abspaltung dreier Methylgruppen, eine Verschiebung der Doppelbindung und
die Anlagerung von Wasserstoff an die Doppelbindung der Seitenkette.

H3C CH3 H3C CH3

CH3 CH3
CH3 CH3

CH3 CH3
CH3 CH3
Protonierung
O O
CH3 CH3
CH3 CH3
H
H
2,3-Epoxysqualen

Aufspaltung des Epoxidrings

H3C CH3
H3 C CH3
H
H CH3
CH3 H
CH3 H3C CH3

CH3 CH3
Cyclisierung
CH3
HO HO
H
H3 C CH3 H3C CH3

Umlagerung
-H

21 26 21 H 22 26
H 22 24 24
H3C 25 CH3 H3 C 25 CH3
19 CH 20 23 19 CH 20
3 3 23
13 17 CH3 17
11 12 11 12 CH3
18 27 18 13 27
H3C 16 H3C
9 14 H 9
H
14
16
1 8
2 10 15 2 1
10 8 15
5 CH3 H H
4 7 7
3 5
HO
H 6 HO 3 4 6
H3 C CH3

Lanosterol Cholesterol
774 20 Alicyclische Verbindungen in der Natur

20.2.2 Sterole (Sterine)


Sterole, auch Sterine genannt, sind Koprostan- oder Cholestanderivate mit einer Hydroxy-
gruppe und einer oder mehreren Doppelbindungen. Die Hydroxygruppe in Stellung 3 hat β-
Konfiguration, die Doppelbindung befindet sich zwischen den Kohlenstoffatomen C5 und C6.
Weitere Doppelbindungen können sowohl im Ring als auch in der Seitenkette vorkommen.
Die Sterole sind im tierischen Fett oder in Pflanzenölen enthalten. Nach ihrem Ursprung
teilen wir sie ein in Zoosterole (aus dem Tierreich), Phytosterole (aus dem Pflanzenreich)
und Mycosterole (aus Pilzen).
Cholesterol (Cholesterin) ist das Cholest-5-en-3β-ol. Auch die Bezeichnung Δ5-Cho-
lesten-3β-ol kann man verwenden, da in der Steroidnomenklatur die Stellung der Doppelbin-
dung oft mit Δ und einer hochgestellten Zahl angegeben wird.
26
21 CH3
H3C 20 H
23 25
18 H C
3
CH3
22 24
27
19 H
H3C H

H H

HO 3 5 Cholesterol (Cholesterin)
6
Das Cholesterol ist das wichtigste Zoosterol. Es ist in allen tierischen Geweben enthalten,
besonders reichlich im Hirn und der Nebennierenrinde. In letzterer wird es zu Progesteron
(Δ4-Pregnen-3,20-dion) umgesetzt, aus dem sich biogenetisch alle Steroidhormone ableiten
lassen. Von Cholesterol geht die Biosynthese der Gallensäuren, des Vitamins D und einer
Reihe von Hormonen der Keimdrüsen und der Nebennierenrinde aus. Cholesterol setzt die
Oberflächenspannung von Flüssigkeiten herab, beeinflußt die Permeabilität (Durchdringbar-
keit) der Zellmembranen und schützt die roten Blutkörperchen vor Hämolyse (Zerfall roter
Blutkörperchen).
Im menschlichen Blutserum ist Cholesterol gewöhnlich in einer Konzentration von 150–
200 mg/100 mL Serum (150–200 mg %) vorhanden. Es kommt im Organismus sowohl frei
als auch mit Fettsäuren verestert vor. Im Blutserum liegt es mit 50–60% als Fettsäureester
vor. Der menschliche Organismus kann Cholesterol selbst synthetisieren (1–2 g täglich), der
Mensch nimmt aber auch Cholesterol mit der Nahrung auf (bei fettarmer Kost 0,04–0,1 g,
bei fettreicher Kost bis 1,4 g täglich). Zur Biosynthese sind praktisch alle Körperzellen befä-
higt. Die Cholesterolsynthese findet hauptsächlich in den Zellen der Leber statt. Kohlenhy-
drat- und fettreiche Nahrung stimuliert die Cholesterolsynthese in der Leber.
Eine unerwünschte Rolle spielt Cholesterol nur dann, wenn es im Blut in zu hoher Kon-
zentration vorkommt. In diesem Falle kann eine Ablagerung von Cholesterol an den Arte-
rienwänden erfolgen, und diese führt durch später noch hinzukommende Kalkeinlagerungen
zu einer Verengung der Blutgefäße und einer Verhärtung und Verdickung der Gefäßwand,
wodurch diese ihre Elastizität verliert, es kommt zur Arterienverkalkung (Arteriosklerose).
Als deren Folge können auftreten: eine Herzmuskel-Minderdurchblutung, Hirndurch-
blutungsstörungen bis hin zum Schlaganfall, Nierenversagen oder Durchblutungsstörungen
20.2 Steroide 775

der Beinarterien mit Schmerzen beim Gehen. Cholesterol ist auch Bestandteil mancher Gal-
lensteine. Ältere Menschen, besonders solche mit Neigung zu Herz- und Gefäßerkrankun-
gen, sollten daher die Aufnahme von Nahrungsmitteln, die viel Cholesterol enthalten (z. B.
Eier und Innereien), und auch den Konsum von tierischen Fetten einschränken, die die Cho-
lesterolsynthese stimulieren. Die noch tolerierbare obere Grenze für Cholesterin im Blutse-
rum liegt bei 200 mg %.
Koprostanol ist das Koprostan-3β-ol. Es entsteht unter dem Einfluß von Bakterien im
Darm und ist deshalb im Kot enthalten.
Stigmasterol ist das 24-Ethylcholesta-5,22-dien-3β-ol. Es ist in Sojabohnen enthalten.
Ergosterol kann als 24-Methyl-cholesta-5,7,22-trien-3β-ol bezeichnet werden. Es wurde
zuerst im Mutterkorn gefunden, später auch in größeren Mengen aus Hefe isoliert. Ergosterol
geht beim Bestrahlen in Vitamin D über.

21 26 21 26
H3C CH 3 H 3C CH3
18 H 18 H
CH3 23 CH3 23
17 24 17 24
20 25 CH3 20 25 CH 3
19CH 22 27 19CH 22 27
3 H H 28 3 H H
H H3C
CH 28
29 3
H H H H

HO 3 5 HO 3 5
6 6

Stigmasterol Ergosterol

20.2.3 Steroid-Vitamine

Das Vitamin D2 (Calciferol): Beim Bestrahlen erfolgt durch gleichzeitige Verschiebung von
Bindungselektronenpaaren eine Isomerisierung des Ergosterols zum Praecalciferol, das
dann weiter in Calciferol umgewandelt wird. Ergosterol (siehe auch Abschnitt 19.5.5.2) ist
das Provitamin des Vitamins D2 (Substanz, aus der das Vitamin D2 im Organismus synthe-
tisiert wird).

H H CH3 H H
CH3
H CH3
H3C H3C H
CH3 CH3 H3C
CH3
H3C H3C H3C
H CH3 H CH3 H CH3
H3C H2C H H2C


H H H
HO HO HO
Ergosterol Praecalciferol Calciferol

Das als Vitamin D1 bezeichnete Vitamin ist eine Molekülverbindung des Vitamins D2 mit
Lumisterol, einem bei der Bestrahlung von Ergosterol anfallenden Nebenprodukt.
Das Vitamin D3 (Cholecalciferol, Calciol) gehört zu dem Vitamin-D-Komplex und ent-
steht durch Bestrahlung von 7-Dehydrocholesterol. Es kommt im Lebertran vor und entsteht
im menschlichen Organismus in der Haut bei Sonnenbestrahlung.
776 20 Alicyclische Verbindungen in der Natur

H H
H3C CH3 H3C CH3
H3C H3C
H CH3 H CH3
H2C
H3C

H H hν H

HO HO
7-Dehydrocholesterol Cholecalciferol
Ein Vitamin-D-Mangel führt zu Störungen des Mineralstoffwechsels, so daß es zu einer
unzureichenden Kalkablagerung in den Knochen kommt, wodurch Deformitäten (Verfor-
mungen) der Knochen auftreten (Rachitis).

20.2.4 Gallensäuren
Gallensäuren sind vom Cholan abgeleitete Hydroxysäuren. Die Gallensäuren unterscheiden
sich in der Anzahl und Stellung der Hydroxygruppen. Die Biosynthese geht vom Cholesterol
aus und schließt Hydroxylierungsreaktionen (Einführung von OH-Gruppen in das Molekül in
den Stellungen 7α und 12α), eine Isomerisierung der 3β- in eine 3α-Hydroxygruppe und die
Aufhebung der Δ5-Doppelbindung ein. Außerdem erfolgt eine oxidative Verkürzung der
Seitenkette. Die Gallensäuren werden amidisch an Glycin (H2NCH2COOH) oder Taurin
(H2NCH2CH2SO3H) gebunden.
Die Lithocholsäure ist die 3α-Hydroxycholansäure. Zu den Gallensäuren zählen weiter-
hin die Chenodesoxycholsäure (3α,7α-Dihydroxycholansäure), die Desoxycholsäure (3α,
12α-Dihydroxycholansäure) und die Cholsäure (3α,7α,12α-Trihydroxycholansäure).
H H H
H3C
H 3C COOH H3C COOH COOH
OH
H 3C H 3C CH3
H H H
H3C H H3C H CH3 H

H H H H H H
HO HO OH HO
H H H
Lithocholsäure Chenodesoxycholsäure Desoxycholsäure
Die Cholsäure bildet die Hauptkomponente der Gallensäuren in der Galle. Die amidisch
(Amidgruppe = –CONH–) an Glycin gebundene Cholsäure heißt Glycocholsäure und die an
Taurin gebundene heißt Taurocholsäure.
O O O
H H H
H3C H3C H3C
C OH C NHCH2COOH C NH(CH2)2SO3H
HO HO HO
CH3 CH3 CH3
H H H
H3C H CH3 H CH3 H

H H H H H H
HO OH HO OH HO OH
H H H
Cholsäure Glycocholsäure Taurocholsäure
20.2 Steroide 777

Die Gallensäuren werden in der Leber synthetisiert. Die menschliche Leber produziert
0,5–1 L Gallenflüssigkeit pro Tag, diese sammelt sich in der Gallenblase. Die Gallensäuren
sind wirksame Emulgatoren, sie bewirken, daß wasserunlösliche Nahrungsbestandteile, z.B
Fette, in Form kleiner Kügelchen in Wasser schweben. Durch die kleine Tröpfchenform wird
die Oberfläche der in wäßrigem Medium befindlichen Nahrung vergrößert und dadurch eine
bessere Angreifbarkeit für Verdauungsenzyme gewährleistet. Mit freien Fettsäuren, Mono-
glyceriden, Steroiden, Carotinoiden und fettlöslichen Vitaminen können Gallensäuren was-
serlösliche Einschlußverbindungen bilden, die Choleinsäuren. Die Überführung wasser-
unlöslicher Verbindungen in wasserlösliche Choleinsäuren ist eine wichtige Voraussetzung
für deren Resorption. Unter Resorption ist die Überführung der einfachen Bestandteile der
Nahrung nach deren Enzymspaltung aus dem Darmkanal über die Darmwand in die Lymph-
bzw. Blutbahn zu verstehen.

20.2.5 Steroidhormone

Hormone sind körpereigene Wirkstoffe, die von Drüsen oder Gewebsteilen mit innerer Sek-
retion (direkte Abgabe der Stoffe in die Blutbahn) produziert werden und Vorgänge des
Stoffwechsels, Wachstums und der Fortpflanzung steuern. Zu den Steroidhormonen gehören
die Nebennierenrinden- und die Sexualhormone. Ihre Biosynthese geht vom Cholesterol aus.
Aus diesem wird das Progesteron, das Hormon des Corpus luteum (Gelbkörper), syntheti-
siert, das gleichzeitig die Schlüsselsubstanz für die Biosynthese weiterer Steroidhormone ist.
Für die Steroidhormone gibt es aber auch Synthesewege, die nicht vom Cholesterin ausge-
hen. Zu den Hormonen mit 21 Kohlenstoffatomen gehören die Hormone der Nebennieren-
rinde (Corticoide) und Gelbkörperhormone (Gestagene), 19 Kohlenstoffatome besitzen die
männlichen Geschlechtshormone (Androgene) und 18 Kohlenstoffatome haben die Follikel-
hormone (Östrogene).

20.2.5.1 Nebennierenrindenhormone (Corticoide)


Die Nebennierenrindenhormone haben das Grundgerüst des Pregnans (21 C-Atome).
Charakteristisch für sie sind: die Doppelbindung zwischen dem 4. und 5. C-Atom, die Keto-
gruppe in 3-Stellung, die Keto- und Hydroxygruppe in der Seitenkette und die Keto- oder β-
ständige Hydroxygruppe in 11-Stellung. Cortisol und Corticosteron haben eine 11β-Hy-
droxygruppe, Dehydrocorticosteron und Cortison eine 11-Ketogruppe. Cortisol und Cortison
haben außerdem eine 17α-Hydroxygruppe.

O O O
20 21
H3C CH2OH H3C CH2OH H3C CH2OH
HO 11 17 HO H O
OH H
H3C H H3C H H3C H

3 H H H H H H

O 5 O O
4
Cortisol Corticosteron Dehydrocorticosteron
778 20 Alicyclische Verbindungen in der Natur

O HO O
20 21
H3C CH2OH O CH CH2OH
O 11 17 H
OH
H3C H H3C H

3 H H H H

O 5 O
4
Cortison Aldosteron
Das Aldosteron hat eine Halbacetalgruppierung. Ihr Zustandekommen kann man sich so
vorstellen, daß die 11-β-OH-Gruppe an eine in Stellung 13 gebundene Formylgruppe unter
Auflösung der C=O-Doppelbindung addiert wurde.
H O O HO O

O CH CH2OH O CH CH2OH
H H
H 3C H H 3C H

H H H H

O O
Aldosteron
Die eigentlichen Nebennierenhormone sind Cortisol, Corticosteron und Aldosteron. Die-
se haben regulierende Funktionen im Salzhaushalt des Körpers (mineralocorticoide Wir-
kung) und sie beeinflussen den Glucosehaushalt (katabole Wirkung). Für den Mineralhaus-
halt (Na+-Retention und K+-Ausscheidung) sind das Aldosteron, für den Glucosehaushalt das
Cortisol besonders wichtig. Cortison lindert die Symptome des Gelenkrheumatismus und ist
ein Antiallergicum.

20.2.5.2 Sexualhormone
Nach ihrer Wirkung unterscheidet man männliche und weibliche Geschlechtshormone. Die
männlichen Keimdrüsenhormone sind die Androgene und zu den weiblichen Keimdrüsen-
hormonen gehören die Gestagene (Schwangerschaftshormone, auch Corpus-luteum-Hormo-
ne genannt) und die Östrogene (Follikelhormone). Männliche und weibliche Geschlechts-
hormone sind durch gemeinsame Stoffwechselwege miteinander verknüpft und kommen,
allerdings in unterschiedlichen Konzentrationen, im Organismus beider Geschlechter vor.
Trotzdem besteht eine ausgeprägte sexuelle Polarisation und Spezialisierung.
Androgene sind männliche Keimdrüsenhormone. Sie werden vom Hoden und auch in der
Nebennierenrinde gebildet. Sie haben das Grundgerüst des Androstans, in Stellung 3 eine
Keto- bzw. eine α-ständige Hydroxygruppe und in Stellung 17 eine Keto- bzw. eine β-stän-
dige Hydroxygruppe. Außerdem kann zwischen dem 4. und 5. C-Atom eine Doppelbindung
vorliegen. Die beiden wichtigsten Androgene sind das Testosteron und das Androstendion
(Androst-4-en-3,17-dion). Androsteron besitzt zwar noch eine erhebliche androgene Wirk-
samkeit, ist aber ein Ausscheidungsprodukt des Testosterons im Harn.
20.2 Steroide 779

OH
H3C H3C O H3C O
H
H3C H H3C H H3C H

H H H H H H

O O HO
H
Testosteron Androstendion Androsteron
Unter dem Einfluß androgener Hormone entwickeln sich die sekundären Geschlechts-
merkmale (z.B. Bartwuchs), sie regen das Wachstum der Prostata und Samenblase an und
fördern die Reifung der Spermien (Spermatogenese).
Östrogene (Follikelhormone) werden im weiblichen Organismus vor allem in den Folli-
keln (Bläschen) der Ovarien (Eizelle) gebildet, können in geringen Mengen aber auch im
männlichen Organismus produziert werden. Die Östrogene haben das Grundgerüst des Öst-
rans. Ihr Hauptmerkmal ist der aromatische Ring A, eine Hydroxygruppe in Stellung 3 und
eine Keto- bzw. β-ständige Hydroxygruppe in Stellung 17. Östriol hat außerdem noch eine
16α-ständige Hydroxygruppe. Die wichtigsten Östrogene sind Östron, 17β-Östradiol und
Östriol. Das wirksamste Östrogen ist das Östradiol.
CH3 O CH3 OH CH3 OH
H H
H
H H H
OH

H H H H H H

HO HO HO
Östron 17β-Östradiol Östriol
Die Östrogene bewirken im weiblichen Organismus eine Vergrößerung der Gebärmutter
(Uterus) und eine Verdickung ihrer Schleimhaut, eine Veränderung der Vaginalschleimhaut,
das Wachstum der Brustdrüsen und die Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale.
Beim Mann verursachen sie das Wachstum der Prostata, der Samenblasen und des Samen-
leiters. Sie fördern die Zellteilung und steigern die Knochenbildung. Ein wirksames synthe-
tisches Östrogen ist das Stilböstrol. Ähnlich wie die natürlichen Östrogene hat es eine
Hydroxygruppe an einen aromatischen Sechsring gebunden (phenolischer Charakter), und
die Molekülform hat, wenn auch nur eine sehr entfernte, räumliche Ähnlichkeit mit dem
Östradiol.
CH3 OH
H2C
C
C
CH2
HO H3C Stilböstrol

Gestagene (Hormone des Gelbkörpers). Die Gestagene, die man auch als Schwanger-
schaftshormone bezeichnen kann, haben das Grundgerüst des Pregnans. Vertreter der Gesta-
gene sind das Progesteron und das Pregnenolon.
780 20 Alicyclische Verbindungen in der Natur

O O
H3C H3C
CH3 CH3
H H
CH3 H CH3 H

H H H H

O HO

Progesteron Pregnenolon
Die Gestagene lösen die Vorbereitung für die Aufnahme und die Einbettung des befruch-
teten Eis aus und sind auch bis zu einem gewissen Zeitpunkt für die Aufrechterhaltung der
Schwangerschaft notwendig. Ihr Wirken steht in enger Wechselbeziehung mit den Östroge-
nen. Abgewandelte Gestagene, z.B. das 19-Norethisteronacetat, werden in Kombination mit
abgewandelten Östrogenen, z.B. dem 17-α-Ethinylöstradiol, in der Pille zur Empfängnis-
verhütung eingesetzt.
H3C OCOCH3 H3C OH
C CH C CH
H H

H H H H

O HO

19-Norethisteronacetat 17α-Ethinylöstradiol

20.2.6 Steroidglycoside

Glycoside sind Verbindungen, bestehend aus einer Zucker- und einer Nichtzuckerkomponen-
te, die als Aglykon bezeichnet wird. In den Steroidglycosiden bilden Verbindungen mit Ste-
roidstruktur das Aglykon. Zu diesen Verbindungen zählen die Herzglycoside, die Saponine
und andere Steroidglycoside.

20.2.6.1 Herzglycoside
Herzglycoside sind Verbindungen, die die Tätigkeit des Herzens beeinflussen. Zu diesen
gehören die im roten Fingerhut (digitalis purpurea) vorkommenden Digitalisglycoside (eines
der Aglykone ist das Digitoxigenin), das in Samen von Strophanthus-Arten befindliche
Strophantin, dessen Aglykon das Strophantidin ist, das aus der Meereszwiebel isolierte Scil-
laren (Aglykon = Scillarenin) und die Krötengifte, z.B. das Bufotalin. Die Besonderheit
dieser Steroidverbindungen ist die cis-Verknüpfung der Ringe C/D, die β-Hydroxygruppe in
Stellung 14 und die Anwesenheit eines ungesättigten 5- bzw. 6-gliedrigen Lactonringes in
Stellung 17. Als Lactone werden ringförmige Ester bezeichnet. Die herzaktiven Steroide mit
einem ungesättigten fünfgliedrigen Lacton zählt man zu den Cardenoliden, während man
Steroide mit ungesättigtem sechsgliedrigen Lacton in die Gruppe der Bufadienolide reiht.
20.2 Steroide 781

O O

C C
O O

H3C H3C
17 H
H O H
H3C H C H

14
H OH H OH

HO HO
H OH

Digitoxigenin Strophantidin

O O

O O

H3C H3C
H H
O
H3C H H3C H O C
H CH3
H OH H OH

HO HO
H

Scillarenin Bufotalin

20.2.6.2 Steroid-Sapogenine
Steroid-Sapogenine sind Aglykone der Saponine. Saponine (lat. sapo = Seife) sind Pflanzen-
glycoside, die in Wasser kolloidale, seifenartige Lösungen bilden. Sie können eine Hämolyse
der roten Blutkörperchen bewirken. Saponine wurden als Fischgifte eingesetzt. Gibt man
eine saponinhaltige Pflanze in das Wasser, so werden die Fische betäubt. Man kann diese
Fische später aber trotzdem verzehren, ohne unangenehme Folgen durch das Gift befürchten
zu müssen. In Steroid-Sapogeninen sind an das Kohlenstoffatom C22 zwei Sauer-
stoffatome gebunden, so daß eine Spiro-Ketalform (siehe Abschnitt 5.7 und 13.4.2.2) vor-
liegt. Ein Vertreter dieser Steroid-Sapogenine ist das Sarsasapogenin, eine aus der Sarsapa-
rillawurzel isolierte Verbindung.
21
H 3C O
20 22 25 26
18 C CH3
H 3C H
17 O 23 24
19
H3 C H

H H

HO Sarsasapogenin
782 20 Alicyclische Verbindungen in der Natur

20.2.6.3 Steroid-Alkaloide
Steroid-Alkaloide sind Verbindungen mit einem Steroidgerüst, die außerdem noch Ringe
haben, in die ein Stickstoffatom eingebaut ist. Ein Vertreter dieser Gruppe ist das Solanidin,
das Aglykon des Glycosids Solanin. Blätter und Keime der Kartoffel (Solanum tuberosum),
ja sogar die aus dem Erdboden herausragenden grünen Teile einer reifen Kartoffelknolle,
können das giftige Solanin enthalten. Die Vergiftung mit Solanin macht sich durch ein Bren-
nen und Kratzen im Hals bemerkbar, es verursacht Erbrechen, Herzschwäche, Angstzustän-
de, Schweißausbruch und Atemnot, in schweren Fällen kann der Tod durch Atemlähmung
eintreten.
CH3
H3C H H

H3C H
N
CH3
H H H

HO
Solanidin
Übungsaufgaben 783

Übungsaufgaben

? 20.1
Was sind Terpene und welches gemeinsame Strukturmerkmal haben sie?

? 20.2
Schreiben Sie die Formel des (-)-Menthols auf und kreisen Sie in ihr die Isopentyleinheiten
ein.

? 20.3
Schreiben Sie die Formel des Triterpens Squalen auf und machen Sie in der Formel die ver-
zweigten C5-Einheiten kenntlich.

? 20.4
Phytol ist, in Esterform gebunden, Bestandteil des Chlorophylls. Schreiben Sie die Formel
dieses Diterpens.

? 20.5
Welches Kohlenstoffgerüst bildet das Grundskelett der Steroide? Schreiben Sie das
Grundskelett auf und nummerieren Sie das Steroidskelett durch.

? 20.6
Schreiben Sie die chemische Formel des Cholesterins auf.

? 20.7
Schreiben Sie die chemische Formel der Cholsäure auf.

? 20.8
Schreiben Sie die chemischen Formeln der drei männlichen Sexualhormone Testosteron,
Androstendion und Androsteron auf.

? 20.9
Auf welche Weise sind in den in der Natur vorkommenden Steroiden die Ringe A/B, B/C
und C/D verknüpft?

C D

A B
784 20 Alicyclische Verbindungen in der Natur

Lösungen

! 20.1
Terpene sind in der Natur weit verbreitet, in vielen Pflanzen sind sie als Geruchstoffe enthal-
ten. Aus diesen können sie als ätherische Öle durch Wasserdampfdestillation freigesetzt
werden. Ätherische Öle werden in der Parfümerie und zur Aromatisierung von Nahrungsmit-
teln verwendet. Zu den Terpenen gehören sowohl cyclische als auch acyclische Verbindun-
gen, deren gemeinsames Strukturmerkmal eine Aneinanderreihung von Isopentenyleinheiten
ist. Diese Struktur ist gegeben durch die Biosynthese der Terpene, die aus Acetyl-CoA über
Mevalonat und Isopentenylpyrophosphat verläuft (siehe Kapitel 20.1).
O
O P O PO32
CH3 O
H2C=C CH2CH2
Isopentenylpyrophosphat

Die Terpene werden, je nachdem aus wie viel Isopentenyleinheiten sie aufgebaut wurden, als
Monoterpene (mit 2 Einheiten), Sesquiterpene (mit 3 Einheiten), Diterpene (mit 4 Einheiten),
Triterpene (mit 6 Einheiten) und Tetraterpene (mit 8 Einheiten) bezeichnet.

! 20.2
(-)-Menthol ist ein Monoterpen, es wurde aus 2 Isopentenylpyrophosphateinheiten in der
Pflanze synthetisiert:

OH

(–)-Menthol

! 20.3
Squalen ist ein Triterpen, seine Struktur enthält sechs C5-Einheiten:

Squalen

Die Biosynthese des Cholesterols geht vom Squalen aus (siehe Kapitel 20.2.1) und somit
bildet Squalen ein Bindeglied zu einer weiteren Stoffgruppe, den Steroiden.
Lösungen 785

! 20.4
Formel des Diterpens Phytol:

CH H3C H H3 C H CH3
15 3 1 Phytol
11 7
H3C OH
2

! 20.5
Den Steroiden liegt das Gerüst des Cyclopentanoperhydrophenanthrenrings zugrunde:
12
17
13
11

1
C D 16
9
10 14
2 8 15
A B
3 7
5
4 6

! 20.6
Die chemische Formel des Cholesterins (auch als Cholesterol bezeichnet):

26
21 CH3
H3C 20 H
23 25
18 H C
3 CH3
22 24
27
19 H
H 3C H

H H
Cholesterin
HO 3 5 (Cholest-5-en-3β-ol)
6

! 20.7
Cholsäure ist eine der Gallensäuren. Die chemische Formel der Cholsäure:

H
H 3C COOH
HO
CH3
H
CH3 H

H H Cholsäure
(3α,7α,12α-Trihydroxycholansäure)
HO OH
H
786 20 Alicyclische Verbindungen in der Natur

! 20.8
Testosteron, Androstendion und Androsteron gehören zu den männlichen Sexualhormonen.
Die chemischen Formeln dieser 3 Verbindungen:

OH
H3C H3C O H 3C O
H
H 3C H H3C H H 3C H

H H H H H H

O O HO
H

Testosteron Androstendion Androsteron

! 20.9
Die Ringe A/B können in Steroiden cis- oder trans-verknüpft sein, die Ringe B/C sind im-
mer trans-verknüpft. Die Ringe C/D sind trans-verknüpft, nur in den Herzglycosiden liegt
eine cis-Verknüpfung vor.
21 Kohlenhydrate
In die Stoffklasse der Kohlenhydrate gehören (Poly)hydroxyaldehyde, (Po-
ly)hydroxyketone und Verbindungen, die dazu hydrolysiert werden können. Der Ausdruck
Poly- wurde deshalb in Klammern angeführt, weil das griechische poly- mehrere oder viel
bedeutet und man zu den Zuckern auch den Glycerinaldehyd H2C(OH·CH(OH)CHO und
das Dihydroxyaceton H2C(OH) CO·CH2OH zählt, die nur zwei Hydroxygruppen besitzen.
Es gibt auch die nicht ganz einhellige Meinung, daß der Glycolaldehyd CH2(OH)·CHO zu
den Kohlenhydraten gehört.
Zu den Kohlenhydraten zählen einfache Zucker, z.B. die Glucose und die Fructose und
ebenso Verbindungen, die sich aus einfachen Zuckern als Bausteine zusammensetzen, wie
der Rübenzucker. Schließlich gehören dazu auch hochmolekulare Verbindungen, die aus
vielen Zuckereinheiten aufgebaut sind, z.B. Stärke und Cellulose, deren Baustein die
Glucose ist.
Der Name Kohlenhydrate stammt noch aus dem vorigen Jahrhundert. Man stellte bei den
damals analysierten Verbindungen dieser Stoffklasse fest, daß ihre Summenformel der For-
mel (C·H2O)n entspricht und nahm zunächst fälschlich an, daß es sich um Hydrate des Koh-
lenstoffs handelt (Wassermoleküle an Kohlenstoff gebunden). Erst später gelangte man zu
der Erkenntnis, daß es sich bei dieser Stoffgruppe um keine Hydrate handelt, sondern daß es
Polyhydroxyaldehyde bzw. Polyhydroxyketone sind, die diese Summenformel ergeben. Zum
Beispiel kann bei der Glucose, mit der folgenden Strukturformel
H O
C

H C OH

HO C H

H C OH D-Glucose

H C OH

H C OH

H
die Summenformel in der Form (CH2O)6 geschrieben werden. Nicht alle Verbindungen aber,
die zu den Kohlenhydraten zählen, z.B. die Desoxyribose, entsprechen der Formel (CH2O)n.
Andere Verbindungen wiederum, z.B. die Milchsäure CH3CH(OH)COOH und die Essigsäu-
re CH3COOH, deren Summenformel man in der angegebenen Weise als (CH2O)3 bzw.
(CH2O)2 schreiben kann, gehören nicht in die Stoffklasse der Kohlenhydrate. Der Begriff
Kohlenhydrate hat sich aber so eingebürgert, daß er trotz dieser Mängel und trotz der Tatsa-
che, daß er auf falsche Vorstellungen zurückzuführen ist, sowohl in der deutschen als auch
der angelsächsischen Literatur weiterhin gebraucht wird.

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 787


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_21, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
788 21 Kohlenhydrate

21.1 Bedeutung und Einteilung der Kohlenhydrate

21.1.1 Bedeutung der Kohlenhydrate

Die Pflanzen synthetisieren in der Photosynthese (siehe Abschnitt 25.5.1.3b) einfache Zu-
cker, hauptsächlich Glucose. Diese dient der Pflanze als Energiespender und als Ausgangs-
stoff für die Biosynthese anderer Verbindungen, insbesondere der Stärke und Cellulose. Die
Stärke dient als Vorratsstoff, der bei Energiebedarf der Pflanze abgebaut wird, und die Cellu-
lose bildet die Gerüstsubstanz der Pflanzen. Tiere ernähren sich von Pflanzen, manche kön-
nen auch cellulosehaltige Pflanzenteile als Futter verwerten. Der Mensch wiederum ist in
seiner Ernährung von Pflanzen und Tieren abhängig. Zu den Hauptkomponenten unserer
Nahrungsmittel gehören Fette, Eiweiße und auch Kohlenhydrate. Sie bilden die Grundlage
unserer Ernährung. Unsere Kleidung, denken wir nur an Baumwolle und Leinen, besteht
zum Teil aus Cellulose. Aus Holz, dessen Hauptkomponente ebenfalls Cellulose ist, bauen
wir Häuser und Möbel. Auch Papier besteht hauptsächlich aus Cellulose.

21.1.2 Einteilung der Kohlenhydrate

Bei der Einteilung der Kohlenhydrate verwendet man den Begriff Saccharide (von griech.
saccharos = Zucker)
a) Monosaccharide, die auch als einfache Zucker bezeichnet werden, sind Verbindungen,
die sich durch Hydrolyse nicht mehr in einfachere Zucker zerlegen lassen. Zu den Mo-
nosacchariden gehören z.B. Glycerinaldehyd, Ribose, Glucose und Fructose.
b) Oligosaccharide sind Verbindungen, in welchen mehrere (2–6) Monosaccharide mitei-
nander verknüpft sind. Je nachdem, aus wie vielen Monosacchariden sie bestehen,
bezeichnet man sie als Di-, Tri-, Tetra-, Penta- oder Hexasaccharide. Wichtig sind vor
allem die Disaccharide. Zu diesen zählen z.B. der Rübenzucker (Saccharose) und der
Milchzucker (Lactose).
c) Polysaccharide sind Verbindungen, die aus vielen Molekülen eines Monosaccharids
aufgebaut sind. Zu den Polysacchariden gehören z.B. die Stärke und die Cellulose.
Mono- und Oligosaccharide werden oftmals allgemein als Zucker bezeichnet. Die Bezeich-
nung Zucker wird aber nicht für Polysaccharide gebraucht.

21.2 Monosaccharide

21.2.1 Einteilung der Monosaccharide

Die Monosaccharide unterteilt man in solche mit einer Aldehydgruppe (Formylgruppe), die
man Aldosen nennt, und solche, die eine Ketogruppe haben und als Ketosen bezeichnet
21.2 Monosaccharide 789

werden. Außerdem stellt man fest, wie viele Kohlenstoffatome die Kette des Zuckers besitzt:
ist es ein Zucker mit drei C-Atomen, nennt man ihn Triose, mit vier Tetrose, mit fünf Pen-
tose und mit sechs Hexose. Beide Merkmale kann man vereinen und bezeichnet dann z.B.
eine Aldose mit sechs Kohlenstoffatomen als Aldohexose. Als Beispiele werden Zucker mit
ihrem Trivialnamen und ihrer Klassifizierung angeführt:
H H
H O H O H O
1 1
1C 1C 1C H C OH H C OH
2 2 2 2 2
H C OH H C OH H C OH C O C O
3 3 3 3 3
H C OH H C OH HO C H H C OH HO C H
4 4 4 4
H H C OH H C OH H C OH H C OH
5 5 5
D-Glycerinaldehyd, H H C OH H C OH H C OH
eine Aldotriose 6 6
H C OH H H C OH
D -Erythrose,
eine Aldotetrose H H
D -Ribulose,
eine Ketopentose
D -Glucose, D -Fructose,
eine Aldohexose eine Ketohexose

21.2.2 Die Fischer-Projektion

Die Monosaccharide werden in der Fischer-Projektion dargestellt (siehe auch Abschnitt


8.6.1), aus der man die räumliche Orientierung der Substituenten an den asymmetrischen C-
Atomen eindeutig erkennen kann. Man muß sich beim Schreiben der Formel in der Fischer-
Projektion vorstellen, daß das Zuckermolekül so im Raum orientiert ist, daß die Formyl- bzw.
die Ketogruppe oben ist und die Kohlenstoffkette sich unter ihr befindet. Geht man die Koh-
lenstoffkette entlang, sind bei jedem asymmetrischen Kohlenstoffatom die Liganden so an-
geordnet, daß die Bindungen zu den beiden benachbarten Kohlenstoffatomen nach rückwärts
weisen und die Bindung zu den Liganden H und OH seitlich nach vorne gerichtet ist. Baut
man mit einem Molekülbaukasten nach der Fischer-Projektion als Vorlage den Zucker, ver-
fährt man so, daß man zunächst die die C-Atome symbolisierenden Kugeln (im weiteren
werden sie der Einfachheit halber direkt als C-Atome bezeichnet) zur Kohlenstoffkette zu-
sammensteckt. Von der Aldehyd- bzw. Ketogruppe oben ausgehend, geht man dann die Koh-
lenstoffkette entlang nach unten, wobei man jedes einzelne asymmetrische C-Atom (Atom
mit 4 verschiedenen Substituenten, siehe Abschnitt 8.5) betrachtet und es auf die Weise orien-
tiert, daß die Bindungen zu den beiden benachbarten Kohlenstoffatomen vom Betrachter
gesehen nach rückwärts weisen und die Kugeln, die das Wasserstoffatom und die OH-Gruppe
veranschaulichen, links und rechts vor dem asymmetrischen C-Atom erscheinen.
790 21 Kohlenhydrate

C O H

H O 2
1
1C 1
2 3
H C OH 2
3
H C OH
4 3 4 4
H C OH

Fischer-Projektion Betrachtung des zweiten Betrachtung des dritten


der D-Erythrose Kohlenstoffatoms Kohlenstoffatoms
der D-Erythrose der D -Erythrose

Bild 21.1 Die Fischer-Projektion der Erythrose und deren Wiedergabe mit einem Kugel-Stift-Modell

21.2.3 D- und L-Zucker

Zucker haben, bis auf wenige Ausnahmen (Dihydroxyaceton, Glycolaldehyd), asymmetri-


sche C-Atome, deren räumliche Anordnung aus der Benennung ersichtlich sein muß. Man
benutzt in der Regel nicht die R/S-Nomenklatur, sondern die D/L-Nomenklatur in Ver-
bindung mit den Trivialnamen der Zucker. Die Zugehörigkeit eines Zuckers zur D- oder L-
Reihe wird durch die Konfiguration am letztständigen asymmetrischen Kohlenstoffatom be-
stimmt (das asymmetrische Kohlenstoffatom, das von der Aldehyd- bzw. Ketofunktion am
weitesten entfernt ist). Steht in der Fischer-Projektion die Hydroxygruppe an diesem C-Atom
rechts, gehört der Zucker der D-Reihe an und wird als D-Zucker bezeichnet, steht die Hydro-
xygruppe links, handelt es sich um einen L-Zucker. Dem Trivialnamen des Zuckers wird,
gemäß seiner Zugehörigkeit zur D- bzw. L-Reihe, dann ein D- bzw. L- vorgesetzt. Die Zucker
der L-Reihe sind Enantiomere der D-Zucker, also deren Spiegelbilder. An den asymmetri-
schen C-Atomen sind deshalb in der Fischer-Projektion die Liganden H und OH bei D- und
L-Zuckern seitenverkehrt angeordnet. Bei den anderen C-Atomen, die nicht asymmetrisch
sind, in der CH2OH-Gruppe oder der Aldehydgruppe, spielt es keine Rolle, wohin man das H
in der Fischer-Projektion schreibt, ob links oder rechts, oder wohin man die OH-Gruppe in
der CH2OH-Gruppe schreibt. In den nachstehenden Beispielen sind die asymmetrischen
Kohlenstoffatome in der Formel mit einem Sternchen kenntlich gemacht, der Pfeil zeigt auf
das letzte asymmetrische Kohlenstoffatom:
21.2 Monosaccharide 791

H O H O
C C
H O H O
C C H C* OH letztes asym. C-Atom, HO C* H
OH-Gruppe rechts
H C* OH HO C* H H C
* OH HO C
* H
letztes asym. C-Atom,
H C OH H C OH H C OH OH-Gruppe links H C OH

H H H H
D -Glycerinaldehyd L -Glycerinaldehyd D -Erythrose L -Erythrose

Enantiomere Enantiomere
H H
H O H O
C C H C OH H C OH

H C* OH HO C* H C O C O
* *
HO C H H C OH HO C* H H C* OH

H C* OH HO C* H H C* OH HO C* H

H C* OH HO C* H H C* OH HO C* H

H C OH H C OH H C OH H C OH

H H H H

D -Glucose L -Glucose D -Fructose L -Fructose

Enantiomere Enantiomere
In der Natur gibt es, bis auf wenige Ausnahmen, nur D-Zucker.

21.2.3.1 Verkürzte Formel-Schreibweise bei Zuckern


Bei Zuckern wendet man oftmals eine verkürzte Schreibweise an. Man verbindet die CHO-
Gruppe und die CH2OH-Gruppe mit einem senkrechten Strich und deutet durch waagrechte
Striche an, wo sich in der Fischer-Projektion die Hydroxygruppen befinden. Beispiele:
CHO CHO

CHO CHO H C OH

H C OH HO C H

H C OH H C OH

CH2OH CH2OH H C OH

CH2OH CH2OH

D-Erythrose D-Erythrose D-Glucose D-Glucose


(Kurzformel) (Kurzformel)
792 21 Kohlenhydrate

21.3 Aldosen

21.3.1 Verlängerung der Kohlenstoffkette von Aldosen

Die Kiliani-Fischer-Synthese, auch als Cyanhydrinsynthese bezeichnet, bietet ausgehend von


einer Aldose die Möglichkeit, die Kohlenstoffkette des Zuckers um einen Kohlenstoff zu
erweitern. Sie umfaßt einige Reaktionsschritte.
Zunächst erfolgt die nucleophile Addition der Blausäure an die Carbonylgruppe der Aldo-
se, und es wird ein Cyanhydrin gebildet (siehe Abschnitt 13.4.1.1). Mit der Bildung des
Cyanhydrins liegt ein weiteres asymmetrisches Kohlenstoffatom vor und es entstehen, da sich
die Cyanidgruppe an die Carbonylgruppe von zwei einander gegenüberliegenden Seiten anla-
gern kann, zwei Diastereomere (siehe Abschnitt 8.7), die sich nur in der Konfiguration eines
einzigen asymmetrischen C-Atoms unterscheiden. Solche Diastereomere bezeichnet man als
Epimere. Die Hydrolyse in stark saurem Medium, die im nächsten Reaktionsschritt folgt,
überführt die Cyanidgruppe in eine Carboxygruppe (siehe Abschnitt 15.3.2.4). Außer der
Carboxygruppe befinden sich im Zuckermolekül noch Hydroxygruppen, und so kommt es bei
saurer Katalyse zur Bildung eines inneren Esters, eines Lactons. Im letzten Reaktionsschritt
wird dieser mit Natriumamalgam in schwach saurer Lösung oder mit Natriumborhydrid in
wäßriger Lösung bei pH 3–4 zum Aldozucker reduziert. Bei der Kiliani-Fischer-Synthese
werden die schon im Molekül befindlichen asymmetrischen Zentren nicht verändert. Geht
man also bei der Synthese von einer Aldose mit D-Konfiguration aus, ist das Endprodukt
wieder ein D-Zucker.
Führt man die Kiliani-Fischer-Synthese mit D-Glycerinaldehyd durch, erhält man die
zwei epimeren Zucker D-Erythrose und D-Threose.

N
O O H O
C C OH C C
H
H C* OH H /H O H C* OH H C* OH Na/Hg H C* OH
N 2

H C* OH - NH4 H C* OH - H2O H C* OH H C* OH
C
H C OH H C OH H C O H C OH
H
H H H H
H O
Cyanhydrin Aldonsäure Lacton D-Erythrose
C
N
(siehe Abschnitt 21.6.4.2)
H C* OH O OH O H O
C C C C
H C OH H
HO C* H H /H2O HO C* H HO C* H Na/Hg HO C* H
H
H C* OH - NH H C* OH - H 2O H C* OH H C* OH
4
D-Glycerinaldehyd
H C OH H C OH H C O H C OH

H H H H
D-Threose
21.3 Aldosen 793

21.3.1.1 Die Aldosen mit D-Konfiguration


Die nachfolgend gebrachte Übersicht zeigt, welche Zucker entstehen können, wenn man
vom D-Glycerinaldehyd ausgeht und von jedem Zucker, den man mit der Kiliani-Fischer-
Synthese erhält, wieder ein Epimerenpaar synthetisiert.
CHO CHO CHO CHO CHO CHO CHO CHO

CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH

D (+)-Talose D (-)-Idose D (+)-Mannose D (+)-Altrose


D (+)-Galactose D (-)-Gulose D (+)-Glucose D (+)-Allose

CHO CHO CHO CHO

CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH


D (-)-Lyxose D (+)-Xylose D (-)-Arabinose D (-)-Ribose

CHO CHO

CH2OH CH2OH

D (-)-Threose D (-)-Erythrose
CHO

CH2OH
D (+)-Glycerinaldehyd

Anmerkungen. Die in Klammern angegebenen Zeichen bei den Namen der Zucker bedeuten: (+), daß
der Zucker die Ebene des polarisierten Lichts im Uhrzeigersinn dreht, (–), daß eine Drehung entgegen
dem Uhrzeigersinn erfolgt. D-Konfiguration und Drehsinn stehen miteinander in keinem direkten Zu-
sammenhang. Wie man aus der Übersicht ersieht, drehen einige D-Zucker links, andere rechts.
794 21 Kohlenhydrate

Merkhilfen
Die Anordnung der Hydroxygruppen in der Fischer-Projektion der Threose und Erythrose
merkt man sich am besten so: im E, dem Anfangsbuchstaben der Erythrose, gehen die waag-
rechten Striche, ebenso wie die OH-Gruppen in der Formel, alle nach einer Seite, im An-
fangsbuchstaben T der Threose geht ein Teil des waagrechten Balkens nach links, der andere
nach rechts.
Spaßige Sätze sind oft eine gute mnemotechnische Hilfe (griech. mneme = Gedächtnis).
Der Satz „Alle alten Gänse möchten gern im Garten tanzen“ enthält die Anfangsbuchstaben
der Aldohexosen, in der vorhergehenden Übersicht von rechts nach links gelesen. Auf wel-
cher Seite die Hydroxygruppen in der Fischer-Projektion der D-Glucose stehen, merkt man
sich nach dem nun schon von Studentengenerationen als Merkhilfe erfolgreich praktizierten
,,geistreichen“ Satz: ta tü ta ta. Ta nach rechts, tü nach links, in der Formel von oben nach
unten gelesen.

21.3.2 Wichtige Aldopentosen


Pentosen sind zum Unterschied von Hexosen mit Hefe nicht vergärbar.
a) Die D(–)-Arabinose hat ihren Namen nach dem Vorkommen in Gummiarabikum, einem
aus der Rinde von Akazienarten gewonnenen Klebstoff. Sie kommt auch in Aloe und
Rübenschnitzeln vor.
b) D(+)-Xylose auch als „Holzzucker“ bekannt, kommt als Polysaccharid in Hemicellulosen
des Holzes, in Stroh und Kleie vor und kann aus diesen durch Hydrolyse mit verdünnter
Schwefelsäure gewonnen werden.
c) Die D(–)-Ribose ist die wichtigste Pentose, denn sie ist Bestandteil der Ribonucleinsäuren
und auch wichtiger Coenzyme, z.B. des Nicotinamid-Adenin-Dinucleotids (NAD+), des
Nicotinamid-Adenin-Dinucleotid-Phosphats (NADP+) (siehe Abschnitt 25.6.1.1a), des
Coenzyms A (siehe Abschnitt 25.7.1.2), des Adenosintriphosphats (ATP) (siehe Ab-
schnitt 25.7.1.3), des Guanosintriphosphats (siehe Abschnitt 25.7.1.4) und des Flavin-
Adenin-Dinucleotids (siehe Abschnitt 25.7.3).

21.3.3 Wichtige Aldohexosen


a) Die D(+)-Glucose wird auch als Traubenzucker oder Dextrose bezeichnet. Sie ist in
Früchten und in Honig enthalten und ist, an Fructose gebunden, Bestandteil des Rü-
benzuckers. Die Glucose wird von Pflanzen bei der Photosynthese erzeugt (siehe Ab-
schnitt 25.5.1.3) und zur Deckung ihres Energiebedarfs und als Ausgangssubstanz für
ihre Biosynthesen benutzt. Aus Glucose synthetisieren die Pflanzen z.B. ihre hochmo-
lekulare Gerüstsubstanz, die Cellulose.
Glucose, die durch die Glycolyse abgebaut wird, ist der Hauptbrennstoff des
Stoffwechsels. Die beim Abbau der Glucose freiwerdende Energie wird in ATP ge-
speichert. Überschüssige Glucose wird zu hochmolekularen Polysaccchariden umge-
setzt, aus denen sie im Bedarfsfalle wieder zu Glucose gespalten werden können. Eine
21.3 Aldosen 795

solche Glucose- Speichersubstanz ist bei Pflanzen die Stärke und bei Tieren und Men-
schen das Glycogen.
Die Glucose im Blut ist die wichtigste Energiequelle des Gehirns. Der Mensch
hat normalerweise 0,1 % (etwa 5 mmol L–1) Glucose im Blut. Diese Konzentration der
Glucose im Blut wird durch die beiden Polypeptidhormone Insulin und Glucagon (sie-
he Abschnitt 24.3.1) aufrechterhalten. Insulin senkt bei zu hohem Glucosespiegel die
Glucosekonzentration im Blut, während bei zu niedriger Konzentration, durch
Glucagon gesteuert, in der Leber ein Glycogenabbau erfolgt. Die durch den Abbau
gebildete Glucose gelangt in den Blutstrom und erhöht den Glucosespiegel. Bei
schlechter Funktion der Bauchspeicheldrüse wird zu wenig Insulin ausgestoßen, die
Folge ist ein zu hoher Blutzuckerspiegel, der Mensch leidet an Diabetes melitus, der
sog. Zuckerkrankheit (siehe Abschnitt 24.3.1). Die Glucose wird bei zuckerkranken
Menschen nur ungenügend abgebaut und tritt in höherer Konzentration im Harn auf.
Die D-Glucose wird aus Kartoffel- oder Maisstärke durch Hydrolyse mit verdünnter
Salzsäure unter Druck gewonnen.
b) Die D(+)-Galactose bildet mit Glucose das Disaccharid Lactose (Milchzucker), einen
Inhaltsstoff der Milch. Die Galactose ist Bestandteil der für die Zellmembran der Ner-
venzellen im Gehirn essentiellen Galactocerebroside (Formel siehe Abschnitt 19.5.2.1).
D-Galactose kann durch Hydrolyse aus Lactose gewonnen werden.

c) Die D(+)-Mannose kommt in freiem Zustand in Orangenschalen oder gebunden in Poly-


sacchariden, den Mannanen, vor. Mannane sind in der Steinnuß, Johannisbrotsamen und
Seetang anzutreffen. Aus ihnen kann man die Mannose durch Hydrolyse gewinnen.

21.3.4 Cyclische Strukturen der Monosaccharide

Aldehyde und Ketone reagieren bei saurer Katalyse mit Alkoholen unter Bildung von Halb-
acetalen bzw. Halbketalen (siehe Abschnitt 13.4.2.2).

H R''
H R''
H H
R' C + HO R R' C O R bzw. R' C + HO R R' C O R
O O
OH OH
Aldehyd + Alkohol Halbacetal Keton + Alkohol Halbketal

Der Aldehyd ist eine prochirale Verbindung (siehe Abschnitt 8.9.1). Nach der nucleo-
philen Addition des Alkohols an den Aldehyd hat das Reaktionsprodukt, das Halbacetal, ein
Kohlenstoffatom mit vier verschiedenen Bindungspartnern, es besitzt also ein asymmmetri-
sches Zentrum. Auch bei der Reaktion des Alkohols mit einem Keton hat das Produkt, das
Halbketal, ein Asymmetriezentrum, wenn beide Alkylreste des Ketons nicht identisch sind
(R' ungleich R"). Bei der nucleophilen Addition an die C=O-Doppelbindung kann der Alko-
hol als Nucleophil die Carbonylgruppe des Aldehyds von zwei entgegengesetzten Seiten
angreifen. Es können zwei optische Isomere des Halbacetals entstehen, je nachdem, von
welcher Seite das Nucleophil an die Carbonylgruppe herantritt.
796 21 Kohlenhydrate

R R
R
entweder oder H H Halbacetal
O O
O O O H (R-Konfiguration)
C C
H
H R' R'

H
O
C
R R
R' H H Halbacetal
O O (S-Konfiguration)
O H O
C C
H
R' R'
Die Monosaccharide verfügen über mehrere Hydroxygruppen und eine Aldehyd- oder
Ketogruppe. Die Halbacetalbildung kann, da sich diese funktionellen Gruppen in demselben
Molekül befinden, intramolekular erfolgen. Sie erfolgt in Lösung spontan, sogar ohne saure
Katalyse. Die spontane Ringbildung der Zucker kann man mit Hilfe der Entropie erklären.
Die Entropie ist ein Begriff für die Ordnung in Systemen. Spontan streben Systeme einer
größeren Unordnung zu, die Entropie des Systems nimmt zu. Bei der intermolekularen Halb-
acetalbildung treten das Molekül des Alkohols und das des Aldehyds zu einem einzigen
Molekül zusammen, die Ordnung des Systems nimmt zu und die Entropie ab. Die Entropie
als Triebkraft spontaner Reaktionen begünstigt die Reaktion eher in umgekehrter Richtung.
Demgegenüber erfolgt bei der Ringbildung der Zucker durch intramolekulare Halbacetal-
bildung die Umwandlung nur im Molekül selbst. Der Zustand der Ordnung wird im System
nur insofern verändert als nun die Kohlenstoffkette im Ring fixiert ist und Rotationsfreiheits-
grade damit verlorengehen. Die Entropieabnahme bei der Ringbildung der Zucker ist gerin-
ger als bei der intermolekularen Halbacetalbildung und das Reaktionsgleichtgewicht liegt
infolge der günstigen Bilanz der freien Enthalpie mehr auf der Produktseite. Die freie Enthal-
pie ΔG ist ein Maß für Spontanität von Reaktionen. Sie ist abhängig von der Enthalpie ΔH
und der Entropie S nach der Gleichung ΔG = ΔH – TΔS (T = Temperatur in °K). Bei Reakti-
onen, die bei konstantem Druck und Volumen verlaufen, entspricht der Enthalpie die Reakti-
onswärme Qp (exotherme Reaktionen erfolgen spontan).
Die intramolekulare Acetalbildung wird auch dadurch begünstigt, daß sich spannungs-
freie 5- oder 6-Ringe bilden können.
Man bezeichnet die Reaktion von der offenen Kette zum ringförmigen Zucker auch
oftmals als Oxo-cyclo-Tautomerie. Der offenkettige Zucker mit der Carbonylgruppe (Oxo-
Form) und sein ringförmiges Halbacetal (Cyclo-Form) befinden sich in tautomerem Gleich-
gewicht.
Um den räumlichen Ablauf der Ringbildung und die Ringstrukturen der Zucker besser
verstehen zu können, sollen am Beispiel der D-Glucose mit Hilfe von Abbildungen eines Ku-
gel-Stift-Modells einige Konformationen dieses Zuckers betrachtet werden, die für die Ring-
bildung wichtig sind. Aufschluß über die räumliche Anordnung der Atome im D-Glucose-
Molekül gibt uns die Fischer-Projektion. Sie kann als Vorlage für den Bau eines Molekül-
modells benutzt werden. Man geht dabei so vor, wie dies schon in Abschnitt 21.2.2 und mit
Bild 21.1 dargelegt wurde. Man setzt im Molekülmodell zunächst die Kohlenstoffkette zu-
21.3 Aldosen 797

H O
6
1C
1
2
H C OH 2
3
HO C H 5
4 rückwärts
H C OH 4 3 C
5
H C OH O
6 vorne H
CH2OH

Bild 21.2 Die Fischer-Projektion der D-Glucose mit dem entsprechenden Molekülmodell
sammen und orientiert das Kettenende mit der Aldehydgruppe so, daß diese oben steht. Von
diesem Kettenende ausgehend geht man die Kette entlang, betrachtet jedes asymmetrische
Kohlenstoffatom (besser gesagt, das entsprechende Kügelchen des Molekülbaukastens, das
das Kohlenstoffatom darstellen soll) einzeln so, daß die Bindungen zu den benachbarten C-
Atomen nach rückwärts weisen und steckt, der als Vorlage benutzten Fischer-Projektion ent-
sprechend, in die Kügelchen, die die asymmetrischen C-Atome veranschaulichen, links und
rechts die Stifte ein mit den Kügelchen, die die H-Atome bzw. die O-Atome der OH-Grup-
pen symbolisieren. Da die C–C-Bindungen bei Betrachtung der asymmetrischen C-Atome
jeweils, vom Betrachter gesehen, nach rückwärts weisen, wird die Kohlenstoffkette bei die-
ser Vorgehensweise bogenförmig angeordnet. Diese Konformation zeigt Bild 21.2. Zur Un-
terstützung der räumlichen Vorstellung sollte man nicht nur die Abbildungen betrachten,
sondern die beschriebene Vorgehensweise mit einem Molekülbaukasten nachvollziehen.
Verfährt man auf die oben angegebene Weise, nimmt das Glucosemolekül-Modell eine
Konformation ein, in der sich die endständigen Kohlenstoffatome 1 und 6 sehr nahe kom-
men. Für die weitere Betrachtung ist es vorteilhaft, wenn das senkrecht im Raum stehende
Modell um 90° gekippt wird, so daß es waagrecht orientiert ist.
In der Konformation, in der das C1- und das C6-Atom sich in unmittelbarer Nähe zuein-
ander befinden, kann es zur Bildung des Sechsringes nicht kommen, es ist vielmehr notwen-

kippen
6
1
2 hinten
4 5 6
5

4 3 3
2 1
Bild 21.3
Das senkrecht stehende Mo-
lekülmodell der D-Glucose
vorne wird bis zur Waagerechten
gekippt.
798 21 Kohlenhydrate

6
4 5 6 4 5

3 3
2 1 2 1

Bild 21.4 Konformationen, die zum Ringschluß der D-Glucose führen

dig, daß das Sauerstoffatom der Hydroxygruppe am C5 in nächste Nähe zum Kohlenstoff-
atom der Carbonylfunktion gelangt. Dies ermöglicht die freie Drehbarkeit von C5 um die
C4–C5-Bindung. Bei einer Drehung des Kohlenstoffatoms C5 um 120° um diese Bindung
gelangt das Sauerstoffatom in die Nähe des Carbonylkohlenstoffs, so daß die nucleophile
Anbindung des Sauerstoffatoms an das Carbonylkohlenstoffatom erfolgen kann. Nach der
erfolgten Drehung des C5-Kohlenstoffatoms um die C4–C5-Bindung kommt die –CH2OH-
Gruppe nach oben zu stehen.

21.3.4.1 Ringstruktur und Anomerie


Die Konformation der D-Glucose wird in der weiteren Darlegung mit einer Konformations-
formel ausgedrückt, um den Bezug der Formelschreibweise zu dem in Bild 21.4 gezeigten
Kugel-Stift-Modell herzustellen. Man stelle sich vor, daß die in der Formel veranschaulich-
ten Ringe senkrecht zur Schreibebene stehen und die stark ausgezogenen Bindungen sich vor
dieser Ebene befinden.
O
Die Formylgruppe C ist um die C1–C2-Einfachbindung drehbar, und so werden bei
H
Ringschluß zwei Diastereomere gebildet, je nachdem, wie die Carbonylgruppe räumlich
H H H
6CH OH H CH2OH H CH2OH
2
HO 4 5 O HO O HO O
H H H
H H H
HO HO HO
2 O O OH
3
OH 1C OH 1 OH
H H H
H H H
2C
β-Anomer
O
1C
H
H H H
6 H CH2OH H CH2OH
CH2OH
HO 4 5 O HO O HO O
H H H
H H H H
HO HO HO
2 H H
3
OH 1C OH 1 OH
H O H H
O OH
α-Anomer
21.3 Aldosen 799

orientiert ist, an deren C-Atom sich der am C5 gebundene Sauerstoff bindet. Die nucleophile
Addition an die Doppelbindung der Carbonylgruppe ergibt eine Ringstruktur des Zuckers
und ein neues asymmetrisches Zentrum.
Anomere. Die beiden Diastereomere, die sich nur durch die räumliche Anordnung der Bin-
dungspartner an dem asymmetrischen C-Atom, das durch Ringschluß entstanden ist, unter-
scheiden, werden als Anomere bezeichnet. Das durch Ringschluß entstandene asymme-
trische C-Atom wird oft als anomeres C-Atom bezeichnet und es wird auch der Ausdruck
anomeres Zentrum verwendet. Die an dieses C-Atom gebundene Hydroxygruppe, die sich in
ihrer Reaktivität von den anderen Hydroxygruppen des Zuckers unterscheidet, wird anome-
re, halbacetalische oder glycosidische Hydroxygruppe genannt.
Steht bei einem D-Zucker die glycosidische Hydroxygruppe in der Fischer-Projektion
rechts, handelt es sich um ein α-Anomer, steht sie links, spricht man von einem β-Anomer.
Bei einem L-Zucker, der ja das Spiegelbild des D-Zuckers ist, ist es gerade umgekehrt: im
α-Anomer steht sie links, im β-Anomer rechts. Allgemein gilt: im α-Anomer weist die gly-
cosidische Hydroxygruppe in der Fischer Projektion nach der gleichen Seite wie die Hydro-
xygruppe am letztständigen asymmetrischen C-Atom. Die Anomerie ist ein Sonderfall der
Epimerie.

21.3.4.2 Die Haworth-Formel


Die Konformationsformel entspricht den räumlichen Gegebenheiten der Ringstruktur der
Zucker besser als die Fischer-Projektion, es ist nur etwas umständlich, sie zu schreiben. Ha-
worth hat deshalb die Konformationsformel für Zucker mit Ringstruktur vereinfacht und sie
so dargestellt, als ob der Sechsring in einer Ebene liegen würde. Die stärker ausgezogenen
Striche in der Formel bedeuten, daß dieser Teil des Moleküls nach vorne vor die Zeichen-
ebene zeigt.

C
6 H 6CH OH
4 O 2
5 6 CH OH 5
H 4
2
H O H
HO 5 O
3 H H
2 4 OH H 1
1 H
HO
3 2 1 H OH OH
3 2
OH
H H OH
OH

Kugel-Stift-Modell Konformationsformel Haworth-Formel


der α-D-Glucopyranose
Die Haworth-Formel wird gewöhnlich so geschrieben, daß der Sauerstoff im heterocycli-
schen Sechsring der Formel rechts oben steht. Eine Zuordnung der Fischer-Projektion zur Ha-
worth-Formel ist dann leicht: Alle Hydroxygruppen, die in der Fischer-Projektion rechts
stehen, werden in der Haworth-Formel nach unten geschrieben (sie befinden sich unter der
Ringebene). In der Fischer-Projektion links stehende Hydroxygruppen werden in der Haworth-
Formel nach oben geschrieben. Die Fischer-Projektionsformel wird zumeist für die offen-
kettige Form und die Haworth-Formel für cyclische Formen der Monosaccharide verwendet.
800 21 Kohlenhydrate

anomeres
Kohlenstoffatom
6CH OH
2 anomeres
1
H C OH 5 Kohlenstoffatom
H O H
2 H
H C OH 4 1
OH H
3
HO C H O OH
OH
4 3 2
H C OH H OH
5
H C
Harworth-Formel der
6 α- D-Glucopyranose
H C OH

H
Fischer-Projektionsformel
der α-D-Glucopyranose

21.3.4.3 Nomenklatur der Monosaccharide mit Ringstruktur: Pyranosen und Furanosen


Durch Halbacetalbildung kann bei Pentosen und Hexosen ein Ringschluß sowohl zum hete-
rocyclischen Sechs- als auch Fünfring erfolgen, je nachdem, welche der Hydroxygruppen im
Zucker an der Reaktion beteiligt ist. Zucker mit einem Sechsring bezeichnet man, abgeleitet
vom Pyran, als Pyranosen, und Zucker mit einem Fünfring werden nach dem Furan Furano-
sen benannt. Die im Namen des offenkettigen Zuckers angeführte Endung -se wird beim
Ringzucker durch die Endung -pyranose bzw. -furanose ersetzt. Um auszudrücken, ob es
sich um ein α- oder β-Anomer handelt, werden vor das D- oder L-, das die Zugehörigkeit des
Zuckers zur D- oder L-Reihe angibt, ein α- bzw. β- vorgesetzt.

Name abgeleitet Name abgeleitet O


O
vom 4 H-Pyran: vom Furan:

H O H O
1 1
1C H C OH 1C H C OH
2 2 2 2
H C OH H C OH H C OH H C OH
3 3 3 3 O
H C OH H C OH O H C OH H C OH
4 4 4 4
H C OH H C OH H C OH H C
5 5 5 5
H C OH H C H C OH H C OH

H H H H
D-Ribose α-D-Ribopyranose D-Ribose α-D-Ribofuranose

Auch für die Furanosen kann man eine Haworth Formel verwenden. Diese schreibt man
in der Regel auf die Weise, daß das Sauerstoffatom des Ringes oben steht und das C1 sich
21.3 Aldosen 801

rechts befindet. Dann gilt: was in der Fischer-Projektion rechts steht, steht in der Haworth-
Formel unten und umgekehrt, was in der Fischer-Projektion links steht, ist in der Haworth-
Formel oben. Zu beachten ist, daß bei der offenkettigen D-Ribose am C4 beim Ringschluß
zur Ribofuranose eine Drehung erfolgen muß, so daß die –CH2OH-Gruppe der α-D-Ribo-
furanose in der Haworth-Formel oben zu stehen kommt (betrachten Sie auch Bild 21.4 in
Abschnitt 21.3.4).
1
H C OH 5
HOCH2 H
2 O
H C OH
3 O 4 H H 1
H C OH
H 3 2 OH
4
H C OH OH
5
H C OH α- D-Ribofuranose
(Haworth-Formel)
H
α- D-Ribofuranose
(Fischer-Projektion)
Im Fünfring machen sich, da Substituenten an benachbarten Kohlenstoffatomen eklip-
tisch zueinander stehen (siehe Abschnitt 2.4.1), Pitzer Spannungen bemerkbar, auch wenn
der Fünfring durch eine etwas verdrillte Konformation (siehe Envelope-Form Abschnitt 5.4)
dieser Spannung ausweicht. Der Sechsring ist deshalb etwas stabiler, und die Zucker bilden
daher beim Ringschluß überwiegend einen Sechsring. Ob ein Zucker einen Fünf- oder
Sechsring bildet, hängt davon ab, welches Monosaccharid vorliegt, und auch von den äuße-
ren Bedingungen. Die Glucose liegt in wäßriger Lösung praktisch nur als Pyranose vor. Die
Ribose bildet in der wäßrigen Lösung zu einem Viertel eine Furanose und zu drei Vierteln
eine Pyranose. Die offenkettige Form der Monosaccharide ist nur in ganz kleiner Konzentra-
tion in der Lösung anwesend. In Zuckerkristallen haben alle Zucker nur Ringstruktur. Viele
Reaktionen in Monosaccharid-Lösungen sind auf die offenkettige Form der Zucker zurück-
zuführen. Auch wenn diese nur in geringer Konzentration präsent ist, so wird sie bei ihrer
Umsetzung dem Massenwirkungsgesetz entsprechend rasch nachgebildet. In der Lösung be-
steht, da es sich bei der Halbacetalbildung um eine umkehrbare Reaktion handelt, die Mög-
lichkeit, daß aus einer Pyranose über die offenkettige Form eine Furanose gebildet wird und
umgekehrt. Die Pyranose und Furanose befinden sich, ebenso wie ihre α- und β-Anomere, in
Lösung in einem chemischen Gleichgewicht (siehe Schema nächste Seite).
Anmerkung. Auch für die Haworth-Formeln kann man eine verkürzte Schreibweise benut-
zen. Man läßt hierbei im Ring die Wasserstoffatome weg und schreibt nur die OH-Gruppen:
CH2OH
CH2OH
O HO C H OH
O
OH OH
OH OH

OH OH
α-D-Glucopyranose β-D-Glucofuranose
802 21 Kohlenhydrate

H
5 5
H O OH HOCH2 OH
O
H β β
4 H H 1 4 H H 1

OH H H 3 2 H
3 2
OH OH
OH OH H O
β-D-Ribopyranose 1C β- D-Ribofuranose
2
H C OH
3
H C OH
4
H C OH
5
H C OH
H H
5 5
H O H D -Ribose HOCH2 H
O
H
4 H H 1 4 H H 1
α α
OH OH H 3 2 OH
3 2
OH OH
OH OH
α-D -Ribopyranose α-D-Ribofuranose

Beispiele zum Schreiben von Monosaccharid-Formeln:

H O H O
1 1 1 1
C HO C H C HO C H 6
H CH2OH
2 2 5 2 2 5
HO C H HO C H OH O OH H C OH H C OH OH O OH
6
3 3 CH2OH 3 3 H
H C OH O H C OH 4 H OH 1 HO C H HO C H O 4 OH H 1
4 4 H H 4 4 H H
HO C H HO C H 3 2 HO C H HO C H 3 2
5 5 OH H 5 5 H OH
HO C H C H H C OH H C
6 6 6 6
CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH
L-Glucose α-L-Gluco- α-L-Gluco- D-Galactose β-D-Galacto- β-D-Galacto-
pyranose pyranose pyranose pyranose

H O 6
1 1 CH2OH
1
C HO C H 6 H C OH 5
CH2OH HO C H
2 2 2 H
HO C H HO C H 5 HO C H O
H O OH
O 4 OH HO 1
3 3 H 3
HO C H HO C H O 4 OH OH 1 HO C H α
4 H 3 2 OH
4 OH H 4
H C OH H C OH 3 2 H C H H
5 5 H H 5
H C OH H C H C OH
6 6 6
CH2OH CH2OH CH2OH
D-Mannose β-D-Manno- β-D-Manno- α-D-Manno- α-D-Manno-
pyranose pyranose furanose furanose
21.3 Aldosen 803

21.3.4.4 Konformationen der Pyranosen


In Pyranosen hat der Sechsring die Sesselform, weil diese Konformation dem Tetraeder-
winkel der sp3-hybridisierten Kohlenstoffe im Ring am besten entspricht und keine Ring-
spannung auftritt. Alle Substituenten an den benachbarten Kohlenstoffatomen des Ringes
stehen zueinander auf Lücke, so daß auch keine Pitzer-Spannung vorliegt (siehe Abschnitt
2.4.1). In dieser Konformation ist der Sechsring stabil.
Der Sechsring des Zuckers kann durch Ringinversion (siehe Abschnitt 5.5) von einer Ses-
selkonformation in eine andere gelangen. Eine beschränkte Drehbarkeit der Ring-Koh-
lenstoffatome um ihre Einfachbindung ermöglicht diese Konformationsänderung, wobei das
über der Ringebene befindliche C-Atom nach unten und das unter der Ringebene befindliche
C-Atom des Sechsringes nach oben zu stehen kommen (in der bildreichen Sprache der Stu-
denten: das über der Ringebene stehende C-Atom des Ringes wird nach unten, das unter der
Ringebene befindliche nach oben „geklappt“). Die Konformation der Sesselform, in der sich
das C4 des Ringes über der Ringebene und das C1 unter der Ringebene befinden, wird als
4
C1-Konformation bezeichnet (C steht in dieser Symbolik für engl. chair = Sessel). Die Kon-
formation mit C4 unter und C1 über der Ringebene erhält das Symbol 4C1. Bei der Ringinver-
sion werden äquatoriale Substituenten des Sechsringes axial und axiale Substituenten äquato-
rial. Aldohexosen nehmen bevorzugt die Konformation ein, in der vor allem die sperrige
–CH2OH-Gruppe, aber auch die Hydroxygruppen eine äquatoriale Stellung einnehmen, da
dann eine zu Spannungen führende 1,3- Wechselwirkung von axialen Substituenten vermie-
den wird (siehe Abschnitt 5.5).
Pfeile weisen auf 1,3-Interaktion
1,3-Interaktion der
H OH
axialen Gruppen hin 6 CH OH
6 2 1
CH2OH
HO 4 5 O 5 H
Ringinversion O
H H OH
H
HO H
2 1 OH H 4 3 2
3
OH H
H OH
H OH
1,3-Interaktion
4 1
C1-Konformation 4C -Konformation
der β-D-Glucopyranose der β-D-Glucopyranose

H H
6 CH OH
6 2 1
CH2OH
HO 4 5 O 5 OH
Ringinversion O
H OH
H
H
HO H
3 2 1 H H 4 3 2
OH H
H OH
OH OH
4 1
C1-Konformation 4C -Konformation
der α-D-Glucopyranose der α-D-Glucopyranose
804 21 Kohlenhydrate

In der 4C1-Konformation der β-D-Glucopyranose stehen sowohl die sperrige –CH2OH-


Gruppe, als auch alle OH-Gruppen äqatorial, so daß 1,3-Wechselwirkungen dieser Gruppen
nicht vorliegen. Dieses Konformer ist daher sehr stabil.
Die äquatoriale Anordnung aller Gruppen stellt eine ideale Konformation dar. Diese op-
timale Konformation liegt nur in Form des 4C1-Konformers bei der β-D-Glucopyranose vor.
Bei anderen Hexosen ist eine solche äquatoriale Anordnung aller Gruppen nicht möglich.
Das 4C1-Konformer der β-D-Glucopyranose ist energiereicher und weniger stabil als das 4C1-
Konformer, denn es liegen in dieser Konformation mehrere 1,3-Wechselwirkungen vor, die
Spannungen im Ring verursachen. Die β-D-Glucopyranose nimmt deshalb die energieärmere
und stabilere 4C1-Konformation ein. Die α-D-Glucopyranose liegt ebenfalls mit einem hohen
Anteil in der 4C1-Konformation vor. Auch andere Aldopyranosen bilden überwiegend diese
Konformation.
Eine Ausnahme bildet die α-D-Idopyranose, bei der die 4C1-Konformation bevorzugt
wird.
OH H
6 CH OH
6 2 1
CH2OH
H 4 5 O 5 OH
OH O
H
H
H H OH
2 1 H HO 4 3 2
3
H HO
OH H
OH H
4 1
C1-Konformation der 4C -Konformation der
α-D-Idopyranose α-D-Idopyranose
In der 4C1-Konformation der α-D-Idopyranose ist zwar die sperrige –CH2OH-Gruppe
äquatorial angeordnet, dafür stehen aber die Hydroxygruppen in dieser Konformation axial
und es besteht eine 1,3-Wechselwirkung dieser Gruppen. In der 4C1-Konformation der α-D-
Idopyranose entfällt die 1,3-Interaktion der OH-Gruppen und sie ist trotz der axialen
–CH2OH-Gruppe energieärmer und somit die bevorzugte Konformation.
Die Konformation des Sechsringes bedingt die äquatoriale bzw. axiale Anordnung der
Substituenten in Pyranosen und hat damit Einfluß auf die Reaktivität des Zuckers, z.B. lassen
sich äquatoriale Gruppen leichter verestern als axiale.
21.3.4.5 Die Mutarotation
Löst man die reine α-D-Glucopyranose in Wasser und mißt sofort die optische Drehung, so
25°C
stellt man einen Wert von [ α ]D = + 112° fest (spezifische Drehung siehe Abschnitt 8.2.1).
Wiederholte spätere Messungen zeigen, daß dieser Wert abnimmt, bis ein Wert von
[ α]D25°C = + 52,7° erreicht wird, der sich dann im weiteren zeitlichen Verlauf nicht mehr
ändert. Zu dem gleichen Endwert gelangt man auch, wenn man die β-D-Glucopyranose in
25°C
Wasser löst, die bei der Anfangsmessung einen Wert von [ α]D = + 18,7° hat.
Beide Lösungen, die der α-D-Glucopyranose ebenso wie die der β-D-Glucopyranose, än-
25°C
dern im zeitlichen Verlauf ihre Werte, bis der Wert [ α]D = + 52,7° erreicht wird, der sich
21.3 Aldosen 805

weiter nicht ändert. Der Vorgang kann durch saure oder basische Katalyse beschleunigt
werden. Diesen Vorgang, bei dem die Anomere in Lösung ihre optischen Drehwerte bis zum
Erreichen eines konstanten Wertes verändern, bezeichnet man als Mutarotation (lat. mutare
= verändern, verwandeln).
Die Mutarotation kann damit erklärt werden, daß die Halbacetalbildung, die von der of-
fenkettigen Glucose zur Glucopyranose führt, umkehrbar ist. In wässeriger Lösung kann das
α-Anomer über die offenkettige Form des Zuckers in das β-Anomer übergehen und umge-
kehrt.
H H H
CH2OH CH2OH H CH2OH
HO O HO O HO O
H H H
H H H
HO HO HO
H O OH
OH OH C OH
H H H
OH H H
α-D-Glucopyranose D-Glucose β-D-Glucopyranose
36,4 % 0,003 % 63,6 %
In wäßriger Lösung stellt sich ein chemisches Gleichgewicht ein, bei dem die Konzentra-
tion des α- und β-Anomers konstant bleibt. Dies erklärt auch den bei der Mutarotation er-
langten konstanten optischen Drehwert. In diesem chemischen Gleichgewicht liegen die
beiden Anomere in unterschiedlicher Konzentration vor, da die schon im Molekül vorhande-
nen asymmetrischen Zentren den räumlichen Ablauf der Reaktion beeinflussen (asymmetri-
sche Induktion siehe Abschnitt 8.9.2) und außerdem die beiden Anomere nicht gleich stabil
sind (das β-Anomer ist stabiler, da alle Substituenten äquatorial stehen). Der Stoffmengenan-
teil des α-Anomers beträgt 36,4 %, der des β-Anomers 63,6 %.
Es wäre in diesem Zusammenhang noch die Frage zu klären, wie es möglich ist, aus einer
Lösung, in der ja beide Anomere vertreten sind, nur das α- bzw. das β-Anomer in kristalliner
Form zu erhalten. Die Anomere sind Diastereomere, die sich in ihren Eigenschaften unter-

[Grad]
110 α-Anomer neutrale wäßrige Lösung
100 c (HCl) = 0,04 mol L-1
c (NaOH) = 0,008 mol L-1
80

60
+ 52,7°
40

20 β-Anomer

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
[Stunden]

Bild 21.5 Die Mutarotation in neutraler wäßriger Lösung und bei saurer und basischer Katalyse
806 21 Kohlenhydrate

scheiden, auch in der Löslichkeit. Das weniger lösliche Anomer kristallisiert zuerst aus und
wird, da es nicht mehr gelöst ist, dem Massenwirkungsgesetz entsprechend laufend nachge-
bildet, so daß man Kristalle nur des einen Anomers erhält. Läßt man z.B. das Gemisch der
beiden anomeren Glucopyranosen aus Wasser oder Eisessig auskristallisieren, erhält man das
β-Anomer, aus Methanol das α-Anomer.

21.4 Ketosen
2-Ketozucker mit D-Konfiguration, zu denen auch die wichtigste Ketose, nämlich die D-Fruc-
tose zählt, zeigt die nachfolgende Übersicht.

2-Ketosen mit D-Konfiguration


CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH

C O C O C O C O

CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH

D (-)-Tagatose D (+)-Sorbose D (-)-Fructose D (+)-Psicose

CH2OH CH2OH

C O C O

CH2OH CH2OH

D (-)-Xylulose D (-)-Ribulose

CH2OH

C O

CH2OH

D (-)-Erythrulose
21.4 Ketosen 807

21.4.1 D(–)-Fructose
Die D(–)-Fructose (lat. fructus = Frucht), auch als Fruchtzucker oder Lävulose bekannt, ist in
freier Form in Früchten enthalten und ist, an Glucose gebunden, Bestandteil des Disaccharids
Saccharose (Rübenzucker). Der Name Lävulose rührt daher, daß dieser Zucker linksdrehend
ist (lat. laevis = links). Die Fructose ist der süßeste natürlich vorkommende Zucker. In
Früchten ist die Fructose neben Glucose anzutreffen, nur in Tomaten und einigen exotischen
Früchten ist als Zucker nur Fructose enthalten.
D-Fructose kann man durch Hydrolyse der Saccharose gewinnen. Man hydrolysiert die
Saccharose mit Salzsäure und gibt gepulvertes Calciumhydroxyd zur Lösung. Die Glucose
bleibt in Lösung, wogegen die Fructose als Calciumfructosat C6H12O6·Ca(OH)2·H2O (unlös-
lich) ausgefällt wird. Nach Abfiltrieren wird der Rückstand mit Wasser versetzt und die
Fructose durch Einleiten von CO2 aus dem Komplex freigesetzt. Das beim Einleiten gebilde-
te Calciumcarbonat bleibt beim Filtrieren als Rückstand am Filter und die Fructose-Lösung
wird im Vakuum eingedampft.

21.4.1.1 Die cyclischen Halbketalformen der Fructose


Ketosen bilden cyclische Halbketale in Form von Pyranosen oder Furanosen. Die D-Fructose
kann durch Ringschluß zum Sechsring beide Anomere, die α-D-Fructopyranose und die β-D-
Fructopyranose, bilden.
H 1CH2OH H
6 1 2 6
H O CH2OH C O H O OH
H 3 H β
5 OH 2 HO C H 5 OH 2
H α H
OH 4
OH
4 3 H C OH OH
4 3 1CH2OH
OH H 5 OH H
H C OH
α-D-Fructopyranose β-D-Fructopyranose
Haworth-Formel H C OH Haworth-Formel
H
H OH
D-Fructose β
Fischer-Projektion H
H 2
5 1
HO 6 O 6 CH2OH
OH O
H
H
H H 1 OH
3 CH2OH H 5 4 3
4
H 2α HO
OH H
OH OH
α-D-Fructopyranose β-D-Fructopyranose
Konformationsformel Konformationsformel
Die D-Fructose kann durch Ringschluß auch einen Fünfring ausbilden, wobei die α-D-
Fructofuranose und die β-D-Fructofuranose entstehen können.
Die Fructofuranose ist als Baustein der Glycoside bekannt, und sie ist auch Bestandteil
der Saccharose. In wäßriger Lösung stellt sich ein Gleichgewicht ein, in dem ein Gemisch
der Fructofuranose und Fructopyranose im Verhältnis 3 : 7 vorliegt.
808 21 Kohlenhydrate

6 1 1CH2OH 6
HOCH2 CH2OH 2 HOCH2 OH β
O C O O
5 H OH 2 3 5 H OH 2
HO C H
H 4 3 OH α 4 H 4 3 CH2OH
H C OH 1
OH H OH H
5
H C OH
α- D-Fructofuranose 6 β- D-Fructofuranose
Haworth-Formel H C OH Haworth-Formel
H

6 D-Fructose
6
HOCH2 Fischer-Projektion HOCH2
5 O 5 O
H OH H OH
1
H
3 CH2OH
H β OH
4 4 3
HO H 2 α HO H 2
OH 1 CH2OH
α- D-Fructofuranose β- D-Fructofuranose
Konformationsformel Konformationsformel

21.5 Derivate der Monosaccharide

21.5.1 Desoxyzucker

In den Desoxyzuckern ist, wie schon der Name andeutet, eine OH-Gruppe durch H ersetzt.
Es gibt auch Didesoxyzucker, die in herzwirksamen Glycosiden vorkommen, in welchen
zwei OH-Gruppen durch H ersetzt sind.

21.5.1.1 Desoxyribose
Die 2-Desoxyribose ist zweifelsohne mit Abstand der wichtigste Desoxyzucker. Die 2-Des-
oxy-β-D-ribofuranose ist der Zuckerbaustein der Desoxyribonucleinsäuren.
H O
C

H C H HOCH2 OH
O
H C OH H H

H C OH H H
OH H
CH2OH
2-Desoxy-D-ribose 2-Desoxy-β-D-ribofuranose
21.5 Derivate der Monosaccharide 809

21.5.1.2 L-Rhamnose und L-Fucose


Die L-Rhamnose (Rhamnaceae = bot. Bezeichnung für Kreuzdornarten) und die L-Fucose
(lat. fucus und griech. phykos = Tang) sind als Zuckerkomponenten in Glycosiden enthalten.
Sie gehören zu den wenigen Zuckern mit L-Konfiguration, die in Naturstoffen vorkommen.

H O H O
C H C H
H C OH OH O OH HO C H H O OH
CH3 CH3
H C OH H H H C OH H OH
HO C H H H H C OH OH H

HO C H OH OH HO C H OH H

CH3 CH3
L-Rhamnose α-L-Rhamnopyranose L-Fucose α-L-Fucopyranose

21.5.2 Aminozucker

In Aminozuckern befindet sich anstelle einer Hydroxygruppe eine Aminogruppe. Tritt die
Aminogruppe an die Stelle der an das anomere C-Atom gebundenenen Hydroxygruppe,
wird die Verbindung Glycosylamin benannt. Steht im Zucker eine Aminogruppe anstelle
einer anderen Hydroxygruppe, bezeichnet man die Verbindung als Aminodesoxyzucker.
D-Glucosamin und D-Galactosamin sind Bausteine biologisch wichtiger Polysaccharide.
Glucosamin, Galactosamin und Mannosamin (2-Amino-2-desoxy-D-mannose) sind Trivial-
namen.

H O H O
C CH2OH C CH2OH
CH2OH

H O NH2 H C NH2 H O H H C NH2 OH O H


H H H
OH H HO C H OH H HO C H OH H
OH H OH OH H OH
H C OH HO C H
H OH H NH2 H NH2
H C OH H C OH

CH2OH CH2OH

β-D-Gluco- D-Glucosamin α-D-Glucosamin D-Galactosamin α-D-Galactosamin


pyranosylamin (2-Amino-2-des- (2-Amino-2-des- (2-Amino-2-des- (2-Amino-2-
oxy-D-glucose) oxy-α-D-glucopy- oxy-D-galactose) desoxy-α-D-ga-
ranose) lactopyranose)

Als Muraminsäure bezeichnet man den Milchsäureether des D-Glucosamins. Ein häufiger
Baustein der Bakterienzellwände ist die N-Acetylmuraminsäure (lat. murus = die Wand).
810 21 Kohlenhydrate

CH2OH CH2OH

H O OH COOH H O OH COOH
H H
O R H H C =R O R H H C =R
H H
OH CH3 OH CH3
O
H NH2 H
NH C CH3
Muraminsäure N-Acetylmuraminsäure
Ein Bestandteil der Glycoproteine und Glycolipide ist die N-Acetylneuraminsäure. Ihre
Biosynthese erfolgt über 2-Phosphoenolpyruvat1 (siehe Abschnitt 21.6.7.6) und N-Acetyl-
mannosamin-6-phosphat.

7
1COOH H C OH
8
2 Brenz-Trauben- R= H C OH
C O säure- Anteil 9
3 CH2OH
CH2 O H
4 6 1
O H C OH H3C C NH O COOH
5 R
H3C C NH C H 5 H H 2
6 OH
HO C H N-Acetyl- H
4 3
7 mannos-
H C OH amin-Anteil OH H
8 Ringform
H C OH
9
CH2OH N-Acetylneuroaminsäure
offenkettige Form

21.5.3 L-(+)-Ascorbinsäure (Vitamin C)


Die L-Ascorbinsäure wird in Pflanzen und Tieren in einem mehrstufigen Prozeß aus D-Glu-
cose synthetisiert. Die Fähigkeit zu dieser Biosynthese fehlt beim Menschen, Affen und
Meerschweinchen. Sie ist diesen wahrscheinlich vor Jahrmillionen durch eine Genmutation
abhanden gekommen.
Die L-Ascorbinsäure hat zwei hervorstechende Strukturmerkmale: sie hat einen γ-Lacton-
Ring (ringförmiger Ester, der Sauerstoff des fünfgliedrigen Heterocyclus ist an das zur Keto-
gruppe γ-ständige C-Atom gebunden) und eine Endiol-Gruppierung.
Die sicher unübliche Endiol-Form ist relativ stabil. Die Erklärung liegt darin begründet,
daß sich die C=C-Doppelbindung zur Doppelbindung der Carbonylgruppe in Konjugation
befindet und eine Mesomeriestabilisierung vorliegt, zum anderen wird diese Struktur, wie
aus der Haworth-Formel zu ersehen ist, durch Wasserstoffbrückenbindungen gefestigt. Die
Bildung des fünfgliedrigen γ-Lactonringes aus γ-Hydroxycarbonsäuren erfolgt spontan auch
ohne saure Katalyse.
1
Ester und Salze der Brenztraubensäure (2-Oxopropansäure) werden als Pyruvate bezeichnet.
21.5 Derivate der Monosaccharide 811

6
1 CH2OH
O C 5
2 α H C OH
HO C O 1
O 4 O
3 β
HO C
H 3 2
4 γ
H C O O H
5 H
HO C H

CH2OH
L-Ascorbinsäure L-Ascorbinsäure
(Fischer Projektion) (Haworth-Formel)
Die L-Ascorbinsäure ist sauer, was darauf zurückzuführen ist, daß die am C3 befindliche
Hydroxygruppe des Endiols leicht deprotoniert. Das hierbei gebildete Anion ist mesomerie-
stabilisiert.

CH2OH CH2OH CH2OH

H OH H OH H OH
O -H O O
O O O
+H
H H H
H O OH O OH O OH

Die L-Ascorbinsäure wird unter physiologischen Bedingungen reversibel zur L-Dehydro-


ascorbinsäure oxidiert. Sie kann als biologisches Redoxsystem und als Wasserstoffüberträger
wirksam sein. Die Hydrolyse unter Ringöffnung des Lactons zur Diketogulonsäure ist eine
irreversible Reaktion.
O O O OH
1 1 1
C C C
2 α 2 α 2 α
HO C CO O C
O -2H O
3 β 3 β H2O 3 β
HO C O C O C
2H
4 γ 4 γ 4 γ
H C H C H C OH
5 5 5
HO C H HO C H HO C H
6CH OH 6 CH OH 6 CH OH
2 2 2
L-Ascorbinsäure L-Dehydroascorbinsäure L-Diketogulonsäure

Vitamin C steigert die Aktivität mancher Enzyme, es ist unentbehrlich für die Bildung
und Erhaltung der Funktionstüchtigkeit des Binde-, Knorpel- und Knochengewebes (siehe
Abschnitt 24.7.1.2) und wichtig für die blutbildenden Organe. Es stärkt die Resistenz gegen
Infektionskrankheiten, steigert die Abwehrmechanismen und inaktiviert Toxine. Bei Vita-
min-C-Mangel tritt eine als Skorbut bekannte Erkrankung auf. Sie äußert sich durch Kräfte-
verfall, Blutungen der Haut und des Zahnfleisches, Ausfallen der Zähne usw. Der Vitamin-
812 21 Kohlenhydrate

C-Mangel läßt sich beheben, indem man frisches Obst und Gemüse ißt oder Zitronensaft
trinkt. Der Tagesbedarf an Vitamin C beträgt ca. 75 mg.
Vitamin C wird in hunderten Tonnen pro Jahr synthetisch hergestellt. Der Ausgangsstoff
für die Synthese ist die D-Glucose, welche durch katalytische Hydrierung am CuCrO2-
Katalysator unter Druck zum D-Sorbit reduziert wird. Dieses wird mit Hilfe von Acetobacter
xylinum zu L-Sorbose umgesetzt. Am Platinkontakt wird die Sorbose mit Sauerstoff oxidiert,
worauf die sauer katalysierte Lactonbildung zur L-Ascorbinsäure erfolgt.
CHO CH2OH 6CH OH 1CH OH 1COOH
2 2
6CH OH
2 2 2
5 O O Lactoni-
Aceto- sierung, 5
H2/ bacter- 4 um 180° 3 3 Enoli- H OH
CuCrO2 xylinum O2/Pt sierung O 1
drehen: 4 O
3 4 4
5 5 H 3 2
2 O HO OH
CH2OH CH2OH 1CH OH 6 CH OH 6CH OH
2 2 2
D-Glucose D-Sorbit L-Sorbose L-Sorbose L-Ascorbinsäure

Anmerkung. Die Enolisierung zum Endiol erfolgt durch die Keto-Enol-Tautomerie, wobei
aus der C–H-Gruppierung des zur Carbonylgruppe α-ständigen C-Atoms H+ abgespalten
wird. Dieses wird vom Sauerstoff der Carbonylfunktion gebunden:

O C H O C

H O C H H O C

21.6 Reaktionen der Monosaccharide


Einige Reaktionen der Zucker erfolgen als offenkettige Zucker, obwohl die Zucker in wäßri-
ger Lösung zum weitaus überwiegenden Teil als Halbacetal in Ringform vorliegen. Dies ist
deshalb möglich, weil der offenkettige Zucker und seine Ringform sich in einem chemischen
Gleichgewicht befinden und die offenkettige Form bei ihrer Umsetzung, dem Massenwir-
kungsgesetz entsprechend, laufend nachgebildet wird.

21.6.1 Reaktionen der Zucker als α-Hydroxycarbonylverbindungen

21.6.1.1 Osazonbildung
Die Zucker haben eine Carbonylfunktion und können deshalb mit Phenylhydrazin reagieren
(siehe Abschnitt 13.4.3.5). Die Reaktion (Edukte in 25 %iger CH3COOH gelöst und 30 min
auf 100°C erhitzt) bleibt bei einem Überschuß an Phenylhydrazin nicht beim Phenylhydra-
zon stehen, sondern der Zucker reagiert zum Osazon (Bisphenylhydrazon) weiter, das sich
als gelbe, kristalline Substanz abscheidet. An der Reaktion sind drei Äquivalente Phe-
21.6 Reaktionen der Monosaccharide 813

nylhydrazon beteiligt, ein Äquivalent Phenylhydrazin wird reduktiv unter Aufnahme von
Wasserstoff zu Ammoniak und Anilin gespalten. Beachtenswert an dieser Reaktion ist, daß
nur das zur Carbonylfunktion α-ständige Kohlenstoffatom mit an der Reaktion beteiligt ist,
nicht aber weitere Kohlenstoffatome des Zuckermoleküls. Der Reaktionsmechanismus ist
noch nicht vollständig geklärt.
H O H O
C + H2N NH C6H5 C6H5 HN NH2 + C

H C OH HO C H

HO C H HO C H

H C OH H C OH

H C OH H C OH

H C OH D-Glucose D-Mannose H C OH

H H
H2N C6H5
+
- H2O - H2O
NH3 C6H5 C6H5
C6H5
+
H N NH H N NH H N NH
C C C

H C OH C N NH HO C H
C6H5 C6H5
HO C H HO C H C6H5 HO C H
2 H2N NH 2 H2N NH
H C OH H C OH H C OH
- H2O - H2O
H C OH H C OH H C OH

H C OH H C OH H C OH

H H H

D-Glucosephenylhydrazon Osazon D-Mannosephenylhydrazon

Epimere Aldosen, die sich nur am asymmetrischen Zentrum unterscheiden, das in α-Stel-
lung zur Carbonylfunktion steht, geben das gleiche Osazon. Zum Beispiel erhält man aus der
D-Glucose und der D-Mannose das gleiche Osazon. Die D-Fructose bildet ebenfalls dieses
Osazon. Die Osazonbildung leistete bei der Bestimmung der Konfigurationen von Zuckern
wertvolle Dienste. Im Unterschied zu den Zuckern bilden Osazone leicht Kristalle und kön-
nen deshalb auch, soweit ihre Schmelztemperatur bekannt ist, zur Identifizierung von Zu-
ckern herangezogen werden.

21.6.1.2 Die Lobry-de-Bruyn-van-Ekenstein-Umlagerung


Verdünnte Alkalihydroxid-Lösungen bewirken eine über ein Endiol verlaufende Epimerisie-
rung von Aldosen und eine Isomerisierung von Aldosen und 2-Ketosen. Löst man z.B.
Glucose in verdünnter Natronlauge, so finden zum einen eine Isomerisierung zwischen D-
814 21 Kohlenhydrate

Glucose und D-Fructose und zum anderen eine Epimerisierung zwischen D-Glucose und D-
Mannose statt. Es stellt sich ein Reaktionsgleichgewicht ein, bei dem alle drei Zucker neben-
einander im Reaktionsgemisch vorliegen, wobei die D-Glucose mengenmäßig überwiegt.
H O
C

H C OH

HO C H

H C OH

H C OH H
H OH

H C OH C H C OH

H C OH C O

D -Glucose HO C H HO C H
Epimerisierung
H C OH H C OH
H O
H C OH H C OH
C
H C OH H C OH
HO C H
H H
HO C H
Endiol D -Fructose
H C OH

H C OH

H C OH

H
D -Mannose

Die Epimerisierung bzw. Isomerisierung finden auf Grund einer basenkatalysierten Aus-
bildung eines Tautomeriegleichgewichtes zwischen dem α-Hydroxyaldehyd bzw. dem α-
Hydroxyketon und dem Endiol statt. Die Endiolbildung sieht wie folgt aus:

H O H O H O H
C C H H C
- H2O O
H O H C OH C C + OH
R OH R OH
R
Aldose Endiol

Die Rückreaktion führt zu einem Epimerenpaar:


21.6 Reaktionen der Monosaccharide 815

H O
C
+ OH
H O H O H H O H O C
C C C H OH
R
C C C
R OH R OH R OH
H O
H C
+ OH
H O C
HO H
R

Findet beim Endiol die Deprotonierung an der am C2 gebundenen Hydroxygruppe statt,


so wird ein 2-Ketozucker gebildet.

H
O
H O H H O H H O H
C C C H H H C H
O + O H
C C C C
R O H O H R O R O R O

Ketose

21.6.2 Reaktionen mit Säuren und starken Basen

21.6.2.1 Retroaldolisierung mit wäßriger Alkalihydroxid-Lösung


Die Aldolbildung (siehe Abschnitt 13.4.7.2) ist ein umkehrbarer Vorgang. Mit konzentrierter
Natron- oder Kalilauge erfolgt bei Monosacchariden eine zur Aldolbildung entgegengesetzte
Reaktion, die Retroaldolisierung, die zur Spaltung des Zuckermoleküls führt.

H O H O H O H O H O
C C C C C

H C OH H C OH C C H C OH
H OH H OH
H O C H O C H + + + H

R R O H H H O H
O H
+ H2O C O C + OH
R R

21.6.2.2 Dehydratisierung mit Mineralsäuren


Die Monosaccharide werden mit Mineralsäuren unter Bildung von ungesättigten cyclischen
Ethern dehydratisiert.
816 21 Kohlenhydrate

So werden z.B. die in der Kleie enthaltenen Pentosen mit verdünnter Schwefelsäure zu
Furfural umgesetzt:
H H
C C H
HO OH H ,Δ
H H - 3 H2O C
C C O
H O
H C
O H OH O

Pentose Furfural
Läßt man konzentrierte Schwefelsäure auf einen Zucker einwirken, wird dieser dehydra-
tisiert. Zunächst tritt eine Braunfärbung ein, bis schließlich eine Verkohlung des Zuckers
erfolgt.

21.6.3 Einführung von Schutzgruppen

Die Einführung von Schutzgruppen in Zuckern dient dazu, die reaktiven funktionellen Grup-
pen (Formylgruppe, Ketogruppe oder Hydroxygruppen) bei chemischen Reaktionen zu
schützen.
Benachbarte cis-ständige OH-Gruppen können mit Aceton bei saurer Katalyse mit
Schwefelsäure in Isopropyliden-Derivate umgewandelt werden. Die Isopropyliden-Gruppie-
rung entspricht einem Vollacetal und ist deshalb in neutralem und basischen Medium bestän-
dig. Das Acetal kann säurekatalysiert hydrolysiert werden, so daß nachher wieder freie Hyd-
roxygruppen vorliegen.
Die D-Glucose reagiert mit Aceton bevorzugt als α-D-Glucofuranose. In dieser Konfigu-
ration des Zuckers werden sowohl die günstig zueinander in eclipsed-Form stehenden
cis-ständigen OH-Gruppen in 1,2-Stellung und außerdem noch die beiden OH-Gruppen in
Stellung 5 und 6 in die Reaktion einbezogen, und es entsteht die 1,2,5,6,-Di-O-isopropyli-
den-α-D-glucofuranose.

H3C H3C O CH2


HO CH2
C O C
H3C HO CH H H3C O CH H
O O
OH H OH H
H
H OH H O + 2 H2O
H OH O H O
C CH3
C CH3
CH3
CH3
α-D-Glucofuranose 1,2,5,6-Di-O-isopropyliden-
α-D-glucofuranose
Möchte man die Ringöffnung des Zuckers und eine nachfolgende Reaktion der Formyl-
gruppe, z.B. ihre Oxidation, verhindern, überführt man den Ringzucker, der ja ein Halbacetal
21.6 Reaktionen der Monosaccharide 817

darstellt, in das Vollacetal, das bei Zuckern als Glycosid bezeichnet wird (Glycoside siehe
Abschnitt 21.6.9). In der Regel läßt man zu diesem Zwecke den Zucker mit einer methano-
lischen Chlorwasserstofflösung reagieren, wobei der Zucker in das Methylglycosid umge-
setzt wird. Z.B. wird α-D-Galactopyranose, die sich in der Lösung im Gleichgewicht mit der
anomeren β-D-Galactopyranose befindet, mit methanolischer HCl in Methyl-α-D-galacto-
pyranosid und Methyl-β-D-galactopyranosid verwandelt. Als Nebenprodukte treten auch
noch die beiden anomeren Galactofuranoside auf.
CH2OH CH2OH CH2OH CH3
O H Methanolische OH O H O O
OH OH
H HCl H H
OH H + CH3OH OH H und OH H
H OH H O H H
CH3
H OH H OH H OH + H2O
α-D-Galactopyranose Methyl-α-D-galacto- Methyl-β-D-galacto
pyranosid pyranosid
Das Methylglycosid ist in neutralem und basischen Medium beständig. Die nichtglycosi-
dischen Hydroxygruppen sind ungeschützt und können umgesetzt, z.B. oxidiert oder ver-
estert werden.

21.6.4 Oxidationsreaktionen der Zucker

21.6.4.1 Fehling- und Tollens-Probe


Aldozucker besitzen sowohl eine Formylgruppe als auch Hydroxygruppen, und man darf
deshalb annehmen, daß sie ähnlich wie Aldehyde oder Alkohole oxidiert werden können.
Nachweisreaktionen, die auf der Oxidation von Aldehyden beruhen, nämlich die Tollenssche
Probe und die Fehlingsche Probe lassen sich natürlich auch auf Aldozucker beziehen. Bei
der Tollensschen Probe (siehe Abschnitt 13.4.9.1) wird Ag+ in ammoniakalischer Lösung zu
metallischem Silber reduziert und schlägt sich an der Wandung des Reaktionsgefäßes als
Silberspiegel ab. Die Fehlingsche Probe (siehe Abschnitt 13.4.9.2) beruht auf der Reduzie-
rung von Cu2+ in verdünnter Natronlauge in Gegenwart von Seignettensalz zu rotem Cu2O.
Das Seignettensalz hat zwei benachbarte Hydroxygruppen, welche zur Komplexierung des
Cu2+-Ions dienen, damit im basischen Medium nicht Cu(OH)2 ausflockt. Die Zucker können
aber, da sie vicinale Hydroxygruppen aufweisen, ihrerseits als Komplexmittel dienen, so daß
kein Seignettensalz notwendig ist.
Läßt man den Zucker selbst als Komplexmittel wirken und setzt kein Seignettensalz ein,
spricht man von der Trommerschen Probe. Eine Oxidation der reduzierenden Zucker kann
auch durch Erwärmen mit alkalischer Bismutsalz-Lösung erfolgen, sie wird als Nylander-
Reaktion bezeichnet. Die beschriebenen Reaktionen finden alle im basischen Medium statt.
2-Ketozucker stehen im basischen Medium durch die Lobry-de-Bruyn-van-Eckenstein-Um-
lagerung mit den Aldosen im Reaktionsgleichgewicht, und deshalb erfolgt auch in diesem
Falle eine Oxidation der Zucker. Z.B. läßt sich die Fructose mit Fehlingscher Lösung oxidie-
ren. Zucker, die sich bei den angeführten Reaktionsbedingungen oxidieren lassen, bezeichnet
man als reduzierende Zucker. Nicht oxidieren lassen sich z.B. die Saccharose und Glycoside.
818 21 Kohlenhydrate

In diesen Fällen ist die Öffnung des Ringes im basischen Medium, da eine Vollacetal-Grup-
pierung vorliegt, nicht möglich. Vollacetale sind in basischem Medium auch gegen Oxi-
dationsmittel beständig.
In der Medizin wird die Fehlingsche Probe zum Nachweis von Glucose im Harn einge-
setzt.

21.6.4.2 Glyconsäuren
Bei der Fehlingschen Probe wird die Formylgruppe der Aldosen zur Carboxygruppe umge-
wandelt. Das Reaktionsprodukt wird allgemein als Glyconsäure, Aldonsäure oder einfach als
Onsäure bezeichnet. Die Oxidation mit Fehlingschem Reagens ist jedoch zur präparativen
Darstellung von Glyconsäuren ungeeignet, denn neben der Glyconsäure entstehen weitere
Produkte. Z.B. kann der Zucker bei der Umsetzung in Natronlauge durch Retroaldolisierung
gespalten werden. Zur Darstellung von Glyconsäuren verwendet man Bromwasser als mildes
Oxidationsmittel, die Lösung wird auf pH 5–6 gepuffert. Die D-Galactose wird auf diese
Weise in die D-Galactonsäure, die D-Glucose in die D-Gluconsäure und die D-Mannose in die
D-Mannonsäure umgesetzt. Neben der Carboxygruppe befinden sich noch Hydroxygruppen
im Molekül und beim Abdampfen des Wassers aus der Lösung (Einengen der Lösung) er-
folgt eine spontane Lactonbildung (ringförmiger Ester) zu einem γ-Lacton (heterocyclischer
Fünfring) oder einem δ-Lacton (heterocyclischer Sechsring)

H O HO O
C C

H C OH H C OH

HO C H Br2/H2O HO C H

HO C H - 2 HBr HO C H

H C OH H C OH

CH2OH CH2OH
D-Galactose D-Galactonsäure

H O HO O O
C C C

H C OH H C OH H C OH
Einengen der O
HO C H Br2/H2O HO C H Lösung HO C H
+ H2O
H C OH - 2 HBr H C OH H C

H C OH H C OH H C OH

H C OH H C OH H C OH

H H H
D-Glucose D-Gluconsäure D-Glucono-γ-lacton
21.6 Reaktionen der Monosaccharide 819

21.6.4.3 Glycarsäuren (Zuckersäuren)


Führt man die Oxidation mit einem stärkeren Oxidationsmittel und bei schonenden Bedin-
gungen durch, z.B. mit verdünnter Salpetersäure bei mäßigem Erwärmen, wird nicht nur die
Formylgruppe, sondern auch die primäre Alkoholfunktion oxidiert. Aus Aldosen entstehen
hierbei Polyhydroxydisäuren, die allgemein als Zuckersäuren, Aldarsäuren oder Glycarsäu-
ren bezeichnet werden. Z.B. erhält man aus der D-Glucose die D-Glucozuckersäure.
H O O OH
C C

H C OH H C OH

HO C H HNO3 HO C H

H C OH H C OH

H C OH H C OH

H C OH C
O OH
H
D-Glucose D-Glucozuckersäure, D-Glucarsäure

Aus D-Mannose erhält man bei den gleichen Reaktionsbedingungen die D-Mannozucker-
säure. Das Reaktionsprodukt der D-Galactose wird als Schleimsäure (eine Meso-Ver-
bindung, siehe Abschnitt 8.7.1) bezeichnet. Auch bei den Zuckersäuren erfolgt beim Ab-
dampfen des Wassers aus der Zuckersäurelösung eine spontane Lactonisierung. Da zwei
Carboxyfunktionen und mehrere Hydroxygruppen in der Zuckersäure vorhanden sind, kann
ein Dilacton gebildet werden.

21.6.4.4 Glycuronsäuren
Man kann die Formylgruppe einer Aldose durch Überführung in ein Vollacetal schützen,
dann die –CH2OH-Gruppe des Zuckers zur Carboxygruppe oxidieren und nach erfolgter
Oxidation die Schutzgruppe durch saure Hydrolyse abspalten. Das Produkt wird allgemein
als Glycuronsäure, Alduronsäure oder einfach als Uronsäure bezeichnet. Z.B. kann man die
α-D-Galactopyranose unter Säurekatalyse mit Aceton in das Diisopropylidenderivat umset-
zen, die –CH2OH-Gruppe oxidieren und die Schutzgruppen im sauren Medium abspalten.
Als Endprodukt erhält man die α-D-Galactopyranuronsäure (siehe Schema nächste Seite).
Das Derivat der D-Galactose, das anstelle der primären Alkoholgruppe eine Carboxy-
gruppe enthält, wird als D-Galacturonsäure bezeichnet, von der D-Glucose leitet sich die
D-Glucuronsäure und von der D-Mannose die D-Mannuronsäure ab. Die Glycuronsäuren
können Salze bilden, die man als Glycuronate bezeichnet.
Der menschliche Organismus vermag giftige hydroxyhaltige Substanzen aus dem Körper
zu entfernen, indem er diese mit D-Glucuronsäure zu entsprechenden Glycosiden umsetzt
(sogenannte „gepaarte“ Uronsäuren), die im Harn ausgeschieden werden können. D-Glucu-
ronsäuren sind auch Bestandteil der Glycosaminoglycane (siehe Abschnitt 21.8.2.3). Dies
sind Polysaccharide, die im Extrazellulärraum (außerhalb der Zelle gelegen) von Bindege-
webe, Knorpel und Haut zu finden sind.
820 21 Kohlenhydrate

CH2OH CH2OH

OH O H O O H
H Aceton/H H3C H Pt/O2
OH H C O H
H OH H3C H O
CH3
H OH H O C
α- D-Galactopyranose 1,2,3,4-Di-O-isopropyliden- CH3
α- D-galactopyranose

COOH COOH

O O H OH O H H3C
H3C H H /2 H2O H + 2 C O
C O H OH H
H3C O OH H 3C
H H
CH3
H O C H OH
1,2,3,4-Di-O-isopropyliden- CH3
α- D-galactopyranuronsäure α- D-Galactopyranuronsäure

In den im Pflanzenreich weitverbreiteten Pektinen und in Pflanzenschleimen ist vorwie-


gend D-Galacturonsäure enthalten. Ein Baustein von Polysacchariden der Braunalgen ist die
D-Mannuronsäure.

21.6.4.5 Die oxidative Spaltung von Zuckern mit Periodsäure


Vicinale (lat. vicinus = der Nachbar) Diole werden mit Periodsäure oxidativ gespalten (siehe
Abschnitt 10.7.7.3). In den Zuckern liegen Hydroxygruppen vor, die an benachbarten Koh-
lenstoffatomen gebunden sind, so daß auch bei ihnen oxidative Spaltungen mit Periodsäure
als Oxidans erfolgen. Zu berücksichtigen ist hierbei, daß die Carbonylgruppe der Zucker im
Gleichgewicht mit der hydratisierten Form ist, die ein geminales Diol (abgeleitet von lat.
gemini = Zwillinge, beide OH-Gruppen an einem C-Atom) darstellt.

OH
H O
C H C OH

H C OH + H2O H C OH

R R

Die Oxidation mit Periodsäure erfolgt z.B. am D-Glycerinaldehyd so, daß zunächst als
Spaltprodukte Ameisensäure und Glykolaldehyd entstehen. Glykolaldehyd wird in seiner
Hydratform weiter zu Ameisensäure und Formaldehyd oxidiert. Aus einem Äquivalent
D-Glycerinaldehyd werden als Spaltprodukte insgesamt zwei Äquivalente Ameisensäure und
ein Äquivalent Formaldehyd erhalten.
21.6 Reaktionen der Monosaccharide 821

OH
OH OH
OH C
H O C C
H O
C H C OH H O H O
+
H2O HIO4 + H2 O + HIO4
H C OH H C OH OH
- HIO3 H O OH - HIO3
CH2OH CH2OH - H 2O C - H 2O C
H C OH
H O
CH2OH
CH2OH +
H
C O
H
D-Glycerin- D-Glycerin- Ameisensäure + Ameisensäure + 2 Äquiv.
aldehyd aldehydhydrat Glykolaldehyd Glykolaldehyd- Ameisens. +
hydrat Formaldehyd
Bei der oxidativen Spaltung der Zucker mit Periodsäure werden die Formylgruppe und
die H–C–OH-Gruppe zu Ameisensäure, die Ketogruppe zu CO2 und die –CH2OH-Gruppe zu
Formaldehyd oxidiert. Zur Spaltung einer C–C-Bindung wird dabei ein Molekül Periodsäure
verbraucht.
Zum Beispiel erhält man bei der oxidativen Spaltung eines Äquivalents D-Ribose mit
Periodsäure 4 Äquivalente Ameisensäure und 1 Äquivalent Formaldehyd, bei Spaltung der
D-Fructose 1 Äquivalent CO2, 2 Äquivalente Formaldehyd und 3 Äquivalente Ameisensäure.
H
C O
HCOOH H +
CH2OH
H O + CO2
C HCOOH C O +
+ HCOOH
H C OH HO C H +
4 HIO4 HCOOH 5 HIO4 HCOOH
H C OH + H C OH
- 4 HIO3 - 5 HIO3 +
H C OH HCOOH H C OH HCOOH
H + H +
CH2OH C O CH2OH C O
H H
D-Ribose D-Fructose

Bei der Ermittlung der Struktur der Zucker leistete die oxidative Spaltung mit Period-
säure wertvolle Dienste.

