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GESAMMELTE DRAMEN

TORSTEN SCHWANKEE

SALOMO

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(König Salomo in seiner Halle. Abenddämmerung, der Neumond im Osten.)

SALOMO
Ich drehe meinen Ring des Salomo,
Der mir beschert die Künste der Magie.
Gott selber weihte mich in die Magie
Der Weisheit ein und die geheimen Künste.
Als König bin ich einzigartig einsam
Und habe keine Freunde in der Welt.
Mein Vater David hatte Jonathan,
Doch mir gab Gott auf Erden keinen Freund.
Doch Gott gab mir zu Freunden seine Geister
Und gab mir Macht in diesem Siegelring,
Die guten Geister Gottes zu beschwören.
Euch Throne rufe ich, ihr heißet Götter,
Euch Seraphim, der Liebe Feuerschlangen,
Euch Cherubim, der Klugheit gute Geister,
Euch Mächte, Herrschaften und Fürstentümer,
Erzengel euch und alle guten Geister,
Dich, guten Genius des Hohenpriesters,
Euch, Patriarchen und Matronen alle
Und alle Heiligen des Gottesbundes!
Desweiteren beschwör ich mit dem Ring
Euch Huris, ihr des Paradieses Frauen,
Euch Peris, ihr die Elfen der Natur,
Euch Dschinnen, ihr geheimnisvollen Geister,
Kommt, betet an den allerhöchsten Herrn!
Nun rufe ich die Instrumente Davids,
Die Harfe, die den Herrn als Hirten pries,
Das Saitenspiel, das sang das Lied der Jugend,
Die Flöte mit der Melodie der Lilien,
Die Gittith mit dem Lied der fremden Taube!
Gott gab als seiner Weisheit Gnadengabe
Mir auch die Kunst, die Vögel zu verstehen,
So rufe ich mit meinem Siegelring
Den Adler von dem Gipfel des Baschan,
Den Lämmergeier von dem Mahl des Aas,
Den Falken, Sonne der Gerechtigkeit,
Und Gottes heiligen Milan der Weisheit!
Ich ruf die Nachtigall der Rose Gottes,
Ich ruf den Sperling von der Lilienaue,
Ich ruf die Turteltaube der Astarte
Und rufe Hudhud! Hallo? Wo ist Hudhud?
CHOR DER GEISTER
Komm, Hudhud, lieber Schelm! Der König ruft!
HUDHUD
Hier bin ich, o mein Vater und mein König!

ZWEITE SZENE

SALOMO
Mein Hudhud, Liebesvogel Wiedehopf,
Du Heiliger der göttlichen Astarte,
Als ich die Vögel alle zu mir rief,
Mein Hudhud, warum bist du nicht gekommen?
HUDHUD
Ich war in weiter Ferne, denn ich flog
Umher, die ganze Erde zu beschauen.
SALOMO
Was hast du denn gesehn auf dieser Erde?
HUDHUD
Du bist berühmt bei allen Völkerstämmen!
Ich war in Persien und sprach die Dichter,
Sie nannten dich den Größten aller Dichter.
Ich war in Babylon bei den Chaldäern,
Die nannten dich den größten Magier.
Ich war in Hindostan bei Mutter Ganga,
Sie nannten dich den Ersten der Brahmanen.
Ich war in China bei den Philosophen,
Da warst du Bräutigam der Mutter Tao.
Ich war in Japan in dem Gelben Meer,
Man nannte Kaiser dich von Gottes Gnaden.
Dann war ich in Amerika und sprach
Die Indios, sie nannten dich die Schlange
Der Weisheit mit den Quetzalvogelfedern.
Dann kam ich zu den nördlichen Barbaren,
Sie nannten dich den friedlichen Druiden.
Dann war ich bei den Skythen in dem Osten,
Sie priesen dich als Bräutigam der Weisheit.
Dann war ich bei den Griechen in Athen,
Sie sprachen, du seist schlauer als Odysseus.
Ich war in Roma auf den sieben Hügeln,
Man nannte dich den wahren Pontifex.
Dann kam ich in das schwarze Afrika,
Hinab ins schwarze Abessinien,
Es herrschte dort die Königin von Saba,
Die aber hat noch nie von dir gehört!
SALOMO
Hat sie denn von dem wahren Gott gehört?
HUDHUD
Sie hob die Arme auf zur Sonne Gottes
Und betete die Sonne an als Gott
Und neigte sich und küsste Mutter Erde
Und betete die Erde an als Göttin.
SALOMO
So soll die Königin mich kennenlernen,
Dann will ich sie bekehren zu dem Herrn.

DRITTE SZENE

(Nacht, Vollmond. Die schwarze Königin von Saba betet in ihrem Tempel.)

BILKIS
O Göttin du des makellosen Mondes,
Dich will ich feiern in der dunklen Nacht!
Als junger Sichelmond am hohen Himmel
Bist du die unbefleckte Mädchengöttin,
Als Mädchengöttin in dem weißen Kleid
Hältst du die Lilie der Jungfräulichkeit.
Als runder praller Vollmond an dem Himmel
Bist du die Mutter und die Liebesgöttin,
Die Brüste quellen aus dem roten Kleid,
Als Frau liebst du der Liebe rote Rose.
Als schwarzer Neumond schließlich an dem Himmel
Bist du die greise Dame voll der Weisheit,
Im schwarzen Witwenkleid der Todestrauer
Bist du die Schicksalsspinnerin, der Tod.
Dann aber wiederum erscheint die Göttin
Als Himmelskönigin und reine Jungfrau!
So ewig sind des Mondes Perioden,
In immergleichem Wandel der Natur
Bestätigt sich die Ewigkeit des Lebens.
Nun aber, meine hohe Göttin-Herrin,
Erscheinest du als Vollmond an dem Himmel,
O pralle Göttin, prangende Granate,
Ich hör die Bienen summen in den Rosen
Und Hochzeit feiern in dem Bienenstock!
Regiert wird ja der goldne Bienenstaat
Von einer großen Bienenkönigin,
Sie wählt die Freier sich zum Hochzeitsschlaf
Und tötet ihre Freier in der Hochzeit,
Die andern aber dienen ihr als Sklaven.
Mondgöttin, ich, die Königin von Saba,
Bin Bienenkönigin von Göttin Gnaden,
Du sende einen Freier diesen Sommer,
Daß tödlich ich die Hochzeit zelebriere,
Den kleinen Liebestod des Hochzeitsschlafes!

(Hudhud flattert herein mit einem Brief in dem Schnabel.)

HUDHUD
Heil dir, o schwarze Königin von Saba!
Dies ist ein Brief von König Salomo.
BILKIS
So lies den Brief von König Salomo.
HUDHUD
Gebenedeite schwarze Königin,
Vermähle dich in Weisheit mit dem Herrn!
Besuche du den König Salomo,
Der sich der Weisheit seines Herrn vermählt!

VIERTE SZENE

(Salomo auf seinem Thron, dem Sedes Sapientiae. Vor ihm steht der Erzengel Gabriel.)

SALOMO
Hochheilig-lieber Engel Gabriel,
Ich habe gestern in der Mitternacht
Gebeten deine Heiligkeit, den Thron
Der Königin von Saba herzubringen.
Hast du mir meinen Sehnsuchtswunsch erfüllt?
GABRIEL
(Zieht einen Vorhang zur Seite und offenbart den Thron der Königin von Saba.)
Hier ist der goldne Thron der Königin!
SALOMO
Sie hat mir mitgeteilt, sie werde kommen,
Sie wolle prüfen, ob ich weise bin,
Sie hörte das Gerücht von meiner Weisheit
Und will nun schauen, ob es Wahrheit ist.
Ich aber prüfe auch die Königin,
Ob sie sei eine wahre Königin,
Sei wahre Königin von Gottes Gnaden.
O Engel Gottes, du bist Gottes Kraft,
Verwandle diesen Thron der Königin
In einen schlichten Stuhl von Zedernholz!
Dann will ich schauen, ob die Königin
Hellsichtig ihren Gnadenstuhl erkennt.
GABRIEL
Dein frommer Wunsch ist eins mit Gottes Willen.
(Gabriel verhüllt den Thron und zieht den Vorhang wieder ab, da steht ein schlichter Holzstuhl.)

HEROLD
(Bläst das Widderhorn)
Es naht die benedeite Majestät
Und schwarze Königin von Gottes Gnaden,
Bilkis, die schönste Königin von Saba!
SALOMO
Willkommen, o Holdseligste der Weiber!
BILKIS
Gegrüßet seist du, König Salomo!
Als Weiser thronst du in dem Thron der Weisheit!
SALOMO
O schöne schwarze Königin von Saba,
Ich habe hier für deine Majestät
Nur diesen schlichten Stuhl von Zedernholz.

(Sie schaut den Stuhl aufmerksam prüfend an und spricht dann mit wissendem Lächeln.)

BILKIS
Der Stuhl aus schlichtem Holz vom Zedernstamm
Ist wahrlich würdig meiner Majestät,
Denn wo die Königin von Saba thront,
Wird jeder Stuhl zum Gottesgnadenthron!
SALOMO
O wahre Königin von Gottes Gnaden!

FÜNFTE SZENE

(Salomo führt Bilkis in eine Halle, deren Boden mit Saphiren, Aquamarinen und Lapislazuli
bedeckt ist wie ein steinernes blaues Meer.)

SALOMO
O Königin Bilkis, dein Ruhm ertönt
Im ganzen Weltkreis, deiner Schönheit Ruhm,
Im Jemen preisen Menschen deine Schönheit
Und in Äthiopien die schwarzen Frauen
Lobpreisen dich als Schönste aller Frauen!
Ich glaube wohl an deine Wunderschönheit,
Doch will ich schauen deine Wunderschönheit!
Ich möchte deine schwarzen Beine schauen,
Ob sie so schön wie Flanken der Gazelle?
BILKIS
Ich weiß von weißen Frauen in dem Alter,
Die Beine gleichen dicken Marmorsäulen,
Durchzogen von Saphiren blauer Adern,
Besetzt mit Stacheln wilder Schweineborsten!
SALOMO
Doch deine Beine, schwarze Königin,
Verhüllst du mit dem langen Seidenkleid!
Du trägst ja nicht wie die Ägypterinnen
Den kurzen Rock bis auf die Oberschenkel!
Nein, keusch trägst du das lange Seidenkleid,
Sein Saum fällt auf die nackten schwarzen Füße.
BILKIS
Doch wie, o Salomo, du weiser König,
Hast du das Meer gelenkt in deine Halle?
Ich, schwarze Königin der heißen Wüste,
Sah nie das Meer, ja nicht einmal im Traum,
Nun seh ich hier ein himmelblaues Meer!
SALOMO
Tritt nur hinein und bade deine Füße!
BILKIS
Doch dass nicht naß wird dieser Seidenrock,
Heb ich den Seidenrock bis zu den Schenkeln.
SALOMO
Frau Weisheit, du gibst listenreichen Einfall,
Der einfallsreiche Dulder wird belohnt
Von deiner Gnade mit der Schau der Schönheit!
O diese Flanken der Gazelle! Jamben
Der braunen Hindin! Schwarzes Ebenholz
Und schlanke Pfeiler, schwarzem Onyx gleich!
Und wahrlich, nicht ein Haar auf ihrem Bein!
Die schwarze Königin rasiert die Beine
Mit Bimsstein! Ich bewundre deine Schenkel!

SECHSTE SZENE

(Abendmahlstafel. Salomo, Bilkis und ihre Dienerin Charmion.)

SALOMO
O schwarze wunderschöne Königin
Bilkis, ich möchte bräutlich mit dir schlafen!
BILKIS
O Salomo, ich schlafe nicht mit dir,
Du bist nur scharf, weil die Gewürze scharf sind.
SALOMO
O Charmion, du süße Dienerin,
Dann laß mich doch mit dir im Bette schlafen!
CHARMION
Ich folg in allem meiner Königin.
SALOMO
Dann greift nur tüchtig zu beim Abendmahl.
BILKIS
O Salomo, der Curry und der Pfeffer,
So scharf die Schoten von der Paprika!
SALOMO
Wenn ich mit euch nicht schlafen darf im Bett,
Dürft ihr auch nichts berühren in der Halle.
Rührt etwas ihr in meiner Halle an,
Müßt ihr mir eure Liebe bräutlich schenken.
BILKIS
Ich bin nun müde, ich will nun ins Bett.
CHARMION
Ich möchte nur noch schlafen, schlafen, schlafen!

(Bilkis und Charmion ab. Der Saal verdunkelt sich. Salomo sitzt im Dunkel. Eine Zeit Stille. Dann
erscheint Charmion im Nachthemd.)

CHARMION
(Flüsternd)
O Götter! Einen Schluck vom kühlen Wasser,
Es brennen die Gewürze mir im Mund!
BILKIS
(Erscheint im Nachthemd)
O Charmion, du hier, und du trinkst Wasser?
O Göttin, einen Schluck vom kühlen Wasser,
Der schwarze Pfeffer war so heiß und trocken!
SALOMO
(Zündet eine Kerze an.)
Bei Gott! Ihr rührtet beide etwas an,
So darf ich bräutlich mit euch beiden schlafen!
BILKIS
Was rührten wir schon an? Nur etwas Wasser!
SALOMO
Ist Wasser nicht das Alleredelste?
Wenn du gepilgert durch die heiße Wüste,
Scheint Wasser mehr dir wert zu sein als Gold!
Bilkis und Charmion, kommt in mein Bett!
Mein Gott, mein Gott, ich bin im Paradies!

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Salomo im Sedes Sapieniae, Bilkis zu seiner Rechten im Thron der Königin des Südens.)

BILKIS
Die Zeit der Frauen ist die gute Zeit,
Das Zeichen dieser Zeiten ist die Frau.
Ich meine aber, dass in jeder Frau
Im Innern lebt verborgen eine Göttin!
Was aber sagst vom Wesen du der Frau?
SALOMO
Drei Frauen sah ich an in meinem Geist:
Frau Torheit ist ein wildes dummes Weib,
Die Fremde Frau ist schön, doch lebt in Unzucht,
Frau Weisheit ist das Ebenbild des Herrn.
BILKIS
Frau Torheit sollst du einmal mir beschreiben.
SALOMO
Ein wildes, unverständiges Geschöpf.
Sie weiß sehr wenig, doch sie schwatzt sehr viel,
Sie lädt die Kinder in die Küche ein
Und bietet ihnen an gestohlnes Fleisch,
Denn was verboten ist, das liebt sie sehr.
Die Kinder in der Küche der Frau Torheit
Sehn: Totengeister wohnen in dem Haus.
BILKIS
Ein Narr, wer da hereinfällt auf Frau Torheit,
Wen Gott liebt, den bewahrt er vor der Dirne.
Doch sag mir etwas von der Fremden Frau.
SALOMO
Sie sagt zu einem heißentflammten Manne:
Mein Ehemann ist heute nicht zu Hause,
Komm, lass uns Liebe machen, Liebe machen!
Bettdecken hab ich aus Ägyptens Stoffen,
Sind parfümiert mit der Ägypter Ölen.
Der Jüngling zwängt sich zwischen ihre Schenkel
So wie der Mörder geht zu seinem Henker.
Denn süß wie Honig sind des Weibes Lippen,
Doch nach dem Beischlaf ist sie bittre Galle.
Die Männer lauern gern vor ihrer Schwelle,
Doch ihre Schwelle ist der Hölle Schwelle.
BILKIS
Gefährlich ist das Weib mit ihren Reizen,
Man braucht die Gnade Gottes, zu entkommen!
Frau Weisheit aber sollst du mir beschreiben.
SALOMO
Frau Weisheit hat den Ursprung in dem Herrn,
Sie ist von Adel, denn sie ist von Gott,
Ist Gottes Spiegel, Gottes Ebenbild,
Ist rein und fromm und gut und lieb und heilig!
Ich habe ihre Schönheit liebgewonnen
Und will sie mir zur Ehefrau gewinnen.
Denn jener ist ein Gottgeliebter, der
Frau Weisheit sich vereint in treuer Ehe.

ZWEITE SZENE

(Die Königin von Saba in ihrem Thron, Salomo kniet vor ihr.)

SALOMO
Bilkis, wenn ich an deinen Namen denke,
Dann höre Worte ich in meinem Herzen:
Allmächtige Gebieterin und Göttin,
Geliebte, allerhöchste Majestät!
Dann reißt es mich auf meine Knie herab,
Zu beten in der Religion der Liebe.
BILKIS
Ist heute nicht der Frühlingstag der Liebe?
SALOMO
So schließe deine Augen, Königin,
Und strecke deine schlanke Hand hervor.

(Sie schließt die Augen, reicht die Hand, Salomo schmückt ihr rechtes Handgelenk mit einem
Muschelarmband.)

BILKIS
O schönes Armband! Welche schönen Muscheln!
SALOMO
Ich bat den Herrn: O Herr, am Tag der Liebe
Gib mir die schönste Blume für Bilkis,
Die sinnlichste, erotischste der Blumen,
Erotisch wie Pantoffeln der Astarte!
Der Herr erhörte mein Gebet und sandte
Zu mir den Geist der Weisheit, der mir zeigte
Dies Muschelarmband. Diese Muscheln sind
Erotisch wie Pantoffeln der Astarte.
BILKIS
So willst du mir beweisen deine Liebe?
SALOMO
Ich liebe dich allein von allen Frauen,
Ich liebe aber nicht wie ordinäre,
Ich liebe dich wie extraordinäre
Gelehrte, wie die Philosophenjünger
Von Alexandrien die Göttin Isis,
Wie Philosophenjünger von Atlantis
Atlantis’ Königin, die Jungfrau Klito,
Ich liebe dich wie Philosophenjünger
Von Palästina die Sophia Gottes!
Denn deine Schönheit ist das Ebenbild,
Die Schönheit der Sophia ist das Urbild,
Das Urbild offenbart sich in dem Abbild,
Die Philosophen aber lieben nicht
Das Bild in Sünde und in Sterblichkeit,
Sie lieben in dem Ebenbild die Gottheit,
Den Glanz der Gottheit auf dem Ebenbild!
So liebe ich die Königin von Saba
Und so die Matronita Israels
Und so allein die göttliche Sophia!

DRITTE SZENE

BILKIS
Frau Weisheit nennst du göttliche Sophia,
Ich dachte aber, du glaubst an den Herrn,
Wer ist denn diese göttliche Sophia?
SALOMO
Bevor das Universum war erschaffen,
War Gott allein in seiner Einsamkeit.
Der Herr erzeugte und gebar Sophia,
Der Herr ist nämlich abgrundtiefes Schweigen,
Sophia aber ist das Wort des Herrn.
Der Herr sieht nun Sophia, seinen Liebling,
Und wie ein Vater seinen Liebling liebt
Mit Vaterstärke und mit Vatergüte,
So liebt der Liebling auch den Ewigvater
Mit Dankbarkeit und mit Gehorsamkeit.
Die Liebe zwischen Jahwe und Frau Weisheit
Ist Geist des Herrn und Geist der Weisheit.
Und menschenfreundlich ist der Geist der Weisheit,
Vom Herrn gegossen in die Menschenherzen,
So dass die Menschenherzen voll des Geistes
Die göttliche Sophia bräutlich lieben
Und in Sophias Namen lieben Gott.
BILKIS
Doch Gott der Herr wird auch genannt der Schöpfer,
Ist denn Sophia eine Schöpferin?
SALOMO
Die Philosophen Alexandrias
Von Einer Gottheit reden, einem Schöpfer,
Sophia als die Seele aller Schöpfung
Ist Gottes Braut, die Himmelskönigin,
Gott zeugte in der göttlichen Sophia,
Da kam aus diesem Akt hervor der Geist,
Der Geist der Engel und der Menschengeister,
Der Geist begab herab sich in die Schöpfung
Und ward zum Schöpfergeist in der Natur.
So Gott der Herr ist Schöpfer aller Welt,
Sophia ist des Weltalls Schöpferin,
Der Geist ist Schöpfergeist in der Natur.
BILKIS
Drei Götter glaubst du so und bist ein Jude?
SALOMO
Ein Gott ist Gott der Herr, ein Gott allein!
BILKIS
Ist Gott der Herr, wer ist dann die Sophia?
SALOMO
Gott ist als Schöpfer zeugendes Prinzip,
Sophia ist Empfängnis, ist das Nichts.
Der Schöpfer schuf aus Nichts die ganze Welt,
Der Schöpfer schuf das Weltall aus Sophia,
Sophia ist das Urbild aller Wesen.
BILKIS
Wir Frauen aber glauben an den Stoff,
Die Ur-Materia, die Magna Mater.

VIERTE SZENE

(Nacht. Salomo allein, betend.)

SALOMO
Sophia, schon in meiner Kindheit habe
Ich deine junge Schönheit liebgehabt,
Ich habe dich gesucht in Gottes Schriften
Und bat im Tempel, dass ich dich erlange.
Bevor ich reiste in der Welt umher,
Hab deine Güte ich gesucht im Tempel.
Ich freute mich an deinen Frühlingsblüten
Und freute mich an dir wie an den Trauben,
Den prallen Trauben an dem schwangern Weinstock.
Ich dank den Meistern, die mich Weisheit lehrten,
Ich betete zu dir, die Hände faltend,
Du tatest auf die Tür, ich schaute dich,
Sah deine Schönheit makellos und rein.
Ich habe deine Schönheit liebgewonnen
Und möchte dich zur Ehefrau gewinnen.
Du bist ja eine gute Ehefrau,
Denn wenn ich Reichtum will an guten Dingen,
Du bist ja Schöpferin der guten Dinge,
Und wenn ich Wissen will, geheimes Wissen,
Du kennst ja die Geheimnisse des Herrn,
Und wenn ich Kunst will, fromme Poesie,
Und wenn ich wirken will als Architekt,
Erzkünstlerin bist du und Gottes Wort,
Du bist fürwahr des Kosmos Architektin,
Als Gottes Wort bist du die Göttin Sprache,
Und such ich Tugend, Kraft und Frömmigkeit,
Du spendest Klugheit, Keuschheit, Maß und Kraft
Und die Gerechtigkeit, die gilt vor Gott,
Du offenbarst den Glauben an den Herrn,
Du schenkst die Hoffnung auf das Paradies,
Die Gottesliebe und die Nächstenliebe
Sind dein Geschenk, du Vielgeliebte Gottes!
Die Frauenliebe sonst beschert Verdruß
Und üblen Überdruß an Weibertorheit,
Die Frauenliebe sonst beschert viel Trübsal,
Viel Kummer, Schwermut, Pein und Qual und Leiden
Und bitterliche Schmerzen in dem Herzen,
Die eheliche Liebe zu Sophia
Beschert Glückseligkeit im Geiste Gottes
Und Süßigkeit und Wonne, Lust an Gott!
Und so beschließe ich in dieser Nacht,
Dich als geheimnisvolle Ehefrau
Als Ehemann Sophias heimzuführen.
Was sagt zu dem Gebet das Wort des Herrn?

(Salomo schlägt die Schriftrolle der Propheten auf und liest:)

Ich will mich dir verloben, spricht der Herr!

FÜNFTE SZENE

(Salomo und Bilkis im Palastgarten.)


BILKIS
Ist nicht die schwarze Erde unsre Mutter?
Von Mutter Erde sind gemacht die Menschen,
Im Tod sie kehren in den Schoß der Erde,
Sie ruhen in dem Mutterschoß der Erde.
Soll ich die Erde nicht als Göttin lieben,
Die Muttergöttin mit den breiten Brüsten?
Und siehe die Erhabenheit der Bäume,
Sie streben zu dem Himmel voller Kraft,
Sie sind ja selbst Symbol der Gotteskraft,
Die Säulen, die den Himmel und die Erde
Vereinen in geheimnisvoller Hochzeit.
Soll ich die Bäume nicht als Mittler ehren,
Als Lebensgeister voll vitaler Kraft?
Ja, sie sind Geister, die ich oft umarme!
Und schau die weiße Sonne an dem Himmel!
Stammt nicht vom Kosmos alle Energie?
Die Energie der Strahlen kommt von oben,
Und Mond und Sterne in des Kosmos Ordnung
Regieren die Geschicke aller Menschen.
Die Sonne ist ein Gott der Energie!
Doch über Mutter Erde, Vater Sonne,
Und über Mond und Meer und Berg und Baum
Die Eine Gottheit waltet, Große Mutter
Ist sie, die Große Göttin der Natur!
SALOMO
Ein Dummkopf ist, wer eine Marmorgöttin
Anbetet, denn die schönste Marmorgöttin,
Die ich gesehen, hatte keine Arme.
Meinst du, man könnte an der Marmorgöttin
So schön geformten Brüsten kindlich saugen?
Schon klüger scheinen mir die Menschen, Frau,
Die in der Herrlichkeit der Erde und
Der Herrlichkeit des Himmels Götter denken.
Groß ist die Herrlichkeit der Mutter Erde
Und wundervoll die Herrlichkeit des Himmels!
Doch sollten solche klugen Menschen auch
Bedenken, wer die Herrlichkeit geschaffen!
Mein Kind, schau diese schöne Frühlingsblume,
Du siehst die Schönheit wohl mit deinen Augen,
Doch denk in deiner menschlichen Vernunft,
Daß Gott die Schönheit dieser Blume schuf.
Kann solche Schönheit wie der Rose Schönheit
Von einem Schöpfer kommen, der nicht schön wär?
Ist nicht der Schöpfer solcher Schöpfung schöner
Als alle Schönheit seiner Schöpfung? Gott
Ist Ursprung aller Schönheit, klare Quelle
Der Schönheit, alle Schönheit ist in Gott,
Die Schönheit der Bilkis und die der Rose
Hervorgehn aus der Gottheit der Urschönheit:
Jehowah ist Urgottheit der Urschönheit!
DRITTER AKT

ERSTE SZENE

(Salomo und Bilkis vor der Weinschenke. Es weht die rote Fahne der Liebe mit dem goldenen
Morgenstern.)

SALOMO
Bilkis, komm in die Schenke meiner Liebe!
Wir wollen trinken, denn berauschend ist
Die Liebe wie der Schaumwein in der Schenke!
BILKIS
Ist dies die Schenke, da du dich berauschst?
Ist dies die dunkle Höhle deiner Liebe?
SALOMO
Es ist die feuchte Grotte meiner Tränen!
Hier rauscht der Quell, der inspiriert den Dichter!
BILKIS
Ach, Schaumwein inspiriert den Dichter Gottes?
Ich dächte, inspirierend sei der Geist?
SALOMO
Der Geist verkörpert sich im Geistgetränk,
Die Wahrheit inkarniert sich in dem Wein.
Komm zu dem feuchten Sakrament der Liebe!
BILKIS
Hier darf ich saugen an den prallen Trauben,
Die baumeln an dem Rebzweig schwangern Weinstocks!
SALOMO
Wie fruchtbar ist der Weinberg meiner Liebe!
Ein Liebeslied vom Weinberg will ich singen!
Die Liebe ist die Fruchtbarkeit des Weinbergs,
Sie lässt den Weinstock seine Reben breiten
Und lässt die Reben tragen pralle Trauben
Und lässt die Trauben schwanger sein mit Blut
Und in dem roten Blute wohnt die Seele
Und in der Seele glüht die trunkne Liebe!
BILKIS
So küsse mich mit weinbenetzten Lippen!
Denn trinken will ich nicht den Wein aus Bechern,
Viel lieber leck ich ihn von deinen Lippen
Und sauge roten Wein von deinem Mund!
SALOMO
O, deine Brüste sind wie pralle Trauben,
Draus sauge ich den edlen Wein der Liebe!
Dein Becken aber gleicht dem breiten Becher
Mit Mischwein der Vereinigung in Liebe!
BILKIS
Und wie der Wein sich mischt mit meinem Blut
Und wie der Wein sich mischt mit deinem Blut,
Sind wir vereint wie Trauben an dem Weinstock
Und leben von dem Lebenssaft des Weinstocks!
SALOMO
Gott macht ein Zelt für uns in seinem Weinberg,
Da saugen wir an Gottes Mutterbrüsten
Die Milch der Liebe und den Wein der Weisheit!

ZWEITE SZENE

(Abenddämmerung. Im Garten an dem Gartenteich.)

SALOMO
O dreimal heilig, Mutter Afrikas,
Die Welt ist voll von deiner Herrlichkeit!
BILKIS
O dreimal heilig, König Israels,
Dein Ruhm erfüllt die Nachwelt aller Zeiten!
SALOMO
Lob deiner Schönheit, Königin der Nacht,
Wie groß ist meine Liebe doch zu dir!
BILKIS
Wie schön du bist, du Liebling der Astarte,
Wie heiß ist mein Verlangen doch nach dir!
SALOMO
Geliebte, meine Liebe ist gewaltig
Und ewigwährend wie die Pyramiden,
Die Liebe löschen nicht Jahrhunderte!
BILKIS
Geliebter, meine Liebe ist wie Zedern,
Ist stärke als der Elemente Götter!
SALOMO
Die Knaben kommen von der Erde Enden,
Die Labsal deiner Schönheit aufzusaugen!
BILKIS
Die Weisen kommen aus dem fernen Osten,
An deiner Weisheit Wein sich zu betrinken!
SALOMO
Die feinen Hände meiner Vielgeliebten
Sind Spenderinnen schöner Gnadengaben!
BILKIS
Und deine Feuerarme, mein Geliebter,
Umrauschen mich wie wilde Meeresbrandung
Und deine Stimme gleicht dem freien Wind!
SALOMO
Ich sah der Hathor Tempel in Ägypten,
Der Schönheit Göttin war dein Ebenbild!
BILKIS
Die Zedern, die du malst in deine Fahne,
Und die Zypressen von Elischa sind
Dein Haus, in dem du wohnst, der Tempel Gottes!
SALOMO
Wie schön ist deine Liebe, Vielgeliebte,
Wie hoffe ich auf deiner Liebeswonne
Ekstase in dem Akt der Ewigkeit!
BILKIS
Wie lieb ich deine Großmut, mein Geliebter,
Wie schön sind deine herrlichen Geschenke!
BILKIS
Geliebte, du bist wie ein Jungfraunacker,
Da blühen Keuschheits-Lilien, Liebes-Rosen
Und Königs-Zedern, Königin-Zypressen!

DRITTE SZENE

(Nacht. Gassen von Jerusalem. Salomo allein.)

SALOMO
O Nacht der Schwermut auf Jerusalem,
Schwarzafrika ist schwarz, die Nacht ist schwarz,
Mein Haar ist schwarz, mein Blut ist schwarz, und schwarz
Das Universum drückt mich schwer hernieder.
Es ist im schwarzen All ein schwarzes Loch,
Das saugt mich ein, das Loch der Traurigkeit.
Für meine Traurigkeit gibt es kein Maß
Auf Gottes Waage der Gerechtigkeit.
Wohin denn fließen all die Trauertränen,
Die ich geweint schon hab in meinem Leben?
Ob meine Trauertränen Sterne werden,
Ob meine Trauertränen Perlen werden
Im Diadem der Himmelskönigin?
Und meiner Augen ungeweinte Tränen,
Die stummen Trauertränen meines Herzens,
Wer zählt sie, sammelt sie in einen Schlauch?
Ist denn in meinem Inneren ein See,
In dem die ungeweinten Tränen warten?
Und hat das Schicksal mir vorherbestimmt,
Wieviele Tränen ich noch weinen muß?
Und darf ich schweben erst ins lichte Jenseits,
Wenn ich die Tränen alle ausgeweint?
Doch was sind denn die Tränen meiner Augen
Und meiner Augen Tau aus Salz und Wasser,
Verglichen mit den Tränen meines Herzens,
Mein Herz weint Trauertränen, die aus Blut sind,
Mein Herz ist voller Kummer, voller Trauer,
Weil niemand meine schöne Liebe will!
Ich sterbe einen Tod aus Traurigkeit,
Nur schlafen möchte ich in Ewigkeit!
Wen in der Götter Himmel soll ich rufen,
Wer hört mich in den Ordnungen der Götter?
Serapis wollt ich rufen! Ach, ein Weiser
Hat mich gelehrt, Serapis sei kein Gott,
Serapis sei der Sarah Enkelsohn,
Milchweißer Sarah Lieblingsenkel Josef,
Den einst Ägyptenland zum Gott verklärt!
Serapis-Josef, tröste Salomo,
Laß mich in deinem Becher Zukunft schauen!

(Die Morgenröte erscheint im Orient.)

Jehowah, Auferstehung von den Toten!


Ich schau die Jungfraungöttin Morgenröte,
Die Mädchengöttin makelloser Schönheit,
Die Offenbarung ewigjunger Hoffnung,
Gott in Gestalt der reinsten Mädchenschönheit!

VIERTE SZENE

(Salomo und Bilkis Hand in Hand vor dem Libanonwaldhaus, da Mutter Bathseba wohnt, eine
Dame mit grauem Haar und der würdigen Schönheit einer frommen Greisin.)

SALOMO
Bilkis, komm mit zur Hütte meiner Mutter,
Der Mutter Segen ist der Segen Gottes.
Bilkis, weißt du auch, was ein Jude ist?
Ein Jude, das ist einer Jüdin Sohn.
Bilkis, und weißt du, was die Bibel ist?
Die Bibel ist wie eine greise Mutter,
Die ihrem Enkelkind erzählt von Gott.
Weißt du, wie ich den ersten Psalm gelernt?
Nicht David lehrte mich den ersten Psalm,
Nicht Nathan lehrte mich den ersten Psalm,
Bathseba lehrte mich den ersten Psalm!
Bilkis, weißt du, wie ich zum Dichter wurde?
Als Kind sang ich ein Lied für meine Mutter,
So wurde ich zum Liebesdichter Gottes.
Bilkis, komm mit in meiner Mutter Haus,
Denn meiner Mutter Haus ist Gottes Tempel.
BILKIS
Wird sie mich akzeptieren, wie ich bin,
Wird sie Respekt erweisen einer Schwarzen,
Wird sie die Heidentochter herzlich lieben?
SALOMO
Hab Mut, sei ohne Furcht und sei getrost,
Groß ist die Mutterliebe der Bathseba!

(Sie treten ein.)

Heil Mutter, Königin von Israel!


BATHSEBA
Mein Sohn! Wie schön zu hören deine Stimme!
Was ist dein Wunsch und was ist dein Begehr?
SALOMO
O Mutter, sieh die Königin von Saba,
Ich bitte dich von Herzen: Segne sie!
BATHSEBA
O schöne schwarze Königin von Saba,
Ich sehe mit den Augen meines Herzens,
Du hast ein gutes Herz, du liebes Kind!
BILKIS
O Mutter Salomos, so segne mich!
BATHSEBA
Der Karmel ist ein Berg der Fruchtbarkeit,
Der Karmel ist ein Berg der Prophetie,
Der Karmel ist ein Berg der Nacht der Weisheit,
Der Karmel ist ein Berg der Liebeshochzeit!
Der Gott vom Berge Karmel segne dich
Mit Gottes Segnungen von Brust und Schoß!

FÜNFTE SZENE

(Salomo und Bilkis ruhen auf einem Diwan, im Hintergrund der Eingang zum Schlafgemach mit
einem verschleierten Bett.)

SALOMO
Das Blut des Mannes, der vor Liebe brennt,
Es kocht und pocht und gischtet wie das Meer
Und in der Meeresgischt des Mannesblutes
Der Same schäumt und in dem Samen rauscht
Als Schöpferin die Ruach ha kadosch,
Die Lebens Odem ist und Wind und Geist.
BILKIS
In Afrika die Weisen von Ägypten
Schaun an den gelben Nil, den großen Vater,
Er senkt sich nieder, schafft die Fruchtbarkeit.
So sagen unsre Lehrer, dass der Samen
Entsteht in dem Gehirn des Mannes oben
Und senkt hernieder sich ins Rückenmark
Und sammelt sich im liebsten Glied des Mannes.
Im Liebesakt die Frau liegt aber oben
Und aus dem liebsten Mannesglied empfängt
Die Frau, sie wird befruchtet durch den Mund,
Lenkt dann den Saft ins weibliche Gehirn
Und lenkt den Samen nieder in den Schoß.
SALOMO
In Alexandria die Weisen sagen,
Im Schoß des Weibes ist ein Eierstock.
BILKIS
Der Uterus der Frau hat sieben Kammern,
Drei rechts, drei links und eine in der Mitte.
Kommt nun der aufgeschäumte Mannessame
Im Schoße in die erste rechte Kammer,
Gebiert die Mutter heldenhafte Männer,
Kaufleute kommen aus der zweiten Kammer,
Poeten aus der dritten Kammer, nämlich
Dort wachsen melancholische Gelehrte.
Die mittlere der Kammern aber bringt
Hervor die androgynen Zwitterwesen.
Im Schoße in der ersten linken Kammer
Gebiert die Mutter starke Königinnen,
Hausfrauen in der zweiten linken Kammer,
Hetären in der dritten linken Kammer.
Hetären sind so schön wie Aphrodite
Und taugen nicht zur Hausfrau oder Mutter,
Geeignet sind sie für des Königs Harem.
SALOMO
Du bist nun eine starke Königin,
Ich wollt du wärst mir Mutter meines Sohnes
Und bist zugleich von venusgleicher Schönheit!
Komm, laß im Bett uns zeugen einen Sohn!

VIERTER AKT

ERSTE SZENE

(Die schwarze Königin von Saba mit einem schwarzen Baby an der nackten Brust. Salomo
streichelt des Kindes Haupt.)

BILKIS
Jetzt habe ich dir einen Sohn geboren.
SALOMO
O Sohn, gehaucht von Gottes Geist dein Geist,
Von Gott geatmet deine Engelsseele
Ins Fleisch im Augenblicke deiner Schöpfung,
Gott zeugte dich, Gott ist dein wahrer Vater,
Dein Himmelsvater in der Ewigkeit!
Gott gab in deine Seele Gottes Bild,
Dein Seelenfunke stammt vom Feuer Gottes,
Als Gott dich schuf, gab Gott in deine Seele
Ein kleines Fünklein Gott, so Gott von Gott
Und Licht vom Lichte ist dein Seelenfunke,
Du bist ein einzigartiges Geschöpf
Und sollst auf Erden Gottes Antlitz spiegeln
Auf eine Art und Weise wie kein andrer.
Die Allmacht Gottes schuf dich aus dem Nichts,
Die Weisheit Gottes wohnt in deiner Seele,
Die Liebe Gottes ist dein Lebensatem!
Die Allmacht Gottes schenk dir Lebenskraft,
Die Weisheit Gottes schenke dir Vernunft,
Die Liebe Gottes schenke dir die Freude!
Aus Gott gekommen bist du, Gottes Bild,
Gott lebt in dir, das Leben deines Lebens,
Du kehrst zurück zu Gott in Ewigkeit,
Aus Gnaden Gottes Gott in Gott zu sein!
BILKIS
O Salomo, o welch ein Vatersegen!
Ich aber spende ihm den Muttersegen:
Mein süßes Baby, süßer noch als Honig,
Schau ich dich an, so blüht mein Herz als Rose!
Empfange du am Handgelenk dies Perlenkettchen,
Denn alle heißen Tränen meiner Wehen
Geworden sind zu Perlen meiner Wonne,
So sollen alle diese bunten Perlen
Das Zeichen sein für Glück und Lust und Wonne!
Und wenn das Schicksal Schmerzen dir bestimmt,
Das Schicksal gebe mir die Schmerzen alle
Und mir allein die Perlenschnur der Tränen
Und schenke dir allein die süße Wonne
Und nichts als Perlen der Glückseligkeit!
Die Gottheit schenkte mir dich liebes Kind,
Ich will mein Kind der lieben Gottheit schenken,
Der Liebe, die wie eine Mutter liebt!

ZWEITE SZENE

(Salomo im Thron empfängt den Propheten Nathan im Kamelhaarmantel.)

SALOMO
Was möchte mein Prophet von seinem König?
NATHAN
Ich möchte dir von einem Vater sagen,
Der König war im goldenen Palast
Und eine Tochter hatte. Die Prinzessin
War die Geliebteste des Vaterherzens
Und gleicher Königswürde wie der Vater.
Nun wollte dieser Vater die Prinzessin
Vermählen einem wunderschönen Jüngling
Und wollte so den schönen Jüngling adeln,
Einführen in den goldenen Palast,
Einswerden lassen mit des Vaters Tochter
Und Wohlgefallen finden bei dem Vater.
Auch die Prinzessin liebte diesen Jüngling
Und schenkte ihm verheißungsvolles Lächeln
Und lud ihn ein zu Traubenblut und Brot.
Der schöne Jüngling aber voller Wollust
Sich wandte von der herrlichen Prinzessin
Und als Verlobter der Prinzessin ging
Der wüste Sünder in das Hurenhaus
Und hurte mit den Huren, Satans Töchtern.
Was soll geschehen mit dem wüsten Jüngling?
SALOMO
Barmherzig ist der Vater in dem Himmel,
Er rufe diesen Jüngling, umzukehren,
Den Huren, Satans Töchtern, abzuschwören,
In Buße umzukehren zur Prinzessin,
Auf seinen Lippen Worte seiner Buße,
In seinen Händen Opfer seiner Liebe,
Dann bitte er um Gnade die Prinzessin!
NATHAN
Du selber bist der wunderschöne Jüngling,
Sophia ist des Vaters Eingeborne,
Die Königin von Saba ist die Hure.
SALOMO
Ah weh mir, weh mir! Doch ich lieb sie sehr!
Geworden ist sie Mutter meines Sohnes!
Mein Sohn soll König werden Israels!
NATHAN
Ein Heide auf dem Thron des Sohnes Davids?
Nun nenne ich dir deines Gottes Willen:
Schick fort die Königin und ihren Sohn!
SALOMO
Ah weh mir, Gott mein Vater in dem Himmel,
Nimm mir die schwarze Königin von Saba,
Doch lass bei mir den Sohn nach meinem Herzen!
NATHAN
Gehorche Gott als Sklave Seines Willens!
SALOMO
Geschehe Gottes Wille! Weh mir, weh mir!

DRITTE SZENE

(Salomo, Bilkis und ihr Sohn.)

SALOMO
Bilkis, ich scheide nun von deiner Schönheit,
Du wunderschöne Labsal meiner Augen,
Das Schönste, was ich jemals sah auf Erden,
Die Augenlust und Welt und Fleischeslust
Und alle Frauenschönheit muß ich lassen,
Um Gottes dunkles Angesicht zu suchen,
Das finstre Licht der Majestät der Gottheit!
Wie schwer ist es, zu scheiden von dem Fleisch,
Wie schwer, zu lassen von der süßen Lust
Des Mannes an dem Leibe der Geliebten,
Um in der Finsternis des nackten Glaubens
Zu nahn der Gottheit über alle Gottheit!
BILKIS
Ich weiß, du liebtest mich, o Salomo,
Dein Blick von trunken-glühender Begierde
Hat meinen Körper in sich aufgesogen
Und so im Innern deiner Seele immer
Wird locken dich der Reiz der Weiblichkeit
Und meine Schönheit wird in deiner Seele
Dich locken in den Pfuhl der süßen Unzucht!
Du willst dich nahen deinem Gott und Herrn?
Ich werde auferstehn in deiner Seele
Und mit Erotik deinen Geist berauschen!
Du willst als reiner Geist zur Gottheit treten?
In Wollust wirst du meinem Fleisch versklavt!
SALOMO
Wenn du auch keinen Segen für mich hast,
Ich hab doch einen Segen für den Sohn!
MENELIK
O Schlomo, Schlomo! Laß mich nicht allein!
SALOMO
Du wirst ein Kaiser über Kaiser sein,
Wirst Afrika bereiten dem Messias!
Sohn Salomos und Enkel König Davids,
Von Gottes Gnaden wirst du Kaiser sein,
Schwarzafrika dem Menschensohne weihen!
O Menelik, o Menelik, mein Liebling,
Schau, ich vertraue dir die Lade an,
Die Lade unsres Bundes mit dem Herrn!
Bewahre allzeit in Schwarzafrika
Die Bundeslade unsres Herrn und Gottes
Und deine Majestät von Gottes Gnaden
Vertraue an der Bundeslade Gottes
Und weihe Afrika der Tochter Zion!

VIERTE SZENE

(Salomo auf dem Diwan, Wein trinkend. Mädchen seines Harems singen und tanzen Bauchtanz.)

SALOMO
Wer nicht mehr die Geliebte küssen kann,
Der küsst den Becher mit dem roten Wein!
Die Jungfrau Israel ist Gottes Weinberg,
Weingärtner ist der Ewige der Scharen,
Der Weinstock ist der heilige Messias,
Die Reben sind die Kinder des Messias,
Die Trauben sind der schönen Liebe Werke!
Was wisst ihr denn vom heiligen Messias?
Die Rabbis prophezeien den Messias,
Wenn der Messias kommt, dann strömt der Wein!
Dann in dem Friedensreiche des Messias
Die Trauben sind von solcher Größe, dass
Zwei Männer sie allein nicht tragen können!
Denkt doch an Kaleb, an den Sohn Jefunnes,
Und denkt an Josua, den Sohn des Nun,
Die Riesentrauben Kanaans getragen!
Den Kindern Israels verheißt die Gottheit
Das hochgelobte Land von Milch und Honig.
Den Gottessöhnen aber Gott verheißt
Das hochgelobte Land von Fleisch und Wein!
Ja, Fleisch begehre ich, das Fleisch, das Fleisch,
Fleisch will ich speisen, des Messias Fleisch!
Nicht Leviathans Fleisch, den großen Fisch,
Nein, speisen will ich des Messias Fleisch!
Doch trinken will ich des Messias Blut,
Das Traubenblut des trunkenen Messias!
O komm doch, dionysischer Messias,
Messias du der Tochter Israels
Und der Dionysos von Griechenland,
Komm, dionysischer Messias, komm,
Das Wasser frommer Reinigung verwandle
In Weinblut mystischer Ekstase!
Ja, trunkne Freude spendet der Messias,
Der trunkene Messias wird berauschen
Und seine wahre Religion wird Wahn sein,
Der Gotteswahn der wahren Religion,
Der Weisheit Wahn der wahren Philosophen,
Der Musenwahn der heiligen Poeten!
Dreifaltig ist der Wahn des Genius,
Der Künstler schaut im Wahn die nackte Schönheit,
Der Weise schaut im Wahn die wahre Weisheit,
Der Jünger schaut im Wahn das finstre Licht
Der überwesentlichen Übergottheit,
Der Liebe, Gottheit über alle Gottheit!

FÜNFTE SZENE

(Salomo und zwei Rabbis.)

SALOMO
Vergeblich ist das Leben auf der Erde,
Umsonst ist alles, was ich jemals trieb!
Ich baute einen Weinberg, einen Garten,
Dahin ist, was ich auf der Erde baute!
Ich liebte aller Menschensöhne Wonne,
Die Frau und einen Harem schöner Frauen,
Und alles war nur Putz und Eitelkeit!
Ich wandte mich zu Sang und Saitenspiel,
Da war nur Eitelkeit und Ruhm der Torheit!
Zur Weisheit wandt ich mich der Philosophen,
Der eine nennt die Seele reines Feuer,
Der andre nennt die Seele Tropfen Tau,
Das alles war vergebliches Studieren!
Ich suchte Weisheit, wie man eine Frau sucht,
Frau Weisheit aber blieb dem Sucher fern,
Wie unausforschlich ist der Grund der Welt
Und Gott Geheimnis der Geheimnisse!
Ach, da verdroß mich dieses Erdenleben,
Der Allerunvernünftigste bin ich,
Ein Wurm bin ich, ein Hund und eine Motte,
Bin Staub vom Staub und Asche von der Asche!
ERSTER RABBI
Du hast die melancholische Verzweiflung
Geschrieben in dem Buche Koheleth
Und deiner Weisheit ewiger Refrain
War nichts als: Alles sinnlos, alles sinnlos!
Und so vergiftest du die fromme Jugend!
Ja, sinnlos ist das Treiben auf der Erde,
Wenn nicht mehr bleibt als Leiden dieser Erde,
Dann ist das Dasein nur absurde Leere!
Doch schau das Leben an im Angesicht
Der Ewigkeit und sinnvoll wird das Ganze,
Die Tränen werden da zu Himmelsperlen,
Die Leiden werden da zum Troste Gottes!
ZWEITER RABBI
Du irrst dich, Salomo, so klug du bist,
Es ist nicht alles sinnlos auf der Erde!
Der Wein ist doch der Mutterschoß der Wahrheit,
Die inspirierenden Berauschungswonnen
Verzücken doch den Weisen schon auf Erden,
Und erst der Beutel! O mein Salomo,
Der vollgefüllte Beutel eines Mannes!
SALOMO
O Vanitas, du Eitelkeit der Welt!
O Venustas, du Herrlichkeit der Welt!

DIE TREUE-PRÜFUNG
FRAU
Ich liebe wahrlich meinen lieben Mann,
Er ist doch meines Herzens Ideal.
Am Anfang waren wir so sehr verliebt,
Doch denk ich nun, er hat mich nicht mehr lieb.
Auch schläft er nicht mehr bei mir in dem Bett,
Denn wenn er abends von der Arbeit kommt,
Dann zieht er sich zurück mit seinem Bier
Und schläft allein auf seinem Sofa ein.
Ich aber rase fast vor Eifersucht
Und denk, er hat bestimmt ein andres Weib,
Er schläft gewiß mit einer andern Frau.
Wie aber soll ich je das überprüfen?
Doch da kommt meine liebe Busenfreundin,
Ich sag ihr, was mir auf dem Herzen liegt.
FREUNDIN
Du, Schwester, schaust so traurig und betrübt.
FRAU
Ach Freundin, denken muß ich allezeit,
Daß mein Gemahl mit einer andern schläft,
Doch weiß ich nicht, wie ich das prüfen soll.
FREUNDIN
Da rufe du nur an das Gottesurteil.
FRAU
Was für ein Gottesurteil, liebe Schwester?
FREUNDIN
Du musst ein Eisen richtig glühend machen
Und schwören lassen deinen Ehegatten,
Ob er dir treu gewesen oder nicht,
Dann nehme er das Eisen in die Hand,
Und wenn er treu gewesen seiner Gattin,
Wird ihm das Eisen nicht die Hand verbrennen.
FRAU
Dann bitt ich dich, erhitze mir das Eisen,
Mein Ehemann kommt gleich von seiner Arbeit,
Dann soll das Gottesurteil ihn bewähren.

(Die Freundin ab. Die Frau lässt schwermütig den Kopf hängen. Der Mann tritt ein. Küsschen hier,
Küsschen da.)

MANN
Mein liebes Weib, was schaust du denn so traurig?
FRAU
Mein Mann, du hast mich gar nicht mehr so lieb,
Wie du am Anfang mich so lieb gehabt.
Alleine muß ich schlafen in dem Bett,
Du sitzt allein beim Bier in deiner Kammer.
Ein Küsschen hier, ein Küsschen da, mein Mann,
Das ist mir nicht genug an Leidenschaft!
Doch weil du nicht mehr lieb zu deiner Frau bist,
Darum ist meine Liebe auch erloschen.
Ich glaube ganz gewiß, du gehst mir fremd
Und schläfst mit einem andern Weibe heimlich.
MANN
Ach liebes Weib, was bist du eifersüchtig!
Was plagst du mich mit deiner Eifersucht!
Nach jungen schönen Frauen schau ich nicht,
Ich schwörs bei den Gebeinen meines Vaters.
FRAU
Mann, schwören mit der Zunge ist zu leicht,
Da weiß ich nicht, ob du die Wahrheit sprichst.
MANN
Ach Frau, versteh mich doch, ich bin so müde
Allein von meinem langen Arbeitstag,
Und all die Mühen meiner schweren Arbeit
Und all die Sorgen um das liebe Geld,
Da schläft die Liebe ein. Mehr ist es nicht.
FRAU
Du kannst mir viel erzählen, lieber Mann,
Ich aber will die reine Wahrheit kennen
Und prüfen dich mit einem Gottesurteil.
Du nimm ein heißes Eisen in die Hand,
Und bist du treu, verbrennst du nicht die Hand.
MANN
So hol das Eisen nur zum Gottesurteil.
FRAU
Die liebe Freundin macht das Eisen heiß,
Ich gehe jetzt und hol das heiße Eisen.
(Frau ab. Mann allein, spricht leise mit sich selbst.)
MANN
Ich nehme diese Hölzer in die Hand,
Ganz heimlich. Heb ich dann das Eisen auf,
Verbrennt das Holz, doch nimmer meine Hand.

(Die Frau und die Freundin kommen zurück, das glühende Eisen auf einer Schale tragend.)

MANN
Gegrüßet seist du, liebe Busenfreundin,
Dein guter Rat war wohl das Gottesurteil?
FRAU
Nicht lang herumgeredet, lieber Mann,
Da liegt das heiße Eisen, heb es auf,
Dann sehe ich, ob du die Wahrheit sprichst.

(Mann hebt das glühende Eisen auf. Nach einer kleinen Weile legt er es lächelnd wieder auf die
Schale. Heimlich lässt er die Hölzer fallen.)

FRAU
Zeig deine beiden Hände, lieber Mann.
Ja, ist das möglich? Beide unverbrannt!
Nun weiß ich, lieber Mann, dass du mir treu bist.
FREUNDIN
Dann ist ja alles gut, geliebte Freundin,
Wie gut doch, dass du mich um Rat gefragt.
MANN
Nun, Busenfreundin, ist an dir die Reihe,
Heb du das heiße Eisen auf, bezeuge,
Daß deinem Manne du stets treu gewesen.
FREUNDIN
Wo denkst du hin? Ich, meinem Manne treu?
Der Gatte schafft das liebe Geld heran
Und holt von dem Gemüsemarkt das Essen
Und bringt die lieben Kinder in das Bett.
Doch kenn ich einen Kerl – das ist ein Kerl!
Ein Meister in der Liebeskunst des Bettes!
Mit dem vergnüg ich mich im Ehebruch.
MANN
Dann, liebe Frau und eheliche Gattin,
Nimm du das heiße Eisen in die Hand,
Bezeuge, dass du mir stets treu gewesen.
FRAU
Was sprichst du da? Du kennst doch meine Tugend,
Du weißt, Gemahl, dass ich ein guter Mensch bin,
Daß ich die Heiligkeit der Ehe ehre
Und glaube an bedingungslose Treue,
Die treue Liebe, bis der Tod uns scheidet.
MANN
Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach.
Nimm nur das heiße Eisen in die Hand.
FRAU
Zuvor, Gemahl, muß ich dir was gestehen:
Der Priester der Marienkirche kam
Zu mir am Nachmittag zu Tee und Kuchen
Und gab mir dabei Glaubensunterricht.
Ich aber hatte solche Rückenschmerzen,
Da bot er an, die Hände aufzulegen.
Der Priester also legte mir die Hände auf
Und streichelte den schmerzensreichen Rücken
Und streichelte die schmerzensreiche Schulter,
Die schmerzensreiche nackte Schulter küssend.
MANN
Bei meiner Liebe, Frau, dir sei vergeben.
Nimm aber nun zur Hand das heiße Eisen.
FRAU
Nur einen Augenblick Geduld, mein Mann!
Der Priester der Marienkirche küsste
Die nackte Schulter, küsste dann den Hals,
Umschlang dann leidenschaftlich meine Hüfte
Und drückte seinen Leib an meinen Leib.
MANN
Bei meiner Liebe, Frau, dir sei vergeben.
Nun aber nimm zur Hand das heiße Eisen.
FRAU
Mein Mann, doch höre erst noch das Geständnis,
Daß nun der Priester der Marienkirche
Anbetend kniete hin vor mir und sprach,
Er kann das Zölibat nicht mehr ertragen
Und wollte lieben mich in dieser Zeit
Und lieben mich in aller Ewigkeit!
Er nahm mich leidenschaftlich in die Arme
Und drückte seine Brust an meine Brüste!
MANN
Bei meiner Liebe, Frau, dir sei vergeben,
Nun aber nimm zur Hand das heiße Eisen.
FRAU
Gleich, lieber Mann, doch höre erst mich an!
Der Priester der Marienkirche kniete
Vor mir anbetend, legte dann sein Haupt
In meinen Schoß, als wolle er zurück
In seiner Mutter Schoß, und streichelte
Liebkosend glühend meine straffen Schenkel!
MANN
Ist das nun alles, Frau, was zu gestehen?
Nimm endlich in die Hand das heiße Eisen,
Wenn mehr nicht war, dann will ich dir vergeben,
Bezeuge nun, dass du mir treu geblieben.

(Die Frau nimmt das glühende Eisen und lässt es schreiend fallen.)

FREUNDIN
Laß sehen, meine liebe Busenfreundin.
Schau an, die Hände beide sind verbrannt!
Du selbst bist schuld, du armer Ehegatte,
Vergib nur deiner liebsten Ehegattin
Und schlafe wieder nachts bei ihr im Bett!
Nun zelebriert die ehelichen Pflichten...

DIE GOTTES-EHE

ERSTE SZENE

CHRISTUS
Jehowah, eine Braut hab ich erwählt,
Die ich von ganzem Herzen lieben will
Und will in ihrem Mutterschoße zeugen
Und Kinder mit ihr haben, viele Kinder!
JEHOWAH
Mein Sohn, wer ist die Braut, die du erwählt?
CHRISTUS
Schau zu der Erde, dort ist meine Braut,
Die Schwarze Eva hab ich auserwählt.
JEHOWAH
Die Schwarze Eva ist doch eine Heidin!
Kann der Messias Israels erwählen
Zur Ehegattin eine Heidentochter?
Wie oft hab ich durch die Propheten doch
Gewarnt die Söhne Israels vor Frauen
Aus andern Völkern, vor den Heidentöchtern,
Wie haben die Propheten doch gewettert,
Misch-Ehen aufzulösen zwischen Töchtern
Der Heiden und den Söhnen Israels!
Und diese Schwarze Eva? Schau sie an,
Wie schwarz ihr Haar ist, schwarz wie Rabenflügel,
Wie braun ihr Antlitz, wie verbrannt von Sonne,
Wie schwarz das Kleid ist, damit sie sich kleidet!
Schau dort die Florentinerin, die Dame,
Ganz weiß ist sie, ganz vornehm ihre Blässe,
Wie licht die rötlichenblonden Lockenfluten,
Wie edel ihr Gewand aus Gold und Purpur,
Die Florentinerin erwähl zur Braut!
SANKT MICHAEL
Jehowah, allerhöchster Herr und Gott,
Die Schwarze Eva ist zwar schwarz, doch schön!
Schau doch die Bildung ihres Körpers an,
Ein Engel wollt umarmen ihre Hüfte!
Schau an der Schwarzen Eva breites Becken,
Der Inbegriff der Fruchtbarkeit ist dies,
Wieviele Kinder könnte sie gebären!
Und nähren könnte sie die Kinder auch,
Betrachte nur die Pracht der vollen Brüste,
Wie wölben fruchtbar sich die Mutterbrüste
Und drücken sich die Spitzen ihrer Brüste
Liebreizend durch ihr Brusttuch, träufeln Milch,
Sie quellen über schon von Muttermilch,
Von Milch des Trostes für die Söhne Christi!
JEHOWAH
Mein Sohn, ich habe dir bereits gesagt,
Daß schwarz die Schwarze Eva, schwarz und bräunlich.
Schau doch die Florentiner Dame an,
Wie schlank ihr weißer Leib, wie lilienschlank,
So schlank und lang wie weißer Lilie Stengel,
Wie schlank die Beine und wie schlank die Arme,
Wie sie mit rötlichblonden Lockenfluten
Die wohlgeformten festen Brüste deckt,
Die kleinen Brüste, die jungfräulich straffen,
Die weißen Brüstchen ohne Muttermal!
SANKT MICHAEL
Jehowah, allerhöchster Herr und Gott,
Schau dir der Schwarzen Eva Antlitz an,
Schau dir die Stirn an, die gedankenreiche,
Die Form der Nase, die charaktervolle,
Schau dir die Augen an, die Abendsterne,
Die schauen in sich, schauen Unsichtbares,
Schau dir die schöngewölbten Wangen an,
Die glühen purpurrot vor Scham der Liebe,
Schau dir die Lippen an, den vollen Mund,
Wer möchte diesen vollen Mund nicht küssen?
Und ist ihr Lächeln nicht bezaubernd, Gott?
Ihr Lächeln schon mach selig ihren Freier!
Schau auch die Ohren an, die Muschelohren,
Die nichts so gerne wie die Weisheit hören,
Schau dir die Zähne an, die strahlendweißen,
Wie Perlenschnüre oder Elfenbein,
Dann kehre wieder zu den süßen Lippen
Und lieber noch als diesen Mund zu küssen
Willst du der Lippen Plaudern immer hören.
Denn wenn sie spricht, so redet eine Seele!
Sie liebt die allgemeine Menschenliebe,
Der Demut Inbegriff ist ihre Seele,
Die Seele ist erfüllt von süßer Sanftmut,
Barmherzig ist die Seele, allverzeihend,
Verstehend ist die Seele, klug und weise,
Sie liebt die eheliche Treue sehr
Und sucht mit Herzen und Verstand die Wahrheit.
Wenn dich das Wunder ihres Angesichts
Noch nicht betört, das Wunder ihrer Seele
Betört dich sicher, Herr, mein Gott und Schöpfer!
JEHOWAH
Mein Sohn, nun bin ich überzeugt und lobe
Die Schwarze Eva, Inbegriff der Anmut,
Voll Liebreiz, Lieblichkeit und süßem Charme.
Berauschend ist die Schönheit ihres Körpers,
Verehrungswürdig ist ihr Angesicht
Und Gottes Heiligtum die schöne Seele!
Geh hin, mein Sohn, und freie deine Braut,
Beschenke sie mit meinen Brautgeschenken,
Du schenke ihr bedingungslose Liebe
Und die Erleuchtung durch das Licht der Weisheit
Und Initiation in das Geheimnis
Der Kraft der schöpferischen Weisheit Gottes.
Schenk ihr Erlösung, seelische Befreiung,
Schenk ihr ein fleischern Herz voll schöner Liebe,
Erwähle sie zur Braut, intimen Braut,
Und wohne bei der Schwarzen Eva, Christus!

ZWEITE SZENE

DER KÖNIG
Ich will für meinen vielgeliebten Sohn
Gewinnen eine Frau zur Ehefrau.
Soviel ich aber schaue in der Welt
Mich unter Frauen um, ich finde keine
Geeignete Gemahlin meinem Sohn.
Die eine hält den Sohn für nichts als Fleisch;
Die findet, dass sie größer ist als er;
Die nennt ihn zwar, doch denkt an einen andern;
Die will nur Fleischeslust und nicht die Treue;
Die hält den Königssohn für einen Teufel;
Die meint, er ist von einem fremden Volk;
Die denkt, er sei nicht weltgewandt genug;
Die will den Prinzen nur als Diener haben.
Ach wehe, wehe über alle Weiber!
Ist nicht noch eine liebe Frau auf Erden?
Ich will aus meinem himmlischen Palast
Hernieder auf die Erde steigen, um
Zu schaun nach einer Gattin für den Prinzen.
Dort! Jene Frau gefällt mir übermaßen!
Wer bist du, o du wundervolle Frau?
DIE FRAU
Ich bin ein Nichts! Ich bin nur Staub vom Staube!
Mein Vater selig war ein armer Sklave
Und meine Mutter lebt als ärmste Witwe,
Ich aber bin die Sklavin eines Sklaven!
DER KÖNIG
Du allerärmste Sklavin eines Sklaven,
Du Nichts, ich bin der König aller Welt,
Ich möchte mit dir reden, hör gut zu.
Ich bin der gute Vater in dem Himmel
Und tröste auch wie eine liebe Mutter.
Mein ist das Reich, die Macht, die Herrlichkeit
Und du sollst mir geliebte Tochter sein.
DIE FRAU
Es sind ja nicht so sehr die Worte, die
Du sprichst und die ich oftmals schon gehört,
Doch dass du selber mit mir sprichst, o König,
Daß du es bist, der mit mir redet, Vater-
Und Mutterliebe, Herr in deiner Herrschaft,
Und dass ich Sklavin höre, wie du sprichst,
Daß ich begreif, dass du lebendig bist,
Herr, dass du lebst, o Vater, und mich liebst,
Das macht mich nun so unaussprechlich glücklich,
Ich könnte tanzen wie die Himmelsengel,
Umarmen möchte ich die ganze Welt
Und aller Kreatur verkünden glücklich
Und lachend, glücklich lachend: Gott ist Liebe!
DER KÖNIG
Nun kennst du mich, den Vater in dem Himmel,
Nun werde Ehefrau des Königssohnes!
Denn wer zum König will ins Himmelreich,
Den Weg muß gehen mit dem Königssohn.
Du sollst des Königssohns Geliebte sein!
DIE FRAU
Ich habe jetzt erkannt in meinem Nichts:
Der König in dem Himmel ist die Wahrheit,
Der Sohn des Königs ist der Weg zur Wahrheit,
Der Weg zur Wahrheit aber ist die Liebe.
DER KÖNIG
Nun schließ die Augen, schaue meinen Sohn!
DIE FRAU
Am hellen Tag träum ich den schönsten Traum
Und sehe mich im Innern meiner Seele,
Im Brautgemach der Seele, in dem Bett,
Und bei mir ist der schöne Königssohn,
Entkleidet mich und küsst mich auf den Mund
Und liebt mich ehelich als Ehemann!
Geheimer Mystik Sexualität...
Wie zärtlich liebte mich der Königssohn
Und wie geborgen ruhte ich bei ihm.
DIE SCHLANGE
Erlösung durch die Sexualität,
Erleuchtung durch die Sexualität
Will ich dich lehren und Geheimnisse,
Den urgeheimnisvollen Königssohn
Der Urmysterien des Altertums,
Urweisheit von dem Anbeginn der Zeit,
Die Urmaterie, welche älter ist
Als Geist, die schwarze Mutter lehr ich dich,
Den schwarzen Schatten vor der weißen Sonne,
Dein Schicksal deut ich nach dem Sternenstand
Und lehre dich Magie, geheime Heilkunst
Und Tastsinn für den Kräftestrom der Erde.
DIE FRAU
Du Schlange bist ja ein Symbol der Weisheit,
Der Urmaterie Urmysterien
Und die Geheimnisse astralen Schicksals
Will ich erforschen und die Energie
Der großen, schwarzen, alten Mutter Erde.
Was ist den Vater, Reich des Himmels, Geist?
Ich will der Mutter Erde Energie!
Das Buch des Königs und des Königssohns
Will ich nicht lesen, sondern Karten lesen
Und lesen im geheimen Buch der Sterne,
Wie oft mein Geist sich schon verkörperte
Und nach dem Tode wieder sich verkörpert.
DIE SCHLANGE
Lies nicht das Buch und bete nicht zum Engel!
DIE FRAU
Wie wird mir? Wo ich geh und stehe, immer
Geschieht ein Unfall nach dem andern mir,
Dämonen stellen mir sich in den Weg
Und wollen mich wie Räder überrollen
Und mir mein Leben rauben! Todesangst
Und Grauen überfallen meine Seele!
Mir auf dem nackten Busen sitzt die Spinne!
Die Angst, der Ekel ist wie eine Hölle!
DER KÖNIGSSOHN
Ich bin der Freier meiner lieben Braut,
Im Traum war ich ihr einmal angetraut,
In mystischer Erotik Liebesakt
Der Freier nackt und die Geliebte nackt!
Ich bin der Freier meiner lieben Frau,
Ich wandele zu ihr durchs Himmelsblau
Und liebe, ob mein Herz auch bricht und stirbt,
Kein Freier so um eine Freundin wirbt!
Durchbohren laß ich mir das liebe Herz
Vom Liebespfeil, durchbohren mir vom Schmerz,
Verglühe meinen Geist in Liebesglut
Und weine heiße Tränen, rot wie Blut!
Mein Herz so sehr vor Frauenliebe flammt,
Doch fühlt mein Herz sich in die Nacht verdammt!
Kein Wort der Liebe höre ich, kein Wort,
Kein eheliches Ja, es ist wie Mord!
Unendlich tödlich ist die Traurigkeit,
Aus dem Verdammungsspruch des Schicksals schreit
Mein Herz verzweifelt, stark vom Tod bedrängt,
Ich habe mich im Geist schon aufgehängt!
Ach, dass sich meine heißgeliebte Braut
Nicht mir, sich einem andern angetraut,
Nicht meine Lippen küsst ihr süßer Mund,
Mit mir nicht schließt sie treuer Liebe Bund!
Von Ewigkeit zu Ewigkeit umwirbt
Mein Herz die Braut, selbst wenn mein Körper stirbt,
Unsterblich bleibt Verliebter doch mein Geist,
Vom Jenseits noch die Freundin an sich reißt!
Jetzt hänge ich mich auf an diesem Baum,
Zu schön ist meine Braut, zu schön der Traum
Vom Liebesakt, doch meine Braut zu stolz,
Jetzt sterb ich aufgehängt an diesem Holz!
Doch noch vom Baume streck ich aus den Arm,
Die Freundin zu umarmen liebeswarm,
Zu pressen ihre Brust an meine Brust!
Als Toter noch begehr ich sie zur Lust!

ZWEI HERRINNEN

SAPIENTIA
Ich, Sapientia, bin Caritas!
CARITAS
Ich, Caritas, bin Sapientia!
POET
Maria sprach zu mir in einer Nacht:
Nie rede schlecht du von der Caritas.
Was heißt denn Caritas, was heißt mir das,
Als Seelenkindern väterlich zu sein,
Ein Mann zu sein mit einem Mutterherzen?
CARITAS
Denkst du noch an mein herrliches Gemälde,
Wie mich ein Maler aus der Renaissance-Zeit
Gemalt? Da war ich eine Frau und Mutter,
Madonna ähnlich, Ähnlich Aphrodite,
Die Mutter ich von göttlicher Natur,
Der Gottheit drei Personen wie drei Kinder,
Drei nackte Gotteskinder, Amoretti,
So schautest du im Bild die Caritas.
POET
O Sapientia und Caritas,
Sankt Hildegard von Bingen sah euch beide,
Zwei Namen ihr für unsre Eine Gottheit.
CARITAS
Aktives Leben hab ich dich gelehrt.
SAPIENTIA
Ich aber lehrte dich zu kontemplieren.
CARITAS
Ich bin die Mutter deiner Seelensöhne.
SAPIENTIA
Du schautest mich in deiner Minnedame.
Du schautest mich auch an in der Ikone
Von Nowgorod, da Hagia Sophia
Der Engel Gottes ist, der feminine,
Zur rechten Seite steht die Muttergottes,
Zur linken Seite steht Johannes Täufer,
Der Christus aber steigt aus meinem Haupt,
Denn ich bin Mensch geworden im Messias!
Doch über der Sophia Jesu Christi
Die Engel heiligen die liebe Bibel.
CARITAS
Ich lehrte dich, aktiv wie Martha sein.
SAPIENTIA
Maria von Bethanien wies ich dir,
Die lauschte müßig nur der Weisheit Jesu.
CARITAS
Ich lehrte fruchtbar dich zu sein wie Lea
Und mütterlich zu sein den Söhnen Gottes.
SAPIENTIA
Ich lehrte dich wie Rahel schön zu schauen,
Zu schauen mit den eingekehrten Augen.
CARITAS
Doch Liebe ohne Weisheit, was ist das?
Das ist nur Weltlichkeit und Aktionismus,
Vor Liebe kommt der Mensch nicht mehr zum Beten.
SAPIENTIA
Doch Weisheit ohne Liebe, was ist das?
Die Weisheit bleibt platonische Idee,
Ein Ideal gedachter Himmelreiche,
Und ist nicht inkarniert auf Gottes Erde.
CARITAS
Ich sprach: Tu deine Arbeit nur für Gott.
SAPIENTIA
Ich sagte immer: Bete, bete, bete.
CARITAS
Ich sprach: Kreis nicht um deine eignen Leiden,
Kreis um die Leiden Gottes in der Welt
Und tröste Christus den Gekreuzigten,
Indem du tröstest arme Gotteskinder.
Du diene Gott, indem du Menschen dienst,
Du leide Christi Kreuzesleiden mit
Und kämpfe in der Welt für Gottes Reich.
SAPIENTIA
Ich sprach zu dir: Du lebe still verborgen,
Verkannt von Menschen, unbekannt der Welt,
Gesellschaft lauer Christen meide gern,
Gern meid die Toren, gern die Sünder meide,
Sei gern allein mit Gott, mit dem All-Einen.
CARITAS
Ich lehrte aber dich die Worte Jesu,
Daß jeder Mensch im Weltgericht gerichtet
Wird von der Liebe nach dem Maß der Liebe,
Denn Jesus Christus spricht als Weltenrichter:
Was ihr den Armen tut, das tut ihr mir!
SAPIENTIA
Ich lehrte dich die Weisheit Salomos,
Der sich Frau Weisheit auserkor zur Braut,
Der von Frau Weisheit Ewigkeit empfängt,
Des guten Namens ewiglichen Nachruhm
Und die Unsterblichkeit der reinen Seele.
CARITAS
Ich unterwies dich in dem Liebesweg
Teresas, dieser Mutter von Kalkutta,
Bonhoeffer wies ich dir, den Marterzeugen
Der Liebe Jesu Christi zu der Welt,
Papst Benedikt auch lehrte dich die Liebe.
SAPIENTIA
Ich schenkte dir das goldne Buch der Weisheit
Grignions, die Ganzhingabe an Maria,
Das mystische Verlöbnis mit der Weisheit,
Die Lehre Heinrich Seuses lehrt ich dich,
Zum Studium ich gab dir Solowjew,
Geheime Freundin war ihm die Sophia.
CARITAS
Ich unterwies dich auch in Kung Fu Tse,
Der lehrte Liebe in Familienbanden,
Des Vaters Liebe zu dem Erstgebornen,
Ich lehrte allgemeine Menschenliebe
Dich, wie Mo Di sie einst gelehrt in China.
SAPIENTIA
Ich lehrte dich die Weisheit Lao Tse’s,
Denn Mutter Tao ist die Gottesweisheit,
Und lehrte dich die Mystik Tschuang Tse’s,
Das Ich ganz hinzugeben an das Tao,
Frau Weisheit, die All-Seele der Natur.
CARITAS
Den Griechen war ich Göttin Aphrodite.
SAPIENTIA
Und ich war die blauäugichte Athene.
CARITAS
Ich sprach zu dir: Die Weisheit ist die Liebe.
SAPIENTIA
Frau Weisheit ist die große Liebe Gottes,
Des Schöpfers Liebe zur geliebten Schöpfung,
Die Wollust der Vereinigung des Herrn,
Des Schöpfers, mit der Gattiin, seiner Schöpfung.
CARITAS
Du liebtest Salomonis Hohes Lied,
Es ist der inspirierte Sang der Liebe.
SAPIENTIA
Frau Weisheit ist in Wahrheit Sulamith,
Frau Weisheit ist die wahre Schwester-Braut,
Frau Weisheit ist die unbefleckte Freundin.
CARITAS
Ich bin die Liebe Gottes für den Weisen.
SAPIENTIA
Ich bin die Weisheit, die den Weisen liebt.
CARITAS
Frau Liebe pries die Magdeburger Mechthild
Mich oft, Frau Liebe, Königin der Seele.
SAPIENTIA
Frau Weisheit pries die Magdeburger Mechthild
Mich oft, die Jungfrau, die da kommt von Gott.
CARITAS
Papst Benedikt schrieb einmal: Gott ist Liebe!
Die Proztestanten der Marienkirche
Berlins zur Weihnacht priesen Jesus Christus
Als den Gesandten der allschönen Liebe,
Der pries die Liebe als den schönsten Weg
Der Gottheit, als der Gottheit höchstes Wesen.
POET
O Mutter Caritas, was ist denn Liebe?
Die Liebe? Sie bereitet mir nur Schmerzen,
Ich liebte stets und wurde nie geliebt,
Die Mutter meines Leibes liebt mich nicht,
Mich liebten nie die vielgeliebten Frauen.
CARITAS
Großmutterliebe hast du doch erfahren,
Geliebt wirst du von reinen Kinderseelen,
Geliebt bist du von Unsrer Lieben Frau!
POET
Wie soll ich an die Liebe Gottes glauben,
Der ich so wenig Liebe von den Menschen
Erfahren? Meine Seele ist verletzt,
Gekränkt, mein Herz ist krank von Liebeskummer.
Die Frau, die ich in meiner Torheit liebe,
Die will auch nicht die Liebe meines Herzens,
Will nur die Weisheit meiner Nachtgedanken.
Erklär mir Liebe, Mutter Caritas!
CARITAS
Im Abendland ist Liebe eine Arbeit,
Im Morgenland Beschaffenheit des Herzens.
Du liebe Gott mit deinem wunden Herzen,
Dann geh und tu nur was du eben willst.
Du liebe Gott, so liebst du Gottes Liebe,
Wo Liebe ist, ist Gottes Gegenwart.
POET
Gott, bei den kleinen Kindern meiner Seele,
Da habe reine Liebe ich gefunden,
Herr, in der Kirche fand ich keine Liebe!
CARITAS
Ich bin die Große Mutter Caritas,
Ich lieb mit einem vollen Mutterherzen
Die vielgeliebten Menschenkinder alle!
SAPIENTIA
Ich gab dir für die lieben kleinen Kinder
Die Pädagogik Gottes, die Erziehung
Im Geist der Weisheit voller Menschenliebe.
CARITAS
Ich rufe dich bei deinem Kosenamen,
Mit dem dich deine lieben Kinder rufen.
SAPIENTIA
Beim Namen deiner Taufe ruf ich dich,
Du bist mir König, Priester und Prophet,
Gesalbter Gottes durch den Geist des Herrn!
CARITAS
Ich schenkte dir das Buch der Oden Sapphos,
Die Eine Gottheit, die sie angebetet,
Und die besungen sie in schönsten Oden,
War Aphrodite, war der Liebe Gottheit.
SAPIENTIA
Ich schenkte dir Homeros’ Odyssee,
Die Eine Gottheit, die den Dulder führte,
Sie, die Odysseus in die Heimat führte,
Frau Weisheit wars, blauäugichte Athene!
POET
Der Archetyp des kleinen Gotteskindes,
Der Archetyp des Gottes als ein Kind,
Mit welchem Namen rufe ich das Gott-Kind?
CARITAS
Der Hymnus „Caritas et Amor Dei“
Gibt dir die Antwort : Mutter Caritas
Dir offenbart den Herrn als Amor Gottes,
Messias Jesus ist der junge Eros!
SAPIENTIA
Die Weisheit war als Liebling bei dem Herrn,
Des Ewigvaters Liebling in dem Himmel
Ist Weisheit, Hätschelkind und Pflegekind!
CARITAS
Der Liebe diene! Aber was ist Liebe?
Agape ist bedingungslose Liebe,
Erotik ist die Liebe des Begehrens,
Philia ist die fromme Freundschaftsliebe,
Du weihe dich der göttlichen Agape!
SAPIENTIA
Der Weisheit diene, doch der wahren Weisheit!
Denn da ist die dämonische Sophia,
Da ist die kosmische Sophia auch,
Da ist die irdische Sophia auch,
Fleisch, Welt und Teufel, das ist falsche Weisheit.
Du diene nur der himmlischen Sophia,
Du dien allein Urania Sophia!
CARITAS
Maria in Italien ist erschienen
Und nannte sich die Königin der Liebe.
SAPIENTIA
Maria ist in Deutschland auch erschienen,
Dort preist man sie als Mutter wahrer Weisheit.
CARITAS
Poet, wenn du mit Engelszungen singst,
Poet, in schönen Menschenzungen singst,
Doch keine Liebe in dem Herzen trägst,
Bist du das Lärmen einer Narrenschelle.
Selbst wenn du allen wahren Glauben hättest
Und die Geheimnisse der Gottheit wüsstest,
In Zungen betest und prophetisch lehrst,
Ist ohne Liebe alles gar nichts wert!
Die Zungenrede wird verstummen einst,
Die Prophetie wird einmal auch vergehen,
Auch alle mystischen Erkenntnisse
Sind nur ein Schatten vor der lichten Wahrheit.
Es bleiben nur der Glaube und die Hoffnung
Und Liebe! Und die Liebe ist die größte!
SAPIENTIA
Sophia ist ein unbefleckter Spiegel
Der Allmacht und ein Glanz vom Glanze Gottes,
Sie ist die makellose Kraft der Allmacht
Und reiner Strahl des Herrn der Ewigkeit,
Sophia ist die Königin des All,
Sie herrscht von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Sophia geht in reine Seelen ein
Und macht sie zu Propheten, Gottesfreunden.
Es liebt der Herr doch niemanden so sehr
Wie den, der liebend bei Sophia wohnt.
POET
Ich habe deine Schönheit liebgewonnen
Und suchte dich als Gattin zu gewinnen,
Mit dir die Ehe bringt mir keine Schmerzen
Und keinen Missmut, sondern Glück und Wonne!
SAPIENTIA
Ich lehrte dich den Platonismus, die
Erotik Diotimas, Platons Eros,
Den Diotima Sokrates gelehrt,
Die Weisheit der platonischen Erotik
Ist Weg zum Ideal der Schönen Liebe.
Der Philosoph (ich meine deinen Platon),
Er lehrt die Weisheit und die weise Liebe,
Urania, die Aphrodite Gottes!
Der Eros, wie ihn Diotima lehrt,
Der Weisheit Priesterin, der Mittler Eros
Ist Liebe, die hinansteigt zu der Gottheit.
CARITAS
Die Liebe, die das Evangelium
Verkündet, die Agape Gottes ist
Die Liebe, die hinabsteigt von der Gottheit
Und wendet sich barmherzig zu den Menschen.
Papst Benedikt verkündet Caritas
Als Gottes Liebe, die sich frei verschenkt
Und die hinabsteigt von dem Schöpfer zum
Geschöpf, die Liebe, die herniedersteigt.
Der Papst verkündet eine Einigung
Mit Gott nicht durch des Menschen Aufstiegs-Mystik,
Dies auch, doch tiefer ist die Einigung,
Wenn Gottes Liebe sich im Sakrament
Verschenkt und eucharistisch in das Fleisch
Der Kreatur sich liebevoll versenkt!
SAPIENTIA
Die Weisheit aber kennt die Liebe auch,
Sophias Liebe zu dem Philosophen
Ist Liebe Sulamiths zu Salomo.
Sophias Liebe zu dem Ewigen
Ist Liebe wie des Hohenliedes Liebe.
Die sophianische Erotik ist
Die Mystik der geheimen Weisheits-Ehe
Mit aller salomonischen Erotik.
Sophia kennt die göttliche Agape,
Sophia mit der göttlichen Agape
Den Weisen liebt, Sophias Bräutigam,
Sophia liebt mit göttlicher Agape
Und auch mit sophianischer Erotik
Den Weisen, Hagia Sophias Gatten!
CARITAS
Maria ist als Fraue aller Völker
In Amsterdam erschienen und sie sprach
Zu Deutschlands Christen eins nur: Caritas...!
POET
Die Kirche, ist sie eine Suppenküche?
Der Mensch, er lebt doch nicht vom Brot allein.
Ich ging wohl auch den Weg der Caritas
Und diente Jesus Christus in den Kranken.
Man wird nur ausgenützt von Egoisten,
Wird ausgebeutet von den Satanisten,
Und doch bekehren sich die Narren nie,
Verstockte Sünder, Steine ihre Herzen!
CARITAS
Einst Jesus zu Faustyna sprach, der Schwester:
Sei du Barmherzigkeit für alle Menschen,
Barmherzig sei du selbst zu jenen noch,
Die kommen, deine Güte auszunützen.
POET
Swoll ich ein Sklave denn von Narren sein?
Der Sklavendienst vor gottvergessnen Narren,
Die Geißel Gottes schien es mir zu sein,
Weil beinah ich von Christus abgefallen
Und Knecht geworden wär der Heidengöttin.
Als ich mich aber zu dem Herrn bekehrt,
Nahm Gott der Gottvergessnen Rute fort,
Zerbrach den Stock des Treibers, führte mich
Zur Weisheit in die Freiheit meines Geistes.
SAPIENTIA
Gib nicht der Caritas die Schuld, mein Sohn,
Für deiner Seele Schwächen, konntest du
Doch Nein nie sagen zur Begier der Sünder
Und liebtest Sünder mehr noch als dich selbst
Und schufst den Gottvergessnen eine Heimat,
Vergaßest, dir zu schaffen eine Heimat.
Laß dich bestimmen nicht von andern Menschen,
Laß dich beherrschen nicht von Gottvergessnen.
In aller Demut achte du dich selbst,
Sei gut zu dir, in Demut vor dem Herrn
Demütig sei, doch achte du dich selber,
Sei zu dir selbst wie eine liebe Mutter.
POET
Als Knecht der Caritas war ich so friedlos,
War oft in Zorn geraten und in Rage,
Als Sohn Sophias hab ich Seelenfrieden.
SAPIENTIA
So lehrte deine Freundin Edith Stein,
Folgst du allein der göttlichen Berufung,
Ist deine Seele innerlich voll Frieden.
Läßt du von andern Menschen dich bestimmen
Und folgst nicht einzig der Berufung nur,
Ereilt dich Missmut, Ärger, Übellaune.
POET
Auch Petrus sprach dereinst zur Urgemeinde:
Apostel sollen dienen nur am Wort,
Die Diakone sollen Arme pflegen.
SAPIENTIA
Doch nun sing Lob der Mutter Caritas,
Die Gottheit selbst, die Mutter Caritas,
Sie bete an im Geist und in der Weisheit!
POET
Maria einmal sprach in Medjugorje:
Weiht euch der Liebe, nicht der menschlichen
Verliebtheit, weiht euch nur der Liebe Gottes!
Ich sprach zum Priester einmal: Aphrodite
Ist immer noch in meinem Herzen. Aber
Der Priester sprach: Gott ist die Schöne Liebe!
Die Lehre der platonischen Erotik
Mich führte zur Idee der Schönen Liebe!
Frau Liebe ist ja Heilig Geist, die Gottheit,
Die Ur-Form der Geschöpfe ist die Liebe,
Frau Liebe, die Mitschöpferin der Schöpfung!
Frau Liebe ist die Ehegattin Gottes,
Wie mich Sankt Hildegard von Bingen lehrte,
Das Mädchen Liebe ist die Braut des Herrn!
So sah ich einmal sonntags Gottes Schöpfung
Erstrahlen in der Herrlichkeit des Herrn
Und schaute einen goldnen Weg des Lichts
Im offnen Himmel bis zum Throne Gottes,
Im Weißen Thron sah ich die Schöne Liebe!
Ich sah die Schöne Liebe! Hallelujah!
CARITAS
Ich bin das Makellose Mädchen Minne!
POET
Die Liebe ist verletzt! Die Dichterin
Sprach einst: Die Liebe, die ihr blind zertratet,
Die Liebe ist doch Gottes Ebenbild!
Maria rief doch auf zur Caritas,
Maria aber sprach auch über Frankreich:
Was hab ich alles nicht getan für Frankreich,
Doch wollte Frankreich sich bekehren nicht,
Ach, armes Frankreich, du wirst leiden müssen!
Die Liebe ward verachtet, ward benutzt,
Die Liebe ward benutzt vom Egoismus,
Verhöhnt, man wollte nicht die Liebe hören,
Sie wollten nähren sich von Gottes Volk
Und dankten dennoch nicht der Liebe Gottes.
CARITAS
Ich – trotzdem – bin die Unbefleckte Liebe!
Ich nämlich bin die Makellose Minne!
POET
Ach, Minne, Minne! Weh der Minneschmerzen!
Der Eros Christi wurde zwear genossen,
Doch als der Eros Christi Jüngerschat
Und Glauben forderte von den Geliebten,
Da ward der Eros Christi abgewiesen,
Sie spielten ja nur mit dem Eros Christi,
Sie liebten alle nicht den Eros Christi,
Sie liebten alle selbstverliebt sich selber!
Es wollte keine Seele sich bekehren
Von Fleischeslust und Weltlichkeit und Teufeln,
Verschmäht ward Gottes große Leidenschaft!
CARITAS
Ich dennoch bin die Leidenschaft des Herrn,
Ich, leidenschaftliche Geliebte Gottes,
Die Gottheit, die dich leidenschaftlich liebt!
POET
Ich bete an die Macht der Schönen Liebe!
SAPIENTIA
Nun schenke mir dein Herz, Geliebter, Sohn,
Ich bin ganz dein in der Sophien-Ehe!

PETRAS MYSTISCHE VERLOBUNG


ERSTE SZENE

(Am fünfundzwanzigsten März begibt sich Petra, eine Kerze in der Hand, in die Kapelle, der
heiligen Messe beizuwohnen. Der Priester trägt einen weißen Mantel. Nach der heiligen Messe
wendet sich der Priester an Petra.)
PRIESTER
O Petra, was begehrst du von dem Herrn?
PETRA
Die herzliche Barmherzigkeit des Herrn,
Die religiöse Armut der Geweihten
Und die Gemeinschaft meiner lieben Schwestern.
PRIESTER
Wer arm im Geiste ist und nur von Gott
Verlangt die guten Gaben seiner Gnade
Und nichts als Bettlerin vor Jesus ist
Und voller Demut wie Maria ist
Und voller Sanftmut wie Maria ist,
Der wird von Gottes Angesicht gesegnet.
O liebe Petra, bist du fest entschlossen,
Bis zu dem ersten Tode auszuharren
Im Orden deiner Seele, Gott geweiht?
PETRA
Im Orden meiner Seele, Gott geweiht,
Will bleiben ich bis zu dem ersten Tode,
Mit Gottes Hilfe, ja, und mit der Hilfe
Der lieben Schwestern aus Marien Orden.
PRIESTER
Gott, der dir gab den Anfang deines Glaubens,
Gott schenke dir Vollendung deiner Weisheit
Im Orden deiner innersten Natur,
Durch Jesus Christus, unsern Meister. Amen.

(Petra legt nun alle weltlichen Kleider ab. Während sie sich entkleidet, betet der Priester.)

PRIESTER
Nun lege ab der alten Eva Kleider,
Zieh aus den Mantel der Weltförmigkeit,
Zieh aus das Kleid des Pakts mit Luzifer,
Zieh aus das Unterkleid der Fleischeslust.
PETRA
Nun bin ich eine nackte Seele, Jesus,
Nun brenne ich in großer Gier der Liebe!

(Petra begibt sich in eine Kammer zu den Schwestern, die sie mit dem weißen Kleid der Heiligkeit
bekleiden. Die alte Mutter Äbtissin winkt einer Schwester, die den gekreuzigten Christus am
Kruzifix in der Hand hält. Die Schwester reicht Petra das Kruzifix. Petra küsst den gekreuzigten
Christus. Dann stellt Petra sich zwischen zwei Schwestern, die Kerzen in den Händen halten. Der
Chor der Schwestern singt die Hymne: O Domina gloriosa! Die alte Mutter Äbtissin nimmt Petra an
die Hand. Singend wandeln sie alle in die Kapelle.)

CHOR DER SCHWESTERN


Madonna, Domina voll Herrlichkeit,
Hoch thronend thronst du überm Universum!
Der dich erschuf in ewiger Vision,
Ihn nährtest du am Gottesmutterbusen!
Was Eva uns entzog in Traurigkeit –
Du schenkst es uns durch deine Leibesfrucht!
Als Himmelsfenster öffnest du den Weg
Vom Tal der Tränen zum astralen Saal,
Du bist des hohen Königs Eingangspforte,
Du bist des reinsten Lichtes Strahlenpforte.
O Völker, jauchzt dem Paradiese zu,
Dem Paradies, das uns erschloß Maria!
Dir, Herr, sei Lobpreis, Ruhm und Herrlichkeit,
Der du geboren wurdest von der Jungfrau,
Dem Vater Lobpreis, und dem Geist der Liebe
Sei Ruhm von Ewigkeit zu Ewigkeit!
PETRA
O bitte du für mich, o Gottes Mutter,
Und mach du mich des Paradieses würdig,
Das mir verheißen hat der Neue Adam!
PRIESTER
O Gott, der du den auserwählten Orden
Der Demut und der Armut in dem Geist
Geschmückt hast mit der Herrlichkeit Mariens
Und Wunder wirktest zur Verteidigung
Der Gottgeweihten, schenke uns die Gnade,
Daß wir durch Ihre Hilfe gegenwärtig
Beschützt, getröstet und gesegnet werden,
Die wir Ihr Angedenken fromm verehren
In Ganzhingabe an Ihr reines Herz,
Und dass wir nach dem Ende unsres Lebens
Im Paradies genießen dürfen selig
Die Wonne, Unsre Liebe Frau zu loben!

(Petra kniet nieder. Die alte Mutter Äbtissin steht neben ihr. Die Schwestern nehmen auf ihren
Plätzen Platz. Im Innern der Kapelle liegen Mantel und Gürtel.)

PRIESTER
Herr, Gott der Kräfte, kehre uns zu dir
Und offenbare uns dein Angesicht,
So werden wir das Paradies erreichen.
O Petra und o Schwestern, Gott sei mit euch!
PETRA & SCHWESTERN
Und Gott der Herr sei auch mit deinem Geist!
PRIESTER
Herr, Gott der Kräfte, flehend bitten wir
Und rufen deine sanfte Milde an:
Der Reichtum deiner Allbarmherzigkeit
Purgiere diese deine Dienerin
Von allem alten Sauerteig und mache
Sie ganz bereit, das Neue zu empfangen
In Jesus Christus, unserm Meister. Amen.
SCHWESTERN
Gelobt sei Gott in Jesus Christus, Amen!
PRIESTER
O Gott der Allbarmherzigkeit, o Vater
Voll mütterlicher Allbarmherzigkeit,
Der Böses wunderbar zum Guten wendet
Und seine Gnade oft durch Sünder spendet,
Wir flehn zu deiner grenzenlosen Güte:
Es möge deiner kleinen Dienerin
Nicht Schaden bringen, dass sie Jesus folgt
Und dass zum Ruhm der hochgelobten Jungfrau
Sie nun die Weihe spricht der Gottgeweihten.
Vollziehe, Vater, durch der Weisheit Geist
Die Weihe, dir wir äußerlich vollziehen.
SCHWESTERN
Wir bitten Gott durch Jesus Christus, Amen.
PRIESTER
Herr Jesus Christus, Sohn des Ewigvaters,
Der du die sterbliche Natur der Menschheit
Im benedeiten Schoß der Jungfraumutter
Maria angelegt hast, der du kamest,
Die altgewordne Welt voll Schuld und Tod
Durch das Geheimnis der Inkarnation
In Liebe zu erneuern, Herr, wir flehen:
Durch die Gebete deiner reinen Mutter
Maria, der besonderen Matrone
Der Gottgeweihten im Marien-Orden,
Mög Petra, deine kleine Dienerin,
Erneuert werden in dem Sinn des Herzens,
Ausziehen möge sie die alte Eva,
Anziehen möge sie die neue Eva,
Maria nach dem Ebenbilde Gottes!
SCHWESTERN
Von Ewigkeit zu Ewigkeit, o Jesus,
Du lebst von Ewigkeit zu Ewigkeit!
PRIESTER
O Geist der Weisheit, der herabgekommen,
O Liebe, dich als Gott zu offenbaren,
Wir flehn zu deiner uferlosen Gnade:
Du wehst, o Atem Gottes, wo du willst,
Gewähre Petra, deiner Dienerin,
Die Inbrunst frommer Ganzhingabe, Hauch!
Durch das Gebet der allerreinsten Jungfrau
Bekehre Petra von der Eitelkeit
Der Welt, bekehre sie zur wahren Weisheit,
Und lasse eifern sie im Wettbewerb
Mit andern Gottgeweihten, Gott zu lieben
Und fromm zu sein in Demut, Sanftmut, Tugend,
In Brunst zu Gott und schwesterlicher Liebe
Zu allen Nächsten, allen Menschenkindern.
Das mögest du gewähren, Atem Gottes!
SCHWESTERN
Hauch, der du liebst mit Jesus und dem Vater!
(Der Priester tritt vor die in Demut vor Gott knieende Petra, sie einzukleiden mit dem Brautgewand
der Braut Jesu.)
PRIESTER
Dich Christus kleide mit der neuen Eva,
Die ganz als Gottes Ebenbild geschaffen,
In der Gerechtigkeit und Heiligkeit
Der wahren Weisheit, in dem Namen Gottes.

(Der Priester legt Petra den Charis-Gürtel um die Lenden.)


PRIESTER
Du gürtetest dich selbst in deiner Jugend
Und gingst den Weg, wohin du selber wolltest.
Nun, da du reif geworden bist, o Petra,
Wird Christus selbst dich gürten mit der Charis.
SCHWESTERN
In Gottes Namen: Allmacht, Weisheit, Liebe!
(Der Priester legt Petra den weißen Mantel um)
PRIESTER
Sie, die dem Lamme ohne Makel folgen,
Die gehn mit ihm in weißen Linnenkleidern.
Drum seien deine Kleider immer rein
Zum Zeichen deiner innerlichen Reinheit.
SCHWESTERN
Im Namen Gottes: Allmacht, Weisheit, Liebe!

(Der Priester taucht den Wedel in das Weihwasser-Becken und benetzt mit dem Segen der
Taufgnade Petra.)

PRIESTER
Gewähre, Gott, der kleinen Dienerin
Der Gottheit, Petra, deine schöne Gnade,
Daß sie als Jesu Jüngerin und Braut
Und als ein Glied im Corpus Mysticus
Vereinigt sei und bleibe Jesus Christus.

(Petra liegt prosterniert auf dem Gebetsteppich! Der Chor der Schwestern singt die Hymne an
Heilig Geist.)

CHOR DER SCHWESTERN


Komm, Atem Gottes, kehre bei uns ein,
Besuche du die Herzen deiner Kinder!
Erfülle alle uns mit deiner Charis,
Der Seelen schuf, du schöpferischer Hauch!
Du wirst genannt die tiefste Seelentröstung,
Vom allerhöchsten Gott das Charisma,
Du Lebensbrunnen, Liebe, Lichtglanz, Weißglut,
Des Geistes Salbung, höchstes Gut der Schönheit!
O Schatz des Herzens, Licht in sieben Farben,
O Finger Gottes, der uns führt den Weg,
Geschenk der Liebesglut vom Ewigvater,
Du, der du uns in Zungen reden lässt,
Entzünde in uns deine Glut der Liebe,
Gieß deine schöne Liebe uns ins Herz!
Stärk unsre Körper in der Sterblichkeit
Mit deiner Grünkraft voller Energie!
Vertreibe du die Feinde unsrer Seelen,
Bewahre uns in deiner Seelenruhe!
Du führe uns zu deinem schönen Lichtglanz,
Bewahre uns vor schwerer Schuld und Schwermut!
Gib, dass den Ewigvater wir erkennen,
Daß wir erkennen Jesus, unsern Meister,
Und dass als Hauch des Vaters und des Sohnes
Wir immer glauben an die Glut der Liebe!
Dem Ewigvater Ruhm im weißen Thron
Und Jesus, unserm auferstandnen Meister,
Und auch dem Trost, dem Atem Gottes, Ruhm
An diesem Tag und in der Ewigkeit!
EINE SCHWESTER
Barmherzigkeit, o Meister Jesus Christus,
Barmherzigkeit, o Heiland Jesus Christus,
Und gib uns deinen Frieden, Jesus Christus!
PRIESTER
O Pater Noster! Vater, führe uns,
Daß wir nicht den Versuchungen erliegen,
Erlös uns alle von der Macht des Bösen,
Befreie alle uns von allen Übeln!
Gebiete, Gott, in deiner starken Kraft
Und schütz die Gnade in der Seele Petras,
Schenk Heil und Heilung deiner Dienerin,
O Gott der Liebe, du bist ihre Hoffnung,
Sei ihr, o Herr, ein Davidsturm der Stärke
Und schütz sie vor dem Angesicht des Feindes,
Nicht soll der Bösewicht sie überwinden,
Der Sohn des Unheils soll ihr niemals schaden!
O Gottesmutter, bitte du für Petra,
Auf dass sie würdig wird des Paradieses!
Herr, höre mein Gebet für Petras Heil!
SCHWESTERN
Es komme unser Ruf zu deinen Ohren.
PRIESTER
Der Vater der Barmherzigkeit sei mit euch!
SCHWESTERN
Des Herrn Erbarmen sei mit deinem Geist!
PRIESTER
Gott, der die Herzen deiner Frommen du
Gelehrt durch die Erleuchtung deines Geistes,
Gib Petra in dem selben Geist der Weisheit
Geschmack am Guten, Trost an deiner Liebe,
Bewahre Petra allezeit im Frieden
Und schütz sie durch Maria vor den Feinden!
SCHWESTERN
Wir beten an die Macht der Schönen Liebe!
PRIESTER
Barmherziger Gebieter, lieber Vater,
Der Wohlgefallen hat an allem Guten,
Die Ohren deiner väterlichen Güte
Du öffne nun den Bitten deiner Kinder,
Verteidige die fromme Seele Petras,
Bekleidet mit dem Kleid der neuen Eva,
Vor aller Eitelkeit und Weltlichkeit
Und allen Hemmnissen der Erde schütze
Die Seele Petras und vor der Begierde
Und schenke ihr in deiner großen Huld,
Daß sie Vergebung ihrer Schuld erlange,
In die Gemeinschaft deiner Auserwählten
Von deiner Gnade aufgenommen werde.
SCHWESTERN
Wir beten an die Macht der Schönen Liebe!
PRIESTER
O Gott, wir bitten dich, wir flehn dich an,
In deiner Liebe Huld gewähre Petra,
Daß sie durcheilt die Rennbahn dieses Lebens
In deinem Dienst als deine Kämpferin,
Am Ende ihrer Bahn den Kranz erlangt,
Den Lorbeerkranz des Ruhmes ihres Sieges.
Du inspiriertest sie, o Geist von Gott,
Daß sie begehrte, ein Marienkind
Zu sein im Orden der Marienkinder.
So möge sie erlangen auch den Lohn
In der Gemeinschaft der Glückseligen,
Den Lohn der Liebe ihres Meisters Jesus!

(Der Priester taucht wieder den Wedel in das Weihwasser-Becken und besprengt Petra dreimal mit
geweihtem Naß. Sie erhebt sich und nimmt die brennende Kerze in die Hand. Der alten Mutter
Äbtissin küsst sie die Wangen. Sie umarmt ihre Schwestern.)

PETRA
Geliebte, bittet Gott für meine Seele!
CHOR DER SCHWESTERN
Schau, gut und lieblich ist es, wenn Geschwister
Zusammenwohnen. Das ist wie die Salbe
Auf Aarons Haupt, die fließt in seinen Bart,
Die Salbe trieft herab auf Aarons Bart,
Die Salbe trieft herab auf Aarons Mantel.
Das ist wie Tau vom Hermon, der herabströmt
Und strömt zum Gottesberg der Tochter Zion.
Denn so hat Gott den Segen uns gespendet.
Maria führe uns ins Paradies!
PRIESTER
Ruhm sei dem Vater der Barmherzigkeit
Und seinem eingebornen Sohn Messias
Und beider Liebe, Einer großen Gottheit!
SCHWESTERN
So wie es war im Anbeginn der Zeit,
So sei es nun und alle Ewigkeit!
PETRA
Ja, Amen! In dem Namen Gottes, Amen!

ZWEITE SZENE

(Über der Kapelle steht das Motto von San Juan de la Cruz: Mein einziger Beruf ist fortan nur mehr
lieben! – Die Schwestern in langen Kleidern, verschleiert, halten Kerzen in den Händen. Sie singen
die Hymne an Heilig Geist.)
CHOR DER SCHWESTERN
Komm, schöpferischer Hauch, und suche heim
Die Herzen deiner Kinder, fülle sie
Mit Gnade aus dem hohen Himmelreich,
Erfülle sie, der du die Seelen hauchtest,
Du, dessen Name unser Beistand ist,
Du bist der allerhöchsten Gottheit Gabe,
Des Lebens Quelle und die Glut des Feuers,
Die Liebe und die Salbung für das Haupt.
Als Licht in sieben Farben bist du Spende,
Ein Finger bist du an der Hand des Höchsten,
Zu unserm Trost und unserm Heil verheißen,
Der du den Zungen Worte gibst und Lieder,
Entzünde du in unsern Sinnen Licht
Und gieße Liebe uns ins Herz hinein!
Der leiblichen Gebrechlichkeit gib Kraft
Mit deiner Kraft, denn du bist Gottes Kraft.
Vertreibe weit die Feinde unsrer Seelen
Und gib in unsrer Zeit den Menschen Frieden.
Geh du voran als weise Führungskraft,
Dann werden wir von Feinden nicht gefangen.
Vom Schöpfergott gib du uns die Erleuchtung
Und lehre den Messias uns erkennen
Und lehr uns glauben an die Schöne Liebe!
Dem Schöpfer Herrlichkeit in Ewigkeit,
Dem Heiland Lob und Preis und Dank und Weisheit
Und beider Schönen Liebe Lobpreis! Amen.
PRIESTER
O Gottheit, sende aus die gute Geistkraft,
Erschaffen werden alle Kreaturen,
Erneuert wird das Angesicht der Erde.
O Gottheit, heile deine Tochter Petra,
O Gottheit, sei du allzeit ihre Hoffnung!
Herr, höre mein Gebet um Petras Heil
Und laß mein Rufen zu dir kommen, Herr.
Der Herr sei mit euch, vielgeliebte Schwestern!
SCHWESTERN
Der Herr sei mit dir, hochverehrter Priester!
PRIESTER
O Gott, der du die Herzen deiner Frommen
Erleuchtest durch Erleuchtungen des Geistes,
Gib Petra, dass sie in dem Geist der Liebe
Erkennt in Liebe alles wahrhaft Gute
Und immer sich der Liebe Trost erfreue!
Das bitten wir durch Jesus, deinen Liebling.

(Der Priester legt ein anderes Gewand an, um nun Petras Schleier zu segnen.)

PRIESTER
Sei unsre Hilfe in dem Namen Jahwe,
Der Er gemacht das ganze Universum,
Den Himmel und die Erde und das Meer.
Erweise uns, o Gott, dein Allerbarmen!
Gott, schenke jedem Menschenkind das Heil!
O Gott der Kräfte, ziehe uns zu dir
Und offenbare uns dein Angesicht,
Dann werden wir geheilt und Heil erlangen.
Der Herr sei mit euch, vielgeliebte Schwestern!
SCHWESTERN
Der Herr sei mit dir, hochverehrter Priester!
PRIESTER
O Jesus, der du in der Welt erwählt
Vor allem unsre Armut, Demut, Sanftmut, Güte,
Du kamst herab und riefst zu dir die Sünder
Und hast die Frommen liebend angenommen.
Ich flehe jetzt zu deinem Allerbarmen:
O Jesus, segne diesen Schleier Petras
Und gib, daß die, die ihn mit Liebe trägt,
Einst trägt das weiße Linnenkleid des Himmels
Im himmlischen Jerusalem vor dir!

(Der Priester taucht den Wedel in das Weihwasser-Becken und benetzt den Schleier Petras mit
segnenden Tropfen.)

VORSÄNGERIN
Ich liebe Jesus Christus, Gottes Liebling!
CHOR DER SCHWESTERN
In dessen Brautgemach ich eingetreten.
O, seine Mutter ist die reinste Jungfrau,
Sein Vater aber kennt kein Eheweib.
Wenn ich ihn liebe, bin ich keusche Jungfrau,
Und wenn ich ihn berühre, reine Jungfrau,
Und wenn ich ihn empfange, bin ich Braut!
VORSÄNGERIN
Mit seinem Ringe band er mich an sich
Und mit Geschmeide schmückte er sein Liebchen.
CHOR DER SCHWESTERN
Wenn ich ihn liebe, bin ich keusche Jungfrau,
Und wenn ich ihn berühre, reine Jungfrau,
Und wenn ich ihn empfange, bin ich Braut!
PRIESTER
Komm, Christi Braut, empfange deine Krone,
Der Schönheit Krone für das Paradies,
Die Christus dir geformt vor aller Zeit.
CHOR DER SCHWESTERN
Erhöre dich der Herr am Tag der Trübsal,
Es schütze dich der Name Zebaoth!
Gott sende Hilfe dir vom Heiligtum,
Er schütze dich vom Berg der Tochter Zion.
Er denke stets an alle deine Opfer,
Das reiche Opfer deiner Ganzhingabe!
Er gebe dir, was dein Gemüt begehrt,
Verleihe Stärke allen deinen Plänen.
Wir freuen uns an deinem Seelenheil!
Im Namen Gottes werden wir erhoben.
Der Herr erfülle alle deine Bitten.
Jetzt weiß ich, dass der Herr die Seinen führt.
Er höre dich von seinem Himmelreich,
In seiner Rechten ruht dein Seelenheil.
Die halten Wagen, jene aber Rosse
Für das Begehrenswerteste, ich aber
Begehr vor allem Gottes schöne Liebe!

(Petra steht in der Mitte des Chores der Schwestern. Sie singt allein, während sie den Schleier
empfängt.)

PETRA
O nimm mich an, mein vielgeliebter Jesus!
Ich werde leben, ja, ich werde leben
Und blühen wie die Lilie auf dem Feld!
Laß mein Begehren nicht vergebens sein!
(Der Priester legt Petra den Schleier über das lange schwarze Haar.)
PRIESTER
Empfange nun den Schleier, Jesu Braut,
Und trage ihn vorm Richterstuhl der Liebe,
Auf dass du ewig lebst im Paradies!
(Petra kehrt vom Priester zurück in die Mitte des Chores.)
PETRA
Er drückte mir sein Siegel auf die Stirn.
CHOR DER SCHWESTERN
Kein andrer sei mir Bräutigam als Jesus!
PRIESTER
Es segne dich der Schöpfer, Petra, Amen.
Es segne dich der Retter, der herabkam
Und nahm auf sich dein Leiden, Petra, Amen.
Es segne dich die ewigschöne Liebe
In der Gestalt der Taube, Petra, Amen.

(Die verschleierte Petra prosterniert sich in der Mitte des Chores der Schwestern. Der Chor singt zur
Orgel das Tedeum.)

CHOR DER SCHWESTERN

(Te deum laudamus vom Heiligen Ambrosius von Milan.)

Dich, Große Gottheit, loben wir,


Dich, Gott den Herrn, bekennen wir,
Dir, Ewigvater, Schöpfergott,
Die Mutter Erde singt dir Lob!

Dir rufen alle Engel zu,


Neun Chöre ihrer Hierarchie,
Die Cherubim und Seraphim,
Sie preisen dich, Herr Zebaoth!
Der Himmel und die Erde sind
Erfüllt von deiner Herrlichkeit.
Apostel rühmt dich und Prophet
Und Märtyrer im weißen Kleid.

Dich feiert die Ecclesia,


Bekennt des Vaters Herrlichkeit,
Den eingebornen Gottessohn,
Den liebevollen Tröstergeist.

Der Christus, Herr der Herrlichkeit,


Des Vaters eingeborner Sohn,
Der einging in der Jungfrau Schoß,
Erlöst das menschliche Geschlecht.

Dem Tode nahmst den Stachel du,


Den Frommen schließt du auf das Reich,
Du thronst auf Gottes weißem Thron,
Als Richter kommst du wieder bald!

Komm du zu Hilfe deiner Schar,


Die du erlöst mit deinem Blut,
Dein Erbe segne, mach sie heil
Und führ sie in die Ewigkeit.

Wir preisen dich von Tag zu Tag


Und singen dir in Ewigkeit.
Bewahr uns heut vor aller Schuld,
Erbarme dich, erbarme dich!

Dein Allerbarmen, lieber Gott,


Sei allzeit über unserm Haupt.
Weil du bist meine Hoffnung, Herr,
Drum lebe ich in Ewigkeit!

(Petra erhebt sich, küsst den Altar, und zieht in einer feierlichen Prozession mit den Schwestern aus
der Kapelle.)

DRITTE SZENE

(Die Mutter-Äbtissin überreicht zum Jubiläum der Nonne Paula Margarethe vom Unbefleckten
Herzen Mariens die Jubiläumskerze.)

ÄBTISSIN
Empfange du das Licht in deinen Händen,
Daß du durch dieses Wunderzeichen lernst,
Dem makellosen Lichte nachzufolgen.
(singend)
Komm, hochgelobte Braut des Hirten Jesus!
CHOR DER GEMEINDE
Empfange heute deine Lebenskrone,
Die Gott bereitet hat für dich für immer!
PRIESTER
Die Gottheit sei mit euren Geistern allen!
GEMEINDE
Die Gottheit sei mit dir, du Gottgeweihter!
PRIESTER
Gott unsrer Ahnen, voll Barmherzigkeit,
Durch Moses gabest du uns deine Weisung,
Das fünfzigste der Jahre fromm zu feiern
Als Jubiläum, uns zum Jubelsang,
Da du die Freiheit allen Seelen schenktest.
Den frommen Müttern, die den Glauben wahrten
Bis an das Ende ihrer Lebenszeit
Und treu der Bibel und der Kirche blieben,
Hast du verheißen deines Segens Fülle.
So spende deiner Dienerin und Magd,
Sankt Paula Margarethe von dem Herzen
Der Makellosen Mutterschaft Mariens,
Zu diesem Jubiläum, das wir feiern,
Die Fülle deiner väterlichen Gunst,
Daß sie vollkommnen Ablaß ihrer Sünden
Erlange, die sie irgendwann begangen.
Geruh in deiner süßen Vaterhuld,
Zu segnen unsre Schwester, unsre Mutter
Und sie zu heiligen in deiner Liebe,
Damit sie bleibe in der Liebe Gottes.
Gott, schenk ihr grenzenlosen Herzensjubel
Zum Lohn der Treue zu der Gottesliebe
Und Wonne ewiger Glückseligkeit!
VORBETERIN
O Jahwe, sende du den guten Geist!
GEMEINDE
So wird der Erde Angesicht getröstet.
VORBETERIN
Das Heil schenk deiner Dienerin und Magd!
GEMEINDE
O Herr, du Hirte, denn sie hofft auf dich.
VORBETERIN
Sei ihr ein starker Turm von Elfenbein!
GEMEINDE
Und schütze sie vor allem Schmerz und Leid.
VORBETERIN
Nicht überwältige die Trübsal sie.
GEMEINDE
O Vater in den Himmeln, hör mein Beten,
Laß meine Schreie zu dir dringen, Herr!
PRIESTER
Der Herr, der gute Hirte, sei mit dir!
GEMEINDE
Mit deinem Geiste sei der gute Hirte!
PRIESTER
O lieber Gott, du hast die frommen Herzen
Belehrt durch die Erleuchtungen des Geistes,
Laß Paula Margarethe von dem Herzen
Der Makellosen Mutterschaft Mariens
Auch in dem selben guten Geist der Liebe
Erkennen in dem Geist das Höchste Gut
Und ewig sich an Gottes Tröstung freuen!
ZELEBRANT
O Paula Margarethe von dem Herzen
Der Makellosen Mutterschaft Mariens,
Du hast nun fünfzig Jahre treu und fromm
Im Christenglauben ausgeharrt voll Liebe,
In Demut einer Magd, in Mutterliebe,
Wie eine keusche Witwe, Christi Braut,
Und mit der Hilfe Gottes warst du Vorbild,
Und darum schenken wir am Jubeltag
Dir unser Herz und bitten unsern Gott,
Er möge dir des Lebens Krone schenken,
Die Himmelskrone in dem Paradies.
Ihr Schwestern der Gemeinde, Gott sei mit euch!
SCHWESTERN
Des lieben Gottes Gnade sei mit dir!
PRIESTER
Gott, wir verachten all die Eitelkeit
Der Welt und wenden uns voll Ekel ab
Und glühen für den Lorbeerkranz des Ruhmes
Vor Gott! Gieß in die Seelen uns die Gnade,
Dir treu zu bleiben hier in dieser Welt,
Daß wir behütet ruhn in deinen Armen,
Daß wir erfüllen heilig unsre Weihe
An Unsre Liebe Frau und unsern Herrn
Und dass durch Glauben wir und Liebeswerke
Gelangen zu der Ruh im Paradiese,
Zur Ruhe in dem Schoße unsrer Gottheit!

(Der Jubiläumsstab wird gesegnet.)

PRIESTER
O Jesus Christus, eingeborner Sohn,
Du Quelle unsrer Kraft, du Heiligmacher,
Durch Kreuzigung und Auferstehung siegst du!
Herr, segne diesen Jubiläumsstab,
Er trägt dein Kreuz an seiner goldnen Spitze.
Laß Paula Margarethe von dem Herzen
Der Makellosen Mutterschaft Mariens
Erfüllt sein mit dem Segen deiner Gnade,
Du, der du lebst in ewigen Äonen!

(Die Jubiläumskrone wird gesegnet.)

PRIESTER
O Gott, du hast den Gläubigen verheißen
Die Himmelskrone in dem Paradies,
Nun strecke deine segensreichen Hände
Voll Gnade über diese goldne Krone,
Das herrliche Symbol der Seligkeit.
Gewähre deiner Magd, die trägt die Krone,
Die Krönung mit der goldnen Himmelskrone,
Geziert mit Perlen und mit Edelsteinen.

(Die Mutter-Äbtissin überreicht Paula Margarethe den Jubiläumsstab.)

PRIESTER
Empfange, Schwester, diesen Segensstab,
Das Kreuz des Herrn auf seiner goldnen Spitze,
Die Stütze deines Alters sei der Stab
Zur Unterstützung deiner Körperkräfte,
Doch mehr noch, um die Feinde zu verjagen
Und deine Pilgerstraße zu vollenden
Beim Berg der Tochter Zion in dem Himmel!

(Die Mutter-Äbtissin setzt Paula Margarethe die Jubiläumskrone auf.)

PRIESTER
Empfange, Schwester, deine Himmelskrone,
Des Zeichen seliger Glückseligkeit,
Die Christus dir zum Lohn der Liebe gibt,
Der Gott, der lebt in ewigen Äonen!
O Paula Margarethe, Gott sei mit dir!
PAULA M.
Du Gottgeweihter, Jesus sei mit dir!
PRIESTER
Gott, denen, die auf diese Welt verzichten,
Gibst du die Wohnung in dem Vaterhaus.
O Liebe Gottes, weite unsre Herzen,
Daß einig in geschwisterlicher Liebe
Wir leben in dem Orden unsrer Seele
Und mehr und mehr erkennen, dass aus Gnade
Wir sind gerettet, ohne unsre Werke.
Gib, Christus, dass wir würdig Christen heißen,
Daß unsere Berufung durch die Gnade
Erkannt wird von der Welt an unserm Herzen.
Gib Paula Margarethe deine Hand,
O Jesus, führe sie zur Schau der Liebe!

(Der Priester besprengt Paula Margarethe mit Weihwasser.)

PRIESTER
Gepriesen, Gott der Ahnen, Zebaoth!
GEMEINDE
O Allerheiligste Dreifaltigkeit!
PRIESTER
O meine Seele, preise Gott den Herrn!
PAULA M.
Sing Halleluja, meine Seele! Amen.
DER ERZENGEL MICHAEL

ERZENGEL MICHAEL
(Aus der Himmelspforte kommend)
Ihr kennt mich wohl: Dies scharfe Schwert bezeugt,
Ich bins, der des Messias Kämpfe kämpft!
Einst, als sich Luzifer erhob, mein Bruder,
Gott gleich zu sein und selbst als Gott zu herrschen,
Klang meine Stimme dröhnend durch den Himmel:
WeristwieGott?
Und alle treuen Engel folgten mir,
Doch Satan stürzte nieder in den Abgrund.
Auch jetzt bin ich der Heerschar Heeresführer,
Die gegen Satan und die Seinen streiten
Im Krieg, in diesem fürchterlichen Weltkrieg,
Der wie ein Feuer durch die Lande wütet.
Ich schütze voller Macht, die mir vertrauen.
Ihr habt von mir besondern Schutz zu hoffen,
Um einer Gabe willen, die mir teuer:
Ihr habt mir ja ein kleines Kind geweiht!
Mit meinem Schutze werd ich es beschützen
Vor allen den Gefahren, die euch drohen.
Noch eine Botschaft möchte ich euch bringen,
Die müsst ihr tief in eure Herzen schreiben
Und großer Segen wird euch draus erwachsen:
In eurer Mitte ist ein Schatz verborgen,
So schön, dass selbst im Himmel aller Himmel
Kein schönrer und erhabnerer zu finden.
Dies Rätsel aufzulösen, schaut nach innen.
Warum ist hier ein Vorgemach des Himmels?
Was macht die arme Stätte euch so teuer?
Was bindet Herz und Herzen hier zusammen?
Das ist das Herz, das aller Herzen König
Und Mittelpunkt und Herzenskrone ist,
Das heilige und süße Herz des Herrn!
Lauscht gut auf seine heimlich-leisen Worte,
Der in der Tiefe eurer Seelen spricht.
Lernt stille schweigen. Lernt gelassen sein.
In euren Herzen wird er Wunder wirken.
Seid überzeugt: Wenn Friede in euch herrscht,
Der wahre Friede, den nichts stören kann,
Dann wird der Friede kommen für die Welt.
Und wollt ihr mir, Sankt Michael, nicht glauben,
Dann hört doch auf das Zeugnis eurer Brüder
Und frommen Schwestern, kommend aus dem Himmel.

(König Stefan und Sankt Alphons erscheinen.)

KÖNIG STEFAN:
Im fernen Osten ist mein Vaterland,
Es ist das schöne vielgeliebte Ungarn,
Das trotzig-stolze Volk der Magyaren,
Durch mich hat es gelernt, das Joch zu tragen,
Das sanfte Joch des süßen Herzens Jesu,
Und ihren Dienst zu leisten für die Fraue,
Maria!
Das ist das selbe: Wer Maria dient,
Der muß geweiht sein Jesu süßem Herzen.
Für Unsre Frau gibt’s keine andre Freude,
Kein Glück so süß wie dieses, sehn zu dürfen,
Daß Ihrer Kinder Herzen ganz gehören
Dem heiligen und süßen Herzen Jesu!
SANKT ALPHONS:
Und diese Wahrheit hab auch ich erlebt:
Vor Liebe brennend zu der Unbefleckten,
Des Guten Hirten Wege musst ich wandeln
Und schwarze Schafe, die am Abgrund standen,
Auf Schultern tragen an das Herz des Herrn,
Sie rein zu waschen in dem Blut des Lammes.
Marien Herz und Jesu Herz sind Eins,
Die Eine Herz allein ist Port des Friedens.
DER ERZENGEL MICHAEL.
Ein heilger König und ein heilger Bischof,
Ihr habt gehört, was diese zwei bezeugen.
Doch hört auch auf die Stimme dieser Drei,
Bekleidet mit dem Karmeliter-Kleid.

(Elisabeth von der Dreifaltigkeit, Mirjam von Abellin und Johannes vom Kreuz erscheinen.)

ELISABETH VON DER DREIFALTIGKEIT.


Kennt ihr die Seele, die in ihrem Herzen
Errichtet einen Tempel der Drei-Einheit
Und diesen Tempel nie verlassen wollte?
Bedenkt den Namen wohl: Das Haus des Brotes!
Wir tragen die Drei-Einheit in den Herzen,
Wenn wir uns nähren von dem Brot des Lebens,
Das zu uns kam herab vom Himmelreich.
Ist einig unser Herz mit Jesu Herz,
Ist es ein Tempel der Dreifaltigkeit.
Und wisst ihr, wo ich diese Weisheit lernte?
Ich fand sie in dem Herzen Unsrer Mutter,
Dem süßen Herz der allerreinsten Jungfrau!
Dies Herz, ach, niemals hat es sich entfernt
Vom Herzen Gottes, ihres Sohnes Herzen!
Drum war es immer eins mit der Drei-Einheit
Und ruhte immerdar in tiefstem Frieden.
MIRJAM VOM GEKREUZIGTEN JESUS:
Die süße Mutter, sie war meine Mutter!
Ein Kind Arabiens, mit braunem Antlitz,
Geboren in dem Land, wo Jesus lebte,
Wo Unsre Liebe Frau gewandelt ist,
Den Namen Mirjam durft ich freudig tragen.
Den Vater und die Mutter ich verlor,
Maria war ich nun allein vertraut
Und wundersam bewacht mich ihre Treue.
Als mich dereinst ein Mörder tödlich traf,
Maria brachte mich zurück ins Leben!
Sie führte mich auf wunderbaren Pfaden
Zum Karmel und vermählte meine Seele
Als Braut dem Christus, dem Gekreuzigten!
Sie lehrte mich, die Wünsche zu erfüllen
Des süßen, heiligen, durchbohrten Herzens,
Sie lehrte mich verstehen dieses Herz,
Den Geist der Liebe! Ja, Barmherzigkeit!
JOHANNES VOM KREUZ:
Ein auserwählter Sohn der reinen Jungfrau
Von frühster Kindheit an darf ich mich nennen,
Den aus dem dunklen Brunnen sie errettet,
Die mich befreit aus der Gefangenschaft.
Sie lehrte mich, zumeist das Kreuz zu lieben,
Das Kreuz, das aufragt aus dem Herzen Jesu,
Umlodert von der Liebeflamme Feuer!
Am Kreuze fand ich meinen Seelenfrieden,
Es war mein Weg zu der Dreifaltigkeit.
Glaubt mir, ich habe wirklich es erfahren:
Kalvaria und Karmel, sie sind Eins,
Am Fuß des Kreuzes steht die Schmerzensmutter,
Maria, Unsre Liebe Frau vom Karmel,
Sie, die die Königin des Friedens ist!
O betet, betet, betet! Sie erhört!

(Die Königin des Friedens und Unsre Liebe Frau vom Karmel, Maria, erscheint. Alle singen:)

O Karmelblume! Weinstock blütenreich,


O Licht des Himmels, Jungfrau, Mutter weich,
Du einzig Hehre,
Du süße Mutter, Gattin und doch ledig,
O Frau, den Karmelitern sei du gnädig,
O Stern der Meere!

Die Herzen deiner Töchter, deiner Söhne,


Neig deinem Herzen zu, du Wunderschöne,
Voll süßer Minne!
Um Frieden flehen wir, o Jungfrau prächtig!
Dich heiß bestürmen wir, o Mutter mächtig!
O Königinne!
DER TOD DES SOKRATES
ERSTE SZENE

SOKRATES
Ach Freunde, hört mir zu, wenn ich bekenne:
Der Weise, der gelebt als Philosoph,
Der sterbe nur getrost, naht ihm der Tod.
Ich bin voll Hoffnung, voller freudiger
Erwartung, dass ich drüben in dem Jenseits
In vollem Maß erlangen werde Gutes.
O Simmias und Kebes, hört mir zu!
Die Philosophen, die Sophia lieben,
Die suchen doch nur Eines, unbemerkt
Von andern Menschen, suchen sie allein
Zu sterben und den Toten gleich zu sein.
Ist das nun wahr, dass Philosophen wünschen
Dem Leibe abzusterben, wär es seltsam,
Wenn sie dann voller Trauer wären, kommt
Der Tod, die Seele von dem Leib zu scheiden.
KEBES (lachend)
Bei Gott, o Sokrates, wiewohl ich traure,
Machst du mich lustig, schau, da muß ich lachen!
Du gibst doch nicht den hohlen Leuten recht,
Die immer lästern, dass der Philosoph
Den Tod mehr liebe als das liebe Leben
Und dass er es auch wert und würdig sei,
Daß er gestorben sei und endlich tot!
SOKRATES
Was aber sagen sie, was ist der Tod?
SIMMIAS
Der Seele Trennung von dem Todesleibe.
SOKRATES
Und ihr nun, meine Freunde, meint ihr etwa,
Daß es gehöre sich für einen Weisen,
Sich zu bemühen um des Leibes Lüste,
Um leckres Essen und um teuren Wein
Und um den Trieb der Sexualität?
SIMMIAS
Darum soll man sich nicht so sehr bekümmern.
SOKRATES
Und achtet nun ein Philosoph Gewänder,
Ob schön auch seine Kleider oder Schuhe
Und wird er achten Gold und Silberschmuck?
SIMMIAS
Verachten wird das nur der Philosoph.
SOKRATES
Scheint so denn nicht des Philosophen Herz
Dem Körper abgewandt? und mehr der Seele,
Der körperlosen Seele zugewandt?
SIMMIAS
Allein die Seele liebt der Philosoph.
SOKRATES
So ist des Philosophen Wesen also
Der Wille, nur die Seele zu betrachten
Und nichts als nur die bloße reine Seele
Und diese Seele zu befreien von
Der törichten Gemeinschaft mit dem Körper?
SIMMIAS
So scheint das Wesen eines Philosophen.
SOKRATES
Die lieben Leute aber meinen doch,
Das Leben ohne den Genuß der Sinne
Sei nichts mehr wert und sei dem Tode gleich,
Wenn sich der Gaumen nicht ergötzt an Speise
Und edlem Wein und wenn der liebe Körper
Nicht schön gekleidet und geschmückt sei und
Wenn der Geschlechtstrieb nicht befriedigt wird?
SIMMIAS
Ja, dies die Meinung unsrer lieben Leute.
SOKRATES
Wie aber kann des Menschen Geist die Wahrheit
Erkennen? Kann er es durch Aug und Ohr?
Wird nicht erkannt die Wahrheit durch das Denken?
Denn Aug und Ohr erkennen nur den Wandel,
Das Werden und Vergehen der Natur.
Das Ewigseiende erkennt allein
Das reine Denken in des Menschen Geist.
So wird der Geist wohl Aug und Ohr verlassen
Und wird befreit von Aug und Ohr allein
Im reinen Denken zu erkennen suchen
Die Wahrheit von dem Ewigseienden.
Je reiner ist das Denken, desto reiner
Ist die Erkenntnis. Der nur, der sein Denken
Ausrichtet auf das Ewigseiende
Und frei ist, über Sinnlichkeit erhaben,
Nur der wird Wahrheit in dem Geist erkennen.
SIMMIAS
Des Leibes Trieb verwirrt das reine Denken.
SOKRATES
So lang wir sind in diesem Todesleibe
Mit allen seinen Trieben und Begierden,
Erlangt der Geist das reine Denken nicht
Und nicht der Wahrheit heilige Erkenntnis
In vollem Maße, wie der Weise wünscht.
Die Wahrheit aber ist allein das Gute
Und ist allein die Schönheit, die wir suchen.
SIMMIAS
Der Leib macht uns zu schaffen mit Begierden
Und Trieben, Durst und Hunger und Verlangen
Nach sexuellen Wonnen mit den Weibern,
So werden wir getrieben von Gelüsten,
Begierden und Verlangen, Fleischeslust
Und Augenlust, und jagen Schatten nach
Und haschen Luftgespinste und sind gleich
Den Kindern, Toren sind wir, keine Weisen!
Dazu kommt noch die Gier nach Geld, der Krieg,
Die Gier nach Geld erzeugt ja alle Kriege.
SOKRATES
Verstehst du nun, warum ich freudig scheide?

ZWEITE SZENE

SOKRATES
Ihr Freunde, wenn wir etwas schauen wollen
Und wirklich so erkennen, wie es ist,
Dann müssen wir befreien uns vom Körper
Und mit der Seele selbst das Sein beschauen.
Dann werden wir erlangen mit der Seele,
Die wir begehren, Hagia Sophia!
Wir sagen doch, wir sind der Weisheit Minner
Und werden sie erlangen in dem Tode,
Doch nicht, solang wir sind im Todesleibe.
Erst, wenn der Herr uns selbst befreit vom Fleisch,
Wenn wir entledigt sind des Fleisches Torheit,
Dann sind wir mit den Seligen zusammen
Und werden ungetrübt erkennen Gott.
Das aber ist doch wohl die wahre Schönheit?
SIMMIAS
So scheint mir auch, o Sokrates, die Gottheit
Ist wahre Schönheit für die bloße Seele.
SOKRATES
So bin ich auch voll freudenreicher Hoffnung,
Ich werde in dem Sein, wohin ich gehe,
Wenn irgendwo, dann dort, Genüge finden
Und alles das erlangen, was ich wünsche,
Was ich ersehnt zutiefst im Erdenleben.
Meinst du nicht auch, mein lieber Simmias,
Das an die Ziel kommt nur die reine Seele?
SIMMIAS
Allein der reinen Seele wird das Heil.
SOKRATES
Ist das nicht aber Sterben und Erlösung:
Ablösung meiner Seele von dem Körper?
SIMMIAS
Das Sterben trennt die Seele von dem Körper.
SOKRATES
Den Geist vom Fleische aber loszulösen,
Das ist das Streben doch der Philosophen.
So also ist der Philosophen Streben
Befreiung und Absonderung der Seele
Vom erdgebornen Fleisch des Todesleibes?
SIMMIAS
Der Weise will nichts sein als reiner Geist.
SOKRATES
O Simmias, so streben Philosophen
Zumeist danach, den Toten gleich zu sein?
Der Tod ist ihnen gar nicht fürchterlich.
Und wäre das nicht eine große Torheit,
Wenn sie nicht so mit Freuden sterben wollten,
Um dahin zu gelangen, wo die Hoffnung
Den Weisen die Erfüllung aller Wünsche
Verheißt, dass sie die Weisheit drüben lieben?
SIMMIAS
Der Tod ist dennoch voller dunkler Trauer.
SOKRATES
Soll der allein denn weinen, dem die Frau
Gestorben, dem die Kinder sind vergangen,
Soll der allein zu sterben trachten, dem
Sich die Geliebte in der Welt entzogen?
Die Hoffnung würde solche Menschen treiben,
Im Jenseits ihrer Liebe wieder zu
Begegnen, der Erfüllung ihrer Sehnsucht,
Daß sie die Liebsten in Elysen finden!
Wer aber Hagia Sophia liebt
Und eben diese Hoffnung kraftvoll hat,
Daß er Sophia drüben erst erkennt,
Den sollte es zu sterben noch verdrießen?
Sag, sollte er nicht lieber freudig sterben?
Das muß man glauben, lieber Simmias,
Ist er nur wahrhaft Liebender der Weisheit!
Denn mächtig ist der Glaube solchen Minners,
Sophia in dem Jenseits zu erkennen!

DRITTE SZENE

SOKRATES
Zum Vater in den himmlischen Regionen
Und zu den Göttern in den Sphären Gottes
Gelangt wohl keiner, der nicht Weisheit suchte,
Erforschte die Geheimnisse der Weisheit
Und reinen Herzens abgeschieden ist.
Zu Gott gelangt allein, wer sich bestrebte,
Wer lernen wollte, wer sich lehren ließ
Vom Wahrheitsdämon in der eignen Brust.
Und darum, liebe Simmias und Kebes,
Enthalten sich die wahren Philosophen
Der Geldgier, Fleischeslust und Gaumenkitzel
Und aller andern fleischlichen Begierden
Und Triebe lehmgebornen Todesleibes.
Die Philosophen wollen nämlich nichts,
Was gegen die Erlösung ihrer Seele
Und nichts, was gegen ihres Geistes Reinheit
Gerichtet ist und wollen die Erlösung
Des Geistes und die Reinigung der Seele
Durch Hagia Sophia, der sie folgen.
SIMMIAS
Wie folgt man aber Hagia Sophia?
KEBES
Wie reinigt Hagia Sophia Seelen?
SOKRATES
Die Philosophen wissen, dass Sophia
Die Philosophen mitleidsvoll betrachtet,
Denn Hagia Sophia sieht die Seelen
Der Philosophen in dem Körperkerker,
Dem Fleisch anklebend und vom Fleisch gezwungen,
Das Sein zu schauen wie durch Gitterstäbe
Und nicht das reine Sein im Geist allein.
Der Philosophen Seelen müssen auch
Sich wälzen wie die Narren, wie im Wahnsinn,
Da sie die Macht des Körperkerkers kennen
Und kennen die Gewalt der Fleischeslüste
Und fleischlichen Begierden, die uns fesseln,
Die Seelen fesseln mit den Fleischeslüsten.
SIMMIAS
Wie kann uns Hagia Sophia retten?
KEBES
Wie löst die Fesseln sie der Fleischeslust?
SOKRATES
Sophia nimmt des Philosophen Seele
Voll Mitleid an und lehrt den Philosophen,
Daß seine Seele mit der Augenlust
Die reine Wahrheit nicht erkennen kann,
Und was die Seele hört mit ihren Ohren
Ist auch voll Hinterlist und Narren-Irrtum,
So dass des Philosophen Seele sich
Von Augenlust und Ohrenschmaus zurück
Sich zieht ins Innere der Seele selbst.
Wenn nun der Mann mit Augen und mit Ohren
Auf dieser Erde leben muß und wirken,
So ruft die Hagia Sophia ihn
So oft es irgend geht in seiner Seele
Geheimnisvollen Innenraum zurück.
Dort sammelt sich die Seele, hält sich still,
Bleibt bei sich, in sich, in dem Geist betrachtend.
SIMMIAS
Ist Aug und Ohr im Innern auch der Seele?
SOKRATES
Die Augenlust des Körpersinnes ist
Nur Truggespinst und wirkt nur Fleischeslust
Und ungeordnete Begier nach Stoff.
Der Ohrenschmaus des Körpersinnes ist
Betrogen durch der Menschen Hinterlist
Und durch der Toren Widerspruch und Irrtum.
Der Seele innres Auge aber schaut
Die Schönheit an der Herrlichkeit des Herrn
Und ist geblendet von der Schönheit Gottes!
Der Seele innres Ohr vernimmt in Stille
Das innere Dämonium der Brust,
Der Wahrheit Genius im eignen Busen,
Wenn Hagia Sophia zu ihm spricht
Und er die Wahrheit über Gott erkennt.
KEBES
Und was ist Lust und Unlust, Furcht und Freude?
SOKRATES
Die Seele eines wahren Philosophen,
Still wendet sie sich ab von Lust und Unlust,
Von Furcht und Freude, ist im Innern frei
Von den Begierden, ruht allein in Gott.
KEBES
Und bleibt des Philosophen Seele ruhig?
SOKRATES
Das soll nicht anders sein, dass eine Seele,
Die weiß, wie Hagia Sophia sie
Durch geistige Beschaulichkeit erlösen
Von allen fleischlichen Begierden will,
Daß diese Seele ruht in Gottes Geist.
Weh, wenn die Seele, die erlöst von Gott,
Sich wieder hingibt wilden Leidenschaften
Und ungeordneten Begierden folgt
Und wälzt sich wieder wie die Sau im Schlamm
Und gleicht dem Hund, der Ausgespucktes frisst!
Nein, Ruhe von Begier und Leidenschaft
Ist Heil der Seele, folgt sie der Vernunft,
Der eigenen Vernunft, der Weltvernunft,
Und immer ruhend in der Weltvernunft
Beschaut in geistiger Beschaulichkeit
Die Seele Gottes Schönheit, Gottes Weisheit!
SIMMIAS
Das ist dein Trost im Angesicht des Todes?
SOKRATES
Die Seele eines wahren Philosophen
Betrachtet nicht die Meinungen der Menschen,
Betrachtet nur die Weisungen der Wahrheit.
Die Seele, die allein die Schönheit Gottes
Betrachtet, die sich nährt allein von Wahrheit,
Die glaubt gewiß, solang sie lebt auf Erden,
Der Wahrheit-Schönheit Gottes nur zu dienen,
Doch nach dem Tode, glaubt gewiß die Seele
Des Freundes der Sophia, kommt die Seele
Zu frommen Ahnen und den Geistern Gottes.
GOETHES TOD
ERSTE SZENE

(Goethe in seinem Schlafgemach allein. Der Schattenriß einer schönen Frau an der Wand. Davor
eine Kerze, brennend. Goethe schaut abwechselnd in die Kerzenflamme und in das Antlitz der
Frau.)

GOETHE

(trinkt den letzten Becher dunkelroten Weines aus und murmelt, fast lallend)

Wem soll ich aber den Gedanken sagen?


Wie einsam ist der Weise! Nicht verzagen
Darf doch der Diener an dem Wahren-Schönen,
Wenn auch die Toren meinen Geist verhöhnen.
Ich aber muß mit liebevollen Tränen
Mich hier nach meinem Liebestode sehnen!
Die Liebenden ja stets in Tränen schwammen,
Der Liebende ersehnt der Liebe Flammen,
Ersehnt der Liebe letztes Abenteuer,
Ersehnt den Liebestod im Liebesfeuer!

(Schweigend starrt er eine Weile in den Tanz der seraphischen Flamme.)

Denke ich an jene dunkle Nacht,


Da mein Schöpfer meinen Leib gemacht,
Als der Gatte für die Gattin brannte,
Als der Bräutigam die Braut erkannte,
Als der Mannessame ist geronnen
In des Weibes Ei mit Wollustwonnen,
Als der Ewige die Seele hauchte –
Damals auch die stille Flamme rauchte!
Aber denk ich auch an jene Kammer,
Da das Eisen schmiedete der Hammer,
Donnernd auf den Amboß niedersauste,
Funkenglut in Feuerströmen brauste,
Die Geliebte mit der Wonnebrust
Schmolz in eins mit meiner Liebeslust
Und gestillt der Wollust Spannungsschmerzen –
Damals strahlten auch wie Tempelkerzen
Sieben Lichter über uns zusammen,
Sieben Sternenkerzen voller Flammen!
Nein, ich will nicht bleiben in der Nacht,
Liebe reißt mich mit Gewalt und Macht
Aus der Finsternis der Todesschatten,
Himmlisch will ich mich der Liebe gatten,
Werde alle Liebeskünste lernen
Mit der Paradiesfrau auf den Sternen!
Liebe reißt mit heißer Feuersbrunst
Mich zur Lehrerin der Liebeskunst!
Über dieses Todes Nebeldünsten
Lebt die Meisterin von Liebeskünsten,
Die der Liebe Lehrbuch las auf Sternen!
Auf dem Venussterne will ich lernen
Ihre Weisheit mit Begeisterung
Von den Künsten der Vereinigung!
Ist sie noch so fern, ich darf nicht weilen,
Weil die Liebe lockt, so muß ich eilen,
Wie die Schmetterlinge liebend kosen
Mit den Fühlern Kelche roter Rosen,
Also sei der Liebe Licht erkannt,
Bin ich doch zuletzt in Lust verbrannt,
Der ich nach dem Schein der Schönheit hasche,
Bleibt auf Erden nur ein Häufchen Asche!
Schwebt mein Seelchen doch, der Psyche-Falter,
Auf zur Liebe mit der Liebe Psalter!
Also will ich sterben! Also werden!
Will kein trüber Gast sein auf der Erden,
Werde liebend sterben und vergehen
Und in Liebeswonnen auferstehen!

ZWEITE SZENE

(Goethe und ein Priester, der ihm das letzte Bekenntnis als Geständnis entlockt und ihn segnet für
die mystische Reise.)

PRIESTER
Gehst du getrost, getröstet in den Tod?
GOETHE
Ganz ruhig kann ich denken an den Tod,
Mein Geist ist doch ein Wesen unzerstörbar,
Geistwesen, das unsichtbar und unhörbar,
Fortlebend Ewigkeiten Ewigkeiten
In der Äonenwelt der Himmelsweiten.
PRIESTER
Unsterblichkeit ist also deine Wonne?
GOETHE
Ja, meine Seele ist wie eine Sonne!
Die Menschenaugen sehn das Abendrot
Und sehn die Nacht und sehn das Morgenrot
Und doch ists immerdar dieselbe Sonne,
Die leuchtet fort und fort in heller Wonne!
PRIESTER
Und kann der Sarg dir gar nicht imponieren?
Kannst du da deinen Glauben nicht verlieren?
GOETHE
Ein starker Geist lässt sich gar niemals rauben
An die Unsterblichkeit den wahren Glauben.
PRIESTER
So fürchtest du dich gar nicht vor dem Nichts?
GOETHE
Die Seele, Tochter himmlischreinen Lichts,
Sie bleibt doch treu der Mutter, der Natur,
Sie ist ja doch der Mutter Kreatur,
Und diese Mutter lässt ihr Kind nicht enden,
So wird sie ihre Schöpfung nicht verschwenden!
PRIESTER
Natur lehrt also dich Unsterblichkeit?
GOETHE
Der die Natur in meines Lebens Zeit
Betrachtet und erforscht und tief erkannt,
Ich überall doch in der Schöpfung fand
Nicht Tod und Nichts, allein nur Metamorphose,
Sie lehrte mich der Falter und die Rose.
PRIESTER
Denkst du, die eigene Persönlichkeit
Bestehe fort und fort in Ewigkeit?
GOETHE
Ach, was von der Persönlichkeit noch bliebe,
Was wert des Dauerns sei, entscheid die Liebe!
Was bleibt von der Person, will ich gelassen
Geheimnisvoller Gottheit überlassen.
PRIESTER
Was ist die Seele aber, was der Geist,
Den du als ewig und unsterblich preist?
GOETHE
Ich glaub an Anfangspunkte der Erscheinung
In der Natur, ich denk an Leibnitz’ Meinung,
Ur-Seele ist es, schaffende Monade,
Der Kosmos wird durch der Monaden Gnade,
Ur-Keime sind es oder Ur-Gestalten,
Die schöpfrisch tätig eine Welt entfalten.
Monaden gibt es schwache oder starke,
So wird der Staub, so wird mit Saft und Marke
Die Pflanze und so wird das Tier, der Stern,
So auch der Schöpfung Krone, Fraun und Herrn.
Die Hauptmonade als des Menschen Geist
Die Schar Monaden schaffend an sich reißt,
Die Hauptmonade, königliches Weib,
Sie bildet sich als Hofstaat einen Leib.
Auflösung aber nennen wir den Tod.
Die Monas dann gebietet mit Gebot,
Daß die Monaden sich im letzten Leiden
Von ihrer Herrin Monas schließlich scheiden,
Daß die Monaden auf der Schöpfung Spur
Eingehen in die Seele der Natur,
Zu Meer und Land, zu Bergen in der Ferne,
Verschweben in die Feuer, in die Sterne.
Die Herrin Monas aber, trotz den Spöttern,
Die Monas teil hat an der Lust von Göttern!
Bei schöpferischen Göttern oder Engeln
Die Hauptmonaden frei von allen Mängeln
Sich selig in der Götter goldnen Netzen
Sich Ewigkeit um Ewigkeit ergötzen!
PRIESTER
Du denkst die Hauptmonade also süß
Als Monas selig in dem Paradies?
GOETHE
Ich zweifle nicht nach allem meinen Lernen,
Daß da ein Leben ist auf höhern Sternen.
Der Mensch ist ja das Sprechen der Natur
Mit Gott! Der Mensch als Wort der Kreatur
Wird sprechen noch mit Gott und Weisheit lernen
Und Liebe singen auf den Morgensternen!
Dann stöhnt man von der Liebe süßer, leiser,
Der Weisen Diskussionen werden weiser
Und glühender der Lodernden Gestöhn,
Dort sind die schönen Frauen mehr als schön!
PRIESTER
Sagt einer aber, dass der liebe Gott
Die Welt schuf in sechs Tagen ohne Spott
Und sich am siebten Tage gönnte Ruhe?
GOETHE
Hier ist der Boden heilig! Ohne Schuhe
Will ich den Schöpfer preisen, nicht wie Pfaffen,
Den Schöpfer nicht, der einst die Welt geschaffen,
Der dann großväterlich sich ausgeruht,
Den Schöpfer preis ich, der mit Schöpferwut
Alltäglich schafft und wirkt und an sich reißt
In Hauch-Begeisterung des Menschen Geist!
Den Schöpfer preis ich, der auf dieser Erde
Die Menschheit schafft, auf dass auf Erden werde
Die Höhere, die Geisterwelt erzogen,
Die steten Umgang mit dem Herrn gepflogen,
Die Geisterwelt, mit Gott vereinter Geist,
Die alles Niedre machtvoll aufwärts reißt,
Gott bildet überall ein Geisterreich
Von Geistern, die den Göttersöhnen gleich!
Des Menschen Geist ist ja ein Gottessohn!
Anbetend schweig ich vor der Gottheit Thron!
PRIESTER
Und so erteil ich dir die Absolution.

DRITTE SZENE

(An der Perlenpforte des Paradieses erscheint der verklärte Goethe als Jüngling Hatem, die
Schönste der Huris, Sankt Haura, empfängt ihn.)

SANKT HAURA
Heut steh ich an des Paradieses Pforte
Zum Garten Eden, dem geliebten Orte.
Du aber, so gelassen und bedächtig,
Wer bist du denn? Du bist mir fast verdächtig!
Bist du denn einer von den frommen Christen,
Daß ich dich lasse ein zu Himmelslüsten
Und Wonnen in des Garten Eden Lauben,
Bist du denn einer auch vom wahren Glauben?
Hat dich Verdienst? hat dich allein die Gnade
Gebracht in Zions Gartenstadt von Jade?
Bist du Bekenner? Doktor? Marterzeuge?
Von deinem Marterzeugnis mir nicht schweige!
Zeig mir die Wunde für den Glauben an,
Die dir den Weg ins Paradies gewann!
HATEM
Leg mir mein Wort nicht auf die goldne Waage,
Verstehe mit dem Herzen, was ich sage:
Ich war als Mann ein Minner reiner Minne,
Durch Minne ich das Paradies gewinne,
Ich hab zur Paradiesestür gefundnen
Und zeige rühmlich meine Minnewunden,
Die Minne hat gemartert mich am Herzen,
Die Minne war mir Kreuz und Todesschmerzen!
Du sollst mit deinen lichten Mandelaugen
Mir in die Seele schauen: Sie wird taugen
Zu Paradieseslust und Himmelsliebe,
Denn Liebe lebt im tiefsten Seelentriebe!
Schau, Haura, in das Innre meiner Brust,
Hier lebt der Liebe Leid, der Liebe Lust!
Doch trotz der Liebeswunden, Liebesschmerzen
Anstaunend stand ich vor der Herrin Herzen,
Bewundernd hoch aus meinem tiefbetrübten
Gemüt stand preisend ich vor der Geliebten
Und schien in Ihr, der Schönsten aller Frauen,
Der Gottheit Gloria schon anzuschauen!
Mein Zeuge aber sei der Totenrichter:
Die Schöne Liebe sang ich als Ihr Dichter,
Verewigte die Vielgeliebte rein
Und ging zum Nachruhm in die Nachwelt ein!
Du wählst nicht den Geringen und Gemeinen,
Du Himmlische, du kannst dich mir vereinen,
Komm, laß uns wandeln, Haura, Hand in Hand,
Gemeinsam hier durch Edens Gartenland,
Und wenn wir ganz verschmolzen unsre Seelen,
Will ich an deinen Fingern Jamben zählen!
SANKT HAURA
Da draußen vor der Paradiesespforte
Im Wind des Geistes an dem Himmelsorte,
Da dacht ich an die göttlichen Gebote
Und wie gerettet wird so mancher Tote,
Da hört ich, ohne irgendwas zu sehen,
So einen Klang von Jamben und Trochäen,
So einen Klang von altvertrauten Reimen,
So wonnesüß wie Schmack von Wabenseimen.
Ich dacht im himmlischen Jerusalem,
Das sei von dir ein frommes Verspoem!
HATEM
Du Ewige Geliebte, meine Braut,
Wie sind wir doch von Ewigkeit vertraut,
Ins eins geschlungen unsre Himmelsglieder!
Und nun denkst du auch noch an meine Lieder,
Wie ich mit Patriarchen mich besinne
Und sing Mysterien der frommen Minne!
Auf Erden schallen irdisch hin und wieder
So erdgeborner Erdenmenschen Lieder,
So Kling und Klang vom sündigen Gelichter!
Propheten aber sind wir Priesterdichter
Und wissen alle nur von Einem Worte,
Sie schweben um die Paradiesespforte
Und haben nur vom Paradies geschrieben
Und werden ewige Geliebte lieben!
Wenn aber deine schönen Schwestern, Huri,
Die Lieder an Sulima, an Siduri
Und an Suleika auf der Erde hören,
So sollen sie aus ihren Engelschören
Mit inspirierendem Gebläse stärken
Die Dichter meisterlich zu Meisterwerken!
Das wird den Himmel ehren und auf Erden
Die Guten werden schön getröstet werden.
Wenn aber dann der Minnedamen Dichter
Ins Jenseits treten vor den Totenrichter,
Das Weltgericht wird ihre Liebe lohnen,
Die Dichter dürfen bei den Huris wohnen!
Du aber bist mir einzig anvertraut,
Die Ewige, die Einzige, die Braut,
Von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du
Mein Licht des Lebens, meiner Seele Ruh,
Dich, Haura, laß ich nicht aus meinem Zelt,
Die andern Huri in der Himmelswelt,
Sie sollen warten an der Himmelspforte
Auf andre Minnedichter edler Sorte!
SANKT HAURA
Schon wieder schlugst du liebend deinen Arm
Um Haura, tief bezaubert von dem Charme,
Und wie betrunken von den Himmelsdüften
Ergötzt du dich an der Geliebten Hüften!
Wie viele Ewigkeiten Ewigkeiten
Wir uns die Liebeslüste schon bereiten!
HATEM
Was weiß denn ich, wie lange es schon währt?
Von Ewigkeit zu Ewigkeit begehrt
Die Ewige Geliebte nur mein Geist,
Die Paradiesfrau, die mich an sich reißt!
In Ewigkeit glückseliger Genuß!
Als währte ewig unser Erster Kuß!
SANKT HAURA
Doch seh ich schweben meinen Freier schon
In Einsamkeit hinan zu Gottes Thron!
Als ob der Ewige dich herberiefe,
Singst du vorm Thron der Ewigen Liebe Tiefe!
Sing du als Lobgesang dem Lieben Gotte
Nur immerdar dein Liebeslied an Lotte!

VIERTE SZENE

(Hatem im Chor der Seraphim anbetend schwebt mit der goldenen Harfe im geflügelten Arm vor
dem Thron der Ewigen Liebe.)

SERAPHIM
Daß wir von nichts als von der Liebe singen!
HATEM
Man möge in den eignen Busen dringen!
SERAPHIM
Wie Liebe ewig selig anzuschauen!
HATEM
Schaut, Freier, an die Schönheit lieber Frauen!
SERAPHIM
So singen wir der Liebe Seelenfrieden!
HATEM
Wie Selige der Liebe auch hienieden!
SERAPHIM
Der Selige an Gottes Brust gebettet!
HATEM
Der Mensch weiß gern sein Wahres Selbst gerettet!
SERAPHIM
Wer immer liebte, wird die Liebe preisen!
HATEM
Die schönen Frauen, frommen Dichter, Weisen!
SERAPHIM
Frau Minne preisen wir voll Liebesdrang!
HATEM
Ganz wie im reinen deutschen Minnesang!
SERAPHIM
Das Wort der Liebe preisen wir in Worten!
HATEM
Mit Maß und Reim im Himmel allerorten!
SERAPHIM
Und vor der Einen Liebe, höchstverehrten –
HATEM
Empfinden sich unendlich die Verklärten!
SERAPHIM
So schwingen wir und dringen wir durch Sphären –
HATEM
Voll Liebe mit unendlichem Begehren –
SERAPHIM
Durch Liebesparadiese fort und fort –
HATEM
Durchhaucht das Paradies von Gottes Wort –
SERAPHIM
Mit Feuersbrunst und Leidenschaft der Triebe –
HATEM
Wir beten an die Macht der Schönen Liebe –
SERAPHIM
Die Ewige Schöne Liebe makellos –
HATEM
Und sinken, ah, der Liebe in den Schoß...

ITHURIEL
ITHURIEL
Mein ewiger Student, ich grüße dich,
Der Engel von dem Jupiter bin ich,
Der Engel jovialer Freundlichkeit,
Großzügiger charmanter Heiterkeit,
Gott schickt mich und ich komm in Engels-Demut,
Dich aufzuheitern von der Schwermut Wehmut.
STUDENT
Verehrter Engel, schimmernd wie der Zinn,
Wo ist denn alle meine Wehmut hin?
Ich war umnachtet! Nun ist alles hell!
ITHURIEL
Ich bin der himmlische Ithuriel,
Zinnteller sind mein eignes Element,
Der ewige Student der Weisheit kennt
Doch die Erleuchtung durch der Weisheit Zinn?
STUDENT
Ich suche zwar die Weisheit, doch ich bin
Noch fern, sie zu erkennen. Zwar ich rief,
Doch alles ist so unergründlich tief,
In mir ist keine menschliche Vernunft!
ITHURIEL
Doch um so stärker ist des Tieres Brunft
In dir, des Hengstes und des Esels Kraft,
Ist ungeordnet deine Leidenschaft,
Ist brennend dein Begehren, dein Verlangen,
Die Weisheit lehren dich die Feuerschlangen!
STUDENT
Wie überall die Feuerschlangen prassten,
Von allen Seiten! Doch ich muß nun fasten.
ITHURIEL
Ich weiß, du willst ein Fastenbruder sein,
Asketisch fasten – bei Tabak und Wein!
Ein Weinschlauch bist du, der da hängt im Rauch!
Doch das ist eitel, das ist nichts als Hauch.
STUDENT
Ich möchte fasten! Beten, beten, beten!
Frau Armut sei von mir erwünscht, erbeten.
ITHURIEL
Frau Armut hüllt dich in befleckte Lumpen,
Doch reicht sie reichlich dir den vollen Humpen!
STUDENT
Ich will kein Gold, ich will nur Philosophie!
Und darum preise ich die Melancholie!
Der Spaß der Welt ist doch ein Seelenschlummer,
Den Geist erweckt allein ein rechter Kummer!
Drum, wenn ich sterbe fast vor Weh und Jammer,
Dann küsst Frau Weisheit mich in meiner Kammer!
ITHURIEL
Frau Weisheit ist es, der du dich geweiht,
Die schickt den Engel dir der Heiterkeit,
Daß dich nicht schlingt hinab der Schwermut Rachen,
Heut sollst du einmal wie die Engel lachen!
STUDENT
Frau Weisheit will die frohe Wissenschaft
Mir schenken, die die Menschen glücklich schafft?
ITHURIEL
Du sollst die großen Philosophen sehen,
Sollst heute von den Toten auferstehen
Und leben selig wie im Himmelszelt
Mit Geistern schon in der Ideenwelt.
Wen also willst du sehn, wen willst du zwingen,
Wen soll der Engel Jupiters dir bringen?
STUDENT
Den Zarathustra oder Zoroaster,
Des Morgensternes gute lichte Aster!
ITHURIEL
Den Zarathustra also, Zoroaster?
Man wähle eben Tugend oder Laster,
Ein jeder schaue selbst, wie er da wähle.
Doch kann ich leider Zarathustras Seele
Nicht dem Studenten magisch herberufen
Hinab der lichten Himmelstreppe Stufen,
Denn Zarathustra mit den Sonnen-Zofen
Studiert im Jenseits einen Philosophen,
Der antichristlich mit dem Bart am Mund
In Zarathustras Namen lallte Schund!
STUDENT
Dann rufe mir den Dichter-Weisen Orpheus!
ITHURIEL
Berauscht von Mohnmilch aus dem Horn des Morpheus
Der Dichter aller Dichter ruht, der Heros
Der Muse, ruht erlöst vom Mittler Eros
Eurydice im Arm im Ozean
Des Fixsternhimmels auf dem Sternbild Schwan!
Den Dichter Orpheus darf ich heut nicht wecken,
Wir wollen andre Philosophen necken.
STUDENT
Dann rufe mir herab Pythagoras!
ITHURIEL
Pythagoras, den Meister, willst du das?
Sagt er dir etwas, sag nur: Autos epha!
Der Meister sagt es! Doch bei Mutter Eva
Pythagoras ist in dem Garten Eden,
Mit Abel von der Mathematik zu reden,
Gleichzeitig dort den Bohnenstock zu pflegen
Und zu besprechen mit geheimem Segen,
Weil seine Ahnen in verklärten Röcken
Für immer leben in den Bohnenstöcken!
Ich ruf ihn nicht, bei Mutter Evas Nabel*,
Soll doch der Zahl Geheimnis lernen Abel!

(* Die Theologen diskutieren noch, ob Mutter Eva mit einem Nabel erschaffen
worden ist.)

STUDENT
Dann rufe mir den göttergleichen Plato!
ITHURIEL
Ja, wirklich Plato? Oder lieber Cato?
So also Plato? Bist du sicher des?
Den Plato? Oder lieber Sokrates?
Mit Plato aber kann ich dienen nicht,
Er schaut in einem Spiegel voller Licht
Die ewigen Ideen an in Tänzen,
Die schönen Nymphen mit den Ruhmeskränzen,
Und ist verliebt (nur nicht die Nase rümpfe!)
In Sankt Urania, der Schönheit Nymphe!
Der weise Plato ist so sehr verliebt,
Daß er nicht Unterricht in Weisheit gibt,
Will nur in paradiesischen Genüssen
Den Mund der Himmels-Aphrodite küssen!
STUDENT
Dann rufe Plotin aber doch hernieder!
ITHURIEL
Da ist es aber ganz das Gleiche wieder.
Auch Plotin glüht, wie er auf Erden glühte,
Im Himmel für die Himmels-Aphrodite!
Auch er darf dort die Aphrodite küssen,
Sie geizt nicht mit dem Spenden von Genüssen!
So trunken küsst er Aphrodites Mund,
Ich darf ihn rufen nicht zum Erdengrund,
Denn er will lehren nicht geheimes Wissen,
Will nur die Schönheit küssen, küssen, küssen!
STUDENT
Wen aber bringt, o Engel, mir dein Flügel?
ITHURIEL
Ja, denke dir! Ich bring dir Eulen-Spiegel,
Dich zu erheitern in der Langenweile,
Ist ein Symbol der Weisheit doch die Eule,
Der Spiegel finde auch bei dir Verwendnis,
Der Spiegel helfe dir zur Selbsterkenntnis,
Die Selbsterkenntnis und die Weisheit, Siegel
Des Weisen, will dich lehren Eulen-Spiegel!
STUDENT
Auf Eulenspiegels Weisheit will ich harren,
Die größten Weisen sind zuletzt die Narren!
ITHURIEL
Doch Eulenspiegel ist ein froher König,
Die Wabe spaltend, leckt er an dem Hönig!
STUDENT
Mein Engel, bei dem Vater aller Lichter,
Ruf doch herab die beiden deutschen Dichter,
Laß Friedrich Schiller blasen seine Flöte,
Die Zymbel streiche Johann Wolfgang Goethe!
ITHURIEL
Kommt, Geister, aus dem Paradies! O Hatem,
Vom Liebesflüstern laß mit heißem Atem
Und komm von deiner Huris Huri, Haura!
O Schiller, dich entring dem Arm der Laura,
Ist auch der Weltenbrand euch Hochzeitsfackel!
Der Narr hier, melancholisch wie ein Dackel,
Steht hier, euch wie Propheten zu erharren,
Kommt, Seher Deutschlands, kommt zum deutschen Narren!
GOETHE
Mein Herr, vor Lilith mit den langen Haaren
Soll Pan-Sophia ewig dich bewahren!
SCHILLER
Sophia oder Jesus Nazarenus,
Sophia flieht noch immer, naht die Venus!
GOETHE
Soll ich zitieren dir die Harlekine?
SCHILLER
Suchst du gar die kokotte Colombine?
GOETHE
Soll ich Pierrot dir rufen aus der Hölle?
SCHILLER
Verlangst du etwa auch nach Pulcinelle?
GOETHE
Willst Corallina setzen auf den Ehring?
SCHILLER
Brautzeuge soll dir sein der Pickelhering?
GOETHE
Das Festmahl gebe Jean Pottage dazu!
SCHILLER
Soll schließlich aus der Peking-Oper Chou
Euch schließen lächelnd eure Augen zu.
GOETHE
Frau Torheit und der Tor – nun gute Ruh!
ITHURIEL
Wer fehlt dir noch? Beim Suppentopf von Martha,
Wen suchst du noch?
STUDENT
Ah, Helena von Sparta!
ITHURIEL
Die Schwangezeugte, die der Gott als Schwan
Gezeugt, die Schwanin auf der Wellenbahn,
Mit weißem Schwanenbusen schöngebrüstet,
Mit langem Schwanenhals! Nach ihr dich lüstet,
Eurotas Schwanenmädchen Helena,
Dem Bild der göttlichen Urania?
GOETHE
In goldner Morgenzeit wird sie gefunden,
Doch suche nicht die Hündin bei den Hunden,
Die Schönste aller Schönen, ohne Fehle,
Erkenne sie im Morgentraum der Seele!
STUDENT
Wer kann wie diese Helena betören?
Ithuriel, du musst sie mir beschwören!
ITHURIEL
Nun aber – leider! – ist die Schönheitsgöttin
Vermählt mit Menelas als Ehegattin.
Du willst doch werden nicht ein Ehebrecher?
Ich bring dir aber Schönheit, wilder Zecher,
Ich bring (bei Muschi von dem Stamme Levi!)
Dir von der Nachdurst-Gasse Fräulein Evi...

ADAM

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

ADAM

(allein in seinem eigenen Raum)

Ich, Adam, bin der Mensch in seiner Einsamkeit,


Ich tauchte auf den Abgrund meines Herzens
Und ging allein und einsam durch die Wüste,
Durchwanderte die Hölle meiner Ängste,
Das Fegefeuer meiner Leidenschaften
Und war auch in dem Himmel der Beschauung
Und schaute an die Ur-Idee der Schönheit,
Gott fand ich ewig, seiend, rein und geistig,
Vermisste Gott so schmerzlich auf der Erde,
Vermisste Gottes Liebe unter Menschen,
Daß ich mich eingrub in die Einsamkeit,
Mich eingrub in die Zelle, in den Sarg
Und tausend Tode starb und lebend tot war!
(Eine Menschenmenge als Schattenwesen irrt durch den einsamen Raum. Adam nimmt die
schattenhafte Menschenmenge nicht wahr.)

Da ist die Kauffrau an dem Ladentresen,


Anlächelnd mich aus großen schwarzen Augen,
Da sind die Arbeitslosen in der Schenke,
Sie saufen Bier wie Lästerung und Fluch,
Da sind die Kinder aus dem Kindergarten,
Großäugig lauern sie auf Schokolade,
Doch ich bin ganz allein auf dieser Welt!
Ich bin ein Mensch. Was kann ein Mensch nicht sein?
Der Mensch kann Heiliger der Liebe sein
Und Gottes Angesicht auf Erden spiegeln,
Der Mensch kann Instrument des Teufels sein
Und zeigen Satans widerliche Fratze.
Ich stand einst an der Wiege eines Kindes
Und dachte an den Tod und das Gericht,
Denn wer geboren wird, der wird auch sterben,
In der Geburt ist schon der Tod beschlossen,
Und an der Wiege stehen schon zwei Engel,
Der eine weist den Weg ins Paradies,
Der andre höhnisch lockt herab zur Hölle.

ZWEITE SZENE

ADAM

(allein in einer sonst leeren Kirche)

Gott, woher kommt die tiefe Einsamkeit,


Die unaufhebbar mich in mir verschließt?
Wer machte mich so einsam? Warst das du,
War ich das selbst? In meiner Jugend nämlich,
Da suchte ich die Fruchtbarkeit der Liebe,
Da suchte ich Gemeinschaft mit den Menschen.
Doch habe ich die Liebe nicht gefunden
Und auch nicht die Erfüllung der Gemeinschaft.
Doch als du mich berührt, in jener Stunde,
Da ich ein Waise war im finstern All,
Da zogest du mich in die Einsamkeit.
Da dachte ich: Der Herr ist ganz allein,
Die absolute Einsamkeit des Herrn
Will ich in meinem Leben imitieren,
Ein Gleichnis und ein Spiegel Gottes sein.
Da hörte ich den weisen Meister lehren:
Steig immer tiefer in dein Herz hinab,
Denn auf des Herzens Grund wohnt Gott der Herr.
So stieg ich in mein Herz hinab und so
Verlor ich mich in meines Herzens Tiefe,
Versank im Abgrund meines Inneren,
Sank in die innerlichste Gottheit ein!
Doch tauchte ich nicht wieder auf und blieb
Versunken in den inneren Gemächern,
Allein mit dem Alleinigen, mit Gott,
Des Schweigens Gott in meiner Einsamkeit.
Die Menschen konnten mich nicht mehr ertragen,
Ich strahlte Einsamkeit und Sterben aus,
Ich strahlte Einsamkeit des Todes aus
Und Gottes absolute Einsamkeit.
Ich infizierte alle Menschen mit
Der Einsamkeit und Traurigkeit des Todes
Und darum mieden mich die Menschen alle.
Denn alle Menschen sind im Grunde einsam,
Doch suchen sie Geselligkeit der Menschen,
Die alle Einsamkeiten übertönen.
Sie fürchten sich vor Gottes Einsamkeit
Wie vor der Einsamkeit der Todesstunde
Und lieben mehr das Lärmen der Gemeinschaft,
Sie lieben die Musik der Menschenliebe
Und fürchten abgrundtief des Todes Stille,
Es könnte sein, dass Gott zu flüstern anfängt!

(Eine schattenhafte Menschenmenge nähert sich unheimlich still in der Kirche Adam, kommt seiner
Aura nahe und entfernt sich gleich wieder.)

Ich leb doch nur des Menschen Einsamkeit


Als Ebenbild von Gottes Einsamkeit.

DRITTE SZENE

(Adam in der Kirche vor dem Marienbild Unserer Lieben Frau von Guadelupe. Die schattenhafte
Menschenmenge nähert sich während Adams Gebet langsam wie in einer Prozession der Jungfrau.)

ADAM
Du aber, Gott, du wohnst noch einmal tiefer
Als meine abgrundtiefe Einsamkeit,
Denn unterm Abgrund meiner Einsamkeit
Bist du in meine Seele eingezogen
Als Liebe! Deine höchste Weisheit ist
Und deine letzte Offenbarung ist
Nicht Gottes Einsamkeit, ist Gottes Liebe!
Und mehr und mehr machst du, dass ich als Abbild
Der Liebe Gottes selber Liebe werde!
Und so bist heimlich du zu mir gekommen
In der Gestalt des kleinen lieben Kindes.
Drei Jahre jung der Knabe, voller Liebe
Und voll Verlangen auch nach meiner Liebe!
So bist du selbst zu mir gekommen, Gott,
Der Gott der Liebe, der im Kinde bittet
Um meine Liebe, Gott, der in mir liebt,
Gott, der im Kind gibt Antwort meiner Liebe,
Gott, zwischen Adam und dem Kinde Liebe!
So ist der Herr als Kind zu mir gekommen
Und zwar durch die Vermittlung seiner Mutter.
(Adam wendet sich an Maria. Die Schattenprozession huldigt Maria.)
Maria, Gott hat mich zu dir gebracht,
Zu dir, der Jungfrau, die alleine steht
Hoch überm Monde dieser Menschenwelt,
Kein kleines nacktes Kind auf deinem Arm,
Kein Papst, der dir zu deinen Füßen kniet,
Und keine Heilige, die dich verehrt,
Nur du in absoluter Einsamkeit!
Doch nein, Maria, schau ich nämlich tiefer,
So sehe ich das Kind in deinem Schoß,
Du, Jungfrau, bist die Gottgebärerin,
Du bist der Mutterschoß des großen Gottes,
Du, Gottes Mutter und der Menschen Mutter,
Du meine Mutter, der ich Waise war,
Doch Gott hat eine Mutter mir geschenkt,
Die schwanger ist, ist schwanger mit dem Sohn!
Ich will mich weihen deinem Mutterschoß
Und will dein makelloses Mutterherz
Zu diesem vielgeliebten Kinde tragen!

VIERTE SZENE

ADAM

(In der Kirche, allein, vor dem Kruzifix)

O Gott, gehört hab diese Lehre ich,


Daß ich nicht Vater eines Sohns sein kann
Und selber nicht der Sohn des Vaters sein.
Ich, Gottes Kind, und Gott mein lieber Vater?
Ich aber kann zu dir nicht Vater sagen,
Ich kann es nicht, so sehr ich mich bemühe.
Ich schaue deinen Sohn an seinem Kreuz:
In welche Finsternis stieg er herab!
Er stieg hinab in meine Höllenangst,
Er stieg hinab in meine Liebesschmerzen,
Er stieg hinab ins Loch der Einsamkeit,
Hinab in meine Qualen der Verzweiflung
Und füllte dies mit seinem Dasein aus
Und ward erneut gekreuzigt: Nun in mir,
Gekreuzigt Christus ward zum zweitenmal
In meinem Herzen, das gekreuzigt ward!
Da schrie mein Herz in seiner Kreuzigung:
Mein Gott, mein Gott, was hast du mich verlassen!
CHOR
(Die Schattenmenge im hinteren Raum der Kirche)
Mein Gott, mein Gott, was hast du mich verlassen!
ADAM
O Gott, da riß mir Christus auf die Augen,
Da sah ich Christus hungern in den Kindern,
Da Christus hungerte nach meiner Liebe!
Nun wollte Christus mir nicht Brot mehr geben,
Daß selber ich den Corpus Christi speise,
Nun wollte Christus selber von mir Speise,
Es hungerte der Herr nach meiner Speise!
O Gott, ich hielt in meinem Arm das Kind,
Das beinah ward im Mutterschoß ermordet,
Ich hielt in meinen Armen dieses Kind
Und liebte dieses Kind wie eine Amme
Und hätte ihm zu gerne doch gegeben
Die Mutterbrust mit süßer Milch des Trostes!
Ich weiß nur, Gott, die Liebe, die ich kenne,
Die Liebe, die allein ich geben kann,
Das ist die Mutterliebe einer Amme,
Großmutter bin ich jenes lieben Kindes.
Und so kann ich auch Gott nur Mutter nennen,
Dich, lieber Gott, kann ich nur Mutter nennen,
Und so bleib einsam ich auch in der Kirche.

FÜNFTE SZENE

ADAM

(In der Kirche, die Schattenmenge steht abseits)

Gott, dich will ich als meine Mutter lieben,


Denn, weißt du, Gott, und ja, du weißt ja alles,
Wenn ich Maria sehe mit dem Kinde,
Seh, wie Marias Busen stillt ihr Kind,
Dann seh ich nicht Maria mehr und Jesus,
Dann seh ich Gott die Mutter und mich selbst,
Mich selbst gestillt an Gottes Mutterbrust!
Gott, wie mich deine Mutterliebe stillt!

(Maria erscheint, die Erscheinung ist ganz der Jungfrau von Guadelupe ähnlich.)

MARIA
Mein Sohn, den Schmerz der Liebe fürchte nicht!
Weißt du auch wie die Mütter vom Gebären,
Kennst du den Schmerz der Wehen und den Schrei,
Wenn dann zuletzt die Frau das Kind gebiert?
Mein Sohn, kennst du den Mutterschmerz der Liebe?
Ich selber leide Wehen der Geburt
Und große Mutterschmerzen meiner Wehen,
Bis du geboren bist, geliebter Sohn,
Bis du geboren bist als Andrer Christus,
Mein Adam, als ein Alter Ego Christi!
Erneut muß ich gebären Jesus Christus,
Gebären muß ich ihn in deinem Herzen!
Du selber musst auch eine Mutter sein,
Sei du wie ich und werde Gottes Mutter,
Empfange Christus und gebäre ihn,
Erleide Wehen der Geburt und Schmerzen
Der Mutterschaft und nähre Christus in dir
Und nähre Jesus Christus in der Welt
Mit Muttertränen und mit Mutterblut
Und mit der süßen Muttermilch des Trostes!
Die Welt braucht Mütter! Christus in der Welt,
Der Christus in dem Kind braucht Mutterliebe!
Geh, tröste Jesus Christus! Stille Jesus Christus,
Still Christus mit der Muttermilch des Trostes!
Geh, opfere dein Blut und deine Tränen
Und trage in die Welt mein Mutterherz,
Sei Gottes Mutter und der Menschen Mutter!

(Die Schattenmenge nähert sich Adam, der Glanz der Jungfrau ist wie Morgenröte und blendet die
Schattenmenge. Adam steht dennoch allein, wie in einer Isolation.)

ADAM
Bricht auf mein Herz, Maria, für die Menschen!

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Adams Stube. An der Wand das Antlitz der Jungfrau von Guadelupe. Bücherregale an den Wänden,
unter anderem die gesammelten Werke von Goethe. Adam liegt auf seinem Sofa unter dem
Kronleuchter seiner Großmutter und blättert in einem Bilderalbum.)

ADAM
Mein Liebling Milan! Hier im Bilde seh ich
Das Strahlen deiner Augen, deiner Seele,
Denn deine Augen sind der Seele Spiegel
Und offenbaren deine reine Liebe
Und deinen Ursprung: Unschuld ist dein Ursprung!
Zwei Jahre warst du alt, da waren wir
Zusammen in Berlin. Hier fütterst du
Die Enten, und ich sing dein Lieblingslied:
All mein Entchen schwimmen auf dem See.
Hier streichelst du zum ersten Mal ein Hündchen,
Das war der Schoßhund einer alten Dame,
Die hielt den Schoßhund schlafend in den Armen,
Da hast den Schoßhund zärtlich du gestreichelt.
Und hier seh ich dich nun vor deinem Haus,
Du spielst im Sand, du sammelst die Kastanien,
Da kräht der Hahn, herbei die Hennen eilen,
Die Glucke kommt mit ihren kleinen Küken.
Die weiße Katze spielt mit einer Maus,
Wie Frauen mit verliebten Männern spielen.
Mein Liebling Milan, wenn ich dann gekommen,
Dann riefst du voller Freude: Adam kommt!
Hört ihr es, Kinder? Adam ist gekommen!
Dann eiltest du zu mir mit offnen Armen,
Umklammertest voll Liebe meine Beine
Und sagtest: Adam, nimm mich auf die Arme!
Und nahm ich dich auf meine Arme, Milan,
Umschlangest du umarmend meinen Hals
Und küsstest voller Liebe meinen Mund!
Weil du so gerne und so zärtlich küsstest,
Pries ich dich großen Küsser vor dem Herrn!
Im Alter von zwei Jahren nanntest du
Mich Adam nicht, da nanntest du mich Mama!

ZWEITE SZENE

MILAN
Ich spielte mit den Hühnern in dem Garten
Und kämpfte mit den Stöcken gegen Nesseln,
Ich ging auch gern spazieren zum Kanal,
Da auf dem Deich die Schafe weideten.
Noch lieber ging spazieren ich den Waldweg
Zur Pferdeweide, Pferden Zucker geben.
Wenn ich einmal die Bilder meiner Kindheit
Betrachte, werde ich erkennen, dass
Mein Vater nicht zu sehen auf den Bildern,
Doch Adam ist zu sehen. Lieber Adam,
Du saßest lächelnd an der Badewanne,
Da ich mit meiner Spielzeug-Ente spielte.
Und wenn die Sonne schien im heißen Sommer,
Dann hast du meinen Leib gesalbt mit Salbe.
Wenn du nicht da bist, Adam, denk ich doch
An dich, ich trage dich in meinem Herzen.
Um dir zu senden einen lieben Gruß,
Mal ich mit Farben einen Regenbogen
Und schreib dir einen Brief: Komm doch bald wieder!
Dann trittst du eines Morgens vor die Tür,
Der Postmann überreicht dir meinen Brief,
Dann öffnest du den Brief und siehst das Bild
Und liest den Gruß: Ich will dich wiedersehen!
Dann weißt du, Adam, dass ich an dich denke,
Wenn du nicht da bist, dich im Herzen trage
Und sehne mich, bald wieder dich zu sehen.
Ich weiß, dass dich mein bunter Brief gefreut,
Weil du mir daraufhin den Becher schenktest
Mit jenen beiden kleinen Engelkindern,
Die vor Maria schauen aus den Wolken.
Ich habe ja auch einen kleinen Engel,
Den Liebes-Engel, wie du immer sagtest.
Weißt du das noch, mein Adam, wie wir spielten,
Ich bin der Liebes-Engel mit dem Pfeil
Und schieß den Liebespfeil dir in dein Herz,
Da warest du getroffen und verwundet
Und nahmst mich in den Arm: Ich liebe dich!
Nun ist es Abend und es kommt die Nacht,
Da bringst du singend, betend mich ins Bettchen.
Ich bitte dich: Sing wieder von Maria!
Du singst das Lied mir von Marias Mantel,
Dann stellst du Engel auf an meinem Bettchen
Und wünschst mir: Träume süß vom Paradies!
Dann küsst du mich, dann zeichnest du das Kreuz,
Dann schlaf ich bald an deinem Händchen ein.

