Gernot L.
Geise
Fremdsprache Deutsch?
Manchmal frage ich mich, ob wir hier
eigentlich noch in Deutschland leben
oder ob unser Land inzwischen zu einem
52. Staat der USA mutiert ist? Das be-
zieht sich nicht auf irgend welche politi-
schen Vorgänge, sondern einzig darauf,
was mir umgangssprachlich aufgefallen
ist. Zunehmend werden, wie ganz selbst-
verständlich, immer mehr amerikanische
und englische Begriffe und Redewendun-
gen verwendet, wobei ebenfalls ganz
selbstverständlich vorausgesetzt wird,
dass sie auch verstanden werden.
In manchen Zeitungs- und Zeitschrif-
tenartikeln findet man teilweise Sätze, in
denen die Amerikanismen nur noch
durch Bindewörter wie „und“ zusammen-
gehalten werden. Sicher gibt es eine Rei-
he von Fachausdrücken, die nun mal eine
englische Bezeichnung haben. Aber war-
um versucht man in Deutschland „auf
Teufel komm raus“, auch nebensächliche
Worte zu amerikanisieren? Wird etwa
von höherer Seite versucht, die deutsche
Sprache so langsam zum Verschwinden
zu bringen? Oder soll es „nur“ „weltmän-
nisch“ klingen? Ich denke, es klingt nicht
weltmännisch, sondern blamabel. Ich
möchte einige Beispiele aufführen, die
mir in letzter Zeit besonders aufgefallen
sind:
Was ist eigentlich an der „Deutschen
Telekom“ noch deutsch? Ich habe das Ge-
fühl, dass sie still und heimlich von einer
amerikanischen Gesellschaft übernom-
men worden ist. Wie ist es sonst er-
klärbar, dass ihre Tochter Tie-Mobeil sol-
che unsinnigen Dinge verzapft wie
derzeit ihre Aktion „Häppi Didschits“.
Was das ist? Keine Ahnung, muss wohl
irgend etwas mit „Schit“ zu tun haben.
Ebenso unverständlich ist es, dass sich
die Tochtergesellschaft der Deutschen
Telekom T-Mobile nennt und sich Tie-
Mobeil ausspricht. Da kann mir niemand
weis machen, internationale Märkte
müssten englische Bezeichnungen tra-
gen. Man wundert sich höchstens noch,
dass sich die Filialen der Deutschen Te-
lekom immer noch T-Punkte und nicht
Tie-Points nennen.
Bezeichnend für unsere heutige
Sprachsituation war auch die Werbung
der Mobilfunkfirma O.tel.o mit dem
Spruch „For a better understanding!“.
Ob in dem angepriesenen Funktelefon
wohl ein automatisches Übersetzungs-
modul eingebaut ist? Anscheinend hat
man das Unsinnige dieses Werbespru-
ches zwischenzeitlich eingesehen, denn
inzwischen lässt man ihn weg. Dafür
nennt sich nun VIAG Interkom (was wohl
zu „deutsch“ klang) O2, allerdings Jutuh
EFODON-SYNESIS Nr. 4/2002
ausgesprochen, obwohl es Oh zwei
heißt.
Schlimm genug, dass wir heute an-
statt von Kraft von Pauer reden oder von
Bisseness anstatt Geschäft, und dass sich
so manche weiteren Amerikanismen in
unsere Sprache eingenistet haben, die wir
kaum wieder los werden können.
Besonders schlimm finde ich die
englischsprachigen Begriffe, die es gar
nicht gibt, weil sie von Deutschen erfun-
den wurden. Das fing in den Siebzigern
mit dem Twen an und endet heute noch
lange nicht beim Händi, dem Ährbegg
und dem Wellness.Gerade Wellness hat
sich hier ganz unauffällig eingeschli-
chen, parallel zum Anti-Eedsching, ob-
wohl der Normalbürger kaum etwas da-
mit anfangen kann: Hat Wellness etwa et-
was mit Wellen zu tun? Das hängt be-
stimmt mit dem Fann zusammen, den
man dort angeblich erlebt...
