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Genau so wie in der Politik, in der Literatur in der Musik und in jedem ande-
ren Bereich menschlichen Scha↵ens gibt es auch in der Mathematik schillern-
de Persönlichkeiten, dramatische Lebensläufe, Neid, Intrigen und glückliche
Umstände. Diese sind nur leider meist etwas weniger bekannt, da man sich,
um ihre volle Tragweite zu verstehen, auch ein wenig mit Mathematik ausken-
nen muss. Nicht selten sind die dramatischen persönlichen Schicksale auch
mit bahnbrechenden Entdeckungen verbunden. Von einer solchen Entdeckung
handelt unser nächstes Kapitel. Es geht dabei um nicht weniger als das Wie-
dererwachen der Wissenschaft in der Renaissance nach einem langen mit-
telalterlichen Winterschlaf und letztlich die erste große mathematische Leis-
tung die auf europäischem Boden nach den den Leistungen des antiken Grie-
chenlands gemacht wurde. Ganz nebenbei wurden bei dieser Gelegenheit auch
gleich noch die komplexen Zahlen erfunden, wobei man die damals noch nicht
so genannt hat.
Unsere Geschichte beginnt im November des Jahres 1526 und spielt zum
größten Teil in Italien. In Bologna liegt ein Mann namens Scipione del Fer-
ro im Sterben und dachte zu dem Zeitpunkt wohl darüber nach, was ihm
denn so im Laufe seines Lebens gelungen und was ihm nicht gelungen war.
Mindestens eine wirklich große Sache hatte er geleistet – dummerweise wuss-
te das nur niemand. Wir befinden uns in einer Zeit in der (zumindest in
Europa) über Mathematik nicht all zu sehr nachgedacht wurde und die Lehr-
meinungen von Autoritäten ungemein wichtig waren – oftmals wichtiger als
eigenes Nachdenken. Die Buchdruckkunst stecke noch in ihren Anfängen be-
wegliche Lettern wurden rund 70 Jahre vorher von Guttenberg erfunden und
Mathematikbücher gab es kaum. Um so schwerer war deren Wirkung und
Gewicht in der Ö↵entlichkeit. Das wohl erste und über lange Zeit einfluss-
199
200 13 Die Lösung kubischer Gleichungen
Zurück zu del Ferro auf seinem Sterbebett. Der konnte kubische Glei-
chungen lösen! Zumindest einige. Er hatte eine Lösung gefunden, mit der
man einige Gleichungen der Form x3 + px + q = 0 nach x auflösen konnte.
Wann genau ihm dies gelang, wissen wir nicht, denn er hat es zu Lebzeiten
nie verö↵tenlicht. Nicht weil er dies nicht wollte, sondern, weil er aus dieser
bahnbrechenden Entdeckung etwas ganz besonderes machen wollte. Schließ-
lich gelang ihm damit etwas, was Pacioli nicht in seinem Buch stehen hatte
und in gewissem Sinne wuchs er damit über die Erkenntnisse der alten Grie-
chen hinaus was eine unglaubliche Leistung war, wert ein ganz besonderes
Buch darüber zu schreiben. Zu spät. Sterbebett. Alle Entdeckungen del Fer-
ros schlummerten wohlbehütet in einem geheimen Notizbuch, dass del Ferro
angelegt hatte. Verständlicherweise sorgte sich del Ferro nun 1526 darum,
was mit seinen Erkenntnissen geschehen sollte. Er vertraute mehr oder we-
niger im letzen Moment die Lösung zweien seiner Schüler an, die wohl am
aussichtsreichsten waren, diese Erkentnis über die Zeit zu retten. Hannibal
del Nave seinem Schiegersohn gab er sein Notizbuch, und Anton Maria Fi-
or erklärte er das Lösungsverfahren. Letzterem sagt man heutzutage nach,
dass er mathematisch nicht sonderlich begabt gewesen sei, aber soziales Anse-
hen ihm ausgesprochen wichtig war. Und dieser führt uns nun schnurstracks
zu einem der wichtigsten Protagonisten unserer Geschichte: Nicolo Tartag-
lia, seines Zeichens eine Art mathematischer Consultant, der für die reichen
italienischen Kaufleute einen mathematischen Beratungsservice betrieb.