21.6.5 Reduktion der Monosaccharide


Die Carbonylfunktion in Monosacchariden kann man mit Natriumborhydrid (Natriumboranat
NaBH4) oder mittels katalytischer Hydrierung reduzieren. Die Reaktion mit Natriumborhy-
drid kann in wäßriger oder methanolischer Lösung erfolgen. Die Reduktionsprodukte sind
Polyole, die allgemein als Aldite bezeichnet werden. Aus D-Mannose erhält man D-Mannit,
aus D-Galactose Dulcit (eine Meso-Verbindung) und aus D-Ribose Ribit. Das Reduktions-
822 21 Kohlenhydrate

produkt der D-Glucose wird als D-Sorbit bezeichnet. Durch Reduktion von Ketosen entstehen
Epimerenpaare, da die Reduktion der Carbonylgruppe im Zucker ein neues asymmetrisches
Zentrum entstehen läßt. Z.B. wird bei der Reduktion der D-Fructose sowohl D-Sorbit als auch
D-Mannit gebildet.

CH2OH CH2OH CH2OH

C O H C OH HO C H

HO C H HO C H HO C H
Pt/H2
und
H C OH H C OH H C OH

H C OH H C OH H C OH

CH2OH CH2OH CH2OH


D-Fructose D-Sorbit D-Mannit

D-Sorbit kommt in verschiedenen Früchten vor (Birnen, Äpfel, Pflaumen). D-Sorbit und
D-Mannit werden als Zuckeraustauschmittel in diätetischen Lebensmitteln verwendet.

21.6.6 Abbau der Monosaccharide

Der Abbau von Monosacchariden kann mit der Methode nach Ruff oder nach Wohl erfolgen,
wobei die Kohlenstoffkette von Aldosen um ein Kohlenstoffatom verkürzt wird. Diese Ab-
bau-Reaktionen haben bei der Strukturaufklärung der Zucker eine wichtige Rolle gespielt.

21.6.6.1 Ruff-Abbau
Beim Ruff-Abbau wird die Aldose zunächst zur Aldonsäure oxidiert und diese in das Cal-
cium-Salz umgesetzt. Mit H2O2 erfolgt in Gegenwart von Fe3+ eine oxidative Decarboxylie-
rung, wobei unter gleichzeitiger Abspaltung von Calciumcarbonat und CO2 eine um ein
Kohlenstoffatom ärmere Aldose gebildet wird. Als Beispiel wird der Ruff-Abbau der D-Ery-
throse gezeigt:
H O O OH O O Ca 2
H O
C C C
2 Br2, H2O2, C
H C OH 2 H2O H C OH CaCO3 H C OH Fe3
2 2 2 H C OH
- 4 HBr - CO2 - CaCO3
H C OH H C OH - H O H C OH - H2O
2 CH2OH
- CO2
CH2OH CH2OH CH2OH
2
D-Erythrose D-Erythronsäure Calcium-D- D-Glycerin-
Erythronat aldehyd
21.6.6.2 Wohl-Abbau
Im Prinzip handelt es sich beim Wohl-Abbau um die Umkehrung der Kiliani-Fischer-Synthese
(siehe Abschnitt 21.3.1). Die Aldose wird zunächst in das entsprechende Oxim umgesetzt
(siehe Abschnitt 13.4.3.4). Dieses reagiert mit Acetanhydrid und Pyridin zum Penta-acetat,
21.6 Reaktionen der Monosaccharide 823

das aus der Oximacetat-Gruppe HC=N–OCOCH3 spontan Essigsäure abspaltet. In einer me-
thanolischen Natriummethanolatlösung erfolgt eine Umesterung des Polyacetatesters, und es
entsteht das Cyanhydrin des Monosaccharids. Das Cyanhydrin befindet sich mit der Aldose im
chemischen Gleichgewicht (siehe Abschnitt 13.4.1.1). Bei Abspaltung von HCN wird die
Kohlenstoffkette um ein Kohlenstoffatom gekürzt, das Endprodukt ist eine um ein Koh-
lenstoffatom ärmere Aldose. Als Beispiel folgt der Wohl-Abbau der Ribose:

H O H N OH H N OCOCH3
C C C

H C OH NH2OH H C OH 5 (H3C CO)2O H C OCOCH3

H C OH
- H2O Pyridin, 100 °C Δ
H C OH H C OCOCH3
- 5 CH3COOH - CH3COOH
H C OH H C OH H C OCOCH3

CH2OH CH2OH CH2OCOCH3


D -Ribose D -Riboseoxim D -Riboseoxim-
N N pentaacetat

C C
H O
H C OCOCH3 CH3OH/ H C OH C
CH3O Na
H C OCOCH3 H C OH H C OH + H C N
- 4 CH3COOCH3
H C OCOCH3 H C OH H C OH

CH2OCOCH3 CH2OH CH2OH

D -Erythrosecyan- D -Erythrose- D -Erythrose


hydrintetraacetat cyanhydrin

21.6.7 Ester und Ether der Monosaccharide

21.6.7.1 Acetate
Für die Acetylierung von Monosacchariden verwendet man gewöhnlich Acetanhydrid in Ge-
genwart eines Katalysators. Als Reaktionsprodukte erhält man Acetylpyranoside, bei wel-
chen auch die Hydroxygruppe am anomeren C-Atom acetyliert wurde. Welches Anomer
überwiegend gebildet wird, hängt vom Edukt und dem Katalysator ab.
Mit sauren Katalysatoren (konz. Schwefelsäure, Perchlorsäure, Zinkchlorid und saure
Ionenaustauscher) und Acetanhydrid erhält man sowohl aus der α- als auch aus der β-D-Glu-
copyranose die vollacetylierte α-O-Acetylverbindung, nämlich die 1,2,3,4,6-Penta-O-acetyl-
α-D-glucopyranose (das O bedeutet, daß der Acetylrest an Sauerstoff gebunden ist). Bei glei-
chen Reaktionsbedingungen entstehen auch mit anderen Zuckern vollacetylierte Produkte.
Bei der Acetylierung von D-Galactose und D-Xylose erhält man α-O-Acetylverbindungen,
während D-Mannose und D-Arabinose β-O-Acetylverbindungen bilden. Nimmt man als Ka-
talysator das basisch wirkende Natriumacetat, so erhält man aus D-Glucose die voll-
acetylierte β-O-Acetylverbindung.
824 21 Kohlenhydrate

CH2OAc
CH2OH O
H H
H O H H /(CH3CO)2O H
H OAc H α
OH H O Ac
OAc
OH OH
H OAc
H OH 1,2,3,4,6-Penta-O-acetyl-
-α- D-glucopyranose

CH2OH
CH2OAc
H O OH
CH3COO Na H O O Ac
H
OH H (CH3CO)2O H
OAc H β
OH H
OAc H
H OH
H O Ac
1,2,3,4,6-Penta-O-acetyl-
Ac = Acetyl = CH3CO -β- D-glucopyranose
Führt man die Acetylierung eines Monosaccharids mit Acetanhydrid in Gegenwart von
Pyridin bei 0°C durch, bleibt die Konfiguration am anomeren C-Atom weitgehend erhalten.
In Pyridin erfolgt, mit wenigen Ausnahmen, bei niedriger Temperatur die Veresterung mit
Acetanhydrid schneller als die Umwandlung der Anomere ineinander.
Acetylierte Monosaccharide sind gut löslich in organischen Lösungsmitteln, sie sind aber
nicht wasserlöslich.
Voll acetylierte Monosaccharide reagieren mit HBr in Eisessig unter Bildung von Aceto-
halogenosen. Sowohl aus dem α- als auch dem β-Anomer der 1,2,3,4,6-Penta-O-acetyl-D-
glucopyranose entsteht stereospezifisch die Brom-2,3,4,6-tetra-O-acetyl-α-D-glucopyranose.
Wirkt man auf diese mit AgF oder AgCl ein, erhält man unter Walden-Umkehr die β-Chlor-
bzw. β-Fluorverbindung. Die Acetohalogenosen dienen als Ausgangsstoffe für die Synthese
von Glycosiden.
CH2OAc CH2OAc CH2OAc

O HBr, H O H H O Cl
H
H CH3COOH H AgCl H
OAc H H,OAc OAc H OAc H
- AcOH - AgBr
OAc OAc Br OAc H

H OAc H OAc H OAc


α- und β-Anomer Brom-2,3,4,6-tetra- Chlor-2,3,4,6-tetra-
der 1,2,3,4,6-Penta- O-acetyl-α-D-gluco- O-acetyl-β-D-gluco-
O-acetyl-D-gluco- pyranose pyranose
pyranose
Zur Darstellung von Acetylestern mit freier Carbonylgruppe setzt man die Zucker mit
Mercaptanen (Thiolen) um. Es entsteht das im alkalischen Medium beständige Mercaptal des
Zuckers. Die Hydroxygruppen können nun acetyliert und danach die Mercaptogruppen mit
Quecksilber(II)chlorid abgespalten werden.
21.6 Reaktionen der Monosaccharide 825

2 CH3CH2SH 2 (C2H5S)Hg

+ +
CH3CH2S CH3CH2S
O H O H
C CH3CH2S C H CH3CH2S C H C
3(CH3CO)2O H2O/
H C OH H C OH H C OAc HgCl H C OAc
CH3COONa 2
H C OH - H2O H C OH - 3 CH3COOH H C OAc - 2 HCl H C OAc

CH2OH CH2OH CH2OAc CH2OAc


D-Erythrose D-Erythrose- 2,3,4-Tri-O-acetyl- 2,3,4-Tri-O-
diethylmercaptal D-erythrosediethyl- acetyl-D-
mercaptal erythrose

Die Freisetzung der Hydroxygruppen in acetylierten Zuckern kann durch Umesterung


erfolgen. Zum Beispiel mit wasserfreiem Methanol und Spuren von Natriummethanolat,
wobei als Reaktionsprodukte der entsprechende Zucker und Methylacetat gebildet werden.

CH2OAc CH2OH

H O H H O H
H CH3OH, CH3ONa H
OAc H OH H
- 5 CH3COOCH3
OAc OAc OH OH

H OAc H OH
1,2,3,4,6-Penta-O-acetyl- α-D-Glucopyranose
α-D-glucopyranose

21.6.7.2 Borsäureester
Mit Zuckern, die cis-ständige benachbarte Hydroxygruppen besitzen, bildet die Metaborsäu-
re H3BO3 in Aceton komplexe Borsäureester (siehe Abschnitt 10.7.6.4). Bei Zugabe von
Wasser werden sie hydrolysiert.

21.6.7.3 Schwefelsäureester
Schwefelsäureester der Monosaccharide entstehen bei der Einwirkung von Chlorsulfonsäure
Cl–SO2–OH oder SO3 auf das in Pyridin gelöste Monosaccharid.
Schwefelsäureester der Zucker kommen auch in der Natur vor, z.B. das Heparin, ein ge-
rinnungshemmender Stoff aus der Leber. Es ist ein Polysaccharid, das aus mit Schwefelsäure
veresterten Disaccharideinheiten in alternierender Folge aufgebaut ist (siehe nächste Seite).

21.6.7.4 Phosphorsäureester
Zucker und ihre Glycoside können mit Phosphoroxychlorid in Gegenwart von Pyridin als
säurebindendem Mittel zu Phosphorsäureester umgesetzt werden. Bei den freien Zuckern
reagiert zuerst die glycosidische Hydroxygruppe, dann wird die primäre Hydroxygruppe
verestert.
826 21 Kohlenhydrate

Struktureinheit des Heparins:


COO CH2OSO3

H O H H O H
H H
OH H OH H
O O O

H OSO3 H NHSO3
α-D-Glucopyranuronat- N-Sulfo-α-D-glucosamin-
2-sulfat 6-sulfat

21.6.7.5 Phospohorsäureester der Zucker als wichtige Bio-


5'
H2C Base 1 moleküle
O
4' H H 1' Zuckerphosphate sind besonders wichtige Verbindungen der
H 3' 2' H
lebenden Natur. In der Desoxyribonucleinsäure (Abkürzung
O O H DNS oder nach der englischen Benennung deoxyribonucleic
P acid DNA), die Träger der genetischen Information ist, tritt
O O als Zuckerkomponente die 2-Desoxy-D-ribofuranose auf, die
β-glycosidisch eine der vier in der Desoxyribonucleinsäure
H2C 5' Base 3
O vorkommenden Nucleinbasen (siehe Abschnitt 27.1) bindet.
4' H H 1' Die 2'-Desoxy-β-D-ribofuranoside sind über Phosphorsäure,
H 3' 2' H mit der sie in den Stellungen 3' und 5' verestert sind, mitein-
O O H ander verknüpft und bilden hochmolekulare fadenförmige
P Makromoleküle. Die Ribonucleinsäure (RNS bzw. RNA =
O O ribonucleic acid) unterscheidet sich von der Desoxyribo-
H2C
nucleinsäure in ihrer Zusammensetzung insofern, als in der
Base 4
O Ribonucleinsäure anstelle der 2-Desoxy-D-ribose die D-Ribo-
H H se die Zuckerkomponente darstellt und anstelle der Nuclein-
H H base Thymin das Uracil zu finden ist (Ribonucleinsäuren sie-
O O H he Abschnitt 27.2).
P Zuckerphosphate sind auch Bestandteil wichtiger Coenzy-
O O me. Zu diesen Coenzymen gehören z. B. das Nicotinamid-
H2C Base 2
Adenin-Dinucleotid NAD+ und das Nicotinamid-Adenin-Di-
O nucleotid-Phosphat NADP+ (siehe Abschnitt 25.6.1.1a), die
H H beide Coenzyme für reversible Wasserstoffübertragungen
H H sind, das Guanosintriphosphat GTP (siehe Abschnitt
O O H 25.7.1.4), das den Einbau von Mannose in Glycoproteine ka-
P talysiert, und das Adenosintriphosphat ATP (siehe Abschnitt
O O 25.7.1.3), das Phosphorsäurereste auf Hydroxy-, Carboxy-
H2 C Base 4 und Amidgruppen übertragen kann. ATP ist aber auch ein
O
H H
H H Schematische Darstellung eines Ausschnitts aus einem Desoxyribo-
O H
nucleinsäure-Strang
21.6 Reaktionen der Monosaccharide 827

wichtiger Energiespender, denn es besitzt energiereiche Pyrophosphatbindungen (man


spricht auch von makroergischen Bindungen) bei deren Spaltung Energie frei wird, die für
endotherme Reaktionen im Stoffwechsel genutzt werden kann.

21.6.7.6 Glycolyse
Die Glycolyse (griech. glycos = süß und lysis = die Auflösung) ist ein anaerober (ohne Sau-
erstoff ablaufender) Prozeß, bei dem im Cytosol (siehe Abschnitt 19.7.3) Glucose zu Pyruvat
abgebaut und Energie in Form von ATP gespeichert wird. Pro Mol Glucose werden 2 Mol
ATP erzeugt. Die Gesamtenergiebilanz der Glycolyse beträgt ΔG°' = –136 kJ/Mol. Der
Glucoseabbau geschieht über eine Reihe von Zuckerphosphaten als Zwischenprodukte.
Im ersten Reaktionsschritt der Glycolyse wird die Phosphorylgruppe von ATP, kataly-
siert durch die Hexokinase, auf die α-D-Glucopyranose übertragen, und es entsteht α-D-
Glucopyranose-6-phosphat. Dieses Aldohexosephosphat wird durch die Glucosephosphat-
Isomerase zum α-D-Fructofuranose-6-phosphat isomerisiert.

2
HOCH2 O3POCH2
Glucose- 2
H O H H O H phosphat- O3POCH2 CH2OH
ATP ADP O
H H Isomerase
OH H OH H H HO
2
OH OH Mg OH OH H OH
Hexokinase
OH H
H OH H OH
α-D-Gluco- α-D-Gluco- α-D-Fructofuranose-
pyranose pyranose-6-phosphat 6-phosphat

Eine weitere Phosphorylgruppe wird von ATP, katalysiert durch die Phosphofructo-
kinase, auf das α-D-Fructofuranose-6-phosphat unter Bildung des α-D-Fructofuranose-1,6-di-
phosphats übertragen. Dieses Ketohexosediphosphat wird dann durch die Aldolase in D-Gly-
cerinaldehyd-3-phosphat und Dihydroxyaceton-1-phosphat gespalten. Bei dieser Reaktion
geht es um eine Aldolspaltung, das Gegenteil einer Aldolreaktion (siehe Abschnitt 13.4.7.2).
Einbezogen ist auch eine Umkehrung der Halbacetalbildung. Die Triosephosphat-Isomerase
katalysiert die gegenseitige Umwandlung beider Spaltprodukte. Die beiden Triosephosphate
stehen in einem Reaktionsgleichgewicht. Im nachfolgendem Reaktionsschritt wird nur das D-
Glycerinaldehyd-3-phosphat umgesetzt, so daß dieses, dem Massenwirkungsgesetz entspre-
chend, aus dem Dihydroxyaceton-1-phosphat laufend nachgebildet wird.

2 2 2 H
OPO3 OPO3 OPO3 O H
CH2 CH2OH C H C O PO32
CH2 CH2
O O
H HO ATP ADP H HO Aldolase H C OH + C O
2 2
H OH Mg H H C O PO3 H C OH
O
OH H Phospho- O H H H H
fructo- H
kinase
α- D-Fructo- α- D-Fructo- D- Glycerin- Dihydroxy-
furanose-6-phosphat furanose-1,6-diphosphat aldehyd-3-phosphat aceton-1-phosphat
828 21 Kohlenhydrate

H O H
C
H C OH
H C OH
C O
Triosephosphat- H C O PO32
H C O PO32 Isomerase
H
H
Dihydroxy- D-Glycerin-
aceton-1-phosphat aldehyd-3-phosphat
Im weiteren Reaktionsschritt erfolgt, katalysiert durch die Glycerinaldehyd-3-phosphat-
dehydrogenase, die Oxidation der Formylgruppe des D-Glycerinaldehyd-3-phosphats durch
Übertragung eines Hydrid-Ions auf NAD+ und die Phosphorylierung mit anorganischem
Phosphat. Wichtig ist, daß diese zweite Phosphorylgruppe im Molekül des 1,3-Diphospho-D-
glycerats nicht von ATP stammt, also bei dieser Reaktion ATP nicht verbraucht wird. Das
1,3-Diphospho-D-glycerat ist ein Acylphosphat mit hohem Phosphorylgruppen-Übertra-
gungspotential.
O
O
O H O O P O
O P O H
C C
O
O
H C OH NAD NADH + H H C OH
2 2
H C O PO3 Glycerinaldehyd- H C O PO3
3-phosphatdehydro-
H genase H
D-Glycerinaldehyd- 1,3-Diphospho-D-glycerat
3-phosphat
Im weiteren Reaktionsschritt wird, katalysiert durch die Phosphoglyceratkinase, die
acylgebundene Phosphorylgruppe vom 1,3-Diphospho-D-glycerat auf ADP übertragen. Das
auf diese Weise gebildete 3-Phospho-D-glycerat wird durch die Phosphoglyceratmutase zu
2-Phospho-D-glycerat isomerisiert (eine Mutase ist ein Enzym, das die intramolekulare
Übertragung einer funktionellen Gruppe von einer in die andere Stellung des Moleküls kata-
lysiert).
O

O O P O O O O O
Phospho-
C C glycerat- C
O ADP ATP mutase 2
H C OH H C OH H C O PO3
2 Phospho- 2
H C O PO3 glycerat- H C O PO3 H C OH
kinase
H H H
Mg2
1,3-Diphospho- 3-Phospho- 2-Phospho-
D-glycerat D-glycerat D-glycerat
21.6 Reaktionen der Monosaccharide 829

Das 2-Phospho-D-glycerat wird bei Katalyse durch die Enolase zum 2-Phosphoenolpyru-
vat dehydratisiert. Im letzten Schritt erfolgt, katalysiert durch die Pyruvatkinase, die Über-
tragung des Phosphorylrestes auf ADP unter Bildung des Pyruvats.

O O O O O O O O O O
C C C C Keto-Enol- C
- H2 O ADP ATP H2 O Tautomerie
2 2
H C O PO3 C O PO3 C O C OH C O
Enolase Pyruvat-
H C OH Mg 2 C kinase C C H C H
H H Mg2 H H H H
H
H
K
2-Phospho- 2-Phospho- Enolat- Enol- Pyruvat
D-glycerat enolpyruvat pyruvat pyruvat
Das Pyruvat wird in den Mitochondrien in Gegenwart des Pyruvat-Dehydrogenase-
Komplexes mit Coenzym A und NAD+ oxidativ zu Acetyl-CoA decarboxyliert.
O O

H3C C COO + HS CoA + NAD H3C C S CoA + CO2 + NADH

Im Citratcyclus werden dann beide Kohlenstoffatome der aktivierten Acetylgruppe (siehe


Abschnitt 15.7.1.7) in den Mitochondrien zu CO2 oxidiert, die Wasserstoffatome werden auf
NAD+ übertragen, deren Elektronen über Verbindungen der Atmungskette transportiert und
auf molekularen Sauerstoff übertragen, worauf O2– mit den Protonen zu Wasser umgesetzt
wird (siehe Abschnitt 14.3.2).
Ein ungenügendes Angebot an Sauerstoff bei Überbeanspruchung des Muskels (der
Energiebedarf des Muskels wird normalerweise zu 30 % durch O2-verbrauchende Prozesse
gedeckt), muß durch erhöhten Stoffumsatz in der Glycolyse kompensiert werden. Das dafür
benötigte NAD+ wird bei der Umsetzung des Pyruvats in Lactat CH3CH(OH)COO– (siehe
auch Abschnitt 15.7.1.4) freigesetzt.
H

H 3C CO COO + NADH + H H 3C C COO + NAD

OH
Das Lactat wird aus dem Skelettmuskel in die Leber transportiert und dort für die Syn-
these der Glucose (Gluconeogenese) wieder zum Pyruvat oxidiert. Auf diese Weise wird ein
Teil der Stoffwechsellast von der Muskulatur zur Leber verlagert.
Bei der alkoholischen Gärung der Zucker wird das bei der Glycolyse gebildete Pyruvat
durch Katalyse mit der in Hefe befindlichen Pyruvat-Decarboxylase, die Thiaminpyrophosphat
als Coenzym enthält, decarboxyliert (s. Abschnitt 25.6.2.1). Der in dieser Reaktion gebildete
Acetaldehyd wird bei Katalyse mit Alkohol-Dehydrogenase mit NADH zu Ethanol reduziert:
O Pyruvat- O NADH + H NAD
Decarboxylase, H
H3C C COO CH3 C CH3 CH2OH
- CO2 Alkohol-Dehydro-
H genase
Pyruvat Acetaldehyd Ethanol
830 21 Kohlenhydrate

21.6.8 Ether- und Glycosidbildung

21.6.8.1 Methylglycoside
Die Hydroxygruppen der Ringzucker unterscheiden sich in ihrer Reaktivität. Die glycosidi-
sche Hydroxygruppe (die an das anomere C-Atom gebundene OH-Gruppe) eines Ring-
zuckers reagiert wie die Hydroxygruppe eines Halbacetals, während die anderen Hydroxy-
gruppen des Zuckers wie die eines primären bzw. sekundären Alkohols reagieren. Die bei
saurer Katalyse protonierte glycosidische Hydroxygruppe wird leicht abgespalten, da ein
mesomeriestabilisiertes Carboxonium-Ion als Zwischenprodukt entsteht. Läßt man z.B. α-D-
Glucopyranose mit Methanol unter Einleiten von trockenem HCl reagieren, so bildet sich aus
dem Halbacetal des Zuckers das Vollacetal (siehe Abschnitt 13.4.2.2), die glycosidische
Hydroxygruppe wird durch die Methoxygruppe ersetzt. Das Reaktionsprodukt wird allge-
mein als Glycosid bezeichnet. Da das Nucleophil Methanol das Carboxonium-Ion von der
Seite unterhalb oder oberhalb des Ringes angreifen kann, entsteht das α- und β-Anomer des
Methyl-D-glucopyranosids:
CH2OH CH2OH CH2OH α-Anomer CH2OH
H O H H O H O H H O H
H H H H
OH H OH H H OH H OH H α
OH OH OH OH O CH3 OH O CH3
H OH H OH H OH H H OH
O CH3
H
- H2 O H -H
CH2OH CH2OH H CH2OH
CH2OH
H O H O O CH3 H O O CH3
H O H
H H H
H H H OH H OH H β
OH H OH
H
O OH OH H OH H
OH
H H OH H OH β-Anomer H OH
H OH
α-D-Glucopyranose Carboxonium-Ion
Wie andere Vollacetale ist auch das Methylglycosid in neutralem und basischem Medium
beständig, mit Säuren erfolgt die Rückführung in das Halbacetal.

21.6.8.2 Methylether
Läßt man das Methyl-α-D-glucopyranosid mit Dimethylsulfat und Natriumhydroxid reagie-
ren, werden die im Zucker befindlichen Hydroxygruppen methyliert, es entsteht das Methyl-
2,3,4,6-O-tetramethyl-α-D-glucopyranosid.

CH2OH CH2OCH3

H O H H O H
H (CH3)2SO4, NaOH H
OH H OCH3 H
OH OCH3 CH3O OCH3
H OH H OCH3
Methyl-α-D-glucopyranosid Methyl-2,3,4,6-O-tetramethyl-
α-D-glucopyranosid
21.6 Reaktionen der Monosaccharide 831

Durch Hydrolyse mit verdünnten Säuren wird nur die glycosidische Methoxygruppe ent-
fernt. Die anderen Methoxygruppen werden auch in sauren Medium nicht hydrolysiert. Es
handelt sich hier um Methylether, die nur bei drastischen Bedingungen durch Säuren gespal-
ten werden können. Die Methylether dienen zur Ermittlung der Ringstruktur der Zucker.
Von Nutzen sind auch Trimethylsilylether der Zucker, die in der gaschromatographischen
Analyse von Zuckern verwendet werden, weil diese relativ flüchtig und auch bei höheren
Temperaturen noch beständig sind. Man erhält sie, wenn man Zucker mit Trimethylsilylchlo-
rid bei Zimmertemperatur reagieren läßt.
CH2OH CH2OSi(CH3)3

H O H H O H
H 5 (CH3)3SiCl H
OH H OSi(CH3)3 H
- 5 HCl
OH OH (CH3)3SiO OSi(CH3)3
H OH H OSi(CH3)3
α-D-Glucopyranose 1,2,3,4,6-O-Pentatrimethylsilyl-α-D-glucopyranose

21.6.8.3 Triphenylmethylether
Bei der Reaktion der Zucker mit Triphenylmethylchlorid (C6H5)3CCl (Tritylchlorid) in Pyri-
din wird nur die primäre Hydroxygruppe in den Triphenylmethylether des Zuckers überführt.
Diese Reaktion ist von besonderer Bedeutung für die Synthese von Nucleosiden. In diesen
liegt die D-Ribose nicht als Pyranose, sondern als Furanose vor. Bei der Synthese des Nu-
cleosids wird für die glycosidische Anknüpfung der Nucleobase an diesen Zucker deshalb
die Furanoide-Form benötigt. Die Etherbildung mit der sperrigen Triphenylmethylgruppe
(Tritylgruppe) erzwingt den Übergang der D-Ribopyranose in die D-Ribofuranose. Der Ether
bildet die Ausgangsbasis für die Synthese der 1,2,3,5-O-Tetraacetyl-D-ribofuranose, die in
der Nucleosidsynthese (siehe Abschnitt 21.6.9.2) eingesetzt wird:

H O
H
H H H,OH
C Cl
OH
OH OH
C O CH2
O
H H H,OH
- HCl
H
HOCH2
O OH OH
H H H,OH
H
OH OH
α- und β-Anomer der
5-Triphenylmethylribofuranose
Die 5-Triphenylmethylribofuranose wird acetyliert:
832 21 Kohlenhydrate

(CH3CO)2O
Pyridin
C O CH2 C O CH2
O O
H H H,OH H H H,OAc
H H
OH OH OAc OAc
α- und β-Anomer der α- und β-Anomer der 5-Triphenyl-
5-Triphenylmethyl-D-ribofuranose methyl-1,2,3-O-triacetyl-D-ribofuranose
Der Triphenylmethylrest läßt sich durch Säurehydrolyse oder hydrogenolytisch abspal-
ten. Die nachfolgende Acetylierung führt zum Tetraacetat der Ribofuranose.

C O CH2 HO CH2 AcO CH2


O O O
H H H,OAc H H H,OAc H H H,OAc
H H Ac2O H
Pt/H2 Pyridin
OAc OAc OAc OAc OAc OAc

α- und β-Anomer der α- und β-Anomer der α- und β-Anomer der


5-Triphenylmethyl-1,2,3- 1,2,3-O-Triacetyl-D-ribo- 1,2,3,5-O-Tetraacetyl-
O-triacetyl-D-ribofuranose furanose -D-ribofuranose

21.6.8.4 Benzylether
Benzylether der Zucker haben den Vorteil, daß die Benzylgruppe durch katalytische Hydrie-
rung schonend entfernt werden kann.
CH2 O R CH2OH
O OCH3 O OCH3
H H
H Pt/H2 H
O R H OH H + 4 C6H5 CH3
O H OH H
R
H O H OH R = CH2 C6H5
R
Methyl-2,3,4,6-O-tetrabenzyl- Methyl-β-D-Glucopyranosid
β-D-glucopyranosid

21.6.9 Glycoside, Nucleoside und Nucleotide


Zucker können in ihrer Ringform als Halbacetale mit Alkoholen reagieren und unter Wasser-
abspaltung Vollacetale bilden, die man allgemein als Glycoside und mit Glucose als Zucker-
komponente als Glucoside bezeichnet. Die bei der Reaktion gebildete neue Bindung am
anomeren C-Atom nennt man glycosidische Bindung (bei Glucose glucosidische Bindung).
Auch andere Verbindungen, die Protonen abspalten, z.B. Stickstoffverbindungen, können
21.6 Reaktionen der Monosaccharide 833

glycosidisch, das heißt an das anomere Kohlenstoffatom, gebunden werden. Bei den Glyco-
siden unterscheidet man, ähnlich wie bei der Halbacetalform der Zucker, α- und β-Anomere
(Anomerie siehe Abschnitt 21.3.4.1).
CH2OH CH2OH
O H O OCH3
H H
H H
β
α-Anomer OH H
β-Anomer
OH H
α
OH OCH3 OH H
H OH H OH
Methyl-α-D-glucopyranosid Methyl-β-D-glucopyranosid
Glycoside sind in neutralem oder basischen Medium beständig, mit verdünnten Mineral-
säuren erhitzt, werden sie hydrolysiert. Enol und Phenolglycoside sind auch in basischem
Medium hydrolysierbar. Als Aglycon wird der bei der Hydrolyse erhaltene Nichtzucker-An-
teil bezeichnet.
Die Spaltung der glycosidischen Bindung kann auch enzymatisch mit Glycosidasen erfol-
gen. Dies sind Hydrolasen, deren Wirkungsweise sehr spezifisch ist. Sie spalten nur Glycosi-
de mit einer bestimmten Zuckerkomponente und nur α- oder β-Glycoside. Zum Beispiel
enthält Emulsin, ein im Steinobst vorkommendes Enzymgemisch, die β-Glucosidase, die nur
β-Glucoside spaltet. Die im Malz enthaltene Maltase spaltet nur α-glucosidische Bindungen.

21.6.9.1 Nomenklatur
Die Glycoside haben in der Regel die Endung -id. Die Benennung der Glycoside erfolgt so,
daß der Name des Aglycons, der die Endung -yl hat, vorangestellt wird. Dann folgt die Be-
zeichnung α- oder β-, je nachdem welches Anomer vorliegt, die Angabe D- oder L- entspre-
chend der Zugehörigkeit der Zuckerkomponente zur D- oder L-Reihe, und schließlich der Na-
me des Zuckers mit der Endung -pyranosid oder -furanosid, je nachdem ob im Zuckeranteil
des Glycosids ein Sechs- oder Fünfring vorliegt.

21.6.9.2 Synthese
Leitet man in eine alkoholische Lösung des Zuckers HCl-Gas ein, wird der in Halbacetal-
form vorliegende Zucker in das α- und β-Glycosid umgewandelt (siehe Abschnitt 21.6.8.1).
Die anomeren Verbindungen haben unterschiedliche Eigenschaften und können voneinander
getrennt werden.
Die Koenigs-Knorr-Synthese geht vom vollacetylierten Zucker aus (Abkürzung Ac =
CH3CO), der mit HBr in Eisessig in das Bromderivat des Zuckers umgesetzt wird. Dieses
reagiert dann mit einem Aglycon in Gegenwart einer Brom-bindenden Verbindung zum
entsprechenden Glycosid.
CH2OAc CH2OAc CH2OAc R
O OAc HBr/ O H 1
/2 Ag2CO3 H O O
H H
H CH3COOH H H O R H
OAc H OAc H - AgBr OAc H
AcO AcO - 1/2 H2O AcO
H Br H
- 1/2 CO2
H OAc H OAc H OAc
- O R
834 21 Kohlenhydrate

Zum Beispiel wird sowohl das α- als auch das β-Anomer der 1,2,3,4,6-Penta-O-acetyl-D-
glucopyranose in die Brom-2,3,4,6-tetra-O-acetyl-α-D-glucopyranose umgewandelt (siehe
Abschnitt 21.6.7.1). Läßt man diesen Zucker in Gegenwart einer Brom-bindenden Verbin-
dung, z.B. Ag2CO3 mit einer nucleophilen Nichtzuckerverbindung reagieren, die ein Proton
abspalten kann, wird das Brom ersetzt und das entsprechende Glycosid gebildet, in diesem
Fall das β-Glycosid. Die Acetylgruppen können dann durch Verseifung entfernt werden. Der
Vorteil der Koenigs-Knorr-Synthese besteht darin, daß selektiv nur ein Anomer des Glyco-
sids gebildet wird.
Die Koenigs-Knorr-Synthese wird durch eine SN1-Reaktion eingeleitet, wobei zunächst
ein Carboxonium-Ion entsteht.
CH2OAc CH2OAc CH2OAc
O H O H O
H 1
H
H /2 Ag2CO3 H H
OAc H OAc H H OAc H H
- AgBr
AcO Br - 1/2 H2O AcO AcO
- 1/2 CO2
H O O H O O H O O
- O R
C C C

CH3 CH3 CH3


+H O R

Brom-2,3,4,6-tetra-O- Carboxonium-Ion
acetyl-α-D-glucopyranose
Der in Stellung 1 befindliche positiv geladene Kohlenstoff des Carboxonium-Ions tritt in
Wechselwirkung mit der benachbarten Acetylgruppe (Nachbargruppeneffekt). Der Sauer-
stoff der Carbonylgruppe stellt mit seinem freien Elektronenpaar eine Bindung mit dem C1
her. Das bei dieser Reaktion neugebildete Carboxoniumion ist mesomeriestabilisiert. Die
eine Seite des Zuckers ist durch die benachbarte Gruppe abgeschirmt. Der Angriff des Nu-
cleophils kann nur von der entgegengesetzten Seite erfolgen, so daß aus der Brom-2,3,4,6-
tetra-O-acetyl-α-D-glucopyranose das entsprechende acetylierte β-Glycosid entsteht.
CH2OAc CH2OAc

H O H O H
H H
OAc H H OAc H
AcO AcO O

H O H O C
O
C CH3

CH3
CH2OAc CH2OAc

H O H H O O R
H O R H
OAc H OAc H
AcO O AcO H
H O C H O O
CH3 C Alkyl-2,3,4,6-tetra-O-acetyl-β-
CH3 D-glucopyranosid
21.6 Reaktionen der Monosaccharide 835

21.6.10 In der Natur vorkommende Glycoside

Glycoside sind in der Natur weit verbreitet. Zu ihnen gehören sehr wichtige Verbindungen
z.B. die Nucleoside. Man kann sie, je nachdem welches Atom des Aglycons an das anomere
C-Atom des Zuckers gebunden ist, in S-, O- oder N-Glycoside unterteilen.

21.6.10.1 S-Glycoside
Zu den S-Glycosiden gehört das im schwarzen Senf (Brassica nigra) enthaltene Sinigrin. Es
wird durch das Myrosin (eine Thioglucosidase) in die β-D-Glucopyranose, Allylisothiocya-
nat (Allylsenföl) und Kaliumhydrogensulfat gespalten. Das Allylsenföl ruft auf der Haut
durch Blutansammlung Rötung und Brennen hervor.
H2C CH CH2
HC CH2
CH2OH CH2OH
C
H O S N O S O K Myrosinase H O OH CH2
H H2O H
OH H O OH H + N
- KHSO4
OH H Umlagerung OH H C
H OH H OH
S
Sinigrin β-D-Glucopyranose + Allylsenföl

21.6.10.2 O-Glycoside
Zu den O-Glycosiden gehört eine ganze Reihe von Verbindungen: Alkohol- und Phenolgly-
coside, Anthocyane (siehe Abschnitt 11.6.1), Cumarin- und Flavonglycoside (siehe Ab-
schnitt 11.6.1), Steroidglycoside (siehe Abschnitt 20.2.6) und viele andere. Als Beispiele
seien für Phenolglycoside das in der Baumrinde und in den Blättern der Weiden (Salix) ent-
haltene Salicin (2-Hydroxymethylphenyl-β-D-glucopyranosid) und für Cumaringlycoside das
Aesculin (6-β-D-Glucopyranosyloxy-7-hydroxycumarin) angeführt. Aesculin wird als opti-

CH2OH CH2OH

H O O H O O
H H
OH H CH2OH OH H
HO O O
OH H OH H
H OH H OH 5 4
Salicin Aesculin 6 3

7
CH2OH 2
8 1O O
O O CH2 C6H5
H
H O
Cumarin
OH H H O C H
H
OH H OH H C N
H OH OH H
H OH
Amygdalin
836 21 Kohlenhydrate

scher Aufheller, als Sonnenschutzmittel, und in der Medizin infolge seines kapillarabdich-
tenden Effekts zur Hämorrhoiden- und Thrombosenbehandlung verwendet. Ein Vetreter der
cyanogenen Glycoside, die bei Hydrolyse Blausäure freisetzen können, ist das Amygdalin
(das Mandelsäurenitril-β-D-Gentiobiosid), das in bitteren Mandelkernen vorkommt. Seine
Zuckerkomponente ist die Gentiobiose, ein Disaccharid (siehe Abschnitt 21.7.3.4).

21.6.10.3 N-Glycoside
In N-Glycosiden sind die stickstoffhaltigen Verbindungen mit einem Stickstoffatom glycosi-
disch mit dem Zucker verknüpft.

21.6.11 Nucleoside
Die wichtigsten N-Glycoside sind die Nucleoside. Diese haben als Zuckerkomponente die
D-Ribofuranose oder die 2-Desoxyribofuranose und eine Nucleinbase (auch Nucleobase ge-
nannt) als Aglycon. Die Pyrimidin-Nucleobase (siehe Abschnitt 25.6.2.1b) ist am N1 und die
Purin-Nucleobase (siehe Abschnitt 25.7.1.1) am N9 an die D-Ribofuranose oder 2-Desoxy-D-
ribofuranose β-glycosidisch gebunden. Nucleoside mit der D-Ribofuranose als Zuckerkom-
ponente sind Ribonucleoside. Besteht die Zuckerkomponente aus 2-Desoxy-D-ribofuranose,
so handelt es sich um ein Desoxyribonucleosid. Bei der Benennung der Ribonucleoside wird
nur der Trivialname der Base genannt, wobei die Pyrimidinderivate die Endung -idin und die
Purinbasen die Endung -osin haben. Liegen 2-Desoxyribonucleoside vor, wird vor den Na-
men der Base noch der Ausdruck 2-Desoxy- genannt.
Ribonucleoside, die Bestandteil der Ribonucleinsäuren sind:

O NH2
Uracil Cytosin
4 3 H
5 N N
Ribonu-
cleoside mit HO 2 HO
6
einer Pyri- CH2 N1 O CH2 N O
midin-Nu- O O
cleobase: H H H H
H H H H
OH OH OH OH
Uridin Cytidin
NH2 O
Adenin Guanin
6
Ribonu- 7 5 C 1 C H
N N
cleoside mit 8 C N C N
einer Purin- HO HC 2 HO HC
Nucleo- 9 C CH C C
CH2 N 4 N CH2 N
base: O O N NH2
3
H H H H
Ribose Ribose
H H H H
OH OH OH OH
Adenosin Guanosin
21.6 Reaktionen der Monosaccharide 837

Desoxyribonucleoside, die Bestandteil der Desoxyribonucleinsäuren sind:


O NH2
Thymin Cytosin
H3C 4 3 H
5
N N
Desoxyribo- HO HO
2
nucleoside mit 6
einer Pyrimidin- CH2 N1 O CH2 N O
O O
Nucleobase: H H H H
H H H H
OH H OH H
2-Desoxythymidin 2-Desoxycytidin
NH2 O
Adenin Guanin
6
7 5 C 1 C H
N N
Desoxyribo- 8 C N C N
HO HC 2 HO
nucleoside mit HC
5' 9 C CH C C
einer Purin- CH2 N 4 N CH2 N
O O N NH2
Nucleobase: 3
4' H H 1' H H
2-Desoxy- 2-Desoxy-
H 3' 2' H H H
ribose ribose
OH H OH H
2-Desoxyadenosin 2-Desoxyguanosin

21.6.12 Nucleotide
Phosphorester der Nucleoside werden allgemein als Nucleotide bezeichnet. Nach Art des
Zuckeranteils unterscheidet man Ribonucleotide und Desoxyribonucleotide (Desoxynucleoti-
de). Die Position, an der der Phosphorsäurerest am β-D-Ribofuranosid bzw. am 2-Desoxy-β-
D-ribofuranosid verestert ist, wird mit einer Zahl mit Apostroph angeführt. Der Phosphorsäu-
rerest ist gewöhnlich an die Position 5' oder/und 3' der Pentosen gebunden. Bei den 5'-Estern
können bis zu drei Phosphorsäure-Reste miteinander verknüpft sein, z.B. hat Adenosinmono-
phosphat (AMP) einen Phosphorsäurerest, Adenosindiphosphat (ADP) zwei und Adeno-
sintriphosphat (ATP) drei Phosphorsäurereste (siehe Abschnitt 25.7.1.3). In Nucleinsäuren
sind die Nucleoside durch Phosphorsäurebrücken in 3' und 5'-Position zu einem Biomakro-
molekül verbunden (siehe Kapitel 27). Es gibt cyclische Nucleotide, z.B. das cyclische
Adenosinmonophosphat, abgekürzt cAMP (siehe Abschnitt 25.7.1.3), bei dem ein Phosphor-
säurerest gleichzeitig die 3' und 5'-Hydroxygruppe verestert. Die cyclischen Nucleotide spie-
len eine wichtige Rolle als Botenstoffe, die externe Signale in die Zelle übertragen, damit dort
bestimmte Vorgänge ausgelöst werden. Für Nucleotide benutzt man vielfach Abkürzungen.
Bei Ribonucleotiden wird der Einbuchstaben-Code für das Nucleosid verwendet und für
Mono-, Di- und Triphosphat die Abkürzung MP, DP bzw. TP angefügt. Sind keine Zah-
lenangaben vor den drei Buchstaben angegeben, handelt es sich um 5'-Phosphorsäureester.
Bei Desoxyribonucleotiden stellt man vor die drei Großbuchstaben ein d (für Des-oxy-). Der
Einbuchstaben-Code lautet: A für Adenosin, G für Guanosin, C für Cytidin, U für Uridin und
T für Thymidin. Z.B. hat 2-Desoxythymidin-5'-Phosphat die Abkürzung dTMP.
838 21 Kohlenhydrate

NH2
6
7 1
N 5
N
8
2
O 9N 4 N
O P O H 3
5' O
O H 4' H O H 1'
H 3' 2' H
OH OH

Nucleosid Das Nucleosid heißt Adenosin


und das Nucleotid Adenosin-
5'-monophosphat (Abkürzung
Nucleotid AMP).

21.7 Disaccharide
21.7.1 Reduzierende und nichtreduzierende Zucker
Disaccharide bestehen aus zwei Monosacchariden, die glycosidisch miteinander verknüpft
sind. Liegen Monosaccharide in Ringform vor, hat man zwischen den an das anomere Koh-
lenstoffatom gebundenen (in Aldosen am C-Atom 1, in 2-Ketosen am C-Atom 2) halbaceta-
lischen und den alkoholischen Hydroxygruppen zu unterscheiden (die halbacetalische OH-
Gruppe wird auch als glycosidische Hydroxygruppe bezeichnet, siehe Abschnitt 21.3.4.1).
Erfolgt die Verknüpfung beider Monosaccharide unter Wasseraustritt aus beiden halbacetali-
schen Hydroxygruppen, so liegen beide Komponenten des Disaccharids in der Vollacetal-
form vor, ihre Ringform ist fixiert. Vollacetale werden in neutraler oder basischer wäßriger
Lösung nicht hydrolysiert. Ein Übergang in die offenkettige Form ist bei diesen Disacchari-
den in solchen Lösungen nicht möglich. Sie zeigen deshalb in wäßriger Lösung weder Muta-
rotation noch sind sie mit Fehling-Lösung oxidierbar und gehören zu den nichtreduzierenden
Zuckern. Z.B. sind die Saccharose und die Trehalose nichtreduzierende Disaccharide.

Vollacetal Vollacetal
6CH OH
2
5 1
H O H CH2OH H
H O
4 OH H 1 2 H HO 5
α O
OH β 3 4 CH2OH
3 2 6
H OH OH H

α- D-Glucopyranosyl- β- D-fructofuranosid

Saccharose, 1,2-verknüpft
21.7 Disaccharide 839

Vollacetal Vollacetal
6CH OH H OH
2
5 O H 2 3
H H H
H OH H
4 OH H 1 1 HOH2C 6 4

OH α O α O OH
3 2 5
H OH H

α- D-Glucopyranosyl- α- D-glucopyranosid

Trehalose, 1,1-verknüpft
Erfolgt die Verknüpfung von zwei Monosacchariden zu einem Disaccharid durch Was-
seraustritt aus einer halbacetalischen und einer alkoholischen Hydroxygruppe, so besitzt eine
Zuckereinheit noch eine halbacetalische Hydroxygruppe. Bei so verbundenen, aus zwei Al-
dohexosen bestehenden Disacchariden sind beide Einfachzucker gewöhnlich 1,4 verknüpft,
wie z.B in der Maltose.
Vollacetal Halbacetal
6CH OH 6CH OH
2 2
5 5 halbacetalische
H O H H O H
OH-Gruppe
H H
4 OH H 1 4 OH H 1
α O OH α
OH 3 2
3 2
H OH H OH

α- D-Glucopyranosyl α- D-Glucopyranose

Maltose, 1,4-verknüpft

Eine Ausnahme bildet die D-


Vollacetal
Gentiobiose, die 1,6-verknüpft ist.
6CH OH Halbacetal In diesen Disacchariden liegt
2
5 O
β 6 die eine Zuckereinheit als Voll-
H O CH2
H 1 5 β acetal, die andere als Halbacetal
4 H O OH
OH H vor. Die als Halbacetal vorliegen-
H
OH H 4 OH H 1 de Zuckereinheit des Disaccharids
3 2
H OH H kann aus ihrer ringförmigen Halb-
HO
3 2 acetalform in die offenkettige
H OH Form übergehen und dann eine
Mutarotation erfolgen. Das Di-
β-D -Glucopyranosyl β-D -Glucopyranose saccharid kann mit Fehling-Rea-
gens oxidiert werden und gehört
zu den reduzierenden Zuckern.
Gentiobiose, 1,6-verknüpft
840 21 Kohlenhydrate

21.7.2 Benennung der Disaccharide

Die Disaccharide werden zumeist mit ihrem Trivialnamen genannt. Möglich ist auch eine
systematische Namensgebung, wobei wie folgt verfahren wird: Zuerst wird die Position des
C-Atoms an der halbacetalischen Zuckereinheit angegeben, an das das anomere Kohlenstoff-
atom über die Oxidbrücke gebunden ist. Der Ziffer der Positionsangabe folgt ein -O-, das
besagt, daß das anomere Kohlenstoffatom nicht an ein anderes Kohlenstoffatom direkt, son-
dern über ein Sauerstoffatom gebunden ist. In Klammern (vielfach aber auch ohne Klam-
mern) wird der Name des Zuckers mit der Vollacetal-Struktur angeführt, wobei dieser die
Endung -yl hat. Die andere Zuckereinheit, die noch die halbacetalische Hydroxygruppe be-
sitzt, wird dann mit der Endung -se genannt.
Sind beide Zuckereinheiten untereinander mit ihren anomeren C-Atomen über ein Sauer-
stoffatom miteinander verknüpft, hat der eine Zucker die Endung -yl, der andere die Endung
-id.

21.7.3 Reduzierende Disaccharide

21.7.3.1 Maltose
Die Maltose spielt beim Brauprozeß eine große Rolle (siehe Abschnitt 10.8.1.2a). In diesem
Prozeß wird die Stärke durch die β-Amylase zur vergärbaren Maltose gespalten. Die Maltose
kann mit dem in der Hefe enthaltenen Enzym Maltase zu Glucose abgebaut werden. Als
Spaltprodukt der Stärke gibt die Maltose Aufschluß darüber, daß die Stärke aus α-ver-
knüpften Glucoseeinheiten aufgebaut ist. Infolge der Mutarotation findet man beide Anome-
re, die α- und die β-Maltose, vor.
H
CH2OH
HO O
H
H
HO
H
H
OH
H
6CH OH 6CH OH CH2OH
2 2 O
O
5 O 5 O H H
H H H
H H H
4 OH H 1 4 OH H 1 HO
H
α O
OH α
OH 3 2 OH
3 2 H
H OH H OH OH
α-Maltose
4-O-(α-D-Glucopyranosyl)-α-D-Glucopyranose

21.7.3.2 Cellobiose
Die Cellobiose ist ein Zucker ohne Geschmack. Sie wird bei der Hydrolyse der Cellulose
erhalten und gibt einen Hinweis darauf, daß die Cellulose aus β-verknüpften Glucoseein-
21.7 Disaccharide 841

heiten aufgebaut ist. Nach der Hydrolyse stellt sich, durch die Mutarotation bedingt, ein
Gleichgewicht zwischen beiden Anomeren, der α- und der β-Cellobiose ein.
H
CH2OH
HO O H
H
6CH OH H CH2OH
2 HO
β O O
5 O βOH
H OH H
H H H
6CH OH 4 OH H 1 H HO
2 β OH
5 O O H OH
H 3 2 H
H H OH H
4 OH H 1
OH H
3 2
β-Cellobiose
H OH
4-O-(β-D-Glucopyranosyl)-β-D-glucopyranose

21.7.3.3 Lactose (Milchzucker)


Muttermilch enthält bis zu ca. 7 % und Kuhmilch ca. 4,5 % Lactose. Wegen ihres Vorkom-
mens in der Milch wird die Lactose auch als Milchzucker bezeichnet. Bei der Biosynthese
entstehen α- und β-Lactose im Verhältnis 2:3. Die Lactose wirkt schwach abführend. Außer
in Milch kommt die Lactose auch in der Butter vor. Bei der Herstellung mancher Käsesorten,
Kefir und Sauermilch wird sie vergoren. Bei der Verdauung wird die Lactose durch die β-
Galactosidase hydrolytisch in D-Galactose und D-Glucose gespalten. Bei Säuglingen und
Kindern ist dieses Enzym reichlich vorhanden, es liegt aber später bei manchen Erwachsenen
in ungenügender Menge vor. Besonders ausgeprägt ist dieser Enzymmangel bei Asiaten und
Afrikanern. Als Folge des Enzymmangels treten bei Milchgenuß Verdauungsstörungen auf
(Durchfall, Krämpfe).
OH
CH2OH
H O H
H
H CH2OH
HO
β O O
6CH OH H
2 OH
5 H H
H O HO
1 H
H
6CH OH 4 OH H H,OH OH H,OH
2 H
5 O O
OH 3 2
H H OH α- oder β-
4 OH H 1
Anomer
H H
3 2
Lactose (lat. lac = Milch)
H OH
4-O-(β-D-Galactopyranosyl)-α-D-glucopyranose (abgekürzt: α-Lactose)
und
4-O-(β-D-Galactopyranosyl)-β-D-glucopyranose (abgekürzt: β-Lactose)
842 21 Kohlenhydrate

21.7.3.4 Gentiobiose (Amygdalose)


Gentiobiose kommt in freier Form in der Natur nicht vor. In Amygdalin ist sie β-glycosi-
disch an Mandelsäurenitril gebunden und kann durch saure Hydrolyse freigesetzt werden. In
saurer Lösung kann die in Halbacetalform befindliche Zuckereinheit in die offenkettige
Form übergehen, so daß (Mutarotation!) die Gentiobiose in der Lösung als Gemisch aus 6-O-
(β-D-Glucopyranosyl)-β-D-Glucopyranose und 6-O-(β-D-Glucopyranosyl)-α-D-Glucopyra-
nose vorliegt. Das bei der Hydrolyse des Amygdalins freigesetzte Mandelsäurenitril wird bei
der sauren Hydrolyse in Benzaldehyd und Blausäure gespalten. Das Glycosid Amygdalin ist
in den Kernen von bitteren Mandeln und den Kernen von Steinobstsorten (z.B. Äpfel, Apri-
kosen, Pflaumen, Kirschen) zu finden. Vor dem Genuß von Bittermandeln und Zerkauen von
Apfelkernen ist zu warnen (Hydrolyse durch Magensäure, HCN-Entwicklung).

6CH OH
2
5 O
β 6 C6H5
H O CH2
H 1 5
4 OH H H O O C H
H
OH H 4 OH H 1 C N
3 2
H OH HO H
3 2
H OH Mandel-
säure-
nitrilrest
β-Gentiobiosid

H
Amygdalin 6
CH2OH
HO 4 5 O
H /H2O H
H H
6CH OH HO 6
2
2 βO CH2
5 O
β 6 3
H O CH2 OH 4 5
1 H OH O
H 5 O H
4 OH H H H
H HO H
OH H 4 OH H H,OH 2 O C H
3 2 3
C6H5 OH
H OH HO H C N
3 2
H OH + HO C H H
Amygdalin
C N
(griech. amygdalis = Mandelkern)
Gentiobiose
D -Mandelsäure-
nitril

21.7.4 Nichtreduzierende Disaccharide

21.7.4.1 Saccharose (Rohrzucker, Rübenzucker)


Zum Verständnis der Formelschreibweise der Saccharose ist folgendes zu erläutern. Ge-
wöhnlich schreibt man die Haworth-Formel der Fructofuranose so, daß der Kohlenstoff in
Stellung 2 (C2) in der Formel rechts steht. Will man ihn zur glycosidischen Verknüpfung an
den Kohlenstoff C1 der Glucopyranose heranführen, ist es notwendig, die räumlich so fixier-
te Formel der Fructofuranose um 180° zu drehen. Geschieht dies so, daß man die Formel der
21.7 Disaccharide 843

H
6CH OH 6
2
CH2OH
HO 4 5
5 O
H O H H
H 1 HO H
4 OH OH H
H α OH H 3 2 H
6 3 4
OH O 3 4 CH2OH H
OH α OH
3 2 H
H OH β H HO 5 O β O 6
2 2 5 CH2OH
1 O
HOCH2 H HOCH2 H
1

oder
6CH OH Saccharose
2
1 α- D-Glucopyranosyl-β- D-fructofuranosid
5 O H CH2OH H β- D-Fructofuranosyl-α- D-glucopyranosid
H
H O
4 OH H 1 2 H HO 5
OH
α O β
3 2 3 4 CH2OH
6
H OH OH H

Fructofuranose um eine fiktive, senkrecht auf den Ring stehende und durch seine Mitte ge-
hende Achse dreht, kommt der im Ring rückwärts stehende Sauerstoff (der Ring steht senk-
recht zur Papierebene) nach vorne. Die über der Ringebene befindlichen Substituenten blei-
ben über der Ringebene, ebenso bleiben die unter der Ringebene befindlichen Substituenten
auch weiterhin unten. C2 steht nunmehr, nach dieser Drehung, in der Formel links.

6 180°
HOH2C OH Drehung 180° um OH H
O senkrechte Achse OH 3 4 6CH2OH
5 H HO 2
2 H HO 5
H 4 3 1CH2OH O
OH H HOH2C1 H

Achse senkrecht
zur Ringebene
Eine andere Möglichkeit besteht darin, daß man die Formel der Fructofuranose um eine
gedachte Achse dreht, die in der Ringebene liegt, so daß der Furanose-Ring um 180° gekippt
wird. Der Sauerstoff bleibt dann rückwärts, die Substituenten, die sich über der Ringebene
befanden, kommen unter die Ringebene, die die unter der Ringebene waren, gelangen über
die Ringebene. Die β-glycosidische Bindung befindet sich nunmehr unter dem Ring.
Achse in der
Ringebene
6 Drehung 180 °um 1
HOH2C OH β H
O waagerechte Achse HOH2C O
5 H HO 2 2 H HO 5
H 4 6 CH2OH
4 3 1CH2OH βOH 3
OH H OH H
844 21 Kohlenhydrate

Sprechen wir im täglichen Leben über Zucker, so ist die Saccharose gemeint. Es ist der
Zucker, den wir täglich im Haushalt zum Süßen des Tees, Kaffees oder der Speisen benüt-
zen. Er wird aus Zuckerrohr (Saccharum officinarum) oder aus Zuckerrüben (Beta vulgaris
saccharifera) gewonnen.
Geschichtliches. In der Antike wurde mit Honig gesüßt, Zucker war unbekannt. Im 4. Jhd. n.
Chr. wurde in Indien die Kristallisation des Zuckers aus Zuckerrohr entdeckt. Der deutsche
Chemiker Margkraf wies in der Zuckerrübe 1747 Zucker nach, allerdings lag die Ausbeute
an Zucker nur bei 5 %. Sein Schüler Achard gründete 1801 die erste Rübenzuckerfabrik. Die
Rübenzuckerfabrikation hatte eine vorübergehende Konjunktur in den Napoleonischen Krie-
gen durch die von Napoleon gegen England verhängte Kontinentalsperre, die die Einfuhr
und Ausfuhr von Wirtschaftsgütern von und nach England, also auch die Einfuhr von Rohr-
zucker aus den englischen Kolonien, unterband. Die Zuckerfabrikation aus Rübenzucker
kam nach Aufhebung des Handelsembargos zunächst zum erliegen. Erst Jahrzehnte später
konnte sie wieder aufgenommen werden, nachdem es gelungen war, den Zuckergehalt der
Zuckerrübe durch Züchtung zu steigern. Der Zuckergehalt der Zuckerrübe und des Zucker-
rohrs ist heute etwa gleich hoch (14–20 %).
Zuckerfabrikation. Nach Einbringen der Zuckerrüben in die Zuckerfabrik werden diese gewa-
schen und zu Rübenschnitzeln zerkleinert. In hintereinandergeschalteten Diffusionsbatterien
wird aus ihnen der Zucker mit 65–75°C warmen Wasser im Gegenstromprinzip extrahiert.
Die ausgelaugten Rübenschnitzel werden, gepreßt und getrocknet, als Viehfutter verwendet.
Zur Fällung der Pflanzensäuren (Oxalsäure, Zitronensäure) als Ca-Salze wird zum zuckerhal-
tigen Rohsaft Kalkmilch bzw. gebrannter Kalk zugegeben. Auch Eisen- und Magnesiumver-
bindungen sowie Eiweißkolloide werden ausgefällt. Ein Teil des Zuckers reagiert mit der
Kalkmilch zu Zuckerkalk, der teils löslich, teils unlöslich ist. Der Zucker wird aus dem Zu-
ckerkalk durch portionsweise Zugabe von CO2 wieder freigesetzt, und es fällt Cal-
ciumcarbonat aus. Zum Entfernen des unlöslichen Rückstandes geht der Zuckersaft über
Filterpressen. Zu dem auf diese Weise erhaltenen Dünnsaft wird 0,1 % CaO gegeben, auf
100°C erhitzt und der Saft zur Reinigung über einen Ionenaustauscher geleitet. Der Dünnsaft
wird durch Abdestillieren eines Teils des Wassers eingedickt, und der erhaltene Dicksaft wird
nach dem Filtrieren weiter im Vakuum bei 70°C eingedampft, bis schließlich eine sirupöse
Masse, bestehend aus Zuckerkristallen und Sirup, die sogenannte Kochmasse, anfällt. Durch
Zentrifugieren der Kochmasse erhält man den Rohzucker. Der nach dem Zentrifugieren noch
vorhandene Sirup wird nochmals zur Kristallisation gebracht und erneut zentrifugiert. Man
erhält einen Zucker geringerer Reinheit. Der bei der letzten Stufe ebenfalls anfallende Sirup
wird als Melasse bezeichnet und in der Tierhaltung für Mischfutter verwendet. Aus 100 kg
Zuckerrüben erhält man etwa 14 kg Rohzucker und 2 kg Melasse. Der Rohzucker wird in
Zucker-Raffinerien durch Wiederauflösen, Filtrieren über Aktivkohle und Rekristallisation zu
weißem, reinen Zucker gereinigt. In den Handel kommt er als Würfelzucker, Kristallzucker
und Staubzucker. Würfelzucker und Zuckerhüte werden durch Pressen von angefeuchteten
Kristallzucker hergestellt. Kandiszucker ist aus gesättigter Zuckerlösung auskristallisierter
Zucker. Brauner Kandiszucker wird aus ungebleichtem Zuckersaft gewonnen.
21.7 Disaccharide 845

Invertzucker. Bei der sauren Hydrolyse oder durch enzymatische Spaltung mit der α-D-Glu-
cosidase, die in verschiedenen Hefen vorhanden ist, wird die Saccharose in ein äquimolares
Gemisch von Glucose und Fructose gespalten. Dieses Gemisch wird als Invertzucker be-
zeichnet. Bei dem aus den beiden Einfachzuckern bestehenden Gemisch erfolgt die Mutaro-
tation, so daß die Glucose in der Lösung als α- und β-Glucopyranose vorliegt. Bei der Fruc-
tose besteht außerdem noch ein Gleichgewicht zwischen Furanose- und Pyranoseform.
Die Saccharose ist rechtsdrehend [ α]D
20°
= +66,5°. Bei der Hydrolyse der Saccharose ent-
20°
stehen Glucose und Fructose, und es wird ein Endwert von [ α]D = –20° erreicht. Die ge-
messenen Drehwerte erfahren eine Veränderung von positiven zu negativen Werten. Man
spricht deshalb von der Inversion der Saccharose und bezeichnet das Hydrolyseprodukt als
Invertzucker. Der negative Drehwert des Invertzuckers rührt daher, daß die Fructose einen
20° 20°
Wert von [ α]D = –92,4° und die im äquimolarem Verhältnis vorliegende Glucose [ α]D =
+52,7° hat.
Die enzymatische Spaltung der Saccharose bei der Verdauung wird durch das an die
Oberfläche des Dünndarms gebundene Enzym Sucrase herbeigeführt. Bei der alkoholischen
Gärung wird die Saccharose von in der Hefe enthaltenem Enzym α-D-Glucosidase hydroly-
tisch gespalten. Der Bienenhonig besteht hauptsächlich aus Invertzucker, der durch enzyma-
tische Spaltung von Saccharose entstanden ist.

21.7.4.2 Trehalose
In der Natur kommen zwei Trehalosen vor: die α,α-Trehalose und die α,β-Trehalose. Die
α,α-Trehalose ist ein süß schmeckendes Disaccharid aus Schimmelpilzen, Hefen, Flechten,
Moosen und Bakterien. Sie kommt außerdem noch in der Hämolymphe der Insekten vor. Die
α,β-Trehalose ist in Honig enthalten.

6CH OH H 6CH OH
2 OH 2
5 2 5 5 O H
H O H H H H
H OH H H
4 OH H 1
4 OH H 1 1 HOH2C 6 4
α O α O OH OH α
OH 3 2
3 2 3
H OH H H OH
6CH OH O
2
α,α-Trehalose (Mycose, Mutterkornzucker) H
5 O
α- D -Glucopyranosyl-α- D -glucopyranosid H β
4 OH H 1
OH H
3 2
H OH
α,β-Trehalose
α- D -Glucopyranosyl-
β- D -glucopyranosid
846 21 Kohlenhydrate

21.8 Polysaccharide
Polysaccharide, die auch als Glycane bezeichnet werden, sind aus vielen untereinander gly-
cosidisch verknüpften Monosaccharid-Einheiten aufgebaut. Polysaccharide, die man sich als
Polykondensat vorstelllen kann, in dem nur Moleküle eines Monosaccharids (z.B. nur der
Glucose) miteinander unter Wasserabspaltung polykondensiert sind, gehören zu der Gruppe
der Homoglykane (Homopolysaccharide). Polysaccharide, die als Polykondensat zweier oder
mehrerer Monosaccharide aufzufassen sind, zählen zu den Heteroglycanen (Heteropoly-
saccharide).

21.8.1 Homoglycane

Die wichtigsten, zu den Homoglycanen zählenden Polysaccharide sind die nur aus D-Gluco-
seeinheiten bestehenden Polysaccharide Stärke, Glycogen und Cellulose. Man bezeichnet sie
als Glucane.

21.8.1.1 Stärke
Stärke ist ein Polysaccharid, das aus α-glucosidisch verknüpften D-Glucopyranosyleinheiten
aufgebaut ist. Sie wird in den grünen Teilen der Pflanze aus der in der Photosynthese (siehe
Abschnitt 25.5.1.3b) entstandenen Glucose gebildet und dient der Pflanze als Kohlenhydrat-
speicher. Bei Bedarf wird die Stärke durch Phosphorylasen zu α-D-Glucopyranose-1-phos-
phat abgebaut und im Stoffwechsel verwertet. Sie wird in bestimmten Pflanzenteilen gespei-
chert: in den Wurzeln, z.B. Kartoffeln (12–20 %), in Getreidesamen, z.B. Weizen (53–70
%), Reis (70–75 %), Mais (60–70 %) und in Früchten, z.B. in Erbsen und Bohnen. Die Stär-
ke ist in kaltem Wasser praktisch nicht löslich, bildet aber in heißem Wasser eine kolloidale
Lösung, den Stärkekleister. Aus Kartoffel kann man Stärke gewinnen, wenn man diese fein
zerreibt, mit Wasser verdünnt und die Flüssigkeit über ein Tuch auspreßt. Man dekantiert die
überstehende Flüssigkeit, wäscht nochmals mit Wasser aus und läßt die als Sediment erhal-
tene Stärke an der Luft trocknen.
Die Stärke besteht aus zwei Komponenten: der Amylose (20–30 %) und dem Amylo-
pektin (70–80 %).
Die Amylose besteht aus 300–1200 D-Glucopyranosyleinheiten, die α-1,4-glucosidisch
verknüpft sind (siehe Schema 21.1). Die unverzweigte, aus α-D-Glucopyranosyleinheiten
geknüpfte Kette der Amylose bildet eine linksgängige Spirale (siehe Bild 21.6).
Ein empfindlicher Stärkenachweis besteht in der Blaufärbung einer Stärkelösung nach
Zugabe einiger Tropfen Lugolscher Lösung (Iod/Kaliumiodid-Lösung), die auf eine Ein-
schlußverbindung von Iodmolekülen im kanalförmigen Innenraum der Amylose-Helix zu-
rückzuführen ist (siehe Bild 21.7). Erwärmt man die Lösung im heißen Wasserbad weicht
die Blaufärbung, da die Amylose-Spirale aufgerollt wird, und die Einschlußverbindung dis-
soziiert. Nach dem Erkalten tritt die Blaufärbung wieder auf. Wird zu stark und zu lang er-
hitzt, wirkt Iod als Oxidans. Es wird bei der Oxydation der Stärke verbraucht, und nach Ab-
kühlen der Lösung kann dann keine Blaufärbung erfolgen. Sie tritt erst wieder nach erneuter
Zugabe von Iod auf.
21.8 Polysaccharide 847

Schema 21.1: Abschnitt einer Amylosekette


CH2OH CH2OH CH2OH
H O H H O H H O H
H H H
OH H 1 4 OH H 1 4 OH H
α
O α O O O

H OH H OH H OH
H (Haworth-Formel)
CH2OH
HO O
H
H
HO
1 H
OH α H
H 4 CH2OH
O
O
H
H
HO
1 H
OH α H
H 4 CH2OH
O
O
H
HO H
1 H
OH α H
H 4 CH2OH
(Konformationsformel) O
O
H
HO H
H
OH α
H
usw. O

Bild 21.6 Die linksgängige Amylose-Helix


848 21 Kohlenhydrate

Bild 21.7 Schematische Darstellung der Einschlußverbindung der Amylose mit Iod

Das Amylopektin umhüllt in den Stärkekörnern die Amylose und bildet den Hauptanteil
der Stärke. Am Aufbau des Amylopektins sind 103–104 D-Glucosemoleküle beteiligt. Sie
bilden Ketten aus α-1,4-glucosidisch verknüpften D-Glycopyranosyleinheiten, die durch-
schnittlich nach 25 Bausteinen auch noch α-1,6-glucosidisch verknüpft sind, wodurch das
Molekül Seitenketten bildet und stark verzweigt ist.
Ausschnitt aus einem Amylopektin-Molekül:
usw.
O

OH H
H
CH2OH H CH2OH
O O H
H
H
HO H
1 H HO O
OH α H
H 4
O CH2OH O
O
OH H H
H
HO H
1 H H CH2OH
OH α H H
H 4
O CH2OH H
O
H HO O
H
HO
1 H O
OH α H H
H 4 CH2
O
O
H
HO H
1 H
OH α H
H 4 CH2OH
O
O
H
HO H
H
OH α
H
O
usw.
21.8 Polysaccharide 849

Amylopektin ist in kaltem Wasser unlöslich, in warmem Wasser quillt es auf und bildet
einen Kleister, der nach dem Erkalten gelartig bis fest wird.
Dextrine sind Abbauprodukte der Stärke. Sie entstehen bei unvollständiger Hydrolyse der
Stärke mit verdünnten Säuren (Säuredextrine) oder beim Erhitzen der Stärke (Röstdextrine)
z.B. beim Backen des Brotes in der Brotrinde. Beim enzymatischen Abbau der Stärke mit
Amylasen entstehen sog. Grenzdextrine. Diese haben, da bei der enzymatischen Spaltung der
Stärke nur die α-1,4-glucosidische Bindung gespalten wird, einen relativ hohen Anteil an
verzweigten Dextrinen mit α-1,6-glucosidischer Verknüpfung. Dextrine sind farblos bis gelb
und bauen sich aus 6–200 α-D-Glucopyranosyleinheiten auf. Sie lassen sich mit Fehling-
Lösung nicht reduzieren. Nur die hochmolekularen Dextrine zeigen noch eine Blaufärbung
mit Iod. Dextrine werden manchmal auch als Stärkegummi bezeichnet, denn sie geben mit
Wasser einen Klebstoff, der als Ersatz für Gummi arabicum2 dient. Außerdem verwendet
man Dextrine noch als Verdickungsmittel für Druckfarben.
Cyclodextrine, nach ihrem Entdecker auch Schardinger-Dextrine genannt, entstehen beim
enzymatischen Abbau der Stärke durch Bacillus macerans oder Bacillus circulans, wobei
eine Verknüpfung der helicalen Windungen der Amylose eintritt. Die Cyclodextrine beste-
hen aus 6, 7 oder 8 α-1,4-verknüpften D-Glucopyranosyleinheiten, die einen Ring bilden. Sie
werden nach Ringgröße als α-, β- oder γ-Cyclodextrine bezeichnet.
H
H HO 4 H HO H
1
HO
O H CH 2
1 OH O O OH
H H H
H H
4
HO
O H
HOH 2C
4
CH 2OH
H H O 1 H

O H
O
HO HO
H H
H 1 O CH 2OH
H 4 HO HO
H 4
HOH 2 C H
O H
1 H
H H
OH OH H
O HO
1 O H
O O H H
H
4
H OH 1 O
H H
H 4 CH 2 OH
HOH 2C O H

β-Cyclodextrin
Die Cyclodextrine sind so aufeinandergestappelt, daß sie eine Röhrenform mit durchge-
henden Kanälen bilden. Der Durchmesser des Kanals beträgt in α- 470–520 pm, in β- 600–
640 pm und in γ-Dextrinen 750–830 pm. In diesen Hohlräumen können Gastmoleküle auf-
genommen werden. α-Cyclodextrine bilden auf diese Weise blaugefärbte Einschlußverbin-

2
Gummi arabicum ist eine aus Akazienrinde gewonnene, aus Polysacchariden bestehende Substanz,
die sich in Wasser zu einer klebrigen Flüssigkeit löst.
850 21 Kohlenhydrate

dungen mit Iod. In β- und γ-Dextrine können größere Wirtsmoleküle aufgenomen werden.
Man benutzt diese Cyclodextrine u. a. zum Schutz oxidations- und hydrolyseempfindlicher
Substanzen z.B. von Vitaminen und Aromastoffen oder in Zigarettenfiltern zum Abfangen
schädlicher Substanzen. Cyclodextrine haben eine hydrophile Außenseite und sind wasser-
löslich. In Wasser schlecht lösliche Arzneistoffe können als Einschlußverbindungen von
Cyclodextrinen in Wasser gelöst werden.
Stärkehaltige Nahrungsmittel. Zu den stärkehaltigen Nahrungsmitteln gehören Brot, Kartof-
feln, Reis, Mehlspeisen, Teigwaren usw. Es sind die mengenmäßig wichtigsten Nahrungs-
mittel. Der Bedarf des Menschen an Kohlenhydraten beträgt etwa 500 g pro Tag und wird
zum weitaus überwiegenden Teil durch stärkehaltige Nahrungsmittel gedeckt.
Der Abbau der Stärke bei der Verdauung beginnt schon in der Mundhöhle durch die im
Speichel befindlichen α-Amylasen. Im Magen werden die α-Amylasen durch die Magensäu-
re inaktiviert. Der weitere Abbau zu Maltose, Maltotriose (ein α-1,4-verknüpftes Trisaccha-
rid der Glucose) und zu Dextrinen erfolgt im Dünndarm durch die α-Amylase des Pankreas.
Diese spaltet nur α-1,4-glucosidische Bindungen, nicht jedoch α-1,6-glucosidische Bindun-
gen. Die Hydrolyse zur Glucose erfolgt durch die im Bürstensaum des Darmepithels befind-
lichen Enzyme α-Glucosidase und α-Dextrinase. Die α-Glucosidase hydrolysiert endständi-
ge Glucosereste von Oligosacchariden, und die α-Dextrinase (Debranching Enzym) kann
sowohl α-1,4- als auch α-1,6-glucosidische Bindungen hydrolysieren. Die Glucose wird vom
Darmepithel aufgenommen und in den Blutkreislauf gebracht.
21.8.1.2 Glycogen
Glycogen wird im Körper aus Glucose aufgebaut. Es ist das Depot-Polysaccharid des tieri-
schen und menschlichen Organismus und bildet eine leicht abzubauende Speicherform für
Glucose. Es befindet sich in Körnchenform im Cytosol (siehe Abschnitt 19.7.3) der Zellen
des Muskelgewebes und in besonders hoher Konzentration in den Leberzellen. Die Glyco-
genkörnchen enthalten auch die Enzyme für die Synthese und für den Abbau des Glycogens.
Das Glycogen ist ein hochmolekulares Polysaccharid, an dessen Aufbau bis zu 100.000
D-Glucosemoleküle beteiligt sind. Diese bilden Ketten aus α-1,4-glycosidisch verknüpften D-
Glucopyranosyleinheiten, die im Abstand von 8–12 Glucopyranosyleinheiten auch noch α-
1,6-verknüpft sind, so daß das Molekül außerordentlich stark verzweigt ist. Das Glycogen
ähnelt dem Amylopektin, nur ist das Glycogenmolekül größer und viel stärker verzweigt.
Der Glycogenabbau erfolgt vom Kettenende her, und darum ist die starke Verzweigung des
Glycogens sehr wichtig. Bedeuten doch viele Seitenketten die Möglichkeit eines gleichzeiti-
gen schnellen Abbaus des Glycogens und die schnelle Bereitstellung der für den Energie-
bedarf des Körpers wichtigen Glucose.
Der Glycogen-Abbau in der Leber wird von Glucagon und im Muskelgewebe von Adre-
nalin und Noradrenalin (siehe Abschnitt 22.3) ausgelöst und über einen komplizierten Me-
chanismus kontrolliert. Die Phosphorylase katalysiert die phosphorolytische Spaltung α-1,4-
glycosidischer Bindungen des Glycogens (Bindungsspaltung durch Substitution mit einer
Phosphatgruppe) unter Bildung von α-D-Glucopyranosyl-1-Phosphat. Die Spaltung erfolgt
vom nichtreduzierenden Ende des Glycogenmoleküls her, bis die Phosphorylase an einen α-
D-Glucopyranosylrest angelangt ist, der vier α-D-Glucopyranosyleinheiten von einer Ver-
zweigung entfernt ist. Im weiteren Verlauf ist ein als „Glycogen-Debranching Enzym“ be-
kannter Enzymkomplex wirksam, der eine Transferase und eine α-1,6-Glucosidase enthält.
21.8 Polysaccharide 851

Die Transferase überträgt im Block die drei α-1,4-glycosidisch verknüpften α-D-Glucopyra-


nosyleinheiten, die mit der α-1,6-glycosidisch gebundenen α-D-Glucopyranosyleinheit die
Seitenkette bildeten, auf das Kettenende einer anderen Kette. Im weiteren Reaktionsschritt
wird die α-1,6-glucosidische Bindung durch die α-1,6-Glucosidase gespalten. Der nunmehr
unverzweigte Abschnitt kann weiter durch die Phosphorylase gespalten werden.
α-1,6-glucosidische Bindung
CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH 2OH CH2OH CH2OH CH2OH
O O O O O O O O O
1
HO O O O O O O O O
O

CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH H2C 6 CH2OH CH 2OH
O O O O O O O O O O O O O O

HO O O O O O O O O O O O O O
O

Phosphorylase
CH2OH
O
12 HO O PO32

CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH


O O O O

HO O O O O
CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH H2C CH 2OH CH2OH
O O O O O O O

HO O O O O O O
O

Transferase
CH2OH
O

HO O

CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH2 CH2OH CH2OH
O O O O O O O O O
O

O O O O O O O O O O
HO

α-1,6-Glucosidase
CH 2OH
O

HO OH

CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH CH 2OH CH2OH CH2OH


CH 2OH CH2OH CH2OH
O O O O O O O
O O O

O O O O O O O
HO O O O
CH2OH
O
n HO
Phosphorylase O PO32

21.8.1.3 Dextrane
Dextrane werden extracellulär von Bakterien der Gattung Leuconostoc mit Saccharose als
Substrat erzeugt. Es sind in der Hauptsache α-1,6-verknüpfte Glucane, die im Molekül 50–
5000 α-D-Glucopyranosylreste enthalten. Sie sind verzweigt und weisen außer den α-1,6-
noch α-1,2-, α-1,3- und α-1,4-glucosidische Bindungen auf. Sie werden als Blutplasma-
ersatzmittel und als Materialien zur Herstellung chromatographischer Gele vom Typ Sepha-
dex verwendet.

21.8.1.4 Cellulose
Cellulose ist eine in der Natur mengenmäßig überwiegende organische Verbindung. Sie bil-
det das Baumaterial der pflanzlichen Zellwände und ist die Gerüstsubstanz der Pflanzen.
Baumwolle besteht aus fast reiner Cellulose und wird zu Textilien verarbeitet. Holz enthält
40–50 % Cellulose und außerdem 20–30 % Lignin und 10–30 % Polyosen (Hemicellulosen).
Verwesende Pflanzenteile werden durch Bakterien und Pilze abgebaut. Der Abbau der Cellu-
lose im Wiederkäuermagen erfolgt durch die Cellulasen der dort in großer Menge angesie-
delten Bakterien. Der Säugetierorganismus selbst kann Cellulose nicht abbauen.
852 21 Kohlenhydrate

Am Aufbau der Cellulose sind 500–5000 D-Glucosemoleküle beteiligt. Sie bilden aus β-
1,4-glycosidisch verknüpften β-D-Glucopyranosyleinheiten lineare unverzweigte Ketten.
Man kann Cellulose als β-1,4-glycosidisch verknüpftes Poly-β-D-glucopyranosid bezeich-
nen.
Intramolekulare Wasserstoffbrücken zwischen den OH-Gruppen in Stellung 3 und den
Ringsauerstoffatomen verhindern die freie Drehbarkeit der glucosidischen Bindung und
bewirken die lineare Struktur der Cellulosekette.
CH2OH H OH CH2OH H OH CH2OH
H O H H O H H O
H O O HO H O
β HO 1 H β H
OH H 1 4 H H 4 OH H H β OH H 1
β
O O O H
H O H H O
H OH CH2OH H OH CH2OH H OH

(Harworth-Formel)

H H H Wasserstoff-Brücke H
H H
CH2OH OH CH2OH OH
O O 1 O 4 O O
H H O H H H O H
H H H H
HO H O
1 O 4 O 1 O 4 O
OH CH2OH OH CH2OH
H H
H H H H
(Konformationsformel)
Abschnitt der Cellulosekette
Die Celluloseketten liegen in der langgestreckten Form neben, über und untereinander.
Diese räumliche Anordnung wird durch Wasserstoffbrücken gefestigt. Etwa 40 Cellulose-
ketten bilden eine Cellulosefaser.
H H H H
H H
CH2OH OH CH2OH OH
O O O O O
H H O H H H O H
H H H H
HO H O
O O O O
OH CH2OH OH CH2OH
H H
H H H H H H H H
H H
CH2OH OH CH2OH OH
O O O O O
H H O H H H O H
H H H H
HO H O
O O O O
OH CH2OH OH CH2OH
H H
H H H H H H H H
H H
CH2OH OH CH2OH OH
O O O O O
H H O H H H O H
HO H H H O H H
O O O O
OH CH2OH OH CH2OH
H H
H H H H

Bild 21.8 Schematische Darstellung nebeneinanderliegender Celluloseketten, die untereinander


Wasserstoffbrücken bilden.
21.8 Polysaccharide 853

Die Papierfabrikation. Holzcellulose ist die HOCH2


Substanz, aus der Papier hergestellt wird. Aus
dem zerkleinerten Holz müssen die Begleitstof- C O
fe der Cellulose entfernt werden. Zu diesen zäh-
HCOH
len vor allem das Lignin (in Nadelholz 28–30
%, in Laubholz 18–26 %), das bei der Ver-
holzung die Räume zwischen den Zellmembra-
nen ausfüllt, und Polyosen (Hemicellulosen).
Sie verursachen das Vergilben und die Brüchig- HOCH2 O CH3
keit des Papiers. Lignin ist ein hochmolekularer
aromatischer Stoff. Seine Struktureinheiten sind HC O
im wesentlichen Phenolether mit ein bis zwei
Methoxygruppen und einer Propylseitenkette HCO Zucker
mit Hydroxygruppen und einer Oxofunktion
(Ketogruppe). Diese Struktureinheiten sind
untereinander über Etherbindungen verknüpft. CH2OH
Das Lignin wird durch Bisulfitaufschluß in
H CO HCOH
eine wasserlösliche Form gebracht. Das Holz 3
wird bei diesem Verfahren unter Druck mit Cal- O CH
ciumbisulfitlösung bei 130°C einige Stunden ge-
kocht. Die Cellulose bleibt ungelöst, während
die Begleitstoffe in der Sulfitablauge gelöst sind. CH2OH
Bei der Reaktion erfolgt eine nucleophile Addi-
tion des Bisulfits an die Ketogruppe (siehe Ab- H3CO C O
schnitt 13.4.4.2) der Seitenketten des Lignins
unter Bildung von Ligninsulfonaten. Große O CH
Mengen an Sulfitablauge bilden ein Umweltpro-
blem. Die Hauptmenge der Ligninsulfonate wird
daher nach Aufkonzentrieren der Sulfitablaugen
verbrannt. Die bei dem Bisulfit-Verfahren ge-
H3CO
wonnene, von Ballaststoffen befreite Cellulose
wird als Sulfit-Zellstoff bezeichnet. Der Zellstoff O usw.
wird ohne Zusatz zu saugfähigen Filtrierpapie-
Ausschnitt aus einem Ligninmolekül
ren verarbeitet. Für schreibfeste Papiersorten
werden Barium- oder Calciumsulfat, Kaolin und
Harzseifen zugesetzt.
Acetatseide. Mit Acetanhydrid kann Cellulose voll acetyliert werden. Das Cellulosetriacetat
wird teilweise (partiell) verseift und ist dann in einem Gemisch Methylenchlorid/Methanol
löslich. Die Lösung wird aus feinen Düsen gepreßt und das Lösungmittel verdampft (Tro-
ckenspinnverfahren). Die entstandenen Fäden werden zu Acetatseide versponnen.
Viskoseseide. Läßt man einen Alkohol mit Schwefelkohlenstoff und Alkalilauge reagieren,
wird ein Xanthogenat gebildet:
S

R OH + CS2 + NaOH R O C S Na + H2O


854 21 Kohlenhydrate

Cellulose reagiert mit seinen Hydroxygruppen auf gleiche Weise zu Cellulosexanthoge-


nat: Man läßt auf die Cellulose 2 Stunden 18 %ige Natronlauge einwirken und behandelt sie
dann mit Schwefelkohlenstoff. Mit verdünnter Natronlauge erhält man eine Viskoselösung,
die aus feinen Spinndüsen in ein saures Fällbad gepreßt wird, wobei durch Umkehrung der
Reaktion die Cellulose aus dem Xanthogenat freigesetzt wird. Sie liegt in Form feiner Fäden
vor, die zu Viskoseseide versponnen werden. Preßt man die Viskoselösung aus schlitzförmi-
gen Düsen in das Fällbad, so entsteht ein dünner Film. Dieser wird in Walzen gestreckt und
mit Glycerin nachbehandelt. Die Viskosefolie wird im Handel als Cellophan bezeichnet.
Cellulosetrinitrat (auch Nitrocellulose oder Schießbaumwolle genannt). Beläßt man Watte
etwa 15 min in einem Nitriergemisch (konz. H2SO4/konz. HNO3 2 : 1), erfolgt eine Vereste-
rung zum Cellulosetrinitrat. Der Name Nitrocellulose hat sich eingebürgert und wird in der
Technik weiterhin gebraucht, ist aber falsch, denn es ist nicht die Nitrogruppe –NO2, die mit
dem Stickstoff an ein C-Atom der Cellulose gebunden wäre, sondern es handelt sich um ein
Nitrat mit der Gruppe –ONO2, bei der das O-Atom an das C-Atom der Cellulose gebunden
ist. Wäscht man das Produkt in fließendem Wasser und läßt es trocknen, so gleicht es äußer-
lich der Watte. Entzündet man es, brennt es blitzartig ab, auch unter Luftausschluß. Die Nit-
ratgruppen bilden in diesem Fall das Oxidationsmittel. Man bezeichnet die Trinitrocellulose
auch als Schießbaumwolle, weil sie als rauchloses Schießpulver Verwendung findet (siehe
auch Abschnitt 10.7.6.2). Unvollständig veresterte Cellulose wird in Ethanol/Ether gelöst als
Kollodium für den Wundverschluß verwendet. Beim Durchkneten des Kollodiums mit alko-
holischer Campherlösung entsteht das Celluloid, das früher als Material zur Herstellung von
Filmen diente, wegen der leichten Brennbarkeit aber durch anderes Material ersetzt wurde.

21.8.1.5 Galactane
Aus zahlreichen Rotalgen wird Agarose gewonnen, die in heißem Wasser noch in 1 % Lö-
sung ein Gel bildet. Agar ist ein Gemisch von gelierender Agarose und nicht gelierendem
Agaropectin. Es wird als Nährboden für Bakterienkulturen verwendet. Agarose wird als
Trägermaterial in der Gel-Elektrophorese eingesetzt. Die Agarose setzt sich zusammen aus
abwechselnden Einheiten von β-1,3-verknüpfter D-Galactopyranose und α-1,4-verknüpfter
3,6-Anhydro-L-galactopyranose. Anhydroverbindungen sind innere Ether, die durch Wasser-
austritt aus zwei im Monosaccharid befindliche Hydroxygruppen gebildet werden.
Teilsequenz der Agarose:

H O O
H2C
CH2OH H OH α

OH O O H
H
O H β O H

H H
H OH n
21.8 Polysaccharide 855

21.8.1.6 Fructane
Fructane sind Reservepolysaccharide, die sich aus β-D-Fructofuranosylresten zusammen-
setzen, die 2,1-verknüpft (Inulingruppe) oder 2,6-verknüpft (Levangruppe) sind. Von den
Fructanen ist das Inulin am bekanntesten, das aus Dahlienknollen isoliert werden kann.

HOCH2 OH
O
H HO
H CH2
OH H
O
HOCH2
O
H HO
H CH2
OH H
O
n
HOCH2
O
H HO
H CH2
OH H
OH
Inulin

21.8.1.7 Chitin
Chitin (griech. chiton = Panzer) hat bei wirbellosen Tieren eine Stützfunktion. Aus Chitin
bestehen die Panzer der Arthropoden (Insekten, Krebse, Spinnen). Die Zellwände einiger
niederer Pflanzen enthalten ebenfalls Chitin, z.B. die der Pilze, Hefen, Algen und Flechten.
Chitin besteht aus β-1,4-glycosidisch verknüpften N-Acetyl-D-glucosaminresten. Die
Chitinkette hat die gleiche räumliche Anordnung wie die Cellulose, sie ist linear und unver-
zweigt.

COCH3 COCH3

CH2OH H NH CH2OH H NH CH2OH


H O H H O H H O
O O O
H β OH 1 H β OH H H
OH H 1 4 H H 4 H H OH H 1
β OH β
O H O O H H O O H
H NH CH2OH H NH CH2OH H NH

COCH3 COCH3 COCH3


Abschnitt der Chitinkette
856 21 Kohlenhydrate

21.8.2 Heteroglycane

21.8.2.1 Polyosen
Die Polyosen sind in den Pflanzenfasern und Zellwänden der Pflanzen zu finden und sind stets
mit Cellulose vergesellschaftet. Man nannte sie daher auch Hemicellulosen. Es sind Polysac-
charide unterschiedlicher Zusammensetzung, deren Kette, die sich sowohl aus Pentosen als
auch aus Hexosen aufbaut, verzweigt ist. Die Polyosen sind amorph und löslich in Basen, ver-
dünnten Säuren und zum Teil auch in Wasser. Zu den Hexosen, die Polyosen aufbauen, zählen
die Galactose, Glucose und Mannose, zu den Pentosen die Arabinose und Xylose. Auch Galac-
turonsäure und Glucuronsäure sind am Aufbau der Polyosen beteiligt. Die Polyosen der Laub-
bäume bauen sich überwiegend aus Pentosen auf (etwa 3/4 Pentosen und 1/4 Hexosen), wäh-
rend sich die Polyosen der Nadelbäume überwiegend aus Hexosen zusammensetzen. Die
Polyosen, die sich überwiegend aus Hexosen zusammensetzen, bezeichnet man mit dem Sam-
melnamen Hexosane, diejenigen, die überwiegend aus Pentosen aufgebaut sind, als Pentosane.
Beim Bisulfit-Aufschluß des Holzes zur Zellstoffgewinnung werden Polyosen weitgehend
hydrolysiert. Die in Kleie reichlich vertretenen Pentosane werden mit verdünnter Schwefelsäu-
re zu Furfurol dehydratisiert, das weiter zu Furan und Pyrrol umgesetzt wird (siehe Abschnitt
25.2.1.1). Aus der aus Pentosanen (in Maiskolben, Stroh, Kleie) isolierten Xylose kann durch
katalytische Hydrierung das als Zuckerersatzstoff verwendete Xylit hergestellt werden.

21.8.2.2 Pektine
Pektine sind Polysaccharide, die in Früchten, Wurzeln und Stengeln von Pflanzen vorkom-
men und gelatinierende Eigenschaften haben. Sie haben wahrscheinlich in der Pflanze die
Funktion von Gerüstsubstanzen und die Aufgabe, die Zellen im Gewebsverband zusammen-
zuhalten. In unreifen Früchten liegt das unlösliche Calciumpektat vor, das im Reifungs-
prozeß durch enzymatische Methylierung in das lösliche Pektin übergeht. Beim Einkochen
von Früchten, z.B. Zwetschen und Pflaumen, die viel Pektin enthalten, kann es vorkommen,
daß auch ohne Zugabe eines Geliermittels ein Gel gebildet wird.
Pektine bestehen im wesentlichen aus α-1,4-glycosidisch verknüpften α-D-Galactopyra-
nuronsäureresten, die zu 20–80 % als Methylester vorliegen. Das Makromolekül enthält
außerdem noch als Zuckerkomponenten D-Glucose, D-Galactose, D-Xylose und D-Arabinose.
Das in Citrusschalen enthaltene Citruspektin besteht nur aus α-D-Galactopyranuronsäure-
resten. Obst-Pektine enthalten 95 % und Rüben-Pektine 85 % α-D-Galactopyranuronsäure-
Einheiten. Die Pektin-Makromoleküle enthalten 500–10000 Monosaccharideinheiten.

COOCH3 H OH COOCH3 H OH COOCH 3


O H H O H H O H
O O O
H OH H OH H H
OH H 1 4 H H 1 4 OH H 1 4 H 1 4 OH H α
O H O H H O
H O H O
H OH COOH H OH COOCH3 H OH
Abschnitt einer Citrus-Pektinkette

Pektine werden aus Citrusfruchtschalen, Obsttrestern und Zuckerrübenschnitzeln gewon-


nen und als Geliermittel verwendet. In schwach sauren Lösungen (pH 3–3,5) geben sie mit
60 % Saccharose klare Gelees.
21.8 Polysaccharide 857

21.8.2.3 Glycosaminoglycane
Kollagen und Elastinfasern sind im Extracellulärraum (außerhalb der Zelle gelegen) in
eine gelartige Grundsubstanz eingebettet. Die Zuckerkomponente dieser schleimigen,
hochviskosen und elastischen Substanz besteht im wesentlichen aus Glycosaminoglycanen
(auch als Mucopolysaccharide bezeichnet, lat. mucus = der Schleim), die an Eiweißstoffe
gebunden sind.
Glycosaminoglycane sind aus Disaccharideinheiten aufgebaut, die sich aus einer Uron-
säure oder einer Hexose (D-Galactose im Keratansulfat) und einem Hexosamin zusam-
mensetzen. In alternierender Folge bilden sie eine unverzweigte Kette. Die Uronsäuren liegen
als Salze vor, also als Uronate, die mit der Gruppe –COO– eine negative Ladung aufweisen.
Monosaccharid-Bausteine der Glycosaminoglycane können auch mit Schwefelsäure verestert
sein. Die Sulfatgruppen sind ebenfalls Träger einer negativen Ladung.
Die Hyaluronsäure ist ein Bestandteil der Synovialflüssigkeit der Gelenke („Gelenk-
schmiere“) und des Glaskörpers des Auges. Die Hyaluronsäure baut sich alternierend aus
β-D-Glucopyranuronsäure und N-Acetyl-β-D-glucosamin auf, welche β-1,3- und β-1,4-gly-
cosidisch verknüpft sind. 250–25.000 Disaccharideinheiten bilden ein Makromolekül. Ge-
wöhnlich liegt das Salz der Hyaluronsäure vor, das Hyaluronat, das ein Polyanion mit
starken intramolekularen Abstoßungskräften darstellt.

Hyaluronat-Baustein:
H
H
4 COO
4 CH2OH
O
H HO O
H
HO H
β O H
3 2 β O
3 2
OH 1
H NH 1
H
H
H3C C H
O
D-Glucopyranuronat N-Acetyl-β-D-glucosamin

Chondroitin-4-sulfat (griech. chondros = Knorpel) und Chondroitin-6-sulfat sind Bestandteil


der im Knorpel vorkommenden Proteoglycane.

H H
OSO3 OH
4 COO 4 COO
4 CH2OH 4 CH2OSO3
O O
H H O H H O
H H
H HO H
HO H β O H
2 β O 2 β O
3 2 β O 3
3 2
OH 1 3 OH 1
H NH 1 H NH 1
H H
H H
H3C C H H3C C H
O O
β-D-Gluco- N-Acetyl-β-D- β-D-Gluco- N-Acetyl-β-D-
pyranurat galactosamin-4-sulfat pyranuronat galactosamin-6-sulfat
Bauelement des Chondroitin-4-sulfats Bauelement des Chondroitin-6-sulfats
858 21 Kohlenhydrate

Dermatansulfat kommt in der Haut vor. Keratansulfat ist Bestandteil des Proteoglycans des
Knorpels.
OH
4 CH2OH
H H O
OSO3 H
4 H
H CH2OH CH2OSO3
4 O H 4
O
O 3 2 β O O
H H
H OH 1 H
HO O CO H
α O H H
3 2 β O H β O
2 3 2
OH 1 3
H NH 1 NH 1
H H
H
H 3C C H H3C C H
O O

α-L-Idopyranuronat N-Acetyl-β-D- β-D-Galactopyranose N-Acetyl-β-D-glu-


galactosamin-4-sulfat cosamin-6-sulfat
Baueinheit des Dermatansulfats Baueinheit des Keratansulfats

Zu der Gruppe der Glycosaminoglycane gehört auch das die Blutgerinnung hemmende He-
parin (siehe Abschnitt 21.6.7.3).

21.8.3 Glycokonjugate

Der Sammelbegriff Glycokonjugate steht für Verbindungen, in denen Kohlenhydrate an


Verbindungen anderer Stoffklassen (Lipide oder Proteine) gebunden sind.

21.8.3.1 Glycolipide
In den Glycolipiden sind die Kohlenhydrate an eine Lipidkomponente gebunden. Zu den
Glycolipiden gehören z. B. die Cerebroside (siehe Abschnitt 19.5.2.1). Glycolipide sind
Bestandteil der Zellmembranen.

21.8.3.2 Glycoproteine
In Glycoproteinen sind die Kohlenhydrate über O-, N- oder esterglycosidische Bindungen an
ein Protein oder ein Peptid gebunden. Sie sind in Enzymen, Transport- und Rezeptorprotei-
nen, in Hormonen und in Strukturproteinen zu finden. Zu den Glycoproteinen gehören z.B.
die Proteoglycane (Mucoproteine), die Bestandteil des Knorpels sind. Hyaluronsäure,
Chondroitinsulfat und Keratansulfat sind ihre Polysaccharidkomponenten. Der Knorpel be-
steht aus einem Netzwerk von Kollagenfasern, das mit Proteoglycanen ausgefüllt ist.
Übungsaufgaben 859

Übungsaufgaben
? 21.1
Welche Kriterien sind beim Schreiben der Formel eines Zuckers in der Fischer-Projektion zu
berücksichtigen?

? 21.2
Schreiben Sie in der Fischer-Projektion die Formeln folgender Monosaccharide auf:
a) D(-)-Erythrose, b) D(-)-Threose c) D(-)-Ribose d) D(-)-Arabinose
e) D(+)-Galactose f) D(+)-Mannose g) D(+)-Glucose h) D(-)-Fructose

? 21.3
Schreiben Sie, ausgehend vom D-Glycerinaldehyd die Kiliani-Fischer-Synthese in allen
einzelnen Reaktionsschritten auf.

? 21.4
Wie kommt es zur Ringbildung der Zucker und was sind α- und β-Anomere? Schreiben Sie
die Formel der α-D-Glucopyranose und der β-D-Glucopyranose in der Fischer-Projektion auf.

? 21.5
Was versteht man unter dem Begriff Haworth-Formel? Schreiben Sie die chemische Formel
der α-D-Glucopyranose und der β-D-Fructofuranose sowohl in Fischer-Projektion als auch
als Haworth-Formel auf.

? 21.6
Erklären Sie den Begriff Mutarotation am Beispiel der D-Glucopyranose.

? 21.7
Schreiben Sie die Formel der 2-Desoxy-β-D-ribofuranose auf und geben Sie an, in welchem
Komplexen Molekül sie als Baustein zu finden ist.

? 21.8
Schreiben Sie in Fischer-Projektion die Formel des D-Glucosamins auf.

? 21.9
Beschreiben Sie die Osazonbildung am Beispiel der D-Glucose.

? 21.10
Die D-Fructose ist ein Ketozucker. Trotzdem gibt dieser bei der Fehlingschen Probe eine
positive Reaktion. Was ist der Grund dafür?

? 21.11
Schreiben Sie die Formel der D-Glucuronsäure in Fischer-Projektion und die Formel der β-D-
Glucopyranuronsäure sowohl in Fischer-Projektion als auch mit der 4C1-Konformationsfor-
mel auf (siehe Kapitel 21.3.4.4 und 21.6.4.4).
860 21 Kohlenhydrate

? 21.12
Beschreiben Sie den Ruff-Abbau der D-Erythrose zu D-Glycerinaldehyd.

? 21.13
Erläutern Sie die Begriffe Glycoside, Nucleoside und Nucleotide.

? 21.14
Schreiben Sie die chemischen Formeln des Guanosins, des 2-Desoxycytidins und des Ade-
nosintriphosphats (Abkürzung ATP) auf.

? 21.15
Schreiben Sie die Formeln der β-Lactose und der Saccharose in Haworth-Projektion auf.

? 21.16
Aus welchen Zuckereinheiten ist die Stärke aufgebaut und auf welche Weise sind diese Ein-
heiten in der Stärke untereinander verknüpft? Welche Struktur besitzt die Amylose und
Amylopectin?

? 21.17
Aus welchen Zuckereinheiten besteht das Glycogen und wie ist seine Struktur?

? 21.18
Aus welchen Zuckereinheiten ist die Cellulose aufgebaut und wie sind diese Zuckereinheiten
glycosidisch miteinander verknüpft?

? 21.19
Benennen Sie die drei Monosaccharide und stellen Sie fest, welche von diesen Enantiomere
und welche Epimere sind:

H O H O H O
C C C
H C OH HO C H HO C H
HO C H H C OH HO C H
H C OH HO C H H C OH
H C OH HO C H H C OH
CH2OH CH2OH CH2OH
Lösungen 861

Lösungen

! 21.1
Beim Schreiben der Fischer-Projektion gehen wir von der Vorstellung aus, dass das Molekül
des Zuckers räumlich so orientiert ist, dass die Formyl- bzw. die Carbonylgruppe oben zu
stehen kommt und dass man dann in der Kohlenstoffkette des Zuckers nach unten die Kette
entlanggeht, wobei man jedes einzelne Kohlenstoffatom so betrachtet, dass die beiden Koh-
lenstoff-Kohlenstoff-Bindungen vom Betrachter gesehen nach rückwärts zeigen. Dadurch
kommen das Wasserstoffatom und die Hydroxygruppe links oder rechts zu stehen. Die Stel-
lung der Hydroxygruppe am letztständigen asymmetrischen Kohlenstoffatom entscheidet, ob
der Zucker der D- oder L-Reihe angehört. Steht die Hydroxygruppe rechts, so gehört der
Zucker der D-Reihe an, steht sie links, ist der Zucker ein L-Zucker.

! 21.2
Die genannten Monosaccharide haben folgende Formeln:
CHO CHO
CHO CHO H OH HO H
H OH HO H H OH H OH
H OH H OH H OH H OH
CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH

a) D (-)-Erythose b) D (-)-Threose c) D(-)-Ribose d) D (-)-Arabinose

CHO CHO CHO CH2OH


H OH HO H H OH O
HO H HO H HO H H OH
HO H H OH H OH HO H
H OH H OH H OH H OH
CH2OH CH2OH CH2OH CH2OH
e) D (+)-Galactose f) D (+)-Mannose g) D (+)-Glucose h) D (-)-Fructose

! 21.3
Vom Glycerinaldehyd ausgehend erhält man mit der Kiliani-Fischer-Synthese die D-Erythro-
se und die D-Threose: Im ersten Reaktionsschritt der Kiliani-Fischer-Synthese findet eine
nucleophile Addition von Blausäure an die Carbonylgruppe statt. Sauer katalysiert erfolgt
eine Hydrolyse der Nitrilgruppe des Cyanhydrins und es tritt eine Lactonisierung ein.
Schließlich wird das Lacton mit Natriumamalgam in Wasser zum entsprechenden Zucker
reduziert. Mit der Kiliani-Fischer Synthese erweitert man die Kohlenstoffkette des Zuckers
um ein weiteres Kohlenstoffatom, wobei jeweils ein Epimerenpaar entsteht.
862 21 Kohlenhydrate

N
O O
C C OH C C
H
H C* OH H /H O H *
C OH H C* OH Na/Hg H C
* OH
N
H C* OH - NH H C* OH - H2O H C* OH H C* OH
C
H C OH H C OH H C O H C OH
H
H H H H
H O
Cyanhydrin Aldonsäure Lacton D-Erythrose
C (siehe Abschnitt 21.6.4.2)
N
H C* OH O OH O
C C C C
H C OH H
HO
*
C H H /H O HO C* H HO
*
C H
* H
2 Na/Hg HO C
H
H C* OH H
- NH4 C* OH - H2O H C* OH H C* OH
D-Glycerinaldehyd
H C OH H C OH H C O H C OH

H H H H
D-Threose

! 21.4
Im Molekül des Zuckers befinden sich sowohl eine Formyl bzw. Carbonylgruppe als auch
Hydroxygruppen und es ist deshalb naheliegend, dass eine Reaktion eintreten kann, wie man
sie bei der sauer katalysierten Reaktion von Alkohol mit einem Aldehyd kennt, wobei ein
Halbacetal gebildet wird. Diese Reaktion erfolgt innerhalb des Zuckermoleküls und führt zur
Ringbildung, wobei ein Sechs- bzw. Fünfring gebildet wird. Bei dieser Reaktion entstehen
ein α- und ein β-Anomer (siehe Kapitel 21.3.4.1). Beim α-Anomer steht an dem C-Atom, an
dem die Ringbildung erfolgt ist, in der Fisch-Projektion die Hydroxylgruppe rechts, beim β-
Anomer links. Liegt beim Ringzucker ein Sechsring vor, wird in der Benennung des Zuckers
die Bezeichnung pyrano- und beim Vorliegen eines Fünfringes die Bezeichnung furano-
eingefügt.

HO C H CHO H C OH
H OH H OH H OH
HO H HO H HO H
H OH H OH H OH
H O H OH H O
CH2OH CH2 OH CH2OH

β-D -Glucopyranose D -Glucose α-D -Glucopyranose


Lösungen 863

! 21.5
In der Haworth-Formel wird das Zuckermolekül des Ringzuckers so dargestellt, als ob der
Ring in einer Ebene liegen würde, wobei man sich vorstellen muß, dass diese Ebene senk-
recht zur Zeichenebene steht, mit der stark gezeichneten Bindung nach vorn. Das Überführen
der Fischer-Projektion in die Haworth-Formel geschieht auf recht einfache Weise: alle funk-
tionellen Gruppen oder Atome, die in der Fischer Projektion rechts stehen, befinden sich in
der Haworth-Formel unten und die Gruppen die in der Fischer-Projektion links stehen, sind
in der Haworth-Formel oben. Die Haworth-Formel wird so geschrieben, dass der Sauerstoff,
der Bestandteil des Ringes ist, im Sechsring rechts oben und im Fünfring oben steht. Das
anomerische C-Atom befindet sich dann rechts vom Sauerstoff.

H C OH CH2OH
HOH2C OH
H OH HO HOH2C O
HO H H O H
H HO H H OH
H OH OH H H OH H
H O OH OH H O CH2OH
CH2OH H OH OH H
CH2OH
α-D -Glucopyranose α-D-Glucopyranose β -D-Fructofuranose β-D-Fructofuranose
in Fischer- in Haworth-Formel in Fischer- in Haworth-Formel
Projektion Projektion

! 21.6
Löst man die reine α-D-Glucopyranose in Wasser, so beobachtet man eine Änderung der spe-
zifischen Drehung bis ein Wert von [α]D20 = +52,7° erreicht wird. Zum gleichen Endwert
gelangt man auch, wenn man β-D-Glucopyranose in Wasser löst. Dies ist darauf zurückzu-
führen, dass in der wässrigen Lösung die α-D-Glucopyranose durch Öffnung des Ringes in
die offenkettige D-Glucopyranose und diese wiederum durch Ringbildung in die β-D-Gluco-
pyranose übergehen kann. Die Reaktionsfolge ist umkehrbar und so stellt sich in der Lösung
ein chemisches Gleichgewicht ein. Dieser Vorgang wird als Mutarotation bezeichnet (siehe
Kapitel 21.3.4.5).