DRITTE SZENE

ADAM
Ich war mit dir im Ort, da ich geboren,
Wir machten Urlaub dort in einem Sommer.
Du wecktest morgens früh mich zärtlich auf,
Wir sahn uns Bilder an der Muttergottes,
Der Großen Mutter, Schwarzen Muttergottes!
Ich fühlte mich als Mutter wie Maria,
Du aber warst mein kleines Jesuskind!
Wie der Prophet Jesaja einst gesungen:
Ein Kind geboren uns, ein Sohn geschenkt!
MILAN
Am Morgen, wenn noch alle Menschen schliefen,
Da waren wir schon beide auf dem Spielplatz.
Da gabest du mir in der Schaukel Schwung.
Dann haben wir das Frühstück eingenommen,
Da gab es Apfelsaft und weiße Brötchen.
ADAM
Den ganzen Tag dann waren wir am See
Und freuten uns der keuschen Schwester Wasser.
MILAN
Ein Augenblick, da waren wir allein.
ADAM
Da liebte ich dich mehr als eine Mutter,
Da wollt ich dich im Geiste neugebären.
MILAN
Du wurdest feierlich und gossest lächelnd
Drei Tropfen Wasser auf mein blondes Haupt.
ADAM
Und stellvertretend habe ich für dich
Dem Bösen abgeschworen, deinem Feind,
Versprach, der Liebe Gottes nachzufolgen,
Der Liebe Gottes, die uns Jesus schenkt!
MILAN
Dann machtest wieder du das Kreuzeszeichen.
ADAM
Nun fragt mein Meister Jesus oft mich lächelnd:
Die Taufe des Johannes, sag mir doch,
War sie vom Menschen oder von dem Herrn?
VIERTE SZENE

MILAN
Und weißt du noch, als ich das Fieber hatte?
ADAM
Ach, aller Menschen war ich damals müde,
Ich fühlte ausgenutzt mich, ausgebeutet,
Da war ich ausgebrannt und völlig kraftlos.
Bonhoeffer hört ich da mir Predigt halten:
Nicht kreise um den eignen Schmerz der Christ,
Kreis um das Leiden Gottes in der Welt!
Dann sprach Teresa von Kalkutta noch:
Der Christus wartet in den Kinderseelen
Auf deine Liebe, wartet heißen Durstes!
MILAN
Ich brannte in dem Fieber, weinend rief ich:
Mein liebster Adam muß jetzt zu mir kommen!
ADAM
Mit letzter Kraft bin ich zu dir geeilt
Und sah dich fiebernd in dem Bettchen liegen
Und sah in deinen großen heißen Augen –
MILAN
Was sahest du in meinen Augen, Adam?
ADAM
Ich sah die Augen Christi voller Leiden!
In deinen Augen sah ich Christi Augen!
Da hielt ich Christus selbst in meinen Armen,
Da gab ich Jesus Christus Medizin
Und tröstete mit Mutterliebe Jesus!
MILAN
Das war doch in der schönen Weihnachtszeit.
ADAM
Zusammen schliefen wir in einem Bett,
Du schliefest schon, ich sprach noch mit Maria
Und bat Maria: Decke Milan zu
Mit deinem Sternenmantel, o Maria!
Und da erlebte ich die Weihnachtsgnade:
Als ich mit dir in einem Bette schlief,
Schlief ich mit Jesus Christus in der Krippe!

FÜNFTE SZENE

ADAM
Als eben ward der neue Papst gekrönt,
Da sprach der Papst in seiner Antrittsrede:
Sät euer Leben nicht in Eigentum,
Sät euer Leben nicht in Bücherwissen,
Sät eure Liebe in die Seelen ein,
Denn diese Saat bleibt in der Ewigkeit!
MILAN
Du hast ja deine Liebe eingesät
In meine Seele. Diese Saat wird bleiben.
ADAM
Es blieben viel Gedichte ungeschrieben
Bei all der Müh und Arbeit um dein Leben,
Doch mit der Schwanenfeder meiner Liebe
Und mit der schwarzen Tusche meines Blutes
Schrieb ich Gedichte einer schönen Liebe
Auf den Papyrus deiner weißen Seele!
MILAN
Und ahnst du überhaupt, was ich genommen
Aus jenem Schatz, der deine Seele ist,
Weißt du, was ich aus deinem Leben mir
Genommen hab als Nahrung meiner Seele
Und wie viel Glauben mich gelehrt dein Vorbild
Und wie zur Ahnung Gottes ward dein Antlitz?
ADAM
Mit Schmerzen und mit Blut muß ich begießen
Die Saat des Glaubens in der Kinderseele,
Muß meine Seelenleiden Jesus schenken!
Ich konnte legen nur ein Fundament,
Ein andrer muß errichten einst das Haus.
Ich konnte säen nur die Saat des Glaubens
In deinem Acker, einst ein andrer muß
Begießen, dass der Baum des Lebens wächst!
MILAN
Von allen Seiten stürmt heran die Welt,
Ich fürchte, Adam, dass ich unterliege!
ADAM
Freilassen muß ich dich, geliebter Knabe,
Freilassen selbst noch in die böse Welt!
Ich weiß, ein Schatzhaus ist in deiner Seele,
Denn du bist großgezogen worden mit
Der Muttermilch der Mutterbrust Mariens!
Wenn du einst hörst ein Wort von Jesus Christus,
Dann wird es dir wie Kindheitsheimat sein.
Ich lass dich fort, doch nicht aus meinem Herzen
Und nicht aus meinen weinenden Gebeten!
MILAN
Vertraue mir und glaube doch an mich!
Dich werd ich nie verlieren aus dem Herzen,
Die Liebe nie, die du in mich gegossen!

DRITTER AKT

ERSTE SZENE

(Maria, ganz in Weiß gekleidet, aber wie durchsichtig und von Licht durchstrahlt, ihr Haar wie
Sonnenglanz, sie geht an einem lichten blauen Meer im weißen Licht der Sonne.)
DIE NEUE EVA
Verlass mich nicht, mein vielgeliebtes Kind,
In meinem Herzen bist du eingeschrieben,
In meiner Hand dein Name steht geschrieben,
Du bleibst in mir, ich bleibe deine Mutter!
Dich will ich immer wieder führen, Adam,
Von deiner Einsamkeit hinauf zur Liebe.
Du ziehst dich oft zurück in Einsamkeit,
Ich führe immer wieder dich zur Liebe.
Dein Herz verwandle ich in Mutterliebe.
Ich schenke dir die Wehen und die Schmerzen,
Ich schenke dir die Schmerzen der Geburt,
Ich schenke dir ein schmerzdurchbohrtes Herz,
So wird dein Herz geweitet für die Liebe,
So wirst du mütterlich die Seelen lieben.
Ich bin bei dir, die stille Magd der Demut,
Ich räum die Wohnung deines Herzens auf,
Bereite dir das Mahl der Kommunion,
Wasch deine Kleider in dem Bad der Tränen,
Ich bade dir den Staub von deiner Seele,
Ich schenke Ruhe dir, in meiner Nähe
Darfst ruhen du von allen deinen Leiden,
Dann sauge du den Frieden meiner Seele,
Dann labe dich an der Gestalt der Schönheit,
Erquicke dich am Antlitz meiner Anmut
Und lausche meiner Stimme voller Sanftmut,
Ich tröste dich als mütterliche Freundin
Und als die Braut in reiner Geistigkeit.
Dann wirst du Bräutigam, geliebter Adam,
Und deine Braut ist dann die Neue Eva!
Ich bin dann in dir, deine innre Klarheit,
Und meine innre Klarheit sich verbindet
Mit mühevoller Arbeit in dem Alltag.
Oft fliehst du noch die Arbeit in dem Alltag
Und flüchtest in den Schoß der Einsamkeit.
Ich will die Arbeit deines Alltags aber
Erfüllen mir der innerlichen Klarheit.
Mit dieser innern Klarheit lichtem Glanz
Will ich auch alle deine Seelenkinder
Bekleiden, sie sind ja noch nackt vor Gott,
Verstecken sich in Büschen, weil sie nackt sind,
Ich will sie kleiden mit der Neugeburt.
Mein allerliebstes kleines Jesuskind,
Dein Weinen und dein Jubel schallt im All,
Jetzt will ich sein die Gottgebärerin,
In Adams Herzen werde jetzt geboren.

ZWEITE SZENE

ADAM
Nun also glaub ich an den Bräutigam,
Gott selber ist der wahre Bräutigam,
Gott liebt als Bräutigam die Menschenseele
Ganz so wie ein Verliebter seine Freundin!
DIE NEUE EVA
Und bist du selber auch ein Bräutigam?
Willst du nun deine Einsamkeit verlassen
Und mich begrüßen, deine Schwester-Braut?
Du bist mein Kind und ich bin deine Mutter,
Ich bin noch mehr als das, bin deine Freundin
Und deine Schwester, ewig deine Frau!
Zur Kirche rede immer ich als Mutter,
Zu dir will aber ich als Freundin reden,
Als Braut, als die Vermählte deines Geistes!
Denn so ist deine Ansicht ja vom Leben:
Das Leben ist für dich die Große Mutter,
Das Leben ist für dich die schöne Braut!
Ich bin das Leben, bin die Mutter-Braut!
Die Mutter Christi ist nun Adams Braut!
Mein Kind soll dein Kind sein und alle Kinder,
Die ich gebäre als der Menschen Mutter,
Die Söhne deiner Seele sollen alle
Nun unsre Kinder sein, mein Ehemann!

(Maria präsentiert das Jesuskind. Alle Söhne Adams, Milan, Juri, Tom, Simon, Quentin, beten das
Jesuskind auf dem Arm Mariens an.)

SÖHNE ADAMS
Du lieber Jesus, du bist unser Gott!
ADAM
Die Liebe hab ich anders mir gedacht,
Ich dachte Liebe mir in Süßigkeit,
Du aber schenkst die Liebe mir als Kreuz!
DIE NEUE EVA
So lerne du nun meine Liebe kennen,
Die Liebe deiner Ehefrau in Gott
Geht über dein begrenztes Ich hinaus
Und führt dein Ich zum Tod des Bräutigams!
Weil ich den Tod des Bräutigams begehre,
Begreifst du meine Liebe nicht, Geliebter,
Begreifst du nicht den Tod des Bräutigams!
ADAM
Im Tod des Bräutigams erkenn ich Gott,
Die Mutter und die Weisheit und die Liebe,
Die Liebe, die der Welt zugrunde liegt!
CHOR DER FRAUEN
Die Schöne Liebe liegt dem All zugrunde!
MARIA
Der Weltgrund ist der Tod des Bräutigams.
ZAINAB
ERSTE SZENE

(Mohammed beim Adoptivsohn Zaid in dessen Wohnung zu Gast. Frühe Nacht.)

ZAID
Vater, segne diese Speise,
Sind aus der Türkei Maronen,
Karamellisierte Früchte,
Süß wie süße Dattelfeigen.
MOHAMMED
Allah, segne unsre Speise,
Dir zum Ruhm und höchster Ehre!
ZAID
Segne auch den Wein, den edlen,
Alten, der uns nicht verboten.
MOHAMMED
Allah, danke für den Weinstock,
Segne uns das Blut der Reben!
ZAID
Wie doch singen unsre Dichter
Von dem Wein, der inspirierend
Ist wie Gabriel, der Engel,
Dessen Kuß macht Sänger singen.
MOHAMMED
Allah hat den Wein geschaffen
Zu der Freude unsrer Herzen.
Was ist denn ein Gastgelage
Ohne Allahs Blut der Traube?
Schön ist die Musik der Flöte,
Schön ist die Musik der Zimbel,
Schön der Sang der Sängerinnen,
Schön der Tanz der Tänzerinnen!
Aber bei Musik und Festmahl
Ist das Segensblut der Traube
Der Rubin der Kaiserkrone,
Der Granat im Kaiserturban.
Ein Rubin in goldner Fassung
Ist der Wein beim Gastgelage.
Rede, Jüngling, auf der Feier,
Rede, wenn die Becher kreisen,
Rede, messe deine Worte,
Sprich als Wissender vielwissend,
Doch das meiste uns verschweigend.
ZAID
Alter, wenn die Becher kreisen,
Deiner fünfzig Jahre Summe
Deiner Weisheit uns berichte,
Gut ist Wein mit Weisheitsworten.
MOHAMMED
Aber wenn die Mädchen singen,
Wenn die Mädchen Bauchtanz tanzen,
Wenn der Mädchen Becken schwingen
Und sie schütteln ihre Brüste,
Wenn die Flöte und die Zimbel
Sich im Liebeslied vermählen,
Spare deine Weisheit, Alter,
Spar sie auf für andre Stunden.
ZAID
Ich bin trunken von der Liebe,
Ich bin trunken von dem Weine!
Aber bin ich nun betrunken
Von der Liebe, von dem Weine?
MOHAMMED
Was auf Erden mich begeistert
Sind Gebete zum Allweisen
Und der Liebreizduft der Rose
Und die Anmut schöner Frauen!
ZAID
Doch die Schönste aller Frauen,
Die hast du noch nicht gesehen,
Meine Zainab ist die Schönste,
Makellose Mädchengöttin!
MOHAMMED
Schön sind alle meine Frauen
In der Jugendzeit gewesen,
Aber flüchtig ist die Jugend,
Aber flüchtig ist die Schönheit.
So wie Salomo geredet,
So hat Mohammed gesprochen:
Flüchtig ist der Anmut Schönheit,
Lob der Frau, die Allah fürchtet!
Eitel sind die schwarzen Haare,
Eitel ist der Jugend Schwarzhaar!
Alles wandelt sich auf Erden,
Wir auch wandeln in der Zeit uns.
ZAID
Allah schuf die Jugendschönheit
Uns zum Gleichnis für die Huris,
Wie die frische Rosenknospe
Zainab stammt vom Garten Eden.
Weil ich oft am Glauben zweifle
An des Paradieses Huris,
Sandte Allah mir dies Mädchen
Zainab, meine Paradiesfrau!
Und nun glaub ich an den Himmel
Und des Paradieses Wonnen,
Denn ich möchte ewig lieben
Zainab, Zainab ewig lieben!

(Zainab tritt in den nächtlichen Raum. Sie trägt ein fast durchsichtiges weißseidnes Nachthemd. Der
Schimmer des vollen Mondes ergießt sich über ihren perfekten Körper. Sie strahlt wie eine junge
Venus.)

ZAINAB
Mohammed, Gesandter Gottes,
Friede sei mit deiner Seele!
MOHAMMED
Ich, die Nachtigall der Rose,
Sing vor Allahs Rosenherzen!
ZAINAB
Schautest du schon Allahs Schönheit?
MOHAMMED
Heute schau ich Allahs Schönheit!
ZAINAB
Herr, dein Wort ist süß wie Honig!
MOHAMMED
Du bist süßer als der Honig!
ZAINAB
Nimm von Zainab diese Feige!
MOHAMMED
Schenk Erkenntnis mir die Feige!
ZAINAB
Allah wohnt in meinem Busen!
MOHAMMED
Lobpreis sei dem Throne Allahs!
ZAINAB
Allahs Auge schaue gnädig
Voller Gunst auf den Propheten!
MOHAMMED
Deine Augen strahlen Liebe,
Unbefleckte Seelenspiegel,
Allah strahlt aus deinen Augen,
Allah liebt den Gottgesandten!
ZAINAB
Allah ewig ist mein Liebling
Und Mohammed ist mein Liebling,
Nämlich Allah ist die Liebe
Und Mohammed ihr Gesandter!
MOHAMMED
Allah lebt in deiner Seele
Selig wie im Garten Eden!
Schau ich dich, geliebte Zainab,
Steigt mein Esel in den Himmel
Und ich schau im dritten Himmel
In dem Venusparadiese
Eine makellose Huri,
Allahs Gegenwart im Himmel,
Ja, ich schau der Huri Antlitz,
Ja, ich schau das Antlitz Allahs!

ZWEITE SZENE
(Morgens, noch vor Sonnenaufgang. Mohammed betet auf seinem Rosenkranz die 99 Namen
Allahs.)

MOHAMMED
In dem Namen... und so weiter!
Zainab, voller Allerbarmen,
Du barmherzige Geliebte,
Schau mich an mit mildem Mitleid!
Meine Königin der Liebe,
Meine heilige Geliebte,
Zainab, Inbegriff des Friedens,
Schenke mir die Seelenruhe!
Meine Sicherheit gestiftet
Wird von Zainabs schönen Händen,
Die in ihren schlanken Händen
Hält das ganze Universum!
O gewaltige Geliebte
In der Allgewalt der Liebe,
Schöne Dame, stolze Dame,
Stolze Demut, stolze Demut!
Meine Schöpferin, Geliebte,
Du erschufest meine Liebe,
Bildnerin des Seelenbildes,
Darf ich auch kein Bild mir machen!
Zainab, milde im Vergeben,
Zainab, lieblich im Verzeihen,
Alle Fehler meiner Seele
Deckt der Mantel deiner Liebe!
Du besitzt die Macht der Liebe,
Diese Macht bezwingt das Weltall,
Zainabs Macht bezwingt das Weltall
Und die Seele des Propheten!
O wie dank ich deiner Großmut,
Die in freier Gnade spendet
Was ich brauch vom Brote täglich,
Was ich brauch vom Wein allnächtlich!
Meine Richterin voll Weisheit,
Die du richtest nach der Wahrheit,
Du weißt ja Bescheid im Menschen
Und du liest in meiner Seele!
Zainab, wie du maßvoll zuteilst
In dem Überfluß der Gnade,
Die du voller Großmut zuteilst,
Du freigebigste Geliebte!
Zainab, du machst Hasser niedrig,
Zainab, du erhöhst die Minner,
Du verleihst mir neue Kräfte
Und erniedrigst meine Feinde!
Deine süßen Muschelohren
Hören alles auf der Erde,
Deine schwarzen Himmelsaugen
Schauen alles auf der Erde!
Meine Richterin, o Zainab,
Richte nach dem Maß der Liebe,
Bist gerecht in dem Gerichte,
Liebe Zainab, voll der Gnade!
O feinfühligste Geliebte,
Sehr sensible schöne Seele,
Alles weißt du, deiner Weisheit
Nichts ist in der Welt verborgen!
O ich preise deine Langmut,
Deine Sanftmut, deine Demut,
Majestät der Schönen Liebe,
Majestät des dritten Himmels!
Immer möchtest du verzeihen,
Allen Menschen gern vergeben,
Und wie gern zeigt deine Seele
Sich erkenntlich deinen Freiern!
Du erhabene Geliebte,
Hocherhabene Geliebte,
Deine grenzenlose Größe
Übersteigt das Universum!
Hüte mütterlich den Minner
Und versorge den, der hungert
Und der dürstet nach der Liebe,
Du bist wachsam in den Nächten!
Rechne ab mit deinen Feinden
In Gerechtigkeit, Geliebte,
Rechne ab mit deinen Feinden
In Barmherzigkeit, Geliebte!
Hocherhabne, voller Würde,
Würdigste, ich nah in Ehrfurcht
Der ehrwürdigsten Geliebten,
Lebe nur zu deiner Ehre!
Wächterin in meinen Nächten,
Höre meine Liebesseufzer,
Liebe Frau, wie gern erhörst du
Meines Liebesstöhnens Stammeln!
Liebevolle, voll der Liebe,
Würdig allerhöchster Ehren!
Auferweckerin vom Tode,
Zainab, und vom Todesschlafe!
Allumfassende Geliebte,
Quelle ewiglicher Weisheit,
Meine Weisheit, meine Mutter,
Schwester-Braut und Bettgenossin!
Zeugin meiner wahren Liebe,
Du wahrhaftige Geliebte,
Die du Wahrheit liebst und Weisheit,
Du Verwalterin des Weltalls!
Starke Jungfrau, starke Herrin,
Herrin meiner Heeresscharen,
Feste Burg und fester Felsen,
Fest sind deine Mädchenbrüste!
Meine Freundin, lobeswürdig,
Alles Ruhmes würdig, Freundin,
Du erfasst das ganze Wissen,
Alle Weisheit deines Freundes!
Schöpferin des Universums
Durch die Worte deiner Liebe,
Wiederschöpferin des Weltalls
Durch das Opfer deiner Liebe!
Deine Liebe macht lebendig
Alle meine Lebensgeister,
Aber deine Liebe tötet
Alle hassenden Dämonen!
All-Lebendige, mein Leben,
Du Beständige in Dauer,
Ewig währt mir meine Liebe
In der Ewigkeit der Schönheit!
Meine Seele rief ins Dasein
Meine hochgelobte Herrin!
Du bist meine Eine, meine
Reine, meine Feine, meine
Ewig liebende All-Einheit,
Undurchdringlich deine Keuschheit!
Zainab, o du Macht der Liebe,
Du allmächtige Geliebte,
Herrsche über den Propheten
Nur die Allmacht deiner Liebe!
Alles schickst du in die Zukunft
Und du hältst zurück das Unheil,
Du die Erste, du die Letzte,
Unsichtbar bist du und sichtbar!
Schutzgeist meines Liebeslebens,
Transzendente, Transparente,
O wie lieb ich deine Güte,
Wenn du voller Gnade lächelst!
Zainab, dein nur ist die Rache,
Doch du liebst es, zu verzeihen,
Wie so milde ist dein Mitleid,
Mütterliches Minne-Mädchen!
Herrin aller Königreiche,
Herrin aller Fürstentümer,
Herrin aller Herzogtümer,
Holde Herrin jeder Grafschaft!
Hocherhabne, Vielgeliebte,
Aller Ehren bist du würdig!
Deine Taten sind gerechte,
Die du Menschen gern versammelst,
Bist auf keinen angewiesen,
Doch dein Herz verteilt den Reichtum!
Du wehrst ab die schlechten Dinge
Und gewährst den Schutz als Schutzfrau!
Schaden bringst du den Verworfnen,
Segen spendend den Geliebten!
Meine Führerin, mein Lichtglanz,
Meine Mondin, meine Sonne,
Du mein Sternbild, meine Jungfrau,
Licht, das alle Welt erleuchtet!
O du Jungfrau ohnegleichen,
Schöpferin des Universums!
Du bestehst in Ewigkeiten,
Erbin aller Menschenkinder,
Die du kennst den Weg der Weisheit,
Führst die Straße in den Himmel!
Du bist voll Geduld und Langmut,
Gnädig, voller Huld und Treue,
Zainab, meine Allerliebste,
Ich bin dein, geliebte Jungfrau!

(Die Morgenröte erscheint im Orient.)

ABISCHAG VON SCHUNEM

ERSTE SZENE

(Der alte König David in seinem Bett, allein.)

DAVID
Heute früh im Morgentraume
Zählt ich wieder dreißig Jahre,
Lag auf meiner Dachterrasse
Schwelgend im Adonisgarten,
Strahlend war die Sternenordnung
Und ich sah zum Nachbarhause,
Sah Bathseba in dem Bade!
O der Duft von Zederhölzern
Und Lavendel mich berauschte
Und von Myrthe. Myrthenöle
Salbten der Bathseba Körper
Und es dampfte in dem Bade
Wasserdampf von heißem Wasser.
Nackend stieg aus ihrem Bade,
Nackend aus dem Schaum des Bades,
Im Kostüm der Jungfrau Eva
Stieg Bathseba aus dem Wasser!
O so feiern die Philister
An dem Mittelmeer bei Sidon
Hoch die göttliche Astarte,
Ihre schaumgeborne Göttin,
Ihre schamerfreute Göttin,
Die das Lächeln liebt der Liebe.
Wie die Schaumgeborne wandelt
Auf dem Meer, auf einer Muschel
Fährt sie an das Land bei Tyros,
Und vom Tritt der nackten Füße
Blühen in dem Gras die Rosen
Und die Turteltauben rucken
Und die Ziegenböcke springen
Auf die jungen schwarzen Zicken!
Also war es mit Bathseba,
Als sie aus dem Bade tauchte,
Makellos die Frauenglieder,
Mächtig ihre straffen Schenkel,
Fest und rund der Apfelpopo,
Schlank die Taille ihrer Hüfte,
Ihre großen festen Brüste
Von den langen Lockenfluten
Ihrer Mähne keusch verschleiert,
Ihre blauen Augen glühten
Süße Wollust und Ekstase
Und des Mundes volle Lippen
Lachten lüstern und entzückend!

(David läutet eine Glocke.)

Zu mir kommen soll Bathseba!

(Bathseba tritt ein, eine alte würdige Dame mit silbernem Haar, ihr Körper in majestätischer Fülle.)

BATHSEBA
O mein lieber Herr und König,
Was begehrt von mir mein König?
DAVID
Heute früh im Traum, Bathseba,
Träumte ich von jener Stunde,
Da ich dich zuerst gesehen.
BATHSEBA
Bist du nun erschrocken, David,
Daß ich nicht der Traumfrau gleiche?
Heute trag ich meinen Namen
Ganz zu recht: der Fülle Tochter!
Wieviel Söhne hab ich David
Doch als Ehefrau geboren?
Und ich wurde immer breiter,
Meine Brüste immer schlaffer,
Seit die Kinder dran gesogen.
Meine langen Lockenfluten
Wurden mir zu dünnen Strähnen,
Manches Haar ist ausgefallen,
Und das Schwarz, das du so liebtest,
Ist dem Silber nun gewichen.
Alles Irdische ist eitel,
Ist ein Luftgespinst und Windhauch!
DAVID
Ob dein Haar von schwarzem Glanze
Oder rot gefärbt von Henna
Oder von gediegnem Silber,
Jede Spitze deines Haares
Ist besessen von der Liebe!
BATHSEBA
Wilde Leidenschaften stehen
Herrlich zu Gesicht der Jugend,
Doch des Alters Würdenkrone
Ist das graue Haar der Weisheit.
DAVID
Meine Königin Bathseba,
Zwar verwelkt uns unser Körper,
Immer jünger wird die Seele!
Meine Seele wird zum Kinde,
Wird zum kleinen Kinde Gottes,
Und gleich dem gestillten Kinde
Ruhe ich an Gottes Busen!
BATHSEBA
Darf ich etwas bitten, David,
Auserwählter Sohn Jehowahs?
DAVID
Was du bittest, soll geschehen.
BATHSEBA
Siehe, deine Erben zanken
Schon sich um den Thron von Juda
Und es bilden sich Parteien.
David, es begehrt die Menge,
Adonia soll dir folgen
Nach dem Recht des Erstgebornen.
Und die Minderheit der Frommen
Möchte Salomo als König
Nach dem Recht der freien Gnade.
Hast du mir nicht einst versprochen,
Salomo soll König werden,
Wenn du heimgehst zu den Ahnen?
Schreib in deinem Testamente,
Daß mein Sohn dir folgen werde,
Daß die Leibesfrucht Bathsebas
Herrscht in Israel und Juda.
DAVID
Weiberwille – Gotteswille!
BATHSEBA
Segne dich Jehowah, David,
Der dich auserwählt zum König!
DAVID
Zieh dich nun zurück, Bathseba,
Bete für des Königs Leben
Und das Leben seines Sohnes!
(Bathseba zieht sich zurück. David läutet die Glocke. Abischag erscheint.)

ABISCHAG
Was begehrst du, mein Gebieter?
DAVID
Wärme mich, geliebtes Mädchen!
Vater Frost will mich ermorden!
Ach Jehowah, ach Jehowah...

ZWEITE SZENE

(Die Königin Bathseba thront in ihrem Thronstuhl der Königinmutter. Der Jüngling Adonia tritt vor
ihren Thron. Er ist sehr schön.)

BATHSEBA
O tot David! O tot David!
ADONIA
Königin und Große Mutter,
Laß mich hier auf Knieen flehen,
Eine Bitte vor dir äußern!
BATHSEBA
Bist du in dem Frieden Gottes?
ADONIA
Gottes Wille soll geschehen!
Aber dennoch will ich bitten.
Einmal war bei König David
Ich allein im Schlafgemache,
Durch das Fenster schien die Sonne,
In dem Kleid aus Sonnenstrahlen
Lag da Abischag von Schunem
In dem seidenweißen Hemdchen,
Ihre großen Wonnebrüste
Quollen aus dem leichten Hemdchen,
Weiß die Haut war ihres Leibes,
Um das sonnenlichte Antlitz
Flossen rötlichbraune Locken,
Fielen auf die vollen Brüste
Und verhüllten das Geschlechtsteil,
Nichts trug sie am Unterleibe
Als das Feigenblatt der Eva,
Und das Feigenblatt der Eva
War nur aus kristallnem Mondstein!
BATHSEBA
Jüngling, deiner Jugendtorheit
Will ich die unkeuschen Worte
Mütterlich verzeihen. Bitte!
ADONIA
Als ich Abischag so schaute,
Dacht ich, offen sei der Himmel
Und die große Himmelsgöttin
Sei im nackten Frauenleibe
Mir erschienen, ihre Schönheit
Riß mich zur Anbetung nieder
Und ich konnte nur noch stammeln:
Sei gegrüßt, o Himmelsgöttin!
BATHSEBA
Gott versteht des Herzens Dichten,
Ist von Jugend an nur Torheit!
ADONIA
Sei gegrüßt, o Himmelsgöttin,
Laß mich nicht allein auf Erden!
Sei gegrüßt, o Himmelsgöttin,
Sei mir ewige Gemahlin!
BATHSEBA
Also dichtet wohl die Liebe.
Wenn dich Priester nicht verstehen,
Dich verwerfen Schriftgelehrte,
Deine Königin und Mutter
Wohl versteht des Herzens Dichten.
Aber was ist dein Begehren?
ADONIA
Einen Augenblick der Gnade
Schaute ich den Himmel offen,
Sah die Göttin in dem Himmel,
In dem Sonnenlicht die Liebste,
Die nichts trug als Sonnenstrahlen
Und die rötlichbraunen Locken,
Aber ach, der Himmel schloß sich
Und ich sah nicht mehr die Göttin,
Stunden zählt ich, Tage, Wochen,
Schon ist wieder einmal Halbmond,
Doch ich sah sie nicht mehr wieder.
O gewähre mir die Gnade,
Laß mich Abischag von Schunem
Schauen, laß mich täglich schauen
Abischag von Schunem, schauen
Will ich sie, die Augen weiden
An der reinsten Lust der Augen!
BATHSEBA
Ist das alles, was du bittest?
ADONIA
Nein, ich möchte nicht nur schauen,
Diese roten Rosenlippen
Will ich küssen mit der Zunge,
Diese vollen Wonnebrüste
Will ich fassen mit den Händen,
Und ich will, mit Einem Worte,
Ich will Abischag zur Ehe!
BATHSEBA
Bitte Salomo den König!
ADONIA
Eins weiß ich vom Herzen Gottes:
Wenn die Königin und Mutter
Für mich spricht bei meinem König,
Wird er alles mir gewähren.
BATHSEBA
So ich dein Vertrauen sehe,
Will ich mich dir offenbaren.
Ich befragte Gott Jehowah
Und ich sprach zu Gott Jehowah:
Sage mir, o Gott Jehowah,
Wem soll Abischag von Schunem
Nun das Ruhelager wärmen?
Ich erwartete ein Zeichen.
Eben hatte ich beendet
Das gebenedeite Sanctus,
Als mein Sohn und unser König
Salomo zu mir getreten,
Und der Sohn sprach zu der Mutter:
Mutter, ich beschloß als König,
Diese Abischag von Schunem
Mir zur Muse zu erwählen,
Mir zur heimlichen Geliebten
Und zur Freundin meiner Tage.
Diese Abischag von Schunem
Soll in Salomonis Harem
Auserwählt sein als Geliebte,
Die Sophia darzustellen,
Die ich mir als Frau erwählte
In geheimnisvoller Ehe.
Also Salomonis Worte.
Adonia, Adonia,
Salomo hat tausend Frauen,
Wähle eine aus dem Harem,
Aber Abischag von Schunem
Ward vom König auserkoren
Als Vikarin der Sophia.
Siehe, Abischag von Schunem,
Sie ist Salomos Sophia!
ADONIA
Du willst jedem nur das Beste.

DRITTE SZENE

(Abischag im Frühlingsgarten.)

ABISCHAG
O wo bist du, mein geliebter
Salomo? Ich bin verlassen!
Immer muß ich seufzen, seufzen!
Wie ein Hirsch bist du entsprungen!
Wunden hast du mir geschlagen!
Zwar ich rief, ich schrie und flehte,
Aber ach, du bliebst verschwunden!
O ihr Hirten, die ihr standet
Bei der Herde auf den Bergen,
Fandet ihr den Vielgeliebten,
Den ich mir erwählte, sagt ihm,
Daß ich schmachte und vergehe!
Meinen Liebling zu empfangen,
Wandle ich am Saum des Stromes
Und ich steig auf das Gebirge.
Blumen können mich nicht irren,
Keine Schlange und kein Panther,
Keine Mauer und kein Herrscher
Hält mich ab von meinem Wege:
Salomo ist mein Geliebter!
O ihr Bäume und ihr Gärten,
Die mein Liebster pflanzte, alle
Rief er euch hinan ins Leben,
O ihr goldnen Weizenfelder,
O ihr Blumenkelche zitternd,
Saht ihr Salomo entschwinden?
CHOR DER KREATUREN
(Unsichtbar)
Gaben über Gaben spendend
Schweifte er durch unsre Gärten
Wie ein Vogel. Und auf seine
Vielgeliebten Kreaturen
Wandte er die Strahlenaugen
Und so barg er die Geschöpfe
Ganz in seiner Wunderschönheit.
ABISCHAG
Wer vermag mich noch zu heilen?
O ich will die Ganzhingabe!
Ich will heilig und vollkommen
Leben, liebend den Geliebten!
Aber heute bin ich traurig
Und ich schmachte und ich weine.
Wenig Worte nur vernehm ich,
Doch sie können mir nicht geben,
Was ich doch so heiß begehre!
Alle, die dich ehren, Liebling,
Künden von dem Überfließen
Und den Strömen deiner Gnade
Und vermehren mein Verlangen!
Meine Seele ist umnachtet
Und mein Körper bricht zusammen
Und ich spreche nur noch lallend!
Wie kann meine Seele leben,
Ist sie fern dem wahren Leben?
Wie nur, dass ich nicht erkalte
In der Liebe zum Geliebten?
Deine Gnadengaben schweben
Mir heran wie Todespfeile,
Alles, was du hinterlassen,
Daß sich deine Liebe, Liebling,
Tief in meinem Geist entfalte!
Hast du dieses Herz verwundet,
Warum willst du es nicht heilen,
Warum lässt du mich verschmachten?
Du hast dir mein Herz gestohlen,
Du hast dies mein Herz gepriesen
Und als deinen Schatz gefeiert,
Warum hast du dann verlassen
Solches Schmachten und Begehren?
Willst du denn, was du genommen,
Nun verschmähen und verstoßen?
O dass mir dein Balsam tropfe,
Nichts sonst endet meine Leiden!
Laß mich meine Augen weiden,
O du Wollust meiner Augen,
Laß an deiner Wunderschönheit
Glanz mich meine Augen weiden!
O du unbefleckte Quelle,
Daß mir dein kristallnes Wasser
Offenbare jene Augen
Meines Liebsten voller Schönheit!
Alle meine Sehnsucht sehnt sich
Nach dem Licht, das sich im Dunkel
Offenbart in meiner Seele!
Halte nicht die Augen offen,
Liebling, deiner Blicke Strahlen
Treffen mich wie Feuerpfeile!
SALOMO
(Als Gärtner verkleidet)
Meine süße Turteltaube,
Kehre wieder, kehre wieder!
Schau den Hirsch, den du getroffen,
Röhrend auf dem grünen Hügel
Schaut er deinen Flug, Geliebte,
Schaut gespreizt die beiden Flügel
Und er kühlt die braunen Glieder
Schmachtend an des Taues Tropfen.
ABISCHAG
Meine Seele deinem Lichtglanz
Ist so ganz zu eigen, Liebling!
Hirtin bin ich nicht und habe
Auch kein Amt in der Gemeinde,
Ich tu keine guten Werke,
Tu nichts andres als zu lieben,
Als zu lieben den Geliebten!
Bleib ich fern den grünen Auen,
Werde nicht vom Volk gesehen,
Sagen all die lieben Leute:
Ach die Arme ist von Sinnen
Und verloren ganz ins Leiden!
Ja, verloren in der Liebe,
Ließ ich finden mich von innen!
In dem grünen Laub des Gartens
Winden Rosen wir zu Kränzen,
Rosen ruhn auf meinem Busen
Und du liegst in meinen langen
Rötlichbraunen Lockenfesseln
Als Gefangner meiner Liebe!
Und mit meinen Augen darf ich
Schauen tief in deine Augen!
Seit du mir so voller Gnade
Schautest zärtlich in die Augen
Mit dem Feuer sanfter Liebe,
Seit du deine Wimpern senktest,
Seit mich trafen deine Blicke,
Schaut mein Auge auf zum Himmel!
Bitte, hege nicht Verachtung,
Weil ich mich ließ nackend schauen!
Schau mich an in aller Ruhe
Und betrachte meine Nacktheit!
Ließen deine Gnadenblicke
Doch die Schönheit niedertauen
Auf des weißen Körpers Nacktheit!
Alle Füchse wir verjagen
Aus dem Weinberg unsrer Liebe!
Und wir flechten feuchter Rosen
Kränze uns in unsre Locken!
Lauscht auch keiner im Gebirge,
Sind wir auch allein, Geliebter?
Fort nun mit dem scharfen Nordwind,
Blase lieber süßer Südwind!
Blase, Südwind, und entfache
All das Feuer unsrer Liebe,
Komm in unsern Liebesgarten!
Weihrauch will ich bringen, Liebling,
Und die Vielgeliebte lagert
In dem Bett der gelben Lilien!
SALOMO
So ist nun die Brautgenossin
In dem Garten meiner Liebe
Mit der Sehnsucht ihrer Seele.
Und du nickst mit deinem Haupte
Und mit leisem Glutverlangen
Lehnst du dich an meine Schulter
Und empfindest mein Liebkosen.
Unter diesem Apfelbaume
Hab ich mich mit dir verbunden,
Hier, wo deiner Mutter Schande
War geschehen, ihre Sünde,
Hier du fandest die Gesundung
In den Wonnen meiner Liebe!
ABISCHAG
Euch, ihr Papageien plaudernd,
Euch, ihr Panther und ihr Hirsche,
Euch, ihr Schiffe auf den Wassern,
Euch, ihr Meere, Winde, Berge,
Euch, ihr Bäume in den Gärten,
Euch, ihr Schrecken in den Träumen,
Euch beschwöre ich beim Spiele
Meiner Hand auf meiner Harfe,
Laßt uns alle nun alleine,
Bleibt ihr alle fern der Mauer
Um das Paradies der Liebe,
Daß das Liebespaar vereinigt
Ungestört die Liebe übe!
SALOMO
Süße Nymphen von Judäa,
Wenn die roten Rosen duften
Mit betörenden Parfümen,
Dann bleibt fern der Gartenmauer,
Lauert nicht vor unsrer Schwelle!
ABISCHAG
O Geliebter, mein Genügen,
Lebe vor der Welt verborgen!
Schaue zu den Jaspisgipfeln!
Schau die Freundinnen, die Frauen,
Schaue auch auf meine Reise
Zu der Heimat blauen Insel!
Als die gallenlose Taube
Mit dem Friedenszweig, dem Ölzweig,
Heimgekehrt ist zu der Arche,
Ward die schöne Turteltaube
Mit dem Täuberich vereinigt
An der Quelle in dem Garten.
Einsam ist des Lebens Feier,
Einsam ist das Nest der Tauben,
In die Einsamkeit und Stille
Führt mich meines Lieblings Liebe,
Mein Gemahl und Ehegatte,
Stets an meiner Seite bleibend.
O Geliebter, laß uns kosen,
Daß wir aneinander Schönheit
Finden ruhigen Beschauens
In dem Garten bei den Rosen,
Bei der Quelle und dem Teiche,
Und wir wollen unsre Herzen
In die grünen Ranken schlingen
Und verschwinden in dem Urwald!
Und wir wollen uns in Grotten
Bergen vor des Tages Helle
Und versunken in der Grotte
Der Granate Feuchte saugen!
Frühlingslüfte uns umfangen
Und es singen Nachtigallen
Und es gibt der Garten Schönheit
In der Mitternacht der Seele,
Mit den steilen Feuerflammen,
Deren rote Lockenspitzen
Uns verzehren wie die Tropfen
Triefender Balsamenstaude!
SALOMO
Und des Königs Ritter gehen
In der Minne Reich zugrunde!

DIE MARIEN-EHE
ERSTE SZENE

JOSEF

(Vor der Ikone der Jungfrau von Guadelupe)

Ich hör im Herzen deine Stimme, Mutter,


Du redest: Gib mir ganz dein Herz, mein Sohn!
Du sprachest ja, o Frau von Fatima,
Du willst die Weihe an dein reines Herz,
Drum weihe ich mich deinem reinen Herzen!
Maria, Gott der Vater sprach zu dir:
Du wohne in dem Herzen Israels!
Maria, Gott der Sohn hat so gesprochen:
Mein Jakob sei dein Eigentum und Erbe!
Maria, Gott der Geist hat so gesprochen:
Du wohne in Jerusalem im Zelt!
Maria, also wohne ich geborgen
In deinem makellosen Mutterschoß,
Und wie du Jesus trugst in deinem Schoß,
So willst du tragen mich zur Heiligkeit.
In deinen Schoß hast du mich eingeladen,
So lebe ich und webe ich in dir,
Bewege mich in deinem Mutterschoß,
Die du mich wirst gebären in den Himmel.
Der Himmel ist, wie Jesus einst gesprochen,
Dem Schoß des Vaters Abraham vergleichbar.
Der Vater Abraham war ja der Vater
Des Glaubens in dem Alten Testamente.
Elisabeth, die Mutter des Johannes,
Sprach aber: Selig, die du hast geglaubt,
Daß sich erfüllt an dir, was Gott verheißen.
Geworden bist du so des Glaubens Mutter,
Des Glaubens in dem Neuen Testamente.
Und also ist das Himmelreich vergleichbar
Dem Mutterschoß Mariens. Schöner ist
Das Neue Testament im Blute Jesu
Als jener alte Bund im Blut von Tieren.
Und schöner als im Schoße Abrahams
Ist Gottes Himmel in dem Schoß Mariens.
Wirst du aus deinem Schoße mich gebären
Ins Himmelsleben in der Ewigkeit,
So ist das Leben in der Ewigkeit
Der Seele Seligkeit im Paradies,
Das Leben in dem Mutterschoß Mariens.
Dein Mutterschoß ist ja der Lustort Gottes,
Dein Schoß das Paradies der Trinität.
So weihe ich mich deinem keuschen Schoß
In dieser Zeit, dass ich geborgen bin
Und du mich trägst zu meiner Heiligkeit,
Und weihe auch mich deinem keuschen Schoß
Für alle Ewigkeit im Paradies.
Dein Schoß, Geliebte, ist mein Paradies!
Maria, immer bete ich den Lobpreis
Des Evangeliums: Glückselig ist
Der Schoß, der dich getragen hat, o Jesus,
Die Brüste, welche du getrunken, Jesus!
So weihe ich mich heute deiner Brust,
Der Jungfrau Mutterbrüsten, welche Jesus
Genährt mit Milch, den menschgewordnen Gott.
Gott sprach ja im prophetischen Jesaja:
Ihr werdet saugen ihre Milch des Trostes
Aus ihrer Mutterbrüste prallem Reichtum
Und tragen wird sie euch in ihren Armen
Und sitzen werdet ihr auf ihrem Schoß.
Ich, Gott, will trösten euch wie eine Mutter!
So sang ja der prophetische Psalmist:
Gott, meine Seele ist bei dir geborgen
Dem Kinde gleich an seiner Mutter Brust,
Dem Kinde gleich, gestillt von seiner Mutter!
Und so, Maria, wähl ich dich zur Mutter,
So weihe ich mich deinen Mutterbrüsten.
Es möge deine rechte Mutterbrust
Des alten Testamentes Weisheit sein,
Es möge deine linke Mutterbrust
Des neuen Testamentes Weisheit sein.
Es möge deine rechte Mutterbrust
Die süße Milch dem Kinde gießen ein,
Es möge deine linke Mutterbrust
Den herben Wein dem Manne gießen ein.
Es möge deine rechte Mutterbrust
Die Milch der Schönen Liebe gießen ein,
Es möge deine linke Mutterbrust
Den Wein der wahren Weisheit gießen ein.
Es möge deine rechte Mutterbrust
Die Milch der Nächstenliebe gießen ein,
Es möge deine linke Mutterbrust
Den Wein der Gottesliebe gießen ein.
Maria, in der Stunde meines Todes
Entblöße deine schönen Mutterbrüste
Vor dem gerechten Richter meiner Seele
Und sag zu Jesus: Mein geliebter Sohn,
Bei diesen Brüsten, welche du getrunken,
Beschwör ich dich: Erbarme dich vollkommen
Und schenk der Seele dieses meines Dieners
Des Paradieses Ruh an meinen Brüsten,
Denn dieser mein geliebter Minnesklave
Ein Myrrhebund ist zwischen meinen Brüsten!
So weih ich mich, Maria, deiner Brust,
Daß du in dieser Zeit mir Nahrung spendest
Und in der Ewigkeit Glückseligkeit!
Was sagt auf mein Gebet die Bibel Gottes?

(Josef schlägt die Bibel auf und liest)

O Josef, sei gesegnet mit dem Segen


Von Brust und Schoß, du Auserwählter Gottes!

ZWEITE SZENE

(Josefs Tante Petronella in ihrer Stube mit Josef. Von einem Vorhang verschleiert ein weiterer
Raum.)

PETRONELLA
Josefchen, ich will, dass du glücklich wirst,
Du sehnst dich ja so sehr nach einer Frau,
Dein Herz ist voller Sehnsucht nach der Liebe,
Doch hast du keine Freundin an der Seite.
Wie willst du eine Frau zur Ehe finden?
JOSEF
Ich habe viele Mädchen schon geliebt,
Ein Psychologe nannte mich einmal
Romanzensüchtig, weil ich immerdar
Verliebt in irgendeins der vielen Mädchen.
PETRONELLA
Dann bist du ja ein wahrer Don Juan,
Ein Don Juan, der alle Frauen hasst,
Weil er sie so notwendig braucht zum Leben,
Nicht ohne schöne Frauen leben kann.
In Wahrheit aber sucht der Don Juan
Die Eine nur, dass er sie ewig liebe.
JOSEF
Ich bin vielleicht der Don Juan, jedoch
Ein andrer Don Juan als im Theater,
Ich bin kein Frauenliebling Casanova,
Ich bin der Don Juan des Liebeskummers,
Von Mädchen wandle ich zu Mädchen, um
Von allen Mädchen abgelehnt zu werden.
PETRONELLA
Das ist ja auch so eine Art von Schicksal.
JOSEF
Ich meine irgendwie, auf meiner Stirn
Ein Zeichen könnte eingebrannt sein, das
Unsichtbar ist und doch den Mädchen sichtbar,
Hellsichtig lesen sie die unsichtbare
Geheime Schrift geschrieben auf der Stirn.
PETRONELLA
Was steht geschrieben denn auf deiner Stirn?
JOSEF
Daß mich kein Mädchen jemals lieben darf!
Daß Gott es allen Mädchen auf der Erde
Verbietet, meine Wünsche zu erhören!
PETRONELLA
Und wenn doch einmal eine dich erhörte?
Du hast bisher nur selbst gesucht, du musst
Dich führen lassen von der alten Tante.
Ich stehe schon mit einem Fuß im Grabe
Und rede darum Prophezeiungen.
JOSEF
Ich habe schon verzagt in meinem Geist
Und sprach zu Gott: O Herr, du führe mich,
Ich weiß nicht selbst die rechte Frau zu finden,
Ich fand nur Frauen, die mich niemals liebten,
Nimm du nun meine Seele in die Hand
Und führe mich nach deinem Wohlgefallen.
PETRONELLA
Hat Gott gegeben dir auch schon ein Zeichen?
JOSEF
Ich las doch eines Tages im Propheten:
Du sollst dir keine Frau zur Ehe nehmen
Und keine Söhne zeugen in der Welt!
PETRONELLA
Warum bist du dann immer noch verliebt
Und eilst von einem Mädchen zu dem andern?
Du musst ja nur die rechte Gattin finden.
JOSEF
Wie soll ich ohne Frauenliebe leben?
PETRONELLA
Gott wird dir eine rechte Gattin geben.
Ich habe sie dir auch schon ausgesucht.
Ein schönes Mädchen, ganz Holdseligkeit,
Stets lächelnd, immer lieblich, allzeit reizend,
Ein wahres übermenschliches Entzücken,
Der Inbegriff von Liebreiz, Charme und Anmut,
Ein Himmelswesen aus dem Paradies!
Wenn du der Adam bist, ist sie die Eva,
Aus deinem Traum der Liebe keusch erschaffen.
Kein Adam wird ja glücklich ohne Eva,
Gott selbst führt Eva ihrem Adam zu.
Ich aber bin die Stellvertreterin
Des lieben Gottes auf der Erde, darum
Vertraue mir, ich wählte sie für dich.
JOSEF
Vielleicht ist das ein Zeichen meines Gottes?
PETRONELLA
Komm, Charis! Komm, mein vielgeliebtes Mädchen!

(Die reine Schönheit tritt aus dem Nebenraum, den Vorhang teilend, hervor. Sie ist entzückend.)

JOSEF
Vision! O Mädchen! Bist du die Madonna?
Du bist ja eine himmlische Erscheinung!
CHARIS
Mein lieber Freund, ich grüße dich von Herzen!
Ach bitte, nimm mich doch zur Ehefrau!
Ich möchte nichts, als dich glückselig machen!

DRITTE SZENE

(Josef allein in der Nacht. Am Himmel der Sichelmond und der Venusplanet. Josef raucht eine
Zigarette nach der andern.)

JOSEF
Maria ist die Königin des Alls,
Von einem Ende dieses Universums
Zum andern Ende dieses Universums
Die Königin des Weltalls waltet herrlich!
Sie ist von einem angebornen Adel,
Der Ewige liebt sie in Ewigkeit!
Und keinen liebt der Ewige so sehr
Als den, der mit Maria lebt vereint!
Als kleines Kind schon liebte ich Maria,
Als Kind war ich verliebt in ihre Schönheit!
Als ich noch jung war und bevor ich reiste
Und dieser Erde Eitelkeit beschaute,
Da suchte ich Maria im Gebet
Und fand sie in der Kirche makellos.
Ich freute mich an ihr wie an den Blüten,
Ich freute mich an ihr wie an den Trauben.
Ich hob die Hände auf zu ihr und fand
Die makellose Jungfrau in der Kirche.
Da suchte ich Maria zu gewinnen
Als mütterliche Freundin und als Braut,
Ich wollte als Verlobte sie gewinnen,
Als meine Ehepartnerin fürs Leben.
Sucht einer Reichtum hier auf dieser Erde,
Wer ist dann reicher als die reine Jungfrau?
Schatzkammer aller Gnadengaben ist sie!
Sucht einer Kunst und fromme Poesie,
Wer ist dann eine Muse wie Maria,
Wie die katholische Urania,
Erzkünstlerin ist sie und singt den Lobpreis
Magnifikat zum Ruhm des Allerhöchsten!
Sucht einer aber das geheime Wissen,
Die Rätsel der Vergangenheit und Zukunft,
So ist sie ja die Mirjam Prophetissa,
Die sie erscheint und prophezeit und weissagt!
Sucht aber einer Tugend, frommes Leben,
So bitte er Maria um die Tugend!
Wer war so keusch je wie die Unbefleckte,
Wer jemals so gerecht wie die Gerechte,
Wer je so tapfer wie die starke Frau
Und je so weise wie die Weisheit Gottes?
Sie war ja selig, weil sie Gott geglaubt,
Sie hat im Tode Christi noch gehofft,
Sie ist der schönen Liebe Jungfrau-Mutter!
Maria wollte ich zur Ehefrau,
Weil die Marien-Ehe reine Lust ist!
Die Ehe mit den Erdenfrauen bringt
Verdruß des Lebens nur und Liebeskummer,
Die Ehe mit Maria aber ist
Des Paradieses Wollust nur und Wonne!

(Am Himmel schiebt sich eine Wolke vor den Sichelmond und die Venus. Josef steckt sich eine
neue Zigarette an.)

Doch Charis, diese reine Schönheitsgöttin,


Bezaubert mich unglaublich und betört mich!
Maria habe ich ja nie gesehen,
Doch Charis ist so sichtbar auf der Erde!
Seh ich die rötlichbraunen Lockenfluten,
Gebunden mit dem Knoten in dem Nacken,
Umflutend die Delphinenschultern, so
Lieg ich gefangen in den Lockenfesseln!
Seh ich die Rosenlippen wollustatmend,
Wie sie sich wölben, ach, zum süßen Lächeln,
So möcht ich diese süßen Lippen küssen!
Berauschender die Küsse dieser Lippen
Als selbst der Rotwein oder der Champagner!
Seh ich die strahlengleichen blauen Augen
Wie Himmel voller Frühlingshoffnung lächeln
Und leuchten wie ein neuer Weltenmorgen,
So möcht ich meine Seele ewig baden
In fließender Erleuchtung dieser Augen
Und ewig tauchen in den blauen Himmel
Der himmelblauen Frauenenzianen!
Die wollustvollen weißen Wonnebrüste
In ihrem Kleid verborgen offenbar
Sind himmlisch wie des Paradieses Lüste!
Die Frauenbrüste sind wie Pfirsichfrüchte,
Wie Pfirsichfrüchte der Unsterblichkeit!
Und in den runden Armen auszuruhen
Von aller Lebensnot und allem Kummer
Und aller Müh und aller Seelenangst
Und aller Traurigkeit und Einsamkeit,
Sich an die weidengertenschlanken Hüften
Und Lenden des Gemütes anzuschmiegen,
Das wäre wie ein Himmelreich auf Erden!
Ach, denke ich mir Charis in dem Bett,
So scheint das duftberauschte Frauenbett
Ein Himmelsbett des Paradieses mir!
Die süße Pflaume aber erst zu spalten,
Das nektarsüße Pflaumenfleisch zu kosten,
Das scheint mir göttliche Vereinigung
Und übermäßige Glückseligkeit!

(Die Wolke verschwindet. Sichelmond und Venus strahlen wieder.)

O wundervolle Schönheitsgöttin Charis,


Was wär dein Liebreiz jemals im Vergleich
Mit Gottes jugendlicher Jungfrau-Mutter?
Doch ach, die Sichtbarkeit des süßen Fleisches!
Jetzt kann ich nur noch Seelenruhe finden,
Wenn ich die Flasche roten Weines leere.

VIERTE SZENE

(Josef kniet vor Charis mit einer roten Rose.)

JOSEF
Du, Charis, bist der Inbegriff der Schönheit,
Du bist ja viel zu schön für diese Welt!
CHARIS
Du sagst ja immer solche schönen Sachen.
JOSEF
Es sagte einst zu mir ein frommer Mann:
Der Frau Leib ist des Mannes Paradies!
CHARIS
Begehrst du denn nur meinen Frauenkörper?
JOSEF
Ich nenn dich meines Fleisches Königin!
CHARIS
Willst du denn nur die körperliche Liebe?
JOSEF
Als Gott geschaffen aus der Mutter Erde
Das erste Männlein auf der ganzen Welt
Und dann das Männlein, ach, so einsam war
Und schließlich träumte nachts von einer Traumfrau,
Da brachte in der Morgenröte Gott
Das erste Fräulein zu dem ersten Männlein,
Da jauchzte vor Entzücken auf das Männlein:
Sie ist es! Bein von Bein und Fleisch von Fleisch!
Denn das Entzücken eines Mannes ist
Gebein und Fleisch des Fräuleins, seiner Traumfrau,
Der Liebe Sprache redet hingerissen
Die warme Sprache körperlicher Liebe.
CHARIS
Doch wenn ich nicht mehr jung und reizend bin,
Wirst du dann meinen Geist noch immer lieben?
JOSEF
Ich liebe dich als Seele meiner Seele.
Bevor Natur mich schuf im Mutterschoß,
War ewig ich ein Geist im Geiste Gottes,
Da warst du schon als Braut an meiner Seite,
Da warst du als mein Ideal in Gott
In Ewigkeit der Morgenröte Göttin.
Und wenn ich sterbe und kehr heim zu Gott
Und du mir folgst und heimkehrst auch zu Gott,
Wirst du im Paradies des Gartens Eden
Vereint mir sein als Paradieses Jungfrau!
CHARIS
Du liebtest mich schon vor der Weltenschöpfung
Und wirst mich in den Ewigkeiten lieben,
Das glaube ich dir gern, du süßer Träumer,
Doch liebst du mich auch hier auf dieser Erde
Im mühevollen Alltag dieser Erde?
JOSEF
Nicht nur die Flüchtigkeit der süßen Lust
Zieht mich zu dir, vielmehr noch die Vision,
Daß ich in deinem Schoß als einer Göttin
Der Fruchtbarkeit und großen Muttergöttin
Schon keimen seh die Söhne meines Samens!
CHARIS
Du möchtest Kinder, möchtest Vater werden?
JOSEF
Ich will von deinem Schoße sieben Söhne,
Du sollst den Söhnen liebe Mutter sein,
Ich will den Söhnen guter Vater sein.
Ich möchte, dass die Söhne rufen: Papa,
Ich möchte einmal werden so wie du!
Ich möchte stark und gütig als ein Vater
Ein Mann sein nach dem Vaterherzen Gottes
Und Gottes Vaterantlitz widerspiegeln
Und Abbild Gottes sein vor meinen Söhnen.
CHARIS
Und wenn die sieben Söhne groß geworden
Und lösen sich von ihrem Elternhaus?
JOSEF
Dann will ich als ein Greis mit meiner Greisin
Den Sessel neben deinen Sessel stellen
Und träumen sanft mit dir dem Tod entgegen.
Wenn wir dann Arm in Arm im Tod entschlafen,
Dann auferstehen wir im Reiz der Jugend,
Dann werde ewig ich als schöner Jüngling
Dich lieben als des Himmels Jünglingsgöttin!
CHARIS
Und wenn ich eines Morgens auf der Erde
Dich wecke und erinnre dich daran,
Den Abfalleimer noch herauszutragen?
Und wenn du Abends von der Arbeit kommst
Und ich begrüße dich mit Zungenzank,
Daß wieder du das Klopapier vergessen,
Daß ich den Kindern wische ihren Popo
Mit einem Handtuch, das voll Kinderkot,
Mit dem ich morgens trockne dann mein Antlitz?
JOSEF
Ich rede von der Poesie der Liebe,
Du aber sprichst vom Kot des Erdenalltags!

FÜNFTE SZENE

(Schlafzimmer Josefs. Josef ruht auf dem Sofa. Die Jungfrau von Guadelupe erscheint mit den
Erzengeln Gabriel und Michael und dem Heiligen Johannes Paul dem Großen.)

GABRIEL
O Jungfrau, vierzehnjährige Madonna,
Du zähltest eben junge vierzehn Jahre,
Als Josef dich zum Brautgemahl bekam,
Ich mein den Josef, welcher heilig ist,
Nicht diesen irdisch-sündigen Genossen,
Der ganz zu Unrecht Josefs Namen trägt.
Ich grüßte dich als Kecharitomene,
Die Charis mit dir, Kecharitomene!
Da überlegtest du in deinem Herzen,
Was dieser Gruß bedeute, Gnadenvolle,
Begnadete, dass mit dir Gottes Gnade.
Empfingst du nicht in deinem Muschelohr
Den Engelsgruß des Ave, neue Eva?
Und mit dem Engelsgruß des Ave du
Empfingest Gottes Wort in deinem Ohr,
Da zeugte Gottes Geist in deinem Schoß,
Die Ruach ha kadosch ward schöpferisch
Und schuf als Schöpferin in deinem Schoß
Die benedeite Leibesfrucht Mariens,
Da du, die vierzehnjährige Madonna,
In deinem Schoß an der Plazenta nährtest
Die Weisheit Gottes, Gottes Weltvernunft,
Sophia oder Logos fleischgeworden.
MICHAEL
O Jungfrau, vierzehnjährige Madonna,
Ich seh dich stehen auf dem Sichelmond,
Umgeben von dem Strahlenglanz der Sonne,
Der Sterne Ordnungen auf deinem Mantel.
Apokalyptische Messiasmutter,
Du bist das Große Zeichen in der Endzeit,
Die Dame der Geheimen Offenbarung!
Als Neue Eva trittst du Satan nieder,
Als Frau der Schmerzen opferst du den Sohn
Und als der Kirche Jungfraumutter du
Gebierst in Schmerzenswehen Christi Körper,
Das mystische Gebilde seines Leibes,
Das ist die Kirche seit dem Fest von Pfingsten.
Ich sehe Satan dich bekämpfen, Jungfrau,
Seh gegen dich den alten Drachen kämpfen,
Du aber, o allmächtige Prinzessin,
Besiegst den Satan als die Große Frau,
Die Neue Frau der Offenbarung Gottes!
JOHANNES PAUL
Ich liebe dich als meine liebe Mutter,
Die Mutter Gottes und der Menschheit Mutter,
Von Indien bis Amerika Maria
Ist Große Mutter aller Menschenkinder.
Vor allem weih ich Russland deinem Herzen,
Die Kranken weih ich dir und alle Kinder!
Doch mehr noch lieb ich dich als Große Frau,
Als Neue Eva aus dem Paradies,
Vertraute Schmerzensfrau des Schmerzensmannes,
Als Dame der Geheimen Offenbarung.
O Jungfrau, vierzehnjährige Madonna,
Ich sehe die lebendige Ikone
Der Schönheit, der Urschönheit der Urgottheit,
Und nenn dich liebevoll mein braunes Mädchen,
Die vielgeliebte Morenita mia,
Und wähle dich, o Morenita mia,
Zur Himmelsmuse meiner Künstlerseele!
MARIA
Mein Josef, weil ich dich besonders liebe
Mit einer ganz besonders heißen Liebe,
Mit einer brennenden und grenzenlosen
Intimen Ganzhingabe meiner Liebe,
Drum warne ich dich vor dem schlimmen Irrweg,
Wenn du der Erde Menschenliebe wählst,
Nein, weihen sollst du dich der Schönen Liebe,
Doch nicht der irdisch-menschlichen Verliebtheit!
Ich will dich ganz für mich, für mich allein,
Ich lad dich ein in meinen keuschen Schoß,
Ich lad dich ein, dich mir zu einigen,
Damit ich dich in meinem keuschen Schoß
Zum Paradies der Schönen Liebe trage!
Ich möchte nicht, dass Satan dich versucht
Und Unzucht dich hinabreißt in die Hölle!
Drum weihe ganz dich meinem reinen Herzen
Und schenk mir deiner Liebe Ganzhingabe!
JOSEF
Ich rufe nicht zu Vater, Sohn und Geist,
Ich rufe nur zur Heiligen und Schönen,
Ob mich auch alle Frommen närrisch nennen!
Ich liebe keine Frau der Erde mehr,
Und wenn die Männer ihre Frauen preisen,
Dann preise ich die Königin des Himmels!
Ich faste nicht und beichte nicht und Satan
Verlangt nach meiner Seele für die Hölle,
Doch du, allmächtige Prinzessin, wirst
Als Advocatin, Allmacht auf den Knien,
Die Seele deines Minnesklaven retten!
Drum möchte ich im Paradies des Himmels
Als Minnesänger ewig dich lobpreisen!

SECHSTE SZENE

(Die Jungfrau ist mit Josef allein.)

MARIA
Mein vielgeliebter auserwählter Sohn,
Ich glaube, du hast zu viel Wein getrunken!
So trägst den Namen Josef du zu recht,
Weil dir des Mittelalters dicke Mönche
Erzählten und die Künstler dir dies malten,
Daß Josef, der mein keuscher Ehemann,
Ein alter Greis war, immer melancholisch,
Noch in der süßen Weihnacht melancholisch
Und beim Besuch der Magier des Ostens
So melancholisch und so voller Schwermut,
Daß er die tiefe Traurigkeit der Seele
Ertränken musste in dem roten Wein!
Du weißt, als wir geflohen nach Ägypten,
Da wollte Josef unsre Tasche packen
Und tat in das Gepäck zu viele Flaschen
Mit rotem Wein und auf der Wanderschaft
Er wollte immer wieder in die Schenke,
Weil er ein Trinker war, ein wilder Zecher,
Er liebte über alles das Geräusch
Des Korkens, wenn er aus der Flasche springt.
Und du, der neue Josef meines Herzens,
Du eiferst nach dem Heiligen der Bibel
Und ahmst ihn nach vor allem in der Trunksucht!
Wie ungern gehst du Sonntags in die Kirche,
Das Blut des Christus Jesus zu verkosten!
Wie gerne aber trinkst du Bacchus’ Blut
Und nennst es Christi Blut und Christi Blut
Lobpreist du als den großen Kummerbrecher,
Den Sorgenbrecher und den großen Löser!
JOSEF
Ich träumte heute Nacht vom besten Wein,
Da träumte ich, ich stünde vor der Kirche,
Ich stünde vor der Sankt-Marien-Kirche
Und wollte beichten bei dem alten Priester,
Der Priester aber eben zelebrierte
Die Messe in der Sankt-Marien-Kirche,
Da kniete nackt ich in der Kirchenbank
Und nackt empfing ich als ein Sakrament
Die Flasche mit dem besten süßen Wein,
Liebfrauenmilch wie süße Muttermilch,
Den nektarsüßen Wein Liebfrauenmilch
Wie Gottes süße Muttermilch des Trostes.
MARIA
Und darum bist du so betrunken, Josef,
Daß du dir eine irdische Geliebte
Erwählst und deine himmlische Geliebte
Maria mit der Sterblichen betrügst?
JOSEF
Gedenk, wie schön die sterbliche Geliebte,
Was für ein Augenschmaus für meine Augen!
MARIA
Denkst du denn so gering von meiner Schönheit,
Denkst du denn so gering von meiner Liebe?
Schau, wenn mich ein Chinese so gesehen,
So riefe er: Ich schau die Perlengöttin!
Schau, durch die Hände rinnen mir die Perlen,
Um meine Arme hängen Perlenschnüre,
Die Perlen küsse ich mit meinen Lippen.
Hast je du einen solchen Mund gesehen,
Stets lächelnd lieblich und geheimnisvoll
Und stets bereit zu einem keuschen Kuß?
Kein bittres Wort hörst du von meiner Zunge,
Wie Milch und Honig süß ist meine Zunge.
Die keuschen Küsse meiner Feuerzunge
Inspirationen sind von Gottes Geist.
Hast jemals solche Augen du gesehen,
Die dunkel sind voll mütterlichen Trostes
Und strahlen vor liebfraulicher Verliebtheit?
Den Morgensternen gleich sind meine Augen
Und schauen allzeit gnädig auf dich nieder,
Du auserwählter Mann in meinen Augen!
JOSEF
Ich sehe mich ja selbst in deinen Augen,
Es ist, als ob mein Thron im Himmel wär
In deines Auges lichtem Morgenstern!
MARIA
Nun kannst du dich auch vom Islam bekehren
Und von dem Garten Eden Mohammeds,
Denn dich erwarten in dem Paradiese
Kein Huri-Harem, keine nackte Haura,
Nicht Paradiesesfrauen zu dem Beischlaf,
Nein, meine Wahrheit will ich dir verkünden,
Die Macht der Liebe, offenbart in Jesus!
Wenn du auf Erden mein Verlobter bist,
Mein keuscher Bräutigam im Kreuzeszeichen,
Vollziehe ich dereinst im Paradies
Mit dir die Ehe, Hochzeit feiern wir,
Dann schenk ich dir die makellose Perle
Der Ganzhingabe deiner Ehefrau,
In ewiger Glückseligkeit und Wonne,
In mystischer Vereinigung Ekstase
Wohnst du mir bei in meinem Ehebett!
JOSEF
Daß ich gelang einst in Marias Bett,
Nie eines andern Weibes Bett besteige,
Maria, gib du mir ein Segenszeichen.
MARIA
Nimm diese wundertätige Medaille
Und trage allzeit sie um deinen Hals,
Und trag dies Skapulier vom Berge Karmel
Geheim verborgen stets an deinem Fleisch,
Dann lad ich bald dich in mein Ehebett!

SIEBENTE SZENE

(Charis allein in ihrem Schlafzimmer. Im Käfig ein Paar Nymphensittiche.)

CHARIS
Ich will einmal die eigne Seele schauen
Und darum schließe ich des Fleisches Augen
Und öffne meines Herzens Augen innen.
Was lebt in dem Geheimnis meiner Seele?
Kann ich die Gnade meiner Taufe sehen?
Ich sehe in dem Inneren ein Bett,
Verschleiert ist das Bett von sieben Schleiern,
Ich sehe mich als Braut in diesem Bett
Und sehe schmachten mich nach meinem Gott,
Da aber kommt mein Gott und Bräutigam
Messias Jesus an als Lichtgestalt,
Umarmt mich mit barmherziger Umarmung
Und drückt mich an sein liebeskrankes Herz,
Dann küsst er meine Stirn mit Segensküssen
Und streichelt segnend mit der Hand mein Haar,
Das darf sonst keiner, nicht einmal mein Vater,
Doch Jesus darfs, mein Gott und Bräutigam.
Nun küsst mir Jesus meine Augenlider
Und trinkt die Tränentropfen von den Wimpern.
Nun küsst er zärtlich meine Nasenspitze
Und küsst die schöngewölbte Wangenröte
Mit dem geschwisterlichen Kuß der Liebe.
Nun aber küsst er meines Mundes Lippen,
Ganz wie im Hohenliede Salomonis
Geschrieben steht vom Liebesdichter Gottes:
Er küsse mich mit seines Mundes Küssen!
Mein Bräutigam ist wie ein Myrrhebund
Gebettet zwischen meinen beiden Brüsten.
Er wohnt mir bei in göttlicher Erkenntnis.
Und da ich voll bin von der Liebe Gottes,
Gelang ich auf den Gipfel der Ekstase
Und fliege von den Gipfeln der Ekstase
In mystischer Vereinigung mit Gott
Ins Himmelsparadies der Schönen Liebe
Und jauchze: Ja, mein Gott und Bräutigam!

(Die Tür des Vogelkäfigs geht wie von selber auf, die beiden Nymphensittiche fliegen aus dem
Käfig und schwirren fröhlich durch das Schlafzimmer.)

O tot, gestorben ist mein lieber Josef!


Was soll ich aber trauern wie die Heiden?
Mein Jesus hat die Augen mir geöffnet,
Ich sehe! Was ich sehe aber, siehe,
Ich seh Maria, eine Lichtgestalt,
Sie thront auf einem goldnen Himmelsbett,
Ihr Kleid, wie Seide fein, ist ganz aus Licht,
Ihr Kleid ist rein wie transparenter Lichtglanz,
Ihr Leib ist weiß und rein und makellos,
Ihr Leib ist wie aus Licht und transparent,
Ich sehe Josef in dem Arm Mariens,
Ich sehe Josef als Unsterblichen
Eingehen in Mariens lichten Schoß,
Verschmelzen mit dem transparenten Schoß,
Ich sehe den Unsterblichen verherrlicht
Durch reine Liebe seiner Menschengöttin,
Die sie als Sakrament der Liebe Gottes
Dem Josef schenkt das Ehesakrament
Und lässt ihn Anteil haben an der Gnade,
Mit der ihr Gott zur Göttin sie vergöttlicht!

JEPHTAHS TOCHTER

ERSTE SZENE

(Die Familie des Vaters Gilead. Gileads Leichenschmaus. Gileads Gattin, ihre Söhne, und Jephtah.)

FRAU GILEAD
Nun tot mein Gatte, der Vergötterte,
Nun seine Asche ruht in goldner Urne,
Gedenken wollen wir nicht mehr des Todes,
Denn tot die Toten sind in Ewigkeit,
Wir aber leben auf der Mutter Erde.
Wenn ich auch sterbe, wenn ich bald auch tot bin,
Zerflattert ja mein Geist ins leere Nichts.
Drum, weil wir leben, weil wir morgen tot sind,
Drum lasst uns heute Rosenblüten pflücken
Und Kränze uns von roten Nelken winden
Und lasst uns, wenn der Lenz zurück kommt, tanzen,
Und trinken lasst uns nur den besten Wein!
ERSTER SOHN GILEADS
Wenn wir schon sterben und zur Hölle fahren,
So wollen wir zumindest doch auf Erden
Nicht Essig saufen, sondern Traubenblut!
Ein jeder Tag ist kostbar, viel zu kostbar
Das kurze Leben, um es zu verschandeln
Mit schlechtem Wein. Man trinkt nicht in der Hölle,
Drum lasst uns trinken, trinken hier auf Erden!
ZWEITER SOHN GILEADS
Was Vater Gilead uns hinterließ,
Verkaufen wir dem Krämer Kanaans,
Dann bleibt uns in der harten Schekel-Währung
Ein Erbteil unausrottbar. Unser Erbe
Beträgt so etwa tausend Silberschekel,
Ein Drittel für die Gattin Gileads,
Ein Drittel für den ersten Sohn der Gattin,
Ein Drittel für den andern Sohn der Gattin.
ERSTER SOHN GILEADS
Du, Jephtah, was willst du von deinem Vater
Empfangen als ein Erbe, Sohn der Hure?
JEPHTAH
Vom Vater will ich nichts als nur den Glauben.
ERSTER SOHN
Den Glauben! Dafür kannst du dir nichts kaufen!
JEPHTAH
Doch wenn ich glaube an den Gott Jehowah,
Dann kauft er mich dereinst vom Tode los.
FRAU GILEADS
Du Sohn der Hure, ungezogner Bastard!
Ist’s wahr und gibt’s ein göttliches Gericht,
Verklagst du vorm Gericht des Totenrichters
Und der Dämonen-Schöffen deinen Vater,
Denn du erinnerst an den Ehebruch
Und an die Unzucht mit der Tempelhure!
ERSTER SOHN
Da unser Vater in der Erde liegt,
Was suchst du noch in unserer Familie?
Geh, unsre Mutter ist nicht deine Mutter!
ZWEITER SOHN
Verwandt sind unter sich der Mutter Kinder,
Ein Bastard aber und ein Hurensohn
Ist nicht willkommen in der edlen Sippe.
FRAU GILEADS
Nein, du bist nicht mein Sohn, du Sohn der Hure,
Ich dulde dich nicht länger hier im Haus,
Aus meinen Augen, deines Vaters Schandfleck!
JEPHTAH
Als Gott Jehowah sprach zu Abraham:
Geh fort aus deiner Heimat, deiner Sippe,
Da folgte Abraham gehorsam gleich,
Er wusste nicht, wohin der Weg ihn führt,
Doch wusste er, dass ihn Jehowah führte.
So geh auch ich von eurer Sippschaft fort,
Gott führe mich ins Land von Milch und Honig,
Gott segne mich mit Huld von Brust und Schoß!

(Jephtah ab.)

FRAU GILEADS
Der war ja nicht von uns. Den sind wir los.
Nun lasst uns aber essen, lasst uns trinken!

(Bote tritt herein, hastig atmend.)

BOTE
Ihr Söhne Israels, der Krieg brach aus,
Die Ammoniter fingen an den Krieg
Und Israel muß zu den Waffen greifen!
Ihr Söhne Israels, zieht in den Krieg!
Die Juden aber brauchen einen Führer
Und darum komme ich in euer Haus,
Jehowah will berufen euern Jephtah
Zum Juden-Führer von Jehowahs Gnaden!
(Alle schweigen erschrocken.)

ZWEITE SZENE

(Freies Feld.)

DIE ÄLTESTEN
Nun Ammons König eingefallen ist
In unser Land, das uns der Herr gegeben,
Da kann sich Israel nicht wehren, weil
Zerstreut sind unsre Stämme, unsre Scharen.
Ist heilig Juda mit Jerusalem
Und Benjamin mit ihm, der kleine Liebling!
Doch abgespalten ist die schöne Tirza
Und Josefs Söhne Ephraim, Manasse.
Wenn wir nur einig wären, glaubten wir
An Einen Gott, Ein Reich und Einen Glauben,
Vereint im Glauben an den wahren Gott,
Vereinigt in der Lehre wahren Glaubens!
Doch unsres Volkes Spaltung macht uns schwach,
Da ringsumher sich sammeln Heidenvölker,
Da uns bedrängt die wilde Tochter Moab
Und Edom uns bedrängt, der Sohn von Esau,
Und Amoriterinnen, Amoriter
Bedrängen uns mit ihren vielen Göttern
Und ihren vielen Göttinnen der Heiden!
Und nun zuletzt kommt noch der König Ammon!
Wer aber wird die auserwählten Stämme
Vereinigen und Führer sein der Juden?
Wir bitten Jephtah, Sohn des Gilead,
Des auserwählten Gottesvolkes Retter
Und Richter in Gerechtigkeit zu sein!

(Sie treten vor Jephtah, der auf einem Felsblock wie auf einem Thronsessel sitzt.)

Heil Führer Israels, des Volkes Gottes!

JEPHTAH
Ihr wisst, dass meine Brüder mich verjagten,
Stiefmütterlich die Gattin meines Vaters
Verjagte mich aus meines Vaters Hause.
DIE ÄLTESTEN
Wir kennen alle deine Leiden, Jephtah.
JEPHTAH
Wo ich geredet hab, da hörte keiner,
Mich lehnten alle ab und hassten mich!
Ich war der Letzte in der ganzen Welt,
Ein toter Hund, ein Wurm und eine Motte!
Wenn andere zu Gott gebetet haben,
So hörte Gott auf alle ihre Wünsche
Und eilte, ihre Wünsche zu erfüllen.
Wenn aber ich zu Gott gebetet habe,
Verstopfte sich Jehowah seine Ohren!
Mein Beten drang nicht durch die Wolkendecke!
Vielmehr die Wolkendecke schwarzer Trauer
Hing also niedrig über dieser Erde,
Daß ich gebückt einher ging, schlich gekrümmt!
Ich flehte Gott um seine Gnade an,
Und welche Gnade schenkte mir der Herr?
Daß Satan mich mit Fäusten prügelte,
Mich prügelte, bis mir der Atem ausblieb,
Daß ich nur heulen konnte vor Jehowah
Und schrie und hörte meiner Schreie Echo:
Ah Gott, was tust du meiner Seele an!
DIE ÄLTESTEN
Der Auserwählten Zeichen ist das Leiden.
JEPHTAH
Ich fürchte mich vor Gottes großer Gnade,
Wenn seine Gnade solches Leid bedeutet!
Da wär ich lieber unbegnadet fröhlich,
Als auserwählt und so zu Tod gemartert!
DIE ÄLTESTEN
Schau auf die Ewigkeit bei Gott dem Herrn!
Denn so spricht Gott der Herr: Mein lieber Sohn,
Weil du auf Erden warst der Allerletzte,
Sollst du den ersten Platz im Himmel haben!
JEPHTAH
Ihr wisst zu trösten, meine weisen Alten.
DIE ÄLTESTEN
Nun, auserwählter Liebling unsres Gottes,
Komm, sei der Führer du des Judenvolkes,
Sei Richter in Gerechtigkeit des Herrn
Und rette Israel, das Volk Jehowahs,
Befrei uns von den Feinden, von den Heiden!
JEPHTAH
Ich soll der Führer sein von Israel?
DIE ÄLTESTEN
Der Geist des Heiligen hat dies beschlossen.
JEPHTAH
O Gott, mein Herr, laß dieses Richterschwert
An meinem Haupt vorübergehn! Erbarmen!
Dein Wille aber soll geschehen, Herr!

DRITTE SZENE

(Jephtah und der König von Ammon in Kriegsrüstung stehen einander zur diplomatischen
Verhandlung gegenüber.)

JEPHTAH

Warum seid ihr in unser Land gekommen


Und streitet gegen Gottes Israel?
KÖNIG
Als Israel geflohen aus Ägypten,
Geflohen aus der Knechtschaft Feuerofen,
Da habt ihr unser Land von uns genommen.
Wir lebten hier zuerst im Jordanland
Und dienten alle Morgen, alle Abend
Gott Kemosch. Kemosch ist der wahre Gott
Und Ammon ist sein auserwähltes Volk!
JEPHTAH
So laß uns weiter keine Kriege führen.
Soll euer Kemosch doch beweisen, dass
Er Gott ist. Israel glaubt an Jehowah!
Jehowah, wahrer Gott, Gott Israels,
Wird für uns streiten, der Allmächtige!
Gott straft zwar seine auserwählten Juden
Und seine Rechte lastet schwer auf uns,
Ob wir gezüchtigt werden von dem Vater,
Er lässt nicht zu, dass uns die Feinde fluchen!
Er wandelt allen Fluch in Segen um!
KÖNIG
Ihr habt ja Ammon nicht allein erobert,
Auch Moab, Edom und die Amoriter.
Der ganze Nahe Osten sich vereinigt
Und rüstet gegen Israel und Juda.
Ihr meint, ihr seid ein auserwähltes Volk
Und euer Gott sei einzig wahrer Gott.
Wir aber glauben an den Gott der Götter,
Wir nennen Kemosch unsern Gott der Götter,
In Kanaan der große Gott ist Baal,
In Kedar heißt der große Gott Allah,
In Persien heißt Gott Ahura Mazda,
Am Ganges heißt der Gott der Götter Indra,
Ägypten preist den Gott der Götter Amun.
Wir alle glauben nur an Einen Gott,
Denn Kemosch, Baal, Ahura Mazda,
Re, Amun, Indra, alle sind der Eine,
Sein wahrer Name aber ist Gott Baal!
JEPHTAH
Hör, Israel, Gott ist allein der Herr!
KÖNIG
Die Götter werden streiten in dem Himmel,
Soll euer Gott sich zanken mit dem Baal,
Wir aber auf der Erde führen Krieg,
Weil wir das Land am Jordan haben wollen.
JEPHTAH
Der Jordan und das Land am Jordan ist
Das Eigentum des dreimalheiligen
Jehowah und das Wildbachtal am Jabbok.
Ich aber seh im Wildbachtal des Jabbok
Die Himmlischen in ihrem Doppellager,
Die Himmlischen von Mahanajim helfen
Den Heeresscharen Israels im Kampf,
Der Vater gibt uns das Gelobte Land.
KÖNIG
Sieg Heil dem auserwählten Volk von Ammon!

(König ab.)

JEPHTAH
Der Arnon-Strom sei Tochter Moabs Grenze,
Das Wildbachtal von Jabbok aber und
Das Doppellager Mahanajim und
Der Jordanstrom ist Israel zu eigen.
Gott hörte von dem Stolz der Tochter Moab,
Von ihrem Hochmut, ihrem Eigensinn,
Von dem unendlich törichten Geschwätz!
Nun aber statt der Pracht der schwarzen Haare
Ist Tochter Moabs Schädel kahlgeschoren!
Man hört ein Weinen bei der Tochter Moab!
Die Tochter Moab hat nun keinen Wein mehr!
Da wendet Tochter Moab sich um Hilfe
An Israel: Nimm meine Zwillingslämmer
In deine Obhut, weide sie als Hirte!
Doch nimmt kein Ende Tochter Moabs Prahlen,
Ihr hartes Herz, ihr kalter Eigensinn,
Ihr völlig sinnlos törichtes Geschwätz!
Drei Jahre lang regierte Tochter Moab
Und Israel half ihr als Guter Hirte
Und weidete die kleinen Zwillingslämmer.
Zuletzt blieb aber kaum noch etwas übrig
Von all der Herrlichkeit der Tochter Moab.
Du aber, Edom-Esau, Jakobs Bruder,
Jehowah liebt von ganzem Herzen Jakob,
Doch Esaus Haus macht er zur Drachenwohnung!
Ja, Jakob wird geliebt von seinem Gott,
Und selbst wenn Jakob spricht: Ich bin verlassen,
Mein Gott, mein Gott, was hast du mich verlassen!
Dann spricht der Herr: Verlässt den Sohn die Mutter?
Selbst wenn die Mutter ihren Sohn verlässt,
Die Gottheit nicht verlässt den Gottgeliebten!

VIERTE SZENE

(Jephtah im Kriegskleid mit einer israelitischen Truppe, vor allem den Drei Helden, vor einem
Steinaltar.)

JEPHTAH
Wir schwören unserm Gott und Herrn die Treue,
Die Freiheit Israels ist herzustellen,
Daß Israel in gottgeschenkter Freiheit
Und in dem Frieden und der Ruhe Gottes
Gebot und Weisung Gottes ruhig lebe
Und durch den Segen solchen frommen Lebens
Bezaubere die Heidenvölker alle!
DIE DREI HELDEN
Wir sind bereit, zu sterben für die Freiheit!
Der Friede Gottes ruh auf Israel!
JEPHTAH
Wenn Israel nach Gottes Weisung lebt,
Dann werden sie vom Ganges bis nach Ofir
In Ehrfurcht schauen nach Jerusalem
Und von dem Götterberg im hohen Norden
Bis zu der Insel in dem Meer des Westens
Die Heidenwelt wallfahren wird nach Zion.
DIE DREI HELDEN
Wir geben unser Leben hin für Gott!
JEPHTAH
Wenn nicht Jehowah selbst die Schlachten führt,
Umsonst die Krieger kämpfen in dem Krieg.
Wenn nicht Jehowah uns den Frieden schenkt,
Umsonst beraten sich die weisen Männer.
Wir gehen hin und säen Blut und Tränen,
Am Morgen aber feiern wir den Frieden.
Wohl dem, der solche Helden hat wie euch,
Die ihr wie Samson seid und Gideon,
Denn solcher Heeresfürst wird nicht zuschanden,
Begegnet er dem Feind auf offnem Feld.
ERSTER HELD
Gott, der Allmächtige, ist Triumphator!
ZWEITER HELD
Der kommende Messias schenkt uns Frieden!
DRITTER HELD
Wir lieben über alles Gottes Frieden!
JEPHTAH
Versammelt meine Heiligen beim Opfer,
Beim Sühneopfer schließen wir den Bund.
Freiwillig opfern wir den Holocaustus,
Freiwillig opfern wir das Ganzbrandopfer.
Drei Helden mein, wir weihn uns dem Messias!
DREI HELDEN
Als Sklaven sind wir ganz das Eigentum
Jehowahs und des göttlichen Messias!
JEPHTAH
Ich bringe Gott zur Weihe mein Gelübde:
Hör, Gott, der du das Ohr gemacht, Gott, höre,
Für Kemosch will sich Ammon töten lassen,
Ja, schlimmer noch, für Kemosch will er morden,
Sein Kemosch herrschen soll in Terrorherrschaft!
Jehowah, der du Freiheit bist und Frieden,
Ein Vater voller Liebe allen Menschen,
Wenn du uns hilfst, die Feinde zu besiegen,
Die Götzendiener und die Menschenmörder,
Die Kindermörder und die Zauberpriester,
Die Judenhasser und die Hurenböcke,
Jehowah, schenkst den Sieg uns in dem Kampf
Und schenkst du Israel und aller Welt
Das Friedensreich des göttlichen Messias,
So opfre ich als Ganzbrandopfer dir
Das Erste auf, das mir entgegenkommt
Aus meinem Haus, wenn ich vom Siege heimkehr!

(Es donnert am Himmel.)

Die Stimme Gottes donnert über Wassern,


Die Stimme Gottes wirbelt Wälder kahl,
Die Stimme Gottes macht die Hirschkuh kreißen,
Die Stimme Gottes lässt den Hermon hüpfen!

(Es blitzt am Himmel.)

Seht, meine Helden, Gott zeigt seine Waffen,


Jehowah reißt die Himmelskuppel auf!
Seht ihr den weißen Thron im offnen Himmel,
Jehowah auf dem weißen Throne thronend?
DREI HELDEN
Heil, dreimalheiliger Jehowah, Heil!

FÜNFTE SZENE

(Jephtah eilt übers Feld, in zerlumpter Rüstung, blutüberströmt. Ihm folgen mit letzter Kraft die
ebenfalls verwundeten Drei Helden.)

JEPHTAH
Triumph und Sieg des reinen Herzens Gottes!
Der Feind ist überwunden und zerschlagen,
Geopfert hab ich meines Herzens Blut,
Nur mit der Zähne Haut kam ich davon!
ERSTER HELD
Ein Stich zerschnitt mir meine rechte Wange,
Ich weihe Gott mein Fleisch und meinen Eiter!
ZWEITER HELD
Zerbrochen sind die Zähne mir im Maul,
Ich weihe Gott den Rachen meiner Kehle!
DRITTER HELD
Zerfetzt die Lunge ist in meiner Brust,
Ich weihe Gott das Röcheln meines Atems!
JEPHTAH
Und ob wir auch zerschunden sind, zerfleischt,
Ob wir verblutet sind im Kampfgefild,
Ob auch die Seele pfiff schon aus der Nase,
Triumph und Sieg des reinen Herzens Gottes!
ERSTER HELD
Ich sah die todgeweihten Mütter schreien!
ZWEITER HELD
Ich sah die Waisenkinder bitter weinen!
DRITTER HELD
Ich sah die Toten auf dem Gräberfelde!
JEPHTAH
Doch aus der Katastrophe dieses Krieges
Steigt triumphal der Friede Gottes auf!
Ihr Helden, hört von meinem Traum heut Nacht:
Im Kerker ich, gefangen von dem Feinde,
Gefesselt, Ratten nur bei mir im Kerker
Und um mich nichts als Todes Finsternis,
Da tat sich auf die Decke meines Kerkers
Und an dem Himmel glorreich ist erschienen
Die Freiheit in dem Leibe eines Mädchens,
Es war das Mädchen ähnlich meiner Tochter,
Die Freiheit hielt in ihrer Hand ein Schwert
Und in der andern Hand den Ruhmeskranz,
Da neigte sich die Freiheit sanft zu mir
Und rief mich: Auserwählter Bräutigam!
ERSTER HELD
Die Freiheit ist die Mutter Israels!
ZWEITER HELD
Die Freiheit ist die erste Tochter Gottes!
DRITTER HELD
Die Herrin Freiheit ist die Braut von Jephtah!
JEPHTAH
Ihr meine Helden, lasst mich nun allein,
Kehrt heim zu euren Frauen, euren Kindern,
Küsst euren Frauen liebevoll die Wangen
Und spielt mit euern Kindern voller Frieden!
Ich bringe nun Jehowah mein Gelübde.

(Die Drei Helden ab. Jephtah schreitet weiter. In der Ferne ist Jephtahs Haus zu sehen.)
Was kann ich meinem Gott und Herrn noch opfern?
Ich opfere dem Herrn Mutlosigkeit,
Ich opfere dem Herrn Freudlosigkeit,
Ich opfere dem Herrn Kraftlosigkeit!
Dort in der Ferne sehe ich mein Haus,
Was mir als Erstes wird entgegenkommen,
Das bring ich Gott dar als ein Ganzbrandopfer,
Gott selber wähle sich sein Opfertier,
Gott zeige mir, ob er den Stier begehrt,
Ob er begehrt den Widder oder ob
Der Herr begehrt ein makelloses Lamm!
Was seh ich? Eine himmlische Erscheinung?
Ist das die Freiheit, die ich sah im Traum?
Ist das vielleicht die göttliche Astarte?
Ein Wesen schwebt heran im langen Schleier
Und ist umglänzt von solcher Herrlichkeit,
Die Herrlichkeit des Herrn ruht auf dem Wesen,
Das Wesen wandelt in der Wolke Gottes,
Sie ist es selbst, die Herrlichkeit des Herrn
In weiblich-jugendlicher Lichtgestalt,
Die Schechinah, die Matronita Zions!
Nun kommt sie näher! Jungfrau Schechinah,
Matrone! Matronita! Gott-Natur!
Was schaue ich? – Du bist ja meine Tochter!
Bist Jephtahs Tochter, die die Zimbel schlägt!
Ah weh mir! Meine Tochter ist das Opfer!

(Jephtas Tochter, vierzehn Jahre jung, im langen weißen Kleid, verschleiert von langen rotbraunen
Locken, in der Hand die Zimbel, kommt sie tanzend dem Vater entgegen, ihr Antlitz strahlt vor
Freude, ihre Augen lachen, ihr kleiner roter Mund ist bereit, den Vater zu küssen.)

SECHSTE SZENE

(Jephtah und seine junge Tochter vor dem Haus.)

JEPHTAH
Ich habe kaum die Kämpfe überwunden
Und im Moment mich unsres Siegs gefreut,
Da steht ein neues Leiden vor der Tür.
Und gehe nachts ich schlafen in mein Bett,
So leg ich mich dem Leiden in die Arme,
Und geht mein Geist des Nachts im Traum spazieren,
Begegnet ihm das Leiden als Gespenst.
Erwach ich morgens mit der Morgenröte,
So steht das Leiden schon an meinem Bett,
Und steh ich auf und tu mein Tagewerk,
Begleitet mich das Leiden als Gefährte.
Ist denn das Leiden meine Ehefrau?
Hat Gott in seinem Himmelreich beschlossen,
Das Leiden mir zur Ehefrau zu geben?
Die Ehefrau bereitet mir mein Mahl,
Ich esse Asche, trinke Trauertränen,
Die Ehefrau webt alle meine Kleider,
Ich trag das Sacktuch, den Kamelhaarmantel,
Die Ehefrau schenkt ein den roten Wein,
Ich trink das Blut aus allen meinen Wunden,
Die Ehefrau entblößt die großen Brüste,
Ich schlage jammernd mir an meine Brust,
Die Ehefrau legt nackt sich in mein Bett,
Ich schlafe auf dem nackten Marterpfahl,
Die Ehefrau vereinigt sich mit mir,
Ganz eins ist meine Seele mit dem Leiden,
Und meine Ehefrau wird von mir schwanger,
Denn Jephtahs Tochter ist des Leidens Tochter!
JEPHTAHS TOCHTER
O Vater, welcher namenlose Jammer!
Mein Vater, schütte du die Seele aus
In meinen Busen, denn ich will dich trösten!
JEPHTAH
Mein Kind, ich kenne nur das nackte Leiden,
Kein Mantel warmen Trostes hüllt mich ein.
TOCHTER
So möge dich mein langes Haar bedecken!
Komm, flüstre in mein Muschelohr dein Leiden!
JEPHTAH
Ein auserwähltes Volk ist Israel,
Gott wählte Israel aus allen Völkern
Sich aus zum Eigentum des Allerhöchsten.
Gott bot den Völkern seine Weisung an.
Ägypten sprach: Was sagt die Weisung Gottes?
Hab keine andren Götter neben Gott!
Da sprach Ägypten: Nein, das will ich nicht,
Ich halte alle Götter doch für wahr.
Sprach Griechenland: Was sagt die Weisung Gottes?
Gott stiftet Ehen, brich du nicht die Ehe!
Sprach Griechenland: Das will ich aber nicht,
Ich will nur folgen meiner Leidenschaft.
Sprach Israel: Ich tu’s und möchte hören!
Weil Israel die Weisung wollte tun
Und wollte hören Gottes Wort der Weisheit,
Drum gab der Höchste Israel die Weisung,
Drum Israel ist Gottes Auserwählter!
Doch ist die Auserwählung eine Gnade?
Wie schrecklich ist die Gnade unsres Gottes!
Wie furchterregend schrecklich ist doch Gott!
Die Auserwählung Israels besagt:
Du, Israel, musst in den Feuerofen,
Bring dar das Opfer deines Holocaustus,
Geh, opfre deine eingeborne Tochter!
TOCHTER
Gebietet Gott, dass du die Tochter opferst?
JEPHTAH
Gott einst gebot dem Vater Abraham,
Den vielgeliebten Lieblingssohn zu opfern!
Die Menschen halten das für schrecklich grausam,
Doch Vater Abraham besaß ja noch
Ketura, Hagar, Sara, Ismael,
Und schließlich griff ja auch der Engel ein
Und Gott nahm an, an seines Sohnes statt,
Das Opferlamm als einen Sündenbock.
TOCHTER
Gott ist voll Gnade und Barmherzigkeit!
JEPHTAH
Gott, furchterregend, unerforschlich, Gott!
Ich aber mehr als Vater Abraham
Muß meine eingeborne Tochter opfern,
Die einzige Geliebte meines Lebens,
Mein Ein und Alles, meiner Seele Seele,
Die mehr ich liebe als die eigne Seele!
Ich muß dich opfern Gott, gelobt sei Gott,
Und Gott schickt mir kein Stellvertreter-Lamm!
O Israel, so bist du auserwählt,
So schrecklich ist des großen Gottes Gnade!
TOCHTER
Ich gehe hin, zu tun den Willen Gottes.

SIEBENTE SZENE

JEPHTAS TOCHTER

(Allein auf dem Bergrücken.)

Beweinen will ich meine Mädchenzeit,


Beweinen alle Mädchen Israels,
Beweinen alle Frauen Israels,
Beweinen alle Kinder Israels!
Ich sehe doch die Töchter Israels,
Samaria, Jerusalem, die Töchter,
Die Gott dem Herrn vermählt als Ehefrauen,
Doch treiben Unzucht sie und Hurerei,
Vereinen sich den Göttern von Ägypten
Und treiben babylonische Magie.
Ja, weinen muß ich über diese Frauen,
Die Leibesfrucht empfangen von dem Schöpfer,
Und jede Lebensfrucht als Gabe Gottes
Ist in Potenz der heilige Messias!
Ihr Frauen Israels, von Gott gewürdigt
Wird eine Tochter von den Töchtern Zions,
Den heiligen Messias zu gebären!
Ihr aber, was tut ihr mit euern Kindern?
Ihr opfert eure eigne Leibesfrucht
Und schlachtet eure Leibesfrucht dahin
Und opfert eure Leibesfrucht dem Moloch
Und werft sie in des steinernen Idols
Glutofen, und so weiht ihr euch dem Satan!
Die Feinde Israels sind sehr gewaltig,
Von Norden und von Mitternacht der Feind
Ist schrecklich, er verlangt nach unserm Blut,
Errichten will die Hölle er auf Erden
Und Israel verdammen in die Hölle!
Der Herr, geheiligt sei sein Name, wird
Erlösen Israel aus dieser Hölle
Und wird die Kinder Israels versammeln
In dem Gelobten Land von Milch und Honig!
Denn wer die Kinder Israels betastet,
Der tastet unsres Gottes Auge an!
Gott züchtigt zwar die Kinder Israel
Als Vater voller Stärke, voller Weisheit,
Doch wehe dem, der Israel verflucht,
Der Fluch wird wenden sich auf ihn zurück,
Wer flucht den Fluch, der wird sich bald erhängen,
Der wird sich selbst ermorden und verdammen
Sich und die Seinen in den Feuerpfuhl!
Der Name Israels geschrieben steht
In Gottes Hand, der Herr liebt Israel
Wie eine Mutter voll Barmherzigkeit!
Ihr Frauen Israels, doch wehe euch,
Wenn ihr die Seelen weiht dem Dämon Lilith!
Es ist doch die satanische Dämonin
Frau Lilith eine Göttin aller Huren,
Frau Lilith eine Göttin aller Hexen,
Frau Lilith ist Verführerin zur Unzucht
Und eine große Kindermörderin!
Wenn eine Tochter Israels geschwängert
Ist mit des Schöpfers Gabe, kommt Frau Lilith,
Das Kind zu kratzen aus dem Mutterschoß!
Ich sehe unter Tränen im Gesicht
Die Tochter Zion, des Messias Mutter,
Die Almah-Mutter des Immanuel,
Das Mädchen, schwanger mit dem Gottesknecht,
Die Kindsfrau, schwanger mit dem Menschensohn,
Und sehe Lilith diesem Mädchen nahen,
Seh Lilith nahen diesem Mädchen Mirjam,
Und seh, wie Lilith will dem Mädchen Mirjam
Den Menschensohn im Jungfraunschoß ermorden!
O Lilith, Lilith, finstere Dämonin,
Bist du die Ehefrau des Götzen Moloch,
Des Kindermörders unter allen Teufeln?
Bist du die Ehefrau des Asmodäus,
Des Unzuchtsteufels unter den Dämonen?
Ich sehe unter Tränen im Gesicht
Den Schutzgeist Israels, Sankt Michael,
Sankt Michael vertreibt den Dämon Lilith,
Das Mädchen wird gebären den Messias!
O Heiland und Messias Israels!
Ich, die ich meine Mädchenschaft beweine,
Ich weihe alle meine Tränen dir
Und meinen Tod als Sühneopferleiden,
Daß bald das Reich des Friedens des Messias
Auf Erden anbricht und in Israel!
Messias Israels und Tochter Zion,
Wenn eurer Herzen Doppelherrschaft siegt,
Lasst alle jungen Mädchen tanzen, tanzen,
Lehrt alle jungen Mädchen tanzen, tanzen,
Lehrt Mädchen mit den Engeln tanzen, tanzen,
Dann lasst auch Jephtahs Tochter tanzen, tanzen
Wie eine Gauklerin vor Gott dem Vater!

KLEOPATRA
ERSTE SZENE

(Alexandria. Zimmer im Palast der Kleopatra. Auftritt Demetrius und Philo.)

PHILO
Nun, die Vernarrtheit unsres Generals
Geht über alles Maß! Die stolzen Augen,
Die über Kriegerreihen aufgestrahlt,
Er, der wie Mars in seiner Rüstung war,
Die Augen senken sich und wenden sich
Zur Huldigung gebräunter Frauenstirne!
Sein Heldenherz im Handgemenge sprengte
Die Schnalle seiner Rüstung vor der Brust,
Sein Herz verweigert jede Mäßigung
Und wurde Blasebalg und Fächer, um
Die Wollust der Zigeunerin zu kühlen!

(Fanfarenstoß. Auftritt Antonius und Kleopatra, Kleopatras Damen und Diener und Eunuchen. Die
Eunuchen fächeln Kleopatra Kühlung zu.)

Da kommen sie. Nun gib gut acht. Du wirst in ihm


Der ganzen Erde Dreier-Säule sehen,
Verzaubert und betört zum Huren-Narren!
KLEOPATRA
Wenns Liebe ist, so sage mir, wie große?
ANTONIUS
Lässt Liebe sich berechnen, ist sie arm.
KLEOPATRA
Wie weit bin ich geliebt? Wo ist die Grenze?
ANTONIUS
Ein neuer Erdteil wär vielleicht die Grenze,
Ein neuer Himmel wär vielleicht die Grenze.
(Auftritt eines Dieners.)

DIENER
Mein guter Herrscher, Neuigkeit aus Rom!
ANTONIUS
Wie ekelt das mich an! So mach es kurz.
KLEOPATRA
Hör zu, Antonius. Verärgert ist
Womöglich Fulvia! Vielleicht hat Cäsar
(Kaum trägt er einen Bart) Befehl gesandt:
Tu dies, du das, nimm dieses Königreich,
Befreie dieses Königreich, so tu es,
Weil über dich mein Urteil sonst ergeht.
ANTONIUS
Wie, meine Liebe?
KLEOPATRA
Wahrscheinlich darfst du hier nicht länger bleiben,
Entlassung kommt von Cäsar. Darum höre,
Antonius. Wirst du jetzt vorgeladen
Von Fulvia, ich wollte sagen, Cäsar?
So wahr ich bin Ägyptens Königin,
Dein Blut ist Cäsars Sklave, du errötest!
Was würde deine Wange sonst so rot,
Wenn Fulvia mit Zank der Zunge flucht?
ANTONIUS
Laß Rom im Tiberstrome untergehen
Und stürzen soll des Weltreichs hoher Bogen!
Die Königreiche sind nur Staub! Ägypten
Ist meine Heimat! Unsrer Erde Kot
Nährt Vieh und Mensch! Des Lebens Adel ist,
Die Vielgeliebte liebend zu umarmen!

(Antonius umarmt Kleopatra)

Wenn solch ein Liebespaar wie wir sich lieben


Und solche Zweiheit sich vereinen kann,
Dann möge so die ganze Menschheit tun,
So soll es sein, sonst strafe ich die Welt!
Wir beide aber sind ganz unvergleichlich!
KLEOPATRA
Die Falschheit überragt doch alles! Wie,
Er nahm sich jene Fulvia zur Frau
Und hat sie nicht geliebt? Ich scheine Närrin
Zu sein, doch bin ich wahrlich keine Närrin!
Antonius wird sein Antonius.
ANTONIUS
Nicht, wenn Kleopatra ihn reizt! Jetzt laß
Der Liebe wegen, süßer Liebesstunden,
Die Zeit mit Meinungen uns nicht verderben.
Nicht Eine Stunde sei in unserm Leben,
Die uns vergehe ohne eine Freude!
Sag, wie verbringen wir die Zeit heut Abend?
KLEOPATRA
Hör den Gesandten!
ANTONIUS
Ach Königin, sei doch so zänkisch nicht!
Dir steht doch alles gut, dein Lächeln, Weinen,
Ja selbst dein Zanken! Jede Leidenschaft
Strebt ganz danach, in dir verklärt zu werden.
Ich höre keine Botschaft als die Deine,
Laß uns allein heut durch die Straßen wandeln
Und Menschencharaktere inspizieren,
Komm, Königin, das wünschtest du dir gestern.

(Antonius und Kleopatra ab.)

DEMETRIUS
So wenig schätzt Antonius den Kaiser?
PHILO
Herr, ist Antonius er selber nicht,
So mangelt ihm die hohe Qualität,
Die sonst Antonius zu eigen ist.
DEMETRIUS
Ach, so bestätigt er den bösen Lügner,
Der so von ihm auf Romas Märkten spricht.
Doch bessers Werk erhoffe ich für morgen.

(Beide ab.)

ZWEITE SZENE

(Palast der Kleopatra. Ein andres Zimmer. Ennobarbus, der Wahrsager Lampius, Rannius, Lucillius,
Charmion, Iras, der Eunuch Mardion, Alexas.)

CHARMION

Mein Herr Alexas, süßer Alexas, absoluter Alexas! Wo ist der Wahrsager, den du der Königin so
angepriesen? Den Ehemann möchte ich kennen lernen, von dem du sagtest, dass er seine Hörner mit
Blumenkränzen schmückte!
ALEXAS
Wahrsager!
WAHRSAGER
Was wünschst du dir?
CHARMION
Ist das der Mann? Du kennst das Kommende?
WAHRSAGER
Ich lese im geheimen Buch Natur.
ALEXAS
So zeige ihm die Linien deiner Hand!
ENNOBARBUS
Zum Gastmahl kommt! Genügend Wein ist da,
Kleopatras Gesundheit zu erflehen.
CHARMION
Herr, prophezeie mir ein gutes Schicksal!
WAHRSAGER
Ich mache nicht, ich schaue nur vorher.
CHARMION
Dann schau ein gutes Schicksal mir vorher!
WAHRSAGER
Du wirst noch schöner werden als du bist!
CHARMION
Du meinst, ich nehm an Leibesumfang zu?
WAHRSAGER
Nein, schminken wirst du dich in deinem Alter.
CHARMION
Bloß keine Falten!
ALEXAS
Den Seher quäle nicht, hör lieber zu.
CHARMION
Die Leber will ich mir mit Wein erhitzen.
ALEXAS
Nein, höre lieber du dem Seher zu.
CHARMION
Gut, also ein besonders gutes Schicksal! Laß mich drei reiche Herren in Einer Nacht heiraten und
als Witwe am nächsten Tag überleben! Laß mich mit fünfzig Jahren einen Sohn bekommen, dem
König Herodes von Judäa huldigt! Laß mich den Kaiser heiraten! Laß mich göttlich sein wie meine
Herrin Kleopatra!
WAHRSAGER
Du überlebst die Herrin, der du dienst.
CHARMION
Dann haben meine Söhne keinen Namen!
Wie viele Knaben werde ich bekommen?
WAHRSAGER
Wär jeder deiner Wünsche wie ein Schoß
Und wäre fruchtbar jeder Wunsch: Millionen!
CHARMION
Geh weg, du Narr! Doch ich verzeihe dir,
Weil du ein Magier von großer Kunst.
ALEXAS
Meinst du, dass nur die Laken deines Bettes
Sind eingeweiht in deine Wünsche, Närrin?
CHARMION
So sag auch Iras ihr Geschick vorher.
ALEXAS
Wir alle wollen unser Schicksal kennen.
ENNOBARBUS
Mein Schicksal und das Schicksal meiner Freunde
Wird sein: Betrunken taumeln wir ins Bett!
IRAS
Die Linie meiner Hand verkündet Keuschheit,
Wenn sie nicht etwas anderes verkündet.
CHARMION
Wie eine Nilflut Hungersnot verkündet.
IRAS
Geh, wüste Bettgenossin! Was weißt du?
CHARMION
Verheißt die feuchte Hand nicht Fruchtbarkeit,
Dann kann ich mich an meinem Ohr nicht kraulen.
Sag ihr ein Alltagsschicksal nur vorher!
WAHRSAGER
Ich sehe, euer Schicksal ist das gleiche.
IRAS
Doch wie, doch wie? Verkünde Einzelheiten!
WAHRSAGER
Ich habe meine Botschaft kundgegeben.
IRAS
Bin ich nicht Ein Stückchen Schicksal besser als jene da?
CHARMION
Nun, wenn du ein Stückchen besseres Schicksal hättest, wo wolltest du das Schicksal haben?
IRAS
Nicht an der Nase meines Ehemannes!
CHARMION
Der Himmel bessere unsre bösen Gedanken! Und nun zu Alexas. Komm, sag von seinem Schicksal.
Laß ihn eine Frau heiraten, die nicht richtig gehen kann, o süße Isis! Ich flehe dich an, laß seine
Frau bald sterben und gib ihm dann ein noch schlimmeres Weib und laß auf dieses schlimme Weib
noch schlimmere Weiber folgen, bis die allerschlimmste Ehefrau ihn in sein Grab begleitet! Sei er
ein fünfzigfach gehörnter Ehemann! O gute Isis, erhöre mein Gebet! Auch wenn du mir etwas sehr
Gewichtiges verweigerst, gute Isis! Doch dies Gebet erhöre, ich flehe dich an!
IRAS
Amen! Geliebte Göttin! Erhöre das Gebet deines Volkes! Es zerreißt einem ja das Herz im Busen,
einen herrlichen Mann mit einem leichtfertigen Weibsstück vermählt zu sehen! Aber ein tödlicher
Jammer ist es, einen Bösewicht zu sehen, den kein Heros zum Gehörnten gemacht! O Göttin Isis!
Bei allen Tugenden! Laß ihn ein gerechtes Schicksal finden!
CHARMION
Amen.
ALEXAS
Sieh doch, wenn sie mich zum Gehörnten machen könnten, würden diese beiden Weiber sich willig
gerne zu Huren machen, nur um mir Hörner aufzusetzen!
ENNOBARBUS
Still, Antonius kommt!

(Auftritt Kleopatra)

CHARMION
Nicht er, nicht er, vielmehr die Königin!
KLEOPATRA
Sagt, habt ihr meinen lieben Herrn gesehen?
ENNOBARBUS
Nein, Herrin.
KLEOPATRA
War er nicht hier?
CHARMION
Nein, Herrin.
KLEOPATRA
Er war zu heitern Scherzen aufgelegt,
Da fasste ihn ein römischer Gedanke.
Du, Ennobarbus!
ENNOBARBUS
Ja, Herrin?
KLEOPATRA
Such meinen Herrn und bringe ihn zu mir!
Wo ist Alexas?
ALEXAS
Zu deinen Diensten, Herrin. Ah, der Herr kommt!
KLEOPATRA
Ich möchte ihn nicht sehen! Geh mit mir!

(Alle ab. Auftritt Antonius mit einem Boten.)

BOTE
Deine Gattin Fulvia zog zuerst ins Feld.
ANTONIUS
Gegen meinen Bruder?
BOTE
Ja, aber dieser Krieg war bald zuende,
Die Zeit verband zu Freunden diese beiden,
Vereinte ihre Streitmacht gegen Cäsar,
Doch Cäsars Kriegesglück vertrieb sie gleich
Beim ersten Treffen aus Italia.
ANTONIUS
Was ist das Schlimmste?
BOTE
Das Wesen schlechter Botschaft überträgt sich
Als Übel auf den Überbringer selbst.
ANTONIUS
Was einen Narren oder Feigling angeht.
Doch Dinge, die vergangen sind, die sind
Für mich erledigt. Wer mir Wahrheit sagt,
Auch wenn er mir den Tod verkündigte,
Den hör ich an wie einen lieben Schmeichler.
BOTE
Nun, Labimus, das ist die Neuigkeit,
Hat Asia genommen mit der Streitmacht,
Vom Euphrat weht das Banner seines Sieges,
Von Syrien bis Lydien und bis
Ionien, wogegen –
ANTONIUS
Du wolltest sagen wohl: Antonius!
BOTE
Mein Herr!
ANTONIUS
Sprich nur direkt und mildre nicht die Worte,
Sprich von Kleopatra, wie man im Rom spricht,
Schimpf mit den Worten Fulvias, verhöhne
All meine Fehler mit so großer Freiheit,
Wie Wahrheit nur und Bosheit sie erzeugen.
Ach weh, wir bringen Unkraut nur hervor,
Wenn brach liegt unsres Geistes Fruchtbarkeit.
Doch wenn man unsre Übel uns erzählt,
Dann ist es wie das Pflügen unsres Ackers.
Nun lebe wohl für eine kurze Weile.
BOTE
Zu deinen Diensten.

(Bote ab. Auftritt eines andern Boten.)

ANTONIUS
Von Sikyon, was gibt es da für Nachricht?
ERSTER BOTE
Der Mann von Sikyon –
ZWEITER BOTE
Er wartet nur auf dein Gebot, mein Herr.
ANTONIUS
So komm er nur. Die Fesseln von Ägypten,
Zerreißen muß ich diese Fesseln! Oder
In törichter Vernarrtheit mich verlieren!

(Ein weiterer Bote mit einem Brief trifft ein.)

Wer bist denn du?


DRITTER BOTE
Herr, Fulvia, dein Weib, sie ist gestorben!
ANTONIUS
Gestorben? Wo?
DRITTER BOTE
In Sikyon. Von ihrer langen Krankheit
Und allem was du sonst noch wissen musst
Spricht dieser Brief.

(Er gibt ihm den Brief.)

ANTONIUS
Laßt mich allein!

(Boten ab.)

Ein großer Geist ist fortgegangen. Es


War mein Verlangen: Was verachtet wird,
Das möchten wir erneut zurück empfangen.
Das zeitliche Vergnügen wird durch Wandlung
Zum Gegenteil der Freude. Sie ist gut,
Weil sie dahingegangen ist. Ich muß
Mich von der Zauber-Königin befreien!
Zehntausend Leiden, mehr als alle Übel,
Die ich erfahren habe, brütet mir
Die Muße aus! He, Ennobarbus, komm!

(Auftritt Ennobarbus)

ENNOBARBUS
Was wünschst du, Herr?
ANTONIUS
Ich muß hier weg!
ENNOBARBUS
Ermorden wir doch alle unsre Frauen!
Wir wissen ja, wie tödlich für sie ist,
Wenn wir nicht allzeit freundlich sie behandeln.
Wenn unsern Abschied sie zu leiden haben,
Ist Tod die Losung.
ANTONIUS
Ich muß hier weg!
ENNOBARBUS
Zur Not laß lieber unsre Frauen sterben!
Wär schad, umsonst die Frauen wegzuwerfen,
Doch wenn es eine große Sache gilt
Und du musst wählen zwischen ihr und Weibern,
Die Weiber achte lieber du für nichts!
Doch hört Kleopatra davon ein Wort,
So stirbt sie augenblicklich! Ja, ich sah
Sie zwanzigmal schon solcherweise sterben
Aus weit geringern Gründen. Und ich denke,
Der Tod hat feurigen Humor, der Tod
Vollzieht an ihr wohl einen Liebesakt,
So große Lust hat sie am Sterben, Herr!
ANTONIUS
Ihr Listigsein ist schlimmer als du glaubst.
ENNOBARBUS
Ach, ihre Leidenschaften sind gemacht
Nur aus dem feinsten Stoff der reinsten Liebe!
Schau, ihre Stürme, ihre Wasserfluten
Sind Seufzer nicht und Tränen eines Menschen,
Wovon wir sonst in Liebesliedern lesen.
Nicht List ist ihr Humor. Sie könnte gar
Wie Jupiter das Wetter machen!
ANTONIUS
Ach hätt ich nie gesehn Kleopatra!
ENNOBARBUS
Du hättest nie das Meisterwerk gesehen!
Und hätt das Meisterwerk dich nicht beseligt,
Umsonst wär deine Reise nach Ägypten.
ANTONIUS
Doch Fulvia ist tot.
ENNOBARBUS
Wie, Herr?
ANTONIUS
Tot Fulvia.
ENNOBARBUS
Tot Fulvia?
ANTONIUS
Ja, tot.
ENNOBARBUS
Nun, o mein Herr, den Göttern opfre Dank!
Gefällt es ihren Majestäten je,
Dem Manne seine Gattin fortzunehmen,
Verweisen sie den Mann zurück zur Erde
Mit solchem Trost, wenn abgetragen ist
Das alte Kleid, so sind doch Schneider da,
Zu schneidern neue Kleidchen für den Mann.
Ja, wenn es keine andern Frauen gäbe
Als Fulvia, dann wär ihr Tod ein Schlag,
Dein Schicksal wäre wirklich zu beweinen.
Doch dieser Kummer wird mit Trost gekränzt:
Dein alter Kittel bringt dir noch hervor
Ein neues hübsches Röckchen! Wahrlich, wahrlich,
Die Tränen ruhen wirklich in der Zwiebel,
Die du um diesen Schicksalsschlag vergießt.
ANTONIUS
Was Fulvia in Rom in Gang gebracht,
Das fordert heute meine Gegenwart.
ENNOBARBUS
Und was du selber hier in Gang gebracht,
Erfordert mehr noch deine Gegenwart,
Zumeist Kleopatra kann dich nicht missen.
ANTONIUS
Nun kein leichtfertiges Geplauder mehr!
Setz meine Offiziere nun in Kenntnis
Von meinem Willen. Selber werde ich
Der Königin den Grund der Reise nennen.
Das Sterben Fulvias und andre Dinge
Spricht machtvoll, Briefe meiner Freunde auch,
Politischer Genossenschaft von Rom,
Sie bitten mich um Gegenwart in Rom.
Pompejus Sextus forderte den Kaiser
Heraus und herrscht nun auf dem weiten Meer.
Des Volkes Liebe liebt doch niemals den,
Der würdig wär der Liebe, außer erst,
Wenn er dahin. Und so beginnt das Volk,
Die Würde des Pompejus auf den Sohn
Zu übertragen, groß an Macht und Namen,
Doch weniger an Mut und Lebenskraft,
Der steht nun auf als herrlicher Soldat,
Doch seine Stellung, wenn sie sich entscheidet,
Erschüttert noch die Enden dieser Erde.
So vieles brütet, was im Pferdehaar
Bis jetzt das Leben hat, nicht Schlangengift.
Verkünde meinen Willen meinen Leuten,
Wir brechen eilig von Ägypten auf!
ENNOBARBUS
Erfüllen will ich deinen Willen.

(Ab.)

DRITTE SZENE
(Palast der Kleopatra. Auftritt Kleopatra, Charmion, Iras und Alexas.)

KLEOPATRA
Wo ist Antonius?
CHARMION
Ich hab ihn nicht gesehn seit jener Stunde.
KLEOPATRA
So schau du, wo er ist, wer bei ihm ist
Und was er tut. Sag nicht, ich schickte dich.
Siehst du ihn traurig, sag, ich sei beim Tanz!
Siehst du ihn fröhlich, sag, ich sei erkrankt!
Schnell zu ihm! Aber komm auch eilig wieder!

(Alexas ab.)

CHARMION
O Königin, wenn du ihn wirklich liebst,
So kennst du doch nicht die Methode, Herrin,
Von ihm die Gegenliebe zu erzwingen!
KLEOPATRA
Was könnt ich sonst noch tun, was ich nicht tue?
CHARMION
In allem gibst du nach. Tritt ihm entgegen!
KLEOPATRA
So rätst du, Närrin? So verlier ich ihn!
CHARMION
Versuch ihn nicht zu weit! Laß ab von ihm!
Wir hassen bald, was wir zu sehr gefürchtet!

(Auftritt Antonius.)

Hier kommt Antonius.


KLEOPATRA
Ach, ich bin krank! Verdruß quält meine Seele!
ANTONIUS
Es tut mir leid, was ich dir sagen muß.
KLEOPATRA
Hilf, liebe Charmion, ich falle sonst!
So kann es nicht mehr länger weitergehen,
Der Busen der Natur hält das nicht aus!
ANTONIUS
Nun, Allerteuerste der Königinnen...
KLEOPATRA
Ich bitte dich, komm nicht so nah heran!
ANTONIUS
Was ist mit dir?
KLEOPATRA
Ich seh in deinem Auge Freudenbotschaft!
Lässt deine liebe Ehefrau dich gehen?
Ach, hätte sie dir nie erlaubt zu kommen!
Sie soll nicht sagen, dass ich dich hier halte!
Ich habe keine Herrschaft über dich,
Du bist ihr Eigentum!
ANTONIUS
Die Götter wissen –
KLEOPATRA
Nie wurde eine Fürstin so betrogen!
Von Anfang an sah ich Verrat gesät.
ANTONIUS
Kleopatra!
KLEOPATRA
Wie soll ich an dich glauben, deine Treue,
Wenn du auch schwörst beim Throne aller Götter,
Da ich dich treulos sehe deiner Gattin?
Wahn, fesseln sich zu lassen von Versprechen,
Von mundgeblasenen Versprechungen,
Von Männern, welche alle Treue brechen!
ANTONIUS
O mehr als Honig süße Königin!
KLEOPATRA
Nicht schönzufärben ist es, dass du gehst.
Sag: Lebewohl, o Königin! Dann geh!
Als du geworben hast, bei mir zu bleiben,
Da war die rechte Zeit für schöne Worte.
Kein Weggehn damals. Nichts als Ewigkeit
In unsern Augen und auf unsern Lippen,
Glückseligkeit auf unsern Augenwimpern,
Und jedes Gliedes Ursprung war im Himmel!
Noch jedes Gliedes Ursprung ist im Himmel,
Doch du, der stärkste Ritter dieser Erde,
Du wurdest zu dem Größten der Betrüger!
ANTONIUS
Warum, o Herrin?
KLEOPATRA
Ich wünschte nur, ich wär so stark wie du,
Dann solltest du erfahren, dass Ägypten
Ein Herz im Busen hat!
ANTONIUS
So höre mich, o meine Königin:
Der Zwang der Zeit verlangt nun meinen Dienst
Für eine kurze Weile. Doch mein Herz
Bleibt ganz bei dir, genieße doch mein Herz!
Italien ist im Bürgerkrieg. Pompejus
Naht Romas Hafen. Gleichheit zweier Mächte
Nährt die Parteiung unentschiedner Bürger.
Verhasste, welche stark geworden sind,
Sind Bürgern plötzlich liebenswert geworden.
Pompejus, reich an seines Vaters Ruhm,
Schleicht sich allmählich in die Herzen derer,
Die nicht Profit geschöpft aus Romas Staat,
Groß und bedrohlich ist die Zahl der Armen,
Der Friede wurde krank durch satte Ruhe,
Er möchte sich purgieren durch den Wandel,
Will nur verzweifelt die Veränderung.
Doch mein privater Anlaß für die Reise
Ist meiner Gattin Tod. So sei nur ruhig.
KLEOPATRA
Das Alter schützt mich vor der Torheit nicht,
Doch bin ich auch nicht kindisch. Fulvia
Kann doch nicht sterben! Sie ist doch unsterblich!
ANTONIUS
Sie ist gestorben, meine Königin.
Gefällt es deiner königlichen Gnade,
Lies hier in diesem Briefe von der Unruh,
Die Fulvia erweckt. Zum Schluß das Beste:
Schau, wann und wo gestorben Fulvia.
KLEOPATRA
Der Liebe Falsch! Wo ist der Tränenkrug,
Den du mit Trauertränen füllen müsstest?
Nun sehe ich am Tode Fulvias,
Wie du beweinen würdest meinen Tod!
ANTONIUS
Hör auf zu zanken! Sei vielmehr bereit,
Die Pläne zu erfahren, die ich habe,
Die dauern oder schwinden, wie du willst.
Beim Feuer, das den Schlamm des Nils befruchtet,
Ich geh von hier als dein Soldat, dein Sklave,
Der Krieg anstiftet oder Frieden stiftet,
Ganz wie du willst, o meine Königin!
KLEOPATRA
Komm, knüpfe mir das Kleid auf, Charmion,
Mir wird so übel und so wohl zugleich,
So gut und schlecht wie dieses Mannes Liebe!
ANTONIUS
Halt, Königin! Ein gutes Zeugnis gib
Der Liebe, die bestanden jede Prüfung!
KLEOPATRA
Ich habe gut gelernt von Fulvia.
Ich bitt dich, weine du um Fulvia,
Dann sag mir Lebewohl und sage mir,
Daß deine Tränen seien für Ägypten.
Spiel du die Szene guter Heuchelei
Und laß erscheinen sie als edle Ehre.
ANTONIUS
Zum Kochen bringst du mir mein Blut! Hör auf!
KLEOPATRA
Das kannst du besser. Doch das war schon gut.
ANTONIUS
Bei meinem Schwert!
KLEOPATRA
Und bei des Schwertes Scheide! Immer besser.
Noch nicht das Beste. Sieh doch, Charmion,
Wie gut es steht dem Herkules von Rom,
Den Zorn zu inszenieren.
ANTONIUS
Ich gehe, Herrin!
KLEOPATRA
Nur noch ein Wort. Wir beide müssen scheiden.
Das ist es nicht. Wir haben uns geliebt.
Das ist es auch nicht. Etwas will ich noch,
Was war es doch? Vergesslich mein Gedächtnis, ach,
Vergessen bin ich von Antonius!
ANTONIUS
Wenn meine Königin die Eitelkeit
Nicht angestellt als ihre Sklavin hätte,
So dächte ich, du seist die Eitelkeit.
KLEOPATRA
Ach das ist mühsam, diese Eitelkeit
So dicht zu halten an dem eignen Busen.
Verzeih mir, Herr! Mich tötet mein Geschick,
Wenn auch mein Schicksal dir nicht schön erscheint.
Dein Ruhm ruft dich von hier, so bist du taub
Für meine Torheit, Mitleid kennst du nicht,
So mögen alle Götter dich begleiten!
Auf deinem Schwerte sitzt der Lorbeerkranz
Und Ruhm ist ausgestreut zu deinen Füßen.
ANTONIUS
Ach, unsre Trennung flieht und bleibt doch da,
Du bleibst hier wohnen und gehst doch mit mir,
Ich geh nach Rom, doch bleibt bei dir mein Herz.

(Ab.)

VIERTE SZENE

(Kleopatras Palast in Alexandria. Auftritt Kleopatra, Charmion, Iras und der Eunuch Mardion.)

KLEOPATRA
Komm, Charmion!
CHARMION
O Herrin!
KLEOPATRA
Gib von der Wurzel des Alraun den Saft!
CHARMION
Warum, o Herrin?
KLEOPATRA
Ich will die große Kluft der Zeit verschlafen,
Die mich von meinem Mark Anton getrennt.
CHARMION
Du denkst zuviel an ihn!
KLEOPATRA
Was du da sagst, das ist Verrat!
CHARMION
Ich denke nicht, o Herrin.
KLEOPATRA
Komm, Mardion! Eunuch!
MARDION
Was will die Königin?
KLEOPATRA
Jetzt will ich dich nicht singen hören, denn
Eunuchenkünste schaffen keine Wonne!
Nur gut für dich, dass du beschnitten bist,
So können deine freieren Gedanken
Nicht fort von deiner Königin Ägypten.
Kennst du die Leidenschaft?
MARDION
Ja, Herrin voll der Gnade!
KLEOPATRA
Sag, kennst du in der Tat die Leidenschaft?
MARDION
Nicht in der Tat, denn ich bin ohne Tat.
Ich tu nur, was auch keusche Jungfraun tun.
Doch kenn ich Hitze auch der Leidenschaft
Und male oft mir in Gedanken aus,
Wie Venus ihre Ehe bricht mit Mars.
KLEOPATRA
O Charmion, wo, denkst du, ist er jetzt?
Sag, steht er, liegt er, ob er sich bewegt?
Sitzt er auf einer Stute? Heil der Stute,
Die spürt den Schenkeldruck von Mark Anton!
Roß, weißt du, welchen Mann dein Rücken trägt?
Den Atlas trägst du, der die Erde trägt!
Er singt jetzt eben oder flüstert so:
Geliebte Schlange mein vom Vater Nil!
Geliebte Schlange nennt mich Mark Anton.
Ich labe mich an allem süßen Gift!
Mein Mark Anton, erinnre dich an mich,
Schwarz bin ich, aber schön, ja, ich bin schwarz
Vom Liebesbiß des heißen Sonnengottes!
Als Romas Kaiser Julius hier war,
War ich ein Leckerbissen für den Herrn!
Pompejus stand und staunte immer wieder
Und starrte an die Wimpern meiner Augen
Und ließ den heißen Blick vor Anker gehen
Und starb, indem er auf sein Leben schaute!

(Auftritt Alexas.)

ALEXAS
Heil, höchste Herrin von Ägypten, Heil!
KLEOPATRA
Ach, anders bist du als mein Mark Anton,
Doch da du kommst von meinem Mark Anton,
Vergoldet dich der Liebe Elixier.
Wie geht es meinem starken Mark Anton?
ALEXAS
Das letzte was er tat: Er küsste
Nach vielen tausend Küssen einen Kuß
Auf diese perlmuttmatte Muschelperle!
Sein Wort blieb mir in meinem Herzen stecken.
KLEOPATRA
Aus deinem Herzen pflückt mein Ohr sein Wort.
ALEXAS
Mein Freund, so sprach er, sag, der stolze Römer
Schickt seinen Gruß der Königin Ägypten
Und schickt ihr gerne diese Muschelperle!
Zu ihren Füßen will er das Geschenk
Verbessern und den Thron der Königin
Ergänzen mit des Ostens Königreichen,
Der ganze Osten ehre sie als Herrin!
So sprach er und bestieg ein Streitroß stolz,
Das wieherte so heiß, dass alle Worte,
Die ich noch sagen wollte meinem Herrn,
Verstummten vor dem tierischen Gebrüll.
KLEOPATRA
War er denn traurig oder war er fröhlich?
ALEXAS
Wie Frühlingstage zwischen Frost und Hitze
War er nicht allzu froh, nicht allzu traurig.
KLEOPATRA
In Weisheit temperiert ist sein Gemüt!
Gib acht, gib acht, o liebe Charmion,
Das ist ein wahrer Mann, gib du nur acht.
Nicht traurig war er, denen leuchten wollend,
Die schauen immer nur auf ihn als Vorbild,
Nicht fröhlich war er, weil er sonst verkündet,
Daß seine Seele in Ägypten weile
Bei der Ägypterin, die seine Lust!
Nein, zwischen Traurigkeit und Fröhlichkeit
In einer Mischung, welche heilig ist,
Ist seine Seele. O geliebter Mann,
Ob du auch trauerst oder lustig bist,
Dir steht so gut extreme Traurigkeit,
Wie gut dir die extreme Freude steht!
Alexas, trafst du meine Boten auch?
ALEXAS
Ja, zwanzig Boten. Warum nur so viele?
KLEOPATRA
Der Mann, der an dem Tag geboren wird,
Da ich vergesse, Mark Anton zu schreiben,
Der sterb als Bettler! Tinte und Papier,
O Charmion! Willkommen, mein Alexas!
Sag, Charmion, ich liebe Mark Anton
Doch mehr als jemals Julius geliebt ward?
CHARMION
O dieser Julius! Der Held! Der Kaiser!
KLEOPATRA
Du sollst ersticken, sprichst du noch mal so!
Sag: Der heroische Antonius!
CHARMION
Ein Heros war doch Kaiser Julius!
KLEOPATRA
Bei Isis, ich reiß dir die Zähne aus,
Wenn du noch einmal Julius vergleichst
Mit meinem Mann der Männer!
CHARMION
Bei deiner gnadenreichen Nachsicht, Herrin,
Ich sag nur, was du früher selbst gesagt.
KLEOPATRA
Ich war Gemüse jung und ungereift,
Grün an Verstand und kalt mein Blut, so schwatzend.
Nun hol mir Tinte und Papier, er soll
An jedem Tage einen Gruß erhalten!

FÜNFTE SZENE

(Alexandria. Kleopatras Palast. Auftritt Kleopatra, Charmion, Iras, Alexas.)

KLEOPATRA
Musik, Musik! O Nahrung für die Schwermut,
Für unsre Schwermut, die wir Liebe fühlen!
ALLE
Oh die Musik!

(Auftritt des Eunuchen Mardion)

KLEOPATRA
Es ist genug. Wir wollen Billard spielen,
Ein Queue, zwei Kugeln, meine Dienerin!
CHARMION
Mein Arm tut weh! Spiel doch mit dem Eunuchen.
KLEOPATRA
Die Frau, die mit Eunuchen spielt, die kann
Genauso gut mit einem Mädchen spielen.
Komm, willst du mit mir spielen, lieber Mann?
MARDION
So gut ich kann, Gebieterin.
KLEOPATRA
Wenn guter Wille nur zu sehen ist,
Ob ungenügend auch die Tat, plädiert
Der Advokat auf Straferlassung doch.
Heut aber möchte ich nicht Billard spielen.
Gebt mir die Angel, kommt mit mir zum Fluß,
Musik soll in der Ferne mir ertönen,
Ich will fürwahr den roten Fisch betören,
Mein Haken soll durchbohren seinen Kiefer,
Und ziehe ich ihn auf, dann will ich denken,
Der rote Fisch sei mein Antonius
Und werde sagen: Ha, du bist gefangen!
CHARMION
Das war ein Spaß, als ihr gewettet habt
Bei eurem Angeln, als dein Fischer ihm
Den Salzfisch an den Angelhaken hängte,
Den er mit Feuereifer hochgezogen.
KLEOPATRA
Ach, jene Zeiten? Oh die Zeit der Zeiten!
Ich lachte, bis er die Geduld verlor!
Ich lachte nachts, bis er zum Dulder wurde!
Am nächsten Morgen trank ich ihn im Bett
Noch vor der neunten Stunde, legte meine
Gewänder und Sandalen an und Krone
Und habe ihm das Heldenschwert gehalten.

SECHSTE SZENE

(An Bord der Galeere von Pompejus. Musik. Auftritt der Diener des Gastmahls.)

ERSTER DIENER
Gleich sind wir da. O Mann! Die baumstarken Kerle sind schon nicht mehr so fest verwurzelt. Ein
Hauch nur bläst sie um!
ZWEITER DIENER
Lepidus hat schon eine rote Nase!
ERSTER DIENER
Er musste den Rest aussaufen.
ZWEITER DIENER
Sie reiben sich aneinander nach ihrer Natur und brüllen: Nicht mehr! Dann versöhnen sie sich mit
dem blutigen Wein.
ERSTER DIENER
Das gibt jetzt einen schlimmen Krieg zwischen ihm selbst und seiner Vernunft.
ZWEITER DIENER
So ist es, wenn man zu den großen Männern gehört. Mir ist ein Schilfrohr, das mir nicht hilft, genau
so lieb wie ein Schwert, das ich nicht heben kann.
ERSTER DIENER
In eine höhere Sphäre berufen sein und sich nicht darin bewegen können ist wie leere Augenhöhlen
im Schädel.

(Trompeten blasen. Auftritt Cäsar, Antonius, Pompejus, Lepidus, Agrippa, Mäzen, Ennobarbus,
Menas und andre.)

ANTONIUS
(zu Cäsar)
So tun sie’s, Herr, sie messen Vater Nil
An Pyramidenstufen, sie erkennen
An seiner Höhe oder Niedrigkeit,
Ob Wohlstand kommen wird, ob Teuerung.
Je höher schwillt der gelbe Vater Nil,
Um desto mehr verspricht er den Ägyptern.
Und wenn er fällt, dann streut der Sämann Samen
In Schlamm und Schlick und also kommt die Ernte.
LEPIDUS
Gibt’s seltne Schlangen dort?
ANTONIUS
Lepidus, ja, die gibt es dort.
LEPIDUS
Ägyptens Schlange wird doch ausgebrütet
Aus Schlamm durch Wirkungen des Sonnenstrahls
Und ebenso das Krokodil?
ANTONIUS
So ist es, ja.
POMPEJUS
Nehmt Platz! Trinkt Wein! Aufs Wohlsein des Lepidus!
LEPIDUS
Mir ist nicht wohl, wie wohl mir wollte sein,
Doch will ich mich nicht drücken vor dem Gastmahl.
ENNOBARBUS
Nicht, bis die Ruh dich niederzieht ins Bett!
Ich glaub, bis dahin bist du ganz schön voll.
LEPIDUS
Ich hab gehört, das Dreieck von Ägypten,
Die Pyramiden von Ägypten alle
Sind hübsche Dinger! Das hab ich gehört.
MENAS
(Beiseite zu Pompejus)
Ein Wort, Pompejus.
POMPEJUS
(Beiseite zu Menas)
So sag es mir ins Ohr. Was ist es denn?
MENAS
(Beiseite zu Pompejus)
Verlasse deinen Sitz, ich bitte dich,
Mein Feldherr, bitte, hör mich auf ein Wort.
POMPEJUS
(Beiseite zu Menas)
Entschuldige mich noch bis gleich, mein Freund.
He, dieser rote Wein ist für Lepidus!
LEPIDUS
Von welcher Art ist nun das Krokodil?
ANTONIUS
Das Krokodil ist wie ein Krokodil,
Ist breit wie’s breit ist, hoch wie’s hoch ist und
Bewegt sich mit den eignen Körpergliedern
Und lebt von dem, von dem es sich ernährt,
Und wenn die Elemente von ihm weichen,
Begibt es sich auf Seelenwanderung.
LEPIDUS
Wie ist denn seine Farbe?
ANTONIUS
Es ist gefärbt mit seiner eignen Farbe.
LEPIDUS
Die Schlange ist doch aber wirklich seltsam.
ANTONIUS
Und ihre Tränen, die sind wirklich naß!
CÄSAR
Wird er zufrieden sein mit der Beschreibung?
ANTONIUS
Bei all dem Wohl und der Gesundheit, die
Pompejus dem Lepidus zugetrunken,
Wird er ein rechter Schüler Epikurs.
POMPEJUS
Zum Henker doch, zum Henker! Reden soll ich
Mit dir darüber? Tu nur, was ich sage!
Wo ist der Becher, den ich mir gewünscht?
MENAS
(Beiseite zu Pompejus)
Um früherer Verdienste willen, Herr,
Erhebe dich von deinem Sitz, mein Feldherr!
POMPEJUS
(Beiseite zu Menas)
Ich glaub, du bist verrückt! Was willst du denn?

(Pompejus erhebt sich und geht beiseite.)

MENAS
Geringster Diener deines Heils, mein Herr!
POMPEJUS
Du dientest allzeit mir in großer Treue.
Was gäbe es da sonst noch mehr zu sagen?
Seid lustig, meine Freunde, seid doch lustig!
ANTONIUS
Lepidus, hüte du dich vor dem Treibsand,
Bevor der Treibsand dich hinuntersaugt!
MENAS
Willst du der Herr der ganzen Erde sein?
POMPEJUS
Was sagst du da?
MENAS
Willst du der Herr der ganzen Erde sein?
Ich frage dich das jetzt zum zweiten Mal.
POMPEJUS
Wie würde ich der Herr der ganzen Erde?
MENAS
Hältst du mich auch für arm, ich bin doch der,
Der dich zum Herrn der ganzen Erde macht!
POMPEJUS
Hast du getrunken?
MENAS
Ich habe mich vom Becher ferngehalten!
Du wirst, wenn du es nur zu sein begehrst,
Der Jove dieser Erde! Was das Meer
Umschließt, was unterm Himmel liegt, wird alles
Dein eigen sein, wenn du es haben willst!
POMPEJUS
Zeig, wie!
MENAS
Die drei Genossen ihres Bundes hier,
Lepidus, Cäsar und Antonius,
Sie sind auf deinem Schiff. Ich kapp das Tau,
Wenn abgelegt das Schiff, so gehen wir
Den Herren an die Kehle! Du wirst Herr!
POMPEJUS
Ach, hättest du das nur getan und nicht
Davon geredet. Mir wärs Schurkerei,
In dir wärs aber treuer Dienst gewesen.
Mein Vorteil geht doch nicht vor meiner Ehre!
Bereue es, dass du den Plan verraten!
Hätt ich von deinem Plane nichts gewusst,
Den ausgeführten Plan hätt ich gelobt.
Jetzt sag ich: Nein, laß davon ab und trink!
MENAS
(Beiseite)
So will ich dir auch nicht mehr länger folgen.
Sucht einer Glück und will das Glück nicht nehmen,
Wenn sich ihm selber bietet an das Glück,
Der wird das Glück auf Erden niemals haben!
POMPEJUS
Auf Wohlsein und Gesundheit von Lepidus!
ANTONIUS
Tragt ihn an Land! Ich will für ihn erwidern!
ENNOBARBUS
Dein Wohlsein, Menas!
MENAS
Gern, Ennobarbus.
POMPEJUS
Den Becher füllt mit Rotwein bis zum Rand!
ENNOBARBUS
Schau, Menas, der dort ist ein starker Mann!

(Zeigt auf den Diener, der den Lepidus fortträgt)

MENAS
Warum?
ENNOBARBUS
Er trägt den dritten Teil der Welt, o Menas!
MENAS
Der dritte Teil der Welt ist aber auch besoffen!
Ich wollt, die ganze Erde wär besoffen!
Dann sollte Mutter Erde richtig kreiseln!
ENNOBARBUS
So trink du nur, dann kreiselt sie noch mehr!
POMPEJUS
Dies ist kein Fest in Alexandria.
ANTONIUS
Doch wächst es sich dahin noch aus. Die Flasche!
Auf Cäsars Wohlsein!
CÄSAR
Ich könnt das Trinken unterlassen. Ach!
Was wasche ich mit Wein mir das Gehirn
Und schmutzig werden alle die Gedanken?
ANTONIUS
Sei Kind der Zeit!
CÄSAR
Das sollst du haben. Ich will dir erwidern.
Doch lieber wollt ich fasten eine Woche,
Als nur an einem Tag soviel zu trinken.
ENNOBARBUS
(Zu Antonius)
He, Heros! Sollen wir jetzt Bacchanalien
Ägyptens tanzen, Zeche zelebrieren?
POMPEJUS
So soll es sein, du heldenhafter Krieger.
ANTONIUS
Wir fassen alle uns an unsern Händen,
Bis triumphierend dieser dunkle Wein
Uns alle Sinne in die Lethe taucht!
ENNOBARBUS
So haltet alle euch an euern Händen
Und lasst Musik in eure Ohren schallen,
Dann soll der Jüngling singen, den Refrain
Dann singen wir, so laut es irgend geht!
(Musik)
LIED
Komm, o Monarch, mit deinem Wein!
Glut, Bacchus, ist dein Augenschein!
Im Becher unser Leid ertränk!
Den Kranz für unser Haupt uns schenk!
Gib uns zu trinken, bis Frau Welt tanzt!
Gib uns zu trinken, bis Frau Welt tanzt!
CÄSAR
Was wollt ihr mehr? Pompejus, gute Nacht!
O lieber Bruder, laß uns gehen, bitte.
Das ernstere Geschäft sieht finster auf
Den Leichtsinn. Edle Herren, lasst uns scheiden.
Ihr seht, die Wangen brachten wir zum Glühen.
Der starke Ennobarbus ist schon schwach
Und meine Zunge spaltet, was sie lallt.
Die wilde Kleidung machte uns zu Narren.
Was braucht es mehr der Worte? Mark Anton,
Gib mir die Hand, mein Bruder. Gute Nacht!
POMPEJUS
O Mark Anton, ich prüf dich nun zu Lande.
Zwar hast du meines Vaters Haus, was solls,
Wir sind ja Freunde, steig du nur ins Boot.
ENNOBARBUS
Doch achte gut darauf, dass du nicht fällst!

(Alle ab, außer Ennobarbus und Menas.)

Ach Menas mein! Ich will noch nicht an Land!


MENAS
Komm hier in die Kajüte! O die Trommeln!
Die Trommel und die Flöte! Neptun höre,
Wie wir den Herren Lebewohl entbieten.
Spielt, Musikantinnen, zum Teufel, spielt!
(Flöte und Trommel)
ENNOBARBUS
Ha, Bruder, hier ist meine Kappe!
MENAS
Komm, Krieger, komm!

(Ab)

SIEBENTE SZENE

(Alexandria, Kleopatras Palast. Auftritt Kleopatra, Charmion, Iras und Alexas.)

KLEOPATRA
Wo ist der Bube?
ALEXAS
Er fürchtet sich zu kommen.
KLEOPATRA
Nur zu, der Bube komm getrost zu mir.

(Auftritt Bote)

ALEXAS
Geliebte Majestät, Herodes fürchtet
Dich anzuschaun, wenn du nicht gnädig bist.
KLEOPATRA
Ich möchte von Judäa noch das Haupt!
Wie aber, da nun fort mein Mark Anton?
Durch ihn nur ich gebiete über Juda.
Komm näher, Bube.
BOTE
O Majestät voll Gnade!
KLEOPATRA
Hast du Octavia gesehn, die Frau,
Die mein Antonius zur Gattin nahm?
BOTE
Erhabne Königin, ich schaute sie.
KLEOPATRA
Wo schautest du sie denn?
BOTE
In Rom, o Herrin, sah ich ihr Gesicht
Und wie Antonius sie leitete.
KLEOPATRA
Ist sie so groß wie ich?
BOTE
Nein, Herrin.
KLEOPATRA
Ist ihre Stimme schrill, die Stimme tief?
BOTE
Die Stimme der Octavia ist tief.
KLEOPATRA
So wird er sie nicht lange lieben können.
CHARMION
Sie lieben können? Das ist ganz unmöglich!
KLEOPATRA
Das glaub ich auch, o Charmion, bei Isis,
Ist ihre Stimme tief, ist sie ein Zwerg.
Ist ihre Gangart von Erhabenheit?
Sprich, sahst du jemals eine Majestät!
BOTE
Sie schleicht, ob sie nun wandelt oder steht,
Gleicht mehr sie einer Leiche als dem Leben,
Ist Marmorstein, nicht eine Frau mit Atem.
KLEOPATRA
Ist das die Wahrheit?
BOTE
Ja, oder ich hab niemals was gesehen.
CHARMION
Schaut keiner in Ägypten so wie du.
KLEOPATRA
Er weiß Bescheid. An ihr ist doch nichts dran.
Der Bube weiß ein Urteil gut zu fällen.
CHARMION
Ja, ausgesprochen gut.
KLEOPATRA
Nun schätze auch ihr Alter, bitt ich dich.
BOTE
O hohe Herrin, sie war eine Witwe.
KLEOPATRA
Ach, Witwe war sie? Hörst du, Charmion?
BOTE
Sie müsste etwa dreißig Jahre zählen.
KLEOPATRA
Wie ist ihr Antlitz, länglich oder rund?
BOTE
Ihr Angesicht ist übertrieben rund.
KLEOPATRA
Rund sind die Angesichter von den Dummen.
Ihr Haar, von welcher Farbe ist ihr Haar?
BOTE
Kastanienbraun, o Herrin. Ihre Stirne
Ist flach, so flach, das kannst du dir nicht denken.
KLEOPATRA
Hier hast du Gold. Du bist ein guter Bote.

(Bote ab.)

CHARMION
Ein lieber Bube.
KLEOPATRA
Fürwahr, ein lieber Bube. Nach der Rede
Ich denk, ist nicht viel dran an dem Geschöpf.
CHARMION
An jenem Weibe ist nichts dran, o Herrin.
KLEOPATRA
Der Bube kennt ja Majestät und weiß,
Wie Frauenmajestät sich geben muß.
CHARMION
Ja, ganz gewiß kennt er die Majestät,
Bei Isis, dient er dir so lange schon.
KLEOPATRA
Ich will ihn noch was fragen, hol ihn wieder
Zu mir zurück, ich schreibe einen Brief.

(Charmion ab.)

ACHTE SZENE

(Alexandria, Kleopatras Palast. Antonius mit Gefolge.)

ANTONIUS
Das Land gebietet, es nicht zu betreten,
Ägypten schämt sich, meinen Fuß zu tragen.
Kommt, Freunde, kommt! Ich bin zu spät gekommen
In dieser Welt, ich hab den Weg verloren.
Ich hab ein Schiff voll Gold, so nehmt es euch
Und flieht. Macht euren Frieden mit dem Kaiser.
ALLE
Wir fliehen, Herr? Wir nicht, wir fliehen nicht!
ANTONIUS
Ich selber floh und lehrte jeden Feigling,
Zu fliehen und den Rücken nur zu zeigen.
Geht, meine Freunde! Ich auf meinem Kurs,
Zu dem ich mich entschlossen, brauch euch nicht.
Mein Schatz liegt da im Hafen, nehmt ihn euch!
Ich folgte einem Ding, dass ich erröte,
Wenn ich es anschau. Meine Haare selbst
Gar machen einen Aufstand, denn die grauen
Die braunen tadeln wegen ihrer Raschheit,
Das braune Haar das graue tadelt wegen
Der Angst und aller der Schwachsinnigkeit!
Geht, meine Freunde! Briefe geb ich euch,
Die ebnen euch den Weg bei andern Freunden.
Schaut nicht so traurig drein! Gebt nicht zur Antwort,
Daß ihr nicht einverstanden seid mit mir.
Ergreift doch die Gelegenheit, die meine
Verzweiflung euch verkündet. Lasst allein,
Verlasst den, der sich selbst verlassen hat.
Zur See, und nehmt das Schiff mit seinem Schatz!
Lasst bitte mich allein, lasst mich allein!
Ich hab die Macht verloren, zu gebieten,
So bitt ich euch. Wir sehn uns wieder, bald.
(Er hockt sich nieder. – Auftritt Kleopatra, Eros, Charmion und Iras.)

EROS
Hochedle Frau! Zu ihm! So tröste ihn!
IRAS
Ja tu es, allerschönste Königin!
CHARMION
Was sagst du: Tu es? Was denn soll sie tun?
KLEOPATRA
Ich möchte sitzen. Himmelskönigin!
ANTONIUS
O nein, o nein, o nein, o nein, o nein!
EROS
So schaue doch, mein Herr!
ANTONIUS
Pfui, Hure!
CHARMION
O Herrin!
IRAS
O Herrin, allerreinste Kaiserin!
EROS
Ach Herr, ach Herr!
ANTONIUS
Du führtest bei Philippi ja dein Schwert
Nur wie ein Tänzer! Ich schlug Cassius,
Ich war es, der vertilgt den irren Brutus,
Er hatte keine Ahnung ja vom Krieg,
Doch jetzt – egal!
KLEOPATRA
Beiseite, mein Gefolge.
EROS
Die Königin! Mein Herr! Die Königin!
IRAS
Geh zu ihm, rede doch mit ihm, o Herrin,
Er ist ja vor Verzweiflung außer sich!
KLEOPATRA
So stützt mich. Ach!
EROS
Erheb dich, Herr! Es kommt die Königin!
Das Haupt gesenkt, es greift der Tod nach ihr,
Nur du kannst sie mit deinem Troste retten!
ANTONIUS
Die Ehre habe ich verletzt.
EROS
O Herr, die Königin!
ANTONIUS
Wohin hast du mich nur geführt, Ägypten?
Schau, wie ich meiner Schande Fleck entferne
Aus deinen Augen, Königin, indem
Ich blick zurück auf das, was ich verließ
Und bin vernichtet in der Schande Schmach.
KLEOPATRA
Vergib mir doch, mein Herr! Ich glaubte kaum,
Daß du mir folgen würdest.
ANTONIUS
Ägypterin, du wusstest nur zu gut,
Daß ich gebannt an dich gefesselt war.
Du kennst ja deine Herrschaft über mich
Und dass dein Wink mich könnt von Gott entfernen!...
KLEOPATRA
Verzeih mir, bitte!
ANTONIUS
Du wusstest, dass du mich erobert hast
Und dass mein Schwert, geschwächt durch meine Liebe,
Auf jeden Fall gehorcht allein der Liebe!
KLEOPATRA
Verzeih, verzeihe mir!
ANTONIUS
Nicht weinen! Eine Träne ist genug,
Verlust und Sieg und alles aufzuwiegen.
Gib du mir lieber einen Kuß, Geliebte!
Ein Kuß allein entschädigt mich für alles!
Ach Liebe, ich bin ganz aus Blei der Schwermut,
Ein Becher roten Weins soll mich erquicken!
Fortuna weiß, wir schmähen sie am meisten,
Wenn sie uns alle Gunst und Huld verwehrt!

NEUNTE SZENE

(Alexandria, Kleopatras Palast. Auftritt Kleopatra, Charmion, Iras, der Eunuch Mardion.)

KLEOPATRA
O helft mir, meine Dienerinnen, helft mir,
Wahnsinniger ist er als Telamon,
Nie schäumte so vor Wut des Wahnsinns Ajax!
CHARMION
Zum Grab! Dort schließ dich ein und sende ihm
Die Nachricht, du seist tot! Die Seele und
Der Körper scheiden mehr nie auseinander,
Als wenn die wahre Größe geht dahin.
KLEOPATRA
Zum Grabmal also! Mardion, sag ihm,
Ich hätte selber mich ermordet, sage ihm,
Das letzte was ich sprach war: Mark Anton!
Dein Ausdruck möge Mitleid ihm erregen.
Geh, Mardion, und sag mir dann, wie er
Die Nachricht meines Selbstmords aufgenommen.

(Ab.)

ZEHNTE SZENE
(Alexandria, ein andres Zimmer in Kleopatras Palast. Auftritt Antonius und sein Knabe Eros.)

ANTONIUS
Du siehst mich noch, mein Eros?
EROS
Ja, lieber Herr!
ANTONIUS
Wir sehen manchmal eine Wolke, die
Dem Drachen gleicht, sehn manchmal einen Hauch
Wie einen Bären oder einen Löwen,
Sehn eine Festung oder einen Felsen,
Sehn einen Berg, ein blaues Vorgebirge
Mit Bäumen drauf, die schauen in die Welt,
Und Lüfte täuschen unsre Augen. Du
Hast auch gesehen diese Zeichen alle,
Theaterstücke sinds des schwarzen Abends.
EROS
Ja, lieber Herr!
ANTONIUS
Was eben noch ein Pferd gewesen, löschen
Schnell wie Gedanken Wolken aus und machen
Unsichtbar es wie Wasser ist im Wasser.
EROS
So ist es, o mein lieber Herr!
ANTONIUS
Mein lieber Knabe Eros, schau, dein Hauptmann
Ist eben solch ein wolkiges Gebäude,
Jetzt bin ich noch Antonius, doch kann
Ich die Gestalt nicht halten, o mein Knabe.
Ich kämpfte für Ägyptens Königin,
Ich dachte, dass mein eigen sei ihr Herz,
Nur weil mein eignes Herz ihr eigen war.
Sie aber hat die Karten so gelegt,
Daß Cäsar triumphiert, mein eigner Ruhm
Zunichte wurde durch ihr falsches Spiel,
Ich wurde zum Triumphe meines Feindes.
Doch weine nicht, mein vielgeliebter Eros,
Noch bleibt mir übrig, selbst mich selbst zu morden!

(Auftritt Eunuch Mardion.)

O Schande über deine schlimme Herrin!


Kleopatra hat mir mein Schwert genommen!
MARDION
Nein, Mark Anton, die Herrin ist dir treu,
Ihr Schicksal ist mit deinem tief verbunden.
ANTONIUS
Weg, weg mit dir, Eunuch! Halt nur den Mund!
Den Tod soll sterben die Verräterin!
MARDION
Den Tod kann jeder Mensch nur einmal zahlen,
Und diese Schuld hat sie getilgt. Was du
Begehrst, das ist geschehen. Doch das letzte
Was sie gesprochen war: Antonius,
Du edler Mark Anton! Dann brach ein Stöhnen
Den Namen Mark Anton entzwei, geteilt
Der Name zwischen Herz und Mund. Sie hauchte
Den Geist aus und begrub dich so mit sich.
ANTONIUS
So ist sie tot?
MARDION
Ja, sie ist tot.
ANTONIUS
Entwaffne mich, mein lieber Knabe Eros,
Des langen Tages Arbeit ist getan,
Wir müssen schlafen.
(zu Mardion)
Daß du nun weggehn darfst,
Entschädigt dich für deine Mühen, geh!

(Mardion ab)

Das Schild des Ajax hält den Sturm nicht fern


Von meinem Herzen. Berstet, mein Flanken!
Herz, stärker sei als das, was dich umgibt,
Zerbrich die schwache Hülle dieses Körpers!
Schnell, Eros! Ich bin länger nicht Soldat,
So edel ich die Rüstung einst getragen.
Verlaß mich einen Augenblick, mein Eros!

(Eros ab.)

Ich will dich übereilen, meine Herrin,


Und weinend will ich um Vergebung bitten.
Fortan ist jede Dauer nichts als Folter!
Die Fackel ist erloschen! Leg dich nieder
Und schweif nicht mehr umher! Fortan verdirbt
Die Mühe alles, was sie unternimmt.
Die Kraft verstrickt sich in der eignen Stärke.
So sei der Liebe Siegel aufgedrückt
Und alles ist zuende! Eros, Eros!
Ich komme, meine Königin! Ach Eros!
O Königin, erwarte mich, wo Seelen
Auf Blumen ruhen, Hand in Hand wir beide
Lustwandeln werden, dass die Geister staunen,
Vergessen werden Dido und Äneas
Und alle Ehre wird uns beiden gelten!
Mein Eros, vielgeliebter Eros, komm!

(Eros kehrt zurück)

EROS
Was wünscht mein lieber Herr?
ANTONIUS
Seitdem Kleopatra gestorben ist,
Hab ich gelebt in solcher schlimmen Schande,
Daß Gott verabscheut meine üblen Sünden!
Ich habe mit dem Schwert die Welt beherrscht
Und Städte auf dem grünen Meer gegründet,
Das Urteil sprech ich heute über mich,
Daß ich die Kraft nicht einer Frau besitze
Und nicht so edel bin gesinnt wie sie,
Die mit dem eignen Tode Cäsar sagte:
Ich bin der Überwinder meines Ichs!
Du hast geschworen, mein geliebter Eros,
Daß, falls der Notfall kommt, der jetzt gekommen,
Wenn ich verfolgt von Schande bin und Schrecken,
Daß du auf mein Gebot mich töten wirst!
So tu es jetzt! Die Stunde ist gekommen!
Du triffst nicht mich, den Cäsar schlägst du nieder.
Laß deine Wangen wieder purpurn blühen!
EROS
Die Götter mögen allzeit mich bewahren!
Soll ich das tun, was selbst des Feindes Waffen
Und alle Übeltäter nicht vermochten?
ANTONIUS
Ach Eros, möchtest du am Fenster stehen
In Rom und deinen lieben Herrn so sehen,
Gebunden seine Arme und gebeugt
Sein Nacken, sein Gesicht von Schmach bespuckt,
Dieweil in seinem Throne Cäsar sitzt
Und mich als seinen Untertan verachtet?
EROS
Ich wills nicht sehen.
ANTONIUS
So komm, nur eine Wunde kann mich heilen,
Zieh du dein Schwert, das du zum Ruhm getragen.
EROS
Entschuldigung, mein Herr, ich kann es nicht.
ANTONIUS
Hast du mir nicht geschworen, dass du’s tust,
Wenn ich dich bitte? Tu es jetzt sofort,
Weil alle deine andern Dienste sonst
Nur Zufall waren ohne guten Willen.
EROS
Dann wende sich von mir dein edles Antlitz,
Das von der Erde angebetet wird!
ANTONIUS
So sieh nun zu, was du zu tun gedenkst.

(Antonius wendet sich ab.)

EROS
Gezogen habe ich mein scharfes Schwert.
ANTONIUS
So tu damit, wozu du zogst dein Schwert.
EROS
Mein lieber Herr und bester Imperator,
Bevor ich diesen Schwerthieb blutig schlage,
Laß sagen mich ein letztes Lebewohl.
ANTONIUS
Es ist gesagt, mein Sohn! Du lebe wohl!
EROS
So lebe wohl, mein Vater! Soll ich jetzt?
ANTONIUS
Ja, Eros, töte mich!
EROS
So schlag ich zu, denn so will ich entkommen
Dem Schmerz des Todes des Antonius.

(Eros tötet sich selbst.)

ANTONIUS
Du, dreimal edler als Antonius!
Du lehrtest mich, o wundervoller Eros,
Was ich gesollt und was du nicht vermocht.
Die Königin Kleopatra und Eros
Durch edle Unterweisung meiner Seele
Gewannen einen Ruhm in der Geschichte!
Ich will ein Bräutigam im Tode sein
Und will enteilen in das Totenreich
Wie in das süße Bett der Vielgeliebten!
Komm also, Bett des Totenreiches! Eros!
Dein Herr wird sterben als dein Jünger, Eros!

(Er bohrt sich sein eigenes Schwert in die Brust)

So tu ich, was ich von dir lernte, Eros!


Doch wie? Ich bin nicht tot? Bin noch nicht tot?
Kommt, Wächter, kommt, entledigt mich von mir!
(Auftritt Wächter und Dekretas.)
ERSTER WÄCHTER
Was ist das für ein Lärmen?
ANTONIUS
Ich habe meine Arbeit schlecht getan,
O Freunde, bitte, macht dem doch ein Ende,
Was ich begonnen habe.
ZWEITER WÄCHTER
Herabgesunken ist der lichte Stern.
ERSTER WÄCHTER
Zuende geht die Zeit.
ALLE
Ah weh!
ANTONIUS
Der, der mich liebt, der möge jetzt mich töten!
ERSTER WÄCHTER
Ich bin es nicht.
ZWEITER WÄCHTER
Auch ich bins nicht.
DRITTER WÄCHTER
Nein, keiner hier.
(Alle Wächter ab)
DEKRETAS
Dein Tod und Schicksal lassen deine Leute
Entfliehen. Dieses Schwert, wird es gezeigt
Dem Kaiser mit der Nachricht deines Todes,
Soll Zugang mir verschaffen bei dem Kaiser.

(Auftritt Diomedes)

DIOMEDES
Wo ist Antonius?
DEKRETAS
Dort, Diomedes, dort.
DIOMEDES
Ist er am Leben? Gib mir Antwort, Mann!

(Dekretas ab)

ANTONIUS
Bist du es, Diomedes? Zieh dein Schwert,
Stich zu, auf dass ich endlich sterben darf!
DIOMEDES
Mein Herr, Kleopatra schickt mich zu dir.
ANTONIUS
Wann hat sie dich geschickt?
DIOMEDES
Gerade eben, mein Gebieter.
ANTONIUS
Wo ist sie denn?
DIOMEDES
In ihrem Grabmal eingeschlossen. Sie
Empfing prophetisch eine Ahnung, sah,
Was niemals sein wird, dass du meintest, sie
Sei eingegangen einen Bund mit Cäsar,
Sie sah, dass deine Wut nicht sei zu mildern,
Da ließ sie sagen dir, sie sei gestorben,
Doch dann bekam sie Angst, wie das wohl wirke
Auf dein Gemüt, so hat sie mich gesandt,
Die Wahrheit zu verkünden, und ich bin
Zu spät gekommen, wie ich fürchten muß.
ANTONIUS
Zu spät, mein Guter. Ruf die Wache bitte.
DIOMEDES
Des Imperators Wache, kommt, der Herr ruft!

(Auftritt einiger Wächter des Antonius)

ANTONIUS
O tragt, ihr lieben Freunde, mich dahin,
Wo mich Kleopatra erwartet, das
Sei euer letzter Dienst, den ich gebiete.
ERSTER WÄCHTER
Ach wehe, wehe über uns, Gebieter,
Wirst du nicht überleben deine Leute.
ALLE
O schwere Stunde!
ANTONIUS
Nein, meine guten treuen Kameraden,
Tut doch dem Schicksal den Gefallen nicht,
Mit euren Leiden das Geschick zu ehren.
Heißt das willkommen, was geschehen muß
Zu unsrer Strafe, und bestrafen wir
Das Schicksal auch, indem wirs leicht ertragen.
So hebt mich auf. Ich hab euch oft geführt,
Tragt ihr jetzt mich. Ich dank euch, meine Freunde.

(Alle ab, Antonius tragend.)

ELFTE SZENE

(Alexandria, Kleopatras Palast, ein Grabmahl. Auftritt Kleopatra, Charmion, Iras, Dienerinnen.)

KLEOPATRA
O Charmion, ich geh hier nicht mehr weg.
CHARMION
Geliebte Herrin, tröste dich!
KLEOPATRA
Nein, Charmion, ich will mich nicht getrösten,
Willkommen jedes schreckliche Ereignis!
Doch Trost verachte ich. Des Leidens Größe
Sei angemessen unsres Leidens Ursach!

(Auftritt Diomedes)

Was gibt es? Ist Antonius gestorben?


DIOMEDES
Der Tod ruht über ihm. Er ist nicht tot.
Schau doch heraus aus deinem Grabmal, schau,
Dort bringen seine Wächter ihn zu dir.

(Antonius wird von den Wächtern hereingetragen)

KLEOPATRA
O Sonne, deine Sphäre jetzt verbrenne
Und Nacht sei an dem Ufer dieser Welt!
O Mark Anton, o Mark Anton, Geliebter!
Hilf, Charmion, hilf, Iras, helft, ihr Freunde,
Zieht doch Antonius zu mir herauf!
ANTONIUS
Nicht Cäsar hat Antonius besiegt,
Ich hab allein mich selber überwunden.
KLEOPATRA
So soll es sein, dass keiner dich besiegt,
Antonius besiegt Antonius
Allein, doch weh, dass es so ist.
ANTONIUS
Ich sterbe jetzt, o Königin, ich sterbe,
Nur kurze Zeit bedräng ich noch den Tod,
Bis ich von vielen tausend heißen Küssen
Den letzten Kuß auf deine Lippe drücke!
KLEOPATRA
Geliebter Herr, verzeih Kleopatra,
Ich habe Angst, dass Cäsar triumphiert,
Er seinen Lorbeerkranz des Ruhmes schmückt
Mit meiner Überwindung. Wenn die Schlange
Ihr Gift noch hat, das Messer seine Schneide,
Bin ich gewiß: Octavia voll Tugend
Soll niemals ihre sittenstrengen Augen
An deiner Vielgeliebten kritisch weiden.
Komm, Mark Anton! Helft, meine Dienerinnen,
Zieht doch Antonius herauf zu mir,
Helft, liebe Freunde, helft der Königin!
ANTONIUS
Beeile dich, denn bald schon bin ich tot!
KLEOPATRA
Fürwahr, das ist ein köstliches Vergnügen!
Wie schwergewichtig mein Gebieter ist!
All meine Kraft geworden ist zu Schwermut,
Weil du so schwergewichtig bist, Gebieter!
O hätte ich die Macht der großen Juno,
Hochholen sollte dich Merkurius
Und setzen dich zur rechten Seite Jovis!
Ach komm, ach komm, noch etwas näher, komm!
Die Wünsche haben, sind doch immer Narren.
Komm, komm, o komm zu mir! Noch dichter, Liebster!

(Antonius wird zu Kleopatra heraufgezogen)

Willkommen, tausendmal willkommen, Liebster!


Stirb, wenn du wirklich lebtest, lebe auf
Im Küssen! Meine Lippen haben Kraft,
Mit Küssen will ich meinen Mund verbrauchen!
ALLE
Ein Anblick voller Trauer!
ANTONIUS
Ich sterbe, meine Königin, ich sterbe!
Schenk einmal noch den Rotwein in den Becher,
Denn ich will reden noch ein letztes Wort.
KLEOPATRA
Nein, mich laß reden, lauthals will ich schimpfen,
Daß dieses falsche eitle Weib Fortuna
Ihr Rad zerbricht, erzürnt durch mein Gezanke!
ANTONIUS
Ein Wort noch, meine süße Königin,
Es sucht der große Cäsar deine Ehre
Zusammen mit der Sicherheit Ägyptens.
KLEOPATRA
Die beiden gehen aber nicht zusammen.
ANTONIUS
Geliebte, hör, trau niemandem bei Cäsar
Als einzig und allein Proculius.
KLEOPATRA
Nur der Entschlossenheit und eignem Handeln
Vertraue ich, sonst niemandem bei Cäsar.
ANTONIUS
Den jämmerlichen Wechsel aber nun
An meinem Ende sollst du nicht beklagen
Und nicht beweinen, sondern du erfreue
Die eigenen Gedanken dir, in dem
Du an die frühere Glückseligkeit
Gedenkst, in der ich lebte, als ich war
Der größte Fürst der Welt, der edelste,
Jetzt aber sterbe ich nicht elend, und nicht feige
Nehm ich als stolzer Römer meinen Helm ab
Vor einem andern Römer. Aber jetzt
Hauch ich den Geist aus, ach, ich kann nicht mehr.
KLEOPATRA
Du Edelster der Männer, willst du sterben?
Sorgst du dich gar nicht um Kleopatra?
Soll ich in dieser trüben Welt verbleiben,
Die ohne dich ist nur ein Schweinestall?
Seht, meine Dienerinnen, schaut doch hin,
Die goldne Krone dieser Erde schmilzt!

(Antonius stirbt.)

Mein Herr! Verwelkt der Siegeskranz des Krieges,


Gefallen die Standarte des Soldaten,
Jetzt stehen Kinderlein auf einer Stufe
Mit Männern, kleine Knaben, junge Mädchen,
Dahin ist aller Klassenunterschied,
Jetzt gibt es nichts Besondres mehr auf Erden
Hier unterm Monde, der uns heimgesucht.

(Kleopatra wird ohnmächtig)

CHARMION
So fasse dich, Gebieterin und Herrin!
IRAS
Ach, ist auch unsre Herrscherin gestorben?
CHARMION
Gebieterin!
IRAS
O Herrin!
CHARMION
O Herrin, Herrin, Herrin!
IRAS
O Königin und Imperatorin!

(Kleopatra bewegt sich)

CHARMION
Sei leise, Iras.
KLEOPATRA
Ich bin nichts andres mehr als nur ein Weib,
Regiert von der gemeinen Leidenschaft
Wie eine Magd, die melkt das pralle Euter
Und andre niedre Sklavendienste tut.
Es wäre angemessen, dass mein Zepter
Ich werfe nach dem bösen Neid der Götter,
Daß ich den Göttern sage, dass die Erde
Dem Himmel gleichkam, ach, bevor die Götter
Gestohlen mein Juwel. Ach Nichts ist Alles!
Geduld ist Torheit. Ungeduld gehört
Zu einem Fuchse, der die Tollwut hat.
Ist es denn Sünde, in das Haus des Todes
Zu stürzen sich, bevor der Tod es wagt,
Nach eignem Wunsch und Plan zu uns zu kommen?
Wie geht es euch, ihr Frauen? Habt nur Mut!
O meine feinen Mädchen! Frauen, Frauen!
Schaut, unsre Lampe ist verbraucht, erloschen.
Fasst euch ein Herz, ihr lieben treuen Leute.
Begraben wollen wir Antonius.
Und dann, was mutig und was edel ist,
Laßt uns das tun nach stolzer Römerart.
Der Tod sei stolz, wenn er uns nimmt als Opfer!
Hinweg! Die Hütte eines großen Geistes
Ist kalt! Ach meine Frauen, meine Frauen!
Wir haben keinen Freund mehr als allein
Entschlossenheit zu einem raschen Ende!

(Ab mit dem Leichnam des Antonius)

ZWÖLFTE SZENE

(Palast der Kleopatra. Kleopatra, Charmion und Iras.)

KLEOPATRA
Legt mir mein Kleid an, setzt mir auf die Krone,
Unsterblich ist die Sehnsuchtsglut in mir!
Ägyptens Traube soll den Mund nicht netzen,
Rasch, gute Iras, rasch, ich glaube schon,
Ich höre schon Antonius mich rufen,
Ich seh ihn sich von seinem Thron erheben
Und loben meine heldenhafte Tat.
Gemahl, ich komme! Jetzt beweist mein Mut
Die Würdigkeit zum Titel Königin.
Ich bin allein aus Luft und Feuer jetzt,
Die andern Elemente leg ich ab
Und geb sie dem gemeinen Erdenleben.
Kommt, nehmt den letzten Friedenskuß vom Munde!
Leb wohl, du schöne süße Charmion
Und, Iras, dir ein lange Lebewohl!
(Kleopatra küsst Iras. Iras stirbt.)
Hab ich die Schlange zwischen meinen Lippen?
Gefallen Iras? Wenn Natur und Iras
So sanft sich trennen, ist der Kuß des Todes
Nur wie der Liebesbiß des Vielgeliebten
In meinen Busen, schmerzlich, aber Wollust!
Ach Iras, bist du so dahingeschieden?
Die Welt ist eines Abschieds doch nicht wert.
CHARMION
So löse deinen Gürtel, volle Wolke,
Und Regen ströme nieder von dem Himmel,
So kann ich sagen, dass die Götter weinen.
KLEOPATRA
Nichts bin ich mehr als ein gemeines Weib!
Denn wenn zuerst die reine Iras trifft
Antonius, dann will er sie sich nehmen,
Und jenen Kuß der Liebe schenkt er ihr,
Den zu empfangen doch mein Himmel ist!
So komme jetzt, du tödliches Geschöpf,

(Zu der Schlange, die sie an ihren Busen legt)

Mit deinem scharfen Zahn erlöse mich


Vom Knoten dieses Lebens! O du Narr,
Mach End’, o Narr, mach Ende! Sprich, o Schlange!
CHARMION
O makelloser Stern des Orients!
KLEOPATRA
Still! Siehst du den geliebten Säugling nicht,
Der mir das Leben aus dem Busen saugt?
CHARMION
Mir bricht das Herz!
KLEOPATRA
So süß wie triefende Balsamentropfen,
So weich wie milde Lüfte! O so sanft
Und o so süß! Und O Antonius!
Ich nehme mir noch eine zweite Schlange!

(Sie legt eine zweite Schlange an ihre andere Brust)

Was soll ich länger warten?

(Kleopatra stirbt)
CHARMION
Ach Elend in dem Jammertal der Tränen!
Groß ist dein Ruhm, o Tod, denn ganz dein eigen
Ist jetzt ein reines Mädchen ohnegleichen.

(Charmion nimmt sich eine Schlange und stirbt)

ESTHER
ERSTE SZENE

XERXES
Wir, Unsre Majestät der Herr und Kaiser,
Wir wollen feiern mit den sieben Fürsten.
Kommt, meine Fürsten, kommt von fernen Ländern,
Komm, Fürst der Skythen, aus dem Haschisch-Zelt,
Komm, Fürst aus dem platonischen Athen,
Komm, Fürst der Großen Mutter India,
Komm, Fürst vom weisheitsvollen Reich der Mitte,
Komm, Fürst vom Reich der Königin von Saba,
Komm, Fürst der Schwarzen Mutter Afrika,
Komm, Fürst von dem versunkenen Atlantis,
Kommt, Fürsten, trinkt mit mir vom roten Wein!
Ein Gott wohnt doch im Heiligtum des Weines,
Der inspiriert uns wie der Geist der Götter!
Schaut meinen Boden an von schwarzem Marmor
Und die türkisen-samtnen Ruhelager,
Ein Diwan weiser Trinker soll sich lagern,
Und schaut die Säulen an von Alabaster
Und schaut die Äpfel der Granaten an
Und goldnen Glöckchen zwischen den Granaten
Und schaut die Perlenschnüre, Rosenkränze
Und Mandelblütenkelche, Lilienknäufe
Und schaut das Brot in seiner goldnen Schale!
Mit Gnaden werde ich euch überschütten,
Mit Gnaden! Fragt ihr euch: Mit welcher Gnade?
Mit Gnaden unaussprechlich-schöner Schönheit!
Die Allerschönste aller schönen Frauen
Sollt ihr mit diesen euren Augen sehen!
O Vashti, meine hohe Königin,
Mit deiner Schönheit blende meine Fürsten!
Geh, Page, melde meiner Königin,
Sie soll sich offenbaren meinen Trinkern!

ZWEITE SZENE
PAGE
O Vashti, hoheitvolle Königin,
Der Kaiser selbst verlangt nach deiner Schönheit,
Denn prahlen möchte er vor seinen Fürsten,
Welch eine Schönheit ihm zur Seite steht!
VASHTI
Ja, ich bin schön! Ich sorge mich auch sehr
Um meines Körpers makellose Schönheit.
Ich selbst bin meiner Schönheit Schöpferin
Und halte mich für eine Menschengöttin.
Der Kaiser bettle nur um meine Liebe,
Ich bin nicht, bin nicht die, die sich ihm schenkt.
Es mögen andre Frauen Demut üben
Und Magd des Königs sein, doch ich bin stolz!
Von Gott nicht will ich meine Kraft empfangen,
Ich selbst bin Gott, mein Gott ist meine Seele.
Soll doch der Kaiser betteln um die Liebe,
Verloren ist, wer Menschenliebe sucht!
Kein Mensch kann einen Menschen jemals lieben,
Wenn dieser Mensch sich selbst nicht lieben will.
Ich aber will mich selbst vor allem lieben,
Dann brauch ich keine Liebe eines Gottes,
Dann brauch ich keine Liebe eines Menschen.
Ich schaffe selbst mir meine eigne Welt,
Bin Schöpferin der Welt, die mich umgibt,
Denn weil die Welt ist Ausdruck meiner Seele,
Begegnet in der Welt mir meine Seele.
Wenn meine Seele nun sich selber liebt,
Begegnet in der Welt mir nichts als Liebe.
Was soll ich lieben einen Gott im Himmel
Und warum soll ich meine Nächsten lieben?
Daß ich mich selber liebe, ist genug!
Dann kommt durch mich die ganze Welt in Ordnung.
Der Kaiser muß sich selbst entscheiden, ob
Er Schöpfer oder Opfer möchte sein,
Ich jedenfalls will nicht ein Opfer sein,
Ich bin der Schöpfer meines eignen Lebens,
Denn meine Seele ist nicht Gott vereint
Als einem liebevollem Du, geliebt,
Nein, meine Seele ist mit Gott identisch.
Ich tu allein, was meine Seele will,
So tue ich den Willen meiner Gottheit.
Ich werde nicht zum Fest des Kaisers kommen,
Der Kaiser rechne nicht mit seiner Göttin,
Die Göttin feiert lieber andre Feiern,
Als sich vom Kaiser anzuhimmeln lassen.
Nein, ich verachte den verliebten Kaiser
Wie einen Wurm in seinem eignen Kot!
PAGE
O Vashti, Gott hat dich sehr schön erschaffen,
Ein großer Künstler ist doch Gott der Schöpfer,
Der deine Schönheit schuf so malerisch!
Man könnte nach der Schönheit deines Körpers
Astartes Statue aus Marmor machen.
Doch deine Seele ist total verhärtet,
Dein Herz ist hart und kalt wie Marmorstein.
VASHTI
Geh, Page, süßer Liebling deines Kaisers,
Ich mochte dich noch nie, serviler Sklave,
Sag ihm, er möchte mich in Ruhe lassen!