2 Das Duell 201
2 Das Duell
Anton Maria Fior der sich nun als einziger im Besitz der Lösungsformel
für Kubische Gleichungen der Form x3 + ax = b glaubte, fand dies eine gute
Gelegenheit unseren Protagonisten Niccolo Tartaglia (der nun einmal den
Ruf hatte, Italiens und Venedigs bester Mathematiker zu sein) ö↵entlich zum
mathematischen Duell herauszufordern. Wie man sich denken kann plante er
Tartaglia ausschließlich Aufgaben zu stellen, die die Kenntnis der Formel von
del Ferro erforderten.1
Die von Fior ö↵entlich vorgeschlagenen Wettkampfbedingungen sahen vor,
dass jeder dem anderen (notariell beglaubigt) einen Satz von 30 Aufgaben
übermittelte, die jeweils innerhalb von 40 Tagen gelöst werden mussten. Ein
Blick auf die ihm gestellten Aufgaben musste Tartaglia sofort gezeigt ha-
ben dass diese alle auf die Formel x3 + ax = b führten und ihn in ziemliche
Bedrängnis bringen. Not macht bekanntlich erfinderisch. Tartaglia gelang es
tatsächlich selbst eine Formel zu entwickeln mit der er diesen Typ kubi-
scher Gleichungen lösen konnte – eine Lösung deren Existenz er wohl vor-
her selbst kaum für möglich gehalten hatte. Tartaglia fand die Lösung nach
Überlieferungen in der Nacht des 13. Februar 1535, genau eine Woche vor
Ablauf der Abgabefrist. Er gewann damit das Duell gegen Fior mit Abstand.
1 Tartaglia selbst hatte sich bereits vorher mit kubischen Gleichungen beschäftigt und
behauptete von sich und er Lage zu sein, Gleichungen der Form x3 + ax2 = b lösen zu
können. Aus heutiger Sicht ist diese Art Gleichung praktisch gleich schwer zu Lösen wie
x3 +ax = b. Beim damaligen Kenntnisstand der Algebra waren dies jedoch zwei vollkommen
verschiedene Probleme. Genauere Angaben über Tartaglias Lösungsweg für diese Gleichung
sind auch nicht überliefert.
202 13 Die Lösung kubischer Gleichungen
Nach Aussagen Tartaglias konnte Fior keine einzige von Tartaglias Aufgaben
lösen.
3 Kubische Gleichungen
Wir wollen uns nun ein wenig der Mathematik hinter kubischen Gleichungen
zuwenden. Es liegt in der Natur der Sache, dass wir hier nicht genau nach-
vollziehen können, welche Wege Tartaglia oder del Ferro genau gegangen sind
im zu einer Lösung von Gleichungen der Form x3 + px + q = 0 zu gelangen.
Man kann mutmaßen, aber Aufzeichnungen gibt es darüber praktisch nicht.
Einige Aspekte sollte man sich dennoch vor Augen führen, um die Leistung
aus heutiger Sicht richtig zu würdigen. Viele mathematische Erfindungen und
Konzepte, die uns heute selbstverständlich erscheinen, gab es damals nicht.
Dies fängt bei der Notation an. Die heute fast selbstverständliche Betrach-
tungsweise in einer Gleichung die Variablen und Parameter durch Buchsta-
ben zu repräsentieren, die stellvertretend für deren Größen stehen gab es
nicht. Diese wurden erst um 1590 von François Viète, nach dem der auch
in der Schule bekannte Satz vom Vieta benannt ist, eingeführt. Selbst Plus,
Minus und Malzeichen waren zu Tartaglias Zeiten nicht üblich. In diesem
Sinne war auch der Begri↵ der Gleichung, geschweige denn das Konzept des
Gleichungsauflösen oder -umformen nicht geläufig. Entsprechend wurde die
Formulierung des Problems in ganze Sätze gekleidet. Del Ferro und Tartaglia
konnten z.B. Lösungen für das Problem “Ein Kubus plus viele seiner Seiten
ist eine Zahl” angeben (in heutiger Sprache liest sich dies als x3 + a · x = b).
Fiors erste Aufgabe lautete z.B.
“Finde eine Zahl derart, dass wenn ihr Kubus addiert wird sich sechs ergibt”
(also x3 + x = 6).