H H H
CH2OH CH2OH H CH2OH
HO O HO O HO O
H H H
H H H
HO HO HO
H O OH
OH OH C OH
H H H
OH H H
864 21 Kohlenhydrate

! 21.7
In Desoxyzuckern ist die Hydroxygruppe des Zuckers durch ein Wasserstoffatom ersetzt.
Der wichtigste Desoxyzucker ist die 2-Desoxy-β-D-ribofuranose, sie ist der Baustein der
Desoxyribonucleinsäuren.
HOH2C OH
O
H H
H H
OH H
2-Desoxy-β-D-ribofuranose

! 21.8
In Aminozuckern befindet sich anstelle einer Hydroxygruppe eine Aminogruppe. Die Formel
der 2-Amino-2-desoxy-D-glucose die gemeinhin als D-Glucosamin bezeichnet wird (siehe
Kapitel 21.5.2):
CHO
H NH2
HO H
H OH
H OH
CH2OH
D-Glucosamin

! 21.9
Die Zucker haben eine Carbonylfunktion und reagieren mit Phenylhydrazin zum entspre-
chenden Phenylhydrazon. Auf dieser Stufe bleibt die Reaktion nicht stehen, das Phenylhyd-
razon reagiert weiter zum Bisphenylhydrazon, das als Osazon bezeichnet wird, wobei ein
Molekül des Phenylhydrazins reduktiv zu NH3 und Anilin gespalten wird. Epimere Zucker
z.B. D-Glucose und D-Mannose bilden das gleiche Osazon.
H O H N NHC6H5 N NHC6H5
C H
C C
H OH H OH 2 H NNHC H NNHC6H5
H2NNHC6H5 2 6 5
H OH H OH H OH
HO H - H 2O HO H - NH3, -H2 NC6 H5 HO H
-H2O
H OH H OH H OH
CH2 OH CH2OH CH2OH

D-Glucose D-Glucosephenylhydrazon Osazon


Lösungen 865

! 21.10
Die Lobry-de-Bruyn-van-Eckenstein-Umlagerung bewirkt eine in verdünnten Alkalihydro-
xid-Lösungen über ein Endiol ablaufende Epimerisierung von Aldosen und eine Isomerisie-
rung von Aldosen und 2-Ketosen. Die D-Fructose wird durch die Lobry-de Bruyn-van-
Eckenstein-Umlagerung in D-Glucose bzw. D-Mannose umgewandelt, so dass man bei der
Fehlingschen Probe eine positive Reaktion feststellen kann.
H O
C
H C OH
HO C H
H C OH
H C OH H C OH CH2 OH
CH2OH C O
C OH
D-Glucose HO C H
Epimeri- HO C H
sierung H C OH
H C OH
H O H C OH
C H C OH
HO C H CH2OH CH2OH
HO C H Endiol D -Fructose
H C OH
H C OH
CH2OH
D-Manose

! 21.11
Monosaccharide, in welchen sich anstelle der -CH2OH-Gruppe eine Carboxygruppe befin-
det, bezeichnet man allgemein als Glycuronsäuren oder einfach als –Uronsäuren. Der
menschliche Organismus entfernt giftige hydroxyhaltige Substanzen aus dem Körper, indem
er sie mit D-Glucuronsäure in Glycoside umwandelt, welche im Harn ausgeschieden werden.
D-Glucuronsäuren sind auch Bestandteil der Glycosaminglycane (siehe Abschnitt 21.8.2.3),
die im Extrazellulärraum von Bindegewebe, Knorpel und Haut zu finden sind. Die chemi-
schen Formeln der D-Glucuronsäure und der β-D-Glucopyranuronsäure:

HO C H H
CHO
H OH HO O H
H OH C O
HO H HO H HO
H OH H OH HO OH
H O H OH
H OH
COOH COOH H H
4C -Konformationsformel der
D-Glucuronsäure β-D-Glucopyranuronsäure 1
in Fischer-Projektion in Fischer-Projektion β- D-Glucopyranuronsäure
866 21 Kohlenhydrate

! 21.12
Beim Ruff-Abbau wird die D-Erythrose zunächst mit Brom zur D-Erythronsäure oxidiert
(-Onsäuren siehe Kapitel 21.6.4.2) und diese dann mit Kalkmilch in das entsprechende
Calzimsalz umgesetzt. Mit H2O2 erfolgt in Gegenwart von Fe3+ eine oxidative Decarboxylie-
rung zum D-Glycerinaldehyd.
H O O OH O O Ca 2 H O
C C C
2 Br2, H2O2, C
H C OH 2 H2O H C OH CaCO3 H C OH Fe3
2 2 2 H C OH
- 4 HBr - CO2 - CaCO3
H C OH H C OH - H O H C OH - H2O
2 CH2OH
- CO2
CH2OH CH2OH CH2OH
2

D-Erythrose D-Erythronsäure Calcium- D- D -Glycerin-


Erythronat aldehyd

! 21.13
Zucker stellen in ihrer Ringform Halbacetale dar und diese können mit Alkoholen unter
Wasserabspaltung Vollacetale bilden. Diese bezeichnet man bei den Zuckern allgemein als
Glycoside, mit Glucose als Zuckerkomponente als Glucoside. Die Komponente des Glyco-
sids, die kein Zucker ist, bezeichnet man als Aglycon.
Auch andere Verbindungen, die Protonen abspalten, z.B. Stickstoffverbindungen, können
Glycoside bilden. Die wichtigsten N-Glycoside sind die Nucleoside. Diese haben als Zu-
ckerkomponente die D-Ribofuranose oder die 2'-Desoxy-D-ribofuranose und als Nichtzu-
ckerkomponente (Aglycon) eine Pyrimidin- oder Purin-Nucleinbase (siehe Abschnitt
25.6.2.1b und 25.7.1.1). Besteht die Zuckerkomponente aus der D-Ribofuranose, so liegt ein
Ribonucleosid vor, liegt als Zuckerkomponente die 2'-Desoxy-D-ribofuranose vor, so handelt
es sich um ein Desoxyribonucleosid. Die in der Natur vorkommenden N-Glycoside sind
β-Epimere. Bei der Benennung der Ribonucleoside wird nur der Name der Nucleobase ge-
nannt, wobei Pyrimidinderivate die Endung -idin tragen und Ribonucleoside mit Purinbasen
als Aglycon die Endung -osin haben. Bei Desoxyribonucleosiden wird vor den Namen der
Base noch der Ausdruck 2-Desoxy- genannt.
Phosphorester der Nucleoside werden allgemein als Nucleotide bezeichnet, wobei man Ri-
bonucleotide und Desoxyribonucleotide unterscheidet. Die Position, an der der Phosphorsäu-
rerest am β-D-Ribofuranosid bzw. am β-D-desoxyribofuranosid verestert ist, wird mit einer
Zahl mit Apostroph angeführt. Gewöhnlich ist dies die Stellung 3' oder 5'. Auch wird zum
Ausdruck gebracht wie viel Phosphorsäurereste mit einander verknüpft sind, so dass zuerst
der Name des Nucleosids genannt wird und dann die Bezeichnung -mono-, di- oder Triphos-
phat hinzugefügt wird. Setzt sich das Nucleotid z.B. aus Adenosin und drei in 5'-Position am
Zuckerrest verknüpften Phosphorsäureresten zusammen, so heißt das Nucleotid Adenosin-5'-
triphosphat, abgekürzt ATP.
Lösungen 867

! 21.14
Chemische Formeln des Guanosins, des 2-Desoxycytidins und des Adenosin-5'-triphosphats
(zur überragenden Bedeutung von ATP siehe auch Kapitel 14.3.2):
O NH2

N C N
NH

N NH2 N O
HOH 2C N HOH2C O
O H H
H H
H H H H
HO OH HO H

Guanosin 2-Desoxycytidin

NH2

N C
N
O O O
O P O P O P OH2C N N
O
O O O H H
H H
HO OH

Adenosin-5'-triphosphat (Abkürzung ATP)

! 21.15
Die Formel der β-Lactose und der Saccharose (siehe Kapitel 21.7.3.3 und Kapitel 21.7.4.1):
CH2 OH CH 2OH

H O H O
H HO H H OH H
CH 2OH
OH H OH H
OH O H OH O CH 2OH
O H OH
H
OH H H OH H OH
H H CH 2OH O H

H OH
β-Lactose Saccharose
4-O-(β- D-Galactopyranosyl)- α-D-Glucopyranosyl-β-D-fructofuranosid
β- D-glucopyranose

! 21.16
Stärke ist ein Polysaccharid, das aus α-glucosidisch verknüpften D-Glucopyranosyleinheiten
aufgebaut ist. Sie wird in Pflanzen aus der bei der Photosynthese entstandenen Glucose ge-
bildet und dient der Pflanze als Kohlenhydratspeicher. Stärkehaltige Nahrungsmittel Brot,
Kartoffeln, Reis und Teigwaren gehören zu unseren wichtigsten Nahrungsmitteln. Die Stärke
enthält zwei Komponenten: die Amylose und das Amylopectin.
868 21 Kohlenhydrate

Die Amylose besteht aus 300–1200 D-Glucopyranosyleinheiten, die miteinander α-1,4-


glucosidisch verknüpft sind. Die unverzweigte, aus α-D-Glucopyranosyleinheiten geknüpfte
Kette der Amylose bildet eine linksgängige Spirale (siehe Kapitel 21.8.1.1 und Bild 21.6).
Die Blaufärbung der Stärkelösung mit einer Iod/Kaliumiodid-Lösung (Lugolsche Lösung) ist
auf eine Einschlußverbindung von Iodmolekülen im kanalförmigen Innenraum dieser links-
gängigen Spirale zurückzuführen.
Das Amylopectin besteht aus Ketten α-1,4-glucosidisch verknüpfter D-Glucopyranosylein-
heiten, die durchschnittlich nach 25 Bausteinen auch noch α-1,6-glucosidisch mit den α-1,4-
verknüpften Ketten verbunden sind, wodurch das Molekül verzweigt ist und Seitenketten
bildet. Am Aufbau des Amylopectins sind 103 bis 104 D-Glucosemoleküle beteiligt. Das Amy-
lopectin umhüllt in den Stärkekörnern die Amylose und bildet den Hauptanteil der Stärke.

! 21.17
Glycogen wird im Körper aus D-Glucose aufgebaut und dient im menschlichen und tieri-
schen Organismus als leicht abzubauende Speicherform der D-Glucose. Glycogen ist ein
hochmolekulares Polysaccharid, an dessen Aufbau bis zu 105 α-D-Glucopyranose-Einheiten
beteiligt sind. Sie bilden α-1,4-glucosidisch verknüpfte Ketten, die im Abstand von 8 bis 12
α-D-Glucopyranosyl-Einheiten auch noch α-1,6-glucosidisch verknpüpft sind, so dass das
Molekül stark verzweigt ist. Der Glycogenabbau erfolgt vom Kettenende her, und darum ist
die starke Verzweigung des Glycogenmoleküls so wichtig. Die vielen Seitenketten bedeuten
einen gleichzeitigen schnellen Abbau des Glycogens und die schnelle Bereitstellung der für
den Energiebedarf des Körpers wichtigen Glucose (siehe Kapitel 21.8.1.2).

! 21.18
Cellulose ist das Baumaterial der pflanzlichen Zellwände und die Gerüstsubstanz der Pflan-
zen. Am Aufbau der Cellulose sind 500 bis 5000 D-Glucosemoleküle beteiligt. Aus β-1,4-
glucosidisch verknüpften β-D-Glucopyranosyleinheiten bilden sie lineare unverzweigte Ket-
ten. In der Cellulosefaser liegen Celluloseketten in langgestreckter Form neben, über und
untereinander und diese räumliche Anordnung wird durch Wasserstoffbrücken gefestigt.
Etwa 40 Celluloseketten bilden eine Cellulosefaser (siehe Kapitel 21.8.1.4 und Bild 21.8).

! 21.19
D-Glucose und L-Glucose stehen zueinander in spiegelbildlichem
Verhältnis, es sind Enanti-
omere. D-Glucose und D-Mannose unterscheiden sich nur in der Konfiguration eines einzi-
gen asymmetrischen C-Atoms voneinander, es handelt sich um Epimere.

H O H O H O
C C C
H C OH HO C H HO C H
HO C H H C OH HO C H
H C OH HO C H H C OH
H C OH HO C H H C OH
CH2OH CH2 OH CH2 OH
D -Glucose L-Glucose D -Mannose
22 Amine
Amine kann man als Derivate des Ammoniaks betrachten. Je nachdem, ob ein, zwei oder
drei Wasserstoffatome des Ammoniaks durch einen Alkyl- bzw. Arylrest ersetzt sind, unter-
scheidet man primäre, sekundäre und tertiäre Amine.

H H H R''
H N R N R N R N
H H R' R'
Ammoniak primäres Amin sekundäres Amin tertiäres Amin

22.1 Struktur der Amine


Im Amin ist der Stickstoff sp3-hybridisiert. Man könnte sich deshalb vorstellen, daß Amine
eine Tetraederstruktur aufweisen, wobei sich die Alkylreste bzw. die Wasserstoffatome in
den drei Ecken eines gedachten Tetraeders befinden und das vom freien Elektronenpaar
besetzte Orbital in die vierte Ecke des Tetraeders weist. Von einem tertiären Amin mit drei
verschiedenen Liganden müßte es zwei Enantiomere geben, da man zu dem einen Amin ein
anderes mit spiegelbildlicher Konfiguration finden müßte.

Orbital mit freiem


Elektronenpaar
N N
R3 R1 R1 R3
2
R R2

Spiegelebene

Enantiomere tertiärer Amine existieren jedoch nicht. Die Erklärung ist in der Inversion
am Stickstoffatom des Amins zu suchen. Das Stickstoffatom schwingt in schneller Folge
(103–105 mal pro Sekunde) durch die Ebene der drei Liganden durch. Die Inversion erfolgt
über einen sp2-Zustand, in dem der Stickstoff und die Liganden in einer Ebene liegen.
Sind am Stickstoff vier verschiedene Liganden gebunden, so daß eine Inversion am
Stickstoff nicht stattfinden kann, z.B. im quartären Ammoniumsalz oder im Aminoxid, so
gibt es auch tatsächlich Enantiomere dieser Verbindungen.

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 869


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_22, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
870 22 Amine

R3
R3 R3
N N N
R1 2 R1 R1
R sp
3
sp3 R2
R2
sp2
senkrecht zur Papierebene

Bild 22.1 Inversion am Stickstoffatom des Amins

22.2 Nomenklatur der Amine


Nach der IUPAC-Nomenklatur werden die Alkylreste in Aminen mit der Endung -yl be-
zeichnet und das Wort Amin hinzugefügt. Sind an den Stickstoff des Amins gleiche Alkyl-
reste gebunden, wird unter Voranstellen der Silben di- bzw. tri- die Anzahl der gleichen
Alkylreste angegeben. Zum Beispiel:

CH3NH2 (CH3CH2)2NH (CH3)3N


Methylamin Diethylamin Trimethylamin

Liegt ein tertiäres Amin mit zwei gleichen Alkylgruppen vor, nennt man zunächst den
anders gearteten Alkylrest, dem man ein N- voranstellt, dann die beiden gleichen Alkylreste
mit der Vorsilbe di- und fügt schließlich das Wort Amin hinzu, z.B.:

(CH3CH2CH2)2N CH3
N-Methyldipropylamin

Liegt ein unsymmetrisch substituiertes Amin vor, betrachtet man dieses als Derivat ei-
nes primären Amins, wobei man als primäres Amin das mit dem längsten oder kompli-
ziertesten Alkylrest ansieht. Den anderen Alkylresten setzt man ein N- vor und nennt
diese Alkylreste zuerst. Dann nennt man den längsten Alkylrest und fügt das Wort Amin
hinzu, z.B.:

CH3CH2CH2 CH3CH2CH2 CH2CH3


N H N CH2CH3 N
CH3CH2 CH3 CH3

N-Ethyl- N-Ethyl- N-Ethyl-N-methyl-


propylamin N-methylpropylamin cyclohexylamin
22.2 Nomenklatur der Amine 871

Tetraalkyliertes Ammoniumhydroxid und dessen Salze benennt man, indem man alpha-
betisch geordnet, alle Alkylreste nennt, das Wort Ammonium hinzufügt und das Anion be-
nennt, z.B.:

CH3CH2CH2 CH3

H3C N OH H3C N CH2CH2CH3 Cl

CH2CH3 CH3
Cyclohexylethylmethyl- Trimethylpropyl-
propylammoniumhydroxid ammoniumchlorid

Nach dem System der Chemical Abstracts (dem größten chemischen Referateorgan) wer-
den Amine auf die Weise benannt, daß die an den Stickstoff gebundenen kürzeren Alkylreste
unter Voranstellen des Buchstabens N- mit der Endung -yl zuerst angeführt werden. Dann
folgt der Alkylrest mit der längsten Kohlenstoffkette, der so benannt wird, als ob anstelle der
Aminogruppe ein Wasserstoff an den Rest gebunden wäre. Schließlich wird das Wort Amin
angefügt, z.B.:
NH2
NH2
CH3
CH3 NH2 CH3C CCH2CHCH3 CH3CH2 N
CH3
Methanamin Benzolamin 4-Hexin-2-amin N,N-Dimethylethanamin
(Anilin)
Eine weitere Möglichkeit der Benennung eines Amins ist die, daß man die Aminogruppe
als Substituent des entsprechenden Kohlenwasserstoffes betrachtet, z.B.:

CH3
CH3
CH3CHCH2CH CH3 C CH3 H2N CH2 CH2 CH2 NH2
CH3
NH2 N(CH3)2
2-Amino- 2-Dimethylamino- 1,3-Diaminopropan
4-methylpentan 2-methylpropan

Es gibt eine Reihe von aromatischen Aminen mit Trivalnamen, z.B.:

NH2 NH2 NH2 NH2 NH2

COOH NH2

CH3 SO3H
Anilin p-Toluidin Anthranilsäure Sulfanilsäure o-Phenylendiamin
872 22 Amine

Diamine mit endständigen Aminogruppen werden oft so benannt, daß die Anzahl der in
der Verbindung vorhandenen Methylengruppen genannt und das Wort Diamin angefügt
wird, z.B.:

H2N CH2 CH2 CH2 CH2 CH2 CH2 NH2


Hexamethylendiamin

22.3 Eigenschaften, Vorkommen und Bedeutung der Amine


Die niedrigen Amine, Methylamin, Dimethylamin, Trimethylamin und Ethylamin sind gas-
förmig, die höheren Amine sind flüssig.
Wasserstoffbrücken-Bildung. Primäre und sekundäre Amine können untereinander Wasser-
stoffbrücken bilden:

R R

R N H N H N H

H H H
R

R N H N H

H H

Die Wasserstoffbrücken-Bindungen der Amine sind schwächer als bei den Alkoholen.
Dies ist damit zu erklären, daß der Stickstoff im Vergleich zum Sauerstoff eine geringere
Elektronegativität aufweist und infolgedessen auch die Polarisierung der N–H-Bindung
schwächer als die der O–H-Bindung ist.
Siedetemperaturen. Infolge der schwächeren Wasserstoffbrückenbindung haben auch die
primären und sekundären Amine eine etwas niedrigere Siedetemperatur als die Alkohole mit
gleicher Anzahl der C-Atome. Zwischen den Molekülen tertiärer Amine wirken nur Dipol-
Dipol-Kräfte, und sie weisen deshalb eine etwas niedrigere Siedetemperatur auf als primäre
oder sekundäre Amine mit der gleichen Anzahl von C-Atomen (siehe Tabelle 22.1).
Löslichkeit. Die niedermolekularen Amine, einschließlich der tertiären Amine, sind in Was-
ser löslich, jedoch nimmt mit zunehmender Anzahl der C-Atome ihre Löslichkeit ab. In pola-
ren organischen Lösungsmitteln (Ether und Alkohole) sind auch die höheren Amine löslich.
Vorkommen in der Natur. Der Fischgeruch rührt vom Trimethylamin (CH3)3N her, das
durch Zersetzung von Trimethylaminoxid (CH3)3N+–O– gebildet wird. Bei der Fäulnis von
Eiweiß entstehen aus den Diaminosäuren Ornithin und Lysin durch Decarboxylierung die
Diamine Putrescin (lat. putrescere = verfaulen) und Cadaverin. Beide haben einen unange-
nehmen Geruch.
22.3 Eigenschaften, Vorkommen und Bedeutung der Amine 873

- CO2 - CO2
H2N(CH2)3CHCOOH H2N(CH2)4NH2 H2N(CH2)4CHCOOH H2N(CH2)5NH2

NH2 NH2

Ornithin Putrescin Lysin Cadaverin

Tabelle 22.1 Schmelz- und Siedetemperaturen einiger Amine in °C

Name Formel Smt. Sdt. Name Formel Smt. Sdt.


Methylamin CH3NH2 –92 –6,5 n-Propylamin C3H7NH2 –83 49
Dimethylamin (CH3)2NH –96 7 n-Butylamin C4H9NH2 –50 78
Trimethylamin (CH3)3N –117 3 Anilin C6H5NH2 –6 184
Ethylamin CH3CH2NH2 –80 17 Diphenylamin (C6H5)2NH 53 302
Diethylamin (CH3CH2)2NH –39 55 N(CH3)2

Triethylamin (CH3CH2)3N –115 89 N,N-Dimethyl- 2,4 194


anilin

Serotonin wird im Organismus durch Hydroxylierung und anschließende Decarboxylierung


aus der Aminosäure Tryptophan gebildet und ist ein im Tier- und Pflanzenreich weitverbreitetes
Gewebshormon, das z.B. beim Menschen an der Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus‘ betei-
ligt ist. Es gehört zu den Neurotransmittern. Neurotransmitter sind Überträgerstoffe, die be-
stimmte Nervenzellen auf spezifische Weise beeinflussen.

CH2CHCOOH CH2CHCOOH CH2CH2

NH2 HO HO
Hydroxylierung NH2 NH2

Tryptophan-
N Hydrolyase N CO2 N
Tryptophan 5-Hydroxytryptophan Serotonin

Adrenalin ist das Hormon des Nebennierenmarks, es hat Einfluß auf die Blutzucker-
konzentration und erhöht den Blutdruck. Die Biosynthese von Dopamin, Noradrenalin und
Adrenalin geht aus vom Tyrosin. Histamin entsteht durch Decarboxylierung der Amino-
säure Histidin. Die Amine, deren Biosynthese aus Aminosäuren erfolgt, bezeichnet man
als biogene Amine. Die genannten Amine gehören alle zu den Neurotransmittern. Fehler-
hafte Dopaminproduktion steht mit der Parkinsonschen Krankheit in Verbindung. Etha-
nolamin und Cholin sind beide Bestandteile der Phosphatide (siehe Abschnitt 10.7.6.3). Zu
den Verbindungen mit einer Aminogruppe gehören auch die Aminosäuren, die Bausteine
der Eiweiße.
874 22 Amine

N
HO CH CH2 CH2 CH2 CH2 CH2

X NHR N CH2CH2 NH2 OH NH2 OH N(CH3)3 OH


HO
X = OH, R = CH3 - Adrenalin Histamin Ethanolamin Cholin
X = OH, R = H - Noradrenalin
X = H, R = H - Dopamin R CH COOH

NH2
Aminosäuren
Industrielle Bedeutung der Amine. Große Bedeutung besitzt das Anilin, der Ausgangsstoff
für die Synthese vieler Farbstoffe. Wichtig sind auch die Diamine als Rohstoffe zur Herstel-
lung von Kunststoffen (siehe Nylon in Abschnitt 15.6.1.5 und Polyurethane in Abschnitt
18.1.4).

22.4 Großtechnische Synthese der Amine

22.4.1 Synthese der Methylamine

Bei der großtechnischen Herstellung der Methylamine geht man von Methanol und Ammo-
niak aus. Beide Edukte reagieren bei 350°C und 20 bar in Gegenwart von Aluminiumsilikat
oder Aluminiumphosphat. Es erfolgt die stufenweise Methylierung des Ammoniaks durch
Methanol, so daß Methyl-, Dimethyl- und Trimethylamin als Reaktionsprodukte im Gemisch
vorliegen. Ein Überschuß an Ammoniak und Wasserzusatz begünstigen die Mono- und Dial-
kylierung.
350 °C, 20 bar, Katalysator CH3OH CH3OH
CH3OH + NH3 CH3NH2 (CH3)2NH (CH3)3N
- H2 O - H2O - H2O

Die Methylamine sind wichtige Zwischenprodukte für die Synthese von Insektiziden,
Herbiziden, Pharmazeutika und Detergenzien. Das Dimethylamin wird zur Herstellung von
Dimethylformamid und Dimethylacetamid verwendet.

22.4.2 Synthese der Diamine

Die Herstellung der für die Synthese der Polyamide (siehe Abschnitt 15.6.1.5) und Poly-
urethane (siehe Abschnitt 18.1.4) wichtigen Diamine erfolgt hauptsächlich durch katalyti-
sche Hydrierung der entsprechenden Dinitrile. Zu diesen kann man mit einer Reaktionsfolge,
ausgehend von der entsprechenden Dicarbonsäure, gelangen.

H2C COOH 2 NH H2C COO NH4 - 4 H2O H2C C N Ni/H2 H2C CH2 NH2
3
Druck,
H2C COOH H2C COO NH4 H2C C N H2C CH2 NH2
120 °C
Bernsteinsäure Ammoniumsuccinat Butandinitril 1,4-Diaminobutan
22.5 Darstellung der Amine im Labor 875

22.4.3 Synthese des Anilins


a) Aus Nitrobenzol. Die Herstellung des Anilins erfolgt durch katalytische Gasphasenhydrie-
rung von Nitrobenzol im Festbett- oder Fließbettverfahren (über Festbett- und Fließbett-
verfahren siehe Abschnitt 7.6.2.1 und 7.6.2.2). Im Festbettverfahren arbeitet man mit Nickel-
sulfid-Katalysatoren bei 300–475°C. Bei der Hydrierung im Fließbettverfahren benutzt man
Cu-, Cr-, Ba- und Zinkoxide als Katalysatoren, die auf SiO2 als Trägersubstanz aufgetragen
sind. Man hydriert bei 270°C und 1–5 bar.
NO2 NH2

H2, Katalysator, 270 °C, 5 bar


- 2 H2O

Nitrobenzol Anilin

b) Aus Chlorbenzol. Die Ammonolyse des Chlorbenzols erfolgt mit wäßrigem NH3 in Ge-
genwart von CuCl und Ammoniumchlorid bei 200°C und Druck (RM siehe Abschnitt 6.6.4).
Cl NH2

2 NH3, CuCl, 200 °C, Druck


- NH4Cl

Chlorbenzol Anilin

c) Aus Phenol. Die Ammonolyse des Phenols erfolgt mit NH3 in der Gasphase in Gegenwart
von Katalysatoren, z.B. Al2O3 und SiO2, bei 200–425°C und Druck.
OH NH2

NH3, Al2O3, 400 °C, Druck


- H2O

22.5 Darstellung der Amine im Labor

22.5.1 Amine durch Reduktion von Stickstoffverbindungen

22.5.1.1 Amine aus Nitroverbindungen


Die gute Zugänglichkeit aromatischer Nitroverbindungen läßt diese als wichtige Verbindun-
gen zur Darstellung aromatischer Amine erscheinen. Aliphatische Nitroverbindungen haben
nur geringe Bedeutung.
876 22 Amine

Katalytische Hydrierung. Sowohl aliphatische als auch aromatische Nitroverbindungen kön-


nen katalytisch hydriert werden. Die Hydrierung kann bei Zimmertemperatur und Normal-
druck mit PtO2 nach Adams durchgeführt werden. Die katalytische Hydrierung kann auch
mit Raney-Nickel erfolgen.
PtO2/ H2, 20 °C
R NO2 R NH2

Reduktion mit LiAlH4. Die Reduktion mit Lithiumaluminiumhydrid in Ether führt bei alipha-
tischen Nitroverbindungen zu Aminen. Aus aromatischen Nitroverbindungen erhält man
jedoch keine Amine, sondern Azoverbindungen.

Reduktion mit Metallen in saurer Lösung. Die Reduktion von Nitroverbindungen mit Metal-
len in saurer Lösung spielt insbesondere für die Darstellung aromatischer Amine, z.B. Anilin
und dessen Derivate, eine Rolle. Die Nitroverbindungen werden gewöhnlich mit feinen
Eisenspänen oder mit Zinngranulat in Salzsäure reduziert. Für die Reduktion der Nitrogruppe
werden 6 Elektronen benötigt, die vom Metall als Elektronenspender übertragen werden.

NO2 + 6 e + 6H NH2 + 2 H2O

Es ist anzunehmen, daß die Übertragung der Elektronen vom Metall auf den Stickstoff in
aufeinanderfolgenden Ein-Elektronen-Übertragungen nach folgendem Reaktionsschema er-
folgt:

O O O H O H O H
e H e H H
Ar N Ar N Ar N Ar N Ar N
O O O O O H
Nitroverbindung

OH2
- H2O e e
Ar N Ar N O Ar N O H Ar N O H
Ar N O H
-H
O H
Nitrosoverbindung
H H H H
H H - H2O e
Ar N O H Ar N O H Ar N OH2 Ar N Ar N

Arylhydroxylamin

H H H
H e aromatisches Amin
Ar N Ar N Ar N

H H

Anmerkung: und e = Elektron

Die Zwischenprodukte sind bei den Reaktionsbedingungen nicht isolierbar, die Reaktion
verläuft bis zum aromatischen Amin.
22.5 Darstellung der Amine im Labor 877

Reduktion mit Sulfiden. Nitroverbindungen können auch mit Natriumsulfid, oder mit Ammo-
niumsulfid in Ethanol als Lösungsmittel, reduziert werden. Mit diesen Reduktionsmitteln
gelingt die partielle Reduktion des Dinitrobenzols zum Nitroanilin.

NO2 NO2

Ethanol
+ 3 (NH4)2S + 6 NH3 + 2 H2O + 3S

NO2 NH2

22.5.1.2 Reduktion von Hydroxylaminoderivaten, Nitroso-, Azo-, Azoxy- und


Hydrazoverbindungen
Die oben angeführten Verbindungen können mit Zink in Salzsäure zu den entsprechenden
Aminen reduziert werden. Bei den Azo-, Azoxy- und Hydrazoverbindungen erfolgt die Re-
duktion unter Spaltung der Stickstoff-Stickstoff-Bindung.

Zn/HCl
R N O R NH2
Nitrosoverbindung

Zn/HCl
R NH OH R NH2
Alkylhydroxylamin

Ar N N Ar
Azoverbindung

Ar N N Ar
Zn/HCl
O 2 Ar NH2

Azoxyverbindung

Ar NH NH Ar
Hydrazoverbindung

22.5.1.3 Reduktion der Oxime


Sowohl Aldoxime als auch Ketoxime können mit Zn in Essigsäure oder auch mit Natrium in
absolutem Ethanol zu Aminen reduziert werden.
878 22 Amine

R OH R
Na/CH3CH2OH
C N CH NH2
R R

22.5.1.4 Reduktion der Nitrile und Amide


Sowohl Amide als auch Nitrile können mit LiAlH4 in Ether als Lösungsmittel zu primären
Aminen reduziert werden. Gewöhnlich ist dies die Methode der Wahl, da bei der katalyti-
schen Hydrierung auch sekundäre Amine entstehen können.

O 1.) LiAlH4/Ether
2.) H2O
R C NH2 R CH2 NH2
- Al(OH)3
- LiOH
H2O
2R C N + LiAlH4 (R CH2 N)2AlLi 2R CH2 NH2 + Al(OH)3 + LiOH

22.5.1.5 Amine durch Reduktion von Ritter-Reaktionsprodukten


Tertiäre Alkohole und andere Alkohole, die leicht Carbokationen bilden, reagieren mit Nitri-
len in konz. Schwefelsäure zu N-Alkylcarbonsäureamiden. Die Reaktion wird als Ritter-
Reaktion bezeichnet. Die Carbonsäureamide können mit LiAlH4 zum sekundären Amin
reduziert oder zum primären Amin hydrolytisch gespalten werden.

CR3
1.) konz. H2SO4 LiAlH4/Ether
O R' CH2 N
CR3
2.) H2O H
R3C OH + R' C N R' C N
H H /H2O
R'COOH + H3N CR3

Ritter-Reaktionsprodukt

Bei der Ritter-Reaktion wird der tertiäre Alkohol zunächst protoniert und spaltet dann
Wasser ab.

H H
R3C O H R3C O R3C + O
H H
H
Das Alkannitril reagiert als N-Nucleophil mit dem Trialkylcarbeniumion. Es wird ein un-
gesättigtes Carbeniumion gebildet, an das sich als Nucleophil Wasser anlagert. Die Deproto-
nierung des Oxoniumions führt zum Reaktionsprodukt, das in tautomerem Gleichgewicht
mit dem Carbonsäureamid steht.
22.5 Darstellung der Amine im Labor 879

H H H H
O O O
H -H
R' C N CR3 R' C N CR3 R' C N CR3 R' C N CR3
H
O O
CR3
Tautomerie
R' C N CR3 R' C N Ritter-Reaktionsprodukt
H

22.5.2 Darstellung der Amine durch Alkylierung

Läßt man ein Halogenalkan mit Ammoniak reagieren, erfolgt eine SN-Reaktion, wobei :NH3
als Nucleophil das Halogen im Halogenalkan ersetzt und das Alkylammoniumsalz entsteht.
Mit überschüssigem Ammoniak reagiert dieses zum Alkylamin und dem Ammoniumsalz.
R R
H3N C X H3N C X X = Cl, Br, I
H H
H H
Halogenalkan Alkylammoniumsalz
H

H3N H N CH2 R H2N CH2 R + NH4 X

X H primäres Amin

Auf dieser Stufe bleibt die Reaktion nicht stehen. Das primäre Amin kann mit seinem
freien Elektronenpaar am Stickstoff das Halogenalkan nucleophil angreifen und in diesem
das Halogen ersetzen. Es entsteht ein sekundäres Amin.

R CH2 NH2 R CH2 X (R CH2)2NH2 X

(R CH2)2NH2 X + NH3 (R CH2)2NH + NH4 X

sekundäres Amin
Das sekundäre Amin kann ebenso mit dem Halogenalkan unter Bildung eines tertiären
Amins reagieren.

(R CH2)2NH + R CH2 X (R CH2)3NH X

(R CH2)3NH X + NH3 (R CH2)3N + NH4 X

tertiäres Amin
880 22 Amine

Auch das tertiäre Amin hat noch ein freies Elektronenpaar und kann das Halogenalkan
als Nucleophil angreifen. Es entsteht das Tetraalkylammoniumsalz.

(R CH2)3N + R CH2 X (R CH2)4N X

Tetraalkylammoniumsalz

Nach der Reaktion liegt ein Reaktionsgemisch vor, bestehend aus primären, sekundären,
tertiären Aminen und dem Tetraalkylammoniumsalz. Der präparative Wert der Reaktion ist
gering, weil es schwierig ist, die Komponenten des Reaktionsgemisches voneinander zu
trennen.

22.5.2.1 Die Gabrielsynthese


Die Gabrielsynthese ermöglicht die präparative Darstellung eines primären Amins. Läßt man
ein Halogenalkan mit Phthalimidkalium (siehe Abschnitt 17.4.4) bei 150–200°C ohne Zuga-
be von Lösungsmittel 1–3 Stunden reagieren, so erfolgt in einer SN-Reaktion die Umsetzung
zum N-Alkylphthalimid. Führt man die Reaktion in einem aprotischen Lösungsmittel, z.B.
Dimethylformamid durch, erfolgt sie schon bei Zimmertemperatur in etwa 20 Minuten.
Durch Verseifung mit einer Base erhält man das Amin und das Salz der Phthalsäure. Hydro-
lysiert man das N-Alkylphthalimid mit einer Säure, bekommt man als Reaktionsprodukt die
Phthalsäure und das entsprechende Salz des Amins.

O
Verseifung:
C O
OH /H2O
+ H2N CH2 R
Amin
O O C O

C R C O Phthalsäureanion
N C X N CH2 R
H - KX
C H C O
K
O O C O H

+ H3N CH2 R
saure Hydrolyse:
H /H2O C O H Ammoniumion

O Phthalsäure

Aus seinen Salzen kann das Amin durch Zugabe einer starken Base freigesetzt werden:

X H3N CH2 R + NaOH H2N CH2 R + H2O + NaX


Salz des Amins Natronlauge primäres Amin X = Säurerest
22.5 Darstellung der Amine im Labor 881

Die Hydrolyse des N-Alkylphthalimids ist oft schwierig und zeitaufwendig. Man erhitzt
deshalb das N-Alkylphthalimid mit Hydrazin, wobei eine Austauschreaktion stattfindet, in
der Phthalhydrazid gebildet und das Amin freigesetzt wird.

O
O 1,5 - 3 h
unter Rück-
C
C fluß erhitzen
NH
in Ethanol
N CH2 R + H2N NH2 + H2N CH2 R
NH
C C
O O

N-Alkylphthalimid Hydrazin Phthalhydrazid Alkylamin

22.5.2.2 Darstellung primärer Amine mit Hexamethylentetramin (Delépine-Reaktion)


Alkyliodide und Halogenverbindungen mit leicht abspaltbarem Halogen, z.B. Allyl- und
Benzylhalogenide, ebenso wie α-Halogenketone, alkylieren Hexamethylentetramin (siehe
Abschnitt 13.4.3.1), wobei das quartäre Ammoniumsalz entsteht. Dieses wird mit alkoholi-
scher Chlorwasserstofflösung zum Hydrochlorid des Amins gespalten.

ethanolische
CHCl3, 12 h HCl
R I + (CH2)6N4 (CH2)6N4R I R NH3 Cl
Raumtemperatur - 6 HCHO
- NH4I
- 2 NH4Cl

22.5.2.3 Naphthylamine aus Naphthol (Bucherer-Reaktion)


α-Naphthol (siehe Abschnitt 6.8.5) reagiert unter Druck bei 150°C in wäßriger Natrium-
hydrogensulfit-Lösung mit Ammoniak, wobei das α-Naphthylamin entsteht. Entsprechend
reagiert β-Naphthol zu β-Naphthylamin. Die Reaktion ist reversibel.

OH NH2

NaHSO3, 150 °C, Autoklav


+ NH3 + H2O

α-Naphthol α-Naphthylamin

Die Bucherer-Reaktion besteht aus einigen reversiblen Teilschritten. Zunächst erfolgt die
Addition des Natriumhydrogensulfits an die Doppelbindung des Naphthols in 3-Stellung,
womit die Konjugation unterbrochen wird und ein Enol vorliegt, das in tautomerem Gleich-
gewicht mit der Keto-Form steht.
882 22 Amine

OH OH O
1
Keto-Enol-
2 NaHSO3 Tautomerie CH2
SO3Na SO3Na
3
H H
H H H H
α-Naphthol Enol-Form Keto-Form
An die Keto-Gruppe wird Ammoniak als Nucleophil addiert und Wasser abgespalten.
H
O
O NH2

CH2 NH3 CH2


SO3Na SO3Na

H H
H H H H

H H
N
H O NH

CH2 - H2O CH2


SO3Na SO3Na

H H
H H H H

Das Imin steht im tautomeren Gleichgewicht mit dem Enamin (siehe Abschnitt 13.4.3.1).
Unter Abspaltung des Natriumhydrogensulfits entsteht das α-Naphthylamin.
H
N NH2 NH2

Imin-Enamin-
CH2 Tautomerie - NaHSO3
SO3Na SO3Na

H H
H H H H
Imin Enamin α-Naphthylamin
In gleicher Weise wie Ammoniak können auch primäre Amine reagieren, wobei man
N-Alkylnaphthylamin erhält.

22.5.2.4 Sekundäre Amine über die Alkylierung eines N-Alkylamids


Die Methode schließt die Bildung eines tertiären Amins aus und wird deshalb für die Synthe-
se unsymmetrischer sekundärer Amine verwendet. Das N-Alkylamid wird einige Stunden
bei 130°C mit metallischen Natrium erhitzt und zu dem gebildeten Natriumsalz des N-Alkyl-
carbonsäureamids das Halogenalkan hinzugegeben. Das als Reaktionsprodukt erhaltene N,N-
22.5 Darstellung der Amine im Labor 883

Dialkylamid wird mit einer Säure hydrolysiert. Man erhält das Salz des sekundären Amins,
aus dem das sekundäre Amin mit einer starken Base freigesetzt wird.

O O O
Na R'' X
R' C N H R' C NNa R' C N R''
- 1/2 H2 - NaX
R R R
N-Alkylcarbonsäureamid Natriumsalz des N,N-Dialkylamid
N-Alkylcarbonsäureamids
R''
H /H2O OH
H2N R'' H N
- R'COOH - H2O
R R
Dialkylammoniumsalz Dialkylamin
Das N-Alkylcarbonsäureamid hat schwach saure Eigenschaften (siehe Abschnitt 17.4.4)
und bildet deshalb bei Erhitzen mit metallischem Natrium ein Salz. Das Anion des Salzes ist
ein starkes Nucleophil und reagiert mit dem Halogenalkan unter Bildung des Dialkylamids:

O Na O R''
R''
R' C N C X R' C N CH2 + Na X
H
R H R

22.5.3 Amine durch reduktive Aminierung

Sowohl Aldehyde als auch Ketone lassen sich mit Ammoniak, primären und sekundären
Aminen durch reduktive Aminierung in primäre, sekundäre und tertiäre Amine überführen.
H
PtO2/H2, Ethanol
C O + NH3 C primäres Amin + H2O
NH2

H
PtO2/H2, Ethanol
C O + R NH2 C H sekundäres Amin + H2O
N
R
R H
PtO2/H2, Ethanol
C O + N H C R tertiäres Amin + H2O
R N
R
Die reduktive Aminierung durch Hydrierung erfolgt gewöhnlich mit PtO2 nach Adams
oder mit Raney-Nickel als Katalysator. Mit PtO2 als Katalysator arbeitet man bei Zimmer-
884 22 Amine

temperatur und einem Überdruck von etwa 3–4,5 bar. Die katalytische Hydrierung mit
Raney-Nickel erfordert 20–150 bar Druck und Temperaturen von 40–150°C. Als Lösungs-
mittel dient Ethanol. Zum Beispiel:
H O
C CH2 NH CH2CH2 OH

PtO2/H2, 4,5 bar, Ethanol


+ H 2N CH2CH2 OH + H2O

N(CH3)2 N(CH3)2

Bei der reduktiven Aminierung mit Ammoniak bzw. primären Aminen kann das erhalte-
ne primäre bzw. sekundäre Amin nochmals alkyliert werden. Diese Nebenreaktion versucht
man durch einen Überschuß an Ammoniak, bzw. an primärem Amin zu begrenzen.

H O 1 Mol NH3
Ausbeute: 89 % 7%
C
CH2 NH2 CH2 NH CH2
Raney-Nickel, H2,
90 bar, 70 °C

0,5 Mol NH3


Ausbeute: 12 % 81 %

Der Reaktionsmechanismus der katalytischen reduktiven Aminierung ist nicht gänzlich


geklärt, es ist aber anzunehmen, daß die Reaktion in folgenden Reaktionsschritten abläuft:
NH2 - H O NH2
2 PtO2/H2
C O + NH3 C C NH C
H2O
OH H
Aminol Imin Amin

Die reduktive Aminierung von Aldehyden und Ketonen mit Ammoniak erfolgt auch
dann, wenn das sonst bei einer Reaktion aus beiden Edukten gebildete Imin wenig stabil ist
(siehe Abschnitt 13.4.3.1).

22.5.3.1 Die Leuckart-Wallach-Reaktion


Die reduktive Alkylierung von Ammoniak, von primären oder sekundären Aminen mit Al-
dehyden oder Ketonen unter Anwendung von Ameisensäure, Ammoniumformiat oder Form-
amid als Reduktionsmittel wird als Leuckart-Wallach-Reaktion bezeichnet. Man arbeitet mit
einem Überschuß an Ameisensäure und erhitzt auf 150–180°C, wobei das bei der Reaktion
gebildete Wasser abdestilliert wird.
22.5 Darstellung der Amine im Labor 885

NH3 Cl
HCOOH, 150 °C
C O + NH4Cl C + CO2
- H2O
H
Keton Aminhydrochlorid
Als wahrscheinlich darf bei der Leuckart-Wallach-Reaktion ein Reaktionsmechanismus
angesehen werden, bei dem in den ersten Reaktionsschritten aus der Carbonylverbindung
und dem Amin zunächst das Imin, bzw. im sauren Medium das Iminium-Salz entsteht, wel-
ches dann von der Ameisensäure unter Hydridübertragung und Abspaltung von CO2 zum
Ammonium-Salz reduziert wird.

R R H R H
O N N N
HO NHR
- H2O H
C + R NH2 C C C C

Aminol Iminiumion
H
R H H O
N O R N H
+ C
C C O C H
H O

Dialkyl-
ammoniumion

Eine Modifikation der reduktiven Alkylierung von primären oder sekundären Aminen
mit Formaldehyd und Ameisensäure als Reduktionsmittel wird als Eschweiler-Clarke-Reak-
tion bezeichnet. Primäre oder sekundäre Amine werden auf diese Weise zu tertiären Aminen
methyliert.
H Cl
O
HCl
R NH2 + 2H C + 2 HCOOH R N CH3 + 2 CO2
- 2 H2O
H
CH3

22.5.4 Aminsynthesen mit Umlagerungen

Hofmann-, Curtius-, Schmidt- und Lossen-Abbau sind Reaktionen, die über eine Umlage-
rung und eine Abspaltung von CO2 zu einem Amin führen. Alle diese Abbau-Reaktionen
haben eines gemeinsam: Im Reaktionsverlauf entsteht ein Zwischenprodukt mit einem Elek-
tronensextett am Stickstoff. Die Verbindung hat eine starke Neigung, die Außenschale des
Stickstoffs zum Elektronenoktett aufzufüllen. Dies erfolgt durch eine spontane Umlagerung,
bei der die Alkylgruppe anionotrop zum Stickstoff wandert.
886 22 Amine

22.5.4.1 Amine durch Abbau von Säureamiden (Hofmann-Abbau)


Die Reaktion erfolgt durch Einwirkung von Chlor, Brom, Natriumhypochlorit oder Natri-
umhypobromit auf ein Säureamid in 25 %iger Alkalilauge bei 70°C (Reaktionsmechanis-
mus siehe Abschnitt 17.4.4.3). Als Reaktionsprodukt entsteht ein Amin, dessen Kohlen-
stoffkette um ein C-Atom kürzer ist als das des Säureamids, von dem man beim Abbau
ausgegangen ist.

O
Br2, 2 NaOH, 70 °C
R C NH2 R NH2 + CO2
- 2 NaBr, - H2O

22.5.4.2 Der Curtius-Abbau


Läßt man ein Carbonsäurehalogenid mit Natriumazid NaN3 reagieren, so entsteht das Alka-
noylazid. In dieser Reaktion greift das Azidion N3– als Nucleophil das Carbonsäurehalogenid
an und ersetzt in einer Additions-Eliminierungsreaktion das Halogen. Bei Erhitzen des Alka-
noylazids in Benzol oder Toluol wird Stickstoff abgespalten. Über das Alkylisocyanat als
Zwischenprodukt wird nach Hydrolyse unter Abspaltung von CO2 das Amin gebildet.

O O 20-150 °C,
Toluol H2O
R C + Na N3 R C R N C O R NH2 + CO2
- NaCl - N2
Cl N3
Carbonsäure- Alkanoyl- Alkylisocyanat Amin
halogenid azid

Der Reaktionsmechanismus ähnelt sehr dem Hofmannschen Abbau von Säureamiden.


Das Alkanoylazid spaltet beim Erhitzen Stickstoff ab, und es wird das Acylnitren gebildet.
Es erfolgt die Umlagerung der Alkylgruppe als Carbanion zum Stickstoff, wobei das Alkyl-
isocyanat entsteht. Die Umlagerung wird als Curtius-Umlagerung bezeichnet. Das Alkyl-
isocyanat wird unter Abspaltung von CO2 zum Amin hydrolysiert (RM siehe Abschnitt
17.4.4.3).

O O Curtius-
- N2 Umlagerung H2O
R C R C O C N R H2N R + CO2
N N N N

Alkanoylazid Acylnitren Alkylisocyanat Amin

22.5.4.3 Der Schmidt-Abbau


Ähnlich verläuft der Schmidtsche Abbau, wobei man von der Carbonsäure ausgeht und
diese mit Natriumazid in Schwefelsäure reagieren läßt. Es entsteht das protonierte Alka-
noylazid, das, wie das nachfolgende Reaktionsschema zeigt, zum Salz des primären Amins
abgebaut wird.
22.5 Darstellung der Amine im Labor 887

N N N
R R R R
H2SO4 - H2O H
O C O C O C O C
O H O H N N N

H H
Acylkation
H
protoniertes
Alkanoylazid
R R
- N2 H2 O
O C O C O C N R CO2 + H3N R
N N N N
H Alkylammoniumion
H H
protoniertes protoniertes
Acylnitren Alkylisocyanat

22.5.4.4 Der Lossen-Abbau


Erhitzt man das Salz der Hydroxamsäure (siehe Abschnitt 17.3.4.3) oder ihrer Derivate, ent-
steht als Zwischenprodukt Nitren, welches unter Umlagerung das Alkylisocyanat bildet.
Dieses kann zum Amin hydrolysiert werden.

O O Na O
OH
NaOCH3 Δ
R C N R C N OH R C N
- HOCH3 - NaOH
H Salz der
Hydroxamsäure Hydroxamsäure Nitren

Umlagerung H2O
O C N R R NH2 + CO2
Alkylisocyanat

22.5.4.5 Die Benzidin-Umlagerung


Die Benzidinumlagerung erfolgt durch Zugabe von Salzsäure zu einer Lösung von Hyd-
razobenzol C6H5–NH–NH–C6H5 in Ether. Es wird Benzidin-Hydrochlorid gebildet. Aus
diesem kann Benzidin mit Natronlauge freigesetzt werden.
Ether,
20 %ige HCl
NH NH H3N NH3
30 min, 20 °C
2 Cl
Hydrazobenzol Benzidin-Hydrochlorid

2 NaOH
H2N NH2 + 2 NaCl + 2 H2O

Benzidin
888 22 Amine

Benzidin bildet das Hauptprodukt der Reaktion. Als Nebenprodukt erhält man Dipheny-
lin und geringe Mengen weiterer Isomerer.

Diphenylin
H2N
2,4'-Diaminobiphenyl

H2N

Die Benzidin-Umlagerung ist zweifelsohne eine intramolekulare Umlagerung. Ein wahr-


scheinlicher Mechanismus ist folgender:

H H H H
Cl Cl
N N H N N H
H H
H
Cl Cl
H N N H
H Cl
Cl H H
Hydrazobenzol

H2N NH2 H3N NH3


Cl Cl

+ 2H Cl Benzidin-Hydrochlorid

Das für die Reaktion benötigte Hydrazobenzol erhält man durch Reduktion von Nitro-
benzol mit Zink in Natronlauge.

22.6 Reaktionen der Amine


Für die Reaktionen der Amine ist das freie Elektronenpaar am Stickstoff von entscheidender
Bedeutung. Es bildet die Voraussetzung für die Nucleophilie der Amine, die eine Alkylie-
rung und Acylierung der Amine ermöglicht. Amine können mit dem freien Elektronenpaar
am Stickstoff ein Proton binden, was die Basizität der Amine erklärt. Das freie Elektronen-
paar ist bei der N-Nitrosierung der Amine am Zustandekommen der Stickstoff-Stickstoff-
Bindung beteiligt. Schließlich kann der Stickstoff eines tertiären Amins mit seinem freien
Elektronenpaar ein Sauerstoffatom koordinativ binden.
22.6 Reaktionen der Amine 889

22.6.1 Acidobasische Eigenschaften der Amine

22.6.1.1 Basizität der Amine


Amine haben am Stickstoff der Aminogruppe ein freies Elektronenpaar, mit dem sie ein Pro-
ton binden können, und sie zeigen, ähnlich dem Ammoniak, in wäßriger Lösung eine basi-
sche Reaktion.

R NH2 + H2O R NH3 + OH

Die Basizität der Amine ist vergleichbar mit der des Ammoniaks. Die niederen primären
und sekundären Amine sind sogar etwas basischer als Ammoniak. Dies ist auf die elektro-
nenschiebende Wirkung der Alkylgruppen zurückzuführen. Sie hat eine Zunahme der Elek-
tronendichte am Stickstoff zur Folge und erleichtert damit die Reaktion mit einem Proton.
Zusätzlich bewirkt der Elektronenschub der Alkylreste nach Protonierung des Amins eine
teilweise Kompensation der positiven Ladung am Stickstoff und stabilisiert somit das ent-
standene Ammoniumion. In Einklang damit steht, daß die sekundären Amine etwas basi-
scher als die primären Amine sind. Es ist jedoch überraschend, daß tertiäre Amine, die ja drei
Alkylreste an Stickstoff gebunden haben, im Vergleich zu primären und sekundären Aminen
weniger basisch sind. Man erklärt dies damit, daß die Solvatation tertiärer Amine in wäßriger
Lösung von den Alkylresten räumlich behindert wird.
Aromatische Amine sind weniger basisch als aliphatische Amine. Dies ist darauf zurück-
zuführen, daß die Elektronendichte am Stickstoff bei aromatischen Aminen durch Delokali-
sierung des freien Elektronenpaares im Resonanzhybrid (siehe mesomere Grenzformeln des
Anilins) vermindert wird. Außerdem ist die Resonanzenergie des Protonierungsproduktes
aromatischer Amine kleiner als die der aromatischen Amine selbst. Im Anilin z.B. wird das
freie Elektronenpaar am Stickstoff in die Mesomerie des Ringes einbezogen, während sich
im Aniliniumion die Mesomerie nur auf den aromatischen Kern erstreckt, der Stickstoff aber
nicht mit einbezogen ist.

NH2 NH2 NH2 NH2 NH2 NH3 NH3

Anilin Anilinium-Ion

Substituenten, die die Elektronendichte durch –I- oder –M-Effekt am Stickstoff senken
(z.B. C N , –NO2, –COOH) vermindern die Basizität aromatischer Amine, Substituenten
mit +I- und + M-Effekt (z.B. –OH, –CH3) hingegen verstärken sie. So ist z.B. o-Phenylen-
diamin stärker basisch als Anilin.
Entsprechend ihren basischen Eigenschaften bilden Amine mit Säuren Salze, z.B.:
890 22 Amine

NH2 NH3Cl

+ HCl oder CH3COOH + H2N R CH3COO H3N R

Die Salzbildung kann man gut mit Aminen demonstrieren, die wenig wasserlöslich sind,
z.B. mit Anilin. Gibt man in ein Reagenzglas mit Wasser etwas Anilin und schüttelt, so
schweben kleine Tröpfchen des Anilins im Wasser, die Flüssigkeit ist trüb. Einige Tropfen
Salzsäure geben nach Schütteln sofort eine klare Lösung des Salzes.
Alkalilaugen als die stärkeren Basen können Amine aus ihren Salzen freisetzen. Das in
Wasser schlecht lösliche freigesetzte Amin kann in Ether extrahiert oder durch Wasser-
dampfdestillation aus der wäßrigen Lösung abgetrennt werden.

22.6.1.2 Acidität der Amine


Die Elektronegativität des Sauerstoffatoms ist größer als die des Stickstoffs. Demgemäß ist
die N–H-Bindung weniger polar als die O–H-Bindung und Amine sind deshalb auch schwä-
cher sauer als Alkohole. Es bedarf starker Basen, z.B. organischer Lithiumverbindungen wie
Phenyllithium, um in den schwach aciden Aminen den Wasserstoff durch ein Metall zu er-
setzen, also Amidsalze zu bilden.
Li
R NH2 + LiC6H5 R N H + C6H6

Lithiumalkylamid

22.6.2 Oxidation der Amine mit Peroxysäuren

Die Oxidation von primären aromatischen Aminen mit Peroxysäuren oder Wasserstoff-
peroxid in Essigsäure als Lösungsmittel führt, wahrscheinlich über das Hydroxylamin als
Zwischenprodukt, zur Nitrosoverbindung.

H2O2
NH2 N O

Anilin Nitrosobenzol
Auch aliphatische primäre Amine werden zur Nitrosoverbindung oxidiert, ist jedoch ein
α-H-Atom vorhanden, erfolgt eine Tautomerisierung der Nitrosoverbindung zum Oxim.

R OH
H2SO5 Tautomerie
R CH2 NH2 R CH2 N O C N
H
Alkylamin Nitrosoalkan Oxim
22.6 Reaktionen der Amine 891

Sekundäre Amine werden zum Dialkylhydroxylamin oxidiert, das bei den Reaktions-
bedingungen einer weiteren Oxidation nicht unterliegt.
R R
H2SO5
N H N OH
- H2SO4
R R
Dialkylamin Dialkylhydroxylamin
Als wahrscheinlich wird folgender Reaktionsmechanismus angesehen:
R R
R
R N O O SO3 R N O H N O H
- SO42 -H
R
H H H
Tertiäre Amine reagieren mit Peroxysäuren oder Wasserstoffperoxid zum Aminoxid.

R3N + H2O2 R3N O + H2O

Trialkylamin Trialkylaminoxid

22.6.3 Die Alkylierung und Acylierung der Amine

22.6.3.1 Die Alkylierung der Amine


Amine können mit Halogenalkanen alkyliert werden. Das gebildete Produkt kann einer wei-
teren Alkylierung unterliegen, so daß man ein Reaktionsgemisch verschiedener Amine erhält
(siehe Abschnitt 22.5.2).
R X R X R X R' NR3 X
R' NH2 R' NH R R' NR2
- HX - HX

Durch reduktive Aminierung von Aldehyden und Ketonen können primäre in sekundäre
und sekundäre in tertiäre Amine umgesetzt werden (siehe Abschnitt 22.5.3).

22.6.3.2 Die Aminoalkylierung C–H-acider Verbindungen (Mannich-Reaktion)


C–H-acide Verbindungen, z.B. Ketone, reagieren mit Formaldehyd und einem sekundären
Amin zu einem tertiären Amin (siehe Abschnitt 13.4.7.5). Das sek. Amin wird in dieser
Reaktion alkyliert. Die Reaktion kann man auch als eine Aminomethylierung der C–H-aci-
den Verbindung betrachten. Z.B. entsteht aus einem Methylketon, Formaldehyd und Dime-
thylamin ein β-N,N-Dimethylaminoketon (das N,N-Dimethylamino-3-alkanon).

O O O
2 h erhitzen
in Ethanol α β
R C CH3 + C + HN(CH3)2 R C CH2 CH2 N(CH3)2 + H2O
H H
β-N,N-Dimethylaminoketon
(Mannich-Base)
892 22 Amine

Die Reaktion erfolgt durch Erhitzen des Gemisches, bestehend aus der C–H-aciden Ver-
bindung, Formaldehyd und dem Hydrochlorid des sekundären Amins, in Ethanol als
Lösungsmittel.
22.6.3.3 Acylierung von Aminen
Primäre und sekundäre Amine können mit Carbonsäurechlorid (siehe Abschnitt 17.1.3) oder
Carbonsäureanhydrid (siehe Abschnitt 17.2.3) acyliert werden. Tertiäre Amine reagieren auf
diese Weise nicht.

O R' O
Benzol, Pyridin
R C + H N R C R'
- HCl
Cl R N
R
O
R C O
CH3COOH
O + H NH R' R C R' + R COOH
R C N
O H

Mit dem Carbonsäurechlorid erfolgt die Acylierung in Benzol oder Ether unter Zugabe
eines HCl bindenden Mittels, z.B. Pyridin, Dimethylanilin oder Pottasche. Die Acylierung
mit Carbonsäureanhydrid erfolgt oftmals in Essigsäure als Lösungsmittel. In beiden Fällen
ist das Amin das Nucleophil, das in einer Additions-Eliminierungsreaktion im Carbon-
säurechlorid das Chlor oder im Carbonsäureanhydrid die Gruppe RCOO ersetzt.

O
O H O O
H C
-H
R N C R N C Cl R N C Cl R N R' + Cl
H R' Cl
H R' H R' H

Eine weitere Acylierung des acylierten Produkts ist durch die Mesomeriestabilisierung
des Carbonsäureamids erschwert, die eine Verminderung der Nucleophilie des Stickstoffs
zur Folge hat.

O O

C C
R R
R N R N

H H mesomere Strukturen des N-Alkylcarbonsäureamids


Das N,N-Diacetat eines wasserlöslichen Amins kann man mit Acetanhydrid in alkali-
scher Lösung darstellen. Diacetamid wird aus Acetamid durch Erhitzen mit Acetylchlorid
erhalten.
22.6 Reaktionen der Amine 893

Erhitzen + HCl
CH3CONH2 + CH3COCl (CH3CO)2NH

Eine Acylierung kann auch durch Ammonolyse von Estern mit primären oder sekundären
Aminen erreicht werden (siehe auch Abschnitt 17.3.4.3). Hierbei wird die Alkoxygruppe
–OR' durch eine N-Alkylaminogruppe –NH–R'' bzw. eine N,N-Dialkylaminogruppe –
NR''R''' ersetzt.

O O
Erhitzen
R C + H2N R'' R C + H O R'
O R' NHR''

22.6.3.4 Die Alkylierung und Acylierung von Enaminen


Alkylierung. Enamine (siehe Abschnitt 13.4.3.3) sind C-Nucleophile, die in einer SN-Reak-
tion in einem Halogenalkan das Halogen ersetzen können. Als Alkylierungsprodukt entsteht
ein Iminiumsalz. Seine Hydrolyse führt zu einer Carbonylverbindung, die im Molekül auch
die Alkylgruppe besitzt, die ursprünglich im Halogenalkan vorlag.
R R

R N R' R N R' H
H
C C C C C I
H H H H H
Enamin als Nucleophil
R
I R' R'
R N O
H2O/H
C C CH3 C C CH3
- R2NH2 I H
H H H
Imminiumsalz
Von einer Carbonylverbindung ausgehend gelangt man über das Enamin und dessen
Reaktion mit einem Halogenalkan zu einer in α-Stellung zur Carbonylfunktion alkylierten
Carbonylverbindung:

O R2N R'
R'' I
R2N H + C CH2 R' C C
H H H
Enamin
I R' R'
R2N O
H /H2O
C C R'' C C R''
H - R2NH2 I
H
H H
894 22 Amine

Acylierung. Eine Acylierung von Enaminen (Stork-Reaktion) kann mit einem Säurechlorid
erfolgen, wobei das Enamin als C-Nucleophil in einer Additions-Eliminierungs-Reaktion das
Chlor ersetzt. Die Hydrolyse des Produkts ergibt ein β-Diketon bzw. β-Ketoaldehyd (RM der
Hydrolyse siehe Rückreaktion bei Addition sekundärer Amine in Abschnitt 13.4.3.3).

R R R
O R' O
N R' N R' N
R C C R C C C R C C C Cl
H H H H R'' Cl H
H R''

R
R' R'
N O O O
Cl H /H2O
R C C C C C C β-Ketoaldehyd
H R'' - R2NH2 Cl H R''
H H

22.6.4 Eliminierungsreaktionen

22.6.4.1 Die Hofmann-Eliminierung


Erhitzt man Alkyltrimethylammoniumhydroxid, so wird dieses gespalten, wobei ein Alken
und Trimethylamin entstehen (siehe auch Abschnitt 3.6.1.5).

Δ
R CH2 CH2 N(CH3)3 OH R CH CH2 + N(CH3)3 + H2O

Abgespalten wird der längere Alkylrest, die Alkenbildung entspricht der Hofmann-Regel
(siehe Abschnitt 3.6.3). Bei Erhitzen von Tetramethylammoniumhydroxid erhält man Trime-
thylamin und Methanol als Spaltprodukte.

Δ
N(CH3)4 OH N(CH3)3 + CH3OH

Die Abspaltung des Alkylrestes erfolgt relativ leicht, weil durch die positive Ladung am
Stickstoff des tetraalkylierten Ammoniumhydroxids die C–N-Bindung stark polarisiert ist.
H3C CH3 H3C CH2 H
N C
Δ
H3C CH2 CH CH3 + (CH3)3N + H2O
C
H2C H O H H H

Das für die Reaktion benötigte Alkyltrimethylammoniumhydroxid kann durch vollstän-


dige Methylierung des Amins und nachfolgende Behandlung des Reaktionsproduktes mit
feuchtem Ag2O erhalten werden.
22.6 Reaktionen der Amine 895

3 CH3Br AgOH
R CH2CH2NH2 R CH2CH2N(CH3)3Br R CH2CH2N(CH3)3 OH
- 2 HBr - AgBr

Die Hofmann-Eliminierung wurde in der Strukturaufklärung der Alkaloide eingesetzt.


Durch erschöpfende Methylierung der stickstoffhaltigen Verbindungen, Überführen in die
quartären Ammoniumbasen und deren Erhitzen erhielt man einfachere ungesättigte Verbin-
dungen, die man zu identifizieren imstande war.

22.6.4.2 Die Cope-Eliminierung


Das durch Oxidation des Trialkylamins mit Peroxysäuren erhaltene Trialkylaminoxid (siehe
Abschnitt 22.6.2) wird bei Erhitzen in ein Alken und Dialkylhydroxylamin gespalten.

H2O2 100-150 °C
C C C C C C + H O NR2

H NR2 H NR2
O

Trialkylamin Trialkylaminoxid Alken + Dialkylhydroxylamin

Die Cope-Eliminierung wird begünstigt durch die positive Ladung am Stickstoff des
Aminoxids, die eine starke Polarisierung der C–N-Bindung bewirkt.

22.6.5 Nachweisreaktionen

22.6.5.1 Die Isonitril-Reaktion zum Nachweis primärer Amine


Ein Nachweis für primäre Amine ist deren Umsetzung zu Isonitrilen. Diese erfolgt nach
Zugabe von verdünnter Natronlauge und Chloroform zur ethanolischen Lösung des primären
Amins und kurzem Erhitzen des Reaktionsgemisches.

R NH2 + CHCl3 + 3 NaOH R N C + 3 NaCl + 3 H2O

primäres Amin Isonitril

Der Nachweis erfolgt mit nur geringen Mengen (nur einige Tropfen!) der Reaktanden
und im Abzug, da das Isonitril giftig ist. Schon in Spuren macht es sich durch einen unange-
nehmen Geruch bemerkbar.
Bei der Reaktion entsteht zunächst durch Eliminierung von HCl aus Chloroform das
Dichlorcarben (Carbene siehe Abschnitt 5.8.1), an das sich das primäre Amin nucleophil an-
lagert. Die Abspaltung von Chlorwasserstoff aus dem Zwischenprodukt führt zum Isonitril.
896 22 Amine

H
Cl H Cl N R
NaOH H2N R H 2 NaOH
C C Cl C N R
- NaCl C - 2 NaCl
Cl Cl - H2O Cl - 2 H2O
Cl

Chloroform Dichlorcarben Isonitril

22.6.5.2 Die Hinsberg-Reaktion zur Unterscheidung primärer, sekundärer und tert. Amine
Benzolsulfonylchlorid reagiert sowohl mit primären als auch mit sekundären Aminen unter
Bildung der entsprechenden Sulfonamide. Tertiäre Amine reagieren mit Benzolsulfonyl-
chlorid nicht.
acid
- HCl (in Lauge löslich,
SO2 Cl + H2N R SO2 NH R bildet Salze)

Benzolsulfonylchlorid + Alkylamin N-Alkylbenzolsulfonamid

R R
- HCl
SO2 Cl + HN SO2 N (in Lauge nicht löslich)
R R
Benzolsulfonylchlorid + Dialkylamin N,N-Dialkylbenzolsulfonamid

Im N-Alkylsulfonamid, das bei der Reaktion des Benzolsulfonylchlorids mit einem pri-
mären Amin erhalten wird, ist im Resonanzhybrid durch die positive Teilladung am Stick-
stoff die N–H-Bindung stark polarisiert:

O O O
R R R
S N S N S N
H H H
O O O

mesomere Grenzformeln des N-Alkylsulfonamids

Das N-Alkylbenzolsulfonamid kann deshalb H+ abspalten. Es hat saure Eigenschaften,


und kann mit Basen Salze bilden, die wasserlöslich sind.
R
SO2 N + NaOH SO2 N R Na + H2O
H

Das aus dem sekundären Amin erhaltene N,N-Dialkylbenzolsulfonamid hat am Stick-


stoffatom kein Wasserstoffatom gebunden. Es kann deshalb H+ nicht abspalten und bildet in
Alkalilauge keine Salze, ist dort nicht löslich und bildet einen Niederschlag.
22.6 Reaktionen der Amine 897

Tabelle 22.2 Unterscheidung primärer, sekundärer und tertiärer Amine nach Hinsberg

reagiert mit

Amin SO2 Cl in Natronlauge in Säure

zum
R R R
R NH2 SO2 N SO2 N SO2 N
H H
prim. Amin
N-Alkylbenzolsulfonamid liegt als Salz vor, wird aus Salz freige-
löslich setzt, unlöslich
R R R R
SO2 N SO2 N SO2 N
NH
R R R
R N,N-Dialkylbenzolsulfonamid keine Salzbildung, reagiert nicht,
sek. Amin nicht löslich nicht löslich
R R R R
R N R N R N R N H
R R R R X
tert. Amin reagiert nicht reagiert nicht, liegt als Salz vor,
nicht löslich löslich

Die Hinsberg-Reaktion dient zur Unterscheidung von primären, sekundären und tertiären
Aminen. Das untersuchte Amin wird mit Benzolsulfonylchlorid in Natronlauge (Hinsberg-
Reagens) geschüttelt. Nur das Amid, das aus dem primären Amin erhalten wurde, löst sich
durch Salzbildung im basischen Medium, so daß eine klare Lösung vorliegt. Das aus dem
sekundären Amin erhaltene N,N-Dialkylbenzolsulfonamid löst sich in der Natronlauge nicht.
Einen Niederschlag bildet auch das tertiäre Amin, das weder mit Benzolsulfonylchlorid noch
mit der Base reagiert. Säuert man die Lösung mit Salzsäure an, löst sich unter Salzbildung
nur das tertiäre Amin. Das in der Säure unlösliche N-Monoalkylbenzolsulfonamid wird aus
seinem Alkalisalz freigesetzt und als Niederschlag ausgefällt. Das N,N-Dialkylbenzol-
sulfonamid, das mit Säuren nicht reagiert, bildet weiterhin einen Niederschlag.
Die Basizität sowohl des N-Alkylbenzolsulfonamids als auch des N,N-Dialkylbenzol-
sulfonamids ist gering, da das freie Elektronenpaar des Stickstoffs an der Mesomerie betei-
ligt (siehe die auf der vorhergehenden Seite angeführten Grenzformeln) und die Elektronen-
dichte am Stickstoff dadurch herabgesetzt ist. Dies erklärt, warum beide Sulfonamide mit
Salzsäure keine Salze bilden und sich darum in der Salzsäure auch nicht lösen.

22.6.6 N-Nitrosierung aliphatischer Amine

Die Nitrosierung der Amine erfolgt in der Regel mit Natriumnitrit NaNO2 in saurer Lösung.
Die Mineralsäure setzt aus dem Natriumnitrit die salpetrige Säure frei. Diese ist unbeständig
und zerfällt in ihr Anhydrid, dem Distickstofftrioxid N2O3, und Wasser.
898 22 Amine

NaNO2 + HCl HNO2 + NaCl

2 HNO2 N2O3 + H2O

Man nimmt an, daß das Distickstofftrioxid das Nitrosierungsagens für die N-Nitrosierung
von Aminen ist. Auch das im sauren Medium aus HNO2 freigesetzte Nitrosyl-Kation kann
eine Nitrosierung bewirken.

H
H O N O O N O H2O + N O

H H
Nitrosyl-Kation

Die Reaktion verläuft unterschiedlich, je nachdem, ob ein primäres, sekundäres oder ter-
tiäres Amin vorliegt und ob es sich um ein aliphatisches oder aromatisches Amin handelt.

22.6.6.1 N-Nitrosierung primärer Amine


Die Diazotierung der primären aliphatischen Amine mit salpetriger Säure in saurem Medium
führt zunächst zum Diazoniumsalz. Aliphatische Diazoniumsalze sind unbeständig, sie spal-
ten N2 ab, und es entsteht ein Alkohol. Ein Alken kann als Nebenprodukt auftreten.

H2O
R NH2 + HNO2 + HCl R N N R N N Cl R OH + N2
- 2 H2O - HCl
prim. Amin Diazoniumchlorid prim. Alkohol

Die gasvolumetrische Messung des entwickelten Stickstoffs kann man zur quantitativen
Bestimmung primärer aliphatischer Amine heranziehen (Van-Slyke-Methode). Bei der Di-
azotierung greift das Amin als nucleophiles Reagens das aus der salpetrigen Säure entstan-
dene Distickstofftrioxid an. Der Stickstoff ist weniger elektrophil als der Sauerstoff, und im
N2O3 ist die N–O-Bindung etwas polar, der Stickstoff hat eine positive Teilladung. Der nu-
cleophile Angriff des Amins erfolgt deshalb an einem der Stickstoffatome des Distickstoff-
trioxids. Das Stickstoffatom des Amins stellt sein Elektronenpaar für die N–N-Bindung zur
Verfügung und erhält damit eine positive Ladung. Die positive Ladung am Stickstoff des
N-Nitrosammoniumsalzes zieht das Bindungselektronenpaar der N–H-Bindung an, so daß
diese Bindung stark polar ist. Infolge dieser Polarisierung kann H+ leicht abgespalten wer-
den. Bei der Deprotonierung entsteht N-Nitrosamin.

δ- H
H O δ+
R N N O R N N O R N N O
H N O - O N O -H
δ+ δ- H H
prim. Amin Distickstofftrioxid N-Nitrosammoniumsalz N-Nitrosamin
22.6 Reaktionen der Amine 899

Das N-Nitrosamin steht im tautomeren Gleichgewicht mit dem Diazohydroxid: In der


sauren Lösung wird der Sauerstoff des N-Nitrosamins protoniert. Im Zwischenprodukt führt
der –I-Effekt des positiv geladenen Stickstoffatoms zur Deprotonierung der N–H-Gruppe,
wobei das Diazohydroxid entsteht.

H
R N N O R N N O H R N N O H R N N O H

H H H +H
N-Nitrosamin Diazohydroxid

In der sauren Lösung wird das Diazohydroxid am Sauerstoff protoniert, worauf Wasser
abgespalten und das Diazoniumkation gebildet wird.

H
H - H2 O
R N N OH R N N O R N N R N N
H
Diazohydroxid Diazoniumkation

Im Diazoniumkation ist die Struktur des molekularen Stickstoffs bereits vorgebildet. Die
positive Teilladung am Stickstoff zieht das Bindungselektronenpaar der C–N-Bindung an,
die Bindung ist polarisiert und kann leicht gespalten werden, wobei ein stabiles Produkt,
nämlich das Stickstoffmolekül, entsteht. Bei Abspaltung des Stickstoffmoleküls aus dem
Diazoniumkation entsteht ein Carbeniumion. Dieses reagiert mit Wasser, das als Nucleophil
auftritt, zum Oxoniumion. Unter Deprotonierung des Oxoniumions entsteht ein Alkohol.

H
O
H
- N N H -H
R N N R N N R R O R O H
H
Diazoniumkation Carbeniumion Oxoniumion Alkohol

Nach Bildung des Carbeniumions kann auch eine Eliminierung eines Protons aus der
zum positiven C-Atom benachbarten Methylen- oder Methingruppe erfolgen. Auf diese
Weise wird ein Alken gebildet, das als Nebenprodukt bei der Diazotierung von aliphatischen
primären Aminen entsteht.
H H
R' H
R' C C C C + H
H H
H H
Carbeniumion Alken
Wagner-Meerwein-Umlagerungen (siehe Abschnitt 3.7.3) können natürlich, ebenso wie
bei anderen Reaktionen, bei welchen Carbeniumionen als Zwischenprodukt entstehen, auch
erfolgen. So wird z.B. bei der Diazotierung von n-Propylamin überwiegend Isopropanol als
Reaktionsprodukt gebildet.
900 22 Amine

H
Wagner-Meerwein- O
H / HNO2 Umlagerung H
CH3CH2CH2NH2 CH3 CH2 CH2 CH3 CH CH3
- N2
H
O OH
H -H
CH3 CH CH3 CH3 CH CH3

Isopropanol
Eine besondere Art der Umlagerung ist die Demjanow-Umlagerung, die bei cyclischen
primären Aminen nach deren Diazotierung erfolgen kann. Eine Umlagerung des als Zwi-
schenprodukt gebildeten Carbeniumions kann zu einer Ringverengung oder Ringerweiterung
führen. Zum Beispiel entstehen bei der Diazotierung des Cyclobutylamins neben dem Cyc-
lobutanol auch das Cyclopropylmethanol.

H2 O HO
H H
H2C C HNO2/H H2C C H2C CH H2O CH2 CH - H CH2 CH
NH2
H2C CH2 - N2 H2C CH2 H2C CH2 H2C CH2 H2C CH2
- 2 H2O
Cyclobutyl- Cyclopropyl-
Cyclobutylamin kation methanol
H2O
H H
H2C C -H H2C C
OH2 OH
H2C CH2 H2C CH2

Cyclobutanol

22.6.6.2 N-Nitrosierung sekundärer Amine


Die N-Nitrosierung von sekundären Aminen führt zu Nitrosaminen. Dies sind gelb oder
orange gefärbte beständige Verbindungen, die cancerogen (krebserregend) sind.

R R N O R
- NO2 -H
N H O N O N O N N N O
R R H R
sekundäres Amin Nitrosamin

Viele Nitrosamine rufen Leberkrebs hervor. Bei einigen scheint ihre cancerogene Wir-
kung organspezifisch zu sein (Blase, Lunge, Speiseröhre, Nasenhöhlen). Man nimmt an, daß
die Cancerogenität der Nitrosamine auf der Bildung von alkylierenden Agenzien im Meta-
bolismus beruht, die zu einer Veränderung der DNS führen. Vermutlich erfolgt das krebsaus-
lösende Ereignis durch Methylierung einer Base im DNS-Strang, die Fehler bei der Replika-
tion nach sich zieht, wodurch ein Wachstum undifferenziert wuchernder Zellen erfolgen
kann. Nitrosamine findet man in Pökelfleisch (z.B. im Kasseler) und in gegrilltem Fleisch,
22.6 Reaktionen der Amine 901

bei dem die Stickoxide der Rauchgase das Nitrosierungsagens sind. In der Magensäure kön-
nen Nitrosamine auch durch Reaktion von in der Nahrung aufgenommenem Nitrit mit natür-
lichen sekundären Aminen entstehen. Die Amine werden mit Nahrungsmitteln aufgenom-
men, oder sie werden durch Abbau von Proteinen gebildet. Das Nitrit nimmt man auf mit
Pökelfleisch (das Pökelsalz enthält auch 0,5 % Nitrit, zum einen um die Haltbarkeit des Flei-
sches zu gewährleisten, zum anderen um eine Rotfärbung des Fleisches zu erzielen), mit
nitrithaltigen Wurstwaren, mit Gemüse (besonders Spinat und Kopfsalat von mit
Stickstoffdünger überdüngten Feldern) und mit nitrithaltigem Wasser (zulässiger Grenzwert
0,1 mg/L). Auch Nitrate in Wasser (zulässiger Grenzwert 50 mg/L, für Säuglingsnahrung
verwendetes Wasser sogar weniger als 10 mg/L) oder in Lebensmitteln (z.B. Blattgemüse)
können sich nachteilig auswirken, denn sie können schon in der Mundhöhle durch bakterielle
Reduktion zu Nitrit umgewandelt werden. Die Belastungsgrenze für die Nitrataufnahme von
Erwachsenen liegt nach Richtwerten der Weltgesundheitsorganisation WHO bei 3,65 mg
Nitrat pro kg Körpergewicht und Tag.

22.6.6.3 N-Nitrosierung tertiärer Amine


Tertiäre aliphatische Amine reagieren bei einem pH-Wert unterhalb 3 mit HNO2 nicht. In der
sauren Lösung bildet das tertiäre Amin mit der Mineralsäure lediglich ein Salz. Im pH-
Bereich zwischen pH 3–6 wird zunächst das Nitrosamoniumion gebildet, das nicht stabil ist
und hyposalpetrige Säure HNO abspaltet. Die hyposalpetrige Säure zerfällt sofort in Wasser
und N2O nach der Gleichung 2 HNO → N 2O + H 2O . Bei der Eliminierung der hyposalpetri-
gen Säure HNO entsteht ein Iminium-Ion, das hydrolytisch (siehe Abschnitt 13.4.3.3, Rück-
reaktion bei der Bildung des Enamins) zum Salz des sekundären Amins und zum Aldehyd
gespalten wird.
H O
R H R C
R CH2 R C
H /HNO2 C H2O + H
N N R'
pH 3 - 6 H N N O - HNO R'
R'
R' R' R' NH2
R'
R'
Nitrosamoniumion Iminium-Ion
Das bei der Reaktion gebildete Salz des sek. Amins steht in wäßriger Lösung im Gleich-
gewicht mit dem sekundären Amin:
R' R'
NH2 + H2O N H + H3O
R' R'
Das nichtprotonierte Dialkylamin reagiert mit HNO2 in saurer Lösung unter Bildung
eines Nitrosamins:
R' R'
H
N H + HNO2
- H2O
N N O
R' R'
902 22 Amine

22.6.7 N-Nitrosierung aromatischer Amine

Sekundäre aromatische Amine bilden ebenso wie die sekundären aliphatischen Amine Ni-
trosamine.
R R
H
N + HNO2 N + H3O
H N O
N-Alkylanilin N-Alkyl-N-phenylnitrosamin
Tertiäre aromatische Amine werden am aromatischen Kern nitrosiert, z.B.:

H3C CH3 H3C CH3 H3C CH3 H3C CH3


N N N N

- NO2 -H

N O NO

O H N O
N O

N,N-Dimethylanilin p-Nitroso-N,N-dimethylanilin
Primäre aromatische Amine. Die N-Nitrosierung primärer aromatischer Amine führt ebenso
wie bei den primären aliphatischen Aminen (auch nach dem gleichen RM, siehe Abschnitt
22.6.6.1) zum Diazoniumsalz.

+ HNO2
NH2 N N N N Cl + 2 H2O
+ HCl

Im Unterschied zu aliphatischen Diazoniumsalzen sind aromatische Diazoniumsalze bei


einer Temperatur unter 5°C beständig. Sie sind deshalb beständig, weil ihre Diazoniumgrup-
pe mit dem π-Elektronensystem des aromatischen Ringes in Konjugation steht und meso-
meriestabilisiert ist.

N N N N N N

N N N N

Die zur Bildung von Diazoniumsalzen führende Reaktion von primären aromatischen
Aminen mit salpetriger Säure in saurer Lösung wird Diazotierung genannt.
22.7 Reaktionen aromatischer Diazoniumsalze 903

22.7 Reaktionen aromatischer Diazoniumsalze

22.7.1 Substitutionsreaktionen aromatischer Diazoniumsalze

Aromatische Diazoniumsalze spalten schon bei leichtem Erwärmen Stickstoff ab. Die Di-
azoniumgruppe kann unter schonenden Reaktionsbedingungen durch andere Gruppen ersetzt
werden. Diese Substitutionen erfolgen zumeist als Ionenreaktion, wobei die Diazoniumgrup-
pe als gute Abgangsgruppe in einer SN1-Reaktion von einem Nucleophil ersetzt wird, z.B.:

H2O Wasser
OH
Phenol
(Phenolverkochung)
N N HS Hydrogensulfidion
SH
Phenylmercaptan
- N2 I Iodidion
I
N N Iodbenzol

BF4 Bortetrafluoridion
F
- BF3 Fluorbenzol
(Schieman-Reaktion)

Die mit Cu+-Ionen katalysierten Sandmeyer-Reaktionen (siehe Abschnitt 22.7.1.5) hin-


gegen erfolgen nach einem Radikalmechanismus. Einen Radikalmechanismus nimmt man
auch bei der Reduktion der Diazoniumsalze mit H3PO2 und bei der Arylierung an.

22.7.1.1 Phenolverkochung

Die Phenolverkochung erfolgt einfach durch Erwärmen der Diazoniumsalz-Lösung. Ge-


wöhnlich ist es eine Diazoniumhydrogensulfat-Lösung, die verkocht wird, da bei der SN-
Reaktion Chloridionen oder Nitrationen mit dem Wasser als Nucleophil stärker konkurrieren
als Hydrogensulfationen.

N N HSO4
H
H2O, 50 °C H2O, 50 °C
O O H
- N2
H -H
- HSO4
N N

22.7.1.2 Substitution der Diazoniumgruppe durch schwefelhaltige Verbindungen


Einige Schwefelverbindungen sind starke Nucleophile und können deshalb in der SN-Reak-
tion die Diazoniumgruppe leicht ersetzen. Solche schwefelhaltigen Nucleophile sind HS–, S2–,
RS– und SCN–. SCN– ist ein für die nucleophile Substitution ambidentes Ion, mit einem ver-
904 22 Amine

fügbaren freien Elektronenpaar am Schwefel und Stickstoff. Es kann deshalb sowohl mit dem
Schwefel- als auch dem Stickstoffatom an den aromatischen Kern gebunden werden, und als
Reaktionsprodukt erhält man Arylthiocyanat Ar–SCN und Arylisothiocyanat Ar–N=C=S.

N N
HS Hydrogensulfidion
S H Phenylmercaptan

RS Alkylmercaptidion
N N S R Alkylphenylthioether

- N2 S2 Sulfidion
S Diphenylthioether
SCN Thiocyanation

S C N S C N
S C N Phenylthiocyanat
+

N C S Phenylisothiocyanat

22.7.1.3 Substitution der Diazoniumgruppe durch Halogenide


Die Substitutionen der Diazoniumgruppe mit Chlorid-, Bromid- und Fluoridionen geben nur
geringe Ausbeuten. Bei der Substitution mit Iodidionen hingegen erhält man gute Ausbeuten,
und man wendet diese Reaktion deshalb bevorzugt an, um Iodarene darzustellen. Man nimmt
an, daß das Iodidion bei den Reaktionsbedingungen zum Teil zu Iod oxidiert wird und daß
es dann das I3–-Ion ist, das nucleophil angreift. Das Reaktionsgemisch läßt man einige Stun-
den stehen und erhitzt dann auf dem siedenden Wasserbad bis die Stickstoffentwicklung
aufhört.

Erwärmen KI in H2O
N N N N HSO4 I
- N2 - KHSO4
HSO4
Benzoldiazoniumhydrogensulfat Phenyl-Kation Iodbenzol

22.7.1.4 Schiemann-Reaktion
Die Lösung mit dem Aryldiazoniumsalz wird mit eiskalter 40 %iger Borfluorwasserstoff-
säure HBF4 versetzt. Als Niederschlag entsteht das Aryldiazoniumfluoroborat, das, anders
als andere Diazoniumsalze, auch bei Zimmertemperatur stabil ist. Es wird abgesaugt, ge-
trocknet und dann thermisch zerlegt, wobei das Arylfluorid in hoher Ausbeute entsteht. Die
Schiemann-Reaktion ist die meist angewendete Methode zur Einführung des Fluors in aro-
matische Verbindungen.
22.7 Reaktionen aromatischer Diazoniumsalze 905

HBF4 75-90 °C
N N N N Cl N N F
- HCl - BF3
BF4 - N2
Benzoldiazoniumchlorid Benzoldiazoniumfluoroborat Fluorbenzol

22.7.1.5 Sandmeyer-Reaktionen
Bei den Sandmeyer-Reaktionen wird die Diazoniumgruppe, katalysiert durch Cu+-Ionen, er-
setzt durch –Cl, –Br oder –CN. Die Substitution der Diazoniumgruppe durch Chlor oder
Brom wird so vollzogen, daß man zur Lösung des entsprechenden Diazoniumsalzes Kup-
fer(I)chlorid bzw. Kupfer(I)bromid zugibt, und die Lösung bei Zimmertemperatur oder bei
etwas erhöhter Temperatur einige Stunden stehen läßt, bis kein Stickstoff mehr entweicht.

Cu2Cl2
N N N N Cl Cl + N2

Benzoldiazoniumchlorid Chlorbenzol

Führt man die Reaktion mit Kupferpulver und Halogenwasserstoff durch, wird sie als
Gattermann-Reaktion bezeichnet. Der Reaktionsmechanismus ist noch nicht einwandfrei
bestätigt, man nimmt aber an, daß er über einen Elektronentransfer verläuft:

N N
+ Cu2 2 X + Cu2 2 X

X + Cu X N N + N N

Benzoldiazoradikal Phenylradikal
e
N N
Cu2 X

Benzoldiazoniumhalogenid X X + Cu X

Halogenbenzol
X = Cl, Br oder CN

Im ersten Reaktionsschritt erfolgt eine Reduktion des Diazoniumions, wobei das Cu+ dem
Diazoniumion ein Elektron zur Verfügung stellt und zum Cu2+ oxidiert wird. Die C–N-Bin-
dung des Benzoldiazoradikals wird homolytisch gespalten. Als Zwischenprodukt entsteht das
Phenylradikal und außerdem Stickstoff, der aus dem Reaktionsgemisch entweicht. Im letzten
Reaktionsschritt wird vom Halogenidion auf das zweiwertigen Kupfer ein Elektron übertra-
gen und das Halogenatom reagiert mit dem Phenylradikal, wobei Halogenbenzol gebildet
wird. Da Cu(I)X wieder regeneriert wird, hat es eine echte Katalysatorfunktion.
906 22 Amine

Die Substitution der Diazoniumgruppe durch die Nitrilgruppe wird ebenfalls durch ein
Kupfer(I)salz, nämlich CuCN, katalysiert. Die Lösung mit dem Diazoniumsalz wird neutrali-
siert (damit bei der Zugabe der Cyanide nicht HCN freigesetzt wird) und Kaliumcyanid und
das Kupfer(I)salz zugegeben.

CuCN
N N N N Cl + KCN C N
- KCl
+ N N

Benzoldiazoniumchlorid Benzonitril

22.7.1.6 Die Reduktion von Diazoniumsalzen


Gibt man zur Lösung des Diazoniumsalzes hypophosphorige Säure H3PO2 hinzu, oder ver-
wendet man von vornherein diese Säure als Diazotierungssäure, wird das Diazoniumsalz
zum entsprechenden aromatischen Kohlenwasserstoff reduziert und die hypophosphorige
Säure gleichzeitig zur phosphorigen Säure oxidiert. Es erfolgt bei dieser Reaktion ein Aus-
tausch der Diazoniumgruppe gegen Wasserstoff. Geringere Ausbeuten erhält man mit Etha-
nol als Reduktionsmittel.
H

Ar N N Ar N N Cl + H P O + H2O Ar H + N2 + H3PO3 + HCl

OH

Diazoniumsalz

22.7.1.7 Die Arylierung mit Diazoniumsalzen


Macht man nach der Diazotierung die saure Lösung des Diazoniumsalzes durch Zugabe von
Natronlauge basisch, kann über einen Radikalmechanismus unter Abspaltung von Stickstoff
die Kopplung an einen aromatischen Kohlenwasserstoff erfolgen. Die Ausbeute ist relativ
klein. Die Reaktion wird als Gomberg-Bachmann-Reaktion bezeichnet.

NaOH + N2
N N N N Cl +
- NaCl
- H2O
Benzoldiazoniumchlorid Benzol Biphenyl

22.7.2 Kupplungsreaktionen

Aryldiazoniumionen können als Elektrophile unter Bildung von Azoverbindungen mit aro-
matischen Verbindungen reagieren, die durch starke Elektronendonor-Substituenten aktiviert
sind. Die Reaktion, bei der sich das Aryldiazoniumion an die aromatische Verbindung bin-
det, wird als Azokupplung bezeichnet. Zum Beispiel:
22.7 Reaktionen aromatischer Diazoniumsalze 907

N N N N Cl + X N N X

+ HCl
X = OH oder NH2
Benzoldiazoniumchlorid Benzolderivat mit Elektro- Azoverbindung
nendonor-Substituent
Diazoniumverbindungen sind schwache Elektrophile und benötigen deshalb für die
Kupplungsreaktion einen stark nucleophilen Partner. Als Kupplungskomponente kommen
deshalb nur aktive aromatische Verbindungen in Frage, die Substituenten mit starkem +M-
Effekt haben, z.B. Phenole, Phenolether und aromatische Amine.
Bei Phenol- und Anilinderivaten erfolgt die Kupplung in p-Stellung, nur wenn diese
schon besetzt ist, auch in o-Stellung. Oft wird als Kupplungskomponente auch α- und β-
Naphthol genommen. Im α-Naphthol erfolgt die Kupplung bevorzugt in Position 4 und 2, im
β-Naphthol in Position 1 (siehe auch Abschnitt 6.8.5):

OH
8 1 8 1
2 OH
7 2 7

6 3 6 3
5 4 5 4
α-Naphthol β-Naphthol

Die Reaktion der Phenole erfolgt nach folgendem Reaktionsmechanismus:

O O Na

N N N N Cl +

Benzoldiazoniumchlorid Natriumphenolat

Azogruppe

N N O N N OH
NaCl
H

p-Hydroxyazobenzol
Primäre und sekundäre aromatische Amine als Kupplungskomponenten reagieren in der
Regel nach einem etwas anderen Reaktionsmechanismus wie Phenole. Die Kupplung erfolgt
zunächst am Stickstoff, so daß ein Triazen gebildet wird, aus dem im weiteren Schritt eine
Azoverbindung entsteht. Der Mechanismus dieses letzten Reaktionsschritts ist noch nicht
908 22 Amine

vollständig geklärt. Es steht noch offen, ob die Azoverbindung durch eine intramolekulare
Umlagerung des Triazens oder durch eine intermolekulare Reaktion gebildet wird. Der Reak-
tionsmechanismus bei der Kupplungsreaktion eines Diazoniumsalzes mit einem aromati-
schen Amin wird am Beispiel der Reaktion des Benzoldiazoniumchlorids mit Anilin aufge-
zeigt:

H H

N N N N Cl N N N N

H H
Benzoldiazoniumchlorid Anilin Cl

H H

N N N N N N
- HCl
H
Cl Diphenyltriazen

N N NH2

p-Aminoazobenzol

22.7.2.1 Einfluß der Substituenten auf die Reaktivität der Kupplungskomponenten

a) Reaktivität des Diazoniumions


Die Fähigkeit des Diazoniumions, mit einer aktivierten Arylverbindung als Kupplungs-
partner zu reagieren, ist durch den positiv geladenen Stickstoff der Diazoniumgruppe gege-
ben. Substituenten, die die positive Ladung am Stickstoff erhöhen, tragen zur Reaktivität des
Diazoniumions bei, solche die die positive Ladung vermindern, verringern die Reaktivität.
Substituenten in o- und p-Stellung mit –M-Effekt, oder solche in o-Stellung mit –I-Effekt,
erhöhen die positiven Ladung am Stickstoff und fördern dadurch die Reaktivität des Diazo-
niumions. Hingegen sind Diazoniumionen, die Substituenten mit +M-Effekt haben, durch
Verringerung der positiven Ladung am Stickstoff weniger reaktiv. Besonders reaktiv sind
z.B. Diazoniumionen, die im Benzolring eine Nitrogruppe in o- oder p-Stellung besitzen.

b) Reaktivität des aktivierten Aryls als Kupplungspartner


Das Diazoniumion ist ein relativ schwaches Elektrophil und reagiert deshalb nur mit einer
stark nucleophilen Arylverbindung als Kupplungspartner. Die nucleophile Eigenschaft der
Arylverbindung wird verstärkt, wenn im aromatischen Ring Substituenten mit +M-Effekt
vorhanden sind, die die Elektronendichte im aromatischen Ring erhöhen, z.B. eine OH- oder
NH2-Gruppe.
22.7 Reaktionen aromatischer Diazoniumsalze 909

22.7.2.2 Einfluß des pH-Wertes auf die Kupplungsreaktion

a) Einfluß des pH-Wertes auf das Diazoniumion


Das Diazoniumion steht mit dem Diazohydroxid in pH-abhängigem Gleichgewicht:

OH
N N N N N N OH
H
- H2O
reaktiv für Kupplungsreaktionen inaktiv

Das Diazohydroxid ist für die Kupplungsreaktion ungeeignet, und deshalb ist für die
Kupplung eine möglichst hohe Konzentration von Diazoniumionen anzustreben. Aus dieser
Sicht wäre es wünschenswert, die Kupplungsreaktion im sauren Bereich durchzuführen.

b) Einfluß des pH-Wertes auf die Reaktivität der Arylverbindung


Als Reaktionspartner der Diazoniumsalze für die Kupplungsreaktion müssen Arylverbindun-
gen mit relativ starken nucleophilen Eigenschaften eingesetzt werden, da die Diazoniumsalze
schwache Elektrophile sind. Als Reaktionspartner dienen aromatische Amine und Phenole.
Die nucleophilen Eigenschaften beider Substanzklassen sind pH-abhängig, sie werden im
sauren Bereich herabgesetzt, im basischen Bereich sind sie stark nucleophil.

H H
NH2 NH2 NH3 O O O O

H H

OH OH
- H2O - H2O
starkes Nucleophil inaktiv starkes Nucleophil schwaches Nucleophil

c) pH-Wert des Mediums bei der Kupplungsreaktion


Für jede Kupplungsreaktion gibt es einen optimalen pH-Wert. Er ist ein Kompromiß zwi-
schen dem im sauren Bereich liegenden Optimum für das Diazoniumion und dem basischen
Bereich, der die Aktivität des Kupplungspartners unterstützt. Für Amine als Kupplungs-
partner wird die Reaktion gewöhnlich in schwach saurem Medium und bei Phenolen in
schwach alkalischem Medium durchgeführt.
910 22 Amine

22.7.3 Geometrische Isomere der Azoverbindungen

Ähnlich wie bei den Alkenen (siehe Abschnitt 3.5) existieren auch bei den Azoverbindungen
(E)- und (Z)-Isomere.


N N N N

(E)-Azobenzol (Z)-Azobenzol
(Z)-Azoverbindungen sind energiereicher als (E)-Azoverbindungen. Bei Bestrahlen mit
UV-Licht stellt sich ein Reaktionsgleichgewicht zwischen der (Z)- und (E)-Azoverbindung
ein.

22.7.4 Azofarbstoffe und ihre Bedeutung

Die Farbigkeit der Azoverbindungen ist durch die Konjugation der Doppelbindungen be-
dingt. Die konjugierten Doppelbindungen bilden, gegebenenfalls noch in Konjugation mit
ungesättigten Substituenten (z.B. C=O, –NO2) Chromophore (griech. chroma = Farbe, pho-
ros = tragend). Chromophore sind für die Farbigkeit der Verbindung notwendige Teile des
Moleküls. Für einen Übergang der π-Elektronen aus dem Grundzustand in einen angeregten
Zustand ist mit Zunahme der Anzahl konjugierter Doppelbindungen im Molekül weniger
Energie erforderlich (siehe Abschnitt 6.3). Dank des Umfangs der Konjugation können die
π-Elektronen in Azoverbindungen schon durch Strahlung im sichtbaren Wellenbereich zu
einem höheren Energiezustand angeregt werden. Sie absorbieren Licht einer bestimmten
Frequenz, reflektieren das übrige Licht und erscheinen deshalb farbig. Substituenten mit
freien Elektronenpaaren (z.B. –NR2, –NH2, –OH), als Auxochrome bezeichnet, verursachen
– bedingt durch die Mesomerie mit dem Chromophor – eine Farbverschiebung zu einer län-
geren (Bathochromie) Wellenlänge des Lichts bzw. eine Farbverstärkung. Hypsochrome
Gruppen, z.B. Alkylgruppen, bewirken hingegen durch eine erschwerte Elektronenanregung
eine Verschiebung zu kürzeren Wellenlängen (Hypsochromie, Blauverschiebung). Die
–SO3H-Gruppe dient lediglich der besseren Wasserlöslichkeit der Farbstoffe. Die Bedeutung
der Azofarbstoffe wird einem bewußt, wenn man bedenkt, daß jeder zweite organische Farb-
stoff ein Azofarbstoff ist. Die Herstellung der Azofarbstoffe erfolgt, bis auf wenige Ausnah-
men, durch Kupplungsreaktionen mit Diazoniumsalzen. Die reiche Auswahl an Diazonium-
salzen und an aktiven aromatischen Verbindungen als Kupplungspartner erklärt die große
Vielfalt an Azofarbstoffen.
Übungsaufgaben 911

Übungsaufgaben

? 22.1
Benennen Sie die nachfolgenden Verbindungen und stellen Sie fest, welche von diesen ein
primäres, sekundäres und tertiäres Amin ist:

(CH 3)3 N NH 2 (CH 3CH2)2N-CH 2CH2CH3 CH3NH2 CH3 CH 2NHCH 3

? 22.2
Welche Reaktionsprodukte erhält man, wenn man Chlormethan mit Ammoniak reagieren
läßt?

? 22.3
Vervollständigen Sie die Reaktionsgleichungen und geben Sie an, um welche Synthese es
sich hier handelt:
O K
C R OH/H2O
N + C Br
-KBr
C H
H
O

? 22.4
Welche Produkte erhält man, wenn man
a) Anilin mit H2O2 ,
b) ein Alkylamin mit Peroxoschwefelsäure,
c) ein Dialkylamin mit Peroxoschwefelsäure reagieren lässt?

? 22.5
Auf welche Weise reagieren primäre Amine und sekundäre Amine mit Carbonsäurechlorid
oder Carbonsäureanhydrid?

? 22.6
Wozu dient die Hinsberg-Reaktion (siehe Kapitel 22.6.5.2)?

? 22.7
Welche Reaktionsprodukte erhält man bei der N-Nitrosierung
a) von primären aliphatischen Aminen,
b) von sekundären Aminen und
c) von primären aromatischen Aminen bei einer Reaktionstemperatur unter 5°C (Reaktions-
mechanismus siehe Kapitel 22.6.6)?
912 22 Amine

? 22.8
Beschreiben Sie den Reaktionsmechanismus der Diazotierung am Beispiel des Anilins.

? 22.9
Was geschieht bei der Sandmeyer-Reaktion?

? 22.10
Welches Produkt erhält man bei der Azokupplung des Benzoldiazoniumchlorids mit Phenol?
Lösungen 913

Lösungen

! 22.1
Anilin und Methylamin sind primäre Amine, N-Methylethylamin ist ein sekundäres Amin,
Trimethylamin und N-Propyldiethylamin sind tertiäre Amine (siehe Kapitel 22 und Ab-
schnitt 22.2)

(CH3)3N NH2 (CH3CH2)2N-CH2CH2CH3 CH3 NH2 CH3CH2 NHCH3

Trimethylamin Anilin N-Propyldiethylamin Methylamin N-Methylethylamin


(tertiäres (primäres (tertiäres Amin) (primäres (sekundäres
Amin) Amin) Amin) Amin)

! 22.2
Läßt man Chlormethan mit Ammoniak reagieren, erfolgen nucleophile Substitutionen und
man erhält Methylamin, Dimethylamin, Trimethylamin und Tetramethylammoniumchlorid
(siehe Kapitel 22.5.2).
CH 3NH2 (CH3)2NH (CH3)3N (CH3) 4N Cl
Methylamin Dimethylamin Trimethylamin Tetramethyl-
ammoniumchlorid

! 22.3
Die Gabriel-Synthese ermöglicht die Darstellung eines primären Amins:
O K O O
C R C OH/H2 O C O
N + C Br N CH2R + H2N-CH2
-KBr C O
C H C R
H
O O O

! 22.4
a) Anilin reagiert mit Wasserstoffperoxid zu Nitrosobenzol:

H2 O2
NH2

b) Aliphatische primäre Amine werden mit Peroxoschwefelsäure zunächst zur Nitrosover-


bindung oxidiert, bei Vorhandensein eines α-Wasserstoffatoms erfolgt eine Tautomerisie-
rung zum Oxim:
R OH
H2 SO5 Tautomerie
R CH2 NH2 R CH2 N O C N
H
914 22 Amine

c) Sekundäre Amine werden zum Dialkylhydroxylamin oxidiert:


R R
H2 SO5
N H N OH
-H2 SO5
R R

! 22.5
Primäre und sekundäre Amine werden mit Carbonsäurechlorid und mit Carbonsäureanhydrid
acyliert. Die Reaktion mit Carbonsäurechlorid erfolgt in Benzol als Lösungsmittel unter Zu-
gabe von Pyridin als HCl-bindendes Mittel:
O R' O
Benzol, Pyridin
R C + H N R C R'
- HCl
Cl R N
R
O
R C O
CH3 COOH
O + H NH R' R C R' + R COOH
R C N
O H

! 22.6
Die Hinsberg Reaktion dient zur Unterscheidung von primären, sekundären und tertiären
Aminen. Das untersuchte Amin wird mit Benzolsulfonylchlorid in Natronlauge geschüttelt.
Aus dem primären Amin erhält man das N-Alkylbenzolsulfonamid, aus dem sekundären
Amin das N,N-Dialkylbenzolsulfonamid. Nur das N-Alkylbenzolsulfonamid löst sich durch
Salzbildung in Lauge:
acid
- HCl (in Lauge löslich,
SO2 Cl + H2 N R SO2 NH R bildet Salze)

N-Alkylbenzolsulfonamid

Das N,N-Dialkylbenzolsulfonamid und tertiäre Amine bilden bei der Reaktion einen Nieder-
schlag. Säuert man die Lösung an, löst sich unter Salzbildung nur das Tertiäre Amin.

! 22.7
a) Bei der N-Nitrosierung primärer aliphatischer Amine erhält man einen primären Alkohol:
H2 O
R NH2 + HNO2 + HCl R N N R N N Cl R OH + N2
-2H2O - HCl

b) Sekundäre Amine werden zu Nitrosamin nitrosiert:


R R N O R
- NO2 -H
N H O N O N O N N
R R H R
Lösungen 915

c) die N-Nitrosierung von primären aromatischen Aminen in saurem Medium führt zum
Diazoniumsalz, das noch bei 5°C stabil ist:

+ HNO2
NH2 N N N N Cl + 2 H2O
+ HCl

! 22.8
Die Nitrosierung des Anilins erfolgt unter Kühlung in saurer Lösung nach Zugabe von Nat-
riumnitrit. Die freiwerdende unbeständige salpetrige Säure zerfällt in H2O und Distickstoff-
trioxid, das Anhydrid dieser Säure. Distickstofftrioxid ist das Nitrosierungsagens, das mit
Anilin zum Phenyl-N-nitrosamin reagiert (siehe Kapitel 22.6.6.1), welches in tautomerem
Gleichgewicht mit Benzoldiazohydroxid steht. In saurer Lösung wird dieses zunächst proto-
niert, worauf Wasser abgespalten und das Benzoldiazoniumkation gebildet wird.
H H
N2O3 N N O N N O
N
H H
H - NO2 - -H
Anilin + Distickstoff- Phenyl-N-nitroso- Phenyl-N-nitrosamin
trioxid ammoniumsalz

N N O N N O N N OH N N OH
H H H
H H
H
Phenyl-N-nitrosamin Benzoldiazohydroxid

N N OH H
N N O N N N N
H
H
H2 O
Benzoldiazohydroxid Benzoldiazoniumkation

! 22.9
Bei der Sandmeyer-Reaktion wird die Diazoniumgruppe im Aryldiazoniumsalz durch das
Anion des Salzes ersetzt, wobei man das Cu(I)-Salz des gleichen Anions als Katalysator
benutzt (siehe Kapitel 22.7.1.5). Die Reaktion erfolgt bei Zimmertemperatur oder unter ge-
lindem Erwärmen und man läßt die Lösung einige Stunden stehen, bis kein Stickstoff mehr
entweicht.
N N X X
N N Cu2 X2 Anmerkung:
+ N2
X = Cl, Br oder CN

! 22.10
Bei der Azokupplung des Benzoldiazoniumchlorids mit Phenol entsteht p-Hydroxyazobenzol:
N N N N Cl OH
+ N N OH

Benzodiazoniumchlorid p-Hydroxyazobenzol
23 Aminosäuren
Aminocarbonsäuren, verkürzt Aminosäuren, verfügen im Molekül über eine Amino- und
eine Carboxygruppe. Man kann die Aminosäuren als Substitutionsderivate von Carbonsäuren
auffassen (siehe Kapitel 15), in denen ein H-Atom im Alkylrest formal durch eine Amino-
gruppe ersetzt wurde.

23.1 Nomenklatur der Aminosäuren


Die Stellung der Aminogruppe in der Aminosäure kann durch eine Zahl vor dem Wort Ami-
no- ausgedrückt werden. Beim Durchzählen der Kohlenstoffkette beginnt man beim C-Atom
der Carboxygruppe. Man kann auch das griechische Alphabet zur Stellungsbezeichnung
benutzen, wobei man mit dem neben der Carboxygruppe befindlichen C-Atom beginnt. Im
letzteren Falle verwendet man für die Nomenklaturbezeichnung oftmals den Trivialnamen
der Carbonsäure. Z.B.:

O O
α δ γ β α
CH3CH2CHC CH3CHCH2CH2C
O H O H
NH2 NH2

2-Aminobutansäure 4-Aminopentansäure
α-Aminobuttersäure γ-Aminovaleriansäure
Spricht man von Aminosäuren, ohne daß man die Stellung der Aminogruppe angibt,
meint man die in der Natur vorkommenden α-Aminosäuren. Diese Säuren werden gewöhn-
lich mit Trivialnamen bezeichnet. Mit Ausnahme des Tryptophans haben sie, in Anlehnung
an die Benennung Amin, die Endung -in. Für Glycin (griech. glykys = süß) und Leucin
(griech. leukos = weiß) nimmt der Name Bezug auf die Eigenschaften. Vielfach leitet sich
der Name auch davon ab, woraus die Aminosäure isoliert wurde: Cystin wurde aus Harn-
steinen isoliert (griech. kystys = die Blase), Serin aus Seide (lat. serikus), Tyrosin aus Käse
(griech. tyros), Glutamin aus Weizenkleber (= Gluten), Asparagin aus Spargel (lat. aspara-
gus) und Histidin aus Gewebe (griech. histion). Der Name Tryptophan bezieht sich auf das
Verdauungsenzym Trypsin, nach dem griech. lysis = Spaltung wurde das als Hydrolyse-
produkt erhaltene Lysin benannt, und Methionin bezieht sich auf die Begriffe Methyl und
thio-. Die Trivialnamen der wichtigsten Aminosäuren sind nachstehend in Tabelle 23.1 auf-
gelistet, in dieser Übersicht entspricht die jeweilige Formel dem Vorkommen der Aminosäu-
ren als Zwitterion (siehe Abschnitt 23.5.1).
Zur Bezeichnung der Aminosäuren, die mit einer Peptidbindung untereinander verbunden
in einem Peptid oder einem Eiweiß vorliegen, verwendet man zumeist einen Buchstaben-
code, bestehend aus drei Buchstaben, weniger gebräuchlich ist ein Buchstabencode mit ei-
nem Buchstaben.

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 916


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_23, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
23.1 Nomenklatur der Aminosäuren 917

Tabelle 23.1 Trivialnamen der wichtigsten Aminosäuren

Name Code mit x Formel der Aminosäure Löslichkeit Isoelek-


* = essentielle Buchstaben in g/100 trischer
Aminosäure x=3 x=1 mL H2O Punkt

Aliphatische Aminosäuren ohne polare Seitenketten

O
Glycin Gly G H CH C 25,0 6,07
O
NH3

O
Alanin Ala A CH3 CH C 16,7 6,11
O
NH3

O
Valin * Val V CH3 CH CH C 8,9 6,01
O
CH3 NH3

O
Leucin * Leu L CH3 CH CH2 CH C 2,4 6,04
O
CH3 NH3

O
Isoleucin * Ile I CH3 CH2 CH CH C 4,1 6,04
O
CH3 NH3

Aliphatische Aminosäuren mit einer Hydroxygruppe in der Seitenkette

O
Serin Ser S CH2 CH C 5,0 5,81
O
OH NH3

O
Threonin * Thr T CH3 CH CH C sehr hoch 5,59
O
OH NH3

Aliphatische Aminosäuren mit einer schwefelhaltigen Seitenkette

O
Cystein Cys C CH2 CH C 5,11
O
SH NH3
918 23 Aminosäuren

Forts. Tabelle 23.1

Name Code mit x Formel der Aminosäure Löslichkeit Isoelek-


* = essentielle Buchstaben in g/100 trischer
Aminosäure x=3 x=1 mL H2O Punkt

O
Methionin * Met M CH2 CH2 CH C 3,4 5,72
O
S CH3 NH3

Saure Aminosäuren

O O
Asparaginsäure Asp D C CH2 CH C 0,5 2,95
(Salz = Aspartat) HO O
NH3

O O
Glutaminsäure Glu E C CH2 CH2 CH C 0,8 3,23
(Salz = Glutamat) HO O
NH3

Aminosäuren mit Amidseitenketten

O O
Asparagin Asn N C CH2 CH C 3,5 5,41
H2N O
NH3

O O
Glutamin Gln Q C CH2 CH2 CH C 3,7 5,65
H2N O
NH3

Basische Aminosäuren

O
Ornithin CH2 CH2 CH2 CH C
O
NH2 NH3

O
CH2 CH2 CH2 CH2 CH C
Lysin * Lys K sehr hoch 9,59
O
NH2 NH3

γ O
δ β α
Citrullin O CH2 CH2 CH2 CH C
(α-Amino-δ-ureido- O
H2N C NH NH3
valeriansäure)

γ O
δ β α
Arginin HN CH2 CH2 CH2 CH C
(α-Amino-δ-guani- Arg R O
15 10,76
H2N C NH NH3
dino-valeriansäure)
23.1 Nomenklatur der Aminosäuren 919

Forts. Tabelle 23.1

Name Code mit x Formel der Aminosäure Löslichkeit Isoelek-


* = essentielle Buchstaben in g/100 trischer
Aminosäure x=3 x=1 mL H2O Punkt

Aromatische Aminosäuren

O
Phenylalanin * Phe F CH2 CH C 3,0 5,41
O
NH3

O
Tyrosin Tyr Y HO CH2 CH C 0,04 5,66
O
NH3

Heterocyclische Aminosäuren

O
Prolin Pro P H2C CH C 162,0 6,40
(Pyrrolidin-2- O
H2C NH2
carbonsäure)
CH2

O
3 2
4-Hydroxyprolin H2C CH C 5,83
HO 4 1 O
C NH2
H CH2

CH O
HN1 β α
Histidin His H 4C CH2 CH C 4,2 7,59
(β-(4-Imidazolyl)- HC 2 3 O
N
alanin) NH3

O
3 β α
Tryptophan * Trp W CH2 CH C 1,1 5,93
(β-(3-Indolyl)- 2 NH3
O
alanin) N
1
H

Bei den Aminosäuren, die basische Gruppen in der Seitenkette haben, z.B. Ornithin,
Lysin, Citrulin, Arginin und Histidin, überwiegt der basische Charakter. Glutaminsäure
und Asparaginsäure, die eine Carboxygruppe in der Seitenkette aufweisen, haben sauren
Charakter.
920 23 Aminosäuren

23.2 Aminosäuren in der Natur


Aminosäuren sind die Bausteine der Peptide und Eiweiße. Daraus ergibt sich ihre überragen-
de Bedeutung für alle Lebewesen. Die in der Übersicht von Tabelle 23.1 angeführten 20
Aminosäuren mit einem Dreibuchstabencode sind alle am Aufbau von Peptiden bzw. Eiwei-
ßen beteiligt. Man bezeichnet sie als proteinogene Aminosäuren.
Eiweiße, die wir für unsere Ernährung brauchen, werden bei der Verdauung bis zu den
Aminosäuren abgebaut. Während die höheren Pflanzen und die meisten Mikroorganismen
alle Aminosäuren selbst synthetisieren, können der Mensch und höhere Säugetiere dies bei
bestimmten Aminosäuren, den essentiellen Aminosäuren, nicht. Sie sind darauf angewiesen,
diese mit der Nahrung aufzunehmen. Der menschliche Organismus kann Aminosäuren mit
verzweigter Kette, also Valin, Leucin und Isoleucin, nicht synthetisieren. Zu den essentiellen
Aminosäuren des Menschen zählen außerdem noch Threonin, Methionin, Lysin, Phenyl-
alanin und Tryptophan. Cystein und Tyrosin können im Stoffwechsel aus den essentiellen
Aminosäuren Methionin und Phenylalanin synthetisiert werden.
Die Aminosäuren Ornithin und Citrullin sind wichtige Zwischenprodukte im Harn-
stoffcyclus. Mit diesem Cyclus kann der Körper überschüssigen, aus dem Aminosäureabbau
stammenden Stickstoff in Form von Harnstoff ausscheiden. Tyrosin bildet die Vorstufe zur
Biosynthese des Melanins (schwarzes Hautpigment) und des Adrenalins (Formel siehe Ab-
schnitt 22.3). Adrenalin („Kampf- oder Fluchthormon“) wirkt blutdrucksteigernd und stimu-
liert die adrenergen Rezeptoren, welche Energiereserven dort mobilisieren, wo sie der Kör-
per im Vorfeld plötzlicher Anstrengung oder Gefahr am nötigsten braucht.