DRITTE SZENE

XERXES
Mein weiser greiser grauer Philosoph,
Was soll ich tun in dieser schweren Lage?
Ich bin verwirrt und weiß nicht was zu tun.
WEISER
Ich bin ganz still, du schütte aus dein Herz.
XERXES
Die Königin, die schöne Vashti, ist
So schön, ich schaue schon die Schönheit Gottes!
Die Schönheit Gottes schaue ich an Vashti,
Die Liebe schaue ich in meinem Pagen!
Die Schönheit Vashtis ist so wunderschön,
Ich betete sie an als meine Göttin!
Allmächtige Gebieterin, o Göttin,
Erbarme dich des ärmsten deiner Sklaven!
So hab ich ihre Schönheit angebetet.
Vergöttlicht so man aber einen Menschen,
Ein Weib, so ist das nichts als Götzendienst.
Sie ist doch meiner Huldigung nicht wert,
Zwar ist sie schön, doch ist sie seelenlos!
In ihrer Jugend voller Reiz und Anmut,
Da war sie fromme Gottessucherin,
Jetzt hat sie sich dem Bösen zugewandt
Und übergab die Seele Ahriman!
Sie-Teufel wurde meine schöne Vashti,
Bluttränen weine ich in meinem Herzen!
Wenn Perser schon Verbrecher kreuzigen,
So Vashti kreuzigt den verliebten Kaiser!
WEISER
Verbrecherkreuze gibt es für Verbrecher,
Die unserm guten Gotte wohlgefällig,
Doch andre Kreuze hasst der gute Gott,
Die Kreuze nämlich, wenn ein guter Mann
Verliebt ist in ein böses Weib und leidet,
Von diesem Leiden will ihn Gott erlösen!
XERXES
Ich hatte einen Tagtraum eines Mittags,
Ich sah die jugendliche Hoffnungsgöttin
Als Frau, bekleidet mit dem Sonnenlichte,
Sie goss aus ihren Händen Gnadenstrahlen
Hernieder auf ein junges schönes Mädchen.
WEISER
Die Göttin inkarniert in einer Frau
Für einen Tag, vielleicht für sieben Jahre,
Vielleicht für vierzehn Jahre auch, doch dann
Die Göttin kehrt zurück in ihren Himmel.
Die arme Frau in ihrer Sterblichkeit,
Verlassen von der Göttin, wird verlassen
Vom Liebesdiener, der sie angebetet.
Die Göttin aber kehrt zurück zur Erde
Und wählt erneut die Stellvertreterin,
Die immerjunge Göttin neu erscheint
In einer neuen Stellvertreterin.
XERXES
So will ich achten auf ein Wunderzeichen,
Wo sich nun inkarniert die junge Göttin.
WEISER
Dein Reich erstreckt sich ja von Mutter Ganga
Zum Gelben Vater Nilus in Ägypten,
Da lade alle jungen Mädchen ein,
Die ausgezeichnet süß und reizend sind,
Und wähle dann das schönste Mädchen aus,
Die deine neue Menschengöttin wird.
XERXES
Nun ist mir schon nicht mehr so schwer ums Herz.
WEISER
So gebe ich dir Unsrer Göttin Segen!

VIERTE SZENE

MARDOCHAI
Hadassa, meine junge schöne Nichte,
Verachtet wird der Jude doch von allen!
Der Jude, Gottes auserwählter Sohn,
Gott legt ihm seine Worte in den Mund,
Der Jude murmelt Gottes Worte immer
Und all sein Denken kreist allein um Gott,
Nichts andres interessiert ihn als die Gottheit,
Der überall in Gottes schöner Schöpfung
Die Gegenwart der Liebe Gottes sieht,
Der Jude wird verachtet von der Welt!
Die Menschen dieser Welt verachten ihn
Und bauen um die Herzen harte Mauern,
Die Stirnen machen sie zu Kieselsteinen,
Verstopfen sich die Ohren, diese Heiden
Sind wie die Kobra, die das Ohr verschließt,
Daß sie nicht hört die Stimme des Beschwörers,
Des gottgelehrten Schlangenflüsterers.
ESTHER
Bei Gott, mein lieber Onkel Mardochai,
Der du den Namen trägst des Gottes Marduk,
Ich aber, Esther, heiße Morgenstern,
Die ich den Namen trag der Göttin Ishtar,
Wir sind benannt nach Gott und Gott ist mit uns!
Wenn Gott der Herr auf unsrer Seite ist,
Was sollen wir den Hass der Menschen fürchten?
MARDOCHAI
Die Menschen hassen uns, in Wahrheit aber
Sie hassen Gott, den Gott, den sie nicht kennen!
Gott ist so groß, ist größer als das Weltall,
Gott hält im Innersten die Welt zusammen,
Zu diesem großen Gotte sag ich Du
Und Gott liebt mich noch mehr als ich mich liebe,
Ist mehr besorgt um all mein Gutes, Bestes,
Sorgt besser sich um mich als ich es könnte.
Wer diesen Gott erkennt mit seinem Herzen,
Den Gott der Liebe, der wird lieben Gott.
Die Menschen dieser Welt jedoch ersinnen
Sich einen Götzen voller Grausamkeit
Und hassen dann den Götzen ihres Herzens.
ESTHER
Wenn wir uns nun zu unserm Gott bekennen,
Verstehen unsern Gott die Heiden nicht,
Sie hassen Gott und hassen darum uns.
Sei aber nicht besorgt, mein lieber Onkel,
Wenn Gottes Feinde hassen unsern Gott,
So ist es Gottes Freunden eine Ehre,
Wenn Gottes Feinde hassen Gottes Freunde,
So werden wir vereinigt unserm Gott.
MARDOCHAI
Wie aber soll ich meine Feinde lieben?
Wie jene lieben, die mich so verachten?
ESTHER
Ich liebe brennend dich von ganzem Herzen!
Komm, gottgeliebter Mann, lass dich umarmen!
Komm, ruhe du am Herzen deiner Esther!
An diesem Herzen ruh, dem Wohnort Gottes!
MARDOCHAI
In deinem langen weißen Seidenkleid
Stehst du vor mir als jugendliche Jungfrau,
Dein Angesicht voll Liebreiz und Entzücken,
Dein Blick voll Lächeln, voller lichter Liebe,
Dein rotes Mündchen honigsüß und kusslich!
ESTHER
Ich liebe dich! Du darfst mich küssen, Onkel!
MARDOCHAI
Und wenn du groß bist, o Prinzessin Gottes,
Dann nehm ich dich zu meiner Ehefrau.

FÜNFTE SZENE
EUNUCH
O all ihr wunderschönen Haremsdamen!
So nun vernehmt ihr das Gebot des Königs,
Denn salben sollt ihr euch mit Salbungsölen
Und schmücken euch mit allen Schönheitsmitteln,
Mit Augenschminke und mit Lippenschminke,
Und kleiden euch mit euern schönsten Kleidern.
Wenn eine Frau ein halbes Jahr gesalbt ward
Mit der zerriebnen Myrrhe süßen Duft
Und noch ein halbes Jahr gesalbt ward dann,
Gesalbt ward mit den triefenden Balsamen,
Dann ziehe sie die schönsten Kleider an
Und schmücke sich mit allerschönstem Schmuck,
So führt sie der Eunuch zur Königshalle.
Aus diesem Harem jede Frau erscheint
Für eine Nacht vorm Thron des großen Königs,
Wenn er sie nicht erwählt als seine Braut,
Muß sie zurück ins Haus des Frauenharems
Und lebt fortan im Frauenhaus allein
Mit andern Frauen unter Schwatz und Plaudern,
Mit dem Eunuchen und dem Papageien.
Nur wenn der König einst in einer Laune
Verlangt nach einer von den Haremsdamen
Und sie mit ihrem Namen zu sich ruft,
So eile sie sogleich auf seinen Ruf
Und gebe ihre Schönheit willig hin.
HAREMSDAMEN IM CHOR
Wir sind die schönsten Frauen aller Welt,
Die Inderinnen und Chinesinnen,
Die Perserinnen und Tschirkassierinnen,
Araberinnen, Afrikanerinnen,
Der Chor der schönsten Frauen dieser Welt,
Wir präsentieren uns in unsrer Schönheit,
Auf dass der König aller Könige
Die schönste Frau der ganzen Menschheit wähle,
Die auserwählte Frau des Universums!
EUNUCH
Du junges schönes sanftgemutes Mädchen,
Du keusche Jungfrau Ishtar oder Esther,
Du Morgenstern, du Schönste aller Sterne,
Heut ist dein Tag, du trittst vor deinen König.
Gesalbt bist du mit Myrrhe der Passion,
Gesalbt mit den Balsamen allen Trostes,
Nun kleide dich mit deinem schönsten Kleide
Und lächelnd tritt vor deinen Herrn und König.
ESTHER
Mein lieber Vater Hege, du Eunuch
Des Himmelreiches, Kenner aller Frauen,
Ich bin ein Mädchen noch in aller Unschuld
Und weiß nichts von Verführungskunst der Frauen,
Sag du mir, welches Kleid ich tragen soll.
EUNUCH
Die andern Weiber tragen Reizgewänder,
Halbnackt gehn sie in transparenter Seide,
Du trage lieber doch ein keusches Kleid,
Verhülle deine jugendlichen Reize
Mit einem schwarzen Kleid im keuschen Schnitt,
Laß leuchten deines Angesichtes Schönheit,
Laß lächelnd strahlen deine Himmelsaugen
Und grüße liebreich mit dem roten Mündchen!

SECHSTE SZENE

ESTHER
Begleitet mich, ihr meine beiden Mägde,
Ihr schönen Dirnen aus dem Haremshause.
Du Dirne mit den langen schwarzen Haaren,
An deine Schulter lehn ich meine Schulter.
Du Dirne mit der Majestät von Busen,
Du sollst mir halten meines Rockes Schwanz.
Die Glocken läuten schon im Tempel Gottes,
Ich schreite meinem König jetzt entgegen.
Ich habe Furcht und Zittern vor dem Kaiser
Und lieb von ganzem Herzen doch den Kaiser.
KAISER
Komm, meine Braut vom Frauenhaus aus Susa,
Du sollst mir werden meine Königin!
ESTHER
Mein Kaiser, strahlend wie ein Engel Gottes,
Der Engel von dem Angesicht des Herrn
Erscheinst du mir, ich falle fast in Ohnmacht!
Wer schaute jemals solche Herrlichkeit
Und ist gestorben nicht vor großer Wonne?
KAISER
Die Gnade fand in meinen Augen, Mädchen,
Hab keine Angst vor deinem Herrn und König,
Ich bin ein Menschensohn, ich bin dein Bruder,
Die Spitze meines Zepters reich ich dir,
Berühre du die Spitze meines Zepters!
ESTHER
Laß küssen mich die Spitze deines Zepters!
KAISER
Begehre was du willst, o Königin!
Was ist das zwischen dir und mir, Geliebte?
CHOR
Gestorben ist die alte Königin,
Lang lebe unsre Neue Königin!
EUCHARIS
ERSTE SZENE

ESK
Ah weh, ah wehe mir! Die dunkle Nacht
Verfinstert schmerzlich meine arme Seele!
Wie ist doch meine Seele voller Schmerzen
Aufs Blut gepeinigt von des Lebens Geißeln,
Wie ungerecht die Macht des Todes herrscht
Und mich versucht der Dämon der Verzweiflung!
Kein Trost! Nichts als allein das nackte Kreuz!
PAPST JOSEF
(Von seinem Balkon)
Heut ist der Tag der Makellosen Jungfrau,
Der Makellosen Konzeption Maria,
Das Mädchen ist der Gottesschönheit Spiegel,
Allein die Schönheit kann die Welt noch retten!
ESK
Das Licht geht auf, die Sonne scheint am Himmel,
Die Sonne leuchtet im Zenit des Himmels,
Was sehe ich? Ich sehe eine Frau,
Ich sehe eine schöne schlanke Frau
In einem langen weißen Seidenkleid,
Mit einem weißen Schleier auf dem Haupt,
Der Schleier und das Kleid sind goldverziert,
Die Brust gegürtet ist mit goldnem Gürtel,
Sie breitet ihre Arme herzlich aus
Und von den schlanken weißen Händen strömt
Das Gnadenlicht der Gnadensonne Gottes,
So steht die Frau, bekleidet mit der Sonne,
Die Miterlöserin erscheint vor mir
Und schüttet Gottes Licht auf diese Erde.
DIE FRAU IN DER SONNE
Mein lieber Sohn, nun sieh das Neue Leben,
Das Gott dir zeigt, auf neue Art zu leben,
Ein Leben voller Herrlichkeit und Glanz,
Ein Leben solchen lächelnden Entzückens,
Daß du erfüllt von Freude wirst und Wonnen!
ESK
Die lichten Ströme von der Gnadensonne
In Überflüssen überfluten brennend
Die Erde, in dem goldenen Gewölk
Des Glanzes Gottes sehe ich ein Mädchen,
Ja, meine Nachbarin Eucharis ists!
Eucharis ist die Schönheit, die mich rettet,
Die Jugendschönheit, die die Erde rettet!
EUCHARIS
Gegrüßet seiest du, mein Nachbar Esk,
Der Friede Christi sei mit deinem Geist!
ESK
Und auch mit deinem Geist, o Kind Eucharis!

ZWEITE SZENE

(Kellertreppe)

ESK
Ich steige nun hinab die Kellertreppe,
Steig in den Kellerraum des Unbewussten.
Es muß die Niederfahrt zum Höllenpfuhl
Voran gehn einer steilen Himmelfahrt.
Was find ich in des Unbewussten Keller?
Wird mit der Fürst der Ratten hier begegnen?
Gott schuf so Schönes wie die Turteltaube,
Doch warum schuf der Herr die ekle Ratte?
Schuf etwa Luzifer als Demiurg
Die Hässlichkeit der nackten geilen Ratte?
Doch ich muß niedersteigen in die Hölle!
Ich weihe mich der Königin der Hölle,
Der Lieben Frau Proserpina-Maria!
Hier hab ich in dem Korb die alte Wäsche,
Befleckt die alte Wäsche von der Schuld,
Von Fett und Schleim und Kot der Daseinsschuld.
Ist denn das Dasein selbst schon eine Schuld
Und unser Sterben Buße nur und Sühne?
Ich will doch meine alte Wäsche waschen
Und muß hinunter in des Waschraums Beichtstuhl.
Das Lebenswasser wasche meine Wäsche
Und gebe neues reines weißes Linnen!
Hier also steh ich vor der Höllenpforte
Und lese angeschrieben an der Pforte
Das Wort: Du lasse alle Hoffnung fahren!
So öffne dich, du alte Todespforte,
Erbebe, Schwelle zu der Unterwelt,
Denn Esk durchschreitet jetzt des Todes Tor!

(Die Tür wird von innen geöffnet und Eucharis tritt hervor.)

EUCHARIS
Ich hatte meine römischen Sandalen
Gelassen in der alten Waschmaschine,
Hier sind sie wieder, meine Jesuslatschen.

(Ab.)

ESK
Wie schön sie ist! Wie aus der schwarzen Nacht
Des langen keuschen Kleides reiner Tugend
Die Morgenröte aufscheint ihrer Locken
Und wie vom Rosenrahmen ihrer Haare
Die Sonne ihres Angesichtes leuchtet
Mit himmlischen Saphiren lichter Augen!
Eucharis ist die Königin der Hölle
Und ist zugleich die Königin des Himmels,
Sie ist die Meisterin der dunklen Nacht,
Die Morgenröte einer neuen Zeit,
Die Gnadensonne wahren Christentums!
Sie ist die keusche Mädchengöttin Hoffnung,
Ich schaue, hoffend wider alle Hoffnung,
In diesem Mädchen an den Menschheitsfrühling!

DRITTE SZENE

ESK
Welch eine Gnade, liebes Kind Maria
Von Mexiko, dass du die Weihnacht feierst
Mit mir gemeinsam in dem deutschen Volk.
Wie schön du bist mit deinen vierzehn Jahren,
Mit deinem langen schwarzen Seidenhaar,
Mit deinen warmen braunen Augensternen,
Mit deinem südlichbraunen Angesicht.
Du gleichst der Indianita Morenita,
Gleichst Unsrer Lieben Frau von Guadelupe.
Ich trage allezeit ihr Bild bei mir,
Schau hier, das Urbild deiner Mädchenschönheit.
MARIA VON MEXIKO
O meine liebe junge Freundin Fanny,
Ich schenk dir goldnen Indianerschmuck,
So schmücke dich zur Ehre deines Schöpfers.
FANNY
Maria, du bist solch ein liebes Mädchen,
Dein warmes Auge hat mein Herz erobert.
FANNYS VATER
Maria, die du bist aus Rom gekommen,
Ich sah auf dem Balkon des Vatikan
Papst Josef, neben ihm standst du, Maria,
Ich sah den weisen Greis im weißen Haar
Und neben ihm das junge braune Mädchen.
MARIA
Papst Josef ist geboren von der Schwarzen
Madonna von Altötting, seinen Ring
Gab er der Schwarzen Muttergottes Finger.
ESK
Wie schön du bist geschmückt, o Kind Maria,
Wie schön am Handgelenk der Rosenkranz,
Am Hals Mariens Wundermedaillon,
Am Ohr die kleine Perle der Madonna,
Am Finger einen Ring der reinen Jungfrau.
Wie heilig ist dein goldner Schmuck, Maria,
Du schmückst dich nicht aus böser Lust an Unzucht,
Du schmückst dich zu dem Wohlgefallen Gottes
Und Gott gab dir unendlich schönen Liebreiz!
MARIA
Du lieber Esk, du bist ein lieber Mann,
Begehrenswerter Mann, Mariens Schatz,
Ich schenk dir einen schönen Rosenkranz
Aus Mutter Rom, Papst Josef gab den Segen
Dem Rosenkranz aus roten Rosenblüten,
Papst Josef hier und hier der Papst Johannes,
Die Perlen duften süß wie Rosenöl,
Du bete jeden Tag den Rosenkranz!
ESK
Ich benedeie deinen schönen Leib,
Ich benedeie deine festen Brüste,
Ich benedeie deine braunen Arme,
Ich benedeie deine straffen Lenden,
Der Künstler bog sie wie Juwelenspangen!

VIERTE SZENE

ROSA MYSTICA
Schau her und siehe, was ich dir jetzt zeige!
ESK
Die Jungfrau schwebt herab vom hohen Himmel,
Sie trägt ein langes weißes Seidenkleid
Und einen weißen Schleier auf dem Haupt.
Auf ihrer rechten Brust die weiße Rose
Der sieben Freuden Unsrer Lieben Frau,
Auf ihrer linken Brust die goldne Rose
Der Gloria der Mater Gloriosa,
Im Tal der Brüste, diesem Doppelhügel,
Die rote Rose ihrer Liebesschmerzen,
In Blut und Glut erotischer Passion!
Ich weiß, es stören sich die Protestanten
An dieser Jungfrau mit den beiden Rosen
Auf ihren Brüsten, die sich liebend wölben,
Denn Protestanten scheint, dass diese Jungfrau
Ist eine Liebesgöttin aus dem Heidentum,
Ich aber liebe ihre Doppelbrüste
Und liebe auch das Tal der Doppelbrüste,
Da Gottes Eros wohnt als rote Rose,
Der Eros Gottes, der gekreuzigt ist!
ROSA MYSTICA
Ich komme jetzt herab die Himmelstreppe,
Du küsse brünstig jede Treppenstufe,
Die ich mit bloßen Füßen sanft berühre.
ESK
Ach noch den Schatten deiner bloßen Füße
Im Staube auf dem Stein der weißen Treppe
Bin ich nicht würdig, mit dem Mund zu küssen.
ROSA MYSTICA
Drei Stufen steige ich zu dir herab,
Steig aus der Herrlichkeit herab zur Gnade,
Steig von der Gnade nieder zur Natur.
Drei Stufen küsse du der Himmelsleiter,
Drei Küsse küsse du in Buß und Sühne.
ESK
Den Stein zu küssen, den dein Fuß berührte,
Ist fast als küsste ich den Mund der Gottheit!
ROSA MYSTICA
Ich werde jetzt mit meinem bloßen Fuß
Aus Mutter Erde eine Quelle schürfen,
Hier tauche ein die Kranken und die Kinder,
Ihr sollt die Kinder nicht im Schoße töten!
ESK
Oh, wie verwandelt sich die Jungfrau jetzt!
Statt eines langen weißen Seidenkleides
Seh ich sie jetzt in einem grünen Mantel,
Bestickt mit goldnen Sternenordnungen,
Und unter ihrem grünen Sternenmantel
Seh ich ein Hauchkleid, das bestickt mit Blüten,
Sie öffnet dieses hingehauchte Kleid
Und zeigt mir ihre makellosen Brüste,
Die Brüste, die der Gottmensch einst gesogen!
ROSA MYSTICA
Die weiße Rose meiner rechten Brust
Und goldne Rose meiner linken Brust
Berühre küssend du mit deinen Lippen,
Tu Sühne so für aller Sünder Sünden,
Die mir durchbohrt das liebevolle Herz!
Ja, deine Buß und deine Sühne sei,
An meinen hochgebenedeiten Brüsten
Zu saugen Milch der Mutterliebe Gottes!

FÜNFTE SZENE

TANTE
Ich stehe jetzt mit einem Bein im Grab
Und hab gelitten alle Leiden Hiobs
Und kann verzweifeln nur an meinem Gott,
Was musste ich auf Erden so sehr leiden,
Wie soll ich sagen: Gott, ich lobe dich!
ESK
Der Christus an dem Isenheimer Kreuz
Hat doch gelitten für die ganze Menschheit,
Weißt du denn nicht, o meine liebe Tante,
Daß du durch Leiden dir verdienst den Himmel?
TANTE
Bevor ich sterbe, ich mit meinem Herzen
Voll Heimweh und voll wunderlicher Schmerzen,
Will ich den Neffen noch als Gatten sehen.
Du aber wählst dir stets die falschen Frauen,
Nur schöne Frauen, die nicht Geist besitzen,
Die reizend sind, doch harte Herzen haben.
ESK
Ich bin romantisch, tauge nicht zur Ehe.
TANTE
Doch schau dir an die liebliche Eucharis,
Wie fromm sie betet bei der Kommunion,
Wie heiter sie, ein Inbegriff der Hoffnung,
Wie schön sie ist und voller Höflichkeit,
Voll Anmut ihres Leibes, ihrer Seele.
ESK
Ja, wenn Eucharis einmal mich besuchte
Und mir ein Wort voll schöner Liebe sagte!
Ich träumte jüngst, daß ich umging die Mutter
Dione, und Eucharis einen Brief schrieb,
Wie ich sie traf in ihrem Mädchenzimmer.
TANTE
So ist es gut. Ich gehe jetzt zu Gott.
MADONNA
Mein Esk, mein vielgeliebter Schatz, Begehrter,
Berufener, mein andrer keuscher Josef,
Eucharis sollst du nicht zur Gattin nehmen!
ESK
Ich liebte viele Frauen schon auf Erden,
Fand statt der roten Rosen nichts als Dornen!
MADONNA
Dies ist so, weil ich dich erwählt zum Gatten,
Ich möchte dich für mich alleine haben,
Ich will, dass du mit mir vereinigt wirst,
Ich lade dich in meinen keuschen Schoß ein...
ESK
Jetzt hab ich ein Gesicht! Ich seh den Engel
Dich grüßen: Chaire kecharitomene!
Du stehst vorm Bett im blauen Linnenkleid
Und deine rötlichblonden Locken wallen,
Da sehe ich dein Bett, das breite Lager,
Ein rotes Laken ist darauf gespannt,
Drauf liegen rote Decken, rote Kissen.
MADONNA
Im Himmel lade ich dich in mein Bett,
Wenn du auf Erden lebst als Junggeselle.
ESK
Madonna schwebte wieder in den Himmel.
Mein Page du, mein zweites Jesuskind,
Du tröste mich mit deiner süßen Liebe!
PAGE
Hier hab ich eine Schale voller Gras
Und voller Moos und voller weißer Kiesel,
Es ist ein kleines Gartenparadies,
Der Garten Eden ists, Marias Bett,
Maria liebt dich einst im Garten Eden!

SECHSTE SZENE
ESK
O Venus Medici, du Allerschönste,
In meiner Jugend trug ich die Ikone
Der Venus Medici an meinem Herzen
Und wählte dich zu meinem Ideal,
Ob mir auch damals schien, ein hübsches Mädel
Sei dir aus dem Gesicht geschnitten, Göttin,
Das Mädel aber wurde alt und welk,
Du bist noch immer schön und reizend, Jungfrau!
VENUS MEDICI
Als einst mein Minnediener Botticelli
Die wunderschöne Simonetta schaute,
Die Schwester von Amerika, die Fürstin
Der Medici, da malte er mein Bild.
Die schöne Simonetta ist gestorben
An Schwindsucht, sie ging auch den Weg des Fleisches.
Mein Bild jedoch, das weitberühmte Bild,
Verehrt wird auch noch an der Mauer Chinas.
ESK
Von welchem Himmel hast du deine Schönheit?
VENUS MEDICI
Ich hab sie aus dem Himmel der Ideen.
Im Platonismus kommt die Anima
Vom Himmel, wird gehaucht von Gottes Geist,
Hier dargestellt als Zephyrus und Aura,
So kommt die Anima zur Mutter Erde,
Die Mutter Erde breitet ihre Arme
Und gibt der Anima den Stoff des Mantels,
Ein schönes Kleid aus Nichts als Blumenduft.
ESK
So, Göttliche, bist du die Anima!
VENUS MEDICI
Mein Liebster, bist du sehend oder blind?
Siehst du die Anima als Schönheitsgöttin
Spazieren in dem Liebreiz reiner Jugend
In deiner Nachbarschaft? Ist nicht Eucharis
Der makellosen Göttin Ebenbild?
Eucharis ist die Göttin von der Göttin,
Eucharis ist der Lichtglanz von dem Lichtglanz!
So trage meine heilige Ikone
Zu ihrem Haus und diene deiner Göttin,
Indem du dies mein Bild Eucharis schenkst.
ESK
Dein Wunsch ist mir Befehl, o Makellose!

(Er klingelt an der Tür der Eucharis)

EUCHARIS
Womit kann ich dir dienen, lieber Nachbar?
ESK
Schau diese heilige Ikone an
Und sage mir: Erkennst du Gottes Schönheit?
EUCHARIS
Ja, Gottes Schönheit, meine Zwillingsschwester,
Aus Einem Schwanen-Ei die Zwillingsschwester!
ESK
Du bist fürwahr der Göttin Zwillingsschwester
Und Huldigung entrichte ich der Göttin,
Indem ich Huldigung entrichte dir,
Der königlichen Anima aus Gott,
Du gottgehauchte Göttin Anima!
EUCHARIS
Ich stell die heilige Ikone auf
Bei dem Altar in meinem Schlafgemach.

SIEBENTE SZENE

ESK
So kommst du eben von der Katechese?
Was aber denkst du von der Kommunion?
EUCHARIS
So wie ein Vater seinem Sohne gibt
Das weiße Brötchen und die süßen Trauben
Und ihm nicht Brötchen nur und Trauben schenkt,
Vielmehr ihm in dem Brötchen und den Trauben
Den süßen Schmack der väterlichen Liebe...
ESK
Ich feire dich als Jungfrau Primavera,
Du bist die neue Frühlingszeit der Kirche,
Die junge Kirche ohne Fleck und Falten,
Die junge Kirche ohne graue Haare,
Die junge Kirche ohne fette Hüften,
Die junge Kirche ohne welke Brüste,
Die makellose Braut des Christus Jesus!
Schau, Jesus will als Miterlöserin
Und Mitarbeiterin der Hoffnung dich!
Hilf Jesus, sei du Jesus die Gehilfin,
Nach der Kultur des Todes dieser Zeit
Die neue Zivilisation der Liebe
Zu bringen allen Menschen, allen Völkern,
Trag du den Frieden Christi in die Welt!
Der Herr bedarf der Liebe deines Herzens!
Nimm diese sieben weißen Rosen an,
Die Rosen der Madonna, Makellose,
Sei keusch und rein wie eine weiße Rose,
Die weiße Keuschheit der Madonna ist
Die Weißglut ihrer Liebesganzhingabe
An Gott den Herrn, den Bräutigam der Seele!
EUCHARIS
Ich danke dir, mein lieber Freund und Nachbar,
Für dieses schöne Bild der Primavera
Und für die weißen Rosen der Madonna.
Empfange du zum Dank als ein Geschenk
Hier diese süße weiße Götterspeise
Mit diesem süßen roten Nektarsaft!...
ESK
Erheben möchte ich die Schale dankend
Und weihen diese Schale meiner Gottheit!
Wie köstlich schmeckt doch diese Götterspeise,
Wie schön das Weiß der Götterspeise schon,
Ich sehe in dem Weiß der Götterspeise
Den weißen Leib, das weiße Fleisch der Liebe!
Ich speise dieses weiße Fleisch der Liebe,
Als ob ich liebend weiße Brüste küsste,
Und koste süßen roten Nektarsaft
Wie Küsse von dem Rosenmund der Liebe!
Geliebte, diese Speise, dieser Saft,
Sind mir dein weißer Leib, dein rotes Blut!
Wie körperliche Liebes-Einigung
Im Hochzeitsmahl des Liebessakramentes
Ist die Vereinigung mit deinem Fleisch
Im weißen Schaum der süßen Götterspeise!
Die Himmlischen und Geister so genießen
Der Gottheit Fleisch in der Vereinigung
Gewiss in paradiesischen Genüssen
Kaum seliger als ich auf Erden schon
In dem Genusse deines weißen Leibes!

DER ESOTERIKER

ERSTE SZENE

(Deutsches Bauernhaus. Der Herr des Hauses ist nach Frankreich in den Urlaub gefahren. Sein
Knecht Jeremias lädt für die Urlaubszeit den Esoteriker Astralis und seine Freundin Dörte ein, in
diesem Haus ihr Zentrum für Lebensfreude zu begründen.)

JEREMIAS
Schaut, wie romantisch ist das Bauernhaus!
DÖRTE
Der Garten, o der Garten ist so schön,
Hier seh ich Bienen in die Blumen stechen,
Insekten kopulieren öffentlich,
Die Falterpaare tanzen Hochzeitstänze.
JEREMIAS
Komm nur ins Haus, hier ist es sehr gemütlich.
ASTRALIS
Schutzgeister dieses Hauses, hört mich an,
Ich rufe dich, du Gottkind Metatron,
Nachtgöttin dich, geheimnisvolle Lilith!
JEREMIAS
Das Haus empfängt dich wie ein Weib empfänglich.
ASTRALIS
Ich steck den Schlüssel in das Schlüsselloch,
Ich dreh den Schlüssel um im Schlüsselloch,
Jetzt schlüpf ich über die geweihte Schwelle,
Vom Mistelbusch gesegnet diese Schwelle,
Ich dringe durch den langen dunklen Flur
Und streiche sacht an seinen Wänden lang,
Dann komm ich in das Wohngemach und dringe
Noch tiefer ein ins Innere der Wohnung
Und stehe herrlich in dem Schlafgemach!
JEREMIAS
Hier lebt die Mäusemutter mit dem Mäuschen.
Auch kommt die Ratte ab und an vorbei.
DÖRTE
Ih! Eine Spinne! Eine Riesenspinne!
ASTRALIS
Die Spinne ist ein Ursymbol der Mutter
Des Schicksals, die als Schicksalsweberin
Den Lebensfaden spinnt. Die Moira spinnt
Das Schicksal aller Götter, aller Menschen.
DÖRTE
Ich ekle mich doch so vor Spinnen, Freund!
ASTRALIS
So bitte Lilith, dass sie dich befreie!
DÖRTE
O Lilith, durch dein Böses mich erlöse,
Als Schatten komm in mich und mach mich stark!
ASTRALIS
Geweiht ist diese Wohnung Metatron,
Dem Engel, der das Scheitel-Chakra schützt!

ZWEITE SZENE

TABAKVERKÄUFER
Astralis, Eingeweihter ersten Grades,
Ich möchte einen Tabakladen bauen,
Ich möchte geomantisch ihn errichten.
DÖRTE
Urmutter der Natur, in goldner Vorzeit
Die Menschen lebten schön als deine Kinder,
Sie lebten in dem Schoß der Großen Mutter
Und lebten in dem Netz der Energie,
Das wob sich wundervoll von Berg zu Berg,
So alles war beseelt und Geist war alles,
Die Nymphen lebten in den Wassern und
Die Gnome in der Erde, die Sylphiden
Im Luftreich lebten, Salamander lebten
Im Feuer, alle Elemente und
Die Quintessenz erfüllt von Energie.
ASTRALIS
Im Anbeginn der Schöpfung ist aus Gott
Herausgeflossen die Weltseele, die
Als Energie des Geistes durch den Kosmos
Geflossen ist und von den Sternen zu
Der Erde wob ihr Netz der Energie.
Der Urmensch stellte seine Säulen auf,
Die Energie des Alls zu konzentrieren.
TABAKVERKÄUFER
Wie muß mein Tabakladen nun gebaut sein?
ASTRALIS
Der Osten, der Bereich der Göttlichkeit,
Des Gottesfunkens und der Sonne, soll
Die Stätte sein für den Altar des Hauses.
Der Süden als der Ort des Feuers und
Der Liebe und der Phantasie sei offen,
Dort sei die Tür, empfange liebend jeden!
Der Westen als der Ort der Mutter Erde,
Der Mater, der Materia gewidmet,
Im Westen du bewahr den Tabak auf,
Im Westen stelle auch ein Bildnis auf
Der Pachamama, Muttergöttin Erde.
Der Norden ist Bereich der Geistigkeit,
Dort kannst du deine Rechnungen berechnen.
DÖRTE
Und schreibe an dein Haus als Formel magisch
Ein CMB, das gibt dir Gottes Schutz.
TABAKVERKÄUFER
Was denn bedeutet dieses CMB?
DÖRTE
C steht für Catharina und das M
Für Margarethe, B für Barbara,
Drei Göttinnen, die Eine Mutter sind.

DRITTE SZENE

EPIKUR MAMMON
Mein Seligmacher ist das liebe Geld,
Was kann mir da die Esoterik nützen?
ASTRALIS
Ich werde dir dein Horoskop erstellen,
Ein profitables Wirtschaftshoroskop.
Die Götter auf den Sternen wissen nämlich,
Wo Aktien profitabel an der Börse.
Das Lottospiel am Markt des Kapitals
Wird auch gelenkt vom geisterfüllten Kosmos.
Ich sage dir, wie deine Sterne stehen,
Dann spiele du mit höchstem Risiko
Den Poker mit den Aktien an der Börse.
Ich hab den Stein der Weisen, mache Gold!
EPIKUR MAMMON
Ich liebe nichts auf Erden wie das Geld!
Ich glaub an keinen unsichtbaren Gott,
Ich glaube an das anfassbare Geld.
Das Geld regiert die Welt, macht alles möglich,
Ich kann mir alles kaufen, was ich brauche,
Ich mache Reisen durch die ganze Welt,
In Kuba mach ich Urlaub und in Bali,
Ich speise nur die allerbesten Speisen
Und trinke nur die allerbesten Weine.
DÖRTE
Doch braucht der Mann die Liebe einer Frau!
EPIKUR MAMMON
Ich hörte einen Dichter einmal reden
Von dem Geschlechtsteil des geliebten Geldes.
DÖRTE
Ja, Reichtum und Erfolg macht Männer sexy!
Nichts ist doch so erotisch wie das Geld!
Ein reicher Mann gibt Sicherheit der Frau,
Das liebe Geld schafft die Geborgenheit.
EPIKUR MAMMON
Beweisen will ich meiner Frau die Liebe:
Teilhaben lass ich sie an meinem Geld!
DÖRTE
Was aber nützt es einem Menschen, wenn
Er sich die Schätze kauft der ganzen Welt,
Er aber Schaden nimmt an seiner Seele?
Drum tu du etwas auch für deine Seele,
Entspanne dich, ich lehre dich den Yoga,
Du chante Om, den Atem reguliere,
Mit körperlicher Übung stimm den Geist
Ein auf die Harmonie des Universums.
Wenn du in Harmonie von Geist und Körper
Befindlich bist, dann wünsch dir, was du willst,
Schick deine Wünsche ab ans Universum,
Dann lassen Götter goldnen Regen regnen!

VIERTE SZENE

EPIKUR MAMMON
Mein Mädchen Dörte, sei mein liebster Liebling,
Du bist ja schön wie Gold und rein wie Gold!
Ich kauf dich deinem armen Vater ab
Und lege dann als Fundament der Ehe
Ein Testament an, drin ich dir vererbe
Mein ganzes Geld und alles Eigentum.
Die Männer, die nichts wissen von der Liebe,
Die geben nichts von ihrem Gelde ab.
Ich aber schwöre dir, geliebter Liebling,
Erbitte du von mir, was du nur willst,
Und sei es auch die Hälfte meines Reichtums,
Die Hälfte meines Reichtums sei dein eigen.
DÖRTE
Ich möchte reisen durch die ganze Welt.
EPIKUR MAMMON
Ich kaufe dir das Paradies von Kuba
Und kauf dir das kanarische Atlantis
Und kauf dir die Alhambra von Hispanien,
Ich kauf dir die Sahara, kauf dir Lesbos,
Ich kaufe dir Florenz und die Toskana.
DÖRTE
Florenz mit seinen Kirchen und Museen?
EPIKUR MAMMON
Nein, Dörte, ich betrete keine Kirche,
Es sei denn, dass sie ganz von Golde ist.
In Spanien, hörte ich, gibt’s eine Kirche,
Die ganz aus Gold errichtet ist, beim Teufel,
Da schwör ich dir, dir treu zu sein wie Gold!
DÖRTE
Und nimmst du mich zu deiner andern Hälfte,
Willst du dann etwa Kinder auch von mir?
EPIKUR MAMMON
Nein, Kinder lieb ich nicht! Ich lieb nur dich,
Doch bring mir keine Plagen in mein Haus!
Was sind schon Kinder? Sie sind Plagegeister,
Verdammte Satansbraten, das sind Kinder!
DÖRTE
Mein Abgott, mein geliebter Alleskönner,
Allwissender, allmächtiger Geliebter,
Mein bessres Selbst, mein klügster Epikur,
Dann reiß ich mir den Eierstock heraus
Und reiß mir aus dem Schoß den Uterus!
EPIKUR MAMMON
Sei du mein Ideal und meine Traumfrau:
Am Tage Hausfrau, die die Reinheit liebt,
Nachts eine Hure, die die Sünde liebt!

FÜNFTE SZENE

DÖRTE
(Wahnsinnig murmelnd)
Sechsmal errichte eine Freistatt für
Totschläger diesseits von dem Jordanstrom,
Sechsmal errichte eine Freistatt für
Totschläger in dem Lande Kanaan.
Sechs ist die Zahl der Cypris Aphrodite
Und Aphrodite ist Astarte in
Phönizien und Ishtar ists in Babel
Und Ishtar ist in Susan Königin
Haddessa Esther, das heißt Morgenstern,
Und Aster ist es, das heißt Jesus Christus,
So Jesus ist die große Liebesgöttin.
So steht es in dem Alphabeth Ben Siras,
Das er von Adam Kadmon selbst empfangen.
Und Adam Kadmon, er war Mann und Frau,
Hermaphrodit von Hermes und von Venus.
Und Adam Kadmon lebte mit Sophia,
Das ist die Isis Alexandriens.
Und Isis ist Maria, Horus Jesus.
Maria war mit Jesus einmal eins
Wie Adam Kadmon mit Sophia eins.
Und Jesus war das A, Maria B,
Und A und B ergibt den Namen Abba,
Das A heißt Vater und das B heißt Mutter,
So Abba: Vater-Mutter-Mutter-Vater.
Und Gottes wahrer Name, wie ist der?
Erhabne Taube IAHU ist Gott!
Und hundertvierundvierzigtausend Seelen
Gerettet leben in Jerusalem.
Doch zu der Jungfrau von Jerusalem
Wir brauchen auch die Hure Babylon.
Die Hure Babylon mit rotem Mund
Auf einem Löwen reitend ist Madonna
Leone, Göttin aller Indianer,
Ist Pachamama, unsre Göttin Mama.
In Babel war ihr Name Göttin Mami,
In Griechenland Demeter oder Mamme,
In Persien die Muttergöttin Mithra,
Und Mithra, dieser Name heißt: Die Mutter,
Demeter, Mater und Materia.
In Indien die Mutter nennt sich Uma
Und Uma, das heißt Oma, heißt Großmutter,
Und Oma, das heißt Om, der Götter Urlaut,
Und Om heißt Amen, Amen, das heißt Am
Und Am heißt Mutter. Wie der Weise sagt,
War Gott der Herr erst junger starker Papa,
Dann wurde er ein heiliger Großvater
Und schließlich eine liebende Großmutter.
Großmutter aller Himmlischen ist Gott!

SECHSTE SZENE

ASTRALIS
Seid ihr die Heiligen der letzten Tage?
PREDIGER
Ich bin von Mutterschoß an Lutheraner,
Und wahrlich, wahrlich, also sag ich dir:
Du bist ein Pferd, geritten von dem Satan!
Du bist verstockt wie Pharao Ägyptens!
Wer hat dich so verstockt? Das tat der Herr,
Der Herr hat dich bestimmt zu der Verdammnis!
Da kann der Mensch nichts für, denn Gott bestimmt,
Ob Satan reitet dir auf deinem Rücken,
Ob du gerettet wirst allein aus Gnade!
ASTRALIS
Das Gute und die Gnade kommt von Gott
Und Satan und das Böse kommt von Gott?
PREDIGER
Gott ist der Eine, Gott allein das Ganze,
Gott ist der Gute, doch er schafft das Böse,
Sein eignes Böses dann zu überwinden.
So Gott verstockte selbst den Pharao,
Um an dem Pharao die Macht zu zeigen,
Mit der der Herr sein Böses überwindet.
ASTRALIS
Lord Shiva also ist der wahre Gott,
Denn er zerstört als Gott die Schöpfung und
Erschafft aus der Zerstörung und dem Tod.
FUNDAMENTALIST
Geh weg mit deinem Götzen, diesem Satan!
Wenn du den Götzen dienen willst, dann geh
Zu den Papisten, zu der Kirche Roms!
Da findest du Dionysos, den Götzen,
Sie nennen ihn Sankt Dionysios!
Und suchst du deine Heidenmuttergöttin,
Dann geh zu den Papisten, denn sie beten
Maria an, die Große Muttergöttin,
Die Große Artemis von Ephesos!
ASTRALIS
Der Paganismus ist unsterblich eben.
FINDAMENTALIST
O Papst, du Rattenschwanz des Antichristen,
Geh weg mit deiner Hure Babylon,
Der Kirche Roms auf ihren sieben Hügeln!
ASTRALIS
Die Hure Babylon, wer ist denn die?
Es ist die Heiligkeit der Hurengöttin!
FUNDAMENTALIST
Ich höre immer Hure nur und Hure!
Es ist doch nichts so geil wie eine Hure!
Ich muß nun unbedingt ins Hurenhaus!

DIE SCHLAFENDE PHILOSOPHIE

ERSTE SZENE

(In einem Wohnzimmer sitzen abends am Tisch Männer beim Wein. Die Tür zum Schlafzimmer
nebenan ist leicht geöffnet, im Bett liegt die schlafende Philosophie, ein sechzehnjähriges Mädchen,
schön wie die Mediceische Venus, von einer blauen Decke zugedeckt, die roten Locken verstreut
auf dem Kissen, nur der weiße nackte Arm hängt aus dem Bett. Die Männer flüstern, um die
Philosophie nicht zu wecken.)

KOMMUNIST
Urkommunismus ist der Menschheit Anfang,
Urkommunismus wie bei den Huronen
War Mutterrecht. Die schöne Philosophie
War Eigentum des ganzen Stammes, alle
Ergötzen sich an ihr in freier Liebe.
Sie wars, die Affen erst zu Menschen machte,
Sie gab den Affen in die Hand ein Werkzeug
Und so begann die Produktion, die Arbeit,
Die Arbeit macht den Affen erst zum Menschen.
Dann aber kam das Eigentum und mit
Dem Eigentum der Sklavenhalter und
Der Adlige und Pfaffe und der Bürger, bis
Die schöne Philosophie erneut erschien
Als Marianne von den Sansculotten,
Zuletzt erschien die schöne Philosophie
Als Rosa Luxemburg, die Muse Lenins,
Da lehrte uns die schöne Philosophie
Der Dialektik Materialismus,
Verändernd Russland und die ganze Welt!
FEMINIST
Da hast du Recht, mein lieber Kommunist,
Am Menschheitsanfang war das Mutterrecht.
Die junge Philosophie war eine Göttin
Und Jungfraun-Priesterinnen dienten ihr
Im Bundeskloster, frei vom Sorgenalltag.
Die Göttin Philosophie im Paradies
Ergoss von Milch und Honig Überfluß
Und alle lebten in der freien Liebe,
Bis dann die Arier gekommen sind.
KOMMUNIST
Die Arier sind meine Feinde auch,
Faschisten, Knechte sinds des Kapitals!
HINDUIST
Fleischfresser! Doch sie brachten uns die Veden.
FEMINIST
Doch vorher die drawidische Kultur
War Mutterrecht, da aß man noch kein Fleisch,
Man flehte nicht zu einem Donnergott,
Man flehte nur zur Göttin Morgenröte.
HINDUIST
Wir haben auch in unsrer Religion
Die Große Mutter, nämlich unsre Kali.
FEMINIST
Und auch in China ehrte man die Mutter,
Die Göttin Philosophie war Mutter Tao,
Bevor Konfuzius gekommen ist
Mit seinem Vaterrecht von Vater Himmel.
TAOIST
Ja, Tao ist die Mutter aller Wesen,
Die Tao ist die göttliche Natur.
Wir müssen nur zurück zu der Natur,
Dann leben wieder wir im Paradies.
THEOSOPH
Zurück zu der Natur, der Mutter,
Das heißt, zurück zur Energie des Kosmos.
Wir stammen alle aus dem Universum
Und wollen wieder heim ins Universum,
Dazu verhilft die Kraft der Erde uns,
Die Gnome, Nixen, Sylphen, Salamander,
Die Tänze in des Mondes Labyrinth,
Die Mantren unsrer großen Göttin Kali,
Die Philosophie des weisen Meisters Buddha,
Die Philosophie des alten Zarathustra
Und auch die Philosophie von Jesus Christus.
KOMMUNIST
Pfui! Jesus Christus? Das ist Reaktion !
Ich hör die klerikale Reaktion
Das Bündnis von Altar und Thron erneuern!
THEOSOPH
Doch nicht der Jesus Christus aus der Kirche!
Die Philosophie des Jesus Christus lehrt,
Daß Christus war ein reiner Sonnengeist.
Als einst die Mutter Erde abgelöst sich hatte
Von ihrer Mutterheimat, von der Sonne,
Da blieb der Christus in dem Sonnenlicht.
Und in dem Monde lebte der Jehowah
Mit sieben Elohim. Und Christus kam
Als Christus-Sonnengeist herab zur Erde
Und wählte einen Scheinleib als Gestalt.
Das war der Jesus, der war nämlich Buddha,
Der andre Jesussohn war Zarathustra.
Der Jesus kam zum Jordan zu der Taufe
Und sah den Ahriman der Stofflichkeit
Und sah den Luzifer des Geistesstolzes.
Da kam der Christus-Sonnengeist herab
Auf diesen Jesussohn. Jedoch im Garten
Gethsemane verließ der Christus wieder
Den Jesus. Christus wurde nicht gekreuzigt.
HINDUIST
Wenn Christus einen Scheinleib angenommen,
Dann ist er ja wie unser König Krishna.
THEOSOPH
Ja, Christus, das ist Krishna, Krishna Christus.
FEMINIST
Der wahre Jesus ist nicht Jesus Christus,
Denn Jesus Nazarenus pries den Vater,
Jehowah pries er als den Vatergott.
Der wahre Jesus aber war Adonis.
Wie Aphrodite den Adonis liebte,
So liebte Jungfrau Mirjam ihren Jesus.
So wie Adonis wurde umgebracht
Von Ares als dem Gott des Vaterrechts,
So wurde Mirjams Jesus umgebracht
Vom Vatergott Jehowah voller Zorn.
Wie Aphrodite weinte um Adonis,
So Jungfrau Mirjam weinte um den Jesus.
Und Jungfrau Mirjam stieg ins Totenreich
Und legte an den sieben Höllentoren
Die sieben Schleier ab, bis nackend sie
Den Sohn-Geliebten von dem Tod erlöste.
Adonis auferstand als Anemone
Und Jesus auferstand im Ostergarten.
ISLAMIST
Was wisst ihr von der Auferstehung, Frevler!
Gott Allah schenkt allein die Auferstehung,
Doch die Verdammnis auch für Juden, Christen!
Die Sklaven Allahs aber, die bereit
Zur Heiligkeit des Krieges für den Glauben
Und töten Götzendiener, Juden, Christen,
Die lässt der Gottherr Allah auferstehen!
Dann werden uns im Paradies beglücken
Mit schwarzen Augen allerschönste Huris,
Nach jedem Liebesakte wieder Jungfrau,
Und nie wird unsre Latte uns ermatten!
HINDUIST
Ja, eure Huris kennen auch wir Inder,
Apsaras und Gandharven warten nackend
Wollüstiger Gestalt im Paradies!
THEOSOPH
Ihr denkt ja alle viel zu sinnlich, Kinder,
Das Jenseits ist ja jene Anderswelt,
Des Geistes paralleles Universum,
Da gibt es keine Bäume, keine Blumen,
Da gibt es keine Sexualität,
Da werden wir zu reinen Lichtgestalten,
Astrale Körper mit verklärter Aura,
Und schweben dann befreit durchs Universum
Wie Außerirdische und junge Götter.
TAOIST
Drum nennen wir den Tod auch einen Heimgang.
ISLAMIST
Der Tod ist nur ein Heimgang in den Garten
Der Huris, wenn du starbest für den Glauben
Und rissest in den Tod die Feinde Allahs!
Die Feinde Allahs aber sind verdammt!
Wer Jesus betet an, schmort in der Hölle,
Da wird ihm Jesus der Prophet erscheinen
Und sagen: In das Feuer, du Verdammter!
TAOIST
Nein, lieber Freund, ich glaub nicht ans Gericht,
Wir alle sind die Kinder unsrer Mutter
Natur und kehren in dem Tod zurück
In die Natur, den großen Mutterschoß.
THEOSOPH
Da muß ich denken an die Indianer,
Die glauben, Gott ist eine liebe Frau,
Und wenn ein sexbesessner Indianer
Verstirbt, so kehrt er in den Mutterschoß.
KOMMUNIST
Die Ammenmärchen von dem schönen Himmel!
Da können wir ja gleich zur Kirche gehen,
Die predigen den Unterdrückten Hoffnung
Aufs Himmelreich, die Freuden nach dem Tode,
Wir aber wollen hier schon Schweinebraten,
Und wenn es geht, Kartoffeln auch dazu.
THEOSOPH
Wer Fleisch isst, der wird stofflich, der wird sinnlich.
Viel besser ist da Buddhas Fastenspeise.
HINDUIST
Am besten ists, man fastet sich zu Tode.
TAOIST
Wir Taoisten essen täglich nur
Ein Körnchen Reis und trinken auch nicht mehr
Als einen Fingerhut voll gelben Weines.
FEMINIST
Die Männer fressen Fleisch, die Frauen aber
Am liebsten nur Gemüse, Obst und Körner.
Die Frauen sind das friedliche Geschlecht.
Wenn erst die Frauenherrschaft wieder kommt,
Dann geht zuende aller Männermord.
Ein Feind verhindert nur die Frauenherrschaft,
Das ist die Religion des Vatergottes.
Die Juden, Christen und Muslime werden
Sich noch vereinen in dem Kult des Vaters
Und einig kämpfen gegen die Befreiung
Der Frau und gegen die uralte Mutter.
TAOIST
Ich sehe einen andern Feind der Freiheit.
Im Anbeginn die Menschen waren glücklich
Als Kinder der Natur, bis aufgekommen
Kultur und Kunst und Wissenschaft und Staat.
Zurück zur göttlichen Natur! Wir müssen
Befreien uns von Wissenschaft und Kunst,
Von Herrschaft und Kultur, und Affen werden.
HINDUIST
In unsrer Religion sind Affen Götter!
KOMMUNIST
Ach, alle Religion ist Opium
Fürs Volk, nur fort mit aller Religion
Und fort mit dem privaten Eigentum!
FEMINIST
Fort mit der bürgerlichen Ehe Joch,
Zurück ins Mutterrecht der freien Liebe!
ISLAMIST
Das Christentum im Westen ist der Feind,
Amerika und seine Demokraten,
Zumeist jedoch der Papst und seine Kirche!
FEMINIST
Sie beten ja den Papst als Vater an!
KOMMUNIST
Wie viele Divisionen hat der Papst?
Der Papst war immer mit dem Kaisertum!
TAOIST
Wir glauben an den Taoistenpapst
Im Gelben Turban, einen Alchemisten.
KOMMUNIST
Was unsern Feinden ist die Kirche Roms,
Ist uns die Kommunistische Partei.
Was unsern Feinden ist der Papst von Rom,
Das ist bei uns der Große Sekretär.
Was unsern Feinden ist das Fest der Firmung,
Das ist bei uns das Fest der Jugendweihe.
Was unsern Feinden ist die alte Bibel,
Ist uns des Kommunismus Manifest.
Was unsern Feinden ist das Himmelreich,
Das ist bei uns vollkommner Kommunismus.
Was unsern Feinden ist Messias Jesus,
Das ist bei uns der Weltbefreier Lenin.
Und Lenin ist unsterblich, Lenin ist
Im Herzen der Proleten eingeschreint.
Historische Notwendigkeit und die
Partei der Revolutionäre bringen
Den Kommunismus, Freiheit für die Menschheit!
ISLAMIST
Nur Allah kann der Menschheit Freiheit bringen,
Drum spreng ich mich und euch jetzt in die Luft!
TAOIST
Still, still! Ich hör die junge Philosophie,
Sie räkelt sich erwachend in dem Bett!

ZWEITE SZENE

THEOSOPH
Kommt, Freunde, lasst uns gehn zu Fräulein Evi,
Mein Medium gibt heute eine Party!

(Theosoph, Kommunist, Islamist und Feminist gehen ab.)

HINDUIST
Erwacht gerad die Göttin Morgenröte,
So will ich schaun die Göttin Morgenröte.
TAOIST
Daß Tao, Mutter der zehntausend Wesen,
Als junges Mädchen jetzt vor mir erscheint!
(Die junge Philosophie erhebt sich vom Bett, sie ist sehr hübsch gekleidet, Inbegriff von Liebreiz
und Anmut.)

PHILOSOPHIE
Nun möcht ich eine Tasse grünen Tee.
HINDUIST
Darjeeling vom Himalaya-Gebirge.
TAOIST
Noch besser ist der grüne Tee aus Tibet.

(Herein tritt die Existentialistin, ganz schwarz gekleidet, kurze schwarze Haare, französischer
Akzent.)

EXISTENTIALISTIN
O meine Vielgeliebte, meine Liebe!
PHILOSOPHIE
Die Gottheit hat die Philosophie gezeugt,
Die Philosophie ist die Idee der Schöpfung,
Das Ideal von Himmel und von Erde.
Die Allnatur und die zehntausend Dinge
Sind nach dem Bild der Philosophie geschaffen
Und alle Seelen geistiger Geschöpfe
Sind Bild der Seele dieser Philosophie.
Sie ist die Seele aller Seelen, ist
Die Seele dieses Universums, ist
Die Königin des Universums Gottes.
EXISTENTIALISTIN
Ach Philosophie, du junges hübsches Ding!
Du bist wie eine Bienenkönigin,
Von einer Blume zu der nächsten flatternd.
Wie viele Freier hast du schon gehabt!
O Himmelskönigin mit tausend Freiern!
Doch keinem Manne bist du treu geblieben,
Mit keinem lebtest du in treuer Ehe,
Nur Partnerschaften für gewisse Zeit
Bist eingegangen, hattest nur Affären
Und hast mit manchem Mann auch nur geflirtet.
Wie viele Philosophen rühmten sich,
Sie hätten dich für Eine Nacht besessen!
Jetzt aber bist du meine Vielgeliebte!
Was ist ein Mann und was ist eine Frau?
Die wahre Liebe gibt’s nur unter Frauen,
Wir lieben lesbisch uns wie Sappho Kypris
Geliebt. Du, Philosophie, bist meine Kypris,
Ich liebe lesbisch dich als deine Sappho.
TAOIST
Natur! Das lehrtest du in keiner Weise!
Abscheulich sind die Sitten dieser Griechen!
HINDUIST
Ich habe stets gehört, dass sich der Lingam
Vereinigt mit der Yoni seiner Göttin,
Daß Shiva und Parvati sind ein Paar,
Doch nie, dass Yoni sich vereint mit Yoni
Und Göttin Shakti liebte Göttin Devi,
Das ist vollkommen gegen Gottes Ordnung!
EXISTENTIALISTIN
Ihr alten Herren Patriarchen, still!
Es gibt ja nicht ein göttliches Gesetz,
Wo uns ein Vater vorschreibt im Gesetz,
Was sei von Mann und Frau das wahre Wesen,
Kein Vater definiert uns mehr den Sex!
Wir wollen keine Kirche Gottes mehr,
Des freien Menschen Kirche wollen wir!
Der Mensch im Humanismus wahrer Freiheit,
Der Mensch nur definiert als Mensch sich selbst.
Kein Gott bestimmt ihm seinen Sinn des Lebens,
Der Mensch entwirft sich seinen Sinn des Lebens.
Die Menschheit ist ja nicht schon von Natur
Ein starker Mann und eine sanfte Frau,
So sagen alte Herren Patriarchen.
Die freie Frau, die lesbische Geliebte
Der schönen Philosophie, erklärt euch aber:
Nur die Gesellschaft voller Unterdrückung
Der Frauen definiert der Frauen Wesen,
Die freien Frauen definieren neu
Das Wesen des Geschlechts, wir reden nicht
Von einer doppelten Natur des Sex,
Von Mann und Frau, naturgegebnen Wesen,
Wir reden von dem Einen Menschenwesen.
Der Mensch entwirft das eigene Geschlecht.
Wenn es mir nun gefällt, ein Mann zu sein,
So werde ich ein Mann und damit basta.
HINDUIST
Der Lingam in der Yoni zeugt allein
Den neuen Menschen, nämlich Gottes Kinder.
EXISTENTIALISTIN
Weil wir die Kirche Gottes nicht mehr brauchen
Und leben in des freien Menschen Kirche,
Drum brauchen wir auch keinen Gott als Schöpfer,
Der Mensch wird selber sich sein eigner Schöpfer.
TAOIST
Natur, o Mutter! Wie erhebt der Mensch sich!
EXISTENTIALISTIN
Habt ihr wohl vom Homunculus gehört?
Ich meine, Paracelsus war es, der
In alchemistischer geheimer Weisheit
Sich im Labor gezeugt das Menschenwesen.
Da braucht es in dem Reagenzglas nur
Den roten Löwen zu der weißen Lilie.
So zeugt die Philosophie des freien Menschen
Das Menschenwesen selbst im Reagenzglas.
TAOIST
Von Alchemie verstehn wir Taoisten
Sehr viel. Was du den roten Löwen nennst
Und seine Königin, die weiße Lilie,
Das ist bei uns der Drache, unser Kaiser,
Mit seiner Kaiserin, dem schönen Phönix.
Doch hörte ich von keinem Alchemisten,
Der Phönix paarte im Labor mit Phönix!
Es ist doch schöpferisch allein das Paar
Von Yin und Yang der Einen Mutter Tao!
HINDUIST
Es ist das Liebesspiel von Gott und Göttin,
Die Ehe in der Gottheit, die ist fruchtbar.
EXISTENTIALISTIN
Ihr alten Herren Patriarchen, still!
Fragt die Französin ihr nach Liebesspielen?
HINDUIST
Ich muß gestehen, davon hört man viel.
EXISTENTIALISTIN
Des freien Menschen freie Liebe lehr ich!
Die Revolutionäre wollten schaffen
Die neue Welt befreiten Menschentums,
Sie wollten diese neue Welt erzeugen
Durch revolutionäre Klassenkämpfe.
Die neuen Revolutionäre aber
Erkannten, dass die Menschheit sich befreien
Und lösen muß von christlicher Kultur,
Von Ehe und Familie doch vor allem
Und von der sauertöpfischen Moral.
Und darum schrieben wir auf unsre Fahne
Die freie Liebe! Jeder paart sich jedem!
Erlösung nicht durch Jesus Christus mehr,
Erlösung durch den hemmungslosen Sex!
Befreiung aller Triebe! Götterwollust!
Nicht Hagiographen lehren uns Befreiung,
Befreiung lehren uns die Pornographen!
Wir beten an die Göttin Venus Porné!
Die Mystik dieser freien Liebe ist
Tantrismus, die Erleuchtung durch den Sex!
Das Paradies, das wir verkünden, ist
Ein riesiger Kanister roter Wein
Und willig allezeit das Wonneweib!
HINDUIST
Tantrismus? O du reizende Französin,
Komm, sei du meine tantrische Genossin!
EXISTENTIALISTIN
Wer zweimal mit dem gleichen Manne schläft,
Ist schon versklavt der christlichen Kultur!
Nun gut, Gelegenheit macht freie Liebe!

(Hinduist und Existentialistin gehen Arm in Arm ab.)

PHILOSOPHIE
Ich habe Hunger, mein Chinese, komm,
Ich möchte essen eine Peking-Ente!
TAOIST
Dazu auch eine Schale heißen Reiswein!

ESCHATA
ERSTE SZENE

(Eschata, ein rotblondgelocktes Mädchen von fünfzehn Jahren, im schwarzen Kleid, geht einen
Waldweg spazieren.)

ESCHATA
In diesem Wald war ich als Kind schon gern
Und sah dem Eichhorn in der Fichte zu
Und hörte Tauben gurren in dem Wipfel
Und oft war mir in diesem grünen Wald,
Als wäre ich in einer grünen Kirche,
Die Wipfel das Gewölbe unterm Himmel,
Die Lichtung wie die buntbemalten Fenster,
Die Bäume wie die Säulen oder auch
Wie Pfeifen einer Orgel der Natur.
Auf dieser Orgel spielte leis der Wind
Und Amseln flöteten mit hellem Pfeifen.
Ich sah die alten Mütter hierher pilgern
Und hörte kleine Kinder fröhlich lachen
Im Kindergottesdienste der Natur
Mit ihres lieben Gottes Bilderbibel.
Gottvater in der bunten Bilderbibel
Vom Paradiese sprach und von der Schlange
Und von der Arche mit den vielen Tieren
Und von dem Regenbogen an dem Himmel
Und von dem guten Hirten und der Herde
Und von dem kleinen Hirtenknaben David
Und von der niedlichen Prinzessin Esther,
Vom Träumer Josef und von seinen Brüdern,
Vom Mosebaby und der Pharaonin,
Von Jesus, wie er auf dem Wasser wandelt
Und sagt: Die Kinder lasst nur zu mir kommen,
Den kleinen Kinderlein gehört der Himmel!
Doch was ist das? Was liegt da auf der Erde?
Ich finde hier tatsächlich doch im Wald
Der lieben Muttergottes Rosenkranz!
Ja, das ist ein stabiler Rosenkranz,
Die Schnur ist fest, die Perlen sind von Holz,
Von hartem Holz in dunkelbrauner Farbe.
Ich grüße dich, du Liebe Frau Maria,
Du bist ja übergossen von der Gnade,
Der liebe Gott ist mit dir, Auserwählte,
Du Einzigartige im Kreis der Frauen,
Ich segne deine Leibesfrucht, das Kindlein,
Das Jesuskind, das auferstanden ist!
Maria, junge schöne Muttergottes,
Du bitte doch für alle armen Seelen
Gerade jetzt, und wenn wir sterben. Amen.

ZWEITE SZENE

(Eschata tritt aus dem Haus und tritt in den Garten.)

ESCHATA
Was ist das für ein schlimmer Januar?
Der Frost zerknirscht mir alle meine Glieder!
Am prasselnden Kamine lässt sich träumen,
Da sehe ich die schlanken Flammen tanzen,
Wie Seraphim, wie junge Tänzerinnen,
Da sah ich eine junge Flamme tanzen
Wie eine himmlischglühende Prinzessin
Und schaute einen feuerroten Drachen,
Verschlingen wollt der Drache die Prinzessin,
Die himmlischglühende Prinzessin aber
Zertrat mit nacktem Fuß den roten Drachen.
Und so erwärmte ich mir die Gedanken,
Da weißer Schnee auf meiner Esche liegt.
Und ist es noch so kalt und klirrt der Frost,
So malerisch ist doch die Abendstunde,
Dies satte Dunkelblau der Dämmerung,
Und in dem tiefen Blauschwarz scheint der Schnee,
Noch rieseln leise weiße Winterflocken
Wie Lämmerwolle oder Elfenseide,
Und alles ist ein wundersames Licht,
Ja, seltsam ist das Licht dort auf der Esche,
Das Licht, wie das? – ist eine Lichtgestalt!

(Die Madonna erscheint über der Esche. Sie trägt einen feuerroten Mantel, lange rotblonde Locken,
ihre rechte Schulter und rechte Brust ist entblößt, unter ihrer schneeweißen Brust ruht im Arm der
Madonna das Jesuskind und schläft.)

MADONNA
O Tochter, grüße jetzt Maria lactans!
ESCHATA
Maria lactans! Einen kleinen Tropfen
Von süßer Milch aus deiner nackten Brust
Für meine Urgroßmutter und Großmutter
Im Fegefeuer, dass sie Gott bald schauen!
MADONNA
Geliebte Tochter, bete, bete, bete!
In diesem Augenblicke der Geschichte
Steht Unsre Liebe Frau vom Karmel hoch
Auf einem Berge mitten in der Menschheit
Und fordert eins nur: Betet, betet, betet!

(Die Madonna wird wieder unsichtbar.)

ESCHATA
Heil Königin, o Mutter des Erbarmens,
Mein Leben, meine Hoffnung, meine Wonne,
Du meine Süßigkeit und Wonne, Heil!
Verbannte Kinder Evas schrein zu dir!
Wir weinen traurig in dem Tal der Tränen!
Ei, du Herbeigerufne, schau uns an
Aus deinen warmen Augen voll Erbarmen!
Und nach dem Elend unsres Erdendaseins
Zeig uns das Kind auf deinem Schoße, Jesus!
O weiß, o sanft, o süß bist du, Maria!

DRITTE SZENE

(Eschata in der Küche mit ihrer Mutter.)

ESCHATA
Ich fühle eine Sehnsucht nach der Dame,
Die schöne Frau ruft mich heraus zu sich.
MUTTER
Wer denkst du, das du bist? Mein liebes Kind,
Du bildest dir da tüchtig etwas ein.
Wer so verrückte Phantasien träumt,
Der kann nicht völlig bei Verstande sein.
Sei doch vernünftig! Tu die Hausarbeit,
Und tu die Muschelschalen in den Eimer,
Dann setz dich, mache deine Hausaufgaben,
Schreib, wer der Führer ist der Demokraten
Und schreib von demokratischen Parteien
Und demokratischen Parteiprogrammen,
Von Liberalen, Bürgern, Sozialisten,
Und träum nicht von der Königin des Himmels!
ESCHATA

Ich muß hinaus! Und wenn es noch so stürmt


Und wenn es noch so schneit und noch so friert!
Mich ruft zu sich die Königin des Himmels!
MUTTER
Solang du hier von meinem Gelde lebst,
Gehorchst du mir und tust, was ich dir sage!
Du bleibst im Haus, das ist mein letztes Wort!
ESCHATA
Gott sagt, ich soll ja meine Mutter ehren,
Gehorchen aber mehr als meiner Mutter
Muß ich der lieben Mutter von dem Himmel!

(Eschata geht in den Garten. In der Ferne ist ein Wäldchen. Über dem Wäldchen erscheint die
Madonna im roten Samtkleid, Schulter und Brust entblößt, die vollkommene weiße Brust
unverschleiert von den langen rötlichblonden Lockenfluten. Die Madonna schwebt näher, in ihren
Armen ruht das göttliche Jesuskind.)

MADONNA
Mein liebes Kind! Ich komme jetzt zu dir,
Ich bin gekommen, um das Leid zu lindern!
Das Leid zu lindern aller Menschenkinder,
Entblöß ich meine benedeite Brust!
Ich wollt, die ganze Menschheit wär mein Kind
Und tränke Trost aus meiner vollen Brust!
Das Leid zu lindern aller Menschenkinder,
Bin ich gekommen mit dem Gottessohn!
Wie böse immer auch die Menschheit ist,
Der Gottessohn ist immer noch der König!
Erwache, o mein süßes Jesulein!
Geh spielen mit den lieben Menschenkindern!
ESCHATA
Madonna, o wie schön ist deine Brust!

(Madonna wird unsichtbar, Eschata geht ins Haus.)

VIERTE SZENE

(Abend. Eschata steht vor der Esche der Erscheinung und betet Ave Maria.)

ESCHATA
Maria, Gratiaplena! Gott ist mit dir!
Was sehe ich? Ich sehe an dem Himmel
Ein Weib, ein junges wunderschönes Weib,
Das rötlichblonde Lockenhaar umflutet
Das weiße Antlitz, schneeweiß wie ein Vollmond,
Sie stöhnt wie eine Frau in ihren Wehen
Und Schmerzen hat sie, schwere Wehenkrämpfe,
Und stößt hervor die Atemstöße rhythmisch
Und schreit sehr schrecklich, presst aus ihrem Becken
Den Sohn, der wird sogleich entrückt zu Gott!

(Jetzt erscheint Maria wie in den vorigen Erscheinungen.)

MADONNA
Gepriesen sei der Vater, Sohn und Geist!
ESCHATA
Madonna, bitte sag mir deinen Namen!
MADONNA
Das Weltall ist vergleichbar einem Körper,
Ich aber bin die Seele dieses Weltalls,
Die Jungfraunkönigin des Universums.
ESCHATA
Ich sehe eine Schönheit, die mich blendet!
(Eschata fällt in Ohnmacht. Ihr Pflegevater schaut aus dem Fenster, sieht Eschata ohnmächtig unter
der Esche liegen, und eilt zu der Ziehtochter. Vom Nachbarhause kommt ein bärtiger vierzigjähriger
Mann herbei und eilt dem Pflegevater und der Ziehtochter zu Hilfe.)

PFLEGEVATER
Kind meines Herzens! Kind, was ist mit dir?
NACHBAR
Was ist mit dir, du engelgleiches Wesen?
PLEGEVATER
Herr Nachbar, helfen Sie mir, Eschata
Ins Haus zu tragen. Sie muß jetzt ins Bett.

(Der Pflegevater und der Nachbar tragen Eschata ins Haus, in ihr Mädchenzimmer, und legen sie in
ihr Bett. Der Pflegevater zieht ihr den Wintermantel aus.)

PFLEGEVATER
Kind meines Herzens, sag ein Wort, mein Kind!

(Eschata schlägt die Augen auf.)

ESCHATA
Ihr Männer, ich hab Gottes Frau gesehen!
NACHBAR
Schlaf, liebes Mädchen, schlaf in Gottes Schoß.

FÜNFTE SZENE

(Eschata sitzt abends am Küchentisch. Sie trägt ein schwarzweißgestreiftes Kleid. Ihre rotblonden
Locken hat sie hochgesteckt, dass ihr weißer schlanker Hals strahlt. Ihre Mutter sitzt ihr gegenüber,
eine Frau von vierzig Jahren, hager, mit kurzen schwarzen Haaren.)

MUTTER
Wie war es heute in der Schule, Kind?
ESCHATA
Wir lernten etwas über Kaiser Otto,
Den deutschen Kaiser in dem Reiche Roms.
MUTTER
Und mit den Jungen? Ärgern sie dich etwa?
ESCHATA
Nicht nur die Jungen, auch die andern Mädchen,
Sie sind so unerträglich albern alle,
Nein, schlimmer noch als albern: sehr gemein!
MUTTER
Was tun dir denn die andern Mädchen an?
ESCHATA
Sie nennen spöttisch mich Marienkind
Und sagen grinsend: Geisterseherin,
Die Auserwählte ist in einer Sekte!
Ich hielte mich wohl für was Besseres
Und meinte wohl, Gott liebe mich vor allen?
MUTTER
Das alles opfre auf dem lieben Gott.
ESCHATA
Ein Junge hat mir ins Gesicht gespuckt
Und einer hat mit Steinen mich beworfen!
MUTTER
Ach Kind, wie sind die Menschen doch so böse!
ESCHATA
Ich hab die Schöne Jungfrau von der Esche
Schon einen Monat lang nicht mehr gesehen.
Ich möchte sie so gerne wiedersehen!
Ich gehe jeden Abend zu der Esche
Und singe die Loretto-Litanei
Und nenne sie den Turm von Elfenbein
Und nenne sie geheimnisvolle Rose
Und nenne sie den Kelch der Devotion
Und nenne sie das goldne Haus der Weisheit.
Doch kommt die Jungfrau von der Esche nicht,
Ich fürchte sehr, ich seh sie nicht mehr wieder!
Ach Gott, schick doch die Liebe Frau zu mir,
Ach Gott, wie soll ich hier auf Erden leben,
Wenn nicht die Jungfrau von der Esche lächelt?
Ihr Lächeln ist mir wie das Lächeln Gottes!

SECHSTE SZENE

(Frühlingsanfang. Vogelsang. Abends geht Eschata zur Esche.)

ESCHATA
Maria, Gratiaplena, Gratiaplena!
Ah, siehe, jetzt erscheint sie wieder, oh!

(Maria erscheint über der Esche. Sie trägt ein meerblaues Kleid, ihr Hals ist weiß und schlank, ihr
Antlitz weiß, ihre rotblonden Locken fallen über die Brüste bis zu den Lenden. Sie hält die Hand
zum Segensgruß erhoben. Hinter ihr erscheint ein purpurnes Himmelsbett.)

MADONNA
Gepriesen sei der Vater und der Sohn
Und beider Geist im gleichen Gottesthron.

(Maria beginnt zu weinen.)

ESCHATA
Maria, unser Priester der Gemeinde
Hat mir gesagt, ich soll von dir erbitten
Ein Zeichen, dass du’s wirklich bist, Maria.
MADONNA
Mein liebes Kind, du glaube nur an mich,
Ich bin die Mutter dann, die an dich glaubt.
ESCHATA
Ich hab gelesen eines Dichters Wort:
Mein Kind, du kannst an viele Götter glauben,
Doch glauben diese Götter auch an dich?
MADONNA
Ich lade dich jetzt ein, mein liebes Kind,
Daß du verliebt bist in die Ewigkeit,
Von Ewigkeit zu Ewigkeit verliebt
In Gott, der nichts als Schöne Liebe ist!
Vertraue mir und halte meine Hand,
Dann führ ich dich den Weg der Heiligkeit,
Der führt dich bald ins Himmelsparadies!
Adieu, mein liebes Mädchen Eschata!
ESCHATA
Maria, darf ich dich zum Abschied küssen?
MADONNA
Ja, küsse mich! Nun geh im Frieden Gottes.

DIE FRIEDLICHE REVOLUTION


Personen:

Jungfrau
Dichter
Trinker
Weib
Germane

Ort: Am Ende der Erde

Zeit: Herbst 1989

ERSTE SZENE

(Vor der Schenke Zur Eiche, am Abend des 15. August. Sichelmond. Der Dichter sieht zum ersten
Mal die Jungfrau.)

DICHTER
Du, Jungfrau, schaust aus großen warmen Augen
In meine Seele. Meine Seele fühlt
Den Lichtstrahl deiner Augen sie durchdringen
Und sie erkennen bis zum Grund des Herzens.
JUNGFRAU
Ich seh das Lächeln deines Angesichts,
Was, lieber Freund, erheitert deine Seele?
DICHTER
Ich war in dem Gymnasium, doch nicht
In dem Gymnasium der Leibesübung,
Ich war im komischen Theater, sah
Lysistrata und ihre Freundinnen.
Die Männer Griechenlands, dem Vater Krieg
Als Vater aller Dinge dienten sie.
Die Frauen aber wünschten sich den Frieden.
Eirene, göttliche Eirene, komm,
Zu deinen frommen Frauen komm und lehre
Die Frauen, Frieden in der Welt zu stiften!
JUNGFRAU
Wenn Frauen Frieden selbst im Herzen haben,
Dann tragen sie den Frieden in die Welt.
Die Frauen Griechenlands, wie wirkten sie
Den Frieden in der Welt und stifteten
Die Zivilisation des schönen Friedens?
DICHTER
Enthaltsamkeit war ihre schärfste Waffe!
Der männlichen Begier nach Fleischeslust
Sie wehrten die Befriedigung der Ehe
Und lebten in der Ehe selbst jungfräulich.
JUNGFRAU
Die Jungfrau Iphigenia, die Hindin,
Gab sich als Opfer hin der Jungfraungöttin.
Antigone, die heldenhafte Jungfrau,
Sie widerstand dem ungerechten Staat
Und folgte dem Gebot der Bruderliebe,
Als Marterzeugin starb sie für die Liebe.
DICHTER
O Jungfrau, deine Augen liebe ich
Und liebe in den Augen deine Seele!
JUNGFRAU
Ich aber werde eine Jungfrau bleiben,
Verlobt allein dem guten Geist der Freiheit!

ZWEITE SZENE

(Kirche. Dichter kniet vor der Madonna.)

DICHTER
Hier sehe ich in dem Madonnenbild
Die heilige Ikone der Geliebten.
Hier schweben in der Nische der Madonna
Die Feenkönigin und ihre Elfen
Und alle Jungfraun aus den Ammenmärchen
Und alle schönen Frauen aus den Träumen.
Ich zünde eine Opferkerze an
Und lasse brennen dieses Licht im Tempel
Für die Geliebte, meine Königin.
Ich sehe sie in einem Schlosse wohnen,
In einem weißen Schloß aus Glas und Gold
Und reinem Marmor in der Herrlichkeit.
Die Pforte dieses Schlosses ist verschleiert,
Der Schleier ist aus purpurrotem Linnen,
Der rote Purpur ist so rot wie Feuer.
Die Kuppeln dieses Schlosses sind wie Brüste,
Wie weiße Marmorbrüste wohl gewölbt.
Und auf den schöngewölbten Kuppen thronen
Brustspitzen gleich die Kreuze der Erlösung.
Ich stehe vor der Pforte, klopfe an,
Im Turm von Elfenbein die Glocke läutet.
Mein Pochen ist ihr irgendwie vertraut.
Ich sehe sie am Himmelsfenster stehen,
Der Busen hebt und senkt sich voller Sehnsucht,
Sie hält in ihrer Hand den Rosenkranz
Und streut die rosa Perlen auf die Erde.
Sie ist die theosophische Aurora,
Die rosenarmig Rosenblüten streut.
Wach auf, Gitarre, weck die Morgenröte!
Ich steig die Stufen ihrer Himmelstreppe
Zu ihrem Thron der Königin hinan
Und dort erwarte ich das Weltgericht
In der Geschichte und auch mein Gericht.
Schutzengelin des Universums ist sie,
Gesandte von dem Stern der Phantasie,
Mein Täubchen, meine Eine, meine Reine.
Ich bin es, der sie liebt und der ihr dient,
Für alle Zeiten ihr geringster Sklave.
Wie? Lächelt die Madonna des Altares?
Sah ich die Schöne Dame wirklich lächeln?

DRITTE SZENE

(Im Zimmer der Jungfrau. Sie und der Dichter stellen Masken her.)

JUNGFRAU
Ich hörte, dass die weise Hildegard
Von Bingen, die Prophetin der Teutonen,
Gesehen, wie Natur, die gute Mutter,
Sich gegen den verdorbnen Menschen zornig
Erhebt und wie sie rebelliert, weil er
In seiner sündigen Gottlosigkeit
Missachtet ihre schöne Schöpfungsordnung!
Der Mensch, von Gott ein kleiner Gott auf Erden,
Der Mensch, wenn er nicht Gott dem Schöpfer dient,
Wenn er wie Satan selber Gott sein will,
Zerstört die Schöpfungsordnung! Die Natur
Bewaffnet sich mit überheißen Sonnen
Und Meeresbeben und mit Katastrophen.
DICHTER
Der Mensch will wirklich Gott auf Erden spielen
Und keinem Gott im Himmel dienen, sondern
Selbst Schöpfer sein, als Mensch den Menschen schaffen,
Ja, neue Menschen künstlich schaffen in
Dem chemischen Labor. Homunculus
Ist nicht die Frucht der ehelichen Liebe.
Homunculus ist ein Produkt aus der
Fabrik der Wissenschaft der Gottesleugner.
JUNGFRAU
Mutanten schafft der gottvergessne Mensch,
Monströse Wesen produziert der Mensch.
Doch über der verdorbnen Menschheit lastet
Der Zorn des großen Gottes, der uns richtet
Mit Katastrophen der gequälten Schöpfung!
DICHTER
Doch diese Masken der Mutanten und
Monströsen Wesen und Homunculi
Erschrecken werden alle reinen Seelen
Noch unverdorbner Menschenkinder, schreiend
Sie schrein zu Gott, wie kleine Kinder weinen
Und wenden sich um Trost an ihre Mutter.
JUNGFRAU
Die Sonne schaute ich als goldne Schale,
Doch in der goldnen Schale waren Löcher,
Durch diese Löcher strömte Gottes Zorn!
DICHTER
Ich schaute in der Sonne eine Frau,
Die Schöne Dame in dem Kleid der Sonne,
Sie musste kämpfen mit dem roten Drachen,
Der bösen Diktatur des Kommunismus!
JUNGFRAU
Im Westen aber ist der alte Drache
Wie eine schöne, schillernd bunte Schlange!
Das Evangelium des Mammon ist es,
Der Nihilismus und der Hedonismus!

VIERTE SZENE

(Im Café Zum Adler sitzt der Trinker bei einem großen Glas Bier. Bei ihm sitzt der Dichter vor
einem Becher Kaffee.)

TRINKER

Ich habe alle Zeitungen durchgelesen. Ich will immer wissen, was in der Tagespolitik geschieht. Die
Großen machen zwar doch, was sie wollen, und der kleine Mann muß es über sich ergehen lassen.
Aber es ist doch wie ein Kriminalroman der Politik, was jetzt im Osten geschieht.
DICHTER
Ich lese keine Zeitung, denn sie dient
Der Zeit, ich aber dien der Ewigkeit!
TRINKER
Es ist aber doch wie ein neuer Prager Frühling im Herbst! Als einst im Prager Frühling die
Demokratie erwachte, da wurde die Demokratie zerschlagen von den Panzern der kommunistischen
Diktatur. Der Führer der Demokraten wurde einsamer Friedhofsgärtner. Aber jetzt ist der
Friedhofsgärtner zurückgekehrt, ein gütiger alter Mann mit silbernen Haaren steht er auf dem
Balkon. Die jungen schönen böhmischen Mädchen werfen ihm Kusshände und weiße Rosen zu!
DICHTER
O Praha, alte Stadt der deutschen Kaiser!
Im Traum war ich in deinem Goldnen Gässchen.
TRINKER
Und als in Polen der polnische Papst gerufen: Komm, Heiliger Geist, verwandle das Antlitz der
Erde! – da brach die Arbeiterbewegung der Solidarität und der Freiheit auf. Die Arbeiterklasse
erhob sich gegen die Partei der Arbeiterklasse!
DICHTER
Der Slawen Papst muß Russland noch befreien!
TRINKER
Nun ist die Grenze zwischen Ungarn und Österreich geöffnet! Die Menschen aus der
kommunistischen Diktatur fliehen über Ungarn nach Österreich. Das ostdeutsche Volk strömt in die
Freiheit! Wir erleben einen Augenblick, da die Tagespolitik zur großen Weltgeschichte wird.
DICHTER
O Österreich und Ungarn, Haus von Habsburg!
Solang das Haus von Habsburg Gott verehrt,
Wird es beschützt von Gottes großer Mutter!

FÜNFTE SZENE

(Dichter im Café, er trinkt Rotwein, vor ihm sein Notizbuch. Das Weib tritt herein, schön wie eine
Nymphe von Otto Mueller.)

WEIB
Darf ich mich hier zu dir setzen?
DICHTER
Ich liebe sehr die Gegenwart von Frauen.
WEIB
Bist du Poet?
DICHTER
Siehst du an meiner Stirn das Zeichen strahlen?
WEIB
Ich sehe dich beim roten Wein versonnen sitzen. Dein Notizbuch liegt vor dir. So saßen doch die
Poeten in Prag im Straßencafé und tranken ihren Weißwein der Sorte Poesie und schrieben
Liebesgedichte an ihre jungen Mädchen. Du bist sicher verliebt?
DICHTER
Ja, in die Liebe selbst bin ich verliebt.
WEIB
Und liebst du auch die Natur? Ein Dichter muß doch lange Spaziergänge machen und die Bäche
belauschen und die Nachtigallen.
DICHTER
Ich lausche gern dem mütterlichen Meer.
WEIB
So ging es auch einem andern großen Poeten. Er saß auf seiner Insel am Strand auf einem Stein und
lauschte dem Meer. Dann dichtete er seine Oden. Sein Sekretär schrieb sie ab, der Dichter legte die
letzte Hand an, gab der Ode den letzten Schliff.
DICHTER
Wo kommst du her, o Weib, wo gehst du hin?
WEIB
Ich komme aus dem Osten Deutschlands. Ich bin über Ungarn nach Österreich geflüchtet. Nun bin
ich hier, in der Provinz, am Ende der Erde.
DICHTER
Bist du allein geflohen in die Freiheit?
WEIB
Mein Freund ist mit mir geflohen. Er kommt auch bald hierher. Du musst uns einmal besuchen.
Dann bring mir doch einmal ein Gedicht von dir mit. Vielleicht schreibst du einmal über mich ein
Gedicht?
DICHTER
Verklären würde ich dich dann als Nymphe.
WEIB
Ja, als nackte Nymphe oder die wilde Göttin Freyheit!

SECHSTE SZENE

(Café. Der Dichter und der Trinker. Vorm Trinker ein Glas Bier und ein Stapel Tageszeitungen.)

TRINKER
Im Osten demonstrieren die Menschen. Sie fordern Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Demokratie.
Einige versammeln sich in der Kirche von Leipzig und ziehen dann friedlich durch die Stadt. Immer
mehr Bürger gesellen sich dazu. Die kommunistische Staatspartei nennt die friedlichen Bürger
Krawallmacher, asoziales Pack! Dabei wollen sie nur friedlich demonstrieren für den Schutz der
Schöpfung und für demokratische Freiheiten. Sie rufen: Wir sind das Volk!
DICHTER
Die revolutionären Kommunisten,
Durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen,
Errichteten die strengste Diktatur,
Die Diktatur der herrschenden Partei.
Die jungen Revolutionäre nun,
Die protestieren gegen die Partei,
Die stehen unterm Schutz der Mutter Kirche,
Versammelt unterm Rock der Mutter Kirche
Die Revolutionäre predigen
Nicht revolutionären Klassenhass,
Nein, Frieden und Versöhnung, Nächstenliebe,
Bewahrung der Natur als Schöpfung Gottes.
TRINKER
Dieselben Bohemiens, die im Kapitalismus von den Spießbürgern gehasst werden, die werden im
Kommunismus von den Staatstreuen als asozialer Abschaum gehasst. Langhaarige, vollbärtige
Männer, politisch aktive Pastoren, die für den Frieden auf Erden arbeiten, Frauen, die die Natur
lieben, diese Leute wühlen den Kommunismus auf.
DICHTER
Und Jesus Christus segnet sie vom Himmel
Und redet zu den Revolutionären
Von Bruderliebe und von Nächstenliebe,
Vor allem aber von der Feindesliebe!
TRINKER
Will die kommunistische Partei die Führung des Volkes sein, will das Volk aber eine andere
Führung wählen, so soll doch die Partei sich ein andres Volk wählen.
DICHTER
Der Liebe junge Revolutionäre
Jetzt solidarisch betend überwinden
Des Hasses alte Revolutionäre,
Versammelt unterm Rock der Mutter Kirche,
Gesegnet vom Befreier Jesus Christus!

SIEBENTE SZENE

(Kammer des Dichters. Sofa und Tisch. Auf dem Boden Bücher und Manuskripte. Vom Musiktisch
– Die Liebe ist ein Musiktisch – Schuhmanns Träumerei oder Beethovens Mondscheinsonate, das
können wir nicht beurteilen. Vor dem Fenster ein Garten mit einem Apfelbaum in der Mitte. Nacht,
Vollmond.)

DICHTER
An meine Jungfrau muß ich immer denken.
Sie ist so ähnlich dieser Diotima,
Von der ich eben in dem Buch gelesen.
Ja, Diotima ist die Priesterin
Der Liebe und der Schönheit und der Weisheit.
Sie soll auch mich den Weg der Liebe lehren.
Was jenes schöne Griechenland betrifft,
Sie träumten auch von einem Reich der Freiheit.
Und alle Dichter, alle Musensöhne,
Sie liebten alle überaus die Freiheit.
Was aber Freiheit ist, wer kündet das?
Der Dichter frage seinen Philosophen.
Ist Freiheit denn, dem Ich allein zu folgen?
Und ist das Neben-Du denn nichts als Nicht-Ich?
Muß nicht das Ich erst sterben? Auferstehen
Im Du und sich im Du zurückempfangen
Als ein geliebtes und verklärtes Ich?
O Diotima, lehre mich die Liebe!
Was aber, wenn der Liebende sein Ich
Ganz hingibt und in dem geliebten Du
Verstirbt und wenn es dann nicht aufersteht
Im Du, weil dieses Du das Ich nicht liebt,
Weil dieses Ich nicht Raum hat in dem Du,
Nicht Raum, nicht Thron und keine Herrlichkeit?
Das ist die Grausamkeit des Dämons Eros!
Dann ist das Ich gestorben, ist ermordet!
Das vielgeliebte Du ward dann zum Mörder!
Wenn dann der Mensch sich selbst das Leben nimmt,
So nur, weil er schon längst ermordet ward!
O Gott der Liebe in der Höhe, hilf!
Befreie mich, o Geist der Ewigkeit!
Die absolute Freiheit meines Ich
Zerschmettert an der Grenze ward des Nicht-Ich!
Des Ichs beschränkte Freiheit geb ich auf
Und bind mich an die absolute Freiheit,
Den unbedingten Geist, das Höchste Wesen!
Ich sterbe ab den Grenzen meines Ichs
Und auferstehe in der absoluten
Und unbedingten Freiheit meines Gottes!

(Die Uhr schlägt zwölf)


O Gott! Was seh ich auf dem weißen Vollmond?
Ist das die Königin Urania?
Heil Himmelskönigin Urania!
Es triumphiere bald dein Reich der Liebe!

ACHTE SZENE

(Im Café, der Trinker bei Bier und Zeitungen, bei ihm der Dichter.)

TRINKER
Weißt du, welche Lösung die kommunistische Partei für das Problem ihres demonstrierenden
Volkes hat?
DICHTER
Sie richten Waffen gegen stille Beter.
TRINKER
Ja, man nennt das die chinesische Lösung. Am Platz des Himmlischen Friedens in Peking ist doch
auch die friedliche Demonstration von chinesischen Studenten für Demokratie von der Staatspartei
mit Panzer niedergerollt worden.
DICHTER
Die kommunistische Partei von China
Hat alle Weisheit von Konfuzius
In China ausgerottet, aber jetzt
Kommt Gottes Weisheit selbst nach China: Christus!
TRINKER
Die protestantischen Kirchen im Osten Deutschlands folgen der Lehre von Dietrich Bonhoeffer, das
Christentum soll irdisch, diesseitig, weltlich sein. Der Christ soll nicht nur Litaneien singen,
sondern politisch eingreifen und tatkräftig die Welt verändern.
DICHTER
Und doch wird es gelingen nur den Betern.
Die Katholiken in dem Osten Deutschlands
Versammelten zu Prozessionen sich
Und feierten Elisabeth, die fromme
Prinzessin, die dem Adelsstand entsagte
Und zu den Armen ging und brachte ihnen
Genügend Brot und Rosen auch dazu!
TRINKER
Die Kommunisten denken immer nur ans Brot. Sie singen: Es macht uns ein Geschwätz nicht satt,
das schafft kein Fressen her!
DICHTER
Doch Jesus spricht: Der Mensch lebt nicht vom Brot
Allein, er lebt auch von dem Worte Gottes.
Elisabeth, die heilige Prinzessin,
Sie sagt: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein,
Der Mensch braucht auch der Liebe rote Rose!

NEUNTE SZENE

(Café. Der Trinker bei Bier und Zeitungen. Der Dichter.)


TRINKER
Kennst du die Autorin aus dem Osten Deutschlands, die am Anfang ihres Schaffens den geteilten
Himmel über Deutschland beschrieben, die in der Führung der Partei gesessen, die sich zur
heidnischen Muttergöttin gewandt und den HERRN geschmäht?
DICHTER
Die Atheisten wurden Neue Heiden,
Wo vorher kein Gott war, der Mensch ein Gott,
Wird jetzt Natur als Göttin angebetet,
Sie irren rechts und links vom wahren Weg.
TRINKER
Die Autorin erhebt nun ihre Stimme und wirbt für einen Dritten weg. Sie will nicht den Sozialismus
als Diktatur der Partei, sie will nicht den Kapitalismus als Diktatur des Kapitals, die will einen
neuen Prager Frühling und einen Sozialismus mit demokratischem Antlitz.
DICHTER
Die Utopisten träumen immer weiter,
Erfinden immer neue Messianismen.
TRINKER
Die Diktatur der Staatspartei über eine gleichgeschaltete Masse ist menschenunwürdig. Aber wir
fühlen doch auch beide, dass der Terror des Konsumismus keine Befreiung bringt.
DICHTER
Die Kommunisten und das Kapital,
Sie glauben beide, dass der Mensch zum Glück
Nur Fressen, Saufen, Schlafen, Haus und Weib
Bedürfe, dass die Seele in dem Menschen
Zum Glück die Liebe Gottes nicht bedürfe.
Anbetung der Materia, der Mater,
Vergötzung sinnlicher Gelüst-Genüsse,
Der Materialismus, Hedonismus,
Das sind die Götzen dieser unsrer Zeit.
TRINKER
Der Papst verwirft ja den Kommunismus. Aber ich hörte, er verwirft auch die westliche Kultur des
Todes. Will nicht der Papst auch einen dritten Weg?
DICHTER
Der Papst will einen neuen Weg mit Gott!
Denn alle dritten oder vierten Wege,
Die Menschen gehen wollen ohne Gott,
Sie führen in den Tod und in die Hölle!

ZEHNTE SZENE

(Café. Trinker, Dichter. Später kommen dazu das Weib und ihr Freund, der Germane)
DICHTER
Ich wollt, ich wäre in der leidenslosen
Vorhölle bei Homer und Sokrates!
TRINKER
Mein Pastor hat mir aber gesagt, es gibt keine Hölle. Im Augenblick des Todes läuft unser ganzes
Leben noch einmal vor unserm geistigen Auge ab und dann sind wir alle, alle beim lieben Gott im
Himmel.
DICHTER
Doch viele Menschen kommen in die Hölle,
Weil keiner für sie betet, büßt und opfert.
TRINKER
Die Nationalsozialisten und die Kommunisten haben in ihren Todeslagern die Hölle auf Erden
errichtet! Und so etwas sollte der liebe Gott in Ewigkeit errichten?
DICHTER
Es ist der Mensch, der sich die Hölle baut.
Gott will, dass jeder Mensch gerettet wird.

(Das Weib mit dem Germanen tritt herein.)

WEIB
Da ist der deutsche Dichter und Denker ja. Wohin entführte dich deine Muse eben?
DICHTER
Vergil entführte mich in das Inferno.
GERMANE
Ich war im Inferno. Ich war im Gefängnis im Kommunismus, weil ich revolutionäre Lieder
gesungen. Meine Gitarre war meine Waffe. Ich sang Lieder der französischen Revolution, der
russischen Revolution und des spanischen Bürgerkriegs, dafür sperrten mich die Kommunisten ein.
Sie haben die eigne Revolution verraten!
TRINKER
Du glaubst also an den wahren Kommunismus, an die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit?
GERMANE
Den Zahn hat mir die Zeit gezogen! Wenn im Kommunismus alle satt und zufrieden sind, entsteht
kein Genie! Das Genie entsteht aus dem Kampf! Der Kommunismus ist ein Traum von
Schlaraffenland, ein Gelobtes Land für Faultiere! Ich glaube an den brutalen Lebenskampf und den
Sieg des Übermenschen!
DICHTER
Einst alle Menschen werden Brüder sein:
Ein Vater wohnt im Himmelszelte droben!

ELFTE SZENE

(Vor der Schenke Zur Eiche. Der Trinker betrunken. Der Dichter schaut in den Mond.)

TRINKER
(lallend)
Kurz und gut! Ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die mein Herz näher angeht, ich habe... ich
weiß nicht... Ein Engel! Pfui, das sagt jeder von der Seinigen, nicht wahr? Doch bin ich nicht
imstande, dir zu sagen, wie vollkommen sie ist, warum sie vollkommen ist. Genug, sie hat all
meinen Sinn gefangen genommen! Soviel Herzensgüte bei soviel Klugheit, soviel Güte bei soviel
Charakterstärke, und diese Seelenruhe bei vollem lebendigem Leben und männlicher Tatkraft! Ach
das ist alles nur garstige Abstraktion! Nichts als leeres Geschwätz! Ein andres Mal mehr davon.
DICHTER
Ich will jetzt mit dem Mond spazieren gehen,
Spazieren bei den Toten auf dem Friedhof.

(Der Dichter ab. Das Weib kommt.)

TRINKER
He, schönes Fräulein, darf ich’s wagen, Arm und Geleit ihr anzutragen?
WEIB
Bin weder Fräulein weder schön, kann ungeleitet nach Hause gehn.
TRINKER
Fräulein hin Fräulein her! Aber einen Kuß kannst du mir doch geben?
WEIB
Jedermann will von mir einen Kuß!
TRINKER
Küsst dich auch dein Freund, der Germane?
WEIB
Aber nicht oft genug!
TRINKER
Küsst dich etwa auch mein alter Freund, der Dichter?
WEIB
Ich gab ihm einen geistigen Musenkuß!
TRINKER
Aller guten Dinge sind drei! Nun küss auch mich!
WEIB
Wo wollen wir uns küssen?
TRINKER
Dort im dichten Busch.
WEIB
Nun gut. Komm ins Gebüsch. – So?
TRINKER
Ich werde dich mein Leben lang lieben!

ZWÖLFTE SZENE

(In der Wohnung des Weibes und des Germanen. Zu den beiden gesellen sich der Dichter und der
Trinker.)

DICHTER
Heil Göttin Freyheit, die du kommst vom Himmel!
TRINKER
Was ist Freiheit?
WEIB
Freiheit ist meine Freiheit, zu lieben, wen ich will, wann ich will, wo ich will, wie oft ich will und
wie lange ich will. Freiheit ist Liebe und Liebe ist Freiheit. Ohne Freiheit keine Liebe. Darum liebe
ich die Freiheit, indem ich die Freie Liebe lebe!
GERMANE
Freiheit ist Befreiung von den Gesetzen der jahrtausendealten jüdisch-christlichen Moral. Gott
schrieb wie ein Diktator seine zehn Gebote auf eine steinerne Tafel und alle unterwarfen sich wie
Sklaven dem Herrscher im Himmel. Aber Freiheit des Menschen heißt, die steinernen Tafeln Gottes
zu zerschlagen und ein neues Gesetz zu schaffen, das Gesetz des freien Menschen: Erlaubt ist, was
gefällt! Gut ist, was stark und glücklich macht!
TRINKER
Freiheit ist, keine Vorherbestimmung des Menschen anzunehmen. Nicht der liebe Gott legt den Sinn
des Lebens fest, sondern ich selbst definiere den Sinn meines Lebens.
WEIB
Und Frau ist nicht Frau nach der Definition Gottes, sondern die freie Frau definiert selbst ihr
Geschlecht.
DICHTER
Was toben doch die Heiden so vergeblich?
Was murren doch die Völker so vergeblich?
Es lehnen sich die Herrn der Erde auf,
Die Herren halten miteinander Rat
Und rebellieren gegen Gott den Herrn
Und gegen Gottes Sohn, Messias Jesus!
So lasset uns zerreißen ihre Bande
Und von uns werfen ihre Fesselstricke!
Doch der im Himmel wohnt, der lacht, der lacht!
Der Heiland spottet über diese Narren!

DREIZEHNTE SZENE

(In der Wohnung des Dichters. Der Trinker tritt ein mit einer Flasche Champagner.)

TRINKER
Das Wunder, das Wunder von Leipzig! Ich habs nicht geglaubt, dass der liebe Gott im Himmel in
die Geschichte eingreift! Aber da hat sich ein Häuflein Gerechter in der Kirche von Leipzig
versammelt und gebetet. Der Prediger predigte Feindesliebe. Eine schwerbewaffnete Armee stand
dem Häuflein Gerechter gegenüber. Voller Angst saßen sie hinter verschlossenen Türen im
Abendmahlssaal. Dann traten sie todesmutig wie David dem Riesen Goliath der hochgerüsteten
Armee gegenüber. Aber, o Wunder, tausende, zehntausende, hunderttausend Bürger auf den
Straßen! Die Kommunisten konnten nicht alle ermorden.
DICHTER
Ein Knabe hatte einst zwei Fische nur,
Zwei Brote nur für dreißigtausend Menschen.
Doch Jesus nahm das Brot und nahm die Fische
Und hob sie zu dem Vater in den Himmeln
Und sprach das Dankgebet und sang den Lobpreis
Und dreißigtausend Menschen wurden satt.
TRINKER
Die Todesmauer, die sich mitten durch unser deutsches Vaterland zog, ist gefallen! Die gefangenen
Deutschen strömen in die Freiheit! Alle Deutschen tanzen auf den Trümmern der Todesmauer! In
Deutschland wird ein Fest der Freiheit gefeiert! Das deutsche Volk ist trunken vor Freude!
DICHTER
Sie sangen einst die Internationale:
Kein Gott wird uns erlösen und kein Kaiser,
Erlösen müssen wir uns selber schon,
Erwacht, erwacht, Verdammte dieser Erde!
Jetzt aber singt das deutsche Volk Tedeum:
Wir loben dich, o Herr Gott Zebaoth,
Dich preisen Seraphim und Cherubim,
Die Erde neigt sich voll Bewunderung
Vor dir, o Vater unser in dem Himmel!
TRINKER
Wahnsinn!

VIERZEHNTE SZENE

(In der Wohnung des Dichters. Der Dichter alleine. Später tritt die Jungfrau ein.)

DICHTER
Der Geist kommt von den Enden dieser Erde
Und atmet die Gebeine an der Toten.
Komm, Geist, und hauche an die Totenknochen!
Die Knochen überziehen sich mit Fleisch,
Die Toten auferstehen aus den Gräbern!
Zwei Hölzer nehme ich in meine Hand,
Das eine Holz, das ist der Osten Deutschlands,
Das andre Holz, das ist der Westen Deutschlands,
Zusammen füg ich sie zu Einem Kreuz.
Gott segne unser deutsches Vaterland!

(Die Jungfrau tritt ein.)

O Jungfrau! Oh wie strahlend deine Schönheit!


Komm, lege deine Hände auf mein Haupt
Und gib mir deinen wundervollen Segen!
JUNGFRAU
Du suche allezeit das Antlitz Gottes,
Der Weisheit Gottes sollst du dich verloben
Und leben in der Wunderkraft der Liebe!
DICHTER
Ich werde reisen in das alte Prag,
Dem Prager Jesulein für Deutschland danken!
Das Prager Jesulein ist Deutschlands Kaiser!
JUNGFRAU
Nun muss ich dich verlassen, lieber Freund,
Doch ganz gewiss, wir sehen einst uns wieder.
DICHTER
Wohin denn gehst du, vielgeliebte Jungfrau?
JUNGFRAU
Zuerst nach Rom und dann ins Paradies!

APOKALYPSE
Personen:
Adam, Gatte und Vater
Eva, Gattin und Mutter
Die Söhne Quintus, Georg, Thomas, Simeon & Maximilian
Lili, Nachbarin
Jesus Christus

Ort: Der Flecken Hage im idyllischen Ostfriesland, ein romantisches Bauernhaus mit Blumengarten
und Obstbäumen

Zeit: Ungewiss, allein dem Ewigen Vater bekannt


ERSTE SZENE

(Adam und Eva in ihrem Garten, die Söhne spielen Fußball, bis auf Quintus, der in einem Buch
liest.)

ADAM
Geliebte! Wüsst ich, dass die Welt zugrund geht morgen,
Ich wär in Gott getrost, in Gottes Schoß geborgen
Und pflanzte heute noch den schönsten Apfelbaum.
Geliebte, wahrlich, du bist schöner als mein Traum!
EVA
Du hast mir doch geschenkt die beiden Apfelbäume,
Die pflanz ich heute ein in unsre Gartenräume,
Der Apfelbäume Paar sich so bestäuben kann!
O Liebe in der Welt! O Glück von Frau und Mann!
ADAM
Johannesbeerenbusch mit deiner Früchte Frische,
Ihr Erdbeerpflanzen auch und süßen Himbeerbüsche,
Wenn euch der Frühlingswind als lieber Buhle hascht,
So weiß ich wohl, wie gern der Thomas von euch nascht.
EVA
Frag Kinder nur nach Glück, nicht großer Gaben Gnaden
Begehrt das frohe Kind, wenn nur des Bäckers Laden
Den Kuchen bietet an, das süße Zuckerbrot,
Vor Glück und Freude wird des Kindes Wange rot.
ADAM
Der erstgeborne Sohn studiert in seinem Buche,
Studiert der Weisheit Wort und weiß von keinem Fluche,
Sohn Quintus ist dem Buch und seiner Weisheit hold,
Der Stein der Weisen schafft durch ihn uns wohl noch Gold.
EVA
Von Golde will ich nicht, der Armut fromme Schule
Lehrt uns auf Gott vertraun, mein vielgeliebter Buhle.
Sind wir auch arm, bei Gott, beim schönen Abendrot
Wir danken Gott gewiss fürs liebe Abendbrot.
ADAM
Mit Käse von der Kuh, mit Käse von den Schafen,
Oliven auch dazu, so lässt sich ruhig schlafen,
So danken wir dem Herrn, der uns die Speise gab,
Und Ziegenkäse auch, und alles ohne Lab.
EVA
Gemüse frisch und grün und knackige Salate,
Was hat ein König mehr in seinem großen Staate?
Der Sonnenblume Kern, des blonden Weizens Korn,
Dazu den roten Wein, dir überfließt das Horn!
ADAM
Die Sonne lacht dazu, die Jungfrau in der Sonne
Gibt ihren Segen uns, die Süßigkeit und Wonne
Und Leben für uns ist, ich bete ihren Gruß
Und küss der Jungfrau fromm voll Demut ihren Fuß!
(Lili tritt in den Garten ein)

EVA
O Lili, Nachbarin, wie geht’s in deiner Hütte?
Dort lebst du so allein und doch in frommer Sitte!
LILI
Doch Nachricht bring ich euch vom Welten-Wettersturm,
Ob auch von Elfenbein einsiedlerisch mein Turm.
EVA
Du kannst mir Freude doch mit Plauderei bereiten.
Was lieber hört ein Weib doch je als Neuigkeiten?
LILI
Ein Anschlag auf den Papst in Roma ist geschehn!
Das ist der Anfang erst der schmerzensreichen Weh’n!
ADAM
O Jesus! Hat der Papst denn überlebt den Frevel?
Wie stinkt doch Satanas nach saurem Gift und Schwefel!
EVA
Ja, sag es, Lili, ob der Papst hat überlebt?
Wie zittert mir mein Herz! Mein voller Busen bebt!
LILI
Gefallen war der Schuss von einem Islamisten,
Geplant war so der Mord am Oberhaupt der Christen.
Doch grad, als fiel der Schuss, der Papst hat sich gebückt
Und ein Madonnenbild voll Liebe angeblickt!
Verwundet ist der Papst, doch Gott sei Dank lebendig,
Ob er auch leiden muß der Wunde Schmerz elendig.
EVA
Sprach schon der Papst ein Wort zu diesem Attentat?
LILI
Er sprach: Vergebung ist Gesetz im Gottesstaat,
Dem Täter wollte er von Herzen gern vergeben,
Maria dankte er und Jesus für sein Leben.
ADAM
Die Wehen kommen jetzt! Der Feind des Lebens will
Zerstörn die Christenheit, die lebt im Lande still.
Wo ist der Frieden hin in unserm kleinen Eden?
Geliebte Eva, ich will zu Maria beten!

(Adam geht abseits zu einer kleinen Steinmadonna im Garten und betet)

Maria, weihen will ich deinem Herzen mich,


Ich schenke mich dir ganz und bitt von Herzen dich,
Nimm du mein Opfer an und schenk uns bald den Frieden,
Schenk uns das Friedensreich in dieser Welt hienieden,
Schenk du uns deinen Sohn, schenk du der Liebe Licht,
Daß ohne Weltkrieg, wenn es geht, zusammenbricht
Des Todes Unkultur, das Reich des Antichristen!
Beschwöre Jesus du mit deinen Mutterbrüsten!

ZWEITE SZENE
QUINTUS
Mein Bruder Thomas hat geschossen seinen Ball
Auf dies mein neues Buch, ich aber hasse all
Die Fußballspieler! Gott, was wissen sie vom Buche?
Mir aber steht der Sinn nach einem bittern Fluche!
THOMAS
Es war nur ein Versehn. Ich habe mich entschuldigt.
Es hat ja nur mein Ball dem Weisheitsbuch gehuldigt.
Und Fußballspielen ist ein Spielen ohne Schuld,
Wenn man nicht pflegt dabei des Fußballgottes Kult.
MAXIMILIAN
Ah, das tut aber weh! Nein, Georg, das ist übel!
Das hast du nicht gelernt aus Vater Adams Bibel!
Was, Bruder, fällt dir ein, so schlimm mir weh zu tun?
Ich glaub, das sage ich dem Vater Adam nun.
SIMEON
Was quälst du uns denn so? Wir leiden nun gemeinsam.
O Georg, aber du, du bist als Täter einsam.
GEORG
Ihr habt mich provoziert! Das habt ihr nun davon!
Ihr grinstet wie die Clowns im Karneval von Bonn.
ADAM
Still, alle Burschen, still! Was habt ihr wilden Jungen
Für Drachenherzen doch, gespaltne Schlangenzungen!
EVA
Du reagierst zu hart, geliebter Adam mein,
Du musst den Jungen doch den Streit und Zank verzeihn.
Wie zähmt man denn die Wut der aufgewühlten Triebe
Des heißentflammten Zorns? Nur durch die sanfte Liebe!
ADAM
Es ist doch in der Welt nun nur noch Rebellion!
Das Kind die Mutter schmäht, den Vater schmäht der Sohn!
Kein Wunder darum doch, dass Revolutionäre
Die Ordnung stürzen ein, rebellische Gewehre
Nun machen Politik, an jedem Erdenort
Regiert brutal Gewalt und statt Gesetz der Mord.
Lateinamerika hat seine wilden Banden,
Die Terroristen schon mit Macht in allen Landen
Errichten ihr Regime, ihr Staatsgesetz ist Terror,
Die Politik Gewalt und die Kultur ein Horror.
Die Indianer und die Bauern leiden Not,
Da für Gewehre Geld da ist, doch nicht für Brot.
Die Terroristen wild in allen Winkeln lungern,
Die Mutter und das Kind verdursten und verhungern.
Die rasende Musik ist ohne Schönheitsglanz,
Ein wildes Totenfest, ein schwarzer Totentanz.
Die Dichter singen nicht von Liebe mehr, von Küssen,
Der Dichter lauter Lärm gleicht nun Pistolenschüssen.
Und auch in Afrika ist nichts als Bürgerkrieg,
Das schwarze Militär behauptet seinen Sieg,
Roms Christen sammeln sich wie einst in Katakomben,
Die Erde übersät mit Minen und mit Bomben.
Die Kinder kämpfen auch schon in den Heeren mit,
Zerfetzt wird jedes Kind, das auf die Mine tritt!
Dort herrscht jetzt die Armee und der brutale Knüppel,
Viel Kinder sieht man da als ruinierte Krüppel!
Die Mutter Asia, die Mutter Asia
Noch nie soviel Gewalt und Rebellionen sah.
In Asia einst still doch standen alle Uhren,
Doch jetzt marschiert die Zeit im Takt der Diktaturen,
Rebellendiktatur des Pöbels Herrschaft ist,
Und eine Diktatur die andre Herrschaft frisst.
Kaum siegt die Rebellion, die Revolutionäre
Sich fressen selber auf, sie kennen keine Ehre,
Des Lebens Heiligkeit ist den Rebellen fremd,
Sie beten an als Gott des Diktatoren Hemd.
In Russland an der Macht sind nun die Nationalen,
Vorbei des Zaren Reich, vorbei das Recht der Wahlen,
An Russland glaubt man jetzt und glaubt nicht mehr an Gott,
Für Russland ist die Welt ein Übel und ein Spott,
Europa sie bedrohn und sie bedrohen China!
EVA
Maria, Morgenstern, o Stella Matutina!
Wir weihen in Gebet und Sühne und in Buß
Das große Russland dir, die alte Mutter Rusj!
ADAM
Und darum will ich streng der Söhne Schar erziehen!
Nicht alles sei sogleich und ganz umsonst verziehen!
Mit Vaterwürde und mit Strenge, doch gerecht,
Den Söhnen bring ich bei, wie ehrenwert das Recht!
EVA
Bei der Gerechtigkeit des ernsten strengen Vaters
Die Söhne in dem Spiel lebendigen Theaters
Nur lernen strenges Recht, doch Sanftmut, Mildigkeit
Der Mutter lehre sie des Herrn Barmherzigkeit.
Als Mutter will ich nur der Söhne Schar umarmen,
So lernen sollen sie das göttliche Erbarmen!
ADAM
Doch allzu sanft und weich und allzu honigsüß,
Bewahrt den Kindern nicht das Kinderparadies.
Mit Vollmacht sprich ein Wort, zeig ihnen ihre Grenzen!
Das Leben ist nicht Lust allein und faules Lenzen!
EVA
Die Welt ist hart genug, da fließt kein süßer Wein!
Da trinken sie das Gift, da essen sie den Stein!
Ich aber will mit Milch und Honigseim und Butter
Barmherzig sein, das ist die Liebespflicht der Mutter!

DRITTE SZENE

(Spaziergang auf dem Waldweg)


ADAM
Wie gern spaziere ich mit dir doch Hand in Hand,
Wenn still und schweigsam du durchwandelst unser Land,
Wenn vor uns scherzend läuft der liebe Thomas fröhlich,
Wie bin ich dann mit dir auf Erden schon glückselig!
EVA
Du rede mir dein Wort und sprich von Weisheit nur,
Sprich von der Gottheit, von der göttlichen Natur,
Ich bitt dich um dein Wort, ich mag dir gerne lauschen
Und will Ideen mit dir in einem Geiste tauschen.
THOMAS
Mein Vater Adam, weißt du, dass wir Schatten sind,
Daß Schatten Mann und Frau, dass Schatten ist das Kind?
Das wahre Wesen ist viel größer als der Schatten,
Das Innere der Welt der Kinder und der Gatten
Ist größer als die Welt. Das Äußere ist klein,
Ich aber schau im Geist ins Innere hinein,
Da größer als die Haut das Innre ist der Zwiebel.
Das hab ich aber nicht aus meiner Kinderbibel.
ADAM
Wie weise du und klug in deiner Kindheit bist!
Ein großer weiser Mann und tiefgelehrter Christ!
THOMAS
Jetzt lauf ich aber los, alleine fort durchs Dunkel!
Ich hör Titania und ihrer Feen Gemunkel.

(Thomas rennt fort)

EVA
Ich mach mir Sorgen doch, ob nicht mit bösem Bann
Von böser Zauberei ihn fängt der schwarze Mann!
Der böse Onkel geht durch tiefe schwarze Nächte,
Die Kinder schändet er, der schlimme Ungerechte!
ADAM
Nur keine Sorge, Frau, sein Engel doch beschützt
Den kleinen Thomas dein, des Engels Waffe blitzt,
Er zieht das Schwert heraus aus seiner goldnen Scheide!
Getrost, du liebe Frau, du meine Augenweide!
EVA
Nein, nicht getrost, mein Mann, ich bin in großer Not!
Ist unser Thomas wohl ermordet schon und tot?
Dann gäbe es für mich nicht Tag mehr und nicht Morgen!
Ich bin in großer Angst, in kummervollen Sorgen!
Mein Thomas, komm zurück! Wo bist du, liebes Kind?
Denk doch, wie sorgenvoll jetzt deine Eltern sind!
Komm, Adam, komm doch schnell, wir wollen Thomas suchen!
Ob er beim Teiche ist im Schutze alter Buchen?

(Lili und Thomas kommen ihnen entgegen)

LILI
Hier ist dein lieber Sohn. Hat er sich wohl verirrt?
Doch ruhevoll im Baum die Turteltaube girrt.
EVA
Mein Sohn, mein lieber Sohn, ich habe dich gefunden!
Wie quälte mich der Schmerz in meinen Seelenwunden!
THOMAS
Warum denn, Mütterchen? Mein Engel mich bewacht,
Der ist viel lichter als die tiefe Mitternacht.
LILI
Es ist die Zeit der Flucht. Wie Thomas ist geflohen,
So auch in dieser Zeit Soldaten schrecklich drohen,
Die antichristlichen Soldaten drangen ein
In Romas Vatikan mit Brüllen und mit Schrein,
Um in dem Vatikan die Venus zu zerstören
Und den Apollon auch, Apoll von Belvederen,
Ach dass ich scherze noch! Humor, wie du erlabst!
Doch ist vor der Armee geflohen heut der Papst!
ADAM
Wohin geflohen ist der Papst, der Herde Hirte?
LILI
Bin ich die Wirtin denn, dass ich den Papst bewirte?
Die Ahnung habe ich in meinem Geist, mein Sohn,
Der Papst geflohen ist ins schöne Avignon.
In der Verbannung dort, der Papst dort im Exile,
Spielt voller Weisheit er des Geistes Perlenspiele.
Doch kehrt er wieder bald, der Hirte kehrt zurück
In Romas Vatikan, dann lächelt uns das Glück.
EVA
Mein vielgeliebter Mann, hör ich von Avignon,
Dann denk ich, wie wir einst in unserm Pavillon
Getrunken Apfelwein aus Avignon, den süßen,
Den ich dir mitgebracht aus Frankreichs Paradiesen.
ADAM
Ja, liebevolle Frau, da fühlt ich mich geliebt,
Da dachte sich mein Herz: Wenn meine Eva gibt
Mir Wein aus Apfelsaft, den Adamswein zu trinken,
Wenn wir zusammen sehn den Wein im Glase blinken,
Dann hat sie mich doch lieb, sie hat an mich gedacht.
So trank ich gern den Wein mit dir in stiller Nacht.

(Lili geht fort)

EVA
Und ist es wahr, mein Mann, wenn Wein die Männer trinken,
Daß alle Frauen dann so schön wie Nymphen blinken?
ADAM
Ja, als ich trank den Wein, an Lili dachte ich
Und fand auch Lili schön, zwar nicht so schön wie dich,
Auch Lili hatte da an sich gewisse Schöne,
Du aber warst so schön, ich denke dran und stöhne,
Du warst im Rausch so schön, wie eine Göttin groß,
Vor deiner Schönheit Macht war ich ganz atemlos!
VIERTE SZENE

(Adam und Eva allein im Garten nachts beim Wein)

ADAM
Den Wein hat mir geschickt ein lieber Freund und Bruder,
Ich trinke nicht vom Wein mit einem losen Luder,
Ich trinke nicht den Wein vulgären Ehebruches,
Ich trinke edlen Wein nicht mit dem Gift des Fluches,
Nicht Drachengeiferwein, ich trink das Traubenblut
Mit meiner lieben Frau und trink aufs Höchste Gut!
EVA
Was ist das Höchste Gut, das letzte Ziel des Lebens,
Der tiefste Herzenswunsch, das höchste Ziel des Strebens?
ADAM
Der eine nennt es so, der andre nennt es so,
Glückseligkeit in Gott, so las ich irgendwo,
Das Ziel des Menschen sei, doch andre Menschensöhne
Als aller Liebe Ziel verherrlichen das Schöne.
Erkenntnis Gottes sei das Höchste, liebe Frau,
So sagen manche, freun sich auf die Gottesschau.
Ich denk, das höchste Glück für alle Erdentriebe,
Das ist in Ewigkeit die schöne Gottesliebe.
EVA
Doch jeder denkt sich Gott auf seine eigne Art,
Der eine denkt sich Gott als Große Mutter zart,
Der andre denkt sich Gott als lieben Vater weise,
So jeder denkt sich Gott auf seine eigne Weise.
ADAM
Gott als der Schöpfer hat die Seele eingehaucht,
Gott jeder Seele gibt, was diese Seele braucht,
Gott prägt sich selber ein im Inneren der Seele,
Es lebt ein Gottesbild im Innern ohne Fehle.
In deiner Seele Kern, o liebe Ehefrau,
Lebt rein und makellos ein Bild als Gottesschau,
Das ganz dein eigen ist. So schaut nur deine Seele
Den einen lieben Gott. Nicht andre Wege wähle,
Als deinen eignen Weg zum innerlichen Gott.
Im Herzen schaust du Gott, wenn unbefleckt von Spott
Du dich in Gott versenkst in inneren Gebeten.
In deiner Seele ist noch heut der Garten Eden,
Da abends wandelt Gott im Garten voller Licht
Und zur geliebten Braut als Ehegatte spricht.
Gott ist den einen Glanz, Gott ist den andern Klarheit,
Gott ist dem einen Huld, Gott ist dem andern Wahrheit,
Ist dem Gerechtigkeit, ist dem Barmherzigkeit,
Ist jenem Ewigkeit und dem Glückseligkeit,
Ist jenem höchstes Glück und schönste Lust der Triebe,
Gott jenem Weisheit ist und jenem schöne Liebe.
Das alles ist der Herr, der Eine, ohne Spott,
So viele Götter gibt’s, wie’s Bilder gibt von Gott.
EVA
Mein lieber Ehemann, was ist das für ein Leuchten
Dort in der dunklen Nacht, der schwarzen Nacht, der feuchten?

(Ein merkwürdiges Licht erscheint am Himmel, vielleicht ein Komet)

ADAM
Ist kein normaler Stern und ist auch kein Planet,
Ein Zeichen Gottes ists, ein glühender Komet!
EVA
Ein Zeichen des Gerichts? Wird jetzt in Himmelsfeuern
Die Sündenerde Gott verbrennen und erneuern?
ADAM
Kommt jetzt das Strafgericht, kommt jetzt des Richters Zorn?
EVA
Die Menschheit ist in Angst! Die Frevler gehn verlorn!
ADAM
Maria, Gottes Braut, ich grüß mit frommem Gruße.
EVA
Die Menschheit bete und bring Früchte ihrer Buße!
ADAM
Die Menschheit betet nicht, sie betet nicht zu Gott,
In lauter Blasphemie sie lästern voller Spott,
Bei diesem Übermaß an Sündigen und Schlechten
Die Buße legt der Herr auf Schultern der Gerechten.
Als Stellvertreter wir für alle Sünder flehn
Zu Gott: Barmherzigkeit in diesen schweren Weh’n!
EVA
Erbarmen, Jesus! Hab Erbarmen, Jesu Christe!
Laß überströmen von Erbarmen deine Brüste!
Barmherzigkeit, allein Barmherzigkeit, du Held,
Erbarmen, Menschenfreund, Erbarmen mit der Welt!
Den Indianern schenk Erbarmen und den Indern,
Zumeist Barmherzigkeit erweise allen Kindern,
In erster Unschuld noch sie sind von Sünden rein,
Erbarm dich im Gericht der lieben Kinderlein,
Schenk du Barmherzigkeit den gottgeschaffnen Knaben,
Den lieben Mädchen auch schenk deiner Gnade Gaben,
Europas Kindern und den Kindern Afrikas,
Den Kindern Asias, der zwei Amerikas,
Den frommen Töchterlein, den jugendlichen Schönen,
Herr, deine Liebe schenk den vielgeliebten Söhnen!
Herr, Quintus schenke Huld, verzeihe seine Schuld,
Herr, Thomas schenk Verzeihn, erweise deine Huld,
Herr, Georg schenke Kraft und gib ihm deine Stärke,
Und Maximilian und Simeon, die Werke
Der Schöpfermacht des Herrn, bewahr in deiner Gunst,
Auch Adam du bewahr in deiner Weisheit Kunst,
Ich schenke dir mein Herz, beim Beben meiner Brüste,
Mein Retter und mein Gott, geliebter Jesu Christe!
FÜNFTE SZENE

(Eva sitzt in der Hütte auf einem Sessel, Thomas auf ihrem Schoß, in ihren Armen, sie liebkost ihn.
Adam steht draußen vor dem Fenster, raucht eine Zigarette. Durchs Fenster beobachtet er Eva und
vergleicht sie mit der Marien-Ikone, die neben Eva auf dem Hausaltar steht.)

ADAM
O Gott, wie ist sie schön, wie lieb ich ihr Gesicht,
Es ist so sanft und weich, von mildem dunklem Licht,
Wie Sterne blitzt ihr Aug, wie eine Himmelsblüte,
Wie lächelt auch ihr Mund voll mütterlicher Güte,
Wie ist die Wange weich, ich geb ihr gern den Kuß,
Zu küssen ihre Haut ist lieblicher Genuß,
Wie fein die Brauen auch, die dunklen Augenbrauen,
Darunter Blitzen gleich voll Licht die Augen schauen,
Und dieses schwarze Haar, so schwarz wie Ebenholz,
Wie Rabenflügel schwarz. O Gott, wie bin ich stolz,
Daß solche Frau mich liebt, ist gern in meiner Nähe,
Von Gott gesegnet ist, von Gott ist unsre Ehe.
Und schaue ich das Bild Mariens nebenan
Und schau ich Eva und Maria beide an,
So scheint Maria mir die Schönheit der Ideen,
In Eva kann ich dann Mariens Schönheit sehen,
Wie Zwillingsschwestern sie, wie Urbild und wie Bild,
Maria himmlisch süß und Eva irdisch mild,
Maria ganz perfekt in göttergleicher Schöne,
Doch Eva auch so schön, dass ich vor Liebe stöhne!
Maria mit dem Sohn ist wie ein Gottesbild,
Wo in Maria ich Gott-Mutter sehe mild
Und in dem Sohn mich selbst, mich selbst im Gottessohne,
Da ich in Gottes Arm wie Jesus Christus throne.
Und schau ich Eva an und Thomas auf dem Schoß,
So kommt mir Eva vor wie eine Göttin groß
Und Thomas seh ich an als ihren Sohn-Geliebten.
Das ist ein großer Trost für alle die Betrübten,
Die Mutterliebe einst vermissten als ein Kind,
Daß Gott und Gottes Sohn wie Kind und Mutter sind!
So Eva ist ein Bild, sie ist ein Abbild Gottes,
Sie ist Ikone, ist trotz allen Sünderspottes
Ein Gottesebenbild, ob Sünder oder Christ,
Die Frau ein Ebenbild der großen Gottheit ist,
Gott hat die liebe Frau als Gottes Bild gegeben,
Wie Eva Leben heißt, die Gottheit ist das Leben,
Die Gottheit heißt mir Jahwe-Eva denn,
Gott ist Gott-Mutter für all die Lebendigen.
In Eva schaue ich die Gottheit ohne Spott,
Denn Eva ist so schön und liebevoll wie Gott!

(Lili tritt zu Adam)

LILI
Hier stehst du in der Nacht und rauchst die Zigarette?
Ging deine Eva denn alleine schon zu Bette?
ADAM
Sie spielt noch mit dem Sohn, das ist ihm angenehm.
LILI
Maria jüngst erschien! Ja, in Jerusalem
Ist Unsre Liebe Frau auf einem Berg erschienen,
Der Ölberg war der Berg. Sie will dem Frieden dienen,
Sprach in Jerusalem: Was eure Konfession
Und euer Glaube ist, bekehrt euch zu dem Sohn!
Zwar gibt es in der Welt verschiedne Religionen
Und in der Christenheit verschiedne Konfessionen,
In jeder Religion herrscht als ein König Gott,
Ich aber streitet euch, verlästert euch mit Spott.
Was eure Religion auch ist und euer Glauben,
Laßt euch den Frieden nicht mit Gott dem Schöpfer rauben.
Es gibt nur einen Weg zum einen wahren Gott,
Wenn ich’s euch heute sag, so lästert nicht mit Spott,
Es gibt nur einen Weg zu Gott dem Himmelsvater,
Der Weg ist Jesus! Hier im irdischen Theater
Ihr streitet euch im Krieg. Ob Jude, Christ, Muslim,
Bekehrt euch zu dem Herrn und wendet euch zu ihm,
Denn Jesus ist der Weg. Ihr Gläubigen hienieden,
Nur Jesus schenkt der Welt den langersehnten Frieden.
So wendet im Gebet euch nun an Gottes Sohn,
Er führt euch alle zu des Vaters weißem Thron.
ADAM
Was sagen Juden nun, was sagen die Muslime,
Was sagen Christen nun? Vernehmen die sublime
Verkündigung im Geist die Frommen dieser Welt?
Ob Unsrer Lieben Frau Verkündigung gefällt?
LILI
Die Juden rufen laut: Maria, Tochter Zion,
In der Plejaden Kranz, im Kranze des Orion,
Jesajas Jungfrau du, du Jungfrau Israel,
Messias du gebarst, den Sohn Immanuel!
Und die Muslime auch zur Mutter des Messias
Sie rufen freudig laut: Preis Jesus, Sohn Marias,
Messias’ Mutter lobt, Messias’ Mutter preist,
Die Gottes Wort empfing allein von Gottes Geist!
Die Protestanten auch und auch die Orthodoxen,
Sie singen dieses Lied: Die Esel und die Ochsen,
Sie kennen ihren Herrn! Wir glauben an den Herrn
Und seine Mutter auch, der Hoffnung Morgenstern!
ADAM
Zu dem Ereignis in dem irdischen Theater
Gab einen Kommentar der Papst als weiser Vater?
LILI
Als Jude, Christ, Muslim getreten zu dem Papst,
Sie sprachen: Heiligkeit, wie oft du Trost schon gabst!
Nun aber in der Welt die Gläubigen sich hassen
Und führen Krieg um Krieg, da hat uns Gott verlassen!
Da sprach der Papst: Bist du ein Jude, Moslem, Christ,
Gott ist uns Abba, ja, doch Gott auch Mutter ist!
Und Gott spricht: Kann ein Weib die Leibesfrucht vergessen?
Doch Gott vergisst dich nicht! Gott liebt dich unermessen!

SECHSTE SZENE

(Eva im Morgenmantel tritt aus dem Schlafzimmer in die Küche, die Haare noch zerzaust. Adam
sitzt am Tisch und trinkt Kaffee. Vor ihm liegt noch ungelesen die Zeitung.)

EVA
Ach Adam, lieber Mann, glaubst du an Prophetie
Der Träume einer Frau? Ich hörte Lehrer, die
Von Träumen dies gesagt, dass grade Morgenträume
Sehr oft prophetisch sind und nicht nur eitle Schäume.
ADAM
In jedem Fall, o Frau, du Venus aus dem Schaum,
Erzähle deinem Mann doch deinen Morgentraum.
EVA
Das Universum sah unendlich ich und dunkel,
Durchzogen wie von Licht, von glitzerndem Gefunkel,
Von einem kosmischen harmonischen Gesetz,
Das sah ich in dem Traum so wie ein Spinnennetz.
ADAM
War das ein Angsttraum, Frau? Du fürchtest dich vor Spinnen.
Saß eine Spinne denn im Spinnennetze drinnen?
EVA
Es saß im Spinnennetz die Spinne riesengroß
Und meine Panik war abgründig bodenlos!
ADAM
Bist du davon erwacht? Und musstest Angstschweiß schwitzen?
EVA
Ich schaute einen Blitz, ein Licht von tausend Blitzen,
Da hört ich einen Lärm wie lauten Donnerschall,
Wie eine Explosion, wie einen lauten Knall,
Da ist das Spinnennetz in Stücke jäh zerrissen!
Was sagt mir dieser Traum? Das möchte ich gerne wissen.
ADAM
Des Kosmos Harmonie im göttlichen Gebot,
Der Liebe Weltgesetz vom Tode ist bedroht,
Von Krieg und Untergang und ewiger Vernichtung.
Ach leider, liebe Frau, der Traum ist nicht nur Dichtung.
Der Liebe Weltgebot, der Venus goldnes Netz,
Des Kosmos Harmonie, der Liebe Weltgesetz
Bedroht ist von dem Tod, der kommt vom Vater Kriege,
Der Explosion des Kriegs! Geb Gott, dass Venus siege!
EVA
Du liest die Zeitung, Mann? Sie dient doch nur der Zeit!
Doch tausend Jahre währt der Tag der Ewigkeit.
ADAM
(Nach einer Zeit stillen Lesens)
Weh, ausgebrochen ist der Krieg! Die stolzen Russen
Von Osten nahen sich Berlin und seinen Prussen,
Sie stehen schon in Prag, im kaiserlichen Prag,
Sie stehn vor Warschaus Tor, ein großer Schreckenstag,
Auch Ungarn überfiel und Serben und Kroaten
Die russische Armee mit vielen Gräueltaten.
Die europäische Vereinigung erbebt
Und militärisch sich zur Gegenwehr erhebt.
Die Russen wollen noch nach Frankreich und nach Spanien,
Der Kaiser aber stellt sein Heer auf in Germanien!
EVA
O Krieg, du Gräuelgott! Europas Geißel, Rusj!
Maria, höre uns, wir knien vor deinem Fuß!
ADAM
Doch nicht genug, o Frau, der Krieg der wilden Russen,
Der stolze Widerstand Europas und der Prussen:
Das große China auch schon Japan überfiel,
Korea nahmen sie sich auch zum Angriffsziel,
Vietnam ergab sich schon, es haben die Chinesen
Ganz Asien unterjocht, der Inder sanftes Wesen
Nur bleibt noch souverän. Die Kirche ruft zu Gott,
Die Philippinen schrein zur Mutter ohne Spott,
Die Mantras helfen nicht und nicht die Tempeltänze
Der Bajaderen mehr, allein die Rosenkränze
Mariens retten noch, allein der Perlenschnur
Gebet schreit auf zu Gott, zur Einen Gottnatur!
EVA
Erbarm dich, großer Gott, der ganzen Welt hienieden!
Maria schenke bald der Welt den Völkerfrieden!

SIEBENTER GESANG

(Eva und Adam im Wohnzimmer bei einer großen Kanne grünen Ginko-Tees.)

EVA
Der Völkerpräsident, er rief den Wandel aus,
Der Friede herrsche nun im ganzen Erdenhaus.
Man pries zuvor den Krieg, die atomaren Bomben,
Da rettet kein Versteck in tiefen Katakomben.
Der Völkerpräsident will bannen nun den Krieg,
Den Wandel ruft er aus, dem Frieden sei der Sieg.
Den Armen schenkt er schon Versichrung des Gesundens,
Die Schulden stundet er, der Gönner großen Stundens.
Es jubelt alle Welt: O Völkerpräsident!
Die ganze Welt tut so, als ob sie Gott ihn nennt,
Doch scheint mir auch der Mann ein Gott zu sein hienieden,
Gebührt ihm doch der Kranz des Lorbeers für den Frieden,
Des Friedens Komitee gab ihm den Lorbeerkranz:
O Völkerpräsident, vorbei der Waffentanz,
Vorbei der Wettbewerb der atomaren Bomben,
Vor denen kein Versteck uns hilft in Katakomben.
Versöhnt das Christentum wird nun mit dem Islam,
Muslime einen sich den Juden monogam.
Der Völkerpräsident, ein Wundermann hienieden,
Jerusalem zum Tost schenkt Israel den Frieden.
Arabien voll Glück wird frei von allem Krieg,
Vernunft behauptet nun des Friedens sanften Sieg.
Der Terror schon erlahmt, verbannt die Terroristen,
Das Christentum befreit von Fundamentalisten,
Die Welt in Hoffnung singt, den Wendebringer preist,
Freimaurerlogen schon lobpreisen seinen Geist,
Die ganze Welt entzückt vom großen Friedensbringer,
Ein jeder Staatsmann ist des Präsidenten Jünger.
Der Jugend macht er Mut: Auch ich war jung und wild,
Auch ich hab wüst getobt im irdischen Gefild,
Die fromme Tyrannei hat mich nicht lang belogen,
Ich hab es auch probiert, das schnelle Glück der Drogen.
Ich kenn der Jugend Lust und flüchtigschnelle Liebe,
Ich lieb der Jugend Lust, mir heilig sind die Triebe,
Das sexuelle Glück ist doch ein Menschenrecht,
Die Freie Liebe wird dem menschlichen Geschlecht
Die Freuden bringen, und die Erde wird voll Liebe!
Prinzessinnen der Lust verheißen Glück der Triebe,
Ich Völkerpräsident, ich diene ganz bewusst
All den Prinzessinnen der schrankenlosen Lust!
ADAM
Ja, Närrin, juble nur! Doch nur der Sohn Marias
Den Frieden schenkt der Welt, der göttliche Messias!
Freimaurerlogen dient der Völkerpräsident,
Verachten wird ihn nur, wer seinen Plan erkennt:
Er setzt den Mammon frei, die Kinder zu ermorden!
So siehst du, Satanas ist Herr von seinem Orden!
Der Völkerpräsident, die Spinne in dem Netz,
Brutalen Kindermord macht er zum Weltgesetz!
Das Volk von Afrika lässt er in Not verhungern
Und Kinder jammervoll auf ihrem Müllberg lungern,
Wenn sich nicht Afrika bekehrt von diesem Wahn,
Des Kindes Leben sei ein Glück nach Gottes Plan!
Das schwarze Afrika wird nicht sein Brot bekommen,
Wenn weiter Afrika ein Land ist voll von Frommen,
Wo Kinder ein Geschenk von Gott dem Schöpfer sind,
Wo Gottes Gabe ist und Liebesglück das Kind!
Er predigt Kindermord und macht es zum Gesetze,
Libellen fangen sich in seinem Spinnennetze.
Millionenfacher Mord an Kinderseelen wird
Aufschreien zu dem Herrn! Der Gute Hirte wird
Ausgießen seinen Zorn! Den Teufelspakt schließt Faustus,
Es will der Satanas den Kinder-Holocaustus!
Doch alle Kinder sind der Menschheit Zukunftsglück!
Wie göttlich liebevoll ist eines Kindes Blick!
EVA
Mein lieber Ehemann, wie laut wird deine Stimme
In deinem heißen Zorn, in deinem großen Grimme!
ADAM
O Maximilian, mein vielgeliebtes Kind,
O wehe, wüsstest du, wie schlimm die Sünder sind,
Wie schlimm die Frevler sind in ihres Vaters Orden,
Die Vater Satans Plan befolgen, Kinder morden!
Ein Menschenembryo hat Seele schon und Geist,
Du, lieber Embryo, schon von der Liebe weißt,
Du weißt schon, wer dich liebt, ob der Plazenta Futter
Dich schon mit Liebe speist erbarmungsvoller Mutter,
Ob deine Mutter sich auf dein Erscheinen freut,
Ob sie, von Satanas getäuscht, dich hasst schon heut,
Ob Lügenväter dich aus Vater Satans Orden
Bei deiner Zeugung schon im Schoße wollen morden!
Des Lebens Heiligkeit, des Kindes Heiligkeit
Zu schützen, ist Triumph des Herrn in Ewigkeit!
Was soll die Phrase mir vom großen Völkerfrieden,
Wenn kleine Kinderlein im Mutterschoß hienieden
Ermordet werden, weil der Präsident ein Faust,
Mit Satan schloß den Pakt zum Kinder-Holocaust!

ACHTE SZENE

(Georg und Maximilian und Simeon spielen im Garten. Adam und Eva sitzen lesend abseits auf
einer Gartenbank im Rosenhag.)

GEORG
Komm, Maximilian, komm her und sei mein Sklave!
So sprich: Ich bin dem Tod geweiht und grüß dich: Ave,
Mein Cäsar und mein Gott! Dann wirf dich vor mir hin!
MAXIMILIAN
Nein, danach steht mir nicht, mein Brüderlein, der Sinn.
GEORG
Doch ich befehl es dir! Und willst du mir nicht folgen,
So treffe dich der Blitz aus finstern Wetterwolken!
Dann trifft dich wie ein Blitz mein Wüten und mein Grimm,
Fürwahr, ich sage dir, dann geht’s dir wirklich schlimm!
MAXIMILIAN
Da lauf ich lieber weg und wähle andre Wege.
GEORG
Komm jetzt sofort hierher, sonst setzt es aber Schläge!
Sprich: Ave Cäsar, du mein Gott, den Sklavengruß,
Ich tret in dein Gesicht dir sonst mit meinem Fuß,
Ich schlage mit der Faust voll Kraft in deine Hoden
Und werf dich in den Staub und tret dich auf dem Boden!
MAXIMILIAN
Ich habe Angst, geh weg! Ich sag das Adam an!
GEORG
Wenn du das weiter sagst, dann wirst du nie ein Mann.
Du musst nicht altklug, Narr, wie alte Weise klügeln,
Ich werde jedenfalls dich unbedingt verprügeln!
Ich reiße dir das Haar aus deinem blonden Schopf
Und schlag mit meinem Kopf dann gegen deinen Kopf!
MAXIMILIAN
O Papa Adam mein! Der Georg will mich hauen!
Mein Papa, hilf mir doch, bei Unsrer Lieben Frauen!
ADAM
Still, Georg! Hör jetzt auf mit deiner wilden Wut!
Willst du, die Erde schreit von deines Bruders Blut?
GEORG
Gott Cäsar bin ich doch, er aber ist mein Sklave,
Ich prügle ihn zu Tod, ich schlachte ihn wie Schafe!
ADAM
In Jesu Namen! Sohn, hör auf mit diesem Bösen!
Der Name Jesu wird vom Bösen dich erlösen!
GEORG
Was hab ich denn getan? O Vater Adam mein,
Kannst du denn deinem Sohn, dem Georg noch verzeihn?
Ich bin doch auch dein Sohn und zähl mich zu den Deinen.
Ach, weinen muß ich sehr, muß heiße Tränen weinen!
ADAM
Dich lieb ich sehr, mein Sohn! Doch nicht den bösen Geist,
Der manchmal voller Zorn in deinen Gliedern reißt.
Dich, lieber Georg mein, von allen meinen Söhnen,
Dich nenn ich den Apoll, antikisch-griechisch Schönen.
EVA
Warum, mein lieber Mann, ist unser Kind brutal?
Warum entscheidet er sich so in freier Wahl?
ADAM
Dämonen gehen um auf dieser unsrer Erde,
Wie Wölfe voller Gier, sie reißen an der Herde.
Wie hilflos ist das Lamm vorm wilden Wolfe doch!
Die ganze Erde geht in Satans schwerem Joch!
Der Völkerpräsident, die Völker unterjochend,
Will kleine Kinder, sie im Blut der Mütter kochend,
Verschlingen, Moloch gleich, dem Gräuelgötzenbild.
Die Philosophen auch sind wie die Wölfe wild.
EVA
Die Philosophen, so? Was lehren Philosophen
In dieser unsrer Zeit? Ich frage wie die Zofen.
ADAM
Sie lehren einen Gott, der gut und böse ist,
Den Gott der Liebe nicht, den glaubt der wahre Christ.
Der gut und böse Gott, der schafft durch die Vernichtung,
Erschafft die Welt durch Mord, das ist nicht schlechte Dichtung.
Sie sagen, dass der Mensch zuvor ein Affe war,
Der seine Ahnen fraß, sie fraß mit Haut und Haar,
Und weil er fraß das Fleisch mit seinen Proteinen,
Zu denken er begann. So also wurde ihnen
Des Denkens Kraft zuteil durch ihren Vatermord.
Der Philosophen Witz lehrt nämlich dieses Wort:
Der Starke überlebt! Der Starke ist der Böse,
Der Starke überlebt durch seiner Bosheit Größe.
Drum Stärke gilt allein, es gilt allein die Macht.
Die Macht ist das Gesetz in dieser Denker Nacht.
Es gilt nicht Lammesart, wie bei des Landes Stillen,
Der Mensch will nichts als Macht mit dem brutalen Willen.
Es siegt allein der Mensch der unbegrenzten Kraft.
Nicht Liebe ist Gesetz, nein, wilde Leidenschaft.
Der Bestie wüste Gier, der aufgesperrte Rachen
Besiegt die Lammesart, jetzt gilt die Kraft des Drachen.
Der Mensch befreie sich vom göttlichen Gebot,
Der Gott der Liebe ist gescheitert! Gott ist tot!
Jetzt gilt der Neue Gott, der Gott der Macht und Stärke,
Vernichtung ist sein Ziel und Mord sind seine Werke.
So schafft der Gott der Macht den starken Übermann,
Das wilde Überweib, die wild sich paaren dann
Und zeugen dann in Lust die Übermenschenrasse!
Die Lammesart verdirbt, die Untermenschenklasse.
EVA
Wer ist der Untermensch, der unterlegen ist?
ADAM
Jehowahs Jude ists und es ist Christi Christ!

NEUNTE SZENE

(Georg kommt aus der Schule. Adam steht am Tor des Hauses und geht seinem Sohn mit offenen
Armen entgegen. Er nimmt ihn in die Arme.)

GEORG
O Vater Adam mein, wir müssen in der Schule
Ein Zeichen tragen nun, das Mal vom Beelzebule,
So denke ich, es ist das Zeichen Sechs Sechs Sechs!
ADAM
Sie lachen alle laut und brüllen: Sex Sex Sex!
GEORG
Was heißt dies Zeichen denn, was hat es zu bedeuten?
ADAM
Ich hörte früher oft von vielen frommen Leuten,
Sechshundertsechzig und noch sechs sei Neros Zahl.
Der Kaiser Nero war ein Kaiser Roms einmal
Und hielt sich selbst für Gott und ließ sich auch anbeten.
So war es schon dereinst im Freudengarten Eden,
Da Satan sprach zur Frau: Du selbst wirst Gottheit sein,
Gott ist nicht absolut und ewig, einig Ein,
Vielmehr der Mensch ist Gott, der Mensch an Stelle Gottes!
Ursünde nennt man dies und Inbegriff des Spottes.
Doch heute vielmals mehr als einst im Paradies
Die Welt der Sünder sagt genau gerade dies,
Die Sünder unsrer Welt die Schuld noch potenzieren
Und spielen Schöpfer selbst. Doch Satan wird verlieren!
Der Mensch vergöttert sich und hält sich selbst für Gott,
Will selber Töpfer sein und töpfern den Schamott,
Will selber Schöpfer sein und schaffen Lebewesen.
Das ist der Bestie Zahl, so sagen Exegesen.
GEORG
Wenn ich jedoch die Zahl nicht trage auf der Haut,
Darf ich zur Schule nicht. Ich hab es angeschaut
Bei einem Kind, das von der Schule ward verwiesen,
Weil es geglaubt an Gott, den Herrn von Paradiesen,
An Gott, den Schöpfergott, den schöpferischen Geist.
Verachtet wird ja jetzt, wer Gott als Schöpfer preist!
ADAM
Verachtung, Hohn und Spott, das sind der Sünder Waffen,
Der Gotteslästerer, die Söhne sinds des Affen.
Wir aber lieben Gott, den lieben Vater mild,
Der uns geschaffen hat als Gottes Ebenbild.
GEORG
Und nun das Sechs Sechs Sechs, was will das mir nun sagen?
ADAM
Ich will die Deutung jetzt auf diese Weise wagen:
Es werden kommen sechs, es werden leiden sechs,
Es werden dann bestraft vom Zorn des Lammes sechs.
GEORG
Sankt Michaelis Schwert soll Satans Macht verkürzen!
Er soll die Satansschar rasch in die Hölle stürzen!
ADAM
Erzengel Michael beschütze dich, mein Sohn!
Erzengel Michael, sei Georgs Schutzpatron!

(Eva tritt aus dem Haus)

EVA
Wer nicht des Biestes Zahl trägt, wer sich nicht lässt taufen
Auf dieses Biestes Zahl, der kann jetzt nichts mehr kaufen!
ADAM
Nun backe mir ein Brot und gib mir etwas Fleisch!
EVA
Ich habe nichts mehr da. O hilf uns, Jungfrau keusch!
ADAM
Ich betete zu Gott dem Vater um die Speise,
Gott sprach mir in mein Herz, der Ewige, Allweise:
Der Mehlkrug wird gefüllt an jedem Tage sein,
Du bitte nur ums Brot, so wird dein Gott allein
Dir Speise geben, Brot und Fleisch dazu als Nahrung.
Gedenke doch daran, wie in der Offenbarung
Elias sprach mit Gott und wie des Herrn Gebot
Ihm, dem Propheten, und der Sunemitin Brot
Gegeben jeden Tag und ihren Mehlkrug füllte,
Der Sunemitin und dem Sohn den Hunger stillte.
Schau, wie Elias einst zu Gott gebetet keusch
Und Raben brachten ihm alltäglich Brot und Fleisch.
So wird am Abend und an jedem neuen Morgen
Gott durch ein Wunder selbst auch dich und mich versorgen.
Sei ohne Sorge, Frau, in dieser Zeit der Not,
Den Vater bitte nur alltäglich um das Brot.
Nun in die Küche geh, das Brot wird dir geraten
Und in der Pfanne sollst du mir das Fleisch auch braten.
Dann mach ein leckres Mahl für dich, wie dirs gefällt,
Und unsern Söhnen auch, verachtet von der Welt,
Geliebt vom lieben Gott, den Hungernden, Betrübten
Bereite du ein Mahl, den von dem Herrn Geliebten!
EVA
Und speisen wir das Mahl, dann segne dein Gebet
Die Speise, die bei uns auf unserm Tische steht.
ADAM
Ja, immer soll des Herrn, des großen Gottes Segen
Heil über unser Brot und alle Speise fegen!
EVA
Mein lieber Jesus! Sei bei unsrer Mahlzeit Gast
Und segne uns das Mahl, das du gespendet hast!
ADAM
Und nach dem Mahl des Danks wir wollen uns nicht schämen:
O lieber Gott und Herr, wir wünschen teilzunehmen
Dereinst im Paradies in Christi Speisesaal
Als Gottes Kinder an des Lammes Hochzeitsmahl!

ZEHNTE SZENE

(Adam spielt mit Thomas im Garten. Im Gartentor flüstern Lili und Eva.)

LILI
Wo warst du heute Nacht? Du warst ja nicht zu Hause.
EVA
Beim Komödianten war, beim Clown ich in der Klause.
Er hatte viel Humor, war heiter und war nett,
So bin gelandet ich in eines Engels Bett,
Wo wir des Liebesspiels im Ehebruche pflagen.
LILI
Doch davon sollst du nichts dem Ehemanne sagen!
THOMAS
O lieber Adam mein, wir spielen Sternenkrieg!
Der Sternenkriegern wird zuletzt der große Sieg!
ADAM
Mein Thomas, weißt du, dass ich Kaiser bin von China?
Wie lacht der Morgenstern, die Stella Matutina,
Wie ging die Sonne auf, wenn ich es ihr gebot,
Wie folgsam folgte mir die Jungfrau Morgenrot,
Wie schön und jung sie war, wie ließ sie ihre Wimpern
Von rötlichblondem Haar an ihren Lidern klimpern!
THOMAS
Bist du nicht Kaiser mehr? Wo ist dein Kaiserthron?
ADAM
Die Bauern haben mich verjagt vom Thron, mein Sohn,
Mit Knüppel und mit Spieß verjagten mich die Bauern,
Ich muß als Himmelssohn in der Verbannung trauern.
THOMAS
Ich werde helfen dir, ja, meine Krieger gleich
Erobern dir zurück dein großes Kaiserreich!
ADAM
Die Grenze ist bewacht. Dort Bauer steht an Bauer
Und überwacht das Reich an Chinas großer Mauer.
THOMAS
Dann schleichen wir uns still und heimlich, leis und sacht
Im Schutz des Nebels durch die dunkle Mitternacht.
ADAM
Schon aufersteht mein Heer aus seinen Katakomben!
THOMAS
Und ich befrei dein Reich mit atomaren Bomben!
ADAM
Nur Tonsoldaten, Sohn, aus ihren Katakomben!
Ich bitte dich, sprich nicht von atomaren Bomben!

(Quintus kommt in heller Aufregung in den Garten gerannt.)

QUINTUS
O Mama, Mama mein! In diesem schlimmen Krieg
Gibt’s keinen Sieg, es gibt auf keiner Seite Sieg.
Nun Russland liegt im Krieg mit China in dem Osten,
Der vielen Seele doch das Leben noch wird kosten.
Das allerschlimmste doch, das jetzt geschehen ist,
Das glaubt keiner guter Mensch, das glaubt kein lieber Christ,
In Nordkorea fiel die atomare Bombe!
EVA
In Nordkorea fiel die atomare Bombe?
ADAM
In Nagasaki einst in Japan fiel sie auch,
Die Menschen starben hin von ihrem Todeshauch.
In einem Kirchlein nur ein Häuflein Jesuiten
War grad beim Rosenkranz. Schenk, Königin, uns Frieden!
Dieweil die Bombe tanzt den großen Todestanz,
Die Jesuiten flehn nur mit dem Rosenkranz,
Und Nagasaki ward zerstört und ward zu Trümmer,
Es starben Jahr um Jahr die Menschen, immer schlimmer,
Allein das Kirchlein blieb verschont, das Kirchlein schön,
Es blieb das Kirchlein heil und ganz erhalten stehn.
EVA
Sag bei des Todes Macht und seiner Schrecken Klarheit,
Ist, was du grad erzählt, die makellose Wahrheit?
ADAM
Als das Atomkraftwerk in Russland explodiert,
Der Todeswolke Gift sich durch das Land verliert
Und alles krank wird und viel Menschen aus dem Volke
Versterben an dem Gift der dunklen Todeswolke,
Ein Höhlenkloster blieb erhalten, heut noch steht
Das Höhlenkloster, da man betete Gebet
Und sang Maria Lob, die Mönche nicht erkrankten
Und Unsrer Lieben Frau allein das Wunder dankten.
EVA
So rettet uns auch jetzt nur Unsre Liebe Frau?
Wir Sünder wissen, dass wir Sünder sind, genau,
Nur Unsre Liebe Frau ist ohne jede Sünde!
ADAM
Gib deinen Segen uns, o Mutter mit dem Kinde!

ELFTE SZENE

(Dreitägige Finsternis. Eva und Adam flüstern im Dunkeln.)

EVA
Drei Tage währt nun schon die große Finsternis,
Ob Licht erneut erscheint, ist leider ungewiß.
Unheimlich ist es hier, ich höre ein Gemunkel
In dunkler Finsternis, von Augen ein Gefunkel,
Die Tiere herrschen nun, es herrscht in unserm Haus
Und in dem Schlafgemach die fette graue Maus
Und unterm Dache herrscht die alte fette Ratte,
Die Rättin triumphiert, die geil ist wie ihr Gatte,
Hoch oben auf dem Dach die alte Eule sitzt,
In tiefer Finsternis ihr graues Auge blitzt,
Vom Walde höre ich den Uhu auch, den Boten,
Der kündet Geister an der heimgegangnen Toten,
Vorm Hause aber laut die alte Eiche ächzt,
In ihrem Wipfel laut die schwarze Krähe krächzt,
Der Rabe auch stolziert und schlägt die schwarzen Flügel
Und durch den Efeu schlüpft zur Mitternacht der Igel.
ADAM
Das alles ist nicht schlimm. Bei Romas Obelisk!
Ich seh, das Auge blitzt, es blickt der Basilisk,
Sein Blick versteinert wie das Blicken der Meduse,
Wie blickt der Basilisk, so schaut nicht meine Muse,
Die schaut mit Taubenaug durch ihren keuschen Schleier,
Ich aber seh im Geist die Basilisken-Eier,
Dem Basilisken-Ei ein Basilisk entschlüpft,
Ein Flügeldrache auch durchs tiefe Dunkel hüpft,
Der Feuerdrache hat zu fauchen angefangen,
Ich seh in dunkler Nacht hier auch ein Nest von Schlangen,
Die Anaconda und die Boa würgen stark,
Der Skorpionenschwanz sticht Gift ins Knochenmark,
Pfeilschlangen richten sich blitzschnell in steile Höhe,
Die Strumpfbandnatter auch ich dich umwinden sehe,
Feldteufel lauern dort, die ich gesehen hab,
Die Bocksdämonen dort beim Götzenbild Priap,
Die Bocksdämonen sich vermählen ohne Zweifel
Mit Nachtgespenstern, mit Frau Lilith, dem Sie-Teufel,
Die Lilith-Teufelin hab ich zur Nacht geschaut,
Geliebte Luzifers, des alten Satans Braut,
Verführerin der Welt, die Kinder zu ermorden,
Die Weiber heute sind von Liliths Teufelsorden,
Die Lilith-Teufelin brüllt immer Sex Sex Sex,
Den Neuen Adam nennt sie ihren alten Ex,
Verführt die Weiber mit wollüstigen Versprechen,
Zu stiften Unheil und den Ehebund zu brechen.
Herr Jesus, Gott, du ewiger Ich-Bin,
Treib du aus dieser Welt die Lilith-Teufelin,
Die Lilith-Teufelin treib aus in Gottes Namen,
O Jesus Christus, o Herr Christus Jesus, Amen!

(Maximilian tritt fröhlich aus seinem Schlafzimmer)

MAXIMILIAN
O liebster Papa mein, du starker Lebensbaum,
Ich hatte diese Nacht solch einen schönen Traum,
Ich war alleine in der schönsten Gartenlaube,
Da aus dem Frühlingsgrün mich schaute an die Taube,
So sanft ihr Auge war, so liebevoll ihr Blick,
So voller Frieden und Erbarmen, dass voll Glück
Mein Herz ging auf und ich vernahm, fern allen Spottes,
Die Menschenstimme sanft der Friedenstaube Gottes:
Ich künde Frieden euch, ich Taube Elohims!
Die Engel sah ich da vom Tal Mahanajims,
In Händen hielten sie goldweiße Rosenkränze
Und tanzen froh im Lenz die schönsten Hochzeitstänze!
EVA
O schaut, ein Licht erscheint, ein junges Morgenrot,
Der neue Tag erscheint, die Finsternis ist tot,
Aurora kommt zurück, die Göttin Morgenröte,
Hyperion erscheint und Pan bläst seine Flöte,
Hyperion erscheint vom alten Götterstamm,
Die Sonne kommt, das Licht erscheint als Bräutigam,
O Wonne, welch Genuß, dies süße Licht zu kosten,
Es kommt der Bräutigam, es kommt das Licht von Osten!
ADAM
O Jesus, Licht der Welt, erleuchte uns dein Licht,
Laß leuchten über uns, o Herr, dein Angesicht!

(Lili tritt ein)

LILI
O meine Lieblingin und o du auch, mein Lieber,
Singt Halleluja Gott, der Krieg ist jetzt vorüber!
Der Kaiser Chinas hat zu Chinas höchstem Ruhm
Zu seiner Religion erklärt das Christentum!
Auch Russlands neuer Zar weiht Russland nun Maria
Und betet Christus an als Hagia Sophia!
Europas Völkerbund, die heilige Union,
Nimmt als Patrone an Maria mit dem Sohn,
Europas Fahne trägt das Bild der Unbefleckten,
Der höchsten himmlischen All-Schönheit, der Perfekten!
ADAM
Nie wieder mehr der Krieg, nie wieder mehr der Krieg!
Die Taube Elohims, sie brachte uns den Sieg!
Die Taube Elohims, sie segne uns hienieden!
Jetzt kommt der Friedefürst zum allgemeinen Frieden!
ZWÖLFTE SZENE

(Maximilian und Simeon spielen im Garten. Am Himmel erscheint für alle Welt sichtbar das Kreuz.
Dann erscheint auf einer Wolke die Jungfrau Maria mit dem göttlichen Jesuskind. Das göttliche
Jesuskind trägt eine Kaiserkrone und einen weißen Kaisermantel, weißer als Schnee. In der einen
Hand hält das Jesulein die Erdkugel mit einem Kreuz und in der anderen Hand sein Szepter.)

SIMEON
Ich habe große Angst, ich zittere vor Angst!
Sing, Maximilian, was du dem Vater sangst!
MAXIMILIAN
Beim lieben Jesulein! Gott lässt die Lieben sprießen
Und lässt die Bösen in der heißen Lava fließen!
JESUS
Geliebte Kinderlein! Ich segne euch in Gott,
Des Himmels Vatergott! Ich komme ohne Spott
Voll von Barmherzigkeit als euer lieber Heiland,
Ich war in Bethlehem Kind in der Krippe weiland
Und bin auch heut noch Kind, mein Vater ist mein Gott,
Und König bin ich auch, ja Kaiser ohne Spott,
In aller Einfachheit, ich bin der Fürst der Liebe.
Ihr lieben Kinderlein in diesem Weltgetriebe
Sollt auch wie Kinder sein, und euer Vater ist
Der liebe Vatergott, der niemals euch vergisst.
So hört nicht auf die Welt und auf ihr falsches Flüstern,
Hört nicht auf den Betrug, die Leute sind so lüstern,
Ihr sollt nur einfach sein, gerecht sei euer Herz,
Und eure Liebe schickt zum Vater himmelwärts
Und liebt auch Gottes Sohn, ich bins doch, Jesu Christe,
Heut komme ich zu euch. Schaut meiner Mutter Brüste!
Ich schenk euch meine Huld, die Gnade und die Gunst,
Ich kenne eure Not, ich kenne eure Kunst.
So betet, dass ich mich an eurem Beten freue,
Und haltet mir und auch der Lieben Frau die Treue.
Ich helfe euch, ich bin als euer Retter da,
Sagt ihr nur zu dem Herrn und seiner Mutter Ja!
Oft habt ihr große Angst, euch locken viele Reize,
Schaut immer nur zu mir und schaut zu meinem Kreuze
Und tragt auch euer Kreuz und ruft noch mehr zu mir,
Denn wenn ihr zu mir ruft, ich sag dann: Ich bin hier!
Ich bin der Heiland doch. Ihr Kinderlein auf Erden,
Ihr sollt nur Kinder sein, nur Gotteskinder werden,
Das ist der ganze Weg, des Vaters Kind zu sein,
Das ist das Ganze schon, so seid ihr ewig mein!
MAXIMILIAN
O süßes Jesulein, ich seh in deinem Blicke
In weiter Ferne schon des Paradieses Glücke!
Schon schwebt die Seele mir aus meinem Kerker-Leib,
Wie durch den Wirbelsturm ich in das Dunkel treib.
Was ich im Jenseits schon als reiner Geist gefunden,
Ist, tausend Jahre währt ein Augenblick von Stunden.
Ich sehe ein Gesicht, ich sehe im Gesicht
Mein ganzes Leben, seh, wo mir gelungen nicht
Der frommen Tugend Weg, wo Kinder ich gepeinigt,
Wo ich der Lüge mich, dem Diebstahl mich vereinigt.
Und Jesus, da bist du, unsichtbar die Person,
Doch spürbar bist du da, sanft deiner Stimme Ton,
Du sagst mir: Kindlein, dort du tatest nicht das Gute.
Voll Reue ist mir da zu Tränenflut zumute.
Dort eine Geisterschar will sehen mich bestraft,
Die andre Geisterschar, voll des Erbarmens Kraft,
Bedeutet mir, dass nichts dich, Jesus, so erfreue
Als voll Bedauern und Betrübnis meine Reue,
Das sei dir schon genug und nichts von Strafe mehr!
Da schweb ich in der Nacht, des Universums Meer,
Ich hänge ganz allein in bodenlosem Nichtsein,
Da seh ich einen Punkt voll wunderschönem Lichtschein,
Es zieht mich an der Punkt. Wie meine Seele reist
Nun näher diesem Punkt, gesellen Geist an Geist
Sich meiner Seele zu, ganz geistig ihre Leiber,
Doch schön, viel schöner selbst als allerschönste Weiber.
Wir reden Weisheit nur, der Menschheit Wissensschatz
Wird denkend ausgetauscht mit einem bloßen Satz.
Das Licht kommt näher und ich gehe in den Lichtschein
Mit meiner Seele ein, ich tauche in das Licht ein.
Ja, jetzt bin ich in Gott! Ich bin total geliebt!
In Gottes Innerem es nichts als reine Liebe gibt!
So große Liebe gab es niemals auf der Erde
Und immer größer dort die Geisterliebe werde!
Und alles ist so schön, das sagt kein Menschenmund!
Ja, alles ist ganz weiß und alles ist ganz bunt!
Ja, alles ist ganz still und alles voll von Tönen
Und ich bin auch ein Ton in dieser wunderschönen
Musik des Himmels! Ach, mein Reden ist ein Spott!
Die Liebe ists allein! Die LIEBE ist mein Gott!

COLOMBINES HOCHZEIT

ERSTE SZENE

(Colombine, ihr Lebensgefährte Harlekin und ihr Hausfreund Pierrot)

COLOMBINE
Ich lieb den David und den Alexander,
Die beiden sind ja Forcen miteinander.
HARLEKIN
Ich bin doch der Gefährte deines Lebens.
PIERROT
Du, Harlekin, bist Colombines Freund,
Geliebt als der Gefährte ihres Lebens,
Ich aber bin ihr armer Minnesklave,
Sie ist mir Engel, Muse und Madonna!
COLOMBINE
Pierrot, du kannst so herrlich Süßholz raspeln!
PIERROT
Ach Colombine, ach, wie lieb ich dich!
HARLEKIN
Wie? Meine Colombine willst du lieben?
COLOMBINE
Ach Harlekin, mach dir nur keine Sorgen,
Pierrot liebt mich rein geistlich und platonisch.
HARLEKIN
Aha? Platonisch liebt er dich und musisch?
COLOMBINE
Pierrot, Pierrot, ich aber lieb dich nicht,
Ich lieb dich nicht, ich lieb dich nicht, Pierrot!
PIERROT
Man soll mich nicht durch Gegenliebe stören...
HARLEKIN
Und liebst du mich, geliebte Colombine?
COLOMBINE
Am Anfang war ich sehr in dich verliebt,
Du ähnelst meinem Vater, als er jung war,
Doch weiß ich nicht: Ob ich dich jetzt noch liebe?
PIERROT
Du liebe Gott, den Nächsten wie dich selbst –
Ach lass mich bitte deinen Nächsten sein!
Hast du mich nicht ein kleines bisschen lieb?
COLOMBINE
Du kannst so nette Sachen sagen, Freund,
Ich hab dich gern, ja auch ein wenig lieb.
Vor allem aber liebe ich mich selber!
Wenn ich mich selber nur genügend liebe,
Hab ich das göttliche Gebot erfüllt.
Wenn ich mich selber lieben kann von Herzen,
Dann kann ich auch die ganze Menschheit lieben!
PIERROT
Ich aber liebe dich, o Colombine!
COLOMBINE
Pierrot, ich liebe ja die ganze Menschheit!

ZWEITE SZENE

(Harlekin am Bett des sterbenden Pantalone)

PANTALONE
Ich sterbe nun. Doch gibt es keinen Gott!
Gott ist ein Märchen nur aus alten Büchern!
Mein Vater ist gestorben in dem Krieg
Und meine Mutter starb, als ich noch Kind war.
Wenn Gott ist gut und dazu noch allmächtig,
Warum dann musste ich als Kind so leiden?
Vielleicht ist Gott nicht gut und schafft das Leid?
Vielleicht ist machtlos Gott, dem Leid zu wehren?
Ich fand auf dieser Erde, dass das Geld
Die Wünsche alle dir erfüllen kann.
Der Pastor sagte: Lern den Glauben kennen,
Ich aber wollte nichts vom Glauben wissen.
Ich hörte: Wenn du gehst zur Jugendkirche,
Die Paten schenken dir Geschenke dann.
So ging ich also zu der Jugendkirche,
Als grad der Unterricht vorüber war.
Der Pastor drückte beide Augen zu
Und nannte mich doch einen Christenmenschen.
Da habe ich Geschenke um Geschenke
Bekommen und – trat aus der Kirche aus.
Das Geld allein ist wirklich Glücklichmacher!
Mein Harlekin, mit einem Fuß im Grabe,
Verkünd ich dir die Lehre wahrer Liebe:
Wenn du ein Mädchen wirklich lieben willst,
Dann teile deinen Geldbesitz mit ihr!
Wenn du dein Geld für dich allein behältst,
Dann fühlt die Frau sich nicht von dir geliebt.
Doch wenn du teilst dein Eigentum an Geld,
Dann spürt sie: Du liebst sie von ganzem Herzen!
HARLEKIN
Ich geh zur Arbeit ja den ganzen Tag
Und bring allein das Geld in unsern Haushalt.
Die Freundin soll zuhause Ordnung schaffen,
Soll Essen kochen und den Garten pflegen,
Wenn sie sich langweilt, soll sie plaudern doch
Mit diesem närrischen Pierrot von Gott.
Mein Geld jedoch behalt ich für mich selber,
Ich muß mir meine Drogen doch beschaffen.
PANTALONE
Und rede nicht so viel mit deiner Frau!
Die Frauen lieben allzu sehr das Plaudern,
Du aber rede nur mit deiner Flasche!
Wenn deine Frau sich unterhalten will,
So soll sie doch mit den Kaninchen reden!...
(Pantalone stirbt)
HARLEKIN
Ein Vorbild er an väterlicher Strenge!
Warum muss sterben doch ein solcher Vater?
Unsterblich müsst er sein, das wär gerecht!

DRITTE SZENE
(Dottore Grazioso und Pierrot)

DOTTORE GRAZIOSO
Ich möchte dich nicht überfallen mit
Dem vollen Redeschwall des alten Mannes,
Was doch die Ritter von dem Kreuze taten,
Wie Richard Löwenherz gewütet hat
Und wie so weise Saladin gewesen,
Dem Richard Löwenherz in Sherwood Forest
Ist treu geblieben einzig Robin Hood.
Die Weltgeschichte schrieb mir ein Professor,
Wie sie erlebt ward von den armen Leuten.
Denn in den Büchern der Geschichte sonst
Stehn nur die Meinungen der Herrschenden.
Reiß aber aus den Büchern der Geschichte
Nur jedes Blatt, drauf Lüge steht geschrieben!
Doch Neunzehnhundertachtundsechzig stand
Ich in Paris auch auf den Barrikaden!
Wenn jetzt die kleinen Enkel zu mir kommen,
Versohl ich ihnen tüchtig ihren Hintern!
Doch ich vergesse nicht, wie du gepredigt
Als Freigeist hattest über Buddhas Weisheit,
Erinnerst du dich? Oder war es doch
Der weise Lao Tse auf seinem Büffel?
Ich bete jeden Abend zu dem Büffel,
Daß er in dieser Finsternis der Endzeit
Mich trage einen Weg in bessre Zeiten.
PIERROT
Es kommt das Reich des Friedens des Messias!
DOTTORE GRAZIOSO
Ob unsre Wege sich noch einmal kreuzen?
Du weißt jedoch, wo du mich finden kannst:
Ich wohne auf dem Zwillingssternbild Kastor.
PIERROT
Ich bin zuhause auf dem Pollux-Stern.
Doch sind die Zwillinge stets nah beisammen.
DOTTORE GRAZIOSO
Ob du geboren auch am Arsch der Welt,
Da sind geboren doch auch große Denker,
Die dem gemeinen Pöbel weit voraus!
PIERROT
Dottore, dich zu sprechen, welche Freude!
DOTTORE GRAZIOSO
Dank allen Egoisten, die mich plagten,
Sie lehrten mich die Feindesliebe üben!
Dank allen Satanisten, die mir fluchten,
Sie lehrten mich, den Herrn noch mehr zu lieben!
Dank allen, die mich ganz allein gelassen,
Sie lehrten mich die Freiheit, die der Geist schenkt!
Vor allem aber Dank den schönen Seelen,
Die mich so lieben, wie ich bin, denn sie
Beschenken mich mit Lebenskraft und Hoffnung!
VIERTE SZENE

(Pierrot geht bei Don Juan und Eros in die Schule, die Sprache der Liebe zu lernen)

PIERROT
O Don Juan, wie spricht man von der Liebe?
DON JUAN
Im Süden sind die Frauen Huris gleich,
Geheimnisvoll die schöngeformten Augen,
Stets enggebaute Jungfraun noch im Alter,
Mit vierzig Jahren schwarz noch ihre Haare,
Schön wie die Frauen sie des Paradieses!
PIERROT
Hast du erkannt die ideale Traumfrau?
DON JUAN
Ich liebte Julia auf dem Balkon
Und Haidi liebte ich an Zyperns Strand,
Mit Dudu lag im Harem ich im Bett,
Die Zarin Katharina liebte ich,
Die große Hure, welche Friedrich plagte,
Aurora liebte ich im kühlen England.
Doch als ich dann Elvira sah, da starb ich,
Der steinerne Komtur hat mich ermordet!
Die große Liebe meines Lebens ist
Die Frau, die Todesschmerzen mir geschenkt!
PIERROT
Ja, meine Mörderin ist Colombine!
EROS
Ist Colombine deine schöne Psyche?
PIERROT
Ich habe keine eigne Psyche mehr,
Denn meine Psyche, das ist Colombine.
EROS
Gott Eros redet wie ein Therapeut:
Ist sie dir die blauäugichte Athene,
Ist sie dir Hera mit den Lilienarmen,
Ist sie die Aphrodite deines Blutes?
PIERROT
Wenn Colombine wandelt, wandelt sie
Schön wie die Himmelskönigin im Himmel,
Wenn Colombine redet, redet sie
Geheimnisvoll und mystisch wie Frau Weisheit,
Wenn Colombine lächelt, lächelt sie
Voll Charme und Zauber wie die Schöne Liebe!
EROS
Wenn du nun deine Colombine liebst,
Ist Unsre Liebe Frau dann eifersüchtig?
PIERROT
Was kann Frau Weisheit denn dafür, dass sie
So ähnlich ist der Liebe meines Lebens?
FÜNFTE SZENE

(Colombine zieht aus dem gemeinsamen Haus aus, da sie sich eben mal kurz von Harlekin trennt.
Pierrot schleppt ihre kaputten antiken Möbel und ein wurmstichiges antikes Klavier hinter seiner
Herrin her.)

COLOMBINE
Mein Harlekin, mein schlimmer Harlekin!
Du bist genauso wie mein alter Vater,
Du siehst auch aus, wie einst mein Vater aussah,
Als er noch jung war und ich war sein Kind,
Da strengte ich mich an, um seine Liebe
Mir zu verdienen, aber ach, vergeblich!
Nun hab ich lange strebend mich bemüht,
Auch deine Liebe zu verdienen, aber
Du bist genauso wie mein Vater – lieblos!
HARLEKIN
Was für ein psychologisches Geschwätz!
Wenn du nur in der Küche fleißig wärst
Und jeden Tag die alten Teller spültest
Und meine Kaffeebecher sauber wüschest
Und wenn du dann den Boden fegen würdest
Im Wohnraum, fegen alle Essenskrümel,
Dann könnte ich dich lieben auch von Herzen.
Du aber sitzest Tag für Tag beim Tee
Mit deinem Hausgalan Pierrot und plauderst!
Schau dir doch nur das Schlafgemach mal an,
Wie dort sich große Wäscheberge sammeln
Und Bücher stapeln sich in allen Ecken
Und überall Papiere liegen da
Mit Liebesdichtung von Poet Pierrot
Und Essenskrümel liegen unterm Bett,
Wo Mäuse sich zum Abendmahl versammeln.
Pierrot kann schwatzen viel von Liebeskunst,
Altindisch, altchinesisch, doch Pierrot
Muß auch nicht unter deiner Decke liegen,
Die Monde lang nicht mehr gewaschen wurde.
COLOMBINE
Ich gründe meinen eignen Haushalt jetzt.
Mein Freund Pierrot, du hilfst mir bei der Arbeit?
PIERROT
Ich bin ganz dein, bin dein geringster Sklave!
COLOMBINE
Ach, nie mehr wird ein schöner Mann mich lieben!
Ich sterb als alte Jungfer Trockenpflaume!
PIERROT
Die Männer aller Völker reißen sich
Darum, dich Supergöttin zu beglücken!
COLOMBINE
Mein Freund, du sagst so nette Sachen immer.
SECHSTE SZENE

(Colombine und Pierrot renovieren Colombines neue Wohnung, die Sterbewohnung der frommen
Großmutter Kolumbina.)

PIERROT
Den Pinsel tauch ich in den Farbentopf.
COLOMBINE
Vom Pinsel tropft die weiße Farbe ab.
PIERROT
Wie du geschickt den harten Hammer hältst!
COLOMBINE
Der Hammer liegt sehr gut in meiner Hand.
PIERROT
Ich sehe schon, du bist geschickt im Nageln.
COLOMBINE
Reichst du die Latte bitte zu mir hoch?
PIERROT
Ist kein Problem! Empfange du die Latte!
COLOMBINE
Kriegst du die Latte hoch? Ich helfe dir.
PIERROT
Im Oberstübchen ist mein Schlafgemach.
COLOMBINE
Mein Himmelsbett verschleire ich mit Schleiern.
PIERROT
Wenn ich in deinem Haus mal schlafen dürfte!
COLOMBINE
Du hast zu tief geschaut wohl in den Becher?
PIERROT
Ein Becher ist dein Becken voller Rauschtrank!
COLOMBINE
Das geht mir doch zu weit! Mein lieber Freund!

(Sie schweigen eine Zeit peinlich verlegen)

PIERROT
Ich hör in meinem Kopfe deine Stimme.
COLOMBINE
Was sagt in deinem Kopfe meine Stimme?
PIERROT
Ich höre deine Stimme immer seufzen:
Ach Harlekin, ach liebster Harlekin!
COLOMBINE
Ich dachte eben auch an Harlekin,
Ich dachte, und es seufzte meine Seele:
Ach Harlekin, ach liebster Harlekin!
PIERROT
Verwandt sind unsre Seelen, dass ich deine
Gedanken lese wie ein offnes Buch.
COLOMBINE
Du kannst nun gehn. Wir machen morgen weiter.

SIEBENTE SZENE

(Weihnachten. Weihnachtlich geschmückte Stube. Colombine ist zu Harlekin zurückgekehrt. Pierrot


kommt als Hausfreund zu Besuch.)

PIERROT
O Colombine, o mein Colombinchen
Ich habe soviel zärtliche Gefühle
Für deine schöne Seele, meine Freundin!
Mir scheint gemütlich diese Weihnachtsstube
Der Stall von Bethlehem und du Madonna!
COLOMBINE
Mein Harlekin, du wunderschöner Mann,
Dein Körper ist wie eine Marmorsäule,
Du stehst erhaben auf dem goldnen Sockel,
Dein Kopf ist gelbes Gold, ganz rein geläutert,
Dein Lockenhaar ist schwarz wie Rabenfedern.
PIERROT
Mein honigsüßes Colombinchen, du
Bist meine vielgeliebte Turteltaube!
Ich kenne viele Närrinnen auf Erden,
Die Corallina und die Smeraldina,
Du aber bist die allerschönste Närrin!
Du bist die auserwählte Zofe Gottes!
COLOMBINE
Mein Harlekin, du Mann nach Gottes Herzen,
Wie männlich bist du und wie riechst du männlich,
Auch bist du gut rasiert und parfümiert,
Hier ist das männliche Parfüm Tabak,
So mag ich deinen männlichen Geruch.
PIERROT
O Colombine, meine Weihnachtstanne,
Behangen mit Rosinen und mit Feigen,
Ich möchte plündern diese Weihnachtstanne!
Ach, wickle du dich in Geschenkpapier
Und schenk dich mir zu eigen diese Weihnacht!
Bestreichen will ich dich mit Schokolade
Und dann genüsslich dich vernaschen, Süße!
COLOMBINE
Mein Harlekin, du bist mein Weihnachtsmann,
Ich zieh dir deinen roten Mantel aus,
Wie gut bist du gebaut, perfekt genormt,
Heut nacht vernasche ich den Weihnachtsmann,
Den süßen Schokoladenweihnachtsmann!
PIERROT
Ach, Colombine, ach! Du siehst mich nicht!