Dass die in für eine Aufgabe wichtigen Größen nicht als Buchstaben ver-
schlüsselt wurden hatte eine weitere Bemerkenswerte Konsequenz: Die ange-
gebenen Lösungsverfahren selbst (sofern sie allgemeiner Art waren) wurden
als eine Abfolge von Rechenschritten beschrieben, die auf die Eingangsgrößen
angewandt werden mussten. Insofern glichen sie eher einem Algorithmus (ei-
ner Handlungsanweisung) als einer Formel. Ein weiterer wichtige Punkt ist
der Folgende: Zahlen waren im wörtlichen Sinne Zähl- oder Messgrößen. In
diesem Sinne wurden sie immer als positive Größen verstanden. Das Konzept
der negativen Zahlen gab es noch nicht (ganz zu schweigen von komplexen
Zahlen, die, wie wir bald sehen werden, hier auch noch eine Rolle spielen).
Von daher waren Gleichungen der Form x3 + a · x = b und x3 = b + a · x
verschiedene Probleme, bei denen a und b stets als positiv aufzufassen waren.
Wir können zwar heute nicht mehr genau nachvollziehen, wie Tartaglia
genau auf seinen Lösungsweg gekommen ist, einige Theorien erscheinen unter
Einbeziehung der obigen Einschränkungen und dessen, was unseres Wissen
3 Kubische Gleichungen 203
nach Tartaglia bekannt war, als plausibler als andere. Von daher sind die
folgenden Überlegungen eher als ein so könnte es gewesen sein als ein so war
es aufzufassen. Um die folgenden Abschnitte lesbar zu gestallten werden wir
uns natürlich wo immer möglich einer modernen Notation bedienen.
Werfen wir zunächst einmal einen Blick auf quadratische Gleichung also
z.B. die Frage nach einem x dass x2 + a · x = b erfüllt. Lösungsverfahren für
quadratische Gleichungen waren Tartaglia bekannt und das wohl gängigste
ging auf den Perser al-Khwarizmi (ca. 780-835) zurück (wenn man diesen
Namen schnell ausspricht, klingt er nach “Algorithmus” und das ist auch
genau der Ursprung dieses Wortes). Sein Verfahren zum Lösen quadratischer
Gleichung ist im Prinzip eine Abart der quadratischen Ergänzung wie sie
bei uns ca im 8. Schuljahr unterrichtet wird. Wobei sie bei al-Khwarizmi im
sogar wörtlichen geometrischen Sinne zu verstehen ist. In seinen Schriften zur
Algebra erläutert er sie am Beispiel der Gleichung
x2 + 10x = 39.
diese Betrachtungsweise bereits praktisch gelöst. Das große Quadrat der Sei-
tenlänge x + 5 muss insgesamt 39 + 25 = 64 Einheiten umfassen, da es ja
aus unserer Winkelfigur F (39 Einheiten) und dem kleinen Quadrat (25 Ein-
heiten) aufgebaut ist. Somit hat das große Quadrat eine Seitenlänge von 8
Einheiten (Wurzelziehen war eine in diesem Spiel erlaubte Operation). Wir
wissen aber, dass unsere gesucht Zahl x genau so lang ist, dass x + 5 = 8
gleich der Seitenlänge des großen Quadrates ist. Somit muss gelten x = 3.
Wenngleich wir dieses Verfahren hier nur an einem Beispiel durchgeführt ha-
ben, ist doch leicht zu erkennen, dass dieses allgemein anwendbar ist und zu
einer festen (algorithmischen) Rechenvorschrift führt, wie man Gleichungen
der Form x2 + a · x = b lösen kann.
Man könnte die ganze Prozedur auch rein algebraisch betrachten, indem
man die Zahl zum Addieren sucht mit der sich die Gleichung x2 + 10x 39
möglichst einfach als binomische Formel auflösen lässt. Das ist die übliche
Methode der quadratischen Ergänzung wie sie in der Schule unterrichtet wird.
Insgesamt ist dies aber weniger erhellend als die obige Methode. Vor allen
Dingen wäre es ein Zugang der nur dann möglich ist, wenn man tatsächlich
schon weiß wie man Gleichungen korrekt umformen kann, was ja weder al-
Khwarizmi noch Tartaglia so bekannt gewesen wäre.