23.3 Struktur der Aminosäuren


Mit Ausnahme des Glycins, hat das α-Kohlenstoffatom, das in Aminosäuren die Amino-
gruppe bindet, vier unterschiedliche Bindungspartner. Es liegt in diesem Falle ein asymme-
trisches Kohlenstoffatom vor (siehe Abschnitt 8.5). Aminosäuren sind, bis auf Glycin, op-
tisch aktive Substanzen. Ähnlich wie bei Hydroxycarbonsäuren und Zuckern verwendet man
auch bei den Aminosäuren oft die D/L-Nomenklatur (siehe Abschnitt 8.6.1). Bis auf ganz
wenige Ausnahmen (z.B. Antibiotika) bauen sich alle in der Natur vorkommenden Verbin-
dungen, deren Grundbausteine Aminosäuren sind, aus Aminosäuren mit L-Konfiguration auf
(in der Fischer-Projektion steht die Aminogruppe links). Die L-Aminosäuren entsprechen in
der R/S-Nomenklatur (siehe Abschnitt 8.6.2) der S-Konfiguration (bis auf L-Cystein, das
R-Konfiguration hat). Auch das Prolin hat am α-C-Atom die S-Konfiguration. Es hat, im
Unterschied zu anderen Aminosäuren, am zur Carboxygruppe α-ständigen C-Atom keine
COOH

NH C* H
H2C CH2
CH2
Prolin (* = asymmetrisches C-Atom)
23.4 Darstellung der Aminosäuren 921

120 °
O OH O OH
C C HOOC 12
H
H2N H H2N H NH2 9 3
entspricht: H3C 6
CH3 CH3
(S)-Alanin entgegen dem
L-Alanin räumliche Darstellung Uhrzeigersinn =
(Fischer-Projektion) des L -Alanins S-Konfiguration

O OH
C HOOC H
verwendete Symbole: H2N H entspricht: NH2
= asymmetrisches C-Atom
= nach rückwärts HSH2C
CH2SH
= nach vorwärts gerichtete
Bindung L-Cystein (R)-Cystein

Bild 23.1 Räumliche Darstellung des L-Alanins und des L-Cysteins

–NH2-, sondern eine –NH-Gruppe, und der Stickstoff dieser Gruppe ist in einen Fünfring
eingebaut. Prolin hat jedoch die charakteristischen Eigenschaften einer Aminosäure, und es
ist, wie andere Aminosäuren, auch am Aufbau von Eiweißen beteiligt. Man ordnet es deshalb
den Aminosäuren zu.
Isoleucin und Threonin haben in der 3-Position ein weiteres Asymmetriezentrum. Isoleu-
cin hat die 2S,3S- und Threonin die 2S,3R-Konfiguration.

23.4 Darstellung der Aminosäuren


Die natürlich vorkommenden α-Aminosäuren haben (bis auf Glycin, das nicht optisch aktiv
ist) die L-Konfiguration. Mit den im weiteren angeführten Synthesen von Aminosäuren er-
hält man aber nur ein Racemat. Will man die Aminosäuren zur Peptidsynthese verwenden,
ist es also notwendig, das Reaktionsgemisch noch in seine Enantiomere zu trennen (siehe
Abschnitt 8.10).
Großtechnisch werden L-Glutaminsäure, D- und L-Methionin, das zur Aufwertung von
Futtermitteln verwendet wird, und L-Lysin produziert. L-Glutaminsäure wird aus D-Glucose
und L-Lysin aus α-Amino-ε-caprolactam durch Fermentation gewonnen (lat. fermentare =
gären, Prozesse, bei denen mit mikrobiellen Enzymen oder mit Zellkulturen definierte Pro-
dukte entstehen).
922 23 Aminosäuren

23.4.1 Umsetzung von α-Halogencarbonsäuren mit Ammoniak

α-Chlor- bzw. α-Bromcarbonsäuren reagieren mit Ammoniak unter Bildung einer α-Amino-
säure. α-Bromcarbonsäuren lassen sich aus den entsprechenden Carbonsäuren mit Hilfe der
Hell-Vollhard-Zelinsky-Reaktion leicht herstellen (siehe Abschnitt 15.4.4.2). Zur α-Halo-
gencarbonsäure wird konz. Ammoniakwasser zugegeben und das Reaktionsgemisch bei
Zimmertemperatur mindestens einen Tag geschüttelt. Es erfolgt eine SN-Reaktion, wobei das
Halogen durch die Aminogruppe ersetzt wird.

H3N R CH COO NH4 R CH COO X = Cl oder Br

X H3N + NH4 X

23.4.2 Darstellung von Aminosäuren mit Hilfe der Malonestersynthese

Die Synthese der Aminosäuren erfolgt in mehreren Reaktionsschritten. Man geht aus vom
Malonsäurediester (Propandioat), der mit Brom, das in CCl4 gelöst ist, zu 2-Brommalon-
säurediester umgesetzt wird.
RO O RO O
C C
CCl4
H C H + Br2 H C Br + HBr

C C
RO O RO O
Malonsäurediester 2-Brommalonsäurediester

Als nächster Reaktionsschritt erfolgt eine Gabriel-Synthese (siehe Abschnitt 22.5.2.1).


Das Phthalimidanion ist in dieser Reaktion das Nucleophil, das im 2-Brommalonsäurediester
das Brom unter Bildung des Phthalimidomalonsäurediesters ersetzt.

O RO O O RO O

K C C
C C
N + H C Br N C H + K Br
C C
C C
O O
RO O RO O
Phthalimidkalium 2-Brommalon- Phthalimidomalon-
säurediester säurediester
Im Phthalimidomalonsäurediester bindet das Kohlenstoffatom der Methingruppe drei
Substituenten, die einen –I-Effekt ausüben. Der –I-Effekt aller drei Substituenten bewirkt
eine starke Polarisierung der C–H-Bindung, so daß im Beisein einer Base, die das Proton
23.4 Darstellung der Aminosäuren 923

bindet, H+ abgespalten wird. Der Phthalimidomalonsäurediester tritt in diesem Falle als


C-Säure auf. Das Anion des Phthalimidomalonsäurediesters ist ein starkes Nucleophil, das in
einem Halogenalkan das Halogen ersetzen kann, wobei der 2-Alkyl-2-phthalimidomalon-
säurediester entsteht.
O RO O O RO O H O RO O
C C C Br C
C C H C
Base R'
N C H N C N C CH2 R'
-H - Br
C C C
C C C
O O O
RO O RO O RO O
Phthalimidomalon- Anion des Phthal- 2-Alkyl-2-phthalimido-
säurediester imidomalonsäurediesters malonsäurediester
Der 2-Alkyl-2-phthalimidomalonsäurediester wird sauer hydrolysiert. Zunächst erfolgt
die hydrolytische Spaltung des Esters zur Dicarbonsäure (zur Esterhydrolyse siehe Abschnitt
17.3.4.1). Es folgt eine Decarboxylierung (zur Decarboxylierung von Malonsäurederivaten
siehe Abschnitt 15.4.5.2). Die Amidbindung wird ebenfalls hydrolytisch gespalten (zur Hy-
drolyse von Säureamiden siehe Abschnitt 15.3.2.4). Als Hydrolyseprodukte entstehen die
protonierte α-Aminosäure und Phthalsäure.
O RO O O HO O
C C
C H3O /H2O C
Erhitzen
N C CH2 R' N C CH2 R'
-2R OH - CO2
C C
C C
O O
RO O HO O

HO O
O HO O O
C C
C H3O /H2O C OH
Erhitzen
N C CH2 R' + H3N C CH2 R'
C H C OH H
O O
Phthalsäure α-Aminosäure

23.4.3 Die Strecker-Synthese


Bei der Strecker-Synthese geht man aus von einem Aldehyd, der mit Ammoniak und Blau-
säure in das 2-Aminonitril umgesetzt wird, aus dem man nach Hydrolyse in saurem Medium
die entsprechende protonierte α-Aminosäure erhält.
O
- H2O H3O /H2O
R C + NH3 + HC N R CH C N R CH COOH
H - NH4
NH2 NH3
Aldehyd 2-Aminonitril prot. α-Aminosäure
924 23 Aminosäuren

Die Strecker-Synthese erfolgt auf die Weise, daß man eine gesättigte wäßrige Ammoni-
umchloridlösung mit einer Etherlösung des Aldehyds überschichtet. Unter Eiskühlung wird
Natriumcyanidlösung zugetropft und nach einigen Stunden Schütteln wird langsam, unter
Eiskühlung, konz. Salzsäure zugegeben. Da bei der Reaktion die äußerst giftige freie Blau-
säure entweichen kann, muß man natürlich im Abzugsschrank arbeiten. Zum Schluß wird der
Ether abdestilliert und die salzsaure Lösung im Wasserbad erhitzt.
Man nimmt an, daß bei der Strecker-Synthese zunächst Ammoniak mit dem Aldehyd rea-
giert, wobei nach nucleophiler Addition des Ammoniaks an die Carbonylgruppe des Alde-
hyds das Aminol und nach Abspaltung von Wasser aus diesem das Imin entsteht (siehe Ab-
schnitt 13.4.3.2).
OH
O
R C + NH3 R C NH2 R C NH + H2O
H
H H
Aldehyd Aminol Imin
An die Doppelbindung des Imins wird HCN addiert, wobei das Aminonitril gebildet
wird. Nach dessen saurer Hydrolyse (RM siehe Abschnitt 15.3.2.4) wird die protonierte
α-Aminosäure erhalten.
H H
H
H3O /H2O
R C + C N R C C N R C COOH
- NH4
NH
NH2 NH3
H
Imin Aminonitril protonierte α-Aminosäure

23.4.4 Die Erlenmeyersche Azlactonsynthese


Mit Hilfe der Erlenmeyerschen Azlactonsynthese kann man, ausgehend vom Glycin über die
Hippursäure und das Azlacton als Zwischenprodukt aromatische α-Aminosäuren synthetisie-
ren. Die Hippursäure erhält man durch Umsetzung von Glycin mit Benzoesäurechlorid (siehe
Abschnitt 23.5.2). Erhitzt man die Hippursäure in Acetanhydrid erfolgt eine Dehydratisie-
rung der Hippursäure unter Bildung des Azlactons (2-Phenyl-1,3-oxazolin-5-on).

O O O
4 5
CH2 C CH2 C CH2 C
OH Tautomerie OH (CH3CO)2O
NH N 3N O1
- H2O 2
C O C OH C

Hippursäure Azlacton
23.5 Reaktionen der Aminosäuren 925

Die Methylengruppe des Azlactons wird durch die beiden Nachbargruppen aktiviert. In
Gegenwart von wasserfreiem Natriumacetat erfolgt in Acetanydrid eine aldolartige Kondensa-
tion mit einem Aldehyd. Für die Reaktion geeignet sind aromatische Aldehyde, mit aliphati-
schen Aldehyden erhält man nur mäßige Ausbeuten. Die C=C-Bindung des Reaktionspro-
dukts kann mit Iodwasserstoff und rotem Phosphor reduziert werden, worauf das Azlactonde-
rivat hydrolysiert wird. Es erfolgt die Spaltung des Azlactonrings (Esterhydrolyse siehe Ab-
schnitt 17.3.4.1) und die Spaltung der Amidbindung. Die Produkte sind Benzoesäure und die
entsprechende α-Aminosäure.

O O O O
CH2 C CH C C CH2 CH C
C
H N O N O N O
C C C

(CH3CO)2O 40 % Iodwasserstoff-
CH3COONa säure + Phosphor
- H 2O

O O O
CH2 CH C CH2 CH C CH2 CH C
OH OH OH
N O H HN O NH3
C C α-Aminosäure
(protoniert)

H /H2O Tautomerie H /H2O +


COOH

23.5 Reaktionen der Aminosäuren

23.5.1 Säure-Basen-Eigenschaften der Aminosäuren

Aminosäuren besitzen als funktionelle Gruppen sowohl die Carboxygruppe, die saure Eigen-
schaften aufweist, als auch die basische Aminogruppe. Sie sind deshalb befähigt, ein inneres
Salz zu bilden, und liegen als Zwitterion vor. Man kann das Zwitterion aus der nicht disso-
ziierten Form der Aminosäure ableiten, indem man sich vorstellt, daß die Carboxygruppe
dissoziiert und H+ abspaltet, das von der Aminogruppe mit dem freien Elektronenpaar am
Stickstoff gebunden wird.
H H
O O
R C C R C C Zwitterion
O O
H N H N H
H
H H
926 23 Aminosäuren

Aminosäuren liegen in Kristallform als Zwitterion vor. Infolge der im Zwitterion vorlie-
genden Ladungen können sie ein stabiles Kristallgitter ausbilden und besitzen eine relativ
hohe Schmelztemperatur. Infolge ihres polaren Charakters sind sie in Wasser und Alkoholen
löslich, jedoch nicht löslich in Ether und unpolaren organischen Lösungsmitteln.
Als Zwitterionen findet man Aminosäuren auch in wäßriger Lösung vor. Der pH-Wert
einer Lösung mit maximaler Zwitterionenkonzentration wird als isoelektrischer Punkt be-
zeichnet. Die wäßrige Lösung einer Aminosäure ohne polare Seitenkette, z.B. Glycin in
Wasser, hat einen isoelektrischen Punkt in der Nähe von pH 6.
Im Zwitterion liegt sowohl die positiv geladene –NH3+-Gruppe als auch die –COO–-
Gruppe mit negativer Ladung vor. Die Ammoniumgruppe –NH3+ ist die konjugierte Säure
zur basischen Aminogruppe –NH2, und die Carboxylatgruppe –COO– ist die konjugierte
Base zur sauren Carboxygruppe –COOH (konjugierte Säure-Basenpaare siehe Abschnitt
10.7.3). Im Zwitterion sind also sowohl eine Gruppe mit saurem als auch eine mit basischem
Charakter enthalten. Die Verbindung ist amphoter, das heißt, sie kann sowohl mit Säuren als
auch mit Basen reagieren.
In saurer Lösung wird das Zwitterion der Aminosäure protoniert,

R CH COO + H3O R CH COOH + H2O

NH3 NH3

Aus der Protonierung resultiert ein Kation.


In basischer Lösung hingegen wird das Zwitterion der Aminosäure deprotoniert:

R CH COO + OH R CH COO + H2O

NH3 NH2

In dieser Lösung liegt die Aminosäure dann als Anion vor.


Die Titrationskurve bei Zugabe von HCl bzw. Natronlauge zur wäßrigen Lösung des
Glycins zeigt Bild 23.2. In wäßriger Lösung liegt das Glycin zunächst als Zwitterion vor.
Gibt man Säure hinzu, wird das Zwitterion protoniert. Bei Zugabe eines halben Äquivalents
der Salzsäure zur Lösung der Aminosäure ist die Konzentration des Zwitterions gleich der
Konzentration der protonierten Aminosäure [H3N+CH2COO–] = [H3N+CH2COOH]. Bei
Zugabe eines ganzen Säureäquivalents liegt praktisch nur die protonierte Aminosäure
H3N+CH2COOH vor.
Gibt man zur wäßrigen Lösung des Glycins Natronlauge hinzu, erfolgt die Deprotonie-
rung des Zwitterions. Bei Zugabe des halben Äquivalents der Base ist die Konzentration des
Zwitterions gleich der Konzentration des deprotonierten Zwitterions [H3N+CH2COO–] =
[H2NCH2COO–]. Bei Zugabe eines ganzen Äquivalents der Base liegt die deprotonierte
Form des Zwitterions H2NCH2COO– vor.
23.5 Reaktionen der Aminosäuren 927

13 O
+ H2
12 CO
O
CH 2
11 H 2N -
H2NCH2COO
10 OH pH2 = 9,79
+ x
O
9 + H 2CO
N C +
[ H3NCH2COO - ] = [ H2NCH2COO - ]
H 3
pH 8
7 + -
H3NCH2COO pH2 + pH1
6 x isoelektrischer = 6,07
2
H
Punkt
5 O
+ H 2CO
N C
4 H3

3 + H + +
[ H3NCH2COOH ] = [ H3NCH2COO - ]
O
+ H2CO x pH1 = 2,35
2 C
H 3N
1 +
H3NCH2COOH
1 0,5 0 0,5 1
HCl NaOH
Äquivalente

Bild 23.2 Titrationskurve des Glycins nach Zugabe von Salzsäure und Zugabe von Natronlauge

Infolge ihres amphoteren Charakters können Aminosäuren nicht direkt mit Alkalilaugen
titriert werden. Es ist aber möglich, sie mit Formaldehyd zu Azomethinen umzusetzen, die
sich alkalimetrisch bestimmen lassen (Sörensen-Titration).

O H R OH R R R
- H2O NaOH
C N CH H2C N CH H2C N CH H2C N CH
H H
H COOH H COOH COOH COO Na

α-Aminosäuren kann man allgemein mit der Formel

R CH COO

NH3

beschreiben, wobei die Seitenkette R in unterschiedlichen Aminosäuren verschieden ist. Die


Aminosäuren unterscheiden sich im isoelektrischen Punkt, denn dieser ist abhängig vom
Charakter der Seitenkette R. Dem isoelektrischen Punkt entspricht ein pH-Wert der Amino-
säure-Lösung, bei dem das Zwitterion in höchster Konzentration vorliegt.
928 23 Aminosäuren

Hat bei Anlegen einer Gleichspannung der Elektrolyt einen pH-Wert, der dem isoelektri-
schen Punkt der Aminosäure entspricht, so wandert diese im elektrischen Spannungsfeld
nicht. Das Zwitterion richtet sich nur mit der COO–- Gruppe zur Anode und mit der NH3+-
Gruppe zur Kathode hin aus. Bei Zugabe einer Säure erfolgt die Protonierung des Zwitter-
ions, und die protonierte Aminosäure H3N+CH2COOH wandert infolge ihrer positiven
Ladung zur Kathode. Bei Zugabe einer Base zum Zwitterion erfolgt die Deprotonierung, und
die deprotonierte Form des Zwitterions H2NCH2COO– wandert infolge der negativen
Ladung im Elektrolyten zur Anode. Da die Aminosäuren unterschiedliche isoelektrische
Punkte aufweisen, kann man im Elektrolyt gelöste Aminosäuregemische auf Grund des un-
terschiedlichen Verhaltens der Aminosäuren im Spannungsfeld von Elektroden trennen.

23.5.2 Veresterung und Acylierung der Aminosäuren

Aminosäuren besitzen sowohl eine Amino- als auch eine Carboxygruppe. Sie können des-
halb wie eine Carbonsäure in ein Carbonsäurehalogenid umgesetzt werden,

R CH COOH + SOCl2 R CH COCl + SO2 + HCl

NH2 NH2

oder mit einem Alkohol einen Ester bilden,

H
R CH COOH + HO R' R CH COOR' + H2O

NH2 NH3

und sie können wie ein Amin mit einem Carbonsäurechlorid oder Carbonsäureanhydrid rea-
gieren, wobei der Wasserstoff der Aminogruppe durch einen Acylrest ersetzt wird, also ein
Amid entsteht.
R CH COOH R CH COOH
Cl
NH2 + C R' HN C R' + HCl
O
O
Die Benzoylierung der Aminosäuren kann nach Schotten-Baumann (siehe Abschnitt
17.1.3.1b) mit Benzoylchlorid in Natronlauge stattfinden. Bei der Reaktion des Glycins mit
Benzoylchlorid entsteht die Hippursäure. Die Verbindung wurde so benannt, weil sie erstma-
lig von Justus von Liebig aus Pferdeharn isoliert wurde (hippos = Pferd, uron = Harn).
O O
C Cl C NH CH2 COO
OH
+ H2N CH2 COO
- NaCl
- H2O
Benzoylchlorid Glycin Hippursäure-Anion
23.5 Reaktionen der Aminosäuren 929

23.5.3 Methylierung der Aminogruppe in Aminosäuren

Mit starken Alkylierungsmitteln z.B. mit Halogenalkanen können Aminosäuren alkyliert


werden. Läßt man z.B. auf Glycin Iodmethan einwirken, wird zunächst Sarkosin gebildet.
Dieses wird mit einem Überschuß an Iodmethan weiter methyliert, bis schließlich das Betain
entsteht.

COOH H H COOH H COOH CH3


CH2 N
H
C I CH2 N CH3 CH2 N
I -H
H H H H
Glycin Iodmethan Sarkosin

COOH CH3 COO CH3


CH3I CH3I
CH2 N CH2 N CH3
- HI - HI
CH3 CH3
N-Methylsarkosin Betain

Der Name Betain kommt daher, daß diese Verbindung aus Rübenzuckermelasse isoliert
worden war (Beta vulgaris = Zuckerrübe). Betain ist in Pflanzen weitverbreitet und ist
ebenfalls in Miesmuscheln und im Krabbenextrakt zu finden. Die Bezeichnung Betain wird
auch als Sammelnamen für innere Salze gebraucht, die eine dem Betain ähnliche Struktur
aufweisen.

23.5.4 Die N-Nitrosierung von Aminosäuren und Aminosäureestern

23.5.4.1 N-Nitrosierung von Aminosäuren


Ähnlich wie bei den aliphatischen Aminen (RM siehe Abschnitt 22.6.6.1) reagieren Amino-
säuren mit Nitrit in saurer Lösung zunächst zum Diazoniumsalz. Dieses ist instabil und bildet
unter Abspaltung von Stickstoff die entsprechende Hydroxysäure.

- 2 H2O
R CH COOH + HNO2 + HCl R CH COOH R CH COOH Cl

NH2 N N N N

R CH COOH R CH COOH Cl + H2O R CH COOH + N2 + HCl

N N N N OH

Nach van Slyke wird diese Reaktion zur quantitativen Bestimmung von Aminogruppen in
Peptiden und Eiweißen durch gasvolumetrische Messung des entwickelten Stickstoffs einge-
setzt.
930 23 Aminosäuren

23.5.4.2 N-Nitrosierung von Aminosäureestern


Anders als Aminosäuren reagieren Aminosäureester bei der N-Nitrosierung. Aus dem als
Zwischenprodukt entstehenden Diazohydroxyester (RM siehe Abschnitt 22.6.6.1) wird Was-
ser abgespalten, wobei ein mesomeriestabilisierter Diazocarbonsäurester entsteht. Dieser ist
bei Temperaturen um 0°C stabil.

R O R O R O R O
Tautomerie
- H2O -H
H C C O R' H C C O R' H C C O R' H C C O R'

H2N + H O N O H2N N O H N N O N N OH
+H Diazohydroxyester
R O R O R O R O
- H2O
H C C O R' C C O R' C C O R' C C O R'

N N OH N N N

N N N
Diazocarbonsäureester

Mit sauren Verbindungen reagieren Diazocarbonsäureester, indem sie das Proton der
Säure binden und die Diazogruppe durch das Säureanion ersetzen. Stickstoff wird bei dieser
Reaktion freigesetzt.

R O R O R O

C C O R' C C O R' +H X H C C O R'

N N X
+ N2
N N

Diazocarbonsäureester X = OH, Cl, CH3COO


+
Im ersten Reaktionsschritt wird das Proton H vom Diazocarbonsäureester gebunden.

R O R O R O

C C O R' C C O R' +H H C C O R'

N N N

N N N

Diazocarbonsäureester
Dann wird Stickstoff abgespalten und das Säureanion lagert sich an das Carbeniumion an.

R O R O R O
X
H C C O R H C C O R H C C O R
- N2
N N X
23.5 Reaktionen der Aminosäuren 931

23.5.5 Cyclisierung von Aminosäuren

Erhitzt man α-, γ- oder δ-Aminosäuren, so erfolgt unter Wasserabspaltung eine Cyclisierung.
Zwei α-Aminosäuremoleküle bilden unter intermolekularer Wasserabspaltung einen hetero-
cyclischen Sechsring, das 3,6-Dialkyl-2,5-diketopiperazin.
H
OH H HN 4N
O R
O C 5 3
HC R
Δ C CH
R CH 2 H2O 6 2
C O CH C
HN H HO R O
1N
H
3,6-Dialkyl-2,5-diketopiperazin
An dieser Stelle ist es für das Verständnis notwendig, noch den Begriff Piperazin abzulei-
ten. Der Name Piperazin leitet sich von der Verbindung Pyrazin ab. Pyrazin ist eine aromati-
sche Diazaverbindung (für das Stickstoffatom steht das Wort aza), in der sich die beiden
Stickstoffatome im Sechsring in 1,4-Stellung befinden. Die Verbindung kann auch als 1,4-
Diazabenzol bezeichnet werden. Das Einfügen der Silbe -pe- in das Wort Pyrazin bedeutet,
daß der heterocyclische Sechsring vollständig gesättigt ist. Auf ähnliche Weise wird die
gesättigte analoge Verbindung zum Pyridin als Piperidin bezeichnet.
N NH

N NH N NH
Pyrazin Piperazin Pyridin Piperidin
1,4-Diazabenzol Azabenzol
Dort, wo ein 5- oder 6-Ring entstehen kann, also bei γ- und δ-Aminosäuren, wird unter
intramolekularer Wasserabspaltung ein Lactam gebildet. Als Lactame werden Amide mit
einer im Ring befindlichen Amidgruppe bezeichnet.
β β
β α β α γ CH2 α γ CH2 α
CH2 CH2 CH2 CH2 H2C CH2 H2C CH2
γ Δ γ δ Δ δ
H2C H C O H2C C O H2C C O H2C C O
- H2O - H2O
NH NH
N HO N OH
H H H

γ-Aminobuttersäure γ-Butyrolactam δ-Aminovaleriansäure δ-Valerolactam


Bei β-Aminosäuren erfolgt beim Erhitzen keine Cyclisierung, sie bilden unter Ammo-
niakabspaltung α,β-ungesättigte Carbonsäuren.

R CH CH2 COOH
Δ R CH CH COOH
- NH3
NH2
932 23 Aminosäuren

23.5.6 Kupfer-Komplexe der Aminosäuren

α-Aminosäuren bilden mit Kupfer schwerlösliche tiefblaue Chelatkomplexe.


R

H C NH2 O O
C Cu C
O O H2N C H

23.5.7 Die Oxidation von Cystein zu Cystin

Cystein kann schon mit milden Oxidationsmitteln zu Cystin oxidiert werden.


H2C CH COOH H2C CH COOH

H S NH2 Oxidationsmittel S NH2

H S NH2 Reduktionsmittel S NH2

H2C CH COOH H2C CH COOH


Cystein Cystin
Die beiden Cysteinmoleküle werden durch die Oxidation mit einer Disulfidbrücke mitei-
nander verbunden. Die Disulfidbrücken spielen bei Eiweißen und Peptiden eine Rolle. Pep-
tidketten sind untereinander (z.B. im Insulin) oftmals mit Disulfidbrücken verknüpft.

23.5.8 Farbreaktion mit Ninhydrin

Die Farbreaktion der Aminosäuren mit Ninhydrin kann zu deren kolorimetrischen Bestim-
mung herangezogen werden. Führt man die Identifizierung der Aminosäuren mit Hilfe der
Papierchromatographie durch, besprüht man, um die farblosen Flecken der Aminosäuren
sichtbar zu machen, das Chromatogramm mit einer Ninhydrinlösung und erhitzt es einige
Minuten auf 105°C. Es erscheinen blauviolette Farbflecken.
O OH O
O
C OH R C C C
H + N
R CH COO +2 + CO2
C OH C C
NH3 + 3 H2O
O O O
Ninhydrin blauviolettes Produkt
Zunächst reagiert das Ninhydrin mit der Aminosäure unter Abspaltung von Wasser zu
einem Iminderivat (Reaktionsmechanismus der Iminbildung siehe Abschnitt 13.4.3.2). Es
23.5 Reaktionen der Aminosäuren 933

folgt eine Decarboxylierung und eine Tautomerisierung. Das Tautomer wird hydrolytisch
gespalten, wobei das 2-Aminoindan-1,3-dion und ein Aldehyd entstehen. Das 2-Amino-
indan-1,3-dion reagiert mit Ninhydrin unter Abspaltung von Wasser zu einem blauvioletten
Produkt. Das Produkt steht mit seinem Tautomeren im Reaktionsgleichgewicht.

O O

C R C R
OH
+ H2 N C COOH N C COOH
- 2 H2O - CO2
C OH C
H H
O Iminderivat O R
O C +
O O O
H
4
C R C 3C
Tautomerie H 5 H
N C H R H2O 2

N C 6 NH2
C H C C
H 7 1
O O O
2-Aminoindan-1,3-dion
O O O
O
C H HO C C H
+ C
N H2 HO - 2 H2O N
C C C
C
O O O
OH O O
Keto-Enol- C C
Tautomerie
N
C C

O O

blauviolettes Produkt

Anmerkung zur Nomenklatur: Das 2-Aminoindan-1,3-dion leitet sich ab vom Indan.


Untenstehend sind zur Information die Formeln des Indens, des Indans und des Hydrindans
angeführt. Das Indan kann durch Reduktion mit nascierendem Wasserstoff (Na und Ethanol)
aus Inden gewonnen werden, die vollständige Hydrierung des Indans führt zum Hydrindan.

Inden Indan Hydrindan


934 23 Aminosäuren

Übungsaufgaben
? 23.1
Benennen Sie die folgenden Aminosäuren:
O O O O
H CH C CH3 CH C CH3 CH CH C CH3 CH CH2 CH C
O O O O
NH3 NH3 CH3 NH3 CH3 NH3
a) b) c) d)

O O O
CH2 CH C CH3 CH CH C CH2 CH C
O O O
OH NH3 OH NH3 SH NH3
e) f) g)

O O O O O
C CH2 CH C C CH2 CH2 CH C CH2 CH C
HO O HO O O
NH3 NH3 NH3
h) i) j)

O CH O
O H2 C CH C HN1 β α
4C CH2 CH C
HO CH2 CH C O HC 2 3 O
H2 C NH2 N
O NH3
NH3 CH2
k) l) m)

O
3 β α
CH2 CH C
O
2 NH3
N
1
n) H

? 23.2
Beschreiben Sie die Strecker-Synthese.

? 23.3
Was ist das Zwitterion einer Aminosäure und wie verhält es sich bei Zugabe einer Säure oder
einer Base? Was versteht man unter dem Begriff isoelektrischer Punkt?

? 23.4
Wie reagieren Aminosäuren
a) mit Thionylchlorid,
b) mit Alkohol bei sauerer Katalyse und
c) mit einem Carbonsäurechlorid

? 23.5
Welches Produkt erhält man bei Erhitzen einer α-Aminosäure?
Übungsaufgaben 935

? 23.6
Was geschieht mit Cystein bei Einwirkung von milden Oxidationsmitteln?

? 23.7
Wie reagieren Kupfer(II)-Salze mit α-Aminosäuren?

? 23.8
Wie reagiert Ninhydrin mit α-Aminosäuren?
936 23 Aminosäuren

Lösungen

! 23.1
Namen der Aminosäuren:
O O O O
H CH C CH3 CH C CH3 CH CH C CH3 CH CH2 CH C
O O O O
NH3 NH3 CH3 NH3 CH3 NH3

a) Glycin b) Alanin c) Valin d) Leucin

O O O
CH2 CH C CH3 CH CH C CH2 CH C
O O O
OH NH3 OH NH3 SH NH3

e) Serin f) Threonin g) Cystein

O O O O O
C CH2 CH C C CH2 CH2 CH C CH2 CH C
HO O HO O O
NH3 NH3 NH3
h) Asparaginsäure i) Glutaminsäure j) Phenylalanin

O CH O
O H2 C CH C HN1 β α
4C CH2 CH C
HO CH2 CH C O HC 2 3
H2 C NH2 N O
O NH3
NH3 CH2
k) Tyrosin l) Prolin m) Histidin

O
3 β α
CH2 CH C
O
2 NH3
N
1
H
n) Tryptophan

! 23.2
Bei der Strecker Synthese überschichtet man zunächst eine gesättigte Amoniumchloridlö-
sung mit einer Etherlösung des Aldehyds. Unter Eiskühlung läßt man Natriumcyanidlösung
zutropfen und schüttelt das Reaktionsgemisch einige Stunden, wobei die Bildung des 2-
Aminonitrils erfolgt. Unter Eiskühlung wird konz. Salzsäure zugegeben, es erfolgt die Hyd-
rolyse des α-Aminonitrils und man erhält die entsprechende am Stickstoff protonierte Ami-
nosäure.
O
-H2O H3O /H2O
R C + NH3 + HC N R CH C N R CH COOH
H - NH4
NH2 NH3
Lösungen 937

! 23.3
Im Zwitterion liegt im Molekül der Aminosäure sowohl die positiv geladene -NH3+-Gruppe
als auch die Carboxylatgruppe –COO- vor. Bei Zugabe einer Säure wird die Carboxylatgrup-
pe des Zwitterions protoniert, das Molekül weist dann eine positive Ladung auf:

R CH COO + H3 O R CH COOH + H2O

NH3 NH3

Bei Zugabe einer Base wird das Zwitterion der Aminosäure hingegen deprotoniert, die Ami-
nosäure liegt als Anion vor:

R CH COO + OH R CH COO + H2O

NH3 NH2

Als isoelektrischen Punkt betrachtet man den pH-Wert einer Lösung in dem die Aminosäure
in höchster Konzentration als Zwitterion vorliegt.

! 23.4
Aminosäuren haben im Molekül sowohl eine Amino- als auch eine Carboxygruppe und sie
reagieren dem entsprechend.
a) Thionylchlorid reagiert mit der Aminosäure zum Aminosäurechlorid:
R CH COOH + SOCl2 R CH COCl + SO2 + HCl

NH2 NH2

b) mit Alkohol und der Aminosäure erfolgt bei saurer Katalyse eine Veresterung:

H
R CH COOH + HO R' R CH COOR' + H2 O

NH2 NH3

c) das Carbonsäurechlorid acyliert die Aminogruppe der Aminosäure:


R CH COOH R CH COOH
Cl
NH2 + C R' HN C R' + HCl
O
O
938 23 Aminosäuren

23.5
Erhitzt man eine α-Aminosäure, so tritt unter Wasserabspaltung mit zwei Molekülen der
Aminosäure eine Cyclisierung zum 3,6-Dialkyl-2,5-diketopiperazin ein (Nomenklatur siehe
Kapitel 23.5.5):
H
OH H HN 4N
O R
O C 5 3
HC R
Δ C CH
R CH 2H2O 6 2
C O CH C
HN H HO R O
1N
H
3,6-Dialkyl -2,5-diketopiperazin

23.6
Schon mit milden Oxidationsmitteln erfolgt eine Oxydation von Cystein zum Cystin unter
Ausbildung einer Disulfidbrücke:
H2 C CH COOH H2 C CH COOH

H S NH2 Oxidationsmittel S NH2

H S NH2 Reduktionsmittel S NH2

H2 C CH COOH H2 C CH COOH
Cystein Cystin

23.7
α-Aminosäuren bilden mit Kupfersalzen schwerlösliche tiefblaue Chelatkomplexe:
R

H C NH2 O O
C Cu C
O O H2N C H

23.8
Ninhydrin reagiert mit α-Aminosäuren zu einem blauvioletten Produkt (zum Verlauf dieser
Reaktion siehe Kapitel 23.5.8).
O OH O
O
C OH R C C C
H
R CH COO +2 + CO2 + N
C OH C C
NH3 + 3 H2O
O O O
Lösungen 939

Die intensive Färbung dieses Produkts wird in der Papierchromatographie zum Nachweis der
α-Aminosäuren benutzt. Ninhydrin kann auch zur Kolorimetrischen Bestimmung der Ami-
nosäuren verwendet werden.
24 Peptide und Proteine
Peptide und Proteine kann man sich formal als Kondensationsprodukte von α-Aminosäuren
vorstellen, aus welchen Wassermoleküle abgespalten wurden. Die Aminosäurereste sind
durch amidische –CO–NH-Bindungen, die in diesem Fall als Peptidbindung bezeichnet
werden, miteinander verknüpft. In natürlichen Peptiden leiten sich die optisch aktiven Ami-
nosäurereste bis auf ganz wenige Ausnahmen (Antibiotika und Toxine) von L-Aminosäuren
ab und in Proteinen ausnahmslos von L-Aminosäuren.

Seitenkette Peptid- Peptid-


bindung bindung

H R1 O H R2 O H R3 O H R1 O H R2 O H R3 O
N C C + N C C + N C C N C C N C C N C C
H H OH H H OH H H OH H H H H OH

+ H2O + H2O

Peptide können bis zu etwa 100 Aminosäurereste enthalten (entspricht ungefähr der Mo-
lekülmassenzahl 10.000). Ist die Peptidkette länger, spricht man von Proteinen. Der Begriff
Protein wurde von Berzelius eingeführt (griech. proteo = der erste). Proteine werden auch,
besonders in der Medizin und den Ernährungswissenschaften, als Eiweiße bezeichnet.
Offenkettige Peptide und Proteine sind untereinander nicht durch weitere Proteinketten
vernetzt. In cyclischen Peptiden sind die Aminosäurereste miteinander in einem Ring ver-
bunden. Bei Peptiden und Proteinen mit offenkettiger Struktur wird das Kettenende mit einer
NH2-Gruppe als N-Terminus und das andere Kettenende mit einer –COOH-Gruppe als C-
Terminus bezeichnet.

R1 O H R2 O H R3
H O
N C C N C C N C C
H OH
H H H

N-terminaler C-terminaler
Aminosäurerest Aminosäurerest

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 940


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_24, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
24.1 Nomenklatur 941

24.1 Nomenklatur
Beschreibt man in Peptiden oder Proteinen die Sequenz (= Reihenfolge) der Aminosäuren,
beginnt man mit dem N-terminalen Aminosäurerest und nennt einen Aminosäurerest nach
dem anderen. Der Aminosäurerest wird so benannt, daß man die Endung -in in der Amino-
säure durch die Endung -yl ersetzt. Eine Ausnahme bilden Asparagin und Glutamin. Bei
ihnen wird die Endung -yl angefügt. Der Asparaginsäurerest wird als Aspartyl und der Gluta-
minsäurerest als Glutamyl bezeichnet. Im Tryptophanrest wird die Endung -an durch -yl
ersetzt. Der zuletzt angeführte C-terminale Aminosäurerest, der eine –COOH-Gruppe besitzt,
wird nach der entsprechenden Aminosäure benannt, z.B.:

Gly Phe Ser Cys Met Ala

S CH3

OH SH CH2

H O H CH2 O H CH2 O H CH2 O H CH2 O H CH3


H O
N C C N C C N C C N C C N C C N C C
H OH
H H H H H H

Glycylphenylalanylserylcysteylmethionylalanin
verkürzt mit Dreibuchstabencodierung: Gly-Phe-Ser-Cys- Met-Ala

Benutzt man für lineare Peptide und Proteine die Buchstabencodierung, so beginnt man
links mit dem N-terminalen Aminosäurerest und schreibt dann, die Peptidkette entlang-
gehend, die Buchstabencodes der weiteren Aminosäurereste waagerecht bis zum C-termina-
len Aminosäurerest weiter. Die Dreiergruppen der Buchstabencodierung werden in der Regel
durch einen Strich voneinander abgetrennt. Die Sequenz in cyclischen Peptiden wird im
Uhrzeigersinn gelesen. Zur Angabe der Richtung der –CO–NH-Bindung kann anstelle des
einfachen Strichs ein Richtungspfeil benutzt werden, wobei der Pfeil die Richtung von der
C=O-Gruppe zur NH-Gruppe angibt –C=O –> NH–, z.B.:

O CH3 O H

CH2 C NH CH C NH C CH2 OH
Gly Ala Tyr
NH C O

O C NH Gly Ala Tyr


Val Gly Ala
CH NH C CH2 NH C CH
Val Gly Ala
H3C CH CH3 O O CH3
942 24 Peptide und Proteine

Manchmal wird bei Verwendung der Dreibuchstabencodierung, um die Endgruppen


kenntlicher zu machen, vor den N-terminalen Aminosäurerest ein H- vorgestellt und dem C-
terminalen Aminosäurerest die OH-Gruppe nachgestellt, z.B.:

Gly Ala Phe

H O CH3 O CH2
H O
N C C NH CH C NH C C H-Gly-Ala-Phe-OH
H OH
H H

24.2 Bedeutung der Peptide und Proteine


Die aus Aminosäuren gebildeten Makromoleküle der Proteine (auch als Eiweiße bezeich-
net) stellen den Hauptanteil der organischen Substanz in lebenden Organismen dar. Ge-
meinsam mit den Nucleinsäuren gehören sie zu den Biopolymeren, die Träger des Lebens
sind. Die Biosphäre wird von etwa 2·106 biologischen Arten bevölkert, und jede Art be-
sitzt einige tausend arteigene Proteine. Diese werden der genetischen Information der
DNA entsprechend im Organismus synthetisiert, wodurch die Reihenfolge der Aminosäu-
rereste in den Proteinen und damit ihre Spezifität bei all der notwendigen Vielfalt gegeben
ist. Die Vielfalt der Proteine im Organismus ist unumgänglich, da die Proteine viele Funk-
tionen zu erfüllen haben, und jedes Protein für seine Funktion sozusagen „zugeschnitten“
sein muß. Sie haben z.B. Stütz-, Schutz-, Transport- und Lagerfunktionen, mechanisch-
chemische Funktionen (Myosin im Muskelgewebe), Kontrollfunktionen und regulatorische
Funktionen, und sie sind Bestandteil der für Umsetzungen im Organismus notwendigen
Biokatalysatoren, der Enzyme. Man schätzt, daß es in der Biosphäre 109–1010 individuelle
Proteine gibt.
Proteine aus dem tierischen und pflanzlichen Bereich (z.B. Fleisch, Eier, Quark, Käse
und Mehlprodukte) nehmen wir als Nahrung zu uns, um einen Teil unseres Energiebe-
darfs und unseren Bedarf an Aminosäuren, besonders an essentiellen Aminosäuren, zu
decken. Wolle, Naturseide und Pelze, ebenfalls aus Proteinen bestehend, benutzen wir für
unsere Kleidung. Leder (mit Gerbstoffen durch zusätzliche Querverbindungen zwischen
Proteinmolekülen verfestigte Gerüsteiweiße der Tierhäute) wird z.B. für Schuhwerk verar-
beitet. Gelatine gewinnt man durch Kochen von Knorpeln und Knochen. Sie wird als
Nahrungsmittel und in der Photoindustrie verwendet. Durch hydrolytischen Abbau von in
tierischen Bindegeweben enthaltenen Kollagenen mit heißem Wasser unter erhöhtem
Dampfdruck erhält man Leim (Haut-, Knochen- oder Fischleim), der in heißem Wasser
löslich ist und zum Kleben von Holz verwendet wird. Casein, der wichtigste Eiweißbe-
standteil der Milch, kann mit Labferment aus dem Labmagen von Kälbern ausgefällt und
zu Käse verarbeitet, oder mit Formaldehydlösung zu einem hornartigen Kunststoff, dem
Galalith, verarbeitet werden.
24.3 Peptide 943

24.3 Peptide
Je nachdem, wie viele Aminosäurereste im Peptid enthalten sind, bezeichnen wir das Peptid
als Di-, Tri-, Tetrapeptid usw. Peptide mit bis zu 10 Aminosäureresten zählt man zu den Oli-
gopeptiden. Ist die Anzahl der Aminosäurereste größer, spricht man von Polypeptiden. Viel-
fach haben die Peptide eine physiologische Wirkung.
Aspartam ist ein Dipeptid mit endständiger Methylestergruppe, das 200fach süßer als
Glucose schmeckt. Im Unterschied zum Cyclamat, das sich in Tierversuchen als carcinogen-
verdächtig erwiesen hat1, ist Aspartam ein Süßstoff, der nicht im Verdacht steht, carcinogen
zu sein. Weitere Süßstoffe sind Saccharin und Acesulfam-K.
Süßstoffe:

O H3C
O CH2 C O
O O H
C CH2 CH C NH C C NH N SO2
O OCH3 S NK
NH3 H SO3
O
O Na O
Aspartam Saccharin Natriumcyclamat Acesulfam-K
Aspartylphenylalaninmethylester
Asp-Phe-OCH3
Glutathion, das γ-Glutamylcysteylglycin, ist ein Tripeptid, das sehr verbreitet ist. γ-Glu-
tamyl bedeutet, daß die Peptidbindung nicht durch Reaktion mit der zur –CH–NH2-Gruppe
α-ständigen, sondern mit der zu ihr γ-ständigen Carboxygruppe der Glutaminsäure zustande
kam. Glutathion ist im Organismus an Transportprozessen und Redoxvorgängen beteiligt.
Durch Oxidation werden 2 Glutathionmoleküle mit einer Disulfidbrücke verbunden. Auf die-
ser Grundlage erfolgt auch die Peroxidentgiftung (Peroxide sind toxisch, sie schädigen die
Zellmembran von Erythrocyten. Durch Glutathion werden sie in die entsprechende Alkohole
umgewandelt.). Die Regeneration von Glutathion kann durch Reduktion mit NADPH erfol-
gen (siehe Schema 24.1).

24.3.1 Peptidhormone
Hormone sind physiologisch hochwirksame Verbindungen, die in innersekretorischen Drü-
sen gebildet und von diesen direkt in die Blutbahn abgegeben werden (= endokrine Drüsen),

1
Zu Beginn der 70er Jahre gab es Hinweise auf eine mögliche carcinogene Wirkung des Cyclamats in
Versuchen an Ratten. Der Verkauf von Süßstoff wurde deshalb in USA und anderen Ländern verboten.
Nachdem in späteren Studien die Carcinogenität aber nicht bestätigt werden konnte, wurden die An-
wendungsbeschränkungen in den meisten Ländern gelockert. Im Rahmen der Diät-VO von 1988 ist
Cyclamat zu diätetischen Lebensmitteln in der Bundesrepublik zugelassen (nicht zugelassen ist es
weiterhin in USA, Großbritannien und Frankreich).
944 24 Peptide und Proteine

Schema 24.1:
HS
O CH2 O
O O
α α β γ
2 C CH CH2 CH2 C NH CH C NH CH2 C
HO OH
NH2
Glutathion, abgekürzt GSH

R2O2
NADP
2 ROH
NADPH

O O
O O
C CH CH2 CH2 C NH CH C NH CH2 C
HO OH
NH2 CH2
S

S
O CH2 O
O O
C CH CH2 CH2 C NH CH C NH CH2 C
HO OH
NH2
oxidierte Form des Glutathions, abgekürzt GSSG

um bestimmte Vorgänge im Organismus zu regulieren. Es besteht eine Hierarchie der in-


nersekretorischen Drüsen: Der Hypothalamus regelt die Sekretion der Hypophyse und die
wiederum andere endokrine Drüsen. Das ganze System steht unter Rückkopplungskontrolle.
Das im Hypothalamus gebildete Thyroliberin steuert die Ausschüttung des Thyrotropins.
Dieses stimuliert das Wachstum, reguliert die Hormonausschüttung der Schilddrüse und
fördert die Iodidaufnahme aus dem Blut in die Schilddrüse. Das Thyroliberin ist ein Tripep-
tid. Es hat keine freie Amino- und Carboxygruppe, denn die Glutaminsäure wurde durch
Wasserabspaltung in ein Lactam (siehe Abschnitt 17.4.1) überführt und die C-terminale Car-
boxygruppe im Prolin in ein Amid umgewandelt.
O NH2
C
O
O
NH (Pyro) Glu-His-Pro-NH2
N C CH N
Thyroliberin
O CH2

NH

N
24.3 Peptide 945

Die Hypophysen-Hinterlappen-Hormone Oxytocin und Vasopressin sind Nonapeptide,


die durch Disulfidbrücken einen Ring bilden. Beide unterscheiden sich nur durch zwei Ami-
nosäurereste in Stellung 3 und 8 (eingerahmt), der C-terminale Glycinrest bildet ein Amid.

Cys Tyr Cys Tyr

S Ile S Phe
Oxytocin Vasopressin
S Gln S Gln

Cys Asn Cys Asn


Lys
Pro Leu Gly NH2 Pro oder Gly NH2
Arg

Das Oxytocin (ursprünglich Ocytocin nach dem griech. ocys = zusammenziehen) bewirkt
die Kontraktion der glatten Muskulatur des Uterus (bei Geburtshilfe eingesetzt), des Dick-
darms, der Gallenblase und der Harnblase. Vasopressin regt die Kontraktion der glatten Mus-
kulatur der Blutgefäße an, so daß ein Blutdruckanstieg eintritt (cardiovaskuläre Wirkung),
und es hat eine antidiuretische Wirkung (diuretische Wirkung = erhöhte Harnausscheidung).
Das Polypeptidhormon Insulin wird von der Bauchspeicheldrüse ausgeschüttet (sekre-
tiert) und bewirkt eine Reduzierung der Glucosekonzentration im Blut. Es steigert die
Biosynthese von Glycogen (Glycogen ist eine hochmolekulare Speicherform der Glucose),
es hemmt den Glycogen- und Fettabbau und regt die Glycolyse an (Glycolyse siehe Ab-
schnitt 21.6.7.6). Der Name Insulin rührt daher, daß es in den Langerhansschen Inseln der
Bauchspeicheldrüse gebildet wird. Der Gegenspieler des Insulins ist das Glucagon, das
bei zu niedriger Glucosekonzentration von der Bauchspeicheldrüse ausgeschieden wird,
worauf ein Anstieg der Blutglucose-Konzentration durch Spaltung von Glycogen erfolgt.
Beide Hormone, Insulin und Glucagon, sorgen für ein Gleichgewicht der Glucosekonzent-
ration im Blut. Fehlende Ausschüttung von Insulin hat die „Zuckerkrankheit“ (Diabetes
mellitus) zur Folge, die sich durch Durst, Polyphagie (Hang zu vielem Essen), Polyurie
(krankhafte Vermehrung der Harnmenge), Schwäche und Gewichtsverlust äußert. Begleit-
störungen des Stoffwechsels gehen einher: Anhäufung von Aceton und Acetessigsäure im
Harn, unvollständiger Abbau der Fettsäuren usw. Bei vielen Patienten ist eine Insulingabe
notwendig, die durch subkutane Injektion (in das unter der Haut liegende Gewebe) er-
folgt. Neben tierischem Insulin steht auch gentechnologisch gewonnenes Humaninsulin
zur Verfügung.
Im Insulin sind zwei Peptidketten über zwei Disulfidbrücken miteinander verbunden.
Kette A besteht aus 21 und Kette B aus 30 Aminosäureresten. Wie aus der nachfolgenden
Formel zu ersehen ist, unterscheiden sich Human-, Schweine- und Rinderinsulin nur in
den Aminosäureresten in den Positionen 8 und 10 in Kette A und 30 in Kette B. Insulin
bindet Zn2+-Ionen, wobei es zu Doppelmolekülen zusammentritt.
Eine Übersicht der wichtigsten Peptidhormone zeigt Bild 24.1.
946 24 Peptide und Proteine

Drüsen mit Peptidhormone Physiologische


innerer Sekretion (Anzahl der Wirkung
Aminosäurereste)

Hypothalamus - Thyroliberin (3) reguliert Ausschüttung


von Thyrotropin
Hypophyse
Oxitocin (9) Kontraktion d. Uterusmuskels
Hinterlappen
Vasopressin (9) Erhöhung des Blutdrucks
Vorderlappen Corticotropin (39) reguliert Stereoidhormone
Somatotropin (191) reguliert Wachstum
Thyrotropin (96+113) reg. Thyroxin aus Schilddrüse
Gonadotropine (90-120) Follikelreifung, Östrogen-
biosynthese, Spermiogenese
Neben- Parathyrin (84) regulieren Ca2+- und
schilddrüsen Calcitonin (32) Phosphatspiegel im Blut

Bauchspeichel- Insulin (21+30) regulieren Glucose-


drüse Glucagon (29) konzentration im Blut

Bild 24.1 Peptidhormone

3 4 5 6 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
2 Ile Val Glu Gln Cys S S Cys Ser Leu Tyr Gln Leu Glu Asn Tyr Cys Asn
1 Gly 9
Kette A 7Cys A8 Ser A10 S
1
Phe S S
12 13 14 15 16 17 18 19 20
2 Val Kette B S Val Glu Ala Leu Tyr Leu Val Cys Gly
3 4 5 6 7 8 9 10 11
Asn Gln His Leu Cys Gly Ser His Leu Glu 21
29 28 27 26 25 24 23 22
B30 Lys Pro Thr Tyr Phe Phe Gly Arg

A8 A10 B30 Insulin


Humaninsulin Thr Ile Thr
Schweineinsulin Thr Ile Ala
Rinderinsulin Ala Val Ala

24.3.2 Neuropeptide

Neuropeptide gehören in die Gruppe der Neurotransmitter, das sind Stoffe, die Impulse von
einer Nervenzelle in die andere übertragen. Vasopressin hat außer der hormonalen Funktion
auch die Funktion eines Neurotransmitters. Man findet es im Gehirn und nimmt an, daß es
eine Rolle im Gedächtnismechanismus spielt. In ungefähr der gleichen Region der Nerven-
24.3 Peptide 947

bahn, in der sich Opiatrezeptoren befinden, gibt es Neuropeptide, von denen man annimmt,
daß sie eine dem Morphin ähnliche Wirkung haben und daß sie das Empfinden von Schmerz
regulieren können. Zu diesen Substanzen gehören die Enkephaline und das β-Endorphin. Sie
haben, wie man aus den Formeln ersieht, am N-Terminus eine gleiche Sequenz von vier
Aminosäureresten (durch Einrahmung kenntlich gemacht). Die beiden Enkephaline unter-
scheiden sich nur durch ihren C-terminalen Aminosäurerest und werden demgemäß als Me-
thionin-Enkephalin bzw. Leucin-Enkephalin bezeichnet.

Tyr Gly Gly Phe Met Methionin-Enkephalin

Tyr Gly Gly Phe Leu Leucin-Enkephalin


10 18
Tyr Gly Gly Phe Met Thr Ser Glu Lys Ser Gln Thr Pro Leu Val Thr Leu Phe
19 20 30
Lys Asn Ala Ile Val Lys Asn Ala His Lys Lys Gly Gln β-Endorphin

24.3.3 Antibiotika auf Peptidbasis

Antibiotika sind Stoffe, die Mikroorganismen abtöten oder in ihrem Wachstum hemmen.
Von den natürlich vorkommenden Penicillinen, die aus den Schimmelpilzen Penicillium
notatum und Penicillium chrysogenum isoliert werden können, hat heute noch Penicillin G
praktische Bedeutung. Penicilline kann man sich aus dem Dipeptid L-Cystein–D-Valin ent-
standen denken, wobei die Aminogruppe des Cysteins mit der Gruppe R–CO– acyliert wur-
de. Die Penicilline unterscheiden sich durch den Rest R. Im Penicillin G ist R ein Benzylrest.
Dieses Penicillin zeichnet sich durch seine Wirksamkeit, durch minimale Toxizität und ge-
ringe Resistenzentwicklung aus. Es hat den Nachteil der Säureempfindlichkeit, so daß es bei
oraler Gabe zu hohen Resorptionsverlusten kommt, weshalb es injiziert werden muß. Es
unterliegt einer Inaktivierung durch Penicillinasen. Sein Wirkungsbereich umfaßt gramposi-
tive Kokken und Stäbchen (z.B. Diphtheriebakterien), gramnegative Kokken und Spirochä-
ten. Durch Variieren des Restes R in Penicillinen lassen sich halbsynthetische Penicilline
produzieren, die die Nachteile des Penicillins G nicht haben (Oral-Penicilline und Penicilli-
nase-stabile Penicilline).
L-Cystein
D-Valin
O H H
S CH3
R C NH C C C Penicillin G: R = CH2
CH3
COOH
C N C
O H
allgemeine Formel für Penicilline

Ein Beispiel für lineare antibiotische Polypeptide bieten die aus dem Bacillus brevis iso-
lierten Gramicidine A, B und C. Es sind Pentadecapeptide, die sich nur (siehe Formel) in
einem einzigen Aminosäurerest in Position 10 (eingerahmt) unterscheiden. In den Gramici-
948 24 Peptide und Proteine

Lipiddoppelschicht

N N

C
Gramicidin-A- N N-Terminus
Kanal
K+ C C-Terminus

Bild 24.2 Modell des Gramicidin-A-Dimers

dinen wechseln L- und D-Aminosäurereste ab. Sowohl der N- als auch der C-terminale Rest
sind blockiert. Der N-terminale Stickstoff trägt eine Formylgruppe und am C-Terminus ist
eine β-Hydroxyethylamidgruppe gebunden.

O 6
1 2 3 4 5 7 8
C NH L Val Gly L Ala D Leu L Ala D Val L Val D Val
H
9 10 11 12 13 14 15
L Trp D Leu L X D Leu L Trp D Leu L Trp NH(CH2)2OH

Gramicidin A: X = Trp
Gramicidin B: X = Phe
Gramicidin C: X = Tyr

Das Gramicidin A ist ein kanalbildendes Ionophor. Es bildet, gegeben durch die in der
Peptidkette abwechselnden L- und D-Aminosäurereste, eine linksgewundene Spirale. Zwei
Moleküle fügen sich zu einem Dimer mit ihrem N-terminalen Ende aneinander und bilden
so einen Kanal, der durch die Lipiddoppelschicht von Membranen durchführt. Durch die-
sen Kanal können Protonen und Alkali-Ionen passieren, während er für Ca2+-Ionen un-
durchlässig ist.
24.4 Analyse der Peptide und Proteine 949

24.3.4 Zoo- und Phytotoxine auf Peptidbasis

Zu den aus dem Tierreich stammenden Zootoxinen gehören die Neurotoxine der Schlangen
und Skorpione. Sie enthalten 60–80 L-Aminosäurereste in der Peptidkette, vor allem basische
Aminosäurereste. Die Peptidkette hat Disulfidbrücken und weist Schleifen auf. Apamin ist
ein neurotoxisches Peptid der Bienen.
Zu den Phytotoxinen zählen die hochgiftigen Polypeptide des grünen Knollenblätter-
pilzes (Amanita phalloides) Amanitin und Phalloidin.

CH3 O O

HN CH C NH CH C NH H CH3

C O H2C C CH2 C CH3

H OH
C O
S
HO N CH2 N NH

C CH NH C CH NH C CH
O
O CHOH O CH3

CH3
Phalloidin

24.4 Analyse der Peptide und Proteine

Mit der vollständigen Hydrolyse kann man feststellen, welche Aminosäuren im Peptid oder
Protein enthalten sind und in welchem relativen Verhältnis sie im Peptid oder Protein vertre-
ten sind. Die Abfolge der Aminosäurereste in der Peptidkette wird als Sequenz bezeichnet
und die Bestimmung der Sequenz als Sequenzierung oder Sequenzanalyse. Jedes Protein hat
eine eigene, durch die Basensequenz der DNA genetisch festgelegte, charakteristische Ami-
nosäuresequenz. Von ihr hängen die Struktur und die Eigenschaften des Proteins ab.

24.4.1 Ermittlung der Aminosäure-Anteile im Protein

Nach vollständiger Hydrolyse und nachfolgender Analyse der freigesetzten Aminosäuren


kann man feststellen, welche Aminosäuren am Aufbau des Proteins beteiligt und in welchem
relativen Verhältnis sie in diesem vertreten sind. Das Protein wird bei säurekatalysierter Hy-
drolyse in 6 molarer HCl gelöst und, um die Luftoxidation der schwefelhaltigen Amino-
säuren zu vermeiden, in einem evakuierten Röhrchen eingeschmolzen. Das Reaktionsge-
misch wird 10–100 Stunden auf 100–120°C erhitzt. Die lange Reaktionszeit ist notwendig,
950 24 Peptide und Proteine

da die Peptidbindung schwer hydrolysierbar ist, und die Hydrolyse vollständig sein muß. Die
Hydrolyse kann auch basisch oder mit Hilfe eines Peptidasengemisches erfolgen (Peptidasen
sind Enzyme, die eine hydrolytische Spaltung von Proteinen bewirken). Man erhält ein kom-
plexes Aminosäuregemisch, das mit Hilfe der Chromatographie getrennt und analysiert wer-
den kann. Auf diese Weise erhält man noch vor der Sequenzierung eine Information darüber,
welche Aminosäurereste im Protein überhaupt vertreten sind, und in welchen Mengenver-
hältnissen sie in diesem vorliegen. Die vollständige Hydrolyse liefert allerdings keine Aus-
sage über die Reihenfolge der Aminosäurereste in der Peptidkette, dafür ist eine Sequenzie-
rung notwendig.

24.4.2 Bestimmung der Aminosäuresequenz

24.4.2.1 Vorbereitung des Proteins für die Sequenzierung


Proteine bestehen oft nicht nur aus einer, sondern aus zwei oder mehreren Polypeptidketten,
den Untereinheiten des Proteins. Die einzelnen Polypeptidketten müssen zunächst voneinan-
der getrennt werden, damit man sie sequenzieren kann. Soweit die Untereinheiten nicht
durch Disulfidbrücken gebunden sind, können sie unter sauren oder basischen Bedingungen,
niedrigen Salzkonzentrationen oder in einer Harnstofflösung voneinander getrennt werden.
Sind sie jedoch durch Disulfidbrücken miteinander verbunden, müssen diese aufgebrochen
werden. Die Disulfid-Bindungen können oxidativ mit Peroxyameisensäure oder reduktiv mit
Mercaptanen (z.B. 2-Mercaptoethanol) gespalten werden.

Oxidative Spaltung:

NH CH CO NH CH CO
O
S 6H C SO3
O OH
S SO3
- 6 HCOOH
NH CH CO NH CH CO

Reduktive Spaltung:

NH CH CO NH CH CO
2 HS(CH2)2OH
S SH
S(CH2)2OH +
S - SH
S(CH2)2OH
NH CH CO NH CH CO
24.4 Analyse der Peptide und Proteine 951

24.4.2.2 Fragmentierung der Peptidkette


Hat eine Peptidkette mehr als 40 Aminosäurereste, so ist es äußerst schwierig, sie zu sequen-
zieren. Deshalb spaltet man die Peptidkette in kleinere Fragmente. Es ist wichtig, daß die
Spaltung nicht nach einem Zufallsmuster, sondern nur an der Stelle in der Peptidkette
erfolgt, wo sich ein bestimmter Aminosäurerest befindet. Diese Forderung wird bei der Re-
aktion mit Bromcyan oder auch bei der Spaltung der Polypeptidkette mit dem Verdauungs-
enzym Trypsin erfüllt. Auch andere Enzyme können zur Peptidspaltung herangezogen wer-
den, sie sind aber nicht so spezifisch wie Trypsin.
Mit Bromcyan wird die Peptidbindung gespalten, die nach einem Methioninrest folgt. Die
Reaktion wird in saurer Lösung durchgeführt. Der Methioninrest tritt in diesem Falle als S-
Nucleophil auf, das das Brom im Bromcyan ersetzt. Die positive Ladung am Schwefel im
Zwischenprodukt polarisiert die C–S-Bindung, so daß die Gruppe

H3C S C N

eine gute Abgangsgruppe darstellt. Unter Abspaltung von Methylthiocyanat tritt eine Cycli-
sierung ein, wobei ein cyclischer Iminoether gebildet wird. In der sauren Lösung wird die
Iminogruppe C=N– hydrolysiert. Man erhält zwei Fragmente, nämlich ein Peptidylhomo-
serinlacton-Fragment (das homo in der Bezeichnung Homoserin deutet an, daß das Serin um
eine Methylengruppe erweitert ist) und ein Peptid-Fragment.
Methylthiocyanat
N N
Bromcyan H3C C H3C C
S
H3C S C N S
H2 C CH2
H2C CH2 Br H2C CH2
O
NH C C O O - Br NH C C O O NH C C O
H N CH C H N CH C H N CH C
H R H R H R
Methioninrest

H2C CH2 H2C CH2 H2C CH2


H /H2O Peptidyl-
O O O homose-
NH C C O -H NH C C O NH C C rinlacton
O
H N CH C H N CH C H O
H R R + H2N CH C
Iminoether R
Peptid-Fragment
Trypsin spaltet die Peptidbindungen, die nach einem eine positive Ladung tragenden Argi-
nin- oder Lysinrest stehen, wobei der nachfolgende Aminosäurerest nicht ein Prolinrest sein
darf.
952 24 Peptide und Proteine

NH2 NH2
H2C NH C H2C NH C
NH2 H2O/Trypsin NH2
(CH2)2 (CH2)2
R

NH CH C NH CH C NH CH C O +
R
O O O
H3N CH C
Argininrest Jeder Aminosäurerest
O
(oder Lysinrest) außer Prolinrest

24.4.2.3 Sequenzbestimmung der Peptidfragmente durch Edman-Abbau


Der N-terminale Aminosäurerest wird mit Hilfe von Phenylisothiocyanat aus dem Peptid-
fragment abgespalten und wird in ein Phenylthiohydantoin-Derivat überführt. Durch Wie-
derholung der Reaktion erfolgt die sukzessive Abspaltung der weiteren jeweils am N-termi-
nalen Kettenende befindlichen Aminosäurereste. Zur Erläuterung des Begriffs Isothiocyanat:
Ein Alkylcyanat NC–O–R hat den Alkylrest an das O gebunden, die Silbe iso- im Alkyliso-
cyanat gibt an, daß R an das N gebunden ist, also R–N=C=O, und die Silbe thio- bedeutet,
daß anstelle von O ein S in der Formel steht. Der Edman-Abbau schematisch am Beispiel
eines Tetrapeptids vereinfacht dargestellt:

1. Durchgang
O
O
3 4
N C S + H2N CH2 C Ala Phe Val N C + Ala Phe Val
2 5 H in Phenylthio-
Gly C 1 C
hydantoin ein-
Phenylisothiocyanat S NH H
gebauter Glycyl-
3-Phenylthiohydantoin rest
2. Durchgang
CH3 O
O
N C S + H2N CH C Phe Val N C + Phe Val
CH3 Alanylrest
Ala C C
S NH H

3. Durchgang
CH2
O
O
N C S + H2N CH C Val N C + Val
CH2 Phenyl-
Phe C C
alanylrest
S NH H

Anmerkung O
Formel des Hydantoins: HN C

C CH2
O NH
24.4 Analyse der Peptide und Proteine 953

Das Peptid reagiert im ersten Reaktionsschritt des Edman-Abbaus bei milden alkalischen
Reaktionsbedingungen mit Phenylisothiocyanat (Phenylsenföl). Die endständige Aminogrup-
pe des Peptids wird unter Bildung eines Phenylthioureidopeptids an das Phenylisothiocyanat
addiert. Im zweiten Reaktionsschritt findet in Anwesenheit von wasserfreiem HF unter Cy-
clisierung die Spaltung der in der Peptidkette letztständigen Peptidbindung statt. Es entstehen
ein 2-Anilino-1,3-thiazolin-5-on-Derivat (1,3 bezeichnet die Stellung der Heteroatome S und
N im Fünfring) und ein um einen Aminosäurerest kürzeres Peptid. Im letzten Reaktions-
schritt wird das 2-Anilino-1,3-thiazolin-5-on-Derivat (abgekürzt: Thiazolinonderivat) in
saurer wäßriger Lösung in ein 3-Phenylthiohydantoinderivat umgelagert.
1. Reaktionsschritt:
R O R1

N C S + H2N CH C NH CH CO Peptidrest

Phenylisothiocyanat OH

2. Reaktionsschritt:
H R O R1

NH C N CH C NH CH CO Peptidrest
S
Phenylthioureidopeptid

wasserfreies HF

R1
2 3
NH C N + H2N CH CO Peptidrest
1 4 R
S C um einen Aminosäurerest kürzeres Peptid
5
C H
Thiazolinonderivat
O
3. Reaktionsschritt:
H
O
H /H2O 3
N C N N C
R -H R
S C C2 C
1
C H S N H

O H
Thiazolinonderivat 3-Phenylthiohydantoinderivat

Thiazol: Thiazolin:

HC N die Endung -in drückt HC N


aus, daß nur eine Doppel-
S CH S CH2
bindung im Ring ist:
C C

H H H
954 24 Peptide und Proteine

Das Thiohydantoinderivat kann mit Hilfe der Chromatographie identifiziert werden und
damit auch der Aminosäurerest, der Bestandteil des Thiohydantoinderivats ist. Auf diese
Weise können nacheinander alle Aminosäurereste des Peptidfragments identifiziert und ihre
Reihenfolge im Fragment bestimmt werden.
Eine Automatisierung der Sequenzbestimmung mit Wiederholung der Cyclen des Ed-
man-Abbaus wird im „spinning cup“-Sequenator erreicht. Eine Lösung des Peptids wird als
dünner Film auf die innere Oberfläche eines rotierenden Glasgefäßes aufgetragen. Die Rea-
genzien werden in einem Argon-Strom als Dämpfe zugeführt. Das jeweils gebildete 2-Anili-
no-1,3-thiazolin-5-on-Derivat wird automatisch aus dem Film entfernt, in das 3-Phenylthio-
hydantoinderivat umgewandelt und dieses chromatographisch identifiziert.

24.4.2.5 Feststellung der Abfolge der Peptidfragmente


Nach dem Sequenzieren der einzelnen Peptidfragmente muß die Reihenfolge ermittelt wer-
den, in der die Peptidfragmente untereinander im Peptid verknüpft waren. Zu diesem
Zwecke führt man nochmals eine Spaltung des gleichen Peptids durch, jedoch mit einem
anderen Agens, das die Spaltung an anderen Stellen der Peptidkette bewirkt. Nach der Se-
quenzbestimmung in diesen Fragmenten vergleicht man ihre Sequenzen mit den Sequenzen
der Fragmente, die aus der vorhergehenden Spaltung stammen. Anhand von Überlappungen
kann man die Abfolge der Peptidfragmente eindeutig bestimmen, z.B.
Trypsinfragmente:

Val Gly Met Ala Lys Gly Cys Ala Gly Met Pro Gly Arg Glu Gly

BrCN-Fragmente:

Val Gly Met Ala Lys Gly Cys Ala Gly Met Pro Gly Arg Glu Gly

Peptid:
Val Gly Met Ala Lys Gly Cys Ala Gly Met Pro Gly Arg Glu Gly

24.5 Peptidsynthese
Ließen wir zwei Aminosäuren, z.B. Glycin und Alanin, durch Erhitzen in Gegenwart dehyd-
ratisierender Reagenzien miteinander reagieren, könnte man erwarten, daß im Produktge-
misch der Reaktion auch Dipeptide vorzufinden sind:

4 Glycin + 4 Alanin Δ Gly Gly + Gly Gly + Ala Ala


Ala + Ala
- 4 H2O
Dies ist allerdings kein brauchbarer Weg für eine Peptidsynthese. Abgesehen von der kleinen
Ausbeute möchte man ja kein Peptidgemisch, sondern selektiv ein Peptid mit einer bestimm-
ten Aminosäuresequenz synthetisieren. Will man z.B. das Dipeptid Gly-Ala synthetisieren,
muß man die Aminosäure aktivieren, die im Dipeptid den N-terminalen Aminosäurerest
bilden soll, in diesem Fall das Glycin. Man könnte z.B. dessen –COOH-Gruppe in eine –
COCl-Gruppe umwandeln:
24.5 Peptidsynthese 955

H2N CH2 CO OH + SOCl2 H2N CH2 CO Cl + SO2 + HCl

Im Glycylchlorid stellt das Chlor eine gute Abgangsgruppe dar, so daß der Ester des
Alanins als Reaktionspartner (zur Verhinderung von Nebenreaktionen ist die Carboxygruppe
geschützt) mit der Aminogruppe nucleophil angreifen und in einer SN2t-Reaktion das Chlor
im Glycylchlorid ersetzen kann. Der C-terminale Aminosäurerest des synthetisierten Dipep-
tids liegt als Ester vor. Für die Freisetzung der Carboxygruppe wird der Ester hydrolysiert.
Seine Hydrolyse muß bei so milden Bedingungen erfolgen, daß die Peptidbindung nicht
gespalten wird.

H O O
Cl O Cl O
- HCl OH /H2O
C NH2 C N C NH C NH
H - ROH
CH2 HC CH3 CH2 HC CH3 CH2 HC CH3 CH2 HC CH3

H2N COOR H2 N COOR H2N COOR H2N COO

Glycyl- Ester des Gly–Ala


chlorid Alanins

Führt man die Reaktion auf diese Weise durch, läßt sich jedoch nicht verhindern, daß
Glycylchloridmoleküle auch untereinander reagieren:

O Cl H O
C N CH2 CO Cl C NH CH2 CO Cl
+
H
H2N CH2 H2N CH2 + HCl

Will man diese Selbstkondensation unterbinden, muß die Aminogruppe des Glycins ge-
schützt werden. Die Schutzgruppe muß man allerdings nach erfolgter Synthese des Dipeptids
wieder entfernen können, ohne daß dabei die Peptidbindung gespalten wird. Z.B. wäre die
Einführung einer Acetylgruppe CH3CO– als Schutzgruppe in das Glycin nicht sinnvoll, da
bei der späteren Abspaltung dieser Gruppe durch sauer oder basisch katalysierte Hydrolyse
auch die bei der Synthese gebildete Peptidbindung wieder gespalten werden kann.

24.5.1 Schutzgruppen in der Peptidsynthese

Die Einführung einer Schutzgruppe in eine funktionelle Gruppe soll die Umsetzung dieser
funktionellen Gruppe bei einer Reaktion verhindern. Nach der Reaktion kann die Schutz-
gruppe unter Rückbildung der ursprünglichen funktionellen Gruppe abgespalten werden.
Für die Peptidsynthese müssen sowohl die Aminogruppe der zu aktivierenden Ami-
nosäure als auch die Carboxygruppe des Reaktionspartners geschützt sein. Die Schutzgrup-
pen müssen einige Voraussetzungen erfüllen. Sie müssen leicht einführbar und nach erfolgter
Verknüpfung gut abspaltbar sein und zwar so, daß die Peptidbindungen dabei nicht gespalten
werden. Bei all den Reaktionen darf keine Isomerisierung eintreten, der Erhalt der
956 24 Peptide und Proteine

L-Konfiguration in den Aminosäuren bzw. in den Aminosäureresten der Peptide muß bei
allen Reaktionen gewährleistet sein. Auch die Amino- bzw. Carboxygruppen in den Seiten-
ketten der Aminosäurereste sind zu schützen.

24.5.1.1 Schutz der Carboxygruppe


Aminosäuren können zum Schutz ihrer Carboxygruppen zu Estern umgesetzt werden. Als
Ester werden bei der Peptidsynthese bevorzugt Benzyl- und tert-Butylester verwendet, da
diese leicht hydrolysierbar sind.

R O R O CH3

H2N CH C O CH2 H2N CH C O C CH3

CH3
Aminosäurebenzylester Aminosäure-tert-Butylester

24.5.1.2 Schutz der Aminogruppe


Läßt man eine Aminosäure mit Chlorameisensäurebenzylester im basischen Medium reagie-
ren, wird in die Aminogruppe der Benzyloxycarbonylrest als Schutzgruppe eingeführt. Diese
Schutzgruppe kann durch Hydrogenolyse oder Hydrolyse bei milden Reaktionsbedingungen
wieder abgespalten werden.

Benzyloxycarbonylrest
O R O R Na
2 NaOH
CH2 O C Cl + H2N CH COOH CH2 O C NH CH COO
- NaCl
- 2 H2O

Chlorameisensäure- Aminosäure Na-Salz der N-Benzyloxy-


benzylester carbonylaminosäure

Der als Reagens benutzte Chlorameisensäurebenzylester wird durch partielle Alkoholyse


von Phosgen dargestellt:

O O

CH2 OH + Cl C Cl CH2 O C Cl + HCl

Benzylalkohol Phosgen Chlorameisensäurebenzylester

Bei der Hydrogenolyse der N-Benzyloxycarbonylaminosäure entstehen Toluol und ein


Carbaminsäurederivat (Carbaminsäure (auch Carbamidsäure) siehe Abschnitt 18.1.1.4). Das
letztere ist unbeständig, es spaltet CO2 ab, und die vorher geschützte Aminogruppe wird
freigesetzt.
24.5 Peptidsynthese 957

O R O R
H2/Pd
CH2 O C NH CH COOH CH3 + HO C NH CH COOH

N-Benzyloxycarbonylaminosäure Toluol N-Carbaminsäurederivat

O R R

HO C NH CH COOH CO2 + H2N CH COOH

N-Carbaminsäurederivat Aminosäure

Die Entfernung der Schutzgruppe kann auch durch Hydrolyse bei milden Reaktions-
bedingungen erfolgen. Bei der sauren Hydrolyse der N-Benzyloxycarbonylaminosäure, die
mit HBr in Eisessig schon bei Zimmertemperatur erfolgt, wird zunächst das unbeständige N-
Carbaminsäurederivat gebildet, aus dem unter Abspaltung von CO2 die Aminosäure freige-
setzt wird.

Carbaminsäurerest
O R O R
HBr
CH2 O C NH CH COOH CH2Br + HO C NH CH COOH

N-Benzyloxycarbonylaminosäure Benzylbromid N-Carbaminsäurederivat

O R R

HO C NH CH COOH CO2 + H2N CH COOH

N-Carbaminsäurederivat Aminosäure

Die Aminogruppe kann auch durch Einführung eines tert-Butoxycarbonylrestes


(CH3)3C–O–CO– geschützt werden. Zu diesem Zwecke läßt man die Aminosäure bzw. das
Peptid mit dem Chlorameisensäure-tert-butylester (CH3)3C–O–CO–Cl reagieren. Der Chlor-
ameisensäure-tert-butylester kann durch partielle Alkoholyse von tert-Butylalkohol mit
Phosgen dargestellt werden. Aus der geschützten Aminogruppe der Aminosäure kann die
Schutzgruppe durch Hydrolyse mit verdünnter Säure (z.B. HCl in Essigsäure) unter milden
Reaktionsbedingungen abgespalten werden:

CH3 O R HCl in CH3 O R


CH3COOH
H3C C O C NH CH COOH H3C C Cl + HO C NH CH COOH
Raumtemp.
CH3 CH3

N-tert-Butoxycarbonylaminosäure tert-Butylchlorid N-Carbaminsäurederivat

O R R

HO C NH CH COOH CO2 + H2N CH COOH

N-Carbaminsäurederivat Aminosäure
958 24 Peptide und Proteine

24.5.2 Die Aktivierung der Carboxygruppe


Für die Peptidsynthese muß die Carboxygruppe der einen Aminosäure aktiviert (siehe Ab-
schnitt 22.5) und die der anderen geschützt werden. Die Aminogruppe der zu aktivierenden
Aminosäure muß geschützt werden. Die Aktivierung der Aminosäure, deren Aminogruppe
geschützt ist, kann z. B. mit SOCl2 erfolgen, wobei das Aminosäurechlorid gebildet wird.
Eine Aktivierung der Carboxygruppe kann auch durch Umwandlung der Aminosäure in
das Säureazid erfolgen. Zunächst läßt man den Ester der Aminosäure mit Hydrazin und dann
das als Zwischenprodukt erhaltene Hydrazid mit salpetriger Säure reagieren.
R R R
O O O
H2N NH2 HNO2
Z NH CH C Z NH CH C Z NH CH C
- HO R' - 2 H2O
OR' NH NH2 N3
Ester der Aminosäure Säurehydrazid Säureazid

Z= CH2 O CO

Das Säureazid kann mit einem Aminosäureester reagieren, der ein N-Nucleophil darstellt.
Die Azidgruppe ist eine gute Abgangsgruppe, die in der SN2t-Reaktion abgespalten wird. Die
Umsetzung mit dem Azid ist deshalb von Vorteil, weil bei der Anwendung des Azids bei der
Synthese keine Racemisierung erfolgt.

R R O R'
O
R'
Z NH CH C Z NH CH C NH CH COOR''
N3 H2N CH COOR''
N3 H
Säureazid Aminosäureester

R O R'

Z NH CH C NH CH COOR''
- HN3

24.5.2.1 Aktivierung der Carboxygruppe und Knüpfung der Peptidbindung mit


Dicyclohexylcarbodiimid
Die Aktivierung der Aminosäure und die Peptidverknüpfung lassen sich vorteilhaft mit
Dicyclohexylcarbodiimid in einer „Eintopfreaktion“ durchführen. Das Reagens wird durch
Wasserabspaltung aus dem disubstituierten Harnstoff gewonnen.
O

NH C NH N C N
- H2O

N,N'-Dicyclohexylharnstoff Dicyclohexylcarbodiimid
Man gibt zu einem Gemisch der Aminosäure mit geschützter NH2-Gruppe und der Ami-
nosäure mit geschützter Carboxygruppe das Dicyclohexylcarbodiimid. Unter Bildung von
N,N'-Dicyclohexylharnstoff entsteht das Dipeptid.
24.5 Peptidsynthese 959

R1 O R1 O R2
N C N O
Z NH CH C O H Z NH CH C NH CH C
R2 Dipeptid mit Schutzgruppen OR
Aminosäure mit H O
geschützter Amino- N CH C +
gruppe H OR O
Aminosäure mit geschützter NH C NH
Carboxylgruppe

N,N'-Dicyclohexylharnstoff
Vermutlich liegt folgender Reaktionsmechanismus vor: Die Aminosäure, deren Amino-
gruppe geschützt ist (Schutzgruppe = Z), wird nucleophil mit dem Sauerstoff der Carboxy-
gruppe an die N=C-Doppelbindung des Dicyclohexylcarbodiimids addiert.

R1 O N R1 O R1 O
Z Z N Z N
NH CH C O C NH CH C O C NH CH C O C
N N H
H N H

In einem weiteren Reaktionsschritt wird die Aminosäure mit der ungeschützten Amino-
gruppe an die Carbonylgruppe des Reaktionspartners nucleophil addiert. Der Stickstoff kom-
pensiert seine positive Ladung durch Abspaltung von H+, das von dem negativ geladenen
Sauerstoff gebunden wird. Zuletzt wird N,N'-Dicyclohexylharnstoff abgespalten.

Z R1 O
N Z R1 O Z R1 O H
N
N
NH CH C O C NH CH C O C NH CH C O C
H
NH NH NH NH
N
H2N H
HC R2 HC R2
HC R2
C C
C
O R O O R
O O R

Z R1 O R2 O
O
NH CH C NH CH C + NH C NH
OR
Dipeptid mit Schutzgruppen N ,N'-Dicyclohexylharnstoff
960 24 Peptide und Proteine

24.5.3 Verlängerung der Peptidkette

Zur Erweiterung der Peptidkette des Dipeptids um einen Aminosäurerest verfährt man fol-
gendermaßen:
1.) Aus der geschützten Aminogruppe des Dipeptids spaltet man die Schutzgruppe ab (die
Benzyloxycarbonylgruppe durch Hydrolyse oder Hydrogenolyse, die tert-Butoxycarbo-
nylgruppe durch Hydrolyse).

CH2 CH3 + CO2


1 O 2
O R R
O H2/Pd auf
Aktivkohle
O C NH CH C NH CH C R1 O R2
O
OR
H2N CH C NH CH C
OR

2.) Man schützt die Aminogruppe der Aminosäure, die in das Dipeptid eingeführt wird.

CH2 R3 O CH2

O + H2N CH C OH O R3 O + HCl

O C Cl O C NH CH C OH

Anmerkung: im
weiteren Text ist

CH2OCO = Z

3.) Nach Zugabe von Dicyclohexylcarbodiimid zum Gemisch der unter 1) und 2) erhaltenen
Produkte wird das Tripeptid gebildet, dessen endständige funktionelle Gruppen mit einer
Schutzgruppe versehen sind.
R3

Z NH CH COOH
NH C NH
Aminosäure
(Aminogruppe geschützt, O
Carboxygruppe ungeschützt)
N C N
+ +
1 2
R O R R 3
O R1 O R2
O O
H2N CH C NH CH C Z NH CH C NH CH C NH CH C
OR OR
Dipeptid Tripeptid mit geschützter Amino-
(Aminogruppe ungeschützt, und Carboxygruppe
Carboxygruppe geschützt)
24.5 Peptidsynthese 961

4.) Die Schutzgruppen werden zum Schluß durch vorsichtige Hydrolyse abgespalten, bei der
keine Spaltung der Peptidgruppen erfolgen kann.

R3 O R1 O R2
R 3
O R1 O R2 Hydrolyse
H2N CH C NH CH C NH CH
H /H2O
NH CH C NH CH C NH CH Tripeptid C
Z C O OH
+ CH2OH + CO2 + ROH
O OR

Durch Wiederholung der unter Punkt 1) bis 3) angeführten Reaktionsfolgen ließe sich ein
höheres Peptid synthetisieren. Vielfach wird an Stelle der Benzyloxycarbonylgruppe zum
Schutze der Aminogruppe der aktivierten Aminosäure auch die tert-Butoxycarbonylgruppe
verwendet. Sie läßt sich bei milden Reaktionsbedingungen mit HCl in Essigsäure leicht wie-
der abspalten, ohne daß Peptidbindungen gespalten werden.

24.5.4 Festphasen-Peptidsynthese
Für die Festphasen-Peptidsynthese nach Merrifield benutzt man chlormethyliertes Polysty-
rolharz. Man erhält es, indem man auf ein mit Divinylbenzol vernetztes Polystyrolharz mit
Formaldehyd, Salzsäure und Zinkchlorid einwirkt (Blanc-Reaktion). Das chlormethylierte
Polystyrolharz läßt man mit dem Natriumsalz einer N-tert-Butoxycarbonyl-geschützten
Aminosäure (siehe Abschnitt 24.5.1.2) reagieren (bei der Festphasen-Peptidsynthese wird die
Aminogruppe gewöhnlich durch die tert-Butoxycarbonylgruppe geschützt). Mit verdünnter
Salzsäure in Essigsäure kann die Schutzgruppe entfernt werden, wobei der Aminosäurerest
jedoch an das Polystyrolharz gebunden bleibt.

CH3 O R1
O
H3C C O C NH CH C + Cl CH2
O Na
CH3

tert-Butoxycarbonylgruppe Polysterolharz

NaCl

CH3 O R1
O
H3C C O C NH CH C
O CH2
CH3

HCl/CH3COOH

CH3 R1
O
H3C C Cl + CO2 + H2N CH C
O CH2
CH3
962 24 Peptide und Proteine

Läßt man auf den an das Polystyrolharz gebundenen Aminosäurerest ein Gemisch ei-
ner N-tert-Butyloxycarbonyl-geschützten Aminosäure mit Dicyclohexylcarbodiimid (DCC)
in Dimethylformamid (DMF) als Lösungsmittel einwirken, erhält man das an Polystyrol-
harz gebundene Dipeptid mit N-terminalem N-tert-Butyloxycarbonyl-geschütztem Amino-
säurerest.

CH3 O R2 R1
O O
H3C C O C NH CH C + H2N CH C
OH O CH2
CH3

N C N in HCON(CH3)2

NH CO NH

CH3 O R2
O
R1
H3C C O C NH CH C O
NH CH C
CH3
O CH2

Die Verlängerung der Peptidkette um einen weiteren Aminosäurerest kann auf die Weise
erfolgen, daß vom Dipeptid zunächst die Aminoschutzgruppe abgespalten wird, und man auf
das Reaktionsprodukt wiederum mit einer aminogeschützten Aminosäure in Gegenwart von
Dicyclohexylcarbodiimid einwirkt (siehe Schema 24.2).
Durch Wiederholung dieser Reaktionsschritte kann die Peptidkette gegebenenfalls noch
durch weitere Aminosäurereste verlängert werden. Im letzten Reaktionsschritt wird mit was-
serfreier Flußsäure HF die Aminoschutzgruppe entfernt und das Peptid von der Polystyrol-
unterlage abgespalten. Die Peptidbindungen werden bei dieser Reaktion nicht gespalten
(siehe Schema 24.3).
Die Festphasen-Peptidsynthese erfolgt in einem mit chlormethyliertem Polystyrol ge-
füllten Rohr. Die Aminosäuren mit der geschützten Aminogruppe bzw. die Reagenzien
werden im Lösungsmittel über die Rohrfüllung geleitet, und der Überschuß an Reagens
wird mit einem Lösungsmittel ausgewaschen. Die Peptidkette bleibt während ihrer Ver-
längerung an das unlösliche Polystyrol gebunden, und die Verunreinigungen können quan-
titativ ausgewaschen werden. Man erzielt mit dieser Methode eine optimale Ausbeute des
Peptids. Der weitere Vorteil der Festphasen-Peptidsynthese liegt in der Möglichkeit ihrer
Automatisierung.
24.5 Peptidsynthese 963

Schema 24.2:
CH3 O R2
O
R1
H3 C C O C NH CH C O
NH CH C
CH3
O CH2
CH3
HCl/CH3COOH
H3C C Cl + CO2

CH3
R2
O
R1
H2N CH C O
NH CH C
O CH2

CH3 O R3
O
H3 C C O C NH CH C N C N
OH
CH3

NH CO NH

CH3 O R3
O
R2
H3 C C O C NH CH C O
R1
NH CH C O
CH3
NH CH C
O CH2

Schema 24.3:
CH3 O R3
O
R2
H3C C O C NH CH C O
R1
NH CH C O
CH3
NH CH C
O CH2
2 HF

CH3 R3
O
R2
H3C C F + H2N CH C O
R1
NH CH C O
CH3
+ CO2 NH CH C +F CH2
O H
964 24 Peptide und Proteine

24.6 Proteinstrukturen
Proteine haben spezifische Strukturen, die sie befähigen, bestimmte Funktionen im Organis-
mus zu erfüllen.

24.6.1 Die Primärstruktur

Als Primärstruktur der Proteine sieht man die Polypetidkette mit der ihr eigenen Abfolge der
Aminosäurereste an. Die Sequenzanalyse dient der Erkennung dieser Primärstruktur. Die
Primärstruktur ist bestimmend für alle weiteren Strukturen des Proteins.

Seitenketten

CONH2
CH(CH3)2 SH OH
H O H C H H O (H2C)2 H H O H C H H O H C H
2 2 2

N C C N C C N C C N C C
C N C C N C C N C C N C
H CH3 H O H CH2 H O H H H O H CH2 H O
C
HC NH

N CH

Ala Leu Phe Gln Gly Cys His Ser

Aminosäuresequenz im Abschnitt einer Polypeptidkette

24.6.1.1 Die Planarität der Peptidgruppe


Man kann die Peptidgruppe durch zwei mesomere Grenzformeln beschreiben. Die polare
Grenzformel weist darauf hin, daß die Bindung zwischen dem Kohlenstoff der Carbonyl-
gruppe und dem Stickstoff einen partiellen Doppelbindungscharakter hat.

O O

C C Grenzformeln der Peptidgruppe


N N

H H

Der partielle Doppelbindungscharakter der C–N-Bindung der Peptidgruppe behindert die


freie Drehbarkeit der Carbonyl- und der NH-Gruppe um diese Bindung und hat die planare
Anordnung der Peptidgruppe und die trans-Stellung des Sauerstoffes der Carbonylgruppe
und des an den Stickstoff gebundenen Wasserstoffes zur Folge.
24.6 Proteinstrukturen 965

um Einfachbindung drehbar planar

O R H

C C N
C N C
starr
R H O
starr

Die Planarität der Peptidgruppe beeinflußt die räumliche Anordnung der Peptidkette in
den Sekundärstrukturen der Proteine wesentlich.

24.6.2 Die Sekundärstruktur

Die Polypeptidketten der Proteine sind auf bestimmte Weise gefaltet. Sie bilden, gefestigt
durch Wasserstoffbrücken, Strukturen, die als Sekundärstrukturen bezeichnet werden. Zu
den wichtigsten Sekundärstrukturen der Proteine zählen die α-Helix und die β-Faltblattstruk-
tur.

24.6.2.1 Die α-Helix


In der α-Helix hat die Polypeptidkette die Form einer rechtsgängigen Spirale. Die α-Helix ist
chiral, denn eine rechtsgängige Spirale ist das genaue Spiegelbild einer linksgängigen Spi-
rale, und beide können nicht zur Deckung gebracht werden (siehe auch Abschnitt 8.3). Die
α-Helix wird durch intramolekulare Wasserstoffbrücken stabilisiert. Die Wasserstoffbrücke
bindet den Sauerstoff der Carbonylgruppe eines Aminosäurerestes und den Wasserstoff der
NH-Gruppe des in der Polypeptidkette folgenden vierten Aminosäurerestes.

linksgängige rechtsgängige
Spirale Spirale

Bild 24.3 Links- und rechtsgängige Spirale


966 24 Peptide und Proteine

H C N
R O
N C H
R C
H ON H
H
C C
O R
C N
H C H
C
R
N H
RO
H C
R H C C
N C
H N
O H
H
C
C
H N R
C
H
R
H
N
H R = Seitenkette
= Wasserstoffbrücke

Bild 24.4 Abschnitt der α-Helix

Die an der Wasserstoffbrückenbindung beteiligten Gruppen stehen übereinander. Auf


zehn Windungen der α-Helix entfallen 36 Aminosäurereste. Das Innere der α-Helix ist dicht
gepackt, so daß die Atome sich in einem Abstand befinden, in dem van-der-Waals-Kräfte
wirksam sind. Dies trägt zu einer weiteren Festigung der α-Helix bei. Die Seitenketten der
Aminosäurereste ragen nach außen.
Die α-Helix ist sehr häufig als Strukturelement in Proteinen anzutreffen.

24.6.2.2 Die β-Faltblattstruktur


Ein häufiges Strukturelement fibrillärer (= faseriger) Proteine, z.B. in Federn und Seide, sind
β-Faltblattstrukuren.
Faltet man einen Papierstreifen einige Male zusammen und zieht ihn dann etwas ausei-
nander, so hat man eine räumliche Struktur vor Augen, die die Faltung der Peptidkette in der
β-Faltblattstruktur veranschaulicht. Auf diese Weise gefaltet, liegen zwei oder mehrere Pep-
tidketten nebeneinander und sind durch intermolekulare Wasserstoffbrücken verbunden. Die
Atome der Peptidgruppen liegen jeweils in einer der Ebenen der Faltblattstruktur. Die Koh-
lenstoffatome, die die Seitenketten tragen, befinden sich an den Knickstellen der Faltblatt-
struktur. Geht dieser Knick nach oben, weist auch die Seitenkette nach oben. Ist die Knick-
stelle unten, so liegt die Seitenkette unterhalb dieses Knicks. Man unterscheidet parallele und
antiparallele β-Faltblattstrukturen. Geht man in den nebeneinanderliegenden Peptidketten die
Kette entlang und beschreibt dabei, in den Aminosäureresten von der NH-Gruppe über das
α-C-Atom zur Carbonylgruppe gehend, in allen Ketten die gleiche Richtung, so liegt eine
parallele β-Faltblattstruktur vor.
24.6 Proteinstrukturen 967

R O

R
H C
H N C N
O
H C H
R C
N C
O
H N C O
H H
R C C
H
O H N C N C R H
O RO
R H
C C
H H N
H C R C
O N C N H
O RO H C C H
C C
H H N N
C C R C C H
N O RO
H H C
H H N N C H O R
R C C H
O H C
RO H C O
N N H R
C C H
H
H C C
N N H O R R = Seitenkette
C C
C H H = Wasserstoffbrücke
O R
Bild 24.5 β-Faltblattstruktur (antiparallel)

Liegen die nebeneinanderliegenden Peptidketten so, daß die Richtung von der NH-
Gruppe über das α-C-Atom zur C=O-Gruppe in den Aminosäureresten dieser Ketten gegen-
läufig ist, so spricht man von einer antiparallelen β-Faltblattstruktur (siehe Bild 24.7).

24.6.2.3 Nichtrepetitive Strukturen


Außer den α-Helices und β-Faltblattstrukturen existieren noch Sekundärstrukturen, die keine
periodisch wiederkehrenden Strukturmerkmale aufweisen: die nichtrepetitiven Strukturen.
Sie liegen oftmals in Knäuel- oder Schleifenkonformationen vor. Häufig verbinden z.B. β-
Schleifen aufeinanderfolgende β-Faltblattstrukturen miteinander. Bei diesen weniger geord-

Peptidketten parallel
NH CO

R H O R H O R H O R H
H H H H
H C N C C N C C N C C O
N C C N C C N C C N C
H H H
H O R H O R H O R H O

R H O R H O R H O R H
H H H H
H C N C C N C C N C C O
N C C N C C N C C N C
H H H
H O R H O R H O R H O
NH CO

Bild 24.6 Parallele β-Faltblattstruktur


968 24 Peptide und Proteine

Peptidketten antiparallel
NH CO

H O H O H O H
H R H R H R H
H C N C C N C C N C C O
N C C N C C N C C N C
R H R H R H R
H O H O H O H O

O H R O H R O H R O H
H H H
C N C C N C C N C C N
O C C N C C N C C N C H
H H H H
H R O H O H R O H R
R
CO NH

Bild 24.7 Antiparallele β-Faltblattstruktur

neten Strukturen handelt es sich durchaus nicht um ungeordnete Strukturen mit rasch fluktu-
ierenden Konformationen. Es sind vielmehr relativ beständige Strukturen, die durch die Pri-
märstruktur der Proteine vorgegeben sind. Sie sind, gemeinsam mit den repetitiven Struktu-
ren, an der Ausbildung der für die Ausübung der Funktion im Körper wichtigen räumlichen
Form der Proteine beteiligt.

24.6.3 Die Tertiärstruktur

Die Sekundärstrukturen unterliegen einer weiteren Faltung und einer Knäuelung: Es kommt
zur Bildung der Tertiärstruktur. Die Tertiärstruktur wird gefestigt durch Wechselwirkungen
zwischen Aminosäureresten, die in der Sequenz der Primärstruktur weit auseinanderliegen,
die sich aber infolge der Knäuelung von Sekundärstrukturen in nächster Nähe zueinander
befinden. Die Kräfte, die diesen Zusammenhalt bewirken, sind recht unterschiedlicher Natur.
Sie reichen von van-der-Waals-Kräften, über Wasserstoffbrücken und salzartigen Verknüp-
fungen bis hin zu Disulfidbrücken. Auf diese Weise nehmen die Proteine eine wohldefinierte
Konformation an. Sie bietet die räumlichen Voraussetzungen, die die Proteine zur Erfüllung
ihrer Funktion im Organismus benötigen. Die Tertiärstrukturen sind nicht vollkommen starr.
In Tertiär- und Quartärstrukturen können Konformationsänderungen eintreten, wodurch
Atomgruppen verschoben werden können. In Enzymen (siehe Abschnitt 8.11 und 24.7.3.1)
kann dadurch eine bessere räumliche Anpassung an das Substratmolekül erfolgen. Die Kon-
formationsänderungen ermöglichen es auch, daß Substratmoleküle besser zum Ort der Um-
setzung gelangen und als Reaktionsprodukte diesen Ort wieder verlassen können. Mit Hilfe
der Röntgenstrukturanalyse konnten die Tertiärstrukturen einiger Proteine ermittelt werden,
z.B. die des Myoglobins.
24.6 Proteinstrukturen 969

N H O C HC S S CH

Wasserstoff-
brücken-Bindung Disulfidbrücke

C O
H
H C C
O
H C H3N
H
H
Heteropolare Bindung
Van-der Waals-Kräfte (Ionenbindung)

Bild 24.8 Intramolekulare Bindungen und Wechselwirkungen in Proteinen

24.6.3.1 Tertiärstruktur des Myoglobins


Bild 24.9 zeigt die Tertiärstruktur des Myoglobins. In dieser wechseln acht Segmente mit α-
Helix-Struktur und nichtrepetitiven Strukturen ab.

C-Terminus
O
C
OH Häm

N
Fe
N

NH2
nichtrepetitive
Strukturen
α-Helix
N-Terminus

Bild 24.9 Struktur des Myoglobins


970 24 Peptide und Proteine

Die helikalen Bereiche sind relativ starr und können nicht stark gebogen werden. Nicht-
repetitive Strukturen befinden sich in den Bereichen, wo die tertiäre Struktur gebogen ist.
Das Myoglobin besteht nur aus einer einzigen Polypeptidkette mit 153 Aminosäureresten
und dem Häm als prosthetischer Gruppe (siehe Abschnitt 24.6.4.2 und 25.5.1.2). Es hat die
Fähigkeit, Sauerstoff reversibel zu binden und stellt im Muskel eine Art Sauerstoffspeicher
dar, der bei kurzfristigem Sauerstoffmangel das Muskelgewebe mit Sauerstoff versorgt.
Besonders hohe Myoglobinwerte findet man bei Säugetieren, deren Lebensgewohnheit es ist,
längere Zeiträume unter Wasser zu verbringen.

24.6.4 Die Quartärstruktur

Viele Proteine, insbesondere die Enzymproteine, bestehen aus mehreren Polypeptidketten.


Die Polypeptidketten mit ihrer Tertiärstruktur bilden die Untereinheiten einer übergeordne-
ten Struktur, der Quartärstruktur. Ähnlich wie beim Hausbau mit Fertigteilen nutzt hier die
Natur mit den Untereinheiten schon vorgefertigte „Präfabrikate“. Die Untereinheiten sind in
der Quartärstruktur relativ lose assoziiert, z.B. durch Wasserstoffbrücken miteinander ver-
knüpft. Die Dissoziation der Quartärstruktur dieser Proteine in die Untereinheiten erfolgt
schon durch Änderung der pH-Bedingungen, durch Harnstoffzusatz oder bei Verknüpfung
über Disulfidbrücken, durch Zugabe von Cystein. Die Dissoziation der Quartärstruktur in
Untereinheiten ist in vielen Fällen reversibel, das heißt dissoziierte Untereinheiten können
sich auch wieder zur Quartärstruktur vereinigen. Quartärstrukturen bilden oftmals die räum-
lichen Voraussetzungen für die Wirksamkeit verschiedener Enzyme. In manchen Fällen
liegen die Enzyme in den Zellen nicht einzeln, sondern als Multi-Enzym-Komplexe vor.
Dies ermöglicht es, daß bei Folgereaktionen des Stoffwechsels das Substrat nach Ablauf
einer Reaktionsstufe nicht erst dann weiterreagiert, wenn es durch seine Eigenbewegung in
der Zelle zufällig auf das für die Folgereaktion benötigte Enzym trifft, sondern es wird im
Multi-Enzym-Komplex von einem Enzym zum anderen sozusagen weitergereicht.

24.6.4.1 Der allosterische Effekt


Die Konformation von Quartärstrukturen kann, insbesondere in Enzymen, durch Einwirkung
von niedermolekularen Substanzen, die allgemein als allosterische Effektoren bezeichnet
werden, verändert werden. Durch die Konformationsänderung ändert sich auch die Reaktivi-
tät des Enzyms zum Substrat. Die Stelle, an die der Effektor an die Quartärstruktur reversibel
gebunden wird, ist nicht identisch mit dem Ort, an dem sich das aktive Zentrum befindet, an
dem die Reaktion des Enzyms mit dem Substrat erfolgt. Man nennt diese durch Effektoren
verursachte Konformationsänderungen, die einen Effekt auf das aktive Zentrum ausüben,
einen allosterischen Effekt (griech. allo = anders, stereo = räumlich). Der allosterische Effekt
ermöglicht es, den durch das Enzym erfolgten Stoffumsatz mit Hilfe entsprechender nieder-
molekularer Substanzen zu regeln.

24.6.4.2 Die Quartärstruktur des Hämoglobins


Eines der bestuntersuchten Proteine ist das Hämoglobin. Es ist bekannt als Bestandteil der
roten Blutkörperchen (Erythrozyten). Im Blutkreislauf transportiert es den Sauerstoff aus der
24.6 Proteinstrukturen 971

Lunge zu den Geweben des Körpers, wo er zur Zellatmung verbraucht wird, und befördert
aus den Geweben CO2 zur Lunge. Es ist außerdem auch für den Transport von H+-Ionen
zuständig, was von Bedeutung für die Aufrechterhaltung des pH-Wertes im Organismus ist.
Das Hämoglobin zählt zu den zusammengesetzten Proteinen, denn es enthält außer dem
Protein noch eine Farbstoffkomponente, das Häm, als Nichtproteinanteil. Es ist ein Chromo-
protein (griech. chroma = die Farbe). Das Hämoglobin Erwachsener besteht aus insgesamt 4
Untereinheiten (siehe Bild 24.10), nämlich aus zwei α-Ketten und zwei β-Ketten, die zu-
sammen eine Quartärstruktur bilden. Jede der Untereinheiten hat ein Häm gebunden. Die
α- und β-Ketten des Hämoglobins haben in ihrer Tertiärstruktur Ähnlichkeit mit dem Myo-
globin. Die α-Peptidkette besteht aus 141 und die β-Peptidkette aus 146 Aminosäureresten.

Bild 24.10 Quartärstruktur des Hämoglobins


972 24 Peptide und Proteine

In das Protein des Hämoglobins, das Globin, ist die prosthetische Gruppe (Wirkgruppe,
die kein Protein ist), das Häm, eingebettet. Das Häm besteht aus einem Porphyrin (Proto-
porphyrin IX), dessen Stickstoffatome mit zwei Haupt- und zwei Nebenvalenzen zweiwerti-
ges Eisen als Zentralion binden. Der Porphyrinring hat vier Pyrrol-Ringe (fünfgliedrige Rin-
ge mit Stickstoff als Heteroatom), die in ihren α-Stellungen (siehe Abschnitt 6.8.3) mitei-
nander über Methinbrücken verbunden sind. Der Porphyrinring des Häms bildet eine ebene
Struktur und trägt in den β-Stellungen Seitenketten: vier Methyl-, zwei Vinyl- und zwei Pro-
pylseitenketten (siehe Abschnitt 6.8.3 und Bild 24.11). Das zweiwertige Eisen kann sechs
Liganden binden. Außer an die vier Stickstoffatome des Porphyrins ist das Eisenion des
Häms noch an einen Stickstoff eines Histidinrestes des Globins gebunden, der die fünfte
Koordinationsstelle des Eisens besetzt hält. Von der anderen Seite wird das Eisen der Häm-
gruppe von einem Histidinrest abgeschirmt. Die Abschirmung ist derart, daß das Sauerstoff-
molekül die sechste Koordinationsstelle des Eisens im Häm besetzen kann, sie behindert
aber die Besetzung mit Kohlenmonoxid.
Das Sauerstoffmolekül ist bei der Bildung der koordinativen Bindung zur Ebene des
Porphyrinringes geneigt und kann deshalb trotz der Abschirmung seine Ligandenstelle gut
einnehmen. Kohlenmonoxid hingegen kann die Bindung nur dann optimal ausbilden, wenn
es senkrecht zur Ebene des Porphyrinringes steht. Die Einbettung des Häms in die Falte des
Globins und die Abschirmung durch den Histidinrest setzen deshalb die Bindungsaffinität
des CO zum Hämoglobin herab, sie ist aber immerhin noch 200 mal stärker als die des Sau-
erstoffs. Nicht an Globin gebundenes Häm in Lösung bindet CO sogar 25.000 mal stärker.
Die herabgesetzte Affinität des Hämoglobins zum CO ist biologisch wichtig, da durch Häm-
abbau im Körper CO entsteht und der CO-Spiegel so hoch ist, daß ohnehin 1 % der Hämo-
globinbindungsstellen von CO besetzt ist. Wäre die räumliche Abschirmung durch den Histi-
dinrest nicht gegeben, würde dies zu einer Vergiftung führen. Eine CO-Vergiftung kann
dann erfolgen, wenn in der eingeatmeten Luft eine höhere CO-Konzentration vorhanden ist.

CH2 NH Histidinrest
N
O
H3C O
CH CH2
H2C HC HC
N CH
N Fe CH3
H3C N
HC N
CH (CH2)2COOH
H 3C
(CH2)2COOH
Fünfring des N
Histidins
HN
CH2

Bild 24.11 Häm mit reversibel gebundenem Sauerstoff


24.6 Proteinstrukturen 973

optimaler Bindungs- sterische Hinderung optimaler Bindungs-


winkel für CO für CO winkel für O2
H H
N N
Abschirmung Histidinrest
durch
δ+ N Histidinrest N
O
O δ+ O
δ- C Hämebene C O
δ-
Fe Fe Fe

N N N

N N N
H CH2 H CH2 H CH2

CH CH CH
C NH C NH C NH
O O O

Bild 24.12 Herabgesetzte Kohlenmonoxidaffinität von Hämoglobin infolge sterischer Hinderung

Die CO-Moleküle besetzen dann infolge ihrer höheren Bindungsaffinität die Hämoglobin-
bindungsstellen, es kann nicht mehr genügend Sauerstoff zu den Geweben gebracht werden,
und der Mensch erstickt.

Die Sauerstoffbindung an Hämoglobin


Das Hämoglobin hat vier Häm-Gruppen und kann somit vier Sauerstoffmoleküle reversibel
binden. Es entsteht das Oxyhämoglobin, in dem das Eisen seine Oxidationsstufe +2 bei-
behält, und der Sauerstoff reversibel an das Eisen des Häms gebunden ist.