(Pierrot ab wie ein fortgejagter Straßenköter)


COLOMBINE
Mein Gott, mein Gott, mein lieber Harlekin,
Wie schön ist es, mit dir allein zu sein!

ACHTE SZENE

(Pierrot trifft am zweiten Weihnachtstag die Schöne Dame oben unter ihrem Dach im Oberstübchen.
Sechzehnjährige Schönheit! Leicht bekleidet! Viel nackte Haut!)

PIERROT
Verschleire dich, du junge schöne Dame,
Denn sonst erwacht in mir die Fleischeslust!

(Die Dame verhüllt ihre bloßen Schultern und Arme, aber der Ansatz ihrer festen Brüstchen bleibt
offenbar)

SCHÖNE DAME
Im humanistischen Gymnasium
Hab Solomon und Platon ich gelesen.
PIERROT
So sag mir, Schöne Dame, was ist Liebe?
SCHÖNE DAME
Gott ist die Liebe und der Mensch ist Liebe!
Die Liebe Gottes ist ein Mensch geworden!
Wenn ein Verliebter seine Liebste schaut,
So schaut er Gottes Liebe an im Gleichnis,
Er schaut, er betet seine Liebste an,
Doch betet er nicht die Geliebte an,
Er betet an die Schöne Liebe Gottes!
Gewissermaßen scheint ihm die Geliebte
Inkarnation der Schönen Liebe Gottes!
So sagen Hindus von der Heiligen:
Sie ist Inkarnation der Liebe Gottes!
Genauso redet aber der Verliebte:
Geliebte, du bist Gottheit, Mensch geworden!
Und Jesus Christus ist nicht eifersüchtig,
Wenn der Verliebte die Geliebte preist
Als seine Retterin und seine Göttin,
Sein Seelenheil und Paradiesesgarten,
Wenn er vergleicht die Lieblingin mit Christus
Und seine Vielgeliebte Christa nennt.
Er betet ja allein die Liebe an,
Die schöpferische Liebe ruft er an,
Frau Liebe nennt er seine höchste Herrin!
Frau Liebe, seine allerhöchste Gottheit,
Sieht aber ganz aus wie die Vielgeliebte!
PIERROT
Frau Liebe sah ich auch auf einem Bild,
Doch Colombine ist noch vielmals schöner!
SCHÖNE DAME
Weil jedes Bild, das je ein Maler malte,
Nicht schön wie die Lebendige Ikone
Der Gottheit Liebe! Aber du kannst sagen:
Ich habe Gottes Schönheit schon geschaut!

NEUNTE SZENE

(Colombine bedroht den Harlekin mit chinesischer Kampfkunst)

COLOMBINE
Wenn du mich nun nicht endlich nimmst zur Frau,
Dann prügle ich dich windelweich, du Narr!
HARLEKIN
Ach, jeder spricht von der Gewalt der Männer
Zuhause, wie sie ihre Frauen schlagen,
Ich werde doch von meinem Weib verprügelt!
Die häusliche Gewalt der Frauen ist
Erschreckend! Komm ich nachts nach Hause, steht
Schon Colombine mit dem Nudelholz
Am Tor und wartet, mich zu Tod zu prügeln!
Und warum lernst du jetzo Chinas Kampfkunst?
Um deinen armen Harlekin zu treten!
COLOMBINE
Dein Psycho-Terror ist noch vielmals schlimmer!
Wenn ich mit meiner Faust auf deinen Brustkorb
Dir schlag, so nur, weil ich dein Herz begehre,
Ich will dich zwingen: Liebe mich doch endlich!
Sag endlich Ja zu mir und feire Hochzeit!
HARLEKIN
Nun gut! Ich sprach mit dem Finanzbeamten.
Wenn wir in Wilder Ehe weiter leben,
So fällt die Steuer nicht so günstig aus.
Doch schließen rechtlich wir den Ehebund,
So gibt es einen großen Steuervorteil.
Ich hab das einmal richtig durchgerechnet.
Selbst wenn wir eine Hochzeitsfeier machen,
Die etwa tausend Taler kosten sollte,
Genügend Bier für alle unsre Narren,
So holen wir die Kosten wieder ein
In einem Jahr, was wir an Steuern sparen.
COLOMBINE
So nimmst du endlich mich zur Ehefrau?
HARLEKIN
Das wird ein überströmendes Besäufnis!
COLOMBINE
Und ich im roten Kleidchen in Venedig
Mit dir in einer schwarzen Schwanengondel
Fahr unterm Bogenjoch der Seufzerbrücke
Und lass die Haare flattern in dem Winde
Und dann im Dom San Marco feiern wir
Die Eheschließung mit dem Segen Gottes?
HARLEKIN
Es reicht das bürgerliche Standesamt.
Das ist genug, um Steuern einzusparen.
Es lohnt sich also: Werde du mein Weib!
COLOMBINE
Ich will! Bis dass uns scheidet unsre Scheidung!

HERMANN UND THUSNELDA

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(Heiligenkirchen im Teutoburger Wald. Hermann und Klopstock.)

HERMANN
Ich ruf euch, alte Götter der Teutonen,
Dich, Bragi, dass du meine Telyn stimmst,
Iduna, dich, dass du mich inspirierst,
Iduna, makellose Jugendgöttin
Mit deinen Äpfeln der Unsterblichkeit,
Laß mich hinein in deinen Apfelgarten,
Ins Apfelgartenparadies des Himmels!
Dich ruf ich auch, du immerschöne Nanna,
Du jugendliche sanfte Wanengöttin,
Die du dem Baldur ewig Treue schworst
Und bist gefolgt ihm in den Feuertod,
Doch nach der großen Götterdämmerung,
Wenn alle Asengötter der Germanen
Den Tod gestorben sind und sind dahin,
Dann werden auf des Himmels Idafeld
Zwei Throne stehen, Baldurs Thron und Nannas.
Dich ruf ich auch, du Freundschaftsgöttin Hlyn,
Laß mich dein Freund sein, Freundschaftsgöttin Hlyn,
Du sanfte Freundin Unsrer Lieben Frouwe!
KLOPSTOCK
Heil, Hermann von Walhalla, Friede, Friede!
Ich weihe deine Seele, mein Teutone,
Der Lieben Frouwe, Unsrer Lieben Frouwe!
Komm, Unsre Liebe Frouwe, komm von Folkwang!
Die Barden nennen diese Externsteine
Dein Folkwang, Unsre Liebe Süße Frouwe!
Ich kniete in dem Teutoburger Walde
Am Quell des Jordanstroms, trank von der Quelle,
Der Quell entsprungen von des Rosses Hufschlag,
Ich trink und singe in Begeisterung:
Mein Deutschland, ein Jahrhundert war des Krieges,
Da herrschte nur das Schwertrecht. Krieg ist Gräuel!
O Deutschland, spricht die Stimme der Vernunft,
Dann höre auf die Stimme der Vernunft!
Als Barde Deutschlands stimm ich die Telyn
Und weih mein Vaterland der Göttin Freyheit!
O Freyheit, erstgeborne Tochter Gottes,
Komm du mit deinen beiden Himmelsschwestern,
Der Göttin Freude und der Göttin Friede!
O Göttin Freude, Tochter aus Walhalla,
Wir treten liebestrunken in dein Folkwang!
O Göttin Friede, segne unser Deutschland,
O Göttin Friede, und die ganze Welt!

ZWEITE SZENE

(Im Teutoburger Wald. Mai. Hermann liegt auf einer grünen Aue und schläft. Er erwacht, als ein
Hirsch röhrt. Zwei Rehkitzzwillinge stehen neben ihm.)

HERMANN
Ich hör die makellose Göttin Frouwe,
Wie süß tönt ihre Stimme in der Luft:
Entfliehe, Liebling, vielgeliebter Freund,
Sei wie ein edler Hirsch auf Scheidebergen!
O Frouwe, makellose Liebesgöttin,
Jetzt bin ich auferwacht vom Schlaf, vom Röhren
Des Hirsches bin ich auferwacht vom Schlaf
Und sehe, siehe, was ich sehe, ist
Ein Rehkitzzwillingspaar, das lustig hüpft
Und weidet in der weißen Lilienaue.
O Frouwe, makellose Liebesgöttin,
So hüpfen deine makellosen Brüste!
Sie hüpfen wie ein Rehkitzzwillingspaar
In weißen Lilien deines weißen Leibes!

(Aus dem Wald tritt der Hirsch mit einem großen Geweih. Er nähert sich Hermann. Im Geweih ist
ein strahlendes Kreuz und an dem strahlenden Kreuz ein blutüberströmter Christus.)

CHRISTUS
Mein lieber Sohn, ich sterbe deinen Tod,
Auf dass du lebst mein Leben als ein Gottmensch!
HERMANN
Mein Heliand, du Allvaters Heldensohn,
Mein Heliand, du bist mein großer Gottheld,
Mein Ewigvater und mein Friedefürst!
Ich bitte dich fürs ganze große Deutschland,
Erbarme du dich aller Kinder Manas,
Teuts Kinder weih ich dir, die Bajowaren,
Sueven, Alemannen und Teutonen,
Die freien Friesen und die wilden Sachsen,
Die Preußen und die Deutschen in dem Osten,
Sei du der Heliand des deutschen Volkes,
O Ewigvater, Gottheld, Friedefürst!
CHRISTUS
Soll ich der König sein des deutschen Volkes,
So will ich auch, dass meine Jungfraumutter
Die Königin des deutschen Volkes sei!

(Der Hirsch verschwindet wieder im Teutoburger Wald.)

DRITTE SZENE

(Zwischen Herford und Heiligenkirchen. Ein Hügel, unten weiße Rosen, eine steile Treppe.
Hermann steigt hinan.)

HERMANN
Aus einem weißen Meer von weißen Rosen
Der Keuschheit und Jungfräulichkeit erhebt
Sich eine Himmelstreppe in den Himmel.
Ich will den Himmel nach dem Wege fragen,
Doch bin ich nicht bewandert im Gebet,
Ich war zu lang ein Heide und ich weiß
Orakel der Magie allein zu fragen.
Wen seh ich doch auf dieser Treppe kämpfen?

(Faust erscheint, im Todeskampf befindlich.)

FAUST
Die letzte Stunde, meine Todesstunde
Hört meine Stimme: Reine Jugendliebe,
Erbarme dich und bitt für meine Seele!
O bei den weißen Margariten drunten
Beschwör ich dich, geliebtes Margarethchen,
Und bei den goldnen Flechten deiner Zöpfe,
Erbarm dich über meine arme Seele
Und salbe mich in meiner Todesstunde
Mit Myrrhe, mit dem Öl zerriebner Myrrhe,
Mit Aspalath und Tragakant, vor allem
Mit Onych, das ich über alles liebe!
HERMANN
O Faust, wen siehst du in der Todesstunde?
FAUST
Ich seh fürwahr Maria Magdalena,
Doch nicht als Büßerin am Fuß des Kreuzes,
Ich sehe sie in goldner Lockenflut,
Die ihren bloßen weißen Leib verschleiert,
Im Paradies auf einem Himmelsbette
Als eine Buhlerin und Vielgeliebte,
Die in dem Paradiese auf mich wartet!
Auch die ägyptische Maria wartet,
Mit nichts bekleidet als mit schwarzer Haarflut!
Sankt Thais wartet in dem Paradies,
Mich in dem Garten Eden zu beglücken!
HERMANN
Du Schlangenbrut, wie willst denn du entgehen
Der ewigen Verdammnis im Gericht?
FAUST
Ich rufe an in meiner Todesstunde
Maria als die Königin der Hölle!
HERMANN
Schau ich vom Gipfel auf die Erde nieder,
So sehe ich auf Erden eine Hochzeit.
Die weißen Pferde ziehen eine Kutsche,
Die Braut im weißen Kleid und weißen Schleier
Verheißt auch mir Erfüllung meiner Wünsche.
Ich nehme das Orakel Gottes an.

VIERTE SZENE

(Heiligenkirchen im Teutoburger Wald. Nacht. Thusnelda im langen weißen Kleid. Lange


kastanienbraune Locken fallen ihr auf die Schultern. Über ihrem Haupt wie ein Heiligenschein der
Vollmond. Hermann steht vor ihr, vor Liebe zitternd.)

THUSNELDA
Was willst du hier im Teutoburger Walde?
HERMANN
Ich will noch Einmal deine Augen sehen!
Vor sieben Jahren sah ich deine Augen,
Da deine Augen sahen in die meinen,
Da meinte ich, am hohen Himmel leuchten
Zwei Monde, eine Doppelgalaxie.
Da haben deine Augen mich gebannt
Mit ihrer weißen Milch der Galaxie,
Daß ich von jenem Augenblicke an
In alle Ewigkeit dein Sklave bin.
Ich brauche deine Liebe, o Thusnelda,
Und wer gebraucht wird, der ist nicht mehr frei.
THUSNELDA
Ich freue mich an deiner treuen Liebe.
Wenn du dein Herz gehängt an einen Menschen,
Dann ist dein Herz auch treu in weiter Ferne
Und über viele lange Jahre hin.
Das finde ich bewundernswürdig, Freund.
HERMANN
Wo warst du nur so lange, o Thusnelda?
THUSNELDA
Ich war in Rom beim großen Cäsar Roms.
HERMANN
Doch nun bist du im Teutoburger Wald,
Nun sehe ich in dir die Seele Deutschlands.
Ich träumte all die Jahre stets von dir
Und immer schienst du mir in meinen Träumen
Die reinste Himmelskönigin zu sein,
Die makellose Jungfrau der Teutonen.
THUSNELDA
Ich glaube, du liebst nicht Thusnelda wirklich,
Thusnelda von dem Teutoburger Walde,
Du liebst die Traumfrau nur, von der du träumst,
Die makellose Himmelskönigin!
HERMANN
Doch eben diese steht ja jetzt vor mir!
So bitt ich dich, o Himmelskönigin,
Du Heilige vom Teutoburger Walde,
Umarme mich und drück mich an dein Herz!

(Thusnelda umarmt Hermann, sie ruhen einen seligen Augenblick in dieser Liebe, Herz an Herz,
wie verschmolzen.)

THUSNELDA
So? Morgen sehen wir uns wieder, Lieber.

FÜNFTE SZENE

(Herford im Teutoburger Walde. Ein Bettler.)

BETTLER
Wir alle sind doch Bettler vor dem Herrn,
Wir betteln alle um das Brot des Tages,
Wenn wir lateinisch Paternoster beten.
Wir alle sind doch Bettler um die Liebe!
Die Menschenseelen aber, hart und steinern,
Sie lassen uns verhungern ohne Liebe!

(Ein junges wunderschönes Mädchen im langen weißen Gewand erscheint. Kastanienbraune


Locken quillen aus ihrem weißen Schleier. Ihr Antlitz ist süß und voller Glanz und ihr lächeln
überaus charmant.)

Wer bist du, o du wunderschönes Mädchen?


MARIA
Die heilige Maria von dem Walde!
BETTLER
O heilige Maria von dem Walde,
Bist du vielleicht die Himmelskönigin?
MARIA
Ich bins! Mein vielgeliebter Bettler Thorstein,
Du brauchst nicht länger mehr um Liebe betteln,
Die Allerheiligste Dreifaltigkeit
Strömt ihre Schöne Liebe in dein Herz!
BETTLER
Das glaubt mir keiner, dass du mir erscheinst!
MARIA
Stell du an diesem Ort ein Holzkreuz auf.
Denn über jenen schreckenvollen Sund,
Der Gottes Land vom Menschenlande trennt,
Hat unser Herr das Kreuz gelegt als Brücke,
Das Kreuz geworden ist der Weg zu Gott.
Geliebter Thorstein, trag auch du dein Kreuz
Und geh mit Jesus Christus deinen Kreuzweg!
Sag allen Schwestern auch, die beten wollen,
Daß ich von ihnen wahre Umkehr will,
Die Abkehr von dem Wege ohne Gott,
Die Umkehr zu dem Leben mit dem Herrn.
Sie sollen meditieren, sollen beten.
BETTLER
O heilige Maria von dem Walde,
Ob meine Schwestern mir das glauben werden,
Daß du durch mich zu ihnen sprechen willst?
MARIA
Wenn du das Kreuz erhöhst an dieser Stelle,
Wird überm Kreuz erscheinen eine Taube,
Die Taube wird es sein der Schönen Liebe!
Bald, o mein Liebling, wirst du bei mir sein.

(Die Erscheinung verschwindet.)

BETTLER
O heilige Maria von dem Walde,
Ich schrei zu dir aus diesem Jammertal!
Wie lange noch, mein Lieb, wie lange noch?

SECHSTE SZENE

(Die Externsteine im Teutoburger Wald. Das Hauptheiligtum der Teutonen. Christus hängt tot am
Kreuz. Maria Magdalena und Josef von Arimathäa nehmen den Leichnam Christi vom Kreuz.)

MARIA MAGDALENA
O tot ist Jesus, tot ist Jesus Christus!
JOSEF VON ARIMATHÄA
Der Gott in der Gestalt des Menschen tot!
MARIA
Zuende litt er an dem Marterkreuz!
Wir wollen seinen Leib vom Kreuze nehmen!
JOSEF
Ich bat Pilatus um den Leichnam Jesu,
Ich hab für ihn auch eine Grabeshöhle,
Die meine eigne Grabeshöhle ist,
Sie soll jetzt seine Grabeshöhle sein.
MARIA
Beweinen will ich den geliebten Jesus,
Ich war ja seine mystische Geliebte!
Nun lässt der Herr als Witwe mich zurück,
Ach, jetzt ist all mein Lebensglück dahin!
JOSEF
Wir glaubten doch, er wäre der Messias,
Messiaskönig auf dem Throne Davids,
Wir glaubten doch, er wär der Menschensohn,
Der Weltenrichter auf dem Throne Gottes,
Wir glaubten doch, er wär die Weisheit Gottes,
Zu uns herabgekommen von dem Himmel
Und wieder heimgekehrt in ihren Himmel!
MARIA
Ich glaubte auch an diese Weisheit Gottes,
Ich habe als Maria Magdalena
Der Hagia Sophia Mund geküsst
Wie nicht Johanna und wie nicht Susanna.
Jetzt bin ich an der Weisheit doch gescheitert!
JOSEF
Gescheitert sind wir an der Weisheit Gottes!
MARIA
Gescheitert ist im Leben Jesus Christus!
JOSEF
Gescheitert meine Hoffnung, mein Vertrauen!
MARIA
Gescheitert meine Liebe zum Geliebten!
JOSEF
Jetzt legen wir ihn in die Grabeshöhle.
MARIA
Todtraurig ist, todtraurig meine Seele!

SIEBENTE SZENE

(Die Externsteine. Das Grab Christi. Davor Johannes und Petrus.)

JOHANNES
Du hörtest von Maria Magdalena,
Daß leer die Grabeshöhle Christi sei.
PETRUS
Da rief ich dich, wir rannten um die Wette.
JOHANNES
Ich war der Jüngere, der Schnellere,
War ich der Lieblingsjünger doch des Herrn,
Ich kam als Erste an bei Christi Grab.
PETRUS
Wer ging denn immer an des Meisters Seite?
Wir waren doch der engste Freundeskreis,
Johannes und Jakobus Zebedäus
Und Simon, den der Meister Petrus nannte.
Mich machte er zum Felsenfundament
Der unbesiegbar starken Kirche Christi,
Er machte mich zum Haupte der Apostel.
JOHANNES
Der Jünger, den der Herr besonders liebte,
Der bin doch ich, Johannes Zebedäus.
PETRUS
Doch ich bin Petrus, bin der Fels der Kirche.
Ich bin gewandelt auf dem See mit Christus,
Ich sah ihn auf dem Berge der Verklärung,
Ich sagte: Du bist Christus, Gottes Sohn,
Er sagte: Du bist Petrus, Fels der Kirche,
Dir gebe ich des Himmelreiches Schlüssel.
JOHANNES
Ich anerkenne den Apostelfürsten.
PETRUS
So tret ich jetzt als Erster in die Höhle.
Ja, diese Grabeshöhle, sie ist leer,
Nur liegen hier zwei Tücher noch, das eine
Zeigt wundersam den Körper meines Herrn,
Das andre Muschelseidentuch das Antlitz.
Der Herr ist auferstanden! Jesus lebt!
STIMME AUS DEM TEUTOBURGER WALDE
O Kefa, Kefa, weide meine Schäfchen!
O Kefa, Kefa, weide meine Lämmlein!

ACHTE SZENE

(Bei den Externsteinen, am nahen See, auf dem schwimmen zwei weiße heilige Schwäne. Der
Druide am See weissagt aus der Bewegung der Schwäne.)

DRUIDE
Du weiße Schwanin bist so majestätisch
Wie eine lichte Himmelskönigin,
Doch unter deinem weißen Schwanenbusen
Verborgen ist ein marmorhartes Herz.
Ich sehe diesen adeligen Schwan
Zerbrechen an dem marmorharten Herzen.
Sein Herz von Fleisch und Blut wird ausgerissen,
Zum Fressen wirft man es den Ratten vor!
Prophetisch naht der Schwan sich seinem Tode,
Schon schwimmt er auf dem Phlegeton des Hades
Zum Acherusischen Gestade, dort
Gepeinigt wird sein Herz von Höllenängsten,
Ich meine nicht von Ängsten vor der Hölle,
Ich meine von den Ängsten in der Hölle,
Dem Ekel vor den Monstern in der Hölle,
Dem Ekel vor dem Pest- und Schwefelstank.
Dann schwimmt der Schwan ins Purgatorium
Und badet in der Lethe des Vergessens
Die Sünden ab, die seine Brust beflecken,
Er badet ab die Sünde seines Todes
Und wäscht sich in der Glut der Reinigung
Die großen Schwanenflügel wieder weiß.
Gereinigt in dem Feuerfluß der Buße
Der Schwan fliegt in den Garten Eden, dort
In Pischon, Gihon, Phrat und Hiddekel
Er badet seine weißen Leibesglieder
Wollüstiger Ergötzungen im Bad
Und träumt von Schwaninnen im Garten Eden,
Die liebevoll wie Turteltauben sind
Und weise und erotisch sind wie Schlangen.
Dann steigt er auf zum Himmelsfirmament,
Milchstraßen oder Sternenströme er
Durchschwimmt und badet in der Milch des Mondes
Und badet in der Milch der Galaxie,
Entströmt der Brust der Himmelskönigin,
Bis er zuletzt als der astrale Schwan
Beim Schwestersternbild Lyra himmlisch wohnt.
Im Himmel weissagt der astrale Schwan
Zu der astralen Lyra sieben Saiten
In Hymnen für die Himmelskönigin.

NEUNTE SZENE

(Hermann und Thusnelda auf der Spitze der Externsteine.)

THUSNELDA
Ich träumte einen Traum in dieser Nacht,
Da sah ich deine Seele, meine Seele,
Und meine Seele kannte deine Seele
Seit ewigen Äonen, kannte sie
Seit Sternmilliarden, Lichtjahr über Lichtjahr.
HERMANN
So raunten mir Druiden in das Ohr,
Die Seelen füreinander sind geschaffen,
Die eine Seele ist die Urfrau Embla,
Die andre Seele ist der Urmann Esk.
Doch vor der Schöpfung dieses Universums
Allvater schaute diese Seelen schon
Und diese Seelen schauten schon Allvater
Und waren vor dem Angesicht Allvaters
Berufen zur Verschmelzung ihrer Seelen.
THUSNELDA
Und meinst du, deine Seele sei der meinen
Bestimmt vom ewigen Gesetz Allvaters?
HERMANN
Druiden raunten oft mir in das Ohr,
Daß Seelen zwar geschaffen füreinander,
Doch dass das ist verborgen unserm Wissen.
Es gibt für jede Seele eines Mannes
Die Seele einer Frau, die zu ihm passt.
Doch mancher Mann erkennt erst in dem Tode,
Wer seine feminine Partnerin.
THUSNELDA
Du aber meinst zu wissen, meine Seele
Sei deiner Seele Himmelspartnerin?
HERMANN
Der größte Barde der Teutonen liebte
In seiner Jugend eine Jugendliebe
Und sprach von ewiger Vereinigung
Im Himmelsleben in der Ewigkeit,
Sie aber liebte diesen Barden nicht.
Gott aber gab ihm eine Ehefrau,
Die mehr er liebte als man Frauen liebt,
Daß er am Abend seines eignen Lebens
Erwartete das Wiedersehn im Himmel
Mit der verklärten Ehefrau des Barden.
Gott weiß allein, wie ihm im Himmel wird
Die Partnerin der Seele zugesellt.
THUSNELDA
So zweifelst du daran, dass du mich liebst?
HERMANN
Ich werd dich bis zu meinem Tode leben
Und will dich noch nach meinem Tode lieben.

ZEHNTE SZENE

(Heiligenkirchen im Teutoburger Walde. Hermann mit Wanderstab wandert einen Weg. Thusnelda
kommt auf einem weißen Pferd geritten.)

THUSNELDA
Du gehst, mein Hermann, fort aus meinem Walde?
Du hebst das Schwert nicht gegen die Franzosen?
HERMANN
In wandre aber nicht in Frankreichs Süden,
Zu forschen, was dort unterm Höschen sei.
THUSNELDA
Wo wanderst du denn hin, mein lieber Freund?
HERMANN
Ein Häuptling von den freien Friesen will
Heiraten eine Häuptlingstochter Sachsens.
THUSNELDA
So gehst du zu der freien Frisia?
Kehrst du zurück zum Teutoburger Walde?
Ja, du wirst wiederkommen, lieber Hermann,
Wir werden sicherlich uns wieder sehn,
Ich weiß es sicher, denn ich habs geträumt.
Und so versprech ich dir ein Wiedersehn.
Jetzt aber lass dich küssen auf den Mund!

(Thusnelda neigt sich vom Schimmel und küsst Hermann.)

Und wenn du wiederkommst, dann sage mir:


Wie ist des wahren Gottes wahrer Name?

(Thusnelda reitet fort.)

HERMANN
Von diesem Kusse leb ich jetzt ein Jahr lang,
Ernähre mich von nichts als von dem Kuss
Und trinke nichts als dieses Kusses Tau.
Wenn ich erwache, denk ich an den Kuss,
Leg ich mich schlafen, denk ich an den Kuss.
Im Traum ich küsse diesen Kuss erneut,
Und wenn ich singe, sing ich von dem Kuss.
Wenn Frieslands Häuptling Sachsens Tochter nimmt,
Verkünde ich den Segen eines Kusses.
Wenn Cäsar kommt zu dem totalen Krieg,
Dann kämpf ich mit der Waffe dieses Kusses.
Denn meine Fahne ist die Göttin Liebe,
Ich werde diese Fahne mir erobern,
Ach, oder sterben für der Liebe Fahne!

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Irgendwo in der freien Frisia. Hermann auf einem heiligen Hügel kniet auf einem Opferstein und
betet.)

HERMANN
Allvater, jetzt ist schon ein Jahr vergangen,
Seit ich Thusnelda sah zum letzten Mal.
Nun will ich wandern wieder zur Geliebten,
Ihr einmal noch in ihre Augen sehen.
Allvater, meine Seele schenkt ich ihr,
Ich gab ihr meine Seele hin vollkommen,
Ich hab jetzt keine eigne Seele mehr,
Gestorben ist mir meine eigne Seele,
Allvater, gib zurück mir meine Seele,
Ich möchte von Thusnelda sie empfangen,
Verklärt von ihrer Liebe meine Seele
Zurückempfangen von der Liebsten Herz.
Wenn sie nur meine Seele nicht gestorben,
Begraben lässet sein im Marmorherzen!
O möge meine Seele auferstehen
Aus einem offnen Herzen der Geliebten
Und wieder kehren ein in meine Brust,
Vermehrt mit schöner Liebe der Geliebten.
Allvater, überströmt von Trauertränen
Ertrage ich den Dauerregen nicht,
Mir ist, als ob der Himmel mit mir trauert,
Als ob ich selber traure mit dem Himmel.
Allvater, laß die Sonne wieder scheinen,
Wenn ich Thusnelda wiederseh, Allvater,
Laß heiter einen lichten Himmel lächeln!
So weiche, Nebel, nun von Avalon,
So scheine, Sonne, über Avalon,
Sei strahlend, Mondschein, über Avalon!

(Ein Engel erscheint, gekleidet wie ein Wanderer, mit Wanderstab. An seiner Seite ein Fuchs.)

ENGEL
So wandre, Hermann, wandre zu Thusnelda,
Ich wandre mit dir, denn ich bin dein Engel.
HERMANN
Wer bist du, Engel, schön wie eine Frau?
ENGEL
Ich bin ein Engel aus dem Doppellager
Mahanajim vom Wildbachtale Jabbok.

ZWEITE SZENE

(Am Eingang zum Teutoburger Walde begegnet der Teutone Hermann dem Sachsen Luther.)

HERMANN
Hilf beten mir zu Gott, du deutscher Christ.
LUTHER
Willst beten du, so bet mit Gottes Wort.
HERMANN
Zeig mir, wie betet man mit Gottes Wort.
LUTHER
Psalm Dauids / von den Rosen / vor zu singen.
GOTT hilff mir / Denn das Wasser gehet mir
Bis an die Seele. Jch versinck im Schlamm /
Da ist kein grund. / Jch bin im tieffen Wasser /
Die Flut will mich erseuffen. Ach! Jch habe
Mich müd geschrieen. Heiser ist mein Hals
Und das Gesicht vergeht mir. Das jch doch
So lange harren mus auff meinen Gott.
Die mich on ursach hassen / Der ist mehr /
Denn hare ich auff meinem heubte habe.
Umb deinen willen trage jch die schmach /
Mein Angesicht ist voller scham und schande.
Frembd worden bin jch meinen brüdern und
Frembd worden bin jch meiner eignen Mutter.
Jch weine und jch faste bitterlich /
Man spottet aber dennoch über mich.
Errette mich, o Gott, aus disem kot /
Das jch nicht in dem schlamm und kot versincke /
Das jch errettet werd von meinen Hassern /
Errettet werde aus dem tieffen Wasser.
Das mich die Wasserfluten nicht erseuffen /
Das mich der tieffe Abgrund nicht verschlinge /
Das loch der grube über mir sich schliest.
Die schmach bricht mir mein Hertz und krencket mich /
Jch warte ob es jemand jammerte /
Doch da ist niemand / Wart auf einen Tröster /
Doch find ich wirklich nirgend einen Tröster.
Sie geben bittre galle mir zu essen /
Sie geben sauren Essig mir zu trincken
In meinem grossen Durste nach dem Troste.
Jch aber bin ein Elend / mir ist wehe.
GOTT deine hilfe helfe mir o HERR.
HERMANN
Dies ist auch mein Gebet in meinen Leiden.
LUTHER
Und wenn die Welt zugrunde ginge morgen,
Ich pflanzte heut noch einen Apfelbaum.

DRITTE SZENE

(Detmold beim Denkmal des Deutschen. Straße. Nacht, Regen und Gewitter. Hermann am
Pilgerstab.)

HERMANN
In welcher dichten tiefen Mitternacht
Geh ich die Straße nun des Liebeslebens!
Ich dachte, Liebe sollte heiter sein,
Das Leben ein Genuss und eine Freude,
Da Liebe lacht und da das Leben jubelt,
Da Mann und Frau sich in die Arme nehmen.
Ich sah ja schon die Leibesfrucht der Liebe,
Ich sah sie schon herab vom Himmel kommen,
Ich rief die Tochter schon mit Namen: Eske!
Ich gab ihr schon vom Süßholz in den Mund
Und sagte: Dieses Süßholz ist für Hermann
Und dieses Süßholz ist für die Thusnelda
Und dieses Süßholz für die Tochter Eske.
Jetzt aber stürzen alle Wetter Gottes
Und Gottes Blitz und Donner auf mein Haupt
Und schrecklich schwer belastet meine Seele
Die Finsternis mit tausend Trauertränen!
Ah weh mir, meine Liebe ist ein Leiden,
Das Leben auf der Erde ist ein Leiden!
Ich leide an dem Vaterland, den Menschen,
Ich leide an der Heiden harten Herzen,
Ich leide an den Blitzen, an den Donnern,
Die Regentropfen peitschen meine Straße,
Mein Herz ist wie ein trüber Seufzernebel,
Die Seele wird durchspickt von tausend Nadeln,
Die Nadelstiche quälen meine Seele,
Als ob der Feind mit tausend Nadelstichen
Durchbohre eine Puppe meiner Psyche!
Jetzt aber donnert Gott im Wetterhimmel
Und in dem Donner hör ich Gottes Stimme,
Jetzt aber blitzt der Herr im Wetterhimmel
Und in den Blitzen seh ich den Messias!
MESSIAS
Die Stimme Gottes donnert über Wassern,
Die Stimme Gottes macht die Wälder kahl,
Die Stimme Gottes lässt die Eichen wirbeln,
Die Stimme Gottes lässt die Hügel hüpfen,
Die Stimme Gottes macht die Hirschkuh kreißen!
HERMANN
Messias in dem Blitz, erbarm dich meiner!
MESSIAS
Ein Engel Gottes hat mit dir geredet.
Du aber bist mein vielgeliebter Sohn,
An dir hab Wonne ich und Wohlgefallen!

VIERTE SZENE

(Ein Elfenbeinturm, von Weißdorn überwuchert. Draußen steht die schöne Fee Viviane, drinnen
sitzt gefangen der alte Druide Merlin.)

VIVIANE
Nun bist du in dem Turm von Elfenbein
Und bist für immer mein Gefangener!
Ich bitte dich, Prophete, weiszusagen!
Sprich, Merlin, von der Götterdämmerung
Und zeige uns den schmalen Pfad der Rettung,
Wie können wir, die Elfen und die Feen,
Die Götterdämmerung doch überleben?
Prophete, wann erscheint der Fenrirswolf,
Die Göttin in der Sonne zu verschlingen?
MERLIN
Gefangen in dem Turm von Elfenbein
Studiere ich die Schriften der Propheten.
Ein Rätsel habe ich zu lösen noch.
VIVIANE
Mein Weiser, lös die Rätsel in der Schrift.
MERLIN
Der Friedefürst und Bräutigam der Weisheit
Bekam in jedem Jahre soviel Geld,
Sechshundertsechsundsechzig goldne Münzen.
Das böse Biest jedoch, der Gegenretter,
Hat einen Namen, dessen Namenszahl
Sechshundertsechsundsechzig wird genannt.
VIVIANE
Schweig mir von Rom, du bärtiger Prophet!
MERLIN
Gefangen in dem Turm von Elfenbein
Seh ich den deutschen Hermann im Gefecht.
Ich sehe ihn gestärkt von Doktor Luther.
Teutone Hermann und der Sachse Luther,
Sie heben ihre Schwerter gegen Rom.
Von England seh ich kommen Bonifazius!
Doch Bonifazius grämt sich über Deutschland:
Teutone Hermann, führtest du nicht Krieg
Und hieltest Rom von Deutschlands Grenze fern,
So wäre Christus unser Herr gekommen
Nach Deutschland viele hundert Jahre früher.
VIVIANE
Und kommt ein Reich, das tausend Jahre währt?
MERLIN
Das sagt das Biest und meint totalen Krieg!
VIVIANE
So kommt kein Reich, das tausend Jahre währt?
MERLIN
Ich hörte Unsre Fraue in der Sonne
Als Königin von Frieden und Versöhnung:
Das Reich, das tausend Jahre währt, ist nah!
Die Menschheit wird zum Reich des Friedefürsten!

FÜNFTE SZENE

(Morgendämmerung im Teutoburger Walde. Eine kleine Französin, ausgesprochen reizend, tanzt


vor Hermann.)

KLEINE FRANZÖSIN
Ah, voulez-vous coucher avec moi?
HERMANN
Bewundern muß ich deine vollen Brüste.
KLEINE FRANZÖSIN
Mon cher, isch bin die Göttin Aphrodite!
HERMANN
Dein Röckchen reicht bis auf die Oberschenkel.
Ein Dichter Deutschlands dichtet ein Gedicht:
Ihr werdet reisen in den Süden Frankreichs,
Schaut nicht die Kathedrale an von Chartres,
Schaut in Paris nicht Notre Dame euch an,
Ihr küsst nicht die Reliquien Magdalenas
nd schaut nicht der Zigeuner Wallfahrtsort
Der Schwarzen Sara, Magdalenas Magd,
Ihr badet in der Quelle nicht von Lourdes
Und steigt nicht auf den Gipfel eines Berges,
Den Vater Augustinus dort zu lesen.
KLEINE FRANZÖSIN
Ah mon ami, wie göttlich ist La France!
Wir wollen Liebe machen, mon trésor!
HERMANN
Der Dichter Deutschlands dichtet ein Gedicht:
Ihr werdet reisen in den Süden Frankreichs,
Zu schauen, was dort unterm Höschen sei.
KLEINE FRANZÖSIN
Schreib lieber ein Gedicht vom Venusdelta!
La grande déesse Vénus, sie liebt disch doch!
HERMANN
Und hat das Weib den Jüngling erst im Sack,
Versklavt sie ihn als ihren Domestiken!
Erst eine junge Hure, reich an Reizen,
Dann wird sie zur Mätresse, kaiserlich
Diktiert sie ihrem Domestiken: Diene!
Doch fordre keine Liebe von dem Weib!
Nein, putz den Kot aus ihrer Toilette!
KLEINE FRANZÖSIN
Ihr schrecklichen Germanen, ihr Barbaren!
Was weißt du, mon filou, von Liebemachen?
Die schönste Nebensache von die Welt!
Ist die Französin nicht viel schöner als
Thusnelda mit der scharfen Adlernase?
Adieu, mon cher, bleib du in Deutschland hocken!

SECHSTE SZENE

(Heiligenkirchen. Karfreitag. Regengüsse. Hermann. Thusnelda erscheint mit dem Franken.)

THUSNELDA
Was willst du denn schon wieder hier, Herrmännchen?
HERMANN
Du hast vor einem Jahr zu mir gesagt,
Daß wir uns sicher wiedersehen werden
Und dass ich dir dann sagen soll den Namen
Des wahren Gottes: Jesus Christus heißt er!
THUSNELDA
Ich aber sage dir: Du bist ein Bock,
Der Bock, den ich jetzt in die Wüste schicke!
HERMANN
Ich aber liebe dich so sehr, Thusnelda!
DER FRANKE
Barbar! Hast du Thusnelda nicht gehört?
Verschwinde, sonst zerschlag ich dein Gebein!
THUSNELDA
Geliebter Franke, schlag dich nicht mit ihm,
Ihm solls genügen, dass ich ihn verachte!

(Der Franke drängt dennoch Hermann an eine Eiche und drückt ihn gegen den Baum. Da erscheint
Hermanns Schutzengel mit dem Fuchs. Der Franke und Thusnelda fliehen erschrocken. Der Fuchs
beginnt mit menschlicher Stimme zu reden.)

FUCHS
Ob dir die Feinde deiner Seele fluchen,
Geliebter Hermann, Jesus segnet dich!
O Hermann, Jesus segnet die Teutonen,
O Hermann, Jesus segnet Friesen, Sachsen,
Die Allemannen und die Bajowaren,
Sueven und in Ost und West die Preußen.
O Hermann, deiner Seele schwere Leiden
Sind Anteilhabe an den Leiden Jesu,
Du leidest für dein deutsches Vaterland,
Du leidest für den Häuptlingssohn der Friesen,
Du leidest für die sächsische Prinzessin.
Vereine deine mit den Leiden Jesu,
So wirst du Miterlöser sein für Deutschland.
Hab Mut, o Hermann! Wer mit Jesus leidet,
Wird auch mit Jesus einst im Himmel herrschen
Und Könige und Heidenvölker richten.
(Der Engel und der Fuchs werden wieder unsichtbar)
HERMANN
Zum Heulen ist zumute meiner Seele!
Ich muss zum Kreuze bei den Externsteinen!

SIEBENTE SZENE

(Externsteine. Hermann kniet vor dem Kreuz. Hagel stürzt vom Himmel.)

HERMANN
Eli, Eli, lama asabthani?
Was hast du mich verlassen, o mein Gott?
Eli, Eli, lama asabthani?
Wie schrecklich ist die Gottverlassenheit!
Eli, Eli, lama asabthani?
Wie zittert meine Seele in der Hölle!
Eli, Eli, lama asabthani?
Wie bohrt sich eine Lanze durch mein Herz!
Eli, Eli, lama asabthani?
Wie undurchdringlich tief die Finsternis!
Eli, Eli, lama asabthani?
Auf meiner Seele lasten tausend Tode!
Eli, Eli, lama asabthani?
Ich schrei der ganzen Menschheit Schrei zu Gott!
Eli, Eli, lama asabthani?
Ich leide als des kalten Hasses Opfer!
Eli, Eli, lama asabthani?
Ich hoffe in der finstersten Verzweiflung
Auf meinen Retter Jesus, der da schrie:
Eli, Eli, lama asabthani?

(Vom Gipfel der Externsteine ertönt eine Frauenstimme)

STIMME
O mamma mia, mamma, mamma mia!
HERMANN
Ja, mamma mia, Große Gottesmutter,
Ich opfre meiner Seele Kreuzigung
Dem Unbefleckten Herzen Unsrer Fraue!

(Maria erscheint auf dem Gipfel der Externsteine)

MARIA
Maria, makellose Mutter Gottes,
So ist mein Name. Mein geliebter Hermann,
Der Herr nahm an das Opfer deiner Leiden!
So komm du nun zu meinem Herzen, Liebling,
Denn meine herzliche Barmherzigkeit
Wird deiner Seele Durst nach Liebe stillen!
HERMANN
Ich bin ganz dein, o Große Gottesmutter!
Ich weihe dir mein Vaterland, Maria!

(Der Hagel hört auf. Eine lichte Ostersonntagssonne lacht vom Himmel.)

DIE HEILIGE SUSANNE

ERSTE SZENE

(Sardinien. Ende 3. Jhd. n. Chr. Der heilige Gabinus, Vater der heiligen Susanne, von kaiserlichen
Soldaten gefoltert.)

GABINUS
Zermalmt mich nur! Ich bin ein Weizenkorn,
Zermalmt mich nur, dass ich zum Brote werde!
Ich sah den heiligen Antiochus
Von Sulchi, sah den Marterzeugen leiden
Und sah den Marterzeugen sterben und
Bekehrte mich zu seinem Gott und Herrn!
SOLDAT
Wo ist dein Gott denn, wenn du sterben musst?
GABINUS
Ihr Heiden alle lebt in Todesfurcht,
Ihr lebt in Finsternis und Todesschatten!
Die Babylonier und Ägypter und
Die weisen Griechen auch und alle Römer
Und auch am Indus und im fernsten Tarschisch,
Ihr Heiden alle fürchtet euch vorm Tod
Und vor der ewigen Vernichtung, ihr
Habt eine Heidenangst vorm leeren Nichts!
Ha! Christus auferstanden ist vom Tode
Und öffnete die Perlentür zum Himmel!
SOLDAT
Wir alle sterben! Du musst sterben auch!
GABINUS
Und ob ich sterben muss, ich sterb für Christus,
Wie Christus sterbe ich den Kreuzestod.
In meiner dunklen Nacht der Todesleiden
Ich schenke ganz mich dem gekreuzigten
Und auferstandenen Erlöser Jesus!
Ich sterbe nicht, denn Christus lebt in mir!
Und ob ich sterbe auch, ich werde leben
Mit Jesus in des Himmels Paradies!
SOLDAT
Ich will dir helfen rasch ins Paradies!
Wir schicken alle Christen in den Himmel,
Dann haben wir auf Erden unsre Ruhe!
GABINUS
(Sieht von fern seine Tochter, die heilige Susanne, kommen)
Du Narr! Wir Marterzeugen Christi,
Wir taufen diese Welt mit unserm Blut,
Und jeder Tropfen Blut von Marterzeugen
Ist Same für die Ernte neuer Christen!
Susanne! Bleibe Jesus treu als Braut!
SUSANNE
O lieber Vater, stirb als Marterzeuge,
Und Jesus gibt die Krone dir des Lebens!
Mein Vater, ach, wie möchte ich dir folgen!
Auch ich will leiden das Martyrium!
SOLDAT
So stirb, du Hund, und fahre in den Hades!
GABINUS
Ich gebe meinen Geist in Gottes Hände!

(Er stirbt)

ZWEITE SZENE

(Papst Cajus auf dem Stuhl des Apostels Petrus als Bischof von Rom und Hirte der universalen
Kirche. Neben ihm seine Nichte, die heilige Susanne.)

PAPST
Valerian, der Heidenkaiser, hat
Es Uns nicht angetan, ob goldne Münzen
Verkünden auch: Apoll hat ihn erhalten.
Wir sehn, wie schlecht doch sein Apollo war.
SUSANNE
O lieber Onkel! Eure Heiligkeit
Die Kirche führt, die heilig, apostolisch,
Katholisch ist, die Eine Kirche Christi,
In einer Zeit, da schon Valerian
Nicht mehr verfolgt die Kirche Jesu Christi.
PAPST
Wir sehen Kaiser kommen, die die Kirche
Verfolgen werden. Im Moment ist Ruhe,
Es ist die Ruhe aber vor dem Sturm.
SUSANNE
Mein Onkel! Woran habt Ihr grad geschrieben?
PAPST
Ein Brief geht an die Kirche in Korinth,
Weil dort Rebellen sich erhoben haben,
Die gegen Papst und Bischof sind und Klerus,
Die Laien wollen dort die Kirche führen.
Kraft Unsres Amtes als Apostelfürst
Und Romas Bischof definieren Wir
Der Kirche Christi Führung durch den Papst
Und den von Uns ernannten Bischof und
Die gottgeweihten Priester, die die Messe
Der Kommunion mit Christus zelebrieren.
SUSANNE
Was wär die Kirche ohne Kommunion?
PAPST
Susanne, in der Kommunion begegnet
Dir Christus. Er, der Bräutigam der Kirche,
Er spendet Seinen Leib und Seine Seele,
Die Menschheit und die Gottheit Jesu Christi.
SUSANNE
Mein Meister Jesus ist mein Bräutigam,
In jeder Kommunion vereinigt sich
Der Bräutigam mit seiner Jungfrau-Braut.
PAPST
O liebe Nichte, junge süße Nichte,
Du bleibe immer Jungfrau Jesu Christi!
SUSANNE
Mit keinem Manne will ich mich vereinen
Als mit dem Herrn allein in seiner Gottheit.

DRITTE SZENE

(Kaiser Diokletian beschließt die neue Christenverfolgung.)

KAISER DIOKLETIAN
Ich bin ein Gott! Ich bin Apollos Sohn!
Ich habe dieses große Weltreich Rom
In Weisheit zu regieren und ich finde
Die Römer und das Volk der Ökumene
Tief religiös, sie alle ehren Götter.
Wir herrschen an dem Indus und verehren
Gott Schiwa und die schwarze Göttin Kali,
Wir herrschen übers goldne Persien
Und ehren dort die Göttin Anahita
Und ihren guten Gott Ahura Mazda,
Wir herrschen über ganz Arabien
Und ehren Allah als den Himmelsgott
Und ehren Allahs Töchter auch, die drei,
Al-Lath, Al-Uzza und als Dritte Manath,
Die wie die Schwäne an dem Himmel fliegen,
Wir ehren auch die Juden und den Gott
Der Juden, der das Schweinefleisch verbietet,
Wir herrschen über Skythen und verehren
Perun, den starken Donnergott der Skythen,
Wir herrschen über die Germanen und
Verehren Wotan und die schöne Freyja,
Wir herrschen übers Riesenreich der Kelten
Und ehren ihre große Göttin Danu,
Wir herrschen über Griechenland und Rom
Und ehren alle Götter des Olymp,
Zeus, der zur Gattin seine Schwester nahm,
Die Venus, die die Ehe brach mit Mars,
Wir herrschen übers Totenreich Ägypten
Und lieben Isis sehr, die Katzengöttin,
Und lieben Hathor sehr, die Himmelskuh,
Wir herrschen über Afrika, das schwarze,
Und beten auch wie Afrika zur Sonne,
Die Säulen selbst des Herkules beenden
Nicht unser Weltreich, wir verehren noch
Im fernen Westen Mutter Erde und
Den Kriegsgott und die Schlange, die von Stein.
Allein die Kirche, die katholisch ist,
Ehrt alle diese Weltengötter nicht,
Sie glaubt, sie habe selbst die ganze Wahrheit,
Sei im Besitz der absoluten Wahrheit.
Doch was ist Wahrheit? Sie ist relativ!
Doch um den Frieden in der Ökumene
Von Roma zu bewahren, sage ich:
Wer als sich als Katholik bekennt zu Christus,
Der wird zum Tod verurteilt von dem Kaiser!

VIERTE SZENE

(Die heilige Susanne badet nackt wie die keusche Susanne der Bibel. Aber sie ist verhüllt von einem
seidenen Vorhang, der nur die Silhouette ihres Leibes erkennen lässt. Vor dem Vorhang steht der
Adoptivsohn des Kaisers Diokletian, Maximian, und sieht auf die schöne Susanne.)

MAXIMIAN
O Venus, wie man dich im Bilde malt,
Wie du dem Schaum entstiegen splitternackt,
So seh ich hier die göttliche Susanne!
O nein, sie friert nicht, sie ist nicht die Venus
Frigida, die vor Frost erstarrt zu Eis!
Es dampft das Bad, ich sehe schwüle Wolken
Von Wasserdampf umschweben die Gestalt.
Sie ist kein Weib von dieser Erde, nein,
Sie scheint mir eine Göttin aller Schönheit!
Ich weiß, die Christen reden oft davon,
Daß eine Himmelsgottheit Mann geworden,
Ich aber seh die göttliche Susanne,
Die Göttin Venus ist zur Frau geworden!
SUSANNE
(Hinter dem Vorhang)
O Jesus, wasche mich von Sünden rein,
Wie dieser Wasserstrahl des heißen Wassers
Mich wäscht von allen Flecken meines Leibes,
So wasche mit dem Feuer der Vergebung
Von allen Makeln meine Seele rein!
Du weißt, wir Menschen sind doch alle Sünder,
Allein die Jungfrau Gottgebärerin
Ist frei von allen Makeln in der Seele,
Ist frei von aller Erbschuld, Evas Erbe,
Ist frei von allen Sünden dieser Welt.
O, mache mich der reinsten Jungfrau ähnlich,
Mach mich der reinsten Jungfrau gleich an Demut,
An Sanftmut und an Milde ihres Herzens,
Ihr gleich an Güte und an Menschenliebe
Und mache mich wie sie zur Magd des Herrn
Und zur gesalbten Braut des Geistes Gottes!
MAXIMIAN
O Venus, deine weißen Augenlider,
O Venus, und dein schlanker Schwanenhals!
Ich bet dich an, du göttliche Susanne,
Du Spiegelbild der Göttin aller Schönheit!
Gott ist kein Vatergott mit weißem Bart,
Gott ist vielmehr die Göttin aller Schönheit!
O Göttin aller Schönheit, wie du blendest
Im Bild der nackten badenden Susanne!
SUSANNE
Ich liebe Keuschheit, Armut und Gehorsam
Und liebe keinen Mann als Jesus Christus!
MAXIMIAN
Die Venus will ich mir zum Weibe nehmen!

FÜNFTE SZENE

(Kaiser Diokletian und sein Adoptivsohn Maximian)

KAISER DIOKLETIAN
Mein Adoptivsohn, Liebling meines Herzens,
Du sollst dir eine Frau zur Ehe nehmen!
Auch meine Frau Serena möchte das.
MAXIMIAN
Sag, Vater, findest du Serena schön?
KAISER DIOKLETIAN
Ich fand sie schön im Reize ihrer Jugend,
Da war sie wie der Inbegriff von Liebreiz,
Sie war von einer göttlichen Erotik!
MAXIMIAN
Und jetzt, mein Vater, ist sie jetzt noch schön?
KAISER DIOKLETIAN
Ach, Schönheit ist das Eigentum der Jugend.
Gewohnheit aber hält uns noch zusammen.
MAXIMIAN
Nein, eine Schönheit ist Serena nicht.
KAISER DIOKLETIAN
Hast du schon eine schöne Frau gesehen?
MAXIMIAN
Ja, eine wunderschöne Frau, so schön,
Wie Maler Grazien und Nymphen malen.
KAISER DIOKLETIAN
Und hat sie schwarzes oder goldnes Haar?
MAXIMIAN
Tief bräunlich, leicht gerötet, wie ein Reh.
KAISER DIOKLETIAN
Und hat sie große Augen oder schmale?
MAXIMIAN
Die Augen sind wie schöne Mandelaugen,
Die weißen Lider schön gewölbt und müde.
KAISER DIOKLETIAN
Sind ihre Lippen rötlich oder blass?
MAXIMIAN
Denk ich an ihren Mund, denk ich ans Lächeln,
Charmant ihr Lächeln, doch sie schmollt auch reizend!
KAISER DIOKLETIAN
Wie kleidet sich die Dame deines Herzens?
MAXIMIAN
Wenn sie nicht nackt ist in der Badewanne,
So kleidet sie sich edel, herrlich, schön,
Sehr schön sogar und nicht mit Dirnenkleidchen.
KAISER DIOKLETIAN
Wer ist die Himmelsfrau, die du dir wünschst?
MAXIMIAN
Ich nenne sie die göttliche Susanne!

SECHSTE SZENE

(Drei Kupplerinnen treten der Reihe nach bei der heiligen Susanne ein.)

ERSTE KUPPLERIN
Des Kaisers Adoptivsohn will dich freien,
Maximian ist wirklich sehr bezaubernd!
SUSANNE
Doch kenn ich einen Mann, der so bezaubernd,
Daß Zauberer des Ostens vor ihm knien!
Er ist das Wort, mit dem der Herr die Welt schafft!
ERSTE KUPPLERIN
Was ist das für ein Mann? Den will ich kennen!
SUSANNE
Der Logos, den die Stoiker gesucht,
Der Logos ist der Gottmensch Jesus Christus!
ERSTE KUPPLERIN
Ich will ganz eigen sein dem Worte Gottes!
(Erste Kupplerin ab. Auftritt zweite Kupplerin)
ZWEITE KUPPLERIN
Maximian begehrt dich zu der Ehe!
SUSANNE
Ich habe eine Ehe schon geschlossen.
ZWEITE KUPPLERIN
Du, Jungfrau, lagest schon im Ehebette?
SUSANNE
Das Ehebett des Gottessohnes ist
Kein schwüles parfümiertes Lotterbett,
Das Kreuz geworden ist mein Ehebett,
Wo ich vereinigt bin, doch Jungfrau bleibe...
ZWEITE KUPPLERIN
Vereinigt dem Gemahl und dennoch Jungfrau?
Den Ehegatten will ich kennen lernen!
SUSANNE
Herr Jesus litt am Kreuze unsre Leiden
Und starb als Sühnelamm für unsre Sünden,
Nun seine göttliche Gerechtigkeit
Spricht er mir zu durch Buße und Bekehrung.
ZWEITE KUPPLERIN
Ich Sünderin fleh Gott an um Erbarmen
Und komme zu dem Christus an dem Kreuze!

(Zweite Kupplerin ab, Auftritt dritte Kupplerin)

DRITTE KUPPLERIN
Maximian will dich im Bette lieben!
SUSANNE
Des Menschen Bett ist eine Grabeshöhle!
Ich aber will ins Bett des Gottessohnes,
Sein Bett, das ist das Himmelsparadies!
DRITTE KUPPLERIN
Ich möchte auch in dieses Himmelsbett!
SUSANNE
Bekehre dich zu Jesus, nenn ihn Meister!
DRITTE KUPPLERIN
Du, Jesus Christus, bist mein Höchstes Gut!

(Dritte Kupplerin ab. Susanne betet verzückt zu Jesus und schenkt ihm drei Seelen.)

SIEBENTE SZENE

(Kaiser Diokletian und die heilige Susanne vor einer goldenen Jupiter-Statue.)

KAISER DIOKLETIAN
Susanne! Du verschmähst Maximian
Und führst die Kupplerinnen noch zu Christus?
Gehörst du zu der weltgehassten Sekte
Der Kirche, die sich selbst katholisch nennt?
SUSANNE
Viel Stifter gibt es andrer Religionen,
Doch Jesus ist allein der Gottessohn.
Viel geistliche Vereinigungen gibt es
Und Ketzer und Häretiker auf Erden,
Doch Eine Kirche hat der Herr gegründet,
Die heilig, apostolisch und katholisch,
Und ich bin Glied an diesem Leibe Christi!
KAISER DIOKLETIAN
Du nennst dich Römerin, Susanne? Dann
Sollst du dem großen Gott der Römer opfern:
Gott Jupiter, der Vater aller Götter
Und Vater aller Menschen ist, der Donnrer
Und Blitzeschleuderer von dem Olymp,
Gott Jupiter wohnt in der goldnen Säule:
Fall nieder, anzubeten Jupiter!
SUSANNE
(Sie haucht mit dem Hauch ihres Mundes)
Ich bin der Herr, dein Gott, der dich befreit
Aus dem Ägyptenland der Sklaverei,
Du habe keine Götter neben mir!
Hör, Israel, Gott ist Ein Gott allein!
Ich, Gott, bin Gott und keiner außer mir!
Gott einzig sollst du lieben über alles,
Gott liebe du mit Herz, Gemüt und Kraft!
Gott ist Ein Gott allein und keiner sonst!
Du sollst kein Bildnis dir auf Erden machen
Von Gott, nicht nach dem Bilde eines Mannes!
Ich bin der Herr, mich bete an, sonst keinen!

(Die Jupitersäule bricht durch die Macht des Wortes Gottes aus dem Mund der heiligen Susanne
zusammen.)

KAISER DIOKLETIAN
Was für ein Hauch strömt dir aus deinem Munde?
Wie duftet lieblich deines Mundes Hauch?
Doch weil du meinen Jupiter zerschmettert,
O heilige Susanne, sollst du sterben!

ACHTE SZENE

(Susanne und kaiserliche Soldaten)

SOLDAT
Susanne, leide dein Martyrium!
SUSANNE
Als ich mich Jesus Christus angetraut,
Verlobt ich mich dem Ersten Marterzeugen,
Denn der Gekreuzigte ist Marterzeuge
Für Gottes Weisheit an dem Kreuz geworden!
Soll ich mich wundern des Martyriums?
Die Ehe ist schon ein Martyrium!
Die Jesus-Ehe ist Martyrium!
Das Christentum ist ein Martyrium!
Die apostolische, katholische
Und heilige Gemeinde Jesu Christi
Ist die Vereinigung der Marterzeugen!
SOLDAT
Nun aber geht’s dir an den eignen Leib!
SUSANNE
Ich lebte die Jungfräulichkeit für Jesus
Und ahmte in der Keuschheit nach die Jungfrau
Maria, reinste Jungfrau aller Jungfraun.
Sie sprach zu mir, die Frau der Offenbarung:
Mein liebes Kind, o heilige Susanne,
Wenn du mit mir vereint zu Jesus gehst,
Lebst du auf Erden schon das Himmelsleben
Und merkst den Übergang ins Jenseits kaum...
SOLDAT
So will ich nun dein Engelmacher sein!
Dies scharfe Schwert in meiner rechten Hand,
Das dir den Schädel von dem Rumpfe schlägt,
Wird dich zu deinem Gott der Toten bringen!
SUSANNE
Ich opfere mein Leiden und mein Sterben
Dem Retter auf zur Sühne meiner Sünden,
Zum Heil des Volkes der Lateiner und
Zum Heil der großen Roma und vor allem
Für den gewissen Sieg des Herzens Jesu,
Für den Triumph der makellosen Kirche!
SOLDAT
So kniee hin und fluche deinem Gott!
SUSANNE
Ich schau schon die Urgottheit der Urschönheit!
Ich seh die allerreinste Jungfrau lächeln!
Soldat, verehre auch die Mutter Gottes!
SOLDAT
Seht, wie vernarrt sie war in ihren Gott!

(Susanne wird enthauptet)

NEUNTE SZENE

(Serena, die Gattin des Kaisers Diokletian, begräbt heimlich die Gebeine der heiligen Susanne in
einem silbernen Sarg)

SERENA
Ach Jesus, ach, du weißt, ich suche dich
Und manchmal fühle Liebe ich für dich
Und manchmal fühle Liebe ich für Gott
Und manchmal bete ich zu Michael
Und manchmal bete ich zu Gabriel
Und manchmal höre ich Maria reden.
Dann wieder plagt der böse Dämon mich,
Der Dämon Asmodäus plagt mich oft,
Den nennt man auch den bösen Eheteufel.
Nur heimlich hab ich ein Gefühl für dich,
Mein Jesus, heimlich habe ich ein Bild
Von dir bei mir und schau es gerne an.
Ich mag mich noch nicht öffentlich bekennen
Zu jener Kirche, die sich Christi Leib nennt.
Wenn ich zu jener Kirche mich bekennen
Und zählen würde, die katholisch, heilig
Und apostolisch ist, geführt von Petrus
Und dem Konzil der heiligen Apostel,
Die Christi Leib ist, Christi Leib anbetet
Und Christi Leib empfängt in Kommunionen –
Wenn ich zu dieser Kirche mich bekennte,
So wär ich ausgeschlossen aus dem Kreis
Der menschlichen Familie, die mich trägt,
Die Brüder mir und Schwestern sind und Mütter
Und Väter, und auch mein Gemahl verachtet
Die Kirche, die der Überzeugung ist,
Besitzerin der absoluten Wahrheit
Zu sein, der ganzen Offenbarung Christi.
Daß ich dich dennoch liebe, o mein Jesus,
Das will ich dir mit meiner Tat beweisen,
Indem ich Sankt Susannes Leib begrabe.
Wer deine Heiligen verspottet, Jesus,
Verspottet dich, den Quell der Heiligkeit,
Wer aber deine Heiligen verehrt,
Verehrt den Heiligen der Heiligen,
Denn deine Gnade, Jesus, wars allein,
Die Sankt Susanne so geheiligt hat,
Dein Sakrament der Taufe und der Salbung,
Dein Sakrament der Kommunion, der Buße,
Die Gnade durch die Sakramente strömend
Verklärte Sankt Susanne so, dass sie
Dir ähnlich wurde, ja, ein andrer Christus,
Drum geb ich ihr den Namen: Jesusanne!

ZEHNTE SZENE

(Sankt Hieronymus, nach Beendigung seiner Bibelübersetzung, schrieb die Vita der heiligen
Susanne. Zum Schluß faltet er die Hände zum Gebet.)

HIERONYMUS
O heilige Susanne, einen kenn ich,
Der ging mit seinem Freunde einst spazieren,
Sie sprachen über Cäsar, über Rom,
Da ward der Himmel schwarz von Regenwolken,
Da sprach der Freund zum Katholiken so:
Als Katholik bist du vertraut mit Petrus,
So bitte Petrus, der das Wetter macht,
Daß uns nicht überrascht ein Regenschauer.
Die beiden gingen weiter nun spazieren
Und diskutierten über Petri Wesen,
So kamen trocken sie bis an das Haus,
Erst, als sie grad die Türe aufgeschlossen,
Vom Himmel kam ein dicker Regenschauer.
Der Katholik hat dieses sich gemerkt
Und betete um Schutz vor Regenfluten,
Als seine lieben kleinen Patenkinder
Beim Karneval sich Süßigkeiten suchten,
Er betete zur heiligen Susanne,
Und du erhörtest sein Gebet, Susanne.
Auch als der selbe Katholik von Unglück
Im Innern seiner Seele heimgesucht,
Da packte ihn der Geist des Herrn und zeigte
Ihm deine Kirche, heilige Susanne,
Wo deine Beine als Reliquien ruhen,
Er betete zur heiligen Susanne,
Und du hast ihm gelindert seinen Kummer
Und ihn getröstet in des Herzens Unglück.
Und wenn der Katholik erfuhr, dass jene
Geliebte, die er unter allen Frauen
Am meisten liebte, frech verleumdet wurde
Von gottvergessnen Lästerzungenweibern,
Die wie die Furien gerne schmähen, lästern
Und Zank und Streit erregen, hat der Mann
Als Frommer sich geflüchtet ins Gebet
Und dich gebeten, heilige Susanne,
Die liebste Frau vom Himmel aus zu segnen!
So haben wir erfahren deine Macht
Fürbittenden Gebetes bei Verleumdung,
Bei Regen, Unglück, und des weiteren
Ausbreitest du den Segen deines Gottes
Auf jede Frau, die deinen Namen trägt
Und keusch wie eine Lilie Gottes ist.

ELFTE SZENE

(In der Kirche Sankt Susanne in Rom)

PRIESTER
Susanne, hilf uns, dass wir heilig werden!
GEMEINDECHOR
Du weiße Lilie der Dreieinigkeit,
Du lichte Rose gottgeschaffner Anmut,
O heilige Susanne, bitt für uns!
PRIESTER
Susanne, uns erfleh von Gott die Gnade,
Daß wir als treue Zeugen Christi leben
Und wenn es sein muß, sterben auch für Christus,
Daß wir in Treue lieben bis zum Tod!
GEMEINDECHOR
Du weiße Lilie der Dreieinigkeit,
Du lichte Rose gottgeschaffner Anmut,
O heilige Susanne, bitt für uns!
PRIESTER
Susanne, bitte Jesus Christ für uns,
Daß wir in aller Schönheit dieser Schöpfung
Des Schöpfers makellose Schönheit schauen!
Erbitte uns des Herzens reine Augen,
Daß wir durch alle Schönheit des Geschaffnen
Durchscheinen sehn die unerschaffne Schönheit,
Und bitte Gott und Jesus und den Geist,
Daß wir aus Gnade an das Ziel gelangen,
Die Schönheit Gottes ewig anzuschauen,
Die Schönheit Gottes ewig zu genießen!
GEMEINDECHOR
Du weiße Lilie der Dreieinigkeit,
Du lichte Rose gottgeschaffner Anmut,
O heilige Susanne, bitt für uns!
PRIESTER
Susanne, rufe Jesus Christus an
Und bitte um die Gnade deinen Gott,
Daß wir, die wir dich lieben und verehren,
Wie du dem Herrn und Meister ähnlich werden
An Keuschheit, Reinheit, Demut, Sanftmut, Güte!
GEMEINDECHOR
Du weiße Lilie der Dreieinigkeit,
Du lichte Rose gottgeschaffner Anmut,
O heilige Susanne, bitt für uns!
PRIESTER
Im Namen Gottes, der dich Schönheit schuf,
Im Namen Jesu, der sich dir vermählt,
Im Namen jenes Geistes, der dich liebt,
Erhöre uns, o heilige Susanne!
GEMEINDECHOR
Im Namen göttlicher Urschönheit, Amen!

GALILEO GALILEI
PERSONEN

Ptolemäus, antiker Astronom


Aristoteles, antiker Philosoph
Aristarchos von Samos, antiker Naturwissenschaftler
Nikolaus von Kues, katholischer Philosoph und Theologe
Keppler, moderner Naturwissenschaftler
Tycho de Brahe, Prager Astronom und Alchemist
Martin Luther, Junker Jörg
Phillip Melanchthon, sein Genosse
Kardinal Bellarmin, ein Heiliger
Urban, Papst
Eine Seherin
Ein Geist, Weißer Bischof von Rom
Galileo Galilei, Wissenschaftler

Ort: Der absolute Raum als Sensorum Dei, Zeit: Die absolute Zeit als Gegenwart Gottes

ERSTE SZENE
(Griechenland, vor dem Tempel der Göttin der Weisheit. Aristoteles, Aristarchos und Ptolemäus.)

ARISTOTELES
Es gibt nur Eine Welt, die ewig ist,
Und sie ist aus Materia und Geist.
Materia ist aber nicht der Geist,
Der Geist ist aber nicht Materia.
Der Himmel ist die Welt vollkommnen Geistes,
Die Erde ist die Welt der Sterblichkeit.
Das Universum ist so zweigeteilt:
Hoch oben kreiset das Vollkommene,
Dort wandeln wie die Götter die Gestirne
Und kreisen ewig in perfekten Kreisen.
Die Erde aber ist Materia
Und sterblich ist Materia, die Mater.
Der Himmel ist sehr nah dem Höchsten Geist,
Die Erde ist sehr nah dem reinen Nichts.
Was aber hat das Seiende, das Sein,
Zu schaffen mit dem Nichtsein, mit dem Nichts?
Was hat der Kreis vollkommner Ewigkeit
Zu schaffen mit der Linie dieser Zeit?
Geist und Materia sind stets geschieden,
Der Himmel und die Erde sind geschieden.
Es gibt den Stoff, der nahe an dem Nichts ist,
Der ist dem Wandel unterworfen und
Ist eine lineare Zeit und endet
Im Tode, in der ewigen Vernichtung.
Es gibt ein Seiendes, das wird bewegt,
Das ist der Himmel, ist das Firmament.
Am Firmamente laufen ihre Bahnen
Die himmlischen Gestirne und die Götter,
Rund sind die göttlichen Gestirne, sind
Vollkommne Kreise, makellose Kreise.
Apollo ist vollkommen rund und rein
Und Luna ist die makellose Runde.
So wandeln Götter ewig ihre Kreisbahn.
Doch über dem bewegten Seienden
Ist unbewegtes Sein, die erste Ursach,
Der Ursprung aller himmlischen Bewegung.
Den Urgrund nennen wir den Höchsten Gott.
Der Höchste Gott in seiner Gottesschönheit,
In seiner Gottesweisheit, Gottesgüte
Zieht alle göttlichen Gestirne an
Und lenkt durch Seiner Schönheit Attraktion
Die Götter auf des Firmamentes Kreisbahn.
So unten treibt in Sterblichkeit die Erde,
Stets in chaotischer Bewegung treibend,
Materia, bestimmt für den Verfall.
Von Sterblichkeit durchwoben und von Tod,
Erfährt sie ihren Wandel, ihren Wechsel
Vom Nahesein und Fernesein der Sterne,
Die selber wandeln ewig ihre Bahnen
In den perfekten Kreisen wie die Götter
Und folgen als der strahlende Apollo
Und folgen als die makellose Luna
Und als die Venus Gottes höchster Schönheit,
Die als das Allgesetz hoch überm Himmel
Im Himmel aller Himmel thront als Gottheit,
Als Gott, als Erstursache alles Seins.
ARISTARCHOS
So oft ich aber die Natur bedenke,
So scheint mir, Gottes Sohn Apollo ist
Als Sonne der Gerechtigkeit das Zentrum,
Zentrale Sonne in dem Universum,
Und Mutter Erde, Unser Aller Mutter,
Bewegt in kreisgeformten Bahnen sich
Um die Zentrale Sonne des Apollo.
PTOLEMÄUS
Wir Forscher der Natur, der Wissenschaft,
Wir denken uns entweder still die Erde
In wandelloser Ruhe und die Sonne
Geht auf und unter, wie das Auge sieht,
Wie sichtbar, oder denken so wie du,
Die Sonne sei das Zentrum dieses Kosmos
Und Mutter Erde tanze um das Feuer.
Des Philosophen göttliche Erkenntnis
Erkennt den Höchsten Gott als Allbeweger,
Das Firmament als göttlich und vollkommen,
Im untersten Bereich der Hierarchie
Die gute alte Mutter Erde, sterblich.
Dies soll das Weltbild sein in der Antike.
ARISTOTELES
Was aber ist der Mensch? Ist Geist unsterblich
Im sterblichen Gefäß des Erdenleibes!
Doch der Unsterblichkeit der Menschenseele
Nicht würdig ist als Wohnort diese Erde,
Die sterblich ist, dem Tode unterworfen.
Wird die unsterbliche Geistseele frei
Vom sterblichen Gefängnis ihres Körpers,
Wo wird des Menschen Geist dann wohnen, wo?
Gott nimmt doch keine Kreaturen auf!
Gott ist der Denkende, Er denkt nur Gott,
Gott der von Gott Gedachte, Gott das Denken!
Nichts jemals wird in Gott sein als allein
Der göttliche Gedanke, den der Gott denkt!

ZWEITE SZENE

(Nikolaus von Kues vor der Hagia Sophia von Byzanz.)

NIKOLAUS VON KUES


Die Offenbarung spricht von Gottes Wesen.
Der Vater als der namenlose Urgrund
Und sozusagen Mutter allen Schweigens
Besitzt in sich das absolute Sein,
Besitzt den Selbstbesitz nicht für sich selbst,
Verschenkt das Sein der Gottheit an ein Du,
Gott schenkt die göttliche Natur dem Sohn.
In Gott das Große und das Kleine ist,
Gott ist Zusammenfall der Gegensätze.
Die Einheit und die Gleichheit der Personen
Des Vaters und des Sohnes sind verbunden
Durch die Vereinigung der Gottesliebe,
Gott Heilig Geist, von göttlicher Natur.
Die Allerheiligster Dreifaltigkeit
Ist Urbild aller seienden Geschöpfe.
Die ganze Schöpfung dieses Universums
Gestempelt ist von der Dreieinigkeit
Und trägt die Spuren des drei-einen Gottes.
Zusammenfall der Gegensätze und
Die Selbsthingabe ans geliebte Du,
Vereinigung von zwei Gestalten durch
Die liebende Bekanntschaft oder Freundschaft,
Grundmuster dies des ganzen Universums.
So Geist sind und Materia nicht zwei
Total entzweite Gegensätze, sondern
Der Geist wie die Materia sind Ausdruck
Des Einen Schöpfergottes oder Vaters,
Der sich verschenkt in schöpferischer Liebe.
O Seele du des Menschen, die du Geist bist,
Dein Körper stofflich ist nicht dein Gefängnis,
Der Leib persönlich ist der Seele Ausdruck,
Die Seele drückt sich durch den Körper aus.
Geistseele, wenn du Liebe schenken willst
An ein geliebtes Du als Seele geistig,
So schenkst du dich in dem Gefäß des Körpers
Und spendest deine Seelenliebe aus
Durchs Sakrament der körperlichen Liebe,
Dein Körper eins wird dem geliebten Körper
Und Seele sich vereinigt mit der Seele
Als Abbild der Vereinigung in Gott,
Da Gott der Vater eint sich Gott dem Sohn
In dem Mysterium der Liebe Gottes.

(Er seufzt...)

Sophia, schenke mir den Trost der Weisheit!


Parmenides und Heraklit, sie dachten,
Es sei das Eine Seiendes allein
Und auf der andern Seite sei die Vielheit,
Die mannigfaltigen Erscheinungen,
Dem Wandel unterworfen in der Zeit,
Geworfen in den Fluss, der immer anders
Und immer andre Wasser mit sich führt.
Auch Sokrates sprach mit Parmenides
Und diskutierte übers Eins. Und auch
Für Aristoteles war es gewiß
Ein absoluter Widerspruch, totales
Verschiedensein von Eins und Vielerlei.
Wir aber glauben an die Offenbarung
Der göttlichen Natur als der Dreieinheit.
Es ist die Eine Göttliche Natur.
Wir glauben an die Eine Gottheit: Credo
In Unum Deum! Aber dieser Gott
Entfaltet sich in drei Personen als
Die Liebe einer liebenden Person
Zu dem geliebten Du, das wieder liebt,
Und die Vereinigung der Liebenden
Ist selbst die göttliche Person der Liebe.
In Gott ist Einheit: Eine Gottnatur,
In Gott ist Vielheit: Die Dreifaltigkeit.
So auch die Vielheit der Erscheinungen
Der Kreaturen in dem Universum
Steht nicht im absoluten Widerspruch
Zu der Idee der Einheit dieses Kosmos:
All-Einheit ist das Ebenbild der Gottheit.
Ich denke mir den Kosmos mathematisch,
Wie Punkt an Punkt gereiht ergibt die Linie,
Wie Eins an Eins gereiht ergibt die Zahlen.
In aller der Unendlichkeit der Zahlen
Als Grundeinheit ist immerdar die Eins.
Das Vielerlei des ganzen Universums
Ist Wiederholung seiner Grundeinheit.
Wie Mond und Sonne und die Sterne alle,
Die Erde auch ist ein Planet des Himmels.
Nicht überm Himmel schwebt der Erstbeweger,
Der durch die Schönheit lenkt das Firmament,
Und unten treibt in wesenlosem Chaos
Der sterblichen Materia die Erde,
Nein, Gottes Vielheit in der Einheit Gottes,
Sie spiegelt sich im Universum ab.
Die Erde ist ein himmlischer Planet.
Materia ist nicht von Anfang an
Dem Tode unterworfen, sondern ist
Von Gott geschaffen mit dem Geist zusammen
Als Ausdruck schöpferischer Liebe Gottes.
Gott drückt persönlich seine Liebe aus
Durchs Sakrament der körperlichen Liebe
Der Gottheit in dem Innern der Natur:
Das Universum ist wie eine Messe.

DRITTE SZENE

(Vor der Karmeliterkirche „Maria vom Sieg“ in Prag diskutieren Keppler, Tycho de Brahe und
Nikolaus von Kues.)
KEPPLER
Kopernikus hat uns gebracht die Wende,
Er hat bestätigt, was einst Aristarchus
Von Samos sagte schon, die Sonne sei
Das Zentrum ihrer Galaxie, die Erde
Umkreist die Sonne im vollkommnen Kreis.
TYCHO DE BRAHE
Doch eure Kreise, die ihr ausgerechnet,
Die makellosen Kreise der Planeten,
Sie stimmen gar nicht überein mit meinen
Berechnungen, Erfahrungen des Kosmos.
KEPPLER
Wir müssen unsre Bahn erneut berechnen.
TYCHO DE BRAHE
Gott rechnet doch genau! Der weise Gott
Ist in der mathematischen Berechnung
Der einzig Weise, der vollkommne Weise.
KEPPLER
Schon Salomo sagt in dem Buch der Weisheit:
Sophia als des Kosmos Architektin
Schuf alles nach Gewicht und Maß und Zahl.
Sophia küsste Nikolaus von Kues!
Wie göttlich scheinst du mir, mein Philosoph!
Gott schuf aus absolutem Nichts den Kosmos,
Gott schuf die Körperwelt in Quantität.
Gott schuf die reinen Kreise der Planeten
Und schuf auf Erden lineare Zeit.
Was sagst du, weiser Nikolaus von Kues,
Was sagst du zu dem Kreis und zu der Linie?
NIKOLAUS VON KUES
Ein Dichter sang einst: Gott ist wie der Vollmond...
Das deut ich so: Gott ist ein reiner Kreis,
Gott ist die Große Runde Ewigkeit,
Der Mensch lebt in der linearen Zeit,
Hat Anfang, Mitte und das Ziel als Ende.
Die Offenbarung unsres Glaubens aber
Lehrt, dass die Ewigkeit kam in die Zeit,
Lehrt, dass die Weltvernunft ist Fleisch geworden.
Dies Urmysterium der Offenbarung
Hat Gott der Schöpfer abgebildet in
Dem Universum so, dass die Planeten
Nicht eine reine runde Kreisbahn laufen,
Nein, sich bewegen auf Ellipsenbahnen.
Der eine runde Kreis ist reine Gottheit,
Die reine Linie ist die reine Menschheit,
Doch die Ellipse ist der Gottmensch Christus,
In der Ellipse einst sich Kreis und Linie
In einer himmlischen Figur und diese
Gottmenschliche Figura der Ellipse
Ist jene Bahn, darauf sich die Planeten
Bewegen nach dem Allgesetz der Weisheit.
TYCHO DE BRAHE
Ich muss euch leider nun verlassen, Keppler
Und Nikolaus von Kues, liebe Brüder.
Die Majestät von Prag gebot den Weisen
Von Prag, sie sollen in dem Goldnen Gässchen
Saturnus’ Blei in Phöbus’ Gold verwandeln.
Ich bin schon nahe dran am Stein der Weisen!
Doch Englands Jungfraunkönigin Eliza
Geschickt hat einen englischen Spion
Ins Goldne Gässchen, der den Stein der Weisen
Dem erzkatholischen Regenten Rudolf
Von Habsburg stehlen soll und geben ihn
Der anglikanischen Regentin Englands,
Elisabeth der Großen Gloriana.
KEPPLER
Ist die bekannt der englische Spion?
TYCHO DE BRAHE
Er unterschreibt mit Null-Null-Sieben. Aber
Den Stein der Weisen, wenn ich ihn gefunden,
Den weihe ich dem Kaiserhaus von Habsburg.
NIKOLAUS VON KUES
Nun, Tycho, der getauft du auf den Namen
Der Göttin Tyche bist, der Zufallsgöttin,
Vielleicht wird dir die große Zufallsgöttin
Den Stein der Weisen noch bescheren und
Du wandelst noch Materia in Geist!
So jedenfalls erwarten es die Toren.
TYCHO DE BRAHE
Maria, Goldnes Haus der Gottesweisheit,
Die Gott im Fleisch empfangen durch den Geist,
Erbitte uns die Gabe wahrer Weisheit,
Daß wir erkennen, was das Universum
Im Innersten zusammenhält: Die Liebe!

VIERTE SZENE

(Galileo Galilei in seinem Obergemach mit Fenster zum Apfelgarten und zum Firmament.)

GALILEI
Ich habe meinen Keppler gut studiert
Und auch den alten Aristoteles.
Wenn ich den Aristoteles bedenke,
Ist Gott der Herr hoch über allen Welten
Und lenkt durch seiner Weisheit reine Schönheit
Am Firmament die göttlichen Planeten
In den vollkommnen Kreisen ihrer Bahnen.
Die Erde ist für Aristoteles
In einer Hierarchie der Wertigkeit
Gelegen unterm Monde. Salomo
Und Phanias behaupten: Unterm Monde
Ist alles Nichtigkeit der Nichtigkeiten.
Und so auch Aristoteles, der sagt,
Die Erde treibt in ihrer Sterblichkeit
In einer wesenlosen Masse hin,
Die nah dem Nichts ist und die nicht Substanz hat,
Materielles wesenloses Chaos,
Dem Wandel unterworfen und dem Wechsel.
Nun aber höre ich den großen Keppler,
Die Mutter Erde schwebe auch am Himmel,
Sei Eine von den göttlichen Planeten.
Mit mathematischer Genauigkeit
Berechnen wir die göttlichen Planeten
Und ihre himmlischen Bewegungen,
Die revolutionären Allgesetze.
Wenn Gäa nun mit ihren breiten Brüsten,
Die schwarze Mutter Erde, schwebt am Himmel,
Dann können wie die göttlichen Planeten
Wir auch berechnen Unser Aller Mutter
Und können das Gesetz erforschen, das
Der Herr und Schöpfer unsrer Mutter gab.
So habe ich studiert und so gefunden,
Daß auf der Erde das Gesetz der Trägheit
Gesetzlich wirkt. Zwar Aristoteles
Sprach von den Körpern, wie sie sich bewegen,
Indem von außen sie gestoßen werden.
Am Firmament die göttlichen Planeten,
Sie werden von der Höchsten Macht bewegt,
Der Gottesweisheit Unbefleckten Schönheit.
Die göttlichen Planeten wiederum
In ihrem Nahesein und Fernesein
Bestimmen auf der Erde allen Wandel.
Ich aber fand in meinem Studium
Der heiligen Natur das Weltgesetz
Der Trägheit, dass auf Erden sich die Körper
Bewegen durch die eigne Kraft und Masse.
Was nun bedeutet dieses philosophisch?
Die Erde ist nicht mehr wie bei den Griechen
Ein wesenloses Fast-Nichts unterm Monde,
Materia allein und nicht Substanz,
Nein, meine wissenschaftliche Erkenntnis
Behauptet eine doppelte Natur:
Am Himmel waltet makelloser Geist
Und ist Substanz und wesenhaftes Wesen,
Auf Erden waltet heilige Natur
Und ist Substanz und wirklich wesenhaft.
Was aber sagt das einem Katholiken?
Und ich bin stolz, ein Katholik zu sein!
Der Katholik erkennt an zwei Substanzen,
Substanzen der Natura und des Geistes,
Die Wahrheit seines Meisters Jesus Christus.
In Christus sind ja zwei Naturen
In einer göttlichmenschlichen Person.
In Jesus die Natur des Logos ist
Und auch ist in ihm die Natur des Fleisches.
So Jesus ist aus Geist und aus Natur,
So Jesus ist aus Gott und ist aus Mensch,
So Jesus ist aus Himmel und aus Erde,
Mit Einem Worte: Unser Herr ist Alles!

FÜNFTE SZENE

(Galilei vor einem Fernrohr, in den Himmel schauend.)

GALILEI
Nun geh ich aus von einem Universum,
Das nicht geteilt in zwei verschiedne Hälften,
In einen höchst vollkommnen Vater Himmel
Und eine makelhafte Mutter Erde,
Ich gehe aus von einem Universum,
Das Gott der Schöpfer im Beginn geschaffen,
Als Gott der Schöpfer Himmel schuf und Erde,
Als Gott Materia erschuf und Geist,
Die Sichtbarkeit und die Unsichtbarkeit,
Der Engel und der Kirche Hierarchie.
Ein Gott ist nur und nur Ein Universum.
Doch jetzt will ich beweisen, dass der große
Kopernikus mit seiner Wende Recht hat
Mit seinem revolutionären Himmel.
Von Alexandria soll Ptolemäus
Mit mir durch dieses große Fernrohr schauen!
Ich hab es nicht erfunden, ich gestehe,
Doch habe ich es wesentlich verbessert.
Von Alexandria mein Ptolemäus,
Du sprachst von göttlicher Vollkommenheit
Der himmlischen Planeten, von der Sonne
In ihrer makellosen weißen Schönheit
Und von dem Mond in der perfekten Runde.
Ach, hätten einst die Griechen schon gewusst,
Was ich mit meinem Fernrohr jetzt erkenne,
Sie hätten nicht die Sonne angebetet
Und Luna nicht als makellose Göttin.
Apollo, lichter Gott von höchster Schönheit,
Du junger Sonnengott mit goldnen Locken,
Ich sehe, sieh, ich sehe deine Flecken!
Jungfräulich unbefleckte Göttin Luna,
Der Grieche sagt, du seist perfekt gerundet,
Perfekt gerundet seist du Himmelsweib,
Ich aber sehe durch mein scharfes Rohr
Unebenheiten und Gebirge da
Und Beulen hat und Buckel hat die Göttin!
Sei nicht enttäuscht, mein alter Ptolemäus,
Es bleibt die Sonne der Gerechtigkeit
Das Licht der Welt, der Heiland Jesus Christus,
Es bleibt die unbefleckte Jungfraumutter,
Perfekte Himmelskönigin Maria!
Doch dass sich Ptolemäus irrte, dass
Die göttlichen Planeten nicht perfekt,
Beweist noch nicht: Kopernikus hat Recht.
Nun mit dem scharfen Augenglas der Liebe
Ich starre an die Schönheitsgöttin Venus.
In epizyklischer Bewegung tanzt
Die Göttin Venus um das Sonnenfeuer!
Nicht hinter und nicht vor der Sonne tanzt sie,
Nein, um die Sonne tanzt sie epizyklisch.
Die Venus liefert mir nicht den Beweis,
Doch Venus ist ja aus dem Meer getaucht,
Ich will das mütterliche Meer befragen.
O Meer, in Ebbe waltest du und Flut,
Und anders sind Gezeiten nicht erklärbar,
Als dass die Erde um sich selber kreist
Und dass die Erde um die Sonne kreist.
Ich will das als Beweis den Menschen sagen.
Es mögen oberkluge Männer kommen,
Es mögen Fischer sagen, dass das Meer
An einem Tage zweimal ebbt und flutet,
Daß mein Beweis nicht ganz korrekt gedacht,
Doch brauch ich unbedingt Beweise und
Ein Irrtum hilft wohl auf der Wahrheit Spur,
Wie durch die Liebe Davids zu Bath-Sheva
Geboren ist der weise Salomon!

SECHSTE SZENE

(Papst Urban und Kardinal Bellarmin in der Sixtinischen Kapelle unter dem Bilde des Jüngsten
Gerichts.)

KARDINAL BELLARMIN
Wir haben Galilei unterstützt
In seiner Forschung, haben Anteilnahme
Gezeigt und waren wirklich interessiert.
Sein Buch, das von den Sonnenflecken handelt,
Das haben wir genehmigt und es wurde
Gedruckt mit der Genehmigung der Kirche,
Weil dieses Büchlein von den Sonnenflecken
Die Bibel nicht berührt und weil dies Büchlein
Nicht das Kopernikanische System
Darstellt als eine absolute Wahrheit.
Mein Freund, der Wissenschaftler Galilei,
Hat unterschrieben seines Freundes Formel,
Die ich als Kardinal ihm vorgelegt,
Daß das Kopernikanische System
Sei eine Hypothese, mathematisch
Wahrscheinlich, sei sie einfach nur Beschreibung
Der himmlischen Gesetze der Planeten,
Doch soll man dies System nicht so verstehen,
Als sei die Wirklichkeit des Kosmos so.
Denn diese Lehre könnt dem Glauben schaden,
Weil es den Anschein hat, als ob die Lehre
Der Wissenschaft der Bibel unterstellt,
Sie irre sich, die irrtumslos doch ist.
Doch gibt es wirklich einmal den Beweis
Für das System der Wissenschaft, die Erde
Umkreist die Sonne, müssen Theologen
Vorsichtig bei der Interpretation
Der Bibel sein und müssen eher sagen:
Wir haben Gottes Buch nicht recht verstanden.
Denn wenn es wissenschaftliche Beweise
Gibt für der Erde Kreisen um die Sonne,
So lass der Theologe Vorsicht walten
Bei der Erklärung jener Worte in
Der Bibel, die von der Bewegung sprechen
Der Sonne und wie untergeht die Sonne
Und wie die Sonne aufgeht, dass dann nicht
Bei seiner Interpretation der Bibel
Der Theologe eine Lüge nennt,
Was wissenschaftlich schon bewiesen ist.
Die Hagia Sophia, Gottes Weisheit,
Sagt durch den Mund des Augustinus so:
Wenn jemand die Autorität der Bibel
Ausspielen wollte gegen den Beweis
Der Wissenschaft der menschlichen Vernunft,
So fehlt ihm das Verständnis dieser Bibel,
Er stellt der Wahrheit dann der Wissenschaft
Entgegen nicht den wahren Sinn der Bibel,
Vielmehr nur seine eigenen Gedanken,
Was er sich denkt bei manchen Bibelworten,
Tut so, als ob es in der Bibel stünde,
Als obs entspräch dem tiefen Sinn der Bibel.
PAPST URBAN
Als Stellvertreter Christi auf der Erde
Empfahlen dringend Wir dem Physiker,
Daß das Kopernikanische System
Von ihm behandelt wird als Hypothese
Rein mathematisch und er solle auch
Den hypothetischen Charakter des
Systems betonen, ohne auf die Bibel
Bezug zu nehmen. Wenn er das beachtet,
So sagten Wir, so gibt dem Physiker
Der Papst die Blanko-Unterschrift, er darf
Sein Büchlein von den beiden Weltsystemen
Veröffentlichen. Aber er missbrauchte
Das ihm voraus gespendete Vertrauen
Und darum haben Wir ihn auch verurteilt,
Da er den hypothetischen Charakter
Doch des Kopernikanischen Systems
Nicht mehr vertrat und noch vor dem Beweis
Der Wahrheit dieser Lehre sie vertrat,
Als ob sie ganz genau der Wirklichkeit
Entspräch des Universums. Aber dennoch
Wird seine Forschungstätigkeit fortan
Vom Papste nicht behindert, nein, vielmehr,
Wir fördern seine Forschungstätigkeit
Und unterstützen sie mit allen Mitteln.
So kann er den Diskurs veröffentlichen.
Ja, das Kopernikanische System
Darf weiterhin vom Physiker behandelt
Und diskutiert und ausgestaltet werden.
KARDINAL BELLARMIN
Die Weltanschauung Ptolemäus’ ist
Gemäß antiker Weisheit ausgestaltet,
Da sich das Universum spaltet auf
In einen Himmel des vollkommnen Geistes
Und eine Erde stofflich und verderblich.
Wenn im Kopernikanischen System
Die Erde wird zum göttlichen Planeten,
Dann ist Materia nicht mehr geschieden
Grundsätzlich von der geistigen Substanz,
Auch die Materia hat dann Substanz,
Ist nicht nur Akzidenz und abzustreifen.
So tritt dann neben die Substanz des Geistes
Materia auch wahrhaft als Substanz.
Und das entspricht dem biblischen Gedanken:
Im Anbeginn schuf Gott der Herr als Schöpfer
Den Himmel geistig und die Erde stofflich
Als Ausdruck seiner schöpferischen Liebe.
PAPST URBAN
Das ist nun so die Mode unsrer Zeit.
Doch Wir, als Stellvertreter Christi, sehen
Die Physiker der Zukunft kommen schon,
Die sagen werden, weder Ptolemäus
Noch auch Kopernikus erkannten richtig,
Des Universums Wahrheit ist noch anders.
Der Lehrstuhl des Apostels definiert
Die rechte Interpretation der Bibel.
Der Papst sagt: In der Bibel steht geschrieben,
Wie Christenmenschen in den Himmel kommen,
Nicht aber, wie der Sternenhimmel aussieht.
KARDINAL BELLARMIN
O Pappa! Doch die Sternenhimmel preisen
Die allerschönste Herrlichkeit des Herrn!

SIEBENTE SZENE

(Doktor Martin Luther als Junker Jörg mit dichtem Vollbart in der Wartburg, bei ihm sein Freund
und Genosse Philipp Melanchthon.)

MELANCHTHON
(singt)
Martinus Luther ist ein Christ,
Ein glaubensstarker Mann!
Weil heute sein Geburtstag ist,
Zünd ich ein Lichtlein an.
JUNKER JÖRG
Ich denk an einen neuen Astrologen,
Der will beweisen, dass die Erde sich
Bewegt und dass sie um die Sonne kreist,
Der will beweisen, dass die Sonne still steht,
Der Mond, die Sterne und das Firmament.
Der Narr will alle Kunst der Astronomen
Nun stellen auf den Kopf. Doch sagt die Bibel,
Daß stillgestanden war die Sonne einst
Auf Josuas Gebet und nicht die Erde.
Denn damals sagte Josua zum Herrn
Und vor den Augen Israels rief er:
O Sonne, über Gibeon steht still!
O Luna, still steh über Ajalon!
Da stand fürwahr die Himmelssonne still
Und stehen blieb der Mond auf seiner Bahn,
Bis Israel genommen Rache an
Den Feinden Gottes, blieb die Sonne stehen,
Den ganzen Tag verzögerte die Sonne
Den Untergang ins Meeresbett des Westens!
MELANCHTHON
Die physikalische Vernunft und auch
Die Bibel spricht davon: Die Sonne kreist,
Sie geht am Morgen auf, am Abend unter.
Die Bibel ist doch wörtlich auszulegen!
Die wörtlich ausgelegte Bibel zeugt
Doch von der Wahrheit, dass die Sonne kreist,
Am Morgen aufgeht und am Abend unter,
Die Erde ruht auf festen Fundamenten.
JUNKER JÖRG
O Heiligkeit des puren Biblizismus!
Doch wo der Rattenschwanz des Antichristen
Und seine geile Hure Babylon
Die Bibel zu ersetzen suchen durch
Konzile, Kirchenväter, Papst und Dogmen,
Kann man der Sintflut Einhalt nicht gebieten!
Die Hure Babylon von sieben Hügeln
Hurt ja mit einer andern Hure noch,
Die Heidin ist, der Hure der Vernunft!
So lehrt es uns der pure Biblizismus,
Des heiligen Purismus’ Buchstabtreue,
Daß Gott die Welt erschuf in sieben Tagen,
Als er wortwörtlich aussprach Gottes Wort.
Nun kommt die Hure der Vernunft, die Heidin,
Sie redet wie die Säue Epikurs,
Spricht von Materia und von Atomen,
Von Urmateria und Geistentwicklung,
Von der Natur und wie sie sich entfaltet.
So hurt die Hure der Vernunft mit Satan,
Weil schon der Rattenschwanz des Antichristen,
Der Papst, hurt mit der Hure Babylon!
MELANCHTHON
O Junker Jörg, der du bist Gottes Schwan,
Du wirst dem Papste ewig eine Pest sein!
JUNKER JÖRG
Ich glaub an kein Konzil und keinen Papst,
Ich glaub an meine Biblia allein.
MELANCHTHON
Ein feste Burg ist Unser Gott und Herr,
Der Herr ist unsre Wehr und unsre Waffe!
JUNKER JÖRG
Doch Christus lieb ich nicht, denn Er verzehrt mich!
Gott musste erst zum einem Teufel werden,
Bevor er werden konnte Gott der Gnade!

(Er schleudert das Tintenfass, mit dessen Tinte er seine Bibelübersetzung schrieb, an die Wand, weil
er dort den Teufel sieht.)

Geh weg, du Satanas, du fette Ratte!

ACHTE SZENE

(Eine hundertjährige Greisin mit weißem Haar als Orakel der Ewigen Weisheit thront in ihrem
Lehrsessel und weissagt.)

SEHERIN
Ich sehe Galileo Galilei:
Die Wissenschaftler werden ihn verehren
Als Marterzeugen für die Wissenschaft
Und als Ikone menschlicher Vernunft.
Sie werden sagen, dass die Mutter Kirche
Ihn pfäffisch hat zum Widerruf gezwungen.
Mit Galileo Galileis Fahne
Die Wissenschaft von der Natur wird sich
Emanzipieren von der Mutter Kirche,
Emanzipieren von der Offenbarung,
Die Christus anvertraut der Mutter Kirche.
Die Wissenschaft von der Natur wird schließlich
Die Leibesfrucht im Mutterschoß sezieren!
Sie wird im chemischen Labore schaffen
Kunstmenschen und auch ihre Doppelgänger
Und Mischungen aus Menschen und aus Affen!
Die Mutter Kirche hat nicht mehr verlangt,
Als dass der Physiker nicht mehr sagt, als
Er wissenschaftlich auch beweisen konnte.
Die Wissenschaft und Forschung, ungezügelt,
Erforscht einst die Mechanik der Atome
Und wird noch atomare Waffen schaffen!
Ob Waffen aus gespaltenen Atomen
Die Welt vernichten werden? Wer weiß das?
Die Wissenschaftler der modernen Zeiten
Sind nicht bereit zum gläubigen Gehorsam
Der weisen Mutter Kirche gegenüber.
Sie unterwerfen sich nicht mehr den Priestern,
Ob diese Gottes Wahrheit auch bewahren
In den gebenedeiten Priesterhänden.
Der Mutter Kirche Herrschaft wird vergehen,
Die Herrschaft wird dann liegen in den Händen
Der Wissenschaft, der menschlichen Vernunft.
Doch diese wissenschaftliche Vernunft,
Emanzipiert vom gläubigen Gehorsam
Der Offenbarung Christi gegenüber
Und seiner Jungfrau-Braut, der Mutter Kirche,
Ach, diese wissenschaftliche Vernunft
Gibt dann die Welt der Selbstzerstörung preis!
Ich sehe aber, siehe, was ich sehe,
Im weißen Kleid der Bischof ists von Rom,
Der blutig unterm Kreuz zusammenbricht!
O sprich zu mir, du Gast aus ferner Zukunft!
DER WEISSE BISCHOF
(Als Geistererscheinung leise sprechend)
Im Evangelium ist eine Weisheit,
Die Weisheit wird ein reines Licht euch spenden
Und euch erleuchten in den Forschungen
Vom Ursprung der Materia, von der
Entwicklung der Materia. Die Bibel
Ist Trägerin der Botschaft von dem L e b e n ,
Sie gibt ein Bild der Weisheit von dem L e b e n .
So achtet immerdar das Menschenleben
Vom Augenblicke der Empfängnis an
Bis zu dem ganz natürlichen Verscheiden.
Im Evangelium Johannis ist
Das L e b e n jenes Licht, das Christus schenkt.
Wir sind von Gott berufen in das L e b e n
In Ewigkeiten einzugehen, nämlich
In eine ewige Glückseligkeit!
Das L e b e n ist ja selbst ein Name Gottes,
Gott, der Lebendige, ist Gott des L e b e n s !
(Er lächelt voller Liebe)
Von ganzem Herzen grüße ich den Dichter,
Der Gott lobpreisen wird als JAHWE-EVA:
ICH BIN DAS LEBEN, Mutter alles Lebens!

FRÄULEIN EDITH
ERSTE SZENE
(Der Schüler in der Abendstunde auf einem dunklen Waldweg. Nebel. Er betet.)

SCHÜLER
O meine Gottheit! Hagia Sophia!
Ich bin verzagt an meiner kleinen Weisheit!
Soll ich den Weg der Weisheit weiter gehen?
Ich bin ja ungelehrt, ein Idiot!
Ich kann kein Griechisch und kann kein Latein.
Ich weiß nicht, was heißt Wesen, was Substanz,
Was Akzidenz und was ist die Idee?
Sophia! Einst die alten Kirchenväter
Bezeichneten der alten Griechen Weisheit
Ein zweites, andres Altes Testament,
Das auch zum Logos führt, zu Jesus Christus.
Ich habe Aristoteles noch nicht
Gelesen, nur alleine die Poetik
Vor zwanzig Jahren, als ich noch nicht glaubte.
Ein wenig Platon habe ich gelesen,
Doch wenn er spricht mit dem Parmenides,
Bin ich zu dumm dazu. Ich bin verzagt!
Der Papst verwies mich auf Johannes Scotus,
Ich habe seine Schriften mir besorgt,
Doch leider, ich verstehe nichts davon.
Die metaphysischen Gedanken und
Spekulationen, Theorien, ach,
Das ist mir alles leider viel zu hoch.
Was ich verstehe, das ist Friedrich Nietzsche
In seiner schönen Prosa-Poesie
Von Zarathustra und dem Übermenschen.
Was ich am liebsten lese in der Welt,
Das ist der Prediger, der Koheleth,
Von Martin Luther herrlich eingedeutscht.
Ja, Luthers Sprache ist die Sprache Gottes!
Und Philosophen sollten alle singen
Wie Zarathustra singt so hochpoetisch.
Nun aber spür ich doch den Drang nach Weisheit,
Der Priester wies mich auf die Weisheit hin,
Die Hildegard von Bingen einst gesehen,
Da Christus ist in weiblicher Gestalt
Erschienen als die Hagia Sophia.
O Hagia Sophia, hab Erbarmen
Und sende du mir eine Meisterin,
Die liebevoll mich Gottes Weisheit lehrt.

(Auf dem Waldweg erscheinen drei Jungfrauen, unbeschuhte Karmelitinnen. Sankt Teresa von
Jesus, Sankt Therese vom Heiligen Antlitz und vom Kinde Jesu und Sankt Teresia Benedicta a
Cruce. Sie lächeln alle drei liebevoll und stehen da wie die drei Grazien. Aus der Gruppe löst sich
Sankt Teresia Benedicta a Cruce und spricht.)

FRÄULEIN EDITH
Teresa Benedikta von dem Kreuze,
So nennen mich die Schwestern in dem Karmel.
Du darfst mich aber Fräulein Edith nennen.
Ich weiß, in deiner Kindheit mochtest du
Die Nachbarin sehr gern, die Edith hieß.
So bin ich eben deine alte Edith,
Die Tante Edith, die dich grüßt und küsst.
Ich bin ein Doktor ja als Philosophin,
So nannte man mich lange Fräulein Doktor.
Als ich zu Ruhm gekommen in der Welt,
Da nannte man mich plötzlich nur Frau Doktor.
Ich bin nicht eines Doktors Ehefrau!
Mein Lehrer Husserl hatte eine Frau,
Wenn er einmal besonders Schönes sagte,
Dann sprach sie immer ganz verständnislos.
Frau Doktor? Nein, das bin ich wirklich nicht.
Ich bitte, laß mich Fräulein Doktor bleiben!
Du aber nenne mich nicht Fräulein Doktor,
Du nenn mich einfach Edith, deine Freundin!
Und nenne mich nicht Heilige und Sankt,
Hochwürden, Eure Heiligkeit und so.
Nein, nenn mich Edith, oder willst du singen,
So singe meinen Namen so: Editha!
Die Poetesse Gertrud von LeFort
Hat Sie zu mir gesagt. Ich aber weiß,
Du magst nicht, wenn man dich mit Sie anredet.
Teresia von Avila sprach Gott
Mit Eure Hoheit an und Majestät,
Du aber sagst zu deinem Gotte Du,
Du stehst mit deinem Gott, dem Herrn, auf Duz-Fuß,
So sag ich du und du sagst du zu mir.
SCHÜLER
Ach liebe Edith, meine liebe Freundin,
Ich möcht dich wirklich gern zur Freundin haben.
Und lernen möchte ich von dir, o Schwester.
Komm du doch mit in meine kleine Wohnung.
Ich habe zwar Besuch, in meiner Wohnung
Zwei kluge Männer sind als Gäste da,
Doch freuen sie sich sicher auch mit mir,
Wenn eine Frau in unserm Kreis erscheint.
FRÄULEIN EDITH
Wen hast du denn in deiner Wohnung, Freund,
Wen hast du denn zu Gast geladen? Sind
Es Theologen oder Philosophen?
SCHÜLER
Zuerst geladen hab ich Martin Luther.
Ich kenn ihn schon von Kindesbeinen an.
Als Kind sang immer ich am Martinstag
Ein heiliges Geburtstagslied für ihn
Und dafür dann bekam ich Mandarinen.
Und die Familie nannte sich lutherisch,
Wir waren evangelisch und lutherisch.
Wir spielten Indianer in dem Wald
Und dienten nicht als Knaben in der Messe.
So hab ich auch das Abendmahl empfangen
Als bloßen Traubensaft und bloßes Brot.
Großmütterchen, mein liebes Omilein,
Gab mir im Alter ihre Lutherbibel
Und lehrte mich Psalm dreiundzwanzig
In Martin Luthers dichterischem Deutsch.
FRÄULEIN EDITH
Wer ist der andre Gast in deiner Wohnung?
SCHÜLER
Ein Philosoph mit Namen Friedrich Nietzsche.
Im humanistischen Gymnasium
Ich las von der perversen Knabenliebe
Des Künstlers Aschenbach, um den Roman
Mit Friedrich Nietzsches Weisheit zu vergleichen,
Der von Apollon und Dionysos
Geschrieben und von der Musik als Ursprung
Der griechischen Tragödie. Neuer Heide,
Verehrt ich den Dionysos der Griechen
Und las in Nietzsches Buche Zarathustra.
Mir schien Dionysos ein Bruder Christi.
Es war jedoch ein Gegner Jesu Christi,
Der sagte, Jesus Christus sei nicht Bacchus.
Doch immer noch verzauberte mich sehr
Die Sprachgewalt des Dichters Friedrich Nietzsche.
FRÄULEIN EDITH
Die Dialektik nahm dich in die Schule?
Ich führe dich zum engelgleichen Thomas
Und zu dem lieben Vater Augustinus.
SCHÜLER
Den Vater Augustinus lieb ich sehr!
Ich hörte auch, er war Platoniker.
Gehörst du nun zu Aristoteles
Und ich gehör zu meinem lieben Platon?
FRÄULEIN EDITH
Kind!... Wir gehören nur zu Jesus Christus!
SCHÜLER
Da sind wir. Hier ist meine kleine Wohnung.
Zwar ist es nicht sehr sauber, doch du bist
Willkommen, meine Lehrerin und Freundin!

ZWEITE SZENE

(Martin Luther frisst ein fettes Hühnchen mit den Händen und säuft eine unglaubliche Menge
Wein.)

LUTHER
Des Königs Narr in der Komödie spricht:
Statt Gottes Liebe stößt bei den Reformern
Ein Götze auf des andern Bosheit an!
So sprechen Narren! Wirksam ist allein
Der Gott, er streckt den freien Willen nieder
Des Menschen. Gott wär ja kein Gott, er wäre
Ein Götze, wenn nicht unveränderlich
Und ewig und unfehlbar wär sein Wille,
Und was er vornimmt sich, das tut er auch.
Der wahre Gott jedoch, der lebende,
In seiner Freiheit legt er auf den Menschen
Das Joch der ehernen Notwendigkeit.
Der kardinale Angelpunkt ist dies:
Des Menschen freier Wille wird vernichtet
Durch Gottes Allmacht und durch Gottes Vorsicht,
So wie ein Blitz den Menschen niederschmettert!
Wenn du jedoch den freien Willen preist,
Dann machst du Christus leer und höhlst ihn aus
Und trittst die Bibel unter deine Füße.
Nicht herzbewegend ist die Liebe Gottes,
Allwille Gottes herrscht wie Blitz und Donner!
Gott denkt sich selber ja als Quell des Bösen:
Ich bins, der Gutes schafft und Böses schafft;
So widersinnig machte sich der Herr,
Daß er das Gute und das Böse führt
Zurück auf Einen Quellgrund in der Gottheit,
Die Einheit seiner ewigen Natur.
Warum hat Gott denn Adam fallen lassen,
Obwohl er ihn bewahren hätte können?
Warum denn wurde Judas zum Verräter?
Gott, der allein den Willen ja bewegt,
Warum verändert er nicht bösen Willen?
Nein, nicht der arme Mensch ist schuldig, sondern
Der große ungerechte Gott ist schuldig!
Der wahrhaft gute Herrgott des Erasmus
Von Rotterdam, der schafft den freien Willen,
Ist nicht mein Herr. Ich glaub an die Gewalt
Des Herrgotts, unter der der Mensch als Knecht
Der Sünde steht. Der Mensch ist wie ein Lasttier
Der Sünde. Unser Name ist: Die Sünde!
Drum kämpf ich bitter gegen diesen Gott,
Weil Gott mein Gegner ist! Es kommt der Herr,
Indem er nur vernichtet und zerstört!
Er tötet durch sein göttliches Gesetz,
Das doch die Menschen nicht erfüllen können.
Gott können wir mit Gott nur überwinden.
Drum suche ich den Christus auch für mich,
Der Christ für mich ist wie ein fester Fels,
Auf dem liegt Sünde, Tod und Höllennacht.
Der Christ für mich, ein göttliches Geschöpf,
Wird nicht hinzugefügt der Gottnatur.
Johannes sagt: Und Gottheit war das Wort;
Doch sagt er nicht, dass Christus ist das Wort.
Denn Christ ist eine Schöpfung in der Weise,
Daß Gott der Schöpfer schuf wie alles ihn.
So geht der Herrgott mit dem Christus um:
Er schafft ein Fleisch und tut es in die Jungfrau.
Johannes spricht: Das Wort ist Fleisch geworden,
Und Paulus nannte Christus Davids Sohn
Und Samen und von einem Weib geboren.
Durch einen Menschen, der Geschöpf ist, kann
Doch nichts geschaffen werden. Paulus und
Johannes widersprechen sich doch selbst,
Sie machen ihn zum Menschen und zum Schöpfer!
Erlöser ist er auch nicht von Geburt,
Erlöser ist er von der Taufe an,
Von da an trägt er nicht nur unsre Sünde,
Nein, Christus selber ist geworden Sünde,
Er nahm die Knechtsgestalt an, wurde Sünde.
Weil Sünde aber nicht mit Gott kann eins sein,
Drum ist auch Christus nicht dem Vater gleich,
Dem Knecht kommt nicht der Gottheit Titel zu.
Propheten haben das vorausgesehen,
Daß Christus ist der allergrößte Räuber,
Gesetzesbrecher, Gotteslästerer
Und Tempelschänder, Säufer, Fresser, Dieb,
Weil er nicht mehr das eigne Wesen ist,
Weil er jetzt als der größte Sünder wandert,
Des Teufels Sohn ist Christus, gottverlassen!
So Christ durchläuft der Bosheit Abgrund, um
Uns gleich zu werden und uns so zu helfen.
Doch dieser Christus ist nicht meine Liebe,
Weil er mich auffrisst und mich ganz verzehrt!

(Katharina von Bora tritt ein und setzt sich neben Luther)

KATHARINA
Gegrüßet seiest du, o Schüler Luthers,
Gegrüßet seist auch du, o fremde Frau,
Heil Luther! Ich war eine Jesus-Nonne,
Jetzt aber will ich das Gelübde brechen
Und lieber buhlen mit dem Mann von Fleisch!

(Sie streichelt Luthers Rücken, dann seinen Oberschenkel.)

LUTHER
O hochgebenedeite Herrin Käthe!
Ich habe Ehelosigkeit gelobt,
Jetzt aber laß uns wie Diogenes
Ganz öffentlich vollziehen unsre Liebe!

(Luther und Katharina ab)

EDITH
Das also war der große Reformator?
Und das, meinst du, sei wahres Christentum,
Das unverfälschte Evangelium?
Wer aber liegt da so besoffen auf
Dem Philosophen-Sopha in den Kissen?

DRITTE SZENE

(Nietzsche erwacht von seinem Weinrausch. Er erhebt sich und sieht seinen eigenen Schatten
übergroß wie den Schatten eines Übermenschen an der weißen Wand der Höhle des Schülers.)

NIETZSCHE
Ich kämpfe mit des alten Gottes Schatten,
Sechs Kriege führ ich gegen Platons Schatten!
Der erste Schatten ist die wahre Welt,
Erreichbar für den Weisen, für den Frommen,
Den Tugendhaften. Er lebt in der Welt,
Er ist die Welt. Das ist die älteste
Der Formen der Idee, die simple Form,
Doch überzeugend. Hier gilt noch der Satz:
Ich, Platon, bin die makellose Wahrheit.
Für Platon war die wahre Welt das Reich
Der ewigen Ideen. Weisheit, Tugend
Erlangt der Mensch durch Anteilhabe an
Der höchsten, heiligen Idee des Guten.
Gott selber war für Platon die Idee
Des Guten. Die Idee ist nicht allein
Das subjektive Denken an das Sein,
Sie ist der Inbegriff des höchsten Seins,
Die sich als Geist-Idea selbst besitzt.
Die höchste heiligste Idea drückt
Die Einheit aus von Denken und von Sein,
Ist Gott, der selbst sich denkt als höchstes Sein,
Der ist von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Sich selber denkend, ist das Sein des Gottes
Ein abgeschlossnes, höchst perfektes Sein,
Das keinerlei Ergänzung je bedarf,
Das durch den Überfluß der eignen Güte
Sich selbst abbildet in perfekten Wesen
Und in Gestalten weltenhaften Seins.
Der Menschengeist als höchstes Abbild der
Idea, ist aufgrund der Ähnlichkeit
Mit Gottes höchstem Dasein nicht nur fähig,
Gott als die höchste Gutheit sich zu denken,
Vielmehr auch Gott als Maßstab anzunehmen
Fürs eigne Tun in Tugend und Moral.
Der Güte Gottes zu entsprechen, heißt
Für Platon, jedem Ding Gerechtigkeit
Zu widerfahren lassen, Mensch, Tier, Pflanze
Hat jeweils eigne Wahrheit, Güte, Schönheit,
Ihm von der göttlichen Idee verliehen.
Doch die platonische Idee des höchsten
Und absoluten Wahren, Guten, Schönen,
Gilt es zu morden in dem Gottesmord!
Wir haben Gott solange nicht getötet,
Solang noch lebt die göttliche Idee!
Der zweite Schatten Platons sterbe auch:
Die wahre Welt, im Heute unerreichbar,
Versprochen für den Frommen und den Weisen
Und für den Tugendhaften oder für den Sünder,
Der Buße tat. Der Fortschritt der Idee:
Die göttliche Idee wird feiner und
Verfänglicher, unfasslicher, sie wird
Zu einer Frau und wird zu einer Christin.
Die Christen unterscheiden zwischen Gott,
Zwar jetzt zu denken, dessen Wirklichkeit
Verheißen aber ist erst für das Jenseits.
Der Sünder nur, der Buße tut, erlangt
Anschauung Gottes später in dem Jenseits.
Die wahre Welt ist heute unerreichbar.
Der Zwiespalt zwischen Diesseitswelt und Jenseits
Wird also durch das Christentum verschärft.
Der dritte Schatten Platons sterbe auch:
Die wahre Welt ist unerreichbar fern,
Ist unbeweisbar, unversprechbar auch.
Allein die wahre Welt zu denken schon,
Schon als Gedachte ist sie eine Tröstung!
Verpflichtung und Gebot! Die alte Sonne
Vom Sinai im Grunde, aber durch
Den bleichen Nebel Königsbergs gesehen.
Transzendentalphilosophie von Kant
Heißt dieser Schatten von dem alten Gott:
Was du nicht willst, das man dir tu, das tu
Du keinem andern an! Dies ist Gebot.
Nicht die vernünftige Idee von Gott
Reicht als das Fundament der Wissenschaft,
Wir brauchen Gottes wahre Existenz
Als Urprinzip des materiellen Werdens.
Wenn wir im Diesseits zwar aufgrund der Sünde
Von Gottes Schau getrennt sind, können wir
Im kategorischen Gebot zum Gutsein,
In der Gewissenspflicht zum Tugendleben
Doch Gottes wahre Gegenwart erfahren.
Du sollst! – im Sinn der zehn Gebote Gottes,
Das richtet mich unmittelbar auf Gott aus.
Die Stimme des Gewissens wird für uns
Reale Gegenwart des Gottes in uns,
Der gegen unsre Triebnatur ermutigt
Zu der Moral des ethisch guten Handelns.
Der Abschied von dem Königsberger Vater
Ist Abschied auch von jeglicher Moral.
Nicht mehr: Du sollst – steht auf der Tafel, sondern:
Ich will! Anstelle des Moralgewissens
Die absolute Herrschaft tritt des Triebes!
Der vierte Schatten von dem alten Gott
Wird jetzt von mir bekämpft: Die wahre Welt
Ist unerreichbar, sie ist unerreicht
Und unerkennbar auch und unerkannt.
Sie tröstet nicht und ist auch nicht verpflichtend.
Wie könnte Unbekanntes auch verpflichten?
Im Morgengrauen gähnt, vom Schlaf erwachend,
Die Göttin der Vernunft. Es kräht der Hahn.
Aufklärung! Sieg der Göttin der Vernunft!
Der Schatten Gottes hat sich schon verflüchtigt,
Die menschliche Vernunft wird autonom.
Befreit von Gottes Normen und Prinzipien
Die Göttin der Vernunft bestimmt den Menschen
Nicht mehr als Ebenbild und Schatten Gottes,
Nein, als ein wesenloses Teilmoment
Der höher sich entwickelnden Natur.
Den fünften Schatten Platons schaff ich ab:
Ich hänge Platon auf an der Laterne!
Die wahre Welt, die himmlische Idee,
Zu nichts mehr nütze, auch nicht mehr verpflichtend,
Die göttliche Idee ist überflüssig.
Sie ist nun widerlegt von der Natur.
Wir schaffen ab die göttliche Idee!
Es ist der helle Tag des Kommunismus,
Zum Frühstück kommen Revolutionäre.
O welch ein Teufelslärm der freien Geister!
Dies ist der sechste Krieg mit Platons Schatten:
Die wahre Welt ist abgeschafft! Was blieb?
Der Schein vielleicht? Nein, mit der Wahrheit schwand
Der Schein. Die Sonne steht jetzt im Zenit,
Die heiße Sonne strahlt auf Zarathustra!
Der alte Gott ist tot! Der Neue Gott
Heißt Übermensch! Dionysos regiert!
Heil, antichristlicher Dionysos!
FRÄULEIN EDITH
Maria, bitt für uns bei deinem Sohn!
NIETZSCHE
Wie? Was? O wo? Ich rede irr! Der Wahn
Reißt mich entzwei! Des Pferdes Auge blutet!
Barmherzigkeit! Es kommt der Affe Gottes!
Weg, euer Name ist Legion, ihr Affen!
Wie hässlich, Affen! Ah, das ist die Hölle!

(Er rennt schreiend davon)

VIERTE SZENE

(Der Schüler und Fräulein Edith allein in der Wohnung. Die Wohnung ist hell erleuchtet. Sie sitzen
auf Stühlen am runden Tisch. Der Schüler trinkt ein Glas Cabernet Sauvignon aus Lateinamerika.
Die Lehrerin trinkt einen Becher grünen Tee.)

SCHÜLER
Ist die Geschichte dieser Menschheit nicht
Ein Fortschritt in der Negativität
Und ist der Höhepunkt denn nicht in Auschwitz?
Ja, wird der Höhepunkt noch übertroffen
In einem atomaren dritten Weltkrieg?
Zermalmend alles, wälzt der Strom des Bösen
Sich fort und fort! Wo aber ist der Grund?
Mit welchem menschlichen Vernunftbegriff
Lässt sich des Bösen Wahnsinn noch erfassen?
Ein metaphysisches Problem ist Auschwitz,
Ist Konsequenz, wenn man zum Sein gehörig
Das Nichts, das Negative anerkennt.
Die Nationalen Sozialisten haben nur
Das ausgeführt, was in dem Abendland
Begann als Mythos von der Negation.
Die Weltgeschichte führt von Katastrophe
Zu Katastrophe. Doch am Anbeginn
War übermächtig eine Willkürhandlung
Des Menschen gegen Gott, wie Schelling lehrt.
So brach der Dialog von Gott und Mensch ab,
Der Mensch fiel aus dem Einssein mit der Gottheit.
Seit dieser Rebellion des Menschen gegen
Den Herrn verläuft des Menschen Weltgeschichte
Verrückt und teuflisch. Falsch ist jetzt das Ganze!
Die Dialektik Hegels oder Marxens
Führt mit Notwendigkeit von Auschwitz weiter
Zu einem atomaren dritten Weltkrieg!
Solange Unrecht rechtgefertigt wird,
Weil man das Böse in die Gottheit setzt,
Bestimmt die Bosheit mit Notwendigkeit
Die Weltgeschichte, und die Aggression
Wird Motor aller Handlungen des Menschen,
Die enden in dem atomaren Endkrieg!
Der Heiden Mythos ließ das Gute, Lichte
Entwickeln sich aus Finsternis und Bosheit.
Die Griechenphilosophen unterschieden
Das Gute und das Böse, sprachen vom
Vollkommnen Gott des Seins und von der Freiheit
Des Menschen, diesem guten Gott zu folgen.
Das wird vollendet durch das Christentum,
Wo Christus an dem Kreuz besiegt den Bösen.
Nein, Negation entwickelt nicht Vernunft,
Das Unbewusstsein wird nicht zum Bewusstsein,
Nicht durch Verteilungskampf ums Kapital
Führt Klassenkampf herauf das Paradies,
Materia wird nicht zum Geist belebt
Und Affen fangen nicht zu denken an,
Indem sie ihre Affenväter fressen.
Die Griechen haben Recht: Nichts ist das Böse,
Das Böse kann nichts andres als vernichten,
Das Böse hat nicht teil an Gottes Sein.
Und Auschwitz und die atomare Bombe
Und Embryonenmord und Menschen-Klonen
Sind nicht ein purer Zufall der Geschichte,
Sie sind mit eherner Notwendigkeit
Die Frucht der dialektischen Idee,
Der Satan sei der Erstgeborne Gottes
Und Gott der Herr sei Satanas geworden!
FRÄULEIN EDITH
Du rührst an das Mysterium des Bösen.
SCHÜLER
Erzähle mir, was denkst du übers Böse?
FRÄULEIN EDITH
Des Bösen Ursprung ist ja ein Geheimnis.
Die Bibel spricht davon in Rätselworten.
Im Buche Genesis geschrieben steht
Vom Baum des Lebens und dem der Erkenntnis
Des Guten und des Bösen, von der Schlange,
Von der verbotnen Frucht, von Eva und
Von Adam und vom ersten Sündenfall.
Doch diese Worte sind nicht logisch deutbar,
Man kann sie aber betend meditieren.
Das Böse ist nicht logisch, sondern Gott
Liebt Logos, Ordnung, Klarheit, liebt das Denken.
SCHÜLER
Ich habe Zahnschmerz, meine Lehrerin,
Ich muß ein Gläschen klaren Wodka trinken.

(Er schenkt aus einer großen Flasche Wodka in einen gläsernen Becher und trinkt)

FRÄULEIN EDITH
Die Gnosis und das Manichäertum
Erklärten sich das Böse dualistisch,
Wie Zoroaster glaubte Mani auch
An einen guten Gott und einen bösen.
Der gute Gott erschuf die Welt des Geistes,
Der böse Gott erschuf die Welt des Stoffes,
Materia ist Werk des bösen Gottes.
Wie hoffnungslos ist solche Gotteslehre!
Gibt’s einen bösen Gott und ist das Böse
Von Anbeginn, ein Gott ist seine Ursach,
So gibt es keine Hoffnung für die Menschen,
Die Macht des Bösen je zu überwinden.
So die moderne Wissenschaft von der
Entwicklung der Materia lehrt auch,
Von Anbeginn war in dem All der Tod
Und durch die Macht des Todes und des Bösen
Entwickelt sich Materia zum Geist.
Wie trostlos und wie hoffnungslos die Lehre!
Die Offenbarung Gottes in der Bibel
Lehrt aber, dass der Eine Gott, der Gute,
Die Schöpfung schuf und siehe, sie war gut,
Sehr gut die Schöpfung war des Menschenpaares,
Sehr gut die Schöpfung Evas war und Adams.
Die gute Welt ist der primäre Fakt,
Das Böse, das geheimnisvoll entstanden
Aus dem Missbrauch der Freiheit, sekundär,
So wird es schließlich überwunden werden.
Drum lehrt der Christusglaube Hoffnungstugend!
Das Unbefleckte Herz wird triumphieren!
Doch noch ist stark die dunkle Nacht des Bösen!
SCHÜLER
Ja, groß die Dunkelheit, der Schmerz in mir!
In meiner Seele herrscht die dunkle Nacht,
Kein Stern erstrahlt am Himmel dieser Nacht!
FRÄULEIN EDITH
Drum rufen Geist und Braut auch: Komm, Herr Jesus!

FÜNFTE SZENE

(Nacht. Fräulein Edith und der Schüler.)

SCHÜLER
Ist nicht die Angst des Daseins Grundtatsache?
FRÄULEIN EDITH
Tatsache ist: Mein Dasein, das ist flüchtig,
Von Augenblick zu Augenblick gefristet,
Der Möglichkeit des Nichtseins ausgesetzt.
Unleugbar aber auch ist die Tatsache,
Daß trotz der Flüchtigkeit ich wirklich bin
Und bin von Augenblick zu Augenblick
Im Sein gehalten und dass in der Flucht
Des Daseins ich das Dauernde umfasse.
Ich weiß mich doch gehalten, habe Ruhe
Und Sicherheit in dem Gehaltenwerden.
Doch nicht die selbstgewisse Sicherheit
Des Mannes, der in eigner Kraft steht auf
Dem festen Boden dieser Erde, aber
Die selig-süße Sicherheit des Kindes,
Das von dem starken Arm getragen wird.
Nicht unvernünftig diese Sicherheit,
Denn wäre wohl vernünftig jenes Kind,
Das immerwährend lebte in der Angst,
Die liebe Mama könnt es fallen lassen?
SCHÜLER
Gott ist die Mutter, die im Arm mich trägt.
Was aber ist das Dasein in der Zeit?
FRÄULEIN EDITH
Das Sein ist nicht nur zeitlich sich erstreckend
Und stets sich selbst voran, der Mensch verlangt,
Stets neu beschenkt zu werden mit dem Sein,
Um auszuschöpfen können den Moment
Und was der Augenblick ihm gibt und nimmt.
Was Fülle gibt, das will der Mensch nicht lassen,
Der sein will ohne Ende, ohne Grenzen,
Um endlos, ganz die Fülle zu besitzen!
Unendlich Freude, Wonne ohne Schatten
Und Liebe ohne Schranken, Leben, höchst
Gesteigert, ohne Schlaffheit, starke Tat,
Zugleich vollkommne Ruhe und Gelöstheit
Von aller Spannung – das ist Seligkeit!
Das ist das Sein, um das es geht dem Menschen
In seinem Dasein. Er ergreift den Glauben,
Der ihm die Seligkeit verheißt, weil diese
Verheißung seinem Wesen ganz entspricht,
Weil sie den Sinn des Daseins ihm erschließt.
SCHÜLER
So wird es aber erst im Himmel sein.
Was aber sagst du zu den Philosophen,
Die schreiben groß das transzendente Ich
Und ordnen alles Dasein um das Ego?...
FRÄULEIN EDITH
Die Krise aller Wissenschaft und Weisheit
Im Abendland ist das Vergessen der
Dreifaltigkeit der Gottheit, die durch Jesus
Die Welt geschaffen und die Welt erlöst.
Nicht die Geschichte ist der Fakt des Seins,
Nicht die Gemeinschaft transzendenter Egos,
Die sind nicht Träger dieser Welt. Allein
Sophia, Fleisch geworden, kann erlösen
Vom Tode in der Zeit und Ewigkeit.
Fleischwerdung dieser Hagia Sophia,
Das ist der größte Fakt der Weltgeschichte,
Und wer das aufhebt, stürzt die Welt ins Nichts,
Ins Leere des banalen Nihilismus.
SCHÜLER
Was sagen denn der Kirche Philosophen?
Was ist des Christentumes Wissenschaft?
FRÄULEIN EDITH
Die Wesensschau des transzendenten Ichs
Und ideale Subjektivität
Muß aufgehoben werden. An die Stelle
Des Egos, das die Dinge definiert,
Muß treten eine freie Geistperson,
Die die verschiednen gottgeschaffnen Dinge
Mit ihrem eignen Selbst vereinen kann.
So steige von der Endlichkeit des Seins
Zur gottgezeugten Ewigkeit des Seins.
Die Geistperson ist ausgerichtet auf
Die Herkunft und die Zukunft in der Gottheit.
Person ist jenes Selbst aus Leib und Seele,
Voll von Erkenntniskraft, Gefühl und Willen.
Die Geistperson ist ähnlich Gott dem Herrn,
Der Geist und Leben in Vollendung ist.
Die Pflicht der Geistperson ist, dieses Leben
In aller Fülle sinnvoll zu gestalten.
Das reine, leere, transzendente Ich,
Das alle Daseinswelt um sich gruppiert,
Vertausch ich mit der Freiheit der Person,
Die nicht von außen nur getrieben wird,
Vielmehr von oben her geleitet wird,
Von oben her geleitet und von innen,
Des Himmels Höhe ist des Herzens Tiefe!
Die Seele wird in sich hineingezogen
Und in der Himmelshöhe so verankert
Und so befriedet, dass sie dieser Welt
Bedrängnissen entzogen wird und ruht.
Das wahrhaft ist Befreiung dieser Seele.
Nicht Gegenstände reizen und bewegen,
Die Geistperson ist nicht so wie ein Tier,
Sie nimmt von innen Stellung zu der Welt,
Gehorsam nur den Weisungen von oben.
SCHÜLER
Was hat denn Gott der Geist dir offenbart?
Nenn mir den Gipfel deiner Weisheit, Freundin!
FRÄULEIN EDITH
Dein Kreuzesleiden, ja, dein eignes Kreuz,
Dein großes, schweres Kreuz führt durch die Angst,
Führt durch die abgrundtiefe Höllenangst
Zur Schau der Gottheit! O! Die Schau der Gottheit!
Das ists, was Gott von Ewigkeit bereitet
Den Kreaturen Gottes, das ist das,
Was nie ein Auge sah, kein Ohr je hörte,
Kein Herz sich je ersann. Allein die Nacht –
Sternlose dunkle Todesnacht der Sinne,
Sternlose dunkle Todesnacht des Wissens,
Sternlose dunkle Todesnacht des Wollens,
Sternlose dunkle Todesnacht des Fühlens –
Führt dich zur Umgestaltung deines Geistes
Als gnadenhafter Anteilhabe an
Dem innertrinitarischen Gespräch
Der göttlichen Urschönheit mit der Weisheit
In der gebenedeiten Liebe Sprache,
So dass du Kreatur vereinigt wirst
In dem Mysterium der Liebesgottheit
Durch das Mysterium der Weisheitsgottheit
Mit der Urschönheitsgottheit im Genuss!

(Der Vorhang fällt...)

DER STELLVERTRETER
ERSTE SZENE

(Untersuchungsgefängnis der Nationalen Sozialisten. Dietrich Bonhoeffer bekommt Besuch von


seiner Braut Maria.)
BONHOEFFER
Die Duineer Elegieen gabst
Du mir, Produkte einer kranken Seele?
MARIA
Mir scheinen doch die Dichtungen von Rainer
Maria Rilke inspirierte Kunst.
BONHOEFFER
Wenn du es sagst! Du bist ja meine Hoffnung!
Ich sitze hier in dem Gefängnis und
Erträume eine Zukunft mir mit dir,
Ich träum von Apfelbaum und Apfelgarten.
MARIA
Ich werde reiten dann auf einem Pferd!
BONHOEFFER
Ich höre die Musik der Freudenbotschaft!
MARIA
Wir sitzen am Klavier zusammen, spielen,
Wie Moses ging zum Pharao Ägyptens:
O Pharao, laß meine Leute gehen!
BONHOEFFER
Wir wollen alte Litaneien singen!
Doch der allein darf Litaneien singen,
Der auch dem Rade in die Speichen fällt,
Der laut für die gequälten Juden schreit!
MARIA
Nun bist du selber unters Rad gekommen!
BONHOEFFER
Der Christ soll kreisen nicht ums eigne Leiden,
Der Christ soll kreisen um das Leiden Gottes!
Gott leidet heute noch in dieser Welt!
MARIA
Wie aber geht es dir in dem Gefängnis?
BONHOEFFER
Die Wärter sagen: Sie sind immer freundlich,
Sind nett und sind behilflich jedermann,
Wo nehmen Sie dazu die Kraft nur her?
Im Innern aber bin ich voller Angst,
Ich bin verzagt, verzweifelt, ohne Trost!
Wie bin ich denn? Der Menschen Trost und Hoffnung
Und Hilfe? Oder bin ich die Verzweiflung?
Ich kenne mich nicht selber, wie ich bin,
Mich kennt allein mein Gott, der mich erschaffen!
MARIA
Wie gehst du abends schlafen auf dem Lager?
BONHOEFFER
Ich nehme meinen bittern Leidensbecher
Aus Gottes liebevoller Vaterhand!
MARIA
Und wenn sie dich zu deinem Tode bringen?
BONHOEFFER
Dann werde ich zu leben erst beginnen!
ZWEITE SZENE

(Reinhold Schneider verteilt seine Sonette im Untergrund. Tief verschleiert schaut ihm lächelnd
Gertrud von LeFort zu.)

REINHOLD SCHNEIDER
Die Gottesgnadenkönige gestürzt,
Die Kronen liegen in dem Staub zerbrochen,
Die Tempel stehen leer und sind entweiht,
Die Tempel machte man zum Pferdestall,
Das Kreuz des Herrn bespucken sie verächtlich
Und dienen nun dem Kreuz des Antichristen,
Der Dämon hat die Herrschaft übernommen,
Auf Erden herrscht das Reich der Finsternis,
Der Abgrund tat sich auf, der Dämon kam
Und brachte auf die Erde seine Hölle,
Es brüllt in unserm Vaterland der Lügen-
Prophet und fordert den totalen Krieg!
Allein den Betern kann es noch gelingen,
Des Antichristen Herrschaft abzukürzen,
Die Heiligen erscheinen mit dem Kreuz
Und fordern alle auf, ihr Kreuz zu tragen!
Ohnmächtig ist das Kreuz in der Geschichte
Und tragisch ist der Kreuzestod des Herrn,
Unschuldig wie ein Lamm war Jesus Christus
Und starb doch unterm Zorngericht der Sünde!
Jetzt mächtig ist die Sündenmacht auf Erden,
Die Drachen brüllen und die Schlangen flüstern.
Jetzt helfe uns die Frau der Offenbarung,
Die Königin erflehe uns die Rettung!
Die heilige Armee der Königin
Mit Fürbittmacht besiege die Dämonen!
Aus Trümmern der Soldatengräber steige
Der Friede und sein neues Friedensreich!
Wir hoffen auf die neuen Könige,
Die heiligen, gesalbten Könige,
Die als der rechte Arm der Kirche herrschen!
GERTRUD VON LEFORT
Jetzt ist die Zeit der Mütter, hör ich sagen,
Das heilige Jahrhundert ists der Frau.
Nur Eine Mutter kenn ich, Eine Frau,
Die Mutterschaft vollkommen lebte, die
In Ewigkeit die Frau nach Gottes Herzen.
Nur diese Frau kann jetzt die Welt noch retten!
Soldaten höre ich aus Schützengräben
Zur Mutter schrein, zur Großen Mutter Gottes!
Im Osten rufen selbst die Feinde Gottes
Wladimirskaja in der Not des Krieges
Und aus dem Flugzeug segnet die Ikone
Die leidenden Soldaten Petersburgs!
Die Große Frau, der Endzeit Großes Zeichen,
Jetzt kann allein den Bösen überwinden!
Drum rufen stellvertretend wir für Deutschland:
“O Jungfrau, Mutter, Königin, / ja, Göttin“,
Sei gnädig deinem armen deutschen Volke!

DRITTE SZENE

(Else Lasker-Schüler am Ölberg in Jerusalem. Zum Schluß der Szene tritt Martin Buber mit seiner
Bibel zu ihr.)

ELSE LASKER-SCHÜLER
Ich bin schon ganz herabgekommen, ach,
Verprügelt haben sie mich schon in Deutschland
Und Jude mich genannt, die Hakenkreuzler,
Ich habe einen Brief dem Papst geschrieben,
Der Oberhirte lobte meine Verse!
Am Zürcher See hab ich Natur besungen:
Schön sind, o Liebe Großmama Natur,
Schön die Erfindungen, die du ersonnen!
Dann bin ich auf dem Schiffe Palästina
Nach Israel gereist, mit mir ein Christ,
Wie Schubert-Lieder seine blauen Augen,
Der jeden Juden, jede Jüdin liebte,
Als wäre es das Neue Testament.
Hier in dem schönen Tor der Tochter Zion
Ich gründete die Gruppe frommer Künstler
Und weiser Schriftgelehrter, meinen Kraal.
Ich aber bin ein blauer Jaguar
Und sehne mich in das Indianerland,
Ich will die Kaiserliche Majestät
Von Mexiko noch einmal wieder sehen!
Jetzt bin ich endlich Josef in der Heimat!
Gott baute Palästina aus der Erde,
Jerusalem jedoch aus Seiner Rippe!
Nun aber ist es dunkle Nacht am Ölberg!
Die Arier beginnen mit dem Weltkrieg,
Sie nennen sich die indischen Germanen
Und Könige von Thule hoch im Norden.
Ich aber sammle alle die Semiten,
Die Talmudisten und die Kabbalisten,
Die Chassidim, Zeloten und Essener,
Die Jünger des Propheten Mohammed,
Die Erben von dem Kaiser Menelik,
Die Meister des Talmud aus Babylon
Und Rabbi Hillel, Rabbi Gamliel,
Ägyptische Mysterienpropheten
Und Königin Kandakes Kämmerer,
Muslimische Poeten wie Hafiz
Und Salomo und seine Braut Suleika!
Und plötzlich seh ich Vater Goethes Geist!
Ich sehe Faustus in die Hölle fahren,
Seh den satanischen Diktator Haman
Mephisto seine Seele übergeben,
Und alle die Satane in der Hölle
Mit hocherhobnen Armen rufen: Heil,
Heil Haman! Küsse Satanas den Arsch!
MARTIN BUBER
Unordentlich ist diese Welt geworden,
Weil in dem Lebensbaum der Kabbala
Zu stark geworden ist die böse Seite
Des Zornes Gottes in dem Weltgericht.
Baal-Shem, so heiße ich, der Bibel Gatte!
Ich sah die Göttin Bibel im Gemach,
Ich sah die schönen Kleider ihrer Worte
Und der geschichtlichen Bedeutungen,
Dann schaute ich die Göttin Bibel nackt,
Ich schaute die moralische Bedeutung
Der Worte Gottes für mein eignes Leben.
Schön waren schon der Göttin Bibel Kleider,
Viel schöner war die Göttin Bibel nackt!
Am meisten aber lieb ich ihre Seele,
Der Göttin Bibel Seele ist ein Hauch
Von Gott, Schutzengelin des Universums!
Verein ich mich der Lieben Göttin Bibel,
Bring ich die Schöpfung wiederum in Ordnung
Und stelle Gottes Ordnung wieder her
In dem Triumph der Liebe, die mein Gott ist!

VIERTE SZENE

(Unsre Liebe Frau von Fatima spricht mit Schwester Lucia im Karmelkloster)

UNSRE LIEBE FRAU VON FATIMA


Ich habe dir in der Vision der Hölle
Die Schrecken der Verdammnis offenbart!
Doch habe ich zugleich mit der Vision
Ein Mittel dir gezeigt, zu retten Seelen.
Denn das wird sagen doch der Kardinal
Pacelli, den ich auserkoren habe,
Als zwölfter Pius Papst zu sein der Kirche,
Daß ein Geheimnis ist des Christentums,
Daß vieler Menschenseelen Rettung hängt
Von dem Gebet der Christenmenschen ab!
Ich sagte dir voraus den zweiten Weltkrieg,
Wenn sich die Menschen nicht bekehren wollen.
Als Heilungsmittel für die kranke Welt
Hab ich mein Unbeflecktes Herz gezeigt.
Die Weihe an mein Unbeflecktes Herz
Ist das von Gott geoffenbarte Mittel,
Die Menschheit in dem großen Krieg zu retten.
Vorläufer sinds des Antichristen nämlich,
Die streiten gegen Gott und Gottes Volk.
Doch der Triumph der Liebe über die
Barbarische Gewalt der finstern Mächte
Hat Gott der Frau der Völker übergeben,
Die Satan und die Stellvertreter Satans
Zertreten wird mit ihrem bloßen Fuß!
SCHWESTER LUCIA
Von links und rechts die Feinde Gottes führen
Den offnen Weltkrieg gegen Gottes Volk.
Von links die Kommunisten predigen
Den militanten Atheismus und
Von rechts die Nationalen Sozialisten
Verkünden Altgermaniens Heidentum
Und opfern den satanischen Dämonen
Aufs neue gräuelhafte Menschenopfer!
Dazwischen wehrlos stehen Papst und Kirche
Mit zarten Waffen des Gebetes nur.
UNSRE LIEBE FRAU VON FATIMA
Doch meine Allmacht auf den Knieen wird
Die Schutzmacht vor dem Antichristen sein!
Der Antichrist will diese Welt zerstören,
Auslöschen will der Antichrist die Menschheit!
Allein die Große Frau der Offenbarung,
Des ganzen menschlichen Geschlechtes Mutter,
Führt den Triumph der Liebe einst herauf!
Der Papst muß Mir die Welt und Russland weihen,
Dem Unbefleckten Herzen der Madonna!
Am Ende siegt mein Unbeflecktes Herz!

FÜNFTE SZENE

(Auschwitz als Kalvarienberg! Israel als leidender Gottesknecht allein!)

ISRAEL
Die Hand des Ewigen liegt schwer auf mir,
So schwer auf mir, ich kann es nicht mehr tragen!
O Gott, mein Herrscher, was tust du mir an?
Nackt kam ich aus dem Schoße meiner Mutter,
Nackt steig ich in des Todes Feuerofen.
Wie aber soll ich loben Gottes Namen?
O Gott, zum Feinde bist du mir geworden,
Du bist wie eine wilde Bärenmutter,
Der man geraubt die jungen Bärenkinder!
Du bist wie eine schwarze Pantherkatze
Und zornig fällst du mich zerreißend an!
Den Feinden Gottes geht es doch so gut,
Sie lachen gottlos in des Herzens Hochmut.
Dein Sohn jedoch, dein erstgeborner Sohn,
Muß schon auf Erden Höllenqualen leiden!
Wo ist die göttliche Gerechtigkeit?
O komm, du göttliche Gerechtigkeit,
Und übe Rache an den Feinden Gottes!
Zerschlagen bin ich ganz und ganz zuende!
Ich sehe einen Mann, von Gott verlassen,
Weh mir, der Gottverlassene bin ich!
Allein bin ich in dieser Nacht des Bösen,
Kein Davidstern erscheint mir mehr am Himmel,
Kein Stern aus Jakob leuchtet in der Nacht.
O Gott, die Heiden opfern Menschenopfer,
Sie opfern Menschenopfer ihren Götzen,
Doch ihre Heidengötzen sind Dämonen,
Sie opfern Menschenopfer bösen Teufeln!
Warum erscheint kein Engel mir vom Himmel,
Gebietet Einhalt nicht den Menschenschlächtern?
Sie legen mich auf den Altar des Kriegsgotts
Und reißen mir das Herz aus meiner Brust!
Mein Herz verblutet in den Höllenschmerzen,
Ich pilgre barfuß durch die Höllenreiche,
Ich sehe aufgetan den Höllenrachen
Und sehe Menschen, die zu Satan beten,
Die Ekelhaften beten Satan an,
Anbetend küssen sie den Arsch des Teufels!
Und Satan steigt aus Höllenschlünden auf
Und mit dem Satan steigt der Drache auf
Und mit der alten Schlange kommt der falsche
Prophet und redet Lästerung und Lüge.
Erscheine, Sohn des Menschen, zum Gericht!
Gott, Ewiger, an Tagen alter Gott,
Erscheine zum Gericht und rette mich!
Doch du hast mich verlassen! Eli, Eli!
Gott! Eli, Eli! Lama asabthani?

SECHSTE SZENE

(Im Karmelkloster von Köln. Edith Stein sieht in ihrer Zelle als Geistwesen die heilige Königin
Esther erscheinen.)

ESTHER
Du sollst nun eine andre Esther sein.
EDITH STEIN
Zwar Vashti war ein wunderschönes Weib,
Doch sie gehorchte nicht dem Herrn und König.
Da hat der Herr und König auserkoren
Aus allen Frauen sich die Allerschönste,
Die Wohlgefallen fand in seinen Augen.
So Eva war ein wunderschönes Weib,
Sie folgte nicht dem göttlichen Gebot,
Sie lauschte Gottes Wort und Weisung nicht,
Vertraute mehr der Schlange Luzifer.
Da hat der Herr und König auserkoren
Aus allen lieben Frauen dieser Erde
Die Allerliebste, Unsre Liebe Frau,
Die frei ihr Ja gesagt zu Gottes Wort:
Ich bin die Sklavin meines Herrn und Gottes
Und mir geschehe nach dem Wort des Herrn.
ESTHER
Auch du sollst ähnlich Unsrer Lieben Frau
Freiwillig stimmen ein in Gottes Willen.
EDITH STEIN
Was aber ist der Wille meines Herrn?
ESTHER
Gott sendet mich zu dir, geliebte Edith,
Du sollst von Esthers Beispiel etwas lernen.
Bedenke doch die Esther in der Bibel
Und meditiere über Gottes Wort.
EDITH STEIN
Da war es so, wie es auch heute ist,
Der Feind der Juden, damals hieß er Haman.
Heil Haman! schrieen alle auf den Straßen.
Doch Esther betete und fastete
Und mit der Fürbitt-Allmacht auf den Knien
Trat sie vorm König ein für ihre Juden.
Sie selber war ja aus dem Volk der Juden.
ESTHER
Du, Edith, du bist auch vom Volk der Juden.
Heil Haman! schreien sie auch heute alle.
Im Karmelkloster betest du und fastest,
Du betest immerwährendes Gebet
Zur Königin des Friedens um den Frieden.
Nun will die Königin des Friedens noch
Ein weiteres, sie will dein Ganzbrandopfer!
EDITH
Maria will von mir den Holocaust?
ESTHER
Sie möchte, dass du alle deine Leiden
Vollkommen opferst auf dem Bräutigam,
Der Juden König Jesus Nazarenus
Will gleichgestalten dich auf deinem Kreuzweg
Ihm, dem gekreuzigten Messias Gottes.
Zur Sühne aller Sünden dieser Welt,
Der Menschheit grad in diesem Augenblick,
Sollst du die Kreuzeswissenschaft vollenden
Durch deinen Kreuzweg bis zur Ganzhingabe.
Dein Volk, o Edith, Gottes Israel,
Geht diese Stunde in der Weltgeschichte
Den schweren Kreuzweg auch zur Schädelstätte.
Vereine deine Kreuzesleiden, Edith,
Mit allen Kreuzesleiden aller Juden
Auf dem Kalvarienberg der Todeslager
Und opfre aller dieser Kreuze Qualen
Dem Herrn auf, dem gekreuzigten Messias,
Der durch sein Kreuz die Seelen retten will.
Sei Miterlöserin mit dem Messias
Und rette viele arme Menschenseelen
Durch deine Kreuzigung im Todeslager.
Nimmst du es an, das Kreuz, das Ganzbrandopfer,
Den Holocaust zur Rettung deines Volkes?
EDITH
Ich nehme jetzt von ganzem Herzen an
Den Tod, den Jesus für mich ausgesucht.
Ich opfre meinen Tod dem Christus auf
Für die Bekehrung meines Volks der Juden,
Für die Bekehrung Deutschlands, für die Kirche,
Für meinen Orden von dem Berge Karmel,
Daß sich das Reich Mariens breitet aus
Und dass der Antichrist zusammenbricht,
Für den Triumph des Unbefleckten Herzens!
ESTHER
So führe Gott dich in das Paradies!

SIEBENTE SZENE

(Auschwitz. Der heilige Maximilian Kolbe und ein jüdischer Familienvater)

JÜDISCHER VATER
Ich bin der Gatte einer schönen Frau,
Mein Weib hat eine schöne Adlernase!
Ich liebe sie, wenn sie die Bibel liest
Und wenn sie ihre beiden Söhne füttert.
Der große Sohn ist Intellektueller
Und redet von dem Schöpfer und dem Weltall.
Der kleine Sohn spielt Josef von Ägypten
Und ich muß immer spielen Pharao.
Weil ich Semit vom Volke Israel,
Hat man mich eingesperrt im Arbeitslager.
Sie sagten uns, die Arbeit macht uns frei.
Der Nazi aber, der die Hunde liebt,
Der nennt die Juden zynisch Untermenschen
Und will vertilgen sie wie Ungeziefer.
Ich habe nun versucht zu fliehen aus
Dem Lager Auschwitz und dem sichern Tod
Noch zu entkommen und zu meiner Frau
Und meinen beiden Söhnen heimzukehren.
Doch wurde ich geschnappt und ward verurteilt,
Den Hungertod zu sterben in dem Bunker.
MAXIMILIAN KOLBE
O Vater, du sollst lieben deine Frau,
Als wär sie Miriam von Nazareth,
Und deine beiden Söhne sollst du lieben
Als kleinen Jeschua von Nazareth.
Die Liebe zwischen Menschen ist sehr schön!
Ich geh für dich in deinen Hungertod,
Auf dass du leben kannst mit deiner Frau!
JÜDISCHER VATER
Du bist ein Katholik und bist kein Jude.
Sag, warum willst du sterben für den Juden?
MAXIMILIAN KOLBE
Ich sterbe für den Nächsten, denn im Nächsten
Begegnet Jesus mir, der Juden König.
JÜDISCHER VATER
Ich glaube nicht an Jesus als Messias.
MAXIMILIAN KOLBE
Doch Jesus Christus starb für jeden Juden,
Um jeden Juden vor dem Tod zu retten!
JÜDISCHER VATER
Und haben Juden deinen Gott ermordet?
MAXIMILIAN KOLBE
Ach! Meine Sünde schlug ihn an das Kreuz!
Er starb für mich, als ich sein Feind noch war!
Und weil mein Herr für mich gestorben ist,
Drum sterbe jetzt auch ich für meinen Herrn.
JÜDISCHER VATER
Glaubst du, du kommst zu Gott in Seinen Himmel?
MAXIMILIAN KOLBE
Trag ich auf Erden voll Geduld mein Kreuz
Und opfr ich alle meine Leiden auf
Und bin bereit, ans Kreuz nicht nur zu denken,
Nein, sondern selbst an meinem Kreuz zu hängen,
Mit Jesus Christus an dem Kreuz zu hängen
Und ausgespannt voll Schmerzen an dem Kreuz
Zu bluten, wie auch Jesus blutete,
Und gebe ich wie Jesus meinen Geist
Im Augenblick des Todes Gott dem Vater
Und geh wie Jesus in das Reich des Todes,
So werde ich mit Jesus auferstehen
Und leben mit dem Herrn im Himmelreich
Und thronen an der Seite meines Herrn!
JÜDISCHER VATER
Wenn du ins Paradies gekommen bist,
So bitt für mich und meine Frau und Söhne
Zu Gott, dem Einzigen, dem Ewigen!
MAXIMILIAN KOLBE
Jetzt ist sie da, die Stunde meines Todes.
Man sticht mich mit der Todesspritze. Ave
Maria, Makellose Konzeption!

ACHTE SZENE

(Heede im norddeutschen Emsland. Zwei Mädchen, Anne und Susi, sehen die Madonna auf dem
Friedhof bei der Kirche.)

ANNE
O Mutter, Mutter, bleibe doch bei uns!
SUSI
Wir wollen beten, beten, beten, Mutter!
ANNE
Die Nationalen Sozialisten haben
Uns eingesperrt ins dumme Irrenhaus!
SUSI
Visionen von der Großen Muttergottes
Sind Träume von Phantasten, sagen sie.
ANNE
Wir sprachen von der Finsternis der Erde
Und wie der Satan herrscht auf dieser Erde
Und wie die okkultistischen Dämonen
Den Krieg entfachen in den Menschenherzen,
Wir sahen die satanischen Dämonen
Wie braune Ratten aus dem Abgrund steigen!
SUSI
Am Himmel eine schwarze Wolkendecke
Von Unheil über uns, doch manchmal bricht
Die schwarze Wolkendecke auf, dann strömt
Von Gottes Liebe Licht auf uns herab!
ANNE
Da haben die Faschisten uns verspottet,
Wir seien irre Träumer, Don Quichotten!
SUSI
Wir wissen, dass die Große Muttergottes
Die Königin des Universums ist.
ANNE
Wir wissen, dass die Große Muttergottes
Die Königin der Armen Seelen ist.
Wir weihen dir, o Mutter in dem Himmel,
Die Armen Seelen in dem Fegefeuer.
Spritz Milch aus deinem Gottesmutterbusen
Den Armen Seelen in den trocknen Mund!
Erleichtre ihre Qual im Fegefeuer
Und führe Kreis um Kreis hinan zu Gott!
SUSI
Wir gehen noch einmal ins Irrenhaus,
Wenn du das Opfer dieser Leiden willst,
Nur mach ein Ende mit dem Antichristen
Und schone deine Menschheit, liebe Mutter!
ANNE
Wir sind nun müde, wollen ruhen, Mutter,
Die Augen schließen wir... Laß deine Augen
Barmherzig über unsern Gräbern sein!
MADONNA
Gott ist zufrieden mit den Opfern, Kinder,
Wie ihr dem Herrn das Leiden aufgeopfert.
SUSI
Hast du für uns noch eine Botschaft, Mutter?
MADONNA
Ja, eine Botschaft, ein Geheimnis, Kinder.

(Die Madonna flüstert Anne etwas ins Ohr)

Nun, Anne, halt geheim der Welt die Botschaft,


Doch bringe meine Botschaft zu dem Papst,
Dem Engelgleichen Pastor, Pius Pappa!

NEUNTE SZENE

(Der Heilige Vater, der Schutzengel Russlands, der Erzengel Michael als Schutzengel des jüdischen
Volkes und des deutschen Volkes, und die Hagia Sophia als Schutzengelin des Universums.)

HEILIGER VATER
Wir weihen kraft der Vollmacht des Apostels
Das Reich der Rusj, das alte Mütterchen,
Dem Unbefleckten Herzen Unsrer Frau!
Wir weihen Unsrer Frau die Mönche Russlands,
Die Marterzeugen und die Eremiten.
Wir rufen an den Heiligen Wladimir
Und Anna von Byzanz, sie mögen beten
Für Russland, dass der Materialismus
Nicht ruiniert das alte fromme Volk.
In jeder Hütte die Ikone steht
Der Schwarzen Muttergottes von Wladimir.
Die Große Muttergottes schützte Russland
Einst vor der Goldnen Horde wilder Hunnen,
Die Große Muttergottes schützte Russland
Einst vorm Eroberer Napoleon,
Die Große Muttergottes schütze Russland
Heut vor den Nationalen Sozialisten,
Die Große Muttergottes rette Russland
Auch aus der Sklaverei des Kommunismus!
Erhöre die Gebete deiner Diener
Und Dienerinnen, alter frommer Ammen,
Geheimnisvoller Dichter der Madonna.
Maria, rette Russland vor dem Satan!
SCHUTZENGEL RUSSLANDS
O Schwarze Mutter Erde, schrei zu Christus!
O Schwarze Mutter Russland, schrei zu Christus!
O Schwarze Mutter Gottes, schrei zu Christus!
HEILIGER VATER
Die wahre Kirche Jesu Christi spricht:
Die Ideologie der Herrenrasse,
Der Arier, der deutschen Übermenschen,
Des Nihilismus Suizid-Gedanken,
Der Wahnsinn satanistischer Tyrannen
Ist unvereinbar mit der Liebe Christi.
Wer Nationaler Sozialist sein will,
Den schließen Wir aus Christi Kirche aus,
Der darf den Corpus Christi nicht empfangen!
O Bonifatius! O Michael!
Erzengel Michael des deutschen Volkes,
Stürz die Dämonen eilends in die Hölle!
Erzengel Michael des Volkes Juda,
Steh deinem Volke bei auf Golgatha
Von Auschwitz, wenn sie Eli, Eli schreien:
O Gott, wozu hast du dein Volk verlassen?
ERZENGEL MICHAEL
Ich sage zu dem Menschenmörder Satan:
Der Herr Messias Jesus strafe dich!
HEILIGER VATER
Ich weihe Asien von Japan aus
Und Indien und China und Korea,
Die Philippinen und Vietnam, und weihe
Das Reich der Perser und Arabien
Und Palästina und Ägypten und
Äthiopien, Sudan, Südafrika,
Marokko, die Kanaren, Mexiko
Und Kuba und Brasilien und Peru
Und die Vereinten Staaten, Kanada
Und Grönland, Island, Skandinavien,
Germanien, England, Frankreich, Polen, Rom
Dem Unbefleckten Herzen Unsrer Frau!
HAGIA SOPHIA
Am Ende triumphiert das Herz Marias!
Bald kommt die Herrschaft Hagia Sophias!

MADONNA JULI
ERSTE SZENE

(Romeo und sein Vetter auf der Straße.)

VETTER
Ach Vetter! Guten Morgen!
ROMEO
Ist schon die Sonne aufgegangen?
VETTER
Es ist so etwa neun Uhr vormittags.
ROMEO
Die Zeit schleicht langsam in der Traurigkeit.
VETTER
Dann sag mir, warum du so traurig bist.
ROMEO
Was mir die Zeit verkürzen könnte – Liebe –
Ach leider, die Geliebte ist nicht da!
VETTER
Du bist verliebt!
ROMEO
Doch unerreichbar ist –
VETTER
Die Liebe?
ROMEO
Doch unerreichbar ist der Herrin Herz!
VETTER
Die Liebe lächelt so charmant und gütig,
Doch grausam ist ihr Herz und hart wie Stein!
ROMEO
Doch Amor sieht noch mit verbundnen Augen,
Der blinde Amor findet immer Wege.
Ah weh! Wie zickig ist die Liebe doch!
Ach was für ein Gemisch von Hass und Liebe!
Ja, alles Seiende – aus Nichts geschaffen!
Der Leichtsinn des Verliebten ist aus Schwermut,
Tiefsinnig tun die aufgeblasnen Spötter,
Aus Chaos tauchen feminine Formen,
Die Flügel des Verliebten sind aus Blei
Und wo ein Feuer ist, da ist auch Rauch,
Der Liebsten Eis entzündet meine Glut,
Ich bin glückselig und bin krank vor Liebe
Und nachts bin ich hellwach in meinem Tiefschlaf
Und widersprech mir selbst. So ist die Liebe.
Ich liebe! Doch so lieb ich Liebe nicht!
Nun, kann ich dich denn nicht zum Lachen bringen?
VETTER
Zum Heulen wär mir eher doch zumute.
ROMEO
Warum?
ROMEO
Mit deinen Liebesleiden hab ich Mitleid.
ROMEO
Die Liebe selbst ist schuld an ihren Leiden,
Die Schmerzen stecken schon in meinem Herzen.
Dein Mitleid würde nur mein Leid vermehren.
Die Liebe ist wie Dunst, erzeugt von Seufzern,
Doch wenn der Nebel schwindet, glüht die Liebe
Und leuchtet in den Augen der Verliebten.
Betrübt man aber diese Liebe, weint sie
Und wird zum Meer in des Verliebten Augen.
Was soll ich sonst noch von der Liebe sagen?
Sie ist der Wahnsinn weiser Philosophen!
Du möchtest Galle aus dem Rachen würgen
Und doch ist Liebe süß wie Bienenhonig.
VETTER
Sag, Romeo, in wen bist du verliebt?
ROMEO
Ich liebe eine Frau! Ein Wonneweib!
O, sie ist schön! Ja, sie ist eine Schönheit!
VETTER
Ja, Amors Pfeile zielen stets auf Schöne.
ROMEO
Sie will kein Ziel für Amors Pfeile sein!
Die Dame ist so keusch wie die Madonna!
VETTER
Hat sie geschworen, keinen Mann zu nehmen?
ROMEO
Ach, sie verschwendet alle ihre Reize,
Will sie die Reize keinem Manne schenken.
VETTER
Vergiss die Frau und denk nicht mehr an sie.
ROMEO
Dann müsste ich das Denken unterlassen.
VETTER
Schau du nach andern schönen Mädchen aus.
ROMEO
Säh ich ein Mädchen, übermenschlich schön,
Ich dächte doch an die Geliebte nur,
Weil Rosa schön wie eine Göttin ist!

ZWEITE SZENE

(Julis Mutter, Julis Amme und Juli in ihrem Haus.)

JUILIS MUTTER, DIE FÜRSTIN


Du liebe Amme, wo ist meine Tochter?
Ich möchte jetzt mit meiner Tochter reden.
AMME
Ich hab sie schon gerufen, ja, so wahr
Ich selbst mit sechzehn Jahren Jungfrau war.
Marienkäfer! rief ich: Liebes Lamm!
Behüt dich Gott! Wo bist du, süße Juli?
JULI
Wer will mich sehen?
AMME
Die liebe Mama möchte mit dir reden.
FÜRSTIN
Ich, deine Mutter!
JULI
Was ist denn, Mama?
FÜRSTIN
Es geht um dies... Lass uns alleine, Amme,
Wir müssen heimlich reden... Bleib nur, Amme,
Du sollst es hören, was wir hier besprechen,
Du weißt, mein Kind ist jetzt schon sechzehn Jahre.
AMME
Ich weiß, sie ist ja bald schon siebzehn Jahre.
So alt war meine Tochter Katharina,
Als Gott sie holte in das Paradies!
Gott hab sie selig in dem Paradies!
Nun, Katharina ist beim lieben Gott,
Sie war zu liebevoll für diese Erde!
Doch wann wird noch mal Juli siebzehn Jahre?
Ich weiß noch, wie ich sie entwöhnt, die Süße,
Da tat ich auf die Warzen meiner Brüste
Was Bitteres, da saß ich bei den Tauben
Im Garten – Fürstin, du warst da im Ausland –
Da schmeckte Juli Bittres an den Brüsten,
Die süße Närrin, wie sie zornig guckte
Auf meine Brüste, fand sie gar nicht süß!
Da schlugen Täuberich und Taube droben
Und spreizten ihre Schwingen, ruckten gurrend
Und pickten mit den Schnäbeln in die Brüste!
Das ist jetzt dreizehn Jahre her, ja damals,
Ach damals konnte Juli ja schon laufen,
So watschelnd lief sie wie ein kleines Entlein,
Da ist sie umgefallen, auf die Steine
Mit dem Gesicht, da sprach mein Ehemann:
Schau, Juli, immer auf den Rücken fallen!
Bei Unsrer Lieben Frau! Das süße Püppchen
Mit süßem Lächeln sagte leise: Ja.
Ich hör es noch, wie mein Gemahl gesagt:
Nur immer auf den Rücken fallen, Juli!
Und wie dann Juli lächelnd sagte: Ja.
FÜRSTIN
Red du nicht solchen Unsinn, liebe Amme.
AMME
Ich bin schon still. Behüt dich Jesus, Juli!
Du warst das schönste Kind, das je ich stillte!
Könnt ich mit dir noch deine Hochzeit feiern!
FÜRSTIN
Das wollte ich ja sagen. Es ist Zeit
Zur Heirat. Juli, willst du in die Ehe?
JULI
Von diesem Kreuz hab ich noch nicht geträumt.
AMME
Vom Kreuze! Hätte ich dich nicht gestillt,
Ich dächt, Frau Weisheit habe dich gestillt!

DRITTE SZENE

(Romeo und sein Freund vor dem festlichen erleuchteten Hause der Fürstin.)

ROMEO
Willst du mit mir zu dieser Feier gehen,
Mein Freund, ich glaub, du handelst so nicht klug.
FREUND
Wie meinst du das?
ROMEO
Prophetisch kam ein Traum zu mir heut Nacht...
FREUND
Ich träumte auch: Dass Träume Schäume sind!
ROMEO
Nein, meine Träume sind so oft prophetisch!
FREUND
Zu dir kommt wohl die Königin der Elfen?
Sie ist so klein wie der Rubin am Ring
Am kleinen Finger eines alten Mannes.
Die Pferde ihres Wagens sind aus Staub
Und blasen Nasen an von Träumern nachts,
Die Räderspeichen sind aus Spinnengliedern,
Der Seidenvorhang von Libellenflügeln,
Der Pferde Zaumzeug ist aus Lunas Licht,
Die Lederpeitsche ist aus Samenfäden,
Als Kutscher dient im schwarzen Rock die Mücke,
Viel kleiner als ein halber Regenwurm,
Die Kutsche ist aus einer Walnuss-Schale,
Eichhörnchen machten sie als Zimmermänner,
Seit alter Zeit der Elfen Zimmermänner.
So jagt sie Nacht für Nacht durch das Gehirn
Des Liebenden, der dann von Liebe träumt,
Auch manchmal durch der Rechtsanwälte Hirne,
Die dann vom goldnen Schatz des Amtes träumen,
Und manchmal auch durch Hirne reifer Frauen,
Die träumen leidenschaftlich dann vom Küssen,
Doch kriegen eine Krankheit an den Lippen,
Fliegt durch die Hirne alter Tabakraucher,
Die träumen dann von frischer Pfefferminze,
Fliegt manchmal durch die Hirne böser Mönche,
Die lüstern dann von kleinen Knaben träumen.
Das ist die selbe Königin der Elfen,
Die Pferden Zöpfe in die Mähne flechtet,
Die lange Mähne lässt in Locken wallen
Der Stute bis zu ihren strammen Schenkeln,
Doch will der Reiter dann den Knoten lösen,
So prophezeit sie diesem Reiter Unglück.
Die Königin der Elfen ist die Hexe,
Frau Lilith heißt sie bei den alten Juden,
Die plagt das Weib, das auf dem Rücken liegt,
Die Liebe macht mit einem Buhldämonen,
Die lässt empfangen sie von einem Geist,
Daß sie mit einem Bastard schwanger wird.
ROMEO
Sei still! Du redest nichts als dummes Zeug!
FREUND
Die Kinder des Gehirns im Müßiggang,
Geboren sind sie von der Phantasie.
Frau Phantasie ist luftig wie die Luft
Und flieht vor dir noch schneller als der Wind,
Sie reitet auf dem Sturm vor dir davon!
Heut bläst sie an das Eis im hohen Norden
Und morgen bläst sie an den heißen Süden,
Sie bläst dich schließlich aus dir selbst heraus!
Jetzt komm, wir gehen zu der schönen Feier.
ROMEO
Ich sehe schwarz! Ein Unglück kommt vom Himmel!
Ich werde dies von mir gehasste Leben
Sehr bald beenden, dies mein eignes Leben!
Die Nacht, die mich in diese Welt geführt,
Die führt mich auch aus dieser Welt heraus.
Gut, lieber Freund, wir gehen zu der Feier.
FREUND
Sie werden Trommeln schlagen, dass es donnert!

VIERTE SZENE

(Romeo und Juli auf der Feier im Hause der Fürstin.)

ROMEO
Entweih ich diesen göttlichen Altar
Mit meiner Sünderhand, verzeih mir, Süße!
Errötend naht der Lippen Pilgerpaar,
Daß ich mit einem kleinen Küsschen büße!
JULI
Du Pilger, nenn die Hand nicht Frevlerhand,
Die mich berührt in keusch bescheidner Demut.
Der sich an Unsre Liebe Frau gewandt,
Der Pilger lasse ab von seiner Wehmut...
ROMEO
Hat Unsre Liebe Frau auch einen Mund?...
JULI
Ja, auch um von dem frommen Wein zu nippen,
Vor allem, um mit süßen, süßen Lippen
Zu Gott zu beten aus dem Herzensgrund.
ROMEO
Berühre mich mit deinen Gnadenhänden,
Sonst wird mein Glauben in Verzweiflung enden!
JULI
Madonna bleibt auf ihrer Wolke stehn
Und doch will sie dir Gnaden zugestehn.
ROMEO
So lächle du wie die Madonna stille
Und gib mir, was von dir erfleht mein Wille.
(Er küsst Juli)
Mein Mund hat deinem Mund den Gruß verkündigt,
Mein Mund ist jetzt durch deinen Kuss entsündigt!
JULI
Ach, dass ich nun auf meinen Lippen finde,
Besiegelt durch dein Küsschen, deine Sünde!
ROMEO
Ach Juli, gib mir meine Sünde wieder!
Dann sing ich deinen Lippen Liebeslieder.
JULI
Du küsst ja wie ein Beter immer nur,
So wie des Rosenkranzes Perlenschnur...
AMME
Mein liebes Kindchen, Mama will dich sprechen.
ROMEO
Wer ist die Mutter eines solchen Mädchens?
AMME
Ja, junger Mann, die Mutter dieses Mädchens,
Sie ist die hohe Herrin dieses Hauses,
Ist eine liebevolle, zärtliche
Und herzensgütige und fromme Fürstin!
Wer aber ihre Tochter kriegt zur Frau,
Der erbst auch noch ein überreiches Erbe...

FÜNFTE SZENE

(Priester und Romeo in der Marienkapelle.)

PRIESTER
Gott segne heute eure Eheschließung
Und möge später euch vor Harm bewahren!
ROMEO
Ja, Amen, Ja und Amen! All das Leid,
Der Schmerz soll immer tun, was er vermag,
Er wiegt doch nichts, verglichen mit der Wonne
Nur Eines Augenblicks in Julis Nähe!
Leg unsre Hände segnend ineinander,
Kommt dann der Tod, der Mörder süßer Liebe,
So reicht es mir, dass Juli mein gewesen!
PRIESTER
So rasche Freude nimmt ein rasches Ende
Und stirbt in weißer Glut, wie Funken und
Schwarzpulver, sich vereinend, explodieren!
Isst du zuviel vom süßen Bienenhonig,
Wirst du dich ekeln bald vor Bienenhonig.
Lieb du in Maßen, denn dann bleibt die Liebe,
Lieb nicht zu schnell und auch zu langsam nicht,
Denn dann wird deine Frau zufrieden sein.
(Juli erscheint...)
Da kommt das Mädchen! Solche Blumenfüße,
Sie lassen keine Spur auf dieser Erde,
Sie ist wie eine Elfe, wie ein Hauch!
Ja, wer verliebt ist, der geht auf den Wolken,
So leicht wird man durch Liebesheiterkeit!
ROMEO
O Juli, wenn dein Glück so groß wie meines
Und wenn du besser sprechen kannst vom Glück,
Versüß die Luft mit deinem reinen Atem
Und lass die Zunge musikalisch schwingen
Vom Liebesglück, das wir einander schenken
In dieser Himmelsstunde unsrer Hochzeit!
JULI
Gefühle, welche tiefer sind, als Worte
Je sagen können, sind zu stolz auf ihr
Bewusstsein ihrer schönen Art und Weise
Und brauchen keine Kunst, sich auszusprechen
Mit Schminke und mit Schmuck und Redeblumen.
Wer kann denn zählen, was er hat? Der Bettler.
Ich aber bin so reich, so überreich
An Lebenslust und Liebesglück und Wonne,
Daß ich von einem Zehntel meines Reichtums
Die ganze Summe nie errechnen könnte.
PRIESTER
Besiegeln wir das Sakrament der Ehe!
Daß ihr nicht länger heimlich lieben müsst,
Will Gott durch seinen Priester euch vereinen.

SECHSTE SZENE

(Juli abends allein in ihrem Zimmer.)

JULI
O schwarze Mutter Nacht, breit aus den Mantel,
Daß Romeo, von niemandem gesehen,
In meine Arme stürme! Die Verliebten
Sehn klar genug durchs Licht der eignen Schönheit,
Um der Verliebten schönes Spiel zu spielen.
Ist Amor blind, dann kann’s auch dunkel sein.
Komm, schwarze Mutter Nacht im dunklen Kleid,
O reine Jungfrau, lehr mich zu verlieren
Die heilige Jungfräulichkeit des Mädchens!
Lass keinen sehn das Schamrot meiner Wangen,
Verhülle mich mit deinem Sternenmantel,
Bis scheue Liebe mutiger geworden
Und ehrlich tut das Werk der wahren Liebe!
Komm, schwarze Mutter Nacht! Komm, Romeo!
Komm, Romeo, du Sonne meiner Nacht!
Auf schwarzen Schwanenschwingen wirst du blenden
Wie weißer Schnee in klarer Neujahrsnacht.
Komm, dunkle Nacht! Komm, süße Liebesnacht!
Führ meinen Romeo in meine Arme
Und gib ihn mir! Und stirbt er diese Nacht,
Verwandle ihn in eine Galaxie!
Er wird des Himmels Paradies verschönern,
Daß jeder Dichter in die Nacht verliebt
Und keiner mehr dem Gott der Sonne huldigt.
Gekauft hab ich die Wohnung süßer Liebe,
Die Wohnung habe ich noch nicht bewohnt,
Ich bin verkauft an meinen Eheherrn
Und doch bin ich ein unberührtes Mädchen.
Wie lange dauert diese Abendstunde!
Ich fühl mich wie ein Kind am Abend vorm
Geburtstag, wo es die Geschenke kriegt.
Da kommt ja meine vielgeliebte Amme.
(Die Amme erscheint)
Wer immer etwas weiß von Romeo
Zu künden, dem gesegnet sei die Zunge
Und die geschwätzigste Beredsamkeit!
AMME
O tot ist Romeo - - -

SIEBENTE SZENE

(Der Priester und Romeo in der Marienkapelle)

PRIESTER
Erwache, Romeo, steh wieder auf! - - -
(Romeo erhebt sich)
Der Herrscher gibt dir nicht das Todesurteil,
Der Herrscher schickt dich jetzt in die Verbannung!
ROMEO
Verbannung ist der Untergang der Welt!
PRIESTER
Wie gnädig ist der Herrscher doch, er wandelt
Den Tod in lebenslängliche Verbannung.
ROMEO
Verbannung ist doch schlimmer als der Tod!
Ist sterbe tausendmal, doch darf nicht sterben?
Wie viele Tode sterb ich noch auf Erden,
Bis mich mein Tod gebiert ins Himmelsleben?
PRIESTER
Du bist ja nur verbannt aus dieser Stadt.
Geduldig trag die Leiden der Verbannung.
Auf Erden dich erwarten andre Freuden.
ROMEO
Nein, jenseits dieser Stadt gibt’s keine Freude,
Nur Folterungen wie im Fegefeuer,
Nur Wahnsinnsqualen wie im Höllenabgrund!
PRIESTER
Todsünde! Undankbar bist du der Gnade!
Dir leuchtet nicht des Herrschers Gnade ein?
ROMEO
Die Gnade, ach, ist ein Martyrium!
Hier ist das Paradies, wo Juli lebt!
Ach, jede weiße Maus und schwarze Katze
Darf Juli sehn, und ich darf sie nicht sehn!
Selbst eine Fliege hat mehr Rechte noch
Als ich, die Fliege darf auf Julis Hand
Ganz selig sitzen und dies Wunderwerk
Berühren, darf gar Julis Wange küssen,
Nur ich darf Juli nicht berühren, ach,
Ich bin verbannt aus Julis Paradies!
Die Fliege ist glückseliger als ich!
Zu hören: Lebenslängliche Verbannung!
Das hören die Verdammten in der Hölle!
Beichtvater meiner schuldbeschwerten Seele,
So harte Worte wagst du auszusprechen?
Mann Gottes, sei mein Beistand und mein Tröster!
PRIESTER
Im Wahnsinn idiotischer Verliebtheit,
Kannst du da noch ein Wort der Weisheit hören?
ROMEO
Sprich nicht von lebenslänglicher Verbannung!
PRIESTER
Gott schenkt dir süße Milch in deiner Trübsal:
Studier die Weisheit aller Philosophen!
Der Philosophen Weisheit wird dich trösten
In deiner lebenslänglichen Verbannung.
ROMEO
Schon wieder: Lebenslängliche Verbannung!
Hängt Philosophen an Laternenpfähle!
Frau Weisheit schenkt mir nicht die Schönheit Julis!
PRIESTER
Wahnsinnige vernehmen keinen Ratschlag,
Die Idioten haben keine Ohren.
ROMEO
Die Philosophen haben keine Augen:
Sie haben nie gesehen Julis Schönheit!

ACHTE SZENE

(Morgengrauen. Romeo und Juli in ihrem Ehebett.)

JULI
Willst du schon aufstehn, Liebling? Noch ist Nacht.
Es war die Nachtigall und nicht die Lerche,
Die süßen Sanges in dein Ohr geflötet.
Dort auf dem Baume singt sie jede Nacht.
Mein Bräutigam, es war die Nachtigall.
ROMEO
Die Lerche war es, die die Sonne preist,
Ach, nicht die Nachtigall. Orangne Schleier
Seh ich schon in den Morgenwolken glühn.
Die Nacht hat ihre Kerzen ausgeblasen
Und heiter strahlend steht die Sonne auf.
JULI
Das ist kein Sonnenlicht, ich weiß es, ich!
Es ist ein Meteor mit Feuerschweif,
Der dir die Fackel hält in meiner Nacht.
Bleib noch im Bett, du brauchst nicht aufzustehn.
ROMEO
Ich bleibe gern, wenn du so nett mich bittest.
Das lichte Graun ist nicht die Morgenröte,
Das dort sind nicht der Morgenröte Wimpern,
Der lichte Schein ist Schimmer von dem Mond.
Der Vogelsang im hohen Himmelsdom
Ist nicht der Lerche junges Jubilieren.
Ich bleibe lieber doch im Bette liegen,
Das ist viel schöner doch, als aufzustehn.
Willkommen, Tod, willkommen, Bruder Tod - - -
Du findest mich im Bett mit Juli scherzend.
(Der Vorhang fällt. Das Publikum applaudiert.)

MYSTERIUM BUFFO ODER MAUSOLEUM BUFFO

(Vorspiel auf dem Theater.)

BELEUCHTER
Ich sah das Stück
Schon vierzig Mal,
Hab nichts verstanden.
BÜHNENBILDNERIN
Ach, die Partei-
Genossen sind
Wie Räuberbanden!
BELEUCHTER
Hab ich das Licht
Gut eingestellt,
Ex-Freundin mein?
BÜHNENBILDNERIN
Wie Höllenglut
Und Satans Blitz
Der Feuerschein!
BELEUCHTER
Was andres nun:
Was macht das Geld,
Die Arbeitsstelle?
BÜHNENBELEUCHTERIN
Die Bühne bau
Und mal ich aus
Der ewigen Hölle!
BELEUCHTER
Verdienst du Geld
Genug? Das Geld
Regiert die Welt!
BÜHNENBILDNERIN
Ich dachte, du
Wärst anders, wärst
Der Liebe Held!
BELEUCHTER
Ich seh die Welt!
Amerika!
Und Berolina!
BÜHNENBILDNERIN
Im Garten sitz
Im Seidenkleid
Ich still aus China.
BELEUCHTER
Der Müßiggang
Zerstört die Welt,
Die untergeht!
BÜHNENBILDNERIN
Dann schafft sie neu,
Aus meinem Leib,
Der mein Poet!
BELEUCHTER
Nun angestrahlt
Wird Satans Arsch
Durch meine Lichter!
BÜHNENBILDNERIN
Den Podex mein
Verklärt und preist
Mein eigner Dichter!