Wir wollen noch eine interessanten Aspekt beleuchten. Wir sind es ja ge-
wohnt, dass eine quadratische Gleichung im Regelfall zwei Lösungen hat. Die
übliche p, q-Formel ergäbe in unsrem Beispiel z.B. die Lösungen
r
10 10 p
x1,2 = ± + 39 = 5 ± 64 = 5 ± 8.
2 2
Man muss sich also fragen, ob al-Khwarizmis Methode uns hier nicht eine
Lösung vorenthält. Die nach modernem Verständnis fehlende Lösung wäre
13, eine negative Zahl. Eine solche hätte al-Khwarizmi nicht als Lösung der
Aufgabe akzeptiert.
Khwarizmi, vor müsste man nun durch geschicktes Anlegen von Quadern
an W eine Figur erzeugen, die sich leicht zu einem größeren Würfel ergänzen
ließe. Hier stoßen wir aber zunächst auf eine Problem. Die hinzugefügte Größe
müsste ja insgesamt a · x betragen. Erweitert man den Würfel aber z.B.
durch Quader der Höhe c über den Seitenflächen so beträgt der Größe dieser
Quader aber c · x2 und ist quadratisch und nicht linear in x. Was vielleicht
noch unangenehmer ist, ist folgende Tatsache. Wenn man auf diese Weise den
Würfel W durch drei solche Quader Q ergänzt, entsteht eine Figur, die nicht
ganz so einfach zu einem größeren Würfel ergänzt werden kann (zumindest
muss etwas Anderes als ein kleiner Würfel hinzu gefügt werden). Es liegt also
nahe, dass Tartaglia nach Möglichkeiten gesucht hat, wie man einen großen
Würfel derart durch Anlegen von gleiche Quadern (nach Möglichkeit drei
davon) ergänzen kann, dass eine Figur entsteht, die aussieht, als ob man von
einem großen Würfel an einer Ecke einen kleinen Würfel herausgeschnitten
hat.
Etwas anders ausgedrückt kann man ausgehend vom großen Würfel die Si-
tuation auch folgendermaßen au↵assen: Stellen wir uns einen großen Würfel
vor, bei dem an zwei in der Raumdiagonale gegenüberliegenden Ecken jeweils
ein Würfel herausgeschnitten wurden. Diese Würfel sollen genau so groß sein,
dass sie sich im Inneren des großen Würfels an einer Ecke berühren (analog zu
dem beiden kleinen Quadraten in al-Khwarizmis großen Quadrat). Wie lässt
sich die verbleibende Figur möglichst symmetrisch in drei Quader zerlegen?
Nehmen wir für einen Moment an, der große Würfel habe die Kantenlänge
q (also einen Rauminhalt von q 3 ) und die beiden weggeschnittenen Würfel
haben die Kantenlängen x und y. Es gilt also q = x + y wenn sich die Würfel
im Inneren an einer Ecke tre↵en sollen. Die verbleibende räumliche Figur
lässt sich nun wunderbar symmetrisch in drei Quader mit Seitenlängen x,
y und q zerlegen. Zu dieser Kenntnis kann man entweder durch Meditation,
das Anfertigen von vielen Skizzen oder durch einen Blick auf nebenstehende
Zeichnung gelangen. Eine der ersten beiden Möglichkeiten stand wohl Tar-
taglia zur Verfügung. Man sieht in der Bildersequenz zunächst die beiden
Würfel mit Kantenlängen x und y eingebettet in einen großen Würfel der
Kantenlänge q = x + y. Den verbleibende Freiraum des großen Würfels gilt
es nun zu füllen. Das zweite Bild zeigt die Position eines der drei Quader
(blau). Er hat Kantenlängen x, y und q und füllte genau ein drittel des freien
Volumens aus. Das darauf folgende Bild zeigt wie sich die verbleibenden zwei
Quader (rot und grün) vollkommen Rotationssymmetrisch in den noch frei-
en Bereich eingliedern. Im nachfolgenden Bild sieht man nochmals die drei
Quader (halbtransparent ) an den Würfel mit Kantenlägne x angelegt.
206 13 Die Lösung kubischer Gleichungen
was sich durch Ausmultiplizieren leicht nachprüfen lässt, aber genau dies
konnte Tartaglia ja nicht.
q 3 = y 3 + x3 + a · x
wird. Unter der Annahme das x eine Lösung der Gleichung x3 + a · x = b ist,
wird dies wiederum zu
q 3 = y 3 + b.