Im Bereich der Computertechnolo-
gie ist es ja noch einigermaßen nachvoll-
ziehbar, wenn viele amerikanische Be-
griffe übernommen werden, denn es
klänge ja recht merkwürdig, wenn wir für
Hardwär Hartware und Softwär Weich-
ware sagen würden. Trotzdem muss man
nicht unbedingt von Jusern reden, wenn
ein Anwender gemeint ist. Und müssen
wir in einem Warenhaus unbedingt Food
auf dem Hinweisschild zur Lebensmit-
telabteilung oder Büchershop an der
Buchabteilung lesen?
Genauso unauffällig schleichen sich
immer mehr die Tracks anstatt Lastwa-
gen ein, obwohl die deutsche Kreation
Brummi viel sympathischer klang.
Von den Kids ganz zu schweigen. Hier
ergäbe sich jedoch ein logischer Weg:
„Kinder“ sind als Begriff nach Amerika
gelangt, dort zur Kurzfassung „Kids“ mu-
tiert und als solche wieder zurück ge-
kommen.
Der Gipfel der Sprachperversität
wird von der Restaurantkette Pizza-Hut
erreicht, deren Firmenzeichen passen-
derweise ein Hut ist. Aber wie klingt es in
der Werbung? Da wird von Pitza-Hatt
geredet, also der deutschsprachige Be-
griff englisch ausgesprochen. Denn Hut
ist nun mal ein deutsches und kein engli-
sches Wort. Im Englischen würde der
Hut hat (hät) heißen. Hut gibt es zwar
auch im Englischen als Begriff für Hüt-
te. Aber mit einer Hütte hat das Pizza-
Hut-Logo doch recht wenig gemeinsam.
Warum unsere deutschen Firmen
„auf Teufel komm raus“ englische Be-
zeichnungen und Werbesprüche auf uns
loslassen müssen, kann wohl niemand
zufriedenstellend erklären. Meist heißt
es dazu, die Weltsprache sei eben Eng-
lisch. Nur komisch, dass sich andere Län-
der nicht daran orientieren. Und ich
möchte die amerikanische Firma sehen,
die ihre Produkte in den USA deutsch-
sprachig vertreibt ...
Obwohl beispielsweise die amerika-
nische Software-Firma Adobe sich in
Deutschland deutsch ausspricht (und
nicht etwa Ädobie), oder IBM, die nur in
Amerika Eibi-Em heißt. Hierzulande
lässt sie sich deutsch aussprechen, nur
die deutschen Nachrichtensprecher ha-
ben das noch nicht mitbekommen. Die
Japaner sind da nicht so liberal: JVC
nennt sich auch in Deutschland Dschej-
wiesie.
Auch im Fernsehen ist es immer
mehr in Mode gekommen, englischspra-
chige Filmtitel original zu übernehmen,
ohne sie einzudeutschen. Bei englisch-
sprachigen Produktionen könnte man das
ja noch tolerieren. Aber warum müssen
auch deutsche (deutschsprachige) Pro-
duktionen englischsprachige Titel besit-
zen? Dass in englischsprachigen Filmen
die Namen original übernommen und
nicht übersetzt werden, ist ja noch ver-
ständlich. Aber warum muss beispiels-
weise ein Agent Edschend genannt wer-
den? Gerade bei den Filmen ist mir auf-
gefallen, dass die Übersetzer im Ver-
gleich zu älteren Filmen inzwischen
recht schludrig arbeiten und nur noch das
Nötigste übersetzen. Der Rest wird ein-
fach übernommen, der Zuschauer wird es
wohl schon verstehen ...
Das Internet hat im Laufe der letzten
Jahre unbestreitbar immer größeren Ein-
fluss auf uns genommen. Aber warum
muss hier in Deutschland von Dottkomm
geredet werden? Es wird ganz selbstver-
ständlich von Släsch und Bäcksläsch ge-
redet, obwohl diese Dinger auf deutsch
Querstrich und Rückstrich heißen. Und
anstatt Dott ist der gute alte Punkt doch
viel aussagekräftiger!
Ich habe manchmal das Gefühl, dass
die englischsprachigen Begriffe nur aus
reiner Angeberei gewählt werden, um der
Welt zu zeigen: Auch ich kann englisch!