(Versammlungssaal in der Hölle. Über allem leuchtet das satanisch-kommunistische Pentagramm.)

MARX
Bei meinem Bart,
Dem langen Bart,
Dem Barte grau,
Prophetenbart!
Die Revolution
Ist meine Frau!
ENGELS
Mein Bart ist auch
Sehr imposant,
Pechrabenschwarze!
Was aber macht
An deinem Po
Die dicke Warze?
MARX
Ich leide sehr
An grimmer Pein,
An Höllenpein!
Verdammt! Jedoch
Es wird wohl nicht
Die Warze sein.
ENGELS
An deinem Po
Strahlt feuerrot
Wie ein Karfunkel
Die Warze nicht,
Ich glaub, es ist
Das ein Furunkel!
MARX
Was tatest du,
Worüber du
Stolz wie ein Held?
Was tatest du,
Was aller Welt
So wohlgefällt?
ENGELS
Furunkel nicht
Am Hintern, muß
Ich mich nicht schämen!
Die Weser ich
Durchschwommen hab
Im schönen Bremen!
MARX
Jedoch zurück
Zur Politik
Und Philosophie!
Die Arbeit macht
Den Menschen frei!
Wie macht das sie?
ENGELS
Die Affen sonst
Auf ihrem Baum
Von Nüssen träumen...
Die Hände sie
Dort klammern fest
An ihren Bäumen...
Ein Affe stieg
Herab vom Baum,
Auf Erden stand!
Der Affe nun
Stand aufrecht da!
Mit freier Hand!
MARX
Der Affe da
Mit Werkzeug gleich
Sein Werk vollführte?
ENGELS
Der Affe erst –
Diogenes! –
(...............)!
MARX
Ging dann ans Werk,
Um sein Produkt
Zu schaffen stark?
ENGELS
Ihn hungerte
Nach Affenfleisch,
Nach Affenmark!
Da fraß er auf
Den Vater sein
Und seine Mutter!
Denn wichtig ist
Zum Denken, dass
Man hat sein Futter!
Da Vater er
Und Mutter sich
Zum Mahl gemacht,
Vom Protein
Des Fleisches er
Hat nun – gedacht!
Er ist ein Mensch
Und ein Prolet
Der Welt geworden!
MARX
Auf Affenfleisch
Begründet so
Karl Marxens Orden!
ENGELS
Wie sind ja stolz
Auf unsern Ahn,
Der Ahnen fraß!
Ich auch dereinst
An solchem Tisch
Zu Gaste saß.
MARX
Menschwerdung so
Ist der Triumph
Der Kannibalisten?
Behüte Gott
Die Menschheit nur
Vor den Marxisten!

(Versammlungssaal in der Hölle. Stalin und einige Genossen Unterteufel.)

STALIN
Genossen! Wir
Erwarten nun
Den Sekretär!
O Lenin! Was
Ist er? Er ist
Nicht Bach, ist Meer!
S’ist Mitternacht!
Es schlägt die Uhr
Gespensterstunde!
Der Satan in
Der Hölle macht
Jetzt seine Runde!
Ich weiß, was dem
Genossen der
Partei da frommt:
Der Sekretär
Als großer Mann
Verspätet kommt!
(Die Uhr der Hölle schlägt Zwölf. Genosse Lenin tritt pünktlich ein!)

LENIN
Was lernt der Reuss
Vom strengen Preuss?
Nur pünktlich immer!
Um zwölf Uhr nachts
Mit Pünktlichkeit
Tret ich ins Zimmer!
STALIN
O Lenin! Ich
Bin tief enttäuscht!
In Satans Bann
Ich frag mich, wie
Kann pünktlich sein
Ein großer Mann?
Ein großer Mann –
O Lenin, ich
Bring dir die Kunde –
Verspätet kommt!
Lässt warten stets
Die Viertelstunde!
LENIN
Ich eben saß
Mit meinem Weib
Beim Samowar,
Nadeshda war
Gemütlich so,
Ganz wunderbar,
Da hörte ich
Von einem Mann,
Von einem zarten,
Es sollt der Baum
Geschlagen sein
In meinem Garten.
Nadeshda da,
Mein Eheglück
Im Ehebette,
Mich dringend bat,
Genossen, dass
Den Baum ich rette!
STALIN
Jetzt bist du alt,
Großväterlich
Und voll Gemüt.
Wo ist dein Hass,
Dein Klassenhass,
Dein heiß Geblüt?
LENIN
Genossen, ach, -
Bei Demeter,
Der Göttin Deo! –
Nicht Stalin wählt
Als Sekretär,
Wählt Trotzki Leo!
STALIN
Doch Trotzki schon
Geflohen ist
Nach Mexiko.
LENIN
Was macht er in
Amerika,
Im Nirgendwo?
STALIN
Im Bergwerk mit
Neruda sucht
Er Eisen, Nickel.
Ich aber hau
Ihm auf den Kopf
Mit einem Pickel!

(Rotbeleuchtetes Schlafzimmer in der Hölle. Lenin im Arm seiner geliebten Pariserin Inès Amand.)

INES AMAND
Was Liebe ist,
O Lenin mein,
O sag mir das!
LENIN
Ist bürgerlich,
Ist klerikal!
Nein – Klassenhass!
Befreien wir
Vom Sklavenjoch
Die armen Dirnen!
Der Klassenhass
Die Klasse lehrt
Allein zu zürnen!
INES
Die Liebe ist,
Genosse, frei!
Ein Wasserglas!
LENIN
Die Liebe, ach,
Ist klerikal!
Heil Klassenhass!
Die Revolution,
Sie ist mein Weib!
Wie ich sie liebe!
Sie greift hinein
Geschickter Hand
Ins Weltgetriebe!
Sie stellt es um,
Stellt’s auf den Kopf!
Die Revolution!
Den Kopfstand macht
Die Welt und lacht
Der Liebe Hohn!
Die Revolution
Ins Weltgetrieb
Wird mächtig fassen,
Die Revolution
Die Massen lehrt
Das heiße Hassen!
INES
Französisch ist
Die Liebe schön!
Da ist sie frei!
Kein Ehejoch,
Gesegnet von
Der Klerisei!
O Kommunist!
Kommunen gibt’s
Der freien Liebe,
Da allgemein
Und all mit all
Lebt frei dem Triebe!
Die Liebe frei,
Befreit vom Joch
Der Ehe, das
Ist so gemein
Wie einem Mann
Ein Wasserglas,
Das muss man nicht
Von Thron, Altar
Erst teuer kaufen,
Das kann man wie
Ein Hengst voll Durst
Ganz einfach saufen!
LENIN
Doch der Prolet
Von Ehe denkt
Ganz sittlich groß,
Pariserin,
Nicht liederlich
Wie ein Franzos!
Der Bauer will
Die Bäuerin
In seiner Nähe,
Die Kinderlein
Um ihn herum.
O Lob der Ehe!
Vermählt bin ich
Nadeshda so
Im Ehebund
Und küsse sie
Allein auf den
Gespitzten Mund.
INES
Nun küsse mich!
Sei Kommunist!
Befrei die Triebe!
Kein Ideal
Ist heilig fromm
Die freie Liebe!
Nur einen Blick
Aufs Brüstepaar,
Kurz hingeblickt
Und schon im Bett
Unehelich
Sogleich (.....)!
Die Liebe ist,
O Kommunist,
Nur Einerleiheit!
Des Sexus Trieb,
Von uns befreit,
Das nenn ich Freiheit!
LENIN
Nadeshda, ach,
Ist eine Frau
Voll Eifersucht!
Die Ehe ehrt
Und Sitte sie
In strenger Zucht!
INES
Genosse, zieh
Die rote aus,
Die Unterhose,
Ich lehr dich, wie
Geliebt bei uns
Wird ein Franzose!
LENIN
Ja, mit der Hand
Das Werkzeug du
Der Arbeit fass,
Ich schreib ein Werk
Für die Partei
Vom Klassenhass,
Wie heiß der Hass
Befreiten Volks
Wird wütend rasen!
INES
Ich werde dir
In dieser Zeit
Die Waffe (......)!
(Ein Unterweltsfluss in der Hölle, wahrscheinlich der Styx, vielleicht auch die Lethe. Im Wasser
schwimmt die schöne Wasserleiche Rosa Luxemburg. Bert Brecht, besoffen von billigem Wermut,
steht am Ufer der Lethe und besingt die Wasserleiche.)

BERT BRECHT
Besoffen bin
Ich Zechkumpan
Von dem Absinth!
O Rosa du,
O Luxemburg,
Du schönes Kind,
Die Freiheit du
Hast sehr geliebt,
Warst treu dem Volke,
Jetzt schwindest du
Wie die Marie,
Die weiße Wolke.
Ophelia,
Du tote Braut,
Du bleicher Traum!
Die Pflaume fiel –
Ich schüttelte –
Vom Pflaumenbaum!
Jetzt schwimmst du hin
So bleich und blass
Im Wasserbette,
Die Welle dich
Liebkost im Tod,
Die violette.
Aus schwarzem Wald
Gekommen ich,
Der Bert, der Brecht,
Ich schwimm mit dir
Und durch dich durch,
Im Fluss ein Hecht.
Die Wurzeln seh
Ich drunten tief
Vom Eichenstamme,
Da liegt dein Haar,
Dein schwarzes Haar,
Du liegst im Schlamme!
Der Frösche Laich,
O Leiche du,
Im Wasser schwimmt,
Da Bert, da Brecht
Sein Saitenspiel
Von Därmen stimmt.
O Rosa du,
O Rose rot,
So rot von Blute!
Von Freiheit du
Gesungen hast,
Du Böse-Gute!
Die Mehrheit ist
Stets bei dem Volk
Und der Partei!
Die Masse siegt!
Die Minderheit
Macht Massen frei!
Die Massen führt
Zu ihrem Heil
Die kleine Clique,
Denn die Partei,
Die weiß allein
Vom wahren Glücke.
Drum Mehrheit ist
Und Wohl des Volks
Die Minderheit,
Drum allezeit
Zu Staatsstreich, Putsch
Sind wir bereit!
Ach Rosa du,
Du Rose rot,
Bei Gott’s Erbarmen,
Hab Mitleid nicht
Mit armen Volk,
Mit Elend-Armen,
Denn Mitleid nicht
Und herzliche
Barmherzigkeit
Benötigt wird.
Zur Revolution
Sei du bereit!
Jetzt aber schwimm
Dahin so bleich
Im Wasserbette,
Ophelia,
So bleich und fahl,
So blass, du Nette,
Wie Froschlaich blass,
Wie Mondschein bleich,
Wie Tote fahl.
Ich habe schon
Mich selbst entleibt,
Beim Gotte Baal!
Gitarre mein
Mit Schweinedarm,
Besing die Welle!
Wie Dante sing
Die Rose rot
Im Reich der Hölle!
(Am Fuß einer höllischen Pyramide steht Trotzki und rechtfertigt sich vor dem Gräuelgötzen
Vitzliputzli, dem Gott des ewigen Krieges und der Menschenopfer.)

TROTZKI
O Kriegergott
Der Hölle du
Von Mexiko,
Es diente dir
Kein Krieger je
Wie Trotzki so!
Kriegskommunist
Zog ich durchs Land
Der armen Bauern,
Sah Bäuerin
Und Bauer um
Die Ernte trauern,
Nahm Ernte da
Dem Bauernvolk
Mit Waffen ab,
Soldaten ich
Der Rotarmee
Den Weizen gab,
Die Bäuerin,
Der Bauer da,
Die nichts mehr hatten,
Da fraßen sie,
Was da war, und
Sie fraßen Ratten!
Als ausgetilgt
Aus allem Land
Das Rattenfleisch,
Die Bäuerin
Im Wahnsinn wild
Mit Wutgekreisch,
Vor Hunger sie
Die Körper fraß
Von ihren Kindern!
Doch Menschenfleisch,
Wie Pflaumenmus,
Das kratzt im Hintern!
VITZLIPUTZLI
Die Revolution
Als Göttin ist
Berauscht von Blut,
Die Göttin tanzt
Mit dem Skelett
In wilder Wut,
Der Göttin du
Gedient hast treu,
Ein treuer Bote,
Der Göttin gibt
Sich gerne hin
Doch jeder Tote.
Kriegsgöttin ist
Frau Revolution,
Die laut ich preise,
Aztekenvolk
Die Göttin preist,
Die Göttin Sch(......)!
TROTZKI
O Mutter Rusj,
Wie Wladimir
Gedichtet so,
O Mutter Rusj,
Bewege du
Den breiten Po!
Die Mutter Rusj
Besoffen stand
An Wodka-Theken,
Sie sandte mich
Nach Mexiko
Zu den Azteken.
Der Sonnengott
Verlangt nach Blut,
O Erdensohn,
Den Sonnengott
Befriedige
Frau Revolution!

(Stalin kommt hereingerannt mit einem eisernen Pickel.)

STALIN
Ha! Fort und fort
Den Trotzki will
Der Zar ermorden,
Zar Stalin will
Auslöschen dich
Aus seinem Orden!
Vom Pickel wird
Dein Leben dir
Durch mich geraubt!
Es spaltet dir
Die Revolution
Das Ketzer-Haupt!

(Schwarzer Wald der Hölle. An den Bäumen baumeln Selbstmörder. Johannes R. Becher in
poetischer Muße durchwandelt den Wald und ersinnt eine Hymne an Väterchen Stalin.)

JOHANNES R. BECHER
Ich, Dichter von
Der Muse Kuss,
Ich Dichter sehe
Und siehe, was
Ich seh, ist Wald
Und junge Rehe.
O deutscher Wald!
O Waldeshorn!
Was ist so deutsch
Wie deutscher Wald?
Was wie ein Reh
So scheu und keusch?
O Muse mein,
Lass deinen Mund
Begeisternd saugen,
Wie Rehe braun,
Wie Meteor,
Die Mandelaugen,
Du sanftes Reh,
Rehzwillingen
Gleich deine Brust,
Rehzwillinge
Der Brüste Paar,
So hüpft die Lust,
O du mein Reh,
Ich liebe sehr,
Die Zwillingskitze,
Du scheues Reh,
So keusch und süß,
Und deine R(.....)!
Du scheues Reh,
Du keusches Reh,
Du junge Braut,
O Ricke du,
O Ricke jung,
So eng gebaut!
Verneige dich
Vorm Väterchen,
Vor Stalin! – Vater!
O Stalin, Gott
Der ganzen Welt!
Im Welttheater
Die Rolle schreibst
Du allen vor!
O Dichter, hör,
Wie Stalin dich
Als Dichter preist,
Den Ingenieur
Der Seele nennt!
O Genius,
Gott meiner Muse,
Die in Blue jeans
Die Venus ist
Mit offner Bluse!
STALIN
Ah, du Poet!
Du Ingenieur,
Du Ingenieur
Der Seele! Du,
Johannes R.,
Du Becher! Hör,
Sei Präsident
Der Akademie
Der Kommunisten.
BECHER
Großmütterchen
Katholisch war
Wie wahre Christen –
Mein Gott jedoch,
Mein Vatergott
Ist Stalin nur!
Der Schöpfer er,
Der Neue Mensch,
Gott-Kreatur!
Ihm weihe ich
Germania
Und ihre Deutschen,
Die Hitler will
In das K.Z.
Der Hölle peitschen!
Ich, Patriot,
Ich diente Frau
Germania!
Zu Stalin sagt
Germania
Gehorsam Ja!
Gott Stalin kommt
Als Genius
Auf Bomber-Wolke,
Als Retter und
Erlöser zu
Dem deutschen Volke!
O Muse mein,
Ich küsse dir
Dein Hinterteil!
Heil Revolution!
Heil der Partei!
Gott Stalin Heil!

(Der Große Vorsitzende Mao Tse-Tung, ein hervorragender chinesischer Philosoph, Dialektiker, und
zugleich ein hervorragender chinesischer Poet, sitzt in seinem militärischen Arbeiterkittel bei einem
Schälchen Reiswein und einem Schüsselchen Reis mit Phönixperlen in seinem höllischen
Gemüsegarten.)

MAO
O milder Mond!
O Pflaumenbaum!
O Frühlingsgarten!
Die Poesie
Erwacht in dem
Gemüt, dem zarten.
O Becher Wein!
O Becher Wein!
O Becher Wein!
Der Schatten dort,
Daneben ich,
Und Mondenschein!
Der Große Marsch
War mein Triumph!
Ich sang die Ode
Vom Großen Marsch,
Vom Großen Mord,
Der Große Tote!
Ich, Genius
Der Taktik, ich,
Ich Großer Marsch!
Heil Mao, Heil!
Ergeben küss
Ich Satans Arsch!
SATAN
Ergebnen Dank,
O Philosoph
Vom großen Tao,
Daß du den Arsch
Dem Satan küsst,
Genosse Mao!
MAO
Wir Genien
Verstehen uns!
Du, Satanas,
Bist Mao gleich,
Ein Narr, wer noch
Bezweifelt das.
Der Mitte Reich
Wollt ehlich sich
Mit Mao gatten!
Die Bäuerin
Ihr Baby fraß,
Zum Nachtisch Ratten!
Millionenvolk
Zog hungernd da
Von Ort zu Ort,
Millionenfach
Die Revolution
Vollzog den Mord!
O Großer Sprung
Nach vorne, Stahl
Zu produzieren,
Und Chinas Volk
Verwilderte
Zu wilden Tieren!
Doch die Partei
Ward fett und faul!
Ich liebte nur
Die Rebellion
Der Jugendzeit,
Die Kriegskultur!
Da rief ich aus
Die Rebellion
Der Roten Garden!
O Satanas,
Trink mit mir Wein
Im Frühlingsgarten!
SATAN
Wo ist dein Weib,
Das ich dir gab,
Dem Hass zum Lohn?
MAO
Da kommt sie schon!
Chinesin, schau,
Der Skorpion!
Was Israel
Einst Lea war
Und mehr noch Rachel –
Ist mir dies Weib,
Der Skorpion
Mit Gift im Stachel!
Kein Skorpion
Im Petticoat
Amerikas...
Ein Skorpion
Im Bauernrock,
Bei Satanas!
DAS SCHLIMMSTE VON MAOS WEIBERN
O Mao mein,
Du Philosoph
Der Dialektik,
Regierungskunst
Beiseite lass,
Des Herrschens Hektik,
Erzähl mir nicht
Von Revolution
Und Kriegskultur,
Sing, Dichter, sing,
Die Ode sing
Von der Natur!
MAO
Als Chinas Volk
Gehungert hat,
Hab ich’s gerettet!
Das Spatzenvolk
Hat sich zu gern
Im Laub gebettet!
Wir schlugen da
Die Trommeln laut
Mit großem Lärm,
Das Spatzenvolk
Gen Himmel flog
Laut im Geschwärm,
Sie flatterten
In Lüften blau,
Da die Verzagten
Zum Baume sich
Und seinem Laub
Nun nicht mehr wagten,
Erschöpft vom Flug,
Der Flatterei,
Von all dem Lärm,
Der Vögelei
Im Wolkenbett
Und dem Geschwärm,
Sie stürzten auf
Die Erde hin,
Erschöpft zu Tode!
Dem Tao der
Natur sang ich,
Dir diese Ode!
DAS SCHLIMMSTE VON DEN WEIBERN MAOS
O Großer Chef
Vom Großen Reich,
Sing auch Gesang,
Wie du einst schwammst
Alleine in
Dem Jangtsekiang!
MAO
War ich nicht schön?
Ja, ich war dir
Zu schön, ich wette!
DAS SCHLIMMSTE VON DEN WEIBERN MAOS
Ein Klumpen Fleisch!
Das liebst du (dacht
Ich da) dies Fette?

(Pablo Neruda tritt auf, ein melancholischer Student im existentialistischen schwarzen Anzug. Er
singt eine Elementare Ode an den Große Vorsitzenden.)

PABLO NERUDA
Amerika
Die Bombe warf!
Hiroshima
Durch das Atom
In Höllenglut
Verbrannte da!
Mein Pantherweib
Von Sumatra,
O Madonnina!
Da schaute ich
Der Freiheit Reich,
Das Rote China!
Die Mauer schützt
Den Kaiser nicht!
Und kein Palast
Des Himmels ist
Verboten mehr!
Ich war zu Gast
Bei Li Tai-Bo
Und Bo Djü-I!
Ich pries das Tao!
Der Himmelssohn
Im Mitte-Reich
Ist Gottmensch Mao!
Und Wunder tut
Der Himmelssohn,
Erlöst vom Übel!
Ich schwöre auf
Des Gottes Wort,
Die Mao-Bibel!

(Eine Gruppe jugendlicher Unterteufel kniet vor der Ikone des Heiligsten Antlitzes von Ché
Guevara. Der leibhaftige Ché mit einer Havanna im Maul und einem Gewehr im Arm erscheint.)

CHE GUEVARA
O Paradies
Von Kuba du,
Sei frei, sei frei!
Im Freiheitskampf
Gemordet wird –
Ganz nebenbei!
O Paradies
Von Kuba, o
Du Zucker-Insel!
Ich dulde nicht
Ein weibisches
Gemütsgewinsel!
Voran, Soldat
Der Revolution,
Marschier im Heer,
Der Klassenhass
Legt in den Arm
Dir das Gewehr!
Nimm das Gewehr
In deine Hand,
Die vielgeübte,
Das Flinten-Weib,
Genosse, sei
Dir die Geliebte!
Marschiere bis
Zum Monde und
Noch fort und fort
Und pflastere
Den Himmelsweg
Mit Menschenmord!
Die Revolution,
Der ich als Held
Der Freiheit diene,
Soldat, sie will,
Du seiest nur
Die Mordmaschine!
Die Fahne rot
Der Revolution
Lässt dich erröten?
Erröte nicht!
Du sollst, Soldat,
Die Menschen töten!
Sei kalt, voll Hass,
Voll Klassenhass
Im Herzensgrund!
Dir geht voran
Der Heros Ché,
Tabak im Mund!

(Pablo Neruda sitzt am Meeresstrand der Hölle auf einem Felsen und schreibt in sein
Extravaganzen-Brevier ein Gebet an das heiligste Antlitz von Ché.)

PABLO NERUDA
Ché, Heros Ché,
Dein Angesicht
Ist unsre Rettung!
Ja, Volk an Volk
Vereinigst du
In der Verkettung
Der Sklaverei
Der Revolution!
O Neuer Mensch
Der Arbeit du!
Ich bet dich an,
Dein roter Mönch,
Ich singe dir
Den Thron, o Ché,
Ich bin dein Dante!
Die Hölle bebt,
Wenn Ché erscheint,
Der Commandante!
Und Satan steht
Vom Throne auf,
Ich Seher seh,
Wie Satan sich
Erhebt vom Thron,
Wenn du kommst, Ché!

(Wladimir Majakowski erscheint. In der rechten Hand ein Bild von Lenin, in der Linken Hand ein
Bild seiner Muse und Geliebten, der Ehefrau seines Nächsten, am Gürtel einen Revolver, genauer
gesagt, den Genossen Mauser.)

MAJAKOWSKI
O Lenin mein,
Mysterium
Und Mausoleum!
Ich singe dir
Den Abgesang
Und nun – Tedeum!
Ich Werther, ach!
Vor Lottes Bild
Das Herz mir brach!
Was soll die Kunst
Und all das Spiel
Mit dem Symbole?
Genosse mein,
O Retter mein,
O du Pistole,
Den langen Lauf
Ich schiebe jetzt
In meinen Mund –
O Lotte! Ach
Ich liebe dich
Von Herzensgrund!

(Er erschießt sich – E cadde come corpo morto cade. - - - Der Vorhang der Hölle fällt. Eine Bühne
senkt sich von oben herab, darstellend die vom Kommunismus gereinigte Erde. Es ist der
Kindergeburtstag des vierjährigen Buffo. Seine Gäste sind die vierjährigen Knaben Dontel, Akka
und Danu. Betreut werden sie von dem sechzehnjährigen Mädchen Fatima, einer Schönheit!)

CHOR DER KINDER


O liebes Kind,
Wie schön, dass du
Geboren bist,
Wir Kinderlein,
Wir hätten dich
Sonst sehr vermisst!
BUFFO
Habt vielen Dank
Fürs Spielzeug, das
Ihr heut mir schenktet!
Die Blicke ihr
Ja alle schon
Zum Tische lenktet.
Der Kuchen da
Ist honigsüß
Mit Zuckerguss!
Und von Kakao
Und Zuckerschaum
Der Negerkuss!
Bananenmilch
Soll und Kakao
In Strömen tröpfeln
Und frischer Saft
Voll Süßigkeit
Von goldnen Äpfeln!
DONTEL
Am Abend gibt’s
Ganz sicher Wurst
Und Pommes Fritz!
BUFFO
Erzähl mir doch
Noch einmal den
Ganz tollen Witz!
FATIMA
O Jesuskind!
Sei heute hier
Am Tisch zu Gast
Und segne du,
Was du uns hier
Gegeben hast!
BUFFO
Wir essen jetzt
Und trinken jetzt,
Gott, dir zum Preise,
Wir danken dir
Für Speis und Trank,
Für Trank und Speise!
FATIMA
Nun kommt heraus,
Kommt in das Grün,
Den Gartentraum!
Da oben sitzt
Ein Taubenpaar
Im Eichenbaum!
AKKA UND DANU
Die Liebe Frau
Im Himmel steht
Im Licht der Sonne!
FATIMA
Madonna ist
Uns Süßigkeit
Und Lebenswonne!
BUFFO
Halleluja!
Halleluja!
Halleluja!
FATIMA
Ich lieb dich! Ja!
Ich lieb dich! Ja!
Ich lieb dich! Ah!

(Fatima tanzt mit Buffo, alle Kinder tanzen um sie herum.)

EMPEDOKLES

ODER

DER SINN DER WELT IST FREUNDSCHAFT

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(Empedokles und seine Freundin Panthea in Pantheas Gartenparadies am Fuß des sizilianischen
Ätna. Frühling.)

PANTHEA
Ich bat dich ja, mich öfter zu besuchen,
Nun freu ich mich, dass du zu mir gekommen.
EMPEDOKLES
Geliebte Freundin, Seele dieses Gartens,
Ich glaube, Gott erschuf die Welt im Frühling.
Wie schön der Frühling ist in deinem Garten,
Mir scheint, ich bin im Anbeginn der Welt.
PANTHEA
Was weißt du von dem Anbeginn der Welt?
EMPEDOKLES
Die Priester der Mysterien verkünden
Ein Ursprungsparadies der Unschuldsliebe.
Dort lebte noch die Menschheit nicht im Krieg,
Da waren Mann und Frau noch wahre Freunde,
Da war der Mensch befreundet mit den Tieren,
Da war der Mensch befreundet mit der Gottheit.
PANTHEA
Wie heißt die Gottheit dieses Paradieses?
EMPEDOKLES
Des Anfangs Gottheit war die Schöne Liebe,
Wir Griechen sagen: Göttin Aphrodite.
PANTHEA
Der Großen Muttergöttin der Natur
Die Menschen brachten Menschenopfer dar!
EMPEDOKLES
Nicht so am Anfang in der Menschheit Unschuld.
Man sang der Göttin Aphrodite Oden
In reiner Keuschheit und Jungfräulichkeit
Und schlachtete der Göttin keine Stiere
Und rote Rinder oder reine Lämmer,
Die Menschen brachten dar der keuschen Göttin
Der Schönen Liebe Weihrauch und Gebete,
Die keuschen Jungfraun flochten Rosenkränze
Und schmückten mit den reinen Rosenkränzen
Jungfräulich keusch die Hörner des Altares.
Nur Weihrauchduft und Duft von Rosenblüten
Erfreute Aphrodites edle Nase.
Das Blut von Böcken mochte sie nicht trinken,
Das Fleisch von Stieren mochte sie nicht essen,
Schlachtopfer gar von Fleisch der Menschenkinder
War unbekannt der Ursprungs-Aphrodite.
PANTHEA
Und lebt die schöne Göttin heute noch?
Vor allem: Ist sie mächtig noch und wirksam?
EMPEDOKLES
Das Reich der schönen Göttin wahrer Liebe
Ist mitten unter uns, ist in uns, innen.
Das Königtum der Göttin Aphrodite,
In meinem Herzen ist es angebrochen,
Als ich zum ersten Mal dich sah, Panthea!
PANTHEA
Ich such nicht leidenschaftliche Erotik,
Ich such des Geistes heilig-reine Freundschaft!
EMPEDOKLES
Die Schöne Liebe hat ja viele Namen:
Sie ist die sorgenvolle Mutterliebe,
Sie ist die leidenschaftliche Erotik,
Sie ist die mitleidsvolle Menschenliebe,
Sie ist die geisterfüllte Freundschaftsliebe.
PANTHEA
Die geisterfüllte Freundschaft wähle du,
Stell unsre Freundschaft unter ihren Segen.
EMPEDOKLES
Ich habe keinen Sohn und keine Tochter:
Was weiß ich von der elterlichen Liebe?
Ich meinem Bett liegt keine Konkubine:
Was weiß ich von dem Feuersturm des Eros?
Ich lebe nicht mit Bettlern und mit Kranken:
Was weiß ich von der Menschenliebe Mitleid?
Doch weil du deiner Freundschaft mich gewürdigt,
Erscheint die Freundschaft mir wie eine Göttin.
PANTHEA
Ist Göttin Aphrodite Freundschaftsgöttin?
EMPEDOKLES
Auch Aphrodite hat ja viele Namen:
Die meerentstiegne Anadyomene
Ist sie in Paphos für die Zyprioten,
Auf Lesbos Sappho pries sie Göttin Cypris,
Urania als Ideal der Schönheit
In spiritueller Liebe pries sie Platon,
Pandemos Aphrodite preist das Volk
Die Göttin freier sexueller Triebe,
Und Aphrodite Porné preist der Pöbel
Die götzendienerische Hurerei.
PANTHEA
Was man so Liebe nennt! Ob göttlich sie
Im Himmel ist die Schönheit über allem,
Ob animalisch sie des Wurmes Zucken!
EMPEDOKLES
Panthea, ich verehre Aphrodite
Als Göttin Philia, der Freundschaft Göttin,
Sie hält die Welt im Innersten zusammen!

ZWEITE SZENE

(Im Garten der Panthea. Empedokles und der Knabe Milon, der mit Magneten spielt.)

EMPEDOKLES
Mein Milon, kennst du meine beste Freundin,
Kennst du die absolute Frau Panthea?
MILON
Empedokles! Panthea ist vielleicht
Dir deine beste Freundin, aber ich
Bin doch gewiss dein allerbester Freund!
(Empedokles lacht)
EMPEDOKLES
Du spielst so schön mit den Magneten, Milon.
MILON
Schau diese kleinen, runden, schwarzen Scheiben,
Ich klebe sie zu einem Turm zusammen,
Am Ende dieser Schlange kleb ich an
Ein neues Scheibchen, schau, die Scheibe springt schon,
Hüpft durch die Luft und klebst am Schlangenschwanz.
Doch diese Scheibe will nicht zu der Schlange,
Sie weigert sich, sie weicht zurück vom Turm.
EMPEDOKLES
So ist es mit dem Hass und mit der Liebe.
Magnete, welche zueinander wollen,
Die lieben sich von Herzen, lieber Knabe.
Magnete aber, die sich stoßen ab,
Abstoßend finden sie sich voller Hass.
MILON
Ja, schau, Empedokles, die Scheibe fliegt
Zum Schlangenschwanz und klebst am Schlangenschwanz,
Die Schlange und die Scheibe lieben sich!
Doch was ist das? Die beiden hassen sich,
Der eine stößt sich von dem andern ab!
EMPEDOKLES
Urkräfte sind es in der Schöpfung Gottes,
Hass oder Liebe, Frieden oder Krieg!
MILON
Doch schau dir dieses an, Empedokles,
Dies hasserfüllte Scheibchen stößt sich ab,
Doch stärker wird die Liebe als der Hass,
Das hasserfüllte Scheibchen kehrt sich um,
Fliegt einfach an das andre Schlangen-Ende
Und hat von Hass zur Liebe sich gewandelt.
EMPEDOKLES
Du, lieber Milon, bist ein kluges Kind!
(Er schweigt. Nach einigen Augenblicken erscheint Panthea.)
PANTHEA
Ihr beiden spielt so schön mit den Magneten.
EMPEDOKLES
(lächelnd)
Die Fabeldichter singen vom Magnetberg,
Der irgendwo in Meeres Mitte steht.
Nun kommt ein Schiff, die Planken sind vernagelt,
Und der Magnetberg zieht das Schiff zu sich,
Das Schiff, es kann nicht anders, ja, es muss
Zu dem Magnetberg schwimmen, weil er zieht,
Zuletzt ist der Magnetberg so gewaltig
In seinem starken Magnetismus, dass
Die Eisennägel aus dem Schiffe fliegen,
Das Schiff zerschellt, da liegt es da als Wrack!
PANTHEA
Was willst du, lieber Freund, mir damit sagen?
EMPEDOKLES
Du bist der mächtigste Magnetberg, Liebste,
Ich bin das Schiff, so zieht es mich zu dir.
MILON
Panthea, sagst du doch, ist ein Magnet?
Du liebst sie also, mein Empedokles?
PANTHEA
Empedokles, Empedokles! Erklär mir,
Was ist der Magnetismus in der Schöpfung?
EMPEDOKLES
Die Mutter Erde mit den breiten Brüsten,
Wie Hesiod sie nennt, zieht ihre Bahn,
Kreist um sich selbst, der Mond kreist um die Erde,
Und Mond und Erde kreisen um die Sonne,
Was sie auf ihren himmlischen Ellipsen
Erhält und stets die rechten Bahnen führt,
Das ist der Magnetismus in der Schöpfung.
Wenn Mutter Erde mit den breiten Brüsten
Wie Ikarus zu nah der Sonne käme,
So gäbe es kein Leben auf der Erde,
Doch würde sie nicht angezogen von
Der Sonne mit dem Magnetismus Gottes,
So würden wir in dieser Welt erfrieren.
Der Magnetismus, der wie Liebe ist,
Macht erst das Leben möglich auf der Erde.
PANTHEA
Und ist das Leben nicht in Wahrheit schön?
Der weise Philosoph mit seinem Geist,
Die Freundin voller Sympathie im Herzen,
Der kleine Knabe mit der Einfalt Unschuld:
Ist nicht das Leben wirklich schön, mein Freund?

DRITTE SZENE

(Pantheas Garten. Frühlingsnacht. Empedokles und Panthea sitzen auf einer Bank unter einem
Baum und trinken Wein.)

EMPEDOKLES
Ich denke immer über Freundschaft nach.
PANTHEA
Ich möchte wirklich deine Freundin sein.
EMPEDOKLES
Was heißt für dich denn Freundschaft, meine Freundin?
Was ist denn Freundschaft anderes als Liebe?
PANTHEA
Dem Vielgeliebten sing ich dieses Lied:
Ich schweig mit dir im Schatten blauer Büsche,
Verschmelzen möchte ich mit deiner Seele
Und auf dem Grunde deiner Seele rauschen.
Dem Freunde aber sing ich dieses Lied:
Ich will mit dir im Garten diskutieren
Und unter Säulen wandeln auf dem Markt.
Gemeinsam wollen wir durchs Leben gehen.
EMPEDOKLES
Ich hörte einmal eine Dichterin
Zu ihrem Freunde diese Verse sagen:
Die Liebe, sie verschmilzt zwei Seelen innig,
Die Freunde rühren zart sich an den Händen.
PANTHEA
Was ist für dich die Freundschaft mit dem Freunde?
EMPEDOKLES
Der Liebende schaut die Geliebte an,
Sie ist sein Ziel, ist alles, was er will.
Die Freunde aber gehen Hand in Hand
Und schauen nicht einander liebend an,
Gemeinsam schauen sie zum gleichen Ziel,
Dem Inhalt ihrer Freundschaft, zu dem Geist,
Dem Genius der Freundschaft, schaun auf Gott.
PANTHEA
Bin ich mit meinen Freundinnen befreundet,
So sag ich ihnen keine Liebesworte,
Wir sprechen über Menschen, über Männer
Und Frauen, über Mutterschaft und Kinder
Und manchmal von der Schönheit der Natur.
EMPEDOKLES
Wie denkst du unsre Freundschaft dir, o Freundin?
PANTHEA
Ich ehre deine Weisheit, lieber Freund,
Mit deiner Weisheit hast du mir schon oft
Geholfen, meine Seele zu erkennen,
Die menschliche Natur, das Universum,
Zu staunen an die göttliche Natur.
EMPEDOKLES
Ich hörte Männer auf der Straße reden,
Ein Mann sei nur so lange Freund der Frau,
Bis diese Frau zuletzt den Mann erhört
Und er sie schließlich doch beschlafen darf.
PANTHEA
So denkt nur der gemeine Pöbel. Aber
Sie glauben nicht, dass Frauen Geist besitzen,
Sie leugnen unsres Geistes Würdigkeit,
Die weibliche Vernunft, den Genius.
Sie meinen, unsre schöne Weiblichkeit
Erschöpfe sich allein in der Erotik.
EMPEDOKLES
So hörte ich auch Philosophen reden,
Daß Weiblichkeit zu denken nicht vermag,
Sie können nichts als lieben oder hassen!
PANTHEA
Denkst du genau so, mein Empedokles?
EMPEDOKLES
Ich denke, auf des Mannes Wesenheit
Liegt schwer die harte Vaterhand des Gottes,
Doch über eines Weibes Wesenheit
Schwebt schöpferisch der reine Hauch der Gottheit.
PANTHEA
Meinst du, die Frauen stehn der Gottheit näher?
EMPEDOKLES
Und wenn es stimmt, dass Männer Logos ehren,
Und wenn es stimmt, dass Frauen Eros ehren?
PANTHEA
Daß Frauen besser lieben, als sie denken?
EMPEDOKLES
Die Philosophen dachten oft schon nach,
Was höher sei im Menschen und bestimmend:
Der menschliche Verstand? Des Menschen Wille?
PANTHEA
Was soll die Rede von Verstand und Wille?
EMPEDOKLES
Der menschliche Verstand erkennt die Weisheit,
Des Menschen Wille aber will die Liebe.
Und darin seh ich unsrer Freundschaft Segen:
Ich bin die menschliche Vernunft und suche
Den Logos zu erkennen und die Weisheit,
Du aber wie des Menschen Wille suchst
Den Eros zu ergründen, Schöne Liebe.
Nun lehren aber meine weisen Freunde
Aus Platons Schule, dass der Wille sei
Noch höher als der menschliche Verstand,
Daß göttlicher gewissermaßen als
Die Weisheit Gottes sei die Liebe Gottes!
PANTHEA
Soll ich dir also von der Liebe künden?
EMPEDOKLES
Indem du bist, so wie du bist, Geliebte,
Wird mir der Liebe Wesen offenbart.

VIERTE SZENE

(Pantheas Garten. Empedokles in der Morgenröte allein.)

EMPEDOKLES
Die Weisheit selber nenn ich meine Freundin.
Ein Philosoph, das ist ein Freund der Weisheit.
Ich nenne mich nicht einen Weisen, sondern
Mich einen Freund der Weisheit, meiner Freundin.
So sagte ja auch einst Pythagoras.
Die Weisheit ist noch mehr als eine Freundin,
Die Einsicht ist wie eine Seelenschwester,
Verwandte meiner Seele ist die Einsicht.
Intimvertraute Freundin ist die Weisheit,
Verlobte und Genossin meines Lebens.
Wenn ich der Weisheit mich vereinige,
Dann geht die Weisheit ein in meine Seele.
Dann macht sie mich zu einem Seher und
Zu einem Freund der überschönen Gottheit!
Die höchste Gottheit über allen Göttern
Nennt jetzt mich nicht mehr länger einen Sklaven,
Die überschöne Gottheit aller Liebe
In überwesentlichem Sein, die Eine,
Sie nennt mich einen Freund der höchsten Gottheit.
O Ruhm der Freundschaft mit der schönen Gottheit!
Die Freundschaft mit der Gottheit will ich feiern!
(Panthea tritt in den Garten)
PANTHEA
Empedokles, du gabst mir deine Ode,
In der die Freundin du besungen hast,
Die Freundin als die Seele der Natur.
Ach lieber Freund, wenn das die Menschen hören,
Was werden sie dann denken über mich?
Was interessiert die Menschen deine Freundin,
Die selbst sich nicht so hoch einschätzen kann!
Freund, singe von der Schönheit der Natur
Und sing von den Geheimnissen der Gottheit,
Verschweig nur vor den Menschen deine Freundin!
EMPEDOKLES
O liebe Freundin, Freundin nenn ich dich,
Weil ich dich nicht Geliebte nennen soll.
Was kümmern mich die Narren dieser Welt?
Ich will die Perlen meiner Poesie
Nicht vor die Eber und die Säue werfen,
Denn sonst zertreten sie mir meine Perlen,
Und all die Heiligtümer meines Herzens
Geb ich nicht preis den Hündinnen und Hunden.
Jedoch, dir sag ich jetzt es im Vertrauen:
Die Freundin, die ich sang in meiner Ode,
Die bist nur scheinbar du, du bist ihr Schatten,
Die einzige und wahre Freundin aber,
Das ist Frau Weisheit, Seele der Natur.
PANTHEA
Ah, jetzt versteh ich dich, mein lieber Freund.
EMPEDOKLES
Doch in gewissem Sinne bist auch du
Die Freundin im Mysterium der Weisheit.
Du selber bist ja ein Mysterium.
PANTHEA
Ja, schaust du meine Psyche auch so an,
Als wie mit sieben Schleiern keusch verschleiert?
EMPEDOKLES
Verschleiert seh ich deine schöne Psyche
In ihrem seelischen Mysterium
Versunken ins Mysterium der Gottheit.
Wenn ich die Psyche dieses Universums
Lobpreis und rühme als die Freundin Weisheit,
Weltseele selber meine Freundin nenne,
So spiegelt sich des Kosmos schöne Psyche
In deiner sehr geheimnisvollen Psyche.
So, wenn ich dich betrachte, meine Freundin,
Betrachte ich im Spiegel und im Gleichnis
Des Kosmos Psyche, meine Freundin Weisheit.
(Panthea steht vor Empedokles, er schaut sie an, ihr Antlitz ist umstrahlt von der blendenden Sonne.
In dem Kreis der blendenden Sonne sieht er Pantheas lächelndes schönes Antlitz voller
Freundlichkeit zu ihm schauen.)
PANTHEA
Weltseele und des Universums Psyche,
Geheimnisvoll bleibt mir doch die Idee.
EMPEDOKLES
Panthea, sieh, ich seh, und was ich sah,
Das war das schöne Antlitz einer Frau
Im Glanz der lichten Sonne, lieblich lächelnd.
Ich nenne sie die lächelnliebende
Frau in der Sonne, deren schönes Antlitz
Voll Freundschaftsliebe lächelnd mich gesegnet.
PANTHEA
Frau in der Sonne, mein Empedokles?
EMPEDOKLES
Ich sah den Logos, sah die Weltvernunft,
Doch nicht den Logos selber schaute ich,
Ich sah des Logos Psyche in der Sonne,
Des Logos Psyche, die Idee der Schönheit!

FÜNFTE SZENE

(Empedokles in der Stadt unter Säulen wandelnd mit seinem Freunde Marcion.)

MARCION
Die Gottheit als die allerhöchste Liebe
Erschien mir wie in drei Personen als
Die Gottheit mitleidvoller Menschenliebe,
Die Gottheit leidenschaftlicher Erotik,
Die Gottheit geisterfüllter Freundschaftsliebe.
EMPEDOKLES
Ich dien der allerhöchsten Freundschaft Gottes.
Du, Marcion, bist auch ein Freund des Logos,
Und weil wir beide sind des Logos Freunde,
Drum segnet auch der Logos unsre Freundschaft.
MARCION
Der Logos ist ja anders als der Mythos.
Der Mythos, das sind Märchen und Legenden.
Der Mythen Götter wahrlich sind verwerflich,
Sind menschlich-allzumenschlich arme Sünder.
Der Mythos ist Geschwätz. Der Logos aber,
Er ist das Wort der göttlichen Vernunft.
Das Wort jedoch, ich mein des Logos Wort,
Das Wort jedoch ergeht mit Ton und Schall
Und so erzeugt der Logos die Musik
Des Universums, jene Harmonie,
Die hält die Welt im Innersten zusammen.
Ich hörte von den skythischen Barbaren,
Daß sie das selbe eine Wort verwenden
Für Universum und für Harmonie.
Pythagoras vernahm ja die Musik
Der göttlichen Planeten. Denke dir,
Gott Logos ist ein großer Lyraspieler,
Mit seinem Plektron schlägt er an die Saiten,
Die Saiten schwingen und erzeugen Töne,
Die hohen Schwingungen der Töne sind
Die Götter und die Geister und die Seelen,
Die tiefen Schwingungen der Töne sind
Die stofflichen Erscheinungen der Welt.
Denn die Materia ist nichts als Schwingung
Der Töne aus dem Lyraspiel des Logos.
EMPEDOKLES
Ja, diese Harmonie des Universums,
Die du Musik des Logos nennst, ich nenne
Sie Freundschaft. Freundschaft seh ich überall
Im Universum walten, aber auch
Die Gegenkraft, den ärgerlichen Streit!
Der Sinn der Welt ist ganz allein die Freundschaft,
All-Einheit will die Welt, will die Gemeinschaft.
Die Atomisten lehrten mich dereinst
Die Freundschaft unter den Protonen und
Den Elektronen in Atomes Kern.
Auch unterwiesen mich die Chemiker,
Wie gut befreundet sind die Karbonate,
Da Wasserstoff und Kohlenstoff befreundet.
Die Astronomen aber lehrten mich
Vom Magnetismus in der Himmelssphäre,
Wie in dem Magnetismus Freundschaft waltet,
Wie Erde, Mond und Sonne sind befreundet.
Die Menschen streben auch zu der Gemeinschaft,
Sie gründen eine Zivilisation.
Die Babylonier und die Perser und
Der große Alexander sahn die Welt
Als Ein geeintes Reich der ganzen Erde,
Die Menschheit als Familie, tief geeint.
Doch ist in der Natur das Böse auch,
Der ärgerliche Streit in der Natur.
Die Katze frisst die Maus, der Wolf das Lamm,
Der Mensch isst Tiere, um sich zu ernähren,
Der Mensch verschließt im Egoismus sich,
Der Mensch verschließt sich in der Sünde und
Der Bosheit, schließlich triumphiert der Tod.
Das Reich des Todes ist das Reich der Feindschaft,
Der Böse ist Person, der ist der Feind.
Doch dieser ärgerliche Streit entspricht
Nicht dem geheimen Sinn des Universums,
Was alle Welt im tiefsten Innern will,
Das ist die Freundschaft, ist der Freundschaftsbund,
Die Freundschaft unter allen Elementen,
Die Freundschaft unter allen Kreaturen,
Die Freundschaft zwischen menschlichen Geschlechtern,
Die Freundschaft zwischen allen Menschenseelen,
Die Freundschaft zwischen allen Erdenvölkern.
Ja, was zutiefst das Universums will,
Das ist des Universums Freundschaft mit
Des Schöpfergottes höchster Freundschaftsliebe.
MARCION
Doch mächtig ist der ärgerliche Streit!
EMPEDOKLES
Mir aber ist erschienen Gottes Freundin
Und hat mir prophezeit: Am Ende siegt
Und triumphiert das Herz der Philia!
ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Am Fuß des Ätna. Der Hohepriester und Empedokles.)

HOHERPRIESTER
Ich will dich jetzt auf deinen Glauben prüfen:
Wer ist in deinem Denken Aphrodite?
EMPEDOKLES
Die Göttin Aphrodite ist die Liebe,
Die hält die Welt im Innersten zusammen.
HOHERPRIESTER
Ich lege dir den wahren Glauben vor,
So wie er von den Vätern überliefert
Und aufgeschrieben ist in unsern Schriften:
Am Anbeginn der Welt war Nacht des Chaos,
Das Chaos ward befruchtet von dem Wind,
Geboren wurde Unsre Mutter Erde,
Sie, die gebar den Vater Uranos
Und sich mit Uranos vereinigte,
Von ihm empfing die Mutter Erde Chronos.
Gott Chronos aber zeugte die Titanen.
Gott Chronos aber hasste seinen Vater
Und schnitt mit einer Sichel ihm das Glied
Und seine Hoden ab und warf das Glied
Und warf die Hoden in das Mittelmeer,
Daraus entstand der Schaum des Mittelmeeres,
Der Schaum gebar die Göttin Aphrodite
Bei Petra tou Romiou vor Paphos-Ktima,
Wo auf der Muschel stehend zog die Göttin
In Zypern ein, wo unter ihren Füßen
Die Rosen blühten. Dort auf Zypern war
Das Bad Fontana Amorosa auch,
Worin die Göttin nackt gebadet hat.
Wenn sich vereint die Göttin Aphrodite
Mit einem Gotte oder einem Halbgott
Und manchmal auch mit einem Menschensohn,
So badete die Göttin nach dem Beischlaf
In der Fontana Amorosa und
Ist aufgetaucht als unbefleckte Jungfrau
Intakten Hymens. Glaubst du das, mein Sohn?
EMPEDOKLES
Die Märchen unsrer alten Fabeldichter,
Altweibermärchen sind’s in meinen Augen.
Die Götter, die sich fressen und ermorden,
Die Göttinnen und Götter, die sich paaren,
Sind Träumereien dichtender Phantasten.
Ich glaube an die Eine Liebe Gottes,
Die hält die Welt im Innersten zusammen
Und triumphiert einst über Streit und Feindschaft
Durch den vollkommenen Triumph der Freundschaft!
HOHERPRIESTER
Mit deinem kleinen männlichen Gehirn
Denkst du dir eine Logik Gottes aus
Und mit der wissenschaftlichen Vernunft
Verleugnest du die Götter unsres Volkes?
Wer bist denn du, dass du Homer verleugnest?
Homeros war ein blinder Götterseher!
Homeros sah, und siehe, was er sah,
Das war die schöne Göttin Aphrodite,
Die sich beschlafen ließ vom Gotte Mars,
Als eben war ihr Ehemann Vulkanus
Auf seinem Arbeitsplatz, war nicht zuhause,
Da nutzte Mars gleich die Gelegenheit
Und stieg zu Aphrodite in das Bett!
Wer hat denn Aphrodite nicht besessen?
Auch Hermes schlief mit Aphrodite, sie
Gebar Hermaphroditos, einen Zwitter.
Dionysos erkannte Aphrodite
Und sie gebar den Gartengott Priapus.
Auch warf die Göttin Aphrodite einst
Ein Auge auf den Menschensohn Anchises,
Gebar Äneas so, den Göttinsohn!
Glaubst du an Aphrodites Buhlereien?
Willst du auch werden Aphrodites Buhle?
EMPEDOKLES
Die kranke Phantasie von Ehebrechern
Erzeugte dies Idol der Hurerei!
Die Göttin Aphrodite, die ich ehre,
Ist Ewige und Schöne Liebe Gottes,
In makelloser unbefleckter Keuschheit
Und immerwährender Jungfräulichkeit
Ist sie als Liebe, Freundschaft, Harmonie
Die schöne Psyche dieses Universums.
HOHERPRIESTER
Du lästerst also Hesiod, Homer
Und alle Hymnen an die große Göttin?
EMPEDOKLES
Ein schöner Schein ist diese pure Kunst,
Auch ich genieß die Verse von Homer.
Die Aphrodite des Homeros aber,
Von Diomed verletzt, am Leibe blutend,
Wehleidig flieht zur Mutter, kindisch wimmernd,
Das ist mir keine göttliche Natur.
HOHERPRIESTER
Jetzt habe ich’s gehört aus deinem Munde!
Der Griechen große Göttin Aphrodite,
Sie ist dir nicht von göttlicher Natur!
Das, Philosoph, ist Gotteslästerung,
Auf Lästerung der Götter steht der Tod!
EMPEDOKLES
Und wenn ich sterben muss, so sterbe ich.
ZWEITE SZENE

(Auf der Straße. Empedokles vom Pöbel bedrängt.)

PÖBEL
Du hältst dich wohl für etwas Besseres!
Du trägst zu hoch die Nase, Philosoph!
Wir hassen deinen arroganten Stolz!
EMPEDOKLES
Ihr Narren, redet nicht so aufgeblasen!
Ich weiß, wer eure Aphrodite ist!
PÖBEL
Wir haben hier die Marmorstatuen,
Gebildet nach der schönsten Hure Gleichnis!
Wir fallen nieder vor der Hurengöttin
Und unser Gottesdienst ist Hurerei!
In Aphrodites Gärten warten Huren,
Wir werfen ihnen Gold in ihren Schoß
Und schlafen mit den Huren Aphrodites,
So werden wir vereint der großen Göttin!
EMPEDOKLES
Der Logos schaut voll Zorn auf eure Sünden!
PÖBEL
Dein Gott ist eine Kopfgeburt! Die Göttin
Jedoch hat volle Brüste einer Hure
Und göttlich ist der Aphrodite Becken!
EMPEDOKLES
Ihr preist die animalische Begierde
Und betet Menschenfleisch als Göttin an.
PÖBEL
Die Göttin schenkt uns aber Seligkeit!
Wenn uns die Göttin ihre Huren gibt,
So sind wir selig schon auf dieser Erde!
Der Tod ist uns gewiss, so uns wie dir,
Du aber grübelst nachts gedankenvoll,
Doch wir ergötzen uns im Hurenbett!
Wir pflücken jede junge Rosenknospe,
Verschmähen auch die reifen Rosen nicht,
Wir zechen roten Wein im Übermaß,
Und wenn der Becher völlig ausgeleckt,
Dann wenden wir uns trunken zu der Vulva!
EMPEDOKLES
Ihr fahrt einst zu den Schatten in den Hades,
Kommt nicht in das Elysische Gefilde!
PÖBEL
Was ist Unsterblichkeit der Seele? Schatten!
Was ist im Bett die Hure? Seligkeit!
EMPEDOKLES
Ach, wisst ihr gar nichts von der wahren Liebe?
EIN MANN
Der Hirte Paris sah drei Göttinnen
Und sollte Eine preisen als die Schönste.
Drei Grazien sind gestern mir begegnet,
Die Grazien mir zeigten ihre Hintern!
Der einen Grazie Gesäß war rund,
Der zweiten Grazie Gesäß war breit,
Der dritten Grazie Gesäß war prall.
So sprach ich zu den Grazien, den Dreien:
Drei Grazien in Einer Göttin preis ich
Und dieser Einen Göttin Po ist schön,
Ja, rund und breit und prall der Göttin Po,
Und diese Göttin ist ein Weib geworden
Und dieses Weib ist meine Konkubine!
EMPEDOKLES
Du liebst an der Geliebten ihren Po?
MANN
Anbetend stand ich vor der Statue
Der Aphrodite mit dem schönen Hintern:
Callipigos, erbarm dich über mich!
Callipigos, erbarm dich über mich!
Callipigos, gib mir den Seelenfrieden!
Da flehte ich zum schönen Po der Göttin
Und voller Gnade schwenkte Aphrodite
Vor mir das straffe pralle Hinterteil!
Ah, in Ekstase und Verzückung pries ich
Als wahrhaft göttlich Aphrodites Hintern!
Anbetend jede Backe ihres Hinterns
Sang ich Hexameter dem Po der Göttin!
EMPEDOKLES
Geh, Sünder, du besudelst meine Ohren!
PÖBEL
Nun, gehen wir und lassen ihn allein!
Soll er im Himmel mit Ideen tanzen
Und die Planetengeister singen hören,
Wir gehen zu den Huren Aphrodites,
Zu Sängerinnen und zu Tänzerinnen,
Reizgöttinnen, die unser Flehn erhören,
Sexgöttinnen, die Seligkeiten spenden!
(Alle ab. Empedokles allein.)
EMPEDOKLES
Erlöse mich, o Gott, vom Kot der Erde!

DRITTE SZENE

(Empedokles steigt den Ätna hinan. Eine Weile noch begleitet ihn der Knabe Milon.)

MILON
Ich werde dich nie wiedersehn, mein Vater!
EMPEDOKLES
Mein Herz ist schwer, mein vielgeliebter Knabe,
Was soll ich dir zu deinem Troste sagen?
MILON
Ich möchte einmal noch in deinem Bette
Im Morgenrot mich liebend an dich schmiegen.
EMPEDOKLES
Ich kann dir nur den Segen Gottes geben.
MILON
Wenn Gott im Innern der Natur verletzt wird
Von aller Bosheit böser Menschen, Vater,
So ist doch Gott zu Tode schon verwundet!
EMPEDOKLES
Doch Menschen gibt es, die die Gottheit trösten.
Ich seh auf deiner Wange eine Träne,
Geliebter Milon, und ich wische fort
Die Träne deiner Wange und ich tröste
Die Liebe in dem Innern der Geschöpfe.
MILON
Wenn du nun nicht mehr bei mir sein wirst, Vater,
Wer soll mir Gottes Weisheit dann verkünden?
EMPEDOKLES
Der Logos in dem Innern der Natur
Wird allezeit auf allen deinen Wegen
Begleiten dich mit treuer Freundesliebe.
Ich bin dein Freund gewesen, o mein Liebling,
Du hast von mir genommen Vaterliebe
Um Vaterliebe und dich so getröstet.
In aller Demut sag ich heute dir:
Was schlecht gewesen ist an meinen Werken,
Das kam aus meiner menschlichen Natur,
Was aber Gutes du durch mich empfangen,
Kam von der Liebe göttlichen Natur.
MILON
Und wenn ich abends gehe in mein Bett,
Wer segnet mich dann mit der Liebe Gottes?
EMPEDOKLES
Wenn ich dich nicht mehr bringe in dein Bett,
Wer wird mich segnen dann in dunkler Nacht?
Wenn ich gegangen bin von deinem Bett,
Dann wachtest du noch einmal auf vom Schlaf
Und lalltest mit der süßen Kinderstimme:
Empedokles, pass du gut auf dich auf!
MILON
Du flüstertest noch einmal durch die Nacht:
Mein Liebling, schlaf recht schön und träum was Süßes.
EMPEDOKLES
Du wirst mich bald vergessen, mein Geliebter!
(Er schweigt.)
Jetzt geht du mit dem Segen Gottes, geh!
Dein Genius begleite allzeit dich,
Dein Genius geh stets an deiner Seite,
Dein Genius geh hinter dir als Schutzgeist,
Dein Genius geh dir voran als Licht,
Dein Genius soll über deinem Haupt
Im Himmel schweben und den Weg dir weisen
Zum Garten im Elysischen Gefilde!
MILON
Ich werd dich nie mehr wieder sehn, o Vater!
(Milon kehrt weinend um. Empedokles steigt den Ätna weiter aufwärts. Nach einer Weile
Schweigens - )
EMPEDOKLES
In drei Milliarden Jahren stürzt herein
Andromeda mit ihrer Galaxie
In unsre Galaxie, und unsre Sonne
Wird dann zu einem roten Riesen werden
Und wird verschlingen den Merkurius
Und Venus fressen, und die Sonne wird
Zu einem weißen Zwerg, und Mutter Erde
Verglüht, und alles Leben wird versterben.
Der Urkeim explodierte einst, die Kraft
Verblasst von Tag zu Tag im Universum,
Und eines Tages wird das Universum
Entschlafen wie mit einem leisen Wimmern.
Der Mensch jedoch wird durch ein warmes Loch,
Wird schlüpfen durch ein warmes Loch, hinüber
Ins parallele Universum, da
Die Mutter Erde mit den breiten Brüsten
Ist noch ganz jung, da herrscht die Steinzeit-Venus
Und Mann und Frau sind in Elysium
Vereint in nackter Schönheit reiner Liebe!
(Er schweigt)
Ich rede irr vor großem Seelenkummer!
Gott, nimm mich eilig weg von dieser Erde!

VIERTE SZENE

(Empedokles allein am Rande des Vulkans. Er zieht seine Sandalen aus.)

EMPEDOKLES
O schöne Seele dieses Universums,
O Freundin mein, des Kosmos schöne Psyche,
O Göttin Philia, o Freundschaftsliebe,
Die Welt im Inneren zusammenhaltend!
In meinem Herzen ist ein starker Wille
Mit brennender Begier, sich aufzulösen!
Ob meine Träne wie ein Tropfen sich
Versinkend auflöst in dem Ozean,
Ob meines Herzens heiße Liebesflamme
Sich auflöst in dem Feuer des Vulkans,
Ob all das Mark in meinem Beine fällt
Der Mutter Erde in den schwarzen Schoß,
Ob meiner Seele letzter Atemhauch
Zerflattert in den blauen Frühlingslüften –
Weltseele! Ist mein Tod nichts andres doch,
Als einzugehn in deinen Mutterschoß!
Weltseele, deren Körper ist der Kosmos,
Weltseele, deren Schoß ist der Vulkan,
Den Leib versenke ich in deinen Schoß,
Saug meinen Körper ein mit deinem Munde!
Verbrennen will ich meinen Leib im Feuer
Und meine Asche auf die Erde streuen,
Doch meine Seele wird als Feuervogel
Im Himmelreiche meiner Freundin schweben!
O Freundin! Dieses Kosmos schöne Psyche!
O Freundin! Hauch vom Hauch des Mundes Gottes!
O Freundin! In dem Busen der Natur
Du eingegossne Freundschaftsliebe Gottes!
O meine Freundin! Leben der Natur!
O Freundin! Energie des Universums!
O Freundin! Lichte Frau im Glanz der Sonne!
O Freundin! Königin der Galaxien!
O Freundin! Morgenrot der Ewigkeit!
O Freundin! Auferweckerin der Toten!
O Freundin! Fürstin von Elysium!
Empfange mich in deinem Himmelsgarten!
Ich sterbe jetzt im Feuer deines Schoßes,
Ich scheide in der Lava deines Schoßes!
Als Phönix lass mich auferstehen, Freundin!
Lass meiner Seele reine Turteltaube
In deinem Garten von Elysium
Von Freundschaft gurren, ah, von Freundschaft girren!
STIMME
(Aus dem Feuer des Vulkans)
Zieh deine Schuhe aus, der Grund ist heilig!
Ich bin der Gottheit grenzenlose Liebe!
EMPEDOKLES
O Philia des Gottes aller Götter,
Die scheiden von der Erde, reden trunken,
Doch trunken nicht von purpurrotem Wein,
Nein, trunken von Begeisterung der Liebe!
O Philia! Ich rief dich meine Freundin,
Dein Name, makellose Freundschaft Gottes,
Dein Name war mir allzeit: Meine Freundin!
Jetzt aber, in der Stunde meines Todes,
Gewähre mir die Gnade, meine Freundin,
Daß ich dich meine Vielgeliebte nenne!
Denn in der letzten Stunde dieses Lebens
Gesteh ich dir mit seufzendem Geständnis,
O Freundin meines Lebens, o Geliebte,
O einzige und ewige Geliebte,
Was nieder mich zu deinen Füßen wirft
Und brennend mich an deinen Busen drängt,
Ist mehr als makellose Freundschaft – Liebe!
Ja, Eros ist es, meine Vielgeliebte!
Jetzt, in der Wahrheit meiner Todesstunde,
Verwerf ich alles Wissen meiner Weisheit
Und alle philosophische Erkenntnis
Und alle Lehren, die ich je verkündigt,
Von Freundschaft, die im Innern der Natur
Die Harmonie des Universums ist.
Jetzt, in dem Augenblick der Todesstunde,
Erkenne ich die Liebe, Gottes Eros!
Die Philosophen aber kennen nicht
Die Allgewalt des schöpferischen Eros,
Allein der liebestrunkne Liebesdichter
In leidenschaftlicher Verherrlichung
Der herrlichen Geliebten seines Herzens
Erkennt den wahren Sinn des Universums!
O Freundin, jetzt komm ich nicht nur in Freundschaft,
Jetzt komme ich zu dir mit Gottes Eros,
Mit meinem Durste nach Vereinigung,
Ja, göttlicher Begierde nach Verschmelzung!

(Er stürzt sich in den Lavaschoß des Vulkanes.)

PYTHAGORAS

ODER

ALLES IST MUSIK

ERSTE SZENE

(Pythagoras und sein Schüler Philolaos in Metapontion, dem Altersruhesitz des Philosophen.
Pythagoras im grauen Haar und grauem Bart, er erfrischt sich bei einem Becher Wein.)

PHILOLAOS
Pythagoras, erzähl von deinen Kindertagen,
Wohin das Leben dich, wohin dich Gott verschlagen,
Wie du aus Griechenland fortwandelnd dich entfernt,
Von wem und wie und was du in der Welt gelernt.
PYTHAGORAS
In Samos schaute ich das Licht des Welttheaters.
Und ich erinnere mich noch des reichen Vaters,
Er war ein reicher Mann, der in dem Stadtrat saß,
Mnesarchos hieß er, der oft die Leviten las
Mit strengem Vaterzorn dem neugierklugen Knaben.
Ich wollte mich schon früh an der Natur erlaben,
Sezierte an dem Teich die Glieder von dem Frosch,
Weshalb der Vater mit der Rute mich verdrosch.
Die Schmetterlinge ich hab stets im Glas gesammelt,
Die Sonne liebt ich sehr und hab ihr Lob gestammelt.
Zur Schule kam ich dann. Mein Lehrer unterwies
Mich in der Poesie, der Pherekydes hieß,
Da las ich Hesiod, den heiligen Homeros,
Las Pindars Hymnen und der Sappho Lob an Eros.
Da dünkte mir im Geist – mein Freund, lass ab vom Spott! –
Die Götter allesamt, sie seien nur Ein Gott.
Der Unbekannte Gott erfüllte meine Seele.
Ich aber litt zutiefst an jedem meiner Fehle,
Da habe ich gesucht, wer mich von aller Schuld
Befreit, wer Retter ist und was der wahre Kult?
Ich hab ersonnen in der Torheit meiner Jugend
Der Selbstbefreiung Weg durch Wandel in der Tugend.
Ich wollte werden rein und makellos und keusch,
Enthalten mich vom Blut, enthalten mich vom Fleisch,
Die Tugend leben in der Welt in frommer Reinheit,
Den Gott des Kosmos fromm verehren, die All-Einheit.
PHILOLAOS
Wo du geboren bist, in Samos war es doch,
Ergabest du dich schon der Herrin Weisheit Joch?
PYTHAGORAS
Die Weisheit schien mir schön als Unbekannte Göttin,
Ich wollte werben sie zu meines Geistes Gattin!
Sie rief aus Griechenland den jungen Mann davon,
Daß nach Ägyptenland ich kam und Babylon,
Von den Ägyptern die Mysterien zu lernen,
Mit Babels Magiern zu schauen nach den Sternen,
Mit Babels Magiern zu schaun den Himmelssaal.
Geordnet ist das All nach Maß, Gewicht und Zahl!
Nach Griechenland zurück ich brachte von den Reisen
Den Schatz des Orients, die Weisheit seiner Weisen.
PHILOLAOS
Hast du in Griechenland gelehrt die Weisheit dann?
PYTHAGORAS
Unruhig war die Zeit. Es herrschte ein Tyrann.
Die Aristokraten zwar die Hierarchie verehren,
Ein Gott ist König nur, wie alle Weisen lehren,
Doch abgrundtief verhasst sind mir die Welttyrannen.
Und Polykrates, der Tyrann, tat mich verbannen.
Ich mit mir nur Homer in meiner Tasche nahm
Und nach Italien so im schönsten Frühling kam.
PHILOLAOS
Das war der Anfang doch der Philosophenschule,
Die du begründetest, der Göttin Weisheit Buhle?
PYTHAGORAS
Ich fand dort einen Kreis von Freunden fromm und gut,
So wie die Glucke hockt auf ihrer Küken Brut,
So hab versammelt ich um mich die Schar der Freunde.
Im Geist der Freundschaft sich die heilige Gemeinde
Ergab der Wissenschaft und wie sie mir erschien,
Geheimer Religion in strenger Disziplin.
Das Goldene Äon sich in der Zeit erneue
Durch unsern Freundschaftsbund, geweiht der Freundestreue,
Geweiht der Disziplin, geheimer Religion,
Daß sich erneuere das Goldene Äon,
Als der Gerechtigkeit Jungfrauengöttin lebte
In dieser Erdenwelt. Wonach der Zirkel strebte,
Das war Asträas Reich voll der Gerechtigkeit,
Wo Freundschaft alle Welt erfüllt mit Heiligkeit.
In strenger Disziplin wir hielten ein das Fasten,
Besonders fasteten die eingeweihten Kasten,
Der innre Zirkel nur enthielt sich allem Fleisch,
Wir tranken keinen Wein, nur Schwester Wasser keusch.
PHILOLAOS
Jetzt aber sprichst du zu dem Becher mit dem Weine?
PYTHAGORAS
Die Weisheit sprach zu mir in mildem Gnadenscheine:
Du übertreibe nicht mit deiner Disziplin,
Trink einen Becher Wein als Herzensmedizin!
PHILOLAOS
Wie ich nach Winden doch und Luftgespinsten hasche,
Wenn jeden Abend ich geleert die volle Flasche!
PYTHAGORAS
Hab mir dir selbst Geduld, mein Schüler, lieber Sohn,
An einem Tage nicht lernt man die Religion.
PHILOLAOS
Du bliebest aber nicht in jenen kleinen Staaten?
PYTHAGORAS
Vertrieben haben mich die Gegner, Demokraten,
Der Demagogen Schar mit ihrer Hetzerei,
Mit ihrer Anarchie, des Chaos Ketzerei.
Nach Metapontion mich trugen meine Schuhe –
Oft ging ich unbeschuht – und hier fand ich die Ruhe.

ZWEITE SZENE

(Theano, die Frau des Pythagoras, mit ihrer Freundin im Garten in Metapontion.)

FREUNDIN
Theano, sag mir doch von deinem Lebensweg.
Wenn ich dich sehe, dann wird mir im Innern reg
Die Göttin Weisheit, schön in makelloser Jugend.
Vor allem lehre mich: Was ist der Weg der Tugend?
Und sag von der Vision und geistgegebnen Schau,
Wie sich verhalten soll die fromme Ehefrau,
Wie heiße Liebe auch im Frost kann überwintern,
Und von Erziehung sprich und sprich von deinen Kindern.
THEANO
Pythagoreer war Brotinos, der gezeugt
In meiner Mutter Schoß, in Liebe zugeneigt.
Drei Kinder habe ich, zwei wunderschöne Mädchen,
Die schönsten ihrer Art in unserm kleinen Städtchen.
Die Tochter Demo ist so strahlend goldenblond
Wie morgens früh Apoll im Ost am Horizont,
Das goldenblonde Haar, die langen Seidenhaare,
Sie strahlen so im Licht, als ob die Schöne, Wahre
Ein Geist des Himmels wär, auch ist sie herzlich gut,
Aus Herzensgüte tut sie alles, was sie tut,
Sie ist ein Himmelsgeist in dieser Welt hienieden
Und in der Schule stets sie stiftet holden Frieden.
Die andre Tochter mit dem Namen Mya ist
Der Himmelskönigin vergleichbar! Wie ihr wisst,
Italiens Frauen, ist die Königin des Himmels
Die Schönste in dem Kreis des göttlichen Gewimmels.
Ja, Mya ist so schön, es hat schon ein Poet
Gestanden, dass vor ihr die Sprache ihm vergeht.
Das lange braune Haar von der Kastanien Bräune
Umflutet ihren Hals im weißen Schwanenscheine,
Das lange Seidenhaar wie Flut des Wasserfalls
Den Turm von Elfenbein umspielt, den Schwanenhals.
Die großen Augen, die zu Meteoren taugen,
In schöner Mandelform, die großen braunen Augen
Verströmen Gnadenlicht und liebevolles Glück,
Ein Segen Gottes ist von ihr ein Lächelblick!
Die Lippen voll und süß sind weisen Männern küsslich,
Auch Philolaos schaut die Lippen an genüsslich,
Wenn süß ihr Plaudermund im Redeüberfluß
Verströmt den Charme, so denkt ein Mann nur an den Kuss!
Thelauges ist mein Sohn, ich will den Götterknaben
An der geschwellten Brust mit Milch der Weisheit laben.
Er ist ein kleiner Gott, und wen er lieben tut,
Der Mensch ist ganz gewiss von tiefstem Herzen gut.
FREUNDIN
Ist nicht der Ehe Joch sehr öde und langweilig?
THEANO
Der Himmelskönigin ist stets die Ehe heilig,
Wo nie die Frau allein nur an sich selber denkt,
Ihr Leben, ihre Kraft dem Mann und Kindern schenkt.
Selbstlose Liebe nur in heilig treuer Ehe
Bringt in der göttlichen Ur-Liebe Gottes Nähe.
FREUNDIN
Was aber soll man tun, sag, was Frau Weisheit spricht,
Wenn einer gierig geil den Bund der Ehe bricht?
THEANO
Lern eines du zuerst, das Wichtigste im Leben:
Soll dir verziehen sein, so musst du selbst vergeben!
Wenn einer das Vertraun so in die Gosse stößt,
Der Ehe Himmelsband wird drum nicht aufgelöst!
Frag der Betrogne sich, ob Männer oder Frauen:
Wie habe ich verscherzt die Treue, das Vertrauen,
Warum der Partner doch mich freventlich betrügt,
An einen fremden Leib in geiler Lust sich schmiegt,
Gab ich denn Liebe nicht genug und Ganzhingabe,
Dass sich mein Partner nun am fremden Leib erlabe?
FREUNDIN
Wenn aber Frau und Mann des Ehebunds Verein
Erhalten heilig rein, wie soll die Kinderlein
Erziehn die Mutter dann, wie ist sie zu den Kindern?
THEANO
Gott gibt die Vollmacht ihr und Macht von Überwindern,
Die Autorität von Gott zu haben voller Macht
Und Gottes Liebe zu verströmen süß und sacht.
Die Schwäche ist es meist der Zärtlichen und Schönen,
Daß sie die Kinderlein verzärteln und verwöhnen.
Der Vater habe dann in Kraft die Autorität,
Als starkes Vorbild er vor seinen Kindern steht,
Zeigt seinen Söhnen auf und seinen Töchtern Grenzen
Und soll auch fröhlich sein bei heitern Reigentänzen.
FREUNDIN
Woher hast du den Rat, der Weisheit Tugend nur?
THEANO
Es lehrte mich als Geist die Seele der Natur,
Die Göttin Weisheit selbst in makelloser Jugend
Mich lächelnd unterwies im Weg der frommen Tugend,
Daß ich im Leben nie die Tugenden vergaß,
Die Klugheit und den Mut, Gerechtigkeit und Maß,
Die Hoffnung, die der Tod nicht machen kann zu Spotte,
Den Glauben an den Geist, die Liebe zu dem Gotte.

DRITTE SZENE

(Männer und Frauen aus dem Volk. Die Männer in einer Gruppe, die Frauen in einer Gruppe.)

FRAUEN
Pythagoras, der Mann, ist sehr geheimnisvoll,
Es braust in unserm Kopf, wir werden beinah toll,
Was für ein Wundermann und großer Wundertäter,
Was für ein Magier und eingeweihter Beter!
Er lernte die Magie, er lehrt uns die Magie,
Wie in dem Kosmos doch ist alles Sympathie,
Wie Seele überall erfüllt das große Hohle
Des Kosmos-Körpers. Er kennt alle die Symbole,
Mit denen er den Gott, die Geisterwelt beschwört,
Der Geistersprachen kennt, der Geister reden hört.
Begeisternd religiös im inspirierten Wahne
Die Seele der Natur ergründet der Schamane
Und spricht mit Vögeln, und er tötet nie ein Tier.
Der Elemente Zahl, die heilig große Vier,
Erdgnomen sind es ihm, er sieht die kleinen Gnomen
In Mutter Erde und in winzigen Atomen,
Er sieht die Nymphen schön im Flusse baden nackt,
Er dirigiert sie noch mit seines Stabes Takt,
Und in den Lüften sieht er tanzen die Sylphiden,
Wie Vögel froh und frei im Äther und hienieden,
Und Salamander sieht er in des Feuers Glut,
Der zappelt mit dem Schwanz und großen Unsinn tut.
Wer wie Pythagoras die Geister alle kennte
Und kennt die große Vier, die Zahl der Elemente,
Der ist ein Wundermann und Magier und Herr,
Herrscht über Erde, Luft und Feuersglut und Meer,
Den nennen Meister wir, wir sagen Herr und Meister,
Denn ihm sind untertan Dämonen all und Geister.
In die Mysterien Ägyptens eingeweiht,
Der in die Reihen sich der Weisen eingereiht,
Der in Atlantis selbst gegangen in die Schule,
Der Göttin Weisheit Freund, der Göttin Weisheit Buhle,
Weiß mehr von diesem All, weiß mehr vom großen Gott,
Als Menschen möglich ist. Die Männer sind ein Spott
Mit ihrer Ratio, dem kläglichen Verstande.
Pythagoras jedoch, zuhaus im Geisterlande,
Ist mit dem großen Gott im unsichtbaren Licht
Befreundet, und er schaut den Gott von Angesicht
Zu Angesicht und spricht mit Gott als seinem Freunde.
Wir Frauen aber sind des Magiers Gemeinde,
Die esoterische Gemeinde, tief betört,
Die Autos Epha schwört, die Autos Epha schwört!
MÄNNER
Die Frauen sind betört in ihrem Aberglauben,
Wir aber lassen uns die Wissenschaft nicht rauben,
Wir suchen nicht Magie, geheimer Mystik Brunft,
Wir lieben Ratio, des Logos Weltvernunft.
Wir wissen nichts vom All als dem Dämonenlande,
Doch messen wir das All mit denkendem Verstande,
Denn alles in dem All ist Maß, Gewicht und Zahl.
Pythagoras hat einst studiert im Sternensaal,
Sternwarten hoch und steil bestieg er einst in Babel.
Die Mutter Erde ist des Universums Nabel,
Und Sonne, Mond und fünf Planeten gehen um
Die Mutter Erde um. Nein, kein Mysterium
Die Sphärenharmonie, nicht göttliche Sirenen
Auf den Planeten mit verführerischen Tönen
Betören den Verstand, nein, mathematisch ist
Geordnet dieses All. Der weise Denker misst
Planeten, zählt die Zahl, da findet er die sieben,
Die Sonne und den Mond, so steht es ja geschrieben,
Und der Planeten fünf, zusammen sieben, die
Vergleichbar der Musik mit ihrer Harmonie,
Da sieben Töne sind geordnet zur Oktave.
Die Säulen stehen fest und fest die Architrave
Auf denkendem Verstand und strahlender Vernunft.
Musik ist dieses All, nicht schwüler Götter Brunft,
Wo Venus nackend liegt bei Mars im goldnen Netze.
Ein Gott hat mit Verstand geschaffen die Gesetze,
Geschaffen hat ein Geist, ein weiser Intellekt.
Harmonisch ist das All, geordnet und perfekt.
In dieses Weltgesetz wir forschend uns versenken
Mit unserm Intellekt und rationalem Denken.
Ein Mann, ein Wort! Ein Mann und eine Wissenschaft!
Die Weisheit suchen wir, die schöpferische Kraft,
Des Weltalls Energie, wie in den Sternen-Uhren
Der Demiurg bewegt die himmlischen Naturen,
Wie einst die Sonne ward und unsre Galaxie,
Wie alles ist Musik, das All ist Harmonie.
Der Demiurg erscheint als großer Lyraspieler,
Der lyraspielend ist allein der Schöpfer vieler
Naturen, die im All bewegen sich harmonisch,
Bewegen in der Zeit bemessbar sich und chronisch,
Sie schwingen als Musik, als Gottes Leierspiel.
Die große Harmonie, des Universums Ziel,
Die große Symphonie, der Sphärentöne Feier
Erzeugt der Gott Apoll mit seiner goldnen Leier!

VIERTE SZENE

(Pythagoras und das Musiker-Paar Frau Katharsis und Mann Holon.)

PYTHAGORAS
Katharsis, Holon, seid gegrüßt mit Freundlichkeit!
KATHARSIS
Mein Ohr ist deinem Wort und deinem Geist bereit,
Mein Herz steht offen dir, mein Herz in meinem Busen,
Sprich mir von der Musik, Liebhaber du der Musen.
PYTHAGORAS
Spazieren ging ich einst, ging an der Schmiede lang,
Da hörte ich den Schmied und seines Hammers Klang,
So dumpf der Hammer schlägt mit harten Donnerschlägen,
Ich hörte wunderbar auf meinen Wanderwegen
Im dumpfen Hammerschlag harmonisch einen Ton,
Ich hörte die Musik des Hammers, dachte schon
Mit seinem Hammer Zeus zu hören Donner machen.
Katharsis, lächle nur, du darfst auch ruhig lachen.
Ich ging nach Hause gleich, um da ein Experiment
Zu machen. Saiten nahm in meinem Element
Ich da, verschieden lang und hängte dran Gewichte.
Empirisch wollte ich erforschen in dem Lichte
Exakter Wissenschaft die heilige Musik
Und fand heraus die Zahl, fürwahr die Mathematik
Verborgen in Musik, empirisch in exakten
Experimenten fand in Tönen und in Takten
Verhältnisse der Zahl. Du wunderst dich, mein Herz?
Berechnen lässt sich die Oktave und die Terz,
Die Quarte ist aus Zahl, aus Zahl ist auch die Quinte.
So experimentell ich Zahlenordnung finde
Im musikalischen, harmonischen Gesetz.
HOLON
Ich deiner Weisheit Geist von ganzem Herzen schätz,
Doch denk ich anders noch, und hör ich Lyren lyrisch,
Denk ich nicht an die Zahl und forsche nicht empirisch,
Die Weisheit der Musik bedarf der Theorie
In reiner Geistigkeit, der Töne Harmonie
Durchdenke mit dem Geist in reinem Spekulieren,
Dem Weisen würdig ist das Theoretisieren.
Was sagt der Philosoph vom Wesen der Musik,
Ist sie ihm denn allein exakte Mathematik?
Was mir bei der Idee denn doch von Herzen fehle,
Das wäre der Musik geheimnisvolle Seele.
Erheb dich von der Zahl und von dem Experiment,
Von Elementen vier, vom fünften Element,
Zur Seele, zur Vernunft, zum gottgezeugten Geiste,
Daß ich dann die Musik als Gottes Tempel preiste.
Wenn Orpheus Lyra spielt, dem Saitenspiel vertraut,
Er unsichtbar im All den Tempel Gottes baut!
KATHARSIS
Musik ist körperlich nach heiligen Gesetzen,
Erlernbar nach der Zahl. Doch kann sie nur ergötzen,
Ist sie auch seelenvoll. Die Psyche der Musik
Beherrscht die Leiblichkeit mit aller Mathematik,
Erschöpft sich nicht darin, sie ist ein höhres Wesen,
Wie Orpheus Philosoph und Magier gewesen
Und mit dem Saitenspiel beherrschte die Natur,
Die Bäume folgten ihm und seiner Leier nur.
Sie Sprache der Musik versteht der Tiere Sprache,
Die Nachtigall vernimmt nicht eine tote Sache
Exakter Wissenschaft, es hört die Nachtigall
Die Seele der Musik, die Liebe in dem Schall!
HOLON
Einst war in einem Wald ich früh mit meiner Flöte,
Zu wecken mit Musik die Göttin Morgenröte,
Da morgens ich im Wald als wie im Paradies
Mit Liebe im Gemüt die Knochenflöte blies
Und spielte seelenvoll, auch nach genauen Regeln,
Da hörte ich im Wald das Echo von den Vögeln,
Die Schar gab Antwort mir, und meine Melodie
Erlernten folgsam sie und imitierten sie.
Wir waren heiter froh und musizierten fröhlich,
Ich und die Vögelein im Morgenrote selig.
PYTHAGORAS
Es ist doch alles Zahl und alles ist Gesetz.
Das ist nicht Torheit nur und törichtes Geschwätz.
Wenn Orpheus’ Saitenspiel lässt folgen sich die Bäume,
So kennt er das Gesetz, das auch die Himmelsräume
Durchgeistigt mit Musik, und auch die Vögelein
Und auch die Nachtigall, sie stimmen darin ein.
Die Sprache der Musik, die Harmonie der Sphären,
Nach Maß, Gewicht und Zahl, die kann uns Orpheus lehren,
Die große Sympathie der Töne in dem All,
Der Musen Harmonie, das Lied der Nachtigall,
Kartharsis’ Leierspiel zu Holons Flötentönen
Und der Planeten Lied von lockenden Sirenen!
KATHARSIS
Nun musizieren will ich für den Denker auch.
PYTHAGORAS
Ich hör in der Musik der Seele lieben Hauch
Und therapeutisch auch wohltuend deine Güte,
Da tröstend die Musik strömt mir in mein Gemüte,
Ich höre seelenvoll Katharsis’ Harmonie
Und diese Liebe ist die beste Therapie,
Daß mich dein Saitenspiel lässt schweifen in die Fernen
Und reisen als ein Geist zu Gärten auf den Sternen,
Zum Strande in dem All, zum Weinberg in dem All
Durch deinen Musenkuss und deiner Lyra Schall!

FÜNFTE SZENE

(Pythagoras und sein Freund Philolaos im Hause des Philolaos neben Rechenmaschinen, bei einem
Becher Wein vom Libanon.)

PYTHAGORAS
Die Astronomie hab ich gelernt von Tochter Babel,
Die Mutter Erde ist des Universums Nabel.
Der Erde Kugelform ist in der Galaxie
Das Zentrum, darum kreist in Sphärenharmonie
Das All. Von Ost nach West der Fixsternhimmel wandert,
Im Himmelslabyrinth die Sternenschar mäandert.
Von West nach Ost jedoch gleichförmig zieht im Kreis
Der keusche Mond, ich mein die Luna milchig weiß,
Die Sonne oder Sol, (Apoll mit goldnem Schenkel,
Den goldnen Schenkel hab auch ich, Apollons Enkel)
Und der Planeten Zahl, der fünf Planeten Chor.
Von allen zieh ich doch die Aphrodite vor,
Die Babel Ishtar nennt, die Königin der Himmel,
Den Morgenstern, den Stern Astartes im Gewimmel.
Ich schaue immer gern zur Morgenröte fern
Und meine Sehnsucht schweift zum schönen Morgenstern,
Zu Aphrodites Reich mit marmornen Palästen,
Wo Helena Achill lädt ein zu Freudenfesten,
Die Dioskuren dort mit Mutter Leda nahn,
Der nackten Leda naht erneut der Gott im Schwan.
So träume ich im All von Göttern in den Fernen
Und schönsten Göttinnen auf heitern Morgensternen!
Merkurius jedoch quecksilbrig fließt dahin,
Der Dialektik Geist, der Weisheit Witz im Sinn.
Der heldenhafte Mars auch triumphiert im Kriege,
Den Sieg genießt im Bett mit Venus nach dem Siege.
Auch Jove oder Zeus geht durch den Himmelssaal
Als Jove Xenius olympisch jovial.
Und schließlich auch Saturn schwermütig melancholisch
Die Künstler inspiriert mit Wassern alkoholisch.
Planetengötter sinds, ich kenne sie, mein Sohn,
Mich unterwies darin die Tochter Babylon.
Ägypten aber sah ins All voll Totentrauer,
Die Sterne schaun sie an, ein Gärtner oder Bauer
Schaut so die Sterne an, für seine Landwirtschaft,
Allein von Fruchtbarkeit begeistert, Lebenskraft,
Die Sternengötter schaut Ägypten an im Saal,
Ob auch ihr Einfluss macht den Garten ihm vital.
Ägypter nur im Staub der schwarzen Erde kriechen.
Die Theorie des Alls entwickelten die Griechen,
Ich selbst, Pythagoras, hab meine Theorie:
Das Universum ist aus Himmelsharmonie!
PHILOLAOS
Ich habe aber doch ganz andre Theoreme
Und sie zu nennen ich mich auch vor dir nicht schäme.
Die Mutter Erde mit den breiten Brüsten ist
Das Zentrum nicht des Alls. Ihr lieben Griechen, wisst,
Des Weltalls Zentrum, das ist das Zentrale Feuer!
Dies ist die Sonne nicht mit ihrem heißen Schleier.
Zentrales Feuer ist die Mitte in dem All,
Und alles kreist darum in Schwingungen aus Schall,
So Mutter Erde auch mit ihren breiten Brüsten,
Nach denen Dichtern gern es lassen sich gelüsten,
Und so die Luna auch, der unbefleckte Mond,
Wenn östlich sie erscheint am Himmelshorizont,
Und so die Sonne auch, der Sehergott der Sonne,
Der Zarathustras Gott einst war und heiße Wonne,
Und der Planeten Chor, wie du die Götter heißt,
Um die Zentrale Glut in Himmelskreisen kreist.
PYTHAGORAS
Wenn Mutter Erde mit den breiten Brüsten wirklich
Ganz kugelförmig ist, vom Zirkel so bezirklich,
Die eine Seite neigt sich zum Zentralen Feuer,
Der Erde Angesicht im Atmosphären-Schleier,
Die Mutter Erde muss dann logisch aber, weil
Sie schön gerundet ist, ihr rundes Hinterteil
Abwenden von dem Licht, ich meine ihren Rücken,
Ob dieser auch von Gott gebildet zum Entzücken.
Was aber lehrt davon der Weisheit höchstes Gut?
Wie, was sich wendet nicht zu der Zentralen Glut
Und lässt sich von der Glut nicht hochzeitlich begatten,
Wie ist die Finsternis, die Jenseitswelt im Schatten?
PHILOLAOS
Die Gegenerde ists, die da im Schatten liegt,
Wo dunkle Todesnacht in Finsternis sich fügt.
Die Gegenerde ist das Reich der Antipoden,
Wo Schatten seufzen nur, die Zähne klappern Toten,
Dort klappert das Gebein in Mitternacht und Eis,
Das ist der Hades, das ist der Verfluchten Kreis.
PYTHAGORAS
Doch Astronomie ist das nun nicht, nein, das ist Mythe.
Doch bei Urania, der Himmels-Aphrodite,
Du wähle mein System: Harmonisch ist das All!
Ein Gott erschuf das All aus Schwingungen von Schall!
Die Himmel tönen schön von Tönen der Sirenen,
Dämonen singen schön und Geisterharfen tönen,
Das Universum schwingt in Himmelsharmonie,
Urania regiert durch schöne Sympathie!
Ich höre ihren Ton – ach, wenn’s so ewig bliebe! –
Schön schwingend herrscht im All die Königin der Liebe!

SECHSTE SZENE

(In dem Hause eines Demokraten. Pythagoras ist zu Gast. Sie trinken Wein aus Tarschisch.)

DEMOKRAT
Ich hab mein Leben lang nur für die Demokratie
Gekämpft in heißem Zorn! Was ist die Philosophie
Von Staat und Politik in deinem Denkergeiste?
Ob auch dein Denkergeist das Volk der Armen preiste?
PYTHAGORAS
In meiner Jugendzeit ich dachte an Homer,
Ich sah ihn sitzen blind und schauen auf das Meer,
Sah Aphrodite ihn anbeten hoch emphatisch,
Im Reich des Geistes schien er mir höchst aristokratisch,
Ein Fürst im Geisterreich, erhaben, königlich,
Von Gottes Gnaden er gesegnet sah sein Ich.
DEMOKRAT
Doch schau die Menge an, schau an das Volk der Armen,
Sie leben in der Not! Wie ist es zum Erbarmen,
Wie sie versinken tief in abgrundtiefer Not,
Wie täglich kämpfen sie um das gemeine Brot,
Sie haben keine Zeit für himmlische Visionen
Und pure Poesie von reinen Götterthronen!
Ums Überleben nur sie kämpfen mit Gewalt
Und ringen allezeit mit Sorgen mannigfalt,
Doch mancher aus dem Volk auch wäre ein Homeros
Und pries im Müßiggang auch gern den Herrscher Eros!
PYTHAGORAS
Der Dichter aber ist berufen von dem Gott!
Das Alle Dichter sind, das ist ein dummer Spott!
Von Gottes Gnaden ist der auserwählte Dichter,
Er ist ein Lieblingssohn des Vaters aller Lichter,
Ein Hoherpriester ist der heilige Poet,
Er ist ein Pontifex und trunkener Prophet,
Er opfert seinem Gott, der ihn erwählt aus Gnaden,
Dem Jove Xenius, der ihn zum Mahl geladen!
DEMOKRAT
Der Poesie Talent ist in dem Volk zerstreut,
Und wenn die Goldne Zeit sich wiederum erneut,
Wenn die Gerechtigkeit auf Erden wieder waltet
Und jeder Arme frei nach eignem Willen schaltet
Und wenn beseitigt ist gemeine Hungersnot,
Der Bauer allen gibt das allgemeine Brot,
Dann herrscht kein hoher Herr als schrecklicher Vernichter,
Volk ist kein Pöbel mehr, dann jeder ist ein Dichter!
THEANO
(eintretend)
Pythagoras, mein Mann, ich hab den Bienenstock
Im Garten aufgestellt – bei Kypris’ kurzem Rock! -
Ich will als Imkerin dem süßen Honig dienen
Und werden Dienerin der Königin der Bienen.
Nun komm nach Hause, Mann, in unsern Garten komm,
Die Bienenkönigin summt schon voll Liebe fromm.
PYTHAGORAS
(mit Theano aus dem Hause gehend)
Es sang einst ein Poet vom großen Reich der Bienen,
Wie fleißig Drohnen stark die Königin bedienen,
So Ritter der Armee, Soldaten der Armee
Dem König dienen stark. Ich aber schauend seh
Den Wabenhonig süß, den Wabenseim nicht bitter,
Ich seh die Königin, das alte Reich der Mütter!
Die Bienenkönigin in ihrem Reiche da
Ist Himmelskönigin im All, Urania!
THEANO
Ist keine Königin im Bienenstock vorhanden,
So wird das Bienenvolk doch darum nicht zuschanden,
Sie wählen aus dem Volk sich eine arme Magd
Und füttern sie mit Seim höchst fürstlich, wie man sagt,
Mit königlichem Seim sie dieser Biene dienen,
So wird sie groß und rund, wird Königin der Bienen!
PYTHAGORAS
Da hör ich wieder, pfui doch, von der Demokratie!
In Kroton hetzten einst die Demokraten, die
Volksprediger voll Hass, erhitzte Demagogen,
Drum bin ich aus der Stadt ja auch davon gezogen.
Sie peitschten auf die Schar des Pöbels in dem Land,
Verschworen gegen Gott sich listig, intrigant,
Und fingen Pöbelschar in Menschenfischernetzen
Durch Hasstiraden und durch lügenreiches Hetzen!
THEANO
Was in der Politik ist dein Gesicht, mein Mann?
Ich weiß, von Herzen hasst du eifrig den Tyrann!
PYTHAGORAS
Das Universum ist hierarchisch eingerichtet,
Der Gott der Götter herrscht, wie auch Homeros dichtet,
Der Gott der Götter herrscht, die Götter dienen ihm,
Dämonen dienen ihm und Geisterseraphim
Und Thron, Gewalt und Macht und Hirten ihrer Herde
Und Sonne, Mond und fünf Planeten und die Erde.
Der Schöpfung Krone ist der Mensch als Mann und Frau,
Die Tiere folgen dann im großen Weltenbau,
Dann Blume, Baum und Gras, zuletzt die toten Steine.
Gott ist der Herrscher Gott, das All ist die Gemeine.
So in der Welt der Fürst in reiner Monarchie
Soll herrschen frei und fromm. Die Völker alle, die
Des Weltmonarchen Volk, sie sollen ihm nicht schaden,
Sein Genius gelenkt wird ja von Gottes Gnaden.

SIEBENTE SZENE

(Pythagoras und seine Frau Theano in dem Garten. Der Knabe Thelauges spielt allein.)

THEANO
Was ist der Urbegriff, die heiligste Idee?
PYTHAGORAS
Weltregiment des Herrn, der Gottheit, die ich seh,
Vorsehung nenn ich sie, die Gottheit ist verschleiert.
Das Universum ist Musik, von Gott geleiert.
Die Sphärenharmonie, das Wesen der Natur,
Der Mensch als Mann und Frau und alle Kreatur,
Sie sind von Gott regiert, der große Weltenlenker
Ist aller Götter Gott, ihn ehre ich als Denker.
THEANO
Ist Gott der Schöpfer auch? Gibt es nur Eine Welt?
Und was, wenn einst vergeht das blaue Himmelszelt?
PYTHAGORAS
Gott schuf im Anbeginn die Zeit und alle Zeiten
Und schuf des Kosmos Raum und aller Welten Weiten.
Die Zeit jedoch als Kreis ist Teil der Ewigkeit,
Im Zyklus sich vollzieht die Ewigkeit der Zeit.
Und alles Werden ist ein Werden zum Vergehen
Und das Vergehen wird zum neuen Auferstehen.
Und was geboren wird, geboren wird zum Tod,
Und nach des Todes Nacht kommt neu ein Morgenrot.
Der Kosmos ist im Lenz geschaffen von dem Schöpfer,
Die Ur-Materia nahm Gott sich als ein Töpfer
Und schuf des Kosmos Form. Dann kam die Sommerzeit,
Die Welt war Paradies. Die Lust will Ewigkeit!
Dann kam die Große Flut, es kam mit seinen herben
Und süßen Früchten Herbst: Die Menschen müssen sterben.
Der Winter kommt zuletzt: Des Universums Tod!
Gott aber ruft herauf die Göttin Morgenrot,
Das Universum wird erneut im Lenz geschaffen,
Erneut zum Menschen wird entwickeln aus den Affen
Natur sich mütterlich, erneut ein Paradies
Der goldnen Zeit der Welt wird wie ein Sommer süß
Beglücken alle Welt, bis alle reifen Früchte
Einsammelt ernst der Herbst, der Winter dann vernichte
Das All erneut, der Tod beschließt den Kreis der Zeit.
So immer für und für in alle Ewigkeit!
Die Ewigkeit der Zeit im Zyklus ist gegeben
Und so bleibt ewiglich des Universums Leben.
THEANO
Des Mensachen Seelen nun – sag in Begeisterung
Von Psyches Ewigkeit und Seelenwanderung!
PYTHAGORAS
Von Anbeginn der Welt der Urmensch ist geschaffen
Als Gottes Ebenbild (nicht ähnlich einem Affen),
Der Gottheit ähnlich mehr, der Urmensch war beseelt,
Den Menschen Gottes nicht der Hauch der Seele fehlt,
Der Urmensch aber voll der Summe aller Seelen,
Der Menschen große Zahl sich ihre Seelen wählen,
Die ganz bestimmte Zahl der Menschenseelen trat
Ins Universum ein, das große Weltenrad.
Ich kenne ihres Zahl, sind sechzig Myriaden
An Menschenseelen in der Welt von Gottes Gnaden.
Die Seele schaute Gott präexistent und kam
Und inkarnierte sich in eines Weibes Scham
Und geht den Lebensweg, die Torheit ihrer Jugend
Zur Altersweisheit wird in Frömmigkeit und Tugend.
Wer aber weiter noch auf Erden lernen muss,
Verkörpert sich erneut, es kommt der Genius
Erneut in diese Welt, geboren von dem Weibe,
Es lebt der Genius erneut in einem Leibe.
THEANO
Ich denke doch, es sprach zu meinem Geist der Gott,
Ob andre Männer auch drob treiben ihren Spott,
Ich soll nicht essen Fleisch, nicht essen mehr vom Fleische,
Auch trinken keinen Wein, das Wasser nur, das keusche,
Und Drogen nehmen nicht und meiden alles Gift,
So Gottes Wort mein Ohr mit süßem Flüstern trifft.
PYTHAGORAS
Nichts vom Lebendigen sei eines Menschen Speise,
Und keusch die Speise sei, denn das allein ist weise,
Auch will ich nicht, dass Gott von Menschen dargebracht
Schlachtopfer wird von Fleisch in einer großen Schlacht,
Wir opfern nur vom Brot, Demeters Brot alleine,
Dionysos den Wein, wir opfern von dem Weine.
THEANO
Mein Mann Pythagoras, warum du aber nicht
Die Bohnen essen willst, warum wird uns zur Pflicht,
Das wir der Bohnen Mahl vermeiden? Was sind Bohnen?
PYTHAGORAS
Die Mütter, Mütter sind’s, die in den Bohnen wohnen!
Jetzt aber, liebe Frau, wir schweigen beide stumm,
Denn Schweigen ehrt allein das Urmysterium.

ACHTE SZENE

(Pythagoras in seinem Garten. Er trinkt mit Philolaos Wein aus Syrien. Theano trinkt von der
Schwester keusches Wasser. Abend im Frühling.)

PYTHAGORAS
Die Koinonia preis ich meiner lieben Schüler.
Theano, liebe Frau, der Abend wird schon kühler.
Doch, Philolaos, Freund, ich preis den Freundschaftsbund,
Nun schweige ich nicht mehr, nun mystisch meinen Mund
Ich öffne zum Gesang, ich preise die Gemeinschaft
Der Göttin Philia, der Koinonia Freundschaft!
PHILOLAOS
Wir waren alle eins in unserm Freundschaftsbund
Und jeder Jünger hing an unsers Meisters Mund,
Du unser Meister, o Pythagoras, und Lehrer,
Wir deine Jünger all und gläubigen Verehrer,
Wir schwiegen mystisch stets und blieben heilig stumm,
Wenn du uns offenbart das Urmysterium.
Doch waren alle wir, von Genien erkoren,
Auch freie Denker selbst, selbstdenkende Doktoren,
Und jeder hatte Geist, des Intellektes Kraft,
Ergründete Natur im Fleiß der Wissenschaft.
So trunken wir auch oft von Mystik ganz ekstatisch,
Doch auch die Wissenschaft wir trieben mathematisch,
Wir lehrten Tugenden und heilige Moral
Und die Geheimnisse der Gottheit ideal,
Ganz idealistisch und zutiefst moralisch,
Wir priesen Gottes All, den Schöpfer musikalisch!
THEANO
Pythagoras, ich seh als Seherin voraus,
Nach deinem Tode wird gespalten sein dies Haus
Der Weisheit deines Wegs. Entstehen werden Sekten.
Die einen gehn den Weg der heilig unbefleckten
Allweisheitsmystik von dem Urmysterium:
Der Meister hats gesagt, wir aber folgen stumm!
Der Überlieferung sie folgen esoterisch.
Die andre Seite wird vernünftig exoterisch
Vertrauen auf die Schrift und ihres Denkens Kraft
Und gehen denkerisch den Weg der Wissenschaft.
Die eine Sekte schwebt im Himmel mystisch brünftig,
Die andre Sekte steht auf Erden ganz vernünftig.
Pythagoras, doch du allein hast dies vereint,
Du warst allein der Mann, wie deiner Gattin scheint,
Der beides hat vereint, Verstand und Gottesglauben,
Vernunft und Religion. Ich lass mir Gott nicht rauben!
Der Esoterik Weg ich gehe ohne Spott,
Allweisheit suche ich, Mysterium ist Gott!
PYTHAGORAS
Wie es bei Scheidenden am Lebensabend Mode,
Ich sing mein Testament in einer schönen Ode.
Die Muse inspiriert den Odensänger ja,
Die Ode singe ich der Göttin Philia.

Ode an die Göttin Freundschaft

Alle sind befreundet allen,


Alle werden Gott gefallen,
Freundschaft gründet die Gemeinde,
Alle sind wir Gottes Freunde!
Alle von der Freundschaft reden,
Gottes Freundschaft anzubeten!
Jeder dient der unbefleckten
Göttin Freundschaft, alle Sekten,
Weisheitslehren, Religionen,
Brüderlich zusammenwohnen,
Pharisäer und Philister,
Alle Menschen sind Geschwister,
Alle Denkenden vernünftig
Für die Göttin Freundschaft brünftig
In der Freundschaft auserkoren
Sich verbrüdern mit den Toren.
Freundschaft führen Geistnaturen
Mit den niedern Kreaturen.
Freundschaft stiftet die Gemeine,
Herzen sind nicht mehr wie Steine,
Freundschaft lebt im Heiligtume
Zwischen Schmetterling und Blume,
Freundschaft breitet goldne Netze
Auf moralische Gesetze,
Göttin Freundschaft nur zum Ruhme
Dienen in dem Bürgertume
Alle Menschen ohne Tadel,
Göttin Freundschaft dient der Adel,
Freundschaft in der goldnen Wolke
Waltet über jedem Volke,
Freundschaft segnet mit der Lilie
All die menschliche Familie,
Freundschaft stiften wird hienieden
Allgemeinen Völkerfrieden!
Freundschaft preisen die Verfechter,
Freundschaft einigt die Geschlechter,
Freundschaft einigt unbeschreiblich
Ewigmännlich, ewigweiblich,
Freundschaft zwischen Griechen, Indern,
Freundschaft zwischen allen Kindern,
Freundschaft zwischen Männern, Weibern,
Zwischen Seelen und den Leibern,
Jedes Ich sich selbst befreundet,
Keiner seinem Leib verfeindet,
Freundschaft gründet immer wieder
Harmonie der Leibesglieder,
Freundschaftssegen wird verliehen
Elementen, Energieen,
Freundschaft einigt alles – Liebe
Mit dem göttlichsten der Triebe!

NEUNTE SZENE

(Pythagoras auf seinem Sterbebett. Einzig bei ihm Theano, seine Hand haltend.)

PYTHAGORAS
Von meiner Lehre lernt Siziliens Philosoph,
Ein frommer Diener an der Göttin Freundschaft Hof.
Der Freier der Idee, der Tänzer der Ideen
Wird meine Weisheit auch im Innersten verstehen.
Der Abderite auch betrachtet meinen Weg.
Und meine Weisheit wird in Wundertätern reg,
In großen Magiern, in einem großen Seher,
Verehren wird man ihn, den Neupythagoräer.
Und Seher der Ideen begründen Religion
Auf meiner Weisheit Schau vom höchsten Götterthron.
Ah, Römer sehe ich, den großen Vater Äther
Und seinen Gottessohn lobpreisen diese Väter
Und überwinden stark des Lügengeistes Gift
Und folgen fromm und treu der Tradition und Schrift.
Den Vater sehe ich, den Freund des Gottessohnes,
Der wird mich ehren auch trotz Spottes und trotz Hohnes,
Weil ich Unsterblichkeit der Seele hab gelehrt
Und die Unsterblichkeit der Seele tief verehrt,
Nur schmähen wird er streng mit scharfen Schlangenzungen
Die Reinkarnation und Seelenwanderungen.
Mich ehren wird ein Mann, ein frommer Philosoph,
Der als Gefangner an der Göttin Weisheit Hof
Glückseligkeit allein mit letztem Todesmute
Als Höchstes Gut verehrt, die Gottheit nennt die Gute.
Es wird auch ein Poet mit seiner Muse nett
Mich feiern mit dem Vers im liebenden Sonett.
Ha, unser Griechenland wird einmal neugeboren,
Italien ist dazu vom Geiste auserkoren!
Ein Philosoph wird da die Weisheit Griechenlands
Vereinen Gottes Sohn im höchsten Lorbeerkranz
Der liebenden Passion, und dieser fromme Seher
Pythagoras versteht als Neupythagoräer.
Hyperboräer selbst wird weise ein Barbar
Mich ehren in dem Geist, in geistiger Gefahr
Ruft er die Weisheit an und eint im Schönen-Guten
Die Weisheit Griechenlands der Religion der Juden.
Auch meine Wissenschaft verehrt einst ein Barbar,
Wie Astronom ich auch und frommer Beter war,
Wird dieser Astronom mein Lebenswerk versöhnen
Mit seines Gottes Schrift, er hört die Himmel tönen,
Er wird im Glauben und in seiner Astronomie
Vereinen Gottes Wort der Sphärenharmonie.
Die Dichter sehe ich, die Priester der Kamönen,
Die Himmelsharmonie vernehmen sie, das Tönen
Und der Sirenen Sang, verlockenden Gesang,
Der Engel Lobpreis und des Gotteswortes Klang.
Pythagoras trug einst Apollons goldnen Schenkel,
Apollon dienen auch Apollons Dichter-Enkel
Und hören Engel in den Himmeln singen ihm,
Dem Allerhöchsten, voll von Brunst die Seraphim,
Der Götterthrone Chor die Dichter ihrer Schönen
Vernehmen und das All in wundervollen Tönen.
Und einst die Wissenschaft und kosmische Physik
Spricht meinen Glaubenssatz: Das All ist aus Musik!
THEANO
Geliebter! Stirbst du nun? Ich sehe deinen Genius
Schon auf dem Morgenstern! Dort wartet Göttin Venus
Schon unterm Lebensbaum im Himmelsparadies!
Die Haare lang und schwarz! Die Lippe lächelnd süß!
Der Augen Mandelform grün blitzend voll von Lüsten!
Ich sehe weiß und nackt das Zwillingspaar von Brüsten!
Das Delta seh ich schwarz der unbefleckten Scham!
Die Göttin Venus ruft: Jetzt komm, mein Bräutigam!
GENIUS
(Erscheinend mit einem Becher Wein)
Pythagoras, dein Kelch, Pythagoras, dein Becher!
Des Allerhöchsten Zorn trink aus als trunkner Zecher!
Des Gotteszornes Wein ist wie das Blut so rot!
Betrink dich in der Nacht! Jetzt kommt zu dir der Tod!
Den Becher sauge aus und lecke noch die Scherben!
Der Leidensbecher dies, denn siehe, du musst sterben!
Den Becher lecke leer und gib mir den Bescheid,
Betrunken nicht vom Wein, betrunken von dem Leid!
In diesen Becher will ich meine Liebe flößen –
Die tödliche Passion wird deinen Geist erlösen...
(Pythagoras trinkt vom Becher und stirbt. Der Genius verschwindet mit der Psyche des
Unsterblichen im Jenseits.)THEANO
Durchwalle, Bräutigam, das Purgatorium –
Sink in der Liebe Schoß – Gott ist Mysterium!

APHRODITE IN FLAMMEN
ERSTE SZENE

(Homer allein in seinem Haus.)

HOMER
Nun bin ich fünfzig Jahre alt,
Der Tod naht mir mit Machtgewalt,
Doch wen die jungen Götter lieben,
So steht es in der Schrift geschrieben,
Den lassen sie auch jung versterben
Und das Elysium ererben.
Das Alter ist ein grauer Mann,
Er klopft ganz ungelegen an
Und stört mich in der schönen Muße
Und ruft zu Reue auf und Buße.
Nun, den Geburtstag soll ich feiern,
Soll stimmen meine goldnen Leiern
Und Hymnen singen für den Tag,
Da ich geboren ward. Ich mag
Es meiner Mutter gar nicht sagen,
Doch muß ich diesen Tag beklagen:
Weh, Mutter, dass du mich geboren,
Der in der blinden Welt verloren
Als Götterseher unter Blinden,
Um nichts als Jammernot zu finden!
Doch Aphrodite ist gesellig,
Sie feiert mich. Doch unterschwellig
Sie feiert selber sich und will,
Daß ich nicht einsam bin und still,
Daß ich bereite in dem Neste
Die Fröhlichkeit von einem Feste.
Daß Aphrodite auf der Szene
Nicht einsam ist, kommt auch Athene,
Der Aphrodite Busenfreundin
Und meine schlimmste Minnefeindin.
Der fromme Dichter soll nicht lästern,
Die beiden schönen Himmelsschwestern
Schon zwanzig Jahre mich ergötzen.
Sie fingen an als junge Metzen,
Nun sind sie fromme alte Nonnen
Und keusch wie heilige Madonnen.
Doch Aphrodite eifersüchtig
Betrachtet, wenn Athene züchtig
Mich reißt zu Leidenschaften hin,
Der klug ich wie Odysseus bin
Und bet zum Strahlenaug Athene
Und weine Träne über Träne
Vor Liebessehnsucht jede Nacht.
Doch Aphrodite gerne lacht.
Jetzt aber sag ich ein Geheimnis,
Jetzt ohne weiteres Versäumnis
Erwart ich das Geburtstagsfest,
Weil sich was Neues sehen lässt.
Das Neue aber ist das Alte.
In meiner Jugend in dem Walde,
Da liebte ich das keusche Reh,
Die Hindin, die so weiß wie Schnee,
Mondgöttin in der Finsternis,
Die Jugendliebe Artemis!
Und Artemis schrieb einen Brief
Mit Liebesworten schön und tief,
Sie wolle wieder mich besuchen
Und mit mir kosten Feigenkuchen
Und über alte Zeiten plaudern.
Ihr Musen, mich befällt ein Schaudern!
Wenn Artemis tritt auf die Szene,
Vergleichen will ich sie Athene.
In meiner Kammer stillem Saal
Schau meiner Jugend Ideal
Beim Ideale meines Alters
Ich sitzen. Saiten meines Psalters,
Wen werdet ihr dann rühmen, loben?
Wem werden meine Sinne toben?
Ach, Artemis in ihrer Jugend
War Jungfraungöttin voller Tugend,
Und Aphrodite an der Küste
Wild schüttelte die großen Brüste,
Athene aber in Hesperien
Mich unterwies in den Mysterien.
Drei Göttinnen, o welche Pein,
Sie sollten alle Eine sein!
Wie Artemis sie sollte schreiten
Und keusch wie eine Hindin gleiten,
Wie Aphrodite sollt sie lachen
Und lauter liebe Sachen machen
Und sollte wie Athene reden
Nur von Elysium und Eden.
Ich bin ganz aufgeregt, ihr Musen,
Ich bräuchte Aphrodites Busen,
Den völlig aufgewühlten Willen
An Aphrodites Brust zu stillen!
Daß nach der Todesfinsternis
Ich wieder sehn soll Artemis!
Jedoch, es klingelt an dem Tor,
Die Aphrodite steht davor,
Die Göttin mit dem schönen Hintern,
Sie kommt mit ihren lieben Kindern.

ZWEITE SZENE

(Homer, die fünfzigjährige Aphrodite, mit ihrem Sohn, dem zehnjährigen Apoll,
und den sechsjährigen Zwillingen Eros und Anteros. Eros und Anteros treten fröhlich lärmend in
Homeros Eremitenzelle.)

APHRODITE
Viel Liebeswonne und viel Segen,
Mein Schatz, auf allen deinen Wegen!
HOMER
Was schenkst du mir zum Jammertag?
APHRODITE
Was du dir wünschst, mein Liebling, sag!
HOMER
O, einmal möcht ich dich noch küssen!
Wie schwer, die Küsse zu vermissen!
APHRODITE
Hier auf die weiche Pfirsichwange
Bei meiner braunen Lockenschlange?
HOMER
Nein, Aphrodite, auf die Lippen!
Und nicht nur so am Mündchen nippen!
Nein, heiße Küsse sollen taugen,
Den Saft mir aus dem Mark zu saugen!
(Aphrodite küsst Homeros.)
APHRODITE
Nun, meine vielgeliebten Kinder,
Homeros ist ein Überwinder,
Er war im weltlichen Theater
Euch wie ein lieber Herzensvater!
Kommt, fasst euch an den Patschehändchen,
Bringt Väterchen Homer ein Ständchen!
DIE KINDER
(singen)
Wie schön, dass du geboren bist,
Wir hätten dich sonst sehr vermisst!
APOLL
Homer, die vielen Bücher da
Hast du gelesen, Vater, ja?
HOMER
Hab viele Bücher schon gehabt
Von schlechten Dichtern unbegabt
Und auch von trefflichen Poeten,
Von Musenpriestern und Propheten!
Wenn ich sie alle heut noch hätte,
Sie reichten mir zu meinem Bette,
Ich fände dann in meinem Stübchen
Doch keinen Platz mehr für ein Liebchen!
EROS
Wann darf ich wieder bei dir schlafen?
Mein Schiff will in den Heimathafen!
Man nennt mich Schelm und Schalk und Bube,
Wohl ist mir nur in deiner Stube!
APOLL
Ja, in der Stube ungelüftet
Es stets nach Süßigkeiten düftet!
ANTEROS
Was machst du mit den vielen Flaschen?
Hast du was Leckeres zu naschen?
HOMER
Für Aphrodite Feigenkuchen
Und auch noch zwei Rosinenkuchen.
APHORODITE
Ein Feigenkuchen, welche Lust!
Wie hüpft das Herz mir in der Brust!
Und zwei Rosinenkuchen auch!
Ein Falter flattert mir im Bauch!
APOLL
Komm, Eros, zu der Spielzeugkiste!
EROS
Erst, wenn mich mein Homeros küsste!
APOLL
Anteros, komm, wir wollen spielen,
Hier in der Spielzeugkiste wühlen.
EROS
Ich bin der süße Knabe Eros
Und du mein Väterchen Homeros,
Ich will auf deinem Schoße sitzen,
Mit Blicken dir ins Auge blitzen,
Die Arme schlingen um den Hals
Und küssen will ich jedenfalls
Mit meinen Lippen deine Lippen
Und dann am Apfelnektar nippen.
APHRODITE
Mein Kind, so wahr lebt Jesus Christ,
Du weißt, dass du der Liebling bist
Und dass das Väterchen Homeros
Verliebt ist närrisch in den Eros!
Doch hab Erbarmen mit der Mutter,
Mein Busen ist so weiß wie Butter,
Ich wurde wegen meinem Busen
Auch eine von Homeros Musen,
Als ich noch war die Lustig-Junge!
HOMER
Ja, Schatz, und wegen deiner Zunge!
APHRODITE
Wie, wegen meinem dummen Schwatzen,
Wie, oder wegen meinem Schmatzen?
HOMER
Wie deine Zunge mich liebkost!
Erinnerungen sind mein Trost!
(Es klingelt an der Tür.)

DRITTE SZENE

(Homer, Aphrodite und ihre Kinder, die fünfzigjährige Athene tritt ein.)

ATHENE
Homer, mein Freund, ich wünsch dir Glück!
HOMER
Zum Ungeborensein zurück?
ATHENE
Das Glück steht erst am Ziele, sieh,
Die Ewige Eudämonie
Erwartet dich! Doch überleg:
Das Glück ist dienlich nicht als Weg.
APHRODITE
Suchst das Geheimnis du des Glücks?
Such eine Freundin dir am Styx...
ATHENE
Ach Aphrodite, Busenfreundin,
Du meine schlimmste Herzensfeindin,
Tyrannin aller Himmelsgötter,
Heut hoffentlich ist schönes Wetter,
Ich will spazieren noch durchs Feldchen
Zum stillen schönen Eichenwäldchen.
APHRODITE
Was willst denn du im Walde suchen?
Hier wartet dein der Feigenkuchen!
ATHENE
O, Kuchen! Wie im Paradies!
Die Feige ist doch honigsüß!
APHRODITE
Und schau, Homer, der alte Knilch,
Hat einen Krug voll Ziegenmilch.
ATHENE
Er nennt uns beide: alte Zicken
Und sehnt sich schon nach jungen Ricken!
APHRODITE
Ob alte Zicken, junge Ricken,
Die Männer wollen immer ficken!
HOMER
In meiner Jugend ein Gedicht
Las ich dir vor, da reimt ich schlicht
Der Glocke baumelndes Gebimmel
Auf Gottes Heiterkeit im Himmel.
APHRODITE
Ich reimte: Himmel und Gebimmel,
Ich weiß, Homer, das reimt auf Pimmel.
ATHENE
Er nennt uns auch schon: alte Huren!
Doch wir sind Göttliche Naturen!
Wenn wir uns selber so verachten
Und uns als Tempelhuren achten,
Sind selbst wir an der Schande schuld.
Doch pflegen wir den Ego-Kult
Und lieben selber uns am meisten,
Dann wird uns unser Selbst begeisten,
Dann sind wir Göttinnen im All.
HOMER
Ja, ich bin deine Nachtigall,
Athene, du bist Gottes Rose!
APHRODITE
Und heut kommt auch die Makellose,
Die Jungfraungöttin voller Tugend,
Die Vielgeliebte deiner Jugend,
Die alte Dame Artemis?
HOMER
Sie stürzte mich in Finsternis,
Mein Herzblut sprudelte blutrot,
Da griff nach mir schon Bruder Tod!
ATHENE
O Aphrodite, Stern der Schwestern,
Laß über Artemis uns lästern!
Hast du gesehen je ihr Bild?
Sie lebt ja scheu im Wald und wild.
APHRODITE
Ich sah ihr Bildnis von Apelles,
Das Augenpaar ein mondweiß helles,
Doch, bei dem Mittler und Versöhner,
Ich bin doch wirklich vielmals schöner!
Der Artemis Gesicht ist spitz,
Die Brust kein hüpfend Zwillingskitz,
Die krausen Locken dunkelblond,
Das Antlitz bleich und nicht besonnt.
ATHENE
Homeros, Aphrodites Ex,
Er hatte damals keinen Sex
Mit Artemis in seiner Jugend,
Drum preist er sie als Stern der Tugend.
HOMER
Athene, meine Weisheitsgöttin,
Mein Ideal, ersehnte Gattin!
Schon zwanzig Jahre lieb ich dich
Und widme deinem Dienst mein Ich,
Doch hab ich oftmals mich gesehnt
Und vor Verlangen heiß gestöhnt,
Daß ich dich sehe, neben dir
Frau Artemis in ihrer Zier,
Und dann euch beiden Gnadenreichen
Wollt prüfen ich und streng vergleichen.
APHRODITE
Du betest diese beiden an?
Ich aber liebe dich, mein Mann!
(Es klingelt an der Tür.)

VIERTE SZENE

(Zu den Vorigen, Artemis tritt ein.)

ARTEMIS
Homer, so lange nicht gesehn
Seit unsrer tollen Jugend schön,
Und doch erkennen wir uns wieder!
Und singst du heut noch deine Lieder?
HOMER
Vorstellen will ich dir die Schwestern,
Die Vögelinnen in den Nestern.
Dort die, um die ich mich bemühte,
Die Liebesgöttin Aphrodite,
Und dort die Quelle mancher Träne,
Die Weisheitskönigin Athene.
APHRODITE
Du also bist die Artemis?
O, bei der Höllenfinsternis,
Weißt du denn auch, dass mich verließ
Homeros in dem Paradies,
In allen Lüsten unsrer Jugend,
Weil er begehrte deine Tugend?
ARTEMIS
Ja, ja, wir waren jung und rein,
Ich aber lud ihn niemals ein,
Er wählte mich zur Auserkornen,
Doch war ich stachlig wie die Dornen,
Er konnte lispeln, lallen, fisteln,
Ich glich den Nesseln und den Disteln,
Homeros aber kennt kein Nein,
Da machte er mir manche Pein,
Da stand er immer vorm Balkon
Bei dem Kastanienpavillon
Und sang dort immer zur Gitarre:
O Artemis, ich harre, harre,
Ich harre bis zu meinem Tod
Und in der letzten Todesnot
Und selber nach dem Tode doch
Lieb ich dich trotzdem immer noch!
So sang der närrische Homeros.
APHRODITE
Worüber lachst du, lieber Eros?
EROS
Ach, diese spitze Hakennase
Der Dame Artemis! Ich rase!
Und diese schmalen, dünnen Lippen,
Die immer schwarzen Tee nur nippen!
ARTEMIS
Homer, woher kommt dieser Bube,
Ja, all die Kinder in der Stube?
HOMER
Ich habe selber keine Kinder,
Doch alle Griechen, alle Inder,
Das ganze irdische Theater
Lieb ich als herzensguter Vater.
Und, Artemis, bist du auch Mutter?
War je dein Busen voll von Butter?
ARTEMIS
Was weißt du denn von meinen Brüsten?
HOMER
Im Bade einst mich tats gelüsten,
Du warst im Badezimmer nackt,
Ganz ein Modell für einen Akt.
ARTEMIS
Wer sollte je mich nackend finden,
Den reih ich in die Schar der Blinden.
APHRODITE
Was tust du dich so züchtig zieren,
Willst du denn keinen Mann verführen?
ARTEMIS
Ach, diese arroganten Männer,
Die einen spielen Alleskönner,
Die andern spielen Müßiggänger
Und Taugenichts und Grillenfänger!
Nein, lieber bleibe ich allein,
Ich bin noch Jungfrau keusch und rein,
Bin selbstbestimmt, ein freies Weib,
Mir ganz allein gehört mein Leib,
Mir ganz allein gehört mein Bauch!
HOMER
Ist alles nichts als eitler Hauch!
Im Alter bist du noch ein Mädchen,
Im Lockenhaar schon Silberfädchen,
Du alte Jungfer Trockenpflaume!
Dich sah ich einst in meinem Traume
Und hielt dich für die Maid Maria
Und für die Hagia Sophia?
APOLL
Komm, lass uns lieber Karten spielen!
Hier die Zentaurenkrieger zielen!
ANTEROS
Ich geb dir dafür Amazonen,
Auch Drachentöter und Äonen!
Laß mich in deine Karten schauen!
EROS
Ich hab drei Kleine Meerjungfrauen!

FÜNFTE SZENE

(Wäldchen vor Homeros Hütte. Artemis und Athene gehen zusammen spazieren.)

ATHENE
Ich hielt es nicht mehr länger aus
In diesem muffig-dumpfen Haus,
Den Besen hat er nie benutzt,
Nie Staub von Büchern abgeputzt.
ARTEMIS
So war er schon in seiner Jugend,
Die Reinheit ist nicht seine Tugend.
ATHENE
Wie war er in der Jugend denn?
Erzähl mir von dem Liebenden!
ARTEMIS
Er betete zu mir, als wäre
Ich Gott! Das ist zuviel der Ehre!
Ich sprach in meinem weißen Rock:
Ich aber habe keinen Bock
Auf deine Leidenschaft der Triebe
Und deine religiöse Liebe!
ATHENE
Hat er dich da in Ruh gelassen?
ARTEMIS
Denk ich daran, muß ich ihn hassen!
Er lagerte vor meiner Türe,
Er streckte tierisch alle Viere
Und bettelnd wie ein Straßenhund
Er schrie: Ich bin am Herzen wund!
O Retterin, du musst mich heilen!
Komm, Vielgeliebte, lass uns eilen!
Wir sind doch schon seit Millionen
Von überhimmlischen Äonen
Zu einem Liebespaar bestimmt!
ATHENE
O, wie mir meine Seele grimmt!
Da werd ich armes Weibchen männlich,
Entzündlich und im Zorne brennlich,
Weil seines Mundes übler Hauch
Zu mir das Gleiche sagte auch!
ARTEMIS
Er predigte auch dir wie Pfaffen,
Du seiest nur für ihn erschaffen?
ATHENE
Bevor die Mutter ihn empfangen,
Wir wären schon vor Gott gegangen
Als Eheleute Hand in Hand,
Vereinigt im Ideenland!
ARTEMIS
Da siehst du seine ganze Narrheit!
Es ist doch wahrlich Gottes Wahrheit
Getreuer als der weise Plato
Und als der Advocate Cato.
ATHENE
Das sind nun meine lieben Leute.
Doch frag ich mich, was das bedeute,
Daß unser Narr noch nach dem Tod
Will schenken mir die Rose rot
Und in Elysium mich freien,
Im Himmel würde ich mich weihen
Schlussendlich seinem Durst der Triebe
Und stillen ihn mit meiner Liebe!
ARTEMIS
Das sagte er ja auch zu mir:
O Jungfrau voll der Zierrat Zier,
Ich lieb dich bis zur Todesstunde
Und schwöre dir mit heißem Munde,
Ich lieb dich nach dem Tode noch
Als Engel in dem Himmel doch!
ATHENE
Wie er in trunkener Ekstase
Nur immer lallt die gleiche Phrase!
ARTEMIS
Ich aber zornig sagte ihm:
Du Schwärmer! Du liebst zu sublim
Ja nur die Himmlische Idee!
In deinem blauen Auge seh
Ich die Ikone der Maria,
Den Glanz der Hagia Sophia!
Doch ich bin aus der Welt der Schatten,
Ich will mich einem Schatten gatten!
Du aber liebe immer wilder
Ideen, Ideale, Bilder!
ATHENE
Er hat es selber mir gestanden,
Als er war in der Liebe Banden:
Ich liebe niemals eine Frau,
Allein der Ideale Schau,
Wenn über einem Weib ich seh
Den Glanz der Himmlischen Idee!
Die Himmelskönigin Madonne
Allein ist meine Liebeswonne!
ARTEMIS
Er liegt gewiss grad jetzt zu Füßen
Der Aphrodite, um der Süßen
Den selben Unsinn zu erzählen
Von ihren parallelen Seelen!
ATHENE
Wie leid tut mir Urania!
ARTEMIS
Der arme Dichter! Ha, ha, ha!

SECHSTE SZENE

(Homer und Aphrodite allein in der Kammer.)

HOMER
Die Kinder spielen draußen schön!
Ach Aphrodite! Hör, ich stöhn:
Wenn ich doch noch ein Kindlein wäre
Und mein Großmütterchen voll Ehre
Mich wieder in die Arme nähme!
APHRODITE
Vor Aphrodite dich nicht schäme
Der Trauer schwachen Augenblicke.
Schau, wie ich lächelnd gnädig nicke!
HOMER
Apoll sprach gestern ein Gedicht.
APHRODITE
Sag, wie mein Sohn in Reimen spricht!
HOMER
(zitiert)
Von Blut zu Blut die Todesleiden
Wild wühlen in den Eingeweiden!
APHRODITE
Das spricht dir ganz aus deinem Herzen,
Nicht wahr, du Mann der Liebesschmerzen?
Wie schön du mit den Kindern spielst
Und auch mit ihrem Kummer fühlst,
In diesem tragischen Theater
Des Jammertals ein lieber Vater.
Weißt du, mein Ehemann Vulkan
Sah dich nur immer neidisch an,
Er klagte seiner Mutter das,
Der Göttin Juno. Weißt du, was
Die Göttin Juno da gesagt?
Ich höre, wie Vulkanos klagt,
Homeros sei sein Überwinder,
Homeros sei der Gott der Kinder!
Apoll, Anteros und der Eros
Sind doch gezeugt von dem Homeros,
Und dem Vulkan, dem Sohn, dem lieben,
Du tatest sie dann unterschieben!
So sprach die Göttin Juno. Ha,
Homer, das sagt Urania:
Ich liebe dich mit ganzem Triebe
Für deine treue Kinderliebe!
Und dafür will ich dich belohnen,
Erlaube dir, mir beizuwohnen!
HOMER
Was sagt dazu dein Ehegatte,
Der Satansbraten, diese Ratte?
APHRODITE
Wir leben ja in Griechenland,
Hier schrieb kein Gott mit seiner Hand
Auf Felsentafeln seinen Fluch,
Ich Göttin lieb den Ehebruch,
Im Goldenen Äone wars,
Als ich Vulkan betrog mit Mars!
HOMER
Ja, weißt du noch, in unsrer Jugend,
Als wir noch töricht frei von Tugend,
Wie wir da in der Sommersonne
Genossen wilde Liebeswonne?
APHRODITE
Willst du dich wieder auf mir wälzen
Wie damals bei dem Klippenfelsen?
HOMER
Auch das war schön, doch denke ich,
Wie ich dereinst genossen dich
Süß unterm Blütenpavillon
Kastanienbaums auf dem Balkon.
APHRODITE
Ah, ich erlange die Erhellung,
Du meinst die wunderschöne Stellung,
Da Kopf und Füße man vertauscht?
HOMER
Oh, ich bin ganz von Lust berauscht!
APHRODITE
Nun zieh mir meine Kleider aus,
Wir sind ja ganz allein im Haus,
Wir wollen nach der Liebe Regeln
Wie Tauben-Eheleute vögeln!
HOMER
O du Modell für einen Akt,
Wie göttlichschön bist du doch nackt,
Du Liebe voller Liebeslüste,
Wie majestätisch deine Brüste!
APHRODITE
Du wirst mit deinem Lied mich krönen.
Den Apfel schenkst du mir, der Schönen?
HOMER
Den Apfel hast du auch verdient,
Weil du der Liebe gut gedient
Als Magd der Götter, Hierodule!
Die Magd der Götter meine Buhle!
Nun ich dich fleißig auch bediene,
O Göttin, meine Konkubine!
(Sie verschwinden im Schlafzimmer.)

SIEBENTE SZENE

(In Homeros Wohnzimmer. Die Kinder spielen. Aphrodite isst Feigenkuchen. Artemis und Athene
diskutieren. Homer beobachtet alles.)

ARTEMIS
Die Herren Männer halten sich
Fürs Ebenbild von Gottes Ich,
Als Erste in der Welt erschienen,
Daß alle Frauen ihnen dienen.
Wir sollen still sein und demütig
Und lieblich, zärtlich und sanftmütig,
Als ewig sanfte stille Weibchen
Erquicken sie mit unsern Leibchen,
Empfänglich stets, nur lauschen stille,
Was uns verkündet Männerwille
Und zu des Wortes Mannessamen
Als Mägde sagen Ja und Amen.
ATHENE
Der Urmensch war doch androgyn!
In meiner Weisheit sag ich kühn
Wie einst Aristophanes sprach,
Daß Gott das Urgeschöpf zerbrach,
Daß alles strebend jetzt erfleht
Erneut die Androgynität,
Daß Weiber männlich werden müssen
Und Männer wieder weiblich küssen.
Wenn männlich wird das Feminine
Und weiblich wird das Maskuline.
Der Urmensch, androgyner Zwitter,
Erscheint erneut. Doch das ist bitter
Für jene maskulinen Kerle,
Die suchen nur des Weibes Perle
Und sagen: Weiber, seid doch weiblich,
Seid ewigweiblich seelisch-leiblich,
Seid Töchter, Mädchen, werdet Mütter.
Die Kerle hassen dann den Zwitter,
Den Gott der Schöpfer einst zerbrach,
Sie wollen ihre Weibchen schwach
Und immer gütig, immer mild
Und schön wie ein Madonnenbild
Und starren allezeit hypnotisch
Auf Weibes Leibchen hoch erotisch.
ARTEMIS
Das alles ist doch patriarchalisch,
Der Anfang aber matriarchalisch
War Frauenherrschaft in der Welt.
Kein Herrgott sprach vom Himmelszelt,
Auf Erden war die Große Mutter,
Ein Paradies von Seim und Butter!
Der Großen Mutter Priesterinnen,
Das waren Jungfraunköniginnen.
Dort herrschten nicht die Hausfraunmütter,
Die Kindersorgen haben bitter,
Den Kindern geben Seim zu naschen,
Dann eilen Wäsche sie zu waschen,
Dann waschen sie die Kinderköpfe
Und putzen Pfannen dann und Töpfe,
Die Mütter voller Alltagssorgen
Regierten nicht am Weltenmorgen,
Vielmehr die femininen Nonnen,
Voll Geist jungfräuliche Madonnen,
Der Jungfraungöttin Priesterinnen,
Jungfräulich-reine Königinnen.
ATHENE
Kein väterlicher Geist vom Himmel
Dort ordnete das Weltgewimmel,
Kein Geist erzeugte dort die Formen,
Gott war nicht Geist und gab nicht Normen
Der patriarchalischen Ehe-Ethik
Und patriarchalischer Poetik,
Nein, an dem Anbeginn kein Vater
Die Welt erschuf, die Magna Mater
War Mater, war Materia,
Materia war immer da,
Materia im Anbeginn.
Ich Materialistin bin!
Materia gebar die Stoffe
Und wird gebären, wie ich hoffe,
Wenn diese Welt zugrunde geht,
Dann eine neue Welt entsteht,
So fort und fort in Ewigkeit.
Nicht linear zum Ziel die Zeit
Führt uns zum Himmel, wo wir strahlen,
Die Zeit bewegt sich in Spiralen,
Und nach der Patriarchen Krieg
Erneut erscheint der Mutter Sieg,
Da kommt die göttliche Asträa
Als Magna Mater Bona Dea
Und Frauenherrschaft bringt den Frieden,
Dann ist das Paradies hienieden.
ARTEMIS
Wir Jungfraun aber unbemannt,
Die Göttin haben wir erkannt.
ATHENE
Die Weisheit zeigt sich uns erkennlich,
Wenn wir als Weiber werden männlich,
Nicht lieblich-feminin, nein, bitter,
Voll Zank und Zürnen, starke Zwitter!
ARTEMIS
Ja, Weiber sollen zänkisch werden!
Dann kommt das Paradies auf Erden!

ACHTE SZENE

(Homer und Aphrodite sitzen Arm in Arm auf dem Sopha und flüstern. Die Kinder werden plötzlich
verdächtig still! Artemis und Athene verabschieden sich.)

ATHENE
Es war sehr schön bei dir, Homer,
Nun werde dir dein Herz nicht schwer,
Ergib dich keinen Liebesleiden,
Athene muß jetzt von dir scheiden.
ARTEMIS
Wie schön, dass wir uns wiedersahn,
Jetzt muß ich nach des Schicksals Plan
Von dannen gehn. Du sollst nicht fluchen
Und sollst mich auch nicht weiter suchen!
(Athene und Artemis ab.)
APHRODITE
Es ist mit einem Mal so stille!
Mein Freund, was wäre jetzt dein Wille?
HOMER
Geliebte, alles was wir müssen,
Das ist uns küssen, küssen, küssen.
Du liebes Weib, mit einem Wort:
Komm, treiben wir der Liebe Sport!
APHRODITE
Bei meinem hochverehrten Hintern:
Ich muß erst schauen nach den Kindern.
HOMER
Ich aber frag mich langsam auch:
Was machen sie? Hier riechts nach Rauch!
ANTEROS
Ach liebe Mutter, nicht mehr schwätzen!
Ich, Mama, will dir jetzt was petzen!
Der Eros machte Feuer an!
Das darf nur ein erwachsner Mann.
Er spielte mit dem Feuerzeug!
EROS
Anteros, halt den Schnabel, schweig!
HOMER
Ich glaube, meine Wohnung brennt!
Rasch, vielgeliebte Kinder, rennt!
APHRODITE
Homer, mit Macht von Überwindern
Sei du der Retter meinen Kindern!
Das Feuer, des Geprassels Prasser,
Ich will es löschen mit dem Wasser!
(Homer nimmt Eros auf den Arm, Anteros an die Hand und ruft Apoll zu, so eilen sie hinaus. Das
ganze Haus steht in Flammen.)
EROS
Homer, Homer, es ist zu spät!
Die Aphrodite untergeht!
APOLL
Wie hart schlägt Gottes Vaterhand!
Weh, Aphrodite ist verbrannt!
HOMER
Herr Jesus hat sie doch gerettet
Und sie im Paradies gebettet!
Da feiert Jesus Nazarenus
Die Hochzeit mit der Göttin Venus!
EROS
Ach, Aphrodite ohne Mängel,
Ist jetzt geworden unser Engel!
ANTEROS
Was soll jetzt aus uns Kindern werden
In diesem Jammertal der Erden?
HOMER
Ich bringe euch zu dem Zentauren!
Ihr Kinder sollt nicht länger trauren!
Seht, Chiron ist ein Pädagog,
Der Kinder nie gewaltsam bog,
Er macht den einen und den andern
Als Pädagog zu Alexandern,
So klug wie Aristoteles
Und so verliebt wie Sokrates
In Alkibiades gewesen,
Das können wir bei Platon lesen.
Ihr werdet auf Atlantis leben
Und über euch wird segnend schweben
Sankt Aphrodite ohne Mängel,
Fürsprecherin und Hüte-Engel,
Für immer sei euch Advocata
Sankt Aphrodite Immaculata!
EROS
(umschlingt den Hals von Homer und weint)
Ach Herzensväterchen Homeros,
Du liebstes Papachen von Eros,
Wie war die Zeit mit dir so schön!
HOMER
Wir werden uns nie wieder sehn!
Wie grausam, Gott, ist der Verlust!
Ich heul an Aphrodites Brust,
Mich tröste Aphrodites Busen!
Vor Kummer schweigen meine Musen!
Fort ist am Dasein alle Lust
Durch diesen grässlichen Verlust!
Wie soll es mit mir weitergehen?
APOLL
Wird Aphrodite auferstehen?
HOMER
Gott wird sie auferwecken, ja,
Die Selige Urania!

NEUNTE SZENE

(Gebirgsgegend, Hain von Ölbäumen, Eichen. Über einer Steineiche eine seltsame
Lichterscheinung. Homer staunt die Lichterscheinung an.)

HOMER
Die weißen Laken eines Bettes
Trägt dieses Weib, es ist ein nettes,
Ich sehe kein Gesicht voll Charme
Und seh am Leibe keinen Arm...
(Plötzlicher Windstoß rauscht in den Eichen.)
O Gott, du rauschst in diesem Wind!
Was bin ich armes Menschenkind,
Daß du dich meiner annimmst, Gott?
Ich bin nur Odem im Schamott!
(Plötzlich kommt ein junges Mädchen, sie ist wunderschön, wie das Modell eines Venusmalers.)
Wer bist du, wunderschönes Mädchen?
Du kommst woher, aus welchem Städtchen?
HELENA
Ich bin die Helena von Sparta,
Bin nicht Maria und nicht Martha,
Ich bin die junge Helena,
Die Nichte der Urania!
HOMER
Wie alt? Wie lang sind deine Haare?
HELENA
Ich zähl im Maien sechzehn Jahre.
Die braunen Haare reichen so
Mir beinah bis zu meinem Po.
HOMER
Bildhauer möchte ich sein, bei Amor,
Und hauen deinen Leib aus Marmor.
Ich wäre ein Praxiteles,
Dem zugeschaut einst Sokrates,
Wie er gemeißelt schön die Phryne
So aphrodisisch schön, der Kühne.
Ja, oder ich wär der Apelles,
Ich malte dann ein Bild, ein helles,
Wie Kypris steht auf einer Muschel
In ihrer Lockenflut Gewuschel.
HELENA
Wer bist du denn, bist du ein Maler?
Du bist ein alter Mann, ein kahler,
Ein alter Mann mit dickem Bauch
Und stinkend deines Mundes Hauch.
Ich aber, schön wie Stella Maris,
Ich lieb den schönen Jüngling Paris!
HOMER
Ob Matutina oder Maris,
O Stella, liebe nur den Paris,
Ich will dich ja auch nur bedichten.
Sonst gäb es ja auch nur Geschichten,
Wenn ich dich lieben wollte, Kind.
Du weißt doch, wie die Leute sind.
Ich schreib ein episches Gedicht,
Den Hymnus auf dein Angesicht.
HELENA
Homer, das ist zuviel der Ehre,
Das ist ja mehr als ich begehre.
Ich schon die Iliade seh
Und lese schon die Odyssee.
Doch zeig die Bücher, deinen Veda,
Nicht meiner strengen Mutter Leda!
HOMER
Die Königin ist fromm und züchtig.
HELENA
Sie ist auch rasend eifersüchtig,
Besonders, wenn ein trunkner Dichter
Preist ihrer Tochter Augenlichter
Und schwärmt für ihrer Tochter Charme
Und Reiz und Liebreiz – Gott erbarm! –
Dann wird die Luft für Leda stickig,
Dann wird sie zänkisch, wird sie zickig!
HOMER
Was sagt die Mutter Leda dann?
HELENA
Ja, ja, so ist der böse Mann,
Verrückt nach junger Mädchen Reiz,
Die Alten schlagen sie ans Kreuz,
Nie lieben sie die armen Alten,
Stets nur die Mädchen ohne Falten,
Wo nicht die Brüste welk und schlaff,
Wo Mädchenbrüste fest und straff!
HOMER
Ich mich doch ziemlich irren müsste,
Wenn nicht ganz himmlisch deine Brüste!
HELENA
Doch will ich nicht den Schleier lüpfen!
HOMER
Ich seh der Ricke Kitze hüpfen!
HELENA
Nun gut, du darfst mein Dichter sein,
Das darf nur wissen Gott allein!
HOMER
Urschönheit der Urgottheit, Heil!

TANNHÄUSER
ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(Südfrankreich. Grotte mit Quelle. Umher Weinberge. In der Grotte auf einem breiten roten
Samtbett mit vielen Kissen die Venus und in ihren Armen Tannhäuser. Turteltauben gurren.)

VENUS
Wohin ist alle Welt? Verschwunden ist die Erde!
TANNHÄUSER
Und nicht als Hirte mehr ich weide meine Herde!
VENUS
Groß wie das Weltenall ist unsre Einsamkeit.
TANNHÄUSER
Doch diese Einsamkeit ist unsre Zweisamkeit.
VENUS
Wir liegen Arm in Arm, wir beiden Weltentrückten.
TANNHÄUSER
Mag reden alle Welt von Narren und Verrückten.
VENUS
Im All sind wir allein, Zweieinheit in dem All.
TANNHÄUSER
Im Rosenkelche ruht und trinkt die Nachtigall.
VENUS
Ich bade meinen Leib in Sonnenlicht und Mondschein.
TANNHÄUSER
Ich bade meinen Geist in deiner Lippen Rotwein.
VENUS
Hier schmäht uns keiner mehr für unsre Himmelslust.
TANNHÄUSER
Wie selig unbewusst ich ruh an deiner Brust!
VENUS
Die Götter stören nicht, hier schweigen selbst die Musen.
TANNHÄUSER
Ich trink der Liebe Milch aus deinem Taubenbusen.
VENUS
Hier lacht kein Philosoph und schmäht der Liebe Leib.
TANNHÄUSER
Der Mann vollkommen ist, vollkommen ist das Weib.
VENUS
Gedanken schweigen still, wir lächeln leise selig.
TANNHÄUSER
So still ist mein Gemüt, so heiter doch und fröhlich.
VENUS
Die Liebe ist allein die Seligmacherin.
TANNHÄUSER
Ich glaube, dass ich schon im Paradiese bin!
VENUS
Und mehr und immer mehr genieß ich deine Küsse.
TANNHÄUSER
Es ist Elysium voll trunkener Genüsse.
VENUS
Die Liebe ist wie Milch und Wabenhonig süß.
TANNHÄUSER
Dein lieber lichter Leib ist all mein Paradies!
VENUS
Die wir auf Erden schon wie Himmelsgeister leben...
TANNHÄUSER
Dein Busen fruchtbar ist und prall wie trunkne Reben!
VENUS
Im Weinberg ruhen wir, die Sonne lächelt mild.
TANNHÄUSER
Es ist Elysium dies selige Gefild.
VENUS
Mein lieber Leib sich hüllt in nichts als Licht der Sonne.
TANNHÄUSER
Dein Antlitz heiter schön ist meines Lebens Wonne.
VENUS
In meine Augen schau nur Einen Augenblick.
TANNHÄUSER
Ich seh den Ozean der Liebe voller Glück.
VENUS
Ah, diese Wonne wird in Ewigkeit nicht enden!
TANNHÄUSER
Aus deiner Augen Blau die lichten Blitze blenden!
VENUS
Mein Mann und mein Gemahl! Mein Liebling und mein Kind!
TANNHÄUSER
Geblendet, Göttliche, ich bin geblendet, blind!
Ich kann die Augen jetzt nicht mehr an Venus weiden,
Jetzt muß ich in die Welt und leiden, leiden, leiden!
Geblendet von dem Licht der Gottheit, deinem Glanz,
Ist um mich dunkle Nacht! Ich seh den Dornenkranz!
Nein, deine Schönheit kann man nicht in Marmor meißeln.
Ich aber dürste jetzt nach Schlägen, Peitschen, Geißeln!
Nicht schmecken darf ich jetzt mehr deines Leibes Brot.
Komm jetzt, Martyrium, komm, Sühneopfertod!
VENUS
Du gehst jetzt in die Welt, zu stillen dein Begehren
Nach Martern? Doch du wirst zu Venus wiederkehren!
(Tannhäuser wirft sich einen Purpurmantel um und verlässt die Grotte der Venus.)

ZWEITE SZENE

(Mittelalterliches Deutschland, also das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Um den Fluch
der Pestratten abzuwehren, ziehen Flagellanten in einer Buß-Prozession durch die kotigen Gossen.)

PRIESTER
O Herr, uns plagt der Tod, der Schwarze Tod, die Pest,
Der Roma deutsches Reich ward ganz zum Rattennest,
Wo Seuchen überall und böse Geister lungern,
Die Krankheit ist zum Tod, die Armen Gottes hungern,
Uns plagt die Teuerung, wir fürchten uns vorm Sieg
Des Antichristen, der uns überzieht mit Krieg.
FLAGELLANTEN
Maria, Königin uns Elenden und Armen,
Schenk uns dein Mutterherz voll herzlichem Erbarmen!
PRIESTER
Die Sünde klagt uns an, wir selber sind die Sünder,
Zu Huren gingen wir und schändeten die Kinder!
Zur Hure Babylon die Kirche wurde fast,
Der Papst in Avignon ist bei den Sündern Gast.
Wir, die wir ein Idol aus Felsenherzen meißeln,
Wir unsern armen Herrn und Heiland wieder geißeln,
Mit Peitschen peitschen wir den armen Gottessohn,
Indem wir frevelhaft begehn die Kommunion.
Des Krieges Opfer schrein mit schriller Stimme Gellen,
Die Mönche gleichen gar den Homosexuellen,
Wie Heiden leben wir und heißen Christen doch
Und gehen Belial und Beelzebul im Joch!
FLAGELLANTEN
Maria, Königin uns Elenden und Armen,
Schenk uns dein Mutterherz voll herzlichem Erbarmen!
PRIESTER
Doch Gottes Kelch ist voll, jetzt überfließt der Born
Des Grimmes Gottes, Gott schenkt Wein uns ein im Zorn,
Die bittre Hefe noch wir lecken, trunkne Zecher,
Wenn Gott zerschlägt den Kelch, zu Scherben schmeißt den Becher,
Der Donner donnert laut, Gottvaters Donnerstimm’
Zutiefst erschreckt die Welt, Gott zürnt in seinem Grimm!
FLAGELLANTEN
Maria, Königin uns Elenden und Armen,
Schenk uns dein Mutterherz voll herzlichem Erbarmen!
PRIESTER
Herr Jesus steht jetzt auf, in seiner Rechten hält
Der Totenrichter jetzt und starke Gottesheld
Den Bogen Gottes und des Gotteszornes Pfeile!
Sein Pfeil, das ist die Pest! Wir wichen ab vom Heile
Und leiden Strafe jetzt, wenn Gott der Herr sich rächt,
Des Herrn Gerechtigkeit im Zorn uns tödlich schwächt!
FLAGELLANTEN
Maria, Königin uns Elenden und Armen,
Schenk uns dein Mutterherz voll herzlichem Erbarmen!
PRIESTER
Die Sünden sühnen wir und gehn den Weg der Buß’,
Wir grüßen Unsre Frau mit ehrfurchtsvollem Gruß,
Die Schönste aller Fraun vom weiblichen Geschlechte!
Im Zorn erhoben ist noch Jesu Christi Rechte,
Doch Unsre Liebe Frau hält Gottes rechten Arm
Zurück durch ihr Gebet voll liebevollem Charme!
Wenn Jesus Christus zürnt, der Herr zürnt seinen Schafen,
Wenn Gott der Richter kommt, die Sündenwelt zu strafen,
Dann bittet Unsre Frau für uns um Gottes Huld,
Des Herrn Barmherzigkeit mit aller unsrer Schuld,
Erbittet uns Verzeihn für unsern Sündenwandel
Und deckt die Christenheit mit ihrem Sternenmantel.
Sie hält allein zurück des Herrn Gerechtigkeit
Durch ihre Frauenhuld, der Frau Barmherzigkeit!
FLAGELLANTEN
Maria, Königin uns Elenden und Armen,
Schenk uns dein Mutterherz voll herzlichem Erbarmen!
PRIESTER
Wenn an dem Jüngsten Tag einst an dem Weltgericht
Gottvater ernst verhüllt sein lichtes Angesicht
Und schaut zum Gottessohn, ob Gnade wir gefunden
Bei Jesus unserm Herrn, dann sehn wir seine Wunden,
Die wir verursacht selbst durch alle unsre Schuld.
Wird Jesus haben dann mit unsrer Schuld Geduld?
Doch Hoffnung haben wir, wir orthodoxen Christen,
Denn dann wird Unsre Frau stehn mit entblößten Brüsten
Und sagen zu dem Sohn: O Jesus, Seelengast,
Schau diese nackte Brust, dran du gesogen hast,
Der du als Menschensohn gesogen an dem Busen,
Erbarme dich der Welt, der wirren und konfusen,
Bei meiner Milch, o Sohn, erbarme dich der Welt!
So kommt der Christenmensch doch noch ins Himmelszelt.
FLAGELLANTEN
Maria, Königin uns Elenden und Armen,
Schenk uns dein Mutterherz voll herzlichem Erbarmen!
(Stille.)
TANNHÄUSER
Gott schuf das Chaos erst, das ungestalte Meer,
Das Universum schuf dann herrlich Gott der Herr,
Gott schuf dann die Natur, Gott schuf die Menschenaffen,
Gott schuf den ersten Mann, das Urbild aller Pfaffen,
Der Schöpfung Krone schuf dann Gott der Schöpfer, schau,
Da war es wirklich gut, als Gott erschuf die Frau,
Gott sprach: Es ist sehr gut! Und in des Himmels Hafen
Zufrieden ging der Herr mit seiner Weisheit schlafen.

DRITTE SZENE

(In einer Burg in Deutschland. Zwei Minnesänger nehmen Tannhäuser in ihren parnassischen Orden
auf.)

ERSTER MINNESÄNGER
Oh, die Prinzessin, oh! Als ich zuerst gesehn
Die wunderschöne Maid, wie Gottes Tochter schön,
Schien sie mir unbefleckt und rein wie eine Göttin,
Ganz reiner Geist zu sein, wie Gottes eigne Gattin!
An ihrer Stirne sah ein Zeichen, ohne Spott,
Ich strahlend klar und licht, da schaute ich den Gott,
Den Gott der Liebe sah ich licht auf ihrer Stirne!
Ich schämte mich: Ich war verliebt in eine Dirne,
Der niedern Minne Lust, gemeine Fleischeslust
Genoss ich Sünder einst an einer Dirne Brust.
Jetzt aber kam die Maid, die geistig-reine, keusche,
Ich schämte mich der Lust, der Sinnlichkeit im Fleische.
Wer wird je würdig sein, dass er die Jungfrau preist?
Sie ist ein Engel rein, ein makelloser Geist.
Fort mit der Sinnlichkeit und mit den Konkubinen,
Urania allein im reinen Geist zu dienen,
Urania allein zu singen Lob und Preis!
Mein Platon steht mir bei, der von der Liebe weiß,
Die Himmlische allein, die Heilige und Reine
Ist rühmenswert und nicht die Irdische, Gemeine.
Vergeistigt will ich sein und werden ohne Spott
Durch meiner Göttin Gunst ein junger schöner Gott
Und in Elysium lustwandeln, trotz der Spötter,
Die Göttin und ihr Gott, glückselig wie die Götter!
ZWEITER MINNESÄNGER
Als meines Herzens Herz und Geistesaugen sahn
Den Christus jung und wild, da schien er mir der Wahn,
War Magdalena ihm Geliebte, war die pure
Hetäre, Sünderin und ewigliche Hure!
Die Hure und der Wahn, der Gott und seine Braut,
So in der Jugend hab ich Christus angeschaut.
Doch eines Tages sah ich die Prinzessin, siehe,
Sie war der Morgenstern der rosa Morgenfrühe,
Sie war so makellos, ein reiner Himmelsschein,
Sie war die Weiße Frau, die Schöne Dame rein,
Sie war so ohne Fleck und Fehl und ohne Mängel,
Kein Mensch mehr, sondern ein geoffenbarter Engel,
Nicht irgendeine Frau – die Ewigliche Sie,
Ein Engel, der erschien vom Stern der Phantasie,
Ein Engel war fortan für mich die Schöne Dame
Und Engel war fortan für mich des Gottes Name.
TANNHÄUSER
Ich sah in einem Bild die Hure Babylon,
Ich sah im Dasein sie, ich, Gottes Lieblingssohn,
Auf einem Löwen ritt die wilde nackte Hure,
Die Göttin aller Lust und Wollust, ja die pure
Hetäre, offenbar war ihre bloße Brust,
Der Löwe, den sie ritt, der Löwe war die Lust,
Die Haarflut wallte lang auf ihre großen Brüste,
Der Inbegriff der Lust, die Spenderin der Lüste,
Sie hielt in ihrer Hand den Kelch mit Zypernwein,
Gewürzt mit Nelken und von blutigrotem Schein,
Den Wein der Hurerei sie schenkte in den Becher,
Lustknaben waren da betrunken ihre Zecher,
Auf sieben Hügeln sie als wilde Wölfin lag,
Blutrünstig sah ich sie an ihrem Jubeltag
Die Lippen lecken sich, besoffen von dem Blute
Der Heiligen des Herrn, die sie im Übermute
Geschlachtet am Altar der Götzenhurerei,
Die Heiligen des Herrn mit einem lauten Schrei
Noch segneten mit Gott die Hure aller Huren
Und triumphierend dann in Gottes Himmel fuhren!
Dann habe ich im Geist die reine Maid geschaut,
Die Nymphe Gottes sie, des Lammes Jungfrau-Braut,
Jerusalem, die Maid, die Heilige und Reine,
Erschien im weißen Kleid, im goldnen Glorienscheine,
Jungfräulich rein und keusch, im weißen Linnen sie,
Umtönt vom Engelchor, der Sphären Harmonie,
Vom Himmel kam herab die Heilige und Reine,
Von Jaspis, Jade und von manchem Edelsteine,
Saphir und Onyx und von Lapislazuli,
Türkis und Malachit geschmückt die reinste Sie,
Mit Tränenperlen war geschmückt der Jungfrau Krone,
Von Elfenbein gebaut der Thron, sie saß in ihrem Throne,
Im Thron von Elfenbein zu sehen Gottes Lamm,
Gott Ja und Amen als der Jungfrau Bräutigam!
ERSTER MINNESÄNGER
Ja, die Prinzessin ists! Die Ewigliche Schöne!
Mit deinem Minnesang du die Prinzessin kröne!
ZWEITER MINNESÄNGER
Ja, die Prinzessin hat als Engel offenbart
Dir die Vision von Gott, die reine Jungfrau zart.
TANNHÄUSER
Wenn die Prinzessin ihr verehrt als Frau der Frauen,
Will die Prinzessin ich in ihrem Leibe schauen!
Ist sie ein Geist allein? Lebt sie im lichten Leib?
Ach, die Prinzessin muß wohl sein ein Überweib!

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE
(Die Prinzessin vor ihrem Spiegel.)

PRINZESSIN
Ihr Minnesänger all, ihr liebt ja nicht die Frauen,
Ihr wollt Ideen nur in eurer Seele schauen!
Der Minnesänger singt, was er im Innern sah,
Die eigne Seele schaut er, seine Anima.
Er schaut Ikonen an und wunderbare Tücher
Und träumt von Musen, Feen. Die Damen seiner Bücher
Umtanzen seinen Geist, da schaut er ideal
Der Schönheit Ur-Idee aus dem Ideensaal.
Pandora ist es wohl! Athene gab ihr Weisheit
Und Aphrodite Charme, charmanten Lächelns Leisheit,
Und Hera gab den Arm, den lilienweißen Arm,
Und Kybele die Brust! O dass sich Gott erbarm,
Pandora soll ich sein und die Idee der Frauen!
Was alles ein Poet in einer Frau will schauen!
Das aber bin ich nicht, bin nicht Maria mild
Und Aphrodite schön, ich bin kein Marmorbild.
Wer aber liebt mich selbst in meinem eignen Wesen?
In keinem Minnelied hab ich bisher gelesen,
Was selber ich gefühlt und wie ich selber bin,
Kein Minnesänger weiß von meinem innern Sinn.
Wer also liebt mich selbst? Ihr Neider, werdet gelber!
Ich liebe mich allein, ich lieb mich eben selber!
Gewiss, es schmeichelt mir, die Schönste aller Fraun
Zu sein im Minnesang, die Sulamithin braun,
Die Venus Hesiods, Athene des Homeros,
Wenn ich das Ideal von Weisheit und von Eros,
Wenn, Magdalena ich, anbete vor dem Kreuz,
Zugleich die Venus bin, der Inbegriff von Reiz,
Ich Feenkönigin, ich Zauberin Morgana,
Mondgöttin keusch und weiß, die himmlische Diana,
Die Himmelsliebe selbst bin ich, Urania,
Die Schönste aller Fraun, die schöne Helena,
Von Tyrus Helena und Helena von Sparta,
Mal Magdalena bin und mal die Schwester Martha,
Wenn angebetet ich wie Hagia Sophia,
Das Frauenideal wie Unsre Frau Maria,
Das schmeichelt mir, gewiss. Doch weiß ich, der Poet
In Eros Flammen stets im Fegefeuer steht,
Er tut so fromm und keusch, doch will er mit mir schlafen,
Er will doch eigentlich nur in den Ehehafen,
Ob er jungfräulich auch im Zölibate keusch
Lebt wie ein Engelsgeist, doch stärker ist das Fleisch,
Doch stärker ist der Trieb, die Sinnlichkeit der Sinne,
Er möcht zu gern von mir im Gras die niedre Minne!
Und wenn nun predigt gar der Minner und Poet
Und spielt den großen Geist, begeistert als Prophet
Von Gottesliebe spricht und von der Nächstenliebe,
Wenn er von Liebe spricht, dann reimt er immer Triebe!
Ach, Gott zu lieben und den Nächsten, was ist das?
Das kommt von ganz allein, bei Göttin Veritas,
Das kommt von ganz allein, wenn ich mich selber liebe!
Ihr Minnesänger seid begierig Herzensdiebe,
Ich aber schenk mein Herz nicht einem Minner hin,
Weil ich nicht Hälfte nur, ein halber Apfel bin,
Der ganz erst wird und heil durch eines Mannes Gnade.
Nein, ich bin nicht geschnitzt aus eines Mannes Wade!
Ich bin ein Teil von Gott, ich bin von Gott ein Stück!
In meinem eignen Selbst wohnt ganz allein mein Glück!
Lieb ich mich selber nicht, wie soll ich Gott dann lieben,
Lieb ich mich selber nicht, so steht es doch geschrieben,
Wie soll ich lieben dann den Nächsten wie mich selbst?
Zwar sterben muß mein Ich, dann lebt mein Wahres Selbst,
Mein Wahres Selbst jedoch ist Gottheit, Mensch geworden!
Was soll ich denn als Frau in eurem Männerorden?
Ich bin ein Stück von Gott, bin Gottheit inkarniert!
Ihr aber gebt euch hin, dass ihr euch selbst verliert!
Hingebt ihr euer Herz, wollt euer Herz mir schenken,
Wollt euer Liebesherz tief in mein Herz versenken,
Laß sterben euer Herz, auf dass es aufersteht
In meiner Lust an euch! Drum jammert der Poet:
Sie liebt mich nicht, ach sie ist Mörderin und mordet
Mein ganzes Lebensglück! Von Jammer überbordet
Wird krank dann der Poet, gerät in irren Wahn,
Zum Selbstmord schleicht sein Geist auf kranken Wahnsinns Bahn
Und wenn er dann sich selbst gemordet mit dem Messer,
Dann sage ich mir selbst: Ich aber mach es besser!
Wo ist ein Menschengeist, der mich zutiefst versteht,
Ein Geist, der mich erfreut, ein Freund, der mit mir geht,
Ein Hoherpriester, der verzeiht mir alle Sünden,
Und ein Prophet, der nicht mein Fehlen will verkünden,
Wo eine Mutter, die mich tröstet in dem Schmerz,
Wo eine Liebe, wo, die ganz erfüllt mein Herz?
Das alles ist mein Selbst! Ja, allen den Betrübten
Sagt jetzt mein Wahres Selbst: Allein die Selbst-Verliebten
Im Orden ihres Ichs glückselig sind allein!
Ich bleib mit meinem Selbst in Einsamkeit allein!

ZWEITE SZENE

(Die Prinzessin in ihrem Rosengarten. Tannhäuser kniet vor ihr.)

TANNHÄUSER
Je vous salue, Marie! – Prinzessin, meine Liebe!
PRINZESSIN
Ja, ja, ich weiß, Poet: Der Mächtigste der Triebe!
TANNHÄUSER
Du bist so wunderschön! Allmächtig ist dein Reiz!
PRINZESSIN
Gleich sagt du noch, Poet, ich schlüge dich ans Kreuz!
TANNHÄUSER
All meines Lebens Sinn, mein Atem, meine Seele!
PRINZESSIN
Wann schenkst du wieder mir von Goldschmuck und Juwele?
TANNHÄSUER
Anbetung fühle ich, ich knie vor meinem Gott!
PRINZESSIN
Und morgen hast du nur für meine Torheit Spott.
TANNHÄUSER
O Rosa Mystica, ich bin dein trunkner Falter!
PRINZESSIN
Ja, weil ich jung und schön. Was aber dann im Alter?
TANNHÄUSER
O, meine Liebe ist ganz rein, platonisch keusch!
PRINZESSIN
Was aber, wenn ich erst dir kitzele dein Fleisch?
TANNHÄUSER
Ach lieb mich doch, mein Gott, du Gottes Gottheit heilig!
PRINZESSIN
Ist erst der Reiz dahin, dann bin ich dir langweilig.
TANNHÄUSER
Ach Engel, liebe mich, ich fleh dich an voll Scheu!
PRINZESSIN
Die Liebesschwüre sind ja allesamt nicht neu.
TANNHÄUSER
In Minnehofs Gericht bist du mein Seelenrichter!
PRINZESSIN
Das sagten andre schon, das ist gestohlen, Dichter!
TANNHÄUSER
Allah selbst fleht dich an, du göttliche Allath!
PRINZESSIN
Das immerhin, Poet, das ist kein Plagiat...
TANNHÄUSER
Du raubtest mir mein Herz, du Königin der Diebe!
PRINZESSIN
Begreife endlich dies doch, dass ich dich nicht liebe!
Ich lieb dich nicht, ich lieb dich nicht, ich lieb dich nicht!
TANNHÄUSER
Prinzessin! Jetzt ist wohl der Jammer meine Pflicht?
In tragischer Manier ich blute vor der Rose,
Warum ist nicht ein Weib ein Blümchen Dornenlose?
Wie reizend ist der Kelch! Wie stechend ist der Dorn!
Kein Zorn ist ja so schlimm wie wilden Weibes Zorn!
Der arme Israel bei Lea und bei Rachel –
Dort Schlangenschwanz und dort der Skorpionenstachel!
Ich bat wohl meinen Gott um einen leckern Fisch,
Seezunge, Scholle, Butt auf meinem Mittagstisch,
Da gibt mir dann mein Gott, da bin ich gar nicht bange,
Da gibt mir dann mein Gott bestimmt nicht eine Schlange!
Ich bat einst meinen Gott als Beter fromm und frei:
O lieber Gott, ich bitt dich, gib mir dieses Ei!
Da gibt mir Gott nicht den Skorpion mit seinem Gifte!
Ich schrieb einst ein Gebet mit meinem flinken Stifte:
Dies weiße Dampfbrot, Gott, gib mir dies heiße Brot!
Meinst du, dass mir mein Gott da einen Kiesel bot?
Was also soll ich laut aufjammern, schreien, klagen?
Soll ich der Rose Dorn ins Herz mir selber jagen?
Ja, so tut ein Poet! Die wahre Nachtigall
Durchbohrt sich selbst die Brust, so lieblich wird ihr Schall,
Das ist der Nachtigall von Amor zuzumuten,
Der Rose spitzer Dorn lässt Nachtigallen bluten,
So wird der Lorbeerkranz Poeten nur zuteil,
Drum Heil dir, Schlangenschwanz, Skorpionenstachel, Heil!
Ja, schlag mich an das Kreuz, das wird mich noch vergotten!
Nein, üble Laune lässt mich über Weiber spotten!
Hanswurst nimm dir zum Mann und dien ihm als Gemahlin,
Ich bin kein Troubadour, du bist nicht Provencalin.
Dein Körper ist gebaut wie Aphrodites Leib,
Von Marmor ein Idol dein Körper, schönes Weib.
Fragt mich dein stumpfer Blick, was mir noch weiter fehle?
In deinem Golem-Leib fehlt eine schöne Seele.
Zwar denkt zu gern ein Mann: Dies Mädchen herrlich blüht
Wie Pflaumenblüte schön, drum schön ist ihr Gemüt.
Doch irrt sich oft der Mann. Was sollen alle Reize
Des Körpers einem Mann bei kargem Herzensgeize?
Nicht Schmuck und Schminke und ein Reizkleid schmückt den Leib,
Die Liebe ists allein, die lieblich macht ein Weib!
Doch du bist solch ein Weib, die Liebe weiß zu wecken,
Dein eignes Herz jedoch im Busen zu verstecken,
Die du verehrt wirst und geliebt und man vergisst,
Daß steinern ist dein Herz und dass du lieblos bist!

DRITTE SZENE

(Auf der Burg der Prinzessin. Prinzessin, Tannhäuser und zwei Minnesänger. Minnehof,
Sängerwettstreit.)

PRINZESSIN
Singt, Minnesänger, singt dem Mächtigsten der Triebe,
Ich schenke meinen Kranz dem schönsten Lob der Liebe!
ERSTER MINNESÄNGER
Die Liebe, die ich preis, ist Platons Ideal,
Die Liebe zur Idee aus dem Ideensaal.
Ein Mann sieht eine Frau, er hebt die Augenbraunen
Und glättet seine Stirn, verwirrt steht er voll Staunen
Und schaut die Göttin an in lichter Gloria,
Er schaut die Venus selbst, ich mein, Urania!
Nicht die konkrete Frau, die irdisch ist und sterblich
Und deren Schönheit ist der Zahn der Zeit verderblich,
Die liebt er wahrlich nicht, er liebt nur die Idee.
Idee ist nicht die Frau? Das ist ja all sein Weh!
Doch drüber soll ein Narr und Idiot nicht spotten,
Es will der Platonist die Lieblingin vergotten,
Bis sie geworden ist: Werd, was ich in dir seh,
Werd Gottes Ebenbild und himmlische Idee!
PRINZESSIN
Du musst noch den Begriff der Liebeskunst erweitern,
Denn dieser Platonist wird an der Liebe scheitern!
ZWEITER MINNESÄNGER
Ich lieb die Liebe nicht, der Leidenschaften Fron,
Frau Minne ist allein mir Kult und Religion.
Die Hohe Minne soll den Minnenden erlösen
Von seinem eignen Ich, dem Schlimmsten aller Bösen!
Erlöserin allein ist Sie, die Hohe Frau,
Die Göttin-Dame in des hohen Minners Schau.
Er betet rein und fromm zur ewig nicht Verführten,
Zur Keuschheit in Person, zur hohen Unberührten,
Die klar ist wie das Eis, wie Eiskristall so keusch,
Ein reiner Engelsgeist, ein Hauch ist all ihr Fleisch.
Er kniet vor ihrem Thron, sie sklavisch anzubeten.
Sie ist nicht Eva ihm, laszives Weib aus Eden,
Sie ist Madonna ihm, ist Unsre Liebe Frau,
Ihr Kleid ist seidenweiß, ihr Mantel himmelblau,
Zu Füßen ihr der Mond, umglänzt sie Gottes Sonne,
Wie Unsre Liebe Frau die Muse und Madonne,
In einer Aura sie der höchsten Gottheit steht,
In Ihr verehrt den Herrn der liebende Poet!
PRINZESSIN
Gewiss, die Dame wird den Minner nicht vergotten,
Den Sklaven wird die Frau mit scharfem Spott verspotten!
TANNHÄUSER
Urania lobpreist der trunkne Platonist,
Madonna tief verehrt der Minner und der Christ.
Doch ich bin ein Poet, der Enkel des Homeros,
Ich preis als meinen Gott den Gott der Liebe, Eros!
Ja, Eros triumphiert in meinem Hohen Lied,
Priapus triumphiert mit seinem Mannesglied!
Was Platonismus und was religiöse Minne?
Glückselig machen mich die Lüste meiner Sinne!
Ich will, ich will zurück zum Schoße der Natur,
Ich suche Glück und Lust, mich lehre Epikur,
Des goldenen Äons elysisch-heitre Zeiten
Schmeck ich erneut im Fest der süßen Sinnlichkeiten!
Idee und Religion? Ich liebe mehr die Brunst!
Ja, Venus lehrte selbst mich ihre Liebeskunst!
Ja, Venus lehrte selbst mein Mannesglied das Zeugen!
Ich sprech Mysterien, drum will ich mystisch schweigen.
PRINZESSIN
Wann lehrte Venus dich und wo der Liebe Werk?
TANNHÄUSER
Als ich geborgen war dereinst im Venusberg!
PRINZESSIN
Bei Davids großem Sohn, bei Salomo und Nathan,
Geh, Schlange Luzifer, geh, roter Drache Satan!
Geh, pilgere zu Fuß, zerreiße dir den Fuß,
Geh, pilgre barfuß du und unbeschuht zur Buß,
Verlass der eitlen Welt Theater, Weltenbühne,
Und opfere dich selbst in reuevoller Sühne,
Daß du nicht länger mehr im Venusberg priapst,
Geh du nach Avignon und flehe an den Papst,
Er möge alle Schuld des Fleisches dir vergeben
Und wieder geben dir des Herzens reines Leben
Und spende dir von Gott dem Herrn die Absolution
Und spende dir von Gott dem Herrn die Kommunion
Und reih dich in die Schar geweihter Gotteskinder.
Tannhäuser, weg von mir, du wüster wilder Sünder!
Epikuräerschwein bist du und Hedonist!
Bekehre dich, Poet, und werde wahrer Christ!
Gott will aus deinem Block noch einen Menschen meißeln!
Zum Papst nach Avignon! Geh! Muß ich dich erst geißeln!

DRITTER AKT

ERSTE SZENE

(Eine arme Bauernmagd in ihrem Sterbebett. Auf dem Bett sitzt der erste Minnesänger und hält der
Bauernmagd die Hand. Neben ihnen sitzt eine unbekannte Schöne.)

BAUERNMAGD
Ich sterbe jetzt, mein Freund, ich fürchte mich vorm Tod!
Sag, wird es Abendrot, sag, wird es Morgenrot?
MINNESÄNGER
Ich weiß nur eins allein, ich fühl in meinem Herzen
Wie Nadelstiche spitz die allerschärfsten Schmerzen.
BAUERNMAGD
Nun sterbe ich allein und bin in großer Not,
Sag mir von deiner Pein, bei meinem armen Tod!
MINNESÄNGER
Ach, die Prinzessin quält mich lieblos fast zu Tode!
Ach, käme doch zu mir des Todes heitrer Bote!
BAUERNMAGD
Halt noch ein wenig aus und dulde deine Qual,
Maria steht dir bei in diesem Tränental.
MINNESÄNGER
Ich war beim Priester ja voll Reue und voll Buße,
Maria grüßte ich mit ehrfurchtsvollem Gruße.
BAUERNMAGD
Sprach dich der Priester los, ob du auch wenig keusch
Und immer noch so sehr begehrst in deinem Fleisch?
MINNESÄNGER
Der Priester gab voll Huld mir ein geweihtes Bildnis,
Da Sulamith steht nackt in Edens holder Wildnis!
BAUERNMAGD
Wie sieht denn Sulamith auf jenem Bilde aus?
Wie die Prinzessin schön vor ihrem schönen Haus?
MINNESÄNGER
Ja, die Prinzessin sah ich so im Licht der Sonne
Wie diese Sulamith, die Paradies-Madonne!
BAUERNMAGD
Halt noch ein wenig aus, mein Minnesänger süß,
Bald lädt Maria dich doch in ihr Paradies!
MINNESÄNGER
Ach liebe Freundin mein, wenn deine Gunst mir bliebe!
Ich danke dir zutiefst für alle deine Liebe!
BAUERNMAGD
Nun lass uns schweigen, Freund. Mein Engel mit mir spricht.
Ich sehe Christi Leib in einem süßen Licht!
(Sie schweigen.)
UNBEKANNTE SCHÖNE
Die liebe Freundin schläft. Schau, wie sie lieblich lächelt!
MINNESÄNGER
Wie deine Wimper schön dir überm Auge fächelt!
Wie deine Nase stolz doch nach Damaskus schaut!
Des Mohrenkönigs bist du die erwählte Braut?
Wo, als im offnen Aug, ist doch die Seele nackter?
Die Adlernase zeugt von herrlichem Charakter.
Des Angesichts Oval, wo hab ich das geschaut?
Noch nie bisher sah ich so makellose Haut!
Die Lippen lächeln süß, charmanten Lächelns küsslich,
Zu küssen deinen Mund, ja sag ich’s? wär genüsslich!
Wie hoch ist die Gestalt! O wie ein Palmenbaum!
Wie Venus bist du schlank, als sie getaucht aus Schaum!
Dein langes weißes Kleid ist wie das Licht der Sonne,
Allmächtig ist dein Reiz, du irdische Madonne,
Jedoch dein Gürtelschmuck, o Gott im Himmelszelt,
Dein Liebreizgürtel ist der Venus Zauber-Belt!
UNBEKANNTE SCHÖNE
Welch eine Ehre, Mann, tust du mir an so freundlich!
Man sagt von dir, du seist sonst allen Frauen feindlich,
Nur die Prinzessin schön sei tief von dir verehrt,
Doch zarte Hoffnung hast du jetzt in mir genährt.
MINNESÄNGER
Wer bist du, schöne Frau? Ich hörte eine Mythe,
Der Gott der Götter Zeus erschuf mit Aphrodite
Ein Weib, ich meine, du bist dieses Weib, denn du
Bist Venus’ Tochter, du raubst mir die Seelenruh!
UNBEKANNTE SCHÖNE
Charmanter Schmeichler! Wär ich eine der Koketten,
Ich würde mich mit dir im Liebeslager betten!
MINNESÄNGER
Die Tote aber, wird sie Werwolf werden, Tier,
Ein Wiedergänger, ein Gespenst, vielleicht Vampir?
UNBEKANNTE SCHÖNE
Ha, ich bin ein Vampir! Ha, meine Lippen taugen,
Dir all dein Lebensmark aus dem Gebein zu saugen!
Doch schau, mein lieber Freund, die Freundin ist erwacht.
BAUERNMAGD
Mein Minnesänger süß, in dieser letzten Nacht
Sprich nicht von dem Vampir, lobpreise nicht die Biester!
Nun geh mit Gott, mein Freund! Gleich kommt zu mir der Priester,
Nach meiner Beichte ich erhoff die Absolution,
Daß ich empfang des Herrn Leib in der Kommunion!
Nun geh mit Gott, mein Freund, du starker Überwinder,
Als frommer Pate du versorge meine Kinder!

ZWEITE SZENE

(Der Minnesänger an einem Wegkreuz, das er mit Butterblumen schmückt. Tannhäuser kommt.)