Tartaglia hat wohl eher geometrisch gedacht: Der große Würfel (also q 3 )
ergibt sich aus b = x3 + a · x = x3 + 3 · x · y · q (das ist der Würfel W
zuzüglich der drei Quader) zuzüglich dem kleinen Würfel y 3 . Es ergeben sich
zusammenfassend die beiden Gleichungen
a=3·y·q und q 3 = y 3 + b.
Dies ist eine Gleichung in der jetzt nur noch y vorkommt allerdings immer
noch in der dritten Potenz und sogar noch unter einem Bruchstrich. Multi-
pliziert man sie nun aber mit y 3 erhält man
a3
= y 6 + by 3 .
27
Dies ist auf den ersten Blick eine Gleichung vom Grad 6 in y. Sie stellt sich
aber auf den zweiten Blick als eine quadratische Gleichung in y 3 heraus
a3
= (y 3 )2 + b · y 3 ,
27
und zwar als genau eine von der Form, wie wir sie im vor-vorherigen Abschnitt
bei al-Khwarizmi gesehen und verstanden haben. Somit last sich die Größe y
aus a und b bestimmen. Sie ergibt sich (in moderner Notation) zu
s r
3 b b2 a3
y= + + .
2 4 27
208 13 Die Lösung kubischer Gleichungen
Das Vorzeichen vor der inneren Wurzel ist wiederum so gewählt, dass das
Endergebnis für y eine positive Zahl ist. Weiterhin gilt ja q 3 = y 3 + b. Setzt
man dies ein, erhält man
r
3 b b2 a3
q = + + + b,
2 4 27
woraus sich für q der Wert
s r
3 b b2 a3
q= + + + .
2 4 27
ergibt. Bevor wir nun zum entscheidenden Schlag ausholen, fassen wir noch-
mals zusammen. Wir wollen die Gleichung x3 + ax = b lösen. Dazu stellen
wir uns eine großen Würfel mit Rauminhalt q 3 vor. Dieser wird zerteilt in
zwei kleine Würfel die in Inneren an einer Ecke zusammenstoßen. Sie sollen
Rauminhalt x3 und y 3 haben. Wegen der Geometrie der Konstruktion gilt
x + y = q. Die vom großen Würfel jetzt noch verbleibende Menge wird in 3
Quader mit jeweiligem Rauminhalt xyq zerlegt. In unseren vorausgegange-
nen Überlegungen haben wir nun versucht die Größen für x, y, q so zu wählen,
dass der Rauminhalt den die drei Quader einnehmen genau ax ist, wobei x
die gesuchte Lösung sein soll. Dies gelang uns durch Lösen einer quadrati-
schen Gleichung. In unserer Auflösung erhielten wir Werte für y und q was
uns aber wegen q = x + y sofort zur gesuchten Lösung für x führt.
s r s r
3 b b2 a3 3 b b2 a3
x= + + + + .
2 4 27 2 4 27
Wir wollen uns anhand von Fiors erster Aufgabe x3 + x = 6 kurz ver-
deutlichen, dass dies tatsächlich funktioniert. Wir haben hier also a = 1 und
b = 6. Wir setzen
b2 a3 1 244
D= + =9+ = .
4 27 27 27
Nun berechnen wir
r r s r s r
3 b
p 3 b p 3 244 3 244
+ D + D = 3+ 3+ = x.
2 2 27 27
Weiters Auflösen lohnt sich hier nicht mehr. Wir müssen das Ziehen von
Wurzeln und dritten Wurzeln als Grundoperationen zulassen. Wir sollten an
dieser Stelle feststellen, dass Fior bei seiner Wahl der Zahlenwerte nicht gera-
de zimperlich war. Wir wollen uns hier mit einer kurzen groben numerischen
Überprüfung der Lösung zufrieden geben. Tippt man den obigen Ausdruck
in einen Taschenrechner ein, so erhält man:
3 Kubische Gleichungen 209
x ⇡ 1.6343653.
x3 + ax2 + bx + c = 0
natürlich das Produkt einer Zahl mit sich selbst immer positiv und konn-
te niemals eine negative Zahl ergeben (selbst wenn man diese als Größen
zugelassen hätte).