Hämoglobin + 4 O2 Oxyhämoglobin

Die Lage dieses Gleichgewichts wird durch den Sauerstoffpartialdruck gesteuert. In der
Lunge ist der Sauerstoffpartialdruck relativ groß, so daß der Sauerstoff vom Hämoglobin
gebunden und Oxyhämoglobin gebildet wird. In den Geweben ist der Sauerstoffpartialdruck
niedrig, so daß die Umkehrung dieses Vorgangs stattfindet und Sauerstoff abgegeben wird.
Für die Beibehaltung der Oxidationsstufe +2 des Eisens im Häm in Gegenwart von Sau-
erstoff ist die Einbettung des Häms im Globin Voraussetzung. Häm, das nicht an Globin
gebunden ist, wird in der Lösung durch Sauerstoff zu Methämoglobin oxidiert. In ihm hat
das Eisen des Häms die Oxidationsstufe +3. Die Fähigkeit, reversibel Sauerstoff zu binden,
ist dann nicht mehr gegeben.
974 24 Peptide und Proteine

Kooperativität der Sauerstoffbindung an Hämoglobin


Im Zusammenhang mit der Quartärstruktur des Hämoglobins steht auch die Tatsache, daß
Hämoglobin den Sauerstoff kooperativ bindet. Wird im Hämoglobin das erste Sauerstoff-
molekül gebunden, hat dies Konsequenzen für den Bindungsverlauf der weiteren drei Sauer-
stoffmoleküle. Die Bindung eines Sauerstoffmoleküls an ein Häm erhöht die Ligandenbin-
dungsaffinität eines anderen Häms. Die Kooperativität der Sauerstoffbindung an Hämo-
globin ergibt sich aus feinen Strukturveränderungen der Quartärstruktur des Hämoglobins.
Die Konformationsänderung erhöht auch die Acidität des Hämoglobins, so daß Protonen
freigesetzt werden. Fängt man die Protonen ab und erhöht damit den pH-Wert, vergrößert
sich die O2-Bindungskapazität (Bohr-Effekt).

Kohlendioxidtransport
Die CO2-Aufnahme durch das Hämoglobin bzw. Oxyhämoglobin geschieht im Gewebe, wo
eine relativ hohe CO2-Konzentration vorliegt. Aus dem Gewebe wird das CO2 vom Hämo-
globin vornehmlich als Hydrogencarbonat transportiert. Das Anion HCO3– entsteht unter
Katalyse der Carboanhydrase bei der Reaktion von CO2 und Wasser:

CO2 + H2O H2CO3 H + HCO3

Das bei der Dissoziation freigesetzte Proton wird von der terminalen NH2-Gruppe der
Peptidketten des Hämoglobins bzw. von dem in den β-Ketten anwesenden Histidinrest unter
Hydrogencarbonatbildung gebunden.
Bindung an terminale NH2-Gruppe:

Peptidkette NH2 + H + HCO3 Peptidkette NH3 HCO3

Bindung an Histidinrest:
H
Peptidkette C O N Peptidkette C O N HCO3

HC CH2 +H + HCO3 HC CH2


N N
Peptidkette NH H Peptidkette NH H

Auf Oxyhämoglobin hat die Protonierung eine allosterische Wirkung. Durch Konforma-
tionsänderung der Hämoglobinstruktur zieht der Histidinrest das an ihn gebundene Eisen des
Häms etwas aus dem Porphyrinring heraus, der dadurch trichterförmig deformiert wird. Die
koordinative Bindung des Sauerstoffs an Eisen wird auf diese Weise geschwächt und die
Abspaltung des Sauerstoffes aus dem Oxyhämoglobin erleichtert.
Der CO2-Transport kann auch zum Teil durch reversible Carbamatbildung erfolgen.
Hierbei reagieren die N-terminalen Aminogruppen des Hämoglobins direkt mit CO2:

R NH2 + CO2 R NH COO H

Carbamat
24.6 Proteinstrukturen 975

In der Lunge erfolgt eine in Bezug auf die Vorgänge in den Kapillaren des Gewebes ge-
genläufige Reaktion: die Deprotonierung und die Abgabe von HCO3–. Aus H+ und HCO3–
entstehen H2O und CO2, die ausgeatmet werden. Durch die Freisetzung von H+ und HCO3–
erfolgt am Hämoglobin eine Konformationsänderung, wodurch das Eisen des Häms wieder
in die Porphyrinebene gelangt und die Anbindung des Sauerstoffes an das zweiwertige Eisen
erleichtert wird. Das Abfangen der Protonen durch die Reaktion mit dem in der Lunge vom
Hämoglobin abgegebenen HCO3– erhöht die O2-Bindungskapazität (Bohr Effekt).
Außer CO2 und H+ zeigt auch D-2,3-Bisphosphoglycerat (BPG) eine allosterische Wir-
kung (allosterischer Effekt siehe Abschnitt 24.6.4.1). Es bindet sich äquimolar an Des-
oxyhämoglobin und senkt dessen O2-Affinität.

O O
C

H C O PO32

CH2O PO32

D-2,3-Bisphosphoglycerat

Myoglobin hat mit den Untereinheiten des Hämoglobins Gemeinsamkeiten: eine ähnliche
Tertiärstruktur und die gleiche prosthetische Gruppe. Trotzdem bestehen zwischen Myoglob-
in und Hämoglobin gravierende funktionelle Unterschiede. Hämoglobin bindet im Unter-
schied zum Myoglobin den Sauerstoff kooperativ, und die Affinität des Hämoglobins zum
Sauerstoff wird infolge allosterischer Wirkung von der Protonenkonzentration, von der CO2-
Konzentration und von Diphosphoglycerat reguliert. Das Hämoglobin mit seiner quartären
Struktur ist, im Unterschied zum Myoglobin, das nur eine tertiäre Struktur aufweist, ein allos-
terisches Protein. Die Quartärstruktur und deren Fähigkeit zu Konformationsänderungen,
verknüpft mit allosterischen Regelmechanismen, bilden die Voraussetzung für die Ausübung
der Funktion des Hämoglobins als Transportmittel für O2, CO2 und H+ im Blutkreislauf. Den
Schlüssel dafür, die Sauerstoffversorgung des Gewebes und den Säurebasenhaushalt im Kör-
per verstehen zu können, findet man im ineinander verzahnten Geschehen innerhalb der faszi-
nierenden Architektur der Quartärstruktur des Hämoglobinmoleküls.

24.6.5 Die Denaturierung


Beim Kochen von Eiern ändern Eiklar und Eidotter ihren Zustand, sie werden fest. Wird
Milch angesäuert und etwas erwärmt, erfolgt die Ausfällung von Casein. In beiden Fällen
handelt es sich um eine Denaturierung von Eiweiß. Sie erfolgt auch beim Kochen und Braten
von Fleisch. Denaturierte Eiweiße sind für Verdauungsenzyme leichter spaltbar. Die Denatu-
rierung von Proteinen erfolgt durch Erhitzen, pH-Änderungen oder Zusätze von Salzen,
Harnstoff oder Detergenzien (= grenzflächenaktive Substanzen). Die ursprüngliche (native)
Struktur des Proteins wird hierbei verändert. Der Denaturierung unterliegen am ehesten
Quartär-, dann folgen Tertiär- und zuletzt Sekundärstrukturen. Die Denaturierung erfolgt
ohne Lösung kovalenter Bindungen (mit Ausnahme von Disulfidbindungen), so daß die
Peptidbindungen in der Polypeptidkette der Proteine nicht gespalten werden, die Primär-
976 24 Peptide und Proteine

struktur bleibt erhalten. Die Denaturierung kann bei bestimmten Bedingungen reversibel
sein, meist ist sie jedoch irreversibel. Sie erfolgt durch Lösen von Wasserstoffbrückenbin-
dungen, Ionenbindungen oder hydrophoben Bindungen (Bindungen durch Van-der-Waals-
Kräfte). Die Aufspaltung dieser Bindungen führt zur Änderung der Konformation des Pro-
teins, es nimmt eine vom Zufall bestimmte Knäuel-Konformation (random coil) ein. Damit
ändern sich auch die Eigenschaften des Proteins, z.B. verlieren Enzyme ihre Aktivität. In den
wasserlöslichen globulären Proteinen sind die hydrophilen Seitenketten des Proteins nach
innen und hydrophobe Gruppen nach außen gekehrt. Eine Auffaltung dieser Proteine bei der
Denaturierung bringt die hydrophoben Seitenketten auch nach außen, was eine Abnahme der
Löslichkeit bedeutet, das Protein wird aus der wäßrigen Lösung ausgefällt (es koaguliert). In
fibrillären Proteinen hingegen kann die Denaturierung zu einer Zunahme der Löslichkeit
führen, z.B. beim Kochen von Knochen und Knorpeln, wo Kollagen in lösliche Gelatine
umgewandelt wird.

24.7 Klassifizierung der Proteine


Proteine kann man nach ihrer Struktur in fibrilläre Proteine (Faserproteine) und in globuläre
Proteine (Kugelproteine) einteilen.

24.7.1 Fibrilläre Proteine

Zu den fibrillären Proteinen (Skleroproteinen) gehören Kollagen, Elastin, Keratin und Mus-
kelproteine. Die an ihrem Aufbau beteiligten Strukturelemente sind lang und fadenförmig
und liegen parallel nebeneinander, so daß sie Faserstrukturen bilden. Die fibrillären Proteine
sind in Wasser unlöslich und haben im Organismus eine schützende, verbindende oder tra-
gende Funktion, andere wiederum, z.B. die Muskelproteine, haben eine Bewegungsfunktion.

24.7.1.1 Keratin
Keratine sind sowohl mechanisch als auch chemisch beständige Proteine. Sie nehmen im
Organismus hauptsächlich eine Schutzfunktion wahr. Keratine bilden die oberste Schicht der
Haut (epidermale Hornschicht) und deren Anhangsgebilde, bei Säugetieren Haar, Wolle,
Horn und Nägel (α-Keratin), bei Vögeln Federn (β-Keratin). Im α-Keratin, dem Keratin der
Säugetiere, liegt als Sekundärstruktur die α-Helix vor, während β-Keratin, das Keratin der
Vögel und Reptilien, Faltblattstrukturen aufweist.
Das α-Keratin des Haares und der Wolle hat als Grundstruktur eine aus zwei α-Helices
bestehende linksgängige Doppelwendel. Beim Strecken von Haar und Wollfasern windet
sich die Doppelwendel auf, sobald aber die Kraft nicht mehr wirkt, nimmt sie ihre ur-
sprüngliche Konformation wieder ein. Diese Eigenschaft der Doppelwendel erklärt die
Elastizität von Haar und Wollfasern. Die Doppelwendel bildet den Baustein des Proto-
filaments. Im Protofilament winden sich zwei Doppelwendeln rechtsgängig umeinander
und bilden so eine an ein Seil erinnernde Struktur. Die Protofilamente bauen schließlich
die Mikrofibrille auf.
24.7 Klassifizierung der Proteine 977

Struktur des Keratins aus einem Haar

Links- Proto- Mikro-


gängige filament fibrille
Doppel- aus zwei aus Proto-
wendel rechtsge- filamenten
aus zwei wundenen
α-Helices Doppel-
wendeln

Bild 24.13 Keratin-Strukturelemente des Haares

Die Doppelwendel-Konformation ist durch die Primärstruktur des α-Keratins vorgege-


ben. Jeder vierte Aminosäurerest der Polypeptidkette hat eine unpolare Seitenkette. Diese
Seitenketten bilden in der α-Helix einen hydrophoben Streifen. In der Doppelwendel stehen
die unpolaren Seitenketten beider α-Helices übereinander, was ihre längsseitige Assoziation
ermöglicht.
Im α-Keratin sind benachbarte Polypeptidketten durch Disulfidbrücken des Cystins mit-
einander vernetzt. In Horn und Nägeln, die recht hart sein müssen, liegt eine starke Vernet-
zung vor, das Keratin des Haares hingegen ist weniger vernetzt. Seine Disulfidbindungen
können durch Reduktionsmittel gespalten werden. Dies nutzt man beim Legen der Dauerwel-
le. Hierbei spaltet man mit 8 %iger Ammoniumthioglycolatlösung HS–CH2–COO– NH4+
reduktiv die S–S-Bindungen, worauf das Haar in Locken gelegt wird. Behandelt man nun
das Haar mit einem Oxidationsmittel (0,6 %ige Wasserstoffperoxidlösung), werden in der
vorgegebenen Konformation neue Disulfidbrücken gebildet und das Haar behält die ihm
gegebene lockige Form.

24.7.1.2 Kollagen
Kollagen bildet den Hauptbestandteil des Bindegewebes von Sehnen, Bändern, Knorpeln,
Knochen und Zähnen. Es ist auch der wichtigste faserige Bestandteil der Haut und der Blut-
bahnen und es dient dem Zusammenhalt der Zellen.
Die Polypeptidketten, die das Kollagen aufbauen, setzen sich aus über tausend Amino-
säureresten zusammen. Mit Ausnahme der Kettenenden liegt in den Polypeptidketten eine
978 24 Peptide und Proteine

Sequenz vor, in der jeder dritte Aminosäurerest ein Glycinrest ist, so daß Glycinreste im
Kollagen zu etwa 30 % vertreten sind. Prolin- und 4-Hydroxyprolinreste sind ebenfalls an-
wesend. Diese beiden Aminosäurereste weiten die Windungen der linksgängigen Helix, die
die Sekundärstruktur der Aminosäurekette darstellt, durch ihren 5-Ring etwas auf. Neben
Lysinresten sind in der Polypetidkette ebenfalls 5-Hydroxylysinreste vertreten.
HO
4 3 1
C CH2 OH COO
H 2 5 4 3 2
H2C 1 CH COO H3N CH2 CH CH2 CH2 CH
N
H H NH3
4-Hydroxyprolin 5-Hydroxylysin
Drei linksgängige Helices sind rechtsgängig umeinander gewunden und bilden das
Tropokollagen, mit einer Tripelhelix-Struktur. Die Glycinreste liegen im Zentrum der Tripel-
helix, die räumlich anspruchsvolleren Aminosäurereste sind nach außen gekehrt. Die im
Inneren der Tripelhelices befindlichen Glycinreste ermöglichen eine enge Packung der Tri-
pelhelix, wobei Van-der-Waals-Kräfte stark wirksam werden können. Die Primärstruktur, in
der jeder dritte Aminosäurerest einen Glycinrest darstellt, bildet die Voraussetzung für die
Bildung der Tripelhelices, die die Kollagenfaser aufbauen. Auch die Aufweitung der helika-
len Sekundärstruktur durch die Anwesenheit von Prolin bzw. Hydroxyprolin in der Polypep-
tidkette trägt zur Bildung der Tripelhelix bei. In dieser aufgeweiteten Helix werden nicht

rechtsgängige untereinander vernetzte Grundstruktur der


Tripelhelix Tripelhelix Kollagenfaser
[© Irving Geis]

rechtsgewundener
Strang der Tripelhelix

linksgängige Helix Die Tripelhelices sind zueinander Tripelhelix


der Polypeptidkette stufenförmig versetzt Zwischenraum

Bild 24.14 Strukturelemente des Kollagens


24.7 Klassifizierung der Proteine 979

ausschließlich intramolekulare Wasserstoffbrücken gebildet, es können auch Wasserstoff-


brücken zwischen den Peptidketten ausgebildet werden, was zur Festigkeit der Tripelhelix
beiträgt. Die höhere Struktur ist schon durch die Primärstruktur sozusagen vorprogrammiert.
Die gegenläufige Verdrillung der Polypeptidketten des Kollagens und der Tripelhelix erklärt
die hohe Zugfestigkeit des Kollagens. Auch in Seilen und Kabeln liegt eine solche ge-
genläufige Verdrillung vor. Sie hilft, eine längsgerichtete Zugkraft besser aufzufangen.
Die Tripelhelices bestehen aus drei gleich langen Polypeptidketten. In den Kollagen-
fasern der Haut, Knochen, Sehnen und Blutgefäße bestehen sie aus zwei identischen und
einer ungleichen Polypeptidkette. Die Kollagenfasern in Knorpeln und Bandscheiben haben
Tripelhelices mit drei identischen Polypeptidketten.
Die Tripelhelices des Tropokollagens sind untereinander durch Ketten verbunden, die
keine Disulfidbrücken aufweisen. Diese Quervernetzungen sind auf Lysin- bzw. Hydroxy-
lysinreste zurückzuführen. Zunächst werden die Lysinreste am Ende der Seitenkette durch
die Lysyl-Oxidase zum Allysinrest, der eine Formylgruppe besitzt, umgesetzt.

C O C O
O
Lysyl-Oxidase, H2O
HC (CH2)3 CH2 NH2 HC (CH2)3 C
- H2, - NH3
H
NH NH

Lysinrest Allysinrest
Zwei solche Seitenketten mit einer Formylgruppe können eine Aldolreaktion eingehen
(siehe Abschnitt 13.4.7.2), wobei Allysinaldol entsteht. Auf diese Weise kommt es zu einer
Quervernetzung, die Tropokollagenmoleküle miteinander verbindet.

C O C O C O C O
O
HC (CH2)3 C + H2C (CH2)2 CH HC (CH2)3 CH C (CH2)2 CH
-H2O
H C NH
NH NH C NH
O H O H
Allysinrest Allysinrest Allysinaldol

Allysinaldol verfügt noch über eine Formylgruppe und kann mit einem Lysin- bzw.
einem 5-Hydroxylysinrest unter Bildung eines Aldimins reagieren (siehe Abschnitt 13.4.3.2).
Auf diese Weise kann eine zusätzliche Vernetzung entstehen (siehe Schema 24.4).
Die 300 nm langen Tripelhelices sind so untereinander vernetzt, daß sie stufenförmig
versetzt in Abständen von 40 nm hintereinandergereiht sind und so die Kollagenfaser bilden
(vgl. Bild 24.14).
Die Hydroxylierung des Lysins und des Prolins zum 5-Hydroxylysin und 4-Hydroxy-
prolin findet erst nach Synthese der Polypeptidkette statt. Die Hydroxylierung des Prolinres-
tes erfolgt mit der Prolinhydroxylase. Dieses Enzym ist aber nur in Gegenwart von Ascor-
980 24 Peptide und Proteine

Schema 24.4:

C O C O C O C O

HC (CH2)3 CH C (CH2)2 CH HC (CH2)3 CH C (CH2)2 CH

NH C NH NH C H NH
Allysinaldol O H
O N
O + N H2
C (CH2)3 CH2 + H2O
C (CH2)3 CH2
Lysinrest Aldimin-Vernetzung

binsäure, dem in Wasser löslichen Vitamin C, wirksam. Bei Ascorbinsäuremangel erfolgt die
Hydroxylierung nicht und es tritt eine als Skorbut bekannte Mangelkrankheit auf (näheres
siehe Abschnitt 21.5.3).
OH

O O CH CH2OH
C C
H
C C
HO OH
Ascorbinsäure
An den Sauerstoff der 5-Hydroxylysinreste sind die Zucker Galactose und Glucose bzw.
deren Disaccharide glycosidisch (siehe Abschnitt 21.6.9) gebunden, z.B.:

CH2OH H2C NH3 C O

OH O O CH CH2 CH2 C H
H
OH H HN
Galactoserest 5-Hydroxylysinrest
H H

H H
OH
O
OH
HO H
H
Glucoserest H
H O
HOCH2

Vermutlich sind die glycosidisch gebundenen Zucker an der Steuerung des Zusammen-
baus von Kollagenfasern beteiligt. Das Hydrolyseprodukt des Kollagens, das im sauren oder
alkalischen Verfahren aus Schweineschwarten, Knochen und Knorpeln in Wasser entsteht,
24.7 Klassifizierung der Proteine 981

ist Gelatine. Die in durchsichtigen farblosen Tafeln im Handel erhältliche Gelatine bildet bei
gelindem Erwärmen in Wasser unter Aufquellen eine zähe Flüssigkeit, die beim Abkühlen
zu einer Gallerte erstarrt. Bei längerem Erhitzen wird Kollagen zu Leim hydrolysiert. Beim
Gerben wird das Kollagen der tierischen Haut durch Gerbstoffe vernetzt und dadurch ver-
festigt, es entsteht das Leder.

24.7.1.3 Elastin
Elastin bildet die Hauptkomponente elastischer Fasern. Es ist in den Wänden der Arterien
und in elastischen Bändern anzutreffen. Es enthält, ähnlich wie Kollagen, einen hohen Anteil
an Glycin (etwa ein Drittel des Gesamtanteils an Aminosäuren) und ist reich an Prolin.
Elastin hat einen außergewöhnlich hohen Anteil an unpolaren Aminosäuren. Es enthält
Lysin, aber kein Hydroxylysin und nur wenig Hydroxyprolin. Elastin besitzt, ebenso wie
Kollagen, Querverbindungen aus Allysinaldol.

27.7.1.4 Muskelproteine
Willkürlich bewegbare Muskeln sehen unter dem Mikroskop quergestreift aus. Sie bestehen
aus langen Bündeln von parallel angeordneten Muskelfasern. Die Muskelfaser ihrerseits
besteht aus einem Bündel von etwa tausend Myofibrillen (griech. myos = Muskel, lat. fibra =
Faser). Das quergestreifte Muster kann man durch Hintereinanderreihung von dicken und
dünnen Filamenten in den Myofibrillen der Muskelfaser erklären. Die dicken Filamente bil-
den, nebeneinander liegend, ein Bündel und die dünnen Filamente, die mit ihrem Ende in
Zwischenräume zwischen die dicken Filamente hineinreichen, liegen ebenfalls in einem
Bündel nebeneinander. Im Mikroskop ist dort, wo dicke Filamente sind, ein dunkleres und
dort wo sich die dünnen Filamente befinden, ein helleres Band zu beobachten.

Bild 24.15 Aufbau der Muskelfaser (Zeichnung nach D. Voet, J.G. Voet, Biochemie, VCH-Verlags-
ges., Weinheim, 1992).
982 24 Peptide und Proteine

+
Myosinmolekül NH3
-
OOC
-
OOC
fibrillärer Doppelstrang +
NH3
globuläre Myosinköpfchen
dickes Filament

Myosinmoleküle
nach außen weisende Myosinköpfchen

Bild 24.16 Struktur des dicken Filaments

Das Bündel der dicken Filamente ist im Querschnitt hexagonal angeordnet, mit Zwi-
schenräumen zwischen den Filamenten. In diese Zwischenräume ragen die dünnen Filamen-
te, die ebenfalls hexagonal angeordnet sind, bei gestrecktem Muskel mit einem kurzen End-
abschnitt hinein, der durch Myosinköpfchen dicker Filamente reversibel an die dicken Fila-
mente gebunden wird.
Das Myosin ist der wichtigste Bestandteil der dicken Fillamente. Es besteht aus zwei
identischen Ketten, deren α-Helices einen linksgewundenen fibrillären Doppelstrang bilden.
Das Ende jeder Kette geht in ein globuläres Myosinköpfchen über. Im Myosinmolekül sind
das fibrilläre und das globuläre Strukturelement miteinander vereint. Die Myosinköpfchen
bilden die Querverbindungen mit den die dicken an die dünnen Filamente gebunden sind. Sie
haben außerdem noch die Funktion einer Adenosintriphosphatase, die Adenosintriphosphat
in Adenosindiphosphat und Phosphat spaltet, und sie sind die sich bewegenden Teile bei der
Muskelkontraktion.
Das dicke Filament besteht aus einigen hundert Myosinmolekülen. Die Myosinmoleküle
sind so ausgerichtet, daß sie, mit ihrem fibrillären Teil parallel und versetzt liegend, ein lang-
gestrecktes faserartiges Bündel bilden. Der fibrilläre Teil der Moleküle weist mit seinem C-
terminalen Ende zur Mitte des dicken Filaments und die beiden Myosinköpfchen, am an-
deren Ende des Moleküls, zeigen nach außen.
Die dünnen Filamente bestehen aus F-Actin, einem Protein, das die Hauptkomponente
darstellt, und den Proteinen Tropomyosin und Troponin.
Das faserförmige F-Actin (F = fibrillär) ist aufgebaut aus vielen G-Actinmolekülen (G =
globulär). Das G-Actinmolekül ist ein zweilappiges globuläres Protein. Die G-Actinmolekü-
le fügen sich unter Bildung des F-Actins so aneinander, daß eine an eine Wendeltreppe oder
eine Schraube erinnernde langgestreckte Faser entsteht.
In die Rillen der F-Actinfaser eingepaßt, windet sich das Tropomyosin. Dieses besteht
aus zwei umeinandergewundenen α-helicalen Untereinheiten, die so einen engen Doppel-
24.7 Klassifizierung der Proteine 983

G-Actin F-Actin dünnes Filament

zweilappiges F-Actin
globuläres
Monomer, das
zu F-Acitin
polymerisiert
Tropomyosin

Troponin

Bild 24.17 Struktur des dünnen Filaments

strang bilden. Die hintereinanderliegenden Tropomyosinmoleküle winden sich entlang der


ganzen F-Actinfaser. An den Tropomyosinmolekülen befinden sich vermutlich Abschnitte,
an die sich die Myosinköpfchen der dicken Filamente an die dünnen Filamente binden.
An der Nahtstelle, wo zwei hintereinanderliegende Tropomyosinmoleküle aufeinander-
treffen, ist ein einzelnes Troponin-Molekül gebunden. Dieses hat die Eigenschaft, daß es
Ca2+-Ionen binden kann, welche dann eine allosterische leichte Konformationsänderung
bewirken, die die Bindung des dicken zum dünnen Filament löst und damit die Muskelkon-
traktion einleitet.
Die dünnen Filamente sind mit einem Ende an einer Z-Scheibe verankert. Dies ist ein
amorphes Gebilde, das mehrere faserige Proteine enthält. Durch die Verankerung an die
Z-Scheibe sind die dünnen Filamente räumlich so ausgerichtet, daß sie der hexagonalen
Anordnung der dicken Filamente entsprechen und sich in deren Lücken einfügen.
Das Gleitfasermodell der Muskelkontraktion
Die Muskelkontraktion wird ausgelöst durch einen Nervenimpuls, durch den Ca2+-Ionen
freisetzt werden. Diese werden von Troponin gebunden und bewirken allosterisch die Lö-
sung der Bindung des dicken an das dünne Filament. Anschließend gleiten durch eine gleich-
zeitige konzertierte (aufeinander abgestimmte) Ruderbewegung der Myosinköpfchen die
dicken und dünnen Filamente aneinander vorbei, und die dicken Filamente lagern sich ein
Stück weiter wieder an das dünne Filament an. Dieser Zyklus kann sich in kurzen Zeit-
abständen wiederholen. Der Abstand der Z-Scheiben wird bei der Muskelkontraktion bis um
ein Drittel verringert. Das Entlanggleiten der dicken an den dünnen Filamenten kann man
sich wie eine Bewegung vorstellen, bei der man die Finger beider Hände ineinander ver-
schränkt. Die Energie für diesen Vorgang liefert die Hydrolyse des Adenosintriphosphats,
wobei Adenosindiphosphat und Phosphat gebildet werden:

ATP4 + H2O ADP3 + HPO42 + H ΔG = - 29,4 kJ/Mol


984 24 Peptide und Proteine

Muskel gestreckt
Myosinköpfchen
dünne Filamente dicke Filamente

Z-Scheiben

kontrahierter Muskel

Bild 24.18 Schema zur Muskelkontraktion

24.7.2 Globuläre Proteine

Globuläre Proteine, die oft auch als Sphäroproteine oder Kugelproteine bezeichnet werden,
erfüllen eine Vielzahl von Aufgaben, die für den Organismus lebenswichtig sind. Sie sind
mit dem Transport von Stoffen befaßt, wirken als Biokatalysatoren im Metabolismus und sie
spielen auch immunologisch eine wichtige Rolle. Zu den globulären Proteinen gehören En-
zyme, Transportproteine und einige Rezeptorproteine. Zu den Rezeptorproteinen gehören
z.B. die T-Zell-Rezeptoren, antennenartige Proteine, die sich an der Oberfläche von Immun-
zellen befinden, und im Organismus anwesende Fremdzellen erkennen können.
Wie schon der Name Kugelproteine besagt, besitzen sie eine kugelförmige, dem Woll-
knäuel ähnliche, oder eine ellipsoide Gestalt. Die unpolaren Reste, z.B. Valin-, Leucin- und
Phenylalaninreste, befinden sich im Inneren des Proteinmoleküls, während die geladenen
polaren Reste, z.B. Arginin-, Lysin- oder Glutaminsäurereste nach außen gekehrt sind. Diese
Verteilung ermöglicht zum einen eine dichte Packung der Innenräume, zum anderen bedingt
sie hydrophile Eigenschaften am nach außen gekehrten Teil der globulären Proteine, die für
ihre Löslichkeit, und damit für ihre Beweglichkeit im wäßrigen Medium, wichtig sind. Die
Lösungen der Proteine sind wegen ihrer Größe kolloidal.
Die globulären Proteine werden sowohl aus repetitiven (α-Helix- und β-Faltblattstruktu-
ren) als auch aus nichtrepetitiven Sekundärstrukturen aufgebaut. Es gehört zu den Ausnah-
men, daß ein globuläres Protein als repetitive Sekundärstruktur nur α-Helices besitzt (z.B.
Myoglobin) oder nur aus β-Faltblattstrukturen aufgebaut ist (z.B. das in Schwertbohnen ent-
haltene Protein Concanavalin A). Zumeist liegen α-Helices, β-Faltblattstrukturen und nicht-
repetitive Strukturen als Aufbauelemente der globulären Proteine nebeneinander vor. Oft-
mals sind die repetitiven Sekundärstrukturen miteinander auf bestimmte Weise verknüpft
24.7 Klassifizierung der Proteine 985

Bild 24.19 Schema häufiger Supersekundärstrukturen

und bilden damit neue Bauelemente, die als Supersekundärstrukturen Struktur und Funktion
der globulären Proteine beeinflussen. Zu den Supersekundärstrukturen zählen die αα-Ein-
heit, die βαβ-Einheit und der β-Mäander (als Mäander wird ein Flußverlauf mit regelmäßig
ausschwingenden Flußschlingen bezeichnet. Der Name leitet sich von Maiandros, dem grie-
chischen Namen des Flußes Büiyük Menderes nehri, ab. Auch rechtwinklig gebrochene oder
spiralenartige Ornamente der griech. Antike werden so benannt). Die αα-Einheit besteht aus
zwei eng miteinander verknüpften aufeinanderfolgenden α-Helices, die so zueinander ange-
ordnet sind, daß ihre Seitenketten kontaktieren können. In der βαβ-Einheit, die die häufigste
Supersekundärstruktur darstellt, werden zwei parallele Stränge eines Faltblatts mit einer α-
Helix verbrückt. Der β-Mäander besteht aus antiparallelen β-Faltblattstrukturen, die durch
enge Schleifen miteinander verbunden sind.
Globuläre Proteine kann man, ihren Eigenschaften und ihrer Zusammensetzung entspre-
chend, in Gruppen zusammenfassen:

24.7.2.1 Albumine
Albumine sind in Wasser lösliche globuläre Proteine. Zu ihnen zählen die im Blutplasma
befindlichen Serumalbumine, das Ovalbumin des Eiklars und das Lactalbumin, das Bestand-
teil der Milch ist.

24.7.2.2 Globuline
Globuline sind in verdünnten Salzlösungen löslich, nicht in reinem Wasser. Die im Blut-
plasma enthaltenen Immunglobuline bilden Antikörper, die als Abwehrstoffe bei Infektions-
krankheiten wirksam sind. Andere Globuline im Blutplasma haben die Funktion von Trans-
portproteinen, indem sie am Transport von Lipiden (siehe Abschnitt 19.5.4), Hormonen,
Vitaminen und Metallen beteiligt sind. Zu den Globulinen gehört auch das Fibrinogen, das
bei der Blutgerinnung in das fibrilläre Fibrin umgewandelt wird. Lactoglobulin ist Bestand-
teil der Milch.
986 24 Peptide und Proteine

24.7.2.3 Histone
Histone haben einen hohen Anteil an Arginin und Lysin und besitzen deshalb einen ausge-
sprochen basischen Charakter. Sie bilden mit Nucleinsäuren Komplexe, die Nucleoproteine.

24.7.2.4 Prolamine und Gluteline


Prolamine und Gluteline bilden die Hauptbestandteile der Proteine in Getreide und Mehl.
Prolamine haben einen hohen Anteil an Glutaminsäure und Prolin, enthalten aber kein Tryp-
tophan und auch nicht die basischen Aminosäuren Arginin, Histidin und Lysin. Sie sind in
Wasser nicht löslich, wohl aber in wäßrigem Alkohol. Gluteline enthalten im Unterschied zu
den Prolaminen auch Lysin und Tryptophan. Gliadin, das Prolamin des Weizens und Rog-
gens, bedingt gemeinsam mit Glutelin als Klebereiweiß die Backfähigkeit des Weizen- und
Roggenmehls.

24.7.3 Konjugierte Proteine


Konjugierte (zusammengesetzte) Proteine (früher als Proteide bezeichnet) sind Verbindun-
gen, die außer dem Proteinanteil auch einen Nichtproteinanteil im Molekül enthalten. Dem
Nichtproteinanteil entsprechend unterscheidet man Phosphoproteine, Lipoproteine, Glyco-
proteine, Chromoproteine und Nucleoproteine.

24.7.3.1 Enzyme
Zu den konjugierten Proteinen gehören ebenfalls viele Enzyme (siehe auch Abschnitt 8.11).
Der Name leitet sich ab vom griech. en = darin und zýme = Sauerteig. Diese Biokatalysatoren,
früher auch als Fermente bezeichnet, ermöglichen die chemischen Reaktionen bei milden
Reaktionsbedingungen (z.B. Körpertemperatur, Normaldruck), hohen Reaktionsgeschwin-
digkeiten (106–1012 mal schneller als nichtkatalysierte Reaktionen) und hoher Reaktions-
spezifität, denn nur ein bestimmtes Substrat (= Substratspezifität) wird auf ganz bestimmte
Weise (= Wirkungsspezifität) umgesetzt. Sie haben außerdem noch die Fähigkeit zur Regu-
lation z.B. durch allosterische Kontrolle (siehe Abschnitt 24.6.4.1). Die katalytischen Aktivi-
täten der Enzyme werden so gesteuert, daß die Substrate nach dem im Organismus vorhande-
nen Bedarf umgesetzt werden. Enzyme entfalten ihre optimale Wirksamkeit bei einer be-
stimmten Temperatur und einem bestimmten pH-Wert.
Die Enzyme werden nach dem von ihnen umgesetzten Substrat oder nach der von ihnen
katalysierten Reaktion benannt und haben die Endung -ase. Z.B. hydrolysieren Peptidasen
Peptide und Eiweiße, Esterasen hydrolysieren Ester und Carbohydrasen hydrolysieren Di-
und Polysaccharide. Maltasen spalten Maltose in D-Glucose, Dehydrogenasen übertragen
Wasserstoff und Dehydratasen spalten Wasser aus dem Substratmolekül ab.
Ihrer Wirkung entsprechend unterscheidet man einige Enzymgruppen: Oxidoreduktasen
übertragen Elektronen oder Wasserstoff, Transferasen übertragen Molekülgruppen, z.B.
übertragen Transaminasen die Aminogruppe einer Aminosäure auf eine α-Oxosäure und
Kinasen (griech. kinein = bewegen) übertragen Phosphatreste, Hydrolasen hydrolysieren
Substrate, Isomerasen katalysieren intramolekulare Umlagerungen, Lyasen bewerkstelligen
Eliminierungen unter Ausbildung einer Doppelbindung oder Additionen an eine Doppelbin-
dung und Ligasen katalysieren die Verknüpfung zweier Substratmoleküle.
24.7 Klassifizierung der Proteine 987

Die Enzyme sind entweder reine Proteine oder konjugierte Proteine, die außer dem Pro-
tein noch einen Nichtproteinanteil enthalten, einen Cofaktor, der für die Wirksamkeit des
Enzyms notwendig ist.
Der Proteinanteil bestimmt durch seine räumliche Gestalt, die Dynamik der Anpassung
an das Substrat durch Konformationsänderungen und durch allosterische Effekte die Spezifi-
tät des Enzyms und ermöglicht eine Regulierung der umzusetzenden Substanzmenge. Die
räumliche Form des Proteins, die an der Anbindungsstelle des Substrats eine geometrische
Komplementarität aufweist, erklärt die hohe Spezifität der Enzyme. Durch die räumliche
Struktur im Protein können zwei oder mehrere funktionelle Gruppen des Proteins unterei-
nander in Wechselwirkung treten und eine Aktivierung der an der Umsetzung beteiligten
funktionellen Gruppe bewirken. Konformationsänderungen erleichtern den Zugang des Sub-
strats zum Wirkungszentrum und den Abgang des Produkts nach der Umsetzung.
Der Cofaktor bewirkt im wesentlichen die chemische Umsetzung des Substrats. An der
Wirkungsspezifität sind aber nicht nur der Cofaktor, sondern auch die Proteinkomponente
des Enzyms beteiligt. Es gibt Fälle, in denen der gleiche Cofaktor, je nachdem an welches
Protein er gebunden ist, unterschiedliche Reaktionen katalysiert, z.B. kann Pyridoxalphos-
phat, je nachdem mit welchem Protein es verknüpft ist, eine Transaminierung, Decarboxylie-
rung oder Racemisierung eines Substrats bewirken.
Im Enzym kann der nichtproteine Teil des Moleküls an das Protein fest gebunden sein.
Man bezeichnet dann diesen Teil als prosthetische Gruppe. Ist der nichtproteine Teil an das
Protein nur lose und reversibel gebunden, wie dies z.B. beim Nicotinamid-Adenin-Dinucleo-
tid NAD+ (siehe Abschnitt 14.3.2) der Fall ist, so wird er als Coenzym bezeichnet. Der in-
aktive Proteinanteil wird in diesem Fall als Apoenzym, und das enzymaktive Assoziat des
Apoenzyms mit dem Coenzym als Holoenzym (griech. hólos = ganz) bezeichnet.

24.7.3.2 Phosphoproteine
In Phosphoproteinen ist die Phosphorsäure esterartig mit dem Protein verknüpft. Casein ist
ein Phosphoprotein, das in der Milch als Calciumsalz vorliegt.
24.7.3.3 Glycoproteine
Glycoproteine enthalten Zucker als Nichtproteinanteil. Die Zucker sind glycosidisch an das
Protein gebunden. Glycoproteine sind im Tier- und Pflanzenreich weit verbreitet. Zahlreiche
Enzyme, Hormone und Proteine des Blutserums (Blutgerinnungsfaktoren und Immunglobu-
line, die löslichen Blutgruppensubstanzen) und schleimige Sekrete der Tiere sind Glycopro-
teine. Sie sind ebenfalls Bausteine biologischer Membranen.
24.7.3.4 Lipoproteine
Lipoproteine (siehe Abschnitt 19.5.4) sind aus Proteinen und Lipiden zusammengesetzte
Verbindungen. Durch die Bindung der hydrophoben Lipide an die Proteine wird der Trans-
port der Lipide im Blut und in den Körperflüssigkeiten ermöglicht.

24.7.3.5 Nucleoproteine
In den Nucleoproteinen sind basische Proteine, die Histone, mit Desoxyribonucleinsäure
(Abkürzung DNA von engl. deoxyribonucleic acid) verknüpft.
988 24 Peptide und Proteine

Nucleosome Chromatinkette

Histone
2 x (H2A + H2B + H3 + H4)

Verbindu
H1 ngs
DNA -

Nucleosom H1

Nucleosom Nucleosome

Bild 24.20 Struktur des Chromatins

Die Histone haben einen hohen Anteil von Aminosäureresten (Arginin und Lysin) mit
positiv geladenen Gruppen in den Seitenketten, die an die negativ geladenen Phosphatgrup-
pen der DNA durch Ionenbindungen gebunden sind. Dieser Histon-DNA-Komplex baut das
im Zellkern befindliche Chromatin auf. Am Aufbau des Chromatins sind fünf Histontypen
beteiligt, die als H1, H2A, H2B, H3 und H4 bezeichnet werden. Je zwei Moleküle H2A,
H2B, H3 und H4 bilden zusammen eine Quartärstruktur in Form eine Octamers (acht Histo-
nmoleküle miteinander assoziiert). Um dieses windet sich die DNA-Doppelhelix unter Bil-
dung eines Histon-DNA-Komplexes, der als Nucleosom bezeichnet wird. Das Protein H1 ist
mit der sich um den Histonkern windenden DNA-Doppelhelix von außen verbunden, es
verschließt sozusagen das Nucleosom. Der Abschnitt der DNA-Helix, in dem diese nicht mit
Histonen verbunden ist, und durch den zwei Nucleosomen untereinander verbunden werden
(Abschnitt zwischen den beiden H1-Proteinen), wird als Verbindungs-DNA oder Linker-
DNA (vom englischen to link = verbinden, verknüpfen) bezeichnet. Die Chromatinkette hat
in der elektronenmikroskopischen Aufnahme eine Struktur, die einer Perlenkette nicht un-
ähnlich ist. Die verdickten Stellen sind die Nucleosome, die durch dünne Fäden, der Verbin-
dungs-DNA, verbunden sind. Die Windung der DNA-Doppelhelix um den Histonkern stützt
den DNA-Strang und trägt zur dichten Packung der DNA bei. Das Nucleosom mit einem
DNA-Strang aus 200 Basenpaaren hat einen Durchmesser von 10 nm. Der gleiche DNA-
Strang, nicht um die Histone gewickelt, zeigt eine Länge von 68 nm.

24.7.3.6 Chromoproteine
Chromoproteine sind farbige Verbindungen. In ihnen ist das Protein mit einer Gruppe ver-
bunden, die Farbcharakter hat. Die chromophoren Gruppen können Porphyrine sein z.B. im
Hämoglobin (siehe Abschnitt 24.6.4.2), im Myoglobin (siehe Abschnitt 24.6.3.1), im Cy-
tochrom und in Eisenporphyrinenzymen, Flavinderivate (siehe Abschnitt 14.3.2 und
25.7.1.4) in Flavoproteinen oder Carotine z.B. im Astaxanthin-Protein.
24.8 Proteine in der Ernährung 989

24.7.3.7 Metalloproteine
Metalloproteine sind Verbindungen eines Metalls mit einem Protein. Kupfer (im Caerulo-
plasmin), Eisen (im Ferritin) und Zink werden als Proteinkomplexe im Organismus transpor-
tiert.

24.8 Proteine in der Ernährung

24.8.1 Der Stoffwechsel der Proteine

Im Organismus werden die meisten Proteine laufend ab- und wieder aufgebaut und durch
neues Material ersetzt. Beim Menschen wird z.B. die Hälfte des Plasmaalbumins in 20–25
Tagen ab- und wieder aufgebaut. Hydrolyseprodukte der Proteine, bestimmte Aminosäuren,
sind wichtige Vorstufen der Biosynthese von Nucleotiden, Nucleotid-Coenzymen, Häm,
verschiedener Hormone, Neurotransmitter und Glutathion (siehe Abschnitt 24.3). Die vom
Menschen mit der Nahrung aufgenommenen Proteine werden zum Teil zum Aufbau bzw.
der Erneuerung der lebenden Struktur benötigt, zum Teil wird die in ihnen gespeicherte
Energie im Körper in Arbeit und Wärme umgewandelt. Der Mensch muß mit der Nahrung
wenigstens 60–80 g Protein täglich zu sich nehmen. Durch Aufnahme von Proteinen in den
Nahrungsmitteln muß auch der Bedarf an essentiellen Aminosäuren (siehe Abschnitt 23.2),
die der Organismus nicht aus anderen Stoffen synthetisieren kann, gedeckt werden.
Zur Deckung des Proteinbedarfs des Menschen mit der Nahrung dienen Fleisch und
Tierprodukte, z.B. Eier, Milch und Käse. Auch Produkte aus dem Pflanzenreich, z.B. Mehl
und Mehlprodukte, enthalten Proteine. Erbsen, Bohnen und Linsen sind proteinreiche Nah-
rungsmittel.

24.8.2 Die Verdauung der Proteine

Proteine werden beim Verdauungsvorgang bis zu Aminosäuren abgebaut, die von der Darm-
wand resorbiert werden können. An der hydrolytischen Spaltung der Peptidbindung sind
Enzyme beteiligt, die in inaktiver Form von den Hauptzellen der Magenschleimhaut, den
Acinuszellen des Pankreas (Bauchspeicheldrüse) und den Mukosazellen der Dünndarm-
Schleimhaut gebildet werden und die nach der Sekretion in die aktive Form umgewandelt
werden. Die Aktivierung der Enzyme erst außerhalb der Zellen schützt die Enzyme produ-
zierenden Organe vor Selbstverdauung. Die inaktiven Vorstufen der Enzyme werden als
Zymogene oder Proenzyme bezeichnet.
Der Abbau der mit der Nahrung aufgenommenen Proteine beginnt durch das proteolyti-
sche (= proteinspaltende) Enzym Pepsin im Magen. Die Belegzellen der Magenschleimhaut
können 0,1–0,01 N Salzsäure bilden, was einem pH-Wert von 1–2 entspricht. Im sauren Me-
dium erfolgt die Aktivierung des Pepsinogens zum Pepsin. Das Pepsin, dessen Wirkungsop-
timum im sauren Bereich liegt, baut die Proteine zu Spaltprodukten, den Peptonen, ab, die
eine Molmasse zwischen 600 und 3000 aufweisen. Der weitere Abbau der Peptone zu Oli-
990 24 Peptide und Proteine

Proteine
Magen Pepsinogen Pepsin
Speiseröhre Pankreas Trypsinogen Peptone
Chymotrypsinogen
Procarboxypeptidase
Leber Dünndarm aktiviert zu:
Gallenblase Mukosazellen
Trypsin
Oligopeptide
Zwölffinger- α-Chymotrypsin
darm Carboxypeptidase
Dickdarm Leucin-Aminopeptidase
Amino-Tripeptidase
Glycyl-Glycindipeptidase
und andere Peptidasen
Aminosäuren

Bild 24.21 Schema zur Verdauung der Proteine

gopeptiden und Aminosäuren findet im Dünndarm statt. An der hydrolytischen Spaltung der
Peptone im Dünndarm sind zum einen Enzyme beteiligt, die in inaktiver Form vom Pankreas
(= Bauchspeicheldrüse) in den Zwölffingerdarm (der erste Abschnitt des Dünndarmes) abge-
geben und im Dünndarm aktiviert werden, zum anderen Peptidasen (Peptide spaltende Enzy-
me), die von Mucosazellen (Zellen der Schleimhaut) des Dünndarms gebildet werden.

24.8.3 Proteasen und Peptidasen


Proteasen sind Enzyme, die Peptide und Proteine hydrolytisch spalten. Man kann sie in Un-
terklassen einteilen, je nachdem, an welcher Stelle im Substrat die Spaltung bewirkt wird.
Endopeptidasen, zu denen Pepsin, Trypsin und Chymotrypsin gehören, spalten die Pep-
tidbindung an bestimmten Stellen innerhalb der Kette. Exopeptidasen greifen bevorzugt
kleinere Spaltstücke an und spalten diese vom Kettenende her. Wirken sie vom Carboxyende
her, werden sie als Carboxypeptidasen bezeichnet, geschieht die Spaltung vom Aminoende
her, so spricht man von Aminopeptidasen. Enzyme, die Dipeptide spalten, nennt man Dipep-
tidasen. Man kann auch eine andere Einteilung der Enzyme nach der chemischen Natur ihres
aktiven Zentrums treffen. Als aktives Zentrum wird die Stelle im Enzym angesehen, wo die
Umsetzung des Substrats erfolgt. In Serin-Proteasen, zu denen Chymotrypsin und Trypsin
gehören, spielt der Serylrest des aktiven Zentrums eine wichtige Rolle bei der Hydrolyse, bei
Carboxy-Proteasen sind es saure Aminosäurereste, beim Pepsin z.B. die Aspartylreste, die
die Wirkgruppen darstellen, in Thiolproteasen sind Cysteylgruppen wirksam, und wiederum
andere Enzyme, zu denen Exopeptidasen zählen, benötigen zu ihrer Aktivität zweiwertige
Metall-Ionen, z.B. Zn2+ in der Carboxypeptidase A.

24.8.3.1 Pepsin
Pepsin wird im sauren Medium des Magens aus Pepsinogen durch Abspaltung eines Peptids
gebildet. Das aktive Zentrum des Pepsins enthält zwei Aspartatreste, wovon einer für die
24.8 Proteine in der Ernährung 991

proteolytische Wirksamkeit ionisiert, der andere nicht ionisiert vorliegen muß. Daraus ergibt
sich ein pH-Optimum, das im pH-Bereich 1,5–3 liegt. Bevorzugt werden Peptidbindungen
aromatischer Aminosäurereste gespalten.
Pepsin ist eine Carboxy-Protease, es kann auch als Aspartat-Protease bezeichnet werden.
Katalysenmechanismus der Proteolyse mit Pepsin. Die beiden Carboxygruppen der Aspartyl-
reste im aktiven Zentrum des Pepsins bilden mit einem Wassermolekül ein durch Wasserstoff-
brücken gefestigtes Assoziat, wodurch die Nucleophilie des Sauerstoffs im Wassermolekül
verstärkt wird. Es folgt der nucleophile Angriff an der Carbonylgruppe der Peptidbindung
unter Bildung eines tetraedrischen Zwischenprodukts. Im weiteren Reaktionsschritt wird der
Elektronenmangel des positiv geladenen Sauerstoffes durch Abgabe eines Protons an den an
der Peptidbindung beteiligten Stickstoff kompensiert.

Pepsin Pepsin Pepsin

Asp O H O Asp Asp O H O Asp Asp O H O Asp


C C C C C C

O O O O O O
H H H H H
O O O H

R NH R C NH R C NH
C R' R' R'
O O
O Substrat

Im letzten Reaktionsschritt erfolgt die Spaltung der C–N-Bindung.

Pepsin Pepsin

Asp O H O Asp Asp O H O Asp


C C C C

O O O O
H
O H
O H H
R C NH R C N R'
R' O H
O

24.8.3.2 Trypsin
Die Bauchspeicheldrüse gibt in den Zwölffingerdarm das inaktive Trypsinogen ab. Dieses
wird durch ein proteolytisch wirksames Glycoprotein, die Enterokinase, in Gegenwart von
Ca2+ in das aktive Trypsin umgewandelt. Dies geschieht unter Abspaltung eines Hexapeptids
aus dem Trypsinogen.
992 24 Peptide und Proteine

Das Trypsin spaltet in Proteinen oder Peptiden solche Peptidbindungen, in welchen Argi-
nin oder Lysin einen in der Peptidkette nachfolgenden Aminosäurerest, außer dem Prolinrest,
binden (siehe Abschnitt 23.1 und 24.4.2.2).

Arg R oder Lys R

Das pH-Optimum des Trypsins liegt bei 7,5–8,5. Trypsin ist eine Serin-Peptidase. Der
Katalysenmechanismus dieser Peptidasen wird nachfolgend am Beispiel des α-Chymotryp-
sins beschrieben.

24.8.3.3 α-Chymotrypsin
α-Chymotrypsin ist ein cyclisches Polypeptid, dessen Zymogen, das Chymotrypsinogen, in
der Bauchspeicheldrüse gebildet wird. Die Aktivierung erfolgt im Dünndarm. Die optimale
Wirksamkeit des α-Chymotrypsins entfaltet sich bei pH 8. α-Chymotrypsin ist eine Serin-
Protease, die in Proteinen und Peptiden bevorzugt Peptidbindungen spaltet, die in der Peptid-
kette nach Phenylalanin und Tyrosin stehen.
Katalysemechanismus der Proteolyse durch α-Chymotrypsin. An der Reaktion des α-Chy-
motrypsins sind die Seitenketten dreier Aminosäurereste beteiligt, nämlich der Asparagin-
säure-, Histidin- und Serinrest, die untereinander mit Wasserstoffbrücken verbunden sind.
Die Nucleophilie des Sauerstoffes der OH-Gruppe am Serinrest wird durch die Wasserstoff-
brückenbindung verstärkt. Dieser Sauerstoff greift nucleophil die Carbonylgruppe der Pep-
tidbindung des Substrats an. Es wird ein tetraedrisches Zwischenprodukt gebildet.

α-Chymotrypsin α-Chymotrypsin

Asp His Ser Asp His Ser


O O
H 2C C CH2 H 2C C CH2
O H N O H N
N H O N H O
R' tetraedisches H N C R'
H N C Zwischenprodukt
O R O
Substrat R

Die positive Ladung am Sauerstoff polarisiert die OH-Bindung und H+ wird abgespalten.
Der Stickstoff im Imidazolring nimmt das vom Sauerstoff abgegebene Proton auf, und es
wird ein Imidazolium-Ion gebildet. Der Vorgang wird durch den Feldeffekt unterstützt, der
vom unsolvatisierten Aspartyl-Ion ausgeht.
24.8 Proteine in der Ernährung 993

α-Chymotrypsin α-Chymotrypsin

Asp His Ser Asp His Ser


O O
H2C C H 2C C CH2
CH2
O H N O H N
N H O N H O

H N C R' Komplex mit H N C R'


Imidazolring
O
Imidazolium-Ion
R R O

Unter Spaltung der C–N-Bindung zerfällt der Komplex in ein Peptidspaltstück des Sub-
strats mit NH2-Gruppe und ein Acyl-Enzym-Zwischenprodukt. Das Imidazolium-Ion spaltet
bei dem Vorgang ein Proton ab, das vom Stickstoff des Substrats gebunden wird.

α-Chymotrypsin α-Chymotrypsin

Asp His Ser Asp His Ser


O O
H2C C CH2 H2C C CH2
O H N O H N
N H O N O
H
H N C R' C R'
Komplex mit Peptidspaltstück H N
Imidazolium-Ion R O mit NH2-Gruppe O
R
Acyl-Enzym-
Zwischenprodukt

An die Stelle des Peptidspaltstücks, das sich aus dem Komplex gelöst hat, tritt ein Mole-
kül Wasser, das mit einer Wasserstoffbrücke an den Stickstoff des Imidazolylrings gebunden
ist. Der Sauerstoff des Wassers greift nucleophil die Carbonylgruppe am Acyl-Enzym-Zwi-
schenprodukt an, und es wird ein tetraedrisches Zwischenprodukt gebildet.

α-Chymotrypsin α-Chymotrypsin

Asp His Ser Asp His Ser


O O
H2C C CH2 H2C C CH2
O H N O H N
N O N O
H
Acyl-Enzym- H
C R' O C R'
Zwischenprodukt
O H
O O
H
994 24 Peptide und Proteine

Die positive Ladung am Stickstoff des Imidazolium-Ions polarisiert die N–H-Bindung.


H+ wird abgespalten, vom Sauerstoffatom des Serinrestes gebunden und das tetraedrische
Zwischenprodukt gespalten: Ein Spaltstück bildet das α-Chymotrypsin, das auf diese Weise
regeneriert wird, das andere Spaltstück besteht aus dem Teil der gespaltenen Polypeptidkette
an deren Kettenende die neu gebildeten Carboxygruppe zu finden ist.

α-Chymotrypsin α-Chymotrypsin

Asp His Ser Asp His Ser


O O
H2C C H2C C CH2
CH2
O H N O H N
N N H O
H O α-Chymotrypsin
O C R' Spaltstück des Substrats O C R'
H mit Carboxygruppe H
O O

24.8.3.4 Die Carboxypeptidase A


Die von der Bauchspeicheldrüse abgesonderte Procarboxypeptidase, wird im Dünndarm
durch Trypsin unter Bildung der Carboxypeptidase A aktiviert. Die Carboxypeptidase A ent-
faltet das Optimum ihrer Wirksamkeit im pH-Bereich 7,5–8,6. Sie ist eine Zink-Protease, die
C-terminale Aminosäuren aus Oligopeptiden abspaltet. Sie besitzt keine hohe Substratspezi-
fität.

24.8.3.5 Die Carboxypeptidase B


Die Carboxypeptidase B stammt ebenfalls aus der Bauchspeicheldrüse. Sie spaltet C-termi-
nale basische Aminosäuren.
Betrachtet man die Katalysemechanismen der proteolytischen Enzyme, so erkennt man,
daß erst das Zusammenwirken mehrerer funktioneller Gruppen im aktiven Zentrum des En-
zyms die Spaltung der sonst so schwer zu hydrolysierenden Peptidbindung bewirken kann.
Dieses Zusammenwirken mehrerer funktioneller Gruppen setzt aber bestimmte räumliche
Gegebenheiten voraus, die eben durch die Strukturen der Proteine gewährleistet werden.
Übungsaufgaben 995

Übungsaufgaben

? 24.1
Was sind Peptide und Proteine?

? 24.2
Was versteht man unter dem Begriff Sequenz der Aminosäuren und auf welche Weise er-
folgt die Benennung der Peptide?

? 24.3
Benennen Sie das folgende Tripeptid:
H H O H H O H H
O
C C C N C C N C C
H NH2 CH2 H OH
OH

? 24.4
In welchen Schritten erfolgt die Bestimmung der Aminosäuresequenz in der Peptidkette?

? 24.5
Wozu dienen bei der Peptidsynthese Schutzgruppen?

? 24.6
Wie schützt man die Carboxygruppe von Aminosäuren bei der Peptidsynthese?

? 24.7
Auf welche Weise schützt man bei der Peptidsynthese die Aminogruppe?

? 24.8
Wie erreicht man bei der Peptidsynthese eine Peptidverknüpfung? Welche Rolle spielt dabei
die Aktivierung der Carboxygruppe?

? 24.9
Was versteht man unter Primär-, Sekundär-, tertiär- und Quartärstruktur der Proteine?

? 24.10
Welche Struktur liegt in fibrilären und in globulären Proteinen vor?

? 24.11
Was sind konjugierte Proteine?

? 24.12
Was versteht man unter dem Begriff allosterischer Effekt?
996 24 Peptide und Proteine

Lösungen

! 24.1
Peptide und Proteine bestehen aus Aminosäureresten, die unter einenader mit einer säu-
reamidartigen Bindung, der Peptidbindung –CO-NH-, verbunden und auf diese Weise zu
einer Peptidkette verknüpft sind. Peptide, die aus 2 bis 10 Aminosäureresten aufgebaut sind,
werden als Oligopeptide, und solche, die aus bis zu 100 Aminosäureresten bestehen, als
Polypeptide bezeichnet. Je nachdem aus wie viel Aminosäureresten ein Oligopeptid besteht,
bezeichnet man es als di-, tri- tetrapeptid usw. Proteine haben mehr als 100 Aminosäurereste
in der Peptidkette.

! 24.2
Unter dem Begriff Sequenz versteht man bei den Peptiden oder Proteinen die Reihenfolge
der Aminosäurereste in der Peptidkette. Bei der Benennung des Peptids beginnt man mit dem
Kettenende der Polypeptidkette, an dem sich ein Aminosäurerest mit einer freien Amino-
gruppe befindet, man spricht in diesem Falle vom N-terminalen Aminosäurerest. Man geht
die Polypeptidkette entlang und benennt die Aminosäurereste so, dass man die Endung –in
der entsprechenden Aminosäure durch die Endung –yl ersetzt, nur bei Asparagin und Gluta-
min wird die Endung –yl noch zugefügt. Der Asparaginsäurerest wird mit Aspartyl und der
Glutaminsäurerest wird mit Glutamyl bezeichnet. Der zuletzt angeführte C-terminale Ami-
nosäurerest wird nach der entsprechenden Aminosäure benannt. Zur Abkürzung kann man
auch eine Buchstabencodierung benutzen (siehe Kapitel 24.1 und Tabelle 23.1).

! 24.3
Der Name des Tripeptids: Phenylalanylserylglycin.

! 24.4
In der Vorbereitung zur Sequenzierung müssen zunächst bei Proteinen, die aus mehreren
Polypeptidketten zusammengesetzt sind, die Peptidketten voneinander getrennt werden.
Dann erfolgt die Fragmentierung der Peptidkette. Dafür setzt man das Verdauungsenzym
Trypsin und Bromcyan ein. Bromcyan spaltet die Peptidkette nach einem Methioninrest und
Trypsin nach einem eine positive Ladung tragenden Arginin- oder Lysinrest. Hierauf erfolgt
die Sequenzbestimmung der Peptidfragmente durch aufeinanderfolgende Abspaltung der
einzelnen Aminosäurereste vom N-terminalen Kettenende her durch den Edman-Abbau
(Edman-Abbau siehe Kapitel 24.4.2.3). Die einzelnen Aminosäurereste können dann mit
Hilfe chromatographischer Methoden bestimmt werden. Durch Vergleich der Sequenz der
Aminosäurreste in den Bromcyanfragmenten und den Trypsinfragmenten kann die Abfolge
der Peptidfragmente und damit die Sequenz der Aminosäurereste in der untersuchten Peptid-
kette bestimmt werden. Die Ermittlung der N-terminalen Aminosäure eines Spaltprodukts
kann mit 2,4-Dinitrofluorbenzol, dem Sanger Reagens, erfolgen, das sich an die Aminogrup-
pe des N-terminalen Aminosäurerestes bindet. Nach der Hydrolyse kann man die endständi-
ge Aminosäure als N-(2,4-Dinitrophenyl)aminosäure identifizieren.
Lösungen 997

! 24.5
Als Schutzgruppen bezeichnet man organische Reste, mit denen Funktionelle Gruppen vo-
rübergehend gegen den Angriff von Reagenzien geschützt werden. Bei der Peptidsynthese ist
es notwenig bei der einen Aminosäure die Aminogruppe und bei der anderen Aminosäure
die Carboxygruppe vor der Synthese zu schützen, damit die gewünschte Sequenz der Peptid-
kette gesichert wird. Die Schutzgruppen müssen bei milden Reaktionsbedingungen wieder
abgespalten werden können, damit nicht auch eine Spaltung der Peptidbindung eintreten
kann (siehe Kapitel 24.5.1).

! 24.6
Bei der Peptidsynthese schützt man die Carboxygruppe bevorzugt durch Überführung in
einen Benzyl- oder tert-Butylester, welche bei milden Reaktionsbedingungen hydrolysierbar
sind.

! 24.7
Die Aminosäure kann durch Einführung eines Benzyloxycarbonylrestes geschützt werden.
Man läßt zu diesem Zwecke die Aminosäure im basischen Medium mit Chlorameisen-
säurebenzylester C6H5CH2OCOCl reagieren. Die Aminogruppe kann auch durch Einführung
eines tert.- Butoxycarbonylrestes (CH3)3C-O-CO- geschützt werden. indem man die Amino-
säure bzw. das Peptid mit Chlorameisensäure-tert.-butylester (CH3)3C-O-CO-Cl reagieren
läßt. Die Schutzgruppen sind bei milden Reaktionsbedingungen hydrolysierbar (siehe Kapi-
tel 24.5.1.2). Die Peptiedbindung wird bei der Hydrolyse der Schutzgruppen nicht angegrif-
fen.

! 24.8
Die Peptidverknüpfung in der Peptidsynthese kann dadurch erfolgen, dass man die unge-
schützte Aminogruppe der einen Aminosäure mit der aktivierten Carboxygruppe der anderen
Aminosäure reagieren läßt. Die Aktivierung der Carboxygruppe erreicht man indem man die
Aminocarbonsäure in das Aminocarbonsäurechlorid oder das Aminocarbonsäureazid über-
führt (siehe Kapitel 24.5.2). Vorteilhaft erweist sich für eine Peptidsynthese der Einsatz des
Dicyclohexylcarbodiimids. Man gibt zu einem Gemisch der Aminosäure mit ungeschützter
Aminogruppe und der Aminosäure mit ungeschützter Carboxygruppe das Dicyclohexylcar-
bodiimid C6H11-N=C=N-C6H11 und es folgt eine chemische Reaktion bei der N, N'-
Dicyclohexylharnstoff entsteht und die Peptidbindung gebildet wird (siehe Kapitel 24.5.2.1).

! 24.9
Als Primärstruktur der Proteine wird ihre Polypeptidkette mit der bestimmten Sequenz der
Aminosäurereste angesehen. Die Polypeptidketten sind auf bestimmte Weise gefaltet z.B. zu
einer α-Helix oder einer β-Faltblattstruktur. Diese Strukturen der Proteine werden als sekun-
däre Struktur bezeichnet. Auch die Sekundärstrukturen unterliegen einer weiteren Faltung
und Knäuelung und die daraus resultierenden Strukturen werden als Tertiärstruktur bezeich-
net. In der Tertiärstruktur vorliegende Polypeptidketten können sich miteinander zu einem
komplexeren Proteinmolekül vereinen das dann die Quartärstruktur vorstellt.
998 24 Peptide und Proteine

! 24.10
Am Aufbau der fibrillären Proteine sind Strukturelemente beteiligt, die lang und fadenförmig
sind und nebeneinander liegen, so dass sie Faserstrukturen bilden. Zu den fibrillären Protei-
nen gehören Kollagen, Elastin, Keratin und Muskelproteine (siehe Kapitel 24.7.1). Globuläre
Proteine, die auch als Kugelproteine bezeichnet werden können, besitzen eine dem Woll-
knäuel ähnliche Kugel- oder ellipsoide Gestalt. Zu ihnen zählen Albumine, Globuline, His-
tone, Prolamine und Glutenine (siehe Kapitel 24.7.2).

! 24.11
Konjugierte Proteine sind Verbindungen, die außer dem Proteinanteil auch einen Nichtpro-
teinanteil im Molekül enthalten. Dem entsprechend unterscheidet man Phosphoproteine,
Glycoproteine, Chromoproteine und Nucleoproteine. Zu den Konjugierten Proteinen gehören
viele Enzyme.

! 24.12
Die Konformation von Quartärstrukturen kann durch Einwirkung von niedermolekularen
Substanzen, die allgemein als allosterische Effektoren bezeichnet werden, verändert werden.
Man nennt diese durch Effektoren verursachten Konformationsänderungen einen allosteri-
schen Effekt. Er ermöglicht es, den durch ein Enzym erfolgten Stoffumsatz mit Hilfe einer
entsprechenden niedermolekularen Substanz zu regeln (siehe Kapitel 24.6.4.1 und 24.6.4.2).
25 Stickstoffhaltige Heterocyclen
Cyclische Verbindungen, deren Ringe sich ausschließlich aus Kohlenstoffatomen aufbauen,
bezeichnet man als carbocyclische Verbindungen. Heterocyclische Verbindungen hingegen
sind Verbindungen, die im Ring außer Kohlenstoffatomen noch ein oder mehrere Hetero-
atome enthalten. In cyclischen organischen Verbindungen werden alle im Ring verknüpften
Atome, die keine Kohlenstoffatome sind, als Heteroatome bezeichnet (griech. hetero = an-
ders, fremd). Die wichtigsten Heteroatome sind O, N und S. Sauerstoffhaltige Heterocyclen
wurden bereits im Abschnitt 12.5 vorgestellt. Im weiteren sollen deshalb nur stickstoffhaltige
Heterocyclen behandelt werden. Darunter versteht man solche Heterocyclen, die mindestens
ein Stickstoffatom im Ring aufweisen. Außer diesem können aber auch noch andere Hete-
roatome Bestandteil des Ringes sein.

25.1 Nomenklatur stickstoffhaltiger Heterocyclen


Austausch-Nomenklatur. Die einfachste Art, heterocyclische Verbindungen zu benennen, ist
die, ihre Namen von den entsprechenden Carbocyclen abzuleiten, so als ob in diesen die
C-Atome durch Heteroatome ersetzt worden wären. Das Heteroatom im Ring wird hierbei
mit einer Silbe charakterisiert, die vor dem Namen der entsprechenden Carbocyclen steht:
zum Beispiel ist es bei Sauerstoff die Silbe oxa-, für Schwefel die Silbe thia- und bei Stick-
stoff die Silbe aza-. Folgt ein Selbstlaut, entfällt das a. Sind O, S und N als Heteroatome im
Ring gleichzeitig vorhanden, nennt man die sie charakterisierenden Silben nacheinander in
der Reihenfolge oxa, thia und aza. Befinden sich zwei oder mehrere gleiche Heteroatome im
Heterocyclus, stellt man je nach ihrer Anzahl die Bezeichnung di-, tri- bzw. tetra- vor die
entsprechende Silbe. Die Stellung der Heteroatome im Heterocyclus wird durch Voranstel-
lung der bei der Durchnumerierung ermittelten Ziffern angeben. Die Numerierung der carbo-
cyclischen Verbindung, von der man den Heterocyclus ableitet, wird grundsätzlich beibe-
halten. Man numeriert den Ring so durch, daß die Heteroatome eine möglichst niedrige Zahl
zugeordnet bekommen. Sind unterschiedliche Heteroatome gleichzeitig im Ring, erhält die
Präferenz für die Zuordnung der niedrigsten Ziffer O vor S und dieses vor N. Beispiele:

H3C CH3 H
4 3 1
H2C CH2 C C O N N
H H
H2C NH 2 2
N1 N3 N N

H H H H

Azacyclo- trans-3,4-Dimethyl- 1,3-Oxaza- 1,3-Diaza- 1,3-Diazacyclo-


butan azacyclopentan cyclopentan cyclopentan penta-2,4-dien

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 999


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_25, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
1000 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

1
N
N N N2

N3
N N H3C N CH3 N
4
Azabenzol 1,3-Diaza- 2,6-Dimethyl-1,3- 1,4-Diaza- 2,3-Diaza-
benzol diazabenzol naphthalin naphthalin
Kennzeichnung der Ringgröße durch Endungen. Eine weitere Möglichkeit, heterocyclische
Verbindungen zu benennen, besteht darin, Ringgröße und Sättigungsgrad durch entsprechen-
de Endungen auszudrücken. Als Stammverbindung gilt hierbei der Ring mit der größtmögli-
chen Anzahl nichtkumulierter Doppelbindungen. Der Sättigungsgrad kann bei drei-, vier- und
fünfgliedrigen Heterocyclen mit der Endung ausgedrückt werden, bei sechs- und mehr-
gliedrigen Ringen werden je nach Sättigungsgrad die Ausdrücke dihydro-, tetrahydro- und
perhydro- vor den Namen der Stammverbindung gesetzt. Wird in der Stammverbindung eine
Doppelbindung durch eine Einfachbindung ersetzt, wird die Bezeichnung dihydro-, bei Ersatz
zweier Doppelbindungen die Bezeichnung tetrahydro- dem Namen der Stammverbindung
vorgesetzt. Vor die Bezeichnung dihydro- oder tetrahydro- wird mit Ziffern die Stellung der
Atome im Ring angegeben, die keine Doppelbindung tragen. Manchmal wird zu der Ziffer
noch ein H dort geschrieben, wo man sich vorstellen kann, daß von der fiktiven Stamm-
verbindung ein Wasserstoffatom aufgenommen wurde. Das Heteroatom O, S bzw. N wird
durch die Silbe oxa-, thia- bzw. aza- bezeichnet und im Bedarfsfall (z.B. bei zwei oder meh-
reren Heteroatomen im Ring) eine Ziffer vorangestellt, die die Stellung des Heteroatoms im
Ring angibt. Die Durchnumerierung erfolgt so, daß die Heteroatome eine möglichst niedrige
Nummer erhalten. Erste Priorität bei der Durchnumerierung hat O vor S und N. Die Silbe
oxa- wird vor der Silbe thia- und diese wiederum vor der Silbe aza- genannt. Folgt ein Vokal,
entfällt das a in den Silben.

Beispiele:
H H
3 2
N N HC CH HC CH2 H 2C CH H 2C CH2
4
HC CH H 2C CH2 HC N HC NH H 2C N1 H 2C NH
N N

H H
Azirin Aziridin Azet 1H,2H-Azetin 3H,4H-Azetin Azetidin Azol Azolidin

Tabelle 25.1 Kennsilben und Endungen stickstoffhaltiger Heterocyclen

Ringgröße ungesättigt dihydro tetrahydro voll gesättigt


3-gliedrig -irin -iridin
4-gliedrig -et -etin -etidin
5-gliedrig -ol -olin -olidin
6-gliedrig -in dihydro- tetrahydro- perhydro-
7-gliedrig -epin dihydro- tetrahydro- perhydro-
25.2 Fünfringe mit Stickstoff als Heteroatom 1001

N4 3 CH3
N3 O1
N2 2 2 2
N1 N1 N N N3 CH3 N1 CH3 N

H H H H H H
1,2-Diazol 1,3-Diazol Azin Perhydro- 2-Methylper- 2,3-Dimethyl-1,4- Azepin
azin hydro-1,3-oxazin dihydro-1,4-diazin

Trivialnamen. Häufig werden bei Heterocyclen Trivialnamen verwendet. Leitet man gesät-
tigte stickstoffhaltige Heterocyclen von ungesättigten sechsgliedrigen Heterocyclen ab, so
fügt man hinter die erste Silbe des Trivialnamens die Silbe -pe- ein.

4 3 5 4 5 4
N 5 6 3 6 3
N 2
6 7 2 7 N2
N N N N1 N N N1
7 8 8 1
H H H H H
Pyrrol Pyrazol Imidazol Indol Pyridin Piperidin Chinolin Isochinolin

25.2 Fünfringe mit Stickstoff als Heteroatom

25.2.1 Pyrrol und seine Derivate

25.2.1.1 Technische Synthese des Pyrrols


Technisch wird Pyrrol durch Überleiten eines aus Furan, Ammoniak und Wasserdampf be-
stehenden Gemisches bei 400°C über einen Al2O3-Katalysator gewonnen.

400 °C, Al2O3


+ NH3 + H2O
O N

H
Furan Pyrrol

Das für die Reaktion benötigte Furan kann aus den in Kleie enthaltenen Pentosen erhalten
werden. Die Pentosen werden mit verdünnter Schwefelsäure unter Bildung von Furfural
dehydratisiert. Mit 35 %iger Natronlauge erfolgt eine Cannizzaro-Reaktion (siehe Abschnitt
13.4.11.1), wobei Furfural in Furan-2-carbonsäure und Furfurylalkohol umgesetzt wird. Fur-
furylalkohol kann durch Oxidation in Furan-2-Carbonsäure überführt werden. Beim Erhitzen
decarboxyliert die Furan-2-carbonsäure zu Furan.
1002 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

200 °C
H H
COOH
C C O O
HO OH
H H H ,Δ H OH Furan-2-carbonsäure Furan
C C
H C
H - 3 H2O C + CO2
O Oxidation
O H OH O O

Pentose Furfural
CH2OH
O
Furfurylalkohol

Ausgehend von Acetylen und Formaldehyd kann man ebenfalls Pyrrol herstellen. Die
Umsetzung zu But-2-in-1,4-diol (siehe Abschnitt 4.5.2.2) erfolgt durch Einleiten von Acety-
len in 10–30 %ige Formaldehydlösung bei 100°C und 5 bar mit Kupferacetylid als Katalysa-
tor. Danach findet mit Ammoniak die Cyclisierung zu Pyrrol statt.
H
100 °C, 5 bar, Katalysator NH3, Druck
2H C + HC CH H2C C C CH2
O N
OH OH
H
Formaldehyd + Acetylen But-2-in-1,4-diol Pyrrol

25.2.1.2 Paal-Knorr-Synthese
Pyrrolderivate lassen sich mit Hilfe der Paal-Knorr-Synthese synthetisieren, wobei man von
einer γ-Dicarbonylverbindung und einem Amin ausgeht. Die Reaktion wird unter mehrstün-
digem Erhitzen in Essigsäure durchgeführt. Die Ringbildung erfolgt unter Wasserabspaltung.
H H
β α
CH2 CH2 C C
γ Δ, CH3COOH
R C C R' C C + 2 H2O
R N R'
O O
NH2 R''

R''
Es ist anzunehmen, daß im ersten Reaktionsschritt eine nucleophile Addition des Amins
an ein Carbonyl des γ-Diketons erfolgt, wobei das γ-Ketoaminol gebildet wird. Der Stick-
stoff des Aminols wird unter Ringschluß nucleophil an die Carbonylgruppe addiert, worauf
unter Dehydratisierung das Pyrrolderivat entsteht.
H H H H
CH2 CH2 CH2 CH2 H C C H C C
O C C O HO C C O HO C C OH C C
- 2 H2O
NH N R N R'
NH2
R R' R R' R R'
R'' R'' R'' R''

γ-Diketon γ-Ketoaminol Pyrrolderivat


25.2 Fünfringe mit Stickstoff als Heteroatom 1003

25.2.1.3 Reaktionen des Pyrrols


Pyrrol färbt sich an der Luft rotbraun und verharzt. Von der Rotbraunfärbung an der Luft
rührt auch der Name des Pyrrols her (griech. pyrros = feuerrot, oleum = Öl). Pyrrol kann
schwach sauer reagieren, z.B. bildet es in Tetrahydrofuran (THF) als Lösungsmittel mit
Lithiumhydrid ein Salz, das Lithium-Pyrrolid, und mit metallischem Kalium in Heptan das
Kalium-Pyrrolid.

2 + 2K 2 + H2
N N K

H
Pyrrol gehört zu den aromatischen Verbindungen (siehe Abschnitt 6.8.3). Das freie Elek-
tronenpaar am Stickstoff wird in das aromatische System einbezogen und ist somit nicht frei
verfügbar, so daß Pyrrol nur eine geringe Basizität aufweist. Als aromatische Verbindung
kann Pyrrol elektrophil substituiert werden. Die Bildung des σ-Komplexes stellt den lang-
samsten, also geschwindigkeitsbestimmenden Teilschritt der Reaktion dar. Das Produkt wird
sich um so schneller bilden, je kleiner die Aktivierungsenergie für die Bildung des σ-Kom-
plexes ist (siehe auch Abschnitt 6.6.2.2). Diese wird um so niedriger sein, je energieärmer
der σ-Komplex ist. Mit dem Substituent in α-Stellung können drei mesomere Grenzformeln
des σ-Komplexes geschrieben werden und nur zwei, wenn er sich in β-Stellung befindet.
Außerdem verteilt sich die positive Ladung im α-σ-Komplex auf drei Atome des Ringes, im
β-σ-Komplex nur auf zwei. Es ist deshalb anzunehmen, daß der α-σ-Komplex energieärmer
und stabiler ist und deshalb die elektrophile Substitution bevorzugt in der α-Stellung des
Pyrrols erfolgt.
H H

H H H X X

N X N X N X N N

H H H H H
α-σ-Komplex β-σ-Komplex
Pyrrol geht, seiner hohen Aromatizität entsprechend, sehr bereitwillig SE-Reaktionen ein.
Bei der Wahl der Reaktionsbedingungen für die SE-Reaktion ist aber zu beachten, daß Pyrrol
in α-Stellung in Anwesenheit von starken Säuren leicht protoniert wird. Das Pyrrolium-
Kation kann die kationische Polymerisation (siehe Abschnit 3.7.9.2) des Pyrrols einleiten
und die Bildung des Pyrrolharzes verursachen.

H H
+ H
N N H N H
H H H
Pyrrolium-Kation
1004 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

Die Sulfonierung führt man deshalb nicht mit Schwefelsäure, sondern mit einem Pyridin-
SO3-Komplex durch, und die Nitrierung nicht mit Nitriersäure (siehe Abschnitt 6.6.1.1),
sondern mit Salpetersäure in Eisessig. Die Salpetersäure bildet in Eisessig Acetylnitrat
CH3COO–NO2+, das Nitrierungsagens für diese Reaktion.

Pyridin-SO3 -Komplex, 90 °C
SO3H
N N

H H
2-Pyrrolsulfonsäure

CH3COO NO2 , 5 °C
NO2
N N

H H
2-Nitropyrrol

25.2.2 Indol

Indol kann man als benzokondensiertes Pyrrol betrachten.


β
α Indol
N

H
Das Indol selbst kann man, vom o-Toluidin und der Ameisensäure ausgehend, syntheti-
sieren. Beim Erhitzen des o-Toluidins mit Ameisensäure erhält man N-Formyl-o-toluidin.
Erhitzt man dieses ohne Lösungsmittel mit Kalium-tert-butanolat, entsteht als Reaktions-
produkt Indol.
CH3 O CH3
Δ O (CH3)3C O K
+ C
- H2O - H2 O
HO H CH
NH2 N
N
H
H
o-Toluidin N-Formyl-o-toluidin Indol

25.2.2.1 Fischer-Indolsynthese
Die Fischer-Indolsynthese eignet sich nicht für die Synthese des Indols, wohl aber für viele
seiner Derivate. Erhitzt man das Phenylhydrazon eines Aldehyds oder Ketons (siehe Ab-
schnitt 13.4.3.5) in Polyphosphorsäure oder in einem inerten Lösungsmittel und einer Lewis-
Säure, z.B. BF3 oder ZnCl2, als Katalysator, so erhält man das entsprechende Indolderivat.
25.2 Fünfringe mit Stickstoff als Heteroatom 1005

CH3 Polyphosphor- CH
H säure, Δ
O C R CH3 C R
- H2O
NH NH2 NH N C R N
+ NH3
H
Phenylhydrazin Phenylhydrazon Indol
Man nimmt an, daß zunächst ein säurekatalysiertes Imin-Enamin-Gleichgewicht des
Hydrazons vorliegt und daß die Stickstoffatome im sauren Medium protoniert werden. Im
weiteren erfolgt eine Diaza-Cope-Umlagerung (Cope-Umlagerungen siehe Abschnitt 3.10.5).
Im nächsten Schritt wird unter Abspaltung eines Protons der aromatische Zustand des Ben-
zolkerns wiederhergestellt.

H3C H2C H2C


Imin-Enamin C R
C R Tautomerie C R 2H
H
N NH N
N N N H
H H
H H
H H H H
C C
Diaza-Cope- C R C R
Umlagerung H
H H + H
N N
N H N H
H H H H

Die Aminogruppe greift die Iminogruppe nucleophil an. Der Stickstoff bindet sich mit
seinem freien Elektronenpaar unter Ringschluß an das Kohlenstoffatom der Iminogruppe. Es
folgt eine Protonenwanderung und schließlich findet, durch den –I-Effekt der –NH3+-Gruppe
angeregt, eine Eliminierungs-Reaktion statt, unter Abspaltung von H+ und der –NH3+-Gruppe,
die eine gute Abgangsgruppe ist. Der letzte Schritt wird dadurch begünstigt, daß er zum In-
dol-Derivat führt, in dem auch der Fünfring in das aromatischen System einbezogen ist.

H H
H H
C
C
C R
C R
N H
N NH2
N H
H H H H

H
H H
C C
C R C R + NH4
N NH2 N
H H H
1006 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

25.3 Sechsringe mit Stickstoff als Heteroatom

25.3.1 Pyridin und seine Derivate

Pyridin (Siedetemperatur 115°C) ist eine übelriechende, mit Wasser und Alkohol gut misch-
bare Flüssigkeit. Der üble Geruch von Brennspiritus rührt von einem Zusatz mit Pyridin her,
mit dem der Alkohol vergällt, d.h. zum Trinken unbrauchbar gemacht wird. Das Vergällen
des Alkohols geschieht aus Steuergründen, da für alkoholische Getränke weit höhere Steuern
vom Staat einbezogen werden. Pyridin wird als Lösungsmittel und bei manchen Reaktionen
als schwache Base verwendet.

Trivialnamen. Im Pyridinmolekül unterscheidet man als substituierbare Stellungen die α-, β-


und γ-Stellung. Die beiden α-Stellungen sind gleichwertig und ebenso die beiden β-Stellun-
gen. Derivate des Pyridins werden häufig mit Trivialnamen bezeichnet.

CH3
γ
CH3
β β

α α
N N N CH3 N N

H
Pyridin Piperidin α-Picolin β-Picolin γ-Picolin

CH3 CH3 COOH


4 COOH
5 3

6 2
N1 CH3 H3C N CH3 H3C N CH3 N N
2,4-Lutidin 2,6-Lutidin sym-Collidin Nicotin- Isonikotin-
säure säure

25.3.1.1 Synthese des Pyridins


Pyridin und einige seiner Derivate können aus Steinkohlenteer gewonnen werden. Pyridin
selbst wird auch aus Acetylen und Ammoniak synthetisiert.
Die Synthese nach Hantzsch kann für die Synthese vieler Pyridinderivate genutzt werden.
Hierbei tritt eine Kondensationsreaktion eines β-Ketoesters mit einem Aldehyd und Ammo-
niak ein, die als Zwischenprodukt zu einem Dihydroderivat des Pyridins führt.
25.3 Sechsringe mit Stickstoff als Heteroatom 1007

R H
O C O O R H O
C
EtO C CH2 O H2C C OEt
110 °C
EtO C C C C OEt
- 3 H2O
C O O C H3C C C CH3
H3C CH3 N
H H
N
H
H
1H,4H-Dihydropyridinderivat
Anmerkung: Für die Ethylgruppe –CH2CH3 wird die Abkürzung Et verwendet.

Das 1H,4H-Dihydropyridinderivat läßt sich leicht, z.B. mit Salpetersäure, zum Pyridinde-
rivat oxidieren, weil die Verbindung dadurch in den aromatischen Zustand versetzt wird. Die
Estergruppen des Pyridinderivats werden verseift, und das Reaktionsprodukt durch Erhitzen
mit CaO decarboxyliert.
R R
O R H O O O 1.) Lauge
C C 2.) CaO, C
EtO C C C C OEt EtO C C C C OEt HC CH
HNO3 Δ
H3C C C CH3 - 2 H2 H3C C C CH3 - 2 EtOH H3C C C CH3
N N - 2 CO2 N

H
4-Alkyl-2,6-di-
methylpyridin
An der Synthese des Dihydropyridinderivats nach Hantzsch sind drei Verbindungen be-
teiligt: Acetessigsäureethylester, ein Aldehyd und Ammoniak. Je nachdem, in welcher Folge
sie miteinander reagieren, kann die Reaktion nach zwei nebeneinander einhergehenden Re-
aktionsabläufen erfolgen, wobei das gleiche Produkt, nämlich das Dihydropyridinderivat,
gebildet wird.
Synthese des Dihydropyridinderivats, bei der der Acetessigsäureethylester mit Ammoni-
ak reagiert und eine Michael-Addition des Enamins an den ungesättigten Ketoester erfolgt:
a) Reaktion des Acetessigsäureethylesters mit dem Aldehyd. Es erfolgt eine Knoevenagel-
Kondensation (siehe Abschnitt 13.4.1.4) des Essigsäureethylesters mit dem Aldehyd, und
es entsteht ein ungesättigter Ketoester. NH3 erfüllt die Funktion einer Base als Reaktions-
Katalysator.
R
H R H R
C Aldehyd C H C
NH3
HO C COOEt C COOEt
O H - H2O
+ O C O C
H2C COOEt CH3 CH3

O C
CH3
Acetessigsäureethylester ungesättigter Ketoester
1008 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

b) Reaktion des Acetessigsäureethylesters mit Ammoniak.


Es erfolgt eine nucleophile Addition des Ammoniaks an die Carbonylgruppe (siehe Ab-
schnitt 13.4.3.1) des Acetessigsäureethylesters, worauf sich unter Wasserabspaltung ein
Imin bildet. Dieses steht im tautomeren Gleichgewicht mit dem Enamin (Imin-Enamin-
Tautomerie).

O H O H O H Imin-Enamin EtOOC H
- H2O Tautomerie
EtOC C H EtOC C H EtOC C H C

H3C C O H3C C OH C C
+ NH3 NH2 H3C NH H3C NH2

Acetessigsäureethylester Imin Enamin

c) Reaktion der beiden unter a) und b) gebildeten Produkte miteinander.


Der ungesättigte Ketoester und das Enamin reagieren miteinander, wobei das Enamin als
nucleophiler Partner auftritt und sich in einer Michael-Addition (1,4-Addition, siehe Ab-
schnitt 13.4.5.3) an den ungesättigten Ketoester bindet. Die positive Ladung am Stick-
stoff polarisiert die N–H-Bindung, H+ wird abgespalten. Der negativ geladene Sauerstoff
bindet das Proton.

H R H R
O H R O O O O O
C C
C
EtOC CH Michael- EtOC CH C COEt EtOC CH C COEt
C COEt Addition
H3 C C C CH3 H3C C C CH3 H3C C C CH3
H
N O N O N O
H H H H H
Enamin ungesättigter Ketoester Iminenolverbindung

Nunmehr befindet sich an einem Kettenende des Zwischenprodukts eine Iminogruppe


und am anderen liegt eine Enol-Gruppierung vor. Das Enol steht durch die Keto-Enol-Tauto-
merie (siehe Abschnitt 13.4.7.1) im tautomeren Gleichgewicht mit der Ketofunktion und das
Imin durch die Imin-Enamin-Tautomerie (siehe Abschnitt 13.4.3.2) mit dem Enamin. Der
Ringschluß erfolgt durch die nucleophile Addition der Amino- an die Carbonylgruppe. Nach
dem Protonenübergang von positiven Stickstoff zum Sauerstoff erfolgt eine Wasser-
abspaltung unter Bildung eines Dihydropyridinderivats, des Diethyl-1H,4H-dihydro-4-alkyl-
2,6-dimethyl-3,5-pyridindicarboxylats.
25.3 Sechsringe mit Stickstoff als Heteroatom 1009

H R H R H R
O O O O O O
C C C
EtOC CH C COEt
Keto-Enol- EtOC CH HC COEt
Imin-Enamin-
EtOC C HC COEt
Tautomerie Tautomerie
H 3C C C CH3 H3C C C CH3 H3C C C CH3

N O N O H 2N O
H H H
Iminenolverbindung Iminketoverbindung Enaminketoverbindung

H R H R H R
O O O O O O
C C C
Cyclisierung
EtOC C HC COEt EtOC C HC COEt EtOC C C COEt
- H2O
H3C C C CH3 H 3C C C CH3 H3C C C CH3
N N N
O O
H
H H H
H
Diethyl-1H,4H-dihydro
-4-alkyl-2,6-dimethyl-3,5-
pyridindicarboxylat
Reaktionsfolge der Synthese des Dihydropyridinderivats, bei der eine Michael-Addition
des Acetessigsäureethylester-Anions an den ungesättigten Ketoester erfolgt und dann das
Reaktionsprodukt mit Ammoniak reagiert:
a) Reaktion des Acetessigsäureethylesters mit dem Aldehyd: Bei diesem Reaktionsweg
erfolgt zunächst ebenfalls eine Knoevenagel-Kondensation (siehe Abschnitt 13.4.1.4) des
Essigsäureethylesters mit dem Aldehyd, und es entsteht ein ungesättigter Ketoester.
H R H R H R
C Aldehyd C C
NH3
HO C COOEt C COOEt
O H - H2O
+ COOEt C C
H2C CH3
O O CH3
C
O CH3
Acetessigsäureethylester ungesättigter Ketoester
b) Reaktion des Acetessigsäureesters als C-Säure mit dem ungesättigten Ketoester: Der
Acetessigsäureester ist eine C-Säure (siehe Abschnitt 15.7.2.4). Die zur Methylengruppe
–CH2– benachbarten Carbonylgruppen polarisieren im Acetessigsäureester die C–H-Bin-
dung, so daß in Gegenwart einer Base die Abspaltung eines Protons aus der CH2-Gruppe
erfolgen kann. Als Base tritt in diesem Fall Ammoniak auf, das unter Bildung eines Am-
monium-Ions das abgespaltene Proton bindet.

O H NH3 O NH 4

Et O C C H Et O C C H

C C
H 3C O H 3C O

Acetessigsäureethylester Carbanion des Acetessigsäureethylesters


1010 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

Das aus dem Acetessigsäureester nach Abspaltung des Protons entstandene Carbanion
reagiert in einer Michael-Addition (siehe Abschnitt 13.4.5.3) mit dem in Reaktion a) ge-
bildeten ungesättigten Ketoester. Das zunächst entstandene Enolation nimmt vom Am-
moniumion ein Proton auf. Die Enol-Form steht mit der Keto-Form im tautomeren
Gleichgewicht. Das Zwischenprodukt ist ein Diketodiester.

NH4 R R
O O O O
CH CH
EtO C C H C C OEt EtO C CH C C OEt

C C C C
H3C O O CH3 H3C O O CH3

NH4
Carbanion ungesättigter Ketoester Enolation
R R R
O O O O O O
CH CH CH
EtO C CH C C OEt EtO C CH C C OEt EtO C CH HC C OEt

C C C C C C
H3C O O CH3 H3C O O CH3 H3C O O CH3

H
H3N H H3N H3N

Ketoenoldiester Diketodiester

c) Reaktion des Diketodiesters mit Ammoniak


Der Diketodiester reagiert mit Ammoniak, und es entsteht ein Iminoketodiester (zu Imin
siehe Abschnitt 13.4.3.2), der mit dem Enaminoketodiester im tautomeren Gleichgewicht
steht (siehe Abschnitt 13.4.3.2).

R R R
O O O O O O
CH CH CH
EtOC CH HC COEt EtOC CH HC COEt EtOC C HC COEt
- H2O
C C C C C C
H3C O O CH3 H3C N O CH3 H3C N O CH3
H
H H
+ NH3

Iminoketodiester Enaminoketodiester

Unter Ringschluß erfolgt eine nucleophile Addition des Stickstoffs an die verbliebene
Ketogruppe. Die positive Ladung am Stickstoff polarisiert die N–H-Bindung, und es er-
folgt die Abspaltung eines Protons, das vom negativ geladenen Sauerstoff aufgenommen
wird.
25.3 Sechsringe mit Stickstoff als Heteroatom 1011

R R R
O O O O O O
CH CH CH
EtOC C HC COEt EtOC C HC COEt EtOC C HC COEt

C C C C C C
H3C N O CH3 H 3C N CH3 H3C N CH3
O O
H H
H H H H
Enaminoketodiester

Zuletzt wird Wasser aus dem Molekül abgespalten.

R R
O O O O
CH CH
EtOC C HC COEt EtOC C C COEt
+ H2O
C C C C
H3C N CH3 H3C N CH3
O
H H H
1H,4H-dihydro-4-alkyl-2,6-dimethyl-
3,5-pyridindicarbonsäurediethylester

25.3.1.2 Reaktionen des Pyridins


Die Basizität des Pyridins ist durch das freie Elektronenpaar am Stickstoff bedingt. Pyridin
gehört zu den heterocyclischen Aromaten (siehe Abschnitt 6.8.3). Durch die Elektronegati-
vität des Stickstoffs, der die Elektronen an sich zieht, ist der Pyridinring relativ elektronen-
arm. Soweit keine aktivierende Substituenten an den Ring gebunden sind, erfolgen SE-
Reaktionen nur unter extremen Bedingungen, bevorzugt wird hierbei die β-Stellung im
Pyridin (siehe Abschnitt 6.8.3). Möglich sind auch nucleophile Substitutionen in die α-
Stellungen bzw. in die γ-Stellung des Pyridins, z.B. kann die Tschitschibabin-Reaktion
erfolgen (siehe Abschnitt 6.8.3).

25.3.2 Stickstoffanaloga des Naphthalins

Zu den Stickstoffanaloga des Naphthalins zählen das Chinolin und das Isochinolin.
5 4 5 4
6 3 6 3

7 2 7 N
N1 2
8 8 1
Chinolin Isochinolin
1012 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

25.3.2.1 Die Skraupsche Chinolinsynthese


In ein Reaktionsgemisch von Anilin, Glycerin und einem Oxidationsmittel (Nitrobenzol, Ar-
senpentoxid oder Eisen(III)-oxid) wird konz. Schwefelsäure zugegeben. Das Gemisch wird
vier Stunden auf 150°C erhitzt.
H2C OH Oxidans, konz. H2SO4,
4 h 150 °C
+ HC OH
- 3 H2O
NH2 H2C OH N
Anilin Glycerin Chinolin
Bei der Skraupschen Chinolinsynthese spaltet zunächst die konz. Schwefelsäure aus dem
Glycerin Wasser ab, wobei Acrolein entsteht.
H HO H H H
O O
HO C H C Keto-Enol- C C
H2SO4 Tautomerie H2SO4
HC OH HC HC H HC
- H2O - H2O
HO CH2 H2C OH H2C OH H2C

Es erfolgt eine nucleophile 1.4-Addition (siehe Abschnitt 13.4.5.2) des Anilins an Acrol-
ein. Im Zwischenprodukt verursacht die positive Ladung am Stickstoff eine Polarisierung der
N–H-Bindung, so daß eine Abspaltung von H+ stattfindet. Im sauren Medium wird der nega-
tive Sauerstoff protoniert. Durch die Keto-Enol-Tautomerie steht das entstandene Enol im
Gleichgewicht mit der Keto-Form.

O H O H O H
C C C
CH CH -H CH

CH2 CH2 CH2


N N N
H H H H
H

H O H O H
C C
Keto-Enol-
H CH Tautomerie CH2

CH2 CH2
N N

H H

Der Sauerstoff der Carbonylfunktion des Aldehyds wird im sauren Medium protoniert,
worauf eine SE-Reaktion des aromatischen Kerns mit der Seitenkette erfolgt, die zum Ring-
schluß führt.
25.3 Sechsringe mit Stickstoff als Heteroatom 1013

H O H H O H H O H
H O H H O H
C C C
CH2 CH2 CH2
H
CH2 CH2 CH2
N N N N N

H H H H + H H

Durch Abspaltung von Wasser aus dem 4-Hydroxy-1,2,3,4-tetrahydrochinolin wird das


1,2-Dihydrochinolin gebildet. Dieses kann leicht zu Chinolin dehydriert werden, da durch
die Dehydrierung der heterocyclische Ring in den aromatischen Zustand übergehen kann.
H
H
H O H H O H
H H
H - H2O
H H

N N N

H H H
4-Hydroxy-1,2,3,4- Dehydrierung
tetra-hydrochinolin mit Nitro-
-H
benzol

N N

H
1,2-Dihydrochinolin Chinolin

Reaktionen des Chinolins und Isochinolins siehe Abschnitt 6.8.3.

25.3.3 Heterocyclen mit 2 Stickstoffatomen im Sechsring

25.3.3.1 Diazabenzole (Diazine)


Zu den Diazabenzolen gehören: Pyridazin (1,2-Diazin), Pyrimidin (1,3-Diazin) und Pyrazin
(1,4-Diazin).
N
N
Pyridazin Pyrimidin Pyrazin
N
N N N

Von diesen drei isomeren Diazinen ist das Pyrimidin zweifellos das wichtigste. Zu den
Pyrimidinderivaten zählt die Barbitursäure, die aus Malonsäurediethylester und Harnstoff in
Gegenwart einer starken Base, z.B. Natriumethanolat, synthetisiert werden kann (siehe Ab-
schnitt 17.3.4.3). Mono- und Dialkylderivate der Baritursäure haben den Sammelnamen
Barbiturate. Sie werden durch Kondensation von Harnstoff mit substituierten Malonestern
1014 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

synthetisiert (siehe Abschnitt 17.3.5.5). Einige dieser Monoalkyl- bzw. Dialkylderivate wer-
den als Schlafmittel und Narkotika (Betäubungsmittel, die eine reversible Lähmung der
Ganglienzellen des Zentralnervensystems verursachen) eingesetzt. Kurz wirkende Barbitura-
te, z.B. Nembutal, nehmen Patienten ein, die schlecht einschlafen können, mittellang wir-
kende Barbiturate, z.B. Amobarbital, solche, die in der Nacht aufwachen, und lange wirken-
de Barbiturate, z.B. Phenobarbital, finden als Sedativum (Beruhigungsmittel) Anwendung.
Veronal wird als Schlafmittel, als Komponente in Sedativa und Anästhetika (schmerzstillen-
de Mittel) verwendet. Die Barbiturate können zur Abhängigkeit führen, wenn sie längere
Zeit in höheren Dosen eingenommen werden.

O H R1 R2
4 3 Barbitursäure H H
R1 5 C N
2 Nembutal –CH3 H3C–CH–CH2CH2CH3
C C O
Amobarbital –CH2CH3 –CH2CH2CH(CH3)3
R2 1
C N Phenobarbital –CH2CH3 –C6H5

O H Veronal –CH2CH3 –CH2CH3

25.3.3.2 Phenazin
Phenazin (9,10-Diazaanthracen) kann durch Kondensation aus o-Phenylendiamin und
o-Benzochinon dargestellt werden:
NH2 O N
+ + 2 H2O

NH2 O N
o-Phenylendiamin o-Benzochinon Phenazin

25.4 Siebenringe mit Stickstoff als Heteroatom


Die einfachste Verbindung mit einem Stickstoff im Siebenring ist das Azepin. Wichtiger
aber sind Diazepine mit 2 Stickstoffatomen im Siebenring. Das 5-Phenyl-1,4-benzodiazepin
stellt das Grundskelett einer ganzen Reihe von Verbindungen dar, die als Schlafmittel, Tran-
quilizer und Anxiolytika vielfach Verwendung finden. Tranquilizer dienen zur Bekämpfung
von Erregungs- und Angszuständen durch Dämpfung bestimmter Bereiche des Zentralner-
vensystems ohne hypnotische Nebenwirkungen. Anxiolytika werden gegen Angstzustände
eingenommen, in ihrer Wirksamkeit sind sie milder als Tranquilizer. In der Medizin oft
benutzte Benzodiazepinderivate sind das Chlordiazepoxid (Librium®)1 und das Diazepam
(Valium®).

1
Das hochgestellte Symbol ® zeigt an,daß es sich um den Namen eines eingetragenen Firmenprodukts
handelt (R = Abkürzung für registered as trademark).
25.5 Naturstoffe mit fünfgliedrigen Stickstoff-Heterocyclen 1015

H
1 1 H H O
2 H 2 H 9 1N 2 9 1N 2 9 1N 2
N N C C C
C C 8 8 8
7 3 7 3 3 3 3
CH2 CH2 CH2 CH2 CH2
6 6 7 7 7
C N N N N
5C 4 5C 4 6 5C 4 6 5C 4 6 5C 4
H 1'
H H H 1'
6' 2' 6' 2'
Azepin 1,4-Diazepin 1,4-Benzodiazepin
5' 3' 5' 3'
CH3
NH CH3 O 4' 4'
9 1N 2 9 1N 2
C C 5-Phenyl-1,4- 5-Phenyl-1,2-dihydro-
8 3 8 3
CH2 CH2 benzodiazepin 1,4-benzodiazepin-2-on
7 7
Cl N4 Cl N
6 5C 6 5C 4
O

Chlordiazepoxid Diazepam

25.5 Naturstoffe mit fünfgliedrigen Stickstoff-Heterocyclen

25.5.1 Heterocyclen mit 1 Stickstoffatom im Fünfring

25.5.1.1 Pyrrolidinderivate
Das Tetrahydroderivat des Pyrrols ist das Pyrrolidin. Die Pyrrolidin-2-carbonsäure ist die
heterocyclische Aminosäure Prolin und von diesem abgeleitet mit einer Hydroxygruppe in
Stellung 4, das 4-Hydroxyprolin.
HO
H2C CH2 H2C CH2 C CH2
4 3 H H 4 3 H
2 2
H2C 5 1 CH2 H2C C H2C 5 1 C
N N COOH N COOH
H H H
Pyrrolidin Prolin 4-Hydroxyprolin

25.5.1.2 Porphyrine
Den Porphyrinen liegt ein Porphinskelett zu Grunde. Das Porphin ist ein Tetrapyrrol-
Ringsystem, dessen Pyrrolringe in ihren α-Stellungen jeweils über eine Methingruppe mitei-
nander verbunden sind. In Porphyrinen sind die Pyrrolringe außerdem noch in den β-Stel-
lungen substituiert. Der Tetrapyrrol-Makrocyclus ist durchgehend konjugiert.
1016 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

5
3 4 CH 6 7 CH CH

2 A B 8
NH N NH N NH N
1 21 22 9
20 10
CH CH CH CH HC CH
19 24 23
11
N HN N HN N HN
18 D C 12
16 CH 14 CH CH
17 13
15
Porphin mesomere Grenzformeln des Porphins

a) Das Häm des Myoglobins und Hämoglobins


Im Häm befinden sich in allen β-Stellungen der Pyrrolringe Substituenten. Im Myoglobin
(siehe Abschnitt 24.6.3.1) und Hämoglobin (siehe Abschnitt 24.6.4.2) bildet die Grundstruk-
tur des Häms das Protoporphyrin IX mit 4 Methyl-, 2 Vinylgruppen und 2 Propionsäure-
resten als Substituenten. Außerdem wird zweiwertiges Eisen von zwei Stickstoffatomen des
Porphyrins mit Hauptvalenzen und von 2 Stickstoffatomen mit Nebenvalenzen gebunden.

H3C
7 8 CH
H CH2
5 6
H2C HC 3 C B 9 10
H
4 N C
2 A N
11 Häm des Myoglobins
Fe 12 CH3
H3C N und Hämoglobins
1 C (Eisen-Protoporphyrin
C 13
N 14 IX)
H 20 19 C (CH2)2COOH
D 16
15
H
H3C 18 17 (CH ) COOH
2 2

b) Cytochrome
Cytochrome sind elektronentransportierende Chromoproteine, die ein Häm als prosthetische
Gruppe besitzen. Das Eisenatom im Häm wechselt während des Elektronentransportes seine
Wertigkeit. Bei der Elektronenaufnahme wird Fe3+ zu Fe2+ reduziert und bei der Elektronen-
abgabe Fe2+ zu Fe3+ oxidiert.
Je nach Art des Häms unterscheidet man drei Cytochrom-Typen, die Cytochrome a, b
und c. Im Cytochrom b ist das Eisen-Protoporphyrin IX die prosthetische Gruppe (Formel
siehe oben). Es ist das gleiche Häm, das auch die Wirkgruppe im Myoglobin und Hä-
moglobin darstellt. Bedenkt man, daß das Eisen im Myoglobin und Hämoglobin im Gegen-
satz zum Cytochrom b seine Wertigkeit nicht ändert, so ersieht man daraus, welch domi-
nierenden Einfluß die Proteinkomponente auf die Funktion und Wirkung der prosthetischen
Gruppe hat.
Im Cytochrom a hat das Häm, im Unterschied zum Eisen-Protoporphyrin IX, in Stellung
3 eine längere isoprenoide Kette und in Stellung 18 des Porphyrinrings eine Formylgruppe.
25.5 Naturstoffe mit fünfgliedrigen Stickstoff-Heterocyclen 1017

Das Häm des Cytochrom c ist über zwei von Cysteinresten des Proteins stammende Sul-
fidbrücken an das Trägerprotein kovalent gebunden. Man kann sich das Zustandekommen
dieser Thioetherbindungen so vorstellen, daß die –SH-Gruppen zweier Cysteinreste an die
Vinylgruppen des Protoporphyrins IX addiert werden:

R' Cys S H R' Cys S


+
R CH CH3
R CH CH2

CH3 Protein
(CH2 CH C CH2)3H Cys
S Cys
H 2C
HO CH CH3 H3C CH CH3
S
3 CH CH

H3C
2 A B CH CH2 H3C A B CH CH3
N N N N
1
CH Fe CH CH Fe CH
O N N
18 N N
C D C CH3 H3C D C CH3
H
CH CH
HOOC(CH2)2 (CH2)2COOH HOOC(CH2)2 (CH2)2COOH
Häm des Cytochroms a Häm des Cytochroms c

Reduzierte Fe(II)-Cytochrome haben drei charakteristische Absorptionsmaxima im


Spektrum des sichtbaren Bereichs, das Maximum des α-, β- und γ-Peaks. Bei Nennung des
Cytochroms führt man außer den Buchstaben a, b oder c, die den Grundtyp des Cytochroms
angeben, noch die Wellenlänge des α-Absorptionsmaximums an, z.B. Cytochrom c552 (frü-
her Cytochrom f) oder Cytochrom b563 (früher Cytochrom b6).
In der Atmungskette sind nach dem Coenzym Q (siehe Abschnitt 14.3.2) die Cytochrome
in der Folge Cytochrom b, Cytochrom c und Cytochrom a die letzten Glieder der Elektron-
übertragungskette auf den molekularen Sauerstoff.