MINNESÄNGER
Tannhäuser, warest du in Avignon beim Papst?
TANNHÄUSER
Sag mir zuerst, mein Freund, ob du im Traum priapst?
Ich seh in jedem Traum zu allen Mondenphasen
Die Venus mit dem Mund die Knochenflöte blasen!
MINNESÄNGER
Hast du gebeichtet, Freund? Hat dir dann Gottes Sohn
Die Gnade zugeströmt, Verzeihn der Absolution?
TANNHÄUSER
Ach, Avignon ist schön! Dort schwingen sich die Brücken,
Die Mädchen tanzen schön zum seligen Entzücken,
Wie flattert doch das Haar, wie zappelt dort der Rock!
Im Garten machte man zum Gärtner dort den Bock!
Der Papst von Avignon in seinem frommen Wahne
Ist selber ein Poet und großer Erotomane!
MINNESÄNGER
Sahst du die Reihen auch der Kardinäle dort,
Die Priester dort vereint, und sahst du an dem Ort
Die lieben Knaben auch, die schönen Ministranten,
So schön herausgeputzt von ihren frommen Tanten?
TANNHÄUSER
Der Weihrauch hat zumeist wie Rauschgift mich berauscht!
Dem Singsang hab ich auch und dem Latein gelauscht.
Ich hörte auch den Papst in der Karsamstagspredigt.
MINNESÄNGER
Und hast du deiner Schuld des Fleisches dich entledigt?
TANNHÄUSER
Ich klopfte an beim Papst, stand schon vor seiner Tür,
Er sprach: Mein Sohn, ich hab heut keine Zeit dafür,
Komm morgen wieder, Sohn, und seufze deine feuchte
Selbstoffenbarung, Sohn, der Fleischeslüste Beichte.
MINNESÄNGER
So kamest du zurück vom Papst aus Avignon
Und hast gebeichtet nicht, du Venus’ Hurensohn?
TANNHÄUSER
Ich hatte doch Geduld. Es wird der Hohepriester
Mich wohl erlösen noch von meinem Seelendüster.
Ich harrte einen Tag und eine Woche noch.
Der Weiße Sonntag wars nach Ostern, da ins Joch
Der Buß ich mich ergab, um mit dem heißen Stöhnen
Mich mit dem lieben Gott barmherzig zu versöhnen!
MINNESÄNGER
Zur Ohrenbeichte warst du also bei dem Papst?
TANNHÄUSER
Sag mir, mein lieber Freund, ob du im Traum priapst!
Dann sage mir, mein Freund, muß man denn auch die feuchten
Versuchungen im Traum der Mutter Kirche beichten?
MINNESÄNGER
Wenn sie den Atem in die Knochenflöte stößt,
Wenn Venus mit dem Mund die Jubelflöte bläst?
TANNHÄUSER
Ich sagte zu dem Papst, wie Venus göttlich flötet!
Der Greis im weißen Haar, ich glaub, er ist errötet.
MINNESÄNGER
Gab seine Absolution der Papa Pontifex?
TANNHÄUSER
Er nannte Götzendienst den Kult der Göttin Sex!
Mich loszusprechen von der Heidengöttin Venus
Er habe Vollmacht nicht von Jesus Nazarenus.
Wenn Gott ein Wunder tut, der Stab des Papstes blüht,
Dann erst kann er verzeihn, dass wieder ich das Glied
An Christi Corpus sei. Der ich gesündigt habe,
Muß warten, bis ihm sprießt die Spitze an dem Stabe!
MINNESÄNGER
Bei Aphrodites und des Bacchus Sohn Priap!
Schoß auf in Blütenblust des Heilgen Vaters Stab?
TANNHÄUSER
So oft der Schwengel schwang in großen Kirchenglocken,
Der Stab des Pontifex blieb ohne Säfte trocken!
MINNESÄNGER
Vielleicht geschieht doch noch ein Wunder Gottes bald!
TANNHÄUSER
Ich aber will zurück in Venus dichten Wald,
Zum Busen der Natur, in Venus’ feuchte Grotte,
Daß ich das Leben leb von einem jungen Gotte!
MINNESÄNGER
Mein Freund, ich schließ dich ein in mein Gebet zur Nacht,
Daß Gottes Gnad für dich doch noch ein Wunder macht.
TANNHÄSUER
Wenn Jesus sich erbarmt mit herzlichem Erbarmen,
Dann lieg ich selig schon in Aphrodites Armen!
Und spricht mich Gottes Sohn von allen Sünden los,
Dann lieg ich trunken schon in Aphrodites Schoß!
(Tannhäuser wandert weiter. Der Minnesänger kniet vor dem Kruzifix am Wegrand.)

DRITTE SZENE

(Venushügel. Unter dichtem Gebüsch verborgen die feuchte Venusgrotte. Tannhäuser steht vor dem
Venushügel, in seiner Rechten den Pilgerstab, an dessen Spitze eine Muschel. Über dem Venushügel
erscheint die himmlische Venus. Sie trägt ein langes meerschaumweißes Seidenkleid und darüber
einen meerblauen Umhang. Ihre langen goldenen Locken verschleiern die Gestalt.)
TANNHÄUSER
O Göttin Venus, ich komm aus dem deutschen Reiche,
Das deutsche Reich ist heut, ach, ganz wie eine Leiche!
Der Sensenmann geht um, das knöcherne Skelett,
Er lockt Germania, die Frau, in Totenbett!
Ich war in Österreich, ich schaute auch den Kaiser,
Der schon verlor den Thron, er betet nun als Weiser.
Ich war am Zürcher See, wo Großmama Natur
Erfindungen streut aus auf lenzlich-lieber Flur,
Wo Freunde baden nackt, wo baden froh die Nackten
Und singen Oden dann in den antiken Takten.
Ja, schön ist die Natur, die Mutter, in der Schweiz!
Die Freiheit sah ich dort in ihrer Schönheit Reiz!
Ich war im Norden der französischen Bretagne,
Ich nahm auch teil am Krieg, am Krieg in der Champagne.
Champagner trank ich dort und große Mengen Sekts.
Auch sprach ich ein Gebet zur Mittagszeit, die Sext.
Ich trank auch Traubensaft vorm Dome Unsrer Dame,
Sah die Zigeunerin mit ihrem Bräutigame.
Wie schön ist doch die Stadt Lutetia-Paris,
Der Liebeslüste Stadt, der Wollust Paradies!
Die Arche sah ich dort, Titanen und Giganten,
Ich sah den Efeuturm und steinerne Trabanten,
Sah eine schöne Frau, ein schwarzes Netz ihr Strumpf,
Ich sah den Bogen auch, der feiert den Triumph,
Champs-Elyssée sah ich, die Felder von Elysen,
Wo Schatten gehen um in Gartenparadiesen.
Jardin du Luxembourg! Ich sah das Pantherweib,
Im Käftig eingesperrt, samtschwarz der Katzenleib!
Flamingos sah ich dort auf Wassers klaren Wellen
Und wunderschön und schlank die hüpfenden Gazellen.
Den Heliotrop, den Phlox sah ich im Garten blühn,
Platanen sah ich breit, die Lebenskrone grün.
Ich schaute in Paris zum Himmel in die Höh:
Ach, die Pariserin starb im Hotel de Dieu!
Ich sah Lavinia, Äneas Pius, Turnus,
Ich sah den Ehering des göttlichen Saturnus,
Die Leier und den Schwan, den Adler auch. Und oh,
Ich trank das rote Blut des Bacchus von Bordeaux!
(Die himmlische Venus strahlt übers ganze Gesicht. Sie lächelt ihr entzückendstes Lächeln und
breitet ihre Arme aus zum herzlichen Willkommen.)
VENUS
O mein Geliebter du! Ein herzliches Willkommen!
Jetzt endlich bist du doch zu mir zurückgekommen!
Dir offen steht mein Herz wie eine Rose rot,
Ich schenk dir meinen Leib wie süßes weißes Brot!
Ich habe Lust an dir, Geliebter deiner Göttin,
Ich habe Lust an dir, ich bin doch deine Gattin!
Ich habe Lust an dir, ich habe an dir Lust!
Schau! Venus offenbart dir ihre bloße Brust!
(Venus öffnet ihr weißes Kleid und zeigt Tannhäuser ihre makellose jungfräuliche Mutterbrust. Die
Brust ist ohne Muttermal und von perfekter Form und jugendlicher Festigkeit, zugleich von
mütterlicher Fülle.)
TANNHÄUSER
Die Worte fehlen mir, der Dichter muss verstummen!
Was soll die Logik mir, der Theologen Summen?
Ich kann nur singen noch der Liebe Hohes Lied!
O Venus, schöner bist du selbst als Sulamith!
Frau Schönheit bist du selbst, so wahr lebt Nazarenus,
Die Schönheit Gottes du, du Schönheitsgöttin Venus!
VENUS
Tannhäuser, jetzt empfang von deiner Lieben Frau
Den Ehrennamen, den ich dir aus Huld vertrau,
Tannhäuser heißt fortan, beim Ringe Salomonis,
Der Venus Ehemann, du heiße jetzt Adonis!
TANNHÄUSER
Ich bin es ja nicht wert, o Venus, solche Huld!
Tannhäuser bin ich nur, Poet im Minnekult.
VENUS
Nur keine falsche Scheu! Wer Venus darf erkennen,
Der darf Adonis sich mit vollem Rechte nennen.
Ich, deine Venus, nehm dich als Adonis an!
Adonis, Buhle und Geliebter, du mein Mann!
Ich deine Buhlin bin, die Keusche und Kokette,
Dir Konkubine bin im schwülen Lotterbette!

DAS MARTYRIUM DER HEILIGEN JULIA


ERSTE SZENE

(Karthago in Nordafrika im vierten Jahrhundert nach Christus. Julia in ihrem Elternhaus. Ihre
Mutter Katharina. Ihre Schwester Maria und ihr Bruder Noah.)

JULIA
Als unser lieber Vater ist gestorben –
Ich muß doch immer an den Vater denken,
Wie bei der Feier der Beerdigung
Ganz Afrika stand auf für unsern Vater
Und zu den Trommelschlägen in der Kirche
Sich Afrika erhob wie Ein Soldat,
Um das Geleit der Ehre ihm zu geben,
Wenn Papa geht in Gottes Vaterhaus.
MARIA
Jetzt schaut der Vater von dem lichten Fenster
Des Vaterhauses Gottes zu uns her
Und steht uns bei vom Himmel als ein Schutzgeist.
MUTTER KATHARINA
Ich habe meinen Ehemann verloren
Und dies ist so, als schnitte man mir ab
Von meinen beiden Brüsten eine Brust.
Seh ich jetzt auf der Straße Ehepaare,
So sticht es wie ein Schwert in meine Brust!
Ich finde Tröstung nur in Gottes Kirche,
Dort sprach ein altes Mütterchen zu mir:
O Katharina, was ist Ganzhingabe
An Jesus Christus? Ganzhingabe ist,
Daß alles du empfängst, was Gott dir gibt,
Und wenn der Herr dir etwas nehmen wird,
Daß du es Gott dann gibst mit einem Lächeln.
So sprach das alte Mütterchen, doch ich
Kann den Verlust noch nicht verschmerzen. Weh mir!
KNABE NOAH
Du hast doch mich noch, meine liebe Mama!
Ich brauche doch dein süßes Mutterherz!
MARIA
Ich fühle einen Ruf von Jesus Christus,
In die Mission zu gehn. Schwarzafrika
Hat noch so viele arme kleine Kinder,
Die schreiend weinen nach der Liebe Gottes.
JULIA
Ja, mir hat Jesus heute Nacht im Traum
Ein Wort gesagt für dich, mein Schwesterherz:
Ich, Jesus, bin ein Kind in Afrika!
MARIA
Die Kinder sind die Lieblinge des Herrn,
Und wer die Kinder schändet, kreuzigt Jesus!
Wer aber kleinen Kindern Liebe schenkt,
Schenkt Jesus Liebe, tröstet Jesu Herz!
MUTTER KATHARINA
Marie geht also nach Schwarzafrika
Und Noah bleibt an meiner Mutterbrust,
Du aber, Julia, wo willst du hin?
JULIA
Ich schaute gestern Abend im Gebet
Den jungen auferstandnen Meister Jesus,
Nicht mit den Augen meines Körpers, aber
Doch mit den Augen meines Herzens sah ich
Den jungen Jesus, der so wunderschön war,
Daß ich es nicht mit Worten sagen kann.
Sein Kleid war weiß, doch war das Weiß nicht blendend,
Es war ein süßes eingegossnes Licht.
Ich schaute seine feinen schlanken Hände,
Die waren wunderschön, fast transparent.
An seiner rechten Hand am vierten Finger
Trug Jesus einen goldnen Ehering.
Sein Angesicht war unaussprechlich schön,
Ich dachte im Gebet, der Wahnsinn kommt,
Das ist der Wahnsinn, das ist so unglaublich,
O Jesus, du bist so unglaublich schön,
Du brichst mir fast das Herz mit deiner Schönheit,
Ich müsste sterben, in den Himmel kommen,
Daß ich ertragen könnte deine Schönheit,
Um ewig deine Schönheit zu genießen!
Da sagte Jesus Christus: Julia,
O Julia, ich kenne dich beim Namen!
O Julia, ich habe einen guten
Geschmack und will des jungen Mädchens Liebe!
O Julia, sei du nur keine Närrin
Und sage nicht: In meiner Jugend will
Ich mich verschwenden an die Welt, die Lust
Genießen in der Welt, und wenn ich alt bin,
Dann gehe ich ins Kloster, werde Nonne
Und schenke Jesus mich als seine Braut.
O Julia, ich habe einen guten
Geschmack und will des jungen Mädchens Liebe,
Ich, Jesus, will das Herz des jungen Mädchens!
MUTTER KATHARINA
O süßer Jesus der Barmherzigkeit,
Dank, dass du dir erkoren Julia
Zu deiner Braut, die ohne Falten ist!
MARIA
Ich bete zu der Schwarzen Muttergottes:
O Schwarze Muttergottes, o Maria,
Erbarme dich der Kinder Afrikas!
NOAH
O Mama! Müde bin ich, Känguruh,
Ich schließe meine kleinen Äuglein zu,
O Himmels-Abba, laß die Augen dein
Nur immer über meinem Bettchen sein!

ZWEITE SZENE

(Die Jungfrau Julia und ein heidnischer Dichter.)

DICHTER
O Julia, ich preise deinen Namen,
Du bist die Göttlichste der schönen Damen,
Ob du auch glaubst an Jesus Nazarenus,
Du bist die Enkelin der Göttin Venus!
JULIA
Ach, das Geschmier der Farbenkleckserei
Auf weißer Leinwand macht doch keinen Gott.
DICHTER
Ich Dichter, inspiriert von Gottes Eros,
Besing dich wie der heilige Homeros,
Du, schöne Helena, bist meine Muse.
Schau, einst in Troja lebte Frau Kreuse,
Die Ehegattin von Äneas war,
Dem Prinzen Trojas, schön und wunderbar.
So wahr der Weingott feiert mit Silenus,
Äneas war der Sohn der Göttin Venus,
Denn Venus, Königin des Paradieses,
Ergötzte einst den frommen Mann Anchises,
Daß Venus schwanger ward, und sie gebar
Äneas, diesen Prinzen wunderbar.
Äneas aber liebte die Kreuse.
So wahr mir helfe des Homeros Muse,
Kreuse von Äneas hat empfangen
Den Julus. Und so hat es angefangen,
Das heilige Geschlecht der Julier.
O Venus in der Muschel auf dem Meer,
Du Himmelskönigin Urania,
Urmutter bist du dieser Julia!
JULIA
Wenn du von Venus sprichst, bin ich pikiert!
DICHTER
Doch meine Muse singt dich immer weiter.
Dein Name, Julia, bedeutet: heiter,
Ein heitrer Himmel, klar wie lichtes Glas,
Die Heiterkeit, das heißt Serenitas,
Kein weißes Wölkchen an dem Himmel blüht,
So klar scheint mir dein heiteres Gemüt.
Dein Name, Julia, das heißt: die Junge,
O bei dem Atem meiner kranken Lunge,
Wo ist ein Mann, der je geliebt die Tugend
So innig wie ein Mädchen in der Jugend?
Ich prophezeie in Begeisterung:
Die Himmlischen sind ewig schön und jung!
Dein Name, Julia, das heißt: die Schöne,
Und ich bekenn mit seufzendem Gestöhne:
Die Götter haben dich zumeist verschönt,
Die Schönheitsgöttin selbst hat dich gekrönt!
JULIA
Was ist an meinem Namen schon gelegen?
Mein Jesus gibt mir einen neuen Namen!
DICHTER
Auch Cäsar Julius war Sohn der Venus!
So wahr der Weingott feiert mit Silenus,
Die Schwester Cäsars, die hieß Julia
Wie du, ja, die Cäsarin Julia
War Cäsars Schwester. Venus voller Lust!
Nach Julius war Cäsar der August.
Augustus’ Tochter, die hieß Julia.
Ovid, der Dichter, einst die Schöne sah,
Der Dichter lehrte da in einem Buch,
Wie kunstvoll man begeht den Ehebruch.
Augustus aber war ein Moralist,
Dem Ehe und Familie heilig ist.
Die Tochter Julia, sie ward verbannt,
Ovid verbannt ward an den Moldaustrand.
JULIA
Hab Dank für deine chronique scandaleuse!
DICHTER
Nun gib mir Urlaub, Jungfrau Julia,
Daß ich verklär dich als Urania,
Als Königin der Schönheit, als Idee,
Die Göttlichkeit der Schönheit, die ich seh.
(Dichter ab)
JULIA
Ach Jesus, soviel Schmutz hab ich gehört!
Wie geistig unsre Umwelt wird verschmutzt!
Man nennt das zwar Kultur, man nennt das Kunst,
Sie beten aber nur den Körper an.
Die Schönheit wird gelobt als Augenlust,
Doch ob die Seele hässlich, ekelhaft
Und widerlich und voller Unrat ist,
Das scheint egal zu sein. Du aber, Jesus,
Du schaust die Schönheit in den Herzen an.
STIMME DER MUTTERGOTTES
Mein liebes Kind, du fragst, warum ich schön bin?
Schön bin ich, weil ich voller Liebe bin!
Es ist auf Erden doch kein Menschenkind,
Das nicht von Herzen gerne schön sein möchte.
Drum liebe, Tochter, wenn du schön sein willst!
Und wenn du betest und mit Jesus sprichst,
Wird deine Seele immer schöner, liebes Kind.
JULIA
Ich bin ganz dein, Maria tota pulchra!

DRITTE SZENE

(Die germanischen Vandalen haben Karthago überfallen und in Trümmer gelegt. Diese germanische
Rotte hat die Julia auf einem Schiff entführt und segelt mit ihr nach Korsika. Die germanischen
Seemänner sind betrunken und grölen.)

GERMANEN
Bei Wotan und bei Thor und allen Göttern
Der heiligen Germanen, unsre Rasse
Ist auserwählt, die Erde zu beherrschen!
O Wotan, du der Führer der Germanen,
Du machst uns zu der Erde Herrenrasse!
Wir, die Germanen, sind die Übermenschen!
Die Macht, die Weltmacht, das ist unser Wille!
Vor allem aber diese alten Juden
Mit ihrem Gott der Demut hassen wir,
Der alte Gott der Juden lehrt die Demut,
Die Sklavendemut, diese Hundedemut!
Wir aber vom Geschlecht der Arier
Sind keine Sklaven, sondern Herrenmenschen!
Bei uns ist nicht der Arme Gottes Liebling,
Nein, Wotans Liebling ist der starke Krieger!
Der Gott der Arier will Krieg und Sieg,
Der Gott der Arier will Herrenmenschen,
Die stolz sind, weil sie Übermenschen sind!
Doch zu den Juden mit den Hakennasen
Gesellen sich die Christen, sanfte Lämmer!
Was predigt Jesus seinen Christenschafen?
Glückselig sind die Armen in dem Geiste,
Glückselig die Barmherzigen voll Mitleid,
Glückselig, die da Trauertränen weinen,
Zumeist glückselig, die gekreuzigt werden!
Ach, dieser jämmerliche Schwächling Jesus,
Ein Jude, seine Mutter eine Hure,
Wir hassen diesen Schwächling an dem Kreuz,
Wir hassen diesen gottverlassnen Gott!
JULIA
O Jesus, hab Erbarmen mit den Armen,
Der alte Satan spielt mit ihren Herzen!
O Jesus, wie beleidigt man dein Herz,
Wie leidest du in deinem Herzen Schmerzen!
O du mein Gott, wie könnte ich dich trösten?
Ein Liebender, der Liebe schenken will,
Der aber Spott nur und Verachtung erntet,
O Jesus, das bist du, ein Liebender,
Der als Freiwilliger den Liebestod
Für die geliebte Menschheit starb, die Menschheit
Hat aber nichts als Hohn und Spott für dich!
O Jesus, trösten möchte ich dein Herz,
Geliebter, jedenfalls – ich liebe dich!
GERMANEN
Kommt, Männer, lasst uns saufen Götterbier,
Wir wollen einmal ganz besoffen sein!
Denkt, Männer, an die Wonnen eurer Jugend,
Als ihr besoffen durch die Welt getaumelt
Und jedes Weibchen nahmt, das willig war!
O Freiheit in der Trunkenheit der Götter!
Die Götter saufen kräftig in Walhalla!
Ha, ein Germane, der den Strohtod stirbt
Und friedlich einschläft in dem Sterbebett,
Der kommt zur Hel, zur finstern Höllengöttin!
Doch die Germanen, die im Kriege sterben,
Sie steigen auf ins himmlische Walhalla,
Mit Wotan, Thor und allen andern Göttern
Sie saufen Bier der Götter in Walhalla!
Die Schwanenmädchen, himmlische Walkyren,
Sie schenken immer wieder diesen Kriegern
Das Götterbier in ihre Hörner ein!
Ja, wahre Krieger der Germanen sind
Die Krieger, die aus Totenschädeln saufen
Und sich betrinken an dem Hirn der Feinde!
Ah! Aber diese Jungfrau Julia,
Ein Schwanenmädchen ist sie und Walkyre!
Schaut doch nur diesen Schwanenhals euch an!
Das muss man doch den Christenschafen lassen,
Daß sie entzückend schöne Weibchen haben!
JULIA
Wenn ihr betrunken seid, ihr armen Kerle,
Dann scheint euch jedes Weibchen schön.
GERMANEN
Ja, Kätzchen! Freyja, unsre Liebesgöttin,
Sie ist auch solch ein süßes Schmusekätzchen!
Ah, Kätzchen, warum streckst du deine Krallen?
JULIA
Ihr tut mir leid! Entmenschte Tiere seid ihr!
GERMANEN
Kommt, Männer, lasst die Weiber, lasst das Mädchen!
Sie sinds nicht wert, dass man sich um sie kümmert!
Dumm sind die Weiber, falscher noch als Katzen!
Kommt, zündet an das hohe Opferfeuer,
Wir schlachten unserm Gotte Thor den Bock,
Wir fressen Fleisch zur Ehre unsrer Götter,
Denn unsre Götter lieben Fleisch und Bier,
Wir fressen Fleisch und saufen Götterbier
Und taumeln trunken in Walhallas Betten!
JULIA
Ich aber wache meinem Gott zu Ehren.
GERMANEN
(lachend)
Germanen saufen wenig, saufen selten,
Doch wenn sie saufen, saufen sich auch kräftig,
Und kräftig saufen die Germanen immer!

VIERTE SZENE

(Korsika. Die Germanen feiern ein heidnisches Sommersonnenwendenfest. Sie beten die Sonne als
Gott an. Julia ist in einer dunklen Hütte eingesperrt.)

DRUIDE
Germanen, beten wir die Sonne an!
Im Sommer steht die Sonne im Zenit,
Die Sonne herrsche über alle Lande,
Sie bringt hervor das Leben auf der Erde,
Sie sendet ihre Strahlen, wohlzutun.
Wir breiten alle unsre Arme aus,
Empfangen von der Sonne Himmelskräfte.
Laßt uns die Seelen in der Sonne baden
Und fasst die Sonnenstrahlen mit der Hand.
Die Sonne ist das Vorbild unsres Lebens,
Die Jugend ist wie eine Morgenröte,
Die Reife ist der Mittag und der Sommer,
Das Alter ist wie Herbst und Abendröte,
Der Tod ist aber winterliche Nacht.
Doch nach der winterlichen Nacht des Todes
Geht wieder morgens früh die Sonne auf
Und wiederum erscheint der schöne Frühling.
Die Toten werden alle neugeboren
Und werden wieder Kinder auf der Erde.
Unsterblich ist das Leben aller Seelen,
Die Seelen haben Morgen, Mittag, Abend,
Doch nach der Nacht kommt wiederum der Morgen.
Die Sonne ist das Zeichen unsrer Hoffnung,
Im Winter sehnen wir uns nach dem Frühling,
Wenn wieder lustig scheint das Sonnenlicht.
Die Stunde aber, die den Frühling trennt
Vom Sommer, ist der Eintritt in den Himmel,
Der Himmel nämlich ist dem Sommer gleich,
Wenn alles sich ergötzt an Lust der Liebe!
Germanen, seht, die Sonne ist ein Gott,
Die Sonne ist die Göttin von Germanien.
Drum tragen wir das Zeichen auch der Sonne,
Das Sonnenrad, das Hakenkreuz Germaniens!
Doch weil die Sonne ist ein Gott am Himmel,
Drum braucht der Gott der Sonne Opfergaben.
Die Opfergabe, die die Sonne liebt,
Ist Menschenblut und Menschenfleisch am meisten!
GERMANEN
Holt Julia aus ihrer finstern Kammer,
Sie soll das Hakenkreuz Germaniens küssen!
(Die Vandalen schleppen Julia herbei.)
DRUIDE
Nun wirf der Sonne eine Kusshand zu
Und falle nieder vor dem Hakenkreuz!
JULIA
Ihr irrt euch sehr, Germanen und Vandalen!
Im Anfang war die Schöpfung noch ein Nichts,
Der Schöpferische Geist schuf aus dem Nichts
Den Urkeim aller Schöpfung, einen Kern.
Der Schöpferische Geist gab in den Kern
Urkeime aller Dinge dieser Schöpfung
Und eine Intelligenz vom Schöpfergeist,
Die je den Keimen aller Dinge sagte,
Wann, wo und wie sich alles soll entwickeln.
Zuerst entwickelte sich Urmaterie
Als Chaos, doch der Schöpferische Geist
Gestaltete das Chaosmeer zum Kosmos.
Im Kosmos waren nebelhafte Kräfte,
Die sich verdichteten zu Galaxien
Und Myriaden Sonnen. Unsre Sonne
Ist eine nur, ein Feuerball im Kosmos.
Des Schöpferischen Geistes Weisheit ist es,
Die sagt der Sonne, wie sie kreisen soll,
Die sagt der Erde, wie sie kreisen soll,
Die sagt der Luna, wie sie kreisen soll.
Und Sonne, Luna, Erde, sie gehorchen
Des Schöpferischen Geistes Weisheit pünktlich.
Der Geist kennt die Systeme aller Sonnen
Mit Namen und er ruft sie auch mit Namen
Und sie gehorchen seinem Wort und folgen
Dem göttlichen Befehl und funktionieren
Gemäß der Ordnung Schöpferischer Weisheit.
Gehorsam ist der Kosmos seinem Schöpfer.
Doch alle Sonnen, Monde und Planeten,
Sie haben keinen freien Willen, sondern
Gehorchen Gottes Weisheit, weil sie müssen.
Im sechsten Zeitabschnitt der Weltentwicklung
Entwickelte der Mensch sich, Mann und Frau.
Gott gab den Menschen einen freien Willen,
Für Gott zu leben oder gegen Gott.
Wenn jetzt ein Mensch mit seinem freien Willen
Sich frei entscheidet, Gott zu lieben, siehe,
Dann gibt das ganze Universum Antwort
Der Schöpferischen Kraft. Das Universum
Spricht mit den Lippen eines freien Menschen:
Ich liebe dich, du Schöpferische Weisheit!
DRUIDE
Geschwätz von Philosophen! Küsse jetzt
Das Sonnenrad, das Hakenkreuz Germaniens!
Wenn du dich weigerst, Julia, dann wirst
Wie Jesus du von uns gekreuzigt werden!
JULIA
Ich bete kein Geschöpf als Gottheit an!

FÜNFTE SZENE

(Hügel von Korsika. Auf einem Hügel steht ein hohes Holzkreuz, ein griechisches Kreuz in der
Form des Buchstabens T. An dem Kreuz angebunden mit den Armen am Querbalken die heilige
Julia. Sie trägt ein langes rotes Gewand, ihre langen braunen Haare fluten um ihren Leib. Ihre
großen braunen Mandelaugen sind zum Himmel gewandt. Rechts und links unter dem Kreuz stehen
hässliche Germanen in schwarzen Uniformen. Sie haben vom Hass hässlich entstellte Gesichter,
höhnisch grinsend. Scheinbar triumphieren die hässlichen germanischen Monster, aber in Wahrheit
ist deutlich, dass die gekreuzigte Julia in einer strahlenden Reinheit und Schönheit hoch erhoben ist
über diese germanischen Untermenschen und entmenschten Bestien in ihrer barbarischen
Hässlichkeit. Die heilige Julia an dem griechischen Kreuz, das steil in den Himmel ragt, scheint in
ihrer übernatürlichen Schönheit und marianischen Reinheit ein weiblicher Jesus und fordert zur
Anbetung auf.)

JULIA
Ich merke keinen Schmerz in meinem Körper,
O Jesus, ob sie mich auch quälen wollen,
Ich fühle mich so leicht wie Schwanenflaum!
Ja, hier erfüllt sich meine Heiterkeit,
Denn heiter lacht und klar in mir der Himmel.
Wie wohlig ist mir, Jesus, an dem Kreuz!
Denn du hast meine Augen aufgetan,
Ich sehe: Ich bin nicht allein am Kreuz!
Ich zwar bin hier als Jungfrau angebunden
Im roten Kleide des Martyriums,
Doch du bist angeschlagen an das Kreuz
Mit Nägeln, in der Nacktheit eines Sklaven.
So ruhe ich in deinen Heilandsarmen.
Ja, Julia und Jesus sind vereinigt
Und unser Hochzeitslager ist das Kreuz!
Wie frei und heiter fühlt sich meine Seele!
O Jesus mein, ich sehe dich und mich
In Liebe der Vereinigung am Kreuz,
Zusammen angebunden auf dem Bett
Der mystischen Vermählung auf dem Kreuz
Und sehe dich und mich, vereint am Kreuz,
Und seh das Hochzeitsbett des Kreuzes fliegen
Und triumphierend durch den Kosmos schweben!
STIMME JESU
Geliebte Julia, jetzt bist du mein!
Ich habe dich geschaffen, dich zu lieben,
Ich will dir ewig meine Liebe schenken,
Von Ewigkeit zu Ewigkeit dich lieben!
Schau nicht zur Welt herab der Gottvergessnen,
Zur Welt voll Mord und Gotteslästerung,
Erhebe deine Augen zu dem Himmel,
Ich öffne dir den Himmel, Julia!
JULIA
Ich sehe goldne Straßen weißen Lichtes
Die Bahn bereiten mir zum offnen Himmel
Und in dem heiter-klaren offnen Himmel
Ich schaue schon die Gottheit Schöner Liebe,
Ein süßes Licht, noch weißer als der Schnee,
Voll goldnen Glanzes, goldner als die Sonne,
Ja, meine Seele taucht schon in das Licht,
Ich tauche in den Ozean des Lichts,
Tauch in den Ozean der Schönen Liebe!
O Himmel aller Himmel – alles weiß,
O Himmel aller Himmel – alles bunt!
O Himmel – welches ruhevolle Schweigen,
O Himmel – welche schöne Harmonie!
STIMME JESU
Du wirst im Himmel noch viel schöner sein,
O Julia, als du auf Erden schön warst!
Denn darum bin ich Gott ein Mensch geworden,
Daß du als Mensch zur Göttin werden kannst!
Du wirst versunken sein in Gottes Liebe,
Die Liebe Gottes wird dich ganz erfüllen!
Als Gottes Kind wirst du zutiefst geliebt sein,
Als Gottes Braut wirst du vollkommen lieben!
Die Gottheit gibt dir einen neuen Körper,
Der Körper wird aus Geist und Lichtglanz sein,
Der Körper wird durchgeistigt sein von Seele
Und wird so leuchten wie die lichte Sonne
Und wird beweglich sein wie schnelle Blitze
Und wird so leicht und heiter sein wie Flaum!
JULIA
O Jesus, heute in dem Paradies
Denk du an deine Jungfrau Julia!
STIMME JESU
Ja, Amen! Julia, noch heute
Wirst du bei Jesus sein im Paradiese!
Komm in das Paradies, den Lustort Gottes!
GERMANE
Jetzt stirbt und fahre zu der finstern Hel!
(Er stößt mit einem Schwert in Julias Herz.)
JULIA
O Jesus, Jesus, Jesus!
(Sie stirbt. Über ihrem toten Körper steigt eine schneeweiße Turteltaube auf und fliegt in den
heiteren Himmel.)

AKBAR DER GROSZE ODER DIE


WELTEINHEITSRELIGION
ERSTE SZENE

(Der Mogulherrscher Akbar und sein Freund Abul-Fazl, des Königs Hofhistoriker.)

AKBAR
Du schreibe die Geschichte meines Lebens!
HOFHISTORIKER
Wie wurdest du geboren, Übergroßer?
AKBAR
Mein Vater Humayun war in Verbannung
Und lebte in der Schmach der bittern Armut,
Da nicht in Indien gebar die Mutter.
Sie gab den Namen des Propheten mir,
Mohammed – Friede sei mit dem Propheten!
HOFHISTORIKER
Warum wirst du Mohammed nicht genannt?
AKBAR
Die Inder nennen mich den Über-Großen,
Weil König Akbar ist ein Übermensch!
HOFHISTORIKER
Wer aber sind des Übermenschen Ahnen?
AKBAR
Die Ahnen auch sind selber Übermenschen.
Da ist der Löwe Babar, der Mogul,
Da ist der Herrscher Timur, hochgepriesen
Von allen orientalischen Poeten,
Da ist vor allem Dschingis Khan mein Ahne.
HOFHISTORIKER
Wie in der Schule wurdest du gebildet?
AKBAR
Ich hatte viele hochgelehrte Lehrer,
Ich selber aber ging nicht gern zur Schule,
Ich wies die Lehrer ab und wehrte mich
Und wollt nicht lesen lernen oder schreiben.
Ich liebte mehr den Sport, den wilden Sport,
Ich ritt die schnellsten Hengste, spielte Polo,
Zu reiten hinter einen kleinen Ball her
War mehr Vergnügen mir als Bücherlesen,
Ich war ein Meister in dem Polo-Spiel,
Auch gern auf Löwenjagd und Tigerjagd
Bin ich gegangen, liebte die Gefahr.
HOFHISTORIKER
Wie männlich warst du in der wilden Jugend?
AKBAR
Ich war ein echter Türke und empfand
Nicht den geringsten Ekel vor dem Blut
Von Menschen, das verzagte Weiber fürchten.
Ich zählte eben vierzehn Jahre, als
Ich mir erwarb den Ehrentitel Ghazi,
Ein Mörder der ungläubigen Giauren,
Das ist ein Ghazi, ich war dieser Mörder,
In Allahs Namen mordend Glaubenslose,
Mit Einem Streiche meines Türkensäbels
Schlug ich dem Glaubenslosen seinen Kopf ab!
HOFHISTORIKER
O Stern des Humanismus, Licht der Weisheit
Und weiser Meister menschlicher Vernunft!
Wer in der Jugend niemals töricht war,
Der wird dann töricht werden in dem Alter.
AKBAR
Als ich dann achtzehn Jahre zählte und
Der Staatsgeschäfte Führung übernahm,
Erstreckte meine Herrschaft sich im Osten
Bis nach Benares. Meines Vaters Vater
Bin ich gefolgt und weitete die Herrschaft
Durch schonungslose Kriege aus und wurde
Der Großmogul des ganzen Hindustan.
HOFHISTORIKER
Doch bist du nicht berühmt als Militär,
Nein, als vernünftiger ziviler Herrscher.
AKBAR
Ja, nach den schonungslosen Kriegen kehrte
Ich heim in meine Residenz und schuf
Die Staatsverwaltung, denn ich träumte von
Dem idealen Staat des großen Weisen.
HOFHISTORIKER
Wie schaut des Weisen idealer Staat aus?
AKBAR
Der Herrscher herrscht alleine absolut,
Die Fürsten der Provinzen werden alle
Vom absoluten Herrscher eingesetzt.
Vier Helfer hat der absolute Herrscher:
Den Präsidenten der Minister (den Vakir)
Und den Minister der Finanzen (den
Wesir, der aber Diwan auch genannt wird),
Hofmeister ist der Bachschi, und zuletzt,
Wenn nicht zuerst, der Primas des Islam,
Das Haupt der Religion der Islamisten.
HOFHISTORIKER
Ich werde alles in die Chronik schreiben.
AKBAR
Mach mich zum Muster eines weisen Herrschers!

ZWEITE SZENE

(Gerichtssaal. Kaiser Akbar als der Oberste Richter gewährt verschiedenen Prozessgegnern
Audienz.)

AKBAR
Ich bin allein der absolute Kaiser,
Ich gebe die Gesetze und ich richte,
Ich führe die Gesetze aus im Staat.
Ich bin der Höchste Richter in dem Staat.
Jetzt aber an dem heiligen Gerichtshof
Gewähr ich Audienz den Gegnern allen
In den Prozessen der Justitia.
ERSTER PROZESSGEGNER
O Richter, unsre Kinder sind noch klein,
Sie wissen nicht, wen sie sich wählen sollen
Zur Ehe. Leidenschaften treiben sie
Und irdische Begierden. Aber wir
Als Eltern wissen um den rechten Partner
Und wollen unsre Kinder schon vermählen.
AKBAR
Ich aber nun verbiete Kinder-Ehen!
Die Söhne und die Töchter sollen selbst
Den einen treuen Ehepartner wählen
Und hören auf die Stimme des Gewissens
Und Gott im Inneren der Busen. Ihr
Als Eltern sollt die Kinder so erziehen,
Daß sie die Reinheit lieben, Selbstbeherrschung,
Daß sie die Leidenschaften zügeln und
Begierden zähmen und das Schöne lieben,
Die Wahrheit und die Güte in dem Leben.
Erzieht zu Geistern sie und nicht zu Tieren,
Dann werden sie auch selber weise wählen.
ZWEITER PROZESSGEGNER
O Richter, voller Liebe unsre Witwen
Zu ihren einzigtreuen Ehemännern,
Sie sind doch Indiens Ruhm, die treuen Witwen,
Die nach dem Tode ihres Ehemannes
Nicht wieder einen neuen Mann sich wählen,
Vielmehr mit ihrem Manne sich verbrennen
Und in dem Totenreiche sich vermählen.
AKBAR
Ich aber nun verbiete die Verbrennung
Der Witwen und erlaube eine neue
Vermählung hinterbliebner Witwen. Aber
Ich meine doch, es wär der Witwe besser,
Wenn sie sich kann enthalten der Begierde,
Das Leben nach dem Tode ihres Mannes
Zu widmen einsam-fromm dem Gottesdienst.
Das sage ich als Rat, nicht als Gebot.
DRITTER PROZESSGEGNER
O Richter, schächten wollen wir die Tiere
Und Allah Blut von Opfertieren weihen.
AKBAR
Das aber ist die Ehre Indiens, dass
Die Tiere leben dürfen. Ich verbiete
Den Mord der Opfertiere für die Götter
Und gebe zu bedenken, dass die Gottheit
Nicht dürstend ist nach Blut von Böcken oder
Dem Fleisch von Lämmern. Wollt ihr opfern Gott,
So opfert Gott des Herzens Dankbarkeit.
VIERTER PROZESSGEGNER
O Richter, der Islam ist Gottes Wahrheit
Und Lügner sind die Heiden, Juden, Christen!
So soll in der islamischen Gesellschaft
Der Hindu höhere Steuern zahlen und
Die Juden und die Christen sollen nicht
Erzogen werden in den hohen Schulen,
Das hieße Gotteslästerer zu fördern.
Ja, die Elite in dem Staate soll
Gebildet werden von den Islamisten.
AKBAR
Ich aber nun verbiet die Unterscheidung
Der Menschen nach der Rasse und dem Glauben.
Der Moslem zahlt genauso wie der Hindu
Die Steuer an den Staat. Die Juden sollen
Die Bildung fördern und die Jesuiten.
In meinem Kaiserreich ist Menschenrecht,
Ein allgemeines Menschenrecht, die Bildung.
FÜNFTER PROZESSGEGNER
O Richter, Gott ist Einer und Mohammed
Ist Sein Prophet. Die Heiden, Juden, Christen,
Verehren andre Götter neben Gott,
Verehren neben Gott auch noch den Moses,
Verehren neben Gott auch den Messias
Und des Messias Mutter Miriam.
Man sollte diesen Gottesdienst verbieten,
Denn dieser Gottesdienst ist Götzendienst.
AKBAR
Ich aber nun als allerhöchster Richter
Gebiete allen meinen Landeskindern,
Zu suchen ernsthaft nach der Höchsten Wahrheit.
Das ist die Pflicht, die alle Menschen haben,
Zu suchen nach der Wahrheit. Doch in Freiheit
Soll jeder seinen Glauben selber wählen,
Und jeder Fromme soll die Freiheit haben,
In den Moscheen, in den Synagogen,
In Tempeln der verschiednen Götter und
In Kirchen ihrem eignen Gott zu dienen.

DRITTE SZENE

(Zwei Frauen palavern über den großen Akbar.)

ERSTE FRAU
Der Herrscher hat die meisten Tugenden:
Er ist voll Frömmigkeit und voller Hoffnung
Auf die Unsterblichkeit und voller Liebe
Zur Höchsten Wesenheit und allen Menschen,
Voll Klugheit ist die Weite seines Geistes,
Voll Starkmut ist die Fülle seines Herzens,
Sein Lustverlangen ist voll Mäßigung,
So ist der Mann gebildet als Gerechter.
Dazu ist er der allerschönste Mann
Und keiner reitet so wie er das Ross!
ZWEITE FRAU
O Freundin, du bist blind! In Wirklichkeit
Hat er ja lange Arme, krumme Beine,
Schlitzaugen, wie sie die Mongolen haben,
Nicht ebenmäßig ist sein Kopf gebildet,
Sein Angesicht ist etwas schief geformt
Und er hat eine Warze auf der Nase.
ERSTE FRAU
Ich aber liebe seine Sauberkeit,
Die Sauberkeit des Geistes und des Herzens,
Ich liebe seine Würde, seine Ehre,
Er ist von würdevollem Seelenadel,
Beruhigend ist auch die Gelassenheit,
Mit der er schaut auf dieser Erde Treiben.
Vor allem aber seiner Augen Strahlen
Ist schön, die Liebesglut in seinen Blicken,
Die Augen dieses Mannes sind so leuchtend,
So strahlt ein Ozean im Sonnenschein.
Doch jäh auch können seine Augen blitzen
Und Blitze schleudern heiß wie Höllenflammen,
Gottlose Übeltäter zu erschrecken!
Die Kleider immer einfach, eine Hose
Von Leinen, eine feine Leinenbluse,
Barfüßig geht er wie ein strenger Büßer.
In seiner Jugend aß er wenig Fleisch,
In seinem reifen Alter gar kein Fleisch mehr,
Denn er macht seinen Magen nicht zum Friedhof
Von armen hingewürgten Tierkadavern.
Und trotzdem ist sein Körper voller Stärke
Und Lebensenergie, und ausgezeichnet
Ist er im Ballspiel und des Reitens Meister.
ZWEITE FRAU
Er ist so impulsiv wie seine Ahnen,
Gewaltsam wie der Vater seines Vaters
Und gierig wie sein Vater nach der Welt.
In seiner Jugend war er ohne Scham,
Probleme zu erledigen durch Mord,
Fanatisch war er, ohne Toleranz,
Ein Fundamentalist der Islamisten.
ERSTE FRAU
Er lernte es, auf dem Vulkan zu sitzen,
Auf dem Vulkan der heißen Leidenschaften!
Er überragt die Zeitgenossenschaft
In der Gerechtigkeit des eignen Handelns
In aller milden Menschenfreundlichkeit.
Des Orientes absolute Herrscher
Sind sonst Tyrannen und Despoten, die
Die Landeskinder nur wie Sklaven halten,
Doch er regiert mehr wie ein weiser Vater
In ernster Autorität mit milder Liebe,
Und seine Großmut und Freigiebigkeit
Wird hochgelobt von allen Menschenkindern.
Er gibt ja allzeit große Summen aus
Für die geliebten Menschen und vor allem
Für die zumeist geliebten Armen, Kleinen.
Die kleinen und bescheidnen Gaben und
Geschenke armer Menschen freuen ihn
Vielmehr als alle die verschwenderischen
Geschenke reicher Leute. Von den Armen
Empfängt er die bescheidnen Gaben dankbar
Und nimmt die Gaben freundlich in die Hände,
Als sei der weiße Kieselstein des Kindes
Mehr wert als all das Gold der reichen Väter.
ZWEITE FRAU
Ich aber sehe einen andern Mann,
Ich sehe einen, der vom Wahnsinn ist
Besessen, der oft stürzt in tiefe Ohnmacht
Und jammernd liegt am Boden, fast gestorben,
Der Halluzinationen hat und hält sie
Für himmlische Visionen, welcher lallend
Dann Laute spricht, die keine Menschensprache,
Der dann die Geister und Dämonen schaut,
Mit Toten spricht wie mit den Lebenden
Und wie ein Schatten auf der Erde schleicht.
Dann seh ich ihn in solcher Jammernot,
Daß er das ganze Elend seines Daseins
Ersäuft in einem Übermaß von Wein
Und süchtig ist nach Rausch und Trunkenheit
Und länger nicht ertragen kann sein Elend,
Wenn er sich nicht mit Opium betäubt.
ERSTE FRAU
Wo große Weisheit ist, ist großes Weh.

VIERTE SZENE

(Akbar und die Rajputen-Prinzessin)

AKBAR
Nun bist du meine Ehefrau geworden.
PRINZESSIN
Wie viele Ehefrauen hast du denn?
AKBAR
Achthundert Ehefrauen habe ich.
PRINZESSIN
So muß ich mich entschließen, die achthundert
Und erste Ehefrau im Haus zu sein.
AKBAR
Doch halt mich nicht für einen wilden Wüstling.
Die Frauen nahm ich nur aus Politik,
Die väterlichen Fürsten zu verbinden
Mit meinem Kaiserreiche durch die Heirat.
PRINZESSIN
Aus welchem Volke sind die schönsten Frauen?
AKBAR
Die Perserinnen sind ja weltberühmt
Für ihre Schönheit, auch Tscherkessinnen
Sind vielgepriesen wegen ihrer Schönheit,
Die Türkinnen vom Bosporus sind schön
Mit ihren großen schwarzen Huri-Augen,
Die Inderinnen aber sind besonders
Betörend schön, der dunkelbraune Teint,
Die Hindu-Augen einer Mutterkuh,
So schön sind diese schönen Inderinnen,
Daß Künstler gerne meißeln sie aus Stein
Und schaffen so die nackte Liebesgöttin.
PRINZESSIN
So viele Frauen nun in deinem Harem,
Aus vielen Völkern wunderschöne Frauen,
Da ist doch sicher religiöse Vielfalt.
Die Frauen sind besonders religiös,
Das Religiöse wird getragen immer
Von religiösen Frauen. Welche Götter
Beschützen deine Frauen in dem Harem?
AKBAR
Ich habe eine Frau in meinem Harem,
Die anhängt der Jaina-Religion.
Sehr viele Frauen beten zu dem Buddha
Und manche auch zur Mitleidsgöttin Kwanyin.
Die reizenden Musliminnen wie Huris
Anbeten Allah überm Paradies.
Die Inderinnen dienen ihren Göttern,
Sie beten Vischnu an und Krischna auch,
Sie beten Shiva an und auch Parvati
Und manche beten auch zur Maha-Devi!
PRINZESSIN
Und welche Gottheit flehst du selber an?
AKBAR
Die Eine unaussprechlich große Gottheit!
Die Menschen geben ihr verschiedne Namen.
Doch meinen Frauen bau ich Göttertempel,
Den Tempel für die Mitleidsgöttin Kwanyin
Hab ich erbaut vor zwanzig langen Jahren.
Zehn Jahre ist es her, da baute ich
Das Haus für Shiva und Parvati in
Der Mystik tantrischer Kopulation.
PRINZESSIN
Baust du mir auch ein Haus für meine Göttin?
AKBAR
Wen rufst du unter allen Göttern an?
PRINZESSIN
Ich bete an die Muttergöttin Devi!
AKBAR
Die Muttergöttin mit den großen Brüsten
Und mit dem breiten Becher ihres Beckens?
Ich bau ein Heiligtum für Maha-Devi!
PRINZESSIN
An Unsre Liebe Große Muttergöttin
Vertrauensvoll sich schmiegen alle Tiere.
AKBAR
In Agra und in Fathpur-Sikri habe
Ich über tausend weiße Elefanten,
Gezähmt hab ich die weißen Elefanten,
Sie lassen führen sich von einer Hanfschnur.
So ist der Mann, der seine Leidenschaften
Und irdischen Begierden zähmt und zügelt.
Er wird gelenkt vom Hauche der Vernunft.
Ich habe dreißig Pferde, edle Renner,
Die Stuten sind so schön wie du, Prinzessin.
Wie schön den Stuten ihre Flanken beben
Und wie sie werfen ihre schlanken Jamben!
Wie schnaubt und schäumt das Hengstmaul auch des Hengstes,
Wie wiehert laut der Hengst in seiner Brunst,
Wie steht sein Hengstglied, schäumt des Hengstes Samen!
So sind die Menschen, die die Leidenschaften
Nicht zügeln, Männer, die nach Weibern wiehern,
Die wiehern nach den Weibern andrer Männer!
Ich hab auch vierzehnhundert zahme Hirsche,
Die Hirsche, die nach Wasserquellen röhren.
So röhrt ein Fremdling auch im fremden Lande
Nach fernen Wasserstellen seiner Heimat.
PRINZESSIN
O, bei den zahmen Hindinnen und Hirschen,
Ihr schönen Frauen in dem Harem Akbars,
Weckt mich nicht auf, bis ich von selbst erwache,
Stört nicht mein Liebesspiel mit meinem Herrn!

FÜNFTE SZENE

(Akbar in seiner Bibliothek. Ein Jesuit.)

AKBAR
Du bringst mir neue Bücher, Jesuit?
JESUIT
Ja, in Europa ist die Kunst erfunden,
Mit Lettern, die aus Blei sind und beweglich,
Zu drucken Bücher. Diese schwarze Kunst
Verbreitet in Europa jetzt die Bildung.
AKBAR
Ach, der moderne Fortschritt in der Technik
Bleibt mir doch zweifelhaft. In alter Zeit,
Da schrieb man Bücher mühsam mit der Hand ab
Und illustrierte diese Bücher kunstvoll.
Da überlegte sich der Mönch und Schreiber,
Was für ein Buch er wählte, abzuschreiben,
Ob auch der Inhalt sich der Mühe lohne.
Jetzt aber gibt es Massenware, jetzt
Sind Bücher billig, jedermann kann alles
Besitzen, und geschrieben wird so viel,
Ein jeder Narr schreibt jetzt ein Ritterepos
Und lässt es drucken, diese Massenware
Nun überschwemmt den Büchermarkt, das Volk
Verwechselt Mäusedreck mit Koriandern
Und so verblödet immer mehr die Masse.
JESUIT
Die schönsten Buchdruck-Bücher schenk ich dir,
Hier schenke ich dir die Vulgata-Bibel
Und hier die Schriften unsres Philosophen,
Des großen Meisters Aristoteles.
AKBAR
Ich neige auch zum Metaphysischen.
Zwei Quellen habe ich, aus denen ich
Das Metaphysische studieren kann:
Die Philosophen des Islam, die lehren,
Daß die Vernunft steht über dem Koran,
Daß menschliche Vernunft der Philosophen
Erkennt die Wahrheit in Vollkommenheit,
Wobei die Verse des Koran dem Volk
Die Wahrheit einfach in Verhüllung sagen,
In Mythen und in Märchen eingehüllt,
Wo aber Widersprüche zwischen dem
Koran und der Vernunft erkennbar sind,
Entscheide die Vernunft der Philosophen,
Die Philosophen lehren einen Gott,
Der Ursprung ist des Kosmos und des Menschen,
Sie lehren die Unsterblichkeit des Geistes,
Des unpersönlichen, des Geistes Gottes,
Der in den Menschenseelen wirkt, verleugnen
Doch aber die Unsterblichkeit der Seele
Und lächeln über der Muslime Träume
Von Huris, die mit großen schwarzen Augen
Im Paradiese die Gerechten lieben,
Die in dem grünen Paradiesesgarten
Von schönen Knaben sich beschenken lassen
Und trinken Wein, der keinen Kopfschmerz macht,
Und essen ihr Geflügelfleisch im Himmel.
Auch lern ich metaphysische Gedanken
Vom Upanishad, da meditiert die Seele
Und konzentriert sich auf das Wahre Selbst
Und findet so das Transzendente Ego,
Das Transzendente Ego, das bin ich,
Das bist auch du, das ist die ganze Welt,
Das ist der Atem Gottes, ist die Gottheit,
Das Transzendente Ich ist Eins und Alles,
Wer dieses Transzendente Ich gefunden
Und hat erkannt sein Einssein mit dem Geist,
Der ist erlöst von dem Geborenwerden,
Erlöst von seiner Individuation
Und löst sich auf im absoluten Nichts
So wie ein Tropfen in dem Ozean.
JESUIT
Ein Dichter Roms schrieb einmal ein Gedicht,
Der Landmann wäre lieber doch ein Seemann,
Der Seemann aber wäre lieber Landmann.
Die Philosophen träumen stets davon,
Daß einmal selber sie der Kaiser wären
Und schüfen einen idealen Staat
Und schüfen ein utopisches Atlantis.
Die Kaiser aber träumen selbst davon,
Sie wären selber Philosophen
Und sprächen nur mit dem Daimonium.
AKBAR
Als Kaiser muß ich immer aktiv handeln
Und herrschen über alle Landesfürsten
Und väterlich um alle Landeskinder
Mich kümmern, dass sie Brot und Wasser haben.
In meiner Seele aber lebt ein Traum,
In Einsamkeit allein zu kontemplieren,
Ja, hoch in einer Bergeinsiedelei
Bei etwas Reis und Salz und klarem Wasser
Zu leben selig still als Gottes Nachbar
Und schon auf Erden wie im Himmelreich
Den absoluten Gott zu kontemplieren.
JESUIT
Betrachtest du im Geist die Weisheit Gottes,
Dann bringe du die Flamme der Erkenntnis
Herab zur Welt betörter Kindermenschen!
AKBAR
Und wäre doch so gern allein mit Gott.

SECHSTE SZENE

(Akbar, ein Hofpoet, ein Hofarchitekt.)

AKBAR
O Kunst der Poesie, ich liebe dich,
Ich lieb euch, Musenpriester, Musensöhne!
Ich zahl euch jährlich eine große Rente,
Ein Dichter soll in einem Monde haben
Sechshundertsechsundsechzig Taler Gold.
DICHTER
Wir leben jetzt in einer großen Zeit,
Da ist es Freude, ein Poet zu sein.
Wer große Männer preisen will und Herrscher,
Der hat in dir ein Herrscher-Musterbild.
Wer religiös die Götter preisen will,
Der schaut hier Tempel aller Religionen,
Wo Vischnu Mensch geworden ist in Krischna,
In Hare Rama und in Jesus Christus,
Und Buddha ist der große Sohn des Brahma,
Und wo die Muttergöttinnen verehrt
Und angebetet werden, Maha-Devi,
Maria, Guan Yin und Sarasvati.
Wer aber schöne Frauen singen will,
Der schaue sich nur um in deinem Harem.
Ob er nun liebt die langen schwarzen Haare
Der schönen Huris aus dem Garten Eden,
Das Goldblond der Tscherkesserinnen liebt,
Ob er mehr Liebe fühlt für die Brünetten,
Bei reifen Frauen die Erfahrung sucht,
Bei jungen Mädchen Schönheit, Anmut, Liebreiz,
Ist alles da in deinem Frauenhaus.
Will einer dichten Verse der Didaktik
Und will sich messen mit der großen Gita,
Der Philosophen Weisheitslehren reimen,
Studiere er die Veden-Theosophen,
Den Taoismus und Konfuzius,
Roms und Arabiens Aristoteles,
Eklektisch raube er von allen Weisen
Und mische Yoga, Logik, Alchemie,
Die Mystiker und Theosophen alle,
Und schütte alles in den Suppentopf,
Kartoffeln, Wurzeln, Blumenkohl und Bohnen
Und Soyakäse, rühre kräftig um,
Die Suppe kocht der Weisheit dieser Welt.
Den Indern wird es schmecken. Einzig nur
Der Katholik vermisst darin das Fleisch.
Frau Weisheit aber, diese Suppenköchin,
Liebt die Gewürze aller Religionen,
Nur nicht das Salz des Christentums von Rom.
AKBAR
Ich liebe deine bissige Satire
Auf diese arroganten Jesuiten!
DICHTER
In deinem Auftrag, großer Musenkaiser,
Ich übersetze grad das Mahabaratha
Ins Persische, grad bin ich bei der Gita.
Dann übersetz ich auch das Heldenepos
Vom Helden Ram und seiner lieben Sita
Und schreibe noch als persischer Poet
Vom Affen Hannemann und seinem Schwanz.
AKBAR
Der Jesuit preist immer den Vergil,
Erzählte mir von Troja und Odysseus.
Was sind die Dichter denn des Abendlandes
Verglichen mit des Morgenlandes Dichtern?
Was in dem Abendland als Epos gilt,
Das gilt in Indien erst als erster Cantus
Des großen Heldenlieds von hundertzwanzig
Gesängen. Indiens Muse ist sehr fruchtbar!
DICHTER
Wir alle klagen aber über Birbal.
AKBAR
Ja, Birbal wirklich war mein Lieblingsdichter!
Sechshundertsechsundsechzig Taler Gold
Gab ich ihm monatlich als seine Rente.
Wenn er jedoch zuviel verschwendet hatte
Für Rauschgift, Wein und leichte Freudenmädchen,
Hab ich ihn wie ein Vater unterstützt.
Ich gab ihm eine Wohnung groß genug,
Ich schenkte ihm ein Übermaß an Muße,
Gewährte allezeit ihm freien Zutritt
Zu meinem Harem schönster Konkubinen.
Ja, ich ernannte ihn zum General
Und machte ihn zu einem stolzen Krieger,
Er aber fiel im Krieg von Feindeshand.
Verwaist ist jetzt der Thron des wahren Dichters.
DICHTER
Ich höre allezeit die Moslems schimpfen,
Der Dichter Birbal sei ein wüster Heide
Und sei als Krieger feig im Krieg gewesen
Und wär aus Todesfurcht davongelaufen
In seiner Heidenangst vorm Heldentod
Und darum habe Allah ihn verdammt,
Daß er im tiefsten Höllenkerkerloch
Alltäglich wird gefressen von den Ratten!
ARCHITEKT
Ich bau ein Mausoleum für den Dichter,
Es wird das schönste Bauwerk dieser Welt.
Ich werde meißeln in die Eingangspforte:
Wer reinen Herzens ist, kommt in den Himmel,
Der wird die Huri schaun im Garten Eden!

SIEBENTE SZENE

(Akbar im Kreis von Religionsphilosophen verschiedener religiöser Bekenntnisse.)

AKBAR
Ich wäre doch zu gerne Philosoph,
Ich liebe es, die ganze Nacht zu grübeln.
Jedoch, je mehr ich alles das studiere,
Verwirrt es mich doch mehr und mehr, wie viele
Verschiedne Meinungen es gibt auf Erden.
Da sind so viele Philosophen, Weise,
Sind Mystiker und Theosophen, Mönche,
Propheten, Eremiten, Schriftgelehrte,
Ein jeder sieht doch anders Gott und Welt.
Und Gott? Was ist das Wesen nun der Gottheit?
Die einen glauben nun an viele Götter,
Die andern sagen, dass die vielen Götter
Aspekte nur des einen Gottes seien,
Die andern sagen, dass es keinen Gott gibt,
Das Höchste sei die absolute Leere,
Und andre sagen, dass da ist ein Gott,
Der keine andern Götter bei sich duldet,
Und andre sagen, dass der eine Gott
In drei Personen existieren kann.
Dies alles, sag ich euch, verwirrt mich sehr.
Doch kann ich es mir anders nicht erklären,
Als dass das alles eins ist und dasselbe.
BUDDHIST
Der weise Meister Buddha sagte einst,
Ein Elefant ward untersucht von Blinden.
Der eine untersuchte nun das Bein
Und sprach: Ein Elefant gleicht einer Säule.
Der andre untersuchte nun den Rüssel
Und sprach: Ein Elefant gleicht einer Schlange.
Der dritte untersuchte nun das Ohr
Und sprach: Ein Elefant gleicht einem Lappen.
So ist auch die Erkenntnis aller Lehrer
Nur Stückwerk. Gott bleibt ewig unerkennbar.
HINDUIST
Der Brite sagt zum Wasser water, der
Lateiner sagt zum Wasser aqua, aber
Es ist doch stets das gleiche Element.
So nennt der Moslem seinen Gott Allah,
Der Hindu sagt: Allah ist Hare Rama.
AKBAR
Ihr allesamt beruft euch doch auf Schriften,
Die Offenbarungen enthalten sollen.
HINDUIST
Wir haben unsern Veda, das heißt Wissen,
Rig-Veda-Hymnen preisen Gott und Götter.
Der Upanishad enthält der Weisen Summen,
Die Lehren aller Theosophen-Meister.
Die Bhagavad-Gita ist die Offenbarung,
Da Krischna Yoga lehrt und Gottesliebe.
MOSLEM
Gott selbst diktierte Mahom den Koran,
Mohammed ist nur Gottes Sekretär.
Gott spricht in seinem heiligen Koran
Und offenbart sich als der Weltenschöpfer
Und Weltenrichter, als der Eine Gott,
Der keine andern Götter bei sich duldet
Und der auch nie gezeugt hat einen Sohn.
JUDE
Gott offenbarte sich am Sinai
Und reichte Moses die Gesetzestafeln.
Das ganze heilige Gesetz, die Tora,
Steht aufgeschrieben in den Moses-Büchern.
Das ungeschriebene Gesetz, die Tora,
Die mündlich überliefert wurde, steht
In dem Talmud und in der Kabbala.
CHRIST
Gott offenbarte sich in seinem Sohn,
Gott ist in seinem Sohn ein Mensch geworden,
Der Gottessohn und Menschensohn zugleich,
Der offenbarte uns das Wesen Gottes
Als Gott, der Vater, Sohn und Heilige Geist.
AKBAR
Wie kann ein Gott denn drei Personen sein?
CHRIST
Wie Aristoteles, der Philosoph,
Gelehrt, ist Gott die göttliche Vernunft,
Ist Gott der reine Geist, der sich erkennt.
Und Plotin sagt, die höchste Gottheit ist
Der Denker, das Gedachte und das Denken.
AKBAR
Mein Hinduist, was meinst denn du dazu:
Der Denker, das Gedachte und das Denken?
HINDUIST
So höchst subtile Dinge kenn ich nicht,
Ich weiß nur Eines: Gott ist meine Mutter!
AKBAR
Auch alle eure Offenbarungen
Erklären mir das Wesen Gottes nicht.
Denn jede Gottheit offenbart sich anders.
Darum beschließe ich, dass die Vernunft,
Die menschliche Vernunft entscheiden soll,
Die menschliche Vernunft steht überm Glauben.
ACHTE SZENE

(Akbar und ein Jesuit.)

AKBAR
Mein lieber Portugiese, ich verehre
Die hohen Götter aller Religionen.
Erzogen wurde ich zwar im Islam
Und ehre den Islam wie meine Oma,
Doch als ich las im Epos Mahabaratha
Und in dem Weisheitsepos Bhagavadgita
Und als ich las die Mystiker-Poeten
Der Hindu und die Hohenlieder Krishnas
Und seiner Brautgenossin Radha, da
Begann ich, an die Seelenwanderung
Zu glauben. Das empörte sehr die Moslems.
Ein alter Jude aber sagte mir,
Die Mystiker der Juden, Kabbalisten,
Auch glaubten an die Seelenwanderung
Wie auch Pythagoras, der Philosoph.
Doch auch bei den Propheten Zarathustra
Fand ich die Lehre von dem guten Gott
Und von der Heiligkeit des Sonnenfeuers,
Drum trage ich als Jünger Zarathustras
Das Büßerhemd, den Gürtel Zarathustras.
Auch die Jaina-Religion erscheint
Mir Lebensfreundlichkeit zu sein und Liebe.
In meiner Jugend liebte ich die Jagd
Und jagte wilde Löwen, wilde Tiger.
Doch für die Jünger des Jaina-Glaubens
Beschloss ich, alles Jagen zu verbieten,
Ja, an bestimmten Tagen auch das Schlachten
Von Opfertieren für der Götter Hunger,
Das konnten auch die Moslems nicht ertragen.
Ich aber habe für den Staat beschlossen,
Daß alle Religionen ihre Kulte
Frei praktizieren dürfen. Toleranz
In meinem Staat ist das Gesetz des Kaisers.
Der Kaiser ist das tolerante Vorbild,
Drum nahm ich Weiber auch verschiednen Glaubens.
Die Weiber, die an Buddha glauben, die
Verehren Guan Yin als Mitleidsgöttin,
Die Fraun, die den Barhmanenglauben haben,
Die glauben an die Göttin Maha-Devi,
Die Weiber, die erzogen im Islam,
Vertrauen auf die Hand der Fatima.
Jetzt fehlen nur noch Katholikinnen
In meinem Harem, die Maria lieben.
JESUIT
Was denkst du über unsern Glauben, Kaiser?
AKBAR
Ich weiß es nicht. Ich hörte schon als Moslem
Von Jesus, dem Messias und Propheten,
Der weder Gott sei noch ein Sohn Allahs.
Die Moslems sagen zwar, die Tora Moses
Und Jesu Evangelium sei Botschaft
Vom einen Gott Allah, allein die Juden
Und Christen fälschten diese Offenbarung.
Ich glaube an die menschliche Vernunft
Und will die Sache selber untersuchen.
Drum bitte ich die Jesuiten innig,
Das Evangelium zu übersetzen
Und Indien, Persien und der Mongolei
In ihrer Muttersprache zu verkünden
Das Evangelium von Jesus Christus.
JESUIT
Das soll geschehen. Darf die Kirche auch
Frei ihre Botschaft von der Liebe Gottes
In Jesus Christus allen Menschen künden
Und predigen und missionieren frei,
Wie frei sind die Buddhisten und Brahmanen
Und frei die Moslems sind in deinem Reich?
AKBAR
Ja, jeder Fromme jeder Religion
Darf frei das eigne Gottesbild verkünden,
Die Jesuiten auch und ihre Kirche.
JESUIT
Darf auch das Evangelium verkünden
Die Kirche Christi hier an deinem Hof?
AKBAR
Dir, Jesuit, vertraue ich sogar
Zur Bildung meinen Erstgebornen an.
Erziehe ihn im Glauben deiner Kirche,
Sprich von der Liebe Gottes, von Maria!
Doch bitte ich dich eines, Jesuit,
Erschrecke meinen kleinen Knaben nicht
Mit finsteren Geschichten von dem Teufel
Und mit Berichten von den Höllenqualen!
JESUIT
Je mehr ich eine Menschenseele liebe,
Je mehr will ich die Menschenseele führen
Zur absoluten, unbedingten Liebe
Des Gottes, der die Menschenkinder liebt!
Sie sollen keine Angst vorm Vater haben!
Ich selber will als väterlicher Lehrer
Des lieben Gottes Vaterherz verkörpern
Und möchte deinem erstgebornen Sohne
Nichts bringen als bedingungslose Liebe!
AKBAR
So werde du der Lehrer meines Sohnes.

NEUNTE SZENE
(Akbar, ein moslemischer Mufti, der Jesuiten-Missionar Sankt Francois-Xavier.)

AKBAR
Besonders die Muslime und die Christen
Versperren sich der großen Toleranz.
Ihr redet stets von eurer Offenbarung,
Ihr pocht darauf, dass Gott sich offenbart.
Wie aber offenbart sich Gott in Wahrheit?
Ist Gott der Eine, welcher einzig ist,
Ist Gott der Eine in den drei Personen?
MUFTI
Die Christen sind die großen Gottgeseller!
Denn wenn die Heiden von den Göttern reden,
So glauben sie ja nicht an Gott den Einen.
Die Christen aber sagen, dass sie glauben
An Gott den Einen, dann behaupten sie,
Auch Jesus und Maria seien Gott.
FRANCOIS XAVIER
Unkenntnis unsres Glaubens ist das nur.
Wir glauben an das Eine Wesen Gottes,
Die Einheit seiner göttlichen Natur,
Doch Gott hat sich in Jesus offenbart
Als Eine Gottheit, doch in drei Personen.
Die erste Gottperson ist Vaterschaft
Und ist die liebende Person in Gott,
Die zweite Gottperson ist Sohnschaft und
Ist die Person, die die geliebte ist,
Die dritte Gottperson ist Geistigkeit
Und ist Vereinigung der zwei Personen
Und ist die Liebe, welche göttlich ist.
So glauben wir an Eine Gottheit, die
In sich ist eine liebende Gemeinschaft,
Und darum auch bekennen nur wir Christen,
Daß Gott die Liebe ist. Ja, Gott ist Liebe!
MUFTI
Gott ist nur Einer, der Allmächtige,
Dem alle sich zu unterwerfen haben!
Drum nur die orthodoxen Moslems sind
Die wahren Gläubigen, die Unterworfnen,
Die wahren Sklaven des Allmächtigen.
AKBAR
Laßt mich in Ruhe mit der Offenbarung!
Ich will nicht blind vertrauen euern Büchern!
Die Krone der Natur ist der Verstand
Des Menschen. Was ich nicht erkennen kann
Vom Göttlichen, das will ich auch nicht glauben.
Ich habe von dem Upanishad gelernt,
Daß alle die verschiednen Namen Gottes
In Wahrheit nur den Einen Gott bezeichnen.
Allah ist ja der Vater in dem Himmel!
MUFTI
Allah ist Unser Vater in dem Himmel?
FRANCOIS XAVIER
Und Jesus Christus ist der Sohn Allahs?
MUFTI
Das ist ja Ketzerei und Blasphemie!
Allah hat keine Töchter, nicht Allath,
All-Uzza nicht, die Schwanengöttinnen,
Fürsprecherinnen nicht im Himmelreich,
Allah hat auch nicht einen Sohn gezeugt!
Ja, Jesus ist ein heiliger Prophet,
Doch der Messias ist nicht Gottes Sohn!
FRANCOIS XAVIER
Wer aber nicht bekennt, dass Gott ein Mensch
Geworden ist in Jesus dem Messias,
Stammt vom Mysterium des Antichristen!
MUFTI
Jetzt zünden wir den Feuerofen an
Und heizen siebenfach das Feuer an,
Dann nehm ich in die Hände den Koran,
Das wahre Buch der Offenbarung Gottes,
Du Christ nimmst in die Hände deine Bibel,
Wir werfen dann uns in den Feuerofen!
Dann wird der Herr das Gottesurteil fällen!
Denn du mit deiner Bibel wirst verbrennen,
Der heilige Koran wird nicht verbrennen!
FRANCOIS XAVIER
Du sollst den Herrn, den Schöpfer, nicht versuchen!
Nie werde ich das Buch der Bücher nehmen
Und selbst die Bibel in das Feuer werfen!
So können nur die Feinde Gottes reden!
AKBAR
Ich ehre, Mufti, deinen starken Glauben.
Und weil du mir zutiefst sympathisch bist,
Drum bitt ich dich, steig schon mal in das Feuer,
Vielleicht traut sich der Christ, dir nachzufolgen,
Dir kann ja nichts passieren, lieber Mufti.
Ich jedenfalls will den Verstand behalten
Und traue Averrhoes und Avicenna,
Daß die Vernunft des Menschen weiser ist
Als der Koran, als des Propheten Worte.
FRANCOIS XAVIER
Wenn die Vernunft des Menschen nicht erleuchtet
Wird von dem Glauben an die Offenbarung,
Erkennt die menschliche Vernunft allein
Nicht die Dreifaltigkeit des einen Gottes.
AKBAR
Ich treff mich lieber mit den rationalen
Vertretern reiner menschlicher Erkenntnis,
Mit Rationalisten und mit Humanisten,
Als mit den frommen Fundamentalisten
Und blinden Hörigen der Offenbarung.
ZEHNTE SZENE

(Akbar und eine Versammlung von Männern der theologischen und philosophischen Wissenschaft
aller Religionen, Konfessionen und Sekten.)

AKBAR
Ich will in meinem Kaiserreiche Indien
Ein religiös geeintes Volk, ich will
Auf die Vernunft begründet einen Glauben,
Der alle die Bekenntnisse und Sekten
Vereinigt in dem einen Credo: Gott
Ist Gott und alle Menschen seine Kinder.
MUSLIMISCHER PHILOSOPH
Wir bringen Philosophenwissenschaft
In diese neue Einheitskirche ein,
Daß nicht die trennenden Bekenntnisse
Und Offenbarungen und Dogmen zählen,
Allein die rationale Logik zählt,
Wie Aristoteles sie uns gelehrt.
DERWISCH
Die Mystik des Islam bringt in die Kirche
Des Einen Gottes ein die Trunkenheit,
Den Tanz, ja, selbst das Tanzen auf den Gräbern!
BRAHMANE
Die heilige Brahmanenkaste Indiens
Schenkt unsrer neuen Einheitskirche Weisheit
Und Wege zur Vereinigung mit Gott
Durch theosophische Erkenntnis, dass
Das Wahre Selbst ist eins mit Gottes Geist.
JAINA-MÖNCH
Die Jünger der Jaina-Religion
Der Einheitskirche machen zum Geschenk,
Daß Gott der Schöpfer aller Kreaturen
Und dass vernünftige Geschöpfe wie
Die Menschen niemals Tiere essen sollen.
BUDDHIST
Wir Jünger unsres großen Meisters Buddha
Der Einheitskirche schenken die Versenkung,
Das Meditieren, das Erlöschen und
Die Ich-Erlösung in der großen Leere.
AKBAR
Und so sind alle Gotteskinder Brüder.
Jedoch den Pfaffen der Ecclesia
Catholica hab ich nicht eingeladen.
Ich weiß, er ist der Meinung, dass die Kirche
Von Rom allein die wahre Kirche ist
Und dass der Glaube dieser wahren Kirche
Der wahre Glaube an den wahren Gott ist.
Und darum lehnt auch dieser Pfaffe ab
Das Einheits-Ethos unsres Synkretismus.
DERWISCH
Um eines doch beneiden wir die Römer:
Um ihren Papst, den Stellvertreter Gottes.
AKBAR
Um dieses Element der Religion
In unsre Einheitskirche aufzunehmen,
Erkläre ich mich selbst, der große Akbar,
Zum Papst und Cäsar unsrer Einheitskirche!
Als Oberhaupt der Einheitskirche Indiens
Ist Akbar als Cäsaropapst unfehlbar
Und definiert den einen wahren Glauben.
ALLE
Wir alle stimmen deinem Credo zu.
AKBAR
Wir glauben an den Einen Gott der Götter,
Der unerkennbar ist und namenlos.
Die Gottheit offenbart sich in der Welt,
Die Schöpfung ist der Schleier dieser Gottheit.
Der Gott ist Eins und Alles. Gott ist Welt.
Ja, jede Seele ist ein Funke Gottes.
Gott ist der Schöpfer aller Lebewesen
Und darum kündet unser sanfter Glaube
Die Lebensrechte aller Kreaturen
Und predigt vegetarische Ernährung.
Von aller Pflanzennahrung sind verboten
Die Bohnen. In den Bohnen nämlich wohnen
Die Ahnenseelen, die wir ehren sollen.
Desweiteren beschließt die Einheitskirche,
Daß es fortan verboten ist, Moscheen
Zum Gottesdienste zu besuchen und
Verboten gleichfalls, Kirchen zu errichten,
In denen Gottes Sohn geopfert wird.
Die Gotteshäuser aller Religionen
Verwandeln wir in Pferdeställe, Schenken,
Tanzhäuser oder Freudenmädchenhäuser.
Kein Gott soll fortan mehr in Indiens Reich
Verehrt und angebetet werden als
Der Eine Einheitsgott des Synkretismus!
DERWISCH
Ich wusste immer, dass der wahre Gott
Nicht wohnt in Kirchen, Tempeln und Moscheen,
Daß Gottes Wahrheit wohnt vielmehr im Wein!
BUDDHIST
Ich wusste immer, dass die Götter alle
Bedürftig der Erlösung sind, dass über
Den Göttern steht die absolute Leere.
HINDUIST
Ich wusste immer, dass die Götter alle
Ein Gott nur sind und dieser Gott ist Welt.
JAINA-MÖNCH
Ich wusste immer, dass man Gott nicht liebt,
Wenn man das Fleisch von einem Tiere frisst.
MOSLEM
Ich wusste immer, dass der eine Gott
Ist einer und der Einzige allein.
AKBAR
Gott ist der Kosmos! Gott ist Ich und Du!
Ein Anathem den Katholiken Roms!

DIE TANG DYNASTIE

ERSTER AKT
YANG

ERSTE SZENE

(Kaiser Ming Huang im Drachenthron des Himmelssohnes. Seine Leibgarde um ihn.)

KAISER
Wir haben also das Mandat des Himmels,
Der Vater Himmel hat Uns eingesetzt
Als Sohn des Himmels auf dem Drachenthron,
Nachdem zu seinen Ahnen heimgegangen
Der alte Kaiser, Unsrer Hoheit Vater.
Wir wollen ehren ihn im Ahnentempel
Und jährlich Opfer bringen seinem Geist
Im Tempel, wenn Wir Vater Himmel opfern.
Wir sind in Unsrer Weisheit voll Vertrauen,
Daß seine Majestät, der alte Kaiser,
Nun auf der Insel der Glückseligen
Mit den Unsterblichen in Ruhe lebt.
Wir haben also das Mandat des Himmels
Und so gebieten Wir der Kaisergarde.
OBERSTER GARDIST
(Auf dem Boden vor dem Thron liegend, das Angesicht auf der Erde)
Zehntausendfacher Friede, Himmelssohn!
Gebiete, alles wollen wir vollführen!
KAISER
Des alten Kaisers andrer Sohn ist noch
Am Leben, zu bedrohen Unsre Hoheit.
Er opfert Vater Himmel nicht im Tempel,
Er opfert nicht dem Geist des alten Kaisers,
Er glaubt nicht der Unsterblichkeit der Seele
Und fordert doch für sich den Kaiserthron.
Da Wir nun das Mandat des Himmels haben,
Muß jeder Widersacher vor Uns weichen,
Da sonst bedroht das Reich der Mitte ist.
Der Vater Himmel herrscht ja auch allein
Und duldet keinen Widersacher. Darum,
Weil Wir als Himmelssohn das Reich regieren,
Gebieten Wir, den Bruder zu ermorden.
GARDIST
Der Sohn des Himmels hat gesprochen. Wahrlich,
Wir tun, was uns gebietet unser Kaiser.
Der Himmelssohn gibt seinem Reich das Leben,
Der Himmelssohn gibt seinem Feind den Tod!
KAISER
Nun geht und tut, wie Wir es euch geboten.

ZWEITE SZENE

(Kaiser Ming Huang empfängt im Thron den Obersten Heerführer.)

KAISER
Berichtet Uns, war Unser Krieg erfolgreich?
HEERFÜHRER
Zurückgedrängt sind alle die Barbaren!
All die Barbaren, die das Reich der Mitte
Zertrümmern wollten durch den Barbarismus,
All die Verwüster, all die fremden Teufel,
Die legalistischen Tyrannenknechte,
Das Herdenvieh und ihre Diktatoren,
Schlitzaugen mit dem Dolche im Gewande,
Der Bauernpöbel und die Demagogen,
Fleischfresser, die das Blut der Pferde trinken,
Muslime, die dem Gott des Hasses dienen,
Barbaren, die die heilige Kultur
Von China ruinieren und zertrümmern
Und unsre Weisheit niederreißen wollten,
Die stürzen wollten Yao, Shun und Yü,
Die wollten den Konfuzius vernichten,
Sie alle sind vollkommen unterworfen,
Die Hunde klemmen feig die Schwänze ein!
KAISER
Und Unsre Nachbarn in dem goldnen Westen?
HEERFÜHRER
Der goldne Westen kommt und bringt Tribut!
Die Türken aus der heiligen Byzanz
Knien voller Demut vor dem Sohn des Himmels
Und bringen in der Hagia Sophia
Ein Weihrauchopfer dar für Seine Hoheit!
Die Perser des Propheten Zarathustra
Verehren Seine Majestät den Kaiser,
Vergleichen Seine Majestät mit Xerxes,
Vergleichen Euch mit ihrem König Kyrus!
Die Könige vom Abendlande bringen
Euch, unsrer Sonne der Gerechtigkeit,
Tribut und allerbeste Opfergaben,
Der Sultan der Türkei bringt Euch Gewürze,
Der König Persiens bringt Öl und Salben,
Der Maharadscha bringt Euch Edelsteine.
Ihr seid der Himmelssohn des Orients,
Der Weltmonarch des ganzen Morgenlandes
Und Stern des Hoffnung für das Abendland!
KAISER
Hat China Ruhe, Unser Reich der Mitte?
HEERFÜHRER
Ganz China ruht, ein Kind im Arm der Mutter,
In Eurer kaiserlichen Hoheit Armen!

DRITTE SZENE

(Der Kaiser im Bambusgarten mit seinem Hofphilosophen.)

KAISER
O Philosoph, sprich von den Philosophen,
Wir wollen in der Weisheit Schule gehen.
PHILOSOPH
Da Eure Majestät der Sohn des Himmels,
Wird Eure Majestät geführt vom Himmel.
Doch hütet Euch vor all den falschen Lehrern,
Denn Lao Tse und Tschuang Tse vor allen
Verkünden Weltflucht, Rückkehr zur Natur,
Sie kümmern sich nicht um das Reich der Mitte.
Doch folgt auch nicht den Predigten des Buddha,
Denn der Buddhismus macht die Leute schlaff,
Buddhisten sind des Lebens überdrüssig
Und wollen nur noch in dem Nichts verlöschen.
Laßt Euch nicht von Mo Di die Liebe lehren,
Denn seine allgemeine Menschenliebe
Lehnt alle Hierarchie und Ordnung ab
Und fördert Anarchie und Kommunismus.
KAISER
Wenn Yao, Shun und Yü jetzt zu Uns kämen,
Wen von den Philosophen priesen sie?
PHILOSOPH
Gewiß den heiligen Konfuzius!
Er ist der Erbe ja des Altertums,
Er hat das Buch der Wandlungen studiert
Und kannte den geheimen Sinn der Lieder.
KAISER
Was lehrt der Weise über Vater Himmel?
PHILOSOPH
Der Vater Himmel hatte eine Glocke,
Der Vater Himmel gab sein Wort der Welt,
Das war die Weisheit des Konfuzius.
KAISER
Nenn Uns die Lehre des Konfuzius
In Einem Wort, in Einem Dogma nur.
PHILOSOPH
Der Erstgeborne liebe seinen Vater.
KAISER
So wie der Himmelssohn den Vater Himmel?
PHILOSOPH
Und wie die Frau den Ehegatten liebt.
Durch diese Liebe kommt das Reich in Ordnung.
KAISER
Was sagst du von dem Meister Alopen?
PHILOSOPH
Auf metaphysischem Gebiet verschwiegen
Bin ich, wie auch Konfuzius es war.

VIERTE SZENE

(Ming Huang und die Erste der Haremsdamen.)

KAISER
Wir haben Uns entschlossen, nach der Tugend
Zu leben. In dem Himmel zieht die Tugend
Bekränzt einher, Wir sehnen uns nach ihr
Und nehmen Uns die Tugend selbst zum Vorbild.
HAREMSDAME
Wir, Eurer Hoheit Frauen, wollen Euch
Das schwere Amt des höchsten Herrn versüßen.
KAISER
Schon Lao Tse sprach einst in seiner Weisheit:
Musik und leckre Speisen lieben alle,
Doch von der Weisheit möchte keiner hören!
Konfuzius sprach einst in seiner Weisheit:
Ich habe keinen Mann bisher getroffen,
Der so die makellose Tugend liebte
Wie er ein junges schönes Mädchen liebte!
HAREMSDAME
Die Weisheit selbst ist doch wie eine Frau!
In Euren schönsten Frauen Eures Harems
Schaut doch der Weisheit Bild im Gleichnis an!
KAISER
Verführerin! Vom Weg der Tugend lockt
Ihr Frauen auf den Weg der Sinnlichkeit!
HAREMSDAME
Wie können wir denn Eure Majestät
Befriedigen? Was will von uns der Herr?
KAISER
Mit Einem Wort: Wir lösen Unsern Harem
Von Konkubinen auf und schicken alle
Aus dem verbotenen Palast des Himmels!
Es ist nicht angemessen Unserm Amt
Als Himmelssohn, dreitausend Freudenmädchen
Als Konkubinen Uns zu halten, da
Wir Vorbild sind dem Volke der Chinesen.
Der edle Herrscher wirkt ja durch sein Vorbild,
Und wie der Kaiser Eine Kaiserin
An seiner Seite hat, soll der Chinese
Die heilige Familie wieder ehren.
Der Ehemann sei Herr in seinem Hause
Und liebe seine Ehefrau in Treue,
Und seine Ehefrau sei seine Hilfe
Und ehre ihren Mann wie einen Kaiser,
Die Söhne sollen ihre Väter ehren,
Die jüngeren die ältern Brüder ehren,
Großmütter soll man wieder heilig halten,
Dann kommt in Ordnung auch das Reich der Mitte.
HAREMSDAME
Was wird aus den dreitausend Konkubinen?
KAISER
Sie werden, was sie waren: Blumenmädchen,
Sie lieben in den Gassen roten Staubes!

FÜNFTE SZENE

(Der Kaiser und der buddhistische Bonze.)

KAISER
Was wollen Buddhas Mönche für das Reich tun?
BONZE
O Majestät, das Leben ist ein Leiden!
Ja, dass die Kreaturen existieren
Ist nichts als Leiden, ist Geburt und Tod
Und wiederum Geburt und Tod, ein Leiden!
Ihr seid der Vater eines großen Reiches,
Erlaubt doch Euern Dienern, Buddhas Mönchen,
Zu predigen die Straße der Erlösung.
KAISER
Was predigt ihr dem Volk mit schwarzen Haaren?
BONZE
O Majestät, verzeiht den schlichten Einwand,
Wir predigen der ganzen Kreatur,
Und hört uns nicht das Volk mit schwarzen Haaren,
Wird hören uns das Volk mit gelben Haaren!
KAISER
Wie wollt ihr Unsre Kinder denn erlösen?
BONZE
Wir wollen sie zu guten Menschen machen,
Voll Achtsamkeit für jeden Augenblick,
Voll Mitgefühl mit aller Kreatur,
Zu Menschen, die nicht andre Menschen töten,
Die keine Tiere töten, sie zu fressen,
Zu Menschen, die barmherzig sind, weil sie
Ihr schlechtes Schicksal also sühnen werden.
KAISER
Verheißt ihr denn der guten Tat des Menschen
Auch einen Lohn im Diesseits oder Jenseits?
BONZE
Wer Mitleid hat mit aller Kreatur,
Wird hier auf Erden schon ein Buddha werden.
Er wird nicht mehr geboren werden
Und nach dem Tod verlöschen im Nirwana.
KAISER
Wenn Wir auf Erden schon ein Buddha werden,
Wie werden Wir auf Erden leben dann?
BONZE
Erloschen ist dann Euer Lebensdrang,
Ihr habt dann keinen Durst nach Leben mehr,
Erloschen ist dann jegliches Begehren.
KAISER
Wir wollen euch das Predigen gestatten,
Wir selber glauben nicht an diese Lehre.

SECHSTE SZENE

(Der Kaiser und der christliche Mönch Alopen.)

KAISER
Mönch Alopen, du kommst aus Syrien.
Wer ist der Gott, den deine Syrer glauben?
ALOPEN
Wir glauben an den Schöpfer aller Welt,
Der Vater aller Kreaturen ist,
Und glauben an den eingebornen Sohn,
Den Menschen Jesus, unser aller Retter.
KAISER
War dieser Jesus denn ein weiser Mann?
ALOPEN
Er war die Weisheit in Person, mein Kaiser!
KAISER
Was war die Weisheit dieses Menschen Jesus?
ALOPEN
Er lehrte, Gott mit aller Kraft zu lieben,
Zu lieben alle Menschen wie sich selbst,
Sogar die Feinde sollen wir noch lieben!
KAISER
Warum seid ihr gekommen in das Reich?
ALOPEN
Die Christen Roms, sie haben uns vertrieben.
Der Gründer unsrer christlichen Gemeinschaft,
Nestorius, sie sagen, er sei Ketzer.
KAISER
Wie, Ketzerei verkündigst du in China?
ALOPEN
Wir Söhne des Nestorius, wir glauben,
Maria war des Menschen Jesu Mutter,
Und darum nennen wir sie Mutter Jesu.
Roms Christen nennen sie die Mutter Gottes,
Sie nennen sie die Mutter unsres Schöpfers!
KAISER
Du darfst verkünden diesen Menschen Jesus.
Wir hoffen auch als Sohn des Himmels sehr,
Roms Christen kommen einmal auch nach China.
Wenn nämlich Gott, der Schöpfer aller Welt,
Wenn nämlich Gott auch eine Mutter hat,
So wird sich China freuen, diese Mutter
Einst zu begrüßen in dem Reich der Mitte.
ALOPEN
Hier, Eure Majestät, das Buch der Worte
Des Meisters Jesus, voll der Weisheit Gottes.
KAISER
Wir sind euch gnädig, Meister Alopen.

SIEBENTE SZENE

(Ming Huang mit Lady Yang Gue-Fei im Garten beim Pavillon auf einer Gartenbank unter einem
Maulbeerfeigenbaum.)

KAISER
O Lady Yang, mit zweiundzwanzig Jahren
Bist du so schön wie eine Himmlische!
Das Mädchen in dem Regenbogenkleid
War so beim Gelben Kaiser Huang Di.
Du kannst den Ozean der Seele lenken
Wie jene schöne Meeresgöttin Ma-Ku.
Du bist so schön wie eine junge Fee,
Ja, wie die schöne Königin der Feen,
Die holde Hsi Wang Mu vom Kunlun-Berg.
Du schaust so gnädig und so liebevoll
Wie jene Gnadengöttin Guan Yin.
LADY YANG
Mein Kaiser, Ihr mit Euren sechzig Jahren,
Seid weise wie Konfuzius und weise
Wie Lao Tse und Tschuang Tse zugleich
Und redet von der Liebe wie Mo Di,
Der Retter Eures Volkes Ihr wie Yü,
Der Himmelssohn voll Pietät wie Shun,
Gerechter Kaiser wie der edle Yao,
Ein Mann voll Weisheit und Gerechtigkeit
Wie einst der Gelbe Kaiser Huang Di.
KAISER
Das Ideal der Eremiten ist,
Das Elexier des Lebens und der Jugend
Zu finden in dem chymischen Labor,
So dass der weise Mann von hundert Jahren
Noch jung und blühend ist wie fünfzehn Jahre.
Wir sind der weise alte Eremit,
Du bist die Jugend und Unsterblichkeit.
In deiner Schönheit, junge Mädchengöttin,
Verliebten Wir Uns in die Ewigkeit.
LADY YANG
In Eurem weisen würdevollen Alter
Erkenne ich des Himmels Jadekaiser.
Ja, väterlicher Freund und Vielgeliebter,
In Euch erkenne ich den Vater Himmel.
KAISER
Wenn Wir der Vater Himmel sind, der Alte,
Bist du die ewigjunge Ewigkeit!
LADY YANG
O Kaiser, küsst mir bitte meine Wange!
KAISER
Komm, Liebste, eilen wir ins Brautgemach!...

ACHTE SZENE

(Lady Yang im Garten vorm Pavillon auf einer Gartenbank, der Türke An Lu-Shan tritt zu ihr.)

AN LU-SHAN
O Lady Yang, des Kaisers Favoritin
Beobachte ich nun seit Monden schon
Und bin von Mond zu Mond verliebter in
Das schönste Mädchen unter allen Mädchen,
Ich habe mich verliebt in dich, mein Mädchen.
LADY YANG
Ich aber bin des Kaisers Favoritin.
AN LU-SHAN
Wir Türken haben eine Poesie
Der Liebe, da die Dichter singen von
Der Rose, welche unerreichbar schön
Und unerreichbar fern, die Nachtigall
Singt immer sehnsuchtsvoll in Einsamkeit,
Verzehrt sich schmachtend vor Begierlichkeit
Und huldigt immerdar der Rosenschönheit
Und immer wieder fliegt die Nachtigall
Zur schönen Rose, ob sie spricht ihr Ja-Wort,
Die Rose immer wieder spricht ihr Nein
Und bohrt den scharfen Stachel ihrer Dornen
Der Nachtigall in ihre Sängerbrust,
Die Nachtigall, den Stachel in der Brust,
Verblutet und verblutend singt sie wehe
Und süße Sehnsuchtsqualen schmerzlich schmachtend
Und singt mit dem durchbohrten Herzen schöner
Als alle andern Vögel in dem Wald.
LADY YANG
Mein vielgeliebter Kaiser aber nennt mich
Pfingstrose makellos und ohne Dornen.
AN LU-SHAN
Ich spiel auch nicht das Spiel der Nachtigall,
Ich bin ja nicht ein törichter Poet,
Und wenn das Röschen mich auch stechen wollte,
Ich würde dennoch mir das Röschen pflücken,
Das Röschen wird es eben leiden müssen.
LADY YANG
Geh weg, geh weg, du türkischer Barbar,
Du bittest die chinesische Prinzessin
Um Liebe und bedrohst sie mit Gewalt?
AN LU-SHAN
Wenn du nicht willig bist, brauch ich Gewalt,
Schenkst du mir nicht die körperliche Liebe,
Stürz ich den Himmelssohn von seinem Thron!
LADY YANG
Mir aus den Augen, türkischer Barbar,
Der gute Himmel möge dich bestrafen!

NEUNTE SZENE

(Kaiser Ming Huang im Thron, zu seiner Seite der Thron der Lady Yang. An Lu-Shan mit einer
Gruppe barbarischer Rebellen stürmt herein.)

KAISER
Der Himmelssohn im Drachenthron regiert!
LADY YANG
Die Favoritin thront im Phönixthron!
AN LU-SHAN
(Hereinbrechend, bewaffnet)
Der Kaiser Chinas wird nun abgesetzt,
Wir Revolutionäre schicken dich
In die Verbannung, deine Tyrannei
Hat nun ein Ende, China wird nun frei,
Ich selber, Haupt der Revolutionäre,
Ich bin die Sonne der Gerechtigkeit
Und Gott auf Erden unter freien Bauern!

(Ming Huang wird von den Rebellen gefangen genommen.)

KAISER
Ihr wisst den Kaiser Chinas abzusetzen,
Jedoch ihr wisst nicht, China zu regieren.
Die höchste Blüte der Kultur der Menschheit
Die Revolutionäre ruinieren!
AN LU-SHAN
Ihr Männer, bringt den alten Kaiser weg!

(Ming Huang wird abgeführt. An-Lu-Shan zu Lady Yang)

Und nun, o Lady mit dem schönen Lächeln,


Bist du bereit, den Kaiser anzubeten,
Der nun den Vorsitz einnimmt in dem Reich?
Um deine Liebe hab ich lang geworben,
Doch nun gebiet ich dir die Huldigung.
Bei deinem Leben, nenn mich deinen Gott
Und fall vor deinem Gottherrn auf die Knie!
LADY YANG
Barbarenpöbel! Abschaum aus der Gosse!
Der Phönix beugt sich nicht vor einer Ratte!
AN LU-SHAN
(in höchstem teuflischem Zorn)
Du Skorpionin! Tod der Favoritin!
Ermordet sie, ihr Revolutionäre!

(Lady Yang wird von einem Söldner ermordet.)

LADY YANG
(sterbend)
Der Himmel nehme meine Seele auf!
AN LU-SHAN
Triumph, Triumph der Rebellion des Volkes!
Wir, Haupt der Rebellion, Wir sind nun Gott!

ZEHNTE SZENE

(Kaiser Ming Huang allein, erschöpft.)

KAISER
Die Revolutionäre fressen sich
Ja gegenseitig auf und An Lu-Shan
Ist auch ermordet worden von Rebellen.
Die Rebellion frisst ihre eignen Kinder.
Zertrümmert haben sie das Reich der Mitte,
Die Bücher der Poeten sind verbrannt
Und die Poeten ins Exil getrieben.
Die Maler sollten An Lu-Shan nur malen.
Wer malen wollte die Natur, die Mutter,
Der wurde fortgeschickt in die Verbannung.
Die Marmorstatuen der Philosophen
Und Buddhas goldne Bilder sind zertrümmert,
Das Bild der Gnadengöttin Guan Yin
Und die Maria mit dem Gottessohn
Gerissen wurden nieder und die Tempel.
Soldaten unterdrückten alle Menschen
Und ein Regime des Terrors herrschte grausam.
Doch hat der Drache selbst sich aufgefressen!
Wir kehren jetzt zurück, der Himmelssohn
Hat wieder das Mandat von Vater Himmel.
Wir aber sind ein armer alter Kaiser,
Sie haben Uns geplagt und Uns gepeinigt.
Nun ist die Seele matt vor Traurigkeit.
Nur ekler Missmut, ekler Überdruß
Frisst Uns in Unsrer Seele wie ein Gift.
Allein sind Wir, allein auf dieser Erde.
Und die Wir liebten, ist im Totenreich.
Wir wollen nieder zu den Gelben Quellen,
Wir sind bereit zum Tod, o Vater Himmel.
(Er greift sich jäh ans Herz.)

O Gott, wer du auch bist, verzeihe mir!

(Er stürzt zu Boden, seine Glieder zittern.)

Erbarmen, Mutter der Barmherzigkeit!

(Er stirbt.)

ZWEITER AKT
YIN

ERSTE SZENE

LI TAI-BO
O Mutter, die du Witwe bist geworden,
Ich sehe mich als Kind in meinem Geist,
Da seh ich dich als junge schöne Mutter
Und mich als kleines Kind auf deinem Arm
Und deine Augen schauen in die meinen
Und meine Augen schauen in die deinen
Und zwischen unsern Augen strahlt die Liebe.
Auch sehe ich im Geist mich als ein Kind,
Ich sehe dich als junge schöne Mutter,
Du sitzt bequem auf einem weichen Sopha,
Ich sitze neben dir zu deiner Rechten
Und lege meinen Kopf in deinen Schoß
Und du liebkost mir zärtlich meinen Kopf.
MUTTER
Mein Kind, als du geboren worden, sah
Am Himmel eben ich den Morgenstern,
Den Weißen Stern, wie ihn Chinesen nennen,
Die Römer nennen ihn Planeten Venus,
Und darum gab ich dir auch deinen Namen,
Der da bedeutet: Glanz der Morgenröte.
LI TAI BO
Zehn Jahre war ich alt, o liebe Mutter,
Da gabst du mir das Buch mit den Gesprächen
Des heiligen Konfuzius, ich las,
Ich war begeistert von der Weisheit Chinas,
Ich wollte auch der Weisheit Chinas dienen.
MUTTER
Weil du vom Großen Weißen Stern gekommen,
Von Venus Hsing Tai-Bo herabgekommen,
Erkanntest du die Weisheit wieder, als
Konfuzius gepredigt von der Weisheit.
LI TAI BO
Und darum bin ich auch schon mit zwölf Jahren
Geworden mündig in der Weisheit Schule
Und lebte als ein Eremit allein
In den chinesischen Gebirgen, fastend
Und meditierend und studierend. Weisheit
Erkannte ich als Weisheit der Natur,
Erkannte ich als Große Mutter Tao,
Als Tao von dem Himmel und der Erde,
Als Tao von dem Menschen und als Tao
In meiner Seele, Große Mutter Tao.
MUTTER
Doch warum musst du immer so viel trinken?
LI TAI BO
Wo Weisheit ist, o Mutter, da ist Weltschmerz!
Wo Weltschmerz ist, o Mutter, da ist Wein!

ZWEITE SZENE

MUTTER
Mein Sohn, wie bist du nach Tschang-an gekommen?
LI TAI BO
O Mutter, alle Dichter waren dort,
Es waren dort die Maler und die Mönche.
Ich trieb mich durch die Straßen, durch die Gassen,
Beschaute manches schöne Freudenmädchen
Und manche schöne jugendliche Nonne
Und lernte meinen Freund und Bruder kennen,
Den wahren heiligen Poeten Du Fu.
MUTTER
Mein Sohn, dass du die Gunst des Kaisers fandest!
Wie stolz ist deine Mutter auf den Sohn,
Daß unser Kaiser lobte den Poeten!
LI TAI BO
Ich kannte alle Sprachen aus dem Osten
Und auch die koreanische Kultur.
Der Kaiser hatte einen Brief bekommen
Vom König von Korea, doch der Kaiser
Verstand kein koreanisch. Doch des Kaisers
Geheimer Rat erkannte meine Gaben
Und sprach zu seiner Majestät dem Kaiser:
O Sohn des Himmels, in Tschang-an ein Dichter
Ist Kenner koreanischer Kultur
Und Sprache und dazu ein großer Dichter
Und junger Gott chinesischer Kultur.
Wenn Eure Majestät es mir erlaubt,
Berufe ich den Dichter an den Hof,
Er übersetzt Euch diesen Brief des Königs.
So kam ich an den Hof und übersetzte
Den Brief des Königs von Korea für
Den Kaiser Chinas und sogleich die Antwort
Diktiert ich dem Geheimen Rat des Kaisers
Und stiftete Versöhnung zwischen China
Und Nord- und Süd-Korea durch die Kunst
Der schönen Sprache voll der wahren Weisheit.
Der Kaiser war zufrieden und zum Lohn
Gab er mir einen Beutel Silbermünzen.
MUTTER
Mein Sohn, dein so zerlumpter Linnenkittel
Zeigt mir, du kauftest keine neuen Kleider.
Daß du am Hofe seiner Majestät
Geduldet wirst in solchem Linnenkittel,
Wie ihn allein die armen Bauern tragen!
LI TAI BO
Der Sohn des Himmels ist ein Genius
Und so erkennt er auch den Genius!
Erkennen würde seine Majestät
Selbst einen Gott in armer Leute Kittel!
Ich aber bin kein Gott, ich bin ein Engel,
Verbannt aus meinem schönen Paradies!
MUTTER
Was tatest du denn mit den Silbermünzen?
LI TAI BO
Ich kaufte jungen wilden Schaumwein mir!

DRITTE SZENE

(Li Tai-Bo und sein Dichterfreund Du Fu auf Wanderung.)

LI TAI BO
Mein Freund Du Fu, wie wir beim Kaiser waren,
Das waren Tage doch der größten Gnaden!
DU FU
Du schautest immer nur zur Kaiserin,
Sie war die Muse deiner Poesie!
LI TAI BO
Ach wenn du wüsstest, wie sie mich entzückt!
DU FU
Ich sang ja mehr vom Leiden meines Volkes
Und von der Weisheit unsrer alten Meister.
LI TAI BO
Wenn ich am Abend meinen Wein getrunken,
Dann sah ich immer nur vor mir die Lady,
Die Lady, zweiundzwanzig Jahre jung.
DU FU
Gedachtest nicht der Großen Mutter Tao
Und der uralten Weisheit unsrer Ahnen?
LI TAI BO
Was wissen wir von Unsrer Mutter Tao?
Wenn sie Gestalt nun eines Menschen annimmt
Und lächelt von den Lippen einer Lady
Und leuchtet aus den Augen einer Lady?
DU FU
Sing wieder dein unsterbliches Gedicht,
Daß du der lieben Lady Yang gesungen!
Ich hörte doch, die alten Nonnen sagten,
Dein Lied beleidige die Lady Yang?
LI TAI BO
Sie war zu gütig, um gekränkt zu sein.
DU FU
Wie priesest du denn Unsre Liebe Lady?
LI TAI BO
Ich pries sie als die reine Lotosblüte,
Die sich erhoben aus dem Schlamm des Teiches,
Im Schoß des Kelchs der reinen Lotosblüte
Verborgen war das göttliche Juwel!
Ich lobte sie als Rose ohne Dornen,
Pfingstrose mit dem Namen Morgenröte!
Ich sang der Jadegipfel Jadeknospen
Als goldne Blüte der geheimen Weisheit!
Ich feierte des Winters reine Pflaume,
Die ewig makellos und unbefleckt,
Und weihte mich der unbefleckten Pflaume!
DU FU
Und darum sprachen jene alten Nonnen,
Dein Lied sei eines schlimmen Fingers Lied?
LI TAI BO
Doch Lady Yang verstand und lächelte.

VIERTE SZENE

(Li Tai-Bo allein, vor ihm ein Becher Reiswein, auf seinem Schoß die Chin-Leier.)

LI TAI BO
Am Wasser stand ein Maulbeerfeigenbaum,
Das süße Mädchen sammelte die Blätter,
Das weiße sanfte Händchen meines Mädchens
Leicht rauschte durch das dunkle Laub des Baumes,
Das schwarze Kleid voll Glanz im Glanz der Sonne.
Laß, sprach sie, laß mich, mein verehrter Freier,
Ich muß nach meinen Seidenraupen schauen,
Dein Hengst jedoch, er schnaubt so ungeduldig!
ECHO
Dein Hengst jedoch, er schnaubt so ungeduldig!
LI TAI BO
Ich denk an dich für alle Ewigkeit,
Ich denk an dich, wo immer ich auch bin.
Die grüne Grille zirpt ihr Lied im Herbst,
Ihr Zirpen tönt am Rand des Marmorbrunnens.
Vom Himmel rieselt sanft herab der Reif
Und dringt durch meine Decken und Gewänder.
Allein bei meiner alten Lampe Schimmer
Wird trüb das Licht und will mir bald verlöschen.
Ich hebe auf den Vorhang vor dem Fenster
Und schaue in die Mondin weiß und kühl.
Die goldne Zeit ist fern wie auch der Himmel.
Voll Schwermut an dem Himmel hängt die Nacht
In tiefer Nacht, in samtenschwarzer Nacht.
Der graue See dehnt sich so einsam aus!
Wie weit ist noch der Weg? Wie weit noch, ach!
Die Flügel meiner Seele sind wie Blei,
In wirren Träumen müht sich meine Seele,
Den Weg zu finden durch das Meer, den Sturm.
Ich denk an dich für alle Ewigkeit!
ECHO
Ich denk an dich für alle Ewigkeit...
LI TAI BO
Und voller Traurigkeit ist meine Seele.

FÜNFTE SZENE

(Bergeinsiedelei. Li Tai-Bo als Eremit bekommt Besuch von einem andern Eremiten.)

EREMIT
Wie selig sind wir doch, wir Eremiten
Vom Bambustal, erlöst vom Staub der Welt!
LI TAI BO
Ich hab mich lange in dem Rad des Lebens
Gedreht, im immerselben Kreislauf töricht.
Was fand ich in dem großen Weltgetriebe?
Statt Liebe fand ich wilde Leidenschaft,
Statt Freundschaft fand ich nackten Egoismus,
Statt Glauben fand ich leere Rituale,
Statt Sohn-und-Vater-Liebe fand ich Geld,
Statt frommer Herrschaft fand ich Rebellion,
Statt Keuschheit fand ich Ehebruch und Unzucht,
Statt Pietät fand ich den Kindermord!
Mich ekelt an das Treiben dieser Leute!
EREMIT
Vergiß, mein Freund und Bruder, trink vom Wein,
Trink reichlich von dem Reiswein des Vergessens!
Am Morgen bade dich im reinen Quell
Und überlass die Toren ihrer Torheit
Und überlass die Sünder ihren Sünden
Und nehme deine Chin und heb die Stimme
Und sing allein der Großen Mutter Tao!
LI TAI BO
Die Leute hören meine Lieder wohl,
Sie sagen: Er hat eine schöne Stimme,
Er weiß geschickt das Saitenspiel zu streichen.
Sie hören meine Lieder mit den Ohren,
Die Herzen aber sind verhärtet und
Erfüllt von radikaler Eigenliebe!
EREMIT
Laß dir die Wunden heilen von der Schönheit
Des Himmels, von der Gottheit der Natur,
Von der geliebten Weisheit alter Meister,
Betrachte allezeit der Weisheit Kanon,
Wetteifre mit den klassischen Poeten!
LI TAI BO
Von Menschen unbeachtet, ungesehen,
Sie halten mich für einen Taugenichts,
Ich aber sauge an dem vollen Busen
Der Großen Mutter Tao und lobsinge
Die Vielgeliebte meiner Seele nur,
Ich sing die ewigschöne Gottnatur!

SECHSTE SZENE

(Li Tai-Bo im Gefängnis.)

LI TAI BO
Weil ich dem Kaiser und der Kaiserin
Ergeben bin in wandelloser Treue,
Weil ich geglaubt an das Mandat des Himmels,
Den Vater Himmel und den Himmelssohn,
Weil ich verehrt in meiner Kaiserin
Die Große Mutter Tao als ein Mädchen,
Als zweiundzwanzig Jahre junge Schönheit,
Kurz, weil ich Gott geliebt von ganzem Herzen,
Drum muß ich jetzt in diesem Kerker sitzen.
Was solls! Das ganze Leben ist ein Kerker!
Mein Körper ist der Kerker meiner Seele!
Ja, meine Seele träumte einen Traum,
Ich sah die Freiheit, ganz wie eine Göttin,
Die Freiheit, eine junge schöne Göttin!
Die junge schöne Göttin Freiheit sprach:
Du leertest bis zum Grund den bittern Becher
Voll Wein des Zornes Gottes, ausgetrunken
Hast du den Becher bis zum letzten Tropfen
Und noch die Hefe auf dem Grund getrunken
Und bist besoffen jetzt, doch nicht von Wein,
Besoffen bist du von dem Kummer Gottes!
Der Gottmensch litt in dir die Einsamkeit,
Verlassenheit von allen seinen Freunden,
Er schwitzte in dir Blutschweiß seines Jammers,
Er flehte in dir Gott an um Erbarmen:
O Vater, laß den Kelch vorübergehen,
Doch nicht wie ich will, sondern so wie du willst!
So leertest du den Becher seines Zornes,
Der randvoll eingeschenkt mit Wein des Grimmes!
Jetzt aber komme ich, die Göttin Freiheit,
Die junge schöne Göttin Freiheit tröstet
Dein Elend, der du trunken noch vom Jammer:
Du musst den Wein des Zornes nicht mehr trinken,
Gott gibt den vollen Becher seines Zornes
Jetzt deinen Unterdrückern, dass sie trinken,
Sie, die dich niederwarfen auf den Boden
Und trampelten herum auf deinem Rücken,
Sie müssen saufen jetzt den Wein des Zornes!
So sprach die junge schöne Göttin Freiheit
In übergroßem Glanz der Morgenröte,
Da bin ich auferwacht von meinem Schlaf.
KERKERMEISTER
Gefangner Nummer Hundertvierundvierzig,
Du kannst jetzt gehn, du wirst jetzt freigelassen!
LI TAI BO
O Freiheit, laß den Rosenmund dir küssen!

SIEBENTE SZENE

(Li Tai-Bo allein am Dung-ting-See, Nacht, Vollmond.)

LI TAI BO
Noch Einmal hebe ich den Freudenbecher,
Den schlanken Kelch, erfüllt vom Geist des Lebens,
Noch Einmal sauge ich den Wein der Weisheit,
Den Spiritus der makellosen Liebe!

(Er trinkt)

Ich taumele betrunken! Alter Mann,


Was kümmert dich dein Alter, alter Mann?
Wird deine Seele denn nicht immer jünger?
O welche Vision! Ich sehe, siehe,
Als wär es meine Mädchengöttin Seele,
Schwebt eine Jungfrau auf dem weißen Mond!
O Mädchen in dem Regenbogenkleid,
Du Fee des Gelben Kaisers Huang Di,
Bist du es, dir mir auf dem Mond erscheint?
O junge schöne Meeresgöttin Ma-ku,
Bist du es, die da auftaucht aus dem See?
O Guan Yin, du Mutter des Erbarmens,
Prinzessin Gottes, reine Gnadengöttin,
Bist du die Lichtgestalt, die mir erscheint?
O Liebe Lady Yang, o Kaiserin,
Du zweiundzwanzig Jahre junge Schönheit
Im Phönixthron, du reines Phönixmädchen,
Seh ich dich nieder schweben aus dem Himmel?
O makellose Mädchengöttin du,
Wer du auch bist, du unbefleckte Göttin,
Jetzt seh ich hinter dir den Himmel offen,
Ich seh die Phönixstadt aus reiner Jade,
Am Ende jenes weißen Sternenstromes
Seh ich die Phönixstadt aus reiner Jade,
Aus Jaspis und Nephrit und Gold und Perlen!
O makellose Mädchengöttin, Braut,
Gekleidet mit dem Schimmer weißen Mondes,
Geschmückt mit Jade und mit Muschelperlen,
Bist du die Braut, die mich zu lieben kommt?
Ich sehe, siehe, was ich sehe, ist
In jener Phönixstadt am Sternenstrom
Aus weißer Jade einen Kaiserthron
Und auf dem Thron den Weißen Jadekaiser,
Zu seiner Rechten, Freude über Freude,
Das Mädchen in dem Regenbogenkleid!

(Li Tai-Bo trinkt seinen letzten Lebensbecher leer.)

Mondgöttin in dem See, umarme mich!


Mein Leben ist vollendet! Mama, Mama!

(Er stürzt in den See und ertrinkt. Ein gelber Kranich lässt sich am Ufer des Dung-Ting-Sees nieder
und schwebt majestätisch wieder in den Himmel.)

SUN WU KUNG
ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(China. Die Insel Peng-lai-shan im Gelben Ostmeer Huang-hai. Der Berg der Blumen und Früchte.
Der Herr des Himmels und Sun Wu Kung.)

DER HERR
Ich will dich schaffen, Affe Sun Wu Kung,
Ich trage dich als Urbild schon im Geist
Von Ewigkeit zu Ewigkeit, dein Urbild
In meinem Geist will aus dem Nichts ich schaffen
Und aus der potentiellen Möglichkeit
Wirst du zur aktuellen Wirklichkeit!

(Der Herr streckt seine rechte Hand aus und legt ein steinernes Ei auf die Insel der Seligen.)

Hier ist der Urkeim aller Wirklichkeit.


In diesem Ei aus Stein beschlossen sind
Die potentiellen Möglichkeiten all
Der Myriaden Wesen dieser Welt.
Und eingeschlossen in dies Ei aus Stein
Ist auch die Weisheit, die wir Tao nennen,
Die Mutter der zehntausend Dinge ist,
Die jedem idealen Urbild sagt
Die Stunde und den Ort, wo dieses Urbild
Sich dann konkretisieren soll als Ding.
In diesem Ei aus Stein beschlossen sind
Ideen, die Idee des Affen und
Verschieden die Idee des Menschenkindes.
Jetzt also ist die Zeit, hier ist der Ort,
Da ich dich schaffe, Affe Sun Wu Kung.
Jetzt ordnet es die Mutter Tao an,
Die immanent ist in dem Ei aus Stein,
Daß jetzt das Stein-Ei aufbricht und erscheint
Der Affe Sun Wu Kung. Erscheine, Affe!

(Das Stein-Ei bricht auf und Sun Wu Kung springt als vollendeter Affe hervor.)

SUN WU KUNG
Ich preise dich, o Herr des höchsten Himmels,
Dich, Jadekaiser in der Nephritstadt,
Der Phönixstadt an der Milchstraße Ende,
Der mich geschaffen hat, weil er mich wollte!

ZWEITE SZENE

(Die Götter Tausendmeilenauge und Feinohr schweben durch den Himmel über der Erde.)

TAUSENDMEILENAUGE
Gott Feinohr, Bruder, hörst du Sun Wu Kung?
FEINOHR
Gott Tausendmeilenauge, siehst du ihn?
TAUSENDMEILENAUGE
Ich sehe China, von der Großen Mauer
Gegürtet an den Lenden des Gemütes,
Die Jungfrau China seh ich, eine Mutter,
Die mit der leeren Schale betteln geht
Um Reis vorm Heiligtum der Großen Leere.
FEINOHR
Ich höre den Gesang von Chinas Muse,
Vielleicht ist Chinas Muse die Tschang O,
Die weiße Königin des weißen Mondes,
Denn alle Dichter dichten von dem Mond.
TAUSENDMEILENAUGE
Reisfelder seh ich unter Wasser stehen.
FEINOHR
Yak-Rinder hör ich brüllen hoch in Tibet.
TAUSENDMEILENAUGE
Ich seh den Strand der Südmeerinsel Sanya.
FEINOHR
Ich höre Mönche ihre Mantren murmeln:
Gegrüßet seiest du, o Guan Yin!
TAUSENDMEILENAUGE
Ich seh den jungen Himmelssohn, den Kaiser,
Den Knaben im Verbotenen Palast,
Der Milch trinkt an den Brüsten seiner Amme.
FEINOHR
Ich hör der Philosophen Streitgespräche,
Ob gut sei oder böse von Natur
Der Mensch, da streiten sich die Schulen noch.
TAUSENDMEILENAUGE
Ich seh die heiligen Gebirge Chinas,
Fünf heilige Gebirge Chinas seh ich.
FEINOHR
Ich hör den Gong, den Klangstein und die Pipa.
TAUSENDMEILENAUGE
Ich sehe einen Dichter, der betrunken
Den Mond umarmen will, sein Spiegelbild
Im Dung-ting-See, und der ertrinkt betrunken.
FEINOHR
Doch Sun Wu Kung, den hab ich nicht gehört!
Ich habe kein Gebet gehört vom Affen!
TAUSENDMEILENAUGE
In keinem Tempel sah ich je den Affen!

DRITTE SZENE

(Sun Wu Kung und eine wilde Affenherde vor einem Wasserfall.)

CHOR DER AFFEN


Wer schreiten kann durch diesen Wasserfall,
Doch ohne dass sein Fell ihm naß wird, der
Soll König sein der ganzen Affenherde,
Ja, Kaiser und zugleich der Hohepriester!
SUN WU KUNG
Ich wage es, ich spring so schnell hindurch,
Daß mir kein Wassertropfen netzt das Fell.
CHOR DER AFFEN
O Sun Wu Kung, du Heldenmutiger!
Bedenke, dass kein Affe je gedrungen
Durch dieses Wasserfalles dichten Schleier!
Es weiß kein Affenhirn im Affenkopf
Und auch kein Affenherz im Affenbusen,
Was jenseits dieses Wasserfalls befindlich.
SUN WU KUNG
Ich sollte fürchten mich vorm bloßen Nichts?
Ha, Todesfurcht ist was für Menschenkinder.

(Sun Wu Kung springt durch den Wasserfall.)

CHOR DER AFFEN


O Sun Wu Kung, du Heldenmutiger,
Der du vorangeschritten bist ins Nichts,
Sag, kannst du uns im Jenseits auch noch hören?
SUN WU KUNG
(aus dem Innern einer Höhle hallend)
Ich höre euch, geliebte Affenkinder!
Hier stehe ich vor einem Wasserschloß
In einer großen Grotte, welche heißt:
Der Höhlenhimmel hinterm Wasserschleier.
CHOR DER AFFEN
Doch trauen wir uns nicht, dir nachzufolgen.
Wir armen und verirrten Affenkinder,
Getrieben von Begierden und dem Jucken
Des Triebes der Geschlechtlichkeit! O hör uns,
O Sun Wu Kung, du Heldenmutiger,
Und komm zurück zu deiner Affenherde!
SUN WU KUNG
(aus dem Innern der Höhle)
Ich komme bald! Ich komme wie ein Dieb!
CHOR DER AFFEN
Die ganze Affenherde brüllt es laut
Und Jungfrau China bittet dich im Geiste:
Komm, hohepriesterlicher Affenkaiser!
SUN WU KUNG
(Wieder aus dem Wasserfall erscheinend)
Ich bin ja da, seid nicht mehr traurig, Kinder!

VIERTE SZENE

(Sun Wu Kung und die Affenherde.)

CHOR DER AFFEN


O Sun Wu Kung, du Heldenmutiger,
Der du den Wasserfall durchdrungen hast
Und dir nicht naß gemacht das Affenfell,
Du sollst jetzt unser Affenkönig sein!
SUN WU KUNG
Meerkatzen, ihr, versammelt euch zum Chor,
Euch mache ich zu Hütern meiner Schätze.
DIE MEERKATZEN
Ja, tausend Millionen Kokosnüsse
Sind mehr wert als zehn Millionen Käsch.
SUN WU KUNG
Ihr Menschenaffen, sammelt euch zum Chor,
Ihr sollt mir meine Oberbonzen sein.
DIE MENSCHENAFFEN
Ein Mensch ist nicht nur Homo sapiens
Und ist erst recht nicht nur der Homo faber,
Der Mensch, er ist der Homo religiosus.
SUN WU KUNG
Gorilla, sammelt euch zu einem Chor,
Ihr seid Minister der Familie mir.
DIE GORILLA
Die alternden Gorillamütter sitzen
Im Schatten alter Bäume, schwatzen, plaudern,
Die alternden Gorillaväter furzen,
Gorillakinder hangeln in den Ästen
Und schaukeln jauchzend wild auf den Lianen,
Die eheliche Treue der Gorillas
Ist vorbildhaft für die Schimpansenmännchen.
SUN WU KUNG
Schimpansenmännchen, sammelt euch zum Chor,
Studenten ihr der Universität.
DIE SCHIMPANSENMÄNNCHEN
Gorillamännchen leben in der Ehe
Und haben darum einen kleinen Penis,
Schimpansenmännchen und Studentenburschen
In freier Liebe rammeln einfach alles
Und haben darum einen großen Penis.
SUN WU KUNG
Ihr Orang-Utan, sammelt euch zum Chor,
Ihr seid mein Außenministerium.
DIE ORANG-UTAN
Wir wilden Männer kommen aus den Wäldern
Und brechen in die Menschendörfer ein
Und rauben uns die schönen jungen Mädchen,
Die vergewaltigen wir dann zu Tode!
SUN WU KUNG
Gut eingerichtet ist mein Affenreich.

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Sun Wu Kung und ein kleiner Kreis auserwählter Affen, darunter besonders ein alter bärtiger Affe.)

SUN WU KUNG
Ich weine, weine über, ach, den Tod!
Wie grausam ist der Tod, der letzte Feind!
Ein Affenweib mit schönen Affentitten
Gestorben ist: Wo ist die Äffin hin?
Was soll das Affenleben, noch so lustig,
Das heitre Spiel mit Kokosnüssen und
Das Fummeln am Geschlecht, wenn doch zuletzt
Der Tod das ganze Sein zunichte macht?
Ja, kommen wir nicht aus dem ewgen Nichtsein
Und kehren schließlich heim ins ewge Nichtsein?
Was ist denn da der Sinn des Affenlebens?
ALTER AFFE
In dir erwacht ist das Verlangen nach
Der Weisheit, wie die Philosophen sagen.
Die Weisheit ist Geschmack am Ewigen
Und ist die Einsicht in die reine Wahrheit.
SUN WU KUNG
Gibt es denn eine absolute Wahrheit?
Es gibt so viel verschiedne Meinungen!
ALTER AFFE
Begib dich auf die Suche, Sun Wu Kung!
Es heißt bereits bei einem alten Meister:
Wer sucht, der wird zuletzt die Wahrheit finden.
SUN WU KUNG
Ein Künstler aber sagte, dass er finde,
Er finde einfach, ohne je zu suchen.
ALTER AFFE
Ja, mit der Suche hat es etwas auf sich:
Du stellst dir etwas vor, das du dann suchst,
So läufst du einem Irrbild hinterher,
Irrst immer weiter von der Wahrheit ab.
SUN WU KUNG
So irre ich umher, ein Irrtums-Meister,
Von Irrtum irre ich zu Irrtum weiter,
Ja, gibt es eine Hoffnung noch für mich?
ALTER AFFE
Es gibt nur eine Hoffnung für den Sucher,
Die Hoffnung, dass die absolute Wahrheit
Sich plötzlich offenbart und dich erleuchtet.
SUN WU KUNG
Bevor ich geh auf meine Pilgerreise
Der Wahrheitssuche, ist es mein Verlangen,
Mit euch, geliebte Affenbrüder mein,
Den Pfirsich der Unsterblichkeit zu essen,
Des langen Lebens grünen Wein zu trinken.

(Sun Wu Kung und die auserwählten Affenbrüder essen und trinken feierlich.)

ZWEITE SZENE

(Saubere Stadt. Sun Wu Kung im gutbürgerlichen Anzug, ein Kleinbürger und eine Kleinbürgerin.)

SUN WU KUNG
Ich kam auf einem kleinen Kiefernfloß,
Ich ruderte mit einer Bambusstange,
So kam ich in die Stadt auf dem Kanal
Und kaufte mir ein Haus bei andern Häusern.
KLEINBÜRGER
Das ist des Menschen größtes Glück, ein Haus,
Denn meine Wohnung, das ist meine Burg.
KLEINBÜRGERIN
Hast du denn immer auch geputzt dein Haus?
KLEINBÜRGER
Und hast du immer auch am Wochenende,
Wenn du von deiner Arbeit kommst im Amt,
Das Hausdach renoviert und den Balkon?
SUN WU KUNG
Ich liebe nicht die Hausarbeit, das Putzen,
Da hab ich eine Putzmagd mir bestellt.
Auch lieb ich nicht die Renovierungsarbeit,
Da ließ ich kommen einen Zimmermann.
KLEINBÜRGERIN
Du könntest selber deine Wohnung putzen,
Da braucht es keine Putzfrau in dem Haus.
Was tust du denn den ganzen Tag zuhause?
SUN WU KUNG
Ich denke über Schöpfer und Geschöpf.
Ich dachte sonst, in Gott sei reiner Akt,
Doch sei in Gott auch alles in Potenz.
Die Möglichkeiten aller Wesenheiten
Als Ideale seien schon in Gott.
Jetzt aber denk ich, Gott ist purer Akt
Und die Materia ist die Potenz,
Die bloße nackende Materia
Ist eine unverwirklichte Potenz.
KLEINBÜRGERIN
Potenz bedeutet doch die Manneskraft
Und Akt die eheliche Einigung.
Du solltest dir ein Weib zur Gattin nehmen,
Dann wärs vorbei mit deinen Grübeleien.
KLEINBÜRGER
So denkst du also müßig vor dich hin?
Was bringt das denn? Das bringt dir doch kein Geld!
SUN WU KUNG
Beinahe hätte ich ein Weib genommen
Und wär geworden auch zum Kindervater,
Dann hätte ich auch Geld verdienen müssen.
Ich wäre gerne so wie ihr gewesen,
Doch leider suche ich geheime Weisheit.
Geboren bin ich, ach, zum Philosophen!

DRITTE SZENE

(Sun Wu Kung auf seinem Kiefernfloß, mit seiner Bambusstange rudernd, er landet am Strand des
Westlandes. Nahe am Strande im Pinien- und Fichtenwalde singt ein Holzfäller.)

SUN WU KUNG
Nun weiter, weiter auf der Pilgerreise,
Wie grün, wie grün sind doch die Pinienwälder!
Holzfäller, sag, wo ich gelandet bin!
HOLZFÄLLER
Im Westland bist gelandet an dem Strand,
Nah an dem Strande sind die Pinienwälder.
SUN WU KUNG
Was sangest du doch für ein schönes Lied?
Die Melodie gefiel mir. Sings noch einmal!
HOLZFÄLLER
(singt)
Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens,
Oh wie allein dort!
SUN WU KUNG
Das Lied, das Lied, ach, das geht mir zu Herzen,
Ich bin doch auch ein Waisenkind im All!
Wenn ich in Not und Jammer bin, so schrei ich:
O Mutter, Mutter, komm und steh mir bei!
Dann aber schweigt das ganze Universum.
Ich bin ja so allein in dieser Welt,
Ich glaube gar, ich wäre unsichtbar,
Und sehen mich die Menschen äußerlich,
So sind sie mir im Innern alle fremd.
HOLZFÄLLER
Das Lied, das lehrte mich ein weiser Meister,
Der lebte in dem fernen schönen Südland,
Er lebte auf dem heiligen Gebirge,
Das Berg des Herzens heißt. Dort sang er mir
Von seiner Einsamkeit und wie sein Atem
Jetzt mit dem Winde wandert durch die Welt.
SUN WU KUNG
Ach bitte, sing noch einmal dieses Lied!
HOLZFÄLLER
(singt)
Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens,
Oh wie allein dort!
SUN WU KUNG
Allein, allein, ich bin ja so allein!
Der weise Meister, der dies Lied erfunden,
Der könnte mich verstehen, glaube ich,
Ich will ein Schüler seiner Einsicht werden!
HOLZFÄLLER
So zieh zum weisen Meister in das Südland!
SUN WU KUNG
Der Süden ist die Himmelsrichtung Gottes.

DRITTER AKT

ERSTE SZENE

(Der weise Meister sitzt vor seiner Hütte auf einer Bambusmatte und meditiert. Aus der Ferne naht
ihm Sun Wu Kung.)

MEISTER
Ich bin der Meister der geheimen Weisheit,
Du, mein Besucher, was willst du von mir?
SUN WU KUNG
Was tust du grade, o du weiser Meister?
MEISTER
Ich meditiere an der Perlenschnur
Die Weisheit ewiger Barmherzigkeit,
Daß das Juwel steckt in der Lotosblüte.
Doch das wirst du wohl nicht verstehen, Affe.
SUN WU KUNG
Ich bin ja gar kein rechter Affe mehr,
Denn ich bewundere die weisen Meister.
Ach, wäre ich doch auch ein weiser Meister!
Doch gibt es Meister, die in Sünde leben
Und Knaben schänden oder kleine Mädchen!
MEISTER
Die Stunde kommt, die Spreu und Weizen trennt.
Willst du in meine Weisheitsschule kommen?
SUN WU KUNG
Erst möchte ich ein bisschen mit dir plaudern.
MEISTER
Ich plaudre nicht, ich sprech nur von der Lehre.
SUN WU KUNG
Bedenke, dass ich noch ein Affe bin
Und hab noch nicht gespeist das Brot der Weisheit.
MEISTER
Der Gott der Weisheit und Barmherzigkeit
Lädt dich in meine Weisheitsschule ein.
Ich sehe deine Demut, deinen Hunger
Nach Wahrheit, nach Gerechtigkeit auf Erden.
Kannst du die alten Schriften denn verstehen?
SUN WU KUNG
Wir Affen lieben auch die alten Schriften.
Doch wenn wir euch, die weisen Meister, sehen
Mit Weihrauch huldigen den alten Schriften,
Befällt uns doch ein wenig scheeler Neid.
MEISTER
Tritt ein in meine Hütte, komm und sieh,
Und wenn ich bring das Soma-Opfer dar
Dem Himmelsgott, darfst du dabei sein, Bruder,
Und stehen in der Gegenwart des Gottes.
SUN WU KUNG
Vielleicht ich werde selbst noch weiser Meister?
MEISTER
Ich danke dir, dass du gekommen bist.

ZWEITE SZENE

(Der Meister, seine zwölf Jünger, und Sun Wu Kung in der Hütte der Einsiedelei.)

MEISTER
Du bist in meine Schule eingetreten,
Du möchtest meine tiefe Weisheit kennen,
Entschlossen bist du, willst ein Jünger sein
Und mir auf meinem Himmelswege folgen.
Ein jeder Jünger, der in meiner Schule
Geht den geheimnisvollen Weg nach innen,
Legt ab den bürgerlichen Vatersnamen
Und wird genannt von mir mit neuem Namen.
SUN WU KUNG
Wie soll ich heißen, mein geliebter Meister?
MEISTER
Erwachender, der leer für Gott geworden!
SUN WU KUNG
Erwachender, der leer für Gott geworden?
Ist denn mein altes Affen-Ich gestorben,
In mir erstanden die Natur des Buddha?
EIN JÜNGER
Erwachender, der leer für Gott geworden,
Die sündige Natur des Affen ist
Im Bad der Reinigung ersoffen, aber
Der alte Affe ist ein guter Schwimmer.
ZWEITER JÜNGER
Nein, jetzt wo wir geworden zur Natur
Des Buddha, ist das ganze alte Ich
Gestorben, wir sind neue Kreatur!
Was frag ich da nach meinem alten Ich,
Nach meines Vaters, meiner Mutter Karma?
Ich bin ja jetzt zum Buddha-Gott geworden!
DRITTER JÜNGER
Sie beten alle zu Gautama Buddha,
Die Toren, dieser Pöbel in den Tempeln!
Ich bin genau so groß wie Buddha, ich
Bin von dem Ewigen Urbuddha Teil,
Ein Stück von Gott, ein menschgewordner Gott!
VIERTER JÜNGER
Erst dachte ich, wenn ich ein Mönch erst bin,
Dann bin ich eine neue Kreatur,
Die alten Sünden der Vergangenheit
Hab ich schon alle abgelegt, jedoch
Jetzt werd ich weise erst in Altersmilde,
Jetzt wieder mir gefallen junge Mädchen,
Die lüstern tanzen, und Musik und Wein!
MEISTER
Ihr Toren alle seid noch unerleuchtet!
SUN WU KUNG
Doch ich bin der Erwachende, erwacht
Zum Großen Vakuum für Gottes Weisheit!

DRITTE SZENE

(Sun Wu Kung allein im Garten der Einsiedelei.)

SUN WU KUNG
Hier hab ich neulich Nesseln ausgerissen
Und habe alte Dornen fortgetragen.
Dann habe ich den Acker umgegraben
Und acht gegeben, dass ich mit dem Spaten
Nicht einem Regenwurm das Leben nehme,
Dort hinten pflanzt ich Kräuter, dort Salat,
Dort Erdbeerbüsche und dort Pfirsichbäume,
Kirschbäume, Apfelbäume, Pflaumenbäume
Und dort lass rauschen ich den Bambusbusch.
Nur, Weisheit, was mach ich nur mit den Schnecken?
Ich darf sie nicht mit Salz bestreuen, denn
Ein Tier zu töten, ist ein großes Laster.
Nun, Weisheit, halte ich mir eben Enten,
Die Enten fressen dann die Schnecken auf.
Doch hier, dies kleine Beet, hab ich besonders
Gepflegt, hier sorge ich mich um die Rose,
Beschneiden muß im Frühling ich die Rose,
Auf dass im Sommer sie auch Blüten trägt.
Hier diese Gartenbank im Bambusschatten
Ist meine Ruhestelle, hier zu lesen,
Hol ich das Buch aus meiner Manteltasche.

(Er holt ein winzigkleines Exemplar des Tao-te-king von Lao Tse aus der Tasche und beginnt zu
lesen.)

O Frühling! Alle Menschen sind so froh


Und ziehn hinan die heiligen Terrassen
Zum Frühlingsopfer, darum sind sie fröhlich.
Nur ich allein bin, ach, so grundlos traurig,
Ich treibe wie ein Schiff auf wildem Meer
Und weine wie ein Kind nach seiner Mutter.
Die Menschheit nennt mich einen Taugenichts
Und Grillenfänger, Tunichtgut, Verrückten,
Die Menschen sind so klug in dieser Welt,
Ich aber bin so töricht wie ein Kindchen,
Ein kleines Kindchen bin ich und vertraue
Dem reinen absoluten Sein, das trägt mich,
Trägt meine flüchtige Vergänglichkeit,
Wie eine Amme trägt ihr kleines Kindchen.
Das reine absolute Sein allein
Ehr ich als liebe Mama, die mich stillt.

(Er schlägt das Buch wieder zu und steckt es zurück in die Manteltasche.)

Ja, wer erkannt die Große Mutter und


Sein eignes Kindsein vor der Großen Mutter,
Der ist im Untergang des eignen Leibes
Befreit von aller tödlichen Gefahr!

VIERTE SZENE

(Der Meister und Sun Wu Kung unterm Feigenbaum – ficus religiosa – vor der Hütte.)

MEISTER
Erwachender, ich will dich Weisheit lehren!
SUN WU KUNG
Ach, Weisheit! Ich will tanzen, tanzen, sag ich!

(Sun Wu Kung führt einen wilden erotischen Tanz auf.)

MEISTER
Ich lehr dich das Geheimnis der Magie,
Der Zauberverse und der Amulette,
Verbrannte Texte, Talismane, Zahlen
Und Zeichen, Signaturen der Magie.
SUN WU KUNG
Ach was, Magie! Ich will nur tanzen, tanzen!

(Er tanzt einen bengalischen Hochzeitstanz.)

MEISTER
Ich lehre dich, Orakel zu verstehen,
Das Stechen in den Büchern und das Losen,
Wahrsagen aus den Karten, Staatsorakel
Von Tibet und das Lesen im I Ging.
SUN WU KUNG
Ach was, Orakel! Tanzen will ich, tanzen!

(Er tanzt einen Fruchtbarkeitstanz.)

MEISTER
Ich lehre dich geheime Wissenschaft,
Naturerkenntnis, Alchemie, die Sprache
Der Vögel, Elixiere, Pillen, Drogen.
SUN WU KUNG
Ach Wissenschaft! Ich will nur tanzen, tanzen!

(Er tanzt einen orgiastischen Regenzauber.)

MEISTER
Ich lehre dich den Yoga der Aktion,
Almosengeben und Barmherzigkeit.
SUN WU KUNG
Ach was, Aktion! Ich möchte tanzen, tanzen!

(Er tanzt den Tanz von Phönixmännchen und Zaubervogelweibchen.)

MEISTER
Ich lehre dich den Weg des rechten Atmens,
Qi Gong, wie man den Atem reguliert.
SUN WU KUNG
Qi Gong! Das schützt nicht vor dem Sterbenmüssen!

FÜNFTE SZENE

(Der Meister, Sun Wu Kung und drei kleine Knaben aus dem nahen Dorf.)

MEISTER
Willst du jetzt Philosophenweisheit hören?
Ich sage dir: Der Mensch ist selber Gott!
SUN WU KUNG
(lacht)
Ich bin kein Mensch, kein Mensch, ein Affe
Bin ich und möchte Purzelbäume machen!
(Er macht Purzelbäume, die kleinen Knaben quietschen vor Vergnügen.)

DIE KNABEN
Ja, kannst du denn auch einen Handstand machen?
SUN WU KUNG
Ich wills versuchen, meine kleinen Götter!

(Sun Wu Kung macht einen Handstand.)

MEISTER
Was sollen diese tollen Kindereien?
Ich lehre dich geheime Wissenschaft!
DIE KNABEN
Ach spiel doch bitte, bitte, mit uns Ball!
SUN WU KUNG
Ich bin der Ball! Ihr Götter spielt das Ballspiel!

(Sun Wu Kung rennt durch den Garten, die Knaben lachend lärmend hinterher.)

MEISTER
Ehrwürdige geheime Wissenschaft,
Du bist nichts für die blinden Kindermenschen!
Erwachender, du bist ein Narr geworden!
DIE KNABEN
O bitte, spiele du mit uns Verstecken!

(Sun Wu Kung hält sich die Augen zu.)

SUN WU KUNG
Ich seh nichts mehr! Jetzt bin ich unsichtbar!

(Die Knaben lachen. Der Meister spricht todernst.)

MEISTER
Unwürdig bist du meiner Weisheit, geh,
Du Narr mit ruhelosem Affenherzen,
Verlasse meine Philosophenhütte!

(Sun Wu Kung geht lachend fort.)

VIERTER AKT

ERSTE SZENE

(Sun Wu Kung auf der Insel der Affen. Um ihn grauhaarige Affenmütter und Affenväter.)

DIE ALTEN AFFEN


Du bist zurück, verehrter Affenkönig,
Wie sind wir froh, dass du zurückgekehrt.
Wir müssen alle unsre Leiden klagen,
Denn unsre Affenkinder sind dahin!
SUN WU KUNG
Wo sind sie hin, die lieben kleinen Äffchen?
DIE ALTEN AFFEN
Im hohen Norden hinterm Chaos wohnt
Im Nebelland der böse Teufelskönig,
Der hat geraubt uns unsre Affenkinder,
Er raubte sie, und er erlaubt uns nicht,
Daß wir die kleinen Äffchen wiedersehen.
SUN WU KUNG
Bei Gott, ich fluch dem bösen Teufelskönig!
DIE ALTEN AFFEN
Kannst du besuchen unsre kleinen Äffchen
Und sie erlösen von dem Teufelskönig?
SUN WU KUNG
Der böse Teufelskönig ist sehr mächtig,
Ankläger ist er aller meiner Brüder
Vor dem Gericht, der böse Staatsanwalt,
Der anklagt und verleumdet meine Brüder.
Wer sind denn meine Brüder auf der Erde?
Nicht jene, die sich wagen einzubilden,
Sie seien mir verwandt dem Blute nach,
Nein, Gottes vielgeliebte kleine Kinder
Sind meine Brüder in dem Geist der Liebe.
Und wenn der böse Teufelskönig raubte
Mir meine vielgeliebten kleinen Brüder,
Dann muß ich alles unternehmen, um
Die Kindlein von dem Teufel zu befreien!
DIE ALTEN AFFEN
Der böse Teufelskönig ist sehr mächtig,
In welcher Vollmacht willst du mit ihm streiten?
SUN WU KUNG
Weil ich gedrungen durch den Wasserfall
Und mir dabei benetzte nicht mein Fell,
Drum bin ich jetzt der reine Affenkönig,
Ich bin der Weise auch der wahren Weisheit,
Denn ich bin der Erwachende, erwacht
Zum Großen Vakuum für Gottes Weisheit.
DIE ALTEN AFFEN
O König, rette unsre Affenkinder!

ZWEITE SZENE

(Sun Wu Kung im Wasserschloß des Ostmeerdrachens. Der Ostmeerdrache als Meereskönig und
seine wunderschöne Tochter als Prinzessin des Meeres. Der Meereskönig und Sun Wu Kung trinken
grünen Tee vom Himalaya.)

DRACHENKÖNIG
Zusammen sind gerollt die Blätter Tee,
Wir legen sie ins Porzellan der Tasse
Und gießen drüber kochend heißes Wasser,
Sodann entfalten sich die grünen Blätter,
Die lang und schmal wie Mädchenfinger sind
Und geben ihr erquickendes Aroma
Dem heißen Wasser, den Geschmack von Tee.
SUN WU KUNG
Verehrter Ostmeerdrachenkönig, ich
Besitze nur ein kleines scharfes Messer,
Mit dem muß ich den Teufelskönig töten.
DRACHENKÖNIG
Der Teufelskönig ist sehr stark, du wirst
Mit einem Messer ihn nicht töten können.
PRINZESSIN
Verzeihe, Herr, du großer Affenkönig,
Daß ich zu dir erhebe meine Stimme.
SUN WU KUNG
Prinzessin, wunderschön und voller Anmut,
Wenn ich dich sehe, liebliche Prinzessin,
Ich schließe gleich zurück auf Gottes Schönheit!
PRINZESSIN
Im Ostmeer, mitten in der tiefsten Tiefe,
Da weiß ich stecken eine Kupferstange,
Wenn du herausziehst diese Kupferstange,
Kannst du mit ihr den Teufelskönig töten.
SUN WU KUNG
Prinzessin, Weisheit aus dem Land des Lächelns,
Was ist denn das für eine Kupferstange?
PRINZESSIN
An dieser Kupferstange in dem Meer,
Der Axis Mundi mitten in dem Ostmeer,
An ihr hing einst die weiße Himmelsschlange.
SUN WU KUNG
Ich sehe ein Gesicht, und was ich sehe,
Ist dieses: Ziehe ich die Kupferstange
Aus ihrem Grund im Ostmeer, überflutet
Das Meer das Wasserschloß des Drachenkönigs!
PRINZESSIN
Mit meinem zauberhaften Lächeln ich
Gebiete dir: Nimm du die Kupferstange
Und schlag mit ihr den Teufelskönig tot!

DRITTE SZENE

(Zwei weißgekleidete Männer führen Sun Wu Kung in den unterirdischen Palast der Todesgötter.)

SUN WU KUNG
Ihr Männer in den weißen Leinenkleidern,
Wohin entführt ihr mich? Was seid ihr schweigsam!

(Sie erscheinen vor den Thronen der Todesgötter. Die Todesgötter springen erschrocken auf.)

DIE TODESGÖTTER
O Herr des Himmels! Was hat das zu sagen?
Warum kommt zu uns her der Affenkönig?
SUN WU KUNG
Nennt mich nicht mehr mit Namen Sun Wu Kung,
Nennt mich auch nicht den Affenkönig mehr,
Nennt mich auch nicht mehr den Erwachenden,
Erwacht zur Leere für die Weisheit Gottes,
Nennt mich des Himmels Eingeborenen
Und Heiligsten von allen Heiligen!
DIE TODESGÖTTER
Was forderst du von uns, du Eingeborner
Des Himmels, Heiligster der Heiligen?
SUN WU KUNG
Ich sage: Reicht mir her das Buch des Todes!

(Die Todesgötter reichen ihm das Buch des Todes, er schlägt es auf und sucht nach Namen darin.)

SUN WU KUNG
Hier, in dem Buch des Todes sehe ich
Die Namen aller meiner Affenkinder
Geschrieben kalligraphisch schön mit Tusche
Und angegeben ihre Todesstunde.
Gebt einen Pinsel mir und schwarze Tusche!

(Die Todesgötter reichen ihm ein Tintenfass und einen Pinsel. Er taucht den Pinsel in das Fass.
Dann streicht er im Buch des Todes die Namen seiner Affenkinder aus.)

DIE TODESGÖTTER
Der Affenkinder Namen streichst du aus?
SUN WU KUNG
Ja, ich entreiß dem Tode meine Kinder!

FÜNFTER AKT

ERSTE SZENE

(Im Himmel. Der Herr des Himmels, zu seiner Rechten steht der Genius Morgenstern. Vor ihm
erscheinen der Ostmeerdrachenkönig und die Todesgötter.)

OSTMEERDRACHE
O Herr, die Affen werden allzu frech!
Jetzt fordern doch bereits die Menschenaffen
Verbürgt ihr heilig Menschenaffenrecht!
Bald gehen Affenweibchen gar zur Wahl
Und wählen einen Affenpräsidenten
In einer Menschenaffendemokratie!
Ihr Führer ist der wilde Sun Wu Kung,
Der mit dem Beistand meiner schönen Tochter
Die Kupferschlange aus dem Ostmeer zog
Und überflutete mein Wasserschloß!
DIE TODESGÖTTER
O Herr, du ewige Gerechtigkeit!
Die Tiere müssen alle, alle sterben,
Doch Sun Wu Kung kam in das Totenreich
Und strich der Affenkinder Namen aus
Dem Buch des Todes vor dem Weltgericht!
DER HERR
Verkläger! Hören will ich Morgenstern!
GENIUS MORGENSTERN
O Herr, die ewige Gerechtigkeit
Wird überwunden nur durch deine eigne
Barmherzigkeit, die dir im Busen wühlt.
Liebhaber bist du aller Lebewesen!
Wenn etwas wäre in der Welt, das du
Nicht liebtest, hättest du es nicht geschaffen.
Die Götter brauchen deine Gnade nicht,
Jedoch die ruhelosen Affenherzen
Bedürfen deines herzlichen Erbarmens!
DER HERR
O Morgenstern, du Genius der Liebe,
Was soll ich tun mit diesem Sun Wu Kung?
GENIUS MORGENSTERN
Herr, hab Erbarmen! Zwar er ist ein Sünder,
Ist ein Rebell, ein Schwätzer und ein Spötter,
Doch hab Erbarmen, Herr, doch hab Erbarmen
Und nimm ihn auf in deine Himmelshallen!
DER HERR
Gut, Morgenstern, du Genius der Liebe,
Führ du mir Sun Wu Kung ins Paradies!
GENIUS MORGENSTERN
Dein Wille, Ewiger, ist mir Befehl.

ZWEITE SZENE

(Sun Wu Kung allein auf dem Gipfel des Affenberges. Der Genius Morgenstern erscheint vor ihm.)

GENIUS MORGENSTERN
O Sun Wu Kung, ich habe gute Nachricht.
SUN WU KUNG
Zu mir jetzt kommen gar die Himmelsgötter?
Wo sind die Göttinnen mit vollem Busen
Und schönen Haaren in den Schwangewändern?
GENIUS MORGENSTERN
Statt Himmelsgöttinnen mit vollem Busen
Jetzt kommt zu dir der Genius Morgenstern,
Ich lade dich in Gottes Himmel ein!
SUN WU KUNG
Soll ich jetzt selbst ein Gott des Himmels werden?
GENIUS MORGENSTERN
Vorbei ist jetzt die Zeit von Stolz und Hochmut.
Der Affe stellte sich den Menschen gleich,
Die Menschen stellten sich den Göttern gleich.
Erkenne jetzt: Du bist ein Knecht des Herrn,
Berufen, um auf Knieen anzubeten.
SUN WU KUNG
Ja, guter Schutzgott, führ mich in den Himmel!

(Eine goldene Wolke verhüllt den Genius Morgenstern und Sun Wu Kung, sie schweben aufwärts
zur östlichen Himmelspforte. Dort erwartet sie der Wächter der Himmelspforte, der himmlische
Fischer.)

HIMMLISCHER TORWÄCHTER
Wer klopft hier an die Paradiesespforte?
GENIUS MORGENSTERN
Der Affenkönig Sun Wu Kung klopft an.
HIMMLISCHER TORWÄCHTER
Wie? Soll ein Affe in den Himmel kommen?
SUN WU KUNG
Auch Esel kommen doch ins Paradies!
GENIUS MORGENSTERN
Der Herr des Himmels will, dass alle Affen
Gerettet werden, auch der Affenkönig.
HIMMLISCHER TORWÄCHTER
Was, Sun Wu Kung, was hast du anzubieten?
SUN WU KUNG
Ach, leider hab ich gar nichts anzubieten,
Ich hab nicht die Verdienste frommer Menschen,
So bin ich ärmer als die Bettelmönche.
GENIUS MORGENSTERN
O Wächter du der Himmelspforte, öffne!
HIMMLISCHER TORWÄCHTER
Komm, Sun Wu Kung! Der Herr ist zu barmherzig!

DRITTE SZENE

(Im Himmel. Sun Wu Kung ist Guter Hirte der himmlischen Schafe und Lämmer und weidet die
Herde auf den Bergen des Herzens in Einsamkeit.)

SUN WU KUNG
Der Herr des Himmels fragte: Liebst du mich?
Ich sagte: Ja, o Herr, ich liebe dich!
Da sprach der Herr: So weide meine Lämmer!
Der Herr des Himmels fragte: Liebst du mich?
Ich sagte: Ja, o Herr, ich liebe dich!
Da sprach der Herr: So weide meine Schafe!
Dann fragte mich der Herr: Bist du mir Freund?
Ich sagte: Herr des Himmels, du weißt alles,
Du weißt, ich will mit dir befreundet sein!
Da sprach der Herr: So weide meine Schafe!
Und so bin ich geworden zu dem Hirten,
Dem guten Hirten, und die Lämmer alle,
Sie kennen meine Stimme, folgen mir.
Ist da ein Mietling, der die Herde hütet,
Sieht der die Wölfe kommen, flieht der Mietling,
Doch nicht der gute Hirte, der bleibt da.

(Er holt eine Hirtenflöte aus der Tasche und bläst auf der Flöte.)

So bin ein Hirte also ich geworden,


Ein Hirte, der ich einst ein König war!
Ach, wenn ich wieder auf der Erde wäre
Bei meinen Affenbrüdern, Affenschwestern,
Den Affenschwestern mit den Affentitten!
Was soll ich denn ein Hirte sein im Himmel,
Kann ich ein König auf der Erde sein!
Einst war ein Held in einem großen Kriege,
Der sagte, lieber wär er Hund auf Erden,
Als dass er Löwe wär im Totenreiche!
Ich war auf Erden doch ein Affenkönig,
Im Himmel bin ich nur ein Lämmerhirte.
Nein, Affenkönig sein, ist mein Beruf,
Schimpansen und Gorillas, Orang-Utan
Und Menschenaffen möchte ich beherrschen
Und noch auf Erden richten auf das Reich
Der Menschenaffenrechte und der Freiheit,
Wo Affenweibchen gleich den Affenmännchen,
Wo die Schimpansen haben auch das Recht,
In freier Liebe sich zu einigen,
Wie die Gorillas ehlich sich vereinen.
Deklaration der Menschenaffenrechte
Will ich verkündigen und die vereinten
Nationen aller freien Affenvölker!

(Er springt durch das südliche Himmelstor zurück auf die irdische Insel der Affen.)

VIERTE SZENE

(Sun Wu Kung auf der Insel der Affen. Zwei Teufel legen ihm den Kaisermantel um.)

SUN WU KUNG
Ich bin der Kaiser aller Affen Chinas,
Doch bin ich nicht der Himmelssohn geworden
Durch das Mandat des Himmels, unsres Vaters,
Ich habe selbst zum Kaiser mich gekrönt.
DIE BEIDEN TEUFEL
Du bist ja nicht von Gottes Gnaden Kaiser,
Ein autonomer Herrscher du des Volkes,
Auch nicht durch das Mandat des Volkes Kaiser,
Selbstherrlich du dein eigner Kaisermacher.
SUN WU KUNG
Ich, großer Affenkaiser aller Affen,
Bestimme, dass der Homo sapiens,
Der Mensch, der denkt, soll hingerichtet werden!
DIE BEIDEN TEUFEL
Vor allem alle Menschensöhne, die
Auf ihrer Nase eine Brille tragen!
SUN WU KUNG
Allein der Homo faber bleibt bestehen,
Der Mensch der Arbeit soll im Reiche dienen.
DIE BEIDEN TEUFEL
Was aber mit dem Homo religiosus?
SUN WU KUNG
Die Bettelmönche mit dem Aberglauben?
Die Bonzen aller Tempel sollen sterben!
Das Gold der Tempel für die Menschengötter
Gehört dem Affenkaiser jetzt allein.
DIE BEIDEN TEUFEL
Was soll geschehen mit den Menschenbüchern,
Die von den Menschengöttern Kunde geben?
SUN WU KUNG
Ich werde selbst ein Weisheitsbuch verfassen,
Ich nenne es die Bibel Sun Wu Kungs,
Man wird sie Blinden auf die Augen legen
Und so gewinnen sie die Sehkraft wieder.
DIE BEIDEN TEUFEL
Wie soll dein Name sein, o großer Führer?
SUN WU KUNG
Ich bin der himmelgleiche Heilige!
DIE BEIDEN TEUFEL
Nun braucht das Affenvolk nicht mehr den Himmel,
Denn auf der Erde gegenwärtig ist
Der himmelgleiche Heilige, ihr Kaiser.
SUN WU KUNG
Den Himmel überlassen wir den Göttern.
Auf Erden gibt’s genügend Kokosnüsse,
Genug Bananen gibt’s für alle Affen!

FÜNFTE SZENE

(Der Kriegsgott Notscha kommt in voller Rüstung vom Himmel geritten und verfolgt den
fliehenden Sun Wu Kung.)

NOTSCHA
Der Kriegsgott muß dich holen in den Himmel?
Ja, wollt ihr Affen nicht freiwillig kommen?
Muß man euch drohen erst mit eurem Tod?
SUN WU KUNG
Wo du mich jetzt mit meinem Tod bedrohst,
Da wär es doch nicht adlige Gesinnung,
Wenn jetzt ich an die Himmelspforte klopfte.
NOTSCHA
Ja, wenn nicht in der Stunde deines Todes,
Wann willst du dann um das Erbarmen flehen?
SUN WU KUNG
Ach, allzu schön ist doch die Mutter Erde,
So grüne Bäume gibt’s doch nicht im Himmel.
NOTSCHA
Wenn ich dir drohe mit dem Schwert des Todes,
Was nützen dir dann noch die grünen Bäume?
SUN WU KUNG
Erst möchte ich auf Erden Abschied nehmen
Von allen meinen lieben Affenkindern.
Ich kann jetzt noch nicht in den Himmel kommen,
Wer soll für meine Affenkinder sorgen?
NOTSCHA
Der Herr im Himmel sorgt sich um die Vögel
Und sollte sich ums Affenvolk nicht kümmern?
Du sorge dich nur um dein Seelenheil!
SUN WU KUNG
Die Klappe zu, so ist der Affe tot.
NOTSCHA
Das gibt ein schreckliches Erwachen noch,
Wenn ich dich töte mit dem Schwert des Krieges
Und deine Seele tritt dann vor den Herrn,
Den du dein Leben lang geleugnet hast!
SUN WU KUNG
Geh weg von mir, o Kriegsgott, ich verstecke
In einem Tempel mich auf einem Berge
Und lebe als ein Eremit allein
In den chinesischen Gebirgeshöhen
Und pflanze Reis an für den heißen Reiswein.
NOTSCHA
Jetzt hab ich dich! Jetzt musst du mit mir kommen!
SUN WU KUNG
Ihr Götter, Göttin oder Gott, Erbarmen!

SECHSTER AKT

ERSTE SZENE

(Im Himmel. Der Herr des Himmels, der Genius Morgenstern und Sun Wu Kung.)

DER HERR
So bist du also jetzt im Himmelreich,
Weil du ein Narr gewesen bist, ein Narr,
Drum musste ich mich über dich erbarmen.
Ich will dir einen neuen Namen geben,
Auf einer weißen Jade steht der Name.
SUN WU KUNG
O Herr, wie soll mein neuer Name sein?
DER HERR
O Morgenstern, du Genius der Liebe,
Wie soll des Narren neuer Name sein?
GENIUS MORGENSTERN
Er heiße: Himmelgleicher Heiliger.
DER HERR
O himmelgleicher Heiliger, bist du
Zufrieden mit dem neuen Namen, Närrchen?
SUN WU KUNG
Ich bin der himmelgleiche Heilige!
Wo aber soll ich leben in dem Himmel?
Ich will nicht wieder nur ein Hirte sein,
Ich will genießen die Glückseligkeit!
DER HERR
O Morgenstern, du Genius der Liebe,
Wo ist ein Platz für ihn im Paradies?
GENIUS MORGENSTERN
Ich schaute gestern noch im Paradies
Ein weißes Schloß in einem großen Park.
DER HERR
Wo ist das weiße Schloß mit seinem Park
Gelegen in dem weiten Paradies?
GENIUS MORGENSTERN
O Herr, denk an den himmlischen Palast
Der Hsi Wang Mu, der Königin und Mutter
Des Westgebirges, östliche vom Palast
Ist dieses weiße Schloß mit seinem Park
Gelegen und durch Wege zu erreichen.
DER HERR
Gefällt dir deine neue Wohnung, Kindchen?
SUN WU KUNG
Ja, Herr. Ich bin erschöpft vom Erdeleben.
Ich hab zuviel vom heißen Wein getrunken
Und hab zuviel geraucht vom Opium.
Jetzt brauch ich Ruhe, Herr, jetzt brauch ich Ruhe,
Jetzt will ich schlummern nur im Paradies
Und ab und an gemütlich dann spazieren
Und Hsi Wang Mu besuchen im Palast.

ZWEITE SZENE

(Sun Wu Kung geht im Paradies spazieren. Er sieht den Gott des nördlichen Polarsterns mit dem
Gott des südlichen Polarsterns zusammen sitzen beim Schachspiel.)

GOTT DES NÖRDLICHEN POLARSTERNS


Mein lieber Gott, das erste Spiel hast du
Gewonnen, jetzt gewinne ich das Spiel.
GOTT DES SÜDLICHEN POLARSTERNS
Jetzt könnt ich schlagen deinen schwarzen Stein,
Dann hätte ich gewonnen, lieber Gott,
Dann aber wirst du wütend wieder weinen
Und mit den Füßen treten an den Tisch.
GOTT DES NÖRDLICHEN POLARSTERNS
Jetzt setz ich meinen schwarzen Stein ins Ziel,
Jetzt habe ich gewonnen, lieber Gott.
GOTT DES SÜDLICHEN POLARSTERNS
Ich habe dich gewinnen lassen, Lieber,
Nur um des lieben Friedens willen, Gott,
Sag, freust du dich an deinem Siege auch?
GOTT DES NÖRDLICHEN POLARSTERNS
Vorm Abendmahle spielen wir noch einmal,
Da will ich dich vernichtend schlagen, Lieber.
GOTT DES SÜDLICHEN POLARSTERNS
Jetzt aber gibt es erst mal Abendbrot.

(Sun Wu Kung wandert weiter durch das Paradies und kommt zum Stern des Rinderhirten und zum
Stern der Weberin.)

RINDERHIRTE
Geliebte, einmal nur im Jahre kommen
Zusammen wir, weil zwischen unsern Sternen
Der weiße Sternenstrom galaktisch strömt.
WEBERIN
Mein Freund, doch heute ist der Feiertag,
Da bauen Elstern hilfreich uns die Brücke.
RINDERHIRTE
Ich hab dir ein Geschenk auch mitgebracht,
Schau, dieses Joch des Ochsen schenk ich dir.
WEBERIN
Ich auch hab ein Geschenk dir mitgebracht,
Schau, diese Spindel leg ich dir zu Füßen.
RINDERHIRTE
Nun, darf ich dich auch küssen, Vielgeliebte?
WEBERIN
Ich bitte um ein Küsschen auf die Wange!

(Sun Wu Kung wandert weiter.)

DRITTE SZENE

(Im Paradies. Der Pfirsichgarten der Hsi Wang Mu. Hsi Wang Mu und Sun Wu Kung.)

SUN WU KUNG
O Hsi Wang Mu, o Königin und Mutter,
Was soll ich tun in deinem Pfirsichgarten?
HSI WANG MU
O Sun Wu Kung, der Laster Anfang ist
Der Müßiggang. Die Muße stürzte Staaten
Und stürzte Könige von ihren Thronen.
Der Müßiggang begann die schlimmsten Kriege.
SUN WU KUNG
O Göttin Muße, sei von mir gegrüßt!
HSI WANG MU
Allein aus deinem Müßiggang vielleicht
Verliebst du dich und du verwirrst dein Herz!
Allein aus Muße wählst du einen Freund,
Der einem schlimmen Finger ähnlich sieht!
SUN WU KUNG
Die Arbeit aber hab ich nie geliebt.
Im Schweiße seines Angesichtes Arbeit
Zu tun, war immer mir ein Fluch des Herrn.
HSI WANG MU
Doch will ich, dass du in dem Himmelsgarten
Ein Gärtner bist, ein Herrscher bist im Garten,
Der Himmelsgarten sei dir untertan,
Du herrsche wie ein kleiner Gott im Garten!
SUN WU KUNG
Und darf ich denn auch von den Pfirschen naschen?
HSI WANG MU
Die Himmelspfirschen der Unsterblichkeit
Sind dir verboten! Achte das Tabu!

(Hsi Wang Mu ab.)

SUN WU KUNG
Wie schön am Pfirsichbaum die Blüten sind!
Ich seh die Blüten von den Mandelbäumen,
Kirschblüten sah ich einst am Fujiyama,
Sah Apfelblüten und sah Pflaumenblüten,
Die schönsten sind die Pfirsichblüten doch!
Und diese Pfirschen! Diese roten Bälle,
So samtweich ist die Haut wie eine Wange
Der Urgroßmutter eines Bettelmönches,
Und wenn ich diese süßen Bälle schaue
Und denken muß an feste Mädchenbrüste,
Dann möcht ich ihren Nektar schlecken, saugen!

(Sun Wu Kung pflückt sich einen der verbotenen Pfirsiche der Unsterblichkeit und verspeist ihn mit
sündigem Genuß.)

VIERTE SZENE

(Im Pfirsichgarten. Drei sechzehnjährige Feen in transparenten Regenbogenkleidchen tanzen im


Garten. Sun Wu Kung hat sich in einem Wipfel versteckt und schläft.)

ERSTE FEE
O liebe Schwester, süßes Himmelsmädchen,
Wie schön das Leben ist im Paradies!
ZWEITE FEE
O Mädchen, schau, in unsrer Mädchenschönheit
Bricht sich wie im Kristall das Licht der Schönheit.
DRITTE FEE
Die Wesenheit der Schönheit sei gegrüßt,
Der Schönheit Urform und der Schönheit Urbild,
Die himmlische Idee der Schönheit grüß ich.
ERSTE FEE
Die Wesenheit der Schönheit ist in Gott,
Urschönheit ist die Gottheit, alle Schönen
Sind wie die Sonnenstrahlen einer Sonne.
ZWEITE FEE
Und darum gibt es auch im Paradies
Kein altes fettes Weib mit Falten, Runzeln,
Kein altes Weib mit Warzen im Gesicht.
Hier ist kein alter Mann mit dickem Bauch,
Mit grauem Bart und Ansatz einer Glatze.
Das alles sind die Zeichen nur des Todes.
DRITTE FEE
Im Paradies der Wesenheit der Schönheit
Sind Himmelsmädchen nur von sechzehn Jahren.
ERSTE FEE
Und darum werden sich die Künstler freuen,
Die Maler, die die Guan Yin gemalt,
Die Dichter, die besungen junge Mädchen,
Die, wenn sie kommen in das Paradies,
Die werden sehn, dass sie das Paradies
Schon manchmal auf der Erde vorverkostet,
Wenn sie ein junges Mädchen lächeln sahn.
ZWEITE FEE
Erwache, Südwind, blase in den Garten!

(Sun Wu Kung erwacht.)

DRITTE FEE
Die Hsi Wang Mu, die Königin und Mutter,
Sie gibt in ihrem himmlischen Palast
Ein Fest, und alle Götter sind geladen.

(Feen ab. Sun Wu Kung schüttelt seine Schlaftrunkenheit ab und reibt sich den Schlaf aus den
Augen.)

SUN WU KUNG
Geladen alle Götter! Und ich nicht?

FÜNFTE SZENE

(Sun Wu Kung begegnet im Himmel dem Unbeschuhten Gott.)

SUN WU KUNG
Wohin des Weges, Unbeschuhter Gott?
UNBESCHUHTER GOTT
Ich will zum Fest der Mutter Hsi Wang Mu,
Sie lud die Götter ja zum einem Festmahl.
SUN WU KUNG
Bin ich allein, nur ich nicht eingeladen?
UNBESCHUHTER GOTT
Ich will die Mutter und die Königin
Des Westgebirges bitten, dich zu laden.
Ja, lieber will ich fasten, will ich hungern,
Als dass das Himmelreich wär unharmonisch!
Wir sind hier eine göttliche Familie.
SUN WU KUNG
Familie? Was ich von Familien sah
Auf Erden, das war einfach ekelhaft!
Ich sah Gorillaweibchen, alt und fett,
Mit schlaffen Affentitten unterm Baum
Bei Kokosnüssen sitzen, sinnlos schwatzen,
Gorillamännchen sah ich, grau ihr Haar,
Sie furzten vor sich hin voll Langeweile,
Gorillakinder in Lianen schaukelnd
Laut kreischten voller Neid und Eifersucht.
Das soll ich alles hier im Himmel finden?
UNBESCHUHTER GOTT
Das Himmelreich ist anders als die Erde.
Wir werden hier erst zur Familie Gottes,
Nachdem wir durch das Haus der Reinigung
Gegangen und uns badeten im Feuer.
SUN WU KUNG
Wenn einer nun sein Leben lang gelitten
An seinem Vater und an seiner Mutter,
Soll ihnen er im Paradies begegnen?
UNBESCHUHTER GOTT
Wer durch das Haus der Reinigung gegangen
Und von dem Wasser des Vergessens trank,
Vergisst die Bösen und die Übeltäter,
Denkt nur noch an die schönsten Liebeswonnen!
SUN WU KUNG
Ich möchte auch zum Mahl der Königin.
UNBESCHUHTER GOTT
Wir Götter in dem Paradies sind alt,
Wir brauchen einmal wieder junge Götter!
SUN WU KUNG
Wenn ich dich anschau, Unbeschuhter Gott,
So scheinst du alt an Tagen mir zu sein
Und doch so lieblich wie ein junges Mädchen.
UNBESCHUHTER GOTT
Das Herz der Königin sei mit dir, Kindchen!

SECHSTE SZENE

(Im Palast der Königinmutter Hsi Wang Mu. Die Götter sitzen an einer langen Tafel und speisen
Ambrosia und trinken Nektar. Sun Wu Kung lässt das Ambrosia weg und trinkt einen Becher Nektar
nach dem andern.)

HSI WANG MU
Ja, habt ihr alle auch genügend Nektar?
DER RINDERHIRTE
Das war auf Erden unser Wunsch gewesen,
Wenn wir dereinst zu einem Sternbild werden,
Dann trinken wir mit Hsi Wang Mu den Nektar.
Auf Erden uns bekam der Nektar nicht,
Ich denke an den heißen gelben Reiswein,
Uns taten immer unsre Schädel weh
Und manchmal mussten wir uns auch erbrechen.
Wie schön, dass wir jetzt in dem Paradies
Als Götter leckern Nektar trinken dürfen.
SUN WU KUNG
Beim ersten Becher Nektar bin ich noch
Erleuchtet nicht, da leugne ich die Wahrheit,
Wenn ich jedoch den ganzen Krug geleert,
Erkenne ich sie ganz, die nackte Wahrheit.
RINDERHIRTE
Du säufst zuviel! Anstatt dich zu besaufen,
Laß lieber dich vom reinen Geist erleuchten!
SUN WU KUNG
Ihr trinkt den Nektar mit den Götterbrüdern
Im himmlischen Palast der Hsi Wang Mu.
Ich aber trinke Gottes Trunkenheit,
Ich selber bin zum Nektar schon geworden,
In meinen Adern fließt kein Affenblut,
In meinen Adern fließt der Nektar Gottes!
RINDERHIRTE
Der Affe bleibt ein Affe allezeit.
SUN WU KUNG
In meinen Adern fließt der Nektar Gottes
Und dieser Nektar mich verklärt zum Gott.
Ist auf dem Monde doch ein Nektarmeer,
Ich Nektartrunkener versinke trunken
Im Nektarmeer des Gottes auf dem Mond.
RINDERHIRTE
Ja, bist du denn auch einmal nüchtern, Narr?
SUN WU KUNG
Ich Trunkenheit von Gottes Trunkenheit
Versink ekstatisch in dem Rausch der Liebe
Und schlafe trunken mit dem Schlaf des Gottes!
RINDERHIRTE
Ach, was du sagst, ist nichts als purer Wahnsinn!

SIEBENTE SZENE

(Im Himmel. Sun Wu Kung taumelt betrunken in die Einsiedlerhütte von Lao Tse. Dort hat der
abwesende Lao Tse sein alchemistisches Laboratorium und stellt die Pillen des ewigen Lebens her.)

SUN WU KUNG
Dies also ist das Haus von Lao Tse,
Hier ist sein alchemistisches Labor.
Die Menschen und die Götter wollen alle
Die Pillen der Unsterblichkeit verspeisen.
Sie möchten sammeln sich in großen Hallen
Beim Taoistenpapst im Gelben Turban,
Und wenn sie ihre Mantren dann gemurmelt
Und haben ihren Atem reguliert,
Dann möchten sie in heiliger Versammlung
Die Pillen der Unsterblichkeit verspeisen.
Doch auch erleuchtet bleiben Narren Narren,
Die Pille der Unsterblichkeit verwechseln
Sie mit dem Elixier des langen Lebens.
Sie wollen alle hundert Jahre leben
Und noch der Greis von siebzig Jahren will
Dem sechzehn Jahre jungen Mädchen gleich sein
An Lebensfrische und an Blütenanmut.
Die Narren sind nicht wert der Lebenspillen!
Hier aber in der Zelle der Erleuchtung
Bereitet Lao Tse das Elixier
Des langen Lebens und die Pillen der
Unsterblichkeit. Und ich bin hier allein.
Ich nehme alle länglichen Phiolen
Mit dem berühmten Elixier des Lebens
Und alle Schalen mit den weißen Pillen
Und dann besauf ich mich am Elixier
Des langen Lebens und ich stopf mich voll
Mit Pillen der Unsterblichkeit, sie alle
Beschenken mich mit der Unsterblichkeit.

(Sun Wu Kung leert die Flaschen mit dem Elixier alle und isst alle Pillen auf.)

Was habe ich getan? Wenn Lao Tse


Nun wiederkommt in seine Einsiedlei
Und sieht, die Elixiere und die Pillen
Sind alle aufgetrunken, aufgegessen,
Wird er mich nicht beim höchsten Herrn verklagen?
Wenn dann noch Hsi Wang Mu, die Königin,
Dem Herrn berichtet, dass ich bei dem Festmahl
Zu tief geschaut hab in zu viele Becher,
Muß wieder ich reumütig Buße tun!

SIEBENTER AKT

ERSTE SZENE

(Im Himmel. Der Herr des Himmels im weißen Jadethron. Lao Tse und Hsi Wang Mu stehen vor
dem Herrn.)

HSI WANG MU
Ach Herr, ich muß von Sun Wu Kung vermelden,
Daß er beim Liebesmahl der Königin,
Beim Abendmahl im himmlischen Palast,
Nicht nur ein Bröcklein aß Ambrosia
Und nur die Lippen netzte mit dem Nektar,
Nein, dass er sich besoffen hat, besoffen,
Getaumelt und getorkelt ist der Säufer!
LAO TSE
O Herr, in meiner Zelle in dem Himmel
War er im alchemistischen Labor
Und hat das Elixier des langen Lebens
Und alle Pillen der Unsterblichkeit
Verschlungen gierig, als wenn’s Zucker wäre.
DER HERR
Wo ist jetzt Sun Wu Kung? Er möchte kommen,
Reumütig soll er seine Buße tun!
LAO TSE
Er wusste, aß du Reu und Buße forderst,
Doch ist er ja so stolz auf seine Sünden
Und rühmt sich seiner frechen Heldentaten!
HSI WANG MU
Und darum hielt er’s nicht im Himmel aus
Und hat das Gartenparadies verlassen
Und kehrte zu der Erde, zu den Affen
Zurück, ein Herr der Affen dort zu sein.
LAO TSE
Ja, lieber wollt er Herr auf Erden sein
Als Gottes Diener in dem Himmelreich.
DER HERR
Ruft ihn zurück, ich will ihn bei mir haben!
HSI WANG MU
Er, der schon war in meinem Paradies,
Die Pfirschen der Unsterblichkeit gekostet,
Vom Becher mit dem Götternektar trank,
Der ist unsterblich schon und noch auf Erden!
LAO TSE
Er, der das Elixier des Lebens trank
Und aß die Pillen der Unsterblichkeit,
Der ist unsterblich schon und doch auf Erden!
DER HERR
Ruft ihn zurück, ich will ihn bei mir haben!
Ich habe meine Freude an dem Kindchen!

ZWEITE SZENE

(Der Herr in seinem weißen Jadethron. Vor ihm steht die Göttin Guan Yin, die Mutter der
Barmherzigkeit.)

DER HERR
O Guan Yin, du Mutter des Erbarmens,
Nur du kannst jetzt den Affen Sun Wu Kung
Durch dein Erbarmen in den Himmel holen!
GUAN YIN
In meiner herzlichen Barmherzigkeit
Ist alles eingeschlossen in der Welt,
So wie ein Embryo im Uterus!
DER HERR
So geh du zu dem Himmelstor im Süden,
Von dort aus hole Sun Wu Kung zurück!
GUAN YIN
Ich fange ihn mit meinem Diamant-Ring,
Des Tao Diamant-Ring hat die Macht,
Den Affen an das Himmelreich zu binden.
DER HERR
Wenn du den Diamant-Ring angelegt,
Dann ziehe ihn hinauf ins Paradies!
GUAN YIN
Ich ziehe ihn mit meiner Perlenschnur
Des Mutter-Mantras in das Paradies!
DER HERR
Wenn Menschen sterben, in der Todesstunde
Sie lallen oftmals nur noch: Mama, Mama!
GUAN YIN
Ich bin die Mutter aller Sterbenden,
Ich bin der Todesstunde liebe Mama!

(Guan Yin geht zur südlichen Himmelspforte und wirft den Diamant-Ring des Tao auf die Erde.
Damit fängt sie Sun Wu Kung.)

SUN WU KUNG
(auf Erden, auf der Insel der Affen)O Guan Yin, das ist dein Diamant-Ring!
Ich bin verlobt mit dir, o Guan Yin!

(Guan Yin senkt ihre Perlenschnur vom Himmel zur Erde.)

GUAN YIN
Freund, halt dich fest an meiner Perlenschnur!

(Sie zieht mit der Perlenschnur Sun Wu Kung in den Himmel.)

SUN WU KUNG
O Göttin, Göttin, ich bin ganz dein eigen!

DRITTE SZENE

(Sun Wu Kung ist wieder im Himmel. Er steckt jetzt in dem Läuterungsofen des Lao Tse. Flammen
schlagen aus dem Ofen.)

SUN WU KUNG
Wie lange muss ich noch im Ofen brennen?
LAO TSE
Bis alle deine Sünden abgebüßt!
SUN WU KUNG
O weh, ich hab mein Leben lang gesündigt!
LAO TSE
Doch bist du auserwählt fürs Paradies!
Die Gnadengöttin Guan Yin, gerettet
Hat deine Seele sie fürs Paradies!
SUN WU KUNG
O wär ich endlich schon im Paradies!
Wie heiß doch diese Feuerflammen brennen!
LAO TSE
Jetzt komm hervor, du bist jetzt Gold geworden.
Die Sehnsuchtsglut hat dich purgiert,
Da abgefallen alle Schlacken sind,
Bist du geworden jetzt ein goldner Affe.

(Sun Wu Kung steigt aus dem Läuterungsofen, er ist zu einem goldenen Affen der Weisheit
geworden.)

SUN WU KUNG
Geläutert bin ich, o jetzt bin ich rein,
Ich bin bereit, dem Kaiser zu begegnen!
LAO TSE
Der Jadekaiser auf dem Jadethron
Hat dich dem großen Buddha übergeben.
Der Ewige Urbuddha ist im Himmel
Der große Buddha von dem Reinen Land.
SUN WU KUNG
Ich möchte aber lieber nicht verlöschen
Im bloßen Nichts der absoluten Leere!
LAO STE
Dein wartet eine Arbeit noch, jedoch
Zuerst will dich der große Buddha prüfen.
SUN WU KUNG
Wie lange dauert noch die Prüfungszeit?
LAO TSE
Auch Buddha musste Myriaden Jahre
Auf seinen Eingang ins Nirwana warten.
Jetzt geh, Siddharta wartet schon auf dich!

VIERTE SZENE

(Der Ewige Urbuddha, riesengroß, und Sun Wu Kung, der in der Hand Buddhas ist.)

BUDDHA
Du fandest dich in meiner rechten Hand,
Ich sagte dir, dass niemand dich entreißen
Aus meinen Händen könnte und dass du
Entfliehen könntest zwar, wohin du willst,
Du wärest immer doch in meiner Hand.
SUN WU KUNG
Das glaube ich dir nicht, Gautama Buddha,
Ich bin gewandelt hunderttausend Meilen
Und kam zu einem mächtigen Gebirge,
Fünf Gipfel standen steil da in die Höhe.
Ich sah dich nicht, ich war dir ja entkommen.
So stellte ich mich vor den mittlern Gipfel
Und pisste lachend diesen Gipfel an
Und schrieb mit meinem Strahle des Urin
An jenen mittlern Gipfel: Ich war hier!
BUDDHA
Du wusstest nicht, du warst in meiner Hand.
Fünf Gipfel schautest du? In Wahrheit waren
Fünf Finger das von meiner rechten Hand.
Die Wurzel schau du meines Mittelfingers,
Hier sind die Tropfen noch von deinem Pipi.
SUN WU KUNG
O Ewiger Urbuddha, der du bist
Verkörpert in dem Buddha Reinen Landes,
Ich konnte deinen Händen nicht entkommen?
BUDDHA
In meiner rechten Hand ist alle Kraft,
Von meinen Händen strömt Barmherzigkeit.
Mein Universales Allerbarmen alles
Umfängt, der Universen Universum
Ruht sicher in der rechten Hand des Buddha.
SUN WU KUNG
So geb ich mich geschlagen und ergeb mich
Freiwillig dir in deine rechte Hand,
Bewahre mich in deiner rechten Hand
Und laß mich leben in dem Reinen Land!
BUDDHA
Das Paradies ist noch das Höchste nicht!
Die Götter suchen alle selbst Erlösung!
Die Götter und die Paradiesbewohner,
Sie wollen alle sich vermischen mit
Dem Ozean der Allbarmherzigkeit,
Wo sie erlöst von ihrem alten Ego
Vergottet werden in dem Ungewordnen!

FÜNFTE SZENE

(Die Göttin Guan Yin, Mutter der Barmherzigkeit, und Sun Wu Kung, der goldene Affe der
Weisheit, der an seiner rechten Hand den Diamant-Ring des Tao trägt.)