Wir wollen uns als kleine Zwischenbilanz zwei konkrete Gleichungen mit
gutartigen Zahlenwerten hernehmen und diese nach obige Formel aufzulösen
versuchen. Zunächst betrachten wir
x3 24x 72 = 0.
722 243
Es ergibt sich D = 4 + 27 = 362 + ( 8)3 = 784 und somit
p
3
pp
3
p
x= 36 +784 + 36 784
p
3
p
3
= 36 + 28 + 36 28
p p
= 3 64 + 3 8
= 4+2
= 6.
63 24 · 6 72 = 216 144 72 = 0.
Etwas weniger angenehm gestaltet sich die Rechnung bei der Aufgabe
x3 15x 4 = 0.
2 3
Dort ergibt sich D = 44 + 27 15
= 22 + ( 5)3 = 121. Dies macht nun beim
p
Berechnen von D Probleme, da hier eine Wurzel aus einer negativen Zahl
zu ziehen ist. Diese Schwierigkeiten sind nicht unüberwindbar. Wir kommen
gleich nochmals darauf zurück.
4 Cardano
gewisser Scipione des Ferro bereits einige Jahre vor Tartaglia eine solche For-
mel gefunden hatte, diese aber vor seinem Tod nicht mehr verö↵entlichen
konnte. Recherchen brachten zu Tage, dass wohl ein ein Notizbuch existiert
haben müsse, in dem diese Formel niedergeschrieben war. Durch seine beharr-
liche Art gelang es Cardano den Ne↵en Scipiones Hannibal del Nave ausfindig
zu machen und Einsicht in das Notizbuch zu bekommen. Da Tartaglia nun
nachweislich nicht mehr der Erste war, der die Formel gefunden hatte, fühlte
sich Cardano von seinem Schwur entbunden und verö↵entlichte die Formel
in seiner Ars Magna. Hierbei erwähnte er zwar, dass die Formel auf Tartaglia
zurückgehe. Cardano war dennoch der erste, der diese Formeln in gedruckter
Form einer breiten Ö↵entlichkeit zugänglich machte und damit einiges des
Ruhmes, der damit verbunden war, auf sich zog. Nicht zuletzt hat man die
Formeln zum Lösen kubischer Gleichungen über Jahre hinweg “Die Cardano
Formeln” genannt.
5 Komplexe Zahlen
x3 15x 4=0
nach Tartaglias Methode zu Lösen, auf ein p Problem stoßen. Während der
Rechnung gelangt man an eine Stelle, in der 121 zu berechnen ist – eine
Wurzel aus einer negativen Zahl! Schauen wir mit modernem Blick auf die
Gleichung und das Problem, so stellen wir zwei Dinge fest. Erstens, haben
wir es mit einer Gleichung dritten Grades zu tun, bei der der Term x3 die
größte Potenz ist. Das heißt, wenn x den Wertebereich der der reellen Zahlen
von 1 bis +1 durchläuft, verlaufen die Funktionswerte von x3 15x 4
ebenso von 1 bis +1. Da die Funktion stetig ist, können wir mindestens
eine reelle Nullstelle erwarten. Von daher sollte man erwarten dass es auch
eine Berechnungsvorschrift gibtp die diese reelle Nullstelle bestimmt. Zweitens
Fällt auf das der Ausdruck 121 natürlich aus heutiger Sicht nicht das
geringste Problem darstellt. Das Ergebnis ist einfach eine komplexe Zahl.
Und genau diesen letzteren, verwegenen Schritt ging Cardano. Im Prinzip
gleicht dies mit dem Augen der damaligen Zeit gesehen fast einem Taschen-
spielertrick. Wir werden nämlich gleich sehen, dass komplexe Zahlen nur kurz
zwischenzeitlich in der Rechnung auftreten, um dann rechtzeitig vor dem Er-
5 Komplexe Zahlen 213
sein sollte. Genau davon ging Cardano aus und rechnete mit diesem (aus
heutiger Sicht komplexen) Zwischenergebnis einfach munter weiter. Bei der
2
153
Lösung der Gleichung x3 15x 4 = 0 ergibt sich folgendes: D = 44 + 27 =
22 + ( 5)3 = 121 und somit
p p p p
x = 3 2+ 121 + 3 2 121
p p p p .