25.5.1.3 Chlorophylle und die Photosynthese

a) Chlorophylle
Die Chlorophylle bilden den grünen Blattfarbstoff der Pflanzen und sie sind, als prostheti-
sche Gruppe an Proteine gebunden, an einem der wichtigsten Prozesse in der Natur, an der
Photosynthese, maßgeblich beteiligt. Die Struktur der Chlorophylle kann man von der
Grundstruktur des Chlorins, dem 17,18-Dihydroporphin (Porphinstruktur siehe den vorher-
gehenden Abschnitt) ableiten. Im Molekül des Chlorins befindet sich außer den vier Pyrrol-
ringen noch ein Cyclopentanonring.
1018 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

5
3 CH 6 7
4
2 A B 8
N N
1 9
H 10
20
CH CH
H
19 11
N N
18 D 14 C 12 Chlorin mit Cyclopentanonring

17 16 C 13
15
O
Obwohl der Ring D partiell reduziert ist, liegt in den Chlorophyllen ein durchgehend konju-
giertes System vor. In den Pflanzenzellen findet man zwei Chlorophylle vor, die sich dadurch
unterscheiden, daß das blaugrüne Chlorophyll a in Stellung 7 eine Methylgruppe, und das gelb-
grüne Chlorophyll b eine Formylgruppe hat. Ihre Absorptionsmaxima unterscheiden sich eben-
falls. Die weiteren Substituenten in den β-Stellungen der vier heterocyclischen Fünfringe sind
bei beiden Chlorophyllen gleich. In den Stellungen 2, 12 und 18 befinden sich Methylgruppen,
in Stellung 3 eine Vinylgruppe, in Stellung 8 eine Ethylgruppe und in Stellung 17 ein mit dem
Diterpenalkohol Phytol (siehe Abschnitt 20.1.3) veresterter Propionsäurerest. An den Cyclo-
pentanonring gebunden ist eine Methoxycarbonylgruppe –COOCH3. Die Stickstoffatome des
Chlorophylls binden Magnesium mit 2 Haupt- und 2 Nebenvalenzen.

b Chlorophyll a
Chlorophyll b
Extinktionskoeffizient

a
105
[cm-1 M-1]

400 500 600 700


Wellenlänge [nm]

Bild 25.1 Lichtabsorption des Chlorophylls a und b bei verschiedenen Wellenlängen des sichtbaren
Bereichs
25.5 Naturstoffe mit fünfgliedrigen Stickstoff-Heterocyclen 1019

R = CH3 = Chlorophyll a
H
=C = Chlorophyll b
O

H2C CH R
5
3 CH 6 7
4
2 8
H3C A B CH2CH3
N N
1 9
20 10
CH MgCH
H 19 N N
11
18 D 14 C 12 CH3
H3C 17
16 C 13
H2C H 15
O
H2C H COOCH3
O C CH3 H CH3 CH3 H3

O CH3
Phythylrest
Phythyl = (2E)-(7R,11R)-3,7,11,15-Tetramethyl-2-hexadecen-1-ol
Chlorophyll a und b

Die Bindung des Proteins der Thylakoidmembran an Chlorophyll kann bei relativ milden
Reaktionsbedingungen gelöst werden. Die Spaltung erfolgt schon beim Trocknen von grünen
Blättern oder durch Einwirkung eines organischen Lösungsmittels. Das aus dem Chromo-
protein abgespaltene Chlorophyll ist in organischen Lösungsmitteln gut löslich. Chlorophylle
haben im Molekül fünf asymmetrische Kohlenstoffatome, sind optisch aktiv und stark links-
drehend. Im UV-Licht zeigen Chlorophylle eine starke rote Fluoreszenz.
Die Photosynthese findet in Organellen der Pflanzenzelle statt, die als Chloroplasten be-
zeichnet werden. Sie sind von zwei Membranen umgeben.
Der Innenraum, das Stroma, enthält eine wäßrige Lösung mit verschiedenen Enzymen.
Im Innenraum befindet sich ein Membransystem, das Thylakoid (griech. = Beutel), an dessen
Proteine Chlorophyll gebunden ist. Es bildet Stapel scheibenförmiger Gebilde, die unterei-
nander durch Thylakoidmembranen verbunden sind. Die Thylakoidstapel werden als Gra-
num (lat. granum = Korn) und die sie verbindenden Membranen als Stromalamellen be-
zeichnet.
1020 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

Stroma Chloroplast
Granum

Äußere Begrenzungs-
membran
Innere Begrenzungs-
membran

Stromalamelle

Thylalkoid-Kompartiment
mit Chlorophyll

Bild 25.2 Schema vom Aufbau eines Chloroplasten

b) Photosynthese
Eine Photoreaktion ist allgemein eine Reaktion unter Lichteinwirkung. Die Photosynthese ist
ein Prozeß, in dem die Pflanzen die Energie des Sonnenlichtes zur Umsetzung von H2O und
CO2 in Saccharide nutzen, wobei O2 freigesetzt wird. Der freigesetzte Sauerstoff stammt aus
dem Wasser, keinesfalls vom CO2. Die Pflanze benutzt die Saccharide zur Synthese weiterer
für sie notwendiger Stoffe, z.B. der Polysaccharide Stärke und Cellulose. Die photosynthe-
tisch hergestellten Kohlenhydrate werden außerdem von der Pflanze im oxidativen Kohlen-
hydratabbau zur Deckung ihres Energiebedarfs genutzt. Tiere und Menschen sind direkt oder
indirekt auf Pflanzen als Nahrungsquelle angewiesen. Ohne Sonne und Pflanzen ist unser
Leben deshalb nicht denkbar. Die Photosynthese der Pflanzen hat überdies über Zeitepochen
hinweg die Biosphäre mit Sauerstoff angereichert, den wir daher in genügender Konzentra-
tion in der Luft vorfinden. Unsere fossilen Rohstoffe verdanken wir letztlich auch der Photo-
synthese, denn Kohle und Erdöl entstanden aus vor Jahrmillionen lebenden phototrophen
Lebewesen (Lebewesen, die Licht als Energiequelle für Stoffwechselprozesse nutzen).
Die Photosynthese verläuft in zwei aufeinanderfolgenden Phasen. In der ersten Phase er-
folgt die Lichtreaktion, bei der die Energie des eingestrahlten Lichts für die Photolyse (Spal-
tung des Wassers) und für die Bereitstellung der reduzierten Form des Nicotinamid-adenin-
dinucleotidphosphats NADPH und des Adenosintriphosphats ATP (siehe Abschnitt 14.3.2)
verwendet wird. Die Endprodukte der Lichtreaktion sind also NADPH, das in der nachfol-
genden Dunkelreaktion als Reduktionsmittel auftritt, und ATP, das bei der Phosphorylierung
als Überträger eines Phosphatrestes dient.
In der Dunkelreaktion wird CO2 an einen organischen Akzeptor, an D-Ribulose-1,5-di-
phosphat gebunden (assimiliert) und das Zwischenprodukt zu D-Phosphoglycerat gespalten.
Dieses wird mit ATP zu 1,3-Bisphosphoglycerat phosphoryliert, das dann mit NADPH + H+
zu D-Glycerinaldehyd-3-phosphat reduziert wird.
Ein Teil des bei der Photosynthese produzierten D-Glycerinaldehyd-3-phosphats wird zur
Regenerierung des D-Ribulose-1,5-diphosphats benötigt, der Rest wird zur Synthese anderer
Zucker, z.B. der Glucose, benutzt.
25.5 Naturstoffe mit fünfgliedrigen Stickstoff-Heterocyclen 1021

H2C O PO32 H2C O PO32


O
2 HO C COO 2 HO C C
H2C O PO32 H2C O PO32
H
H2O H H
O C HO C COO + 2 Phosphat
CO2 D -Phosphoglycerat D-Glycerinaldehyd-3-
H C OH C O Phosphat
-H
H C OH H C OH 2 ATP
2 NADP
2 2 2 ADP
H2C O PO3 H2 C O PO3 2 NADPH
+2H
H2C O PO32

2 HO C C O PO32

H O
D-Ribulose-1,5- Zwischenprodukt 1,3-Biphosphoglycerat
diphosphat
In der Lichtreaktion sind die Chlorophylle a und b die wichtigsten Photorezeptoren.
Durch einfallendes Licht werden ihre Elektronen vom Grundzustand in einen angeregten
Zustand versetzt. Das Anheben von π-Elektronen vom Grundzustand in den angeregten
Zustand geschieht um so leichter, je mehr konjugierte Doppelbindungen im System vorhan-
den sind, die eine weitgehende Delokalisierung der π-Elektronen (siehe auch Abschnitt 6.3)
ermöglichen. Das durchgehend konjugierte System von Doppelbindungen im Chlorophyll
ermöglicht eine Anhebung der Elektronen in den angeregten Zustand schon durch das rela-
tiv energiearme Licht des sichtbaren Bereichs. Die meisten Chlorophyllmoleküle haben eine
Antennen-Funktion. Sie empfangen wie Antennen die elektromagnetische Strahlung des
Lichts, sammeln die Lichtenergie und führen sie einem ebenfalls aus Chlorophyllmolekülen
bestehenden Reaktionszentrum zu, das die angeregten (excitierten) Elektronen an Akzeptor-
moleküle weitergibt, die sie weitertransportieren. Die Chlorophyllmoleküle sind eingebettet
in Proteine der Thylakoidmembran und haben einen für den Resonanzenergie-Transfer
(auch Excitonen-Transfer genannt) optimalen Abstand voneinander und eine optimale räum-
liche Orientierung.
Der Resonanzenergie-Transfer ist ein Vorgang, bei dem ein angeregtes Molekül einem
nichtangeregten benachbarten Molekül mit ähnlichen elektronischen Eigenschaften die Anre-
gungsenergie überträgt. Hierbei erfolgt eine Wechselwirkung zwischen den Molekülorbita-
len dieser Moleküle, vergleichbar mit der Wechselwirkung mechanisch gekoppelter Pendel
mit gleicher Schwingungsfrequenz. Die in der Struktur des Lichtsammelkomplexes (light har-
vesting complex LHC) zu hunderten vorliegenden Antennen-Chlorophylle bilden sozusagen
ein angeregtes Supermolekül, das die Anregungsenergie mit 90 prozentiger Ausbeute auf das
photosynthetische Reaktionszentrum übertragen kann. Die Chlorophyllmoleküle des Reak-
tionszentrums benötigen auf Grund der Wechselwirkung mit ihrer spezifischen Umgebung
weniger Energie zur Anregung als die außen gelegenen Antennen-Chlorophylle und können
deshalb die Resonanzenergie von diesen aufnehmen.
Die Elektronenabgabe an ein Akzeptormolekül, das die Weitergabe der Elektronen
durchführt, geschieht durch Chlorophyllmoleküle des Reaktionszentrums. Elektronen im an-
geregten Zustand können leicht an einen Akzeptor übertragen werden. Bei dem Elektronen-
austausch handelt es sich um eine Redox-Reaktion. Der Elektronendonator wird oxidiert, der
-akzeptor reduziert. Erfolgt die Elektronenabgabe an einen Akzeptor durch ein vom Licht
1022 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

angeregtes Donatormolekül, so spricht man von einer Photooxidation des Donatormoleküls.


Durch die Photooxidation wird das Chlorophyll in ein Radikal-Kation umgewandelt. Seine
Elektronenlücke kann es durch Aufnahme eines Elektrons von einem anderen Molekül, das
als Elektronenspender fungiert, schließen und in den Grundzustand zurückkehren.
Die Lichtreaktionen finden in zwei räumlich getrennten Photosystemen statt, die mitei-
nander mit einer Elektronentransportkette verbunden sind. Das Photosystem I, das sein Ab-
sorptionsmaximum bei 700 nm hat (die Bezeichnung P 700 ist die Abkürzung für Pigment-
system 700), ist hauptsächlich in den Stromalamellen zu finden, wo es Kontakt mit dem im
Stroma befindlichen NADP+ haben kann. Das Photosystem II mit Absorptionsmaximum bei
680 nm ist in den dichtgestappelten Thylakoidmembranen des Granums untergebracht. Der
Cytochrom-Komplex, der den Transport der Elektronen vom angeregten Photosystem II zum
Photosystem I gewährleistet, ist über die gesamte Thylakoidmembran verteilt.
Das Photosystem II (PS II) und der Cytochrom-Komplex. Die Elektronen der Antennen-
Chlorophyllmoleküle des Pigmentsystems P 680 werden angeregt und übermitteln diese An-
regung den Chlorophyllmolekülen im photosynthetischen Reaktionszentrum PS II, deren
Pigmentsystem auf ein höheres Potential P 680* angeregt wird. Dieses gibt ein Elektron
zunächst an Phäophitin ab, das vom Plastochinon weitergeleitet wird (Formeln der Plastochi-
none siehe Abschnitt 14.3.2). Durch die Abgabe des Elektrons wird P 680* in das Radikalka-
tion P 680+ umgewandelt. Weitere Elektronenüberträger im Cytochromkomplex, zu denen
das Cytochrom b559, ein Eisen-Schwefel-Protein und Cytochrom c552 gehören, transportieren
das Elektron zum Plastocyanin. Schließlich wird es vom P 700+ im Photosystem I aufgenom-
men, das dadurch zum P 700 regeneriert wird. Das Radikalkation P 680+ wird durch Elek-
tronenaufnahme aus der Photolyse wieder in den Grundzustand P 680 versetzt.
Anmerkung: Das vorher erwähnte Phäophytin hat an Stelle des im Chlorophyll anwesenden
Magnesiums 2 Wasserstoffatome gebunden. Das [2Fe-2S]-Eisen-Schwefel-Protein ist ein
Chromoprotein, in dem Fe die Oxidationsstufe Fe2+ und Fe3+ annehmen kann. Plastocyanin
ist ein Chromoprotein mit einem Kupferkomplex, in dem Cu2+ zu Cu+ reduziert werden kann.

Photo-
- 0,8 system I
e- Phylochinon
- 0,6 P 700*
Photo-
system II P 700 +
- 0,4 Ferredoxine
- 0,2 e-
P 680* Plasto-
0,0 + chinon
P 680
E0 [V]

hv -
0,2 Cytochrom b 559 4e
2 NADP +
Eisen-Schwefel-Protein
0,4 Cytochrom c 552 Plasto- 2 NADPH
P 700
cyanin +2 H +
0,6 e-
hv
0,8 e- Photolyse 2 H2O
- Mn-Komplex
+
1,0 P 680 4e + O2 + 4 H

Bild 25.3 Schema zur Lichtreaktion der Photosynthese


25.5 Naturstoffe mit fünfgliedrigen Stickstoff-Heterocyclen 1023

Die Photolyse. Das nach Abgabe eines Elektrons im Photosystem II entstandene P 680+ ist
ein starkes Oxidans. Es nimmt die Elektronen auf, die bei der Photolyse, der oxidativen Spal-
tung des Wassers, nach der Gleichung

2H2O → O2 + 4H+ + 4 e−

(E = + 0,815 V) frei werden. An der bei der Photolyse erfolgten Freisetzung des Sauerstoffes
ist bei der mehrstufigen Reaktion ein Mangan-Komplex beteiligt.
Das Photosystem I und die Elektronenübertragung auf NADP+. Durch Lichteinstrahlung
werden Elektronen im Photosystem I auf ein höheres Energieniveau angehoben, P 700 wird
in den angeregten Zustand P 700* versetzt. P 700* gibt ein Elektron an das Phylochinon
(= Vitamin K, siehe Abschnitt 14.3.3.1) ab und wird zum Radikalkation P 700+. Das Elek-
tron wird über drei membrangebundene Ferredoxine (S-enthaltende Nichthäm-Eisenprote-
ine) weitertransportiert und auf ein im Stroma befindliches lösliches Ferredoxin übertragen.
Dieses reduziert schließlich NADP+ unter Mitwirkung der Ferredoxin-NADP+-Reduktase zu
NADPH nach der Gleichung
NADP + 2e + H NADPH

Das durch Elektronenabgabe entstandene Radikalkation P 700+ wird durch Aufnahme


eines Elektrons wieder in den Grundzustand P 700 versetzt. Die Elektronen-Zufuhr wird
vom Photosystem II gewährleistet. Dieses bringt die Elektronen ein, die über das Plasto-
chinon und die Elektronenübertragungskette des Cytochromkomplexes zum Plastocyanin
transportiert und auf P 700+ übertragen werden. In der Folge der Photoreaktionen baut sich in
der Thylakoidmembran ein Protonengradient auf. Dieser wird durch enzymatische Synthese
von Adenosintriphosphat (ATP) abgebaut.

25.5.1.4 Corrine
Vitamin B12 und das Coenzym B12. Beiden Verbindungen liegt ein als Corrin bezeichnetes
Ringsystem zugrunde. Es besteht aus drei Azolin- und einem Azolidinring, die untereinander
durch drei Methingruppen verbunden sind, die Ringe A und D sind miteinander in der α-
Stellung direkt verbunden. Bei der Numerierung des Corrinringes wird die Ziffer 20 ausge-
lassen, damit die Numerierung mit ähnlichen tetracyclischen Ringsystemen übereinstimmt.
H
5
3 C 6 7
4
2 A B 8
N N
1 21 22 9
10
C H
19 24 H 23
11
N N
18 D C 12
14
17 16 C15 13
H Corrin
1024 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

Vitamin B12, das auch als Cobalamin bezeichnet wird, ist für die Bildung roter Blutkörper-
chen notwendig. Ein Vitaminmangel hat die perniziöse Anämie zur Folge, eine Erkrankung
mit erniedrigter Zahl roter Blutkörperchen, die für ältere Patienten tödlich verlaufen kann.
Ähnlich wie andere Vitamine, ist Vitamin B12 der Präcursor (= Vorgänger in der Biosynthe-
se) eines Coenzyms, des Coenzyms B12. Vitamin B12 wird durch bakterielle Produktion ge-
wonnen. Zur Nährlösung wird vor der Extraktion Cyanid zugesetzt und das Vitamin als
Cyanocobalamin isoliert.

R
CH2 CO NH2
H3C H
H3C
H2N CO H B CH2 CH2 CO NH2
CH2 CH2 C
N CH
H2N CO CH2
A N
Co
+ CH3
H3C N C CH
CH3 H 3
H
N
C
H2N CO CH2 D CH2
CH3
CH3 CH2
H
H2C
CO NH2
H3C HN CO CH2

O O CH CH2 N C CH3
C C
P OH HC
O O C C
N C CH3
CH CH
5,6-Dimethylbenz-
HC CH imidazolrest

HO CH2 O

Cobalamin R = OH = Hydroxocobalamin
= CN = Cyanocobalamin

Das Coenzym B12 hat eine dem Vitamin B12 sehr ähnliche Struktur. Einer der Liganden
des Cobalts ist der 5'-Desoxyadenosylrest. Das Kohlenstoffatom ist in diesem Rest kovalent
mit dem Co verbunden. Die direkte kovalente Bindung eines Kohlenstoffes an Metall gehört
in Naturstoffen zu den Ausnahmen. Ungewöhnlich in Naturstoffen ist auch der 5,6-Dime-
thylbenzimidazolrest (siehe Abschnitt 25.5.2.1), der sowohl im Vitamin B12 als auch im
Coenzym B12 vorliegt. Das Coenzym B12 katalysiert Reaktionen, die mit Wasserstoff- und
Alkylumlagerungen verbunden sind.
25.5 Naturstoffe mit fünfgliedrigen Stickstoff-Heterocyclen 1025

HO OH
3' 2' 5'-Desoxy-
CH CH adenosylrest
4' 1'
HC CH
N
O N C C
5'CH
2 HC
C N
N C
H2N CO CH2
H3C H NH2
H3C
H2 N CO H B CH2 CH2 CO NH2
CH2 CH2 C
N CH
H2N CO CH2
A N
Co +
CH3
H3 C N C
CH3 CH
H H 3
N
C
H2N CO CH2 D CH2
CH3
CH3 CH2
H
H2C
CO NH2
H3C HN CO CH2
3 4
O O CH CH2 N C 5 CH3
2 C C
P OH HC 6
O O C C
N1 C CH3
CH CH
Coenzym B12
5,6-Dimethylbenz-
HC CH imidazolrest

HO CH2 O

25.5.1.5 Gallenfarbstoffe
Die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) haben im menschlichen Körper eine Lebensdauer
von durchschnittlich 120 Tagen. Alte Erythrozyten werden durch oxidativen Abbau des
Häms aus dem Kreislauf entfernt und von der Milz abgebaut. Das Häm wird durch die Häm-
Oxygenase oxidativ zu Biliverdin gespalten, wobei die 5-Methingruppe in Form von CO
abgespalten wird. Das abgespaltene Fe3+ wird vom Körper wiederverwertet.
oxidative Spaltung
+ CO
H 2C CH CH3 H2C CH CH3
5 O O
3 4 CH 6 7
2 8
H3C A B CH CH2 H3C A B CH CH2
1 N N O2, H2O N N
9
20 10 Oxygenase
HC Fe CH HC H H CH
H
19 11 3
N N Fe N N
18 12
H3 C D 16 C CH3 H3C D C CH3
17 CH 14 13 CH
15
HOOC(CH2)2 (CH2)2COOH HOOC(CH2)2 (CH2)2COOH
Häm (Eisen-Protoporphyrin IX) (rot) Biliverdin (grün)
1026 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

Biliverdin wird mit NADPH + H+ im Beisein von Biliverdin-Reduktase zu Bilirubin re-


duziert. Das grüne Biliverdin und das orangerote Bilirubin, das die Rotfärbung der Gallen-
flüssigkeit verursacht, gehören in die Gruppe der Gallenfarbstoffe. Dies ist der Sammelname
für die unter Spaltung des Porphyrinringes entstandenen Abbauprodukte des Häms. Das
Bilirubin wird an Serumalbumin (ein Protein des Blutserums) gebunden zur Leber transpor-
tiert, dort mit Glucuronsäure (siehe Abschnitt 21.6.4.4) durch Veresterung seiner beiden
Propionsäure-Reste zu dem besser wasserlöslichen Bilirubindiglucuronid umgesetzt und in
die Galle abgegeben. Aus ihr wird es mit der Gallenflüssigkeit ausgeschieden.
H2C CH CH3 H2C CH CH3
O O O O

H3C A B CH CH2 H3C A B CH CH2


N N N N
NADPH + H NADP
H H H H
HC CH HC CH
H H H
Biliverdin-Reduktase
N N N N
H3C D C CH3 H3C D C CH3
CH CH2
HOOC(CH2)2 (CH2)2COOH HOOC(CH2)2 (CH2)2COOH

Biliverdin (grün) Bilirubin (rot-orange)


Im Dickdarm wird die esterglycosidisch (Glycoside siehe Abschnitt 21.6.9) an Bilirubin
gebundene Glucuronsäure wieder freigesetzt. Die mikrobiellen Enzyme der Darmflora redu-
zieren Bilirubin zu Urobilinogen. Ein Teil des Urobilinogens wird resorbiert und gelangt mit
dem Blut zur Niere, wo Urobilin gebildet und mit dem Harn ausgeschieden wird. Es verleiht
dem Harn eine gelbe Färbung. Das meiste Urobilinogen wird aber im Darm in Stercobilin
umgesetzt. Das rotbraune Stercobilin ist das Hauptpigment der Fäces (siehe Schema 25.1).
Bei abnorm hohem Erythrocytenabbau, einer Fehlfunktion der Leber oder einer Verstop-
fung des Gallengangs, liegt im Blut eine hohe Bilirubin-Konzentration vor. Das schwerlösli-
che Bilirubin setzt sich dann in der Haut und der Bindehaut der Augen ab, die sich dadurch
gelb färben. Diese Haut- und Bindehautverfärbung bezeichnet man als Gelbsucht (Ikterus).
Stößt man irgendwo an, bekommt man einen blauen Fleck (Hämatom). Der stufenweise
Abbau des Häms ist durch den Farbwechsel beim Heilprozeß gut sichtbar.

25.5.1.6 Indolderivate
β
α Indol
N

H
Tryptophan ist eine Aminosäure, die als Derivat des Indols aufgefaßt werden kann, man
kann es als β-Indolylalanin bezeichnen. β-Indolylessigsäure, auch Heteroauxin genannt, ge-
hört in die Reihe der Auxine, das sind Pflanzenwuchshormone.
25.5 Naturstoffe mit fünfgliedrigen Stickstoff-Heterocyclen 1027

Schema 25.1:
H2C CH CH3 H3C CH2 CH3
O O O O

H3C A B CH CH2 H3C A B CH2 CH3


N N N N
8H H H
H H H H
HC CH H2C H H CH2
H H mikrobielle Enzyme
N N des Darms N N
H3C D C CH3 H3C D C CH3
CH2 CH2

HOOC(CH2)2 (CH2)2COOH HOOC(CH2)2 (CH2)2COOH

Bilirubin Urobilinogen
(rot-orange) (farblos)
2H
mikrobielle
Enzyme im in der Niere
Dickdarm 2H
H3C

H CH2 O O
CH3 H3C CH2
O O
CH3
H
H H
H3C A B CH2 CH3 H3C A B CH2 CH3
N N N N
H H H H
H H H H
H2C CH2 H2C H CH2
H
N N N N
H3C D C CH3 H3C D C CH3
CH CH
HOOC(CH2)2 (CH2)2COOH HOOC(CH2)2 (CH2)2COOH

Stercobilin Urobilin
(rotbraun) (gelb)

H 2C CH COOH H2C COOH


β
NH2
α
N N

H H
Tryptophan β-Indolylessigsäure

Indican ist in der Indigopflanze (Isatis tinctoria) enthalten. Die Verbindung ist ein Glu-
cosid, das durch Enzyme im Wasser zum gelben Indoxyl hydrolysiert wird. An der Luft wird
Indoxyl zu blauem Indigo oxidiert.
1028 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

CH2OH HO O

H O Keto-Enol-
O H 2O Tautomerie
H
OH H - D-Glucose H2C

OH H N N
N
H OH H H
H
Indican Indoxyl
O H O

N
2 H2C + O2 C C + 2 H2O
N N
H O H

Indoxyl Indigo

Die beiden Fünfringe des Indigos nehmen um die zentrale Doppelbindung eine E-Konfi-
guration ein. Diese Konfiguration ermöglicht die Ausbildung zweier Wasserstoffbrücken.
Der Indigo als blauer und Alizarin (siehe Abschnitt 14.3.4) als roter Farbstoff waren
schon in der Antike bekannt. Keilschriften belegen, daß die Ägypter die Kunst der Indigof-
ärbung schon vor 4000 Jahren beherrschten. Der am meisten geschätzte Farbstoff der Antike
war der antike Purpur. Die Purpurfärberei soll von den Phöniziern schon vor etwa 2000 Jah-
ren betrieben worden sein. Der antike Purpur wurde aus dem Drüsensekret der Purpurschne-
cke (Murex brandaris) gewonnen. Da man zur Gewinnung von 1 g des Farbstoffes 8000 Pur-
purschnecken benötigte, war dieser Farbstoff sehr teuer. Antiker Purpur ist identisch mit
Dibromindigo.

H O
Br N
C C
Dibromindigo
N Br
O H

Die Indigofärberei wird auch heute noch in beträchtlichem Ausmaße betrieben und zwar
zum Färben von Jeans-Hosen. Da Indigo nicht wasserlöslich ist, wird er zum Anfärben erst
mit Natriumdithionit Na2S2O4 · 2 H2O in alkalischer Lösung reduziert. Nach Aufziehen der
als Indigweiß bezeichneten schwach gelben und wasserlöslichen Leukoverbindung wird die
Textilie an der Luft belassen, wo es wieder zum blauen Indigo oxidiert wird. Farbstoffe, die
wie der Indigo zum Aufziehen auf das zu färbende Material erst reduziert und dann reoxidiert
werden müssen, bezeichnet man als Küpenfarbstoffe. Der Ausdruck stammt vom nieder-
deutschen Wort Küpe, die Bezeichnung für den Holzkübel, in dem Indigo reduziert wurde.
Heute wird Indigo synthetisch hergestellt. Die Heumann-Pfleger-Synthese geht aus von Ani-
lin, Formaldehyd und NaCN. Das α-Anilinoacetonitril wird zum Phenylglycin hydrolysiert
und dieses dann in der Alkalischmelze mit Natriumamid bei 180°C zum Indoxyl umgesetzt.
25.5 Naturstoffe mit fünfgliedrigen Stickstoff-Heterocyclen 1029

H O H O

N N
Na2S2O4/OH
C C C C
O2
N N

O H O H

Indigo Indigweiß
Heumann-Pfleger-Synthese:
O
H HO NaNH2
H C C N C O 180 °C
NaCN H /2 H2O
CH2
O - NaOH CH2 CH2 - H2O
- NH4 N
N H N N

H H H H
Anilin + Formaldehyd α-Anilinoacetonitril Phenylglycin Indoxyl

25.5.2 Heterocyclen mit 2 Heteroatomen im Fünfring

25.5.2.1 Imidazolderivate
Zu den Fünfringen mit 2 Stickstoffatomen gehören Pyrazol und Imidazol. Pyrazol spielt in
Naturstoffen kaum eine Rolle. Die Imidazolgruppe ist mit einigen seiner Derivate in wichti-
gen Naturstoffen vertreten. 5,6-Dimethylbenzimidazol wurde bereits beim Vitamin B12 und
dem Coenzym B12 erwähnt.

H
H H H 4
4 3 4 3 H 5 C 3
C C C N N
C C 2
5 2 2 C H
C N 5C C 6C C
H N1 H N1 H N1
H 7C
H H H H
Pyrazol Imidazol Benzimidazol

Die Aminosäure L-(–)-Histidin (das β-[4-Imidazolyl]-alanin) gehört zu den Eiweißbau-


steinen. Durch Abspaltung von CO2 geht es in das physiologisch wirksame Histamin über.
Dieses erweitert die Blutgefäße, kontrahiert die glatte Muskulatur und steigert die Drüsen-
sekretion. Es ist entzündungserregend, und in dieser Eigenschaft kann es auch allergische
Erkrankungen fördern, z.B. Heuschnupfen.
1030 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

β α
H2C CH COOH H2C CH2
3 4
N C NH2 N C NH2
2 + CO2
C C C C
H N1 H H N H

H H
Histidin Histamin
Biotin wird als Vitamin H bezeichnet. Es besteht aus einem bicyclischen Heterosystem
mit einem Tetrahydroimidazolon- und einem Tetrahydrothiophenring. In Stellung 2 hat es
einen Valeratrest als Seitenkette. Der Tagesbedarf an Vitamin H beträgt 150 μg. Ein Biotin-
mangel tritt selten auf, da Biotin in vielen Nahrungsmitteln (Leber, Niere, Hefe, Eigelb,
Milch) enthalten und von Darmbakterien synthetisiert werden kann. Bei Vitaminmangel tritt
eine als Seborrhea bekannte Hautkrankheit auf (Ekzeme bei gesteigerter Absonderung der
Talgdrüsen, erhöhte Schuppenbildung).
O O O
5 O
6 C 4 C C
HN NH HN NH C N NH
7 3 HCO3 , ATP O
H C C H H C C H H C C H
H O - H2O O
8 H H
H2C 1 2 C H2C C H2C C
S (CH2)4COO S (CH2)4C NH S (CH2)4C NH

(CH2)4 (CH2)4

Protein Protein
Biotin Biotin-Enzym Carboxybiotin-Enzym
Das Biotin-Enzym hat Biotin als prosthetische Gruppe, das mit einem Lysinrest an das
Enzym-Protein gebunden ist. Es kann als Carboxylase die Carboxygruppe reversibel binden
und diese auf andere Systeme übertragen.

25.5.2.2 Thiazolderivate
a) Vitamin B1
Vitamin B1, auch Thiamin oder Aneurin genannt, hat im Molekül sowohl einen Thiazolium-,
als auch einen Pyrimidinring. Der Tagesbedarf beträgt 2 mg. Ein Mangel des Vitamins B1
führt zu der als Beriberi bekannten Erkrankung. Sie äußert sich durch Lähmungen, Muskel-
schwund (Atrophie) der Extremitäten, Herzerweiterung (Dilatation) mit Störungen der Herz-
funktion, Flüssigkeitsansammlungen in Geweben und Körperhöhlen (Ödeme) und kann zum
Tod durch Herzversagen führen. Die Krankheit tritt vorwiegend in Ostasien auf, wo der Reis,
der relativ wenig Thiamin enthält, die Hauptnahrung bildet. Die Krankheit haben besonders
jene Menschen in diesen Regionen, die längere Zeit „polierten“ Reis konsumierten, bei dem
Silberhäutchen und Keim, die Thiamin enthalten, entfernt worden sind.
25.5 Naturstoffe mit fünfgliedrigen Stickstoff-Heterocyclen 1031

NH2
CH3
CH2
N N
CH2 CH2 OH

H3C N S

Pyrimidin- Thiazolium-
ring ring

Vitamin B1 (Thiamin)

NH2
CH3
CH2 O O
N N
CH2 CH2 O P O P O

H3C N S O O

Thiaminpyrophosphat (TPP), das Coenzym der Pyruvat-Decarboxylase

Bei der Beriberi-Krankheit tritt eine höhere Konzentration der Brenztraubensäure im Blut
auf. Die Brenztraubensäure kann deshalb nicht abgebaut werden, weil die Pyruvat-
Decarboxylase, die aus Pyruvat (Anion der Brenztraubensäure) CO2 abspaltet, nicht in genü-
gender Konzentration vorliegt. Es fehlt das Thiamin, das das Thiaminpyrophosphat aufbaut.
Das Thiaminpyrophosphat ist das Coenzym der Pyruvat-Decarboxylase.
Die Decarboxylierung des Pyruvats spielt auch bei der alkoholischen Gärung (siehe Ab-
schnitt 21.6.7.6) eine wesentliche Rolle. Die in der Hefe enthaltene Pyruvat-Decarboxylase
decarboxyliert das als Zwischenprodukt bei der alkoholischen Gärung gebildete Pyruvat,
worauf der dabei entstandene Acetaldehyd mit NADH zu Ethanol reduziert wird.

Pyruvat- O NADH + H NAD


H , Decarboxylase
H3C CO COO H3C C H3C CH2 OH
CO2 H

Der Mechanismus der Pyruvat-Decarboxylierung mit Pyruvat-Decarboxylase kann wie


folgt beschrieben werden:
Die katalytisch aktive funktionelle Gruppe der Pyruvat-Decarboxylase ist der Thiazo-
liumring. Die positive Ladung am Stickstoff des Thiazoliumrings polarisiert die C–H-Bin-
dung des zwischen N+ und S gelegenen Kohlenstoffs, so daß H+ leicht abgespalten und die
Ylidform des Thiaminpyrophosphats (TPP) gebildet wird. Als Ylide werden innere Salze mit
Kohlenstoff als Carbanion bezeichnet.
1032 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

NH2

CH2
R1 R1 N
1
CH3 CH3 R =
N N
H + H H3 C N
O O
S R2 S R2 2
R = CH2 CH2 O P O P O
Thiaminpyrophosphat Thiaminpyrophosphat- O O
Ylid

Das Thiaminpyrophosphat-Ylid greift als starkes Nucleophil das C-Atom der Carbonyl-
gruppe des Pyruvats an. Die Anlagerung des Thiaminphosphat-Ylids an die Carbonylgruppe
führt zu einem tetraedrischen Zwischenprodukt, das mit seinem negativen Sauerstoff ein
Proton bindet.

R1 R1 R1
O O O O O O
C CH3 C CH3 C N CH3
N N
δ- δ+ H
O C O C H O C

CH3 S R2 CH3 S R2 CH3 S R2


tetraedrisches Zwischenprodukt
Im weiteren Reaktionsschritt erfolgt die Decarboxylierung unter Bildung eines resonanz-
stabilisierten Carbanions.

O O R1 R1 R1
C CH3 N CH3 N CH3
N
H O C H O C H O C

CH3 S 2 CH3 S R 2 CH3 S R2


R

+ CO2
resonanzstabilisiertes Carbanion
Das reaktive Carbanion des Thiaminpyrophosphatderivats bindet mit dem freien Elektro-
nenpaar am Kohlenstoff ein Proton.
R1 R1 R1

N CH3 N CH3 H CH3


N
H
H O C H O C H O C
S R2 S R2 S
CH3 CH3 CH3 R2

Hydroxyethylthiaminopyrophosphat
Das Hydroxyethylthiaminpyrophosphat ist auf Grund der positiven Ladung am Stickstoff
unstabil und zerfällt unter Abspaltung eines Protons. Es entsteht Acetaldehyd und das
Thiaminpyrophosphat-Ylid wird regeneriert.
25.6 Naturstoffe mit sechsgliedrigen Stickstoff-Heterocyclen 1033

R1 R1
H N CH3 N CH3
H
H O C H + O C +
S CH3 S
CH3 R2 R2
Hydroxethylthiaminopyrophosphat Thiaminopyrophosphat-Ylid

b) Penicilline
Penicilline (siehe Abschnitt 24.3.3) haben im Molekül einen Tetrahydrothiazolring.
Tetrahydrothiazolring
O H H
S
R C NH C C
CH3
C
C N CH3
O C
H COOH

25.6 Naturstoffe mit sechsgliedrigen Stickstoff-Heterocyclen

25.6.1 Heterocyclen mit einem Stickstoffatom im Sechsring

25.6.1.1 Pyridinderivate
a) Vitamin B3
Nicotinamid ist das Vitamin B3, das hauptsächlich in Pilzen und Hefen enthalten ist. Der
Bedarf pro Tag beträgt 10–30 mg. Vitamin-B3-Mangel führt zur Pellagra-Krankheit, die sich
durch Entzündungserscheinungen an Mund- und Rachenschleimhaut, Hautausschlag an
belichteten Körperteilen, Diarrhoe (Durchfall), Nachlassen der Konzentrationsfähigkeit,
Gedächtnisschwund und Erregungszustände äußert.

C
NH2
Nicotinamid, Vitamin B3

Nicotinamid ist auch Bestandteil des Nicotinamid-Adenin-Dinucleotids NAD+ (siehe


auch Abschnitt 14.3.2) und des Nicotinamid-Adenin-Dinucleotid-Phosphats NADP+.
1034 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

O 1-(β-D -Ribosyl)-
Nicotinamid nicotin-amid
C Adenin NH2
H2N Adenosin
N C
N
O O
1N H H 5'
5'
2' 3' CH2 O P O P O CH2 N
β O β N
1' HO OH 4' 4' H H 1'
OH OH
H O H H 3' 2' H
OH O
D-Ribofuranose R
D -Ribofuranose
NAD : R=H
O

NADP : R= P OH

OH

Beide sind Coenzyme, deren Funktion die reversible Wasserstoffübertragung ist. Hierbei
wird der Wasserstoff auf die Nicotinamid-Komponente des entsprechenden Coenzyms über-
tragen.
O O
H H
2H
C C
NH2 NH2
2H + 2e
+ H
N N

R R

b) Vitamin B6
Vitamin B6 kommt als Pyridoxin, Pyridoxal und Pyridoxamin vor. Alle drei Verbindungen
haben Vitaminaktivität, da sie im Stoffwechsel ineinander überführbar sind.

R
Pyridoxin: R= CH2 OH 5'
HOCH2 4 OH
H 3
Pyridoxal: R= C 5
6 2
O
Pyridoxamin: R= CH2 NH2 1N CH3

Der tägliche Bedarf an Vitamin B6 beträgt 2–3 mg. Es kommt reichlich in Leber, Nieren,
Eigelb, Hefe und Früchten vor. Eine Vitamin-B6-Avitaminose ist beim Menschen nicht be-
kannt.
25.6 Naturstoffe mit sechsgliedrigen Stickstoff-Heterocyclen 1035

Pyridoxal-5'-Phosphat ist als Coenzym am Aufbau zahlreicher Decarboxylasen beteiligt,


die Aminosäuren decarboxylieren. Es ist auch Bestandteil von Transaminasen, welche die α-
Aminogruppe einer Aminosäure auf eine α-Oxosäure übertragen können. Pyridoxal ist in
den Enzymen als Coenzym an einen Lysinrest des Apoenzyms als Schiffsche Base gebun-
den. Im ersten Reaktionsschritt erfolgt sowohl bei der Decarboxylierung als auch der Des-
aminierung ein Austausch des Lysynrestes und der Aminosäure als Schiffsche Base (Schiff-
sche Base siehe Abschnitt 13.4.3.2).

Apoenzym R CH COOH

H N Lys + R CH COOH H N
OH C OH C
5' NH2 5'
O P OCH2 4 OH O P OCH2 4 OH
3 Aminosäure 3 Apoenzym
OH 5 OH 5
+
6 2 6 2 H2N Lys
1N CH3 1N CH3

H H

Im weiteren Verlauf kann (der Art des Apoenzyms entsprechend) eine Decarboxylierung
oder Desaminierung erfolgen. Die Umsetzung dürfte nach Reaktionsschema 25.2 ablaufen.
Die Umkehrung der Desaminierung mit einer anderen als der entstandenen α-Oxosäure
hat eine Übertragung der Aminogruppe auf diese Säure zur Folge. Insgesamt resultiert so aus
der Desaminierung und der Rückreaktion eine Transaminierung.

25.6.2 Heterocyclen mit 2 Stickstoffatomen im Sechsring

25.6.2.1 Pyrimidinderivate

a) Vitamin B1 (Thiamin)
Vitamin B1 hat außer dem Thiazoliumring noch einen Pyrimidinring im Molekül (siehe Ab-
schnitt 25.5.2.2).

NH2
CH3
CH2
N N
CH2 CH2 OH
H3C N S

Vitamin B1
1036 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

Schema 25.2:

Decarboxylierung
R CH2

R CH COO H R CH2 Amin NH2

H N H N H O
OH C OH C OH C
O P OCH2 OH O P OCH2 OH H2O O P OCH2 OH
OH OH OH
- CO2
N CH3 N CH3 N CH3

H H H
Schiffsche Base Pyridoxal-5'Phosphat

Desaminierung/Transaminierung

H
R COOH R COOH
R C COOH C C

H N H N H N
OH C OH C OH C
O P OCH2 OH O P OCH2 OH O P OCH2 OH
OH -H OH OH H

N CH3 N CH3 N CH3

H H H
Schiffsche Base
R COOH
C

H N H NH2
OH C H OH C H
R COOH
O P OCH2 OH O P OCH2 OH + C
H2O
OH OH O

N CH3 N CH3 α-Oxosäure

H H

b) Pyrimidinderivate als Nucleobasen (Nucleinbasen)


Bei der Hydrolyse der Nucleinsäuren erhält man als Hydrolyseprodukte auch Pyrimidinderi-
vate, nämlich die Nucleinbasen Uracil, Thymin und Cytosin. Cytosin ist sowohl in Desoxyri-
bonucleinsäuren als auch in Ribonucleinsäuren enthalten, während Thymin in der Desoxyri-
bonucleinsäure und Uracil in der Ribonucleinsäure vorkommen. Von allen drei Verbindungen
gibt es tautomere Formen.
25.7 Bicyclische Heteroverbindungen 1037

O OH O OH NH2 NH2

H 3 4 H 3 4 CH3 4
5 CH3
N 5 N 3N 5
N N N
2 2 2
6 6 6
O N1 HO N O N1 HO N O N1 HO N

H H H
Uracil Thymin Cytosin

25.7 Bicyclische Heteroverbindungen

25.7.1 Purinderivate

Im Purin liegen zwei miteinander verbundene heterocyclische Ringe vor, ein Pyrimidinring
und ein Imidazolring. Das 9H-Purin befindet sich im tautomeren Gleichgewicht mit dem 7H-
Purin.
H
6 6 7
1N 5 N7 1N 5 N
8 8
2 2 4
4 N9 N9
3N 3N
H
9H-Purin 7H-Purin
Ketoderivate des Purins sind Xanthin, das in Blut und Leber zu finden ist, und Hypo-
xanthin. Nucleobasen werden über Hypoxanthin und Xanthin abgebaut und aus dem Körper
als Harnsäure im Harn ausgeschieden. Pro Tag scheidet der Mensch 0,4–1,3 g Harnsäure
aus. Bei Gicht erhöht sich die Menge der ausgeschiedenen Harnsäure.

O O H O O H O H
6 6 7 6 7
H H H H
N N H 1 5 N7 1 5 N 1 5 N
N N N N N 8
8 8 O
2 2 2
N N N9 N3 4 N9 N3 4 N9
N N O N3 4 O O
H H H H H
H
Hypoxanthin Xanthin Harnsäure

25.7.1.1 Purinderivate als Nucleobasen


Die Nucleobasen Adenin und Guanin sind beide sowohl in Desoxyribonucleinsäuren als
auch in Ribonucleinsäuren enthalten. Mit dem Stickstoff in Position 9 sind sie in der Des-
oxyribonucleinsäure direkt an den Zucker Desoxyribose und bei der Ribonucleinsäure an die
Ribose gebunden.
1038 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

NH2 O
6 6 7
5 N7 H 1 5 N
1N N
Adenin 8 8 Guanin
2
2
N3 4 N9 H2N N3 4 N9

H H

25.7.1.2 Coenzym A
Zu den Acyltransferasen, die eine Acylgruppe R–CO– von einem Donator auf einen Akzep-
tor übertragen, gehört das Coenzym A (siehe Kapitel 19.7.2.1).

NH2
O O OH CH3 O O C
N
C N
HS(CH2)2NH C (CH2)2NH C CH C CH2 O P O P O HC
C CH
CH3 O O CH2 N N
O
H H
Pantothenoylrest
H H
O OH
Coenzym A 2
O3P

25.7.1.3 Adenosintriphosphat (ATP)


Adenosintriphosphat ist eine energiereiche Verbindung (siehe Abschnitt 14.3.2). Es besitzt
energiereiche Pyrophosphatbindungen, bei deren Spaltung Energie frei wird, die für einen
Energie erfordernden Reaktionschritt im Stoffwechsel genutzt werden kann. Adenosin-
triphosphat ist auch das Coenzym von Phosphotransferasen, die Phosphorsäurereste auf
Substrate mit Hydroxy-, Carboxy- und Amidgruppen übertragen können. ATP kann, mit
Adenylatcyclase katalysiert, unter Abspaltung von Pyrophosphat in cyclisches Adenosin-
monophosphat (cAMP) umgesetzt werden, welches Kinasen aktiviert. Kinasen (griech. ki-
nein = bewegen) gehören in die Gruppe der Transferasen (siehe Abschnitt 24.7.3.1) und
übertragen Phosphatreste von ATP auf andere Substrate.

Adenin NH2 NH2


Pyrophosphat
O O O C + C
N N
C N C N
O P O P O P O HC HC
C CH C CH
O O O CH2 N CH2 N N
O N O
Adenylat- O
H H cyclase H H
Adenosintriphosphat Ribose
ATP H H O P
H H cAMP
OH OH O OH
O

Adenosin cyclisches Adenosinmonophosphat


25.7 Bicyclische Heteroverbindungen 1039

25.7.1.4 Guanosintriphosphat (GTP)


Guanosintriphosphat spielt eine Rolle beim Einbau von Mannose in Glycoproteine. Im Cit-
ronensäurecyclus wird bei der Umwandlung des Succinyl-Coenzyms A in Succinat (siehe
Abschnitt 15.7.1.7) die bei der Reaktion anfallende Energie durch Bindung eines anorgani-
schen Phosphats an Guanosindiphosphat (GDP) im Guanosintriphosphat GTP) konserviert.
O Guanin O
O O C O O O
N N C
C NH C NH
O P O P O HC O P O P O P O HC
C C C C
O O CH2 N N NH2 O O O CH2 N NH2
O O N
+ H H H H
O H H + H2O H
H Ribose H Ribose
OH OH OH OH
O P O

O H
Guanosin
Guanosindiphosphat Guanosintriphosphat

25.7.1.5 N-methylierte Xanthine


Zu den N-methylierten Xanthinen gehören Coffein, Theobromin und Theophyllin. Sie haben
eine erregende Wirkung auf die Hirnrinde (allgemeine Leistungssteigerung mit leichter
Euphorie) und wirken stimulierend auf den Kreislauf. Sie erweitern die Kapillargefäße und
haben außerdem eine leichte harntreibende Wirkung. Wegen ihrer physiologischen Wirkung
werden sie manchmal auch den Alkaloiden zugerechnet. Coffein ist in Kaffee (1 %) und in
Tee (bis 5 %) enthalten. Coffein wirkt leistungssteigernd und beseitigt Ermüdungszustände,
sein übermäßiger Genuß jedoch verursacht Erregungszustände, Herzklopfen und Schlaf-
losigkeit. Theophylin ist in geringen Mengen in Tee enthalten und fördert die Durchblutung
der Koronargefäße. Theobromin ist in Kakaobohnen und der Colanuß zu finden.
O O H O CH3
CH3
6 H3C 6 7 H 6
H3C 1 5 N7 1 5 N 1 5 N7
N N N
8 8 2 8
2 2
O N3 4 N9 O N3 4 N9 O N3 4 N9

CH3 CH3 CH3


Coffein Theophyllin Theobromin
1,3,7-Trimethylxanthin 1,3-Dimethylxanthin 3,7-Dimethylxanthin

25.7.2 Pterine

Das Grundskelett der Pterine ist das Pteridin. In ihm sind ein Pyrimidinring mit einem Pyra-
zinring orthokondensiert verbunden. Eine Reihe von Naturstoffen leitet sich vom Pterin ab.
Pterinderivate bilden die Farbpigmente der Schmetterlingsflügel (pteron = Flügel). Leucop-
1040 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

terin ist das weiße Pigment im Flügel des Kohlweißlings und Xanthopterin das gelbe Pig-
ment im Flügel des Zitronenfalters.
O O H O H
4 5 5
N H 3 4 N H N O H N O
3N 6 N 6 N N

7 2 7
2
N N H2N N N H2N N N O H2N N N
1 8 1 8
H
Pteridin Pterin Leucopterin Xanthopterin

25.7.2.1 Vitamin B4 (Folsäure)


Die Folsäure besteht aus drei Bausteinen: dem Pterinrest, der über eine Methylengruppe mit
einem p-Aminobenzoesäurerest verbunden ist, und einem Glutaminsäurerest.
O O
COOH
5 9 10
H 4 N CH
3 CH2 NH C NH
N 6 (CH2)2COOH
2 7
H2N N N p-Aminobenzoesäurerest
1 8 Glutaminsäurerest

Pterinrest

Folsäure
Die Folsäure ist wichtig für die Bildung von Erythrocyten (rote Blutkörperchen) bei
Warmblütern, und sie ist unentbehrlich für das Wachstum von Bakterien. Reich an Folsäure
sind Leber und Hefe. Der tägliche Bedarf des Menschen, dessen Organismus Folsäure nicht
synthetisieren kann, beträgt 0,5–1 mg, er wird gedeckt mit der Nahrung und mit der von den
Mikroben der Darmflora synthetisierten Folsäure. Vitaminmangel äußert sich durch Mund-
fäule und es treten verschiedene Arten von Anämie (Blutarmut, Verminderung des Hämoglo-
bins der Erythrocyten) auf.
Die Folsäure ist ein Präcursor (Vorläufer) des Coenzyms THF. Bei der Biosynthese wird
sie durch eine zweistufige Reduktion mit NADPH in Anwesenheit von Folatreduktasen über
die 7,8-Dihydrofolsäure (DHF) in die 5,6,7,8-Tetrahydrofolsäure (THF) umgesetzt.
10
O HN R O HN R O H HN R
5 9
H 3 4 N CH2 H N CH2 H N CH2
N 6 NADPH N NADPH N
NADP NADP
2 +H +H
7
H2N N N H2N N N H2N N N
1 8
H H
Folsäure 7,8-Dihydrofolsäure 5,6,7,8-Tetrahydrofolsäure

O
COOH
R= C NH CH
(CH2)2COOH
25.7 Bicyclische Heteroverbindungen 1041

Die 5,6,7,8-Tetrahydrofolsäure stellt ein Coenzym dar, das C1-Einheiten in mehreren


Oxidationsstufen übertragen kann. Es kann an den N-Atomen in Stellung 5 bzw. 10 die
Formylgruppe binden und diese, oder deren Reduktionsprodukte (die Methenyl-, Methylen
oder Methylgruppe), auf andere Verbindungen übertragen.
H O
C H R H R
O H 10
N R O C N 10 O H C N 10 O CH3
HN R
10
4 5 9 5N 5N 5N
3 N 9 9 9
HN 6 HN HN HN 6
6 6
2 7 7 7 7
H2N N N8 H2N N N8 H2N N N8 H2N N N8
1
H H H H

10-Formyl- 5,10-Methenyl- 5,10-Methylen- 5-Methyl-


-5,6,7,8-tetrahydrofolsäure
Die antibakterielle Wirksamkeit der p-Aminobenzolsulfonamide (siehe Abschnitt 6.6.1.2)
beruht darauf, daß sie infolge ihrer strukturellen Analogie zur p-Aminobenzoesäure deren
Einbau bei der Synthese der Tetrahydrofolsäure kompetitiv hemmen. Der menschliche Or-
ganismus synthetisiert selbst keine Folsäure und ist somit gegen p-Aminobenzolsulfonamide
weitgehend resistent. Bei langzeitiger Einnahme von Sulfonamiden kann aber eine Avitami-
nose dadurch eintreten, daß Bakterien der Darmflora, die den Menschen mit einem Teil der
von ihm benötigten Folsäure versorgen, ebenfalls durch p-Aminobenzolsulfonamide abgetö-
tet werden.
25.7.2.2 5,6,7,8-Tetrahydrobiopterin
5,6,7,8-Tetrahydrobiopterin spielt eine wichtige Rolle bei der Hydroxylierung des Phenyl-
alanins zu Tyrosin. In Gegenwart der Phenylalanin-Hydroxylase wird Phenylalanin zu Tyro-
sin umgewandelt, wobei 5,6,7,8-Tetrahydrobiopterin zum 7,8-Dihydrobiopterin (chinoide
Form) oxidiert wird.
CH2CHCOOH CH2CHCOOH

NH2 NH2
O H OH O OH
+ O2 HO + H2O
5N CH3 N CH3
HN 6 HN

7 OH OH
H 2N N N8 HN N N
NADP NADPH + H
H H
5,6,7,8-Tetrahydrobiopterin 7,8-Dihydrobiopterin

25.7.3 Flavine

Die Flavine (lat. flavus = gelb) sind gelbe Verbindungen, denen die Isoalloxazinstruktur zu
Grunde liegt.
1042 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

O O
4 5 6 4 5 6
H 3 N H 3 N
N 7 N 7
Alloxazin 2 2
Isoalloxazin
8 8
O N N 10 O N N 10
1 9 1 9
H H

25.7.3.1 Vitamin B2, Riboflavin, Lactoflavin


Riboflavin ist das 7,8-Dimethyl-10-(D-1'-ribityl)-isoalloxazin. Ribit ist ein fünfwertiger Al-
kohol (Reduktionsprodukt der Ribose).
O
5 6
H 3 4 N CH3
N CH2OH
7
2
H C OH
O N N 10 8 CH3
1 9
H C OH
1'CH
2
2' H C OH
H C OH
Riboflavin
3' CH2OH
H C OH
4' Ribit
H C OH
5'CH OH
2

Der menschliche Organismus kann die Isoalloxazin-Komponente nicht synthetisieren,


deshalb muß Riboflavin mit der Nahrung aufgenommen werden. Riboflavin kommt insbe-
sondere in Blattgemüse, Hefe, Fischen und Milch vor. Der Tagesbedarf beim Menschen
beträgt etwa 2 mg. Sein Fehlen hat Sehschwäche, Wachstumsstörungen und Hauterkrankun-
gen (Dermatitis) zur Folge. Wie viele anderen Vitamine ist auch Riboflavin ein Vorläufer in
der Biosynthese von Coenzymen, in diesem Falle der Flavin-Coenzyme.

25.7.3.2 Flavin-Coenzyme
Zu den Flavin-Coenzymen gehören die beiden Coenzyme Flavinmononucleotid (FMN) (sie-
he auch Abschnitt 14.3.2) und Flavin-adenin-dinucleotid (FAD), die beide durch die Bio-
synthese miteinander verbunden sind. Die Biosynthese von FMN geschieht in Gegenwart der
Flavokinase durch Phosphorylierung der 5'-OH-Gruppe der Ribityl-Seitenkette des Ribo-
flavins, wobei Adenosintriphosphat (ATP) (Formel siehe Abschnitt 25.7.1.3) unter Abgabe
eines Phosphatrestes in Adenosindiphosphat (ADP) übergeht. Mit Katalyse der FAD-Pyro-
phosphorylase kann nach Spaltung von Adenosintriphosphat (ATP) in Adenosinmono-
phosphat (AMP) und einen Pyrophosphatrest (PP) die Kopplung von Flavinmononucleotid
(FMN) und Adenosinmonophosphat (AMP) zum Flavin-adenin-dinucleotid (FAD) erfolgen.
25.7 Bicyclische Heteroverbindungen 1043

O O
4 5 6 4 5 6
H 3 N CH3 H 3 N CH3
N 7 N
7
2 2
O N N 10 8 CH3 O N N 10 8 CH3
1 9 1 9
1'CH 1'CH
2 2
2' 2'
H C OH ATP ADP H C OH ATP PP
3' 3'
H C OH H C OH
4' 4'
H C OH H C OH O
5'CH OH 5'CH O P O
2 2

Riboflavin O
Flavinmononucleotid FMN
O O O
4 5 6
H 3 N CH3 PP = O P O P O
N
7
2 O O
O N N 10 8 CH3 FMN-Komponente
1 9
AMP-Komponente
1'CH
2
2' NH2
H C OH Adenin
3'
H C OH N
N
4'
H C OH O O
5'CH O N N
2 P O P O CH2
O
O O H H
H H
Flavin-adenin-dinucleotid FAD D-Ribose
OH OH

Die Flavin-Coenzyme dienen dem reversiblen Wasserstofftransfer. Der Wasserstoff wird


von den im Isoalloxazinsystem befindlichen Stickstoffatomen in den Positionen 1 und 5
gebunden.

O O H
5 6 5 6
H 3 4 N CH3 2H H 3 4 N CH3
N 7 N 7
2 2
O N N 10 8 CH3 O N N 10 8 CH3
1 9 2H 1 9
R H R
1044 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

Übungsaufgaben

? 25.1
Was versteht man in der organischen Chemie unter dem Begriff heterocyclische Verbindun-
gen?

? 25.2
Schreiben sie die chemischen Formeln auf, die diesen Trivialnamen von stickstoffhaltigen
heterocyclischen Verbindungen entsprechen: a) Pyrrol, b)Pyrazol, c) Imidazol, d) Pyridin,
e) Piperidin, f) Pyridazin, g) Pyrimidin, h) Pyrazin, i) Indol, j) Purin, k) Harnsäure, l) Chino-
lin, m) Isochinolin, n) Pteridin, o) Acridin und p) Phenazin

? 25.3
Benennen Sie die folgenden stickstoffhaltigen heterocyclischen Verbindungen mit der Aus-
tausch-Nomenklatur: a) Pyrrol b) Imidazol, c) Pyridin und d) Pyrimidin. (Siehe auch Kapi-
tel 25.1)

? 25.4
Benennen Sie die folgenden stickstoffhaltigen heterocyclischen Verbindungen nach der
IUPAC-Regel für Heterocyclen (durch Suffix entsprechend der Ringgröße): a) Pyrrol, b) Py-
razol, c) Pyridin und d) Piperidin. (Siehe auch Kapitel 25.1 und Tabelle 25.1)

? 25.5
Wie wird Pyrrol technisch aus Furan gewonnen?

? 25.6
Ergänzen Sie die entsprechenden Reaktionsgleichungen der Fischer-Synthese:
Polyphosphor-
CH3 H säure, Δ
NHNH2 O C – H 2O
R

? 25.7
Schreiben Sie die Formel des Porphins und des Chlorins auf (Siehe Kapitel 25.5.1.2 und
25.5.1.3) und vergleichen Sie die beiden Formeln.

? 25.8
Schreiben Sie die Formel des Nicotinamids (Vitamin B3) und des Thiamins (Vitamin B1) auf.
Lösungen 1045

Lösungen

! 25.1
Unter dem Begriff heterozyclische Verbindungen versteht man in der organischen Chemie
cyclische Verbindungen, die außer den Kohlenstoffatomen im Ring noch einen oder mehrere
Heteroatome besitzen. Als Heteroatome werden die Atome bezeichnet, die keine Kohlen-
stoffatome sind (griech. hetero = anders). Meistens handelt es sich um Sauerstoff-, Stick-
stoff- oder Schwefelatome.

! 25.2
Formeln zu den entsprechenden Trivialnamen heterocyclischer Verbindungen:
N N
N
N
N N N
N N N N N N
H H H H

a) Pyrrol b) Pyrazol c) Imidazol d) Pyridin e) Piperidin f) Pyridazin g) Pyrimidin h) Pyrazin

O
H
N N N
N HN N
O
N
N N N N N N N N
O H
H H H

i) Indol j) Purin k) Harnsäure l) Chinolin m) Isochinolin n) Pteridin

N N

o) Acridin p) Phenazin

! 25.3
Die stickstoffhaltigen heterocyclischen Verbindungen werden mit der Austausch-Nomen-
klatur folgendermaßen benannt: a) Azacyclopenta-2,4-dien, b) 1,3-Diazacyclopenta-2,4-dien,
c) Azabenzol, d) 1,3-Diazabenzol.

! 25.4
Die stickstoffhaltigen heterocyclischen Verbindungen werden durch Kennzeichnung der
Ringgröße folgendermaßen benannt: a) Azol, b) 1,2-Diazol, c) Azin d) Perhydroazin.

! 25.5
Technisch wird Pyrrol durch Überleiten eines aus Furan, Ammoniak und Wasserdampf be-
stehenden Gemisches bei 400°C über einen Al2O3-Katalysator gewonnen (siehe Kapi-
tel 25.2.1.1).
1046 25 Stickstoffhaltige Heterocyclen

! 25.6
In der Fischer-Synthese reagiert Phenylhydrazin mit einem Keton zunächst zum Phenylhyd-
razon, erhitzt man dieses in Polyphosphorsäure oder in einem inerten Lösungsmittel und
einer Lewissäure als Katalysator, so erhält man das entsprechende Indolderivat (Reaktions-
mechanismus siehe Kapitel 25.2.2.1):
CH3
Polyphosphor- CH
H säure, ∆
+ O C R CH3 C R
– H 2O
NH NH2 NH N C R N
+ NH3
H

! 25.7
Im Vergleich mit dem Porphin weist das Molekül des Chlorins noch einen Cyclopentanon-
ring auf und der Ring D ist partiell reduziert.
H
H C
C
A B A B
NH N
NH N
HC CH
HC CH
N HN
N HN
D C D C
C
C
H

Porphin Chlorin O

Das Porphin bildet das Grundskellet des Häms und das Chlorin das des Chlorophylls.

! 25.8
Die chemischen Formeln des Nicotinamids und des Thiamins:

O CH3
NH2
C H2
NH2 C CH2CH2OH
N N
S
N H 3C N
Nicotinamid Thiamin
26 Alkaloide
Alkaloide sind N-heterocyclische Verbindungen mit physiologischer Wirkung, die aus be-
stimmten Pflanzen bzw. Pflanzenteilen isoliert werden. Der Name Alkaloid leitet sich ab
vom Ausdruck Alkali und weist auf die basischen Eigenschaften dieser Verbindungen hin.
Alkaloide liegen in Form von Salzen mit anorganischen (z.B. Sulfate, Hydrochloride) oder
organischen Säuren (z.B. Oxalsäure, Apfelsäure oder Weinsäure) vor. Aus dem Pflanzenma-
terial werden die Salze mit warmen Wasser oder mit einer verdünnten Mineralsäure extra-
hiert. Die Salze der Alkaloide kann man aus der im Vakuum eingedickten Mutterlauge aus-
kristallisieren lassen. Durch Zugabe von starken Basen zum Extrakt kann man die Alkaloide
auch aus ihren Salzen freisetzen und dann mit einem organischen Lösungsmittel extrahieren.
Die Reinigung der Alkaloide und ihre Trennung von anderen Alkaloiden erfolgt durch
fraktionierte Kristallisation oder mit Hilfe der Säulenchromatographie. Manche Alkaloide
lassen sich auch mit Hilfe der Wasserdampfdestillation isolieren.

26.1 Alkaloide mit Pyrrolidin- und Indolstruktur

26.1.1 Alkaloide mit Pyrrolidinstruktur

N
Pyrrolidin (Tetrahydropyrrol)
H
Hygrin und Cuscohygrin wurden aus Cocablättern (Erythroxylum coca) isoliert.
O O
H H H

N N N
Hygrin Cuscohygrin
CH3 CH3 CH3

26.1.2 Alkaloide mit Indolstruktur

Indol
N

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 1047


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_26, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
1048 26 Alkaloide

Physostigmin wurde aus Kala- H 3C NH


barbohnen, den Samen der
O C
afrikanischen Pflanze Physo- H 3C
stigma venenosum, isoliert. Es O
hemmt die Wirkung der Cho- N
linesterase und gehört zu den CH3 Physostigmin
stärksten Giften. Es ist ein Ge- N H
gengift des Curare.
CH3

Strychnin und Brucin kommen in Strychnos-Arten vor und wurden zuerst aus der Brechnuß
(Strychnos nux-vomica) isoliert.

N N
H H3C O H

H H

N H3C O N
H H

O O O O
H H
Strychnin Brucin
Strychnin ist ein starkes Gift, das schon bei Einnahme von 100 mg tödlich sein kann. Es
bewirkt Krämpfe mit Opisthotonus, das heißt mit Krampf der Rückenmuskulatur, der ähnlich
wie beim Tetanus zu einer Rückwärtsbeugung des Rumpfes und des Nackens führt. Der Tod
tritt durch tonischen Krampf (Starrkrampf) der Atemmuskulatur ein.
Brucin unterscheidet sich von Strychnin nur durch zwei zusätzliche Methoxygruppen. Es
hat eine ähnliche physiologische Wirkung wie Strychnin, ist aber etwas weniger giftig. Beide
Alkaloide werden als Rattengift verwendet. Sie finden auch Anwendung als optisch aktive
Basen für die Trennung enantiomerer Säuren (siehe Abschnitt 8.10.1.2).
Yohimbin wird aus der Rinde des in Afrika wachsenden Baumes Pausinystalia yohimba
gewonnen. Es wirkt gefäßerweiternd und blutdrucksenkend. Als Aphrodisiacum (trieb-
steigerndes Mittel) wird es in der Tiermedizin verwendet.

N H3C N
N O N
H H H H
H H O CH3
H H O

H3COOC H3COOC O C O CH3

HO H3CO
O CH3
Yohimbin Reserpin
26.2 Tropan-Alkaloide 1049

Reserpin. Das aus Rauwolfia serpentina isolierte Reserpin wird als blutdrucksenkendes und
sedatives Mittel (Beruhigungsmittel) in der Medizin eingesetzt.
Ergotamin wird aus dem Mutterkorn, eines auf Roggen parasitierenden Pilzes (Claviceps
purpurea) gewonnen. Es ist das wichtigste der Mutterkorn-Alkaloide und setzt sich zusam-
men aus dem Lysergsäurerest und einem tricyclischen Tripeptid, das in α-Hydroxyalanin,
Prolin und Phenylalanin gespalten werden kann.

H
α-Hydroxy- O Prolin
alanin H3C O
N
O NH H
N O OH O N(C2H5)2
C
O C C

O
CH2

N N
N
CH3 CH3
Phenylanilin CH3
H
H H

N N
N
H H
H
Ergotamin Lysergsäure Lysergsäuredi-
ethylamid (LSD)

Ergotamin wird in der Medizin zur Behandlung von Nachgeburtsblutungen genommen.


In feuchten, die Mutterkornbildung fördernden Jahren kam es früher zu Massenvergiftungen
durch Ergotamin. Heute sind die Reinigungsverfahren für Getreide verbessert, so daß es zu
diesen Vergiftungen nicht mehr kommen kann. Die akute Vergiftung kann in zwei Formen
auftreten. Die als Ergotismus gangraenosus bezeichnete Form äußert sich anfänglich in ei-
nem Kribbeln in Fingern und Zehen, einhergehend mit einem Taubheitsgefühl, das sich in
Füßen und Armen fortsetzt. Es folgt Blasenbildung und Gangräne (Verfall des Gewebes)
unter brennenden Schmerzen (im Mittelalter als „Sankt-Antonius-Feuer“ bezeichnet). Bei
der anderen, als Ergotismus convulsivus benannten Form treten Krämpfe mit langanhalten-
den, sehr schmerzhaften Muskelkontraktionen (Muskelzusammenziehungen) auf.
Das aus Lysergsäure, dem Spaltprodukt des Ergotamins, synthetisierte Lysergsäuredi-
ethylamid (LSD) ist eines der stärksten Halluzinogene. Eine entsprechende Wirkung zeigt
sich schon bei 30–50 μg.

26.2 Tropan-Alkaloide
Die Tropan-Alkaloide haben das Grundskelett des Tropans, eines Bicycloheterocyclus, be-
stehend aus einem Fünf- und Sechsring. Man kann diese Alkaloide noch unterteilen in sol-
che, die vom Tropin, und solche, die vom Pseudotropin abgeleitet werden können.
1050 26 Alkaloide

CH3 CH3 CH3


8N N N
1 2
5 4 β
H OH
7 3 α
6
OH H
Tropan Tropin Pseudotropin
(Tropan-3α-ol) (Tropan-3β-ol)

26.2.1 Tropin-Alkaloide

L-Hyoscyamin ist im Bilsenkraut (Hyoscyamus niger), in der Tollkirsche (Atropa belladon-


na) und in den Blättern des Stechapfels (Datura stramonium) enthalten. Im L-Hyoscyamin
ist das Tropin verestert mit der L-Tropasäure.

CH3

N COOH COOH

C* H H C*
H
CH2OH CH2OH
H
O C
CH2OH
O
L-Hyoscyamin L-Tropasäure D-Tropasäure
(in Fischer-Projektion)

Das L-Hyoscyamin wird leicht racemisiert. Die Racemisierung erfolgt schon beim Trock-
nen der Pflanzenteile und natürlich auch bei der Extraktion des L-Hyoscyamins aus dem
Pflanzenmaterial. Das D,L-Racemat des Hyoscyamins wird als Atropin bezeichnet. Dieses
wird in der Augenheilkunde verwendet. Eine verdünnte Atropinlösung ins Auge gebracht
verursacht eine maximale Pupillenerweiterung und Akkommodationslähmung (Akkommo-
dation = Anpassung des Auges an wechselnde Entfernungen des Objekts). Medizinisch ver-
wendet wird Atropin auch als Antispasmodicum (Mittel gegen Krämpfe) bei Krämpfen im
Magen-Darm-Kanal. Bei oraler Aufnahme von mehreren mg Atropin tritt außer der Pupillen-
erweiterung auch Pulsbeschleunigung auf, eine Speichel- und Schweißdrüsenhemmung ver-
ursacht Trockenheit im Rachen und dadurch Schluckbeschwerden, Durstgefühl, Heiserkeit
und Trockenheit der Haut. Das Harnlassen wird erschwert bis zur Blasenlähmung. Unruhe
und Aufregung sind festzustellen. Eine Dosis von 10 mg verursacht Halluzinationen und De-
lirien, eine höhere Dosis (ca. 100 mg) führt zum Tod durch Atemlähmung. Als Gegengift zu
Atropin wird Morphin angewendet.
Früher wurde von den Frauen im Orient Atropin zur Pupillenerweiterung verwendet.
Man sprach von den stummen Schönen, denn die speichelhemmende Wirkung des Atropins
machte das Reden etwas anstrengend.
26.2 Tropan-Alkaloide 1051

Scopolamin wird aus Scopolia-Arten der Nachtschattengewächse gewonnen. In der


Struktur unterscheidet es sich vom L-Hyoscyamin nur durch einen Epoxidring.
In der Medizin wird Scopolamin als Beruhigungsmittel und einleitendes Narkotikum bei
Operationen verwendet. Es hat eine berauschende narkotische Wirkung und wird zur Ab-
schwächung von Erregungserscheinungen und zur Unterstützung narkotischer Mittel ange-
wendet. Geisteskranken wird es zur Beruhigung verabreicht.

CH3

H Scopolamin
O
H
O C
CH2OH
O

26.2.2 Pseudotropin-Alkaloide

Cocain ist das wichtigste Pseudotropin-Alkaloid und wird aus den Blättern des in den Anden
heimischen Coca-Strauches (Erythroxylon coca) gewonnen. Es ist linksdrehend und ent-
spricht dem (2R,3S)-3-Benzoyloxy-tropan-2-carbonsäuremethylester.

CH3 O CH3
8N C O
1 2
H
5 4 3 O C (–)-Cocain
7 β
6 O
H

Cocain hat auf die peripheren Nerven (peripher = am Rande liegend) eine lähmende Wir-
kung, so daß Haut und Gewebe unempfindlich werden. Es wurde deshalb in der Medizin als
lokales Anästheticum verwendet, wird aber heute weitgehend durch synthetische Anästhetica
ersetzt, z.B. durch Novocain (Procain).

NH2

N(C2H5)2

CH2 Novocain (Procain)

C CH2
O O
1052 26 Alkaloide

Cocain ist ein starkes Suchtmittel. Es wird, da es von den Schleimhäuten der Nase gut re-
sorbiert wird, geschnupft und weckt Gefühle des Wohlbefindens, das besonders bei Frauen
oftmals mit sexueller Erregbarkeit verknüpft ist. Im Cocainrausch werden nicht selten Ver-
brechen begangen. Bei Dauereinnahme erfolgt ein körperlicher Verfall mit Gewichts-
abnahme, und es tritt ein geistiger Verfall ein, der mit Gedächtnisschwäche und Halluzina-
tionen verbunden ist.

26.3 Alkaloide mit Pyridin- und Piperidinstruktur

Pyridin Piperidin
N N

26.3.1 Pyridin-Alkaloide

Nicotin ist eine ölige Flüssigkeit und kommt in der Tabakpflanze (Nicotiana tabacum) vor.
Diese enthält durchschnittlich 4 % Nicotin. Es reagiert mit Rezeptoren des Acetylcholins und
ist stark toxisch. Eine letale Dosis von 30–60 mg führt beim Menschen unter Lähmung des
Atemzentrums zum Tode. Beim Rauchen wird Nicotin mit dem Tabakrauch inhaliert.
Rauchen (auch passives Rauchen) ist gesundheitsschädlich (siehe Abschnitt 6.8.3). Starke
Raucher werden nicotinabhängig und haben Entziehungsbeschwerden beim Abgewöhnen
des Rauchens.

CH3
Nicotin
N
Anabasin kommt neben Nicotin ebenfalls in der Tabakpflanze vor und hat auch nicotinähnli-
che Wirkung. Sulfatsalze des Anabasins finden als Insektizide Verwendung.

H
Anabasin
N
26.3 Alkaloide mit Pyridin- und Piperidinstruktur 1053

26.3.2 Piperidin-Alkaloide

Isopelletierin und Pseudopelletierin sind in der Rinde des Granatapfelbaumes enthalten


(Formel siehe Abschnitt 13.5).
Coniin ist das Gift des gefleckten Schierlings (Conium maculatum). Die Vergiftung
äußert sich in Übelkeit, Erbrechen, Speichelfluß und Durchfall, Füße und Hände werden kalt,
und es tritt innerhalb einer halben bis einer Stunde eine im Körper aufsteigende Lähmung
ein, die zum Tode führt.

N CH2CH2CH3
Coniin
H

Eindrücklich wurde der Verlauf der Vergiftung mit Schierling von Platon am Tod des So-
krates beschrieben. Sokrates war ein griechischer Denker, der versuchte, seine Mitbürger zur
ethischen Selbstbesinnung und einer besseren Lebensführung zu bewegen, und Tapferkeit,
Ehrlichkeit, Treue und Gerechtigkeit als erstrebenswerte Tugenden postulierte. 399 v. Chr.
wurde er von einem Athener Gericht als „Freidenker und Jugendverführer“ zum Tode mit
dem Schierlingsbecher verurteilt.
Lobelin stammt aus der Pflanze Lobelia inflata. Es wurde früher gegen Asthma ange-
wandt und wird in Injektionen zur Atemanregung verabreicht. Bei Überdosierung kann Blut-
drucksenkung und Atemlähmung zum Tod führen.

OH O
H H H
C C
CH2 N CH2
Lobelin
CH3

Piperin verursacht den scharfen Geschmack des schwarzen Pfeffers.

H2C O
O

Piperin
N

O
1054 26 Alkaloide

26.4 Alkaloide mit Chinolin-Struktur

Chinolin
N

Chinin und Cinchonin. Aus der Chinarinde (Cinchona-Arten) werden die Alkaloide Cincho-
nin und Chinin isoliert, die in der Malariabehandlung Anwendung finden. Chinin ist etwas
wirksamer als Cinchonin. Sie hemmen das Wachstum der Malariaerreger. Die Erreger, die
Plasmodien, werden von der Anophelesmücke übertragen. Sie gelangen durch einen Stich
der Mücke in die Blutbahn. Die Malaria (das Sumpffieber) leitet ihren Namen vom italieni-
schen malo = schlecht und aria = Luft ab. Man glaubte früher nämlich, daß die Ursache der
Krankheit die Sumpfgase sind. Die Malaria ist besonders in den sumpfigen Regionen Süd-
ostasiens, Südamerikas und Ostafrikas verbreitet. Sie äußert sich in Fieberanfällen, die in
zeitlichen Abständen, die von der Entwicklung des Erregers abhängen, eintreten. Die Fieber-
anfälle beginnen mit einem Frösteln, dem ein Fieberschub folgt, und zuletzt tritt ein
Schweißausbruch ein. Schätzungsweise leiden etwa 10 Millionen Menschen an dieser
Krankheit. Die letale Dosis des Chinins ist relativ hoch (ca. 10 g für Erwachsene). Chinin-
vergiftungen äußern sich durch Erbrechen, Ohrensausen, und es kann eine völlige Taubheit
eintreten. Chinin wird heute vielfach ersetzt durch das synthetische Antimalariamittel Chlo-
roquin. Chininsalzlösungen schmecken bitter. „Tonic water“ enthält 40–80 mg Chinin pro
Liter. Chinin und Cinchonin unterscheiden sich in der Formel nur dadurch, daß bei Cincho-
nin die Methoxy-Gruppe fehlt.
CH2 CH2

CH H CH H

H H
H H H H
N N
HO C HO C

H3C O

N N
Cinchonin Chinin

NH CH (CH2)3 N(C2H5)2

CH3

Chloroquin
Cl N
26.5 Morphin- und Isochinolin-Alkaloide 1055

26.5 Morphin- und Isochinolin-Alkaloide


Das Grundgerüst der Alkaloide mit Isochinolin-Struktur leitet sich vom Isochinolin- bzw.
vom 1,2,3,4-Tetrahydroisochinolin ab.
5 4 5 4
6 3 6 3
Isochinolin 2 1,2,3,4-Tetrahydroisochinolin
7 N2 7 N
H
8 1 8 1

26.5.1 Opium, die Hauptquelle für Morphin- und Isochinolin-Alkaloide

Aus den unreifen Kapseln des weiß blühenden Schlafmohns (Papaver somniferum) tritt nach
ihrem Anritzen ein weißer Milchsaft aus, der an der Luft braun wird und erstarrt. Dieser wird
eingesammelt und zur Laibform geknetet. Der auf diese Weise gewonnene Stoff wird als
Opium (griech. opos = der Saft) bezeichnet. Opium wird als solches in der Medizin verwen-
det, aus ihm werden aber auch eine ganze Reihe von Alkaloiden mit Isochinolin-Struktur in
Reinform isoliert. Morphin ist darin bis zu 20 % enthalten, weitere Alkaloide sind Narcotin,
Codein, Papaverin und Thebain. Die physiologischen Wirkungen des Opiums sind haupt-
sächlich auf Morphin zurückzuführen. In der Medizin wird Opium und seine Zubereitungen
zur Bekämpfung schwerer Schmerzzustände und als Mittel gegen unstillbare Durchfälle
angewandt. Da es als Rauschmittel mißbraucht wird, unterliegt es der Betäubungsmittelver-
ordnung. Der Mißbrauch erfolgt durch Rauchen, wobei das Morphin zum Teil unzersetzt mit
dem Rauch in den Körper gelangt, oder es wird, in Wasser gelöst, intravenös (in die Vene)
injiziert. Opium ist ein Rauschgift, das euphorische Zustände (Euphorie = Gefühl der Hoch-
stimmung, des Wohlseins) herbeiführt und süchtig macht. Es führt zu hochgradigem körper-
lichen und geistigen Verfall. Durch die Sucht bedingt, ist die Beschaffungskriminalität eine
Begleiterscheinung des Opiumkonsums.
Opium spielte eine Rolle bei der Auseinandersetzung zwischen China und England im
vorigen Jahrhundert. Zum Schutz der Volksgesundheit hatte China den Opiumhandel verbo-
ten. England jedoch, das die Opiumeinfuhr von Indien nach China wegen der hohen Han-
delsgewinne weiter betreiben wollte, erzwang durch den Opiumkrieg (1840–42) die Öffnung
der chinesischen Häfen, die Ausübung dieses Handels und die Abtretung von Hongkong.

26.5.2 Morphin-Alkaloide

Morphin (volkstümlich als Morphium bezeichnet) ist das Hauptalkaloid des Opiums. In der
Medizin wird es hauptsächlich bei starken Schmerzzuständen, die nicht mehr auf andere
Analgetica ansprechen, und zur Operationsvorbereitung verwendet. Die schmerzstillende
Wirkung wird so erklärt, daß das zentrale Nervensystem Opiatrezeptoren besitzt, die in
Wechselwirkung mit Morphin, ähnlich wie dies bei Enkephalinen und Endorphin der Fall ist
(siehe Abschnitt 24.3.2), die Schmerzgrenze heraufsetzen. Wegen der starken euphorischen
1056 26 Alkaloide

Wirkung wird Morphin als Rauschmittel verwendet. Bei mehrmaliger Einnahme droht
Suchtgefahr. Die Symptome bei Morphinismus sind enge Pupillen, Schwäche, Appetitlosig-
keit und Abmagerung. Neben dem körperlichen Verfall erfolgt auch der geistige. Die tödli-
che Dosis liegt bei 50–200 mg, der Tod tritt durch Atemlähmung ein. Besonders gefährlich
ist das Diacetylmorphin, das Heroin. Es ist toxisch sechsmal wirksamer als das Morphin,
besitzt eine besonders starke Euphoriewirkung und führt rasch zur Abhängigkeit. Es wird
gespritzt, aber auch, ähnlich wie das Cocain, geschnupft. Zur Entziehung wird anstelle von
Morphin oder Heroin das synthetisch hergestellte Methadon verabreicht. Dieses ist zwar
ebenfalls ein Suchtmittel, doch sind die Entzugserscheinungen bei Entzug der Opiate besser
zu verkraften, und der nachherige Entzug von Methadon ist leichter zu ertragen.

HO CH3C O

O O

N CH3 N CH3
H H O H H

HO CH3C O
Morphin Heroin

Benzolkern
C
N
O
H

Kugel-Stab-Modell des Morphins

Doppelbindung

C6H5

C2H5 CO C CH2 CH N(CH3)2 Methadon

C6H5 CH3
26.5 Morphin- und Isochinolin-Alkaloide 1057

Codein ist der Monomethylether des Morphins. Es dämpft den Hustenreiz, hat praktisch
keine euphorisierende Wirkung und macht nicht süchtig.
Thebain hat zwei Methoxygruppen. Es ist krampferregend und hat keine therapeutische Be-
deutung.

H3C O H3C O

O O

N CH3 N CH3
H H H

HO H3C O
Codein Thebain

26.5.3 Alkaloide mit Isochinolin-Struktur


CH3 CH3

O 5 4
O O O 6
3
H2C H2C 2
N N N 1 N
O CH3 O CH3 O 7 CH3
O 8
H H H
CH3 CH2 CH3 CH2 H 3C O CH O CH O

O O

O CH3 O CH3 O CH3 O CH3

O O O O
CH3 CH3 CH3 CH3
Papaverin Laudanosin Narcotin Hydrastin

Papaverin wird aus Opium gewonnen. Das Hydrochlorid des Papaverins wird in der Medizin
als Spasmolyticum (Mittel gegen Krämpfe) eingesetzt.
Laudanosin ist das N-Methyl-1.2.3.4-tetrahydropapaverin, es hat keine besondere Verwen-
dung.
Narcotin wirkt hustenstillend.
Hydrastin kommt nicht im Opium vor, sondern wird aus der Wurzel von Hydrastis canadien-
sis gewonnen. In der Medizin wird es als blutstillendes Mittel verwendet. Vom Narcotin
unterscheidet es sich durch das Fehlen einer Methoxygruppe in Stellung 8.
1058 26 Alkaloide

26.5.4 Berberin-Alkaloide

Berberin wird aus der Wurzel der Berberitze (Berberis vulgaris) isoliert und wird bei Durch-
fall und Herzbeschwerden verordnet. In wäßriger Lösung liegt es vornehmlich als quartäre
Ammoniumbase vor, in unpolaren Lösungsmitteln als Aminoaldehyd. Die Form als quartäre
Ammoniumbase, die Aminol-Form und die Aminoaldehyd-Form stehen im chemischen
Gleichgewicht.
O O O
H2C H2C OH H2C
N OH N NH O
O O O HC
H
OCH3 OCH3 OCH3

OCH3 OCH3 OCH3


quartäre Ammoniumbase Aminol Aminoaldehyd

Berberin

26.5.5 Curare-Alkaloide
Curare-Alkaloide gewinnt man aus dem Extrakt von Strychnos-Arten, insbesondere Strychnos
toxifera. Nach Gewinnung und Aufbewahrung unterscheidet man Tubo-Curare (Bambusrohr),
Topf-Curare und Kalebassen-Curare (Kürbis). Curare wird in der Medizin bei Operationen als
Mittel zur Muskelerschlaffung eingesetzt. Indianer des Amazonenstromgebietes benutzen
Curare als Pfeilgifte. Die Giftwirkung besteht in der Unterbrechung der Überleitung des Ner-
venreizes an die Muskelzelle durch Blockade des Acetylcholin-Rezeptors (Formel des Cholins
siehe Abschnitt 19.5.1.1). Die Vergiftung bewirkt Lähmungserscheinungen. Die Lähmung der
Atemmuskulatur führt schließlich zum Tode. Durch künstliche Beatmung wurden tödliche
Dosen schon überlebt. Bei oraler Aufnahme wird Curare nur sehr langsam resorbiert und rela-
tiv schnell ausgeschieden. Mit Pfeilgift erlegtes Wild kann also verspeist werden.
(+)-Tubocurarin und (+)-Chondocurarin sind Curare-Alkaloide, deren Struktur bereits
aufgeklärt wurde. Chondocurarin ist wirksamer als Tubocurarin.

H3 C CH3 O O CH3
N
CH2 OH

2 Cl
O CH2

N
H3 C O OH R CH3

R=H = (+)-Tubocurarin-Hydrochlorid
R = CH3 = (+)-Chondocurarinchlorid
Übungsaufgaben 1059

Übungsaufgaben

? 26.1
Was versteht man unter dem Begriff Alkaloide?

? 26.2
Wie kann man die Alkaloide nach ihren Strukturmerkmalen einteilen?

? 26.3
Auf welche Weise kann man Alkaloide aus dem Pflanzenmaterial isolieren?

? 26.4
Woraus gewinnt man Cocain, wie ist seine chemische Formel und welche Auswirkungen hat
es auf den menschlichen Organismus?

? 26.5
Schreiben Sie die chemische Formel des Nicotins auf und geben Sie an, welche physiologi-
sche Wirkung das Nicotin auf den Menschen hat.

? 26.6
Wie heißt das Hauptalkaloid des aus Schlafmohn gewonnen Rohopiums? Schreiben Sie die
chemische Formel dieses Alkaloids auf und führen Sie an, welche gesundheitlichen Auswir-
kungen es auf den Menschen hat. Um welche Verbindung handelt es sich beim Heroin?
1060 26 Alkaloide

Lösungen

! 26.1
Der Name Alkaloide ist eine Sammelbezeichnung für basische Naturstoffe, die vorwiegend
in Pflanzen oder Pflanzenteilen auftreten, physiologisch wirksam sind und im Molekül in der
Regel einen oder mehrere heterocyclisch eingebaute Stickstoffatome aufweisen.

! 26.2
Die Alkaloide kann man nach ihrer chemischen Struktur einteilen in:
a) Alkaloide mit Pyrrolidin- (z.B. Hygrin) und Indolstruktur (z.B. Strychnin, Brucin),
b) Tropan Alkaloide (z.B. das Tropinalkaloid Scopolamin und das Pseudotropinalkaloid
Cocain),
c) Alkaloide mit Pyridin- (z.B. Nicotin) und Piperidinstruktur (z.B. Piperin),
d) Alkaloide mit Chinolin- (z.B. Chinin), Isochinolin- (z.B. Morphin) und mit 1,2,3,4-Tetra-
hydroisochinolinstruktur (z.B. Berberin und Curare).

! 26.3
In der Natur liegen die basischen Alkaloide in Form von Salzen vor. Man kann diese Ver-
bindungen mit warmen Wasser oder verdünnten Säuren aus dem Pflanzenmaterial extrahie-
ren und aus der im Vakuum eingedickten Mutterlauge auskristallisieren lassen. Mit starken
Basen kann man die Alkaloide aus ihren Salzen freisetzen und sie dann mit einem organi-
schen Lösungsmittel extrahieren.

! 26.4
Cocain wird aus dem Cocastrauch (Erythroxylon coca) gewonnen. Es gehört in die Reihe der
Pseudotropine und ist der (-)-(2R,3S)-3β-Benzoyloxy-2β-tropancarbonsäuremethylester:
CH3 O CH3
8N C O
1 2
H
5 4 3 O C
7 β
6 O
H

Cocain

Cocain ist ein starkes Suchtmittel, es wird geschnupft, da es von den Nasenschleimhäuten
gut resorbiert wird und weckt Gefühle des Wohlbefindens. Bei Dauereinnahme tritt ein kör-
perlicher und geistiger Verfall ein, der mit Gedächtnisschwäche und Halluzinationen ver-
bunden ist (siehe Kapitel 26.2.2).
Lösungen 1061

! 26.5
Nicotin gehört zu den Alkaloiden mit Pyridinstruktur, es ist das 3-(1-Methyl-2-pyrrolidi-
nyl)pyridin:
4'
3'
H 5'
4 2'
5 N 1'
3
CH3
6 2
N
1 Nicotin

Es reagiert mit Rezeptoren des Acetylcholins und ist stark toxisch. Eine Dosis von 30 bis
60 mg führt beim Menschen unter Lähmung des Atemzentrums zum Tode. Beim Tabakrau-
chen (Tabakblätter enthalten etwa 4% Nikotin) wird das Nikotin mit dem Tabakrauch inha-
liert. Starke Raucher werden Nicotinabhängig und haben Entziehungsbeschwerden beim
Abgewöhnen des Rauchens. Rauchen ist auch für Nichtraucher, die dem Rauch des Rauchers
langzeitig ausgesetzt sind, gesundheitsschädlich. Längerzeitiges starkes Rauchen kann Herz-
und Kreislaufstörungen, Sehstörungen, nervöse Unruhe und Störungen des Magen-Darm-
Kanals verursachen. Außerdem können hochgradige Durchblutungsstörungen auftreten
(Winiwarter-Bürger-Krankheit), die oft eine Beinamputation notwendig machen.

! 26.6
Morphin ist das Hauptalkaloid des Opiums. Es gehört zu den Alkaloiden mit Isochinolin-
Struktur und ist das 7,8-Didehydro-4,5α-epoxy-17-methyl-3,6-morphinandiol:

Benzolkern
2
HO 3 C
1 N
4 11 O
10 H
12 15 16
O
9
13 N CH3
5 14
H H 17
6
8
HO
7 Doppelbindung

Morphin Kugel-Stab-Modell des Morphins


1062 26 Alkaloide

Morphin hat eine schmerzstillende Wirkung, die damit zu erklären ist, dass das zentrale
Nervensystem Opiatrezeptoren besitzt, die die Schmerzgrenze heraufsetzen. Wegen der
starken euphorischen Wirkung wird Morphin als Rauschmittel verwendet. Schon bei mehr-
maliger Einnahme besteht Suchtgefahr. Die Symptome bei Morphinismus sind enge Pupil-
len, Schwäche, Appetitlosigkeit und Abmagerung. Neben dem körperlichen tritt auch ein
geistiger Verfall ein. Die letale Dosis liegt bei 50–200 mg. Heroin wird aus Morphin synthe-
tisiert, es ist das Diacetylderivat des Morphins, das toxisch wirksamer als das Morphin ist
(siehe Kapitel 26.5.2). Es wird durch Acetylierung der Morphinbase hergestellt.

CH3C O

N CH3
O H H

CH3C O

Heroin
27 Nucleinsäuren
Nucleinsäuren sind hochmolekulare Polynucleotide (siehe Abschnitt 21.6.12). Die Nucleotide,
aus denen sich die Nucleinsäuren aufbauen, bestehen aus drei Grundbausteinen: einer stick-
stoffhaltigen Nucleinbase (siehe Abschnitt 25.6.2.1b und 25.7.1.1), einer Pentose (Ribofurano-
se bzw. 2-Desoxyribofuranose) und einem Phosphorsäurerest. Die Nucleinbasen sind β-
glycosidisch an die Pentose geknüpft, und die Pentosen sind über einen Phosphorsäurerest
miteinander verbunden. Die Phosphorsäure ist mit einem Pentosemolekül in 3'- (sprich drei
Strich) und mit dem anderen in 5'-Position verestert. Grundsätzlich unterscheidet man zwei
Arten von Nucleinsäuren: die Desoxyribonucleinsäuren und die Ribonucleinsäuren. Handelt es
sich bei der Zuckerkomponente um die D-2-Desoxyribofuranose, so liegt die Desoxy-

ribonucleinsäure, abgekürzt DNS, vor. Die englische


Bezeichnung ist deoxyribonucleic acid, abgekürzt
H2 C Base 1
O DNA. Liegt in der Nucleinsäure als Zuckerkomponen-
H H te die D-Ribofuranose vor, handelt es sich um die
H
Ribonucleinsäure, die mit RNS abgekürzt wird. Die
H
O O X entsprechende englische Bezeichnung dafür ist ribo-
P nucleic acid und davon abgeleitet die Abkürzung
O O Position 5' RNA. Die Abkürzungen DNA und RNA haben sich
auch im deutschen Sprachraum eingebürgert und
H2C 5' Base 2
O werden häufiger als die deutschen Abkürzungen be-
H H nutzt. Im weiteren Text sollen deshalb auch diese
H 3' H
englischen Abkürzungen verwendet werden.
O O X Die Ribonucleinsäuren und auch die Desoxyribo-
P Position 3' nucleinsäuren verfügen über vier unterschiedliche
O O Nucleinbasen. Die DNA enthält als Nucleinbasen
H2C 5'
Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin und die RNA
Base 3
O Adenin, Cytosin, Guanin und Uracil.
4' H H 1'

H 3' 2' H
O O X
P
O O
H2C 5' Base 4
O Abschnitt aus einem Nucleinsäurestrang
H H X = H = Desoxyribonucleinsäure,
X = OH = Ribonucleinsäure
H 3' H
O O X
P
O O

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 1063


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7_27, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
1064 27 Nucleinsäuren

O O NH2 NH2 O
H 3 4 H 3 4 CH3 3 4 1 6 H 1 6
5 5 5 5 N7 5 N7
N N N N N
2 2 2 8 8
6 6 6 2 2
O N1 O N1 O N1 4 N9 4 N9
N3 H2N N3
H H H H H

Uracil Thymin Cytosin Adenin Guanin


in der RNA in der DNA
sowohl in der DNA als auch in der RNA

27.1 Die Desoxyribonucleinsäure


O Eines der wichtigsten Merkmale des Lebens ist
H3C H die Fähigkeit lebender Wesen, sich selbst zu
N reproduzieren. Lebende Systeme hätten keine
Thymin
Zukunft, wenn ihre Strukturen, Funktionen,
H2C N O
O Eigenschaften und Merkmale nicht auf die
H H Nachkommenschaft übertragbar wären. Wir
H H
können beobachten, daß Kinder in Hautfarbe,
NH2
O O H Haarfarbe und vielen anderen Merkmalen ihren
P N Eltern auffallend gleichen. Betrachten wir in
N
O O
Adenin
der Natur bestimmte Tierarten, so stellen wir
H2C N
fest, daß viele Eigenschaften immer wieder auf
O N
die Nachkommenschaft vererbt werden. Z.B.
H H
bringen Buntspechte, was uns selbstverständ-
H H
NH2 lich erscheint, auch wieder Buntspechte zur
O O H
Welt, die, nachdem sie erwachsen sind, Feder-
P N
Cytosin
kleid, Größe, Gestalt und andere Merkmale wie
O O
ihre Eltern haben. Bestimmte Eigenschaften
H2C 5' N O werden vererbt. Der Träger aller Erbeigen-
O
H H schaften ist die Desoxyribonucleinsäure. In ihr
H
ist die Information zur Weitergabe der Struk-
H
O O H O turen, Eigenschaften, Funktionen und Merk-
P H
male an die Nachkommenschaft, die genetische
N
O O N Information, gespeichert. Sie enthält Informa-
Guanin tionen für die Proteinsynthese, für die Zell-
H2C
N
O N NH2 teilung, das Wachstum und die Entwicklung
H H
des gesamten Organismus.
H H
O O H
P
O O
Ausschnitt aus einem DNA-Einzelstrang
27.1 Die Desoxyribonucleinsäure 1065

Informationen kann man z.B. im Schriftverkehr vermitteln, indem man die Buchstaben
des Alphabets so aneinanderreiht, daß sie ein Wort ergeben. Die Wörter fügt man dann
wieder zu einem Satz zusammen. Die Grundelemente, die in diesem Falle der Informati-
onsvermittlung dienen, bestehen aus den 26 Buchstaben des Alphabets, der Leerstelle und
den Satzzeichen. Man kann sich zur Informationsvermittlung auch des Morsens bedienen,
wobei man nur 3 Grundelemente benötigt, nämlich lange und kurze Töne und Pausen, die
man dazwischen setzt. Die unterschiedliche Folge der langen und kurzen Töne ergibt eine
Information. Die genetische Information ist gewissermaßen mit einer Schrift vergleichbar
die nur vier Buchstaben hat. Die Grundelemente der genetischen Information in der DNA
sind vier Nucleinbasen (Nucleobasen): zwei Pyrimidin-Derivate (siehe Abschnitt
25.6.2.1b), nämlich Cytosin und Thymin, und die zwei Purinderivate (siehe Abschnitt
25.7.1.1) Adenin und Guanin. Die genetische Information ist, ähnlich wie die Buchstaben
in einem Wort, in der Abfolge (der Sequenz) dieser vier Nucleinbasen am DNA-Strang
verschlüsselt.
Die Pyrimidin-Derivate sind in Position 1 und die Purinderivate in Position 9 β-N-gly-
cosidisch (siehe Abschnitt 21.6.11) an die 2'-Desoxy-D-ribofuranose gebunden.

O NH2 NH2 O

H 3 4 CH3 4 6 H 1 6
5 3
5
1 5 N7 5 N7
N N N N
2 2 8 8
6 6 2 2
O N1 4 N9 4 N9
O N1 N3 H2N N3

H H H H
Thymin Cytosin Adenin Guanin

Pyrimidin-Derivate Purin-Derivate

Die Positionen auf der 2'-Desoxy-D-ribofuranose werden durch Zahlen mit Apostroph,
die auf den Nucleinbasen durch Zahlen ohne Apostroph angegeben. Die 2'-Desoxyribo-
nucleoside werden untereinander durch jeweils eine Phosphatgruppe verbunden. Die Zucker-
komponente des einen 2'-Desoxyribonucleosids ist in Position 3' mit der Zuckerkomponente
des jeweils folgenden 2'-Desoxyribonucleosids in Position 5' durch eine Phosphodiester-
brücke verknüpft. Die Phosphatgruppen bilden mit den in den Stellungen 3' und 5' verester-
ten 2'-Desoxy-β-D-ribofuranosidresten einen Strang, wobei Zuckerkomponente und Phos-
phatrest jeweils abwechseln. Dieser Strang bildet das Rückgrat (engl.: backbone) der DNA,
das die β-glycosidisch gebundenen Nucleinbasen trägt. Die Nucleinbasen bilden, in be-
stimmter Folge auf diesem Strang aneinandergereiht, die genetische Information. In der
Sequenz der Nucleinbasen ist auch die Information gespeichert, nach der die Proteine, dem
genetischen Code entsprechend, im Organismus synthetisiert werden. In dieser Funktion ist
die DNA in übertragenem Sinne vergleichbar mit einem Bauplan oder einer makromolekula-
ren Konstruktionsvorschrift, nach der der Aufbau der Peptid- und Proteinmoleküle aus Ami-
nosäuren erfolgt.
1066 27 Nucleinsäuren

NH2
Adenin
7N 6
5
N1
8
5'
H2C 2
N9 4 N3
O
4' H H 1'

H H
3' 2'
H NH2
O O
4
P
5 N3
O O Cytosin
2 Die Verknüpfung zweier 2'-Desoxy-β-D-ribo-
6
H2C 5' N1 O furanosylreste in der DNA
O
4' H H 1'

H 3' 2' H
O H

Die DNA wird durch drei ganz wichtige Eigenschaften bzw. Funktionen charakterisiert:
1.) sie ist Träger der genetischen Information, 2.) sie ist replikativ, d.h. durch Replikation
kann eine identische Verdopplung erfolgen, und 3.) in ihr verankert ist die Information für
die Synthese der Ribonucleinsäuren und Proteine.
Desoxyribonucleinsäuren sind Träger der genetischen Information aller Organismen, so-
wohl der Pflanzen und Tiere als auch der Bakterien. Sie sind auch Bestandteil der Viren und
Bakteriophagen (Viren, die nur Bakterien infizieren). Eine Ausnahme bilden einige RNA-
Phagen und RNA-Viren, in denen an Stelle der DNA die RNA Träger der genetischen Infor-
mation ist. In Eukarionten (Organismen, die Zellen mit abgegrenztem Zellkern haben) ist die
DNA im Zellkern aller Zellen vorhanden. Sie haben außerdem noch eine relativ kleine DNA
in den Mitochondrien (bei Tieren und Pflanzen, s. Abschnitt 19.7.3) bzw. in den Plastiden
(bei Pflanzen, s. Abschnitt 19.7.3). Das Vorhandensein einer ringförmigen DNA in diesen Or-
ganellen wertet man als Bestätigung einer heute anerkannten Theorie, daß Mitochondrien und
Plastide aus symbiontischen (d.h. in Lebensgemeinschaft mit einer Wirtszelle oder einem
Organismus befindlichen), im Laufe der Entwicklungsgeschichte degenerierten Bakterien
entstanden sind. Bakterien gehören zu den Prokaryonten, Einzeller, deren Hauptmerkmal das
Fehlen eines von einer Membran umschlossenen Zellkerns ist. Bei ihnen befindet sich die
ringförmige DNA frei im Cytoplasma. Je entwickelter und komplizierter ein Organismus ist,
desto größer ist die Anzahl der Basenpaare und die Länge seiner DNA (s. Tab. 27.1).
Abschnitte auf der DNA, die bestimmte erblich bedingte Strukturen oder Funktionen
eines Organismus codieren, nennt man Gene. Die Gesamtheit der genetischen Information
einer Zelle wird als Genom bezeichnet. Das Genom des Menschen hat schätzungsweise
20.000 bis 25.000 Gene. Jede Zelle unseres Körpers enthält die gesamte Erbinformation. Bei
der embryonalen Entwicklung tritt eine Differenzierung der Zellen ein. Die Zelle speziali-
siert sich z.B. darauf, eine Muskel- und nicht eine Gehirnzelle zu sein. Jede Zelle gebraucht
nur den Teil der insgesamt verfügbaren genetischen Information, den sie für ihre Funktion
im Organismus benötigt. Das menschliche Genom hat etwa 2,85 Milliarden Nucleobasen,
das würde, wenn man die Basen mit dem Einbuchstaben-Code A,C,G,T schreiben würde,
27.1 Die Desoxyribonucleinsäure 1067

Tabelle 27.1

Organismus Anzahl der Basenpaare Länge und Form der DNA


Simian Virus 5243 1,7 μm ringförmig
6
Escherichia coli 4 · 10 1,36 mm ringförmig
Hefe 13,5 · 106 4,6 mm
Fruchtfliege 16 · 107 56 mm linear, bezogen auf haploide
9
Chromosomensätze
Säugetiere und Mensch 3 · 10 ca. 1 m

eine kleine Bibliothek mit 750 Bänden zu je 400 Seiten füllen. Unser Genom ist in 23 Chro-
mosomenpaare aufgeteilt, und jedes hat durchschnittlich 200 Millionen Basenpaare. Chro-
mosomen sind die Hauptträger der genetischen Information. In eukaryontischen Zellen kön-
nen sie im Zellkern während der Kernteilung sichtbar gemacht werden (chroma = Farbe,
soma = Körper). Sie bilden V- bzw. X-förmige Partikel und bestehen aus zwei identischen
Chromatiden mit je einer Doppel-Helix.
In einem Forschungsprojekt „Human Genom Project“ wurde, beginnend 1990 in drei-
zehnjähriger mühsamer Arbeit, die vom US Department of Energy und dem National Insti-
tute of Health koordiniert wurde, die komplette DNA-Sequenz des menschlichen Genoms
ermittelt. Die Sequenzdaten wurden in der 441. Ausgabe von Nature publiziert. Diese Er-
kenntnisse geben eine bessere Grundlage für die Erforschung von Erbkrankeiten und dürften
zu einem besseren Verständnis der molekularen Mechanismen der Krebsentstehung führen.

27.1.1 Strukturen der Desoxyribonucleinsäure

27.1.1.1 Der Doppelstrang der DNA


Chargaff entdeckte, daß die beiden Nucleinbasen Adenin und Thymin in gleichem Mengen-
verhältnis in der DNA vorliegen, und ebenso die beiden Nucleinbasen Cytosin und Guanin.
Zunächst wußte man diesen Sachverhalt nicht zu deuten, bis Watson und Crick anhand von
eigenen röntgenstrukturanalytischen Daten und solchen, die von Franklin und Wilkins
stammten, die DNA-Doppelhelixstruktur postulierten. In ihr sind zwei DNA-Stränge unter-
einander mit eben diesen Basenpaaren Adenin–Thymin und Cytosin–Guanin verknüpft, die
untereinander Wasserstoffbrücken ausbilden. Adenin und Thymin sind mit zwei, Cytosin
und Guanin mit drei Wasserstoffbrücken verbunden. Es ist zu bemerken, daß jeweils immer
eine Purin- und die komplementäre Pyrimidinbase miteinander verbunden sind. Die eine
Nucleinbase des Basenpaares ist β-N-glycosidisch an eine 2-Desoxy-D-ribofuranose des
einen und die zweite Base an die 2-Desoxy-D-ribofuranose des anderen DNA-Stranges ge-
bunden. Die Verbindungslinie zwischen den glycosidischen C-Atomen (C1') der beiden an
das Basenpaar geknüpften Zucker ist in den Basenpaaren Adenin–Thymin und Cytosin–Gua-
nin gleichlang. Die Ringe beider Basen des Basenpaares sind planar, und das Basenpaar
stellt, durch Wasserstoffbrücken miteinander verbunden, ein planares (ebenes) Gebilde dar.
Die komplementäre Base (komplementär = ergänzend, dazu passend) zum Adenin ist
immer das Thymin und zum Cytosin immer das Guanin. Umgekehrt gilt natürlich auch, daß
Thymin immer mit Adenin und Guanin immer mit Cytosin gepaart sind. Daraus resultiert,
1068 27 Nucleinsäuren

daß durch die Basensequenz auf einem DNA-Strang die Basensequenz auf dem anderen
Strang schon vorgegeben ist. Hat z. B. ein DNA-Strang in einem Abschnitt der DNA die
Basenfolge A–T–C–G–G–T–A–C, entspricht ihr am anderen Strang, in gleicher Richtung
gelesen, die Sequenz T–A–G–C–C–A–T–G.
H
N N H O CH3

N N H N
C1'
N N
O C1'

Adenin Thymin

1,085 nm
H

N O H N

N N H N
C1' N N
N H O C1'
H

Guanin Cytosin Basenpaare


Die verwendeten Buchstabensymbole stehen für die Nucleinbasen und bedeuten: A =
Adenin, C = Cytosin, G = Guanin und T = Thymin.
3' 5'

Basensequenz an einem, A T C G G T A C Kette bestehend aus


Desoxyribofuranose-
Basensequenz am anderen und Phosphatresten
DNA-Strang T A G C C A T G in wechselnder Folge

5' 3'
Wasserstoffbrücken
Die DNA-Stränge besitzen Richtungssinn. Man spricht in diesem Zusammenhang
manchmal auch von der Polarität der DNA-Stränge. Die Phosphodiester-Verknüpfungen der
Positionen 5' und 3' der 2'-Desoxyribonucleoside verlaufen in beiden Strängen in entgegen-
gesetzter Richtung. Der Richtungssinn in den beiden DNA-Strängen ist also antiparallel.
Bis auf wenige Ausnahmen liegt die DNA in Form eines Doppelstranges vor. Ein-
zelsträngige DNA kommt nur in einigen kleinen Viren vor.
27.1 Die Desoxyribonucleinsäure 1069

5'-Ende H 3'-Ende
O O
H
Thymin
P N N H O CH3
H
O O H
Adenin H O
5' O
H2C 5' O N N H N H
H H 3' 5' CH2 3'
N N
H H
3' 3' O H H O O
O O H H P
CH3 O H N N H O
O
P H O
Thymin H
O O 3'
N H N N 5' CH2
H2 C 5'
O N N Adenin H H O O
H H
O P
H H O O
O O H
H
P N O H N Cytosin
H
O O H O
Guanin
H2C N H
O N H N
H H N N CH2
H H
H H H N H O
H O O
O H
N H O H O P
O N O
H
P H O
Cytosin
O O N H N N CH2
H2 C H
O N N Guanin H
O O
H H O H N H
P
H H
H O O
O O H CH3 O H N N H
O
P H
H
Thymin
O O N 5'CH2
N H N
H2C N N Adenin H H O O
O
H H O P
H H O O

O H

Formel eines Doppelstrang-DNA-Abschnitts

27.1.1.2 Die Doppelhelix


Die beiden Polynucleotid-Stränge der DNA bilden eine Doppelspirale, die Doppelhelix. In
dieser Konformation der beiden Stränge sind die Wasserstoffbrücken maximal ausgebildet
und hydrophobe Anziehungskräfte maximal wirksam.
Ähnlich wie bei den Proteinstrukturen kann man auch bei der DNA unterschiedlich kom-
plexe Strukturen unterscheiden. Der Primärstruktur entspricht die Sequenz der 2-Desoxy-
ribonucleotiden im DNA-Strang. Eine Sekundärstruktur ist durch die Doppelhelix gegeben.
1070 27 Nucleinsäuren

CH2 O
O
CH2 H2C
P
P
O kleine Furche = Adenin
P
3' 1' CH2 CH2 = Cytosin
3' 2'
5' 4' O O = Guanin
P CH2 P
5'
O CH2 = Thymin
O
5'
P CH2 CH2 P
O
O O
O 3' 5'
H2C P P = P
CH2 P O 3' O O
P große Furche
CH2 P
O H2C
O CH2 O
P = 2'Desoxy-β- D -
P
H2C O O ribofuranose
CH2
CH2
P O
O P = Wasserstoffbrücke
CH2
P
P CH2
Bild 27.1 Schematische Darstellung eines Ausschnitts der DNA-Doppelhelix

Die räumliche Anordnung der Doppelhelix in der linearen und der ringförmigen Doppel-
helix-DNA und in Verknäuelungen der Superhelix kann als tertiäre Struktur angesehen wer-
den. Der Histon-DNA-Komplex im Chromatin (siehe Abschnitt 24.7.3.5) kann als Quar-
tärstruktur betrachtet werden.
Man kennt drei Formen der Doppelhelix: die A-, B- und Z-Form.
Die B-Form der DNA-Doppelhelix ist die in lebenden Zellen vorherrschende Struktur. Man
kann sie in ihrem Bau mit einer frei schwebenden rechtsgewundenen Wendeltreppe verglei-
chen. Die beiden Polynucleotidstränge der DNA, die mit ihren komplementären Basen durch
Wasserstoffbrücken verbunden sind, beschreiben eine rechtsgängige spiralförmige Windung
um eine gedachte Gerade, der Helixachse. Der Durchmesser dieser Doppelhelix beträgt etwa
2 nm. Die beiden Zucker-Phosphat-Ketten befinden sich an der Peripherie der Doppelhelix.
Die negativ geladenen Sauerstoffatome der Phosphatgruppen weisen nach außen, so daß
die abstoßende Wirkung der gleichnamigen Ladungen minimiert wird. Die als Gegenionen
auftretenden Kationen (z.B. Na+) haben zu den Phosphatanionen von außen her einen guten
Zutritt. Die Basenpaare befinden sich im Innern der Helix. Die Ebenen der planaren Basen-
paare stehen fast senkrecht zur Helixachse (Basenneigung zur Helixachse nur 6°). Die Ba-
senpaare sind, zueinander parallel angeordnet, in einer Stufenhöhe von 0,34 nm aufeinander-
gestapelt. Durch den Verlauf der rechtsgewundenen Doppelhelix sind sie um die durch die
Basenpaarmitte führende Helixachse gegeneinander um einen Winkel von 36° gedreht. Der
Zusammenhalt und die Form der Doppelhelix sind nicht nur durch Wasserstoffbrücken
27.1 Die Desoxyribonucleinsäure 1071

C -Atome des
2-Desoxyribofuranosids
H-Atome

O- Atome
3,4 nm

N-Atome

P -Atome der Phosphatgruppen

2 nm

Bild 27.2 Kalottenmodell eines Abschnitts der B-DNA

Helixachse O
Adenin Thymin -
O O
- P O
O P
N N H O O O O
O N H N
N N N
- O
O
O
O P O O
-
O N H O O O P O
N N N
N H
N O
O H N N
O O
-
O P Cytosin Guanin O -
O O
P
O O
Die Basenpaar-Ebene steht senkrecht zur Helixachse

Bild 27.3 Modell eines Ausschnitts der B-DNA mit zwei Basenpaaren
1072 27 Nucleinsäuren

bedingt, sondern auch durch die Wechselwirkung der übereinanderliegenden Basenpaare.


Die B-DNA hat pro Windung, deren Ganghöhe 3,4 nm beträgt, 10 übereinanderliegende
Basenpaare. Um die Außenseite der B-DNA zieht sich eine große und eine kleine Furche.
Die A-DNA ist breiter und gedrungener als die B-Form. Auf eine Windung der rechtsgängi-
gen A-Form (Ganghöhe 2,8 nm) kommen 11 Basenpaare, die eine Neigung von 20° zur
Helixachse haben. Im Inneren der Doppelhelix ist ein axialer Hohlraum.
Die Z-DNA ist linksgängig. Die Zucker-Phosphatkette verläuft in einem Zickzack-Kurs um
die Doppelhelix, mit Dinucleotiden als Wiederholungseinheit. Auf eine Windung der Z-
DNA kommen 12 Basenpaare, deren Ebenen zur Helixachse einen Neigungswinkel von 7°
aufweisen. Die helicale Ganghöhe ist 4,5 nm, der Durchmesser der Helix 1,8 nm. Hohe
Salzkonzentrationen stabilisieren die Z-DNA.

27.1.1.3 Die ringförmige DNA


In der ringförmigen DNA bildet die Doppelhelix einen geschlossenen Cyclus.
Die ringförmige DNA ist in den Eukaryonten in Mitochondrien und Plastiden (siehe Ab-
schnitt 19.7.3) enthalten. In Bakterien liegen sie in der chromosomalen DNA (z.B.
Escherichia coli) und als zusätzliche genetische Elemente in der extrachromosomalen DNA
(extrachromosomal = außerhalb der Chromosomen befindlich) in Plasmiden vor. Plasmide
haben eine kleine ringförmige DNA und sind in Bakterien und Hefen zu finden. Sie haben
nur wenige Gene und werden als unabhängige genetische Einheit repliziert. Als sogenannte
Vektoren werden sie für die Klonierung von Genen in der Gentechnologie verwendet. Eine
ringförmige DNA haben auch manche Bakteriophagen und Viren.