GUAN YIN
Mein vielgeliebter Affe Sun Wu Kung,
Du bist ganz mein in Gottes Paradies!
SUN WU KUNG
Ich liebe dich vor allem, meine Göttin,
Dich, Guan Yin, die Mutter meines Heiles!
GUAN YIN
Ich habe einen Wunsch und eine Bitte.
SUN WU KUNG
Sprich, meine Mutter und Gebieterin!
Im Himmel ist es aller Götter Freude,
Dir liebevoll zu dienen, Heilige!
GUAN YIN
Auf Erden drunten in dem Reich der Mitte
Ein großer Hunger ist nach Gottes Wort!
Ich habe einen meiner treusten Jünger
Erwählt, als Mönch nach Israel zu pilgern,
Das Evangelium von Gottes Wort
Zu bringen in das gelbe Reich der Mitte.
Mein vielgeliebter Affe Sun Wu Kung,
Du bist zu einem Heiligen geworden,
Steig du als Boddisattwa des Erbarmens
In meinem Namen wieder auf die Erde
Und hilf du meinem auserwählten Jünger,
Das Buch der Evangelien zu holen
In mein zumeist geliebtes Reich der Mitte!
SUN WU KUNG
Was ist denn das, ein Evangelium?
GUAN YIN
Die Freudenbotschaft ists für die Chinesen,
Daß Gott, der höchste Herr des höchsten Himmels,
Der Gott der Götter, ist ein Mensch geworden
Und wanderte als Gottmensch auf der Erde.
Das Evangelium gibt davon Kunde.
SUN WU KUNG
O vielgeliebte Göttin Guan Yin,
Ich will erfüllen alle deine Wünsche!
Mein größtes Glück im Paradiese ist,
Von jenen deinen mitleidsvollen Augen
Dir alle deine Wünsche abzulesen!
GUAN YIN
Bereite dich! Das gelbe Reich der Mitte
Verdurstet fast nach dieser Freudenbotschaft!
SUN WU KUNG
Hat dieser Gottmensch einen Namen auch?
GUAN YIN
Ye-su Ji-du!

DER EWIGE VALENTINSTAG

ERSTE SZENE

(Valentin allein, umamt seine Byblia.)

VALENTIN
Nun diese schöne Byblia
In meinen Händen ist,
Da bin ich glücklich wie ein Liebender,
Der seine Braut gewonnen hat.
O Byblia, du Buch voll Weisheit,
Dich wähle ich zu meiner Braut.
Genossin meines Lebens du,
Gefährtin meiner Einsamkeit,
Du Lehrerin der wahren Weisheit,
Lehrmeisterin der wahren Einsicht
Und Spenderin der heiligen Erkenntnis,
Ich liebe dich, o Byblia!
Ich lieb an dir das kleinste Jota!
Ich habe mich zuerst verliebt
In deine schönen Kleider, Byblia,
Die feine geistgehauchte Seide,
Und deinen schönen Schmuck, Geliebte,
Den Mondstein und den Lapislazuli,
Die Perlenschnüre um den Busen,
Die Silberkettchen an den Knöcheln,
Denn die Geschichten in der Schrift
Sind menschliche Geschichten voller Schönheit.
Propheten, Patriarchen, Könige
Und Königinnen voller Schönheit
Begegnen mir mit all der Weisheit,
Die sie gewonnen durch ein frommes Leben.
O Byblia, du himmlische Genossin,
Du legtest alle deine Kleider ab
Und tatest auch den Schmuck von deinen Brüsten,
Du meine Ehefrau von Gott,
Du lagest nackt in meinen Armen!
Wie hab ich deinen schönen Leib bewundert,
Die Augen voller Zärtlichkeit,
Die Lippen, die so kusslich sind,
Die Brüste voll der Milch des Trostes!
Da habe ich die menschliche Moral
Und tiefe Lebensweisheit
Aus deiner vollen Brust getrunken,
Da habe ich, von Ethik und Moral und Sitte
Belehrt, erkannt, wie Fromme leben sollen,
Wie gottgefällig leben kann ein Mensch.
Ja, jeden Morgen hab ich dich geküsst,
Geliebte, wenn ich lag an deinen Brüsten!
Dann haben deine Lippen mir mit Küssen
Den Willen Gottes für den Tag verkündet.
So lebe ich nicht sinnlos vor mich hin.
Jetzt ist es all mein Glück und Lebenssinn,
Den Willen Gottes zu vollbringen.
Geliebte Byblia, wie schön dein nackter Körper,
Doch schöner noch ist deine schöne Seele!
Ich bin verliebt in deine schöne Seele, Byblia!
Dein Wille ist der Liebeswille Gottes
Und dein Verstand die göttliche Vernunft
Und deine heiligen Erinnerungen
Erinnerungen an die Wundertaten Gottes.
Ein Hauch ist deine schöne Seele,
Ein Hauch, geblasen von dem Munde Gottes,
Erfüllt von Gottes Weisheit deine Seele.
Denn seit ich deine Seele liebe,
O meine vielgeliebte Byblia,
Erkenne ich Geheimnisse der Gottheit,
Die Allerheiligste Dreifaltigkeit,
Das Feuer Gottes, brennend in dem Dornbusch,
Das sanfte Liebeslicht des Sohnes,
Des Geistes Liebe voll Begehren!
Seit ich verliebt in deine Seele, Byblia,
Erkenne ich die Qualitäten Gottes,
Wie Jungfraun schaue ich die Hypostasen,
Die alle einst mich selig machen werden!
Die Liebe nimmt kein Ende, Byblia,
So wahr ich deine weise fromme Seele liebe,
Ich liebe mehr noch in dem Innern deiner Seele
Das Fünklein Gottes in der Seelenburg,
Im siebenten Gemach der Seelenburg
Das Seelenfünklein, das das Fünklein Gottes ist!
Und seit in dir ich dieses Fünklein Gottes liebe,
Erkenne ich den Namen Gottes,
Ja, Gottes Namen,
Die heiligen Bedeutungen des Namens Gottes
Erkenne ich, wie jedes Wort der Byblia
Verkündet mir den Namen Gottes,
Den Unaussprechlichen
Und jenen wundervollen Namen aller Namen,
Der mich allein in Ewigkeit glückselig macht,
Denn meine Freundin Byblia
Verkündet mir allein den wahren Namen Jesus!
So wähle ich dich heut aufs Neue,
O Byblia, zu meiner angetrauten Ehefrau,
Der ich im Zölibate lebe,
Weil meine Seele lebt die Jesus-Ehe.

ZWEITE SZENE

(Valentin, das Kindermädchen Hananja und der sechsjährige Knabe Milon in der Küche.)

VALENTIN
Wie ist dein Name, schönes Kindermädchen?
HANANJA
Hananja heiße ich.
VALENTIN
Hananja? Das bedeutet Gnade!
HANANJA
Hananja, das bedeutet Gnädige.
VALENTIN
Was ist dein geistiges Intresse?
HANANJA
Die chemische Zusammensetzung der Natur.
VALENTIN
Ich hörte einst von einem Dichter,
Der sprach vom Eheglück der Karbonate
Und von dem Kloster der Chloride.
Was ist das Eheglück der Karbonate?
HANANJA
Das weiß ich nicht.
VALENTIN
Was sind denn Karbonate überhaupt?
HANANJA
Verein von Wasserstoff und Kohlenstoff.
VALENTIN
Da haben wir ja schon das Eheglück!
Der Ehemann, das ist der Kohlenstoff,
Die Ehefrau, das ist der Wasserstoff,
Vereint zur Ehe in dem Karbonat.
HANANJA
Das ist ein lustiger Gedanke.
VALENTIN
Ich hörte von den Atomisten auch,
Daß in dem Innern des Atoms
Die Elektronen lieben die Protonen.
Das ist das Eheglück in dem Atom.
HANANJA
Meinst du das ernst?
VALENTIN
Es ist ein Zeichen, dass die Liebe Gottes
Im Innern der Natur am Werk,
Daß Gottes Liebe lebt in der Natur,
Geheimnisvoll verborgen zwar
Und dennoch offenbar in der Natur.
HANANJA
Gibt’s denn ein Eheglück auch in der Gottheit?
VALENTIN
In Gott ist eine liebende Person
Und eine andere Person, die ist geliebt,
Vereinigt sind die zwei Personen
In ehelicher Liebe, die Person ist.
Die Ehe und Familie auf der Erde
Ist Abbild der Dreifaltigkeit der Gottheit,
Denn Gott ist Liebe in Gemeinschaft.
HANANJA
Und diese Liebe in Gemeinschaft lebt
In der Natur, ja, bis in die Chemie?
VALENTIN
Zwei Kräfte sind in der Natur:
Natur, die Mutter, atmet ein,
Natur, die Mutter, atmet aus.
Atome haben Elektronen und Protonen.
Magnete ziehen an und stoßen ab.
In allen Lebewesen der Natur
Ist Männlichkeit und Weiblichkeit,
Doch diese beiden Kräfte werden
Bezogen auf einander durch die dritte Kraft.
Aus Eins wird Drei,
Das ist das Wesen Gottes und der Schöpfung.
MILON
O Valentin, du magst Hananja?
VALENTIN
Sie ist sehr freundlich und sehr liebenswürdig
Und voller Anmut die Erscheinung.
MILON
Ich mag sie auch, sie ist sehr lieb.
Weil Mama krank ist, pflegt Hananja mich,
Sie spielt auch viel mit mir und lacht sehr schön.
VALENTIN
Hananja ist ein Name in der Bibel,
Hananja oder Hanna, das heißt Gnade.
Auch Hanael heißt Gnade Gottes
Und ist der Himmlische der Venussphäre,
Des dritten Himmels aller Liebenden.
Die Venus heißt ja bei Homer auch Charis
Und Charis heißt auf griechisch Gnade,
Doch nicht nur Gnade, sondern auch
Zuneigung, Freundlichkeit, Wohlwollen,
Charme, Liebreiz, Zauber, Anmut.
So trägst du diesen Namen ganz zu recht,
Hananja, anmutvoller Engel,
Denn du erscheinst mir als Ikone
Der Anmut Gottes, Bild von Gottes Liebreiz!
HANANJA
Ich danke dir.
VALENTIN
Ich danke dir viel mehr, Holdselige,
Charme Gottes!

DRITTE SZENE

(Valentin und das Ehepaar Marcus und Susanna.)

VALENTIN
Ihr Montanisten, seid gegrüßt!
MARCUS
In deiner Kirche haben Frauen nichts zu sagen,
Bei uns jedoch, da predigen die Frauen
Und reden wie die Männer Zungensprache.
VALENTIN
Es ist ja überhaupt die Rede heute,
Daß Frauen seien gleich den Männern,
Daß, ganz egal, ob Männchen oder Weibchen,
Ein jeder wählt sein eigenes Geschlecht.
MARCUS
Nun weiß ich doch als Ehemann
Ein bisschen mehr vom Weib als du.
Die Priester in dem Zölibat
Stets reden von der Ehe, aber selber
Sie wissen nichts von all der Not der Ehe
Und nichts vom Glück des Ehebettes.
VALENTIN
Was also ist für dich die Ehe?
MARCUS
Die Ehe ist ein weltlich Ding.
VALENTIN
Die Ehe ist ein Gleichnis für die Liebe,
Mit welcher Jesus seine Kirche liebt.
Wie liebt denn Christus seine Kirche?
Die Liebe Christi ist doch unabänderlich
Und darum ist die Ehe unauflöslich.
Wie also liebt der Herr die Kirche?
Er gibt sich selber für sie hin!
Drum soll der Mann nicht herrschen in der Ehe
Und soll die Frau nicht herrschen über ihren Mann,
Nein, einer achte je den andern höher
Als er sich selber achtet, jeder diene
Dem andern, jeder gebe selbst sich hin,
Auch leiblich gebe jeder selbst sich hin.
Der Leib des Mannes eignet nicht dem Mann,
Er schenke seinen Leib der Frau.
Der Leib des Weibes eignet nicht dem Weib,
Sie schenke ihren Leib dem Mann.
So soll der Mann die Frau auch nicht benutzen
Für die Befriedigung der eignen Lust,
Des eignen sexuellen Appetits,
Nein, Sexualität ist Ganzhingabe
Des Ichs von Geist und Leib und Herz
An dieses eine immerdar geliebte Du!
MARCUS
Du redest schön zwar von der Ehe,
Doch warum lebst du selber unbeweibt?
Sind denn in deiner Kirche keine Jungfraun?
Wir haben bei den Montanisten schöne Mädchen,
Sabinerinnen, Christianen,
Die singen schön und tanzen schön für Gott
Und warten nur auf einen frommen Mann.
VALENTIN
Doch mich berief der Herr zur Ehelosigkeit
Und sagte: Nimm dir keine Frau zur Gattin
Und zeuge keine Söhne in der Welt!
Ich selber werde mich mit dir verloben,
Der Brautpreis ist Barmherzigkeit und Gnade,
Und du wirst Gott erkennen!
SUSANNA
Ich auch bin eine Braut für Jesus.
MARCUS
Doch ich bin keine Braut für Jesus,
Ich bin ein Mann, der Gatte einer Frau.
SUSANNA
Ich will zum Hochzeitsmahl des Lammes!
MARCUS
Wie sollte ich als Mann mit Jesus Hochzeit feiern?
SUSANNA
Nach diesem Leben will ich in dem Himmel
Mit Jesus Christus Hochzeit feiern!
VALENTIN
Susanna, deine keusche Seele
Ist wie die heilige Susanna aus der Bibel,
Die in der Ehe keusch gelebt.
Susanna oder Schoschannah,
Die einen sagen, das bedeute Lilie,
Die andern sagen, das bedeute Rose,
Die dritten, das bedeute Lotosblume.
So nennt man Unsre Liebe Frau Maria,
Die doch ihr Montanisten leider nicht verehrt,
Die Lilie unter Disteln,
Die Rose ohne Dornen,
Die makellose Lotosblume!
SUSANNA
Maria ist mir nicht vertraut.
VALENTIN
Du ahme Unsre Liebe Frau Maria nach
Und sage jeden Morgen zu dem Herrn:
Ich bin die Sklavin Gottes, meines Adonai,
Und mir geschehe nach dem Worte Gottes!
Maria ist die größte Philosophin
Und ihre ganze Jesus-Weisheit
Besteht in diesem Wort der Ganzhingabe:
Ich bin die Sklavin Gottes, meines Adonai,
Und mir geschehe nach dem Worte Gottes!
SUSANNA
So will ich tun und beten wie Maria.
VALENTIN
Herr Jesus, den ihr sucht, er segne eure Ehe
Und lasse eure ungetauften Kinder taufen!

VIERTE SZENE

(Valentin und die reife Matrone Eva mit ihrem fünften unehelichen Sohne Quintus.)

VALENTIN
Ach Eva, sag, wie lange du noch leben willst
Mit deinem Freund, dem Vater deiner Kinder,
In unvermählter Unzucht?
Frau Weisheit wird nicht kommen in den Leib,
Der sich ergibt der Sünde.
EVA
Ihr Kirchenleute redet immer
Von den Geboten Gottes, aber das
Ist äußerlich und steht auf Felsentafeln.
Wir in der gnostischen Gemeinschaft,
Wir leben aus dem Inneren
Und folgen nicht Geboten Gottes,
Wir folgen jenem Geist, der in uns wohnt.
VALENTIN
Wenn du den Christus lieben willst,
Dann lebe die Gebote Christi.
EVA
Zeig mir nur einen von den Kirchenmännern,
Der die Gebote Christi lebt!
Auch du, auch du, o Gottesmann,
Der du im Zölibate lebst,
Ich, wenn ich wollte, könnte dich verführen,
Ich bräuchte nur dein Fleisch zu kitzeln,
Dann würdest du dich stürzen in mein Bett!
VALENTIN
So ganz die alte Mutter Eva.
EVA
Ja, was so deine Männerkirche redet
Von Eva, die doch eine Göttin war,
Die im Besitz der Schlange war der Weisheit
Und pflückte vom geheimnisvollen Baum
Die Feige der Erkenntnis
Und reichte sie als Sakrament der Liebe
Dem Mann, der eingeweiht ward durch die Frau,
So ward die Menschheit erst erlöst
Aus kindlicher Vereinigung mit Gott
Und wurde weise erst und wissend.
Darum verehren wir die Schlange auch
In unsrer Schule der Erkenntnis.
QUNITUS
Ach süße Mama, vielgeliebte Mama,
Ich möchte eine Strumpfbandnatter haben,
Ich möcht mit einer Schlange spielen!
EVA
Ja, ja, mein Sohngeliebter,
Du sollst die Strumpfbandnatter haben
Und spielen mit der Schlange in der Höhle.
VALENTIN
Ihr Schlangenbrut, Gezücht der Natter!
Wie wollt ihr denn entgehn dem Zorn
Des Herrn im kommenden Gericht?
EVA
Ich glaub an kein Gericht,
Ich glaube nicht an Hölle oder Fegefeuer!
Wir in der Schlangengnosissekte,
Wir glauben mit Pythagoras
An Seelenwanderungen. Wenn die Seele
Erkannt den Christus in sich selber,
Wird sie erlöst von der Geburt
Und schwindet in das absolute Nichts.
VALENTIN
Der Christus dieser Gnosis ist doch nicht
Der Christus Jesus, Haupt der Kirche!
EVA
Spricht nicht den Namen aus!
VALENTIN
Den Namen Jesus soll ich dir nicht predigen?
EVA
In unsrer Schlangengnosissekte lehren wir
Das Anathem dem Namen!
VALENTIN
So siehst du, dass der Gnosis-Christus
Ein Satan ist im englischen Gewand!
EVA
Nein, Satan ist der Demiurg,
Der böse Gott, der die Materie geschaffen!
Doch über diesem bösen Demiurgen,
Dem Gott des Zornes aus dem Alten Testament,
Erscheint der liebe Vater
Mit seinem himmlischen Äonen-Christus.
VALENTIN
Der Vater Jesu Christi ist
Gott Israels, Herr Zebaoth!
EVA
Das ist nun eben deine Meinung.
Im übrigen ist das dem Georg,
Dem Mann in meinem Bette, ganz egal!
Er glaubt, aus Zufall sei die Welt
Gemischt aus den Atomen
Und Götter seien die Erfindungen von Menschen
Und nicht unsterblich sei die Seele.
Soll jeder eben glauben, was er will!
Er sagte auch, er wolle mich jetzt doch zur Gattin nehmen,
Weil mich ja doch kein andrer Mann mehr nehmen wolle!
VALENTIN
Ich werde für dich beten, Eva,
Ich bring das Opfer Christi für dich dar, o Freundin.
EVA
Nein, bitte bete nicht für mich,
Gebete schaden meinem Seelenheil!

FÜNFTE SZENE

(Valentin und die hohe schlanke Schönheit Sophia.)

VALENTIN
Sophia, Christus ist ein Zeichen,
Dem widersprochen wird!
Der Christus in mir spricht durch mich
Und viele wollen mich nicht hören,
Weil sie den Herrn nicht hören wollen!
Und viele hassen mich von Herzen,
Weil sie den Christus hassen!
Und alle die Beleidigungen,
Mit denen sie den Herrn beleidigen,
Die fallen alle auf mein Herz!
Besonders sind die Weiber heute wütend,
Den Heiland zu beleidigen
Und seine Diener zu verachten!
Doch du bist anders, schöne Frau Sophia,
Du Inbegriff der Menschenfreundlichkeit,
Holdselige in deiner Anmut!
In deinem Charme, der dich nicht stolz gemacht,
Du Liebenswürdige erinnerst
Mich an die menschenfreundliche Madonna!
SOPHIA
Madonna! Du vergleichst mich mit Madonna?
Ich fühle mich zutiefst geehrt!
VALENTIN
Ich denke an den lieben Knaben Milon,
Er wird ein Waisenknabe werden,
Wenn seine Mutter stirbt! Carina
Liegt in der letzten Agonie!
Wir wollen ihr die Händchen halten,
Bis sie hinüberschlummert in dem Arm des Herrn!
Ich bring ihr noch die Kommunion.
SOPHIA
Verzeihe deiner törichten Sophia,
Doch weiß ich nicht: Was ist die Kommunion?
Nennt man die Kommunion
Nicht auch bei kleinen Kindern Firmung?
VALENTIN
Die Kommunion, das heißt, Vereinigung,
Die Kommunion, das ist die Hostia,
Der Corpus Christi. Gott ist wirklich gegenwärtig
In der Gestalt des Brotes.
Wer nun empfängt den Corpus Christi mit dem Mund,
Empfängt im Innern seiner Seele
Die Gottheit und die Menschheit Jesu Christi.
SOPHIA
Du willst als Gottesmann Carina bringen
Die Kommunion, die Hostia,
Was kann denn ich der lieben Frau Carina tun?
VALENTIN
Wenn du barmherzig bist, Sophia,
Besuchst du eine Kranke an dem Krankenbett.
Wenn du barmherzig sein willst, o Sophia,
Dann hältst du einer Sterbenden die Hand.
SOPHIA
Ich weiß nicht, was ich sagen soll
Im Angesicht des nahen Todes.
Ich bin ja keine Philosophin,
Ich bin ja keine mystische Doktorin,
Ich bin nur eine kleine Törin,
Der Gott die Weisheit nicht verliehen.
Doch habe ich ein Herz voll Mitgefühl
Und habe Mitleid mit der Leidenden.
VALENTIN
Da braucht es keine großen Worte.
Die Seele auf dem Bett der Agonie
Ist ja versunken ins Gespräch mit Jesus schon.
Da braucht es nur das Mitgefühl,
Der Sterbenden die Hand zu halten
Und wortlos deine Liebe zu bekunden.
SOPHIA
Was kann ich Gott schon geben?
Ich kann ja nichts für Jesus tun!
VALENTIN
Die Kranke in dem Krankenbett
Ist Christus in dem Krankenbett!
Die Sterbende im Bett der Agonie
Ist Christus in dem Bett der Agonie!
Besuche Christus an dem Krankenbett
Und halte Christus in der letzten Agonie
Voll Mitgefühl und Zärtlichkeit die Hand
Und in dem letzten Todeskampf
Und in der Einsamkeit der Todesstunde
Sei du beim sterbenden Messias,
Der keine Philosophenweisheit braucht
Und keine Theologenlehre,
Der nur ein Herz voll Liebe braucht!
Und ist in deinem Herzen auch
Ein kleiner Tropfen Liebe nur,
Schenk diesen deinen kleinen Tropfen Liebe
In seinem letzten Todeskampfe Christus!
Das ist der allergrößte Gottesdienst
Und Gott belohnt dich mit dem Himmel!
SOPHIA
Lass dich umarmen, lieber Gottesmann!
VALENTIN
Gott segne dich, Gott segne dich, Sophia!

SECHSTE SZENE

(Valentin besucht die sterbende Carina. Sie ist etwa vierzig Jahre alt.)

VALENTIN
Gott grüße dich, du liebe Frau!
CARINA
Wie schön doch, dass du bei mir bist,
Mich gehen sonst die Menschen nichts mehr an,
Allein an meine Mutter denk ich noch.
VALENTIN
Erzähle mir von deiner Mutter!
CARINA
Mein Vater war ja nie zuhaus,
Er zog als Demagoge durch die Länder,
Die Spartakisten aufzurütteln,
Drum hat er mich und meine Mutter
Verlassen. Meine arme Mutter aber
War immer fleißig, hatte keine Zeit für mich,
Da spielt ich immer in den Gassen
Mit irgendwelchen wilden Gassenbuben.
Wie schmutzig war ich angezogen,
Wie schlecht ernährt in meiner Kindheit.
Kein Vater wies den Weg mir in die Welt
Und meine Mutter gab mir nie Geborgenheit.
Da war ich auf mich selbst gestellt.
VALENTIN
Ich weiß, wie schwer das ist, Carina,
Doch musst du deinem Vater noch verzeihen
Und musst verzeihen deiner Mutter!
Ja, suche du dein ganzes Leben ab
Und schaue dir dein ganzes Leben an
Als wäre es ein Schauspiel auf der Bühne,
Und dann verzeihe allen deinen Schuldnern.
CARINA
Was soll aus meinem kleinen Milon werden?
Versprich mir, dass du für ihn sorgen wirst!
VALENTIN
Ich will mich um ihn kümmern
Und eine neue schöne Heimat für ihn suchen.
CARINA
Die Mutterliebe, die ich hab für meinen Milon,
Die wird ihm unersetzlich sein,
Doch wenn ihm wer die Mutterliebe
Ersetzen kann, dann du,
Nicht meine Mutter, sondern du allein.
VALENTIN
Und bin ich auch ein Gottesmann,
So hab ich doch ein mütterliches Herz
Für deinen lieben Knaben Milon
Und auch für dich, Carina.
Ich dachte sonst, dein Name sei
Katharsis, das bedeutet Reinigung,
Purgierung durch den Schrecken und die Furcht,
Wie Katharina auch von Alexandrien
Gelebt in einer großen Reinheit.
Doch jetzt hab ich erfahren, dass dein Name
Geliebte heißt und Freundin!
Den Namen gab dir Gott, weil Gott dich liebt!
CARINA
Ich fühl mich selbst wie Jesus Christus,
Wenn ich hier liege in dem Bett der Leiden,
Dann fühle ich mich wie gekreuzigt!
VALENTIN
Das ist das Große ja des Christenglaubens:
Gott nimmt uns unsre Leiden nicht,
Doch Gott erfüllt mit Sinn die Leiden.
Gott ist nicht fern in unsern Leiden,
Selbst wenn es scheint, dass wir von Gott verlassen sind,
So ist in unserm Leiden Jesus Christus,
Der ruft voll Schmerzen an den Herrn:
Mein Gott, mein Gott, wozu hast du
Mich so allein gelassen!
In unsrer Gottverlassenheit ist Christus,
Ja, Christus tritt in unsre Leiden ein,
Ja, Gott erfüllt all unser Leid mit Gott.
So sind wir mitten in den Schmerzen
Vereinigt mit dem Christus Jesus
Und in Vereinigung mit Jesus Christus
Sind wir in aller unsrer Gottverlassenheit
Vereint mit Gott in einer Gottes-Ehe!
CARINA
Ich bin nicht immer fromm gewesen in der Welt
Und niemand hat den Glauben mich gelehrt.
Jetzt aber weiß ich, keiner kann mich jetzt noch retten
Als einzig Jesus Christus!
Doch wird mich Jesus nicht verschmähen?
VALENTIN
Der ganze Kosmos ist geborgen,
Die ganze Menschheit ist geborgen
Im Schoße der Barmherzigkeit des Herrn
So wie ein Embryo im Uterus,
So wie ein Kindlein in dem Schoße seiner Mutter!
Kein Sünder fürchte sich, zum Herrn zu kommen,
Und wären deine Sünden scharlachrot,
Der Herr macht dich so weiß wie Schnee.
Ja, die Barmherzigkeit des Herrn,
Die göttliche Barmherzigkeit ist unausforschlich!
CARINA
So lehre bitte deine Freundin ein Gebet.
VALENTIN
O Jesus, wenn du in dein Reich kommst,
Dann denk an mich!

SIEBENTE SZENE

(Kapelle der Hagia Sophia. Valentin und der Knabe Milon vor der Statue der Gottesmutter.)

MILON
Ist meine liebe Mama jetzt gestorben?
VALENTIN
Der liebe Gott hat deine Mama
Ins Paradies geholt.
MILON
Mein Papa! Du bist jetzt mein Papa!
VALENTIN
Mein Liebling! Komm, wir zünden eine Kerze
Für deine liebe Mama an.
Maria, Große Mutter Gottes,
Führ du die Seele unsrer Mama in den Himmel!
Hier knien wir vor dir, o Große Mutter,
Sei du jetzt meine Mutter, o Maria,
Sei du jetzt Unsre Mutter in dem Himmel!
O Große Mutter, tröste uns,
Wir sind sehr traurig, Große Mutter!
Maria, breite deinen Mantel aus,
Laß unter deinem Mantel uns geborgen sein,
Bis dieser Sturm vorübergeht!
Maria, Große Mutter voller Güte,
Mich, deinen Milon, allezeit behüte!
MILON
Maria ist nun meine Mutter!
VALENTIN
Ich hörte einmal, auf dem Mond
Gibt es ein Meer der Ruhe.
Da sagte ich zu deiner Mama:
Carina, eines Tages wirst du ruhen
Im Himmel an dem Meer der Ruhe.
Doch nahe bei dem Meer der Ruhe
Ist auf dem Monde auch das Nektar-Meer.
MILON
Ach, bei dem Nektarmeer, da will ich leben!
Ich denke mir das Paradies
Als einen Himmel voller Süßigkeiten!
VALENTIN
Maria ist doch unsre Süßigkeit!
Der Name Jesus ist so süß wie Honig!
MILON
Ach, nimm mich in die Arme,
Ich bin unglaublich traurig,
Denn tot ist meine Mama, tot ist meine Mama!
VALENTIN
Als meine liebe Oma starb,
Da bin ich fast verrückt geworden
Vor Traurigkeit und Schmerzen.
MILON
Wie alt warst du denn da?
VALENTIN
Da war ich dreißig Jahre alt,
Als ich verloren hab den liebsten Menschen.
MILON
Ach, dreißig Jahre lang war bei dir deine Oma,
Und ich bin erst sechs Jahre alt
Und habe meine Mama schon verloren!
VALENTIN
Ich weiß, du bist sehr traurig.
Doch wirst du deine Mama wiedersehen!
MILON
Nein, niemals seh ich meine Mama wieder!
VALENTIN
Doch, Milon, wenn dich Gott einst ruft
Und wenn du dann zu Gott kommst in den Himmel,
Dann siehst du deine liebe Mama wieder.
Wenn ich zu Jesus in den Himmel gehe,
Dann wartet meine Oma schon auf mich
Und auch Carina wird dann auf mich warten.
MILON
Der Himmel aber ist so fern!
VALENTIN
Nein, Gottes Himmel ist nicht in den Sternen,
Der Himmel Gottes ist ganz nah,
Denn immer, wenn ich bete,
Dann öffnet sich der Himmel über mir
Und meine Oma und Carina
Und auch die schöne Jungfrau Thirza
Sind bei mir, hören mein Gebet
Und beten auch mit mir den Rosenkranz.
Und manchmal seh ich meine Oma
In Rom mit mir die Wege gehen
Und wie ein Engel ist sie immer mit mir.
MILON
Ist meine Mama jetzt mein Engel?
VALENTIN
Zwei Engel hast du jetzt,
Den Schutzgeist, den dir Gott gegeben,
Und deine Mama ist dein andrer Engel.
MILON
Das tröstet mich nicht wirklich.
Ach, ich muß immer, immer weinen!
Wie lange werde ich denn leben, Valentin,
Wie viele Jahre gibst du mir?
VALENTIN
Ja, sicher hundert Jahre!
Doch hundert Jahre sind ein Sandkorn nur,
Doch wie der ganze schöne Strand am Meer
Ist dann das Glück in Ewigkeit!

ACHTE SZENE

(Kaiserpalast. Kaiser Claudius Gothias gewährt dem Valentin eine Audienz.)

KAISER
Wir sehen, guter Valentin,
Wie du auf Erden Gutes tust.
Das ist wohl Unserm Reiche förderlich.
Wir kennen viele intrigante Wesen,
Die nichts als ihren Vorteil suchen
Und alles nach dem Maß des Geldes messen
Und lieben mehr den eigenen Profit
Als irgendeine Menschlichkeit.
Da wäre es ein Trost für Unsre Seele,
Wenn deine Freundschaft Wir gewännen.
VALENTIN
O Majestät, ich bin ein Nichts
Und der geringste Sklave meines Gottes,
Der mir mit Macht geboten hat,
Mit allen Menschen Freundschaft
Zu haben, selbst mit meinen Feinden.
KAISER
Wir wollen nicht zu deinen Feinden zählen,
Wir freuen uns vielmehr, wenn du
Uns schautest an als väterlichen Freund.
VALENTIN
Der Glaube zwar verbindet sehr,
Gottlosigkeit noch mehr, sagt der Poet.
Ich freu mich, wenn Ihr Freundschaft schließen wollt
Mit dem geringsten Sklaven seines Herrn,
Mit einem absoluten Nichts,
Odysseus gleich Herr Niemand heißend.
Wenn ich Euch aber raten soll,
Dann rat ich immer als ein Christ.
KAISER
In Unserm Reiche gibt es viele Religionen,
Da sind die Isispriesterinnen
Und dort die Mithraspriester,
Da sind der Venus Tempelhuren,
Und alle glauben, Wir sind Gott.
Da mag denn auch dein Liebes Gottchen
Im Arm des Schönen Mädchens
In Unserm Reiche seine Rechte haben.
Doch leider liebt ihr nicht die Toleranz,
Die Wir in Unserm Reiche pflegen.
VALENTIN
Es gibt nur Einen wahren Gott
Und Einen wahren Glauben.
KAISER
So viele Götternamen gibt es,
Ich glaub, ihr nennt ihn Jevi?
VALENTIN
Nur nicht gespottet über meines Gottes Namen!
KAISER
Ich hörte, euer Christus wandle auf dem Wasser?
Wir selber sind so hoch erhaben
Und über alles Irdische erhoben,
Daß Wir auch auf dem Wasser wandeln
Und schreiten schwebend in der Luft.
Ist euer Christus nicht ein Gottessohn?
Auch Horus ist ein Gottessohn
Und Mithras ist ein Gottessohn
Und Gottessohn ist auch Apoll.
Wir aber auch sind Gottes Sohn.
Wir sind gezeugt von Gott,
In Uns wohnt Gott,
Wir sind vom göttlichen Geschlecht.
VALENTIN
Der Mensch ist Mensch
Und Gott ist Gott.
KAISER
Du willst nicht glauben an des Kaisers Gottheit?
VALENTIN
Erlaubt mir, Majestät, zu scherzen:
Ich bring Euch eine frohe Botschaft:
Es gibt in Wahrheit einen Gott!
Jedoch: Ihr seid es nicht!
KAISER
Das ist ja euer Crux, ihr Christen,
Daß ihr die Toleranz nicht liebt.
Ein Gott, ein Reich, ein Glaube,
So lehrt ihr Katholiken.
Doch Wir in Unsrer Gottheit definieren,
Das jeder Mensch das Recht besitzt,
Sein eignes Gottesbild zu schaffen.
Soll jeder selig werden, wie er will!
Und ob sie nun an Aphrodite glauben
Und mit den Tempelhuren schlafen,
Ob sie Priap erheben in den Gärten
Und beten an den Phallus ihres Gottes,
Das ist Uns alles ganz egal,
Solange Roma und die ganze Ökumene
An Unsre Gottheit glaubt!
Ihr Christen glaubt an Unsre Gottheit nicht
Und das ist euer Crux!

NEUNTE SZENE

(Valentin und ein Jurist im Dienste des Kaisers.)

JURIST
Ich sagte unserm Gott und Kaiser,
Daß du gefährlich bist für Rom
Und für die ganze Ökumene,
Du, Valentin, und deine Kirche,
Ihr seid Rebellen gegen Gott den Kaiser.
Ihr schwelgt im süßlichen Gefühl der Liebe
Und predigt Gottes Liebe allen Kleinen
Und die Barmherzigkeit den Armen,
Den geistig Armen und den Kranken,
Ihr macht die Kleinen ganz vernarrt
In euren lieben Gott und schwächt die Männer
Und macht aus ihnen Weiber, Nonnen,
Und wollt, dass alle ihre Hände falten
Und nur noch beten zu dem lieben Gott,
Zu Jesus, euerm großen Kinderfreund!
Nun hab ich aber die Juristerei studiert
Und glaube an den Staat von Rom
Und alle die Gesetze unsres Staates.
Und in Befolgung der Gesetzesvorschrift
Liegt all mein Gottesdienst für meinen Kaiser.
Ich sagte meinem Gott dem Kaiser,
Daß er dich prüfen soll und deinen Glauben.
Was aber nützt das Händefalten?
Da sollst du dir in deine Hände scheißen
Und fromm die Hände falten und die Scheiße
Zu einer Kugel formen! Das ist meine Meinung.
Der Gott und Kaiser gab den Auftrag mir,
Von dir zu fordern vorm Gericht,
Daß du ein Wunder tust im Namen deines Gotteskindes.
Ist nun dein Gott ein Löwe
Und mächtig, in der Welt zu herrschen,
Dann lasse ich dich leben.
Ist aber dein geliebtes Gotteskind ein Lamm,
Ein Spielzeug für die Kinder,
Dann schlachten wir dich wie ein Lamm
Auf dem Altar des Kaisers.
VALENTIN
Ich glaub an Gottes Lamm,
Der auch der Löwe ist von Juda!
Gott gurrt wie eine Turteltaube Liebesworte,
Doch schwebt der Herr auch wie ein Adler.
O Jesus, ich vertraue dir!
JURIST
Ihr Sklaven, bringt mir meine Tochter!
Schau, Valentin, ich habe eine Tochter,
Die sechzehn Jahre zählt,
Doch fiel ihr Schwalbenkot auf ihre Augen
Und sie erblindete.
Jetzt tu ein Wunder, Valentin,
Und öffne meiner Tochter Julia die Augen!
JULIA
Ich möchte sehen können, Gottesmann!
VALENTIN
Im Namen Jesus, tu dich auf!
JULIA
Ich sehe, sieh, ich seh in aller Schöpfung
Des Schöpfergottes Schönheit,
Ich sehe, ja ich sehe, siehe, was ich sehe,
Ist Gottes Schönheit in der Schöpfung!
O Schönheit Gottes, liebenswürdig!
Daß ich dich jetzt erst liebe, Schönheit,
Du makellose Schönheit,
Du absolute, allerhöchste Schönheit,
Du Schönheit, die die Welt geschaffen,
Du Schönheit, die das Ziel des Kosmos ist!
Ich sehe den Triumph der Schönheit!
Allein die immerjunge Schönheit
Vermag die Menschheit und das All zu retten!
VALENTIN
Du, Julia, lebst in der Würde,
Zu sein ein Ebenbild der Schönheit,
Weil du geliebt bist von der Schönheit,
Drum bist du schön und liebenswert!
Ja, immer schöner sollst du werden
Und dich vollenden in der Schönheit
Und ewig in der immerjungen Schönheit
Schön sein wie die Urschönheit,
Schön sein wie die Urgottheit der Urschönheit!
So bete allezeit zur Schönheit
Und singe Hymnen an die Schönheit
Und nimm die Klappern von Zypressenholz
Und tanze für die immerjunge Schönheit!
Dann wird die Schönheit dich verklären
Und dich von Gloria zu Gloria
Zur ewigen Vollendung in der Schönheit führen!
JULIA
Ich seh den Schönsten aller Menschensöhne,
Ich seh im Geist den wunderschönen jungen Jesus
Und seine jugendliche schöne Mutter!
Sie ist das Schönste aller schönen Mädchen!
Wie überschön ist doch Madonna, Gottes Mädchen!
VALENTIN
So weihe dich dem Makellosen Mädchen
Und werde eine Andere Madonna!
JULIA
Madonna! Ich will sein wie du,
Will Schönheit von der Schönheit Gottes sein!
Du ganz vollkommne und perfekte Schönheit,
Ich bin ganz dein, Madonna!

ZEHNTE SZENE

(Paradiesischer Garten der Liebe im Himmel. Valentin sitzt neben der Göttin Juno, der Schutzgöttin
der Ehe und Familie.)

VALENTIN
Sie haben mir mit einem Schwert
Den Schädel von dem Rumpf geschlagen,
Drum halt ich hier in meiner Hand das Schwert.
Was sagt der Hahn zu meinen Füßen?
Nun, vor dem Tode hab ich noch gescherzt
Und sagte zum Soldaten, der es nicht verstand:
Mein lieber Heidenbruder, wenn ich tot bin,
Dann opfre einen Hahn dem Gott Asklepios,
Jetzt bin ich ein geheiltes Kind. So starb ich.
Gott aber setzte mich zum Schutzpatron
Der Liebenden im Himmel ein.
Nun segne ich vom Himmel die Verlobten
Und wünsche ihnen Gottes Segen
Für ihre Ehe, und ich wünsche Gottes Segen
Für ihre lieben Kinderlein.
Ich möcht, dass man an meinem Todestag,
Am Vierzehnten des Februar,
Den vielen schönen Frauen in der Welt
Und allermeist den schönen Mädchen
Zusendet anonyme Liebesbriefe.
Es ist doch etwas Anonymes
An all der Poesie der Liebe,
Ob man auch noch so sehr für einen Namen schwärmt
Und jedes Nomen für ein Omen hält.
Schreibt anonyme Liebesbriefe
Und sendet allen Frauen meine Grüße
Und allen jungen Mädchen meinen Segen!
Dann sollt ihr auch aus fernen Gärten
Die schönsten Rosen pflücken
Und rote Rosen schenken euren Herzensdamen.
Und wenn die Frauen schön wie Rosen sind
Und aber auch voll Dornen sind,
So ist das eben euer Kreuz!
Die Rose ist doch eine Rose, ist doch eine Rose.
Und wie soll glücklich sein ein Mann,
Wenn er nicht schöne Frauen sieht?
Nun bitt ich euch: Macht mir viel Arbeit!
Ich hab im Himmel alle Hände voll zu tun,
Verlobte in den Ehestand zu führen
Und die verschmähten Liebenden zu trösten.
So hab ich keine Langeweile in dem Himmel
Und lese jeden Tag in den Romanen,
Die ihr auf Erden spielt.
GÖTTIN JUNO
Der Herr hat mir geboten,
Schutzgöttin in dem Himmelreich zu sein
Der Ehe und Familie auf der Erde.
Ich sehe leider finstre Zeiten,
Die Endzeit vor des Antichristen Herrschaft,
Da Revolutionäre greifen an
Das Heiligtum der Ehe und Familie.
Das Kaisertum von Gottes Gnaden ist gestürzt,
Den Demokraten folgen Anarchisten.
Die letzten Spuren Christentums
Versuchen diese Revolutionäre zu vertilgen,
Indem sie greifen an die Ehe.
Jetzt gilt nicht mehr der Ehebund von Mann und Frau
Mit Gottes Segen durch die Mutter Kirche.
Jetzt paaren sich die Männer mit den Männern,
Jetzt paaren sich die Weiber mit den Weibern.
Jetzt zeugen sie nicht Kinder mehr,
Mitschöpfer mit dem Schöpfergott,
Nein, sie verhüten ihre Kinder,
Und wenn sie dennoch schwanger werden
Im Leichtsinn ihrer Unzucht freier Liebe,
Dann morden sie die Kinder in dem Mutterschoß!
Man möchte Gottes Volk ausrotten, Israel,
Dann auch ausrotten Jesu Lieblinge,
Denn Jesu Lieblinge, das sind die Kinder!
Doch noch bin ich die Göttin Juno,
Noch wache ich und herrsche ich im Himmel,
Und ich verkündige euch gute Botschaft:
Nach all dem Holocaust an kleinen Kindern
Und nach dem Antichristen in der Welt
Mein Herz wird schließlich triumphieren!
Zwar Rom wird Sitz des Antichristen,
Doch die Apostel in den letzten Zeiten
Versammeln sich um Christus,
Die Kirche wird erneuert in dem Frühling,
Gott gießt den Geist der Schönen Liebe aus!
Die neuen Könige auf Erden
Regieren als der rechte Arm der Mutter Kirche.
Und nach den Katastrophen der Natur,
Den Hungerkatastrophen und den Seuchen,
Und nach den internationalen Kriegen
Erscheint vom Himmel her Asträa,
Die Jungfrau kommt zurück,
Die jugendliche Göttin der Justitia!
Und wieder wird es auf der Erde sein
Wie damals, als in süßer Liebe eins
Vereint mit Eva Adam in dem Paradies!

DER HEILIGE FRANZIKUS

ERSTE SZENE

(Franz und sein reicher Vater, der Kaufmann, dabei der Bischof im weißen Mantel.)

FRANZ
Mein Vater, zwar ich weiß, dein Same zeugte mich,
Und Gott gehorche ich, indem ich ehre dich,
Für dich starb Christus auch und gab dahin des Lebens
Passion und Leidenschaft, doch ach, vielleicht vergebens!
VATER
Von Christus hörte ich, dass ihn verlassen Gott,
Daß man ihm Essig gab zu trinken voller Spott,
Ich hör die Botschaft wohl, allein mir fehlt der Glaube.
Und was ist mit dem Geist, der weißen Turteltaube?
Ich hör die Botschaft wohl. Da habe ich gelacht!
Was gab mir denn dein Gott? Der alles ich gemacht
Mit meiner eignen Hand, der Arbeit stetem Fleiße,
Der seine Arbeit tat in ehrlich-saurem Schweiße.
Was gab mir denn dein Gott? Er nahm den Vater mir
In meiner Jugendzeit. Da steh ich jetzt vor dir,
Mit vollem Menschenrecht den Herrgott anzuklagen,
Warum den Vater er mir nahm in Kindertagen!
Nein, alles tat ich selbst, Erfolg in dieser Welt
Verschaffte mir mein Fleiß und streng erspartes Geld!
FRANZ
Ich weiß, du liebst das Geld. Ägypten liebte Amon
Als goldnes Götzenbild, du aber liebst den Mammon.
Dein Geld, das ist dein Gott, du betest an das Geld!
Zwar deine Seele kann gewinnen alle Welt
Und kaufen alles sich, Genuss und Macht und Schätze
Und vor den Leuten Ruhm, doch gehst du in die Netze
Des Todes, ja der Tod, der Teufel fängt dich einst,
Wo in der Hölle du unendlich jammernd weinst!
VATER
So seid ihr frommes Volk, das Geld wollt ihr verspotten
Und schmäht der Kleidung Pracht, als fräßen sie die Motten,
Doch lebt ihr gut davon! Du lebst von meinem Geld,
Ich ebne dir den Weg zur Ehre in der Welt,
Ein Kaufmann wirst auch du, dir Schätze zu erwerben,
Zufrieden wirst du dann und satt an Leben sterben,
Zerflattern wird dein Hauch, dein Körper wird zu Staub.
An die Unsterblichkeit du meinethalben glaub,
Ich glaub an das allein, was ich mit Augen sehe.
Ich liebe Geld und Gut, ich lieb mein Weib der Ehe.
Dein Gottesglauben ist doch eine Illusion.
Nimm an mein Geld und dien dem Gelde auch, mein Sohn.
FRANZ
Ich las einst im Koran, den lesen die Muslime,
Ist Prophezeiung auch, erhabene, sublime,
Wie Vater Abraham vor seinem Vater stand
In Ur Chaldäas, in der Heiden wildem Land,
Der Vater Abrahams, er diente goldnen Götzen,
An Götterbildern sich von Golde zu ergötzen,
Der Vater Abrahams da sprach zu Abraham:
Mein Sohn, sei immer treu der Sippe und dem Stamm,
Sei eigenwillig nicht und isoliert ein Spötter,
Nein, deine Sippe ehr und deiner Sippe Götter.
Doch Abraham bei Gott dem Himmelsvater schwor:
Ich diene Gott allein, ich bin kein dummer Tor,
Nur den Lebendigen und Ewigen ich preise!
Die Sippe närrisch ist, doch Abraham ist weise.
VATER
So aufgebläht und stolz du predigst deinen Gott,
Jetzt aber hör, mein Sohn, hör deines Vaters Spott:
Gab Gott dir dieses Kleid, Brokat und Samt und Seide,
Gab Gott dir diesen Schmuck, des Goldes Augenweide?
Dann weiß ich, was ein Mann von seinem Gotte hält,
Wenn Gott er wählt allein, verzichtet auf mein Geld!
Ihr Frömmler aber, ihr wollt euch so gar nicht schämen,
Zwar lästert ihr das Geld, doch wollt ihr’s gerne nehmen.
FRANZ
Hier hast du deinen Hut, ich geh mit nacktem Haupt,
Hier hast den Mantel du, ich hab ihn nicht geraubt,
Nimm hin das Oberhemd, was soll ich mit dem Hemde?
Nimm hin das Unterhemd, das meinem Leibe fremde,
Nimm dieses Beinkleid auch, den feinen Männerrock,
Ich bin kein Widder mehr und nicht ein Ziegenbock,
Und nimm zuletzt von mir, sieh meine stolze Pose,
Nimm alles du von mir, nimm meine Unterhose!
VATER
Jetzt schließ mit deinem Gott ein Bündnis, einen Pakt,
Ob er dich kleiden kann, denn du bist splitternackt!
BISCHOF
Ich, Vater Bischof von der Gnade unsres Gottes,
Befreie dich vom Hohn des väterlichen Spottes,
Ich Vater Bischof auf Apostels Stuhl und Thron,
Ich nehm dich an als Kind, sei du mein frommer Sohn,
Als deine Mutter wähl die Kirche, die katholisch,
Die heilig ist allein, die wahrhaft apostolisch,
In meinen Mantel hüll ich ein dich als dein Vater,
Weil Gott dein Vater ist, der Ewigvater, Rater,
Der Gottheld, Friedefürst, der dich zum Dienst bestellt,
Weil du dienst Gott allein und betest nicht zum Geld!

ZWEITE SZENE

(Franz und Frau Armut. Frau Armut ist einfach gekleidet, aber schön.)

FRANZ
Von einem Bettler hab erbettelt ich die Kutte.
Vom Heckenrosenstrauch pflück ich die Hagebutte.
FRAU ARMUT
Nun nicht des Vaters Geld und Gut dich mehr versorgt,
Der Vater in der Not dir nicht mehr schenkt und borgt,
Vertrau dem Vater in dem hohen Himmelreiche!
FRANZ
Der liebe Vatergott nicht meinem Vater gleiche!
FRAU ARMUT
Die Providentia gibt täglich dir das Brot,
Die Providentia, sie weiß von deiner Not.
Doch sorg dich nicht ums Brot, was dir den Leib soll kleiden,
Um leckre Speisen nur und Schmuck sich sorgen Heiden,
Das fromme Gotteskind, in Christus Gottes Kind,
Schaut, wie die Vögelein sich baden in dem Wind
Und wie sie in dem Laub und in den Teichen spielen
Und wissen nichts vom Fleiß und streben nicht nach Zielen,
Sie gehn zur Arbeit nicht, sie singen nur ihr Lied,
Die Lerchen singen froh, wenn früh die Sonne glüht,
Und wenn der Rosenmond beginnt des nachts zu wallen,
Dann vor der Rose rot aufseufzen Nachtigallen,
Die Amsel hüpft umher und pickt sich doch ein Korn
Und badet ihre Brust bloß in des Teiches Born,
Die Elster trägt den Zweig, zu bauen an dem Neste,
Das Turteltaubenpaar schon sehnt sich nach dem Feste,
Nach ihrem Hochzeitsfest, da kommen Fink und Star,
Bald hört man auch im Nest der Taubenküken Schar,
Im Lorbeerbaume hoch die neugebornen Spatzen
Von Gottes Vaterhuld so lieblich-töricht schwatzen,
Denn sie sind fromm und klug, sie wissen wohl, dass Gott
Trotz der Erwachsnenwelt und ihrem dummen Spott
Die Vögelein ernährt und sorgt für alle Vögel,
Dem Vogelorden ists die erste Ordensregel.
FRANZ
Und im Marienmai die Frühlingsblumen schön,
Ich schau sie allezeit mit seufzendem Gestöhn.
FRAU ARMUT
Die rote Rose schau in ihrem roten Kleide,
So schön war Sulamith selbst nicht in ihrer Seide,
Wie jedes Blütenblatt ist Kleidchen voller Reiz
Und in Entblätterung Vermeidung jeden Kleids.
So sah einst David nicht die junge Sunemitin
Und so nicht Salomo die süße Sulamithin.
Gott aber schenkt ein Kleid aus Duft der Rose rot,
Ob auch die Rose selbst muß einmal in den Tod.
FRANZ
Nun sag mir bei des Herrn barmherzigem Erbarmen,
Wie selig ist der Mensch, der von den geistlich Armen?
FRAU ARMUT
Ach, beides arm und reich ist nicht wie in der Welt.
Da gibt es einen Mann, der hat viel Gut und Geld,
Daß er Aussätzigen und ausgestoßnen Indern
Und armen Bettlern gibt und kleinen Waisenkindern.
Gesegnet ist der Mann, der ist an Gütern reich,
Gibt alles er dahin für Gottes Königreich.
Dann ist da auch ein Mann, der von den weltlich Armen,
Der immer sich verzehrt in bitterlichem Harmen,
Er hätte gern mehr Geld, er hungert nach dem Geld,
Weil er das Geld für den Glücksbringer Gottes hält,
Im Herzen ist der Mann längst einer von den Reichen,
Die beten an das Geld, ums Geld von Christus weichen.
FRANZ
Wer aber nichts besitzt und wer auch nichts begehrt,
Ist der allein vor Gott glückselig lobenswert?
FRAU ARMUT
Ein geistlich Armer ist gesegnet von dem Segen,
Wenn alles, was er hat und tut, all sein Vermögen,
Sein gutes Werk für Gott und seines Glaubenslichts
Bestreben nach dem Reich, erscheint ihm als ein Nichts.
Denn alles, was er ist, scheint wie ein Schatten flüchtig,
Der vor dem Herrn allein sich dünkt vollkommen nichtig,
Der an Verdiensten arm und Gnadengaben leer,
Sich ein Herr Niemand nennt, dem alles ist der Herr,
Der seine Nichtigkeit und seine Leere bade
In Gottes Überfluss und absoluter Gnade,
Wer ohne ein Verdienst zum Richter des Gerichts
Hinzutritt und bekennt: Ich bin vollkommen nichts!
FRANZ
Wie kann ich Kreatur die Nichtigkeit ertragen,
Daß ich nicht vor dem Herrn unendlich muss verzagen,
Wenn ich zur Herrlichkeit des Herrn komm ohne Werk?
FRAU ARMUT
In meinen Mantel braun der Bettelei dich berg,
Gib dich mir völlig hin, nimm mich als Frau zur Ehe,
In meinem Schoße du vollkommen ganz vergehe,
Denn dann ersetze ich, was dir an Gnade fehlt,
So dass der Herr nicht mehr all dein Versagen zählt,
Der Herr, schaut er dich an, schaut nur noch meine Tugend.
FRANZ
Sei mein, geliebte Frau in ewiglicher Jugend!
Ich sage Ja zu dir und küss dich mit dem Mund,
So wahr der Herr lebt, ich bin dein im Ehebund!

DRITTE SZENE

(Franz beim Stellvertreter Christi, dem Nachfolger des heiligen Petrus im Ewigen Rom.)

FRANZ
Seht, Eure Heiligkeit, ich sah in einem Traume
Den Neuen Adam stehn an einem Lebensbaume,
Dran Lebensfrüchte, süß wie Manna, voller Reiz,
Der Lebensbaum erschien mir aber als das Kreuz,
Der Lebensbaum, das Kreuz, wie eine Himmelsleiter
Zu Lebensfrüchten süß, die speisen Engel heiter,
Denn oben in dem Baum, in seiner Krone Laub
Sah ich erneut den Herrn wie trunken und ich glaub,
Denn ich empfing im Traum den wahren rechten Glauben,
An diesem Lebensbaum prall hingen süße Trauben,
Die jenem teilen mit, der sich dem Wein geweiht,
Der rot ist wie das Blut, des Gottes Trunkenheit!
PAPST
Dein Traum, mein lieber Sohn, prophetisch war und mystisch,
Da zeigte sich der Herr wahrhaftig eucharistisch.
FRANZ
Dann aber sprach der Herr und flüsterte mir ein:
In der Ecclesia sollst du die Säule sein!
Ich nehme dich als Kelch, darin den Wein ich reiche
Den Priestern und dem Volk in Gottes Königreiche.
Du bau die Kirche auf, die, ach, in Trümmern liegt.
Es ist die letzte Zeit, doch Mutter Kirche siegt!
PAPST
Ja, die Ecclesia, bei Unsrer Lieben Frauen,
Ist heute wenig schön, fast hässlich anzuschauen.
FRANZ
Das arme Gottesvolk hat irrend sich verirrt,
Auch weggefallen ist so mancher Seelenhirt.
Wer ist gehorsam, arm und keusch noch? Aber geldlich
Ist der Ecclesia Erbarmen nicht! Zu weltlich
Geworden ist die Schar des Gottesvolkes arm,
Wie Heiden leben sie, dass Jesus sich erbarm!
Weltkindern ähnlich mehr sie als des Lichtes Söhnen,
Gehorsam keiner mehr der Kirche ist, der Schönen.
Der Kirche ideal ist heilig und perfekt,
Doch ihre Kinderschar die Mutter hat befleckt.
Was aber klage ich von diesen armen Menschen?
Viel schlimmer ist die Schuld von Priestern und von Mönchen,
In Unzucht leben sie, nicht arm, gehorsam, keusch,
Sie dienen nicht dem Geist, sie säen in das Fleisch,
Die Mutter Kirche sie, die Makellose, Pure,
In Unzucht machen sie zu Babels wüster Hure!
Ich aber nach des Traums so visionärer Schau
Als Christi Architekt erneut ein Kirchlein bau,
Ein Kirchlein Unsrer Frau, ein friedliches und kleines,
Ein kleines Kirchlein nur, jedoch ein heilig reines.
PAPST
Erneuert wird allein Ecclesia, die Maid
Mit süßer Mutterbrust, durch wahre Heiligkeit.
Ja, heilig ist der Herr! So sehr ich mich bemühte,
Es war doch alles nur des großen Gottes Güte,
So sehr ich betete mit flehendem Gestöhn,
Die Gottheit war allein in Ewigkeiten schön!
So sehr mein Geist gestrebt nach der Vernunft und Klarheit,
Gott offenbarte sich als personale Wahrheit,
So viel ich auch geweint, sehr jämmerlich betrübt,
Selbst noch im tiefsten Leid hat mich mein Gott geliebt!
Ja, heilig ist der Herr! Allein ein Leben heilig
Hilft der Ecclesia. Franz, schreite mutig, eilig,
Durchwandle diese Welt, verkünde Gottes Reich,
Dein Herz sei nicht wie Stein, dein Herz sei fleischern, weich!
FRANZ
Ein Mittel für das Heil erkenn ich in der Beichte,
Wenn vor Barmherzigkeit die Sündenlast entweichte,
Wenn die Barmherzigkeit aus ihrem Mutterschoß
Verzeihung strömt und spricht von allen Schulden los
Und reinigt so das Herz. Bei Unsrer Lieben Frauen,
Ein reines Herz allein wird Gottes Schönheit schauen!
PAPST
Der Papst kann nicht allein und nicht nur ein Konzil
Die Kirche heiligen. Es steht am Glaubensziel
Die Heiligkeit zuletzt. Sie schwebt als Feuerwolke
Voran dem Klerus und dem ganzen Gottesvolke.
Berufen sind ja nicht die Kleriker allein
Zur Heiligkeit, es ist berufen der Verein
Des ganzen Volkes zu der Heiligkeit in Liebe.
Franz, schenke nur dein Herz freiwillig ganz dem Diebe!
FRANZ
Da jetzt mein Herz gehört so ganz dem Herzensdieb,
Bin ich vollkommen arm. Die Blöße ist mir lieb.
So ging Jesaja auch drei Jahre als der Nackte,
So tanzte David auch zum lauten Trommeltakte
Allein im Lebendenschurz vor Gottes Lade, schau,
So tanze ich entblößt vor allem vor der Frau,
Die ich zur Frau erwählt, der kleinen Povarella,
Ich tanze nackt vor ihr, der Signorita Bella!
PAPST
(lächelnd)
So ziehe durch das Land mit deiner süßen Maid,
Bis alles armes Volk der Kirche sich geweiht,
Die Bettler vor dem Herrn sich weihen Jesu Herzen!
Geh, sei du Christi Bild! Sei gleich dem Mann der Schmerzen!

VIERTE SZENE

(Franz beim Sultan von Marocco, auf dem Diwan in Angesicht des Serail.)

SULTAN
Giaur, wie findest du mein Königreich Maroc?
FRANZ
La France ist sehr schön in ihrem roten Rock,
Doch dass ich in Maroc, in Afrika darf stehen
Und darf von Afrika aus nach Atlantis sehen
Und auch das Mittelmeer und schauen unterdess
Das starke Säulenpaar des Halbgotts Herkules!
Hier an dem Mittelmeer verträumen Assassinen
Im Haschischrausch den Tag. Die Huris winken ihnen,
Die sechzehn Jahre jung mit Liebe in dem Blick
Aus Blüten legen still das Rosen-Mosaik.
Schuhputzerinnen schön und voll von Liebesliedern
Sind jungen Huris gleich, lustwandeln mit den Brüdern.
Hier ist ein jeder Mann und Jüngling Märchenprinz.
Hier dampft der heiße Tee von grünem Pfefferminz.
Hier gehn auf Teppichen die Fraun in frommen Schleiern
Und Märchen singt der Greis auf alten Schildpattleiern.
Man schaut hinüber hier zum Fels von Gibraltar.
Gewürze duften schön und bunt auf dem Bazar.
Am Hafen bieten stolz die Fischer ihre Fische,
Die Speise lecker liegt gebraten auf dem Tische.
Hier nicht Betrunkene vor wilden Schenken schrein,
Besoffen von dem Bier, besoffen von dem Wein.
Der Beduine schätzt die Schwester keusches Wasser,
Das nicht vergeudet wird von sinnlos eitlem Prasser,
Hier weiß man Wasser noch zu schätzen klar und hell,
Hier trinkt am liebsten man aus frischem Lebensquell.
Hier hastet nicht die Welt so sinnlos nach dem Gelde,
Hier sitzt der Patriarch und raucht in seinem Zelte
Den schönen Tabak aus der Wasserpfeife still,
Hier weiß der Patriarch, was man im Harem will.
Hier tönt vom Tempelturm, vom hohen Minarette
Ein Rufen noch nach Gott, dass Allah Ohren hätte
Und höre seines Volks Gebet, dass Allah säh
Huldvoll die Betenden auf Polstern der Moschee.
Ich liebe euer Land, wo nördlich-afrikanisch
Der Mittag ist so still, die Stille heilig-panisch,
Wo ich im Schatten ruhn kann von der Wanderung
Und Jesus beten an in der Begeisterung!
SULTAN
Messias Jesus wir auch ehren als Propheten.
Wie tut ihr Christen doch zu dem Messias beten?
Wenn deine Seele, Franz, für den Messias glüht,
Dann sing von deinem Gott mir doch ein Liebeslied!
FRANZ
Wie soll ich Afrika, wo stets die Sonne heiß ist,
Beschreiben, wie der Schnee des Christentums so weiß ist?
Mich zieht es aber nicht in Tempel, Hindostan,
Mich nicht in die Moschee, mein Bruder Muselman,
Mich zieht es, Jude, nicht in deine Synagogen,
Wir haben einen Kult, den Trinker nur gepflogen,
Wir treten sonntags früh in unser Weinhaus ein
Und zechen fromm und froh vom blutigroten Wein.
Was ist mir die Moschee mit ihrem Teppich helle?
Ich liebe mehr den Staub auf meines Lieblings Schwelle!
Fragst du mich, wer das ist, der Liebling, sag ich dir,
Er ist der Schenke, der stets redet: Ich bin hier!
Mein süßer Liebling ist das Ideal des Schenken,
Der allzeit willig ist, den Wein mir einzuschenken!
Doch schenkt er nicht nur Wein mir ein, der Trauben Glut,
Der Liebling schenkt mir ein sein eignes Herzensblut!
Ich trink mich selig voll mit blutigrotem Weine
Und sag zum Schenken dann: Ich, Liebling, bin der deine!
Dann spricht der Liebling still in mir wie Sonnenschein:
Ich kreis in deinem Blut wie Wein, ich bin ganz dein!
SULTAN
Du bist ja ein Poet! Kennst du die makellose
Geliebte aber auch, der Nachtigallen Rose?
FRANZ
O Rose voller Pein, von Herzensschmerzen rot,
Wie dich der Dorn durchbohrt beim Nachtigallentod!
Die süße Nachtigall, ganz frei von allem Zorne,
Sie stieß sich in die Brust die Spitze von dem Dorne,
Verblutete vor Schmerz und nährte mit dem Blut
Der Liebe Hoheslied, des Weltenliedes Glut!
Die Rose voller Pein, voll liebeskranker Schmerzen,
Sie stach mit spitzem Dorn und ritzte sich am Herzen
Und mischte, Rose rot, der Röte Feuersglut
Am Nachtigallenbaum mit Nachtigallenblut!
Doch wie die Nachtigall so um die Braut geworben,
So mit der Nachtigall die Rose ist gestorben!
Da sang die Nachtigall im Jenseits in der Nacht,
Da ist die Rose rot in Eden auferwacht!
O Rose weiß und rot, o Rose rot und weiß,
O Rosa Mystica in Edens Paradeis,
An Gottes Herzen du erblühtest, so zu reden,
Du Gottes Rose rot, o Rose du von Eden!
In deinem Rosenschoß gebettet liegt das All,
Du Rosenkönigin bei König Nachtigall
Entzückst im Paradies mich einst mit deinem Triebe,
Mich kleinen Schmetterling, der ich die Rose liebe!
SULTAN
Du Nachtigall Allahs, der Rose Bräutigam,
Wer ist denn deine Braut?
FRANZ
Die Rose Maryam.

FÜNFTE SZENE

(Franz und seine spirituelle Freundin Klara.)

KLARA
Mein Franz, mich hungerte nach einem langen Fasten,
Doch war ich bettelarm, wie Indiens Bettlerkasten,
Kein Geldstück war bei mir, die kleinste Münze nicht,
In meinem Kämmerchen verborgen vor dem Licht
Saß betend ich allein, da hörte ich die Stimme
Des Herrn und Bräutigams, so süß wie eine Imme:
Geliebte Klara mein, komm nur aus deinem Haus,
Geh in den Sommer, in den Garten Gottes aus,
Sankt Agnes wartet dort, sie möchte mit dir essen,
Sankt Agnes hat dir dein Lobpreisen nicht vergessen.
So sprach der Bräutigam. Da ging ich aus dem Haus,
Ging in den Sommer, in den Garten Gottes aus.
In Gottes Garten sah ich an die roten Tulpen,
Die Tulpen schöner als ein Ritter in den Stulpen,
Im goldnen Weizenfeld der purpurrote Mohn
Viel schöner noch als selbst der weise Salomon.
Ich ging und sang ein Lied zu meinem Bräutigame,
Da traf ich eine Frau, da sprach die junge Dame:
Hier ist ein wenig Geld, so gehen Sie zu Tisch!
Da kaufte ich mir Brot und roten Wein und Fisch
Und speiste nicht allein, denn mit mir saß zu Tische
Mein Jesus, mein Gemahl, und reichte mir die Fische,
Und mit mir saß zu Tisch Sankt Agnes auch, die Maid,
Die blonde Lockenflut allein ihr keusches Kleid.
So wandre ich allein im irdischen Getümmel,
Doch bin ich einsam nicht, denn um mich ist der Himmel.
FRANZ
O liebe Freundin mein, wenn ich spazieren geh
Durch Gottes Garten, ich Sankt Augustinus seh,
Stets in Gedanken ich mit Augustinus spreche
Und seiner Weisheit Wein in vollen Eimern zeche.
Er spricht dann oft zu mir vom Manichäertum
Und der Bekehrung zu dem Evangelium
Und wie er ward als Christ des Christentums Bewahrer.
Ich rede dann mit ihm vom Irrweg der Katharer,
Denn die Katharer nur das Manichäertum
Erneuern, lehnen ab das Evangelium
Von der Kenosis und der kommenden Theosis,
Wir lachen oftmals laut dann über ihre Gnosis
Und preisen Gottes Wort, gekommen in dem Leibe,
Und Gottes Schöpfung wir gleich einem schönen Weibe
Verehren trunken dann und rufen die Natur
Zum Lobe Gottes auf und alle Kreatur.
So mangelt es mir nicht an einem guten Freunde,
Dieweil ich einsam in der irdischen Gemeinde.
Gott Lob jedoch, es hat mir Gott zu meiner Ruh
Die Freundin beigesellt. Mein Seelentrost bist du!
KLARA
Fern der Ecclesia, der heilig unbefleckten,
Die Spirituellen sich versammeln in den Sekten.
FRANZ
Es ist allein die Schuld der Kirche in der Welt,
Die in der Unzucht hurt und traut allein dem Geld,
Wenn Spirituelle nicht mehr das Mysterium
Der Mutter Kirche sehn im Evangelium.
Das Evangelium ganz radikal zu leben,
Kann der Ecclesia die Geister wiedergeben.
KLARA
Ich will in Avignon ein Kirchlein bauen klein,
Die Kathedrale soll geweiht der Minne sein.
Frau Minne wahrlich ist von göttlicher Natur,
Ihr dienen wird dereinst ein frommer Troubadour,
Wird nach dem Lorbeerzweig des Ruhmeskranzes jagen
Und von der Minne Macht im süßen Stile sagen.
Er soll dann vor dem Dom, vor meinem Kirchenbau
Wie eine Göttin schön erblicken jene Frau,
Die seine Muse wird und seine Minnedame,
Der er’s allein verdankt, wenn fortbesteht sein Name.
FRANZ
Ach liebste Klara mein, ach liebstes Klärchen mein,
Ich will in Ewigkeit dein Freund und Bruder sein.
Die Zukunftskirche, wird sie schön sein, Prophetissa?
Sing der Ecclesia den Hymnus, Poetissa!
KLARA
Wie unsre Freundschaft, die geschwisterliche, ist
Der Kirche Freundschaft mit dem Freunde Jesus Christ.
Wie unsre Freundschaft, die geschwisterliche Freundschaft,
Ist ein Realsymbol der kirchlichen Gemeinschaft,
So eine Nonne kommt, die allzeit barfuß geht,
Sie lehrt in mystischer Erleuchtung das Gebet.
Gebet, Gebet, Gebet, ruft auf dem Berge Karmel
Die Nonne, deren Leib ist schön wie weißer Marmel,
Wie hingegossen sie vorm Engel liegt voll Reiz!
Ihr Freund wird aber sein geweiht allein dem Kreuz,
Er weiß, dass Gott ihn liebt, wie sehr ihn Gott auch quäle,
Die Weisheit schaut er in der dunklen Nacht der Seele.
FRANZ
Der Zukunftskirche sing den Hymnus, liebe Frau,
O Prophetissa, was siehst du in deiner Schau?
KLARA
Ich sehe eine Frau, wie eine Große Mutter,
Die von Atlantis bis zu Hindostans Kalkutta
Als Große Mutter voll des Herrn Barmherzigkeit
Den Durst des Christus stillt, die teilt mit ihm sein Leid,
Die trostlos in der Nacht erduldet Todesschmerzen.
Ich schaue ihren Freund, der dem Marienherzen
Die ganze Welt geweiht, der von Schwarzafrika,
Europa, Skythenland, zum fernen Asia
Die Afrikaner all und all die armen Inder
Der Muttergottes weiht, weil Alle ihre Kinder.
So wirkt die Freundschaft fort, die spirituelle, fort,
Der Psyche Hochzeit mit dem gottgezeugten Wort.

SECHSTE SZENE

(Franz erfindet das lebendige Krippenspiel. Ländliche Szene. Hirten, Schafe, Magier, Sankt Josef,
die junge schöne Madonna mit dem Jesusbaby in Windeln.)

FRANZ
Daß Jesus nicht Idee allein und nur symbolisch,
Dass wahrhaft inkarniert das Wort, das ist katholisch.
Der Philosophen Zunft den Philosophengott
Sucht voller Leidenschaft, dem schenk ich keinen Spott.
Ich aber will vielmehr den Kindern und den Armen
Hier machen evident das göttliche Erbarmen,
Daß Jesus ward ein Mensch, Gott selber ward ein Kind,
Auf dass wir allesamt auch Gottes Kinder sind.
HIRTEN
Wir sahen himmlisch schön die Herrlichkeit von Engeln,
Wir hörten den Gesang, ganz frei von allen Mängeln,
Wir sahen in dem Licht der Cherubini Schar
Und hörten Seraphim, die Stimmen rein und klar,
Und Sanctus sangen sie und sangen Hosianna
Und Halleluja auch und priesen Gottes Manna
Und wiesen darauf hin, Vorsehung hat’s gefügt,
Der liebe Gott als Kind in einer Krippe liegt.
Wir Hirten arm und schlicht, wir Hirten wenig heilig,
Wir wollten zu dem Gott im Leib des Kindes eilig.
JOSEF
Ich war bei meinem Herrn und Gotte in dem Stall,
Er, der geschaffen hat das ganze Weltenall,
Er, der so makellos und ohne jede Sünde,
Wie schaute er mich an! Wie sah ich in dem Kinde,
In seiner Augen Glut die Leiden dieser Welt!
Ob er als Gott und Kind die Welt in Händen hält
Wie eine Haselnuss, ich durfte dennoch schauen,
Links hält die Nuß mein Gott, rechts Unsre Liebe Frauen!
MADONNA
Begreifen konnt ich nicht in meiner Niedrigkeit,
Ich Mädchen schlicht und jung, ich kleine Erden-Maid,
Die ich mich sah als Nichts, als Niemand in der Demut,
Daß Gott mich so geehrt! Da fühlt ich eine Wehmut,
Daß ich, die ich verging in bodenlosem Nichts,
Erhoben ward von Gott zur Königin des Lichts,
Zur gnadenvollen Frau, zum Meisterwerk der Gnade,
Zu Gottes junger Braut, zur Himmelsstadt von Jade!
JOSEF
Madonna, jung und schön, ich sah dich immer an,
Mit seinen Augen liebt zuallererst der Mann,
Die Schönheit, die ich sah, war mehr als nur natürlich,
Du Schönste aller Fraun, du überkreatürlich,
Der himmlischen Idee der Schönheit völlig gleich,
An allem Liebreiz, Charme, Glanz, Anmut, Zauber reich,
Aus Gnade ganz gebaut, von Grazien übergossen,
Im Hohen Liede dir dir Lippen überflossen!
MADONNA
Als schon in meinem Schoß geborgen war der Sohn,
Da saß schon Davids Sohn in seiner Weisheit Thron,
Da tanzte schon mein Gott in seinem Hochzeitstanze,
Da sah er schon die Braut in ihrer Schönheit Glanze,
Er mehr als Salomo, sie mehr als Sulamith,
Da sang mein Gott und Herr der Hochzeit Hohes Lied!
MAGIER
Wir sahen einen Stern erstrahlen unter Sternen,
Die aus dem Orient gefolgt in weite Fernen
Der neuen Konstellation, da strahlend und purpurn
Des Königs Jupiter in Israels Saturn
Den Weg uns wies zum Stall, da wir den König fanden,
Den Hohenpriester und den wahren Gottgesandten.
Kein Schicksal ihn bestimmt, sein Leiden und sein Glück
Schrieb ihm kein Sternbild vor. Das heiliges Geschick
Der ganzen Erdenwelt hält er in seinen Händen
Und allen Anbeginn des Alls, das einst muss enden,
Hält Gott in seiner Hand wie eine Haselnuss.
Die Magier erflehn Madonnas Musenkuss!
MADONNA
Bei aller Wissenschaft, ich möchte euch bewirten
Mit Brot und Wein, zum Mahl ich lade auch die Hirten,
Es hat das Hirtenvolk den Gott zuerst gefühlt,
Ich wünsche, dass für mich ein Hirte Flöte spielt,
Die andern Hirten mir mit Messern ähnlich Blitzen
Als Kunsthandwerker schön mir einen Becher schnitzen
Und dann die Hirten zu der Hirtenflöte Klang
Auf Jesus singen mir den Musen-Wettgesang,
Auf Jesus, Gottes Sohn, denn jetzt heraufgezogen
Ist neu die Goldne Zeit der heiligen Eklogen.
HIRTEN
Dir, Muse, Lob und Preis, du Unsre Liebe Frau,
Weil wir die Göttin sehn in reiner Himmelsschau,
Als Opfer wir ein Lamm dem Gott der Götter bringen
Und, wie Madonna will, Eklogen Jesus singen!

SIEBENTE SZENE

(Franz predigt den Vögeln.)

FRANZ
Ich hab euch wirklich lieb, du Turteltaubenpaar!
Als ich ein Kind zu Haus in Mutters Garten war,
Ob es nun Frankreich war, Italien oder Spanien,
Das tut zur Sache nichts, da zwischen den Kastanien
In dem Kastanienbaum die Turteltaube saß,
Bei ihrem Gurren ich all meine Not vergaß.
Die Kätzchen nicht so schön miauen oder schnurren,
Wie ich das Girren lieb, der Turteltauben Gurren.
Großmütterchen mir oft das Märchen hat erzählt,
Mein Lieblingsmärchen dies der Märchen aller Welt,
Da ist das Mädchen arm, die arme Cindarella,
Ich glaube, darum lieb ich so die Povarella,
Die wurde doch die Braut des Prinzen. Weiß denn du,
O schöner Täuberich, wie immer Ruckediguh
Die Turteltaube rief: Die Braut ist nicht die Rechte,
Stiefmutters Tochter, das Geschöpfchen ist das Schlechte,
Doch Cindarella an der lieben Mutter Grab
Gebetet hat zu Gott, und Gott vom Himmel gab
Der armen Braut ein Kleid von schöner roter Seide,
So war das Mädchen doch die schönste Augenweide.
Ich schweife aber ab. Du Turteltaubenpaar,
Im Frühling ich schon oft der Liebe Zeuge war,
Wenn ihr so süß verliebt in Maienwonnetagen
Geräusche machtet mit der Schwingen Flügelschlagen.
Da sah die Taube ich in dem Kastanienbaum,
Der Taubenbusen war wie weißer Meeresschaum,
Da Samenflocken weiß von Pusteblumen schwirren,
Hör ich der Taube Ruf nach ihrem Tauber girren,
Der Tauber Antwort gibt von seinem Eichenbaum,
Von Taubengurren ist erfüllt der Lüfte Raum,
Da hör ich gurren in der Brunft und Brunst der Triebe
Geheimnisvoll in der Natur die Gottesliebe!
Das ist mein Thema jetzt, denn von der Kanzel hier
Ich predige das Wort zu jedem Erdentier,
Daß Liebe uns allein erlöst aus der Vergängnis,
Daß Liebe uns befreit aus jeglichem Gefängnis,
Vor allem allermeist erlöst uns von dem Ich,
Dem Egoismus, der so herrisch königlich
Uns in uns selbst verkrümmt. Doch wenn der Trieb der Triebe
Zu Gottes Trieb uns hebt, denn Gottes Trieb ist Liebe,
Dann wird der Liebe Brunst, der Liebe Macht sublim
Uns Liebe lehren wie die Engel Seraphim,
Dann glühen wir in Lust der Gottesliebe brennend,
Die Gottesliebe voll der Gotteslust erkennend,
Vereinen wir uns Gott in Einem Augenblick,
Im süßen Liebestod, der schenkt uns Liebesglück!
(Das Turteltauben-Ehepaar fliegt davon. Vom Himmel lässt sich schrecklich-majestätisch ein
Lämmergeier vor Franz nieder und bittet stumm um seiner Weisheit Lehre.)
In den Gebirgen hab gesehn ich Lämmergeier,
Die segelten allein in lichten Äthers Schleier,
Die Flügel Segel groß, ihr Leib ein Wolkenschiff,
Sie riefen manchmal sich mit hohem dünnem Pfiff.
Ja, reichlich lag das Aas und reichlich lebten Lämmer,
Ich sah die Herde schön in blauem Abenddämmer
Und in der Heide sah in Reif und Tau so fein
Ich Schädel liegen nackt und bleichendes Gebein
Und dachte an den Tod, der aller Welt verderblich.
Der Lämmergeier und die Lämmer all sind sterblich
Und auch der Hirte und der alte Hirtenhund
Und von dem Tode ist Natur am Herzen wund.
Da hört ich die Natur, wie Lämmergeier krächzen,
Da hört ich seufzen sie und leise stöhnend ächzen.
Wann wird Natur erlöst von der Geschöpfe Krieg,
Wann kommt das Friedensreich und des Messias Sieg?
Wenn der Messias kommt, die Menschen ewig leben,
Dann wird auch die Natur mit Trieben und Bestreben
Erlöst von Krieg und Tod und in dem Paradies
Der Lämmergeier spielt mit kleinen Lämmern süß.
(Der Lämmergeier erhebt sich und segelt herrlich davon. Eine Gruppe schwarzer Raben kommt.)
Ich danke meinem Gott für euch, ihr schwarzen Raben,
Ich weiß, mit euch bringt Gott auch heute seine Gaben.
Die blaue Stunde kommt, es glüht das Abendrot,
Die ihr mir heute früh gebracht das weiße Brot,
Ihr bringt zur Abendzeit ein kleines Stück vom Fleische.
Die Schwester Wasser wird im Becher dann, die keusche,
Des Magens willen, der Gesundheit halber sein
Gemischt mit Frankreichs Saft, dem blutigroten Wein.
So Gott ernährt mich doch vom Abend bis zum Morgen,
Ob ich auch nichts getan, als frei von allen Sorgen
Zu predigen der Schar der lieben Vögelein,
Daß alle Kreatur soll Gottes Lobpreis sein.
Dem Prediger des Herrn gibt gnädig der Allweise
In dieser Erdenwelt das Trinken und die Speise,
Und so ernährt der Herr die Vögel der Natur
Und auch der Schöpferkraft geringsten Troubadour!

ACHTE SZENE

(Franz und Bruder Sylvester spazieren durch Gottes schöne Natur.)


FRANZ
Wie lange Freunde schon, wie Bruder oder Schwester,
Wie lange Freunde schon, mein trunkener Sylvester!
SYLVESTER
Seit zwanzig Jahren schon gemeinsam wallen wir,
Ich schaute immer auf, mein Väterchen, zu dir,
Wenn du gegurrt, geruckt von Gott wie Turteltauben,
Du hast geholfen mir, an unsern Herrn zu glauben.
Die Kirche schien mir schlecht, verweltlicht sehr und reich,
Du aber lebtest vor des Meisters Himmelreich.
So Christus habe ich erkannt in dir, dem Christen,
So lieg auch ich jetzt an der Kirche Mutterbrüsten.
Frau Minne sangest du als Gottes Troubadour,
Ich liebe auch wie du die heilige Natur.
FRANZ
Zu Gnaden neigt sich schon die Sonne an dem Abend,
Die liebe Sonne ist erquickend und erlabend,
Wenn lächelt sie im Lenz, der Garten Gottes blüht
Und froh und liebevoll wird aller Welt Gemüt.
O Sonne oder Sol, du Genius der Sphären,
Ich höre deinen Sang den Schöpfergeist verehren,
Die du versenkst dich tief ins bodenlose Nichts
Und betest an den Herrn in Finsternis des Lichts!
SYLVESTER
Bald ist des Mondes Zeit. Ich weiß von einem Märchen,
Die Sonne und der Mond, sie waren einst ein Pärchen,
Das Schicksal trennte sie, nun suchen sie sich stets.
Das arme Sonnenlicht, zur Abendzeit vergeht’s
Und so ist es dahin, so grausam ist Fortuna,
Dann kommt gewandelt erst in Einsamkeit die Luna
Und ist so blass und bleich vor Trauer und verzagt
Und voller Wehmut leis in Liebeskummer klagt.
FRANZ
Das Märchen aber ist sehr traurig, mein Sylvester.
Frau Luna scheint mir mehr wie Klaras Ordensschwester,
Frau Luna Nonne ist, sie gab dem Herrn ihr Ja,
Jetzt weiß und rund, sie gleicht der reinen Hostia.
O Hostia, du Mond, du Jesu Christi Gattin,
Ich sing als Troubadour dich, meine Minnegöttin,
Wie du am Firmament mehr als die Sterne gleißt,
Doch hör dein Seufzen ich, mit dem du Jesus preist!
SYLVESTER
Der Mond scheint mir der Hirt, die Sterne sind die Herde.
In ihrem schwarzen Kleid sieht schön aus Mutter Erde.
Das Kleid steht ihr sehr gut, es schmückt sie vorteilhaft,
Ich fühl zur Erde noch geheime Leidenschaft.
FRANZ
Ich sing wie Hesiod, wie alle Humanisten,
Der Mutter Erde Lob und ihren breiten Brüsten!
SYLVESTER
Wie Mond und Sonne schön, Mars, Jupiter, Merkur,
Saturnus auch, sein Ring von kosmischer Natur,
Wie schön zur Abendzeit, zur Morgenzeit die Venus,
Doch Mutter Erde nur heimsuchte Nazarenus!
Was aber wissen wir vom Kommen unsres Herrn,
Ob er erschienen auch einst auf dem Morgenstern,
Ob auf der Venus auch versucht ward eine Eva,
Ob auf der Venus auch ein Papst thront namens Kefa?
FRANZ
Du, lieber Bruder, scherzt! Die Mutter Erde mit
Den breiten Brüsten sah allein, wie Jesus litt.
Ich bin ja einer nicht von den gelehrten Mönchen,
Die Mutter Erde gab der Schöpfergeist den Menschen,
Der Mutter Erde hat der Herr sich eingeflößt,
Auf Mutter Erde hat die Menschheit er erlöst.
SYLVESTER
Ich wär ein Engel gern, ein Bruder freien Geistes,
Der Leib ist ein Verließ, bei Platon sogar heißt es,
Der Seele sei der Leib ein Kerker, ja ein Grab!
Warum der liebe Gott mir diesen Körper gab?
Ach wär ich Engel nur, ich sage es bescheiden,
Und müsst ich nicht am Leib in meiner Seele leiden!
FRANZ
Hab Mitleid mit dem Leib, er ist ein Esel nur,
Es ächzt und krächzt und stöhnt die ganze Kreatur,
Die Esel schnappen Luft, sehn sie die Eselinnen,
Da steht des Esels Glied, da gibt es kein Besinnen,
So stürzt der Eselmann sich auf das Eselweib.
Wer wird erlösen mich von diesem Todesleib?
SYLVESTER
Mein Heiland ist der Tod, ein Heiland voll Erbarmen.
Empfange mich, o Tod, in deinen Heilandsarmen!
FRANZ
Im Gottesmutterschoß geborgen allezeit,
Bis Gottes Mutter mich gebiert in Ewigkeit!
Ich bin des Todes nicht, ein Aas zu seinem Futter,
Der Tod ist eine Frau, ist eine liebe Mutter
Und wird gebären mich zur Todesstunde süß
Ins Purgatorium und dann ins Paradies!
SYLVESTER
Todsünde, was ist das? Dass Satan uns nicht schade!
FRANZ
Verdienst nicht, ein Geschenk ist unsres Gottes Gnade.
Der Tod lobpreise Gott in alle Ewigkeit,
Weil unausforschlich ist des Herrn Barmherzigkeit!

NEUNTE SZENE

(Franz wälzt sich im Schnee...)

FRANZ
Die Triebe machen doch den Mann zu einem Tiere!
Ach dass ich nicht den Geist noch überm Fleisch verliere!
Ich werde niemals keusch, wenn Gott es mir nicht schenkt,
Marien Keuschheit in mein Fleisch und Blut versenkt!
(Über ihm in den Lüften erscheint ein Kreuz. Davor steht ein feuriger Engel der Liebe.)
ENGEL
Die Feuerrose rot der Leidenschaft des Fleisches
Wird durch kein Violett erlöst, kein kirchlich-keusches,
Die Feuerrose rot der Liebesleidenschaft
Erlöst wird nur allein von Gottes Liebeskraft,
Der Weißglut Rose weiß, nicht Kühle ihre Weiße,
Die Weißglut-Rose ist die maßlos Über-Heiße!
FRANZ
Brenn du mir in mein Herz die Weißglut-Rose weiß,
Daß ich auch als Seraph die Inbrunst Gottes preis!
(Der feurige Engel schleudert fünf feurige Flammen auf Franz. Zwei Flammen verwunden seine
Füße, zwei Flammen seine Hände, eine Flamme sein Herz.)
ENGEL
Für eine Liebe von solch einer Größe geht es
Nicht ohne Wunden ab! Im Buch des Lebens steht es,
Daß du erlöst sollst sein, erlöst durch Liebe sein,
Drum habe Anteil auch an aller Liebespein
Der Liebe in Person, die ward zu Tod geschunden,
Verströmte all ihr Blut aus tausend offnen Wunden!
FRANZ
Die Füße sind mir wund, ich armer Wandersmann
Nun pilgre durch die Welt und sag den Frieden an,
Die Hände sind mir wund, ich arbeite hienieden
Und bin in Gottes Hand ein Werkzeug für den Frieden.
ENGEL
Doch unaussprechlich ist der namenlose Schmerz,
Der abgrundtief erfüllt das süße Jesusherz!
Für diesen Liebesschmerz, für Wunden solcher Sorte,
Gibt’s unter Geistern und Geschöpfen keine Worte!
Jetzt aber ahne du den Schmerz mit einem Mal,
Die Seele Jesu fühl und ihre Höllenqual!
FRANZ
In meinem Herzen ist so abgrundtiefer Schrecken,
Als wollte Gott in mir die Hölle auferwecken,
Als müsst ich selbst hinab, zum Feuersee, zum Pfuhl
Voll schwefligen Gestanks, um dort von Beelzebul
Noch die Verdammten selbst in Höllenqual zu trösten!
Der arme Lazarus im Himmel der Erlösten
Ging nicht zum reichen Mann, der brannte in dem See,
Ich bring dem reichen Mann ein wenig kühlen Schnee!
ENGEL
Was stammelst du, mein Freund! Wie sinnlos diese Klagen!
FRANZ
Ach, meine Höllenqual, sie ist nicht auszusagen!
Mein Christus in mir fährt ins Totenreich hinab,
Mein Christus in mir ruht versiegelt in dem Grab,
Doch meine Schmerzen sind ein reines Nichts, verglichen
Mit Jesu Christi Schmerz, als Gott von ihm gewichen!
ENGEL
Du, Franz, du leidest nicht, denn Jesus leidet nur,
Das Wort nimmt noch mal an die menschliche Natur
Und leidet die Passion, die Menschen zu erretten!
Du sollst die Seele nur im Bett des Kreuzes betten,
Dann mit dem Heiland und dem Herrn in seiner Pein
Wirst ein Erlöser du mit dem Erlöser sein!
FRANZ
In meinem Herzen ist ein Schnitt, mein Herz zerschnitten,
Ein Schwert geht durch mich durch! Was habe ich erlitten,
In meinem Herzen spür ich solche Liebesqual,
Als schlüge mir mein Gott ins Fleisch mir einen Pfahl!
ENGEL
Die Herzenswunde dein erheb zum Jesusherzen,
Mit deinem Schmerz berühr du des Messias Schmerzen,
Vereine deine Qual mit Jesu Christi Qual,
Vereine seinem Kreuz in deinem Fleisch den Pfahl!
FRANZ
O höchste Liebesglut, o heiße Liebesflamme!
Berühre ich das Herz von meinem milden Lamme,
Voll Sanftmut, Demut und voll süßer Mildigkeit,
Wie abgrundtief ist doch die Allbarmherzigkeit
Des Herzens meines Herrn, voll schöpferischer Triebe
Ein heißer Flammenherd, ein Brandaltar der Liebe,
Da Gottes Weißglut heiß voll Liebeslust sublim
Entflammt die Inbrunst der verzückten Seraphim!
ENGEL
Dein Seraph, das bin ich! Seraphisch deine Minne,
Der Liebesqualen und der Liebeslüste inne!
Pater Seraphicus, du Odem im Schamott,
Bist eine Flamme jetzt im Liebesfeuer Gott!

DIE HEILIGE JEANNE D’ARC

ERSTE SZENE

(Jeanne als Hirtin ihrer Lämmerherde ruht, an eine Eiche gelehnt, und schnitzt einen Becher.)

JEANNE
Kommt zu der Hirtin heim, ihr lieben kleinen Lämmer!
Die Vesperglocke ruft! Es kommt der Abenddämmer.
STIMME DER HEILIGEN MARGARETHE
O süße Jungfrau Jeanne, tu auf dein Muschelohr,
Dich rufen Heilige aus hoher Himmel Chor.
JEANNE
Was ist das für ein Ton, was spricht für eine Stimme?
Schlägt Gott mich jetzt mit Wahn, der Herr in seinem Grimme?
MARGARETHE
Sei, Jungfrau, ohne Furcht, es ruft durch uns dich Gott.
JEANNE
Die Menschen in dem Dorf verspotten mich mit Spott.
MARGARETHE
Erhaben stehe du darüber, laß die Kerle.
Sankt Margarethe ich bin, Gottes Meeresperle,
Und hab mit Drachen auch heroisch einst gekämpft.
JEANNE
Wie deine Stimme rauscht, wie redest du gedämpft.
MARGARETHE
Befrei du Frankreich auch vom Drachen, Jungfrau! Diene
Gott und dem Vaterland! Jetzt hör auf Katharine!
JEANNE
Sankt Margarethe, du sprichst mild und mütterlich,
Hör ich dich noch einmal? Ach, wie ich liebe dich!
STIMME DER HEILIGEN KATHARINE
O süße Jungfrau Jeanne, die liebe Margarethe
Wacht über deinen Geist, sie hört auf dein Gebete.
Sankt Katharine ich, die führte einst den Papst
Von Avignon nach Rom. O dass du dich erlabst
An deiner Freundin Gruß! Mit jedem der Gedanken
Und aller deiner Kraft Gott diene und den Franken!
JEANNE
Ich arme Hirtin nur, will nur im Schatten ruhn,
Was soll ich für den Herrn und für mein Frankreich tun?
KATHARINE
Geh eilig zum Dauphin und krön zum König ihn!
Dir ist das scharfe Schwert der Ritterin verliehn!
JEANNE
Ich kenne nur den Stab, den Stecken und die Flöte,
Wie ich die Flöte blies in stiller Morgenröte.
STIMME DES ERZENGELS MICHAEL
Maria sendet mich, ich Engel bin ihr Knecht,
In Frankreich richte du die Wahrheit auf, das Recht!
JEANNE
Ich liebe Frankreich ja, die Heimat der Franzosen,
Mein süßes Heimatland, mein Leben unter Rosen,
Und darf ich nicht als Lamm in Lilienauen ruhn,
Was, Engelsstimme, was soll eine Jungfrau tun?
MICHAEL
Geh du zu dem Dauphin, zum König ihn zu krönen,
Vertreibe England aus dem Vaterland, dem schönen,
Drei weiße Lilien auf der blauen Fahne Grund
Dein Liebesbanner sei, sei du von Sehnsucht wund,
Erlöse Frankreich aus der Knechtschaft Allerleiheit,
Nimm dieses Engelsschwert und kämpfe für die Freiheit!
JEANNE
Wenn ich berufen bin von dir zum Freiheitskrieg,
Werd ich erlangen dann, erringen dann den Sieg?
MICHAEL
Die Briten wird dein Schwert im Freiheitskampf besiegen,
Doch siegend wirst du selbst den Feinden unterliegen.
JEANNE
Sag, Engel, sterbe ich, komm ich ins Paradies?
MICHAEL
Vertraue Notre Dame, die gütig, mild und süß!
STIMME DER JUNGFRAU MARIA
Du süße Jungfrau Jeanne, sei du Marien Gleichnis!
Das Unbeschreibliche, hier wird es zum Ereignis.
JEANNE
Wie kann ein Mädchen arm und schlicht dir gleichen, Frau?
Jetzt hör ich dich nicht nur, jetzt schau ich eine Schau!
Im weißen Seidenkleid mit langen schwarzen Haaren,
Im weißen Schleier seh ich dich mir offenbaren,
Du anmutvolle Frau, viel schöner als mein Traum,
Wie du erscheinend schwebst hier überm Eichenbaum.
MARIA
Sei du zum Kampf bereit, ja selbst zu Todesschmerzen,
Um Frankreich mir zu weihn und meinem reinen Herzen!
JEANNE
In deinem Namen will ich kämpfen, Notre Dame,
Idee der Frauen du, Marie, plus belle des femmes!
MARIA
Du süße Jungfrau Jeanne, der Jungfrau Ebenbild,
Jetzt Löwe mehr als Lamm bist du im Kampfgefild,
Heerscharenführerin bin ich in Schlachtenreihen,
Nun sollst du selber dich, Jeanne, meinem Herzen weihen!

ZWEITE SZENE

(Jeanne und der Dauphin, alte Nonnen und junge Theologen.)

JEANNE
Mein heiliger Dauphin, zum König krön ich dich,
Dazu bin ich gesandt von Gottes Mutter, ich!
DAUPHIN
Ich bin von Herzen dir, du schönes Kind, gewogen,
Dich sendet Notre Dame? Das prüfen Theologen.
THEOLOGE
Dich sendet Notre Dame? Wer ist denn Notre Dame?
JEANNE
Die forma dei! O Marie, plus belle des femmes!
THEOLOGE
Du sahst vielleicht ihr Bild. Ist sie dir eine Göttin?
JEANNE
Des Vaters Tochter und des Sohnes Mutter, Gattin
Des Geistes ist Marie, sie ist total perfekt!
THEOLOGE
Ist von Empfängnis an die Jungfrau unbefleckt?
JEANNE
Begnadete von Gott, die Kecharitomene,
Wie Gabriel gegrüßt in der berühmten Szene,
Begnadet ist Marie vom ersten Augenblick,
Geschöpf des Geistes und des Schöpfers Meisterstück,
Das Allbegnadetsein ist immerdar ihr Wesen,
Die allgebenedeit, vom Schöpfer auserlesen.
THEOLOGE
Dich sendet Notre Dame? Dich sendet nicht der Sohn?
Ist Jesus nicht der Herr im höchsten Himmelsthron?
JEANNE
Daß Jesus Mittler ist zu Gott dem Himmelsvater,
Verkünd ich deutlich hier in dem Sakraltheater,
Allein der Mittler schenkt uns seiner Gnaden Tau
Durch seine Mittlerin der Gnaden, Unsre Frau.
Wie Jesus kam zur Welt durch Unsre Frau, die keusche,
Der Logos Gottes nahm von Unsrer Frau vom Fleische,
So Gottes Gnade kommt zu uns durch Unsre Frau,
Die Gnadenmittlerin, die aller Gnaden Tau
Vermittelt von dem Sohn zu ihren Kindern nieder.
Drum sendet mich Marie, ich sag es immer wieder,
Weil so es will der Sohn. Maria ist so schön
Und möchte, dass ich den Dauphin zum König krön!
THEOLOGE
Folgst du bist in den Tod der Jungfrau, der perfekten?
JEANNE
Ich sterbe für das Herz der Ewig-Unbefleckten!
DAUPHIN
Mein Theologe, sag, rechtgläubig ist sie doch?
THEOLOGE
Sie ist ein Ochse, der nur zieht an Jesu Joch.
DAUPHIN
Doch, soll sie retten uns, ist sie denn auch jungfräulich?
Ach, wär sie schon entweiht, weh mir, das wär mir gräulich!
NONNE
Ich werde prüfen Jeanne, ob sie ist Christi Braut,
Ob sie ist keusch, ob heil ist ihre Jungfernhaut.
Komm, süßes Mädchen Jeanne, hier ist ein Zelt im Raume,
Hier will ich prüfen dich, du süß gleich einem Traume,
Ob noch dein Hymen heil, ob makellose Maid
Du bist, ob heilig noch an dir Jungfräulichkeit.
(Jeanne folgt der alten Nonne in das Zelt mitten im Raum. Nach einiger Zeit erscheinen sie wieder.
Jeanne errötet vor Scham, aber strahlend.)
JEANNE
Ich Jungfrau bin noch heut ein makelloses Mädchen,
Nicht irgend so ein Weib, ein Evchen oder Käthchen,
Ich bin die reine Jeanne, die Lilie weiß und keusch!
NONNE
Ja, unverletzt, intakt ihr Hymen ist im Fleisch.
JEANNE
Wie Sankt Hieronymus, Jakobus auch berichtet
Und wie ein Dichter einst in Versen es bedichtet,
War Unsre Liebe Frau viel keuscher als der Schnee,
Doch wurde sie geprüft vom Weibe Salome,
Die wollte sich vor Gott des klugen Zweifels rühmen
Und rührte Unsrer Frau versuchend an das Hymen,
Daß ihr verbrannt die Hand, da schrie sie in den Wind:
Verzeihe mir, mein Gott! Da kam das Jesuskind
Und rührte Salome verzeihend an, die Flamme
Erlosch an ihrer Hand, die zweifelnde Hebamme
Nach dieses göttlichen Erbarmens Gnadenakt
Versicherte der Welt: Die Jungfrau ist intakt!
DAUPHIN
So bist du orthodox und nicht wie Ketzer gräulich,
Du bist kein wildes Weib, bist Mädchen und jungfräulich,
So sage mir das Wort und richt die Botschaft aus!
JEANNE
Mein heiliger Dauphin, bei Gottes Vaterhaus
Beschwör ich dich, Dauphin, sei deiner Sklavin gnädig:
Preis Eurer Majestät, der Ihr seid Frankreichs König!

DRITTE SZENE

(Der Dauphin und Jeanne. Adel und Klerus.)

DAUPHIN
Von England sind wir rings umgeben, unser Feind
Allgegenwärtig ist, allmächtig, wie es scheint,
Wir aber sind verzagt wie kranke Eremiten,
Was können wir noch tun bei dieser Macht der Briten?
Sie haben unser Land erobert, herrschen jetzt,
Sie haben ihren Herrn auf unsern Thron gesetzt.
Franzosen denken nur an süße Liebeslust,
Ja, der Franzose denkt an der Französin Brust,
Die Briten aber ernst und streng an ihre Waffen,
Als Krieger hat sie wohl der böse Feind geschaffen.
Was soll die Venus mit der Amatoris Ars,
Wenn mächtig triumphiert mit seiner Waffe Mars?
Was soll der Liebespfeil im Angesicht des Krieges?
Die Liebeswonne geht verlustig ihres Sieges!
Der Brite mit Gewalt in die Provinzen brach,
Wie aber sind geschwächt, sind wie Verliebte schwach.
Der Brite will am Mast die Kriegesfahne hissen,
Franzosen denken nur ans Küssen, Küssen, Küssen.
Es sprach ein Philosoph im alten Griechenland,
Es habe alle Welt den inneren Bestand
Durch süße Liebeslust, der Liebe Seligkeit
Und gleicherweise auch durch Hass und Krieg und Streit.
Jetzt aber scheint die Lust der Liebe sich zu zieren,
Der Hass und Streit und Zorn des Feinds zu triumphieren!
Franzosen glauben zwar, die Liebe sei uralt,
Doch hat sie uns geschwächt. Der Brite mit Gewalt
In seinem Hass und Zorn kommt als ein großer Krieger
Und Herzenshärtigkeit bleibt in der Schlacht der Sieger.
Ich sehe einen Kampf, ich sehe deutlich das,
Die Liebe streitet mit dem Widersacher Hass,
Die Liebe streitet mit der Feindin Anti-Liebe!
Ach, wenn doch der Triumph der Liebe ewig bliebe!
Kannst du beweisen, Jeanne, dass du als Kriegerin
Zu mir geschickt von Gott? Und wirst du Siegerin
Im Kampfe sein und wird des Feindes Waffe stumpf
Und jauchzt noch Frankreich auf und feiert den Triumph?
Wird triumphieren nach des Krieges Allerleiheit
Das süße Liebesglück in Frankreichs wahrer Freiheit?
JEANNE
Mein heiliger Dauphin, komm in den Nebenraum,
Ich sage dir, was du gesehen hast im Traum...
Ich sage dir, was dein tief-innerstes Geheimnis,
Dann wirst du glauben mir, dann länger kein Versäumnis!
(Jeanne und der Dauphin gehen allein in die Nebenkammer.)
ADLIGE
Das junge Teufelsweib – Sie tut, was ihm beliebt –
Französin jung und schön – Sie weiß, wie Frankreich liebt –
Wie voll ihr Busen ist – Heiß pochen ihre Herzen –
Wie ihn verhext die Hex – Gott Amor scheint zu scherzen –
KLERIKER
Gott stehe Frankreich bei, geb uns den alten Glanz!
O betet oft für den Dauphin den Rosenkranz!
Die Maid und der Dauphin, die sich jetzt mystisch paaren,
Und Gott wird Frankreichs Ruhm aufs neue offenbaren!
Chérie Marie, chérie Marie, plus belle des femmes!
Die Glocke läuten lass im Dom von Notre Dame !
(Jeanne und der Dauphin erscheinen wieder, der Dauphin lächelnd.)
DAUPHIN
Jetzt weiß ich es und knie auf meines Gottes Stufen,
Die Weisheit Gottes hat zum König mich berufen!
Unwürdig bin ich zwar, ich bin im Grunde schlecht,
Als König bin ich auch nur meines Gottes Knecht,
Herrsch ich auch absolut, so bleibe ich ein Sklave,
Die Jungfrau helfe mir, ich bete stets mein Ave,
Die Jungfrau steh mir bei in dem Mysterium
Der jungen Jeanne, sie führt mich zu dem Königtum,
Die Jungfrau sendet Jeanne, Heerführerin der Heere,
Die Frankreich uns befreit, die Berge und die Meere,
Ich weiß, sie führt das Heer, die unsern Feind abwehrt,
Die Jungfrau in der Hand hält Gottes scharfes Schwert!
JEANNE
Berufen zu der Schlacht, Heerführerin der Heere,
Befreie Frankreich ich, die Berge und die Meere,
Befreie Notre Dame und ihren Sohn Paris,
Ja, Frankreich wieder wird der Liebe Paradies!
Vertreiben England wir im großen Freiheitskriege,
Der Brite unterliegt, die Liebe wird im Siege
Der Freiheit jauchzen laut! Die Freiheit führt uns an,
Die Jungfrau Freiheit führt, wir folgen wie ein Mann!
Ich aber künde euch ein heiliges Geheimnis,
Wenn ich verschwiege das, es wäre ein Versäumnis:
Ich sieg nicht mit dem Schwert in meiner rechten Hand,
Das Schwert in meiner Hand, befrei ich nicht das Land,
Ich siege mit dem Schwert in dem durchbohrten Herzen,
Triumph der Liebe glüht wie heiße Todesschmerzen!
Die Jungfrau Freiheit siegt in jauchzendem Triumph,
Wenn man der Jungfrau schlägt das Haupt von ihrem Rumpf,
Die Lilienflamme wird im Opferfeuer wehn,
Dann erst wird im Triumph die Freiheit auferstehn!

VIERTE SZENE

(Schlacht im Loire-Gebiet zwischen Franzosen und Engländern. Jeanne in Ritterrüstung reitet dem
französischen Heer voran. Neben Jeanne reitet La Hire, der Wilde, ihr eifrigster Paladin.)

ENGLÄNDER
Soldaten der Armee, so kämpft in diesem Krieg,
Des Krieges Pflicht und Amt allein, das ist der Sieg,
Unsterblichkeit allein sei euch das Schild, die Waffe,
Denn der Franzose ist doch nur ein geiler Affe.
Ob euer Körper auch verübt im Krieg den Mord,
Ob euer Körper gar fährt in den Hades-Ort,
Das ist uns alles gleich, denn wir sind nichts als Seele,
Die Seele hört allein die göttlichen Befehle:
Tu, was du tuen musst! Bist du ein Krieger nun,
Sollst du nicht als Poet im Arm der Muse ruhn,
Bist du ein Krieger, dann erhebe deine Waffe!
Was schadet es, ob stirbt ein geiler Franken-Affe?
Der Leib ist gar nichts wert! Sie säen in das Fleisch,
Unsterblich sind nur wir, wir reinen Engel keusch!
Was ist uns Schmach und Scham? Wenn wir im Krieg versagen!
Ja, soll die Nachwelt denn von Englands Kriegern sagen,
Sie seien Weiber zag und Memmen weibisch feig?
Zu der Unsterblichkeit Olymp als Krieger steig,
Mein britischer Soldat, für deines Nachruhms Ehre,
Erhebe Pfeil und Schwert, erhebe die Gewehre!
JEANNE
Bei Frankreichs Fahne schwört! Auf blauem Fahnengrund
Drei Lilien weiß und rein! Vernehmt vom Mädchenmund:
Die erste Lilie ist Maria vorm Gebären,
Als Jungfrau keusch und rein wir Unser Mädchen ehren,
Die zweite Lilie ist Liebfrau in der Geburt,
Da Gottes Logos ging durch ihres Schoßes Furt,
Da wollen wir die Maid als Unverletzte rühmen,
Intakt und unverletzt die Jungfernhaut, das Hymen,
Intakt und unverletzt des Hymens Jungfernhaut,
So rein die Mutter ist, die Tochter und die Braut,
Die dritte Lilie ist Maria auserkoren,
Jungfräulich unverletzt, nachdem sie Gott geboren!
Ja, die drei Lilien sind der Jungfrau Ruhmespreis,
Auf blauem Himmelsgrund der Jungfrau Lilie weiß.
Bei David, Salomo und Gad und auch bei Nathan,
Die Jungfrau ganz intakt vertilgt die Schlange Satan!
LA HIRE
O Jeanne, du wildes Weib, ich reit dir hinterher,
Ich schau dir hinterher, ich seh geteilt das Meer,
Du reitest mir voran, du Frankreichs freie Liebe,
Auf Englands Hinterteil verteil ich meine Hiebe,
Ich schau dir nach, o Jeanne, und deines Pferdes Schwanz,
Wie tanzt die Stute doch in wilden Kampfes Tanz!
(Ein englischer Soldat schießt auf Jeanne einen Pfeil ab. Verwundet stürzt sie vom Pferd.)
JEANNE
Ah, Pfeil in meine Brust! Wir werden nicht verlieren
In diesem letzten Kampf, wir werden triumphieren!
Ich weiß, in meiner Brust des Feindes spitzer Pfeil,
So sehr es mir zum Schmerz, so sehr es euch zum Heil!
Jetzt weiß ich, Gottes Hand schenkt Frankreich die Loire
Zum Eigentum zurück. Ich Jungfrau offenbare:
Der Pfeil in meiner Brust, das Schwert mir hier im Herz,
Der Pfahl in meinem Fleisch, in meiner Brust der Schmerz,
Wird mehr als alles Werk der Waffen in dem Kriege
Die Heerschar Frankreichs bald zuführen ihrem Siege!
(Jeanne, mit dem Pfeil in der Seite, hält die Fahne mit den weißen Lilien hoch und rennt den
berittenen französischen Soldaten voraus.)
LA HIRE
Du Tapferkeit im Schmerz! Du Heldenmut im Schmerz!
Du Mädchen sanft und zart mit deinem Löwenherz!
Am Abend sanft ein Lamm, ein friedevolles Lämmchen,
In deinen Augen blau des Venussternes Flämmchen,
Jetzt, wo vom Busen dir herabströmt heißes Blut
Und du uns gehst voran mit starkem Todesmut,
Jetzt alle Männer wir von einem Mädchen lernen,
Der Mond begeistert uns, uns, die Armee von Sternen,
Wir folgen in den Tod, das Haupt fällt uns vom Rumpf,
Bei deinem Herzensblut, wir glauben dem Triumph
Von Frankreichs Freiheit und französisch freier Liebe!
Gott der Allmächtige in seinem höchsten Triebe,
In seiner Zeugungskraft und göttlichen Potenz,
In seinem freien Akt, der schuf die Welt im Lenz,
Gott der Allmächtige im Ewigsten der Triebe
Ist höchste Liebeslust und ewig-freie Liebe!
Die freie Liebeslust im göttlichen Erschaffen
Die Lilienfahne weiht und segnet unsre Waffen!
JEANNE
Ha, England klemmt den Schwanz wie feige Hunde ein,
Sie fliehn aus Frankreich fort, sie fliehn den Sonnenschein,
In ihre Scheiden nun sie stecken ihre Säbel
Und flüchten wieder heim in ihre Geisternebel!
Loire, du bist frei, Loire, du bist frei,
Dein Paradies ein Mai, dein Paradies ein Mai,
Wo über Frankreich herrscht der Geistesfreiheit Sonne
Und Unsre Liebe Frau ist unsre Liebeswonne!
(England flieht! Jeanne bohrt den Schaft der heiligen Fahne in den blutigen Boden der Loire.)
FÜNFTE SZENE

(In einer Prozession ziehen der Dauphin und Jeanne, gefolgt von Klerus, Adel und Volk, auf den
Königsthron zu Reims zu. Jeanne trägt die marianische Fahne der französischen Freiheit.)

JEANNE
O Mon Seigneur Dieu! La France kommt jetzt zu Gott !
La France sei unbefleckt von allem bösen Spott!
Die Erstgeborene der Kirche ist die Schöne,
Von der Apostelin geborn, La Madelaine!
La Madelaine war die Braut vom Menschensohn,
Ihr Sohn ist der Dauphin auf Frankreichs Königsthron!
La France weiht sich jetzt ganz Notre Dame Noire,
Paris und die Provence, Bordeaux und die Loire!
Maria liebt La France, sie hat sie angeschaut
Als Erstgeborene und schöne Jesusbraut,
Ja, Notre Dame Noir, die Gottesmutter, Schwarze,
Den König selber stillt an ihres Busens Warze.
Der König Frankreichs kommt, der Siebte König Karl,
Aix-en-Provence bringt er und Avignon und Arles,
Er bringt dem großen Gott den Gave der Gascogne,
Die braunen Frauen auch vom Weinberg der Dordogne
Und Rhone und Ardeche und auch den Berg Ventoux,
Die Pyrenäen führt er Gott dem Schöpfer zu,
Les-Saintes-Maries-de-la-mer im Löwengolfe
Und alle Lämmlein, die er schützte vor dem Wolfe,
Und jedes Mutterschaf trägt er in seinem Arm
Und bittet für La France: O großer Gott, erbarm!
Zum Gott der Liebe führt er liebend die Pariser,
Pariserinnen auch, sie sollen Paradieser
Und Paradieserin einst sein im Paradies,
Jerusalem von Gott beschützt die Stadt Paris!
Wir weihen Ludwig dir den Elften, Henri Qutare,
Wir weihen Sacré Coeur und weihen den Montmartre!
Ich bin ein Mädchen nur, ein armes schlichtes Weib,
Dazu ein schlechtes noch, und sterblich ist mein Leib,
Mein Atem ist sehr knapp in meiner armen Lunge
Und unbeholfen lallt französisch meine Zunge!
(Der Dauphin vor dem Königsthron. Die goldene Krone liegt auf dem roten Samt des
elfenbeinernen Thrones. Über dem Thron die Ikone der Schwarzen Gottesmutter.)
DAUPHIN
Ich weihe Frankreich Gott, der göttlichen Vernunft,
Dem Logos, Gottes Sohn! Seraphisch sei die Brunft,
Mit welcher Frankreich sich der Gottheit schenkt zukünftig,
Die voller Glauben ist, zugleich ist ganz vernünftig.
Der göttlichen Vernunft wir weihen den Verstand,
Die Weisheit voll Esprit in der Franzosen Land!
Die göttliche Vernunft wir preisen weise, witzig,
Das Feuer der Vernunft voll von Esprit, der spritzig
Ist wie der Schaum des Sekts! Champagner in das Glas!
Vor Gott bekennt La France: In vino veritas!
Dir weihn wir uns, o Saint Esprit! Der Liebe Pfingsten
Gieß aus auf deine Braut und schenke deiner jüngsten
Geliebten, schenk La France, die schäumt wie Meeresschaum,
Den Menschheitsfrühling, den uralten Menschheitstraum
Des goldenen Äons! Nach trister Allerleiheit
Den Menschheitsfrühling schenk und blase, Geist der Freiheit!
O Saint Esprit, du bist die Freiheit, die da bläst
In Stürmen übers Land, und ohne dich verwest
La France wie ein Skelett! Mit deinem Blasen, Wehen,
La France wird mit Gebein und Fleische auferstehen,
Mit Muskel, Sehne, Nerv, mit lichtem weißem Fleisch,
Gehüllt ins Kleid aus Duft und Licht der Sonne keusch!
Zum Garten Frankreich wird von Pinien und Akazien,
Französinnen im Hain lustwandeln wie die Grazien!
Zur Stadt der Liebe wird die Marmorstadt Paris,
La France wird auferstehn, der Menschheit Paradies!
Dann auftaucht aus dem Schaum der Wasserflut der Seine
Des Herrn Geliebte voll von Reiz, La Madelaine!
Zum König krönt sie mich, La Madelaines Sohn!
Nur Liebe dann durchströmt die Zivilisation,
In Frankreich Liebe herrscht, die Gottheit, fern des Spottes,
Dann waltet in La France die Freie Liebe Gottes!
(Der Bischof nimmt die Krone und krönt den Dauphin zum König Karl dem Siebenten.)
BISCHOF
O Sapientia Divina, Königin!
Inthronisiere Karl, den Siebten König, in
Dem Throne von La France! Vernunft der Gottheit walte!
Jetzt segne Gott La France, der Ewige-Uralte!
(Karl der Siebente setzt sich gekrönt in den Thron.)
VOLK
Heil Karl der Siebente! Mehr als Gerechtigkeit
Den Miserablen, Herr, erweis Barmherzigkeit!

SECHSTE SZENE

(Jeanne in Paris. Vor Notre Dame von Paris auf der Isle de la Cité. Gespräch mit dem Priester von
Notre Dame, einem ernsten Mann im schwarzen Rock.)

JEANNE
Du, Unsre Liebe Frau in deinem großen Tempel,
Immaculé, du bist ja allzeit mein Exempel,
Ich preis dein Gotteshaus inmitten von Paris,
Du, Neue Eva, herrschst in Frankreichs Paradies!
Ich klage dir mein Leid, o meine Große Mutter,
Ich armes Lämmchen klein ward eines Wolfes Futter.
Ja, Karl der Siebente verübte den Verrat,
Juristen halfen ihm, die Anwaltschaft im Staat,
Der Advocaten List, der Rechtsanwälte Listen
Verübten den Verrat, ach wehe den Juristen!
Jetzt bin ich ganz allein, an meinem Herzen wund,
Von Norden kommt herab betrügerisch Burgund,
Verräter allesamt, nach Satans Messe-Riten,
Die Judaspriester mich ausliefern an die Briten.
O Mutter groß und schwarz, welch bittre Leiden, welch
Verachtung leide ich! O Mutter, laß den Kelch
An mir vorübergehn! Ich bin kein trunkner Zecher,
Doch sehe ich im Geist den riesengroßen Becher,
Der größer ist als ich, gefüllt mit Lug und Trug,
Mit Hinterlist, Verrat! Voll Galle ist der Krug,
Und lecken muss ich noch den Essig von den Scherben
Und sterben! Jesus sei bei mir in meinem Sterben!
PRIESTER
Ich habe mich befasst mit Mystik, Alchemie,
Dies eine weiß ich nur, die eine Lehre, die
Geheime: Gott erzeugt mit schöpferischem Triebe
Noch aus dem letzten Dreck die Allgewalt der Liebe!
JEANNE
Kennst du die Liebe auch, du ernster Gottesmann?
Ich seh dein Studium dir und dein Grübeln an.
Studierst du Wissenschaft? Chaldäa und Ägypten?
Steigst zu den Toten noch in Katakomben, Krypten?
Und kennst die Liebe doch, des Universums Sinn?
PRIESTER
Die mit dem schwarzen Haar, ach die Zigeunerin,
Mit ihrem Beckenschwung und ihrem kurzen Rocke!
Sie ist mein Fluch! Denn sie, ach, tanzt mit ihrem Bocke!
JEANNE
Und dennoch, Gottesmann, und höher als Verstand
Begreifen kann, geweiht, gesegnet deine Hand,
Die knetet uns den Gott! Gib mir den Priestersegen!
PRIESTER
Der Schmerzensmann am Kreuz führ dich auf seinen Wegen!
(Der Priester geht in den Tempel zurück. Jeanne setzt sich an den Uferquai der Seine unter eine
Brücke. Von ferne tönt eine traurige Flöte.)
JEANNE
Julie, Erinnerung dich wieder jetzt erkennt,
Wie in der Unzucht du genommen den Student,
Der junge Philosoph studierte Philosophen
Und suchte dennoch nur die Närrischste der Zofen,
Dem gabest du dich hin. Das Ende von dem Lied:
Der junge Philosoph verlor sein Mannesglied
Und du verlorest so der Buhlereien Wonne
Und tratst ins Kloster ein als Büßerin und Nonne.
Ach wärst du jetzt bei mir, du reizende Julie,
Die Schönheit wollt ich schaun, der Jugend Harmonie,
Die marianisch ist, die christlich-aphrodisisch,
Die Schönheit staunen an und trunken dionysisch
Noch einmal singen laut der Gottesschönheit Preis!
Doch Gott will andres jetzt von seiner Magd, ich weiß,
Nicht Schönheit soll ich schaun, ich soll dem Herzensdiebe
Ein Opfer bringen dar, ein Opfer meiner Liebe
Und Jesus lieben weiß und Jesus lieben rot
Und seine Schönheit schaun in seinem Martertod!
Ich bin bereit, mein Gott, die Sünden abzuzahlen
In letzter Agonie, der Todeskrämpfe Qualen,
Verkrüppelt an dem Leib und fast schon ganz verwest,
Zu lieben noch mein Kreuz, weil nur das Kreuz erlöst!
Ah wilde Liebesglut! Mit fürchterlichem Reize
Erscheint der Bräutigam, mein Gott an seinem Kreuze!
Ich seh den Bräutigam, den mystischen Gemahl,
Zum Bette ward sein Kreuz, zum Brautgemach der Pfahl,
Zur Hochzeit ruft der Tod, mein Gott will mich umwerben,
Den Kleinen Liebestod soll ich im Feuer sterben,
Daß, wie der Meeresschaum umgischtet weiß den Fels,
Ich in der Todesnacht mit meinem Gott verschmelz!
(Burgunder und Engländer kommen mit Spießen und Stangen und nehmen die Jungfrau gefangen.)
BURGUNDER
Du junges schönes Weib, ach, gib mir einen Kuss,
Nur Einen Liebeskuss zu trunkenem Genuss!
ENGLÄNDER
Du Hexe ganz fatal! Du alte Satansschlange!
Als nackte Hure du an deinem Pfahle prange!
Vampir, Vampir, umsonst schminkst du die Lippen rot,
Dein Buhle Luzifer begattet dich im Tod!
JEANNE
Die arme Jungfrau fällt jetzt in die Hand der Sünder.
La France! Weinen muß ich heiß um deine Kinder!

SIEBENTE SZENE

(Jeanne vorm Ketzerprozess der Inquisition der englisch-burgundischen Gegenkirche.)

INQUISITORISCHER JURIST
Glaubst du, im Gnadenstand gerechtfertigt zu sein?
JEANNE
Ach das weiß Gottes Gnad im Innersten allein!
Doch wär ich nicht im Stand gerecht in Gottes Gnade,
So wäre übel das und ewiglich mein Schade,
Dann flehte ich zu Gott trotz aller meiner Schuld:
Herr, schenk Barmherzigkeit mir armem Kind und Huld!
JURIST
Ein Werkzeug willst du sein des Himmelreichs hinieden?
JEANNE
Ein Werkzeug Gottes bin ich, Werkzeug für den Frieden.
Ob ich im Gnadenstand befindlich, weiß nur Gott,
Doch dass ich Werkzeug bin, da duld ich keinen Spott!
Ich bin von Gottes Geist Berufene, Erwählte,
Von Unsrer Lieben Frau und ihrem Herz Beseelte.
JURIST
Glaubst du, das Himmelreich zu gründen in der Welt?
Das Himmelreich allein ist in dem Himmelszelt!
JEANNE
Ich bin das Himmelreich, denn in mir herrscht der König,
Die Basileia ich, denn in mir waltet gnädig
Der König aller Welt, der König Jesus Christ,
Drum Himmelreich mein Herz schon hier auf Erden ist.
JURIST
Jetzt tust du wie ein Lamm so sanft und so demütig,
Wie eine Taube girrst und gurrst du jetzt sanftmütig,
Doch sahen wir dich auch in kriegerischer Schlacht,
Da warst du ein Skorpion, vom Tod war deine Macht,
Da warst du nicht so sanft wie Jakobs Liebling Rachel,
Da warst du Furie, Skorpion mit seinem Stachel,
Da warst du nicht so süß wie Sulamith der Schrift,
Der Schlange warst du gleich, in deinen Zähnen Gift,
Nicht gleich der Freundin Ruth, geschmiegt an Boas Wange,
Empuse warst du da und mörderische Schlange,
Medusa warst du gleich in wildem Hass und Wut,
Gezücht der Natter du, der Otter, Schlangenbrut,
Nicht gleich der Lieben Frau mit Liebe in dem Herzen,
Da war dein Herz von Stein, mit bitterbösen Scherzen
Du scherztest mit dem Tod und führtest manchen ein
Ins Totenreich, da war den bittres Herz von Stein!
JEANNE
Nein, ich bin wie ein Fisch, bin keusch gleich einem Fische,
Wie aus dem Wasser klar die Speise kommt, die frische,
Ich bin so sanft und rein wie Wachteln in dem Mai,
Ich bin so lieblich wie ein kleines Wachtel-Ei,
Ein weißes Dampfbrot ich, gleich Kuchen, süßem Brote,
Mit meiner Liebe speis ich tröstend sogar Tote!
JUDASPRIESTER
Ich kenn dich wildes Weib, du bist die femme fatal!
Du saugst wie ein Vampir den Mann aus, deinen Baal!
Der Juden Lilith du, du ,mordest unsre Kinder,
Lockst in das Lotterbett des Ehebruchs die Sünder,
Die Hure Babel in Aix-en-Provence, in Aix,
Vampir in der Provence, du Hure und du Hex!
JEANNE
Warum bist du so streng zu einem armen Mädchen?
Nein, ich bin keine Hex, kein Evchen oder Käthchen,
Ich glaub an Unsre Frau und an den lieben Gott,
Ja, Jesus ist mein Gott! Was soll mir da dein Spott?
JUDASPRIESTER
Wie, Jesus ist dein Gott? Ihr Weiber seid doch Biester!
Warum verneigst du dich dann nicht vor Christi Priester?
Der Priester ist allein der Christus in der Zeit,
Ja, er ist Christus selbst, von Gottes Geist geweiht,
Drum küss du mir die Hand und weine deine Beichte,
Die sinnlich und lasziv, die sexuelle, feuchte!
JEANNE
Ich seh dir in das Herz und kenne deinen Traum,
Von Kindern träumst du nachts in deines Bettes Flaum,
Du willst dich tierisch geil den Affen gleich erlaben
Und dich erquicken an der Unschuld kleiner Knaben!
Nicht Christus bist du gleich! Betört von jedem Reiz,
Du schlägst das Christuskind alltäglich an das Kreuz!
Ich sehe: Christus steht an seiner Martersäule,
Die Peitsche zischt um ihn, er schreit mit Wehgeheule,
Die falschen Kleriker, sie geißeln meinen Gott
Mit ihrer Unzucht und der Blasphemie, dem Spott,
Sie geißeln meinen Herrn, wie Schlangen sind die Sünder,
Denn Gottes Liebling lebt im Herzen kleiner Kinder!
JUDASPRIESTER
Ein Laie bist du nur in Christi Kirchenleib,
Ein Laie und sonst nichts, dazu ein schlechtes Weib,
Die Weiber aber sind, fern allen Hexenzweifels,
Wie Mutter Eva nur das Einfallstor des Teufels!
Die Weiber sind Natur, sind Sünde und sind leiblich!
Die Sünde seh ich nackt, Frau Sünde nackt und weiblich,
Frau Sünde weiblich nackt, sie packt den Schlangenschwanz
Und nimmt ihn in den Mund in dem lasziven Tanz!
JEANNE
Du Judaspriester wirst noch in der Hölle braten!
Wer deinem Rat gehorcht, ist nicht von Gott beraten!
Gehorchen will ich nur dem weisen Papst von Rom
Und meinem Vater Gott im hohen Ätherdom!
JUDASPRIESTER
Nur Gott gehorsam und dem eigenen Gewissen?
Im Höllenfeuer wirst du Satans Arsch noch küssen!
Verbrennt die Hur und Hex, vernichtet den Vampir!
Sie ist der Antichrist, der Lügner und das Tier!
JEANNE
Prophetin Gottes bin ich in Jungfräulichkeit
Und Jesu Christi Braut in aller Ewigkeit!

ACHTE SZENE

(Jeanne wird von englischen Soldaten und einem englischen Priester zum Scheiterhaufen geführt.)

JEANNE
O armer Gottesmann, ich hab nur Ein Begehren,
Du sollst mir Christi Leib im Sterben nicht verwehren!
Ich weiß, jetzt kommt der Tod! O Jesus, Gottes Sohn,
Gib Anteil deiner Jeanne an deiner Kommunion!
ENGLISCHER PRIESTER
Nur schlechte Früchte bringt ihr teuflischen Gewächse!
Das weiße süße Brot, das geb ich nicht der Hexe!
Bist du denn gar getauft, du wüste Sünderin?
Rebellin bist du nur und wilde Ketzerin!
Du sollst das weiße Brot mit deinem Mund nicht schänden,
Nein, ohne einen Trost sollst du allein verenden!
JEANNE
(flüsternd)
O süßer Jesu mein, du schaust mir in das Herz,
Du weißt, o Menschenfreund, mein Leiden ist dein Schmerz,
Es steckt ein Schmerzensschwert, durchbohrend meine Brüste,
Voll Qual im Herzen mir, ich gleich dir, Jesu Christe!
Dahin die Weiblichkeit, des jungen Leibes Reiz,
Ich bin zu Tode krank, ich häng an deinem Kreuz!
Was meint der Liebe Gott mir alles zuzumuten?
Das Blut fließt aus der Brust und alle Wunden bluten!
Jetzt will ich nur noch eins, dass du jetzt bei mir bist
Und spendest deinen Leib, o Retter Jesus Christ,
Geheimnisvoll dein Fleisch in meinen Mund zu stecken
Und meinen lieben Leib vom Tode zu erwecken!
ENGLISCHER PRIESTER
Du meinst, du armes Weib, in deiner Sünden Reiz,
Der Venus Tochter du seist von dem Vater Zeus?
Was wird dein Leichnam sein? Du wirst wohl zum Vampire,
Zu einem Werwolf gar, du Gattin von dem Tiere!
Ja, zum Vampir allein du wilde Hure taugst,
Die du als ein Vampir dem Mann den Saft aussaugst!
JEANNE
(singend)
O Große Mutter, schwarz in deinem goldnen Throne,
O Schwarze Mutter, groß mit deinem kleinen Sohne,
Vierge Marie, chérie, plus belle des femmes,
O Notre Dame Noir, Marie, mon ame, mon ame !
(Der englische Soldat bindet Jeanne an die Martersäule inmitten des Scheiterhaufens und zündet
den Scheiterhaufen an.)
SOLDAT
O liebes Mädchen du, verzeihe meiner Seele
Und deine Seele Gott dem Vater anbefehle!
JEANNE
(in den Flammen)
So lobe Gott den Herrn, du schönes Sonnenlicht,
So lobe Gott den Herrn, der Luna Angesicht,
So lobe Gott den Herrn, du Regen aus der Wolke,
So lobe Gott den Herrn mit allem Vogelvolke,
So lobet Gott den Herrn, ihr früchtereichen Bäume,
So lobet Gott den Herrn, ihr weißen Meeresschäume,
So lobet Gott den Herrn, du Wiese und du Au,
So lobe Gott den Herrn, du Blume weiß und blau,
So lobet Gott den Herrn, ihr Mutterschafe, Lämmchen,
So lobet Gott den Herrn, ihr grünen Glühwurm-Flämmchen,
So lobe Gott den Herrn, du Tau auf grünem Gras,
So lobe Gott den Herrn, du Wasser klar wie Glas,
So lobet Gott den Herrn, ihr Gipfel und ihr Berge,
So lobet Gott den Herrn, ihr Nymphen und ihr Zwerge,
So lobet Gott den Herrn, du Kaiser und du Papst,
So lobe Gott den Herrn, du Mutter mit dem Obst,
So lobet Gott den Herrn, ihr Afrikaner, Inder,
So lobet Gott den Herrn, ihr Mädchen und ihr Kinder,
So lobe Gott den Herrn, du hochzeitliches Weib,
So lobe Gott den Herrn, du Seele in dem Leib,
So lobet Gott den Herrn, ihr Mönche und ihr Nonnen,
So lobet Gott den Herrn, ihr Maler und Madonnen,
So lobe Gott den Herrn, du Denker und Prophet,
So lobe Gott den Herrn, du Minner und Poet,
So lobet Gott den Herrn, du Freier und du Dame,
So lobe Gott den Herrn, du keuscher Mannessame,
So lobe Gott den Herrn, du Priester an dem Tisch,
So lobet Gott den Herrn, ihr Brot und Ei und Fisch,
So lobe Gott den Herrn, du mächtigster der Triebe,
So lobe Gott den Herrn, du eheliche Liebe,
So lobe Gott den Herrn, du Sämann deiner Saat,
So lobe Gott den Herrn, du Mann im Zölibat,
So lobe Gott den Herrn, du Spieler auf der Leier,
So lobe Gott den Herrn, du Sankt-Marien-Freier,
So lobe Gott den Herrn, du Minner voller Brunst,
So lobe Gott den Herrn, du Dichter mit der Kunst,
So lobe Gott den Herrn, du kirchliches Theater,
So lobe Gott, denn Lust hat an dir Gott der Vater!

DER ELFTE SEPTEMBER

ERSTE SZENE

(Pius-Hospital. Der zwölfjährige Valentin liegt im Krankenbett. Seine Mutter Eva und der Dichter
Josef stehen an seinem Bett. Zwei weißgekleidete Ärzte geben ihm eine Spritze. Im Hintergrund
läuft ein Radio.)

MUTTER EVA
Wie geht es dir, mein lieber Sohn? Mußt du sehr leiden, mein Söhnchen? Verliere nicht den Mut!
Ich werde immer Mitleid mit dir haben!
DICHTER JOSEF
Lieber Valentin, wir wollen doch bald wieder Schach zusammen spielen.
ARZT
So, mein Junge, jetzt muß ich dir mit einer Spritze Blut abnehmen an einer sensiblen Stelle, das
wird weh tun, da musst du tapfer sein. Liebe Frau, bitte halten Sie ihren Sohn fest, dass er nicht um
sich schlägt, wenn ich ihm den Schmerz zufüge.
RADIOSTIMME
Soeben bekommen wir die Meldung, dass ein Flugzeug in das World Trade Center von Amerika
geflogen ist. Das Flugzeug ist in einen der beiden Türme hineingeflogen und explodiert. Der Turm
ist eingestürzt. Über die Zahl der Opfer liegen noch keine genauen Meldungen vor.

(Der Arzt sticht mit der Spitze in den zwölfjährigen Valentin.)

VALENTIN
(schreit auf)
Ah! Ihr Sadisten! Warum quält ihr mich so!?
MUTTER EVA
(mitleidend)
Mein Sohn, mein Sohn, mein armer Sohn!
ARZT
(zieht die Spritze heraus)
Das musste sein!

(Die beiden Ärzte verlassen das Krankenzimmer.)

MUTTER EVA
(ihren Sohn liebkosend)
Nur Mut, nur Mut! Bald wird es besser werden! Nun heilt es!
DICHTER JOSEF
Ach Eva, Geliebte, in der Welt geschehen Schreckliche Dinge! Ich muß jetzt gehen, aber ich liebe
euch, beide Mutter und Sohn.

ZWEITE SZENE

(Der Dichter Josef in seinem Kämmerchen. Das Tohuwabohu der Weltschöpfung. In der Laterna
Magica sieht er in einer Tele-Vision den Zusammenbruch des World Trade Centers.)

DICHTER JOSEF
O Gott! Wie können diese Terroristen
Im Namen von Allah so grausam morden?
Amerika mit seinem Präsidenten
Und allen seinen Puritaner-Sekten
Wird Rache und Vergeltung üben und
Mit Krieg antworten diesem Terrorismus.
Erheben Christen sich zu einem Kreuzzug?
Und werden Christen nicht nur Schwerter nehmen,
Nein, Panzer und Raketen, wie sie ja
In dem gelobten Land Amerika
Die atomare Bombe tauften auf
Den Namen der Beata Trinitas!
Ist der Islam so kriegerisch, so grausam,
Im Namen von Allah zu morden und
Im Namen von Allah zu führen Kriege
Und Hass zu predigen im Namen Gottes?
Jetzt kommen die Erinnerungen wieder
An Richard Löwenherz und Saladin,
An Prinz Eugen, das Türkenheer vor Wien!
Was glauben die Muslime? Glauben sie
An einen Gott der Gnade und des Friedens?
Was glauben die Muslime? Ist Allah
Der wahre Gott, der Vater in dem Himmel?
Und sind die Terroristen des Islam
Die wahren Jünger Mohammeds? Ist Gott
Ein Gott der Liebe – oder Gott des Hasses?
Ein Gott des Friedens – oder Gott des Krieges?
Und ist es recht, wenn sich die Christen rächen
Und Rache und Vergeltung üben, Herr?
Hat Christus nicht geboten Feindesliebe?
(In der Tele-Vision erscheint ein Protestant.)

PROTESTANT
Die Opfer dieses Terroranschlags fallen,
Doch tiefer nicht als in die Arme Gottes!

(In der Tele-Vision erscheint der Papst Johannes Paul der Große.)

PAPST JOHANNES PAUL


Der Papa wird für eure Toten beten!

(Eine junge Nonne erscheint in der Tele-Vision.)

SCHWESTER MIRJAM VON DEM GEKREUZIGTEN CHRISTUS


Ich bete für den Chef der Terroristen,
Daß Gottes Liebe ihm die Umkehr schenke.

DRITTE SZENE

(Im Weißen Haus. Der Präsident von Amerika vor Journalisten.)

PRÄSIDENT
Amerika ist das Land der Freiheit. Amerika ist das Land der Menschenrechte und der Demokratie.
Amerika ist Gottes eigenes Land! Wir sind die von Gott dem Allmächtigen auserwählte Nation, um
die Demokratie und Freiheit in die ganze Welt zu tragen. Wir beweinen unsre Toten, die als
Märtyrer für die Freiheit gestorben sind. Die Freiheit in Gestalt einer göttlichen Frau bewacht
Amerika. Diese göttliche Frau bekamen wir von den Franzosen geschenkt, die in ihrer Großen
Revolution die Menschenrechte ausgerufen haben. Aber die barbarischen Kräfte des Islam hassen
die Freiheit, sie hassen die Demokratie. Wir waren unantastbar, aber jetzt hat die Macht des Bösen
uns eine schwere Wunde zugefügt. Amerika ist erschrocken, verletzt, verwundet! Amerika trauert!
Aber wir verzweifeln nicht! Wir werden keinen Frieden in der Welt erlangen, wenn die Mächte des
Bösen und der Finsternis weiter in islamischen Schurkenstaaten ihr Unwesen treiben und die
Menschheit mit Terror und Krieg überziehen. Wir werden alle Ratten ausrotten! Wir werden die
islamischen Terroristen durch den ganzen Orient jagen, bis wir auch dem letzten Menschenmörder
das Lebenslicht ausgeblasen haben. Jeder islamische Diktator und jeder islamische Terrorist soll
wissen: Sein Leben ist nicht mehr sicher! Amerika schwört: Wir werden nicht eher ruhen, bis
Terrorismus und Tyrannei auf Erden ausgerottet sind und die amerikanischen Tugenden der
Toleranz und Freiheit auf der ganzen Erde herrschen. Mit der ganzen Macht des Dollar und der
ganzen Macht des Militär werden wir als Gottes auserwähltes Volk das Reich der Freiheit auf Erden
errichten.
JOURNALIST
Wird es Krieg geben?
PRÄSIDENT
Der Krieg ist unumgänglich, um Gottes Friedensreich auf Erden zu errichten. Gott segne Amerika!

VIERTE SZENE

(Der Papst erscheint auf dem Balkon des Apostolischen Palastes. Die Gläubigen jubeln: Viva il
Papa! Viva il Papa!)
JOHANNES PAUL DER GROSZE

Ich bin zutiefst erschüttert, liebe Freunde,


Gewalt kann niemals die Probleme lösen!
Wir Christen sollen lieben unsre Feinde

Und sollen niemals widerstehn dem Bösen


Und Böses auch mit Bösem nie vergelten!
Gott möge von dem Übel uns erlösen,

Besonders von dem Kriege zwischen Welten.


Die Erben Abrahams und seine Kinder
Bedürfen der Versöhnung. Ich muß schelten,

Ob sie nun Indianer oder Inder,


Die in dem Namen Gottes Kriege führen.
Der Friede sei mit jedem Überwinder!

Erst wenn wir selber in uns Frieden spüren,


Weil wir mit Gott versöhnt im Frieden leben,
Dann werden wir die Trommeln nicht mehr rühren.

Macht Frieden nur mit Gott! Und geben


Wird Gott uns seinen Frieden in die Herzen.
Und wie der Saft des Weinstocks nährt die Reben,

Wird Friede blühen in der Welt. Mit Schmerzen


Gedenk ich der Tragödie vielen Toten,
Ich werde ihnen zünden sieben Kerzen

Und beten, beten, wie es Gott geboten


Und wie die Königin des Friedens möchte.
Wir Christen sollen werden Friedensboten

Und Friedensstifter. Der ist der Gerechte,


Wer seine Feinde segnet, die ihm fluchen,
Wer fleht für die, die ihn verfolgen. Schlechte

Und böse Mächte wollen uns versuchen,


Uns, die wir alle Schwestern sind und Brüder!
Wir aber sollen Christi Frieden suchen!

Gott segne euch! Nie wieder Krieg, nie wieder!

(Die Gläubigen applaudieren und rufen wieder: Viva il Papa!

FRAU AUS DER MENGE


John Paul Two – I love you!

PAPST
Grazie, Grazie!
FÜNFTE SZENE

(Im Western von Elysium. Goethe, zu seinen Seiten Platen und Rückert. Sie sitzen beim Elfer.)

GOETHE
Islam, das heißt Gott ergeben,
Gott ergeben sind wir alle,
Gott ergeben die Muslime,
Gott ergeben sind die Juden,
Gott ergeben sind die Christen.
Ja, mir scheint die Einheit Gottes
Doch der heiligste Gedanke.
An den Einen glaubte Abram,
An den Einen glaubte Moses,
Und den Einen lehrte Jesus.
Wie erkenne ich den Einen?
In der Schönheit der Geliebten!
Denn die Schönheit der Geliebten
Ist ein Bild der Schönheit Gottes!
PLATEN
Frauenschönheit übertreiben
Alle Dichter dieser Erde!
Hafis aber wie auch Platon
Liebten auch die schönen Knaben!
Ah, der Knabenliebe Weisheit!
Wenn ich dürfte, wie ich wollte...
GOETHE
Du hast viel Talent, mein Platen,
Meister im geschickten Ausdruck,
Aber du hast keine Liebe!
Ohne Liebe ist der Dichter
Nichts als eine Narrenschelle!
RÜCKERT
Orientalische Poeten
Kommen durch mein Übersetzen
Zu des Abendlandes Christen.
Das Shi-Ging, die Krishna-Minne,
Hafis hab ich übertragen.
Doch die hochberühmte Schönheit
Des Koran geht ganz verloren
In der Professoren-Prosa.
Ich hab Mohammed, den Dichter
Aller Dichter Morgenlandes,
Als ein Dichter übertragen.
GOETHE
Der Koran ist sehr barbarisch,
Schrecklich, grausam und gewaltig,
Doch wer öfter ihn gelesen,
Findet mehr und mehr erhaben
Diese tiefe Gottesehrfurcht.
SECHSTE SZENE

(Im Osten von Elysium. Hafis sturzbetrunken, zu seinen Seiten Rumi und Nizami betrunken.)

HAFIS
Die Kapelle ist ein Weinhaus,
Wo wir Blut aus Bechern zechen!
RUMI
Wir sind deine Ministranten,
Wenn du hebst den breiten Becher,
Klingeln wir mit Narrenschellen,
Denn wir sind die Narren Gottes!
NIZAMI
Unsre Religion ist Liebe,
Denn die Liebe ist die Gottheit
Und die Gottheit ist die Liebe!
Christen zelebrieren Liebe
Und die Muselmänner lieben
Ihre Liebe, ihren Liebling!
Moses liebte Gottes Feuer,
Dieses Feuer war die Liebe,
Salomon die Liebe nannte
Eine Feuerflamme Gottes!
HAFIS
In der Nüchternheit der Kirche
Sehne ich mich nach der Liebe,
In Moscheen und Minaretten
Seh ich der Geliebten Körper.
NIZAMI
Selbst noch in den Hindu-Tempeln
Sehe ich den Schoß der Liebsten!
HAFIS
Ein Verliebter ist der Dichter,
Der verliebt ist in die Liebe!
Kennt ihr der Geliebten Namen?
Unaussprechlich ist ihr Name,
Unaussprechlich ist die Liebe!
RUMI
Wisst ihr von der Gottesweisheit,
Die da ruht im Schoß des Bechers?
O, der Wein des frommen Zechers
Ist das Blut der Gottesweisheit!
NIZAMI
Ja, die Gottesweisheit führte
Mich zur großen Liebestorheit!
HAFIS
All ihr Weisen, all ihr Frommen,
All ihr hochgelehrten Männer,
Seid so fromm nicht und so weise
Wie die Ewig-Vielgeliebte,
Wenn sie sagt zu ihrem Knaben:
Hafis, ach, hat keinen Wein mehr!

SIEBENTE SZENE

(Türkisches Viertel in einer deutschen Stadt. Der Lammfleischverkäufer, der


zweiundzwanzigjährige Azur, ist zugleich der Haschischverkäufer des Viertels. Nacht im
Mondschein. Vor dem Kiosk sitzt der Dichter Josef bei Brot, Lammfleisch, Knoblauchquark.)

AZUR
Willst du Haschisch?
JOSEF
Ich will Wein zum Lammfleisch.
AZUR
Mohammed verbietet den Wein.
JOSEF
Jesus verwandelt den Wein in sein Blut.
AZUR
Wein macht dumm. Aber Haschisch gibt dir Flügel, du fliegst auf dem Flügelpferd des Propheten
ins Paradies und liebst schon zu Lebzeiten die Huris.
JOSEF
Und am folgenden Tage bringst du dich um! Im Wein liegt die Wahrheit.
AZUR
Und am nächsten Tag hast du Katzenjammer.
JOSEF
Maria verbietet die Drogen! Sie zeigte mir Drogenhändler und sagte: Das ist der Triumph Satans!
Ich sah einen moslemischen Haschischverkäufer, er schwor falsch auf den Koran, um sich seinen
Gewinn zu erschwindeln. Neben ihm sah ich den Satan, der den armen Haschischraucher auslachte.
AZUR
Die Assassinen in den Wüstenbergen des Orients rauchten schwarzen Afghanen in den
Wasserpfeifen und lebten auf Erden schon im Paradies.
JOSEF
Trügerische Halluzinationen!
AZUR
Du liebst mehr die Delirien?
JOSEF
Auch Hafis hat den Wein geliebt.
AZUR
Aber nur den allegorischen, mystischen Wein.
JOSEF
Den sakramentalen Wein!

ACHTE SZENE

(Der Schenke Azur und der Dichter Josef.)

AZOR
Den Koran musst du im arabischen Original lesen, er ist unübersetzbar. Der Beweis für die göttliche
Offenbarung an den Propheten Mohammed – Friede sei mit ihm – ist die unübertreffliche Schönheit
des Koran. Mohammed ist kein Dichter. Die Dichter dichten nur Mythen und Märchen. Aber
Mohammed kündet die göttliche Offenbarung im Gewand der Schönheit. Der Koran ist nicht von
Menschenhand geschaffen, sondern er ist von Ewigkeit. Der himmlische Koran, die Mutter des
Buches, ist das Urbild der Schöpfung.
JOSEF
Weißt du, was die Juden über die Tora sagen? Sie ergründen jedes Wort, jede Silbe, zählen die
Worte und die Buchstaben, denn jedes Jota ist eine Offenbarung Gottes, alles kündet den Namen
Gottes. Die Tora auf Erden beginnt mit dem Buchstaben B – Bereschit – aber die ewige und
himmlische Tora beginnt mit dem Buchstaben A. Die himmlische Jungfrau Tora ist die göttliche
Weisheit selbst. Und Gott der Ewige, als er die Welt erschaffen, nahm er sich die himmlische
Jungfrau Tora zum Vorbild und machte den Kosmos nach dem Urbild der göttlichen Weisheit.
AZUR
Tora und Evangelium sind von Gott, aber die Juden haben die Tora verfälscht und die Christen
haben das Evangelium verfälscht. Allein der Koran ist die unfehlbare Offenbarung Gottes.
JOSEF
Was ist das Evangelium? Es ist das Zeugnis von Jesus, dem Messias. Wer aber ist der Messias
Gottes? Der Messias Jesus ist das ewige Wort Gottes, in dem Gott sein innerstes Herz vollkommen
ausgesprochen hat und für alle Ewigkeit offenbart. Dieses ewige Wort Gottes ist das schöpferische
Wort. Durch das Wort und in dem Wort und für das Wort ist das Universum geschaffen. Und dieses
göttliche Wort ist Mensch geworden in Jesus von Nazareth, ist Fleisch geworden im eucharistischen
Christus.

NEUNTE SZENE

(Der Dichter Josef und die vierzehnjährige Schwester des Schenken, die schöne Zozan.)

JOSEF
Ich las von dem Propheten Mohammed,
Er hatte eine kluge Ehefrau,
Er war ein Kaufmann, sie war eine Dame,
Sie glaubte an die Sendung des Propheten.
Doch nach dem Tode dieser Ehefrau
Mohammed legte einen Harem an.
Maria, Christin aus der Kopten-Kirche,
War seine Sklavin und geliebte Braut.
Er liebte viele Frauen. Aber eine
War seine Lieblingin, das war Aischa,
Sechs Jahre jung war sie, als er sie freite,
Neun Jahre jung war sie, als er sie nahm.
Von seinem Adoptivsohn nahm er noch
Die Ehefrau, die er gesehen hatte
Im Mondenschein im seidenfeinen Nachthemd.
ZOZAN
Von all dem weiß ich gar nichts, alter Herr.
JOSEF
Man sagt, dass die Propheten allesamt
Die vierzigfache Manneskraft von Männern,
Daß Abraham und Moses, Salomon
Und David und Herr Jesus, Sohn Marias,
Die vierzigfache Manneskraft von Männern,
Doch Mohammed, das Siegel der Propheten,
Die vierzigfache Manneskraft von Sehern.
ZOZAN
Warum erzählst du mir das, alter Herr?
JOSEF
Man sagt, dass in dem Paradiese Huris
Die Marterzeugen des Islam beglücken,
Die Mädchen, welche ewig Jungfraun sind,
Die nach dem Liebesakte wieder Jungfraun
Und ewig eng gebaut wie Mädchen sind,
Und dass die Latten der Muslime nie
Ermatten und erlahmen in dem Garten.
ZOZAN
Willst du ein Tässchen Tee, mein alter Herr?
JOSEF
Du Aphrodite von dem Bosporus!
Dein Körper ist der schönste Marmorkörper,
Dein Angesicht vollkommne Symmetrie,
Dein Körper ist der Körper einer Venus,
Dein Gürtel ist der Gürtel aller Reize,
Dein Becken gleicht dem Becher voller Mischwein,
In deinen Augen funkelt keine Seele,
Doch du bist schön – auch ohne eine Seele!

ZEHNTE SZENE

(Der Dichter Josef unter besoffenem Pöbel in der Schenke Zum Goldenen Löwen.)

PÖBEL
Willst du lieber den Rauschtrank von der Feige oder lieber den Rauschtrank von der Pflaume?
DICHTER JOSEF
Je mehr ich trinke von dem Wein, o Haura,
Je mehr verseufz ich mich allein, o Haura,
Du bist die Seele meines Universums,
Ich sehe dich in jedem Stein, o Haura,
Weltseele, die du bist von Gott geboren,
Ich bin in der Passion der Pein, o Haura,
Du parallele Seelenzwillingsschwester,
Wir beide eins im Einig-Ein, o Haura,
Vereint in dem Mysterium der Liebe,
Wir beide sind von Gott ein Schein, o Haura,
Einst war dein Name Unsre Mutter Eva,
Jetzt heißt du Neues Evalein, o Haura,
Ich hör die Symphonie des Universums,
Ins Paradies mich ladend ein, o Haura,
Was aber wäre mir der Garten Eden,
Wenn dort wir wären nicht zu zwein, o Haura?
Du bist das feminine Antlitz Gottes,
Und ich bin ganz vollkommen dein, o Haura,
Im Anbeginn der Welt die Gottesweisheit
Schuf dich für mich, so bist du mein, o Haura,
Brautmystiker bin ich der Gottesweisheit,
Du folgst der Mystik von dem Sein, o Haura,
Maria sprach zu Gott für uns das Ja-Wort,
So sage du zu mir nicht Nein, o Haura,
In Demut ich gehör dir als ein Schoßhund,
So lobe mich und sage: Fein, o Haura,
Ich brenne in verzehrender Begierde
Und wäre gern im Herzen rein, o Haura,
Ich bin ja Adam, du bist meine Eva,
O Fleisch bei Fleisch und Bein bei Bein, o Haura,
Du bist die Muse, ich dein Musenpriester,
Du mögest mir dies Lied verzeihn, o Haura!
PÖBEL
Mehr Rauschtrank von der Feige! – Konvulsivische Kontraktionen! – Lalla, lalla!

ELFTE SZENE

(Beichtzimmer. Priester Beichtvater und Dichter Josef, der Bekenner. Ein freundliches weißes
Beichtzimmer, Licht der Septembersonne strahlt herein in goldener Milde.)

JOSEF
Ich bin der Herr, dein Gott, ich bin’s alleine,
Hab keine andern Götter neben mir.
O Vater, wenn ich lese im Koran,
So scheine mir prophetisch diese Worte.
PRIESTER
Das zweite vatikanische Konzil
Hat den Islam hochachtungsvoll geschätzt
Und nannte die Muslime unsre Brüder.
Doch galubst du: Gottes Sohn ist Jesus Christus?
JOSEF
Ja, Gott von Gott und Licht von Licht! Mein Christus
Ist mir die menschgewordne Weisheit Gottes.
Doch wenn ich im Koran vom Garten Eden
Und von dem Himmelsparadiese lese
Und von den reinen wunderschönen Jungfraun,
Die Gläubigen im Paradies beglückend,
Berührt mich das an einer tiefen Sehnsucht.
Denn auf der Erde leiste ich Verzicht
Und leb im Zölibat um Gottes Willen,
Doch für den Himmel hoff ich Frauenliebe,
Mein Paradies, das wäre Frauenliebe.
PRIESTER
Nun schweige einen Augenblick, mein Sohn,
Hör nicht auf die Gedanken des Verstandes,
In Stille lausch der Stimme deines Herzens!

(Eine Weile Stillschweigen. Dieses Schweigen ist angenehm wie eine himmlische Harmonie.)

JOSEF
Ach Vater, ich bekenne keinem Menschen,
Sonst würd ich es nicht wagen auszusprechen,
Doch ich bekenne dem geliebten Jesus.
PRIESTER
Ja, Jesus hört dir zu. Sag ihm nur alles!
JOSEF
Ich denke an Marias Ehebett!
Mein Himmel ist die Ehe mit Maria!
PRIESTER
So sprech ich dich von deinen Sünden los
Und gebe dir zur Buße auf, zu lesen
Im Evangelium: Am dritten Tag
War eine Hochzeit und da war MARIA.

WARTEN AUF ANGELINA JOLIE


ERSTER AKT

(Südfrankreich. Die beiden Narren der Comédie francais treten auf, Pierrot und Arlequin. Sie halten
jeder eine Weinflasche in der Hand und gleichen mehr den Clochards als den Komödianten des
Sonnenkönigs.)

PIERROT
Ach, einmal diese himmlische Schönheit schauen!
ARLEQUIN
Du wirst sie nie schauen!
PIERROT
Warum nicht? Laß mir meine Hoffnung!
ARLEQUIN
Du bist ein Säufer und sie ist eine Göttin!
PIERROT
Une déesse!
ARLEQUIN
Oui, mon ami, une déesse de beauté !
PIERROT
Aber träumen darf ich doch von ihr ?
ARLEQUIN
Das ganze Leben ist ein Traum –
PIERROT
Oder ein Schattenspiel –
ARLEQUIN
Oder ein tragikomisches Theater –
PIERROT
Oder eine Seifenblase –
ARLEQUIN
Oder der Schleier der Maya.
PIERROT
Was ist die Wirklichkeit, wenn der Traum schöner ist? Ich hasse die Wirklichkeit!
ARLEQUIN
Die Wirklichkeit ist ein verschleierter Gedanke Gottes.
PIERROT
Der Traum ist die unverschleierte Gottheit!
ARLEQUIN
Träume nicht dein Leben, sondern lebe deine Träume!
PIERROT
Aber die unerfüllte Liebe ist die tiefste Liebe!
ARLEQUIN
Aber du liebst doch Angelina Jolie nicht, du kennst sie doch gar nicht!
PIERROT
Ach, die Liebe ist langweilig. Nein, ich bin verliebt in sie!
ARLEQUIN
Warum?
PIERROT
Weil sie so schön!
ARLEQUIN
Dafür kann sie nichts.
PIERROT
Nein, der Schöpfer selbst hat diese Venus gemeißelt.
ARLEQUIN
Du und deine ewige Venus!
PIERROT
Ja, die Venus ist eben die Traumfrau des Mannes.
ARLEQUIN
Die Venus ist nur ein heißer Planet, heißer als die Wüste Sahara.
PIERROT
Eines Tages werde ich auf der Venus leben...
ARLEQUIN
Da nimm aber einen Schutzanzug gegen glühende Hitze mit.
PIERROT
Das Reich der Venus ist der dritte Himmel.
ARLEQUIN
Wie viele Himmel gibt es denn? Drei oder sieben oder neun oder dreiunddreißig?
PIERROT
Neun, den Mond-Himmel, den Mars-Himmel, den Merkur-Himmel, den Jupiter-Himmel, den
Venus-Himmel, den Saturn-Himmel und den Sonnen-Himmel, den Fixternhimmel und das
Empyreum. Der Venus-Himmel ist der Himmel für die Liebenden.
ARLEQUIN
Ist das der dritte Himmel, wo Paulus war?
PIERROT
Ja, und dann sang er das Hohelied der göttlichen Agape.
ARLEQUIN
Das heißt nicht Agapé, sondern Agápe, aber nicht einfach Agápe, sondern Agápä.
PIERROT
Ich war einmal auf dem Olymp...
ARLEQUIN
Ich bin mit dem Omnibus auf den Olymp gefahren, da war eine Straße, Bäume, Schnee, es ging
aufwärts und wieder abwärts, und dann konnte ich sagen: Auch ich war auf dem Olymp!
PIERROT
Ich aber war auf dem Olymp und sah auf einer Wolke liegen die nackte Göttin Venus!
ARLEQUIN
Wie sah sie aus?
PIERROT
Wie Brigitte Bardot.
ARLEQUIN
BB? Nicht MM?
PIERROT
MM ? Wer ist das ? Magna Mater oder Maria Magdalena?
ARLEQUIN
MM ist Marilyn Monroe.
PIERROT
Ah, jene Venus, der Ernesto Cardenal die Hymne gesungen.
ARLEQUIN
Und du hast also der Venus ins Decolleté geschaut?
PIERROT
Sie hatte nackte Brüste! Sie zeigte mir ihre nackten Brüste und sagte: Und was ist das?
ARLEQUIN
Ja, was ist das? Man hu!
PIERROT
Sie hatte eine wundertätige Medaille der Unbefleckten Empfängnis zwischen ihren Brüsten.
ARLEQUIN
Ah, die Göttin Venus ist also katholisch?
PIERROT
Es muß wohl so sein. Im Himmel gibt es keine Religionen, Konfessionen und Sekten mehr.
ARLEQUIN
Ein Gott, ein Reich, ein Glaube?
PIERROT
Ja, die Einheit in der Vielfalt.
ARLEQUIN
Und über allem thront Apoll, le Roi du Soleil?
PIERROT
Le petit Roi est mort ! Viva agnus dei !
ARLEQUIN
Darauf nehmen wir einen Schluck Wein…

(Sie trinken.)

ARLEQUIN
Aber wird deine Venus Angelina Jolie nicht eifersüchtig sein, wenn du BB und MM auch noch
lobst?
PIERROT
Jedes Zeitalter hat seine Venus.
ARLEQUIN
Ah, ich verstehe, im Zeitalter der Fische war Maria Magdalena die Venus und im Zeitalter des
Wassermanns ist Angelina Jolie die Venus?
PIERROT
Ich habe alle die Musen und Charitinnen gesehen, Naomi Campbell, Claudia Schiffer und Laetitia
Casta. Aber allein Angelina Jolie ist mehr gesegnet als alle anderen Nymphen!
ARLEQUIN
Die Gebenedeite unter den Weibern?
PIERROT
Die Kecharitomene!
ARLEQUIN
Was ist das: Kecharitomene?
PIERROT
Ke-chari-tomene: Voll der Gnade!
ARLEQUIN
Was ist eigentlich Gnade?
PIERROT
Gnade ist Charis, der Liebreizgürtel der Venus! Gnade ist Grazie! Grazie ist Liebreiz!
ARLEQUIN
Und was heißt dann Kecharitomene?
PIERROT
So grüßte der Engel die Jungfrau: Du bist voll der Gnade – oder: Du bist die Liebreizübergossene!
ARLEQUIN
Aha, der Engel sagte also: Hallo, schöne Frau?
PIERROT
Ja: Hallo, schöne Frau, du bist die Schönste aller Frauen!
ARLEQUIN
Und das ist Angelina Jolie?
PIERROT
Nomen est omen.
ARLEQUIN
Namensaberglaube ! Was heißt denn : Angelina Jolie ?
PIERROT
Angelina heißt Engel und jolie heißt hübsch und niedlich.
ARLEQUIN
Ein hübscher Engel?
PIERROT
Ein Engel der Schönheit!
ARLEQUIN
Engel sind Boten Gottes.
PIERROT
Kräfte, Mächte und Gewalten! Ein besonderer Engel ist der Engel der göttlichen Schönheit!
ARLEQUIN
Wie ist sein Name?
PIERROT
Ich weiß nicht, vielleicht: Angelina Jolie?
ARLEQUIN
Du kannst doch die Wirklichkeit nicht weg-engeln.
PIERROT
Aber ich will lieber mit den Engeln zusammen leben als mit den Menschen-Biestern!
ARLEQUIN
Die Wirklichkeit, die Wirklichkeit!
PIERROT
Sie ist dumm und hässlich und grausam!
ARLEQUIN
Aber sie hat einen Vorteil: Nur die Wirklichkeit ist Wirklichkeit.
PIERROT
Wie hasse ich das Wort: Realität! Auch Kindermord im Mutterschoß ist Realität! Ich liebe allein die
Vision!
ARLEQUIN
Und ist dir Angelina Jolie in einer Vision erschienen?
PIERROT
Ja, ich sah eine illustre Illustrierte mit vielen Bildern von Frauen, und plötzlich sah ich Angelina
Jolie – ah, sie machte mich sprachlos!
ARLEQUIN
Du, l’enfant de la parole, bist sprachlos?
PIERROT
Von einer Vision Gottes kann man nur mystisch schweigen.
ARLEQUIN
Was fiel dir zuerst auf?
PIERROT
La bouche!
ARLEQUIN
La bouche ?
PIERROT
Ja, ich sah am Himmel einen himmlischen roten Mund schweben !
ARLEQUIN
Du weißt, wofür der Mund steht?
PIERROT
Als Archetyp?
ARLEQUIN
In der Groteske.
PIERROT
Was ist in der Groteske der Mund?
ARLEQUIN
Der Mund der Frau – die Nase des Mannes...
PIERROT
Aha...
ARLEQUIN
All deine mystischen Visionen sind nichts als geistiger Geschlechtstrieb.
PIERROT
Geistiger Geschlechtstrieb? Aber auch die Nachtigall singt nur so schön aufgrund der sublimierten
geschlechtlichen Brunst.
ARLEQUIN
Was heißt Sublimierung? Das heißt doch Verflüchtigung von Wasser in Gas.
PIERROT
Das heißt Vergeistigung. Wer keine Kinder zeugt, schreibt Bücher.
ARLEQUIN
Aha, alle Kunst ist vergeistigter Sex.
PIERROT
Sex ist so ein kurzes Wort, ist nur für die, die schnell fertig sind. Für die Kenner und wahren
Liebenden heißt es Sexualität.
ARLEQUIN
Hat Angelina etwas mit Sexualität zu tun?
PIERROT
Wer hat je mit einem Engel Sex gehabt?
ARLEQUIN
Ja, die Hexen im finstern Mittelalter hatten Sex mit einem Incubus.
PIERROT
Und Merlin hatte Sex mit einem weiblichen Succubus.
ARLEQUIN
Das sind doch Dämonen.
PIERROT
Ja, ich kenne den Dämon der Luxuria, Ashtaroth, und den Dämon der Unzucht, Ashmodai.
ARLEQUIN
Ist Angelina Jolie ein guter oder ein böser Engel?
PIERROT
O Jesus Maria, nein, Angelina Jolie ist ein Engel der himmlischen Mutterliebe!
ARLEQUIN
Du kennst sie doch gar nicht.
PIERROT
Ich habe ihr Horoskop studiert.
ARLEQUIN
Alles Aberglaube, Esoterik, Okkultismus, Satanismus.
PIERROT
Der Engelgleiche Thomas mit dem dicken Bauch sprach aber, die Sterne haben einen Einfluss auf
die natürliche Prägung des Herzens, aber der Wille des menschlichen Geistes ist frei.
ARLEQUIN
Was sagt denn das Horoskop, das die drei Magier aus dem Morgenland erstellten?
PIERROT
Sie hat als Aszendenten Venus im Krebs.
ARLEQUIN
Oh lala, Venus im Krebs!
PIERROT
Ja, ja, die Venus! Im Horoskop des Mannes ist die Venus die Traumfrau des Mannes.
ARLEQUIN
Also ist sie als Venus deine Traumfrau, diese Actrice célestial et angélique?
PIERROT
Sie ist geboren im Jahr des Hasen, in der Stunde der Schlange.
ARLEQUIN
Na und?
PIERROT
Und ich bin geboren im Jahr der Schlange, in der Stunde des Hasen.
ARLEQUIN
So seid ihr einander wie Hase und Schlange?
PIERROT
Ja, wir gehören zusammen wie Yin und Yang.
ARLEQUIN
Da bist du sicher Yang und sie ist Yin.
PIERROT
Die Venus ist das Ewige Yin, das Ewigweibliche, das uns hinanzieht!
ARLEQUIN
Ja, ja, und ewig lockt das Weib...
PIERROT
Das Weib! Es gibt ein göttliches Weib in der Offenbarung Gottes, das ich in jeder Frau verehre.
ARLEQUIN
Was ist das für ein göttliches Weib?
PIERROT
Die F r a u !
ARLEQUIN
Welche Frau ?
PIERROT
Die Ewige Frau !
ARLEQUIN
Und diese gewisse Dame ist Angelina Jolie?
PIERROT
Angelina Jolie ist der Schatten, das Urbild ist die Ewige Frau.
ARLEQUIN
Aha, platonische Liebe!
PIERROT
Lass uns nicht philosophieren, das vertreibt die Poesie. Lass uns lieber trinken!
ARLEQUIN
Wein und Weiber betören die Weisen.
PIERROT
Ja, und die Toren noch viel mehr.
ARLEQUIN
Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang.
PIERROT
Auf den Bordeaux und Angelina Jolie und das brünstige Schmachten der Nachtigall!

ZWEITER AKT

(In Paris, der Hauptstadt der Liebe, genauer gesagt, in der Rue du Bac, streichen Pierrot und
Arlequin wie Landstreicher herum, unbekümmert um das geschäftige Treiben der Welt.)

PIERROT
O Paris, Stadt der Liebe!
ARLEQUIN
Alle die verlorenen Seelen hier, die alle nichts als Liebe suchen und nicht wissen, wo sie zu finden
ist!
PIERROT
Paris, du meine Hure, du mein Engel !
ARLEQUIN
Wenn ich einmal heiraten sollte, so machte ich meine Hochzeitsreise nach Paris.
PIERROT
Nicht nach Venedig? Ich kenne eine Frau, die will im roten Kleid in Venedig heiraten.
ARLEQUIN
Ich will den Honigmond in der Stadt der Liebe verbringen.
PIERROT
Sie sagen alle, in Paris kennt man die wahre Liebe nicht, nur flüchtige Lust.
ARLEQUIN
Ach, ein jedes Herz irrt durch Paris auf der Suche nach Liebe.
PIERROT
Wie auf der Suche nach einer Mutter...
ARLEQUIN
Ich kannte ein kleines Mädchen, ihr Vater war Revolutionär und ließ sie allein in Paris zurück, weil
er die Weltrevolution organisieren musste. Sie irrte hilflos durch Paris auf der Suche nach
bedingungsloser Liebe, die treuer ist als ein Vater und zärtlicher als eine Mutter.
PIERROT
Und fand sie die Liebe?
ARLEQUIN
Ja, in der Todesstunde!
PIERROT
Das ist bitter! Im Leben fand sie keine Liebe?
ARLEQUIN
Ihre Todesstunde war ihre Hochzeit mit der barmherzigen Liebe.
PIERROT
Und wie hat sie auf Erden gelebt ohne Liebe?
ARLEQUIN
Wie Maria Magdalena irrte sie von Lust zu Lust und fand die Liebe nicht.
PIERROT
Wie fand sie in der Todesstunde dann die Liebe?
ARLEQUIN
Durch die Barmherzigkeit Gottes!
PIERROT
Sie hat sich diese Liebe also nicht verdient?
ARLEQUIN
Nein. Die Barmherzigkeit kam einfach zu der Sterbenden.
PIERROT
O Miséricorde! O Misère! O les Misérables !
ARLEQUIN
Da küsste sie das himmlische Brot mit den vollen sündigen Lippen…
PIERROT
Und so starb sie?
ARLEQUIN
Ja, im Hotel de Dieu!
PIERROT
Das Hotel de Dieu heißt in Allemagne Charité!
ARLEQUIN
La divine charité !
PIERROT
Und wo ist sie nun ?
ARLEQUIN
In der Charité! Ein Engel der Liebe ist sie geworden!
PIERROT
Ah, jetzt weiß ich wieder, was ich heute Nacht geträumt habe. Ich habe von einem mächtigen Engel
der Schönheit geträumt, einem mächtigen weiblichen Engelwesen der Schönheit! Angélique!
ARLEQUIN
Angelina Jolie? Was hast du geträumt von Angelina Jolie ?
PIERROT
Mein Herz brannte vor Liebe zu Angelina Jolie und ich sagte zu Gott: Mon Dieu, ich verzehre mich
vor Sehnsucht nach Liebe!
ARLEQUIN
Siehst du? In Paris, der Hauptstadt der Liebe, sind wir alle auf der Suche nach Liebe.
PIERROT
I’m a pilgrim for your love!
ARLEQUIN
Du wirst ewig vergeblich warten auf die Liebe der schönen Angelina Jolie!
PIERROT
Ich liebe, ich brenne – das genügt.
ARLEQUIN
Dich entflammt ein Traum.
PIERROT
Ja, du wirst das Reich der Schönheit nie finden, wenn dir nicht ein Traum von ihr genügt.
ARLEQUIN
Ist das nicht eitel? Vanitas Vanitatem! Nur zu einem schönen Gesicht zu entbrennen und von dem
Herzen der Minnedame nichts zu wissen!
PIERROT
O, ich kenne ihr Herz! Sie ist meine Seelenschwester, ja, meine Seelenzwillingsschwester, meine
parallele Seele!
ARLEQUIN
Aha?
PIERROT
Unruhig war sie in ihrer Jugend.
ARLEQUIN
Unruhig ist unser Herz, bis es ruhen wird in Gott.
PIERROT
Wann wird das sein? Ach, mein Herz ist unruhig!
ARLEQUIN
Und wird bald ruhen in Gott.
PIERROT
Und meine geliebte Angelina Jolie musste auch, wie ich, durch die dunkle Nacht der Seele.
ARLEQUIN
Ihre Seele trug Schwarz?
PIERROT
Sie rang mit den Ratten und mit den giftigen Schlangen, sie rang mit dem Sie-Teufel Lilith, der
Mutter der Vampire!
ARLEQUIN
Sie ist also eine neue Eva?
PIERROT
Ja, und wie die neue Eva ist auch meine heimliche Geliebte ein Lustgartenparadies!
ARLEQUIN
Angelina Jolie ist also ein universales Lustgartenparadies?
PIERROT
Ja, die süße Kirsche ihres Mundes segne Europa! Die süßen Pfirsiche ihrer Wangen segnen Asien!
Die süßen Granatäpfel ihrer Brüste segnen Amerika! Die süße Feige ihres Schoßes segne Afrika!
ARLEQUIN
O Asia, meine Mutter! O Morgenland des Paradieses!
PIERROT
Sie ist eine himmlische Mutter von jugendlicher Schönheit und engelgleichem Liebreiz, die alle
Waisenkinder der ganzen Menschheit rettet!
ARLEQUIN
Wie das?
PIERROT
Sie, die Mutter der Waisen, die engelgleiche Mutter aller Kinder, sie adoptierte Kinder aus Europa,
Afrika, Amerika und Asien. Sie ist die Große Adoptivmutter aller Waisenkinder! Sie ist die
Trösterin aller Betrübten! Sie ist Refugium aller Verbannten, aller Exilanten! Sie ist unser
himmlisches Asyl! Sie ist die göttliche Schutzfrau aller Flüchtlinge, aller von der Welt
Verschmähten! Sie ist die himmlische Schutzfrau, die göttliche Mutter!
ARLEQUIN
Ist sie solch eine zärtliche Mutter, solch eine süße liebende Mutter?
PIERROT
Unsere Köstliche Mutter! So nennt sie Südamerika. Unsre Süße Frau! So nennt sie Europa.
ARLEQUIN
O so white, o so soft, o so sweet is Shee!
PIERROT
Aber bei aller himmlischen Zärtlichkeit und englischen Süßigkeit ist ihre Seele nicht verzärtelt, sie
ist keine verzärtelte Tochter, sondern eine Kämpferin!
ARLEQUIN
Wofür kämpft denn die Kämpferin Angelina Jolie?
PIERROT
Sie ist eine Kämpferin für die Menschenwürde aller Menschen, sie ist eine Kämpferin für eine
Kultur der Liebe!
ARLEQUIN
Was sind denn ihre Waffen?
PIERROT
Ihre gefährlichsten Waffen sind ihre göttliche Schönheit und das lodernde Feuer ihrer göttlichen
Passion!
ARLEQUIN
Mit den Waffen ihrer Schönheit will sie die Welt retten?
PIERROT
Sie hat diese Mission vom Heiligen Vater empfangen. Der Heilige Vater sagte zu ihr im Petersdom:
Allein die Schönheit kann die Welt noch retten!
ARLEQUIN
Und weiß das die Welt? Was sagt die Welt dazu?
PIERROT
Ach, die Welt, die Welt!
ARLEQUIN
Ja, die Welt, will sie sich retten lassen von der göttlichen Schönheit?
PIERROT
Ich hörte Seelen schreien: Der göttlichen Schönheit und liebenden Mutter Angelina Jolie trauen wir
zu, die Menschheit zu retten!
ARLEQUIN
Also ist ihr Name: Retterin?
PIERROT
Sie ist die Salvatrix mundi!
ARLEQUIN
Ist nicht Jesus Christus der einzige Retter der Welt?
PIERROT
Aber ja! Jesus Christus ist der einzige Erlöser der Welt! Aber Angelina Jolie ist seine Miterlöserin!
ARLEQUIN
Aber sie ist doch wohl keine Göttin?
PIERROT
Unser Herr ist Gott und Unsre Liebe Frau ist Göttin!
ARLEQUIN
Darauf trinken wir! Fülle den Becher bis zum Rand mit Wein! Trinken wir auf den Wein und die
schönen Frauen!
PIERROT
Trinken wir auf das Blut Christi und die Ikone der göttlichen Schönheit!
ARLEQUIN
Salute!
PIERROT
Auf Gott und Angelina Jolie! Ah weh! Wehe, wehe! Wie viele Feinde habe ich doch, die mich
anfeinden grausam! Was sagt der Herr?
ARLEQUIN
Liebe deine Feinde! Bete für die, die dich verfolgen, segne die, die dir fluchen!
PIERROT
Ist das alles?
ARLEQUIN
Das ist alles.

(Ein kleiner neunjähriger Knabe erscheint, Buffodontel, der Joker Gottes, schön wie ein
griechischer Halbgott.)

PIERROT
He, geliebter Buffodontel, mein Sohn!
BUFFODONTEL
Papa Pierrot!
PIERROT
Buffodontel, singe mit mir und feire den Namen der himmlischen Schönheit !
BUFFODONTEL
Heilige Mutter!
PIERROT
Angelina Jolie, du Engel der Schönheit, rette uns!
Angelina Jolie, du Engel der Güte, rette uns!
Angelina Jolie, du Sonne der Gnade, rette uns!
Angelina Jolie, barmherzige Mutter, rette uns!
Angelina Jolie, du Panzer der Barmherzigkeit, rette uns!
Angelina Jolie, du Diktatorin der Barmherzigkeit, rette uns!
Angelina Jolie, Große Mutter, rette uns!
Angelina Jolie, göttliche Mutter, rette uns!
Angelina Jolie, du Sakrament der Mutterliebe Gottes, rette uns!
Angelina Jolie, du Glanz der Herrlichkeit des Herrn, rette uns!
Angelina Jolie, du Mutter-Antlitz des Vaters, rette uns!
Angelina Jolie, du Schutzengelin des Universums, rette uns!
Angelina Jolie, du Krone der Schöpfung, rette uns!
Angelina Jolie, du Venusstern der Hoffnung, rette uns!
Angelina Jolie, du Schaumgeborene, rette uns!
Angelina Jolie, du lebendiges Evangelium, rette uns!
Angelina Jolie, dein Name ist süß, dein Name sei gepriesen!
BUFFODONTEL
Ah! Ich sehe, ich sehe!
PIERROT
Was siehst du, mein Sohn? Ich gebiete dir: Sprich von deiner Vision!
BUFFODONTEL
Ich sehe die Makellose in Mexiko erscheinen!
PIERROT
Wie sieht sie aus?
BUFFODONTEL
Sie erscheint in einer rotglühenden Mandorla, die die Form einer Mandel hat. Sie trägt ein weißes
Gewand aus reiner Seide. Ein weißer Schleier liegt auf ihrem Haupt. Die lange schwarze Haarflut
quillt aus ihrem Schleier hervor. Mit der einen Hand betet die Makellose und mit der anderen Hand
segnet sie. Ihr weißes reines Kleid ist leicht geöffnet, die linke Brust ist zu sehen. Sie ist bereit, dich
saugen zu lassen an ihrer Brust und trinken zu lassen die Milch des Trostes!
PIERROT
Im Geiste schau ich die Makellose! Oh, wie schön sie ist! Sie ist so schön, dass es weh tut! Oh, wie
liebe ich dich, Makellose, wie schön du bist! Du bist schön! Ich liebe dich!
BUFFODONTEL
Ah, ich sehe, ich sehe!
PIERROT
Was siehst du jetzt, mein Sohn? Ich gebiete dir: Sprich von deiner Vision!
BUFFODONTEL
Ich sehe die Makellose am Himmel über Neuseeland erscheinen!
PIERROT
Wie sieht sie aus?
BUFFODONTEL
Wie soll ich dafür Worte finden?
PIERROT
Ave Gratiaplena!
BUFFODONTEL
Chaire Kecharitomene!
PIERROT
Nun sprich, mein Sohn !
BUFFODONTEL
Ich sehe ein breites Doppellager, Mahanajim, das Hochzeitsbett des Himmels! Die Makellose trägt
auf dem Haupt einen weißblauen Schleier. Ihr Leib ist verhüllt von einem reinen weißen Laken.
Neben ihr im Bett liegt ihr Angetrauter. Sein Angesicht ist ähnlich dem Angesicht des
Schmerzensmannes. Auf dem Bette stehen die Worte: Das Kreuz, Geliebter, ist der Weg zur
himmlischen Hochzeit!
PIERROT
So ist die Herrin eben doch erschienen! Heute ist der Festtag ihres Namens! In ihrem Namen der
Tod ist süß!
BUFFODONTEL
Aber der Herr spricht: Du sollst nicht mehr Angelina heißen, ich gebe dir einen neuen Namen,
fortan sei dein Name Heilige Evangelina!
PIERROT
Komm, jetzt gehen wir in die Gassen des Elends.