= 3 2+ 1 · 11 + 3 2 1 · 11
p p
Nächstes Problem! Was soll ein Ausdruck wie 3 2 + 1 · 11 bedeuten?
p Es
muss eine Zahl sein, die zur dritten Potenz erhoben genau 2 + p 1 · 11
ergibt. Ein wenig systematisches Ausprobieren zeigt, dass 2 + 1 genau
diese Eigenschaft hat denn
p p p
(2 + 1)3 = (2 + 1)2 (2 + 1)
p p
= (4 + 4 1 1)(2 + 1)
p p
= (3 + 4 1)(2 + 1) .
p p
= 6+8 1+3 1 4
p
= 2 + 11 · 1
p p p
Analog ergibt sich 3 2 1 · 11 = 2 1. Hiermit kann man in unserer
Bestimmung von x weiterrechnen:
214 13 Die Lösung kubischer Gleichungen
p
3
p p p
x = 2+ 121 + 3 2 121
p p p p
= 3 2+ 1 · 11 + 3 2 1 · 11
p p .
= 2+ 1+2 1
= 4.
Beim Übergang
p vom vorletzten zum letzen Ausdruck ist der monströse Aus-
druck 1 einfach schnell sang und klanglos aus der Gleichung verschwun-
den. Wir bleiben zurück mit x = 4 und in der Tat gilt
43 15 · 4 4 = 64 60 4 = 0.
6 Gleichungen 4. Grades
Unsere Geschichte geht noch weiter und wieder betritt ein neuer Akteur die
Bühne: Lodoviko Ferrari, der Meisterschüler von Cardano. Ihm gelang ba-
sierend auf den Überlegungen del Ferros, Tartaglias und Cardano ein we-
sentlicher weiterer Schritt, den zu diesem Zeitpunkt wohl kaum jemand für
möglich (oder zumindest so schnell erreichbar) eingestuft hätte. Ihm gelang
es, ein allgemeines Verfahren zum Lösen von quartischen Gleichungen, al-
so Gleichungen vierten Grades anzugeben. Für solche Gleichungen der Form
x4 + ax3 + bx2 + cx + d = 0 gibt es auch eine geschlossene Lösungsformel
ganz ähnlich zu quadratischen oder kubischen Gleichungen. Sie hier aufzu-
notieren würde allerdings wohl eine komplette Seite füllen. Dies wäre wohl
aber gar nicht im Sonne von Ferrari, denn was er angab ist vielmehr ein
Lösungsverfahren als eine geschlossene Formel (in gewissem Sinne ähnlich
dem Algorithmus von al-Khwarizmi).
Wir wollen uns hier nicht ganz an die historisch zuerst übermittelten
Lösungsverfahren halten, wollen aber zumindest verdeutlichen wie ein solches
Lösungsverfahren aussehen kann und nachweisen, dass ein solches überhaupt
existiert. Hierbei werden wir feststellen, dass sich die Lösung von Gleichungen
4. Grades durch geschickte Überlegungen auf Tartaglias Formel zum Lösen
von Gleichungen dritten Grades zurückführen lässt. Wir wollen dabei wieder
bewusst den modernen Blick einnehmen und die Verständlichkeit in den Vor-
6 Gleichungen 4. Grades 215
dergrund stellen. Dennoch müssen wir dazu ein wenig in die Trickkiste der
Linearen Algebra greifen.
ax2 + by 2 + cxy + dx + ey + f = 0.
2 Kegelschnitten sind übrigens Kurven die in Natur und Technik recht häufig auftreten.
Angefangen vom Lichtfleck denn eine Taschenlampe auf einer Wand wirft, bis hin zur Form
von Planetenbahnen
216 13 Die Lösung kubischer Gleichungen
schreiben lässt. Die linke Seiten ist genau das Doppelte der ursprünglichen
linken Seite. Zu jedem Kegelschnitt gehört also eine symmetrische 3 ⇥ 3 Ma-
trix. Die Eigenschaft ob ein Kegelschnitt nun in zwei Geraden zerfällt kann
man an der Determinante dieser Matrix ablesen. Es gilt
Lemma 13.1. Die Determinante der obigen Matrix verschwindet genau dann,
wenn der zugehörige Kegelschnitt sich als Produkt zweier Geradengleichungen
(mit eventuell komplexen Koeffizienten) schreiben lässt.