27.1.1.4 Die Superhelix


Verdrillten ringförmigen Gummibändern ähnlich, kann sich die Doppelhelix-DNA links-
oder rechtsgängig um sich selbst wickeln. Diese Struktur der DNA wird als Superhelix (engl.
supercoil) bezeichnet. Superhelix-Strukturen wurden bei ringförmiger doppelsträngiger

Ringförmige Doppelhelix-DNA Superhelix


Bild 27.4
27.1 Die Desoxyribonucleinsäure 1073

DNA nachgewiesen, sie liegen aber auch, bedingt durch Windungen um die Nucleosomen
(siehe Abschnitt 24.7.3.5), bei linearer DNA im Chromatin vor. Sie stellen kompakte, raum-
sparende Strukturen der DNA vor. Die Verdrillung der Doppelhelix in der Superhelix kann
zu einer weiteren Spiralisierung und einer damit verbundenen Verknäuelung der Doppelhelix
führen. Eine rechtsgängige Verdrillung in der Superhelix, als negativer Supertwist bezeich-
net, unterstützt die lokale Lösung der Doppelhelix in Einzelstränge.

27.1.1.5 Die Replikation


Die Replikation (auch als Autoreduplikation oder Reduplikation bezeichnet) ist ein Vorgang,
der zur identischen Verdoppelung der DNA führt. Sie bildet die molekulare Grundlage für
die Weitergabe der genetischen Information.
Bei der Vermehrung somatischer Zellen (= alle Körperzellen, außer Keimzellen), die
einen diploiden Chromosomensatz haben (jedes Chromosom ist doppelt vorhanden) wird das
genetische Material in einem als Mitose bezeichneten Vorgang durch Replikation und nach-
folgende Zellteilung unverändert an Tochterzellen weitergegeben. Keimzellen von Eukary-
onten enthalten im Ruhestadium ebenfalls einen diploiden Chromosomensatz. Bei einem als
Reifeteilung oder Meiose bezeichneten Prozeß erfolgt zunächst eine Replikation (Chromoso-
mensätze werden verdoppelt), der nacheinander zwei Zellteilungen folgen. Es entstehen Ge-
schlechtszellen (= Gameten), die nur einen Chromosomensatz (haploider Chromosomensatz)
enthalten. Bei der sexuellen Fortpflanzung vereinigen sich zwei geschlechtsverschiedene
Gameten miteinander zu einer Zygote, einer Zelle, die im Zellkern die Chromosomensätze
beider Gameten vereint.
Die Replikation der chromosomalen DNA setzt zugleich an mehreren Stellen der DNA-
Doppelhelix ein. Die Doppelspirale der DNA wird an diesen Stellen entwunden (entspirali-
siert) und die Basenpaare voneinander getrennt, so daß der Doppelstrang in zwei Einzel-
stränge aufgetrennt wird. An jeden dieser Einzelstränge der DNA, die nun als Matrize dienen
(Matrizenstrang), reihen sich 2'-Desoxyribonucleotide mit den zur Matrize komplementären
Nucleinbasen zu einem Komplementärstrang auf. Das durch die Entspiralisierung gebildete
Replikationsauge wird an den Replikationsgabeln durch weiteres Entspiralisieren in beiden
Richtungen laufend erweitert, bis schließlich zwei identische DNA-Doppelhelices entstanden
sind. Die für die Replikation erforderlichen 2'-Desoxyribonucleosidtriphosphate sind im
Zellkern in ausreichender Menge vorhanden. Sie stammen aus dem Abbau der mit der Nah-
rung aufgenommenen Nucleinsäuren und aus der Nucleotidsynthese der Zelle.
Die zwei durch die Replikation entstandenen DNA-Doppelhelices sind zwar mit der ur-
sprünglichen DNA-Doppelhelix (Eltern-DNA) vollkommen identisch, jedoch stammt in je-
der neu gebildeten DNA-Doppelhelix nur ein Strang von der ursprünglichen DNA-Doppel-
helix. Die Replikation erfolgt also semikonservativ.
Die Replikation ist ein komplexer Vorgang, an dem mehrere Enzyme beteiligt sind. Sie
beginnt an einigen Stellen der chromosomalen DNA, die als Replikationsursprung bezeich-
net werden, mit dem Entwinden (Entspiralisierung) der DNA-Doppelhelix unter Spaltung
der Wasserstoffbrücken zwischen den Basenpaaren. Die Doppelhelix wird hierbei in zwei
Einzelstränge aufgetrennt. Bei diesem Entwinden der Doppelhelix arbeiten ein Replicase-
Protein und die Helicase II zusammen. Das Replicase-Protein bewegt sich entlang des einen
Doppelhelix-Stranges (Leitstrang-Matrize) in 3'–>5'-Richtung und die Helicase II am an-
1074 27 Nucleinsäuren

Repli- Repli- Repli-


kations- kations- kations-
ursprung auge gabel

= Matrizenstrang = Komplementärstrang

Bild 27.5 Die Replikation setzt an mehreren Stellen der DNA ein.

Eltern-DNA
5'
= Replicase- 3'
= Adenin
Protein = Cytosin
3'
5'
= Guanin
= Helicase II = Thymin

= einzelstrang-
bindendes Protein CH2
O
= H H

H H
5' O H

Leitstrang- 3' = Phosphatrest


Matrize
3'
5'
Folgestrang-Matrize
Leitstrang 5'
Folgestrang
5' 3'
3' 5'
3'
5'
entstehen- 5' 3'
de Tochter- 5' 3' OH
DNA

Bild 27.6 Replikationsschema


27.1 Die Desoxyribonucleinsäure 1075

deren Strang (Folgestrang-Matrize) in 5'–>3'-Richtung. Ein einzelstrangbindendes Protein


(single-strand-binding-protein = SSB) bindet sich gleich hinter beiden Enzymen an Nucleo-
tide der Einzelstränge und verhindert dadurch, daß diese sich unter Basenpaarbildung wieder
zusammenfügen. Das von der Gabelung entferntere einzelstrangbindende Protein wird mit
vorrückender Replikationsgabel wieder abgespalten, damit die Synthese des Komplemen-
tärstranges weiter fortschreiten kann (Replikationsschema siehe Bild 27.6).

Anknüpfung eines Desoxyribonucleotids an den Leitstrang:

Matrizenstrang
Leitstrang
H Guanin O O
O O
O N H O N H O P
H
P H O
5' Cytosin
O O N H N N CH2 3'
H2C H H
O N N
3' O O
H H O H N H 5'
O O P
H H Adenin
H O O
O P O P O HO H CH3 O H N N H
O
H
P O H
O O Thymin
O O N H N N 5'CH2
2-Desoxy-
thymidin- H2C N N H H O O
O
-5-triphos- H H P
phat O
H H O O

H O H

Richtung zur
DNA-Polymerase Replikationsgabel

Matrizenstrang
Leitstrang
H Guanin O O
O O
O N H O N H O P
H
5' P H O
Cytosin
O O N H N N CH2 3'
H2C H H
O N N
3' O O
H H O H N H 5'
O O P
H H Adenin
H O O
O P O P OH O H CH3 O H N N H
O
P O H
O O H
Thymin
O O N 5'CH2
N H N
Pyrophosphat
H2C N N H H O O
O
H H O P
H H O O

H O H

freie Hydroxylgruppe Richtung zur


in 3'-Stellung des Replikationsgabel
verlängerten Leitstrangs
1076 27 Nucleinsäuren

Voraussetzung für die Synthese des Komplementärstranges ist die Anwesenheit der
entsprechenden 2'-Desoxyribonucleosidtriphosphate (2'-Desoxythymidin-5'-triphosphat, 2'-
Desoxycytidin-5'-triphosphat, 2'-Desoxyadenosin-5'-triphosphat und 2'-Desoxyguanosin-5'-
triphosphat). Das 2'-Desoxyribonucleosidtriphosphat koppelt unter Ausbildung der Wasser-
stoffbrücken mit seiner Nucleinbase an die komplementäre Nucleinbase des Matrizenstranges
an. In Anwesenheit der DNA-Polymerase I findet ein nucleophiler Angriff des 3'-OH-Endes des
Leitstranges am Phosphoratom des 2-Desoxyribonucleosidtriphosphats statt, der zur Ab-
spaltung von Pyrophosphat als Abgangsgruppe führt. Bei dieser SN-Reaktion erfolgt eine Ver-
knüpfung des Desoxyribonucleotids über eine Diesterphosphatbrücke mit dem 3'-Ende des
bereits gebildeten Teiles des Leitstranges (siehe Schema auf der linken Seite).
Auf diese Weise kann bei Erweiterung des Replikationsauges die Synthese des Leitstran-
ges kontinuierlich erfolgen. Als Leitstrang wird der Komplementärstrang bezeichnet, der in
Richtung zur Replikationsgabel am Strangende eine freie Hydroxygruppe in 3'-Stellung
aufweist.
Beide Stränge der Eltern-DNA (die Matrizenstränge), die bezüglich der 3'- und 5'-Enden
zueinander antiparallel ausgerichtet sind, dienen als Matrize für die Synthese der neuen
RNA. Der jeweilige Komplementärstrang muß zum Matrizen-Strang auch wieder antiparallel
ausgerichtet sein. Daraus ergibt sich, daß es zwei antiparallele Komplementärstränge gibt:
einen Komplementärstrang mit 5'–>3'-Richtung, den Leitstrang, und einen Komplementär-
strang mit 3'–>5'-Richtung, der als Folgestrang oder auch verzögerter Strang (engl. lagging
strand) bezeichnet wird. Der Folgestrang weist in Richtung zur Replikationsgabel ein 5'-
Ende auf.
Die Synthese des Folgestranges ist komplizierter als die des Leitstranges. Die Komplika-
tion ergibt sich daraus, daß DNA-Polymerasen nicht ein Desoxyribonucleotid mit einem 5'-
Ende des Komplementärstranges verknüpfen können. Die Synthese des Folgestranges ge-
schieht deshalb diskontinuierlich, indem kleine Fragmente, sogenannte Okazaki-Fragmente,
in Gegenrichtung zur Erweiterung der Replikationsgabel, also von der Gabelung in Richtung
zum schon bestehenden Teil des Folgestranges, nebeneinander aufgebaut werden.
DNA-Polymerasen können die DNA-Synthese nicht initiieren, sie brauchen dazu einen
Primer mit freier OH-Gruppe in 3'-Stellung am Ende eines Polynucleotidstranges. Der Pri-
mer ist ein kurzer RNA-Strang, der mit Hilfe einer RNA-Polymerase synthetisiert wird, wo-
bei die Basenfolge eines kurzen DNA-Bereiches unter Bildung eines DNA-RNA-Doppel-
stranges in eine komplementäre Basenfolge der RNA umschrieben wird.
Die Synthese des Okazaki-Fragments beginnt in Gegenwart der Primase, die eine spezifi-
sche RNA-Polymerase ist, mit der Bildung eines kurzen Ribonucleotid-Stranges als Primer,
der aus etwa 10 Ribonucleotiden besteht. Das DNA-Polymerase-III-Holoenzym bindet an
die freie 3'-OH-Gruppe des Primers ein Desoxyribonucleotid, dem weitere Desoxyribonu-
cleotide folgen. Auf diese Weise wird ein kurzer RNA-DNA-Hybrid-Komplementärstrang
aufgebaut, der mit seinen Basen an die komplementären Basen des Matrizenstranges über
Wasserstoffbrücken gebunden ist. Der RNA-Teil des Hybrid-Komplementärstranges wird
nach der Synthese der Okazaki-Fragmente abgespalten. Die abgespaltenen RNA-Teile hin-
terlassen Lücken zwischen den DNA-Fragmenten, die mit 2'-Desoxyribonucleotiden aufge-
füllt werden, die zu den Basen des Matrizenstranges komplementär sind. Die 2'-Desoxy-
ribonucleotide werden hierbei mit Hilfe der Polymerase I nacheinander an das jeweilige 3'-
Ende der Fragmente gebunden. Mit der DNA-Ligase (lat. ligare = binden) werden schließ-
lich noch vorhandene Einzelstrangbrüche verschlossen.
27.2 Ribonucleinsäuren 1077

Folgestrang-Matrize 3' 5' 5'


Eltern-DNA 3'
5' 5' 3' 5' 3' 5' 3' Folgestrang
Okazaki-Fragmente 5' 3'
3'
Leitstrang 3' 5'
3' 5'
3'
Leitstrang-Matrize 5' 3'

Bild 27.7 Schema der Leitstrang- und Folgestrangsynthese

Der Leitstrang wird kontinuierlich und der Folgestrang diskontinuierlich synthetisiert.


Man kann deshalb die Replikation als semidiskontinuierlich bezeichnen.

27.2 Ribonucleinsäuren
Die Ribonucleinsäuren (engl.: ribonucleic acid = RNA) sind Polyribonucleotide (siehe
Abschnitt 21.6.12 und Seite 904). Als Nucleinbasen findet man in der RNA die Pyrimidin-
derivate Uracil und Cytosin und die Purinderivate Adenin und Guanin. Die Pyrimidinderi-
vate sind in Stellung 1 und die Purinderivate in Stellung 9 mit dem Stickstoffatom β-glycosi-
disch mit der D-Ribofuranose verknüpft. Die β-D-Ribofuranoside sind in Stellung 3' und 5'
untereinander mit Diesterphosphatbrücken verbunden und bilden eine Kette.
O NH2 NH2 O
H 3 4 3 4 1 6 H 1 6
N 5 N 5 5 N7 5 N7
N N
2 2 8 8
6 6 2
2 4
O N1 O N1 N3 N9 4 N9
H2N N3
H H H H
Uracil Cytosin Adenin Guanin

Pyrimidin-Derivate Purin-Derivate

Die beiden Basen Adenin und Uracil können, ebenso wie die Basen Cytosin und Guanin,
mit Hilfe von Wasserstoffbrücken miteinander Basenpaare bilden. Von der DNA unterschei-
den sich Ribonucleinsäuren darin, daß als Zuckerkomponente anstelle der 2-Desoxy-D-ribose
die D-Ribose und anstelle von Thymin Uracil als Nucleinbase vorliegen. Sie unterscheiden
sich außerdem durch einen niedrigeren Polymerisationsgrad (Molekularmasse 104–107) und
dadurch, daß die RNA, außer in bestimmten Viren bzw. Phagen, durchweg einsträngig ist.
Durch Rückfaltung palindromer Einzelstränge der RNA (Einzelstränge mit selbstkom-
plementären Bereichen) können unter Basenpaarbildung doppelhelicale Bereiche entstehen.
Die Bereiche des RNA-Stranges, die nicht selbstkomplementär sind, bilden, soweit sie nicht
endständig sind, Haarnadelschleifen.
1078 27 Nucleinsäuren

5' 3'
palindromer Einzelstrang
Haarnadelschleife
3'

= Adenin = Guanin
= Cytosin = Uracil
= Kette, bestehend aus
Ribofuranose- und
Phosphatresten in
wechselnder Folge
doppelhelicaler Bereich
= Wasserstoffbrücken 5'

Bild 27.8 Rückfaltung eines palindromen Einzelstrangs der RNA

Die Ribonucleinsäuren spielen in der Proteinsynthese eine Schlüsselrolle. An ihr sind be-
teiligt:
– die ribosomale RNA (r-RNA),
– die Boten- oder Messenger-RNA (m-RNA) und
– die Transfer-RNA (t-RNA).

27.2.1 Die ribosomale RNA (r-RNA)

Ribosomen sind bei Eukaryonten an das rauhe endoplasmatische Reticulum (siehe Abschnitt
19.7.3) gebundene oder frei im Cytoplasma schwebende ellipsoide Körperchen. Sie gewähr-
leisten durch ihre Faltung die für die Proteinsynthese wichtigen räumlichen Voraussetzungen
und sind der Ort (sozusagen die Werkstatt), wo sie stattfindet. Ribosomen aus tierischen- und
pflanzlichen Zellen haben eine Sedimentationskonstante1 von 80S, was einer Molmasse von
4,2 · 106 entspricht. Sie setzen sich aus Proteinen und ribosomaler RNA zusammen. Der
Proteinanteil beträgt etwa 50 %.
Ribosomen sind aus einer kleinen und einer großen Untereinheit aufgebaut. Beide Un-
tereinheiten haben mehrere an r-RNA gebundene Proteine. Die kleine Untereinheit besitzt
ein einziges r-RNA-Molekül und die große Untereinheit enthält eine große und zwei kleine
ribosomale Ribonucleinsäuren. Die Ribosomen sind räumlich so gestaltet, daß die m-RNA,
die die Proteinsynthese codiert, in die Faltung der Ribosomen hineinpaßt und in ihr entlang-
gleiten kann (ähnlich wie das Band in einer Prägezange), wobei die t-RNA mit ihrem Anti-
1
Die Sedimentationskonstante wird in S = Svedberg-Einheiten angegeben und ist ein Maß für die
Sedimentationsgeschwindigkeit im Schwerefeld der Ultrazentrifuge.
27.2 Ribonucleinsäuren 1079

codon an der Bindungsstelle des Ribosoms an das Codon der m-RNA ankoppeln kann. Die-
ser Vorgang kann mit einem m-RNA-Molekül gleichzeitig an mehreren Ribosomen gesche-
hen, so daß der Wirkungsgrad der m-RNA beträchtlich erhöht wird.

27.2.2 Die Boten- oder Messenger-RNA (m-RNA)


Die m-RNA übernimmt im Transkriptionsprozeß die genetische Information von der im
Zellkern befindlichen DNA und bringt sie (deshalb Boten-Ribonucleinsäure) aus dem Zell-
kern an den im Zellplasma befindlichen Syntheseort der Proteine, zu den Ribosomen. Die m-
RNA wirkt als Matrize für die Proteinsynthese. Durch die Sequenz ihrer Basen erfolgt eine
Festlegung der Sequenz der Aminosäurereste im zu synthetisierenden Protein. Eine bestimm-
te Kombination von drei Nucleinbasen bildet den Code für eine der 20 Aminosäuren. Die
Kombination der drei Nucleinsäurebasen der m-RNA wird als Codon bezeichnet. An dieses
Codon der m-RNA kann sich die t-RNA mit einer Dreiergruppe komplementärer Basen, die
man Anticodon nennt, über Wasserstoffbrücken reversibel binden. Die Codons überlappen
nicht und sie sind auch nicht durch eine oder mehrere Nucleinbasen im Strang der m-RNA
voneinander getrennt, sie folgen dicht aufeinander.

27.2.3 Die Transfer-RNA (t-RNA)


Die Transfer-Ribonucleinsäuren sind wichtige Partner der Proteinsynthese. Sie binden die im
Cytoplasma befindlichen aktivierten Aminosäuren und transportieren sie zu den Ribosomen,
dem Ort der Proteinsynthese. Jede t-RNA bindet eine ganz bestimmte Aminosäure. An den
Ribosomen angekommen, erfolgt über Wasserstoffbrücken eine Anbindung ihres Anticodons
an das Codon der m-RNA. Damit wird gewährleistet, daß die Aminosäure, die sie tragen, bei
der Proteinsynthese an der richtigen Stelle an die wachsende Peptidkette angefügt wird. Sie
erfüllen damit auch die Funktion eines Bindegliedes, das die Basenfolge der Messenger-
Nucleinsäure in die richtige Sequenz der Aminosäuren „übersetzt“.
Es müssen mindestens so viel Transfer-Ribonucleinsäuren vorhanden sein, wie es Ami-
nosäuren gibt. Da bestimmte Aminosäuren von zwei oder sogar mehreren unterschiedlichen
Codonen codiert werden können, ist die Anzahl der Transfer-Ribonucleinsäuren sogar noch
größer.
Die Transfer-Ribonucleinsäuren sind mit 60–95 Nucleotiden und einer Molmasse von
18.000–29.000 relativ kurzkettig. Auf Grund ihrer Löslichkeit im Cytoplasma wurden sie
früher auch als soluble (lösliche) RNA bezeichnet. Die t-RNA ist einsträngig. Das 5'-Ende
des Stranges trägt einen Phosphatrest, das 3'-Ende eine freie 3'-Hydroxygruppe am Ribof-
uranosid. Bei allen t-RNA ist Cytosin-Cytosin-Adenin die Basensequenz am 3'-Ende. Die
Anknüpfungsstelle für die aktivierte Aminosäure ist die 3'-Hydroxygruppe, in manchen Fäl-
len auch die 2'-Hydroxygruppe, des endständigen Adenosins.
Der RNA-Strang der t-RNA hat selbstkomplementäre Bereiche, die durch Rückfaltung
basengepaarte doppelhelicale Bereiche bilden. Man kann die Basensequenz und die mitei-
nander verbundenen Basenpaare der t-RNA übersichtlich in der Kleeblatt-Form aufzeichnen.
1080 27 Nucleinsäuren

Bild 27.9 Kleeblatt-Form und Tertiärstruktur der Hefe-Phenylalanin-t-RNA

Die t-RNA kann in charakteristische Bereiche unterteilt werden: den Akzeptor-Arm mit der
Anknüpfungsstelle für die Aminosäure, dem Anticodon-Arm mit dem Anticodon, dem TΨC-
Arm mit der Nucleosidsequenz Ribothymidin, Pseudouridin und Cytidin in der Haarnadel-
schleife, dem D-Arm, der in seiner Schleife Dihydrouracyl als Base aufweist und schließlich
die variable Schleife, die in der Zusammensetzung und Anzahl der Basen variiert.
Die t-RNA hat, wie röntgenkristallographische Untersuchungen zeigten, eine Terti-
ärstruktur, die einer L-Form entspricht. In ihr stehen der Akzeptor- und TΨC-Arm senkrecht
zum Anticodon- und D-Arm. Die zwei aufeinander stehenden Teile der L-Form haben je zwei
doppelhelicale Bereiche (siehe Bild 27.9).
Transfer-Ribonucleinsäuren enthalten außer Adenin, Cytosin, Guanin und Uracil auch
methylierte Derivate dieser Basen und weitere Purin- und Pyrimidinbasen. Dazu gehören
Hypoxanthin (Formel siehe Abschnitt 25.7.1. Das Ribonucleosid des Hypoxanthins wird als
Inosin und das Nucleotid als Inosinsäure bezeichnet.), Dihydrouracil (D oder H2U) und Thy-
min (T) (Formel siehe Abschnitt 27.1). Die Base Thymin findet man sonst nur in der DNA,
wo sie mit der 2-Desoxyribose verknüpft ist. Liegt Thymin jedoch an die Ribose β-glycosi-
disch gebunden vor, wird das Nucleosid als Ribothymidin benannt. Ist Uracil in Stellung
5 β-glycosidisch mit der Ribose verknüpft, wird das Nucleosid als Pseudouridin und die so
gebundene Base mit dem Symbol Ψ bezeichnet. Von einigen in Bild 27.9 angeführten Sym-
bolen für modifizierte Basen der Hefe-Phenylalanin-t-RNA (die erste t-RNA, deren Tertiär-
struktur ermittelt wurde) werden die entsprechenden Formeln angeführt. Bezüglich der Sym-
bole sei noch darauf hingewiesen, daß ein „m“ vor dem Symbol der Base bedeutet, daß diese
methyliert ist, die Hochzahl gibt die Stellung der Methylgruppe an. Der Buchstabe „m“ nach
27.3 Die Biosynthese der Ribonucleinsäuren und der Proteine 1081

dem Symbol der Base bedeutet, daß das entsprechende Nucleosid an der 2'-Position der Ri-
bose methyliert ist. Die Anknüpfungsstelle der Ribose an die Nucleinbase wird in den nach-
stehenden Formeln mit einem Pfeil kenntlich gemacht.
Die Formeln einiger modifizierter Basen der Hefe-Phenylalanin-t-RNA:
O NH2 NH2 O
H
4 4
H 3 3 CH3 H3C 1 6 N7 H 1 6
N N
5 5 5 N7
5 H N N
2 H 2 8 8
6 6 2
2 4 N9 4
O N1 O N1 N3 H3C N N3 N9
H
H H H H H

D = Dihydrouracil m5C = 5-Methyl- m1A = 1-Methyl- m2G = 2-N-Methyl-


cytosin adenin guanin

O
O O O
CH3 (H3C C O)2CHCH2CH2
H 1 6 N7 H 1 6
5 5 N7 N
N N N
2
8 8 Wyo- H 3C
2 sin-
4 N9 4 N9 rest N N
H 3C N N3 H2N N3 N
H 3C H H H H

m22G = 2,2-N,N-Di- m7G = 7-N-Methylguanin Y = Wyosinderivat


methylguanin

27.3 Die Biosynthese der Ribonucleinsäuren und der Proteine

In allen Zellen steuert die in der DNA in Form der Basensequenz gespeicherte genetische
Information die Synthese der für die Zelle notwendigen Proteine. Die Proteinsynthese wird
durch ein ineinandergreifendes Geschehen ermöglicht, an dem die Desoxyribonucleinsäure,
die Messenger-RNA, die Transfer-RNA, die ribosomale RNA und Proteine (als Bestandteile
der Ribosomen und Enzyme) beteiligt sind.
Alle Ribonucleinsäuren werden im Zellkern synthetisiert. Die Synthese erfolgt an einem
Strang eines aufgerollten Teilabschnitts der DNA durch Bindung komplementärer Ribo-
nucleotid-Basen an diesen DNA-Strang. Hierbei wird die genetische Information der DNA
auf die RNA kopiert. Den Vorgang bezeichnet man als Transkription (= Abschrift, vom lat.
transcribere = umschreiben).
Die Synthese der Proteine erfolgt an den außerhalb des Zellkerns gelegenen Ribosomen.
Die Ribosomen gleiten an der m-RNA entlang, und es erfolgt eine Bildung von Codon-
Anticodon-Paaren: An ein Basentriplett der m-RNA, das Codon, wird die t-RNA mit ihrem
Anticodon, einer Dreiergruppe komplementärer Basen, über Wasserstoffbrücken reversibel
gebunden. Der an die t-RNA gebundene Aminoacylrest einer Aminosäure wird mit dem
1082 27 Nucleinsäuren

C-Terminus des schon synthetisierten Teilabschnitts des Proteins amidisch verknüpft. Auf
diese Weise wird die Polypeptidkette verlängert und die Reihung der Aminosäuren im Pro-
tein (die Sequenz) von der Codonfolge der m-RNA bestimmt. Der Vorgang der Übersetzung
der Codonfolge in die Sequenz der Aminosäure wird als Translation (lat. translatio = Über-
setzung) bezeichnet.
Die Synthese der Ribonucleinsäuren an einem bestimmten DNA-Abschnitt mit darauf
folgender Synthese eines vollständigen, funktionellen Peptids oder Proteins bezeichnet man
als Genexpression. In einem weiteren Sinne verwendet man diesen Ausdruck auch für die
Ausprägung der genetischen Information zum Phänotyp eines Organismus. Unter Phänotyp
versteht man die Gesamtheit der Merkmale des vollentwickelten Individuums.

27.3.1 Die Biosynthese der Ribonucleinsäuren

27.3.1.1 Die Transkription


Bei der Transkription wird die Basenfolge der DNA unter Bildung eines kurzzeitigen DNA-
RNA-Doppelstrangs in eine komplementäre Basenfolge der RNA umschrieben. Beteiligt an
dem Vorgang ist die DNA-abhängige RNA-Polymerase. Die Transkription beginnt mit der
Bindung dieses Enzyms an den Promotor, einer spezifischen Basenfolge auf der DNA. Das
Enzym entwindet einen Bereich der DNA-Doppelhelix und legt dabei die beiden Einzel-
stränge frei. Nur einer der beiden Einzelstränge wird abgeschrieben. Während die RNA-
Polymerase den DNA-Strang entlangwandert, werden Ribonucleosid-5'-triphosphate (ATP,
CTP, GTP und UTP) mit ihrer Base an die komplementären Basen der DNA gebunden.
Uracil ist in diesem Fall die komplementäre Base zu Adenin. Die vier Basen der DNA paa-
ren sich mit den vier Basen der RNA auf folgende Weise:
DNA A C G T
:: ::: ::: ::
:: ::: ::: ::
RNA U G C A
Unter Abspaltung von Pyrophosphat aus den Ribonucleosid-5'-triphosphaten werden die
Ribonucleotide an die wachsende RNA-Kette geknüpft. Die Synthese des RNA-Stranges
erfolgt vom 5'-Ende zum 3'-Ende. Das 5'-Ende des Nucleotids wird über eine Phosphordi-
esterbrücke mit dem 3'-Ende des schon gebildeten Teils der Ribonucleinsäure verbunden
(vergleiche Abschnitt 27.1.1.5). Der synthetisierte RNA-Abschnitt kann, während ein weite-
rer DNA-Abschnitt entspiralisiert wird, von der DNA abgelöst werden, worauf sich der
DNA- Abschnitt, der schon transkribiert worden ist, wieder schließt. Die RNA-Polymerase
wandert auf der DNA so lange weiter, bis sie auf eine Basensequenz trifft, die die Transkrip-
tion beendet. Die einzelsträngige RNA wird freigesetzt und die RNA-Polymerase fällt von
der DNA ab, die sich wieder zur Doppelhelix schließt.

27.3.1.2 Die RNA-Prozessierung


Früher hatte man angenommen, daß ein Gen ein zusammenhängender DNA-Bereich mit der
Bauanleitung für ein einziges Protein sei. Dies stimmt zwar mehr oder weniger für Prokary-
onten, bis auf Ausnahmen aber nicht für Eukaryonten. Deren Gene sind vielmehr mosaik-
27.3 Die Biosynthese der Ribonucleinsäuren und der Proteine 1083

DNA
RNA DNA
5' RNA
RNA- Polymerase
Richtung, in der die
weitere Auftrennung
der DNA erfolgt

3'

Bild 27.10 Transkription

artig aufgebaut und bestehen aus abwechselnden Teilbereichen von Exonen und Intronen.
Abschnitte mit Sequenzen, die die Synthese von funktionsfähigen Ribonucleinsäuren codie-
ren, nennt man Exonen (Einzahl = Exon). Intronen (Ausdruck abgeleitet von intervenieren-
den Sequenzen) sind nicht codierende Sequenzbereiche. Bei der Primärabschrift, dem Pri-
märtranskript, wird der ganze Genbereich mit Exonen und Intronen von der DNA auf die
RNA abgeschrieben. So, wie unbrauchbare Filmsequenzen am Schneidetisch ausgeschnitten
werden müssen, ist auch eine weitere Bearbeitung des Primärtranskripts notwendig. Im Pri-
märtranskript werden unter Einwirkung von Kern-Nucleoproteinen die Exonen und die Int-
ronen voneinander getrennt. Die Intronen werden in Nucleotide abgebaut und die Exonen in
richtiger Folge zur reifen funktionsfähigen RNA zusammengefügt. Das Herausschneiden von
Intron-RNA-Sequenzen und die kovalente Verknüpfung von Exonen nennt man Spleißen.
Die reifen Ribonucleinsäuren wandern durch die Kernporen ins Cytoplasma.
Der Gesamtprozeß der Umwandlung des Primärtranskripts, der zur funktionsfähigen, rei-
fen RNA führt, wird als Prozessierung bezeichnet (siehe Bild 27.11).

27.3.2 Die Biosynthese der Proteine

Die Proteinbiosynthese umfaßt die im Cytoplasma der Zelle stattfindende Aktivierung und
Bindung der Aminosäuren an die t-RNA und die Translation, die am Ribosom erfolgt. Bei
der Translation (lat. translatio = Übersetzung) wird die Peptidkette gebildet, wobei die Co-
donfolge der m-RNA in die Sequenz der Proteine übersetzt wird.

27.3.2.1 Aktivierung und Bindung der Aminosäuren an die t-RNA


Die im Cytoplasma der Zelle befindlichen Aminosäuren müssen für die Proteinsynthese an
die t-RNA gekoppelt werden. Für die Anbindung der Aminosäuren an die t-RNA bedarf es
einer Aktivierung der Aminosäuren durch deren Umsetzung in ein energiereiches Aminosäu-
1084 27 Nucleinsäuren

Transkription Prozessierung reife RNA

RNA t-RNA


DNA

RNA


r-RNA
DNA + +

RNA


m-RNA

Exon Intron Kernmembran Kernpore

Bild 27.11 Schema der RNA-Synthese


rederivat. Die Aktivierung erfolgt durch die Reaktion der Aminosäure mit Adenosin-5'-
triphosphat (ATP). Die Aminosäure greift das ATP nucleophil an der ersten Phosphatgruppe
an. Über einen trigonal-bipyramidalen Übergangszustand wird unter Abspaltung von Py-
rophosphat ein gemischtes Säureanhydrid gebildet, das Aminoacyladenylat, das auch als
Aminoacyladenosylmonophosphat bezeichnet werden kann.
O

O O P O

O P O H O
O O
O
O O R C C P
O P O O N NH2
H P NH3
O O
O O O O
R C C N
P N NH2 H2C O N
O 5'
NH3 O H H
5' O N
Aminosäure H2C
O N N
H H
H H HO OH
N
H H trigonal-bipyramidaler
HO OH Übergangszustand
Adenosin-5'-triphosphat

H O O O

R C C P O N NH2 O P O
O O
NH3 O O
N
H2C 5' O N P
H H +
N O O
H H
HO OH

Aminoacyladenylat Pyrophosphat
(Aminoacyl-AMP)
27.3 Die Biosynthese der Ribonucleinsäuren und der Proteine 1085

Durch Katalyse mit der Aminoacyl-t-RNA-Synthetase wird die Aminoacylgruppe vom


Aminoacyladenylat auf das 3'-Ende der t-RNA übertragen. Es gibt auch Fälle, in denen das
Aminoacyladenylat nicht mit der 3'-Hydroxygruppe, sondern mit der 2'-Hydroxygruppe am
endständigen Nucleotid der t-RNA reagiert. Bei der Reaktion, die durch einen nucleophilen
Angriff der OH-Gruppe der t-RNA an der Carbonylgruppe des Aminoacyls eingeleitet wird,
wird unter Abspaltung von Adenosinmonophosphat die Aminoacyl-t-RNA gebildet.

H O O
H O
R C C P O N NH2

NH3
O O Aminoacyl-t-RNA- R C C
N Synthetase O + H
H2C 5' O N NH3
t-RNA OH
H H
N t-RNA
H O
H
OH +
HO P O N NH2
Aminoacyladenylat O O

H2C 5' O N N
H H
N
H H
HO OH

Adenosinmonophosphat

Bei der Anbindung des Aminoacylrestes an die t-RNA stellt sich noch die Frage: Wie
kommt es, daß ein Aminoacylrest an die richtige t-RNA-Spezies gebunden wird, wenn
doch alle t-RNA die gleiche Nucleotidsequenz (CMP-CMP-AMP) am 3'-Ende aufweisen?
Des Rätsels Lösung liegt in den Aminoacyl-t-RNA-Synthetasen, das sind spezifische En-
zyme, die die t-RNA mit der Aminosäure verknüpfen. Sie sind aminosäurespezifisch, das
heißt, jede Aminoacyl-t-RNA katalysiert die Übertragung auf die t-RNA nur für eine ganz
bestimmte Aminosäure. Sie sind überdies auch noch t-RNA-spezifisch, denn sie erkennen
an bestimmten Merkmalen die t-RNA, auf die der entsprechende Aminoacylrest übertragen
werden soll. Diese Erkennungsmerkmale sind unterschiedlich bei verschiedenen t-RNA-
Spezies, bei manchen ist es das Anticodon, bei anderen sind es wiederum andere Merkma-
le. Die Aminoacyl-t-RNA-Synthetasen katalysieren die Reaktion zur Aminoacyl-t-RNA
nur zwischen der speziellen t-RNA und dem dazu gehörigen Aminoacyladenylat, so daß t-
RNA und der Aminoacylrest einander entsprechen. Dies setzt natürlich voraus, daß für die
beiden Reaktionspartner die für sie spezielle Aminoacyl-t-RNA-Synthetase im Cytoplasma
zur Verfügung steht. Dementsprechend groß ist auch die Anzahl der Aminoacyl-t-RNA-
Synthetasen.

27.3.2.2 Der genetische Code


Das Codon besteht aus drei aufeinanderfolgenden Nucleotiden (Code-Tripletts) der m-RNA.
Es codiert mit seiner Basenfolge den Einbau einer bestimmten Aminosäure in den wachsen-
den Strang des Polypeptids bei der Proteinsynthese. Die aufeinanderfolgenden Codonen
bestimmen die Sequenz der Aminosäurereste im Protein. Die Zuordnung der Codonen zu
den 20 in Proteinen vorkommenden Aminosäuren wird als genetischer Code bezeichnet. Der
genetische Code gilt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, für alle Lebewesen.
1086 27 Nucleinsäuren

Tabelle 27.2 Der genetische Code

Base in erster Base in zweiter Position Base in dritter


Position Position
(5'-Ende) U C A G (3'-Ende)
Phe Ser Tyr Cys U
Phe Ser Tyr Cys C
U
Leu Ser Stop Stop A
Leu Ser Stop Trp G
Leu Pro His Arg U
Leu Pro His Arg C
C
Leu Pro Gln Arg A
Leu Pro Gln Arg G
Ile Thr Asn Ser U
Ile Thr Asn Ser C
A
Ile Thr Lys Arg A
Met/Start Thr Lys Arg G
Val Ala Asp Gly U
Val Ala Asp Gly C
G
Val Ala Glu Gly A
Val Ala Glu Gly G

Man kann darüber nachdenken, warum es gerade eine Sequenz dreier Basen ist, die im
Codon den Einbau einzelner Aminosäuren in den Proteinstrang codiert. Die vier Basen Cyto-
sin, Uracil, Adenin und Guanin könnten, jede für sich allein stehend, nur je eine Aminosäure,
also insgesamt vier Aminosäuren codieren. Geht man von einer Zweiergruppe von Basen
aus, wobei sich in dieser Zusammenstellung auch die Base wiederholen kann, so gelangt
man zu 42 = 16 Variationen, nämlich:
AA, AC, AG, AU, CA, CC, CG, CU, GA, GC, GG, GU, UA, UC, UG und UU.
Dies zeigt, daß Codonen mit einer Zweiergruppe von Basen 20 Aminosäuren nicht codie-
ren können. Eine Sequenz dreier Basen gibt 43 = 64 Variationen (siehe Tabelle 27.2). Wird
ein Codon mit einer Dreiergruppe von Basen benutzt, so ist dies voll ausreichend, denn es
stehen für eine Aminosäure sogar zwei- oder auch mehrere Codonen zur Verfügung.
Das Codon mit der Sequenz AUG codiert Methionin und ist auch ein Teil des Initiati-
onssignals, mit dem die Proteinsynthese beginnt. In letzterem Falle geht diesem Codon
eine Sequenz voraus, die bestimmt, daß das Codon als Kettenstartsignal eingesetzt wird.
Ein ähnlicher, aber seltener Fall, liegt beim Codon GUG vor, das sowohl Valin codiert
als auch als Startsignal dienen kann. Die Codonen UAA, UAG und UGA bewirken die
Kettentermination.
27.3 Die Biosynthese der Ribonucleinsäuren und der Proteine 1087

27.3.2.3 Die Translation


Der Abschnitt der Proteinsynthese, bei dem die Codonfolge der m-RNA in die Aminosäu-
resequenz der Polypeptidkette übersetzt wird, wird als Translation bezeichnet. Dieser Prozeß
findet in einer Faltung des Ribosoms statt und setzt sich aus drei Teilschritten zusammen: der
Initiation, der Elongation und der Termination. Die t-RNA hat bei der Translation die Funk-
tion eines Bindegliedes, das gewährleistet, daß die Sequenz der Aminosäuren der Codonse-
quenz der m-RNA entspricht. Sie bindet sich mit ihrem Anticodon an das Codon der
m-RNA, worauf die Aminosäure, die sie trägt, an das Ende der schon synthetisierten Po-
lypeptidkette angefügt wird. Die Translation beginnt am 5'-Ende der RNA und setzt sich in
Richtung zum 3'-Ende fort. Der Bau der Polypeptidkette beginnt mit der Aminosäure, die
den N-Terminus bildet. Die Polypetidkette wird in jedem Elongationscyclus der Translation
am C-Terminus um einen Aminosäurerest verlängert.
a) Die Initiation
Während der Einleitungsphase der Translation, die als Initiation bezeichnet wird, vereinigen
sich unter energieliefernder Spaltung von Guanosin-5'-triphosphat die m-RNA, die kleine
Ribosomen-Untereinheit (die 40S-ribosomale Untereinheit), Initiationsfaktoren und die Me-
thionyl-t-RNA zu einem Initiationskomplex. Katalysiert wird die Komplexbildung durch
mehrere, als Initiationsfaktoren bezeichnete Proteine. Eine 7-Methylguanosingruppe am 5'-
Ende der m-RNA, die sogenannte Cap-Struktur, ist für das „Einfädeln“ der m-RNA in das
Ribosom verantwortlich. Die kleine ribosomale Untereinheit bewegt sich mit der an sie ge-
bundenen Methionyl-t-RNA bis zum Start-Signal AUG der m-RNA, an das die Methionyl-t-
RNA anbindet. Unter Hydrolyse von Guanosin-5'-triphosphat zu Guanosin-5'-diphosphat
werden die Initiationsfaktoren vom Initiationskomplex abgespalten, worauf die große ribo-
somale Untereinheit angelagert wird. Die Methionyl-t-RNA besetzt die P-Bindungsstelle des
Ribosoms und der Elongationscyclus kann beginnen.
b) Die Elongation
Die Elongation ist eine sich in einer Faltung des Ribosoms abspielende Phase der Translati-
on, bei der die Peptidkette verlängert wird. Es ist ein sich periodisch wiederholender Vor-
gang, der aus drei Teilschritten besteht:
1.) der Bindung der Aminoacyl-t-RNA an die m-RNA über Codon-Anticodon-Paarbildung,
2.) dem Peptidyltransfer und
3.) der Translokation.
In jedem Cyclus wird eine Aminosäure auf die wachsende Polypeptidkette transferiert.
Der Ablauf eines Cyclus wird in Bild 27.12 schematisch veranschaulicht.
Die Bindung der Aminoacyl-t-RNA an die m-RNA über eine Codon-Anticodon-Paarbildung.
Die Oberfläche des Ribosoms bildet eine Faltung. In ihr befindet sich der Teil des m-RNA-
Stranges, an dessen Codon die Anbindung des Anticodons der t-RNA stattfindet. Die erste
Aminoacyl-t-RNA, oder die Peptidyl-t-RNA, die den bereits synthetisierten Teil der Poly-
peptidkette trägt, nimmt die P-Bindungsstelle (Polypeptid-t-RNA-Bindungsstelle) des Ribo-
soms ein. Die daneben befindliche A-Bindungsstelle (Aminoacyl-t-RNA-Bindungsstelle) mit
1088 27 Nucleinsäuren

Met O Tyr O Ser O Ala


H2N CH2 C O Gly
H2N CH C NH CH C NH CH C NH
O
CH2 CH2 H2C H3C CH
CH2 OH O C
Amino-acyl-
S CH3 O -t-RNA
t-RNA
1.) Anbindung der OH
Aminoacyl-t-RNA
an die m-RNA
P-Bindungs- A-Bindungs-
t-RNA
stelle stelle

O
O P O OH
5'-Ende Ribosom m-RNA 3'-Ende
O

Met O Tyr O Ser O Ala


H2N CH C NH CH C NH CH C NH
CH2 CH2 H2C H3C CH H Gly
CH2 OH O C N CH2
H
S CH3 O O C O

2.) Peptidtransfer OH
Peptidyl-t-RNA Aminoacetyl-t-RNA
t-RNA t-RNA

O
O P O OH
5'-Ende Ribosom m-RNA 3'-Ende
O

Met O Tyr O Ser O Ala


H2N CH C NH CH C NH CH C NH Cys
Gly HS CH2
CH2 CH2 H2C H3C CH H
CH2 OH O C N CH2 H2N CH

S CH3 C O C O
OH O O
OH

3.) Translokation t-RNA


t-RNA
t-RNA

O
O P O OH
5'-Ende m-RNA Ribosom 3'-Ende
O
Ribosom

Bild 27.12 Der Elongationscyclus


27.3 Die Biosynthese der Ribonucleinsäuren und der Proteine 1089

dem nächsten Codon der m-RNA ist frei, und es kann eine Codon-Anticodon-Paarung mit
der Aminoacyl-t-RNA erfolgen, die das zum Codon komplementäre Anticodon besitzt. Der
Vorgang wird katalysiert durch Proteine, die als Elongationsfaktoren bezeichnet werden. Der
Energieverbrauch der Reaktion wird durch Spaltung von Guanosintriphosphat gedeckt.
Der Peptidyltransfer. Die an die P-Bindungsstelle gebundene t-RNA, die den Peptidylrest
trägt, wird als Donor-t-RNA bezeichnet. Der Peptidylrest der an die Donor-t-RNA gebunden
ist, wird auf die benachbarte, an der A-Bindungsstelle befindliche Aminoacyl-t-RNA über-
tragen. Auf diese Weise wird die Polypeptidkette um einen weiteren Aminosäurerest verlän-
gert.
Schema zum Peptidyltransfer:
Rest der Rest der Rest der
Polypeptidkette Polypeptidkette Polypeptidkette

NH NH NH

R C H H R' R C H H R' R C H H R'

O C N CH O C N CH O C N CH
H H
O O C O O C O H O C
O O O

t-RNA t-RNA t-RNA t-RNA t-RNA t-RNA


Anticodon Anticodon Anticodon
Codon Codon Codon
5' m-RNA 3' 5' m-RNA 3' 5' m-RNA 3'

Rest der Rest der


Polypeptidkette Polypeptidkette

NH NH

R C H H R' R C H H R'

O C N CH C N CH
O
O H O C O H O C
O O

t-RNA t-RNA t-RNA t-RNA


Anticodon Anticodon
Codon Codon
5' m-RNA 3' 5' m-RNA 3'

Mit der Esterbindung an der t-RNA ist die Aminosäure genügend aktiviert, um an die Po-
lypeptidkette gebunden zu werden. Der Peptidyltransfer (Übertragung der Polypeptidkette
auf die Aminoacyl-t-RNA) wird durch die Peptidyl-Transferase katalysiert. Dieses Enzym ist
ein integraler Bestandteil der Oberfläche der großen ribosomalen Untereinheit. Die Reaktion
erfordert keinen Energietransfer durch Spaltung energiereicher Verbindungen.
1090 27 Nucleinsäuren

Der Peptidyltransfer erfolgt über einen SN2t-Mechanismus (siehe das letzte Schema und
siehe Abschnitt 17.3.4.3). Die an der A-Bindungsstelle befindliche Aminoacyl-t-RNA tritt
mit dem freien Elektronenpaar am Stickstoffatom der Aminogruppe als N-Nucleophil auf,
das sich an den Carbonylkohlenstoff der Carbonyloxygruppe der benachbarten Donor-t-RNA
bindet. Es wird ein tetraedrisches Zwischenprodukt gebildet, in welchem der Stickstoff eine
positive Ladung trägt. Die positive Ladung am Stickstoff der Aminogruppe polarisiert die
N–H-Bindung, so daß eine Deprotonierung eintritt. Das Proton wird vom Sauerstoff der
Donor-t-RNA gebunden. Die C–O-Bindung des tetraedrischen Zwischenprodukts wird da-
nach unter Freisetzung der an der P-Bindungsstelle befindlichen t-RNA gespalten, und es
entsteht eine Peptidbindung, womit die Polypeptidkette um einen Aminosäurerest verlängert
wird. Die an die A-Bindungsstelle gebundene Aminoacyl-t-RNA wird bei dieser Reaktion
zur Peptidyl-t-RNA umgewandelt. Die an der P-Bindungsstelle befindliche t-RNA verfügt
nach dem Peptidyltransfer über eine freie Hydroxygruppe am 3'-Ende.
Die Translokation. In diesem Teilschritt verschiebt sich das Ribosom relativ zur m-RNA um
ein Codon, worauf sich die nach dem Peptidyltransfer unbeladene t-RNA vom Codon der m-
RNA loslöst. Die im letzten Peptidyltransfer gebildete Peptidyl-t-RNA gelangt bei dieser
Bewegung an die P-Bindungsstelle und die A-Bindungsstelle wird frei. Eine Aminoacyl-t-
RNA kann sich mit ihrem Anticodon an das an dieser Stelle befindliche komplementäre Co-
don binden, womit ein neuer Elongationscyclus eingeleitet wird.
Der Prozeß des Faltens der Polypeptidkette zu Sekundär- und Tertiärstrukturen beginnt
schon während der Translationsphase.

c) Die Termination
Für den Abbruch (die Termination) der Translation werden zur Ablösung der fertigen Po-
lypeptidkette aus dem Synthesekomplex Terminationsfaktoren in Form von Proteinen benö-
tigt, es ist aber keine zusätzliche Energie durch Spaltung energiereicher Verbindungen not-
wendig. Die Termination wird durch eines der drei Terminationscodonen UAA, UAG oder
UGA bewirkt. Kommt ein Terminationscodon an die A-Bindungsstelle des Ribosoms, ist
keine Aminoacyl-t-RNA vorhanden, die sich mit ihrem Anticodon komplementär anlagern
könnte. Die Proteinsynthese kann deshalb nicht weitergehen und wird abgebrochen. Die
fertige Peptidkette löst sich von der Peptidyl-t-RNA durch hydrolytische Spaltung. Der Ri-
bosom-m-RNA-Komplex zerfällt, und es bilden sich freie ribosomale Untereinheiten. Diese
können mit einer m-RNA wieder in die Initiationsphase eintreten.
Übungsaufgaben 1091

Übungsaufgaben

? 27.1
Was sind Nucleinsäuren?

? 27.2
Welche Nucleinbasen befinden sich in der DNA und der RNA? Schreiben sie deren chemi-
sche Formel auf.

? 27.3
Welche zentrale Funktionen hat die DNA?

? 27.4
Geben Sie an, welche Arten der Ribonucleinsäure es gibt und welche Funktion sie erfüllen.

? 27.5
Beschreiben Sie die Struktur der B-DNA-Doppelhelix.

? 27.6
Beschreiben Sie den Vorgang bei der Replication der DNA.

? 27.7
Welche Funktion hat die Transfer-RNA und was sind ihre Strukturmerkmale?

? 27.8
Was geschieht bei der Transkription?

? 27.9
Worum geht es beim genetischen Code und was ist ein Codon?

? 27.10
Was geschieht bei der Translation?

? 27.11
Beschreiben Sie die Teilschritte der Elongation.
1092 27 Nucleinsäuren

Lösungen

! 27.1
Nucleinsäuren sind hochmolekulare Polynucleotide (siehe Kapitel 21.6.12 und 27). Die Nu-
cleinsäure aufbauenden Nucleotide bestehen aus drei Grundbausteinen: einer Stickstoff-
haltigen Nucleinbase (siehe Abschnitt 25.6.2.1b und 25.7.1.1), einer Pentose (einer Ribof-
uranose bzw. einer Desoxyribofuranose) und einem Phosphorsäurerest. Die Nucleinbasen
sind β-glycosidisch an die Pentose geknüpft und die Pentosen sind in den Stellungen 3' und
5' über einen Phosphorsäurerest miteinander verbunden. Man unterscheidet 2 Arten von
Nucleinsäuren: die Ribonucleinsäure (abgekürzt RNS bzw. RNA) mit der Ribofuranose als
Zuckerkomponente und die Desoxyribonucleinsäure (abgekürzt DNS bzw. DNA) mit der 2-
Desoxyribofuranose als Zuckerkomponente (siehe Kapitel 27).

! 27.2
Die Ribonucleinsäuren enthalten als Nucleinbasen Uracil, Cytosin, Adenin und Guanin und
die Desoxyribonucleinsäuren die Nucleinbasen Thymin, Cytosin, Adenin und Guanin.
O O NH2 NH2 O
H 3 4 H 3 4 CH3 3 4 1 6 H 1 6
5 5 5 5 N7 5 N7
N N N N N
2 2 2 8 8
6 6 6 2 2
O N1 O N1 O N1 4 N9 4 N9
N3 H2N N3
H H H H H

Uracil Thymin Cytosin Adenin Guanin


in der RNA in der DNA

sowohl in der DNA als auch in der RNA

! 27.3
Die Desoxyribonucleinsäure ist Träger der genetischen Information. Sie hat zwei zentrale
Funktionen: 1.) sie steuert ihre eigene Replikation während der Zellteilung (siehe Kapitel
27.1.1.5) und 2.) sie steuert die Transcription der komplementären RNA-Moleküle (siehe
Kapitel 27.3.1.1).

! 27.4
Die Ribonucleinsäuren haben vielfältige biologische Funktionen und demgemäß gibt es auch
entsprechende spezifische Ribonucleinsäuren: Die Boten-RNA (siehe Kapitel 27.2.2), wel-
che die ribosomale Synthese der Polypeptide steuert. Die Transfer-RNA (siehe Kapitel
27.2.3), die sich an bestimmte Aminosäuren bindet, sie zu den Ribosomen bringt und mit
ihrem Code-Triplett gewährleistet, dass bei der Translation die Sequenz der Aminosäuren
der Codonsequenz der m-RNA entspricht. Ribosomale RNA-Moleküle (siehe Kapitel
27.2.1) bestehen aus der RNA und einem Protein. Bei Viren hat die RNA sogar besondere
Bedeutung, in vielen Viren ist die RNA nämlich auch Träger der Erbinformation.
Lösungen 1093

! 27.5
Die B-DNA-Doppelhelix (siehe Kapitel 27.1.1.2) ist die in lebenden Zellen vorherrschende
Struktur. Es ist die einer rechtsgängigen Doppelspirale der beiden Polynucleotid-Stränge der
DNA. Ihr Durchmesser beträgt etwa 2 nm, die Zuckerphosphatketten befinden sich an der
Peripherie der Doppelhelix und die Basenpaare befinden sich im Inneren der Doppelhelix.
Die Basenpaare sind Adenin-Thymin und Cytosin-Guanin. Der Zusammenhalt und die Form
der Helix sind durch Wasserstoffbrücken und durch die Wechselwirkung der übereinander-
liegenden Basenpaare bedingt (Siehe Kapitel 27.1.1).

! 27.6
Die Replikation führt zu einer Verdoppelung de DNA und bildet die molekulare Grundlage
für die Weitergabe der genetischen Information. Es ist ein komplexer Vorgang, an dem meh-
rere Enzyme beteiligt sind. Sie beginnt mit der Entspiralisierung an einigen Stellen der DNA,
wobei ein Replicase-Protein und die Helicase II zusammenwirken. Das Replicase Protein
bewegt sich entlang des einen Doppelstranges in 3'→ 5'-Richtung und die Helicase II am
anderen Strang in 5'→ 3'-Richtung. Ein einzelstrang-bindendes Protein bindet sich gleich
hinter beiden Enzymen an Nucleotide der Einzelstränge und verhindert, dass sich die Basen-
paare wieder zusammenfügen. Das von der Gabelung entferntere einzelstrangbindende Pro-
tein wird mit vorrückender Replikationsgabel wieder abgespalten (siehe Kapitel 27.1.1.5).

! 27.7
Die Transfer-RNA (t-RNA) bindet eine ganz bestimmte, im Cytoplasma befindliche aktivier-
te Aminosäure und transportiert sie zu den Ribosomen. Dort erfolgt die Anbindung ihres
Anticodons an das Codon der m-RNA und die Einbindung der Aminosäure in den Strang der
bereits synthetisierten Polypeptidkette. Die Transfer-RNA besteht aus 60 bis 95 Nucleotiden.
Der RNA-Strang hat selbstkomplementäre Bereiche, die durch Rückfaltung basengepaarte
doppelhelicale Bereiche bilden. Man kann sie in Kleeblattform aufzeichnen. Sie hat charak-
teristische Bereiche: den Akzeptor-Arm mit der Anknüpfungsstelle für die Aminosäure, dem
Anticodon-Arm mit dem Anticodon, dem TψC-Arm mit Ribothymidin, Pseudouridin und
Cytidin in der Haarnadelschleife, und dem D-Arm (siehe Kapitel 27.2.3).

! 27.8
Bei der Transkription wird unter Einwirkung der DNA-abhängigen RNA-Polymerase die
Basenfolge der DNA unter Bildung eines kurzzeitigen DNA-RNA-Doppelstrangs in eine
komplementäre Basenfolge der RNA umschrieben (siehe Kapitel 27.3.1.1).
1094 27 Nucleinsäuren

! 27.9
Die DNA birgt in sich durch die Folge der Nucleotiden im DNA-Strang die genetische In-
formation zum Bau von tausenden verschiedener Proteine. Diese genetische Information ist
für die Biosynthese der Proteine in einer spezifischen Sprache verschlüsselt, dem geneti-
schen Code: Eine Gruppierung dreier Nucleotide als Codon oder auch Triplett bezeichnet,
codiert eine bestimmte Aminosäure. Die genetische Information wird von der DNA auf die
m-RNA bei der Transkription übertragen. Die Codonfolge auf der m-RNA bestimmt bei der
Translation die Sequenz der Aminosäuren in der Peptidkette. Es ist nicht nur ein Codon,
sondern es sind zwei oder mehrere Codons, die für eine bestimmte Aminosäure codieren.
Das Codon AUG erfült eine doppelte Funktion: es codiert die Aminosäure Methionin und
signalisiert als „Startcodon“ den Beginn einer Proteinkette. Das Ende einer Proteinkette wird
durch eines der drei „Stopcodons“ UAA, UAG und UGA markiert. Der genetische Code ist
universell, er gilt für alle Lebewesen (siehe Kapitel 27.3.2.2).

! 27.10
Die Translation ist der Abschnitt der Biosynthese von Proteinen, bei der die Cotonfolge der
m-RNA in die Aminosäuresequenz übersetzt wird. Der Prozeß findet in der Faltung des
Ribosoms statt und besteht aus drei Teilschritten: der Initiation, der Elongation und der Ter-
mination.

! 27.11
Die Elongation besteht aus drei Teilschritten:
1.) der Bindung der Aminoacyl-t-RNA an die m-RNA über Codon-Anticodon-Paarbildung,
2.) dem Peptidyltransfer, wobei der an die Donor-t-RNA gebundene Peptidylrest an den
Aminosäurerest der benachbarten Aminoacyl-t-RNA gebunden und die Polypeptidkette
dadurch verlängert wird. Gleichzeitig erfolgt die Freisetzung der an die Donor-t-RNA ge-
bundenen Polypeptidkette.
3.) Bei der Translokation verschiebt sich das Ribosom relativ zur m-RNA um ein Codon,
worauf sich die nach dem Peptidyltransfer unbeladene t-RNA vom Codon loslöst. Eine
weitere Aminoacyl-t-RNA kann sich mit ihrem passenden Anticodon an das Codon der
m-RNA binden (siehe Kapitel 27.3.2.3 und Bild 27.12).
Namensreaktionen
Mit Kurzbeschreibungen und Seitenhinweisen im Buch

Acyloin-Kondensation, Carbonsäureester RCOOR′ reagieren mit metallischem Natrium im


inerten Lösungsmittel, wobei eine radikalische Dimerisierung erfolgt. Nach Abspaltung von
Alkoholatresten R′O(–) aus dem Zwischenprodukt wird ein Diketon RCOCOR gebildet, das
mit Natrium zum Endiolat reduziert wird. Nach Zugabe von Säure entsteht das Acyloin R-
CH(OH)-CO-R als Endprodukt 690
Aldol-Addition, Aldolkondensation, eine basenkatalysierte Reaktion von C-H- aciden Alde-
hyden oder Ketonen zur β-Hydroxycarbonylverbindung. In starker Lauge erfolgt eine De-
hydratisierung zur α,β-ungesättigten Carbonylverbindung 534
Alfol-Synthese, Synthese höhermolekularer Alkohole durch Oxidation von Trialkylalumini-
um und nachfolgender Hydrolyse des Trialkoxyaluminiums 386
Arbuzov-Michaelis-Reaktion, Austausch der Alkylgruppen zwischen Phosphitester und
Halogenalkan, wobei der Alkylrest des Halogenalkans am Phosphor gebunden wird 351
Arndt-Eistert-Reaktion, Kettenverlängerung von Carbonsäuren durch Umsetzung zum
Carbonsäurechlorid und dessen Reaktion mit Diazomethan zum Diazoketon, das mit kolloi-
dalen Ag als Katalysator Stickstoff abspaltet. Eine Wolff-Umlagerung am Ketocarben führt
zum Keten, das mit Wasser reagiert, wobei die um eine Methylengruppe verlängerte Carbon-
säure entsteht 670
Baekeland-Lederer-Manase, Phenol-Formaldehyd-Polykondensation 449
Baeyer-Villiger-Reaktion, Esterbildung bei der Reaktion eines Ketons mit Peroxycarbon-
säure 548, 549
Barbier-Wieland-Reaktion, Carbonsäureabbau über eine Reihe von Reaktionen. Die Car-
bonsäure wird in einen Carbonsäureester umgesetzt, der mit Phenylmagnesiumbromid rea-
giert. In saurem Medium folgt eine Dehydratisierung des tertiären Alkyldiphenylalkohols
und mit Oxidation der Doppelbindung entsteht das niedrigere Homologe der Carbonsäure
613
Barton-McCombie-Reaktion, Deoxygenierung von Alkoholen zu Alkanen. Der Alkohol
wird in ein O-alkylmethylxanthogenat (auch als O-Alkylmethyldithiocarbonat benannt) über-
führt. In einer radikalischen Reaktion dieser Zwischenprodukte mit Azobisbutyronitril und
Tributylstannat entsteht ein Alkan 419
Bashkirov-Oxidation, Oxidation höherer Alkane mit Sauerstoff in Gegenwart von Borsäu-
re, wobei in der Reaktionsfolge Alkylperoxide, Borsäureester und nach deren Verseifung
sekundäre Alkohole entstehen 78
Beckmann-Umlagerung, Oxim-Amid-Umlagerung 695
Bergius-Verfahren, Kohlehydrierung bei 425 °C und 300 bar mit Eisenkatalysator 64

A. Wollrab, Organische Chemie, Springer-Lehrbuch, 1095


DOI 10.1007/978-3-642-45144-7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
1096 Namensreaktionen

Birch-Reduktion, Benzol wird mit Na in Gegenwart von Alkohol als Protonenspender zu


Cyclohexa-1,4-dien umgesetzt 250
Birch-Hückel-Reduktion, Aromaten werden mit Li oder Na in flüssigem Ammoniak redu-
ziert 251
Blanc-Reaktion, Chlormethylierung aromatischer Verbindungen mit Formaldehyd und
Chlorwasserstoff 961
Bouvault-Blanc-Reaktion, Reduktion von Estern zu primären Alkoholen mit metallischem
Natrium und Ethanol als Protonenspender 390, 690
Bucherer-Reaktion, α-Naphthol wird in wässriger Natriumsulfitlösung mit Ammoniak zu
α-Naphthylamin umgesetzt 881
Cannizzaro-Reaktion, Aldehyde, die am zur Formylgruppe α-ständigen Kohlenstoffatom
kein Wasserstoffatom gebunden haben, disproportionieren mit Lauge zu Alkohol und Car-
bonsäure 552
Claisen-Esterkondensation, Umsetzung von enolisierbaren Carbonsäureestern in Gegen-
wart von Natriumethanolat zum β-Oxocarbonsäureester 637, 686
Claisen-Umlagerung, Umlagerung von Allylphenylether bei Erhitzen in o-Allylphenol
467
Claisen-Umlagerung aliphatisch, Umlagerung eines Allylvinylethers beim Erhitzen in
Pent-4-enal 149
Clemmensen-Reaktion, Carbonyl-Methylen-Reduktion mit Zinkamalgam in konz. Salz-
säure 543
Cope-Diazaumlagerung, eine Umlagerung, die bei der Fischer-Indolsynthese stattfindet
1005
Cope-Eliminierung, aus Trialkylaminoxid entsteht bei Erhitzen ein Alken und Dialkylhyd-
roxylamin 895
Cope-Umlagerung, [3,3]-sigmatrope Umlagerung bei Erhitzen von 1,5-Dienen 149, 219
Corey-Seebach-Reaktion, Umwandlung von Aldehyden in Ketone über deprotonierte
Dithioacetale 523
Criegee-Spaltung, oxidative Spaltung von Glycolen mit Bleitetraacetat 417
Curtius-Umlagerung, am Alkanoylazid erfolgt unter gleichzeitiger Abspaltung eines Stick-
stoffmoleküls eine anionoide Umlagerung des am Carbonylkohlenstoff gebundenen Alkyl-
restes zum Stickstoff, wobei Alkylisocyanat entsteht 886
Darzens Glycidsynthese, basisch katalysiert werden α-Halogencarbonsäureester mit einem
Aldehyd oder Keton zum α,β-Epoxycarbonsäureester = Glycidester umgesetzt 687
Delépine-Reaktion, Alkyliodite und Halogenverbindungen mit leicht abspaltbarem Halogen
alkylieren Hexamethylentetramin, worauf das quartäre Ammoniumsalz mit alkoholischer
Chlorwasserstofflösung zum Aminhydrochlorid gespalten wird 881
Demjanow-Umlagerung, die Desaminierung cyclischer Amine mit salpetriger Säure in
saurem Medium kann zu einer Ringverengung oder Ringerweiterung führen 900
Dieckmann-Kondensation, intramolekulare Claisen-Esterkondensation von Diestern, die
zum Ringschluß führt 686
Namensreaktionen 1097

Diels-Alder-Reaktion, Dien-1,4-Addition an ein Alken 148, 213–217, 570, 625


Dow-Verfahren, Chlorbenzol wird mit Natriumamid in flüssigem Ammoniak zu Anilin
umgesetzt 248, 441
Erlenmeyersche Azlactonsynthese, dient zur Darstellung von aromatischen Aminosäuren.
Azlacton wird aus Hippursäure durch Dehydratisierung mit Essigsäureanhydrid gewonnen
924
Eschweiler-Clarke-Reaktion, eine reduktive Amin-Methylierung primärer oder sekundärer
Amine mit Formaldehyd zu tertiären Aminen, wobei Ameisensäure als Reduktionsmittel
benutzt wird 885
Esterpyrolyse, Darstellung endständiger Alkene durch Pyrolyse von Carbonsäureestern 92
Étard-Reaktion, partielle Oxidation von Methylgruppen an aromatischen Ringen mit
Chromylchlorid zu einer komplexen Chromverbindung, die zum aromatischen Aldehyd
hydrolysiert werden kann 490
Faworski-Umlagerung, mit Alkalihydroxiden erfolgt eine Umlagerung des α-
Halogenketons zur Carbonsäure, mit Alkoholaten zu Estern, und mit Aminen als Base zum
Amid. Cyclische α-Halogenketone reagieren mit einer Ringverengung 550
FCC-Verfahren (fluid catalytic cracking), katalytisches Fließstaub-Crack-Verfahren mit
aufgewirbeltem Katalysatorstaub 286
Fehling-Probe, zum Nachweis von Aldehyden oder reduzierenden Zuckern durch Erhitzen
mit Kupfersulfatlösung (Fehling I) und einer Lösung von verdünnter Natronlauge mit Seig-
nette-Salz (Fehling II), wobei im positiven Falle rotes Kupfer-(I)-oxid ausgeschieden wird
546, 817
Finkelstein-Reaktion, Austausch von –Cl oder –Br gegen –I in Halogenalkanen durch Re-
flux mit Natriumiodid in Aceton 115
Fischer-Indolsynthese, ein Methylketon reagiert mit Phenylhydrazin zum Phenylhydrazon,
das mit Polyphosphorsäure über eine Diaza-Cope-Umlagerung zum Indol umgesetzt wird
1004
Fischer-Tropsch-Synthese, Kohlenmonoxid-Druckhydrierung mit Eisen-, Nickel- oder
Kobalt-Katalysatoren bei 220 °C und 25 bar 64
Friedel-Crafts-Reaktionen (F.C.-Reaktionen), Alkylierungsreaktionen von Aromaten mit
Alkylhalogeniden oder Alkenen und Alkanoylierungsreaktionen mit Carbonsäurechloriden,
wobei als Reaktionskatalysator Aluminiumoxid oder eine andere Lewis-Säure eingesetzt
werden 215, 216, 217
- Alkylierung von Aromaten mit Alkylhalogeniden 231
- Alkylierung von Aromaten mit Alkenen 232
- Alkanoylierung mit Carbonsäurechloriden oder Carbonsäureanhydriden 234
Fries-Umlagerung, eine Umlagerung, die bei Erhitzen von Phenolester mit Lewis-Säuren in
trockenem Nitrobenzol erfolgt und zu einem o- oder auch p-Acylphenol führt 444
Gabriel-Synthese, zur Darstellung primärer Amine. Kaliumphthalimid reagiert mit einem
Halogenalkan zum N-Alkylphthalimid, dessen Verseifung zu einem primären Amin führt
880, 922
1098 Namensreaktionen

Gattermann-Synthese, Arylformylierung mit HCN und Chlorwasserstoffgas in Gegenwart


von Aluminiumchlorid 493
Gattermann-Koch-Synthese, Arylformylierung mit Kohlenstoffmonoxid und trockenem
Chlorwasserstoffgas in Gegenwart von Aluminiumchlorid und Kupfer-(I)-chlorid 492
Giese-Reaktion, Addition von Alkylradikalen an Olefine in Gegenwart von Organozinnhyd-
riden 527
Glaser-Reaktion, oxidative Kupplung mit Cu-(I)-Salzen als Katalysator mit Alkinen, die am
C-Atom der Dreifachbindung ein H binden 165
Gomberg-Bachmann-Reaktion, Diarylsynthese mit Diazoniumsalzen 906
Grignard, ein Alkylmagnesiumhalogenid wird allgemein als Grignard-Reagens bezeichnet.
Es bildet:
- mit aciden Verbindungen ein Alkan 65
- mit Formaldehyd ein Alkoxymagnesiumhalogenid, dessen Endprodukt nach
Hydrolyse mit Wasser oder Säure ein primärer Alkohol ist 393
- mit anderen Aldehyden nach Hydrolyse des Zwischenprodukts einen sekundä-
ren Alkohol als Endprodukt 394
- mit Ketonen nach Hydrolyse des Zwischenprodukts einen tertiären Alkohol
394
- mit Estern nach Hydrolyse des Zwischenprodukts einen tertiären Alkohol 690
- mit Nitrilen nach Zugabe von Wasser ein Imin 704
Hantzsch-Synthese, Synthese von Pyridinderivaten mit einer Kondensationsreaktion eines
β-Ketoesters mit einem Aldehyd und Ammoniak 1006
Hell-Volhard-Zelinski-Reaktion, Darstellung von α-Bromcarbonsäuren 607
Heuman-Pfleger-Synthese, Indigo-Synthese mit Anilin, Formaldehyd und NaCN 1028
Hinsberg-Reaktion, Benzolsulfochlorid dient zur Unterscheidung primärer von sekundären
Aminen 896
Hock-Verfahren, Benzol und Propen werden in einer Folge von Reaktionen in Phenol und
Aceton umgesetzt 442
Hofmann-Abbau, Carbonsäureamide reagieren in Lauge mit Brom oder Chlor zum Acylnit-
ren. Dieses wird zum Alkylisocyanat umgelagert (Hofmann-Umlagerung). Die Hydrolyse
des Alkylisocyanats und die nachfolgende Decarboxylierung führen zum primären Amin
700, 886
Hofmann-Eliminierung, pyrolytische Eliminierungsreaktion quartärer Ammoniumbasen
zum Alken 91, 894
Hofmann-Isonitril-Reaktion, zum Nachweis primärer Amine mit Chloroform in Lauge,
wobei Isonitril entsteht, das schon in Spuren durch einen unangenehmen Geruch auffällt
895
Hofmann-Regel, bei Eliminierungsreaktionen geht die Doppelbindung in Richtung zu dem
C-Atom, das die meisten H-Atome bindet (gilt bei der Pyrolyse von Tetraalkylammonium-
hydroxiden und Esterpyrolysen) 91, 98
Hofmann-Sand-Reaktion, auch als Oxymercurierung bekannt, ist ein Verfahren um in
Alkene mit Hilfe von Quecksilber-(II)-salzen über ein Mercuriniumion ein Nucleophil anzu-
Namensreaktionen 1099

lagern. Nach beendeter Reaktion wird das Quecksilber mit Natriumborhydrid reduktiv ent-
fernt. Findet die Reaktion in wässriger Lösung statt, ist ein Alkohol das Reaktionsprodukt
126
Hofmann-Umlagerung, alkylanionische Umlagerung beim Acylnitren an Stickstoff, wobei
Alkylisocyanat entsteht 700
Houben-Hoesch-Reaktion, Reaktion mehrwertiger Phenole mit Nitrilen und Chlorwasser-
stoffgas in Gegenwart einer Lewis-Säure zum Ketimininiumchlorid, das dann zum Keton
hydrolysiert wird 501
Hunsdiecker-Borodin-Reaktion, Abbau des Silbersalzes einer Carbonsäure mit Brom zum
Alkylbromid 611
Kiliani-Fischer-Synthese, Cyanhydrinsynthese, Verlängerung der Kohlenstoffkette bei
Aldosen 792
Kishner-Wolff-Reaktion, Carbonyl-Methylen-Reduktion. Die Carbonylverbindung wird in
ein Hydrazon überführt, das bei 200 °C Stickstoff abspaltet, wobei der Kohlenwasserstoff
gebildet wird 543
Knoevenagel-Kondensation, Malonsäurediester reagieren als C-Säure mit Aldehyden oder
Ketonen zum Alkylidenmalonsäurediester, nach dessen Hydrolyse eine Decarboxylierung
erfolgt. Eine α,β-ungesättigte Carbonsäure ist das Endprodukt der Reaktion 508, 689
Koch-Reaktion, (auch als Hydrocarbonylierung oder Hydrocarboxylierung bezeichnet). Bei
saurer Katalyse (Phosphorsäure/BF3) und 20–100 bar erfolgt Anlagerung von CO an Alkene.
Nach Zugabe von Wasser wird eine Carbonsäure gebildet 112
Koenigs-Knorr-Synthese, β-Glycosidierung vollacetylierter Zucker 833
Kolbe-Elektrolyse, aus Carbonsäurealkalisalzen werden bei der Elektrolyse an der Anode
unter Decarboxylierung Alkane gebildet 67, 611
Kolbe-Nitrilsynthese, Darstellung von Nitrilen aus Alkylhalogeniden und Alkalicyaniden in
wässrig-alkoholischer Lösung 702
Kolbe-Schmitt-Synthese, Carboxylierung des Phenolations zum Salicylat 448
Krafftscher Carbonsäure-Abbau, durch Destillation des Ca-Salzes der Carbonsäure mit
Calciumacetat und nachfolgender Oxidation des als Zwischenprodukt erhaltenen Methylke-
tons 500
Kröhnke-Reaktion, Arylmethylhalogenid wird mit p-Nitrosodimethylanilin zu einem aro-
matischen Aldehyd umgesetzt 491
Kutscheroff, Acetylen-Hydratisierung mit Quecksilbersulfat und Schwefelsäure 170
Leuckert-Wallach-Reaktion, reduktive Alkylierung von Aminen mit Aldehyden oder Ke-
tonen, wobei Ameisensäure als Reduktionsmittel dient 884
Lieben-Reaktion, Iodoform-Probe auf Acetaldehyd und Methylketone mit Iod in alkali-
schem Medium 537
Lobry-de-Bruyn-van-Ekenstein-Umlagerung, basenkatalysierte Epimerisierung und Iso-
merisierung von Zuckern 813
Lossen-Abbau, Hydroxamsäure-Isocyanat-Abbau durch Erhitzen der Hydroxamsäure in
Gegenwart von Natriummethanolat. Das Isocyanat reagiert mit Wasser zum Amin 887
1100 Namensreaktionen

Maillard-Reaktion, Reaktion reduzierender Zucker mit Eiweiß bei Erhitzen zu melanoidi-


nen Dunkelstoffen 423
Malaprade, oxidative Spaltung von Glykolen mit Periodat 417
Malonestersynthese, Malonsäurediester reagiert als C-Säure mit Natriumethanolat zum
Natriumsalz des Diesters, das mit einem Halogenalkan zum 2-Alkylmalonsäurediester umge-
setzt wird. Nach Hydrolyse des Diesters erfolgt eine Decarboxylierung zur Carbonsäure
356, 594, 688
Mannich-Kondensation, Aminomethylierung C-acider Verbindungen mit Formaldehyd und
sekundären Aminen 531, 539, 891
Meerwein-Ponndorf-Verley-Reaktion, Carbonylreduktion mit Isopropylalkohol in Gegen-
wart von Aluminiumisopropylat 542
Michael-Addition, 1,4-Addition eines C-Nucleophils an einen α,β-ungesättigten Aldehyd,
wobei eine C-C-Verknüpfung erfolgt 526
Mitsunobu-Reaktion, mit Diethylazodicarboxylat (DEAD) und Triphenylphosphan wird bei
optisch aktiven Alkoholen unter Inversion die Hydroxygruppe durch ein Nucleophil ersetzt.
Optisch aktive Alkohole können unter Inversion mit Säuren in Ester und mit Phenolen in
Ether überführt werden 420
Moffat-Swern-Oxidation, mit Dimethylsulfoxid (DMSO) und Oxalylchlorid werden primä-
re Alkohole zu Aldehyden und sekundäre Alkohole zu Ketonen oxidiert 418
Mutarotation, Veränderung des Drehwertes bei Zuckerlösungen bis zu einem konstanten
Wert. Dieser Vorgang ist mit der Einstellung eines Reaktionsgleichgewichtes beim reversib-
len Übergang zweier epimerer Halbacetalformen eines Zuckers (α- und β-Epimer) zu erklä-
ren 804
Nylander-Reaktion, Oxidation reduzierender Zucker durch Erwärmen mit alkalischer Bis-
mutsalzlösung 817
Olefinmetathese, Umalkylidenierung von Alkenen mit Hilfe eines homogenen carbenoiden
Ruthenium- oder Molybdänkatalysators 100
Oppenauer-Verley-Reaktion, Oxidation sekundärer Alkohole zum Keton mit Aceton in
Gegenwart von Aluminiumisopropylat 543
Oxymercurierung, Hofmann-Sand-Reaktion, Alkene werden mit Hilfe von Quecksilber-
(II)-Acetat durch Anlagerung von Wasser in Alkohole umgesetzt 126
Ozonolyse, oxidative Spaltung von Alkenen über Ozonide mit nachfolgender Hydrolyse zu
Carbonylverbindungen 120
Paal-Knorr-Synthese, mit α,γ-Diketonen und einem primären Amin erfolgt beim Erhitzen
ein Ringschluß zum Pyrrolderivat 1002
Perkin-Synthese, Reaktion von Benzaldehyd mit Acetanhydrid zur Zimtsäure in Gegenwart
von Natriumacetat 674
Peterson-Olefinierung, An einen Aldehyd oder ein Keton wird nucleophil ein α-silyliertes
Carbanion addiert. Sowohl mit Säuren als auch Basen erfolgt am β-Hydroxysilan eine Elimi-
nierung zum Olefin. In Abhängigkeit davon, ob man eine Säure oder Base einsetzt erfolgt
eine syn- oder anti-Eliminierung 93
Namensreaktionen 1101

Pinakol-Reaktion, Ketone reagieren in Benzol mit Magnesiumspänen zum Magnesiumpi-


nakolat, das nach Zugabe einer Säure in Pinakol umgesetzt wird 389
Pinakol-Umlagerung, säurekatalysierte anionoide Umlagerung einer Alkylgruppe des Pina-
kols zum Pinakolon 499
Prileschaew-Reaktion, Oxidation von Alkenen mit Peroxybenzoesäure zum Epoxid 121
Raschig-Hooker-Verfahren. Benzol wird oxychloriert zum Chlorbenzol, das mit erhitztem
Wasserdampf zum Phenol umgesetzt wird 230, 248, 441
Reed-Reaktion, Sulfochlorierung von Alkanen zur Herstellung von Aniontensiden 74
Reformatzki-Reaktion, α-Halogencarbonsäureester bilden mit Zn eine organische Zinkver-
bindung, die mit Aldehyden oder Ketonen zum β-Hydroxycarbonsäureester umgesetzt wird
631
Reimer-Tiemann-Formylierung, Formylierung von Phenolaten mit Chloroform in alkali-
scher Lösung 495
Reppe-Butadiensynthese, Ethin reagiert in Gegenwart von Kupferacetylid zum Butindiol,
das zum Butandiol hydriert und anschließend zum 1,3-Butadien dehydratisiert wird 507
Reppe-Cyclotrimerisierung der Alkine, beim Durchleiten von Ethin durch erhitzte, mit Ni
oder Co beschichtete Röhren erfolgt Cyclotrimerisierung zum Benzol 164
Reppe-Hydrocarboxylierung, ein Alken wird mit Phosphorsäure protoniert, worauf Koh-
lenmonoxid mit dem Carbeniumion reagiert. Das Zwischenprodukt wird mit Wasser bei
80 °C und erhöhtem Druck zur Carbonsäure oder mit Alkohol zum Ester umgesetzt 383
Reppe-Vinylierung, es erfolgt eine nucleophile Addition von Alkoholen, Aminen oder
Carbonsäuren unter erhöhtem Druck bei 180 °C an Alkine, wobei Vinylether, Vinylamine
oder Vinylester entstehen 171
Riley-Oxidation, Ketone werden mit Selendioxid zum α-Diketon oxidiert 550
Ritter-Reaktion, Alkohole, die leicht Carbokationen bilden, reagieren mit Nitrilen in konz.
Schwefelsäure zu N-Alkylcarbonsäureamiden 878
Rosenmund-Saizew-Reaktion, Säurechloride werden mit desaktiviertem Palladium-
Katalysator zum Aldehyd hydriert 489
Ruff-Abbau, Aldosen werden zur Aldonsäure oxidiert und ihre Calciumsalze mit Wasser-
stoffperoxid in Gegenwart von Eisen-(III)-acetat unter Decarboxylierung zur nächst niedri-
gen Aldose umgesetzt 822
Ružička-Cyclisierung, die Pyrolyse von Disäurethoriumsalzen führt, begleitet von einer
Decarboxylierung, zum cyclischen Keton 499
Sachse-Bartolomé-Verfahren, industrielles Verfahren zur Herstellung von Acetylen durch
unvollständige Verbrennung von Methan 158
Sandmeyer-Reaktion, Substitution der Diazoniumgruppe durch Halogene mit Kupfer-(I)-
chlorid oder Kupfer-(I)-bromid als Katalysator 905
Schiemann-Reaktion, zur Einführung von Fluor in aromatische Verbindungen.
Aryldiazoniumtetrafluoroborat wird trocken erhitzt, wobei unter Abspaltung von Stickstoff
das Arylfluorid entsteht 904
1102 Namensreaktionen

Schiffsche Base, N-Alkylimin ist das Kondensationsprodukt von primären Aminen mit
Carbonylverbindungen, es wird als Schiffsche Base bezeichnet 518
Schmidt-Abbau, eine Carbonsäure wird mit Natriumazid in Schwefelsäure zum
Alkanoylazid umgesetzt. Durch Abspaltung von Stickstoff entsteht Acylnitren an dem eine
alkylanionoide Umlagerung zum Alkylisocyanat stattfindet. Bei nachfolgender Hydrolyse
entsteht ein Amin als Endprodukt 886
Schotten-Baumann-Reaktion, Benzoylchlorid reagiert mit einem Alkohol in verdünnter
Lauge zum Benzoesäureester 669
Sharpless-Dihydroxylierung, enantioselektive Dihydroxylierung von prochiralen Olefinen
mit Osmiumtetroxid durch Zugabe eines chiralen Liganden 123
Sharpless-Epoxidierung, enantioselektive Epoxidierung von Allylalkohol mit t-Butyl-
hydroperoxid, Titanisopropylat und enantiomerenreinen Diethyltartrat 125
Simmons-Smith-Reaktion, Cyclopropansynthese mit Alken und einer Organozink-
Verbindung 189
Skraupsche Chinolinsynthese, Darstellung des Chinolins durch Erhitzen von Anilin und
Glycerin mit Schwefelsäure 1012
Slyke van, Nachweismethode zur Bestimmung primärer Amine. Aliphatische Amine und
Aminosäuren werden diazotiert und die NH2-Gruppe durch gasvolumenometrische Messung
des bei der Reaktion gebildeten Stickstoffs bestimmt 898
Sommelet-Aldehydsynthese, Benzylhalogenide reagieren mit Hexamethylentetramin zu
quartären Ammoniumsalzen, die bei saurer Hydrolyse zu Benzaldehyd umgesetzt werden
490
Sörensen-Titration, Aminosäuren werden mit Formaldehyd zu Azomethinen umgesetzt, die
alkalimetrisch bestimmt werden 927
Stephen-Aldehydsynthese, Reduktion eines Nitrils mit Zinnchlorid in Ether unter Einleiten
von HCl. Das als Zwischenprodukt gebildete Aldiminhexachlorostannat wird hydrolysiert,
wobei ein Aldehyd entsteht 706
Stobbe-Kondensation, Bernsteinsäure reagiert als C-H-acide Komponente mit Aldehyden.
Das Salz des Alkylidenbernsteinsäuremonoesters ist das Reaktionsprodukt 509, 622, 686
Strecker-Synthese, Synthese von Aminosäuren aus Aldehyden mit Ammoniak und
Kaliumcyanid 923
Swarts-Reaktion, Austausch von Chlor, Brom oder Iod durch Fluor mit HF und SbF5, HgF2,
AgF oder KF als Katalysator 347
Swern-Oxidation, mit Dimethylsulfoxid (DMSO) und Oxalylchlorid werden primäre
Alkohole zu Aldehyden und sekundäre Alkohole zu Ketonen oxidiert 418
Tebbe-Methylenierung, Olefinierung von Carbonylverbindungen mit Tebbe-Reagens
(Dicyclopentadienylmethylentitan), der Sauerstoff der Carbonylgruppe wird durch eine
Methylengruppe ersetzt 100
Thorpe-Ziegler-Reaktion, mit Dinitrilen erfolgt eine aldolartige Reaktion, wobei durch
Ringschluß ein cyclisches β-Iminonitril entsteht, das zum cyclischen β-Oxonitril hydrolysiert
werden kann 706
Namensreaktionen 1103

Tollensche Probe, zum Nachweis von Aldehyden und reduzierenden Zuckern mit
Tollensreagens, wobei das Silberkation zu metallischem Silber reduziert wird 544, 817
Tschitschibabin-Reaktion, Pyridinaminierung durch Erhitzen mit Natriumamid in Toluol
oder Dimethylanilin 258
Tschugaev-Reaktion, Darstellung terminaler Alkene durch Pyrolyse von O-Alkyl-
methylxanthogenaten 92
Ullmann-Reaktion, Reaktion von Arylhalogeniden über Kupfermediate zu Biarylen 260
Van-Slyke-Reaktion, Nachweismethode zur Bestimmung primärer Amine. Aliphatische
Amine und Aminosäuren werden diazotiert und die NH2-Gruppe durch gasvolu-
menometrische Messung des bei der Reaktion gebildeten Stickstoffs bestimmt 898
Wacker-Acetanhydrid-Synthese, Herstellung von Acetanhydrid aus Essigsäure und Keten
673
Wacker-Verfahren, zur Herstellung von Formaldehyd aus Methanol und von Aceton aus
Isopropanol durch oxidative Dehydrierung mit Ag als Katalysator 486
Wacker-Höchst-Verfahren, partielle Oxidation des Ethens zu Acetaldehyd und des Propens
zu Aceton mit Luftsauerstoff und PdCl2 /CuCl2 als Katalysator 484
Wagner-Meerwein-Umlagerung, Hydridverschiebung oder anionoide Umlagerung einer
Alkylgruppe in einem Carbeniumion 109, 899
Walden-Umkehr, Konfigurationsumkehr am asymmetrischen C-Atom bei Ablauf von SN2-
Reaktionen 330
Wallach-Reaktion, auch als Leuckert-Wallach-Reaktion bezeichnet, ist eine Amin-
Alkylierung mit Aldehyden oder Ketonen, wobei Ameisensäure als Reduktionsmittel benutzt
wird 884
Willgerodt-Oxidation, Arylalkylketone werden mit Ammoniumpolysulfidlösung unter
Druck zur ω-Arylcarbonsäure umgesetzt 551
Williamson-Synthese, Etherbildung durch Reaktion eines Alkoholats oder Phenolats mit
einem Alkylhalogenid 463
Wittig-Reaktion, Olefinierung von Aldehyden und Ketonen mit Triphenylphosphorylid
510
Wöhler-Harnstoffsynthese, durch Eindampfen einer Ammoniumcyanatlösung wird
Harnstoff gebildet. Mit dieser Reaktion widerlegte Wöhler die Theorie, daß organische
Verbindungen nur in Lebewesen gebildet werden können 716
Wohl-Abbau, Aldosen werden über das Oxim und das Cyanhydrin nach Abspaltung von
HCN zur nächst niederen Aldose abgebaut 822
Wohl-Ziegler, Allyl-Bromierung mit Bromsuccinimid 622
Wolff-Kishner-Reaktion, Carbonyl-Methylenreduktion über Hydrazon als Zwischen-
produkt 543
Wolff-Umlagerung, bei der Arndt-Eistert-Reaktion reagiert Carbonsäurechlorid mit
Diazomethan zum Diazoketon. Nach Abspaltung von Stickstoff am Diazoketon entsteht ein
Ketocarben. Die anionoide Umlagerung des Alkylrests am Carbonylkohlenstoff des
1104 Namensreaktionen

Ketocarbens zum Carbenkohlenstoffatom wird als Wolff-Umlagerung bezeichnet. Das


Produkt der Umlagerung ist ein Keten 671
Wurtzsche Synthese, Alkylhalogenide reagieren mit metallischem Natrium über eine
natriumorganische Verbindung als Zwischenprodukt zum Alkan 65, 350
Wurtz-Fittig-Synthese, läßt man ein Gemisch von Alkyl- und Arylhalogenid mit
metallischem Natrium reagieren, ist ein Alkylarylkohlenwasserstoff das Produkt 65
Zeisel-Methoxyl-Bestimmung, Methylether werden mit Iodwasserstoffsäure erhitzt und das
bei der Reaktion gebildete Methyliodid in alkoholischer Silbernitratlösung aufgefangen. Das
AgI wird gravimetrisch oder maßanalytisch bestimmt 465
Zelinski-Stadnikoff, Aminonitrilsynthese mit Alkalicyanid und Ammoniumchlorid (siehe
auch Strecker-Synthese) 923
Zerewitinow-Reaktion, Bestimmung der aktiven H-Atome in organischen Verbindungen
mit Methylmagnesiumbromid. Methan wird gasvolumenometrisch gemessen 66
Ziegler-Alkylierung heteroaromatischer Verbindungen mit Alkyl- oder Aryllithium (siehe
auch Tschitschibabin-Reaktion) 258
Ziegler-Reaktion, Trialkylaluminium wird mit Sauerstoff zum Trialkyloxyaluminium
umgesetzt, das zu primären Alkoholen umgesetzt werden kann 387
Ziegler-Natta-Polymerisation, metallkatalysierte Polymerisierung von Ethen zu Poly-
ethylen 140
Ziegler-Nitril-Cyclisierung¸Dinitrile werden mit Ethanolat zum cyclischen β-Iminonitril
umgesetzt (siehe auch Thorpe-Ziegler-Reaktion) 706
Sachwortverzeichnis

A N-Acetylmuraminsäure 710
N-Acetylneuraminsäure 711f.
Abgangsgruppe 94, 353 Acetylnitrat 1004
Abietinsäure 767 Acetylsalicylsäure 448, 620
ABS siehe Alkylbenzolsulfonate Acidität
Acesulfam 943 − Alkine 161
Acetal 7, 514, 680 − Alkohole 396
− -bildung 514 − Carbonsäuren 597
− cyclisches 515 − Phenole 445
− -Hydrolyse 515 Aconitsäure 636
Acetaldehyd 480, 484 Acrolein 481, 525, 614
− Oligomere 530 Acrylnitril 701
− Synthese durch Hydratisierung von Acrylsäure 168, 614
Acetylen 498 − -ester 168
Acetamid 692 Actin, F- und G- 982
Acetanhydrid 673 Acyladenylatanhydrid 749
Acetat 583f. Acylcarnitin 755
− -seide 853 Acylcoenzym A 749f., 752
Acetessigester 533, 639 Acylgruppe 234
Acetessigsäure 637 Acylhalogenide siehe Carbonsäurehalogenide
− -ethylester 533, 639 Acylierung 500, 640, 893
− Acylierung 640 − Acetessigsäureethylester 640
− Alkylierung 639 − Alkoholen 678
− Keto-Enol-Tautomerie 639 − Aminen 892
− Reaktionen 639 − Aromaten mit Friedel-Crafts 500
− Ketospaltung 641 − Benzol 233
− Säurespaltung 641 − Enaminen 893
Acetoacetyl-Coenzym A 763 − Phenolen 444
Aceton 78, 481, 485 Acylium-Ion 234
− dicarbonsäure 634 Acylnitren 699
− Herstellung 485 Acyloin 691
Acetonitril 523 − -Kondensation 690
Acetophenon 481 Acylrest 666
Acetylcholinesterase 409 Acyltransferasen 1038
Acetyl-Coenzym A 763 Addend 102
− Abbau 755 − Addition unsymmetrischer 105
Acetylen 26, 156f. Additionen
− Addition von HCN 170 − Aldehyde, Ketone, Carbonsäuren und Ester,
− Dimerisierung 164 radikalische 133, 572
− Synthese 78, 157f. − Alkene 110
− aus Calziumcarbid 158 − Alkine 169
− aus Dihalogenalkanen 158 − Alkohole, radikalische 132
− aus Kalkstein und Kohle 157 − Alkylhalogenide, radikalische 134
− aus Methan 157 − am Benzol, radikalische 249
Acetylide 161 − Brom an Butadien 146
Acetylidion 356 − Bromwasserstoff, radikalische 126
1106 Sachwortverzeichnis

− C–C-Verknüpfungen, radikalische 132 − von C-Nucleophilen 504


− Cycloadditionen 116 − Benzoinaddition 505
− der Halogene, radikalische 128 − Cyanhydrinbildung 504
− der unterchlorigen Säure 115 − Ethinylierung 507
− elektrophile 102, 110 − Knoevenagel-Kondensation 508
− -Eliminierungs- 599 − Stobbe-Kondensation 509
− Fluor 115 − Wittig-Reaktion 510
− H2SO4 110 − von N-Nucleophilen 515
− Halogene an Alkene 114 − von Ammoniak 516
− Halogenwasserstoffe an Alkene 110 − von Hydrazin 516, 521
− HCN an Acetylen 170 − von Hydroxylamin 516, 521
− Markownikow-Regel 107 − von primären Aminen 516, 518
− Mechanismen 102 − von sekundären Aminen 516, 519
− mit Metallkatalysatoren 134 − von Semicarbazid 516, 522
− nucleophile 170, 502 − von O-Nucleophilen 512
− radikalische 106, 126, 249 − Acetale und Halbacetale 514
− Salpetersäure 112 − Hydratbildung 512
− Stickstoffoxide 130 − von Alkoholen 513
− syn- 105 − von S-Nucleophilen 523
− Thiole, radikalische 131 − Bisulfitaddition 524
− unsymmetrischer Addenden 105 − von Thiolen 523
Additionsreaktion siehe auch Addition − aliphatische, Synthese 488
Addukt 102 − aromatische, Synthese 489
Adenin 259, 1037, 1065, 1077 − Autoxidation 547
Adenosindiphosphat 572, 983 − C–H-Acidität 530
Adenosinmonophosphat, cyclisches 1038 − Disproportionierung 551
Adenosintriphosphat 572, 749, 983, 1020, − großtechnische Synthese 483
1038 − Hydratbildung 512
Adenosintriphosphatase 982 − in der Natur 553
Adhumulon 428 − Keto-Enol-Tautomerie 532
Adipinsäure 620, 623 − Nachweisreaktionen 552
ADMET 101 − Nomenklatur 479
ADP 572 − nucleophile Addition, säure- und
Adrenalin 336, 850, 873, 920 basenkatalysiert 503
Aesculin 835 − Oligomere und Polymere 528
Agar 854 − Oxidation 544
Agaropectin 854 − Fehlingsche Probe 545
Agarose 854 − mit Chromsäure 546
Aglycon/Aglykon 453, 833 − Tollenssche Probe 544
AIBN 419, 427 − Reaktionen 501
Aktivität, optische 295 − Aldolreaktion 534
Alanin 917, 921 − Haloformreaktion 537
Albumine 985 − Halogenierung 536
Alcotest-Probe 416 − mit Bernsteinsäurediester 509
Aldarsäuren 819 − mit Lithiumaluminiumhydrid 542
Aldehydammoniak 517 − mit Malonsäurediester 507
Aldehyde 6, 479ff. − Reduktion
− Addition − durch katalytische Hydrierung 541
− Ammoniak an 516 − mit Metallhydriden 541
− radikalische Addition 133 − mit Natrium 541
Sachwortverzeichnis 1107

− über Thioacetale 544 − Piperin 1053


− zu Kohlenwasserstoffen 543 − mit Pyrrolidinstruktur 1000, 1047
− Struktur und physikalische Eigenschaften − Morphin 1055
481 − Codein 1057
− Synthese 483 − Thebain 1057
− aus Arylmethylhalogeniden 490 − Tropan- 1049
− aus Benzylhalogenid 490 − Tropin- 1050
− durch Formylierung 492, 495 Alkanale siehe Aldehyde
− durch Oxidation prim. Alkohole 488 Alkane 2, 54
− durch Oxidation von Toluol mit − Autoxidation 76
Chromylchlorid 490 − Biosynthese 63
− durch Reduktion von Säurechloriden 488 − Dichte-Werte 60
− durch Spaltung von Ozoniden 488 − Halogenierung 346
− mit HCl und CO 492 − höhere, Halogenierung 72
− mit HCN 493 − hydrophoben Eigenschaften 62
− mit N-Methylformanilid 494 − Löslichkeit in 62
− mit Phenolen und Chloroform 495 − Nomenklatur verzweigter 40
− nach Stephen 706 − Nomenklatur von n- 39
− Vorkommen in der Natur 553 − partielle Oxidation 78
Aldimine 8, 518 − physikalische Eigenschaften 59
Aldite 821 − polycyclische 187
Aldohexosen, Konformation 803 − Reaktionen 68ff.
Aldol 534 − Chlorierung des Methans 69
− -reaktion 534 − Sulfochlorierung 74
Aldonsäure 818 − Sulfoxidation 75
Aldosen 789, 792 − Schmelztemperaturen 61
Aldosteron 778 − Siedetemperaturen 61
Alduronsäure 819 − Synthese 63ff.
Alfol-Synthese 386 − aus Alkalisalzen der Carbonsäuren 66
Alicyclen, in der Natur 762 − aus Alkoholen 419
alicyclische Verbindungen 176, 178 − aus Alkylhalogeniden 65
− Nomenklatur 176 − aus Grignardverbindungen 65
− optische Isomerie 321 − Trennung verzweigter/unverzweigter 80
− Synthese mehrgliedriger 191 − Verbrennung 79
Alizarin 576, 1028 − Vorkommen 62
Alkalischmelze 66 Alkanole siehe Alkohole
Alkaloide 255, 1000, 1047ff. Alkanone siehe Ketone
− Berberin 1058 Alkanoylazid 886
− Curare 1058 Alkanoylgruppe 234
− mit Chinolin-Struktur 1054 Alkanoylhalogenide 666
− Chinin und Cinchonin 1054 Alkanoylierung siehe Acylierung
− mit Isochinolin-Struktur 1057 Alkansulfochloride 74
− Hydrastin 1057 Alkansulfonate 658
− Laudanosin 1057 Alkansulfonsäure 75
− Narcotin 1057 − salze 75
− Papaverin 1057 Alkansulfonylchlorid 74
− mit Pyridin- und Piperidin-Struktur 1052 Alkansulfonylradikal 74
− Anabasin 1052 Alkene 6, 84ff.
− Coniin 1053 − Addition von H2SO4 110
− Nicotin 1052 − Addition von Halogenen 113
1108 Sachwortverzeichnis

− Addition von Halogenwasserstoffen 110 Alkinyl-Grignard-Reagens 163


− Addition von Stickoxiden 130 Alkoholate 396
− Addition von unterchloriger Säure 115 Alkohole 6, 346, 373ff.
− cis/trans-Isomerie 85 − als Basen und Nucleophile 396
− Z/E-Nomenklatur 86 − aus Alkenen 388
− Darstellung 90, 100 − aus Alkylhalogeniden 387
− Dihydroxylierung 118, 121, 395 − Dehydratisierung 461
− Friedel-Crafts-Reaktionen 231 − -Dehydrogenase 379
− Hydroborierung 116 − destillate 432
− katalytische Hydrierung 134 − Einteilung 374
− Nomenklatur 84 − großtechnische Synthese 380
− Ozonisierung 119 − höhere 384
− Reaktionen 102ff. − Alfol-Synthese 386
− Cycloadditionen 116 − aus Alkenen durch Hydroformylierung
− elektrophile Additionsreaktionen 110 385
− Hydrocarbonylierung 112 − aus Fetten/Ölen 385
− Polymerisationsreaktionen 136 − aus n-Alkanen durch Oxidation 386
− radikalische Additionen 126 − Nomenklatur 346, 373
− saure Hydratisierung 111 − Oxidation 411
Alkine − mit Kaliumdichromat 412
− Addition von Halogenwasserstoffen 169 − primärer 488
− Addition von HCN 170 − physikalische Eigenschaften 375
− Cyclotetramerisierung 165 − physiologische Eigenschaften 377
− Cyclotrimerisierung 164 − primäre 374
− Darstellung 158 − radikalische Addition 132
− aus Tetrahalogenalkanen 158 − Reaktion mit Thionylchlorid 402
− durch Alkylierung von Acetyliden 159 − Reaktionen 396ff.
− durch Dehydrohalogenierung 159 − mit PCl3 und PCl5 401
− endständige, oxidative Kopplungsreaktion − mit Salzsäure 400
165 − reduktive Desoxidierung von Alkoholen
− Ethinylierung 163 419
− Halogenaddition 169 − schwach saure Eigenschaften 396
− Hydatisierung 170 − sekundäre 374
− Hydrocarbonylierung 168 − katalytische Dehydrierung 497
− katalytische Hydrierung 166 − sekundäre, Oxidation 497
− mit Na/NH3 166 − Struktur 375
− Nomenklatur 156 − Synthese 380
− nucleophile Addition 170 − Addition von Grignard-Reagens an
− Oligomerisierung 164 Carbonylverbindungen 392
− Oxidationsreaktionen 165 − Hydrolyse von Estern 388
− Reaktionen 159 − Reduktion von Carbonylverbindungen
− mit Alkinylionen als Nucleophil 162 390
− mit Grignard-Reagens 162 − Reduktion von Carbonylverbindungen mit
− Reduktion 166 Metallen 389
− saure Eigenschaften 161 − Reduktion von Estern 390
− Struktur 156 − tertiäre 374
− Vinylierung 171 − Umsetzung zu Alkylbromiden 403
Alkinylanion 162 − Umsetzung zu Alkylhalogeniden 400
− Alkylierung 162 − Umsetzung zu Alkyliodiden 404
− als Nukleophil 162 − Veresterung mit anorg. Säuren 405
Sachwortverzeichnis 1109

− Veresterung mit Carbonsäuren 601 Allylverbindungen 145


− Vergiftung 377 Allysinaldol 979
− Wertigkeit 374 Allysinrest 979
alkoholische Gärung 381, 422, 829, 1031 Altbier 429
alkoholische Getränke 422 Altrose 793
Alkoholyse, Acylhalogenide/Säureanhydride Aluminiumalizarinlack 576
678 Aluminiumisopropylat 542
− Triglyceride 741 Aluminohydrosilikate 284
Alkoxycarbonylgruppe 7, 677 Amanitin 949
Alkoxygruppe 6 ambident 147, 399, 536
Alkydharz 628 Ameisensäure 583
N-Alkylbenzolsulfonamid 788 − großtechnische Synthese 585
Alkylbenzolsulfonate 229, 658 Amid siehe Carbonsäureamid
N-Alkylcarbonsäureamid 584 Amidin 704
Alkylchloride 400 Amine 8, 869ff.
Alkylfluoride 355 − Acidität 890
Alkylgruppen, Umlagerung 109 − acidobasische Eigenschaften 889
Alkylhalogenide 7, siehe auch Halogenalkane − Acylierung 892
− radikalische Addition 133 − Addition an Aldehyde 519
− Reduktion 66 − aliphatische, N-Nitrosierung 897
Alkylidenbernsteinsäuremonoester 509 − Alkylierung 879, 882, 891
Alkylidenmalonsäurediester 509 − aromatische 902
Alkylierungen 285 − aromatische, N-Nitrosierung 902
− Acetessigsäureethylester 639 − Basizität 889
− Alkinylanione 162 − biogene 873
− Amine 879, 882, 891 − Cope-Eliminierung 895
− Benzol 232 − Darstellung im Labor 875
− Carbonsäuresalze 679 − aus Nitroverbindungen 875
− Enamine 893 − durch reduktive Aminierung 883
− Nucleophil 355 − Hydrazoverbindungen 877
Alkyliodid 355 − mit Bucherer-Reaktion 881
Alkylisocyanat 700 − mit Gabrielsynthese 880
Alkyllithiumverbindungen 350 − mit Hexamethylentetramin 881
Alkylmalonsäurediester 356 − Reduktion der Nitrile/Amide 878
Alkylnitrate 407 − Reduktion der Oxime 877
Alkyloxycarbonyl-Gruppe 677 − Reduktion von Hydroxylaminoderivaten,
Alkylpolyglykolether 659 Nitroso-, Azo-, Azoxy- und
Alkylsulfate 658 Hydrazoverbindungen 877
Alkylsulfogruppe 9 − Reduktion von Ritter-Reaktionsprodukten
Alkylsulfonsäure 75 878
Alkylsulfonylchlorid 9 − Eigenschaften, Vorkommen und Bedeutung
Alkylthiogruppe 9 872
Alkylthionogruppe 9 − Eliminierungsreaktionen 894
Allen 323 − großtechnische Synthese 874
− derivate, axiale Chiralität 323 − Hofmann-Eliminierung 894
Allose 793 − Nachweisreaktionen 895
allosterischer Effekt 970 − Hinsberg-Reaktion 896
Allylalkohol 374 − N-Nitrosierung 791
Allylisothiocyanat 835 − Nomenklatur 870
Allylsenföl 835 − Oxidation mit Peroxysäuren 890
1110 Sachwortverzeichnis

− primäre − Chloride 958


− Addition an Aldehyde 518 − Cyclisierung 931
− aromatische 902 − Darstellung 921
− Isonitril-Reaktion als Nachweis 895 − essentielle 920
− N-Nitrosierung 789 − Ester, N-Nitrosierung 930
− Reaktionen 888 − heterocyclische 919
− sekundäre − in der Natur 920
− Addition an Aldehyde 519 − isoelektrischer Punkt 926
− aromatische 902 − Kupfer-Komplexe 932
− N-Nitrosierung 790 − L- 302
− Synthese durch Alkylierung eines N- − Methylierung der Aminogruppe 929
Alkylamids 882 − mit Amidseitenketten 918
− Struktur 869 − Nachweis 513
− Synthese − N-Nitrosierung 815
− durch Alkylierung 879 − Nomenklatur 870, 916
− durch Reduktion von − Oxidation, Cystein zu Cystin 932
Stickstoffverbindungen 875f. − Reaktionen 925
− durch reduktive Aminierung 883 − mit Ninhydrin 932
− mit Umlagerungen 885 − saure 918
− Abbau von Säureamiden 886 − Säure-Basen-Eigenschaften 925
− Benzidin-Umlagerung 887 − Sequenzbestimmung 950
− Curtius-Abbau 886 − Sörensen-Titration 927
− Lossen-Abbau 887 − Strecker-Synthese 923
− Schmidt-Abbau 886 − Struktur 920
− Synthese durch Alkylierung eines N- − Synthese 921
Alkylamids 882 − Erlenmeyersche Azlacton- 924
− tertiäre − über Malonestersynthese 922
− aromatische 902 − Umsetzung von α-Halogencarbonsäuren
− N-Nitrosierung 792 mit Ammoniak (Strecker-Synthese) 922
Aminoacyladenosylmonophosphat 1084 − Veresterung 928
Aminoacyladenylat 1084 − Zwitterion 925
Aminoacyl-t-RNA 1085 Aminozucker 809
− -Bindungsstelle 1087 Ammoniak, Addition an Aldehyde 516
− -Synthetase 1085 Ammoniumbasen, quartäre, Eliminierung 91
Aminoalkylierung, C–H-acide Verbindungen Ammoniumcarbamat 716
891 Ammoniumcyanat 716
4-Aminobenzolsulfonamid 229 Ammoniumsalze, quartäre 8
Aminocarbonsäuren siehe Aminosäuren Ammoniumtartrat 333
Aminocarbonylgruppe 8 Ammoniumthioglycolatlösung 977
Aminol 517 Ammonolyse, Carbonsäureester 683
Aminopeptidasen 990 Amobarbital 1014
2-Aminopyridin 258 Amphotenside 658
Aminosäuren 8, 870, 916ff. Amplitude 10
− Acylierung 928 Amygdalin 836
− Aktivierung 1083 Amygdalose 842
− aliphatische 917 Amylalkohol 374
− amphoterer Charakter 927 Amylasen 423f.
− Anteile im Protein, Ermittlung 949 − α-/β- 425
− aromatische 919 Amylopektin 424, 848
− basische 918
Sachwortverzeichnis 1111

Amylose 424, 846 Arene 176, 196


− -Helix 847 Arginin 918
− Iod-Einschlußverbindung 848 Arndt-Eistert-Reaktion 670
Anabasin 1052 Aromaten 6, 176, 196ff.
Analgetica 1055 − heterocyclische 255f.
Analysator 295 − kondensierte polycyclische 261
Ananasessenz 677 − nichtbenzoide 253
Anästhetikum 346 − nucleophile Substitution am Pyridin 258
Androgene 778 − polychlorierte 266
Androstan 771 − Überblick 253
Androstendion 553, 778 Aromatisierungen 288
Androsteron 778 − von Nahrungsmitteln 763
angina pectoris 408 Aromatizität, Kriterien 251
Anilin 221, 871, 873 Arterienverkalkung 733
− Synthese 874 Arteriosklerose 733
Anionotropie 700 Arylimine 519
Anisol 439, 460 Arylketone, Synthese 500
Annulene 248 − aus Phenolen und Nitrilen 500
Anomere 799, 833 − Friedel-Crafts-Reaktion 500
Anomerie 798 Arylrest 176, 196
antarafacial 218 AS siehe Alkansulfonate
Anthelminthicum 553 Ascorbinsäure 810, 980
Anthocyane 452f., 835 − Mangel 980
Anthocyanidin 453f. Asparagin 918
Anthracen 263 − -säure 918
Anthrachinon 9f., 480, 565 Aspartam 943
Anthranilsäure 871 Asphalt 275
Antiallergicum 778 Aspirin 448, 620
antiallergische Wirkung 336 Assimilieren 1020
Antibiotika auf Peptidbasis 947 Assoziate, bimolekulare 584
Anticodon 1079 Astaxanthin-Protein 988
Antimalariamittel 332 asymmetrische Induktion 328
anti-Markownikow-Produkt 107, 118, 127 asymmetrische Synthese 328
anti-Mechanismus 121 asymmetrisches Kohlenstoffatom 307
Antioxidantien 745 − Bildung bei chemischer Reaktion 326
antiperiplanare Konformation 58 ätherisches Öl 763
Antipoden, optische 305 Atmungskette 574
Antispasmodicum 1050 − Elektronentransport 572
Antivergrauungsmittel 660 Atombindung 3
Anxiolytika 1014 Atommodell, Bohrsches 59
Apamin 949 Atomorbitale 13
Apfelessenz 677 ATP 572, 1038, siehe Adenosintriphosphat
Äpfelsäure 633 Atrophie 1030
− D-(+)- 301 Atropin 1050
Aphrodisiacum 1048 Atropisomerie 324
Apoenzym 987 Aufheller, optische 662
äquatoriale Bindungen 182 Ausschlußprinzip, Paulische 11
Arabinose 793f. Außer-Phase-Überlappung 16
Arachidonsäure 617 Austausch-Nomenklatur 941, 999
Arbuzow-Michaelis-Reaktion 351 Autoabgase 265
1112 Sachwortverzeichnis