Meist stellt sich bei jenen Menschen je-
doch heraus, dass sie nicht einmal ihre
eigene Muttersprache richtig beherr-
schen. Und das ist trotz der nachgebrab-
belten Amerikanismen ein Armutszeug-
nis höchster Güteklasse! Amerikanismen
zu verwenden finden diese Leute dann
besonders taff, obwohl sie wohl kaum
wissen, dass die deutsche Bedeutung
dafür nicht nur zäh, sondern auch
schwierig, grob, brutal, übel heißt. Aber
woher sollen sie das wissen, wenn sie
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nicht einmal richtig Deutsch sprechen
können?
Dass parallel zur Amerikanisierung
die deutsche Sprache „verwässert“ wird,
indem die Grammatik immer schludriger
angewendet wird, ist eine andere Sache,
wobei ich nicht die neue Rechtschrei-
bung meine, die mir gegenüber der alten
in sich logischer und liberaler erscheint.
So hat sich im Laufe der Zeit mehr und
mehr die Unsitte eingebürgert, alle Ge-
gebenheiten in der Gegenwartsform zu
erzählen. Besonderen Anteil daran haben
Nachrichtensendungen und das Fernse-
hen, aber auch die anderen Medien. Da
kann man dann beispielsweise hören
(oder lesen): „Amokläufer bringt Men-
schen um”, oder „... am Samstag fährt die
junge Mutter auf der B-Sowieso und wird
in einen Unfall verwickelt“. Oh Schreck!
Woher wissen die Fernsehleute das
schon am Donnerstag? Oder wie kürzlich
gehört: „Königinmutter stirbt im
Buckingham-Palast”. Wo soll sie wohl
sonst sterben? Doch der Sinn der Mel-
dung ist ein ganz anderer: sie starb darin.
Gerade die letzte Meldung zeigt, wie
eine Botschaft durch Wahl der falschen
Zeitform im Sinn verändert werden kann.
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Fremdsprache Deutsch?
Und in den beliebten „Wissenschafts-
sendungen” im Fernsehen hört man dann
Dinge wie „Im Jahre X fallen die Mongo-
len in Europa ein”. Hilfe! Die Mongolen
kommen? Stimmt denn dann die Jahres-
angabe, wann sie hier einfallen sollen?
Ach so, das war schon. Warum sagt man
dann nicht korrekterweise „sie fielen
dann und dann in Europa ein”?
Durch diese mehr oder weniger ge-
steuert aussehende Volksverdummung
durch Kastrierung der Sprache haben
heute schon Schulkinder größere Pro-
bleme, sich richtig artikulieren zu kön-
nen. Sie sind es – woher wohl? Aus dem
Fernsehen – gewöhnt, alles in der Gegen-
wartsform auszudrücken. Und was im
Fernsehen gezeigt (und gesprochen)
wird, hat für diese Generation den gleich
hohen Wahrheitsgehalt wie für frühere
Generationen die Zeitung: „Es steht in
der Zeitung, dann stimmt es auch!”.
„Ich gehe spazieren und dann sehe ich,
wie ein Unfall passiert!”. Ja was denn?
Bist du hellsichtig, dass du schon weißt,
was passieren wird? Ach, es war schon
vorgestern. Warum sagst du das dann
nicht?
Hier scheint ein Mangel im schuli-
schen Bereich vorzuliegen, das die Ei-
genheiten der deutschen Sprache den
Schülern anscheinend nur ungenügend
übermittelt hat.
Problematisch wird es, wenn Bücher
oder Autoren zitiert werden, was in der
Gegenwartsform geschieht, denn das
Buch liegt ja heute vor, auch wenn es vor
zwanzig Jahren geschrieben wurde. Doch
auch hier wird nicht differenziert. Der
Autor schrieb das Buch, aber er be-
schreibt darin einen Vorgang. Das ist für
uns Heutige wohl zu kompliziert, und so
verfrachtet man einfach alles in die Ge-
genwartsform.
Genauso schwierig scheint es zu
sein, Vorgänge, welche heute ebenso gut
passieren können von solchen, die pas-
siert sind, zu unterscheiden. Denn auch
hier wird einfach alles in die Gegenwart
transferiert.
Dass bei solchen Vereinfachungen
jede Menge Missverständnisse auftreten
können, liegt wohl auf der Hand.
Wir sollten uns unserer Sprache mehr
bewusst werden und nicht teilweise sinn-
loses Zeug nachplappern. Unsere Spra-
che ist schließlich nicht nur ein tägliches
Kommunikationsmittel.

EFODON-SYNESIS Nr. 4/2002