Es sollen hier nicht alle Details die zur Lösung von Gleichungen 4. Gra-
des erörtert werden, aber es soll zumindest ein grober Überblick über das
Verfahren gegeben werden. Es lässt sich in mehrere Schritte zerlegen. Einige
der Schritte erfordern wiederum das Lösen von Gleichungen. Das großartige
an diesem Verfahren ist, dass man in jedem einzelnen Schritt lediglich qua-
dratische oder kubische Gleichungen lösen muss. Setzt man also Tartaglias
Verfahren zum Lösen von kubischen Gleichungen sowie das Lösen quadrati-
scher Gleichungen als bekannt voraus, so wird durch das folgende Verfahren
das Lösen von Gleichungen vierten Grades auf das Lösen quadratischer und
kubischer Gleichungen zurückgeführt.
Schritt 1: Es genügt x4 + ax2 + bx + c = 0: Dieser Schritt ist einfach
und macht das Leben erheblich leichter. Ist das ursprüngliche Problem die
Gleichung z 4 + rz 3 + sz 2 + tz + u = 0 zu lösen so kann man sie durch eine
Substitution x = z r/4 daraus eine Gleichung machen, in der der Term
x3 nicht vorkommt. Somit ist die ursprüngliche Gleichung auf eine kubische
Gleichung zurückgeführt, bei der der x3 Term nicht vorkommt.
x2 = y
(x mx )2 + (y my ) 2 = r 2
so ergibt sich genau unsere zu lösende Gleichung. Wir haben also das Problem
der Gleichung 4. Grades zurückgeführt auf das Finden der Schnittpunkte
eines Kreises mit obigem Mittelpunkt und Radius und einer Einheitsparabel.
Beweis. Es sei p = (x, y, 1)T ein Schnittpunkt von A und B. Es gilt also
pT Ap = 0 und pT Bp = 0. Somit ergibt sich pT M p = pT (A + B)p =
pT Ap + pT Bp = 0 + 0 = 0. Das bedeutet dass p auch auf dem zu M
gehörigen Kegelschnitt liegt. t
u A
B
Was hilft das Betrachten von M ? Es stellt sich heraus, dass in der Schar
von Kegelschnitten, die erzeugt wird wenn 2 C alle Werte durchläuft einige
C
Enthalten sind die besonders einfach sind. Es gibt nämlich drei Situationen D
Nicht einfach, aber mit den Methoden der vorherigen Kapitel machbar. Hat
man nach dem Zerlegen der degenerierten Matrix erst einmal die Geraden-
gleichungen g1 x + g2 y + g3 = 0 und h1 x + h2 y + h3 = 0 gefunden, so werden
diese durch einsetzen in die Einheitsparabel zu ganz einfachen quadratischen
Gleichungen
g1 x + g2 x2 + g3 = 0 und h1 x + h2 x2 + h3 = 0.
Überblick: Kurz sollen hier nochmals der Übersicht halber die zum Lösen
von z 4 + rz 3 + sz 2 + tz + u = 0 nötigen Schritte im Überblick aufgelistet
werden
• Substitution x = z r/4 um auf x4 + ax2 + bx + c = 0 zu kommen.
• Bestimmen
q der Parameter für den Kreis mx = b/2, my = (a 1)/2, r =
2 2
mx + my c.
220 13 Die Lösung kubischer Gleichungen
. . . ist kurz und für Tartaglia bitter. Er wurde von Ferrari zum Duell her-
ausgefordert. Das Duell fand am 10 August 1548 in Milano statt. Tartaglia
erwartete zunächst als klarer Sieger aus dem Duell hervorzugehen. Doch Fer-
raris Aufgaben erforderten allesamt das Wissen um die Lösung von Gleichun-
gen von Grad 4 und waren für Tartaglia allesamt unlösbar. Tartaglia brach
das Turnier vorzeitig ab und verließ Milano in der darau↵olgenden nacht, um
das Turnier als unentschieden dastehen zu lassen. In der ö↵entlichen Meinung
hatte er allerdings haushoch verloren. In Folge dessen verlor Tartaglia zuneh-
mende seine Kunden in Venedig und damit verbunden seine Finanzierung
ein.