Autoxidation 76 Benzidin 888


− Aldehyde 546 − Umlagerung 887
− Ether 465 Benzil 506
− ungesättigte Triglyceride 743 − -säure 506
Auxochrome 910 Benzimidazol 1029
Azabenzol 257 Benzin 79
Azepin 1014 − Pyrolyse- 223
Azid-Methode 958 − Reformat- 223
Azin 521 Benz-in 249
Azlacton 924 Benzochinon 450
− Synthese, Erlenmeyersche 924 − o- 497
Azobisisobutyronitril 419 − o-/p- 496
Azofarbstoffe 910 − p- 497, 502
Azogruppe 8 Benzoesäure 585, 618f.
Azokupplung 906 Benzoin 505
Azoverbindungen 8 − -addition 505
− geometrische Isomere 910 Benzol 176, 196
Azulen 248 − Acylierungen 234
− aktivierender/desaktivierender Einfluß des
B Erstsubstituenten 235
− Alkanoylierungen 234
backbone 934 − Alkylierung 232
Backfette 742 − mit Alkylhalogeniden 231
Baekeland 449 − Bromierung 230
Baeyer-Reagens 124 − Chlorierung 230
Baeyer-Spannung 179 − delokalisiertes π-Elektronensystem 198
Baeyer-Villiger-Oxidation 548f. − Derivate, Nomenklatur 220
BAK 378 − dirigierende Wirkung des Erstsubstituenten
Bakelit 449 238
Bananenbindung 178 − Elektronenbesetzung der Molekülorbitale
Barbier-Wieland-Reaktion 613 209
Barbiturate 684, 1013 − Elektronendichteverteilung 199
Barbitursäure 684 − elektrophile Substitution 223
Barton-McCombie-Reaktion 419 − Friedel-Crafts-Reaktionen 231
Basenpaare 1068 − Geometrie 199
Bashkirov-Oxidation 78 − Gewinnung 222
Basizität 397 − Halogenierung 230
Bathochromie 910 − Kern-/Seitenketten- 246
Bauchspeicheldrüse 748 − Iodierung 231
Baumwollsaat 727 − katalytische Hydrierung 200
Beckmann-Umlagerung 695 − Linearkombination der p-Orbitale 205
− Carbonsäureamide aus Oximen 695 − MO-Modell 201
Beizenfarbstoff 576 − Nitrierung 226
Benennung von Verbindungen siehe − Nomenklatur 220
Nomenklatur − nucleophile aromatische Substitution 247
Bentonit 284 − Oxychlorierung 230
Benz[a]pyren 265 − radikalische Addition 249
Benzal- (Restgruppe) 222 − Reaktionen 223, 240
Benzalchlorid 247 − Resonanzenergie 200
Benzaldehyd 176, 196, 481 − Resonanzhybrid 199
Sachwortverzeichnis 1113

− SE-Reaktion 188 Biosynthese


− Struktur 199 − Alkane 63
− Sulfonierung 228 − Cholesterol 772
− Valenzbindungstheorie 197 − Isopentenylpyrophosphat 763
− Verwendung 222 − Proteine 1083
− Zweitsubstitution − Ribonucleinsäuren 1081f.
− +I-Effekt des Erstsubstituenten 241 Biotin 1030
− +M-Effekt des Erstsubstituenten 243 − -Enzym 1030
− –I-Effekt des Erstsubstituenten 242 Biphenyl 222, 260
− –M-Effekt des Erstsubstituenten 244 − o-substituiertes 292
Benzolsulfonsäure 229 − polychloriertes 268
Benzolsulfonylchlorid 896 Birch-Reduktion 250
Benzophenon 133, 481 Birnenessenz 677
Benzopyron 452 Bisabolen 766
Benzopyrylium 452 Bisphenol A 396
Benzotrichlorid 247 − -Diglycidether 471
Benzoyloxyradikal 127 Bisphosphoglycerat, D-2,3- 975
Benzyl- 222 Bisulfit-Addition/-Addukt 524
Benzylalkohol 374 Bisulfit-Aufschluß 853
Benzylchlorid 247 Bitumen 275
Benzyloxycarbonylrest 956 Bixin 736
Berberin 1058 Blanc-Reaktion 961
Berberitze 1058 Blattgrün (Chlorophyll) 256
Bergius-Verfahren 64 Blausäure 170
Beriberi 1030 Bleichaktivator 660
Berliner Weisse 429 Bleichmittel 660
Bernsteinsäure 620f. Bleitetraacetat 417
− -diester 509, 686 Blutalkoholkonzentration 378
Betaine 511, 658, 929 Blutgefäße 979
Betulin 768 Blutgerinnung 575
Bienen, Peptide 949 Blutkörperchen, rote 970
Bienenhonig 845 Blutplasma 985
Bienenwachs 757 boat form 163
Bier 422 Bockbier 429
− alkoholfreies 429 Bohrsches Atommodell 59
− Sorten 429 Boran 116
Bilirubin 1026f. Borsäureester 78, 410
Biliverdin 1025 Bortrifluorid-Etherat 116
Bilsenkraut 1050 Bouveault-Blanc-Reaktion 390, 690
Bindungen BPG 975
− π- 16 Bratfette 742
− σ- 16 Brauprozeß 427
− Atom- 3 Brechnuß 332
− axiale 182 Brenzkatechin 439, 450
− Doppel- 22 Brenzschleimsäure 469
− Dreipunkt-, Modell 335 Brenztraubensäure 636
− Ionen- 2 Briefumschlag-Konformer 180
− kovalente 3, 13 Bromaddition 115
− polare kovalente 30 Bromalkane 347
− Polarität der C–X-- 30 Brombenzol 230
1114 Sachwortverzeichnis

Bromidion 114 Caprolactam 695


Bromierung, Alkane 72 Capronsäure 39, 583f.
Bromoniumion 114 Caprylsäure 584
N-Bromsuccinimid 622 Cap-Struktur 1087
Bromwasserstoff, radikalische Addition 126 Carbaldehyd 480
Brönstedt 397 Carbamate 714
Brucin 332, 1048 Carbaminsäure 700, 714
Brückenion 105, 114 − -ester 714
Brückenkopf-Atome 188 Carbamoylgruppe 8
Bucherer-Reaktion 881 Carbanionen 356, 531
Buchstabencodierung 941 Carben, Reaktion 189, 217
Bufadienolide 780 − Singulett- 189
Bufotalin 780 − Triplett- 189
Bugspriet-Substituenten 184 Carbeniumionen 95, 103
Bukett 430 − Stabilität tertiärer 361
Buna 148 Carbocyclen 176, 941, 999
− -Kautschuk 148 Carbohydrasen 986
Butadien 283 Carbolsäure 440
− Addition von Brom 146 Carbonsäureamide 8, 668, 691ff.
− Grenzformeln 143 − aus Carbonsäureanhydriden 694
− Polymerisationsreaktionen 148 − aus Carbonsäurechloriden 694
Butan, Konformation 58 − aus Carbonsäureestern durch Ammonolyse
n-Butanol 329 694
Buten 283 − aus Oximen durch Beckmann-Umlagerung
2-Butendisäure 620 695
2-Butensäure 614 − Dehydratisierung 699
Buttersäure 583 − durch Erhitzen von Ammoniumsalzen der
Butylalkohole, Synthese 383 Carbonsäuren 694
− Verwendung 383 − durch partielle Hydrolyse von Nitrilen 694
n-Butylamin 764 − Hydrolyse 698
Butyllithium 523 − Nomenklatur 692
Butyraldehyd 480 − Reaktionen 697
− Hofmannscher Abbau 699
C Carbonsäureanhydrid 668, 672
− Additions-Eliminierungs-Reaktionen 673
Cadaverin 872 − an α-ständigen C-Atomen 674
Cadinen 766 − Darstellung 668, 672
Caeruloplasmin 989 − Hydrolyse 674
Calciferol 732, 737, 775 − Nomenklatur 672
Calciol 775 − Perkin-Synthese 674
Calcitonin 946 − Reaktionen 674
Calciumcarbid 158 Carbonsäurebromid 607
Calvados 432 Carbonsäurechloride 667f.
cAMP 1038 − Additions-Eliminierungsreaktionen 667
Campher 553, 765 − Alkoholyse 668f.
− D-/L- 671 − Darstellung 667
Cancerogenität 176, 265, 900 − Eliminierungsreaktionen 671
Candellilawachs 757 − Hydrolyse 668
Cannizzaro-Reaktion 552 − Perhydrolyse 669
Caprinsäure 584
Sachwortverzeichnis 1115

− Reaktionen − von Silbersalzen mit Brom 612


− mit Alkohol 668 − funktionelle Derivate 666ff.
− mit Aminen 668 − Halogenierung 606
− mit Ammoniak 668 − Nomenklatur 581, 666
− mit Carbonsäure 668 − physikalische Eigenschaften 584
− mit Dialkylcadmium 499 − radikalische Addition 133
− mit Diazomethan 670 − radikalische Decarboxylierungen 611
− mit Hydrazin 668 − Reaktionen 595, 601
− mit Hydroxylamin 668 − am α-ständigen C-Atom 606
Carbonsäureester 676ff. − Hell-Volhard-Zelinsky-Reaktion 607
− Alkoholyse 683 − Salzbildung 598
− als C-Säuren 685 − Reduktion und Oxidation 612
− Ammonolyse 683 − saure Eigenschaften 597
− Bedeutung und Eigenschaften 677 − Substitutionsderivate 630
− Claisen-Esterkondensation 686 − Synthese 585
− Darzens-Glycidsynthese 687 − der Ameisensäure 585
− Hydrolyse 681 − der Essigsäure 586
− Malonestersynthese 688 − durch Carboxylierung von Grignard-
− Nomenklatur 676 Verbindungen 590
− Reaktionen 681 − durch Hydrolyse von Nitrilen 591
− Alkoholyse 683 − durch Oxidation von primären Alkoholen
− mit Hydrazin 684 und Aldehyden 589
− mit Hydroxylamin 684 − durch oxidative Spaltung von Alkenen
− Verseifung 682 590
− Reduktion 689 − mit Malonsäure 594
− Synthese 678 − Trivialnamen 583
− Alkylierung von Carbonsäuresalzen 679 − Umsetzung mit Diazomethan zu
− Umsetzung von Carbonsäuren mit Methylestern 679
Diazomethan 679 − Umsetzung zu Carbonsäuramiden 604
− Verseifung 682 − Umsetzung zu Carbonsäurechloriden 603
− Vorkommen 677 − ungesättigte 614
Carbonsäurehalogenide 666 − Acrylsäure 614
− Acylierung von Aromaten 234 − Methacrylsäure 615
− Nomenklatur 666 − Ölsäure 616
Carbonsäurehydrazide 668, 684 − Sorbinsäure 617
Carbonsäureimide, Darstellung/Reaktionen − Veresterung 601
697 Carbonsäuresalze 598
Carbonsäuren 7 − Alkylierung 679
− α,β-ungesättigte 508, 675, 689 Carbonylgruppe 6
− Additions-Eliminierungs-Reaktionen 599 − Doppelbindung 481
− aromatische 595, 618 Carbonyloxycarbonylgruppe 7
− Synthese durch Oxidation der Seitenkette Carbonylverbindungen siehe auch Aldehyde
595 und Ketone
− Bildung von Säureanhydriden 605 Carbonylverbindungen siehe auch Aldehyde
− bimolekulare Assoziate 584 und Ketone
− β-Oxidation 754 − α, β-ungesättigte, nucleophile Additionen
− Decarboxylierungsreaktionen 608 525
− radikalische 611 − nucleophile Addition 502
− über einen cyclischen Übergangszustand − Reduktion 541
610 Carboxoniumion 532
1116 Sachwortverzeichnis

Carboxygruppe 7 Cerebroside 731, 858


Carboxypeptidase 990 Cetan 279
− A/B 994 − -zahl 278
Carboxyproteasen 990 Cetanol 374
Cardenolide 780 Cetylalkohol 374
Δ3-Caren 765 chair form 161
Carnaubawachs 757 Charge-Transfer-Komplexe 570f.
Carnitin 755 Chelate 440
Carotine 769, 988 Chelatring 447
− β-Carotin 735 cheletrope Reaktion 217
Carotinoide 735 chemische Formeln
Carrier-Proteine 754 − allgemeine Formel 34
Carvon 337, 553 − Konformationsformel 308
Casein 942, 987 − Konstitutionsformel 35
Catechine 455 − Kurzstrukturformel 35
C–C-Verknüpfungen − Skelettformel 38
− bei der Hydrocarbonylierung 112, 168 − Summenformel 34
− bei der Mannich-Reaktion 531, 539, 891 chemische Gleichungen 34
− bei der Oxo-Synthese 487 Chenodesoxycholsäure 776
− bei Polymerisationsreaktionen 136f. Chinhydron 571
− bei radikalischen Additionen 132f. Chinin 332, 1054
− bei Reaktionen von Carbonylverbindungen chinoide Struktur 450
und CO2 mit Grignard-Reagens 392 − o-/p- 496
− durch Acyloinkondensation 690 Chinolin 258, 1011, 1054
− durch Addition von C-Nucleophilen an − Synthese (Skraupsche) 1012
Carbonylverbindungen 504 Chinone 480, 565ff.
− durch Aldolkondensation 534 − Additionsreaktionen,
− durch Alkylierung von β-Diketonen 533 elektrophile/nucleophile 568
− durch Alkylierung von β-Oxoestern 639 − Darstellung 566
− durch Formylierung aromatischer − elektrophile Addition 568
Verbindungen 492 − in der Natur 572
− Friedel-Crafts-Reaktion, Acylchloride mit − Atmungskette 572
Aromaten 500 − nucleophile Addition 568
− Friedel-Crafts-Reaktion, − Reaktionen 566
Halogenalkane/Alkene mit Aromaten 231 − Charge-Transfer-Komplexe 570
− Kolbe-Elektrolyse 67 − Diels-Alder 570
− Kolbe-Nitrilsynthese 702 − Reduktion 566
− Thorpe-Reaktion 706 Chiralität 298
− Wurtz-Fittig-Reaktion 511 − achirale Moleküle 299
− Wurtz-Synthese 65, 350 − axiale 323
Celcon 529 − bei Helicität 325
Cellobiose 840 − in lebenden Organismen 334
Cellophan 854 − planare 325
Cellulasen 851 − zentrale Chiralität 323
Celluloid 854 Chitin 855
Cellulose 334, 851 Chlorakne 267
− Wasserstoffbrücken 852 Chloral 517
Cellulosetrinitrat 854 − -ammoniak 516
Cellulosexanthogenat 854 − -hydrat 512
Centriolen 754 Chloralkane 346
Sachwortverzeichnis 1117

Chlorameisensäurebenzylester 956 Citronensäure 634


Chlorameisensäureester 667, 713 − -cyclus 635f.
Chlorameisensäure-tert-butylester 957 Citrullin 918
Chlorbenzol 230 Claisen-Esterkondensation 637, 686
− Synthese mit Raschig-Hooker-Verfahren Claisen-Umlagerung 467
441 − aliphatische 149
Chlordiazepoxid 1014 Clemmensen-Reaktion 543
Chlordifluormethan 348 Cobalamin 1023f.
Chlorfluorkohlenwasserstoffe 716 Cobalttetracarbonylwasserstoff 487
Chlorfluormethanverbindungen 348 Cobalttricarbonylwasserstoff 487
Chlorhydrin 115 Cocain 1051
Chlorin 1017 Code 1079
Chloroform 69, 293, 345 − genetischer 1085
Chlorophylle 256, 1017ff. − -Tripletts 1085
− Antennen- 1021 Codein 1057
Chloroplasten 575, 753, 1019 Codon 1079
Chloropren 148, 164 − -Anticodon-Paarung 1088
Chloroquin 1054 Coenzym 987
Cholan 771 − A 750f., 1038
Cholecalciferol 737, 775 − Thioester 752
Cholestan 772 − B12 1024
Cholesterol (Cholesterin) 732f., 774 − Q 574
− Biosynthese 772 Cofaktor 987
− Stereospezifität 330 Coffein 259, 1039
Cholin 409, 729, 873 Cohumulen 428
Cholinesterase 1048 Cola-Nuß 259
Cholsäure 776 Collidin 1006
Chondocurarin 1058 Concanavalin A 984
Chondroitin-4-sulfat 857 Coniin 1053
Chondroitin-6-sulfat 857 conrotatorische Drehung 211
Chromatin 988 Contergan 337
Chromatographie, Enantiomerentrennungen Cope-Eliminierung, Amine 895
333 Cope-Umlagerung 149, 219
Chromon 452 − Diaza-Cope-Umlagerung 1005
Chromophore 910 Copolymerisation 137
Chromoproteine 988 Corey-Seebach-Reaktion 524
Chromosomen 753, 1067 Coronen 264
Chromosomensatz, diploider/haploider 1073 Corpus-luteum-Hormone 778
Chromtrioxid, Oxidation mit 489 Corrin 1023
Chrysen 263 Corticoide 777
Chylomikronen 734 Corticosteron 777f.
α-Chymotrypsin 992 Corticotropin 946
− Katalysemechanismus der Proteolyse 992 Cortisol 553, 777f.
Cinchonin 1054 Cortison 553, 777f.
cis-Glykol 113 CO-Vergiftung 972
cis-Stilben 105 Crackbenzin 283
Citraconsäure 620 Cracken 280
Citral-a/-b 553 − Einfluß der Reaktionsbedingung 280
Citronellal 553 − katalytisches 284
Citronellol 765 − thermisches 280
1118 Sachwortverzeichnis

Crackofen 283 Cyclopropenylkation 254


Cramsche Regel 329 Cycloreversion 210
Crepe-Kautschuk 137 Cyclotetramerisierung der Alkine 165
Criegee-Spaltung 417 Cyclotrimerisierung der Alkine 164
Cristae 754 Cymol 221
Crotonaldehyd 481, 525 Cystein 917, 921
Crotonsäure 614 − Oxidation zu Cystin 932
C-Säuren 685 Cytochrome 988, 1016
Cumarin 176, 196 − a 1016
− -glycoside 835 − b 575, 1016
Cumol 78, 221, 223, 233, 442 − c 1017
− Acetonherstellung 485 − Komplex 1022
− -hydroperoxid 78, 442 Cytoplasma 754
Curare-Alkaloide 1058 Cytosin 257, 1036, 1065, 1077
Curtius-Abbau 886 Cytoskelett 754
Curtius-Umlagerung 886 Cytosol 754, 850
Cuscohygrin 1000, 1047
Cuticula 757 D
Cuticularwachs 63
C–X-σ-Bindung, Polarität 30 Dacron 629
Cyanhydrinbildung 504 Darzens Glycidsynthese 687
Cyanhydrinsynthese, Zucker 792 DCC 962
Cyanide 8 DDT 266
Cyanidin 453f. DEAD 420
Cyanwasserstoff 170 Deaminierung 1035
Cyclamat 943 debranching Enzym 850
Cyclisierungen 288 Decalin 188
− Aminosäuren 931 Decarboxylase 1035
Cycloadditionen 106, 116, 213 Decarboxylierung 1035
Cycloalkane 176ff. − an Carbonsäuren 608
− cis-/trans-Isomerie 167 − über einen cyclischen Übergangszustand
− Nomenklatur 176 610
− physikalische Eigenschaften 177 Deckungsform 56
− polycyclische Alkane 187 Dehalogenierung 90
− Reaktionen 192 Dehydratasen 986
− Synthese 189ff. Dehydratisierung 90, 404
Cycloalkene 84 − von Alkoholen 461
Cyclobutan 178 Dehydrierung 91
Cyclodextrine 849 1,2-Dehydrobenzol 249
Cycloheptatrienyl-Kation 254 7-Dehydrocholesterol 732, 775
Cyclohexan 180, 223 Dehydrocorticosteron 777
− Konformationen 180 Dehydrodimerisierung 78
Cyclohexanol 696 Dehydrogenasen 986
− Oxidation 696 Dehydrohalogenierung 90
Cyclooctatetraen 165, 252 Delépine-Reaktion 881
Cyclopentadienyl-Anion 254 Delfinidin 454
Cyclopentan 180 Delirium tremens 380
Cyclophane 325 Delokalisierung 73
Cyclopropan 178 Delrin 529
− Synthese 189 Demjanow-Umlagerung 900
Sachwortverzeichnis 1119

Denaturierung 258 − Reduktion 906


− von Proteinen 975 − Sandmeyer-Reaktionen 905
Denkmodelle, theoretische 32 − Schiemann-Reaktion 904
Dephosphocoenzym A 751 − Substitution durch
Depsid 455 − Brom 905
Dermatansulfat 858 − Chlor 905
Desoxycholsäure 776 − Fluor 904
Desoxyribonucleinsäure siehe DNA − Iod 904
Desoxyribose 808 Diazoniumverbindungen 8
Desoxyzucker 808 Diazotierung 902
Destillation, fraktionierte 275 Dibenz[a,h]anthracen 265
− Erdöl 275 Dibenzodioxin 267
Destillierturm 276 Dibenzofuran 267
Dextrane 851 Dibenzoylperoxid 127, 669
α-Dextrinase 850 Diboran 116
Dextrine 425, 849 Dibromindigo 1028
− Cyclodextrine 849 Dicarbonsäuren
Dextrinogen-Amylase 425 − aliphatische 620
Dextrose 794 − ungesättigte 624
DG siehe Diacylglycerin − aromatische 626
Diabetes mellitus 485, 945 Dicarbonylverbindungen 533
Diacylglycerin 730 Dichlordiphenyltrichlorethan 266
3,6-Dialkyl-2,5-diketopiperazin 931 Dichlormethan 69
N,N-Dialkylbenzolsulfonamid 788 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure 266
Dialkylcadmiumverbindung 499 Dicobaltoctacarbonyl 487
N,N-Dialkylcarbonsäureamid 584 Dicyclohexylcarbodiimid 962
Dialkylsulfat 111 − Knüpfung der Peptidbindung mit 958
Diastereomere 318 N,N'-Dicyclohexylharnstoff 838
Diazabenzol 257, 1013 Didepsid 455
Diaza-Cope-Umlagerung 1005 Dieckmann-Kondensation 686
Diazepam 1014 Diels-Alder-Reaktion 148, 213ff., 570, 625
1,4-Diazepin 1015 Diene 84, 141
Diazine 1013 − Reaktionen 146
Diazoketon 670 Dienophil 149
Diazomethan 189, 266, 670, 679, 717 Dieselkraftstoff 277
− Methylierung mit 463 Dieselöl 79
Diazoniumgruppe 8 Diethylamin 870, 873
− Substitution durch Halogenide 904 Diethylazodicarboxylat 420
− Substitution durch schwefelhaltige Diethylenglykol 460, 471
Verbindungen 903 − -dimethylether 116
Diazoniumsalze Diethylentriamin 472
− aromatische, Reaktionen 903 Digallussäure 455
− Substitutionsreaktionen 903 Digitalisglykoside 780
− Arylierung mit 906 Digitoxigenin 780
− Gattermann-Reaktion 905 Diglyceride 725
− Gomberg-Bachmann-Reaktion 906 Diglyme 460
− Kupplungsreaktionen 906 Dihydrouracil 1080
− Einfluß der Substituenten 908 Dihydroxylierung 121
− Einfluß des pH-Wertes 909 − Alkene 395
− Phenolverkochung 903 − anti- 112, 350
1120 Sachwortverzeichnis

− mit KMnO4 124 − -Polymerase-III-Holoenzym 1076


− syn- 112 − Replikation 1073
Dihydroxyphenylalanin 336 − ringförmige 1072
Diiodalkane, vicinale 115 − Strukturen 1067
β-Diketone 533 − Superhelix 1072
Dimethylamin 873 − Verbindungs- 988
Dimethylenglykoldimethylether 460 DNS siehe Desoxyribonucleinsäure und DNA
N,N-Dimethylformamid, Synthese 609 Donorfunktion 103
Dimethylpolysiloxane 661 Donor-t-RNA 1088
Dimethylsulfoxid 90, 418 Dopa 336
Dimethylterephthalat 629 Dopamin 873
2,4-Dinitrophenylhydrazin 522 Doppelbindung 22, 85
2,4-Dinitrophenylhydrazon 522 − isolierte 141
Diolen 629 − konjugierte 142
1,4-Dioxan 473 − kumulierte 141
Dioxan 134 Doppelbrechung, Licht 294
Dioxin 267 Dow-Verfahren 248, 441
Dipeptid 943 Dralon 702
Dipeptidasen 990 Drehspiegelachse 302
Diphenylamin 873 Drehung, spezifische 296f.
Diphenylin 888 Drehwert, optischer 804
Dipol 59 Dreiding-Modelle 33
− kurzzeitiger 59 Dreipunktbindung, Modell 335
Disaccharide 838 Druckentschwefelung 287
− nichtreduzierende 842 Drüsen, endokrine 943
− Nomenklatur 840 Dulcit 821
− reduzierende 838 Dunkelreaktion 1020
Disproportionierung 70 Dünndarmlipase 748
− Aldehyde 550 Dynamit 408
disrotatorische Drehung 211
Dissousgas 157 E
Dissoziationsgrad 398
Distickstofftrioxid 897 E 605 409
Disulfid 9 E1-/E2-Mechanismus 94f.
Disulfidbrücke 9 E1-Reaktion, Kinetik 95
− Cystin 932 Edman-Abbau 952
− Insulin 945 EDTA siehe Ethylendiamintetraacetat
− Keratin 976 Einschlußverbindungen 80
− Spaltung von 952 − der Amylose mit Iod 848
− Tertiärstruktur der Proteine 968 − der Cyclodextrine 849
Diterpene 767 − mit Harnstoff 80
D/L-Nomenklatur 279 Einzelstränge, palindrome 1077
DMSO 418 Eisenporphyrinenzyme 988
DNA 334, 753, 826, 988, 1063f., 1072f. Eiweiße siehe Proteine
− A-/B-/Z- 1072 Elaeostearinsäure 724
− Basenpaare 1067 Elaidinsäure 614
− Doppelhelix 1069 Elastin 981
− Doppelstrang 1067 elektrocyclische Reaktionen 210
− -Ligase 1076 Elektrolyse, Kolbe- 67, 611
− -Polymerase 1076 Elektronegativität 30
Sachwortverzeichnis 1121

Elektronen − -profil 147


− -akzeptor, π- 144 − von SE-Reaktionen 225
− -besetzung der Schalen 12 − Rotations- 57
− -bilanz 413 − -zustände der Elektronen 11
− -dichteverteilung, Benzol 199 Enkephaline 947
− -donor, π- 144 Enterokinase 991
− Energiezustände 11 Enthalpie (ΔH) 796
− potentielle Energie 13 − freie (ΔG) 796
− -system, π- delokalisiertes 198 − Reaktions- 201
− -transport, Atmungskette 572 Enthärter 659
− Wellennatur 10 Entropie 796
Elektrophil 352 envelope form 161
Elementaranalyse 176, 196 Enzyme 334, 986
Elementsymbole 34 − in Waschmitteln 662
Eliminierung 90, 367 Eosin 628
− mono-/bimolekulare 95 Ephedrin 336
Eliminierungsreaktionen 90 Epichlorhydrin 471
− Dehalogenierung 90 Epimere 792
− Dehydratisierung 90 Epoxide 116, 468f.
− Dehydrierung 91 − -harze 471
− Dehydrohalogenierung 90 − Reaktionen 469
− Esterpyrolyse 92 − -ring 468
− Halogenalkane 350 − Synthese 469
− Hofmann E. quartärer Ammoniumbasen 91 Epoxidierung 125
− Pyrolyse der Xanthogenate 92 Erdgas 62
Elongation 1087 Erdnuß 727
Elongationsfaktoren 1088 Erdöl 273f.
Emulgatoren 725, 749, 777 − Destillationsfraktionen 275
Emulsin 833 − Entstehung 273
Enamin 516, 519 − Fraktionen 276
− Alkylierung/Acylierung 893 − Inhaltsstoffe 274
Enantiomere 305 − Schwefelverbindungen 275
− Kristalle, mechanische Trennung 331 Ergosterol 732, 775
− Trennung aus racemischen Gemischen 331 Ergotamin 1049
− Trennung mit Hilfe der Chromatographie Ergotismus convulsivus 1049
333 Ergotismus gangraenosus 1049
− Trennung mit Hilfe von Mikroorganismen Erlenmeyer-Regel 375, 513
333 Erlenmeyersche Azlactonsynthese 924
− Trennung über diastereomere Erythrose 793
Zwischenprodukte 332 Erythrozyten 970, 1025
endergonische Reaktionen 336 Erythrulose 806
Endo-Amylase 425 Eschweiler-Clarke-Reaktion 885
Endocytose 753 Essigsäure 583, 586
Endopeptidasen 990 − großtechnische Synthese 585
endoplasmatisches Reticulum (ER) 754 − Synthese durch Oxidation von Acetaldehyd
β-Endorphin 947 588
endotherme Reaktion 79 Essigsäureethylester siehe Ethylacetat
Energie Ester 7, 668, siehe auch Carbonsäureester
− des Elektrons, potentielle 13 − der Borsäure 410
− -niveau 11
1122 Sachwortverzeichnis

− der Phosphorsäure 408f., 572, 728, 749, Ethylenglykol 374


983, 988, 1020, 1038, 1063 − Synthese 387
− der Salpetersäure 407f., 854 Ethylenoxid 136, 468f.
− der Schwefelsäure 406 Ethylethanoat siehe Ethylacetat
− Hydrolyse 388 Ethylmethylketon 486
− kondensation, Claisen- 686 Eucyten 752
− pyrolyse 92 Eukarionten 1066
− radikalische Addition 133 Eutrophierung 660
− Reaktion mit Grignard-Reagens 690 Excitonen-Transfer 1021
− Synthese 405, 420 exo/endo-Selektivität 215
Esterasen 986 Exocytose 753
Étard-Reaktion 490 Exone 1083
Ethan, Konformation 55 Exopeptidasen 990
Ethanal 480, 484 exotherme Reaktion 79
Ethanamid 692 Export 429
Ethandithiol 523
Ethanol F
− neurophysiologische Wirkung 379
− physiologische Eigenschaften 377 faciale Selektivität 213
− Synthese 381 FAD 1042
− aus Ethen 381 Fallstromvakuumdestillation 429
Ethanolamin 409, 729, 873 β-Faltblattstrukur 966
Ethansäure 505, 586 − antiparallele 967
Ethen 85, 283 − parallele 966
− Hochdruckpolymerisation 138 Faraday 176, 196
Ether 6, 439, 459ff. Färberginster 453
− Autoxidation 465 Farbstoffe
− Claisen-Umlagerung 467 − Alizarin 576
− cyclische 467 − Anthocyane 452
− Eigenschaften 469 − Azofarbstoffe, Bedeutung 910
− mit fünf-/sechsgliedrigem Ring 473 − Herstellung 906
− Nomenklatur 467 − Chlorophylle 1017
− Nomenklatur 439, 459 − Eosin 626
− physikalische Eigenschaften 460 − Farbigkeit, Ursache 910
− Reaktionen 463 − Flavanole 452
− -spaltung mit Säuren 464 − Fluorescein 626
− Struktur 460 − Isoflavanole 452
− Synthese 461 − Pflanzen- 452
− aus Alkoholen 461 − Phenolphtalein 626
− Williamson-Synthese 463 − Phthaleine 626
Etherat, Bortrifluorid- 116 − Pilz- 572
Ethin siehe Acetylen Farnesol 766
Ethinylierung 163, 507 FAS siehe Fettalkoholsulfate
17-α-Ethinylöstradiol 780 Faulschlammhorizonte 273
Ethylacetat 637, 686 Faworski-Umlagerung 550
Ethylamin 873 FCC-Verfahren 286
Ethylbenzol 223, 233 FCKW (Fluorchlorkohlenwasserstoffe) siehe
Ethylen 85 Freone
− -diamintetraacetat 661 Federn 976
− Epoxidation 136
Sachwortverzeichnis 1123

Fehling-Probe 546, 817 Flavine 1041


Fehling-Reagens 545 − Derivate 988
Ferritin 989 Flavinmononukleotid 572, 1042
Ferrocen 255 Flavon 452
Festbettverfahren 285 − -glycoside 835
Festphasen-Peptidsynthese 961 Flavonole 452
Fettalkoholoxethylate 659 Flavoproteine 988
Fettalkoholsulfate 658 Fließbett 286
Fette 722ff. Fließgleichgewicht 336
− Alkoholyse 741 Fließstaubverfahren 286
− als Nahrungsmittel 747 Flotation 384
− aus Mikroorganismen 726 Flugturbinenkraftstoff 278
− chemische Zusammensetzung 722 Fluid catalytic cracking 255
− Eigenschaften 726 Fluor, Addition 115
− Einphasen-Umesterung 741 Fluoralkane 65
− Einteilung 725 − Gewinnung 347
− enzymatische Spaltung 740 Fluorescein 628
− gerichtete Umesterung 741 Fluorierung 72
− Gewinnung pflanzlicher 728 Flüssiggas 277
− Gewinnung tierischer 728 FMN 572, 1042
− Härtung 741f. Folgestrang 1076
− Hydrierung 742 Folidol 409
− hydrolytische Spaltung 739 Follikelhormone 778f.
− pflanzliche 726 Folsäure 229, 1040
− Ranzigwerden 740 Foraminiferen 273
− Reaktionen 739 Formaldehyd 480, 483
− Umesterung 740 − Oligomere/Polymere 528
− Verdauung 748 Formalin 483
− Vorkommen/Gewinnung 727 Formamid 692
Fettsäuren Formel, chemische 34
− Abbau 749, 755 Formiate 583f.
− Aktivierung 749 Formylgruppe 6, 480
− essentielle 618, 722 Formylierung aromatischer Verbindungen
− gesättigte 722 492
− in Nahrungsfetten 723 N-Formyl-o-toluidin 880
− Verteilungsmuster in Triglyceriden 725 fossile Rohstoffe 79
− ω-3- 724 Fragmentierung 72
Fettspaltung, Autoklaven-Verfahren 740 − Peptidkette 951
Fibrin 985 Fraktionierturm 276
Fibrinogen 985 − Vakuum- 276
Filamente, dicke und dünne 981f. Framework Molecular Models 33
Finkelstein-Methode 115 Freone 346, 348
Fischer-Indolsynthese 1004 Friedel-Crafts-Reaktionen 231
Fischer-Projektion 311, 789 − mit Säurechloriden 234, 500
Fischer-Tropsch-Synthese 64 Fries-Reaktion 444
Fischgifte 781 Frigen 348
Flagpole-Substituenten 184 Frigen-11 716
Flavan 455 Fruchtzucker 807
Flavin-adenin-dinucleotid 1042 Fructane 855
Flavin-Coenzyme 1042
1124 Sachwortverzeichnis

Fructose 806f. Gerbstoffe 454


− cyclische Halbketalformen 807 − hydrolysierbare 455
fuchsinschwefelige Säure 553 − kondensierte 455
Fucose 809 Geruchsrezeptoren 337
Fumarsäure 620, 624 Gerüstmodelle 33
Fumigatin 572 Geschmacksrezeptoren 337
funktionelle Gruppen 5 Gestagene 778f.
Furan 256, 460, 469, 1001 Getränke, alkoholische 422
Furanosen 800 Giese-Reaktion 527
Furfural 469 Gin 432
Fuselöle 380 Glaser-Reaktion 165
Gleichung, chemische 34
G Gleitfasermodell, Muskelkontraktion 983
Globin 972
Gabrielsynthese 880, 922 globuläre Proteine 984
Galactane 854 − Albumine 985
Galactonsäure 818 − Globuline 985
Galactosamin 809 − Histone 986
Galactose 793, 795 − Prolamine und Gluteline 986
β-Galactosidase 841 Globuline 985
Galacturonsäure 819 Glockenböden 276
Galalith 942 Glucagon 850, 946
Gallenfarbstoffe 1025 Glucane 846
Gallensäuren 776 Gluconsäure 818
Gallussäure 439 Glucosamin 809
Gameten 1073 Glucose 793f.
Ganglioside 731 α-1,6-Glucosidase 850f.
Gärung 429 Glucoside 832
− alkoholische 381, 422, 829, 1031 Glucozuckersäure 819
− Wein- 429 Glucuronsäure 819
Gasabscheider 287 Glutamin 918
Gasöle 278 Glutaminsäure 918
Gastmoleküle 80 Glutarsäure 620, 623
Gattermann-Koch-Synthese 492 Glutathion 943
Gattermann-Reaktion 905 Gluteline 986
Gattermann-Synthese 493 Glycane 846
GDP 1039 − Hetero- 856
Gedächtnismechanismus 946 Glycarsäuren 819
Gelatine 942, 981 Glyceraldehyd 481
Gelbsucht 1026 Glycerin 39, 374
Gel-Elektrophorese 854 − Abbau 756
Geliermittel 856 Glycerinaldehyd 309, 481, 793
Gene 1066 Glycerinphosphatide 729
genetische Information 1064 Glycerintrinitrat 407
genetischer Code 1085 Glycerol 374
Genfer Nomenklatur 39 Glycid 471
Genistein 453 − Synthese, Darzens 687
Genom 1066 Glycin 776, 917
Gentiobiose 839, 842 − Titrationskurve 927
Geraniol 765 Glycocholsäure 776
Sachwortverzeichnis 1125

Glycogen 850, 945 − Synthese von Carbonsäuren durch


− Abbau 850 Carboxylierung von 590
− debranching Enzym 751 Grundschwingungen 10
Glycokonjugate 858 Grünmalz 423
Glycolipide 731, 858 GTP 1039
Glycolyse 794, 827 Guajazulen 766
Glyconsäuren 818 Guanidin 718
Glycoproteine 858, 987 Guanin 259, 266, 1037, 1065, 1077
Glycosaminoglycane 857 Guanosindiphosphat 1039
Glycosidasen 833 Guanosintriphosphat 1039
Glycoside 453, 832 Gulose 793
− -bildung 830
− in der Natur 835 H
− N- 737
− O- 736 Haar 976
− S- 736 Halbacetal 514
Glycuronate 819 − -bildung 514
Glycuronsäuren 819 Halbaminal 518
Glykocholsäure 748 Halbsesselform 182
Glykol 116 Halluzinogene 1049
− Oxidation mit Bleitetraacetat 417 Haloform-Reaktion 537
− Oxidation mit Periodsäure 417 Halogenalkane 7, 293, 345ff.
− oxidative Spaltung 417 − als Lösungsmittel 293, 345
Glykolaldehyd 481 − Eigenschaften 293, 345
Glyoxal 481 − Eliminierungsreaktionen 350
Glyptalharz 628 − Hydrogenolyse 349
Golgi-Apparat 754 − Nomenklatur 293, 345
Gomberg-Bachmann-Reaktion 906 − Reaktionen 349
Gonadotropine 946 − mit Metallen 350
Gramicidine 947 − Substitutionsreaktionen 351
− A 948 − nucleophile 352
Granatapfelbaum 553, 724 − Synthese 346
Graphit 264 − aus Alkenen 347
Grauschleier 657 − aus Alkoholen 346
Grenzflächenspannung des Wassers 656 − von Fluoralkanen 347
Grenzformeln, mesomere 143, 197 Halogencarbonsäuren 7
Grignard-Reagens 350 Halogencarbonyl 666
− Addition an Carbonylverbindungen 392 − -gruppe 7
− Addition an Chinone 570 Halogenderivate aus Alkenen 347
− Reaktion mit Estern 690 Halogene
− Reaktion mit Nitrilen 704 − Addition an Alkine 169
Grignardverbindungen 65 − radikalische Addition 129
− Addition an Carbonsäureester 394 − relative Reaktivität 72
− Addition an Carbonylverbindungen 392 Halogenierung
− Addition an Nitrile 498 − Alkane 346
− Reaktion mit aciden Verbindungen 65 − Benzol 230
− Reaktion mit Alkinen 162 − des aromatischen Kerns 247
− Reaktion mit Chinonen 569 − höherer Alkane 72
− Reaktion mit Kohlendioxid 590 − in die Seitenkette 247
− Phenol 446
1126 Sachwortverzeichnis

− sauer katalysierte 536 Heteroauxin 1026


− Selektivität 72 Heterocyclen 176
Halogenonium-Ion 114 − aromatische 256f.
− überbrücktes 114 − mit O im Ring, Nomenklatur 468
Halogenwasserstoffe, Addition an Alkene − stickstoffhaltige 941, 999ff.
110 − Kennsilben/Endungen 1000
Halothan 346 − Nomenklatur 941, 999
Häm 256, 972, 1016 Heteroglycane 846, 856
Hämatom 1026 Heteropolysaccharide 846
Hammond-Postulat 240 Heumann-Pfleger-Synthese 1028
Hämoglobin 988, 1016 Hevea brasiliensis 127
− Kohlendioxidtransport 974 Hexachloroplatinsäure 64
− Kooperativität der Sauerstoffbindung 974 Hexahydro-1,3,5-triazin 518
− Quartärstruktur 970 Hexamethylendiamin 624, 872
− Sauerstoffbindung 973 Hexamethylendiisocyanat 715
Hämolyse 781 Hexamethylentetramin 517
Hantzsch-Synthese, Pyridin 1006 Hexogen 227
Harnsäure 1037 Hexosane 856
Harnstoff 716 Hexosen 789
− Einschlußverbindungen 80 Hinsberg-Reaktion/Reagens 896f.
Harnstoffcyclus 920 Hippokrates 619
Härter 472 Hippursäure 924, 928
Hartspiritus 530 Hirsutidin 454
Hauptenergieniveau 11 Histamin 873, 1029
Hauptgärung 429 Histidin 873, 919, 1029
Hauptgruppen, Hierachie 45 Histone 986f.
Hauptkette 40, 46 Hochdruckpolymerisation, Ethen 138
Hauptquantenzahl 11 Hock-Prozeß 233
Haut 979 Hock-Verfahren 442
− Keratine 976 − Aceton aus Cumol 485
Haworth-Formel 799 Hofmann-Abbau 699, 886
HDL siehe Lipoproteine Hofmann-Eliminierung 91
Hefe 429 − bei Aminen 894
Heizöl 79, 265, 278 Hofmann-Regel 91, 98
− extra leichtes 278 Hofmann-Sand-Reaktion 126
HEL 278 Hofmann-Umlagerung 700
Helicase II 1073 Holoenzym 987
Helicität 325 HOMO 206, 214
α-Helix 965 Homoglykane 846
Hell-Volhard-Zelinsky-Reaktion 607 homologe Reihe 2, 54
Hemellitol 221 homolytische Spaltung 106
Hemicellulosen 851, 856 homöopolare Spaltung 68, 106
Henna-Strauch 576 Homopolysaccharide 846
Heparin 825, 858 Honig 845
n-Heptan 247 Hopfen 427
Herbizide 266 − -bitterstoffe 427
Heroin 1056 − -öle 428
Herzerweiterung 1030 − -treber 428
Herzglykoside 780
Heteroatome 941, 999
Sachwortverzeichnis 1127

Hormone 943 − Trialkylboran 117


− Keimdrüsenhormone 778 hydrolytische Spaltung, Fette/Öle 739
− Steroide 777 Hydronium-Ion 397
Horn 976 Hydroperoxide 76
Hornschicht, epidermale 976 Hydrotreaten 287
Houben-Hoesch-Reaktion 501 Hydroxamsäure 668, 684
Huang-Minlon 543 3-Hydroxy-3-methylglutaryl-CoA 763
Hückel-Regel 252 β-Hydroxyaldehyde 534
Humulen 428 β-Hydroxycarbonsäureester 631
Humulon 428 Hydroxycarbonsäuren 608, 630
Hundsche Regel 19, 202 − Darstellung 630
Hunsdiecker-Reaktion 611 − Reformatzky-Reaktion 631
Hyaluronsäure 857 Hydroxygruppe, glycosidische 799
Hybridisierung, sp- 25 Hydroxyhydrochinon 439
Hybridorbitale 17 β-Hydroxyketone 534
− räumliche Anordnung 29 Hydroxylamin 521, 684
− sp- 25 5-Hydroxylysin 979
− sp2- 22 α-Hydroxynitrile 504
− sp3- 18 4-Hydroxyprolin 919, 979, 1015
Hydrastin 1057 α-Hydroxysulfonsäure 524
Hydratbildung, Aldehyde 512 Hygrin 1000, 1047
Hydratisierung 170 Hyoscyamin 1050
− saure 111 Hyperkonjugation 73, 108, 361
Hydrazin 521 Hypophyse 19, 944
Hydrazobenzol 888 Hypothalamus 944
Hydrazon 516 Hypoxanthin 1037, 1080
− -bildung 521 Hypsochromie 910
Hydrid-Verschiebung 109
Hydrierung, katalytische 64, 134 I
− Aldehyde/Ketone 541
− Alkene 134 Idose 793
− Alkine 166 –I-Effekt 30
− Fette 742 Ikterus 1026
− Kohlehydrierung 64 Imidazol 1029
− Nitrile 705 − Derivate 1029
Hydrindan 933 Imide 692
Hydroborierung 116, 167 Imin 515, 517f.
Hydrocarbonylierung 112, 168 Imin-Enamin-Tautomerie 519, 1008
Hydrocarboxylierung 113 Iminoester 704
Hydrochinon 439, 450, 566, 571 Iminogruppe 8
Hydrocracken 287 Immunglobuline 985
Hydrofinieren 287 Indan 933
Hydroformylierung 487 Inden 933
Hydrogenolyse, Halogenalkane 349 Indican 1027
Hydrolasen 986 Indigo 1027ff.
Hydrolyse − Heumann-Pfleger-Synthese 1028
− Ester 388 Indigweiß 1028f.
− Nitrile 591 Indol 259, 1000, 1004, 1026, 1047
− säurekatalysierte, von Carbonsäureestern − -derivate 1026
681 − Fischer-Indolsynthese 1004
1128 Sachwortverzeichnis

Indolylessigsäure 1026 Isoleucin 917, 921


Indoxyl 1029 Isomerasen 986
Induktion, asymmetrische 328 Isomere 35, 55, 186, 292ff., 305, 910
induktiver Effekt 30 − cis-trans- 85, 167
Infarkt 733 − geometrische, Azoverbindungen 910
Infusionsverfahren 425 − in alicyclischen Verbindungen 321
Inhibitor 387 − Ketten- 55
Initiation 70, 1087 − Konstitutions- 36, 55
− -sfaktoren 1087 − optische 292ff., 298
Inkrement 2, 54 − Skelett- 55
Inosin 1080 − Spiegelbild- 305
− -säure 1080 Isomerisierungen 284, 288
Inosit, myo- 375 − cis-trans- 88
Inosittriphosphat 730 Isonikotinsäure 1006
In-Phase-Überlappung 16 Isonitril 8
Insektizide 266, 409 − -Reaktion, Nachweis primärer Amine 895
Insulin 795, 945f. Isooctan 2, 54, 278
Intercristae 754 Isopelletierin 553, 1053
Intronen 1083 Isopentenylpyrophosphat 763f.
Inulin 855 − Biosynthese 763
− -gruppe 855 Isophthalsäure 618
Inversion 330, 421 Isopren 84, 137
− am Stickstoffatom des Amins 869 Isopropanol 374
− Saccharose 845 − Synthese 382
Inversionszentrum 301 − Verwendung 382
Invertseifen 658 Isopropylalkohol 374
Invertzucker 845 Isopropyliden-Zucker 816, 819
Iodalkane 347 IUPAC-Regeln 39
Iodarene 904
Iodbenzol 231 J
Iodoform-Reaktion 537
Iodonium-Kation 231 Japanbaum 553
Ionenbindung 2 Juglon 576
Ionophor 948
IP3 siehe Inosittriphosphat
Isoalkane 2, 54
K
Isoalloxazinstruktur 1041 Kaffee-Bohnen 259
Isoamylalkohol 374 Kakao 259
Isobutanol 374 Kaliumdichromat, Oxidationsmittel 412
Isobutylalkohol 374 Kaliumhydrogentartrat 634
Isobutyronitril 527 Kalium-Natriumtartrat 545
Isochinolin 258, 1011 Kalkspat, isländischer 294
− Alkaloide 1055 Kalottenmodell 33
Isocrotonsäure 614 Kamillenöl 615
Isocyanate 700 Käse 942
− Reaktionsmechanismus der Hydrolyse 700 katabole Wirkung 778
isoelektrischer Punkt 926 Katalysatoren
Isoflavon 452 − Lindlar- 166
Isoflavonole 452 − Nickel- 742
Isolenfettsäuren 724 − Platin-/Palladium- 134
Sachwortverzeichnis 1129

katalytische Hydrierung 64, 134 − mit Meerwein-Pondorf-Verley-Reaktion


− Alkine 166 542
Kation, überbrücktes 106 − mit Metallhydriden 541
Kautschuk 137 − mit Natrium 541
− künstlicher 148 − über Thioacetale 544
Kefalin 409, 729 − zu Kohlenwasserstoffen 543
Keimdrüsenhormone 778 − Struktur und physikalische Eigenschaften
Kekulé 176, 196 481
− -Strukturen 197 − Synthesen 483, 498, 500
Kelter 430 − Addition von Grignard-Verbindungen an
Keratansulfat 858 Nitrile 498
α-/β-Keratin 976 − Friedel-Crafts-Reaktionen mit
Kerosin 278 Säurechloriden 500
Ketale 7, 515, 680 − Hydratisierung von Alkinen 498
Keten 671, 673 − katalytische Dehydrierung 497
Ketimine 8, 518 − mittels Reaktion von
β-Ketoaldehyde 533 Carbonsäurechloriden mit
Ketocarbonsäuren 636 Dialkylcadmium 498
Keto-Enol-Tautomerie 532 − Oxidation sekundärer Alkolhole 497
− Acetessigsäureethylester 639 − Pinakol-Umlagerung 499
Ketogruppe 6 − Pyrolyse von Calcium-/Bariumsalzen der
Ketone 6, 479ff. Carbonsäuren 499
− Additionsreaktion siehe auch − Umsetzung zum Amid 695
Aldehyde Addition − Umsetzung zum Ester 548
− C-Nucleophilen 504 Ketosen 806
− N-Nucleophilen 515 Ketospaltung 641
− O-Nucleophilen 512 Kettenabbruchreaktionen 70
− S-Nucleophilen 523 Kettenfortpflanzung 70
− aliphatische, Synthese 497 Kettenisomere 55
− Baeyer-Villiger-Oxidation 548 Kettenpropagation 70
− C–H-Acidität 530 Ketyl 691
− Enolisierung 501, 530, 534, 536 Kiliani-Fischer-Synthese 792
− großtechnische Synthese 483 Kinasen 986
− in der Natur 553 Kishner-Wolff-Reaktion 543
− Keto-Enol-Tautomerie 532 Klathrate 80
− mit Selendioxid 550 Kleber, Zweikomponenten- 472
− Nachweisreaktionen 552 Kleeblatt-Form 1079
− Nomenklatur 479 Knallquecksilber 228
− nucleophile Addition, säure- Knochen 979
/basenkatalysiert 503 − -erweichung/-schwund 732
− Oxidation 548 Knoevenagel-Kondensation 508, 689
− oxidative Spaltung 548 Knollenblätterpilz, Polypeptide 949
− radikalische Addition 133 Koagulat 137
− Reaktionen 501, siehe auch Aldehyde Koagulation 575, 976
− Mannich- 539 Kobalttetracarbonyl 113
− mit Bernsteinsäurediester 509 Kochfette 742
− mit Lithiumaluminiumhydrid 542 Koch-Reaktion 112
− mit Malonsäurediester 507 Koenigs-Knorr-Synthese 833
− Reduktion Kohlehydrierung 64
− durch katalytische Hydrierung 541 Kohlendioxidtransport, Hämoglobin 974
1130 Sachwortverzeichnis

Kohlenhydrate 787ff., siehe auch Zucker Kollodium 854


− Bedeutung 788 Kölsch 429
− D- und L-Zucker 691 Kompartimente 754
− Derivate der Monosaccharide 808 Komplementärstrang 1073
− Disaccharide 838 Komplex
− Einteilung 788 − Charge-Transfer- 570f.
− Epimerisierung/Isomerisierung von Aldosen − π- 103, 224
813 − σ-SE-Reaktionen am Benzol 224
− Glycokonjugate 858 Konfiguration 308
− Glycoside, Nucleoside, Nucleotide 832 − absolute 308
− Ketosen 806 − relative 308f.
− Monosaccharide 788 Konfigurations-Formel 308
− Reaktionen 812 Konfigurations-Umkehr 330
− Polysaccharide 846 Konformation 55, 308
− Cellulose 851 − anticlinale 58
− Chitin 855 − antiperiplanare 58
− Cyclodextrine 849 − Butan 58
− Fructane 855 − der Sechsringe in Pyranosen 803
− Galactane 854 − Ethan 55
− Glycogen 850 − -Koordinate 184
− Glycosaminoglycane 857 − schiefe 56
− Pektine 856 − -sformel 308
− Polyosen 856 − skew- 56
− Stärke 846 − synclinale 58
− Ringstruktur 798 − synperiplanare 58
− Verlängerung der Kohlenstoffkette 792 Konformere 56
Kohlensäure 667, 713 − Briefumschlag- 180
− Derivate 667, 713 − Cyclohexan 180
− -diester 714 Konglomerate 306
− -estermonochlorid (Chlorameisensäureester) Konjugenfettsäuren 724
667, 713 konjugierte Doppelbindungen 142
− -monoamid (Urethane) 714 konjugiertes Säure-Base-Paar 398
Kohlenstoff, allotrope Modifikation (Graphit) Konstitution 308
264 − -sformel 35, 308
Kohlenstoffatom 1 − -sisomere 36, 55
− asymmetrisches 307 − und Farbe 910
− Bildung bei chemischer Reaktion 326 Kopra 727
− Grundzustand 17 Koprostan 771
− wellenmechanische Beschreibung 10 Koprostanol 775
Kohlenstoff-Kohlenstoff-Verknüpfungen Korksäure 583, 620
siehe C-C-Verknüpfungen Korrosionsinhibitoren 662
Kohlenwasserstoffe 6 kovalente Bindung 3, 13
Kokereigas 223 − polare 30
Kolbe-Elektrolyse 67, 611 Kracken siehe Cracken
Kolbe-Nitrilsynthese 702 Krafft 500
Kolbe-Synthese 448 Kraftstoff
Kollagen 977 − für Dieselmotoren 277
Kollagenfasern − für Flugturbinen 277
− Haut/Knochen 979 − für Ottomotoren 277
− Knorpel/Bandscheiben 979 − Octanzahl 278
Sachwortverzeichnis 1131

Krauseminze 337 L
Krebs 265
Krebscyclus 636 Labferment 942
Kreislaufgas 287 Lactalbumin 985
Kresol 221 Lactame 692, 931
− o-/m-/p- 386 Lactate 633
Kröhnke-Reaktion 491 Lactide 632
Kronenether 473 Lactobacillsäure 762
− -Komplexe 475 Lactoflavin 1042
Krötengifte 780 Lactoglobulin 985
Kryptanden 475 Lactone 7, 677
Kryptate 475 Lactose 841
Kugelproteine 984 Ladungsbilanz 413
Kümmel 337 Ladungsübertragungskomplex 571
Kumulene 141 lagging strand 945
Kunststoffe 147 Langerhanssche Inseln 945
− 6,6-Nylon 624 Lanosterol 768
− Alkydharze 620 Lapachol 576
− Buna-Kautschuk 147 Latex 137
− Chloropren 147 Laudanosin 1057
− Glyptalharz 620 Laurinsäure 583f.
− Methylmethacrylat 614 Läuterbottich 425f.
− Monomere 137 Läutern 426
− Neopren 147 Lävulose 807
− Nitrilkautschuk 147 Lawson 576
− 6-Nylon 695 LCAO-Methode 201
− 6,6-Nylon 624 LDL siehe Lipoproteine
− Perbunan 147 leaving group 353
− Phenol-Formaldehyd-Harz 448f. Lecithin 409, 729
− Plexiglas 614 Leder 942
− Polyethylen 137 Leichtbenzin 277
− -terephthalat (PET) 630 Leim 942
− Polymere 136 Leinöl 618
− Polypropylen 137 Leinsamen 727
− Polystyrol 137 Leitstrang 1076
− Polyurethane 136 Leuchtgas 176, 196
− Polyvinylchlorid 137 Leucin 917
− Reaktionsmechanismus 137f. − -Enkephalin 947
− anionische Polymerisation 140 Leuckart-Wallach-Reaktion 884
− kationische Polymerisation 139 Leucopterin 1040
− metallkatalysierte Polymerisation 140 Levangruppe 855
− radikalische Polymerisation 137 Lewis, Säure-Base-Theorie 398
− SBR-Copolymerisat 148 Lewis-Basen 400
− Teflon 137 − harte/weiche 400
Küpenfarbstoffe 1028 Lewis-Formel 4
Kupfernaphthenate 275 Lewis-Säuren 366
Kurzstrukturformel 35 − harte/weiche 399f.
Kutikularwachs 757 Librium® 1014
1132 Sachwortverzeichnis

Licht Lyasen 986


− als elektromagnetische Welle 292 Lycopin 736, 768
− Doppelbrechung 294 Lysergsäure 1049
− linear polarisiertes 293 − -diethylamid 1049
− polarisiertes 293 Lysin 872, 918
− -reaktion 1020 Lysosomen 754
− -sammelkomplex 1021 Lyxose 793
Ligasen 986
Lignin 853 M
− -sulfonate 853
Ligroin 277 β-Mäander 985
Liköre 432 Magenlipase 748
Limonen 765 Maillard-Reaktion 423
Lindlar-Katalysator 166 Maische 424f.
Linker-DNA 988 Malaria 332, 1054
Linolensäure 617 Maleinsäure 620, 624
Linolsäure 585, 617 − -anhydrid 625
Lipase 740 Malonestersynthese 594, 688
− Lipoprotein- 749 − Synthese von Aminosäuren 922
− Pankreas- 748 Malonsäure 585, 620f.
Lipidabbauprodukte, Resorption 749 − -diester 356, 508
Lipide 722ff. − Reaktion mit Aldehyden und Ketonen
− chemische Reaktionen 739 (Knoevenagel) 689
− chemische Zusammensetzung 722 − Reaktion mit Harnstoff 684
− fettähnliche Biomoleküle 728 Maltase 335, 833, 986
− Verdauung/Resorption 748 Maltose 839f.
Lipochrome 735 Maltotriose 850
Lipoide 728 Malvidin 454
Lipoproteine 734, 987 Malzbereitung 422
Lipoproteinlipase 749 Malzbier 429
Lipovitamine 736 Malzstärke 424
Lithiumalanat 390 Malztreber 426
Lithiumaluminiumhydrid 390 Mandelsäure 619
Lithocholsäure 776 Mannich-Reaktion 531, 539, 891
Lobelin 1053 Mannit 821
Lobry-de-Bruyn-van-Ekenstein-Umlagerung Mannonsäure 818
813 Mannose 793, 795
London-Kraft 59 Mannozuckersäure 819
Lossen-Abbau 887 Mannuronsäure 819
Lösungsmittel, dipolare protische/aprotische Markownikow-Produkt 107
366 − anti- 127
LSD 1049 Markownikow-Regel 107
Lugolsche Lösung 537 Matrixraum 755
Lumisterol 775 Matrizenstrang 1073
LUMO 209, 214 McCombie-Reaktion 419
Lupulene 757 mechanische Trennung enantiomerer Kristalle
Lupulin 427 331
Lupulon 428 Mechanismen
Lutein 735 − anti- 121
Lutidin 1006 − E1- 94
Sachwortverzeichnis 1133

− E2- 96 Methylchlorid 69
− syn- 114, 121 3-Methylcholanthren 265
− Vierzentren- 117 Methylenchlorid 69, 293, 345
Meerwein-Ponndorf-Verley-Reaktion 542 Methylengruppe 73
M-Effekt 144 Methylenimin 517
Melamin 483 Methylester, Synthese 679
Melanin 920 Methylether 463
Melanoidinen 423 Methylformanilid, N- 494
Membranen, biologische 409 Methylglycoside 830
Menachinon 738 Methylgruppe 73
Menthol 765 Methylierung mit Diazomethan
Menthon 553, 765 − von Carbonsäuren 679
Mercaptale 523 − von Phenolen 463
− Reduktion 544 Methylmethacrylat 615
Mercaptane 9, 357, 523, 544 Methylnaphthalin, α- 279
Mercaptidion 357 Methyl-N-nitrosoharnstoff, N- 680, 717
Mercaptogruppe 9 Methyl-tert-butylether 278, 380
Mesaconsäure 620 − Synthese 461
Mesitylen 221 Mevalonat 763
mesomere Effekte 144 Micellen 655
mesomere Grenzformel 119, 144, 197 Michael-Addition 526
Mesomerie 142 Mikrofibrille 976
− -bereich 144 Mikroorganismen, Enantiomerentrennung
− -energie 144, 200 333
− -pfeil 144 Mikroorganismen, Fette 726
− -stabilisiert 198 Mikrotubuli 754
Meso-Verbindungen 320 Milchsäure 632
Mesoweinsäure 634 − L-(+)- 333
meta 220 Milchzucker 841
Metaldehyd 530 mineralocorticoide Wirkung 778
Metallkatalysatoren, Addition mit 134 Mischkristall, racemischer 306
metallkatalysierte Polymerisation 140 Mitochondrien 752f.
Metalloproteine 989 − -membran, Transport durch 754
Methacrylsäure 614f. Mitsunobu-Reaktion 420
Methadon 1056 Modell
Methan − Dreiding- 33
− Chlorierung 69, 346 − einer Dreipunktbindung 335
− Elektronenkonfiguration 3 − gegenständliches 32
Methanal 480, 483 − Gerüst- 33
Methanamid 692 − Gültigkeitsbereich 32
Methanol − Kalotten- 33
− großtechnische Synthese 380 − Prentice-Hall- 33
− physiologische Eigenschaften 377 − raumfüllende 33
Methanoylgruppe 480 − -vorstellungen 32
Methansäure 583, 586 − wellenmechanisches 32
Methingruppe 73 Moffat-Swern-Oxidation 418
Methionin 918 Mohnsamen 727
− -Enkephalin 947 molekulare Wellenfunktion 198
Methylamin 870, 873 Molekularsieb 80
− Synthese 874
1134 Sachwortverzeichnis

Molekülorbitale 16, 179f., 184 − Triphenylmethylether 831


− σ- 16 − Wohl-Abbau 822
− antibindende 202 Monoterpene 765
− bindende 16, 202 Montanwachs 63, 757
− der Wasserstoffbindung 202 Montmorillonit 284
− des Allylsystems 206 Morphin 332, 1055
− des Benzols 207 − -Alkaloide 1055
− des Butadiens 204 Moschus 762
− des Ethens 203 Most 430
− energieärmste unbesetzte (LUMO) 209 − -behandlung 430
− energiereichste besetzte (HOMO) 206 Mottenpulver 261
− nichtbindende 202 MTBE 278, 461
− -theorie 201 Mucopolysaccharide 857
Molozonid 119 Mucoproteine 858
Monoalkylsulfat 110 Mucosazelle 990
Monocarbonsäuren, ungesättigte 614 Müllverbrennung 265
Monochlormethan 69 Muraminsäure 809
Monoglyceride 725 Muscon 762
− β- 749 Muskelfasern 981
Monomere 137 Muskelkontraktion, Gleitfasermodell 983
monomolekulare Reaktion 94 Muskelproteine 981
monomolekulare Substitution 357 Muskelschwund 1030
Monosaccharide 788 Mutarotation 804f.
− Aldosen 789, 792 Mutterkorn 1049
− Benzylether 832 Mutterkrautöl 553
− Borsäureester 825 Mykosterole 732
− cyclische Strukturen 795 Myofibrillen 981
− Dehydratisierung mit Mineralsäuren 815 Myoglobin 988, 1016
− Einführung von Schutzgruppen 816 − Tertiärstruktur 969
− Einteilung 788 myo-Inosit 375
− Ester 823 Myosin 982
− Ether 823 − -köpfchen 982
− Etherbildung 830 Myrcen 765
− Glycosidbildung 830 Myricylpalmitat 757
− Ketosen 806 Myristinsäure 583
− Kettenverlängerung (Kiliani-Fischer-
Synthese) 792 N
− Lobry-de-Bruyn-van-Ekenstein-Umlagerung
813 Nachbargruppeneffekt 834
− Osazonbildung 812 Nachgärung 429
− Oxidationsreaktionen 817 Nachweisreaktionen
− Phosphorsäureester 825 − für Aldehyde und Ketone 552
− Phospohorsäureester 826 − für Phenole 444
− Reaktionen 812 − für α-Aminosäuren 513
− Reduktion 821 NAD+ 572
− Retroaldolisierung mit konz. Laugen 815 NADH 572
− Ruff-Abbau 822 Nägel 976
− Schwefelsäureester 825 Nahrungsmittel
− Spaltung mit Periodsäure 820 − Aromatisierung 763
− Trimethylsilylether 831
Sachwortverzeichnis 1135

− Fette und Öle 747 − Nucleobasen 1036


− stärkehaltige 850 − Vitamin B3 1033
N-Alkylphthalimid 420 − Vitamin B6 1034
Napalm 275 Naturstoffe mit stickstoffhaltigen
Naphtha 277 bicyclischem Ringsystem 1037
Naphthalin 261 − mit Isoalloxazin-Struktur 1041
Naphthene 274 − Flavinmononucleotid (FMN) und
Naphthensäuren 274 Flavinadenindinucleotid (FAD) 1042
Naphthochinon 570 − Riboflavin 1042
− 1,2-, 1,4- und 2,6- 480, 565 − mit Pteridin-Struktur 1039
− Derivate 575 − 5,6,7.8-Tetrahydrobiopterin 1041
Naphthol 439 − Folsäure 229, 1040
− β- 262 − mit Purin-Struktur
Naphthylamine, Synthese aus Naphthol 881 − Adenosintriphosphat (ATP) 1038
Napthensäuren 746 − Guanosintriphosphat (GTP) 1039
Narcotin 1057 − Hypoxanthin, Xanthin und Harnsäure
Narkotika 1014 1037
Naßschmelze, Fettgewinnung 728 − N-methylierte Xanthine (Coffein,
Natriumamid 159, 166 Theobromin und Theophyllin) 915
Natriumnitrilotriessigsäure 661 − Nucleobasen 1036
Natriumnitrit 897 Naturstoffe, Alicyclen 762ff.
Natriumperborat 660 Nebennierenrindenhormone 777
Naturstoffe mit stickstoffhaltigem Fünfring Nebenquantenzahl 11
− Gallenfarbstoffe 1025 Nembutal 1014
− Bilirubin 1026f. Neopentylalkohol 374
− Biliverdin 1025 Neopren 148, 164
− Stercobilin 1026 Nerolidol 766
− Urobilin 1027 Neuropeptide 946
− mit Chlorinstruktur 1017 Neurotoxine der Schlangen, Skorpione 949
− Chlorophylle 1017 Neurotransmitter 873, 946
− mit Corrinstruktur 1023 Newman-Projektion 56
− Vitamin B12 1023 nichtbenzoide Aromaten 253
− mit Imidazolstruktur 1029 nichtbindende intramolekulare
− Biotin 1030 Wechselwirkungen 57
− Histamin und Histidin 1029 nichtbindende Molekülorbitale 202
− mit Indol-Struktur 1026 nichtionische Tenside 659
− Heteroauxin 1026 nichtrepetitive Strukturen 967
− Indigo 1026 nichttrocknende Öle 726
− Tryptophan 1026 Nickelkatalysatoren 742
− mit Porphyrin-Struktur 972, 988, 1015 Nickeltetracarbonyl 168
− Cytochrome 988, 1016 Nicolsches Prisma 294
− Häm des Myoglobins und Hämoglobins Nicotin 254, 1052
988, 1016 − -säure 1006
− mit Thiazol-Struktur 1030 Nicotinamid 1033
− Thiamin, Vitamin B1 1031 − -Adenin-Dinucleotid 572, 987
− Thiaminpyrophosphat 1031 − -phosphat (NADP) 1020
Naturstoffe mit stickstoffhaltigem Sechsring Ninhydrin 513, 932
1033 Niotenside 659
− Nicotinamid-Adenin-Dinucleotid (NAD) Nitrene 699
1033 Nitriersäure 227
1136 Sachwortverzeichnis

Nitrierung von Benzol 226 − der Alkane 39


Nitrierung von Phenol 446 − n- 39
Nitrile 8, 700ff. − verzweigte 40
− Alkylierung 707 − der Alkene 45, 84
− aromatische, Darstellung 703 − der Alkine 45, 156
− Hydrolyse 591 − der Alkohole 346, 373
− katalytische Hydrierung 705 − der Amide 4
− Kolbe-Nitril-Synthese 702 − der Benzolderivate 220
− mit Grignard-Reagens 704 − der Ester 45, 676
− Nomenklatur 700 − der Ether 439, 459
− Reaktionen 703 − der Furanosen 800
− Reduktion 489, 705f. − der Glycoside 833
− mit LiAlH4 706 − der Ketone 479
− mit Natrium 705 − der Ketosen 806
− mit SnCl2 nach Stephen 706 − der Nitrile 45, 700
− Synthese 701f. − der Nucleoside 836
− aromatischer Nitrile 703 − der Nucleotide 837
− aus Amiden/Aldoximen durch − der Peptide und Proteine 941
Wasserabspaltung 703 − der Phenole 438
− Thorpe- 706 − der Pyranosen 801
− zum Iminoester und Amidin 704 − der Säurehalogenide 4, 666
Nitrilkautschuk 148, 702 − Genfer 39
Nitroalkane 8 − Halogenalkane 293, 345
Nitrocellulose 408, 854 − Hierarchie der Hauptgruppen 45
Nitroglycerin 407f. − Kriterien für Hauptkette 46
Nitrogruppe 8 − R/S- 314
Nitronium-Ion 226 − Zuordnung 317
Nitrophenol 446 − systematische 39
Nitrosamine 900 − Verbindungen mit funktionellen Gruppen
Nitrosierung 43
− von Aminosäureestern 930 − Z/E- der Alkene 86
− von Phenol 447 Noradrenalin 850, 873
Nitrosoalkane 8 Norethisteronacetat, 19- 780
β-Nitrosoalkylnitrat, polare Addition 130 Novocain 1051
Nitrosodimethylanilin 491 NTA siehe Natriumnitrilotriessigsäure
Nitrosogruppe 8 Nucleinbasen 1036
Nitrosoharnstoff, N-Methyl-N- 717 Nucleinsäuren 1063ff.
Nitrosyl-Kation 898 − Desoxyribo- 1064
N-Nitrosierung − Ribo- 1077
− aliphatischer Amine 897 Nucleobasen 1036
− aromatischer Amine 902 Nucleolus 754
− primärer Amine 898 Nucleophil 160, 351
− sekundärer Amine 900 − Alkinylanionen 162
− tertiärer Amine 901 − Alkylierung 355
Nomenklatur 39 − Kohlenstoff- 353, 504
− D/L- 311 − Sauerstoff- 352, 512
− der Aldehyde 479 − Schwefel- 352, 523
− der Aldosen 792f. − Stickstoff- 352, 515
− der alicyclischen Verbindungen 176
Sachwortverzeichnis 1137

nucleophile Substitution 367 Opiatrezeptoren 947


− aliphatische 353 Opisthotonus 1048
− Reaktionsmechanismus 357 Opium 1055
− aromatische 247 Oppenauer-Verley-Reaktion 543
− -sreaktionen 351 Opsin 89
Nucleophilie 397 optische Aktivität 295
Nucleoproteine 987 − Verbindungen ohne asymmetrische
Nucleoside 832, 836 Kohlenstoffatome 323
Nucleosom 988 optische Antipoden 305
Nucleotide 832, 837 optische Aufheller 662
Nylander-Reaktion 817 optische Isomere 298
Nylon 624 optische Isomerie 292ff., siehe auch optische
Aktivität
− asymmetrische Synthese 328
O − asymmetrisches Kohlenstoffatom 307
Oberschwingungen 10 − Chiralität 298
Obst- und Beerenweine 431 − in alicyclischen Verbindungen 321
Obstler 432 − meso-Verbindungen 320
Ocimen 765 − prochirale Verbindungen 326
Octadecensäure, 9- 614 − racemisches Gemisch 305
Octanzahl 278f. − spezifische Drehung 296
Ödeme 1030 − Trennung von Enantiomeren 331
Okazaki-Fragmente 1076 Orbitale 13
Öle − 1s- 14
− als Nahrungsmittel 747 − 2px-, 2py- und 2pz- 15
− ätherische 763 − 2s- 14
− chemische Zusammensetzung 722 − entartete 202
− Eigenschaften 726 − Hybrid- 17
− Einteilung 725 − sp- 25
− enzymatische Spaltung 740 − sp2- 22
− halbtrocknende 726 − sp3- 18
− hydrolytische Spaltung 739 − -Lappen 18f.
− nichttrocknende 726 − p- 13
− Pfefferminz- 765 − räumliche Anordnung 29
− pflanzliche 726 − π- 22
− Reaktionen 739 − bindendes 203
− Terpentin 765 − Knotenebene 23
− trocknende 726 − π*-, antibindendes 204
− Vorkommen und Gewinnung 727 Ordnung, Reaktion erster 95
Olefine ff 84 Organellen 753
Olefinmetathese 100 Organometallverbindungen 350
Oligomere der Aldehyde 528 Orlon 702
Oligomerisierung von Alkinen 164 Ornithin 872, 918
Oligopeptide 990 Orthoameisensäureester 680
Oligosaccharide 788 Osazonbildung von Monosacchariden 812
Oliven 727 Osmiumtetroxid 122
Ölpalme 727 Osteomalazie 732
Ölsäure 585, 614, 616, 722 Osteoporose 732
Onocerin, α- 768 Östradiol, 17β- 779
Onsäure 818 Östran 771
1138 Sachwortverzeichnis

Östriol 779 P
Östrogene 778f.
Östron 779 Paal-Knorr-Synthese 1002
Ottomotoren, Kraftstoff 277 Pacol-Olex-Prozeß 442
Ouricurywachs 757 palindrome Einzelstränge 1077
Ovalbumin 985 Palladium-Katalysator 64, 134
Oxalsäure 585, 620f. Palmitinsäure 584
Oxalylchlorid 418 Palmitoleinsäure 722
Oxidation Palmkern 727
− Bashkirov- 78 p-Aminobenzoesäure 917
− der Aldehyde 544 Pankreas 990
− der Alkane 76 − -lipase 725, 748
− partielle 78 Pantothenat 751
− der Alkene 119f. Papaver somniferum 300
− der Alkine 165 Papaverin 1057
− der Alkohole 411 Papaverin-Alkaloide 1057
− der Ascorbinsäure 810 Papierfabrikation 853
− der Ketone 548 Paraffine 2, 54, siehe auch Alkane
− der Monosaccharide 817ff. Paraformaldehyd 529
− der Phenole 449 Paraldehyd 530
− des Cyclohexanols 696 paramagnetisch 75
− des Naphthalins 626 Parathion 409
− -szahl 413 Parathyrin 946
oxidative Phosphorylierung 755 Parfüme 762
oxidative Spaltung von Glykolen 417 − Fixiermittel 762
Oxidoreduktasen 986 α-Parinarsäure 724
Oxim 516 Parkinsonsche Krankheit 336, 873
− -bildung 521 Pauli-Prinzip 202
Oxirane siehe Epoxide Paulische Ausschlußprinzip 11
Oxitocin 946 PCB 268
Oxobutansäure, 3- 637 Pektine 856
Oxocarbonsäuren 609, 636 Pelargonidin 454
Oxosäuren 636 Pellagra-Krankheit 1033
− Claisen-Esterkondensation 637 Penicilline 947, 1033
− -ester, β- 533 Penicillium glaucum 301
Oxosynthese 487 Pentanatriumtriphosphat 660
Oxychlorierung 441 Pentosane 856
− von Benzol 230 Pentosen 789
Oxydehydrierung 484 Peonidin 454
Oxymercurierung 126 Pepsin 989f.
Oxyradikal 745 Pepsinogen 989
Oxytocin 945 Peptidasen 986, 990
OZ 278 Peptidbindung 917, 940
Ozon, Struktur 119 − Knüpfung mit Dicyclohexylcarbodiimid
Ozonide 120 958
− polymere 120 Peptide 917, 940, 943ff.
− reduktive Spaltung 488 − Analyse 949
Ozonisator 119 − Antibiotika 947
Ozonisierung 119 − Bedeutung 942
Ozonolyse 118, 120 − cyclische 917, 940
Sachwortverzeichnis 1139

− Neuro- 946 Phenole 6, 221, 438ff.


− Nomenklatur 941 − Acidität 445
− Sequenzanalyse 950 − Carboxylierung des Phenolations 448
− vollständige Hydrolyse 951 − Eigenschaften 440
− Zoo-/Phytotoxine 949 − elektrophile Substitutionen 445
Peptidfragmente − -Formaldehyd-Harze 448
− Abfolge 954 − -glycoside 835
− Sequenzbestimmung (Edman-Abbau) 952 − Halogenierung 446
Peptidgruppe, Planarität 964 − Methylierung mit Diazomethan 463
Peptidhormone 943, 946 − Nachweisreaktion 444
Peptidkette − Nitrierung 446
− Fragmentierung 951 − Nitrosierung 447
− Verlängerung 960 − Nomenklatur 438
Peptidsynthese 954 − Oxidation 450
− Festphasen- 961 − Sulfonierung 446
− Merrifield 961 − Synthese über Benzolsulfonsäure 441
− Schutz der Aminogruppe 956 − Hock-Verfahren 441
− Schutz der Carboxygruppe 956 − über Chlorbenzol 441
− Schutzgruppen 955 − Veresterung 444
− Aktivierung der Carboxygruppe 958 − -Verkochung von Diazoniumsalzen 903
− Verlängerung der Peptidkette 960 − Verwendung 440
Peptidyltransfer 1088 Phenolharze 448
Peptone 989 phenolische Pflanzenfarbstoffe 452
Perbunan 148 phenolische Verbindungen in der Natur 452
Perhydrolyse 669 − Gerbstoffe 454
pericyclische Reaktionen 149, 210 Phenolphthalein 627
Periodsäure 417 Phenoplast 449
Perkin-Synthese 674 Phenylalanin 337, 919
Permeabilitätsschranke 754 5-Phenyl-1,4-benzodiazepin 1014
Peroxybenzoesäure 669 Phenylbenzopyrylium-Kation 452
Peroxycarbonsäuren 612 3-Phenylchromon 452
− aus Carbonsäurechloriden 669 Phenylendiamin 871
Peroxyradikal 744 Phenylisothiocyanat 952
Peterson-Olefinierung 93 Phenylradikal 124
Petrochemikalien 85 Phenylrest 89
Petrolether 277 Phenylsenföl 953
Petroleum 277 3-Phenylthiohydantoin 953
Pfeffer 1053 Phloroglucin 439
Pfefferminzöl 553, 765 Phosgen 69, 346, 667, 713
Pfeilgifte 1058 Phosphatasen 423f.
Pfirsichessenz 677 Phosphatide 409, 728
Pflanzenfarbstoffe 452 − -Doppelschicht 409
Phalloidin 949 Phosphatidylinosit-4,5-diphosphat 730
Phäophytin 1022 Phosphatidylsäure 729
Phenanthren 263 Phospholipide 728
Phenanthrenchinon 480, 565 4′-Phosphopantethein 751
Phenazin 1014 4′-Phosphopantothenat 751
Phenetol 460 Phosphopantothenoylcystein 751
Phenobarbital 1014 Phosphoproteine 987
Phenolat, Carboxylierung 448 3-Phospho-5-pyrophosphomevalonat 764
1140 Sachwortverzeichnis

Phosphorsäureester 408 Polarisator 294


Phosphorylase 850 polarisiertes Licht 293
Phosphorylierung 424 − linear 293
− mit ATP 764 − Polarisationsebene 296
− oxidative 572, 755 − Schwingungsebene 295
photochemische elektrocyclische Reaktionen Polarisierung 30
212 Polyacrylnitril 701
Photografie 450 Polyacrylsäure 615
Photolyse 1023 Polycarboxylate 660f.
photolytische Spaltung 71 Polychlordibenzodioxine 267
Photosensibilisator 133 polychlorierte aromatische Verbindungen 266
Photosynthese 1020 polychlorierte Biphenyle (PCB) 268
− Reaktionszentrum 1021 polycyclische Alkane 187
Photosystem I/II 1022f. Polyene 84, 141
Phthaleine 627 Polyester 629
Phthalimidkalium 698, 880 Polyethylen 137
Phthalsäure 585, 618, 626 − -terephthalat (PET) 630
Phthalsäureanhydrid 627 Polymerase I 1076
Phyllochinon 738 Polymere 136
Physostigmin 1048 − der Aldehyde 528
Phytol 767 Polymerisation 136
Phytomenadion 738 − anionische 140
Phytosterole 732 − kationische 139
Phytotoxine 949 − metallkatalysierte 140
Picolin 1006 − radikalische 137
Pikrinsäure 39, 228, 439, 447 − Reaktionsmechanismen 137
Pils 429 − -sreaktionen 136
Pilzfarbstoffe 572 − des Butadiens 148
Pinakol 389 − von Triglyceriden 747
− Reaktion 389 Polymethylmethacrylat 615
− Umlagerung 499 Polyosen 856
Pinakolon 499 Polyoxymethylene 529
α-/β-Pinen 765 Polypeptide siehe Peptide
PIP2 siehe Phosphatidylinosit-4,5-diphosphat Polypeptid-t-RNA-Bindungsstelle 1087
Piperidin 1006 Polyporsäure 572
− -Alkaloide 1053 Polypropylen 137
Piperin 1053 Polysaccharide 788, 846
Pitzer-Spannung 57, 179f. − Cellulose 851
Plancksche Konstante 13 − Chitin 855
Plankton 273 − Cyclodextrine 849
Plastide 752 − Fructane 855
Plastochinone 575 − Galactane 854
Plastocyanin 1022 − Glycogen 850
Platformergas 287 − Glycosaminoglycane 857
Platforming-Verfahren 287 − Pektine 856
Platin-Katalysator 134 − Polyosen 856
Platinoxid nach Adams 64 − Stärke 846
Plexiglas 137, 615 Polysomen 754
Plumbagin 576
Polarimeter 296
Sachwortverzeichnis 1141

Polystyrol 137, 233 − Ermittlung der Aminosäure-Anteile 949


− -harz, chlormethyliertes, zur Peptidsynthese − fibrilläre 976
961 − Elastin 981
Polytetrafluorethylen 137, 349 − Keratin 976
Polythene 757 − Kollagen 977
Polyurethan 715 − Muskelproteine 981
− -Schaumstoffe 716 − Fragmentierung der Peptidkette 951
Polyvinylacetat 137 − globuläre 984
Polyvinylchlorid 137 − Glyko- 987
Porphyrin 988, 1015 − Hydrolyse 949
− -ring 972 − in der Ernährung 989
potentielle Energie des Elektrons 13 − Klassifizierung 976
Präfixe 43 − konjugierte 986
Pregnan 771 − Lipo- 987
Pregnenolon 779 − Metallo- 989
Prentice-Hall-Modelle 33 − Muskel- 981
Preßverfahren, Fettgewinnung 728 − nichtrepetitive Sekundärstrukturen 984
Prileschajew-Reaktion 121 − nichtrepetitive Strukturen 967
Primärtranskript 1083 − Nomenklatur 941
Primer 1076 − Nucleo- 987
Prisma, Nicolsches 294 − Phospho- 987
Procain 1051 − Primärstruktur 964
prochirale Verbindung 326 − Quartärstruktur 970
Progesteron 779 − des Hämoglobins 970
Prokaryonten 752, 1066 − repetitive Sekundärstrukturen 984
Prolamine 986 − Sekundärstruktur 965
Prolin 919f., 1015 − Faltblattstruktur 966
Promotor 1082 − nichtrepetitive Strukturen 967
Prooxidantien 746 − Super- 985
1,3-Propandithiol 523 − α-Helix 965
Propargylalkohol 374 − -Sequenzierung 950
Propen 85, 283 − Sequenzbestimmung durch Edman-Abbau
Propionaldehyd 480 952
Propiophenon 481 − Vorbereitung 950
n-Propylamin 764 − Stoffwechsel 989
Propylenoxid 469 − Tertiärstruktur 968
Prostaglandine 723 − des Myoglobins 969
prosthetische Gruppe 972, 987 − Transport- 985
Proteasen 990 − Verdauung 989
Proteide 986 Proteoglycane 857f.
Proteinasen 423 Proteolyse
Proteine 917, 940ff. − durch α-Chymotrypsin,
− [2Fe-2S]-Eisen-Schwefel- 1022 Katalysemechanismus 992
− allosterischer Effekt 970 − mit Pepsin 990
− als Nahrung 942 − mit Trypsin 991
− Analyse 949 protische Lösungsmittel 366
− Bedeutung 942 Protocyten 752
− Biosynthese 1083 Protofilament 976
− Chromo- 988 Protoporphyrin IX 1016
− Denaturierung 975 Prototropie 532, 700
1142 Sachwortverzeichnis

Prozeßierung 1083 Q
Pseudocumol 221
Pseudopelletierin 553, 1053 Quantelung 13
Pseudotropin-Alkaloide 1051 Quantenzahl 11
Pseudouridin 1080 − Haupt- 11
Psicose 806 − magnetische 11
Pterine 1039 − Neben- 11
Pupillenerweiterung 1050 − Spin- 11
Purin 259 Quartärstruktur
− -derivate 1037 − allosterischer Effekt 970
Putrescin 872 − der Proteine 970
Pyran 452, 460 − des Hämoglobins 970
Pyranosen 800 Quecksilber-(II)-chlorid 523
− Konformationen 803 Quecksilbertauchlampen 69
Pyrazin 1013 Quercetin 453
Pyrazol 1029
Pyren 264 R
Pyridazin 1013
Pyridin 257f., 402, 1006 R/S-Nomenklatur 282, 285
− -Alkaloide 1052 − Zuordnung 317
− nucleophile Substitution 258 Racemat/racemische Verbindungen 306
− Reaktionen 1011 − Enantiomerentrennung 331
− -SO3-Komplex 1004 racemischer Mischkristall 306
− Synthese 1006 racemisches Gemisch 305
− nach Hantzsch 1006 Racemisierung 331
Pyridoxal 1034 Rachitis 732, 776
Pyridoxamin 1034 Radikalbildner 75
Pyridoxin 1034 Radikale 68
Pyrimidin 257, 1013 − Stabilität 73
Pyrogallol 439 radikalische Addition 106, 126
Pyrolyse − Aldehyde, Ketone, Carbonsäuren, Ester 133
− -benzin 223 − Alkoholen 132
− Ester- 92 − Alkylhalogenide 134
− von quartären Ammoniumbasen 91 − an α,β-ungesättigten Carbonylverbindungen
− von Xanthogenaten 92 527
Pyron 452 − Bromwasserstoff 126
Pyrrol 256, 1001f. − Halogene 129
− Derivate, Paal-Knorr- 1002 − Stickstoffdioxid 130
− Reaktionen 1003 − Thiole 131
− Synthese 1001 − mit C–C-Verknüpfungen 132
Pyrrolidin 1000, 1047 Radikalmechanismus 68
− -derivate 1015 Raffination 278
− -struktur, Alkaloide 1000, 1047 random coil 856
Pyruvat 829 Raney-Nickel 64
− -Decarboxylase 829, 1031 Rapssamen 727
Pyrylium-Kation 452 Raschig-Hooker-Verfahren 230, 441
Raschig-Verfahren 248
RCM 101
Reaktionen
− der Alkene 102ff.
Sachwortverzeichnis 1143

− der Alkine 159 − mit Lithiumaluminiumhydrid 390


− E1-, Kinetik 94 − von Carbonylverbindungen 541, 543
− erster Ordnung 95 Reflux 115
− kinetische Kontrolle 147 Reformatbenzin 223
− pericyclische 149 Reformatzky-Reaktion 631
− -senthalpie 79, 201 Reformieren, katalytisches 287
− -sgeschwindigkeit 95 Reforming-Prozeß 278
− -sgleichung 67 Regenerator 286
− -skoordinate 147 Regenerierung 285
− -smechanismus 67 Regioselektivität 108, 216
− Additions-Eliminierungsreaktionen 599 regiospezifisch 108
− Decarboxylierungsreaktionen 608 Regiospezifität 107
− der elektrophilen Addition 102 Reihe, homologe 2, 54
− der elektrophilen aromatischen Reimer-Tiemann-Formylierung 495
Substitution SE 223 Reinheitsgebot 422
− der Eliminierung 357 Rekombination 70
− der nucleophilen Addition 124, 504 Replicase-Protein 1073
− der nucleophilen aliphatischen Replikation, der DNA 1073
Substitution 351, 357 Reppe-Hydrocarbonylierung 383
− der nucleophilen aromatischen Research-Octanzahl 279
Substitution 247 Reserpin 1049
− der Polymerisation 137 Resonanzenergie 144, 200
− der radikalischen Addition 127 − des Benzols 200
− der radikalischen Substitution 70 − -Transfer 1021
− E1-/E2-Reaktion 93 Resonanzhybrid 197f.
− SE-Reaktion 223 − Wellenfunktion 198
− SN1-Reaktion 357 Resonanzstabilisierung 198
− SN2-Reaktion 361 Resonanztheorie 197
− SN2t-Reaktion 599 Resorcin 439
− SNi-Reaktion 93 Resorption der Lipidabbauprodukte 749
− thermodynamische Kontrolle 147 Retention 330
− von Carben 189 11-(Z)-Retinal 89, 736
Reaktionsprodukt 34 Retinol 736
Reaktionswärme 79 Reversibilität, mikroskopische 682
Reaktionszentrum, photosynthetisches 1021 Rezeptorproteine 984
Reaktor, Fließstaubverfahren 285 Rhamnose 809
Redoxgleichung 413 Rhenium 287
Reduktion Rhodopsin 89
− der Aldehyde 541, 543f. Ribit 821, 1042
− der Alkine 166 Riboflavin 1042
− mit Na/NH3 166 Ribonucleinsäure (auch RNS) siehe RNA
− der Amide 878 Ribose 793f.
− der Chinone 566 Ribosomen 754, 1078
− der Ester 689 Ribothymidin 1080
− der Monosaccharide 821 Ricinussamen 740
− der Nitrile 489, 705f. Riechstoffe 763
− der Nitroverbindungen 875 Riley-Oxidation 550
− mit Lithiumaluminiumhydrid 875 Ringinversion 186
− mit Metall und Säure 876 Ringschluß-Metathese 101
Ringsysteme, kondensierte/verbrückte 187
1144 Sachwortverzeichnis

Ringverbindungen 186 Sandwich-Verbindungen 255


Ritter-Reaktion 878 Sankt-Antonius-Feuer 1049
RNA 334, 753, 1063, 1077 Saponine 781
− A-Bindungsstelle 1087 Sarkosin 929
− Biosynthese 1081f. Sarsasapogenin 781
− Boten- 1079 Sasil 659
− Messenger- 1079 Sauerstoffbindung, Hämoglobin 973
− P-Bindungsstelle 1087 − Kooperativität 974
− DNA-abhängige 1082 Sauerstoffhaltige Verbindungen 6
− -Prozeßierung 1082 Sauerstoffversorgung des Gewebes 975
− ribosomale 1078 Säureamide 8, 691, siehe auch
− Transfer- 1079 Carbonsäureamide
RNA-Polymerase 1076 Säureanhydride 7, 605, siehe auch
RNS siehe Ribonucleinsäuren und RNA Carbonsäureanhydride
Röhrenofen 276, 287 Säurebasenhaushalt im Körper 975
Rohrzucker 842 Säure-Base-Reaktion 398
Rohstoffe, fossile 79 Säurechloride, Reduktion 488
ROMP 101 Säurehalogenide 7, 666, siehe auch
Rosenmund-Saizew-Reaktion 489 Carbonsäurehalogenide
Rosenöl 765 Säurespaltung 641
Rotamere 56 Saytzew-Regel 91, 98
Rotationsenergie 57 SBR-Copolymerisat 148
Rotwein 430 Schalen, Besetzung mit Elektronen 12
ROZ 278 Schalenmodell 2
Rübensamen 727 Schardinger-Dextrine 849
Rübenzucker 794, 842 Schaumregulatoren 661
Ruberythrinsäure 576 schiefe Konformation 56
Ruff-Abbau 822 Schiemann-Reaktion 904
Rum 432 Schierling 1053
− -essenz 677 Schießbaumwolle 408, 854
Schießpulver 408
Schiffsche Base 518f.
S Schimmelpilz 572
S-/R-Nomenklatur 282 Schlafmittel 1014
Sabinen 765 Schlafmohn 332, 1055
Saccharide 788 Schleimsäure 819
Saccharin 943 Schmidt-Abbau 886
Saccharose 838, 842 Schnellessigverfahren 587
− Inversion 845 Schotten-Baumann-Reaktion 669
Sachsse-Bartholomé-Verfahren 158 Schrödinger-Gleichung 13
Sägebock-Projektion 56 Schutzgruppen 515
Salicin 835 − Aktivierung der Carboxygruppe 958
Salicylaldehyd 481 − Einführung in Monosaccharide 816
Salicylsäure 439, 448, 619 − in der Peptidsynthese 955
Salpetersäure 226 − tert-Butoxycarbonylrest 837
− -ester 407 Schwangerschaftshormone 778
salpetrige Säure 897 Schwebetierchen 273
Salze, innere 511 Schwefelsäure, rauchende 228
Sammler 384 Schwefelsäureester 406
Sandmeyer-Reaktionen 905
Sachwortverzeichnis 1145

Schwefelverbindungen 9 Sikkative 275, 618, 746


− im Erdöl 275 Silicagel 382
Schwerbenzin 276 Simmons-Smith-Reaktion 189
Schwingungen, Grund-/Ober- 10 Singulett-Carben 189
Scillaren 780 Sinigrin 835
Scopolamin 1051 β-Sitosterol 732
Sebacinsäure 620 Skelettisomere 55
Seborrhea 1030 skew-Konformation 50
Sedativum 1014 Skleroproteine 976
Sehnen 979 Skorbut 811
Sehpurpur 736 Skraupsche Chinolinsynthese 1012
Sehvorgang 89 Sliwowitz 432
Seifen 582, 654ff., 739 Slyke van 898
− Eigenschaften 655 SN1-Mechanismus 358
− -herstellung 582, 654 − Kinetik 358
− Invert- 658 − sterischer Verlauf 359
− -kern 582, 654 − strukturelle Voraussetzungen 361
− -leim 582, 654 SN2-Reaktion 361f.
− -sieden 582, 654 − Einfluß der Abgangsgruppe 365
− Tensidwirkung 656 − Einfluß des Substratmoleküls 364
Seignettensalz 545, 634 − Inversion der Konfiguration 363
Seitenkettenhalogenierung 247 − Kinetik 363
Sekt 431 − Mechanismus 361
Sekundärstrukturen, repetitive/nichtrepetitive − Stärke des Nucleophils 365
984 − sterischer Verlauf 363
Selektivität 73 SN2t-Reaktion 599
− der Halogenierung 72 SNi-Reaktion 403
Selendioxid, Oxidation von Ketonen 550 SN-Reaktion 353
β-Selinen 766 − Einfluß von Lewis-Säuren 366
Semiacetal 514 − Polarität des Lösungsmittels 366
Semicarbazid 717 Sojabohnen 727
Semicarbazon 516, 523 Solanidin 782
Semiketale 515 Solvolyse 353
Sephadex 851 Somatotropin 946
Sequenzregeln 314 Sommelet-Reaktion 490
SE-Reaktionen, Energieprofil 190 SOMO 207
Serin 917 Sonnenblumenkörner 727
− -Proteasen 990 Sorbinsäure 617
Serotonin 873 Sorbit 822
Serumalbumine 985 Sorbose 806
Sesamsamen 727 Sörensen-Titration 927
Sesquiterpene 766 Spaltung
Sesselform 180 − enzymatische, Fette/Öle 740
Seveso 267 − homolytische 106
Sexualhormone 778 − homöopolare 68, 106
Sharpless-Dihydroxylierung 123 − photolytische 71
Sharpless-Epoxidierung 125 − thermische 71
Siebböden 276 β-Spaltung 283
sigmatrope Umlagerungen 218 spasmolytische Wirkung 336
Signalübertragung in der Zelle 730 spezifische Drehung 296f.
1146 Sachwortverzeichnis

Sphäroproteine 984 − Ergosterol 732, 775


Sphingomyelin 729 − Koprostanol 775
Sphingosin 729 − Stigmasterol 732, 775
Spiegelbildisomere 305 − β-Sitostero1 732
Spiegelebene 300 − Vitamine 775
spinning-cup-Sequenator 834 − Calciferol 732, 737, 775
Spinquantenzahl 11 − Cholecalciferol 737, 775
Spinulosin 572 Sterole 731, 769, 774
Spirane, axiale Chiralität 324 Stickstoffdioxid, radikalische Addition 130
Spiroverbindungen 187 stickstoffhaltige Heterocyclen 941, 999ff.
Spleißen 1083 − Nomenklatur 941, 999
Springkrautgewächse 724 − Nomenklatur, Kennsilben und Endungen
Squalen 735, 768 1000
Stabilisatoren, Waschmittel 661 Stickstoffoxide, Addition 130
Stabilität von Alkylradikalen 73 Stickstoffverbindungen 8
Stammsilbe 84 Stigmasterol 732, 775
Stammwürze 429 Stilben 662
Stärke 334, 424, 846 Stilböstrol 779
− Abbau 850 Stobbe-Kondensation 509, 622, 686
Startreaktion 70 Stoffbilanz 413
Steamcracken 282 Stoffklassen, Übersicht 6
Stearinsäure 584 Stoffwechsel 337
Stechapfel 1050 Strang, verzögerter 1076
Steinkohlenteer 223 Strecker-Synthese 923
Stellmittel 662 Strichsegmentformel 36
Stephen, Reduktion von Nitrilen 706 Stripper 287
Stercobilin 1026f. Stroma 1019
Stereoisomere 330 − -lamellen 1019
Stereoselektivität 330 Strophantidin 780
Stereospezifität 330 Strychnin 332, 1048
Sterine 731, 769, 774 Strychnos nux-vomica 300
Steroide 769 Strychnos-Arten 1058
− 5α-/5β- 770 styrene-butadien-rubber 148
− -Alkaloide 782 Styrol 221, 233
− Biosynthese 763, 771 Styropor 233
− Gallensäuren 776 Suberoat 620
− Chemodesoxycholsäure 776 Substanzklassen, Übersicht 5
− Cholsäure 776 Substitution
− Desoxycholsäure 776 − aliphatische nucleophile 353
− Lithocholsäure 776 − Reaktionsmechanismus 357
− Glycoside 780, 835 − am aromatischen Kern oder in Seitenkette
− Herzglycoside 780 246
− Hormone 777 − bimolekulare 357
− Androgene 778 − elektrophile aromatische 223
− Corticoide 777 − monomolekulare 357
− Gestagene 778f. − nucleophile 367
− Östrogene 778 − nukleophile aromatische 247
− Sapogenine 781 − radikalische 70
− Sterole 731, 769, 774 − -sderivate der Carbonsäure 666
− Cholesterol 732, 774 − -sreaktionen, nucleophile 351
Sachwortverzeichnis 1147

Substratmolekül 95 − Keto-Enol- 532


subzelluläre Struktureinheiten 753 TCDD 267
Succinat 620, 622 Tebbe-Methylenierung 100
Succinimid 622 Tee 259
Sucrase 845 Teflon 137, 349
Suffix 43 Telomere 134
Sulfanilsäure 871 Tenside 78, 656, 659
Sulfitablauge 853 − amphotere 658
Sulfit-Zellstoff 853 − anionische 657
Sulfochlorierung 74 − kationische 658
Sulfogruppe 9 − nichtionische 659
Sulfon 74 − -wirkung der Seife 656
Sulfonamide 229 Terephthalsäure 618, 629
Sulfone 9 Terpene 763ff.
Sulfongruppe 9 − Biosynthese 5
Sulfonierung 228 − Diterpene 767
− von Phenol 445 − Abietinsäure 767
Sulfoniumsalz 418 − 3,4-Dehydroretinol 767
Sulfonsäure 9 − Phytol 767
− -ester 9 − Retinol 767
Sulfonylchloridgruppe 9 − Monoterpene 765
Sulfoxidation 75 − Campher 553, 765
Summenformel 34 − Citronellol 765
supercoil 941 − Geraniol 765
Superhelix 1072 − Limonen 765
Supersekundärstruktur 985 − Menthol 765
suprafacial 218 − Menthon 553, 765
Süßstoffe 943 − Myrcen 765
Swarts-Reaktion 347 − Ocimen 765
Swern-Oxidation 418 − Pinen 765
Swingreaktoren 288 − Terpinen 765
Symmetrieebene 300 − β-Selinen 766
Symmetrieelemente, Moleküle 300 − Vetivazulen 766
Symmetriezentrum 300f. − Sesquiterpene
Synthese, asymmetrische 328 − Bisabolen 766
Synthesegas 380 − Cadinen 766
Systox 409 − Farnesol 766
− Guajazulen 766
T − Nerolidol 766
− Tetraterpene 768
TAED 660 − Carotine 769
Tagatose 806 − Lycopin 768
Talose 793 − Zeaxanthin 735, 769
Tannine 454 − Triterpene 768
Tartrate 634 − Betulin 768
− Kalium-Natrium- 545 − Lanosterol 768
Taurin 776 − α-Onocerin 768
Taurocholsäure 748, 776 − Squalen 768
Tautomerie 168, 532 Terpentinöl 765
− Imin-Enamin- 519, 1008
1148 Sachwortverzeichnis

Terphenyl 260 Threonin 917, 921


8α-/γ-Terpinen 670 Threose 793
tert-Butoxycarbonylrest, Schutzgruppe 837 Thylakoid 1019
tert-Butylmethylether 405 − -membran 1019
Terylen 629 Thymin 257, 1036, 1065, 1080
Testan 771 Thyroliberin 944, 946
Testosteron 553, 778 Thyrotropin 944, 946
N,N,N',N'-Tetraacetylethylendiamin 579 Tierfette 726
Tetraalkylammoniumhydroxide 98 − Gewinnung 728
Tetracen 263 TNT 227
2,3,6,7-Tetrachlordibenzodioxin 267 Tocopherole 737
Tetrachlorkohlenstoff 69, 293, 345 Tollens-Probe 544, 817
Tetrachlormethan 69 Tollens-Reagens 544
Tetraethylblei 278 Tollkirsche 1050
Tetrafluorethylen 348 Tolualdehyd 481
5,6,7,8-Tetrahydrobiopterin 1041 Toluidin 871
5,6,7,8-Tetrahydrofolsäure 1040 Toluol 221
Tetrahydrofuran 460, 469, 473 Toluylsäure 618
Tetrahydropyran 460, 473 Tolyl- 222
Tetraterpene 768 Tonic water 1054
Thalidomid 337 Torsionswinkel 56
Thebain 1057 Tosylester 354
Theobromin 259, 1039 TPP 1031
Theophyllin 259, 1039 Trägersubstanz 135
Theorie, Molekülorbital- 201 Tranquilizer 1014
thermische elektrocyclische Reaktionen 210 Transaminasen 986, 1035
THF 473, 1040 Transaminierung 1035
Thiamin 1035 transannulare Spannung 184
Thiaminpyrophosphat 829, 1031 Transferasen 850, 986
Thiazolderivate 1030 Transfer-RNA 1079
Thiazolinon 953 trans-Glykol 112
Thioacetale 523 Transkription 1081ff.
− cyclische 523 − Termination 1089
Thioaldehyde 9 − -sfaktoren/-scodon 1089
Thioether 9, 131, 357 Translation 1082, 1087
Thioformylgruppe 9 Translokation 1089
Thioharnstoff 718 Transpiration 63
Thiohydantoinderivat 954 Transportproteine 984f.
Thioketale 523 trans-Verknüpfung 169
Thioketone 9 Traubensäure 634
Thiole 9, 523 Traubenzucker 794
− Addition an Carbonylverbindungen 523 1,1,1-Trichlor-2,2-bis (p-chlorphenyl)ethan
− radikalische Addition 130 266
Thiolgruppe 9 Trehalose 838, 845
Thiolproteasen 990 Treibhauseffekt 79
Thione 9 Trevira 629
Thionylchlorid 402, 958 Triacylglyceride 722
Thiophen 256 Trialkylboran, Hydrolyse 117
Thorpe-Reaktion 706 Trialkylmelamine 661
Thorpe-Ziegler-Reaktion 706 Tricarbonsäurecyclus 636
Sachwortverzeichnis 1149

Trichlormethan 69 U
Triene 84
Triglyceride 582, 654, 722, 741 Übergangszustand 68
− Autoxidation ungesättigter 743 Ubichinon 575
− Fettsäuren-Verteilungsmuster 725 Ullmann-Reaktion 260
− Polymerisationsreaktionen 747 Umesterung
Trimethylamin 870, 872f. − Carbonsäureester 683
− -oxid 872 − Fette 740
2,2,4-Trimethylpentan 278 − gerichtete 741
Trimethylsilylether, Monosaccharide 831 Umkehrosmose 429
2,4,6-Trinitrotoluol 224 Umlagerung
Trinkwasserentkeimung 119 − anionoide 109
1,3,5-Trioxan 528 − Beckmann- 695
Trioxymethylen 528 − Benzidin- 888
Tripelhelix-Struktur 978 − Claisen- 467
Triphenylmethan 222, 260 − aliphatische 149
Triphenylmethylradikal 261 − Cope- 149
Triphenylphosphan 511 − Curtius- 886
− -oxid 510 − Hofmann- 700
Triphenylphosphin 357, 420 − von Alkylgruppen 109
Triphenylphosphorylide 510f. − Wagner-Meerwein- 109
Triplett-Carben 189 − Wolff- 671
Tripletts, Code- 1085 Umpolung 524
Triterpene 768 unterchlorigen Säure, Addition 115
Trivialnamen 39 Unterniveau 11
Trockenschmelze, Fettgewinnung 728 Unterschale 11
Trockenspinnverfahren 853 UOP-Verfahren 442
Trommersche Probe 817 Uracil 257, 1036, 1077
Tropan-Alkaloide 1049 Urethane 714
Tropin-Alkaloide 1050 Urobilin 1026f.
Tropomyosin 34 Urobilinogen 1026f.
Troponin 983 Uronate 857
Truxillsäure 762 Uronsäure 819
Trypsin 991 Urotropin 517
Trypsinogen 991 Urtitersubstanz 621
Tryptophan 919, 1026
Tschitschibabin-Reaktion 258 V
Tschugaev-Reaktion 92
Tubocurarin 1058 Vakuole 753f.
Tubulin 754 Vakuum-Fraktionierturm 276
Tungöl 724 Valenzbindungstheorie 197
Twistform 184 Valeraldehyd 481
Twitchel-Verfahren 739 Valeriansäure 584
Tyndall-Kegel 655 Valin 917
Tyrosin 873, 919 Valium® 1014
T-Zell-Rezeptoren 984 van-der-Waals-Kräfte 264
van Slyke 898
Vanillin 39, 176, 196, 554
Vasopressin 945f.
Verbrennung von Alkanen 79
1150 Sachwortverzeichnis

verbrückte Ringsysteme 187 W


Verdauung der Proteine 989
Verdauung von Fetten 748 Wachse 756
Verdünnungsprinzip 191 − Cuticular- 63
Veresterung − Montan- 63
− der Phenole 444 Wacker-Acetanhydrid-Synthese 673
− mit Salpetersäure 407 Wacker-Hoechst-Verfahren 484, 486
− mit Schwefelsäure 406 Wagner-Meerwein-Umlagerung 109, 899
− säurekatalysierte 678 Walden-Umkehr 330
Verfahren mit Teilmaischen 425 Waldmeister 176, 196
Verfahren zur Phenolherstellung 441 Walnüsse 576
Vergrauungsinhibitoren 661 Wannenform 182
Veronal 684 Wärmetauscher 287
Verseifung, Fette 739 Waschmittel
Vetivazulen 766 − synthetische 657
vicinal 221 − Zusammensetzung 659
vicinale Diiodalkane 115 Waschprozeß 656
Vierzentren-Mechanismus 117 Wasser, Grenzflächenspannung 656
Vilsmeier-Synthese 493 Wasserdampfdestillation 763
Vinylierung 171 Wasserglas 662
Vinylverbindungen 145 Wasserstoffbindung, Molekülorbitale 202
Visbreaking-Verfahren 282 Wasserstoffbrückenbindung 375
Viskoseseide 853 Wasserstofftransfer 1043
Vitalismus-Theorie 716 1,3-Wechselwirkung 185
Vitamine 1,4-Wechselwirkung 184
− A 736 Wechselwirkungen, nichtbindende
− A1 und A2 767 intramolekulare 57
− B1 1030, 1035 Weichmacher 658
− B12 1023f. Weinbrand 432
− B2 1042 Weine 430
− B3 1033 Weingärung 430
− B4 229, 1040 Weinsäure 634
− B6 1034 − D-(–)- 288, 301
− C 810, 980 − L-(+)- 288, 301
− D 732, 737, 774 − meso- 288
− D1 775 Weinstein 430, 634
− D2 / D3 737, 775 Weißtöner 662
− -D-Komplex 775 Weißwein 430
− E 737 Weizenbier 429
− H 1030 Wellenfunktion 13
− K1 / K2 575, 738 − molekulare 198
− Steroid- 775 Wellenmechanik 10, 32
VLDL siehe Lipoproteine Whisky 432
Vollacetal 514 Widmark-Formel 378
Vorderlappen 19 Willgerodt-Reaktion 551
Vorderwürze 426 Williamson-Synthese 463
Vulkanisation 137 Winiwarter-Bürger-Krankheit 255
Winkelspannung 179f.
Wirbelschichtverfahren 286
Wittig-Reaktion 510
Sachwortverzeichnis 1151

Wodka 432 Zeolithe 442, 659


Wohl-Abbau 822 Zerewitinow 66
Wohl-Ziegler-Reaktion 623 Zibeton 762
Wöhler 716 Ziegler-Natta-Polymerisation 140
Wolff-Kishner-Reduktion 543 Zigarettenrauch 265
Wolff-Umlagerung 671 Zimtaldehyd 554
Wolle 976 Zimtsäure 619
Wurtz-Fittig-Reaktion 511 Zitronenöl 553
Wurtz-Fittig-Synthese 65 Zitronensäure 634
Wurtz-Synthese 65, 350 − -cyclus 635f.
Würzebereitung 423 Zoosterole 732
Würzekochen 427 Zootoxine 949
Zucker 554
X − Abbau von Aldosen 822
− D-/L- 691
Xanthine 1037f. − -ersatzstoff 856
Xanthogenat 419, 854 − Ester 823
− Pyrolyse 92 − Acetate 823
Xanthophyll 735 − Borsäure- 825
Xanthopterin 1040 − Phosphorsäure- 825
Xerophthalmie 736 − Ether 830
Xylit 856 − -fabrikation 844
Xylol 221 − Formel-Schreibweise 791
Xylose 793f., 856 − Glycoside 830
− -krankheit 485, 945
Y − nichtreduzierende 838
− Oxidationsreaktionen 817
Ylide 511, 1031 − Reduktion 821
Yohimbin 1048 − reduzierende 838
− Rohr- 842
− Rüben- 794, 842
Z − -säuren 819
Zeaxanthin 735, 769 − Spaltung mit Periodsäure 820
Zeisel 465 − Verlängerung der Kohlenstoffkette 792
Zelle 752 Zweikomponenten-Kleber 472
− eukaryontische 752 Zweitsubstitution 235
− Kern 753 Zwischenprodukt 68
− Membran 753 Zwitterion 925
− somatische 1073 Zwölffingerdarm 990
− Wand 753 Zygote 1073
Zellulose siehe Cellulose

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