DIE QUELLE DER SELBSTLIEBE


Personen

Egozentrika – Eine Selbstverliebte


Anäis – Eine verhurte Schönheit
Frau Torheit – Eine dummdreiste Schwätzerin
Hedoniste – Ein Weltliebhaber
Phantastix – Ein Irrer
Diabolo – Ein Bruder Satansbraten
Agathon – Ein Philosoph
Echo – Eine unsichtbare Nymphe
Eros – Ein himmlischer Knabe
Sirrah – Sein Zwilling

Ort: Die Provence, in einem Weinbergtal, an der Quelle der Selbstliebe.

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

EROS
Es ist doch eine schlimme Häresie,
Häretiker sind die Poeten, die
Den Namen Eros nicht in Hymnen preisen!
Was aber fabelten die alten Griechen
Von Venus? Nichts als nur absurden Unsinn!
Der Vater in dem Himmel mit dem Phallus,
Der Sohn des Vaters mit der scharfen Sichel,
Des Vaters abgeschnittner Phallus schäumt
Und aus dem Schaum geboren wird die Venus.
Die Venus hatte einen Ehegatten,
Doch liebte sie vielmehr die andern Götter.
Sie brach die Ehe mit Dionysos
Und des verbotnen Beischlafs Leibesfrucht
Priapus war, der Phallus als ein Gott,
Ein Phallusgott, geschnitzt aus Feigenholz!
Erneut brach Venus ihre Ehe, schlief
Mit Hermes, aus verbotnem Beischlaf kam
Ein Zwitterwesen, weder Mann noch Weib.
Berühmt ist auch der Ehebruch der Venus
Mit Mars, da mussten lachen alle Götter.
Wie unersättlich war die geile Venus,
Das war ihr nicht genug, mit allen Göttern
Zu brechen ihre Ehe mit dem Gatten,
Sie schlief auch mit Adonis, mit dem Schönling,
Und schlief auch mit Anchises auf dem Ida
Und wurde Mutter so des Gründers Roms.
Ist solche Ehebrecherin denn Gottheit?
Nein, Venus gibt es nicht in Wirklichkeit!
Die Marmorvenus ist sehr schön gebildet,
Wo nahm der Künstler sein Modell nur her?
Er holte das Modell aus dem Bordell,
Die schönste Hure nahm er zum Modell,
So meißelte er seine Marmorschöne
Und Griechenland anbetete die Hure!
War Venus nun die Göttin aller Huren,
Ja, die Platonische Idee der Hure –
Das ist ein Gottesdienst, der euch gefällt,
Wenn eure Kirche ist ein Hurenhaus
Und Gottesdienst ist Beischlaf mit der Hure!
Die Liebesgöttin nennt ihr diese Venus?
Sie ist die Große Hure Babylon!
Die Heiden beten an die Hure Babel!
ECHO
Abel...
EROS
Ach, Echo! Hör ich wieder deine Stimme?
Erscheine wieder, unsichtbare Nymphe!

ZWEITE SZENE
EROS
Ach Echo, Echo, wenn ich an dich denke,
Dann will ich dich mit meinen Augen sehen.
ECHO
Ich bin doch unsichtbar. Du willst mich sehen?
So öffne weit die Augen deines Herzens!
EROS
Ich sehe dich, du wohnst in einer Hütte
Am Felsenhang des Seitenarms der Rhone,
An der berauschenden Ardeche, o Nymphe,
Ich sehe dich im langen weißen Kleid
Mit einem weißen Schleier auf dem Haupt
Und einem goldnen Gürtel um die Brust.
ECHO
Doch ich bin traurig, ich muss immer weinen,
Es gibt doch keine Liebe mehr auf Erden,
Die Herzen sind verschlossen und verriegelt,
Die Herzen sind so hart wie Felsenbrocken.
EROS
Wie füllen deine Augen sich mit Tränen!
Beweinst du denn die Menschheit auf der Erde,
O Nymphe, oder weinst du über einen
Geliebten, der von dir das Herz abwendet?
ECHO
Ich liebe sehr den schönen Mann Narziss,
Er aber predigt immer den Narzissmus
Und alle seine Philosophie ist Auto-
Erotik, wenn der Mensch sich selber liebt,
Die spirituelle Selbstbefriedigung
Ist seine Philosophie der Eigenliebe.
EROS
Und wenn ich lehre, Gott zuerst zu lieben
Und gleicherweis den Nächsten wie sich selber?
ECHO
So lächelt nur der schöne Mann Narziss
Und zieht aus deiner Weisheit nur die Lehre,
Sich selbst zu lieben, das allein ist wichtig.
EROS
Ist dein Narziss denn glücklich mit sich selber?
ECHO
Narziss ging immer zu dem Wasserspiegel
Und schaute staunend in den Wasserspiegel
Und zupfte ordnend an den langen Locken
Und prüfte seine Schönheit in dem Spiegel,
Und wenn er sich im Spiegel angeschaut,
So sagte er zu seinem eignen Bild:
Sohn Gottes, du mein ganzes Wohlgefallen!
EROS
Dich liebt er nicht, der Gottessohn Narziss?
ECHO
Ich darf nur heimlich küssen seinen Schatten,
Berühren nur sein Spiegelbild im Wasser.
EROS
Wo ist Narziss, dass ich ihn Glauben lehre!
ECHO
Narziss geworden ist zur Osterglocke!
Ach, schmelzen will ich wie des Winters Flocke,
Ich kann die Wunde mir nicht selber stopfen,
Die Tränen immer aus den Augen tropfen,
Weil nun Narziss mit seiner schönen Locke
Geworden ist zu einer Osterglocke!

DRITTE SZENE

DIABOLO
Ich bin ein Wanderer, ich bin im Urlaub,
Ob auch die jungen Mädchen sehr erschrecken
Und nennen Monster mich und Schwefeldrachen,
Weil ich so hässlich bin, weil ich so stinke,
Mein Atem ist den Frauen ganz zuwider,
Nach Pest und Schwefel stink ich aus dem Rachen,
Rhinozeros hat mich ein Weib genannt,
Da dacht ich doch im Geist: Du süßes Hürlein,
Ich hab das Horn auch des Rhinozeros,
Danach das Reich der Mitte so verlangt!
In meiner Seele ist es wie ein Mord!
ECHO
Fort!
DIABOLO
Was winkt sie mir ein scheidendes Adieu?
ECHO
Mon Dieu!
DIABOLO
Bei Gott (ich mein den Gott, dem ich nicht diene),
Die Nymphe war ein wunderschönes Weib,
Perfekt die makellosen weißen Brüste
Und ihre Taille schlank wie bei der Wespe
Und wie ein breiter Becher war ihr Becken
Und dieser Hintern, als sie vor mir floh,
Gewiss die Venus mit dem schönen Hintern!
Doch scheidend mit den bloßen Füßen sie
Berührte jene Quelle dort. Ein Wunder?
Die Probe geht doch übers Studium.
Ah welch ein Schluck! Ein reines klares Wasser!
Sonst preis ich mich als eine große Flasche.
Wenn ich durch eine Wüste wandern müsste
Und hätte vierzig Tage nichts zu trinken
Und käme schließlich ganz erschöpft an eine
Oase und da ist ein Quell mit Wasser
Und nebenbei ein Fass mit rotem Wein,
So söffe ich das Fass mit Rotwein leer!
Noch einen Schluck! Noch einen dritten Schluck!
Ich bin ein großer Held im Becherkrieg!
So kann der Gott des Weines selbst nicht saufen!
Von diesem Wunderwasser werden nicht
Wie von dem Wein die Weiber immer schöner,
Dass du die Hure betest an als Göttin,
Von dieser wunderbaren Quelle werde
Ich selber schöner, werde immer schöner,
Bin herrlich wie der Gott des Morgensterns!
Der schönste Engel aller Engelschöre,
Umflammt von Lapislazuli und Jaspis,
Smaragd, Nephrit, Türkis, Topas und Jade,
Der Herrscher bin ich auf dem Götterberg
Und rühme mich der allerschönsten Weisheit
Ich selbst, Diabolo, ich bin ein Gott!

VIERTE SZENE

DIABOLO
Wer bist denn du? Ein fahrender Student?
AGATHON
Wer Weisheit lernen will, beginne früh,
Er lernt ja doch sein Leben lang nicht aus.
DIABLOLO
Die Wahrheit liegt im Wein, ist meine Weisheit.
Komm, trink mit mir von diesem edlen Tropfen!
AGATHON
Bist du ein Dichter, willst du Verse schreiben?
DIABOLO
Wie kommst denn darauf, Student im Urlaub?
AGATHON
Die Purpurtraube schenkt den Musenkuss!
DIABOLO
Die Musen schenken Wasser aus der Quelle.
Ich aber bin kein Dichter, doch ich trinke,
Hier dieser scharlachrote Wein Bordeaux,
Ich wette, den hat Baudelaire getrunken,
Als er die Hymne an den Satan schrieb!
PHANTASTIX
Diabolo, du bist ein Teufelskerl,
Sei du mein Freund, du Bruder Satansbraten!
DIABOLO
Du, guter Agathon, mach uns zu Freunden,
Du stifte brüderlichen Freundschaftspakt!
AGATHON
Wer ist denn der, den du zum Freunde willst?
DIABOLO
Phantastix ist sein Name, und sein Vater
War Geldverleiher, doch ein Ehrenmann.
Gestorben ist der Vater des Phantastix,
Doch die Partei der Demokraten rühmte
Den Ehrenmann und auch sein Sportverein.
Die Straße selbst vor seinem Haus ist sauber,
Man weiß nicht, wo lässt man die Zigarette,
Man könnte essen auf der saubern Straße.
PHANTASTIX
Ja, tot mein Vater, aber ich, ich lebe,
Ich lebe und ich ehre dich, mein Freund.
DIABOLO
Du ehrtest mich noch mehr, mein Freund und Bruder,
Wär ich dir eine reizende Französin,
Die liebt dich, wie man auf französisch liebt.
AGATHON
So macht zusammen Urlaub, arme Sünder.
DIABOLO
Phantastix, o wie schön bist du gekleidet,
Wie glänzt poliert dein neuer schwarzer Lackschuh,
Auf deiner schwarzen Hose nicht ein Fleck
Und erst die Mütze! Was für eine Mütze!
PHANTASTIX
Ja, diese Zobelmütze habe ich
Aus Russland, so was trug der Duellant,
Der Puschkin einst die Hörner aufgesetzt!
DIABOLO
So eine Zobelmütze ist in Frankreich
Sehr nützlich, denn sie schützt vorm Sonnenstich.
PHANTASTIX
Was aber willst du dort mit dem Studenten?
Dem steht der Welthass ins Gesicht geschrieben,
So melancholisch und so philosophisch.
DIABOLO
Geh weg, du philosophischer Student!
Phantastix, führen will ich dich viel lieber
Zu einer aphrodisischen Anäis
Und zu dem Wollustschüler Hedoniste!
AGATHON
Der Narr gesellt sich lieber doch zum Narren.
Ihm der Gerechte ist ein Dorn im Auge.
Ihr geltet alle mir als falsche Münzen.
Ihr nämlich spottet über Gottes Weisheit!
PHANTASTIX
So sauer ist des Agathon Gesicht,
Lass sehen mich das Lächeln der Anäis.
DIABOLO
Weltekel soll des Weisen Seele plagen,
Wir aber feiern Lust und Sinnlichkeit!
PHANTASTIX
Mein Vater war ja glücklich auf der Erde
Und fragte nichts nach Buße und Gebet.
DIABOLO
Ja, reißen wir das Kreuz des Christus nieder!
Anbeten Brust und Schoß der Venus Porne
Und schrein zum Phallusgott aus Feigenholz!
FÜNFTE SZENE

AGATHON
O Eitelkeit der Eitelkeiten! Sinnlos!
Ganz sinnlos alles! Nichts als Nichtigkeit!
Ein Haschen nur nach Wind und Luftgespinsten!
Die Torheit herrscht im Regiment der Welt!
Sie alle feiern großen Karneval,
Der Eine trägt die lange rote Nase,
Die Andre trägt den breiten roten Mund!
Sie setzen Wollust in den Gottesthron,
Sie kennen nicht die Seelenliebe, kennen
Allein den sexuellen Appetit!
Das nennen sie dann Liebe, wenn es juckt!
Die Herrscherin ist jetzt die Sinnlichkeit,
Sie fesselt alle mit den Blumenfesseln,
Wo jeder fühlt nur noch die Adern pochen!
Berechne doch den Wert des Körpers nur,
Nur fünfzig Pfennig ist der Körper wert,
Ist nichts als Wasser! Doch die Menschenwürde,
Geistseele und ein Gottesbild zu sein,
Das leugnen sie von früher Jugend an!
Ich sah in einem schwülen Frühlingsgarten
Insekten öffentlich sich schamlos gatten,
Genau so treiben es die neuen Heiden!
Insekten aber können gar nicht anders,
Sie folgen so ja den Geboten Gottes,
Die neuen Heiden aber könnten anders,
Sie haben auch den Geist, den Seelenfunken,
Doch sind sie niedriger als die Insekten,
Denn sie, die Freiheit doch des Willens haben,
Sie werden Sklaven tierischer Begierden!
Was ist der Körper denn? Seht einen Toten:
Was bleibt als Kot, der Schwester Wurm zum Fraß?
Für diese schöngeschminkte Leiche aber
Gebt ihr das Ebenbild der Gottheit auf?
Das Fleisch in aller geilen Fleischeslust
Wird einst im Grabesloch ein Fraß der Maden!
Das Abbild Gottes aber, das ihr leugnet
Und das ihr schändet, steht dann vor dem Richter!
Du Narr, der nach des Weibes großen Brüsten
So dürstet, wie der Mönch nach Jesus dürstet,
Geh an das Grabesloch des nackten Weibes
Und wühle ihren großen Busen aus
Dem Grabesloch und stecke deine Nase
Ins Fleisch der Zitzen! Rieche die Verwesung!
Liebkosen darfst du jetzt die prallen Zitzen!
Verwesung riechst du jetzt statt Rosenöl.
Die Zitzen, die du angebetet hast –
Jetzt wühl dich ein in das verfaulte Aas!

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

EROS
O Sirrah, rede, wie ein Dichter redet,
Und ahmst du einen weisen Dichter nach,
So tu es frei und witzig und nach Laune
Und klebe nicht als Sklave an den Lettern,
Vielmehr ergreife du den Geist der Weisheit.
SIRRAH
Der Stein der Weisen ist mein Eigentum,
Ich weiß aus Scheiße reines Gold zu machen.
EROS
Die Weisheit ist nicht jedermanns Vergnügen.
SIRRAH
Vorsehung öffnet dir die Augen, Eros,
Vorsehung dir erleuchtet deine Augen,
Du bist nicht blind mehr, hast nicht mehr den Star,
Gott nahm den Schleier dir von deinen Augen.
EROS
Ich bin noch immer blind vor Lustbegier,
Verblendet von Begierden, bin ich blind.
SIRRAH
Und wenn du blind bist, was ist mit der Nymphe,
Der du dich übereignet als ihr Sklave?
EROS
Die stolze Herrin Egozentrika
Nennt mich noch immer ihren kleinen Liebling.
Mein Schatz sagt sie zu mir, mein süßes Schätzchen,
Mein kleiner Liebesgott, mein lieber Engel,
Sie nennt mich ihren wunderschönen Pagen.
SIRRAH
Auch ich bin Page. Püppchen nennt man mich.
EROS
Wer ist der Meister, dem du dienst als Jünger?
SIRRAH
Mein Meister ist der stolze Hedoniste,
Er kennt die Liebeskünste wie ein Affe.
In seinem Badezimmer viele Salben
Ihn parfümieren wie mit Kokosmilch,
Stets glattrasiert ist seine weiche Wange,
Bei Gottes Bart, der Mann ist immer bartlos,
Die Haare sind gekämmt zum Seitenscheitel,
Rechteckig akkurat der Seitenscheitel.
Am Morgen hört er allezeit Musik.
EROS
Ist er ein Musenpriester, ein Poet?
SIRRAH
Berühmte Schreiberlinge schätzt er sehr,
Von Dieben und von Mördern liest er gern,
Doch wahre Poesie ist ihm zuwider.
EROS
Nur zwei Poeten gibt es heut auf Erden,
Der Schreiberlinge Name ist Legion.
SIRRAH
Mein Hedoniste, immer gut gekleidet,
Er kauft sich jede Woche neue Schuhe.
Stets weißer als der Schnee ist seine Kleidung,
Und weißer noch als Schnee ist jene Kleidung,
Die er beim vielgeliebten Tennis trägt.
EROS
Die vielgerühmten weißen Tennissocken?
SIRRAH
Er hat mit seiner Arbeit Geld verdient,
Ein junges Weib zur Gattin sich genommen,
Hat einen Sohn gezeugt, den Rest des Lebens
Hat Tennis er gespielt, dass in sein Grab
Die Freunde legen einen Tennisball.

ZWEITE SZENE

HEDONISTE
Mein Püppchen, ist hier eine schöne Frau?
SIRRAH
Zur Zeit ist nur Anäis in der Nähe.
HEDONISTE
So lehre ich dich schöne Liebesschwüre,
Die ich heut morgen in dem Bett erfunden.
SIRRAH
Beim Stein der Weisen! Welche Liebesschwüre?
HEDONISTE
O Herrscherin, ich schwöre bei dem Tal
Inmitten deiner süßen Doppelhügel!
SIRRAH
Was soll das heißen? Meinst du ihren Busen?
HEDONISTE
Ich schwöre bei dem Läppchen ihres Öhrchens,
Des Öhrchens Läppchen ist so süß wie Kandis.
SIRRAH
So lang du nur mein Ohr in Ruhe lässt!
HEDONISTE
Dann sag ich: Meine Herzenskönigin,
Ich küss die weiße Lilie deiner Hand,
Lass küssen mich des Mundes rote Rose!
SIRRAH
Wenn dann die Herrin Torheit noch dazukommt?
HEDONISTE
Als Patriarch des Alten Testaments
Nehm ich Anäis mir zur Lieblingsfrau,
Frau Torheit nehm ich mir zur Nebenfrau.
SIRRAH
Wie aber preist du dann die Herrin Torheit?
HEDONISTE
Ich preise sie als die perfekte Weisheit!
Sie ist so sehr der Göttin Weisheit gleich,
Als wäre sie des Sokrates Gemahlin!
SIRRAH
Bei Herkules und seiner lieben Frau,
Die angezogen ihm das Nesselhemd!
Kann Herrin Torheit auch ein Essen kochen?
HEDONISTE
Ja, die Kartoffeln weiß sie zu frittieren
Und fettes Schweinefleisch dazu zu legen.
SIRRAH
Bist wieder mit Anäis du allein,
Wie betest du die stolze Herrin an?
HEDONISTE
Ich sage: O du Göttin allen Fleisches,
Wie wollte ich, ich wär dein Stöckelschuh!
Dann mit der Spitze deines Stöckelschuhs
Du trete deinen Sklaven in den Staub!
Ich küsse sterbend deinen nackten Fuß!
SIRRAH
Bist du ihr Stöckelschuh, erhebt sie sich,
Wird stolz wie eine weltberühmte Diva.
HEDONISTE
Ja, schwellen soll des Weibes Brust vor Hochmut!
SIRRAH
Die Bibel sagt: Der Hochmut kommt vorm Fall.
HEDONISTE
Ich bin ihr gern bei ihrem Fall behilflich!
SIRRAH
Was sagst du zu dem frommen Agathon?
HEDONISTE
Ein Träumer, der an einen Traumgott glaubt,
Dem Irrenhaus entlaufner Priester Gottes,
Doch gut zu Spott und Hohn die Witzfigur.
SIRRAH
Und glaubst du gar nicht an den lieben Gott?
HEDONISTE
Ich bete jeden Tag zu meinem Schöpfer
Um einen neuen vollen Beutel Tabak!
EROS
Fürwahr, der Mann ist Sklave meiner Gottheit,
Zu lieben und geliebt zu sein, ist Glück!

DRITTE SZENE
DIABOLO
Ich weiß, ich bin so hässlich wie die Laus,
Die Frau ist schön wie ein Marienkäfer!
EROS
Wenn du auch hässlich bist wie Sokrates,
Ich lehr dich Liebeskunst wie Diotima.
DIABOLO
So lehre mich die Kunst der Buhlerei.
EROS
Drei Lehren in der Buhlerei beschreibe
Ich dir, drei Stufen auf der Liebesleiter.
Die erste Stufe ist die elementare Lust,
Die zweite ist die Praxis in der Liebe,
Die dritte ist die Kontemplation der Minne.
DIABOLO
Ja, lehre mich die elementare Lust!
EROS
Ich will dich lehren wie ein kleines Kind.
Schau nur die Krokosblume auf der Wiese,
Wie dort die Hummel in die Blume schlüpft.
Die Krokosblume öffnet ihren Kelch,
Im Schoß des Kelches ist der süße Nektar,
Der klebrig ist wie Honigseim und Zucker.
Da ist ein Nektarstempel in dem Kelch,
Im Schoß gesammelt ist der süße Samen.
Die Hummel nun mit ihrem spitzen Stachel
Schlüpft in den offnen Schoß der Krokosblume,
Saugt mit dem Stachel zwischen Blütenlippen
Und saugt den klebrigsüßen Samen ein.
DIABOLO
Vulgär ist die Natur und ordinär!
EROS
Nun sag ich von der Praxis in der Liebe.
Da ist die keusche Brautzeit, wenn ein Paar
Verliebt wie junge Liebesgötter tändelt
Und auf dem Sopha sich bewirft mit Kissen
Und wenn sie heiter scherzen wie die Kinder,
Dann tauschen heimlich die Verlobungsringe
Und taufen heimlich die Verlobungsringe
Mit rotem Wein, den Don Quichott schon trank.
Dann bleiben sie ein Jahr lang keusch verlobt
Und haben mehr nicht von des andern Leib
Als nur erlaubte keusche Zärtlichkeit.
Sie warten auf die Hochzeit in der Kirche,
Die Braut jungfräulich keusch im weißen Schleier
Ist appetitlich wie die Sahnetorte
Und er darf endlich in der Hochzeitsnacht
Vernaschen diese Sahnetortenschnitte!
Dann kommt das erste Kind und dann das zweite
Und dann der Alltag mit der Langeweile,
Mit Lärm und Zank und mit dem kalten Bett
Und schließlich naht das Alter und der Mann
Schaut jungen Mädchen nach, die Gattin keift.
DIABOLO
Das Beste ist daran die Hochzeitsnacht.
EROS
Nun sag ich von der Kontemplation der Minne.
Der Minner schaut in seiner schönen Dame
Der Gottheit Herrlichkeit im Gleichnis an.
Er liebt nicht diese Dame im Konkreten.
Er liebt der Dame Ideal, Idee,
Die Dame, wie sie ist im Bilde Gottes.
Glanz Gottes, Gottes Schönheit ausgegossen
Glänzt an der Dame auf, die Schönheit Gottes
Scheint Fleisch geworden in der schönen Dame.
Und vor dem Tempel ihres schönen Leibes,
Vor der Ikone ihres Angesichts
Der Minner betet an der Schönheit Gottheit!
DIABOLO
Idee, Idee, ich höre nur Idee!
Was ist denn die Idee? Ein bloßer Hauch
Gekleidet in die Leere reinen Nichts!
Was gibt es bei den Frauen denn zu essen?
EROS
Es gibt der Liebesgötter Lieblingsspeise,
Spaghetti, Brokkoli, Tomatensauce.
Selbst Gottes Liebe geht ja durch den Magen…

VIERTE SZENE

FRAU TORHEIT
Halb Zwölf, und keine Freundin ist in Sicht?
SIRRAH
Wer ist denn diese Dame, die da spricht?
EROS
Frau Torheit ists, der Frauen Königin!
Frau Torheit ist so weise und gerecht,
Sie wird sich selbst vertreten vorm Gericht
Am Jüngsten Tag, wo sie den Herrn beschwatzt
Und überreden wird den Weltenrichter,
Ihr ihren Willen sklavisch zu erfüllen!
Sie ist geschickt mit ihrer raschen Zunge
Und ist so wortgewandt in dem Geschwätz
Wie diese preisgekrönten Literaten,
Wie diese Meister der Kritik, die sagen:
Ich habe Goethe doch, was brauch ich Gott?
SIRRAH
Mit einem Wort schlägst du den Narren tot.
EROS
Frau Torheit ist der Meinung, dass Frau Weisheit
In ihrer Jugend Göttin Venus war
Und dass Frau Weisheit inkarnierte in
Der schönen Helena, ich meine nicht
Die schöne Helena vom strengen Sparta,
Nein, jene schöne Helena von Tyrus,
Die Simon Magus fand dort im Bordell!
Frau Torheit hat auch einen schwarzen Hund,
Sein Name ist Monsieur, sie führt ihn immer
Zur jungen Hündin in der Nachbarschaft,
Zu seiner jungen Hündin Mademoiselle.
SIRRAH
Wer aber ist die Schöne, die da kommt?
EROS
Das ist die Herrin Egozentrika!
Sie ist liebreizend und sie weiß es auch,
Sie ist belesen und sie sagt es auch,
Wie eine Königin gibt sie Befehle,
Erzählt gern die Geschichte ihres Lebens,
Geschmackvoll richtet sie die Malerei,
Hat ein gewisses Urteil über Verse.
EGOZENTRIKA
Bin ich denn nicht die Meisterin im Bauchtanz?
Wer lässt das Becken kreisen so wie ich?
Wer kann bezaubern mit den sieben Schleiern
Und Schleier über Schleier fallen lassen
Wie ich, die schöner tanzt als Salome!
FRAU TORHEIT
O Freundin, schön ist deine neue Haarpracht.
EGOZENTRIKA
Ich schaute das Idol der Venus an
Und bat dann den Friseur, die gleiche Haarkunst
Zu flechten auch aus meinem langen Haar.
FRAU TORHEIT
Du bist so schön wie eine Himmelsgöttin!
PHANTASTIX
Trägst du die langen schwarzen Haare offen,
Trägst du das schwarze Haar in einem Knoten,
Trägst du die schwarzen Haare seidenglatt,
Trägst du das hennarote Haar gelockt,
In deinen Spitzen sitzen die Eroten!
FRAU TORHEIT
Phantastix, Freund, von dir hab ich gehört,
Dein Doktor Mediziner sei aus China?
Verkaufst du mir den Doktor Mediziner?
PHANTASTIX
Nicht einmal für Millionen goldner Münzen!
Denn dieser Mediziner ist ein Heiland!
Er weiß aus Yin und Yang die Welt zu mischen,
Den Drachen mit dem Phönix zu vermählen!
Er rührt mich an mit seiner Heilandshand,
Da strömt das Chi gesunder Energie!
Er selbst ist schon einhundert Jahre alt,
Sein Haupthaar und sein Bart ist weiß wie Schnee,
Sein Antlitz frisch wie eine Pfirsichblüte,
Er ist so frisch wie junge sechzehn Jahr!
FRAU TORHEIT
Hat er die Pille der Unsterblichkeit?
PHANTASTIX
Ist ein Geheimnis nur für Eingeweihte...

DRITTER AKT

ERSTE SZENE

HEDONISTE
Was denkst du über diesen Hurensohn,
Was denkst du über diese Bücherratte?
ANÄIS
Sei nicht so ungeduldig mit dem Narren,
Er hält sich wohl für einen Philosophen
Und ist entlaufen aus dem Irrenhaus.
HEDONISTE
Er hält sich für was Besseres, der Stolze.
Ich aber lache solchen Hochmut aus.
Er ist ja stolz auf seine guten Werke
Und hält uns allesamt für irre Narren,
Doch dabei merkt er gar nicht, wie er selber
Zur lächerlichen Witzfigur geworden,
An der wir alle haben unsern Spaß.
ANÄIS
Er ist ein Träumer, lebt in einem Traum,
Ein Träumer, der an einen Traumgott glaubt,
Er betet noch im Traum zu seinem Traumgott.
Nachts ist er wach und träumt sich einen Tagtraum
Und liest bei schwachem Lampenlicht die Träume,
Die andre Träumer von dem Traumgott träumten.
Am Tage aber in der Wirklichkeit,
Wenn wir das pralle Leben leben, er
Schlafwandelnd schleicht als Schatten unter uns.
HEDONISTE
Am meisten regt mich auf, wie ruhig er
Uns zuhört, wenn wir fluchen und betrügen,
Wenn wir blasphemisch lästern und verleumden.
Er macht dann eine Miene wie aus Stein,
Er lässt von uns sich gar nicht provozieren,
Wenn wir blasphemisch seinen Traumgott lästern
Und uns bekennen zu dem Antichristen
Und wenn wir immer schwören: Weiß der Teufel!
Er aber faltet betend nur die Hände
Und legt die Hände kleinen Kindern auf.
ANÄIS
Und wenn wir feiern frohen Karneval,
Wo jeder mal mit jedem schlafen darf,
Da bleibt er ernst, ein finstrer Inquisitor.
HEDONISTE
Das Aschekreuz malt er auf seine Stirn
Und zieht sich in der öden Fastenzeit
Von uns zurück, mit Gott allein zu sein.
ANÄIS
Ich möchte alles Schlangengift ausgießen
Auf diesen arroganten Philosophen,
Der kalt und frostig auf uns nieder schaut
Mit Blicken eingebildeter Verachtung.
Ich will ihn plagen wie ein Plagegeist,
Er soll nicht mehr zu seiner Ruhe kommen.
Frau Torheit rufe ich zu mir, sie wird
Ihm seine blöde Seelenruhe rauben.
Frau Torheit ist ja Meisterin darin,
Den weisen Mann so lang zu reizen, bis
Ihm seine Ader an der Schläfe platzt
Und er in aufgewühltem Zorne spricht:
Geh weg von mir, verfluchte Satansbraut!
HEDONISTE
Geliebte Lilith, Luzifers Gemahlin!
ANÄIS
Ich will verdammt sein alle Ewigkeit!

ZWEITE SZENE

AGATHON
Ich werde lächeln still wie ein Chinese.
Die armen Narren tun mir wirklich Leid.
Was sollte ich mich sorgen, wenn sie lästern?
Ihr Lästern ist mir eine Ehrenkrone.
So schmähten ihre Väter die Propheten.
Man sagt mir: Weiber lästern über dich!
Der Weiber Schwänze lästern noch viel mehr!
Wenn die verlornen Seelen mich verachten,
So nur, weil sie ja Jesus auch verachten.
Sie wollen mich nicht hören, weil sie nichts
Von Jesus hören wollen, die Verstockten.
Wenn mich ein Mark Aurel im Kaiserthron
Ermahnen würde, meine Sünde schelten,
Ich würde Buße tun in Sack und Asche
Und neue Früchte guter Werke bringen.
Doch sind es Hedoniste und Anäis,
Die mich verlästern mit den Schlangenzungen,
Des Antichristen Jünger ist der Eine,
Die Andere ist Luzifers Gemahlin!
Geil sind sie beide wie die geilen Ratten,
Verlogen-listig wie die falschen Schlangen.
Sie reden schlecht, weil sie nichts Gutes kennen.
Wenn nun ein Irrenarzt den armen Irren
Im Irrenhause schrecklich fluchen hört,
Bewahrt der Irrenarzt die Seelenruhe.
So muss man diese Sünder auch betrachten,
Die Satan infizierte mit dem Wahnsinn.
Was sie vor allem doch begehren, ist
Mir die Geduld zu rauben und die Ruhe,
Sie reizen mich aufs Blut mit ihrer Bosheit!
Doch Gott bewahrt mir meinen Seelenfrieden.
Die bösen Blicke und die bösen Zungen
Vernichten schließlich ihre eignen Seelen.

DRITTE SZENE

DIABOLO
Phantastix; denk an deiner Vielgeliebten
Schlafzimmer, den Palast der Himmelswollust!
PHANTASTIX
Besuchen wollte ich die Vielgeliebte.
DIABOLO
Besuche sie zuerst in deinem Geist,
Imaginiere dir den Inbegriff
Der göttlichsten Ergötzungen der Wollust!
Betörende Parfüme, Reizgewänder,
Ein wollustschwüles Lotterbett des Himmels
Und denk halbseidene Gedankenspiele!
PHANTASTIX
Das alles evozierst du meinem Geist,
Ich glaub, ich sehe schon die Vielgeliebte.
DIABOLO
Begebe dich allein in ihr Gemach
Und zittere in der geheimen Angst,
In dem verbotnen Paradies zu sein,
Nun seufze heimlich deine Seele aus
Und lege deinen Finger auf den Mund!
PHANTASTIX
Wenn aber selbst die Vielgeliebte kommt?
DIABOLO
Dann sage: Allerschönste aller Schönen!
Miss Universum! Schönster Spiegel Gottes!
Wie du auch immer ihrer Schönheit schmeichelst.
PHANTASTIX
Ich sage: Göttliche Arsinoe!
DIABOLO
Arsinoe? Wer ist denn diese Dame?
PHANTASTIX
Ich bin doch Humanist! Arsinoe
War die Gemahlin Königs Ptolemäus
Und galt als Inkarnation der Göttin Isis,
Zugleich als Inkarnation der Göttin Venus!
DIABOLO
Nun also: Göttliche Arsinoe,
Du wirkst mir heute melancholisch,
Bist du allein? Ich leiste dir Gesellschaft.
Phantastix, ich bin nun Arsinoe,
Nun mach du deiner Königin den Hof.
PHANTASTIX
Gottmenschliche Arsinoe, Geliebte!
DIABOLO
Phantastix, sag nicht nur Arsinoe,
Ruf sie als Helena von Sparta an
Und Lady Yang Gue-Fei vom Reich der Mitte!
PHANTASTIX
Du unaussprechlich Schönste aller Schönen,
Du mehr als überschöne Übergöttin!
Ich beug anbetend meine Knie vor dir!
DIABOLO
Mein Freund, doch ich hab heute üble Laune.
PHANTASTIX
O überwesentliche Überschönheit!
DIABOLO
Erröten lässt mich deine Schmeichelei.
Du aber sagst auch gar zu nette Dinge.
PHANTASTIX
Oh, Einen Kuss auf diese Fingerspitze!
DIABOLO
Gut, lieber Freund, nun geh in der Geliebten
Schlafzimmer, den Palast der Himmelswollust!

(Vorhang)

SATAN IST EIN ARSCHLOCH

PROLOG

POET
(vor dem Vorhang)

Der Teufel kam ja gänzlich aus der Mode,


Nur psychologische Dämonen gibt’s noch,
Die dunklen Schatten in der eignen Seele.
Die kleinen Teufelchen des eignen Herzens
Sind ja zu integrieren in das Selbst.
Großmütter sagen lachend ihren Enkeln:
Mein Liebling, spiel doch mit dem Teufelspüppchen!
Großväter sagen zu den Patenonkeln:
Erzähle deinen Paten von der Welt,
Nie aber von dem Teufel und der Hölle!
Ich aber sah den Teufel selbst am Werk,
Als Gott geschaffen kleine Kinderlein,
Der Teufel wollt sie aus dem Schoße kratzen
Und Menschenkinder werfen auf den Müll,
Ich sah die Terroristen in den Lüften
Und sah die Jugendlichen unter Drogen.
Drum sollt ihr euch nicht wundern, liebe Leute,
Daß hier der Teufel auftritt in Person.
Doch fürchtet euch nicht vor dem Satanas,
Wenn ihr den Satan seht, dann flüstert leise:
Maria, freue dich, o Neue Eva!

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(Satan, Harlekin, Frau Sünde.)

SATAN
Ich will die ganze Welt verderben! Weh euch!
FRAU SÜNDE
(ein voluptiöses Weib, von einer Schlange lasziv umwunden)
Ich geb mir alle Mühe, Herr und Meister,
Die Menschen zu verderben, gebe ihnen
Viel Geld, viel Geld, vor allem großen Reichtum,
Dann lass ich sie genießen diese Welt
Und dann entfessel ich die Triebe ihnen
Und führe sie zu ungehemmter Gier
Und lass sie fressen über alle Maßen
Und lass sie saufen über alle Maßen
Und schenke ihnen Gift des Niktin
Und Schlaftabletten, Haschisch, Kokain
Und die Cemie der bunten Drogenpillen,
Dann schließ ich ihnen die Bordelle auf
Und reize sie mit pornographischen Bildern,
Ich locke Menschen in den Ehebruch
Und Eheleute in die Ehescheidung
Und gebe einem Manne sieben Frauen
Und mach aus frommen Leuten Bigamisten
Und Mönche mache ich zu Kinderschändern
Und Frauen lass ich vergewaltigen
Und Kinder morden in dem Mutterschoß.
SATAN
Sehr böse, meine treue Dienerin!
Ich aber will noch mehr, ich will die Seelen
Nicht nur verderben auf der Mutter Erde,
Der Mutter Erde mit den breiten Brüsten,
Ich will die Seelen in die Hölle reißen!
Ich habe Durst nach ewiger Verdammnis!
HARLEKIN
Ach, dürft ich ewig in der Hölle bleiben!
SATAN
Du aber sollst mir dienen in der Welt.
Da ist ein Mann, der ruft mich allzeit an,
Erhofft von Satan die Glückseligkeit,
Freut sich schon auf die höllische Musik,
Auf Satans Hurenhaus und Lottospiel.
Mein Harlekin, den sollst du mir verderben,
Gieß ihm in seine Seele Wahnsinn ein!
HARLEKIN
Ach, muß ich wirklich zu der blauen Erde?
Wie gerne blieb ich doch im Schoß der Hölle!
SATAN
Nur Mut, mein Harlekin, tu deine Pflicht,
Ich werde dich belohnen in der Hölle.

ZWEITE SZENE

WAGNER
O Teufel, hör die höllische Musik,
Ich rase auf der Autobahn zur Hölle
Und höre läuten schon die Höllenglocken!
Wenn ich mich an dem heißen Topf verbrenne,
Dann ruf ich: Teufel! Denn du bist wie Feuer.
Ich möcht dem lieben Gottchen nicht begegnen,
Nein, dir will ich begegnen, großer Teufel.
Ich möchte auch nicht in den Himmel kommen
Und auf der Wolke Halleluja singen,
Nein, lieber will ich kommen in die Hölle,
Da gibt es Rockmusik und Lottospiel.
Ich interessiere auch mich für die Bibel:
Was steht darin vom Antichrist geschrieben?
Denn ich gehöre zu dem Antichristen!
Vor allem hasse ich die Mutterschaft
Der Weiber und der Weiber Matriarchat
Und hasse tief der Weiber Fruchtbarkeit
Und hasse tief der Weiber Schöpfertum
Und hasse tief der Weiber Mutterschoß!
Die Weiber sind doch alle Huren nur,
Nur meine Mutter nicht. O wie ich hasse
Den Mutterschoß und seine Leibesfrucht!
Wie ekelt mich das neue Leben an,
Das Leben, ein Lebendiges, ein Kind,
Da spüre ich des lieben Gottes Weihrauch,
Nur weg damit, nur weg mit diesem Kind,
O Teufel, kratz es aus dem Mutterschoß!
Staubsauger Satans, saug die Leibesfrucht
Aus diesem mütterlichen Uterus
Und wirf die Frucht des Schoßes auf den Müll
Und wirf das Leben in den Abfalleimer!
Wie ich die Weiber hasse heißen Hasses,
So hasse heißen Hasses ich die Kinder,
So hasse ich das Leben und die Liebe,
Ich liebe revolutionären Hass,
Ich liebe Klassenhass und Terrorismus,
Ich liebe revolutionäre Morde!
O Teufel, du bereitest große Lust,
Nur deine Hölle ist mein Paradies,
So schließ ich einen Pakt mit dir, o Satan,
Mit dir und mit dem großen Antichristen,
Das Motto meiner Lebensweihe sei:
Sex Sex Sex! Aber das ist ein Geheimnis.

DRITTE SZENE

(Wagner und Harlekin.)

WAGNER
Wer bist du, Bruder, und wie ist dein Name?
HARLEKIN
Ich heiße Harlekin Diabolo.
WAGNER
Diabolo, Diabolo! Ich liebe
Den Namen, denn ich bin des Teufels Slave.
Was aber heißt der Name Harlekin?
HARLEKIN
Als Doktor Faust den Pakt schloß mit dem Teufel,
Der Böse kam zu ihm als schwarzer Hund.
Da knurrte Johann Faustus: Arr, le chien!
Arr, le chien – bedeutet Harlekin.
Agrippa auch von Nettesheim in der
Okkulten Philosophie versunken und
In der Magie, sprach stets mit seinem Hund,
Monsieur, so nannte er den schwarzen Hund,
Er führte täglich seinen Hund spazieren
Zu Mademoiselle, der schwarzen schönen Hündin,
Der schönen Hündin in der Nachbarschaft.
Mit einem Wort: Ich will dein Schoßhund sein!
WAGNER
Ja, Menschen hasse ich aus tiefstem Herzen,
Doch will ich lieben einen treuen Hund.
Du belle niemals Demokraten an,
Du belle alle Aristokraten an!
HARLEKIN
Ich bin dein Knecht und helf dir in die Hölle,
Wohin du ja schon lange hinbegehrst.
Klatsch in die Hände und schon bin ich da,
Pfeif auf der Pfeife und schon bin ich da.
WAGNER
Jetzt hab ich einen Freund in dieser Welt,
Wir schließen einen Bruderbund der Freundschaft,
Der Aufstand gegen alles Göttliche
Und Heilige sei das Gesetz des Bundes,
Wir hassen nicht allein von ganzem Herzen
Den allerhöchsten Vater in dem Himmel,
Wir hassen auch von ganzem Herzen Amor!
HARLEKIN
Wie geht es deiner lieben Ehefrau?
WAGNER
Weil sie kein andrer haben wollte, nahm
Ich leider sie zu meiner Ehefrau.
Die Zicke aber immer zänkisch zankt
Und sagt, ich hätte Anaphrodisie!
Doch lieber eine Anaphrodisie
Als Montezumas Rache Siphylis!

VIERTE SZENE

(Wagner, seine Frau Eva-Muschi und ihr Hausfreund Peter Frauenknecht.)

WAGNER
Du armer Hanswurst Peter Frauenknecht,
Du darfst mit meiner Ehefrau jetzt reden.
FRAUENKNECHT
Ich liebe dich, du Bild der Schönheit Gottes!
WAGNER
Wie? Lieben tust du meine eigne Gattin?
FRAUENKNECHT
Platonisch lieb ich sie als meine Muse.
WAGNER
Ah, ich verstehe dich, platonisch-musisch...
FRAUENKNECHT
Ich liebe dich, du Kelch der frommen Weisheit!
WAGNER
Davon versteh ich nichts. Doch eins ist klar:
Schau sie dir an, wenn sie dir schön erscheint,
Und red mit ihr, wenn sie dir klug erscheint,
Tabu sind aber Küsse auf den Mund,
Tabu die sexuelle Einigung,
Tabu das Sakrament des Ehebundes.
FRAUENKNECHT
Ich bete dich zu deinen Füßen an,
Du bist das feminine Antlitz Gottes,
Ich überschreibe dir mein Herz zum Sklaven!
WAGNER
Sag, Eva-Muschi, was sagst du dazu?
EVA-MUSCHI
Ist Reden Silber, ist das Schweigen Gold.
FRAUENKNECHT
O du intime Seelenzwillingsschwester,
So geb ich Antwort mir in deinem Namen:
O Peter Frauenknecht, mein Kavalier,
Wie soll ich mit dir scherzen, mit dir flirten,
Wenn dieser grobe Kerl von Mann dabei ist?
Doch wenn mein Mann zu seiner Arbeit geht,
Dann zeig ich mich von meiner schönsten Seite,
Des Büstenhalters Träger rutscht nachlässig
Auf meinen nackten Arm an deiner Seite.
WAGNER
Ich werde deine Treue prüfen, Weib!
Heut nacht bleib ich in einer Discothek
Und schenke den Abschlepperinnen Bier ein,
Da rufe Peter Frauenknecht zu dir
Und trink mit ihm Likör der süßen Pflaume.
FRAUENKNECHT
Die Eicheln von dem Eichbaum fallen nieder
Anbetend vor des Pflaumenbaumes Pflaume!
EVA-MUSCHI
Ach, Männer, Männer! – Peter, geh mit Gott!

FÜNFTE SZENE

BANKER
Mich fragte jüngst mein dummer Sohn: Was ist
Der Sinn des Lebens? Da hab ich gesagt:
Frag alle deine Freunde, ob sie denken,
Was sei der Sinn des Lebens? Diese Frage
Ist allzudumm, man muß sie gar nicht stellen.
WAGNER
Dem Teufel hab die Seele ich verkauft.
BANKER
Was kostet deine Seele denn in Dollar?
Schau dir die Dollar-Note an, da steht
Im Dreieck auf der Pyramide Spitze:
Ich, der allmächtige Dollar, bin dein Gott!
WAGNER
Der Teufel muß mir Geld verschaffen, Geld!
BANKER
Da bin dem Teufel gerne ich behilflich.
Gib mir ein wenig Geld, ich kaufe Aktien
Und spekuliere mit dem Kapital.
WAGNER
Das Kapital ist für die Kapitalisten,
Doch Kommunismus ist, wenn die Proleten
Das Kapital der Kapitalisten haben.
BANKER
Es kann ja jeder Bauer spekulieren.
Das Geld hat seine Arbeit auf dem Markt,
Du musst nicht selbst mehr deine Arbeit tun
Im Schweiße deines Angesichts, wie Gott
Dir flucht, das Geld tut seine Arbeit jetzt,
Und wenn du investierst dein Kapital,
Jongliere ich mit deinen Aktien an
Der Börse, und wenn Mammon gnädig ist,
So regnet Mammon seinen goldnen Regen
In deinen Schoß, der Reichtum kommt zu dir,
Dann kannst du kaufen dir die ganze Welt.
WAGNER
Die Mexikaner glauben an die Jungfrau
Und an das Lottospiel des Staates. Ich
Träum oft davon, im Lotto zu gewinnen.
BANKER
Du weißt, was glücklich macht. Ein Glücklichmacher
Ist so ein Geldschein. Was denn würdest du
Als Lotto-Millionär als erstes tun?
WAGNER
Auf einem Luxusschiff die Welt bereisen!
Ich möcht im ewig-müßigen Tourismus
Von Kuba fahren übers Meer nach Bali.
BANKER
In Bankok gibt es wunderschöne Mädchen!

SECHSTE SZENE

(Wagner, Eva-Muschi und Peter Frauenknecht.)

WAGNER
Galan, du darfst mit meiner Dame plaudern.
FRAUENKNECHT
Wie sehr hängst du an deinem Leben, Liebste?
So stell dir vor, du stehst auf einem Hochhaus
Und stürzt herunter, kommst du unten an,
So bist du sicher tot, jedoch am Haus
Ragt noch ein Nagel vor, da könntest du
Mit deinem Auge hängen bleiben, blind
Zwar wärest du, doch überlebtest du.
EVA-MUSCHI
Ich hätte nicht gedacht, mein Kavalier,
Daß deine Phantasie ist so brutal.
FRAUENKNECHT
Ich hab gelesen neulich in der Zeitung,
In unsrer zivilisierten Demokratie
Ein Mann begehrte, kannibalisch einen
Zu fressen, und ein andrer Mann begehrte,
Daß ihn ein Kannibale fressen möge.
Die beiden fanden sich, verstanden sich,
Der eine fraß, der andre ward gefressen.
EVA-MUSCHI
Wie kannst du so was Ekliges erzählen?
WAGNER
Ja, was ist das Problem? Der eine wollte
Den andern fressen und der andre wollte
Gefressen werden. Keinem ward da zugefügt
Ein Schade. Jeder hatte, was er wollte.
FRAUENKNECHT
Nun sag mir, dass es nicht den Teufel gibt.
EVA-MUSCHI
Mein Engel Hesekiel beschütze mich!
FRAUENKNECHT
Sankt Michael, stürz Satan in die Hölle!
EVA-MUSCHI
Erzähle lieber wieder mir von Jesus,
Wie er gepredigt auf dem Tabor-Berg.
FRAUENKNECHT
Du sollst nicht morden, heißt es im Gesetz,
Und Jesus sagt: Du sollst nicht einmal hassen!
EVA-MUSCHI
Du sollst nicht morden einen Menschen, sagt
Der weise Moses von dem Sinai,
Du sollst nicht mal ein Tier ermorden, um
Zu mach4en deinen Bauch zu einem Friedhof
Für Tierkadaver, sagt Gautama Buddha.
FRAUENKNECHT
Schön, Eva-Muschi, wie du liebst das Leben!
EVA-MUSCHI
Die Blumen und die Tiere sind mir lieber
Als Menschen, welche Menschenmörder sind.

SIEBENTE SZENE

(Wagner und sein Freund Saft.)

SAFT
Wein, Weiber und Gesang, so sprach man früher,
Heut heißt es: Sex and drugs and rock’n’roll.
WAGNER
Die diabolische Begier macht glücklich.
Zuerst das Glück, die ganze Lust der Welt,
Und dann hinab zur ewigen Verdammnis!
SAFT
Das Geld muß alles doch zuwege bringen,
So sagte schon der weise Salomo.
Das Sprichwort sagt, dass ohne Moos nichts los.
WAGNER
Wenn ich der liebe Herrgott wär, so schüf ich
Ein Bierfaß riesig wie die ganze Welt
Und schüfe dann ein Bierglas, der Pokal
Dann würde bis zum Fuß der Luna reichen.
SAFT
Wenn ich der liebe Herrgott wäre und
Gesetze gäbe auf dem Sinai,
Gastfreundschaft wär das göttliche Gesetz,
Denn bei den primitiven Völkern der
Natur gab es ein heiliges Gesetz:
Gastgeber, kommt ein Gast in deine Wohnung,
Aus Freundschaft gib ihm deine Ehefrau!
WAGNER
Ich habe Sex mit einem, den ich liebe,
Ich lieb mich selber ja, wie Gott geboten.
Ich habe Drogen, nehme Valium,
Und höre Rockmusik von Höllenglocken.
So bin ich selig schon in dieser Welt
Und lass das Himmelsparadies den Engeln
Und Spatzen, dieses Hiummelsparadies,
Wo Huris süße Sahnetorte essen.
Was fehlt mir noch zu meiner Seligkeit?
SAFT
Ich habe einen Freund, der Adelstitel
Verkauft. Willst du denn werden nicht ein Fürst?
WAGNER
Ich einen Fürstentitel nur begehre,
Ich möchte heißen: Fürst der Finsternis!
SAFT
Ich möchte Häuptling in der Südsee werden
Und alle Südsee-Insulanerinnen
Von sechzehn bis zu zweiundzwanzig Jahren
Bedienten mich als ihres Häuptlings Harem.
WAGNER
Ein Fürst, ein Adelstitel, ja, das wärs!
Am Bodensee erschienen ist Prinzessin
Diana als ein Engelsgeist und sprach:
So fleht, dass ihr nicht in die Hölle kommt!

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Adelstitelverkäufer und Banker.)

ADELSTITELVERKÄUFER
Ein Adelstitel ist für Geld zu haben.
Wenn Männer wollen in Geschäften mehr
Verdienen, kaufen sie sich also ein
Diplom und einen Namen von-und-zu.
Da braucht man keinen Seelenadel, auch
Nicht einen Stammbaum, sondern Geld, nur Geld.
Die Gauner kaufen sich ein blaues Blut
Und wollen wie dide Fürsten von Monacco
Ein reicher Fürst des Spielcasinos sein.
BANKER
Geldadel aber ist besondrer Adel.
Was hat der Adel denn vom blauen Blut,
Wenn sie verarmt sind? Reichtum ist ein Adel
Von Mammons Gnade. Heute herrscht kein Kaiser
Von Gottes und der Mutter Kirche Gnaden.
Heut herrscht das Kapital, der Währungsfond,
Die internationale Bankengruppe,
Die unsichtbare Loge an der Börse!
ADELSTITELVERKÄUFER
Doch selbst die Kinder schwärmen für den König
Und die Prinzessinnen, das ist ja ganz natürlich.
BANKER
Wirf nur einmal in eine Gruppe Kinder
Im Spiele eine Handvoll Geld, sogleich
Wird jede Harmonie zerstört und Gier
Bemächtigt sich nach diesem Glücklichmacher.
ADELSTITELVERKÄUFER
Ja, Adel ist der Schein, das Geld das Sein.
BANKER
O Dollar, du mein allerhöchster Gott,
Der auf der Pyramide Spitze thront
Als Dreieck mit dem Auge Gottes, Dollar,
Freimaurer von Amerika verehren
Dich als den Weltgeist in der Weltgemeinschaft,
Dich lieben alle! Mehr noch als die Reichen,
Ja, mehr noch als ein Millionär begehrt
Der kommunistische Prolet den Dollar.
O Dollar, du geheimer Gott der Kinder,
O Dollar, Seele du des Ablasshandels,
Die Arme Seele aus dem Fegefeuer
Erlöst der Dollar in das Paradies,
Du bist das Goldne Kalb vom Sinai,
Das uns geführt hat in das Land der Freiheit.
Drum sagt auch Jesus: Wuchert mit dem Geld,
Wer nicht gewuchert hat, kommt in die Hölle!
So du entscheidest also, Dollargott,
Wer in die Hölle kommt der nackten Armut,
Wer freigekauft wird aus dem Fegefeuer
Und wer von Gottes Gnade wird gesegnet
Mit Geld, mit Geld, mit Geld, mit Geld, mit Geld!

ZWEITE SZENE

(Harlekin und Eva-Muschi.)

HARLEKIN
Du süße Eva-Muschi, schau, die Christen
Nicht glauben an die Heiligkeit der Ehe.
Der Fünfte Evangelist, der Doktor Luther,
Der sprach: Die Ehe ist ein weltlich Ding.
Die Dame in dem Bischofsthron verlässt
Den Ehemann und lässt sich von ihm scheiden.
Ich weiß von einem Christen, der voll Hass
War gegen die Madonna mit dem Kind,
Er nahm zum Weib sich die geschiedne Frau,
Die Christin, die sich hatte scheiden lassen,
Doch in der Ehe brach er auch die Ehe
Und ging zu Huren in das Hurenhaus
Und so hat die Geschiedene und Wieder-
Vermählte sich vom zweiten Mann geschieden.
EVA-MUSCHI
Gott hat im Garten Eden eingesetzt
Die Ehe Evas mit dem Sohn der Erde.
HARLEKIN
Wie kann denn eine Frau versprechen, dass
Sie immer bleibt mit einem Mann zusammen
Bis dass der Tod sie scheidet? Muss die Frau
Nicht treu sein einzig ihrem eignen Sternbild?
Jetzt tut ihr dieser Mann wohl gut und sie
Trägt ab die Schuld vorangegangnen Lebens,
Doch wenn der Genius der Frau sie ruft
Zu höherer Entwicklung, muss sie scheiden,
Sonst wird sie ihrem wahren Selbst ja untreu.
EVA-MUSCHI
Ich lieb ja nicht allein mein wahres Selbst,
Ich liebe ja ein einzig Du für immer.
Auch Jesus bricht den Bund nicht mit der Menschheit.
HARLEKIN
Wenn deine Seele nun präexistent
Vor der Empfängnis in dem Himmel schaute
In einem Spiegel Gottes ihren Partner,
Der dir vereint als parallele Seele,
Zwei Samentropfen ihr in Gottes Hand,
Wenn dieser Seelenmann nicht Wagner war,
Vielleicht wars Peter Frauenknecht, dann sündigst
Du gegen Gott, wenn du dem Ehegatten
Dich hingibst sexuell im Ehebett.
Die Gottheit will von dir die Ganzhingabe
In sexueller Einigung mit jenem,
Der zu dir sagt in Liebe: Ich bin du
Und du bist ich und wir sind eins in Gott!
So, wenn du Peter Frauenknecht die Lust
Gewährst, die er von deinem Leib begehrt,
So bist du treu dem Sternbild deines Schicksals.
EVA-MUSCHI
O Narr, du sprichst so klug wie eine Schlange!

DRITTE SZENE

(Harlekin, Eva-Muschi, Wagner.)

EVA-MUSCHI
Mein Ehegatte, kennst du deinen Freund,
Der wie ein Hund dir treu in Hundedemut,
Und weißt du, was er deiner Gattin rät?
Er sagte: Gott gefällig wär die Sünde
Des Ehebruches, wenn den Liebesakt
Vollzöge ich mit Peter Frauenknecht.
WAGNER
Ich kenne keine Spur von Eifersucht.
Mir ist es ganz egal, mit wem du schläfst,
Denn ich begehre deinen Körper nicht.
Ja, sündige mit Peter Frauenknecht,
Das wär mir recht, wenn diese keusche Jungfrau
Aus Platons Schule in der Unzucht lebte.
HARLEKIN
Mein Herr und Meister und mein Freund und Bruder,
Ich wollte nur als Stimme der Versuchung
Versuchen deine süße Eva-Muschi,
Denn wenn ein Mann nicht seine Frau geprüft,
So weiß er nicht, was ihre Treue wert ist.
WAGNER
Ich weiß, du bist mir treu, du armes Ding,
Du liebst mich, weil ich dich so schlecht behandle.
Euch Weiber muß man mit den Füßen treten,
Dann leckt ihr noch den Absatz unsres Stiefels.
Der arme Peter Frauenknecht, der Narr,
Er macht den Fehler, Frauen anzubeten.
Weil er dich betet an als seine Göttin,
Darum verachtest du ihn auch so tief.
HARLEKIN
Schon König David sprach wie jede Frau:
Ich liebe jene, die mich herzlich hassen,
Ich hasse jene, die mich herzlich lieben!
WAGNER
Noch bin ich arm. Die Arbeit im Büro
Bringt wenig Money mir ins Portemonnaie.
Doch hat der Teufel mich erst reich gemacht
Und ich auf einem Luxusschiff bereise
Die ganze Welt, dann kauf ich mir ein Weib,
Die besser passt zu einem reichen Mann.
Frau Armut, geh du lieber mit Franziskus
Und rede mit den Spatzen und den Tauben.
Wenn ich geadelt erst vom Reichtum bin,
Die Filmschauspielerinnen reißen sich
Um mich, ich kauf mir eine von den Schönsten
Der allgemeinen Huren Hollywoods!

VIERTE SZENE

(Adelstitelverkäufer und Wagner.)

ADELSTITELVERKÄUFER
Willst du vielleicht zum Fürsten werden: Heinrich
Von Thurn und Taxis, Fürst von Gottes Gnaden?
Da kenn ich eine reizende Prinzessin,
Elisabeth von Thurn und Taxis, sie
Ist eine schöne liebliche Prinzessin.
WAGNER
Ich habe von dem schönen Weib gehört
Und hab gesehen auch ein Bild von ihr.
Doch leider hat sie auch ein Buch geschrieben
Und preist darin das Glück der Frömmigkeit.
Zwar ist sie schön wie Botticellis Venus,
Dies Topmodell der Renaissance, die litt
An Schwindsucht oder auch an Magersucht,
Vielleicht die Venus litt an Bulämie,
Doch diese Venus von Elisabeth
Nicht badet in dem Schaum des Mittelmeeres,
Sie badet lieber in geweihtem Wasser,
Sie kommt auch nicht gegangen auf der Muschel,
Sie zählt die Perlen an der Perlenschnur
Und trägt die Pilgermuschel an dem Hut,
Auch duftet sie nicht nach Parfüm erotisch,
Sie richt nach Weihrauch! Das mag Satan nicht!
ADELSTITELVERKÄUFER
Die Liebe Frau von Waldes ist leider tot,
Diana jagt nicht mehr in Englands Wäldern!
WAGNER
Ich hörte von der Stunde ihres Todes
Und hörte in dem gleichen Augenblick
Vom Heimgang dieser superfrommen Mutter
Teresa von Kalkutta und ich dachte,
Daß diese Mutter die Prinzessin sicher
An ihre Hand nahm und zu Jesus führte.
Dann hörte ich, dass die Prinzeß Diana
Erschienen sei am Bodensee wie Jungfrau
Maria – Aber denk ich an Maria,
Dann graust es die Legionen der Dämonen!
ADELSTITELVERKÄUFER
Was willst du denn für einen Adelstitel?
WAGNER
Ich säße gern im Kaiserthron von China,
Als Himmelssohn im Drachenthron von China,
Und herrschte nach des Legalismus Weise
Wie Chin Shi Huang Di und würde lachend
Verbrennen alle Bücher der Gelehrten,
Vor allem aber würde ich verbrennen
Das Evangelium der Fremden Teufel!

FÜNFTE SZENE

HARLEKIN
(allein)
Ach Satanas, du bist ein strenger Meister!
Was hast du mich gesendet zu der Erde,
Mir dieses Amt und diese Pflicht gegeben,
Die keusche Eva-Muschi zu verführen?
Ach, sie ist keuscher als des Nordens Eisberg
Und dem Versucher sie das Herz verhärtet
Wie Felsen, die nicht Moses spalten kann.
Ob andre tragen Venus’ Liebreizgürtel,
Trägt Eva-Muschi der Madonna Gürtel,
Den Keuschheitsgürtel unbefleckter Jungfrau.
Wie ich auch immer mich bemühe, Meister,
Wie ich zitiere alte Philosophen,
Die sprachen von Aspasia und Phryne,
Ob ich Catull, Ovidius zitiere
Und ihr Corinna oder Lesbia
Zum Ideal vor ihre Augen stelle,
Sie einfach will nicht ihre Ehe brechen!
(Er weint.)
Ach Satanas, Erbarmen, ach, Erbarmen,
Erbarmen mit dem Knechte in der Tiefe!
Zu schwer ist mir die Arbeit dieser Tage!
Ich sehne mich zurück in meine Hölle,
Ich sehne mich zurück zur alten Lethe
Und zu der Selbstermörder Seufzerwald
Und zu dem Feuerstrom des Phlegethon
Und zu den purpurnen Granaten Kores
Und zu dem acherusischen Schwanenteich
Und zu des Hades Pandämonium,
Zu Beelzebub und Belial und Satan
Und Luzifer und zu der Mutter Lilith!
(Er weint noch heftiger.)
Wie lange muß ich noch auf dieser Erde
Als Unterteufel dienen meinem Herrn
Und Meister? Bei dem ewigen Abraxas
Und bei der großen Göttin Ashtaroth,
Wenn ich nicht bald in meine Hölle darf,
Dann muß ich eben selber mich ermorden!
Soll ich mich duellieren mit Pistolen,
Soll ich mir schneiden auf des Pulses Adern,
Ich mit dem Auto fahren vor den Baum,
Ich stürzen mich vom Hochhaus in die Tiefe,
Verschlucken eine Röhre Schlaftabletten,
Mir spritzen Überdosis Heroin?
Du Braut des Luzifer, o Mutter Lilith,
Du bitte Satanas für deinen Sklaven,
Daß er mich eiligst heimholt in die Hölle!

SECHSTE SZENE

(Peter Frauenknecht und Eva-Muschi.)

EVA-MUSCHI
Die Männer lieben doch nur große Brüste.
FRAUENKNECHT
O, deine Brüste sind vollkommen, Freundin!
(Sie lächelt.)
Wenn dir im Frühling aus dem Kleide quellen
Die weißen Brüste, lodert meine Seele!
Gottvaters Mutterbusen will ich preisen,
Weil deine wundervollen Brüste spiegeln
Die Brüste meines Vaters in den Himmeln!
EVA-MUSCHI
Kann Gott der Vater Mutterbrüste haben?
FRAUENKNECHT
Ich las es in den Oden Salomos:
Der Vater bietet seine Mutterbrüste,
Messias ist die Milch der Mutterbrüste,
Und Ruach melkt die Mutterbrüste Gottes.
EVA-MUSCHI
Du redest wirklich wie ein kleines Kindlein.
FRAUENKNECHT
Gott gab mir eines Kindes reines Herz.
EVA-MUSCHI
Was dichtet mein Poet im Augenblick?
FRAUENKNECHT
Die Ode an die Göttin Aphrodite:

ODE AN APHRODITE

O Liebeskönigin, o Anadyomene,
Wie ich von Liebe träum und von der Liebe Lust,
Wie ich mich, Königin, nach deiner Liebe sehne,
Nach deiner vollen Brust!

Wenn ich dein Antlitz schau, o Königin der Liebe,


Wenn ich das Angesicht des Himmelsmädchens schau,
So glaube ich zutiefst aus tiefstem Lebenstriebe,
Daß Gott ist eine Frau!

O Königin der Lust und höchster Wollust Wonne,


Du Göttin, die nichts trägt als Mutter Evas Kleid,
Um ihren weißen Leib nichts als das Licht der Sonne,
Du meine Ewigkeit,

Gottmädchen wunderschön, du Königin der Lüste,


Die Ewigkeit erscheint in Einem Augenblick!
O bette mich im Tal der Paradiesesbrüste
Und schenk mir Liebesglück!

SIEBENTE SZENE

(Wagner und Frauenknecht.)

WAGNER
Du armer Narr, du Christ mit Schafsgesicht,
Was willst du denn von meinem Eheweibe?
Schau, alles, was sie wieder will errichten,
Das ist das Matriarchat der alten Steinzeit.
Da will sie herrschen als die Große Mutter,
Die Große Mutter mit den breiten Brüsten,
Die Große Mutter mit dem breiten Becken.
Die Arier jedoch, die Herrenrasse,
Die Arier, die blonden Übermenschen,
Die vergewaltigten die Große Mutter
Und kreuzigten den Sohn der Großen Mutter.
FRAUENKNECHT
Die Arier sind mir zutiefst verhasst!
Ich weiß auch nichts von Nietzsches Übermenschen.
Allein, man kann von Narren auch was lernen,
Denn wenn ich Eva-Muschi seh, die Frau,
So scheint sie mir ein Überweib zu sein!
WAGNER
Wenn deine Herrin, deine Domina
Dir zürnt und deine Leidenschaft bestraft,
Sei guten Mutes und sei unbetrübt,
Das sind ja nichts als Launen eines Weibes,
Die sublunaren Launen eines Weibes,
Beherrscht nur von der Regel ihres Blutes,
Beherrscht vom Mond und allen seinen Launen,
Ein launenhaftes Wesen wie das Wetter,
Auf Regen aber folgt der Sonnenschein.
Laß dich beherrschen nicht von einem Weib,
Denn in der Bibel sagte Salomo:
Gehst du zum Weib, vergiß die Peitsche nicht!
FRAUENKNECHT
Das steht wohl in des Antichristen Bibel.
Doch meine Domina ist Richterin,
Wenn sie mir lächelt voller Liebreiz zu,
So lebe ich im Paradiesesgarten,
Wenn sie mir unerbittlich zürnt mit Strenge,
Verdammt sie mich ins höllische Verließ,
Und wenn ich einmal ihren Liebreiz schaute
Und mich vor schmachtender Begier verzehre
Und sie noch Einmal wieder schauen will,
Das ist ein Fegefeuer schon auf Erden.
WAGNER
Du glaubst wohl immer noch wie kleine Kinder,
Die schöne Dame sei der liebe Gott?
Nur weil das Weibchen keiner haben wollte,
Drum hab ich sie mir in mein Haus geholt,
Daß sie mir putzt mein Haus als eine Hausfrau.
Der Teufel in der Not frisst eben Fliegen.
Doch wenn ich Lotto-Millionär geworden,
Dann kauf ich mir die Miß Amerika.

ACHTE SZENE

(Adelstitelverkäufer, Banker, Wagner, Harlekin.)


ADELSTITELVERKÄUFER
Mein Wagner, wirst du Fürst der Finsternis,
Muß ebenbürtig deine Fürstin sein.
WAGNER
Auch Luzifer, der Gott des Morgensterns,
Hat seine Lilith, seine Sie-Dämonin.
BANKER
Wenn du das volle Portemonnaie erst zückst
Aus eines Mannes Macht, der Hosentasche,
Und zeigst du das Geschlechtsteil deines Geldes
Und fächelst mit dem Fächer deiner Scheine
Und prahlst mit der Potenz des Goldnen Stieres,
Dann brauchst du auch die Königin des Goldes,
Des Reichen Ehegattin, Göttin Luxus!
WAGNER
O Luxus, Luxus, Sünde du zum Tode,
Du Wollust an dem materiellen Stoff,
Genuss an Körpern, Reichtum und an Macht,
Dich bet ich an, du goldgeschmückte Göttin,
O Luxus-Kaiserin, du Hure Babel!
HARLEKIN
In der Commedia dell’Arte aber
Ist Eva-Muschi Colombine gleich,
Ist Colombine oder Cindarella,
Ist Cindarella oder Povarella,
Intimvertrauter aller Turteltauben.
WAGNER
Kann man aus Eva-Muschi noch was machen?
BANKER
Ich kenne eine Dame, die ist reich,
Ist angesehen in der ganzen Welt,
Geliebt von allen und gelobt von allen,
Die schmückt sich gern mit teurem goldnem Schmuck,
Sie hat den ganzen Globus schon bereist
Und weiß, wie Damen sich benehmen müssen,
Die Damen an der Seite reicher Männer.
WAGNER
Kann diese reiche Dame denn nicht kommen
Und meine arme Eva-Muschi lehren,
Wie man sich zu benehmen hat als Dame?
BANKER
Nein, kommen wird die feine Dame nicht,
Betreten wird sie nicht ein solches Haus!
Doch schicke Eva-Muschi zu der Dame.
Wenn sie sich unterwirft in Hundedemut,
Wird sie die Dame unterweisen in
Dem Glück der Eitelkeit der Eitelkeiten.
WAGNER
Wie ist der Name jener feinen Dame?
BANKER
Pandora ist ihr Name, Allgeschenk.
DRITTER AKT

ERSTE SZENE

(Ein weltberühmter Justizrat und sein Adoptivsohn Platon.)

JUSTIZRAT
Du musst ein hartes Herze haben, Junge,
Die ganze Welt ist voll von Schweinehunden!
Du glaube nur, dass du der Sieger bist,
Der Glückliche, der Held, der Triumphator!
Zeig allen Leuten deinen Stinkefinger
Und sage: Ich allein und keiner sonst!
PLATON
Ach wie so süß ists mir im Herzen doch,
Ich möcht die ganze Erdenwelt umarmen,
Berühren zärtlich die Natur, die Mutter,
Die schön ist wie die Maienkönigin,
Von der mir meine Amme vorgesungen.
JUSTIZRAT
Altweibermärchen, Fabeln alter Weiber!
Vergiß der alten Amme Frömmigkeit!
Nur alte Weiber drehen Rosenkränze.
PLATON
Und lieb ich doch die Mama in dem Himmel!
JUSTIZRAT
Der Himmel ist ein Wolkenkuckucksheim!
Auf Erden musst du stehen deinen Mann!
Hier tobt der Krieg, hier kämpfe deinen Kampf,
Steh du mit beiden Beinen auf der Erde!
PLATON
Der Himmel ist doch voller Süßigkeiten.
JUSTIZRAT
Ich kauf dir alles, was du haben willst,
Ich kauf es dir mit harterworbnem Geld.
Ich habe Satanaisten, Kommunisten,
Faschisten, Nationale Sozialisten,
Ich habe Maoisten, Terroristen
Und Vergewaltiger und Kinderschänder
Erlöst von der gerechten Strafe, frei
Sprach ich vor dem Gerichte Adolf Hitler
Und gab ihm einen Ehrenplatz bei Mutter
Teresa von Kalkutta in dem Himmel.
Und so bin ich ein reicher Mann geworden
Und scheiße auf die armen Vagabunden!
PLATON
Je heller mir der süße Himmel wird,
Um desto dunkler wird die bittre Erde.
JUSTIZRAT
Du bist ein Kind, bist noch ein rechtes Kindlein,
Glaubst an die Märchen von dem lieben Gott.
Lern erst die Weisheit dieser Welt begreifen,
Dann wirst du zynisch dich nur selber lieben.
Du glaub an dich, wie ich an mich nur glaube,
Denn ich bin klüger als der liebe Gott,
Gott nämlich betet Meinen Namen an!

ZWEITE SZENE

(Die Nonne namens Herr Toto, Platon.)

HERR TOTO
Mein kleiner wundersüßer Knabe Platon,
Ich weiß, in deiner Kindheit süßen Jahren
Hat dir die liebevolle Kinderamme
Den Glauben an die Liebe eingegossen
Durch Zärtlichkeit der süßen Mutterliebe
Und hat dich aufgezogen an den Brüsten
Der Muttergottes und genährt mit Milch
Der Muttergottes und geküsst mit Lippen
Der Muttergottes und gehegt im Arm
Der Muttergottes das geliebte Kindlein.
Da liebtest du das süße Jesuskindlein
Und mit dem Jesuskindlein und den Engeln
Du spieltest Fußball mit dem Sonnenball.
PLATON
Das Liebe Gottchen war so lieb zu mir!
HERR TOTO
Nun hast du schon in deiner frühen Kindheit
Erfahren einen Schmerz in deinem Herzen
Und deine Kinderamme ist gestorben,
Du wurdest eine mutterlose Waise.
Zwar hat der Advokat dich adoptiert,
Doch jetzt wirst du erzogen in dem Geist
Der Welt, des Reichtums, Ruhm und Macht
Und diese irdische Kultur des Todes
Tritt mit Versuchungen an deine Seele,
Sie lehren dich die Kunst der Hexerei,
Den Irrtum des Islam, die Schlemmerei
Und die Vergötzung der Vergänglichkeit.
Und eines Tages wird in dir erwachen
Die Sexualität mit allen Trieben
Und du wirst leben dann in einer Welt
Des Hedonismus und der Hurerei.
PLATON
Ach, werd ich glücklich werden, Schwester Toto?
HERR TOTO
Im Innern deines reinen Kinderherzens,
Im siebenten Gemach der Seelenburg
Lebt immer noch die süße Liebe Gottes,
Die süße Liebe, süß wie Muttermilch.
Und alle Heiligen und alle Engel
Und die geliebte Amme in dem Himmel
Fürbittend segnen deine gute Seele
Und flehen Gottes Geist auf dich herab.
PLATON
Ich glaube, ich vergesse noch, wie Jesus
Und Gott gewesen sind in meiner Kindheit.
HERR TOTO
Gott geht dir immer als ein Licht voran,
Ein Schimmer Gottes leuchtet dir voran
Und führt dich durch die Pilgerschaft der Erde
Bis zu der Bucht des Wonnen-Überflusses!

DRITTE SZENE

(Adelstitelverkäufer, Banker, Wagner, Harlekin, Eva-Muschi.)

ADELSTITELVERKÄUFER
Wie ist der Preis der Kuhmilch auf dem Weltmarkt?
BANKER
Die Bauern auf dem deutschen Land im Norden
Für Hungerlöhne produzieren Milch.
Was sie für einen Liter Milch bekommen,
Das reicht nicht aus, die Kühe zu ernähren.
Den Bauern bleibt nur noch, sich aufzuhängen!
WAGNER
Die Idioten, die sich selber morden!
Da kann man lachen nur und höhnisch spotten!
Doch wenn ein Mann am Abgrund steht und will
Hinunterstürzen, soll man ihn noch stoßen!
BANKER
Die deutsche Kuhmilch aber ist so billig
Und wird geliefert aus nach Hindostan,
Die armen Bauern auf dem Hindu-Land
Verkaufen ihre Milch nicht mehr, denn sie
Vermögen nicht, so billig zu verkaufen
Die Milch der Hindu-Kühe wie die Milch
Der deutschen Kuh im Land der Heiligen Kuh.
WAGNER
Was gehn mich Indiens arme Bauern an?
Was gehn mich an die Kinder Afrikas?
Ob eine Sündflut überspült die Erde,
Was solls, hab ich mein Schäfchen nur im Trocknen.
EVA-MUSCHI
Ihr Männer im Gespräch der Politik,
Gleich sprecht ihr über Fußball, dann bestimmt
Von den Computern. Ach ich wollt zu gern
Zu meiner Busenfreundin Anne Focken!
HARLEKIN
Ja, Anne Focken oder: Fotzen ficken!
EVA-MUSCHI
So redet einer in Sankt Pauli nur!
Nein, meine vielgeliebte Busenfreundin
Versteht mich besser, als ein Mann je könnte.
Ihr Männer denkt, wir Frauen hätten nur
Die Weiblichkeit des Körpers, doch wir Frauen
Verstehen auch die Weiblichkeit der Seele.
Wenn eure Männerseelen sich ergeben
Den toten Dingen wie Computern oder
Der Politik des Staates, reden Frauen
Vom Leben, von dem Garten, von den Hunden,
Von Männern auch, vor allem von den Kindern,
Denn feminine Seelen lieben nur
Das Leben, wie auch schon mein Name sagt,
Denn Eva, das heißt: Mutter allen Lebens.

VIERTE SZENE

DIE DAME PANDORA


Nun schaue mich die ganze Erde an,
Denn dieser Körper ist begehrenswert!
Mein femininer Leib ist schlank gebaut
Und meine süßen Brüste wohlgeformt,
Mein Angesicht ist reinlich und harmonisch.
Da meine körperliche Schönheit groß ist,
Wozu bedarf es da der Kleidung Hülle?
Doch das ist ein Geheimnis meiner Mode,
Daß meine Kleider nicht allein verhüllen,
In Wahrheit offenbaren sie den Körper.
Denn das ist die Erotik in der Mode,
Daß die Verhüllung noch erhöht die Nacktheit,
Daß alle Reize werden noch verstärkt,
Daß alle Wünsche werden mehr entflammt.
Denn dazu ist mein rotes Kleidchen gut,
Daß jeder will es mir vom Leibe reißen.
Allein so billig bin ich nicht zu haben,
Denn leben muß ich von des Körpers Reizen.
Jetzt bin ich schön und wohlgeformt mein Leib,
Jetzt muß ich suchen mir den rechten Mann,
Der mich versorgen kann auf Lebenszeit.
Wenn ich mich aber allzu willig gebe
Im ersten Augenblick dem Manne hin,
Erscheine ich dem reichen Manne billig
Und nicht als seine Teure, sondern wertlos.
Doch spar ich meine höchsten Reize auf
Und bleibe doch verheißungsvoll erotisch
Und ein Versprechen höchster Liebeswonne,
So wird er mich erobern wollen mit
Der Waffe eines Mannes, seinem Geld.
Er wird mir schöne Kleider kaufen, um
Sein Lustobjekt sich selber zu verschönern,
Und wird mir kaufen Schmuck und Diamanten
Und mich behängen wie ein Goldnes Kalb
Als das Idol der männlichen Begierde.
Wenn ich dann ausgeschöpft die Männlichkeit
Des Geldes und die männliche Potenz
Des Goldes, schenk ich selber mich zum Lohn
Im rechten Augenblick, im rechten Kairos,
Da auf der höchsten Spitze sein Begehren
Und in der höchsten Blüte meine Schönheit.
Dann nehm ich mir den Reichen zum Gemahl.
Denn von der Stunde an des Höhepunktes
Der Schönheit und des femininen Reizes,
Beginnt mein Liebreiz zu verwelken, ach,
Ein Weibchen ohne Reiz ist völlig wertlos
Und keiner zahlt für alte welke Weiber.

FÜNFTE SZENE

(Eva-Muschi, Anne Focken, Harlekin.)

EVA-MUSCHI
Mein Peter Frauenknecht bedrängt mich sehr
Mit seiner Minne, seinem Platonismus.
Er möchte, dass ich denke einzig seine
Gedanken, seinen Glauben übernehme
Und dass ich geistig mich entfremde so
Dem Ehemann, dem Treue ich versprach.
Mein Peter Frauenknecht behauptet zwar,
Er wolle geistig nur betrachten Schönheit
Und meine Schönheit sei ein Spiegel ihm
Der Schönheit Gottes, aber dennoch weiß ich
Und spüre, dass er scharf auf meinen Leib ist!
ANNE FOCKEN
Ich weiß, ich weiß, du bist sein Sexidol!
EVA-MUSCHI
Das sind doch nichts als körperliche Triebe,
Geistseelen aber lieben übersinnlich.
ANNE FOCKEN
Sei nicht zu streng mit deinem Frauenknecht,
Der stets bereit ist, dir zu dienen, der
So viel dir schon geholfen und so oft
Sich für dich aufgeopfert hat durch Taten.
Den treuen Diener halte du dir warm!
Du wärest ganz schön dumm, geliebte Freundin,
Verscheuchtest du den Dienenden durch Strenge.
Wie glücklich wär ich, hätt ich selber solchen
Verehrer, der sich selbst zum Sklaven macht!
HARLEKIN
Maitresse, mon amour! Ton serviteur !
ANNE FOCKEN
Ich muß dich erst noch das Französisch lehren.
HARLEKIN
Jeune fille, mon amour et ma désire !
ANNE FOCKEN
Ah, que tu veut, mon Prince Carneval ?
HARLEKIN
Ah, voulez-vous couchez avec moi ?
ANNE
Vénus, ta grace est extraordinaire,
O très bizarre ta grace, déesse Vénus !

SECHSTE SZENE

(Harlekin nachts allein.)

HARLEKIN
O Satan, du bist ja der Lüge Vater,
O Satan, du bist ja der Menschenmörder,
Ich bin ganz dein, ich bin ein Kind des Teufels!
Nun ist es aber doch zu viel für mich,
Was du von mir verlangst, du Menschenmörder.
Es geht ja grade noch, dass ich die Seele
Von Bruder Wagner in die Hölle reiße,
Das wird mir von ihm selber leicht gemacht,
Weil er den freien Willen aufgegeben
Und Satan reiten lässt auf seinem Rücken,
Wie Doktor Martin Luther einst gelehrt.
Doch, Menschenmörder, Lügenvater, Satan,
Dies eine ist zu schwer für deinen Sohn,
Die keusche Eva-Muschi zu verführen!
Grad heute bin ich wieder so gescheitert,
Da sie geklagt hat über Meister Eckhard
Und Peter Frauenknecht sie tröstete.
Sie schlief im Bett, da saß er nebenan,
Sie badete in ihrer Badewanne,
Er wartete ganz keusch vorm Hause draußen,
Dann lud er die geliebte Herrin ein
Mit ihm in einem Restaurant zu essen
Die Fastenspeise Buddhas vegetarisch,
Da sprach die keusche Eva-Muschi aber:
Ich kann mit dir nicht essen gehen, Freund,
Das wäre meinem Ehemann nicht recht.-
O Satanas, verdamm mich in die Hölle,
Entreiße mich der Eitelkeit der Erde
Und reiße mich hinab zu jenen Orten
Des höllischen Infernos, wo versammelt
Die Philosophen sind des Hedonismus
Und alle diese epikuräischen Schweine,
Da will ich dann die Hedone genießen,
Da soll mit seinem Gliede Luzifer
Mir homosexuelle Lust bereiten!
Verdammte Frömmigkeit auf dieser Erde!
Wie kriege ich ein Magendrücken, wenn
Ich Peter Frauenknecht verkünden höre:
Auf Erden Schmerzen, Schmerzen, nichts als Schmerzen,
Im Paradiese dann Glückseligkeit!

VIERTER AKT

ERSTE SZENE

(Anne Focken und ihr Vetter.)

ANNE FOCKEN
Was heißt mein Name Anne, lieber Vetter?
VETTER
Dein Name Anne heißt im Norden Nanna
Und Nanna, dieser Name heißt: Die Mutter.
In Susa oder Ekbatana aber
Dein Name Anne heißt auch Anahita,
Und Anahita ist der Morgenstern
Und ist zugleich der Himmelsozean
Und ist die Große Mutter allen Lebens.
Die Bibel nennt sie: Göttliche Nanäa!
Die Mutter aber heißt auf persisch Mitra,
Die Mutter aber heißt auf persisch Mayr.
Und so erkennen wir die Mutter Anna,
Sankt Anna, die geboren Sankt Maria,
Maria, Meeresstern und Morgenstern,
Und Anna, Gnade oder Charis Gottes.
ANNE FOCKEN
Ich heiße also Gnade oder Mutter?
VETTER
Ja, Gnade heißt auch Liebreiz, Charme und Anmut,
Entzücken, Schönheit, Freundlichkeit und Dank,
So ist die Gottheit auch, die Große Mutter.
ANNE FOCKEN
Die Gottheit nennst du eine Große Mutter?
Ist denn Maria Gott? Ist Gott nicht Vater?
VETTER
Der Troubadour der Lieben Frau, Sankt Bernhard,
Sprach: Gott der Herr ist wahrhaft Magna Mater!
ANNE FOCKEN
Doch wenn ich Bruder Wagner lästern höre,
So klagt er immer von dem Matriarchat.
Er hasst die Frauen und er hasst die Mütter,
Er hasst den Mutterschoß, die Leibesfrucht,
Er hasst das Leben und er hasst die Liebe
Und also hasst er folgerichtig Gott!
VETTER
Es ist in unsrer Zeit ein Kampf auf Erden,
Da kämpft die Liebe mit der Anti-Liebe.
ANNE FOCKEN
Wo siehst du diesen Kampf auf Erden denn?
VETTER
Des Weibes Mutterschaft wird angefeindet,
Des Weibes Mutterschoß wird angefeindet,
Der Liebe Fruchtbarkeit wird angefeindet,
Des Lebens Heiligkeit wird angefeindet.
ANNE FOCKEN
Wie glücklich machen Kinder doch die Mütter!
VETTER
Ich danke dir, o Weib, dass du ein Weib bist!

ZWEITE SZENE

(Anne Focken und ihr Vetter.)

VETTER
Ich hab die ganze Nacht nicht schlafen können,
Ich lag in einem halben Wachzustand
Und sah dich nackt wie Göttin Aphrodite
Auftauchen aus dem Meer mit vollen Brüsten.
ANNE FOCKEN
Ich hab geträumt von meiner Busenfreundin,
Von meiner vielgeliebten Eva-Muschi,
Wir wollten tanzen wie die Inderinnen.
VETTER
Was ist das für ein Tanz, den gern ihr tanzt?
ANNE FOCKEN
Le danse de ventre, mon ami cousin.
VETTER
Ich möcht dich gerne sehn als Odaliske.
ANNE FOCKEN
Genug der Träume! Hier ist Leben auch!
Die Wirklichkeit ist zwar gemein und dumm,
Verletzend, hässlich ist die Wirklichkeit,
Doch nur die Wirklichkeit ist Wirklichkeit.
VETTER
Nun also mit den Füßen auf der Erde?
ANNE FOCKEN
Ich möchte nämlich ein Geschäft eröffnen.
VETTER
Was willst du denn verkaufen, womit handeln?
ANNE FOCKEN
Ich hörte eines stillen Winterabends,
Wie Eva-Muschi leise klagte, dass
Ihr Mann sie nachts nicht mehr im Bett besuche,
Und Peter Frauenknecht zu ihrem Trost
Versprach ihr einen tröstenden Vibrator.
VETTER
Ein Ding zur Selbstbefriedigung von Frauen?
ANNE FOCKEN
Ich las nun aber in dem Kamasutra
Die wissenschaftliche Beschreibung solcher
Künstlicher Mannesglieder, die von Holz,
Von Stein und hartem Gummi, dick und dünn
Und lang und kurz und breit und schmal, was immer
Zur Vulva eines Weibes passt, denn diese
Ist bei der einen eine Hasen-Vulva,
Ist bei der andern eine Stuten-Vulva,
Die Elefanten-Vulva ist das dritte.
Für jede Vulva gibt es einen Phallus,
Und wird ein Weib von keinem Mann geliebt,
So biet ich einen Phallus ihr von Gummi,
Von Holz und Stein den kleinen Gott und Herrn.

DRITTE SZENE

(Dame Pandora und Anne Focken.)

ANNE FOCKEN
In dem Regal hier stehen meine Bücher,
Als erstes hier die Kunst des Tantra-Sex,
Daneben dann die Kunst des Tao-Sex
Und dann die Memoiren Casanovas.
PANDORA
Zu meiner Zeit war Liebe sittlich noch,
Doch heute praktiziert man freie Liebe.
ANNE FOCKEN
Im alten Indien gabs die Liebesgöttin,
Der religiöse Mann ging ins Bordell
Und schmückte die Begehrte und Geliebte
Mit allen Hoheitszeichen seiner Göttin
Und schlief dann mit der Prostituierten, aber
In Wahrheit schlief er mit der Liebesgöttin.
Ach, leider ging die Religion zugrunde,
Ich wäre gerne Tempelprostituierte.
PANDORA
Die Liebesgöttin lebt auch heute noch!
Ich sah die Venus von Amerika,
Man nennt sie Miß Amerika, sie ist
Das Ideal der Filmschauspielerinnen,
Der Sängerinnen und der Tänzerinnen.
Die Künstlerinnen sind die Prostituierten
Der Göttin Venus von Amerika.
Sie spielen hocherotisch ihre Rollen
Und stöhnen ihre brünstigen Gesänge
Zum Kopulationsgeräusch der Trommeln, stöhnen
Und tanzen auf der Bühne kopulierend
Und tragen nur ein Hauchkleid oder gar
Hautfarbene Bikinis auf der Bühne
Und tanzen dann lasziv mit Riesenschlangen.
Wer aber mehr will von den Prostituierten,
Der schaut mit dem Computer-Auge ins
Weltweite Netz, denn das ist ein Bordell,
Da zeigen sich die Tempelprostituierten
Der Göttin von Amerika
Bis auf die Lippen ihrer Scheide nackt!
ANNE FOCKEN
Es gab doch auch im alten Griechenland
Hetären, weltberühmte Prostituierte,
Glykere, Thais, Lais, Phryne und
Aspasia und wie sie alle hießen.
PANDORA
Heut heißen diese Tempelprostituierten
Der Göttin Venus von Amerika
Rhianna, Britney, Jennifer, Christina,
Ja, Angelina preist man gar als Venus.
Sie prostituieren sich in Venus’ Namen
Und machen diese Erde zum Bordell,
Die Welt zu einem Hurenhaus der Venus.

VIERTE SZENE

(Pandora, Eva-Muschi, Anne Focken, Harlekin.)

PANDORA
Ihr lieben Frauen, meine beiden Töchter,
So achtet drauf, dass ihr genügend schlaft!
Entspannt euch oft in einer Badewanne
Und wählt das Badeöl der Harmonie
Und wählt das Badeöl der Vitalität
Und wählt das Fichtenöl für euer Bad.
Nehmt nur Kosmetika, die nicht gemacht
Nach Tierversuchen sind, denn das ist grausam.
Diäten sollen eures Körpers Form
Begehrenswert erhalten, ganz besonders
Im Sommer braucht ihr die Bikini-Form.
In der Ernährung meidet Fleisch und Fisch
Und achtet auf die Basen und die Säuren.
Trinkt keinen Alkohol, trinkt grünen Tee
Und euren Geist pflegt durch die Meditation,
Durch Yoga, Autogenes Training und
Qi Gong, die Atemtechniken des Ostens.
EVA-MUSCHI
Das alles halten wir sehr pünktlich ein,
Was fehlt uns noch zu einem guten Leben?
PANDORA
Ganz unersetzlich ist ein guter Hausfreund.
ANNE FOCKEN
He, Harlekin, du kannst bestimmt erklären,
Wie man als Frau sich einen Hausfreund hält.
EVA-MUSCHI
Das interessiert mich auch. Erklär mir Liebe!
HARLEKIN
Die Frauenzimmer wollen jetzt studieren?
Bin ich an einer Universität
Von lauter melischen Nymphen und Najaden
Und bin ich Doktor dort der Theologie
Und habe um mich einen Mädchenharem
Von Mädchen, welche ewig jung und reizend?
Mit sechzehn Jahren kommen sie zum Harem,
Mit zweiundzwanzig Jahren scheiden sie,
Dann kommen neue sechzehnjährige Mädchen!
Hier soll ich also Katechese halten
Und lehren aus dem Minnekatechismus?
Ja, unter Nummer Siebentausenddreizehn
Der Minnekatechismus, ich zitiere,
Spricht von der Unabdingbarkeit des Freundes.
Und unter Nummer Siebentausendsiebzig
Der Minnekatechismus weiter sagt:
Verschämter Minne Morgenstern ist nichts
Verglichen mit dem Sonnenlicht der Ehe.
Was sag ich da? O Satan! Katechismus!
Befrei mich aus der Universität
Gelehrter Frauenzimmer, Satanas,
Ein Blaustrumpf ist noch schlimmer als die Hölle!

FÜNFTE SZENE

(Justizrat, Knabe Platon, Wagner.)

JUSTIZRAT
Die Menschen alle sind doch Schweinehunde,
Nur du gefällst mir, guter Bruder Wagner!
WAGNER
Was willst du machen mit dem kleinen Platon?
JUSTIZRAT
Du hättest sehen sollen meine Frau,
Steril und ohne Uterus im Schoß,
Ergab sie sich dem schäumendem Champagner
Und vom Champagner ging zum Kokain
Sie über und im Kokainrausch schrie sie:
Ich will ein Kind, ich will ein Baby haben!
Da hab ich ihr den Platon adoptiert.
WAGNER
Nun mach ihn auch zum Bild nach deinem Bilde.
JUSTIZRAT
Er soll es sehen, wie die Reichen leben,
Denn eins ist klar: Es ist kein Gott im Himmel!
Schau dir die Augen eines Toten an,
Da starrt dich an das blanke kalte Nichts.
So wenn es nach dem Tode nur das Nichts gibt,
So bleibt auf Erden nichts als zu genießen.
Denn wenn es keinen Gott im Himmel gibt,
Die höchste Weisheit ist der Hedonismus.
WAGNER
Warum leckt sich der Rüde seine Hoden?
Er tut es, weil nur er es eben kann!
PLATON
Wie schön wars droben doch im Sonnenflugzeug,
Ich hatte Angst zwar bei dem Aufstieg, aber
Da hab ich mir die Augen zugehalten.
Doch als ich in dem Segelflugzeug schwebte
Und unten sah die Kühe auf den Wiesen,
Da mit den schwarzen und den weißen Flecken
Die Kühe sahen aus wie Pinguine.
JUSTIZRAT
So nenn mir alles, was du haben willst,
Ich kauf dir alles, was du haben willst,
Die Krieger aus dem Weltall kauf ich dir,
Dir das Imperium des Todessternes!
PLATON
Es gibt ein Wort, das sagt der Liebe Gott,
Das Wort ist schärfer als ein Laserschwert!

SECHSTE SZENE

(Peter Frauenknecht und Eva-Muschi.)

FRAUENKNECHT
Die dreiundsiebzig Bücher in dem Buche
Lobpreisen alle deine Schönheit, Freundin,
Doch mehr als deine Schönheit noch lobpreise
Ich deine Gutheit, Freundin, deine Güte.
EVA-MUSCHI
Ich bin in jenem Alter einer Frau,
Da siegt die Frau nicht mehr durch ihre Reize,
Da siegt sie durch des Geistes Qualitäten.
FRAUENKNECHT
Wie flüchtig ist der Jugendliebreiz doch,
Dem Nichts gleich ist die körperliche Schönheit.
Jedoch der Herrin feminine Seele,
Die Gott in ihrem Inneren bewahrt,
Ist rühmenswerter als die Engel Gottes.
EVA-MUSCHI
In meiner Seele ist ein Gottesfünklein,
Mehr weiß ich nicht vom weisen Meister Eckard.
FRAUENKNECHT
Im innersten Gemach der Seelenburg
In deiner Seele Gott gleicht dem Kristall.
Das weiß ich von Teresia von Jesus.
EVA-MUSCHI
Die spirituelle Freundschaft ist mir lieber
Als die begierdevolle Leidenschaft.
FRAUENKNECHT
Die Leidenschaft schafft Leiden, wie das Wort sagt,
Die Freundschaft aber im Geheimnis Gottes
Geheimnisvoll macht fühlbar Gottes Freundschaft.
EVA-MUSCHI
Der ordinäre Pöbel auf der Straße
Sagt: Zwischen Mann und Frau ist eine Freundschaft
Unmöglich, nur so lange ist der Mann
Ein Freund der Frau, bis er sie endlich
Ins Bett gelockt und sie beschlafen hat.
FRAUENKNECHT
Franziskus aber war ein Freund von Klara,
Johannes war befreundet mit Teresa,
Johannes Paul der Große mit der Mutter
Teresa von Kalkutta war befreundet.
EVA-MUSCHI
Was man nicht heute alles Freundschaft nennt!
Oft sind die Freundinnen nur Konkubinen.
FRAUENKNECHT
In deiner Freundschaft in den keuschen Grenzen
Begegnet mir die Weisheit, meine Freundin,
Frau Weisheit nämlich ist die wahre Freundin.

SIEBENTE SZENE

(Wagner, Justizrat, Frauenknecht.)

FRAUENKNECHT
Du, Bruder Wagner, hast das Recht dazu,
Die Eva-Muschi deine Frau zu nennen,
Bis dass euch scheiden wird der Heiland Tod.
Doch dann von Ewigkeit zu Ewigkeit
Leb ich vereint mit meinem Ideal.
WAGNER
So willst du also, keusche Jungfrau Peter,
Auf Erden respektieren das Gesetz,
Im Himmel mich zu einem Hahnrei machen?
FRAUENKNECHT
Was hat mit Belial gemeinsam Christus,
Mit Satanas die Hagia Sophia?
Die Prädestination, ein Wunderding,
Wie Goethe sagt. Wenn ich dich sehe, Wagner,
Dann glaub ich an die Weisheit Jesu Sirachs,
Die bösen Frevler sind von Gott geschaffen
Zur ewigen Verdammnis in der Hölle.
WAGNER
Das schreckt mich nicht, denn dahin will ich gern.
FRAUENKNECHT
Doch Eva-Muschi ist ein Himmelreich
Auf Erden, Eva-Muschi ist Malkuth,
Sie ist die Schechinah, die Wohnung Gottes.
Wenn ich mit ihr zu Tische sitze in
Dem Himmelreich der Freundschaft unter Geistern,
Dann ist das schon ein Vorgeschmack des Himmels,
Da ich mit Jesus und Maria liege
Zu Tische in dem Paradiese Gottes.
WAGNER
Ich aber hab das Geld, das Brot zu kaufen,
Ich kauf die Speise und du frisst sie auf,
Ich arbeite im Schweiß des Angesichts
Und du verehrst die Göttin süßer Muße.
FRAUENKNECHT
Gott gibt es seinen Lieblingen im Schlaf.
JUSTIZRAT
Ja, bete nur den Gott der Faulheit an,
Der Sternentaler niederregnen lässt.
Ich geh zur Arbeit ins Büro, der Mensch
Lebt nicht allein vom Wort des Mundes Gottes,
Der Mensch lebt auch vom Brot. Der Dichter sagt,
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral,
Es macht uns göttliches Geschwätz nicht satt!
FRAUENKNECHT
Die Speise kennt ihr nicht, die mich ernährt,
Denn ich ernähre mich allein von Liebe.
JUSTIZRAT
(macht mit der Hand die Geste der „Feige“)
Du lebst davon, dass du die Frauen fickst
Und sie dich laden ein zum Mittagessen?

FÜNFTER AKT

ERSTE SZENE

(Adelstitelverkäufer und sein Freund Keno von und zu Finkenburg.)

ADELSTITELVERKÄUFER
Ich kenne keinen, der so keusch wie du.
FINKENBURG
Wer nicht die Frau küsst, küsst den roten Wein.
ADELSTITELVERKÄUFER
Wie aber lebst du die Gewalt der Triebe?
FINKENBURG
Ich habe eine Sammlung Venusbilder,
Die Statuen der Alten der Antike,
Die Knidia und Unsre Frau von Milo,
Apelles’ Venus Anadyomene,
Ich hab die Venus Felix und die Venus
Von Belvedere, jene von Colonna,
Ich hab die Venus von Urbino und
Die Schlafende von Giorgione und
Velasquez’ Venus mit dem schönen Rücken,
Watteaus Cythere mit dem schönen Popo,
Die Venus Medici, von Raffael
Die Galathea und die Grazien.
ADELSTITELVERKÄUFER
O Fleischeslust, o Augenlust, o Wollust!
FINKENBURG
Und bin ich dann um Mitternacht betrunken,
Dann lese ich die Anthologie der Griechen
Und Sapphos Oden an die Lesben-Frauen,
Catullus Oden an die Lesbia,
Ovidus Elegieen für Corinna,
Properz, Tibull, Horaz und nicht Vergil,
Doch Martial sehr viel und Juvenal.
ADELSTITELVERKÄUFER
So sublimierst du deinen Eros-Trieb?
FINKENBURG
Wenn mich nicht grad beherrscht Herr Thanatos,
Beherrscht mich allezeit Frau Libido.
ADELSTITELVERKÄUFER
Und träumst du auch von Lady Libido?
FINKENBURG
In Vasen, Kelchen, Brunnen, Becken, ja,
Ich träume jede Nacht vom breiten Becken.
ADELSTITELVERKÄUFER
Gibt es denn keine Frau in deinem Leben?
FINKENBURG
Doch, manchmal komme ich zum Mittagessen
Zu meiner Nachbarin, zu Eva-Muschi.
ADELSTITELVERKÄUFER
Ich frage mich, was heißt der Name Muschi?
FINKENBURG
Sohn Israels war Levi, Levis Sohn
Merari, und Merari zeugte Muschi.

ZWEITE SZENE

(Harlekin und Keno von und zu Finkenburg.)

HARLEKIN
Mein lieber Keno Graf von Finkenburg,
Schau, was ich hier für dich gefunden habe.
FINKENBURG
Was hast du in der Tasche da für mich?
HARLEKIN
Von Eva-Muschi einen schwarzen Slip,
Von Eva-Muschi einen roten Slip,
Von Eva-Muschi einen weißen Slip
Und einen ihrer weißen Büstenhalter
Und einen ihrer roten Büstenhalter
Und einen ihrer schwarzen Büstenhalter.
FINKENBURG
Den schwarzen Büstenhalter kenn ich doch,
Den hab ich ihr zum Weihnachtsfest geschenkt.
Wo hast du alle diese Sachen her?
HARLEKIN
Ich habs aus ihrem Schlafgemach gestohlen,
Für dich, ich weiß, du bist ein Fetischist.
FINKENBURG
Verzeih mir, unbefleckte Eva-Muschi!
HARLEKIN
Wir wissen doch, warum sie Muschi heißt!
FINKENBURG
Nicht, was du denkst, versauter Schweinehund!
Nein, Muschi ist ein Name aus der Bibel!
HARLEKIN
Don’t read the Book! Oremus, Finkenburg.
FINKENBURG
Oremus? Aber wie, wie betet man?
HARLEKIN
Sankt Muschi, Jungfrau, bitte du für uns!
Sankt Muschi, Mädchen, bitte du für uns!
Sankt Muschi, Dame, bitte du für uns!
Sankt Muschi, Keusche, bitte du für uns!
Sankt Muschi, Schöne, bitte du für uns!
Sankt Muschi, Liebe, bitte du für uns!
Sankt Muschi, bei dem unverletzten Hymen,
Sankt Muschi, bei der Feige deines Leibes,
Erhöre uns, erhöre uns, Sankt Muschi!
FINKENBURG
Für diese Blasphemie hol dich der Teufel!
HARLEKIN
Blas- was? Was ist denn eine Blasphemie?
FINKENBURG
Obszönes Reden über meine Herrin!

DRITTER AKT

(Adelstitelverkäifer und Wagner.)

ADELSTITELVERKÄUFER
Wie sich die Welt zum Schlechten doch verändert!
Es haben unsre Väter noch gekämpft
Wie Helden mit den atomaren Bomben,
Da taufte man die atomaren Bomben
Auf Gottes Namen Santa Trinitas.
Wo ist die gute alte Zeit nur hin?
Heut kämpfen Kinder schon mit Todesternen!
Ein Todesstern zerstört die Galaxie
Der Sonne und dazu Andomeda!
Nein, das heißt nicht mehr ritterlich gekämpft!
WAGNER
Wenns nur das Universum nicht mehr gäbe!
Warum ist überhaupt ein Etwas da
Und nicht vielmehr nur Nichts? Wär Alles Nichts!
ADELSTITELVERKÄUFER
Dies Weib hat dich verhext, mein Bruder Wagner!
Die Eva-Muschi ist doch eine Hexe!
Stets murmelt sie: Om mani padme hum!
Des Antichristen Zauberformel das!
Dann malt sie Pentagramme auf den Boden,
Als ob sie schwarze Hunde wollt beschwören.
Dann macht sie Puppen, die wie du aussehen,
Und stichte in diese Puppen spitze Nadeln.
Auch trägt sie Amulette, Talismane,
Beschwört die Göttin Hekate und ruft
Die Hexen von Thessalien, dass sie dich
Verwandeln in den Körper eines Esels,
Auch die okkulte Philosophie Aggrippas
Von Nettesheim hat sie studiert und dreimal
Und dreimal-dreimal schlingt sie Bänder sich
Um ihren Hals mit magischen Medaillen
Der Schwarzen Muttergottes von Tschenstochau!
WAGNER
Die Hexe! Wär sie lieber eine Hure!
Ach, wären alle Weiber solche Nutten
Wie neulich in dem Magazin für Männer!
Feinstofflich will sie nur noch sein, die Hexe!
ADELSTITELVERKÄUFER
Das Wort für Video bedeutet Wissen
Und Video bedeutet Veda auch.
So kauf dir einen Video und schau
Dir deine Traumfrau an, wie die Pistole
Sie lüstern lächelnd in den vollen Mund nimmt!
Du weißt, das Weib heißt heute Angelina.
WAGNER
Ich habe einen Video gekauft,
Dämona heißt die Frau im Video.

VIERTE SZENE

(Wagner und ein Kriminalkommissar.)

KOMMISSAR
So, Bruder Wagner, hab ich dich erwischt!
WAGNER
Ich bin die pure Unschuld in Person!
KOMMISSAR
Nun denn, es gibt ja fromme Christenmenschen
Im Bankgewerbe. Aber leider ist
Das Geld, das liebe Geld die Unheilsquelle
Von mancher teuflischen Versuchung, Wurzel
Des Übels ist die Liebe zu dem Gelde.
Nein, Christenmenschen stehen vor dem Herrn
Und Richter ihrer Seele und so werden
Sie ehrlich bleiben in dem Bankgewerbe.
Es gibt auch Menschen, welche ehrlich sind,
Obwohl sie nicht an Jesus Christus glauben,
Doch fürchten sie sich vor dem schlechten Ruf
Und halten allzeit reinlich ihre Weste
Von den Betrügereien mit dem Geld.
Dann aber gibt es Leute auch, die schlau
Wie Füchse sind, noch schlauer als die Bauern,
Berühmt ist ja die Bauernschläue, aber
Berühmter noch die Schlauheit eines Fuchses.
So schlaue Menschen in dem Bankgewerbe
Sind schlau genug, mit Geld zu spekulieren,
Was andre sparen wollten bei der Bank,
Und diese schlauen Leute lassen dann
Das Geld der Andern fleißig Arbeit tun
Und lassen den Profit des Spekulierens
Geschicklich in die eigne Tasche fließen.
So kommt der kleine Mann im Bankgewerbe
Durch seine Schlauheit doch zu großem Reichtum.
WAGNER
Was habe ich damit zu tun, du Bulle?
KOMMISSAR
Wir haben dich erwischt beim Spekulieren
Und ziehen alle deine Aktien ein.
Ja, Lügen, sagt man, haben kurze Beine
Und ehrlich, sagt man, währt doch noch am l#ängsten.
Doch deine Tricks und Trügereien alle
Sind aufgedeckt und an das Licht gekommen.
Ja, Reichtum auf Betrug gegründet ist
Gleich Kuckuckseiern in dem Nest der Taube!
WAGNER
Was schert mich das? Ich tue, was ich will!

FÜNFTE SZENE

(Keno von und zu Finkenburg, Harlekin, Kriminalkommissar.)

HARLEKIN
Mein Pate – auch die Teufel haben Paten –
Mein Pate brachte mir die Weisheit bei:
Ein Mann soll sich ein gutes Weibchen nehmen,
Ein Weibchen, das sich zu benehmen weiß
Und keusch ist noch im ehelichen Bette
Und treu steht zu den ehelichen Pflichten.
Ein Mann soll sich ein solches Weib nicht nehmen,
Die gerne bumst, das bringt ja nichts als Ärger.
Doch wenn das Weib gut bumsen kann, so soll
Der Mann sie eben zur Geliebten machen.
FINKENBURG
Du hast der keuschen Dame Eva-Muschi
Gestohlen ihre Seidenunterwäsche!
HARLEKIN
Ich tat es nur für dich, du fettes Weinfass!
Ist in der Liebe alles nicht erlaubt,
Ist alles nicht erlaubt im Krieg der Liebe?
KOMMISSAR
Die meisten Sünden und Verbrechen finden
Aus Leidenschaft und aus Begierde statt.
Das gibt dem Dieb kein Recht, dass er begehrt.
Ich habe einen Zeugen hier für deine
Verbrechen. Buße wird dir aufgelegt:
Gib Eva-Muschi ihren Slip zurück
Und ihren Büstenhalter! Aber du
Kommst ins Gefängnis, dort bei Brot und Wasser
Wie Mönche sollst du fasten und bereuen.
HARLEKIN
Ich fürchte mich nicht vorm Gefängnis, Bulle,
Sind im Gefängnis doch so viele Ärsche,
Die will ich allesamt bedienen mit
Der Rute. Zu der Lust der Masochisten
Brauchts immer einen teuflischen Sadisten.
KOMMISSAR
Du Teufel, wird aus dir kein guter Mensch?
HARLEKIN
Am ersten Schöpfungstag hat Gott der Herr
Verdammt mich in die ewige Verdammnis,
Ich tue also nichts als Gottes Willen,
Wenn ich nichts andres als ein Teufel bin.
Es braucht das Negativ des Teufels auch
Der Herr, damit das Positiv erstrahlt.
Wie wäre ohne Sankt Iskarioth
Denn Jesus Christus an das Kreuz gekommen?
Der Narr begehrte doch so sehr das Kreuz,
Da half ihm eben Sankt Iskarioth.

SECHSTE SZENE

(Satan, Harlekin, Frau Sünde.)

SATAN
Du armer dummer Teufel Harlekin,
Wie bin ich unzufrieden doch mit dir!
Brach etwa Eva-Muschi ihre Ehe?
Nein! Sondern sie liest Meister Eckard noch!
HARLEKIN
Ich hetzte alle Leidenschaften auf
Und allen trüben Schlamm der tierischen
Begierde, Fleischeslust und Augenlust,
Sie aber hat ein hartes Herz von Stein!
FRAU SÜNDE
Ich aber bin die Herrscherin der Welt,
Ich bin die nackte Göttin der Versuchung,
Die sich in Unzucht paart mit Satans Schlange.
Wie groß ist mein Triumph doch auf der Erde!
Es herrschen in der Welt die Konkubinen,
Denn diese Zeit ist eine Konkubinenzeit,
Denn diese Stunde ist die Bastard-Stunde!
HARLEKIN
Doch Eine Frau ist auf der Erde noch,
Die nicht mit ihrem Freund die Ehe bricht.
FRAU SÜNDE
So schleiche ich mich nachts als Nachtgespenst
In Peter Frauenknechts Gehirn und spuke
Wie einst vorm heiligen Antonius
Und sauge ihm als nacktes Weib im Traum
Den feuchten Samen aus dem harten Glied.
SATAN
Die Mutter allen Lebens, Mutter Eva,
Verführte ich einst als laszive Schlange
Und lockte sie zum Baum mit seinen Äpfeln
Und lockte sie zum Busch mit süßer Feige.
Und anzuschaun wie eine Wollust war
Das Apfelpaar und die gespaltne Pflaume.
Und ich bin als laszive Schlange lüstern
Geschlüpft in die gespaltne Pflaume schlüpfrig.
Und Eva juckte es in ihrer Vulva
Und sie hat Gottes Weisung abgeschworen
Und brach die Ehe mit dem Alten Adam
Und hurte mit der Schlange Luzifers.
Und nun soll diese keusche Eva-Muschi
Gott treuer sein als aller Menschen Mutter?
HARLEKIN
Ich bin gescheitert an der Superfrau!
O Satanas, befrei mich aus dem Kerker!
Zwar bin ich es nicht wert, dein Sohn zu heißen,
Nimm mich nur an als deinen faulsten Knecht
Und laß mich wieder in den Höllenrachen!

SIEBENTE SZENE

(Zwei Gefängniswärter.)

ERSTER
Und plötzlich wurde ich am Leib gelähmt
Und bin an meinem Augenstern erblindet
Und sank in tiefen Schlaf gleich einer Trance.
Als ich erwacht, war die Gefängnistür
Geöffnet, der Gefangne fort, der Narr.
ZWEITER
Hier riecht es irgendwie nach faulen Eiern.
ERSTER
Ich weiß nicht, ist das nicht Geruch von Schwefel?
ZWEITER
So stell ich vor mir den Gestank der Pest.
ERSTER
Pestflöhe aus dem Fell der Ratten springen
Mich an und jucken mich an meinem Schamhaar.
ZWEITER
Das alles deutet auf den Teufel hin.
ERSTER
Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu.
ZWEITER
Mein seliges Großmütterchen, die fromme,
Bekreuzte immer ihre Mutterbrust.
ERSTER
In meiner Kindheit hat des Dorfes Pfarrer
Gesegnet alles mit geweihtem Wasser.
ZWEITER
Wir haben alles dieses aufgegeben
Und glauben, dass der dumme Teufel sei
Ein Arlecchino aus dem Puppenspiel.
ERSTER
Hier aber sehen wir den Wundertäter.
Fast zwingt es mich, den Teufel anzubeten,
Der solche großen Wunder wirken kann.
Wenn es nur nicht so eklig stinken täte!
ZWEITER
Da huscht die Ratte auch im Kerkerloch.
ERSTER
Auf, schlag sie tot, die ekelhafte Ratte!
ZWEITER
Was soll der Kommissar dazu nur sagen
Und was der Richter und der Staatsanwalt?
ERSTER
Man wird uns in den tiefsten Keller schicken,
Und während dieser arme Teufel frei ist,
Sind wir gefangen in dem Kellerloch.
ZWEITER
Wie tückisch ist der Böse doch, mein Todfeind!

ACHTE SZENE

(Wagner, Eva-Muschi, Peter Frauenknecht.)

WAGNER
O Natas, Natas, Natas! Sex, Sex, Sex!
Wau, Wau, Wau, Wau, Wau, Wau, Wau, Wau, Wau, Wau!
FRAUENKNECHT
Dir springen Frösche ja aus deinem Maul!
WAGNER
Ja, Jesus ist der Heilige des Herrn,
Ich aber Eigentum des Antichristen!
FRAUENKNECHT
Wie ist dein Name, Dämon du in Wagner?
WAGNER
Mein Name ist Legion! Ja, ich bin viele!
Wer bin ich? Und wenn ja: Wie viele denn?
FRAUENKNECHT
Im Namen Jesus, fahre aus, du Dämon!
WAGNER
Ah, Wut zerreißt mich, Haß und Aggression!
Ich bring euch alle um! Kommt, holt euch Schläge!
Ich bringe noch die ganze Menschheit um!
Es sind doch alle Weiber nichts als Fotzen!
Du, Eva-Muschi, komm sofort hierher!
Du, Peter Frauenknecht, sofort hierher!
Ich schlag euch beiden eure Schädel ein!
FRAUENKNECHT
In Jesus und Maria Namen, weiche!
WAGNER
Ah, Hölle, Hölle, Hölle, Hölle, Hölle!

(Er stürzt schreiend weg.)

FRAUENKNECHT
Bist du erschrocken, meine Vielgeliebte?
EVA-MUSCHI
Ich staune, was der Name Jesus kann.
FRAUENKNECHT
Die Menschenwürde, die uns Gott gegeben,
Verbietet es dem Menschen, dass er sich
Vertraglich fest zu einem Sklaven macht,
Zu einem Sklaven eines andern Menschen,
Unsittlich wäre der Vertrag vor Gott.
Ich aber möchte dir zu Füßen fallen,
Mit meinen Tränen deine Füße waschen,
Mit meinen Haaren deine Füße trocknen,
Und sagen: Ich bin dein geringster Sklave!
EVA-MUSCHI
Sei der geringste Sklave der Madonna!
FRAUENKNECHT
Ich bin’s, geringster Sklave der Madonna!

EPILOG

DER POET
Ich denke jetzt an eine hübsche Frau,
Ihr Name ist: Die keusche tiefe Lilie,
Sie bittet immer ihren Herrn Gemahl:
Mein Herr und mein Gemahl! Der arme Dichter,
Der unser Freund und Christenbruder ist,
Hat Hunger nach gebratnem Entenfleisch
Mit Reis und brauner Erdnussbuttersauce.
Der Herr spricht immer: Jetzt ist nicht die Zeit.
Die hübsche Frau, die keusche tiefe Lilie,
Verheißungsvoll den Dichter lächelt an,
Und siehe, zu dem Abendmahle gibt es
Reis, Erdnussbuttersauce, Entenfleisch!
Und damit ist auch dieses Stück zu – Ente!

HERR REINECKE
Ort und Zeit: Sankt Pauli im Jahre 2000.

ERSTE SZENE

(Im Haus des Herrn Reinecke. Reinecke, ein Mann von fünfzig Jahren, mit seinem jungen Diener
Harlekin.)

REINECKE
Mein Diener Harlekin, ich bin ein reicher Mann,
Ich schau mir allzu gern das Gold des Schatzes an,
Ich nehme doch im Geld ein Bad gern, und ich bade
In Edelsteinen wie Saphir, Nephrit und Jade.
Das Goldene Äon, das war das Paradies,
Der goldne Honig ist mehr als der Zucker süß,
Die goldne Venus ist die Königin der Liebe,
Auch Hermes schätzt das Gold und Geld als Gott der Diebe,
Das Gold das Gotteshaus von Salomo verziert,
Zu Gold der Heilige im Feuer wird purgiert,
In einem Goldnen Haus einst wohnte Kaiser Nero,
Leander schenkte Gold der vielgeliebten Hero,
Die Kinder Israel auch tanzten allenthalb
Um einen Goldnen Stier, ich mein’ das goldne Kalb,
Man sagt von einem Freund, der übt die Freundschaftstreue,
Er sei so treu wie Gold, dass man sich an ihm freue,
Man sagt, das Reden sei wie Silber, aber hold
Das Schweigen einer Frau sei edel wie das Gold.
Auch König Salomo in seiner Weisheit redet
Und zu dem großen Gott in seiner Weisheit betet:
Die Weisheit ist sehr gut mit einem Erbbesitz,
Und ist gesegnet wer in seiner Weisheit Witz
Mit großem Geld und Gut, das Geld beschafft ihm alles.
Auch in dem Paradies vorm Fluch des Sündenfalles
Vorhanden reichlich war das Gold vollkommen rein,
Des Paradieses Gold und Edens Schoham-Stein.
HARLEKIN
In allen Zeiten war ich schon auf dieser Erde.
Im Weltenanbeginn sprach Gott der Herr: Es werde
Das All und Harlekin! Die Seele in der Welt
Einst lebte in dem Wald, dann im Nomadenzelt,
In Eden spielte ich mit Evas Knaben Abel,
Ich baute mit am Turm der großen Tochter Babel,
Ich sah dem Mauerbau im alten China zu,
Der Pekingoper Narr war ich, der dumme Chou,
Ich war im Kriege auch um Helena von Sparta,
Thersites war ich da, ich war der Koch bei Martha,
Als ich den Braten briet mit Brot und Käse gern
Für ihre Schwester und den Bruder und den Herrn,
Im Mittelalter ich mit Hunger und mit Durst
Hab ich gelebt als Narr, man nannte mich Hans Wurst,
Zu Tische saß ich auch, beim großen Gotte Janus,
Mit Tischnachbaren schlecht, da hieß ich Grobianus,
Ich war ein feiner Narr, Paris im Rokkoko
Beim Sonnenkönig sah mit armen Clown Pierrot,
Da Colombine trug die lockendste Visage,
Dann war ich in Bordeaux, dort hieß ich Jean Pottage,
Bei Königin Elisabeth im Reich Brittania
Hieß Pickelhering ich, da ich den Shakespeare sah,
Ich war beim Papst in Rom, man nannte mich Brighella,
Und in Neapel hieß ich weiland Pulcinella,
Nun in Sankt Pauli ich Herrn Reinecke bediene,
Ich heiße Harlekin, träum oft von Colombine.
REINECKE
Erbschleicher lud ich ein, sie wollen alle nur
Mein vielgeliebtes Geld! Der Mensch ist eine Hur!
Doch wollen sie mein Geld und wollen mich beerben
Und beten: Satanas, laß ihn doch endlich sterben!

(Eintritt der Advocat Bartholomäus.)

BARTHOLOMÄUS
Herr Reinecke, gesund? Gesundheit ist doch alles!
HARLEKIN
Wir kränkeln alle, ach, vom Biss des Sündenfalles!
Schwerhörig ist der Mensch, an beiden Ohren taub!
REINECKE
Du hast was mitgebracht? Geschenke, wie ich glaub?
BARTHOLOMÄUS
Ja, eine Flasche Wein, gekeltert von Silenus,
Dazu die Statue der splitternackten Venus!

(Eintritt der Möchtegern-Politiker Herr Dutschke.)

DUTSCHKE
Herr Reinecke, gesund? Ein Arzt am Sterbebett
Des großen Kapitals, das wäre doch nicht nett.
Du möchtest Opium fürs Volk, die Todesschmerzen
Mit Jenseitsreligion vertröstend wegzuscherzen?
REINECKE
Hast du auch ein Geschenk mir mitgebracht, mein Freund?
DUTSCHKE
Ja, die Ikone hier von Ché Guevarra, meint
Man doch, der gute Ché vertreibe alle Übel,
Dazu dies heilge Buch, die rote Mao-Bibel!

(Eintritt Jürgen Niemand.)

JÜRGEN NIEMAND
O Reinecke, mein Freund, ich komme vom Büro
Und dachte eben nichts und dachte eben so:
Den Reinecke will ich aus Freundschaft heut besuchen.
Mein Weib hier sendet dir den süßen Feigenkuchen!
REINECKE
Die Feige fica heißt, auf englisch heißt sie fig.
Dein Weib hat so viel Charme in ihrem warmen Blick.
Sag Zöli, deinem Weib: Herr Reinecke, der kranke,
Dem wundervollen Weib von ganzem Herzen danke.
JÜRGEN NIEMAND
Ein Erbe wird gesucht für all dein Hab und Gut?
Hast du denn keinen Sohn aus deinem eignen Blut?
REINECKE
Ich hab nur Bastard-Brut von den Zigeunerinnen,
Von Prostituierten und von dicken Negerinnen,
Den Hermaphroditen, der stets redet wie ein Buch,
Dazu kommt noch der Clown, dazu noch der Eunuch,
Die lüstern ich gezeugt in meinem Jugendmorgen.
Für dieses Volk kann nur der liebe Gott noch sorgen!

ZWEITE SZENE

(Der Möchtegern-Politiker Herr Dutschke und seine Frau Dutschke auf der Straße, streitend.)

HERR DUTSCHKE
Ich denke wiederum an meine erste Frau,
Ich sah sie in Paris, wie schön ihr Körperbau,
Wie groß der Busen war an dieser schönen Schlanken,
Wie lang das Jamben-Paar, wie zitterten die Flanken,
Wie selig war ich doch im Erdenparadies,
Als sie ein Kind gebar im herrlichen Paris!
FRAU DUTSCHKE
Du ungetreuer Hund, du hast dein Weib verlassen,
Dein Kindlein in Paris allein zurückgelassen!
Gebrochen hast du so der ersten Frau das Herz,
Noch heute grämt sie sich in bitterlichem Schmerz!
HERR DUTSCHKE
Weil das Familienglück wir Revolutionäre
Verachteten zutiefst! Es war des Mannes Ehre,
Ein Kämpfender zu sein für einen neuen Staat.
Da war die Ehe nur kleinbürgerlich, privat
Der Bürger-Ehe Glück, drauf konnte ich verzichten.
Der freien Liebe Spiel, das waren nun Geschichten,
Erzählte ich sie dir, der freien Liebe Held,
Schrieb ich sie auf, das Buch wär breiter als die Welt.
FRAU DUTSCHKE
Nur keinen Monolog, du linker Casanoca,
Der antiklerikal erlebt die Vita Nova
Der freien Liebe! Ich hab so die Schnauze voll
Von deiner Poesie, du närrischer Apoll!
HERR DUTSCHKE
So bist du nun, mein Weib. Jedoch die erste Gattin
Schwebt immer mir noch vor wie eine Jugendgöttin!
Welch einen Adel hat der Schmerz ihr doch verliehn!
Sie hat ihr Leben lang die Schuld mir nicht verziehn.
FRAU DUTSCHKE
Vergebung, was ist das? Das sollst du unterlassen!
Der Zorn ist produktiv und stark macht dich das Hassen!
War nicht der Hass Programm für unsre Rebellion?
War Maos Gattin nicht ein tödlicher Skorpion?
Vergebung, Ehe und Familie lehren Pfaffen,
Wir schärfen voller Zorn die Zunge und die Waffen,
Befrein die Menschheit und befreien die Kultur
Und Sexualität. Zurück dann zur Natur!
Befreit vom Kirchenjoch die unterdrückten Triebe,
Die Sexualität wird frei durch freie Liebe!
HERR DUTSCHKE
Im Alter aber doch ich werde gläubig wie
Ein Hinduist und üb die Sexualmagie.
Im Lotosblütenkelch steckt das Juwel – mein Mantra,
Erleuchtung kommt durch Sex, durch religiösen Tantra.
FRAU DUTSCHKE
Das steht in deinem Buch, das kennst du nur vom Buch,
Du armer alter Mann lebst schon wie ein Eunuch.
Was nützte dir es denn, das junge schlanke Leibchen
Der zweiten Ehefrau? Was tust du deinem Weibchen?
HERR DUTSCHKE
Die Weisen lehrten mich, wie man den Samen spart.
FRAU DUTSCHKE
Dein Shiva-Lingam wird nur einfach nicht mehr hart!
Ich aber muss jetzt fort, du abgenutzter Buhle,
Die Sexualität ich lehre in der Schule.

(Frau Dutschke ab. Der junge Paul Bartholomäus kommt vorbei. Er stellt sich zum alten Herrn
Dutschke wie zu einem väterlichen Freund.)

HERR DUTSCHKE
Hello, my friend? Do you speak English?
PAUL
A little bit. I can’t speak English, but I read English books.
HERR DUTSCHKE
Oh, do you read Shakespeare in English?
PAUL
No, but I read his comrades Ben Jonson and Edmund Spenser in English and also Lord Byron.
HERR DUTSCHKE
I was an English-teacher at school. But I speak american english, not oxford English.
PAUL
I know nothing about American literature. I only know from noth-america Walt Whitman and from
south-america Pablo Neruda and Ernesto Cardenal.
HERR DUTSCHKE
Ernesto Cardenal? He had blessed the weapons of the revolutionary troops of Nicaragua. But the
Pope said: Stop! No communist revolution!
PAUL
The Christian faith not allows to take the weapons and to kill the rich men.
HERR DUTSCHKE
You are a fool! You don’t know the misery of the poor in south-america. They must make revolution
and kill the dictators. Ernesto Cardenal saw Cuba an said, it was the paradise on earth.
PAUL
Ernesto Cardenal is a fool. He mixes the catholic faith with the lies of Marxism. But there is no
bridge between heaven and hell.
HERR DUTSCHKE
The capitalism makes the whole country of Africa hungry. The children are dying, because the
western civilization of capitalism has stolen all the goods from Africa. So they make revolution.
There was a communist party in Angola and Ethiopia.
PAUL
Ethiopia! I love Ethiopia! The emperor of Ethiopia was a son of king Salomon and a disciple of
Jesus Christ.
HERR DUTSCHKE
The emperor? I didn’t like any emperor. In the middle age the emperors with the Pope were
dictators. All the poor people were suffering.
PAUL
The poor people had a better life under the Czar as under the dictator Stalin.
HERR DUTSCHKE
I was in Moscow as a socialist and I do know, there was justice and liberty in the socialist world.
PAUL
There was no freedom! The Russian people love God and Gods Mother, but in communism it was
forbidden to believe in God. Look on North-Korea. The punishment of death awaits you, if you had
a bible.
HERR DUTSCHKE
Do you mean the same bible, where I did read, first created was Adam and then out of Adam his
wife Eve?
PAUL
This story is a story of deep wisdom.
HERR DUTSCHKE
I have red the first lines of the bible, but as I saw that little Eve, I didn’t read further more.
PAUL
You have little interest in the Holy Scripture.
HERR DUTSCHKE
What you call holy! There is no God!
PAUL
I believe in the Love of God!
HERR DUTSCHKE
Buddha says: All is nothingness and emptiness.
PAUL
Salomo says: Vanitas vanitatem! Lady Vanity, Lady Vanity, all that she have is a vanity-bag!
HERR DUTSCHE
Ha, ha!
DRITTE SZENE

(Eine Straßenbühne wird aufgebaut von Harlekin. Herr Reinecke verkleidet als Taoistenpapst mit
dem Gelben Turban tritt auf und verkündet als Großmeister des Chi die Weisheit der chinesischen
Medizin. Paul steht am Wegesrand. Die Straßenbühne steht vor dem Haus von Jürgen Niemand und
seiner engelgleichen Frau Zöli.)

REINECKE
Wan fu! Das ist mein Gruß: Zehntausendfaches Glück!
Tsing an! Und das heißt: Pax! Der Friede kehr zurück!
Ihr Pöbel in der Welt, ihr abgestumpften Narren,
Ihr betet Ärzte an, die Heilung zu erharren.
Ihr seht den Arzt als Gott, als Gott der Heilungskunst,
Als Gott Asklepios. Das alles ist nur Dunst!
Die ganze Wissenschaft des dummen Abendlandes
Verglichen mit dem Heil des weisen Morgenlandes
Ist Eitelkeit, ist Nichts! Das üble Christentum
Bringt Wissenschaft hervor, verletzt das Heiligtum
Der heiligen Natur und fördert die Maschinen,
Den toten Aperrat, Chemie der Medizinen.
Schulmedizin, hinweg! Ihr wollt das Leben rauben,
Die Weisheit der Natur, die nennt ihr Aberglauben.
Schamanen wussten längst, wie heilig die Natur,
Wie Geister wirken, und sie waren auf der Spur
Des Großen Geistes und der Myriaden Geister.
In Trance verstehen das die eingeweihten Meister.
Man muss ein Seher sein, dass man ein Heiler ist,
Durch Handauflegung heilt der Heiler, dass ihr’s wisst.
Schamanen, Seher und Druiden, weise Meister,
Beherrschen dieses Reich der immanenten Geister.
Weg mit der Wissenschaft, des Westens Christentum,
Schamanenweisheit her und Chinas Heidentum!
So lernt die Weisheit erst, lernt der Chinesen Sprache,
Der Phönix ist das Weib, der Kaiser ist der Drache.
Feng Shui lehre euch, zu bauen euer Haus.
Ruht ihr euch nämlich nachts in euren Betten aus,
Sei über eurem Haupt des Kaisers goldner Drache!
Bedenkt, dass euer Bett ist keine tote Sache,
Der Wasserader folgt, der Energieen Drang,
Daß sich vereinigt dann das Yin mit seinem Yang,
So sollt ihr euch im Bett vor toten Werken retten,
Ihr sollt das starke Yang ins sanfte Yin einbetten
Und in der Mystik dann energischer Vermählung
Weltseelen-Energie euch werde zur Beseelung.
Und nun zur Medizin! Ich lehre euch das Chi,
Das ist nicht Heilig Geist, wie Christen sagen, wie
Einst sprach ein Synkretist. Das Chi ist energetisch
Die Kraft aus Yin und Yang. Ich rede hier prophetisch,
Das Chi ist Atem, Geist. So kannte ich ein Weib,
Blockiert die Energie war in dem kranken Leib,
So ward der schöne Leib des lieben Weibs ein kranker,
In ihrer großen Brust, da wütete der Cancer,
Des Todes böser Krebs. Als Meister sprach ich da:
Der Atem in dem Leib, der ist das O und A,
Des Atems Energie muß fließen, ruhig eilen,
Dann fließt des Atems Chi, das wird den Körper heilen,
Dann löst sich auf der Krebs mit seinem krummen Gang,
Wenn wirkt das Phönix-Yin vereint dem Drachen-Yang,
Dann leben Weib und Mann in Einem Leib harmonisch.
Jedoch der Arzt, dein Gott, der grinste nur ironisch,
Nur Okkultismus war ihm dieses gute Chi.
Er gab dem armen Krebs die Chemo-Therapie
Und tötete das Weib, vergiftete das Weibchen.
So ist das Christentum todfeindlich zu dem Leibchen!
Ich hadere mit Gott, was man so preist als Gott,
Dem Mörder dieses Weibs, ihm gilt mein ganzer Spott!
PAUL
Mein lieber Abba Gott, vergib dem armen Toren
Und laß ihn gehen nicht im Höllenpfuhl verloren!
REINECKE
Gesundheits-Göttin, o Hygiene-Göttin du!
Gesundheit schenk dem Leib, der Seele Seelenruh!
Gesundheitsgöttin, heil die Seele in dem Blute,
Die wir dich beten an: Heil unserm Höchsten Gute!
Wir grüßen dich, o Frau und Göttin, mit dem Mund,
Mach unsern Todesleib mit deiner Huld gesund
Und unsrer Psyche schenk schon hier den Garten Eden,
Vom Jenseits wollen wir vertröstend nicht mehr reden,
Nein, diese schöne Welt ist unser Paradies!
Als Heilungssakrament schenk Schnaps uns aus Anis,
Gieß Schnaps uns aus Anis in unsre kranken Venen
Und laß die Adern sich vor Liebeslust ausdehnen
Und laß in Wasser und Anis uns schon in Bausch
Und gen selig sein im liebestrunknen Rausch,
Bis wir in deiner Huld mit unserm Seelenfunken
Im Rausch der Seligkeit der Wollust ganz versunken
Betrunken schlafen ein auf unserm Todesbett!
Da lacht das Yang zum Yin: He, Liebste, sei so nett!
Da lass das Yin nicht sein so launisch und so grillig,
Da lass das Yin doch sein zur Liebe allzeit willig!
Laß wissen doch dem Yin: Das Yang zum Leben taugt,
Wenn sie die Kraft des Yang aus Mannes Lende saugt!
PAUL
Gebet der Häresie, so betet man häretisch
Und meint, die Religion sei Weisheit diätetisch.
Wie es dann im Gericht dem Totengeiste geht,
Der Götzen widmete das heilige Gebet?
Gott, lieber Abba, hab mit diesem Elend-Armen
Doch Mitleid, Jesu Herz, und herzliches Erbarmen!

(Zöli tritt aus dem Haus)

ZÖLI
Ein Prediger von Gott? Hör vom Mysterium
Der Weisheit Gottes ich, vom Evangelium?
REINECKE
(zu Harlekin)
Das ist das süße Weib, mein ewiges Verlangen!
Mein ganzes Paradies mit all den Lockenschlangen!
Schau, hinter ihrem Haus hängt sie die Wäsche auf,
Lauf, o mein Harlekin, in ihren Garten lauf,
Nicht achte auf dem Busch, nicht achte auf die Rose,
Nimm von der Leine ab der Liebsten Unterhose!
Die Schleier fallen lässt die Gottheit einst im Strip –
O Gottheit, reiß herab auch noch den letzten Slip!

VIERTE SZENE

(Reinecke und Harlekin in Reineckes Haus. Reinecke trinkt allerteuersten Wein aus Spanien und
Harlekin einen billig Essig aus einem Papp-Karton, europäischen Verschnitt.)

REINECKE
Die Pfaffenkirche ist mir ganz und gar zuwider,
Die alten Herren sind des Christusleibes Glieder,
Ja, männlich, alt und grau, so ist der Christusleib.
Ich aber sehne mich nach einem jungen Weib!
HARLEKIN
Schon wieder Weiber, Herr! So allerlei Geschichten
Mit Weibern hattest du, ich könnte davon dichten.
Doch das ist ganz normal. Ein jeder junger Mann
Ist so wie der Poet Lord Byron Don Juan
Und jeder alte Mann wie Dantes Vita Nova
Ist noch ein Frauenheld wie weiland Casanova.
REINECKE
Sei immer nur galant und niemals Ehemann,
Sei Hausfreund bei der Frau des Nächsten, nämlich dann
Darf sich der Ehemann zur Plackerei beweiben,
Da kannst du voller Lust die Zeit bei ihr vertreiben.
HARLEKIN
In abgetaner Zeit war Harlekin schon blau
Und Colombine war ihm Schwester oder Frau.
REINECKE
Es ist doch jedes Weib, die lüsterne, die pure,
Ein wandernder Pokal, die große Wanderhure.
HARLEKIN
Wie heißt der Schmetterling, der selig trunken fliegt
Von einem Blütenkelch zum nächsten angeschmiegt?
REINECKE
Wie heißt die Blume denn, bei meinem hohen Alter,
Die Blume, welche fliegt von Schmetterling zu Falter?
HARLEKIN
Langweilig ist der Bund der Ehe, ewig treu,
Ich liebe Mädchen nur, die allzeit jung und neu.
REINECKE
Die wahre Liebeslust erfreut sich nur am Wandern,
Frau Liebe wandert stets von einem zu dem andern.
HARLEKIN
Auch traf ich noch kein Weib, die Einem Mann nur treu,
Die sich am Andern nicht daneben auch noch freu.
REINECKE
Der Ehegatte darf sich bei der Arbeit placken,
Der Hausfreund aber darf massieren ihr den Nacken.
HARLEKIN
Unzuverlässig ist das Weib wie Frau Fortuna
Und launisch, grillig ist sie wie die Göttin Luna.
REINECKE
Wenn alle Weiber, die ich hatte je im Bett,
Jetzt bei mir wären, ich gar einen Harem hätt!
Doch all der Weiber Schar, ich will sie nicht mehr sehen,
Was interessieren mich die älteren Trophäen?
Ein Weib gibt es allein, die grausam mich zerreißt,
Raubt mir Verstand und Sinn, macht mutlos meinen Geist!
Du weißt, die Zöli ists! Ich will allein verehren
Die Angebetete, mein brennendes Begehren!
HARLEKIN
In frommer Armut lebt sie, klagt nicht über Geiz,
Doch sparsam ist sie nicht mit ihrem reichen Reiz!
REINECKE
Hast du das Hemd gesehn, die transparente Seide,
Den Zaubergürtel auch, gegürtet um die Scheide,
Den schwarzen Unterrock, der auf die Schenkel fiel?
So muß man träumen ja von wildem Liebesspiel!
HARLEKIN
Es stammt doch jeder Mann von Adam ab, dem Affen,
Was immer predigen die prüden frommen Pfaffen.
Der liebe Ehemann ist dem Gorilla gleich,
Lebt dem Familienglück und ist an Kindern reich,
Doch des Gorillas Schwanz, sein Penis ist ein kleiner!
Schimpansen aber gleich des Eheglücks Verneiner,
Stets der Schimpanse viel Schimpansenweibchen fickt,
Das ist so seine Art, darin ist er geschickt,
Drum riesig ist sein Glied! Der Hausfreund ist so einer.
Gorillapenisse, sie werden immer kleiner,
Der faule Ehemann schnarcht lieber ganz allein,
Ob auch das Weibchen seufzt vor heißer Liebespein.
Doch dem Schimpansen gleicht der Hausfreund und sein Penis
Fickt Artemis zuerst, Athene dann, dann Venus!
Denn so gebietet es die Mutter, die Natur,
Die freie Liebe der erotischen Kultur.
REINECKE
Ja, Julia, Marie und Susi, bei dem Glanze
Weiß ich zu wählen nicht! Ich will mit meinem Schwanze
Beglücken jedes Weib! Sei jedes Weib beglückt,
Von hinten und von vorn sei jedes Weib gefickt!
Ich kehr mich jede Nacht, der Sterblichkeit zum Trotze,
Zuerst zur Flasche Wein und dann zur Hurenfotze!
HARLEKIN
Die Zöli aber scheint mir fromm zu sein und keusch!
REINECKE
Ja, Gott ist mein Rival! Mir aber juckt mein Fleisch,
Ich fühle geile Brunst in meinem Blute kochen,
Der Ader Sinnlichkeit in meinem Phallus pochen!
HARLEKIN
Tod, Teufel und Frau Welt! Bei meinem Satanspakt,
Das weiß der Teufel wohl, das Weib hol ich dir nackt!
So klug wie Salomo, Odysseus gleich an Listen,
Ich schaff sie dir heran mit ihren süßen Brüsten!
Der Teufel bläst mir ein gewiß noch einen Trick,
Bei Lilith, ich besorg dir den ersehnten Fick!
REINECKE
Wenn nur mein Samenfluß in ihre Vulva quölle,
Das wär mir wahrlich wert die Ewigkeit der Hölle!

FÜNFTE SZENE

(Jürgen Niemand und seine Frau Zöli in ihrem Haus.)

JÜRGEN
Du bist ein schlechtes Weib, weil du dich schlecht erlabst
An diesem Mystiker, dem Taoistenpapst!
Du lauschst ja jedem Wort, du Über-Religiöse,
Und legst dabei die Hand an die erregte Möse!
ZÖLI
Und denkst du schon nicht keusch, so red doch bitte keusch!
JÜRGEN
Du ganz verdorbnes Weib, voll Sünden ist dein Fleisch,
Du dienst Asklepios wie einst die Hierodulen,
Du brichst den Ehebund, mit einem Schwanz zu buhlen!
ZÖLI
Was hab ich denn getan? Ich hab ja nur gelauscht,
Ob etwa Weisheit in des Meisters Worten rauscht.
JÜRGEN
Die Rede ist wohl schön von deinem Meister Kallos,
Doch alles, was du willst, das ist von Stein ein Phallos,
Das wäre für dein Herz die Seelenmedizin,
Du steckst ja in dein Loch den harten Phallus, ihn
An deiner Klitoris zu reiben und zu kitzeln!
ZÖLI
Wie Pöbelabschaum sprichst du, sündiglich zu witzeln.
Wie deine Rede mir befleckt das Muschelohr!
Ich geh, zu hören jetzt der reinen Engel Chor,
Weil deine Worte mir mit schuldbeflecktem Schwätzen
Die Mädchenseele, ach, beschmutzen und verletzen!
Ich bete lieber jetzt an meinem Hausaltar
Zu Gott, der sein wird, ist und der schon immer war.
(Zöli ab)
JÜRGEN
Die Weiber sind doch ganz verdorbene Naturen,
Sie tun wie Heilige und sind doch nichts als Huren!
Wie keusch und kühl ihr Blick, gerichtet auf das Heil,
Doch sind im Innersten die Weiber so sehr geil,
Daß sie nichts wollen als das Becken in dem Tanze
Zu schwenken um den Gott von Stein mit seinem Schwanze!
Nein, nirgend in der Welt ist heut noch keusche Zucht!
Ach, heiß wie Höllenglut ist meine Eifersucht!

(Harlekin tritt ein.)

HARLEKIN
O Jürgen Niemand, Freund, du wirst bald freichlich erben,
Herr Reinecke, dein Freund, wird ohne Gnade sterben.
JÜRGEN
Verlässt Herr Reinecke die schöne Erdenwelt,
Schenkt er als Testament dann mir sein liebes Geld?
HARLEKIN
Herr Bartholomäus ist da auch noch im Gespräche,
Es schleimt sich schmierig ein der ekelhafte Freche.
JÜRGEN
Was kann denn ich da tun, mein lieber Harlekin,
Daß ich die Gnade mir des reichen Herrn verdien?
HARLEKIN
Herr Reinecke ist alt, und nachts in seinem Bette,
Da ist ihm kalt, er möcht da eine niedlich Nette,
Die ihm als Helferin und als des Herren Magd
Sehr liebevoll und sanft das Bett zum Ofen macht.
JÜRGEN
Es soll die Helferin als liebevolles Weibchen
Den alten Todesleib erwärmen mit dem Leibchen?
HARLEKIN
Das ist sein großer Wunsch, worauf er sich verspitzt,
Daß ihn ein heißes Weib im Sterbebett erhitzt!
Er möchte sterben nach der Sterbekünste Regeln,
Will sich ins Paradies der Himmelsvenus vögeln!
JÜRGEN
Wie kann ich helfen da? Nach wem verlangt der Mann,
Daß selig sterbe er im Schoß des Weibes dann?
HARLEKIN
Herr Bartholomäus hat die Tochter schon, die junge,
Versprochen mit dem Mund und der geschickten Zunge,
Er sprach: Herr Reinecke, bei deinem Tod ist da
Als Seligmacherin die Jungfrau Julia.
JÜRGEN
Die Jungfrau Julia mit ihrer engen Spalte,
Nach ihr verlangt der Herr, der Ewige und Alte?
Ich weiß ein schönes Weib, das ist viel schöner noch,
Ein Himmelsparadies ist ihr geliebtes Loch!
Sie weiß mit einem Schwung vom mächtig breiten Becken
Den Toten selber aus der Hölle zu erwecken!
HARLEKIN
Die gib du meinem Herrn! Er werde auferweckt
Vom Tod, wenn sie den Mund sich mit der Zunge leckt!
JÜRGEN
Es ist mein Eheweib, ist meine Ehegattin,
Erotischer ist sie als Venus selbst, die Göttin!
(Harlekin ab)
Mein schönes Weib, ich ruf dich, liebe Frau!
(Auftritt Zöli)
ZÖLI
In meinen Augen noch der Buße Tränentau.
JÜRGEN
Doch nun nicht mehr geweint, nicht Fasten mehr und Wachen!
Du, wie ein Engel schön, sollst wie die Engel lachen!
ZÖLI
Was ist der Freude Grund? Glück, das mich nicht verlässt?
JÜRGEN
Heut gehen wir zum Freund, der Nachbar gibt ein Fest.
Du brauchst den schönen Leib nicht allzu keusch verschleiern,
Wir wollen lachen, Weib, wir wollen lustig feiern!
ZÖLI
Die Freude an dem Herrn ist meine große Kraft!
JÜRGEN
Der Geist entflamme dir die große Leidenschaft!
ZÖLI
Wie Turteltauben sanft soll mir mein Auge blicken.
JÜRGEN
Wie Turteltauben sollst du rucken, schnäbeln, picken!
ZÖLI
Ich gehe jetzt ins Bad und mache mich zurecht.
(Zöli ab)
JÜRGEN
Das schöne keusche Weib versteht mich herzlich schlecht!
Doch ob sie noch so fromm wie Gottes Taube gurre,
So manche Heilige war weiland eine Hure.
Sankt Aphra steh ihr bei, die einst so schön gehurt
Und heut im Paradies voll Liebesinbrunst gurrt!

SECHSTE SZENE

(In dem Haus des Advocaten Bartholomäus, Vater Bartholomäus und Sohn Paul.)

BARTHOLOMÄUS
Herr Reinecke vererbt ein riesengroßes Erbe,
Doch ich vererbe nichts dir, wenn ich einmal sterbe.
Zum Glück ist ja für mich als meine Erbin da
Die liebste Tochter mein, die Jungfrau Julia.
O Jungfrau Julia, du Fleisch von meinem Fleische!
Sie ist mein Ebenbild, die Reizende und Keusche,
Den Samen sät ich gut, im Acker meine Saat,
Die Advocatin schön gebar dem Advocat
Die Jungfrau Julia. Sie ist ganz meine Gleiche,
Die edel ist und schön, Vornehme sie und Reiche.
Sie ist so modisch schön, von lauter Liebreiz hell,
Der Mode Inbegriff, ein liebliches Modell,
Modell der Venus sie in der Madonna Mode!
Was soll mir, dummer Paul, die abgeschmackte Ode
Der großen Torheit dein? Du bist ein reiner Tor,
Der den Verstand im Wahn verschwendet, ja verlor.
Ich mag dich einfach nicht! Die familiären Freunde
Sind selten heutzutag. Du zählst zu meinem Feinde!
Nun gut, das Erbe will und goldnen Geldes Saat
Von Reineckes Besitz der große Advocat.
Ich bot dem Reinecke bereits mein hübsches Mädchen,
In ihrem Haar, brünett, kein einzig Silberfädchen,
Gebaut das Mädchen schlank, das zarte Becken eng!
Wohl jenem Mann, wenn er sich in das Mädchen dräng!
Doch Reinecke, der Narr, o bei Regina Coeli,
Will lieber jenes Weib von Jürgen Niemand, Zöli.
Was soll ich also tun? O bei der Weisheit Witz,
Ich schenke Reinecke den ganzen Landbesitz
Und all mein liebes Geld, o bei der Immaculata,
Was selber ich geerbt mit meiner Advocata,
Als deren Vater starb. Ja, Reinecke gewinnt
All deinen Erbbesitz, dass er sich bald besinnt
Und setzt mich ein allein als seinen lieben Erben.
Dann kann der gute Mann in meiner Gnade sterben!
Doch du gehst leer aus, Sohn, beim Nichtigkeit des Nichts,
Du bist ein Tunichtgut, du bist ein Taugenichts,
Fortuna darf zu Recht dir alle Güter rauben,
Beweise so an Gott den lächerlichen Glauben,
Ob dir vom lieben Gott ein reiches Erbteil kommt,
Daß deinem Lebensglück für alle Zeiten frommt.
PAUL
So wahr die Letter L für Beischlaf steht, mein Vater,
So wahr die Katze schnurrt, den Schwanz versteift der Kater,
Ich armer Tunichtgut und freier Taugenichts
Will von dem ganzen Gut des Gottes Mammon nichts!
Allein mein großer Schatz ist himmlisch und ist seelisch!
Hör der Geschichte zu, dem Gleichnis evangelisch:
Es war einmal ein Mann, zwei Söhne hatte der,
Den einen stolzen Sohn, den liebte dieser Herr,
Den armen andern Sohn, der war am Geist umnachtet,
Den hat der stolze Herr verspottet und verachtet.
Nun starb der stolze Mann, das Herz der Sünden voll,
Starb ohne Gnade, fuhr hinab in den Scheol.
Um seinen Leichnam noch, o bei dem weisen Nathan,
Sich stritten Luzifer und Belial und Satan.
Der arme Sohn ging leer beim Testamente aus,
Er ging zum lieben Gott ins schöne Gotteshaus
Und sprach zum Bischof da: O sage meinem Bruder,
Daß er das Erbe teilt! Wie geizig ist das Luder,
Wie geldgeil ist der Kerl! Doch ich bin elend arm,
Im Namen Jesu Christ, dass sich mein Gott erbarm!
Der weise Bischof war ein bibeltreuer Frommer,
Er sagte zu dem Sohn: Zwar starb in diesem Sommer
Dein Vater ohne Huld, dein Vater fern von Gott,
Auf seiner Lippe noch im Sterbebett ein Spott,
So blieb der Sünder fern dem Glück des Gottesstaates
Und brennt im Feuer nun beim Totengotte Hades,
Was kümmert aber mich, dass ihr ums Erbe kämpft?
Wer sagt euch, dass der Herr solch einen Streitfall dämpft?
Ich schließ den Eingang auf zum Liebeshimmelszelte!
Was kümmert mich der Krieg ums Erbe von dem Gelde?
So sprach der Bischof in Persona Jesum Christ,
Ein wahrer Bischof doch ein Andrer Christus ist.
BARTHOLOMÄUS
Da siehst du, Sohn, du Tor, Gott weiß nichts vom Realen!
Was weiß denn Jesus schon, dein Gott, vom Steuerzahlen?
Der liebe Gott ist doch ganz weltfremd, in der Welt
Ist nicht daheim dein Gott! Was weiß vom lieben Geld
Dein frommer Jesus Christ, was weiß er von dem Schekel?
Vor Mammon hat dein Gott nur abgrundtiefen Ekel!
PAUL
Ein Gott der Liebe ist allein im Himmelreich,
Ein Gott auf Erden ist, Gott Mammon, der macht reich,
Und ob dir auch der Sack von Silber überquölle,
Gott Mammons goldner Weg führt gradwegs in die Hölle!
BARTHOLOMÄUS
Die Hölle schreckt mich nicht, wie auch kein faules Ei,
Denn in dem Höllenpfuhl, da gibt es Hurerei!
Du aber, frommer Narr, sollst beten, beten, beten,
Scheiß in die Hände dir, den eignen Kot zu kneten!
(Bartholomäus ab.)
PAUL
Enterbt bin ich? Nun denn! Häuf tausend Sünden an
Und werde du an Schuld ein großer reicher Mann,
Beladen noch so schwer die schwankenden Kamele
Nicht kommen in das Reich der Seligkeit der Seele.
Was häuft ihr doch das Gold in Säcken noch und noch?
Nackt müsst ihr einst hinab in Mutter Erde Loch!
Dahin ist aller Dunst, des Goldes Soll und Haben,
Den Reichen wird man nackt im bloßen Staub begraben!
Jedoch der Fromme, arm, aus reinem Glauben arm,
Verzichtend für den Herrn, auf dass sich Gott erbarm,
Er sammelt sich bei Gott die allergrößten Schätze,
Daß er an Gottes Schatz sich ewiglich ergötze!
Wie arm bist du vor Gott, geldgieriges Kamel,
Wie reich der Fromme ist, lebt Gott in seiner Seel,
Nur Einen Reichtum schätzt, den Schatz der reichen Gnade,
Daß in der Gnade Schatz er seine Seele bade!
Du reicher Advocat, ich spucke auf dein Geld!
Frau Liebe wartet schon im Liebeshimmelszelt,
Frau Liebe nackt und bloß, den Geistlich-Armen rettend,
Den Hunger stillend und im Überfluß ihn bettend!
SIEBENTE SZENE

(Der Möchtegern-Politiker Herr Dutschke und Frau Dutschke auf der Straße.)

HERR DUTSCHKE
All diese Prediger, verstummen sollen sie,
Die missionieren stets von Gottes Sympathie,
Sie sollen schweigen und verstummen auf der Stelle!
Vom Fegefeuer nicht ein Wort und von der Hölle!
Todsünden? Dieses Wort soll stets verschwiegen sein,
Kein Wort von Satanas und seiner Höllenpein!
Wenn noch ein Prediger von Satan, Tod und Hölle
Ein Wort verliert, ich will ihn töten auf der Stelle!
FRAU DUTSCHKE
Was schreist du wieder so? Ich habe, gottseidank,
Die Nase gründlich voll von deinem Zorn und Zank!
HERR DUTSCHKE
Was schimpfst du so mit mir? Du wirst zu einer Zicke!
FRAU DUTSCHKE
Ja; alter Mann, du suchst nach einer jungen Ricke?
Ein Mädchen sanft und lieb, mit reinem Herzen, gut,
Ein Mädchen immerjung erregt des Alten Blut.
Ihr alten Männer liebt das junge Feminine,
Ihr sucht die Magd des Herrn, die lächelt süß: Ich diene!
Das, Kommunist, ist nur katholischer Machismus,
Nicht dafür kämpfte ich den Kampf des Feminismus.
Ob feministisch die, die andre feminin,
Die starke Heldin kämpft, das Weibchen spricht: Ich dien.
Den Feminismus liebt ihr nicht, das Feminine
Des Weibchens liebt ihr sehr. Ich will das Maskuline
In meinem Wesen auch, bin starke Kriegerin,
Bin hohe Herrscherin, der bessre Mann ich bin,
Ich bin nicht Magd des Herrn, nicht feminine Närrin,
Der Göttin Tochter ich, des Männchens starke Herrin!
Der Mann ist heute schwach, der Mann ist impotent,
Der Göttin Tochter ist in ihrem Element,
Ist sie die Herrscherin, ist er ihr Knecht und Sklave.
Maria dient als Magd dem Vatergotte Jahwe,
Das ist das Patriarchat, die Herrenreligion.
Die Göttin nimmt sich den Geliebten und den Sohn,
Denn Gott ist eine Frau und Gott ist eine Mutter,
Gott ist ein Paradies von Honigseim und Butter,
Und göttlich ist die Frau und weiblich ist mein Gott.
Den alten Pfaffen ist das Weib nur Hohn und Spott,
Drum kann die Kirche ich der alten Herrn nicht leiden,
Viel freier waren da die alten frommen Heiden.
Nicht Platons Ideal, Idee im Himmelssaal,
Den Feministen nützt nichts Platons Ideal,
Nicht Aristoteles und seine Männerlogik,
Der Päderasten Gott und seine Pädagogik
Ist patriarchal. Jedoch das alte Mutterrecht
Erneuern wir im Kampf, im ewigen Gefecht
Des Weibes mit dem Mann, im sexuellen Krieg,
Der Göttin Mutterrecht behält zuletzt den Sieg!
HERR DUTSCHKE
Ich bin ein armer Narr! Du warst in deiner Jugend
Mitstreiterin im Kampf der Rebellion, der Tugend
Des Klassenhasses. Ich, der ewige Hans Dampf
In allen Gassen, hör nun vom Geschlechterkampf.
FRAU DUTSCHKE
Geschlechterkampf? Mich juckts in meinem Solarplexus.
Es ist schon patriarchal die Rede von dem Sexus.
Ach, der Konfuzius wie Moses auch vergeht
Und auch des Vaters Sohn, der Mann von Nazareth,
Die Schriften alle sind Papyrus, das ist brennlich.
Die Weiber werden selbst mehr als die Männer männlich.
HERR DUTSCHKE
Was einst die Venus war und Sankt Urania,
Wird jetzt mit Peitsche und mit Geißel Domina!
Ist besser doch allein im Winkel unterm Dache
Als mit der Zankenden vereint in einer Sache.
FRAU DUTSCHKE
Das hat schon einen Grund, wenn deine Herrin zankt,
Weil sie von dir genervt, an deinen Launen krankt.
Ja, werdet zänkisch, all ihr Weiber! Stärkt den Willen,
Lebt eure Launen aus und femininen Grillen,
Denn die moderne Frau ist übermenschlich frei,
Befreit vom Sexus und des Mannes Tyrannei!
HERR DUTSCHKE
Wir standen doch vereint und stürmten den Montmartre,
Simone de Bouvoir warst du und ich war Sartre!
FRAU DUTSCHKE
Du warst das starke Yang und ich das schwache Yin?
Fort mit dem Quatsch von Sex und Sexus, denn ich bin
Ein Weib zwar von Natur und doch die mehr als Kühne,
Gynander bin ich und das große Androgyne.
HERR DUTSCHKE
Die rosa Revolution war homosexuell,
Ich aber doch ein Mann beim Weibe bin und stell
Mich aufrecht hin als Mann vor Taillen schlank wie Wespen,
Ich schade mir doch selbst, verehre ich die Lesben.
FRAU DUTSCHKE
Die Lesbierinnen sind die wahrhaft freien Fraun,
Befreit vom Männersex. Ich habe nur Vertraun
Zu andern Frauen, denn die Freiheit unbeschreiblich,
Die Göttin Freiheit ist die große Göttin weiblich!
HERR DUTSCHKE
So lieb du andre Fraun, lieb lesbisch andre Fraun,
Ich will nach Nebenfraun zur freien Liebe schaun.
FRAU DUTSCHKE
Weg mit den Christen und mit allen Platonisten!
Heil Lesben, Homos, Heil ihr freien Bigamisten!
HERR DUTSCHKE
Wenn du nur weiter den Priapus auch verehrst!
Ansonsten weiß ich, was du deine Schüler lehrst:
Der Sexualmagie befreite Pädagogik
Lehrt freie Liebe und enthemmten Sexus Logik.
FRAU DUTSCHKE
Ihr Kommunisten habt versucht die Revolution,
Wir Feministinnen, wir stürzen erst den Thron,
Der Weltenpräsident, Gottvater voller Grauen,
Im sexuellen Krieg gestürzt wird von den Frauen!
HERR DUTSCHKE
Doch reitest weiter du den abgehetzten Gaul?
FRAU DUTSCHKE
Du bist ein armer Hund, du Untermensch! Halt’s Maul!

ACHTE SZENE

(Jürgen Niemand und Zöli vor der Tür von Reineckes Haus.)

ZÖLI
Was Aristoteles gelehrt hat von der Freundschaft,
Schrieb er in meinem Sinn. Denn Freundschaft ist nicht Feindschaft.
Des Nutzens Freundschaft ist die allertiefste Art,
Da fühlt ein guter Freund wohl hilfsbereit und zart,
Die Freundin aber will die Hilfe nur, den Nutzen,
Er soll der Kinderschar Po, Mund und Nase putzen,
Aufpassen auf die Schar der lieben Kinderlein,
So kann die Freundin frei in ihrem Urlaub sein.
Des Mannes innrer Wert und betende Gedanken
Erfragt die Freundin nicht, er soll nur ihr, der Kranken,
Die Sorgen nehmen ab, des Alltags Mühen fort,
Ansonsten rede er kein geisterfülltes Wort.
Die Freundschaft für die Lust, die liebt man in der Jugend.
Die wahre Liebe ist noch unbekannt, die Tugend,
Der Mann will von dem Weib nichts andres als die Lust,
Berauschen will er sich an ihrer großen Brust,
Beglücken soll sie ihn mit ihres Körpers Reizen,
Den Zonen erogen, sie soll die Beine spreizen!
Wenn überdrüssig ist der Mann des Weibes Lust,
Folgt üble Laune nur und ekelhafter Frust,
Die Freundschaft ist nicht mehr, der Freundschaft Sommersonne
Versank in Winternacht, da fort der Wollust Wonne.
Charakterfreundschaft nun ist wahre Freundschaft erst,
Wo du nicht Nutzen und nicht Lust vom Weib begehrst,
Wo den Charakter du der edlen Dame achtest,
Nach ihrer Seele Geist als frommer Schwärmer schmachtest,
Wo deine Freundin dir, fern allem Hohn und Spott,
Als Gnadenreiche hilft auf deinem Weg zu Gott!
Wer solche Freundin fand, ist schon auf Erden selig
Und darf zurecht auch sein wie kleine Kinder fröhlich.
JÜRGEN
Ein Frömmeleigeschwätz, des Weibes Religion!
Nein, andres will von dir des Gottes Mammon Sohn,
Herr Reinecke liegt schon im gnadenlosen Sterben
Und ich will von dem Mann das Gut des Geldes erben.
Daß wohlgesonnen er sei seinem besten Freund,
Ich meine damit mich, obwohl ich bin sein Feind,
Gewinne du sein Herz! O Zöli, dich nicht ziere,
Beim reichen Reinecke für Geld dich prostituiere!
ZÖLI
Prophetin ist die Frau, tagt Gott an ihrer Stirn,
Dem Pöbel ist sie nur die allgemeine Dirn!
Der Tugend Siegeskranz, den will ich nicht verlieren,
Nie werde meinen Leib für Geld ich prostituieren!
Mein Leib gehört allein der ehelichen Pflicht,
Mein Leib gewiss gehört verhurter Unzucht nicht!
JÜRGEN
O Zöli, sei charmant, als Niedliche und Nette
Sei zärtlich, liebevoll, liebkose ihn im Bette!
Nun komm, mein Eheweib, hilf mir zum Erbe, komm,
Sei nicht so tugendhaft, sei nicht so keusch und fromm!

(Sie treten in Reineckes Haus ein. Herr Reinecke liegt in seinem Bett. Harlekin bringt gerade eine
große Kanne Kaffee.)

REINECKE
O Zöli, Traumfrau mein! Wie Gott will ich verehren
Die große Seele dein, den schönen Leib begehren
Als Gottes schönen Leib, als der Weltseele Leib,
Mein Universum du, mein großes Überweib!
ZÖLI
Ach nein, das bin ich nicht, bin keine Himmelsgöttin,
Bin Mensch von Fleisch und Blut und Jürgen Niemands Gattin.
REINECKE
Du müsstest dich nur erst mit meinen Augen sehn,
Die Herrlichkeit des Herrn ist kaum wie du so schön!
Die absolute Frau bist du, du bist die absolute
Geliebte meines Bluts, du lebst in meinem Blute!
Die schöne Venus taucht aus aufgeschäumtem Meer,
Du aber kommst zu mir vom dritten Himmel her!
Ja, Gott erscheint mir selbst in deinem lichten Leib,
Gott wurde wieder Mensch in dir, du Göttin-Weib!
ZÖLI
Das schmeichelt einer Frau, so schwärmendes Verehren,
Doch will ich eines nicht, du sollst mich nicht begehren,
Weil niemals ich dein Fleisch mit meinem Leib erfreu,
Denn ich bin meinem Mann vor Gottes Antlitz treu.
HARLEKIN
Das fromme keusche Weib, man kann es kaum beschreiben,
Vor ihrem Ehemann will sie’s nicht mit dir treiben!
JÜRGEN
Dann geh ich also jetzt und überlass mein Weib
Dem vielgeliebten Freund mit Seele und mit Leib.
(Jürgen ab.)
REINECKE
Wenn ich der Herrgott wär, ich gäbe zum Gebote:
Gastfreundschaft fordert dies: Kommt wandernd nun ein Bote
In eines Mannes Haus und wird geladen ein,
Gastgeber, gib dem Gast die Ehegattin dein!
ZÖLI
Gastfreundschaft heißt allein, lass uns zusammen essen,
Auch Gott zu danken wir beim Mahle nie vergessen.
REINECKE
Ich lade dich zum Mahl, heut gibt es Schweineschwanz,
Gebraten in dem Fett, von ganz besondrem Glanz,
Zum Schweineschwanz dazu gibt’s eines Stieres Hoden.
In Frankreich speist man so, das sind so Frankreichs Moden.
ZÖLI
Ich aber speis kein Fleisch, ich speis nur grünes Kraut,
Auch esse ich kein Ei und keine Entenhaut.
REINECKE
Nun, lesen wir ein Buch. Die Diamanten-Sutra
Gautama Buddhas hier und hier das Kamasutra.
ZÖLI
Wie, dort ein nackter Gott mit einer Göttin nackt,
Er Gottheit voll Potenz, sie Gottheit voller Akt?
Ich weiß, so denkt sich aus die Himmlischen der Heide,
Gott Penis mystisch ist vereint mit Göttin Scheide!
Ein Aberglauben das, ein lästerlicher Spott,
Gott ist die Liebe, ja, doch reiner Geist ist Gott!
REINECKE
Doch schau, hier lernst du noch, schau diesen Schattenriss,
So beißt im Liebesspiel die Frau mit scharfem Biss,
Schau pornographisch hier ekstatische Genüsse,
Auf Lippe, Stirn und Hals und auf die Schenkel Küsse,
Schau hier im Liebesakt im ehelichen Saal
Des Weibes Taze hier, sie kratzt ein Nägelmal,
Hier kopulierend steht der eheliche Gatte,
Die Freundin schwingt sich auf des starken Mannes Latte,
Hier liegt sie unter ihm, Empfängnis ganz und nackt,
Er göttlicher Potenz vollzieht den Liebesakt,
Zuletzt – ich liebe das, du mögest mich bemuttern –
Dein breites Becken schwing, die Stellung nennt man buttern!
ZÖLI
Das ist ja Wollust pur und nackende Begier,
Nein, solch ein Liebesspiel lebt nicht im Innern mir,
Ich will mit meinem Geist, dem Herzen und der Seele
Und auch dazu dem Leib, dass nicht der Körper fehle,
Verschenken mich allein dem treuen Ehemann,
Wie auch mein Ehemann sich liebend hingibt dann
Und wir ekstatisch eins – so schön wie bei den Indern –
Mitschöpfer werden dann mit Gott von lieben Kindern!
REINECKE
Nein, Gott verhüte das! Nur viele Kinder nicht!
Nicht treu ein Leben lang! Nur keine Ehepflicht!
Nein! Sexualität bacchantisch, orgiastisch,
Als Quickie einen Fick – ich sag es eben drastisch.
ZÖLI
Errötend treibst du mir die Röte in die Scham!
Ich will sofort, sofort zu meinem Bräutigam!

NEUNTE SZENE

(Möchtegern-Politiker Herr Dutschke und Paul auf der Straße.)

HERR DUTSCHKE
Sei immerzu galant zu allen hübschen Frauen,
Vor ihren Grillen soll dir innerlich nicht grauen,
Und wie mit Porzellan geh mit dem Mädchen um,
Das noch behütet hat des Hymens Heiligtum!
Sie wachsen ja erst auf, sie sind noch so zerbrechlich!
Der Wechseljahre Zeit macht dann die Frauen schwächlich,
Da habe du Geduld, und wenn sie dir mit Zank
Die Nerven reiben auf, sag immer: Lieben Dank!
Der Wechseljahre Zeit, der Lebensmitte Grenze,
Die Männer führt sie oft zu ihrem zweiten Lenze.
Von Männern schweigen wir, die doch nur Narren sind,
Und du, mein guter Paul, bist noch ein rechtes Kind!
PAUL
Ich danke, Väterchen, in Ehrfurcht und Verehrung
Im Geist der Schülerschaft für alle die Belehrung.
HERR DUTSCHKE
Nur saubre Kleidung trag und gute Schuhe auch,
Nicht stinkenden Tabak mit deiner Lunge rauch,
Trink nicht soviel vom Wein, das schadet dem Gehirne,
Den Trunknen lüstets dann nach einer geilen Dirne.
PAUL
Die Weisheit in Person hier redet als Dozent,
Erfahrungsschätze sind des Alten Element.
HERR DUTSCHKE
Wenn spricht ein kluger Mann, sollst du gehorsam lauschen,
Ich lasse ja mein Wort an deine Ohren rauschen,
Da sauge alles ein, die Weisheit mein Besitz,
Nicht scherze drüber und verbeiß dir frechen Witz,
Vor allem sollst du nicht wie die verdorbnen frechen
Lausbuben in der Welt dem Alten widersprechen!
PAUL
Papst Gregor sagte einst, die Hochmuts-Wissenschaft
Voll Überheblichkeit vertraut der eignen Kraft,
Dozierend arrogant herab von dem Katheder,
Es ducke wie ein Hund sich vor dem Lehrer jeder,
Ob keiner auch den Schatz des Lehrers haben will,
Sei alles ehrfurchtsvoll vorm Oberlehrer still!
Die Demuts-Wissenschaft ist wie ein Freund und Bruder
Und hilft mit zartem Rat noch dem geliebten Luder,
Den Weg zu gehn zu Gott, die Demuts-Wissenschaft
Will nicht erobern, nein, sie dient mit aller Kraft,
Sie fragt den Menschen erst, was ist denn sein Bedürfen,
Um dann für den Bedarf im Weisheitsschatz zu schürfen,
Dann lernt der Schüler gern, wenn nicht die Arroganz
Ihn macht gering und klein und ohne eignen Glanz,
Nein, wenn die Wissenschaft ihm gibt nach dem Bedarfe,
Dann ist die Weisheit süß wie David auf der Harfe.
HERR DUTSCHKE
Papst Gregor sagte das? Geh weg mir mit dem Papst!
Daß du mit deinem Papst die Narrenwelt erlabst!
Ausbeuter ist der Papst, Ausbeuter wie der Kaiser,
Ausbeuter ist der Papst, da ist ein Bauer weiser!
Die Abschussliste schon bereit dem Papste steht
Wie auch dem Kaisertum und Seiner Majestät!
Die Zeichen dieser Zeit, sie künden Kommunisten
Und Sozialisten an und schließlich Anarchisten!
Weg mit dem Kapital! Die Wirtschaftskrise ist
Ein Zeichen, wie das Geld die ganze Erde frisst,
Die Krise ist global, regieren doch die Banken,
Die Armen in der Welt am großen Mangel kranken.
PAUL
Wir brauchen eine Welt und Zivilisation,
Da Liebe sich vereint mit Weisheit in dem Thron!
HERR DUTSCHKE
Du redest ideal, da höre ich den Hegel,
Nach jedem Modewind du richtest wohl dein Segel?
Den Hegel stelle ich von seinem Kopfstand nun
Auf seine Füße. Und schon Lenin fragt: Was tun?
Das Fressen kommt zuerst und dann erst kommt die Ethik!
Was nützt dem Armen denn platonische Poetik?
Dem Armen stopf den Bauch und lad ihn ein zum Mahl
Und ist der Bauch erst voll, dann kommt auch die Moral.

(Frau Dutschke kommt hinzu.)

FRAU DUTSCHKE
Der predigt wieder mal als neuer Dalai Lama,
Den unterm Feigenbaum erleuchtet Hare Rama?
Du aufgeblasner Kerl, berauscht vom eignen Ich,
In Selbstbetrunkenheit hört keinen Mann als sich,
In arrogantem Stolz und Hochmut aufgeblasen!
HERR DUTSCHKE
Weib, hast du wieder heut der Monatsregel Phasen?
FRAU DUTSCHKE
Der Zorn hat über dich die Zunge mir geschärft,
Weil deine Arroganz mich schon seit Jahren nervt!
Zum Wasserbüffel bet und lehre noch vom Tao,
Dann werde ich Skorpion zur Ehefrau von Mao!

ZEHNTE SZENE

(Gericht. Herr Reinecke als Ankläger. Herr Bartholomäus als zweiter Ankläger. Paul und Zöli als
Angeklagte. Advocatin Uschi Winkel als Richterin.)

REINECKE
Das Paulchen ist ein Narr, der mit den Tieren spricht,
Es fehlt ihm der Verstand, der Logik Geisteslicht,
Die Zöli liebt er als Gazelle und als Hindin,
Er sieht sich als Gemahl und sie als seine Hündin.
BARTHOLOMÄUS
Denn eine Hündin ist die schöne Helena
Und eine Hure ist das Weib Justitia!
Sie nimmt die Binde ab und schaut mit beiden Augen,
Wem könne sie sein Gold aus seinem Beutel saugen,
Und hinterm Rücken sie das Händchen offen hält,
Ob ihr ein reicher Mann gibt ungerechtes Geld.
Ja, die Gerechtigkeit, die Göttliche, die Pure,
Bei Licht besehen ist sie eine schnöde Hure!
Als Prostituierte liebt für Geld Justitia.
Bei Licht besehen, ist die schöne Helena
Ja eine Hündin auch und allgemeine Schlampe!
REINECKE
Beim großen Buddha und dem Glücksgott mit der Wampe,
Ich hörte oft den Paul und seine eilige
Belehrung war nur dies, dass Zöli Heilige
Sei und die Anima des Universums selber.
Wird Jürgen Niemand nicht vor Eifer immer gelber,
Wenn so du Zöli preist? Sie ist doch Ehefrau!
Er sprach: Ich aber Gott auf ihrem Antlitz schau!
Die Frommen reden so, die Stolzen und die Frechen,
Und Minnereligion heißt, Ehen frech zu brechen!
BARTHOLOMÄUS
Auf die Gesinnung schau! Scheinheilig tut er wohl
Als ehre er den Bund der Ehe, bei Scheol,
Er aber, Minner von des Minneordens Innung,
Ein Ehebrecher er im Innern der Gesinnung.
REINECKE
Und Zöli wäre rein? Sie tut so tugendvoll
Und hört doch immer nur auf ihren Gott Apoll
Und Jürgen Niemand ist für sie der Geistig-Schwache,
Allein vom frommen Paul empfängt sie ihre Sprache
Und plappert allzeit nach, was Paulchen sie gelehrt.
BARTHOLOMÄUS
Der offen sie belehrt und heimlich sie begehrt!
USCHI WINKEL
Das interessiert mich nicht! Was kümmern mich die Herzen
Der Freundin und des Freunds? Des armen Paulchens Schmerzen
Sind wie die dumme Welt Millionen Jahre alt
Und lassen mich genau wie alle Leiden kalt.
Willst du in dieser Welt die Lebenslust verfeinern,
So mögest du dein Herz verhärten und versteinern!
Was Herzschmerz, Tränenglut? Ich sage nur: Was soll’s?
Verlierer der und die ist Siegerin voll Stolz!
Ich sage allezeit: Geschehe nur mein Wille!
Drum trage ich ja auch die schwarze Sonnenbrille,
Daß keine Seele mir in meine Augen schaut,
Daß keiner Seele vor der toten Seele graut!
BARTHOLOMÄUS
Ich aber als Jurist Verteidiger und Mittler
Stünd gern als Advocat und Beistand bei dem Hitler
Und rette den Mann aus der Verdammnis Netz,
Ist eine Lücke wohl für ihn auch im Gesetz.
Als Winkeladvocat will ich mich eilig sputen,
Ich stehe jedem bei, den Bösen wie den Guten.
Ich bin der Richter nicht von Gut und Böse, nein,
Ich scherze mit dem Recht und lass die Wahrheit sein
Ein Ding für die Moral. Was kümmert mich Moral?
Justitia allein, die Hure, herrscht im Saal!
REINECKE
Von Huren redest du? Das ist für mich ein Futter,
Denn abgesehen nur von meiner eignen Mutter
Sind alle Weiber in der Erdenwelt verhurt!
Auch Zöli flirtet gern und wie ein Täubchen gurrt.
Ob ihre Ohren auch das Päulchen nicht erhörten,
Mag sie doch buhlerisch sehr gerne mit ihm flirten,
Romantik liebt sie ja und frommer Minne Schmalz
Und der Erotik Schwatz voll Pfeffer und voll Salz,
Dann tanzt der Schmetterling in ihrem Solarplexus,
Wenn Paulchen scherzt kokett und kitzelt ihr den Sexus!
USCHI WINKEL
Das interessiert mich nicht, was da das Paulchen meint!
Der Böse ist mein Freund und Paulchen ist mein Feind!
Die arme Zöli ist nur eine arme Närrin,
Ich bin in dieser Welt gerecht allein und Herrin!
Laß doch das Minneweib und ihren Minner dichten,
Als Feinde will ich sie jetzt richten und vernichten!
PAUL
Zusammen suchen wir nichts als den lieben Gott.
REINECKE
Dein lieber, lieber Gott, das ist ein Narrenspott!
USCHI WINKEL
So will ich jetzt den Paul mit seiner Wunderschönen
Verurteilt sehn: Die Welt soll dieses Paar verhöhnen!

ELFTE SZENE

(Reinecke und Harlekin in Reineckes Haus.)

REINECKE
Sag allen, dass ich tot bin und gestorben, Knecht,
Sogleich eilt dann heran das hündische Geschlecht,
Schakalen sind sie gleich, sind listig wie die Lüchse,
Wie Wölfe gierig und sind bauernschlau wie Füchse.
HARLEKIN
Ist besser doch, mein Herz, in dieser Welt ein Hund
Als Löwenmajestät im tiefsten Höllengrund.

(Reinecke versteckt sich in einer Kammer. Jürgen Niemand tritt auf.)

JÜRGEN NIEMAND
Wie geht es Reinecke in tödlichen Gefahren?
HARLEKIN
Der liebe Scharlatan gen Himmel ist gefahren!
JÜRGEN NIEMAND
Wo hat der liebe Herr sein letztes Testament,
Da er als Erben mich und Lieblingssohn bekennt?
HARLEKIN
Er sprach im Todesbett, ich kann es dir verbürgen:
Ein Hans Wurst, ja ein Nichts, ist dieser Niemand Jürgen!
Nie will ich schauen mehr die Fratze des Gesichts,
Herr Jürgen Hanswurst ist so hässlich wie das Nichts!
JÜRGEN NIEMAND
Wie? War ich doch sein Freund, sein Kamerad und Bruder,
Wir liebten doch vereint das selbe schlimme Luder!
Nun quält sein Totengeist mich mit Beleidigung
Und noch sein Schatte macht mir Qual mit Peinigung!
(Jürgen ab.)
HARLEKIN
Ja; so was macht mir Spaß, das will ich Tun und Machen,
Die ganze Narrenwelt nun kräftig auszulachen!
Die Welt ein Irrenhaus, ein Mann ein dummes Kind,
Doch Narrenwärter noch die größten Narren sind!

(Advocat Bartholomäus tritt ein.)

BARTHOLOMÄUS
Herr Reinecke, gesund? Ließ Gott ihn noch nicht sterben?
Ich bin sein wahrer Sohn, ich werde von ihm erben.
HARLEKIN
Ach Reinecke ist tot, ach Reinecke ist tot!
Er sprach im Sterbebett: Der größte Idiot
Ist Bartholomäus doch, ein Arschloch, radikales,
Ein Sohn des Satanas gemäß dem Bund des Baales!
BARTHOLOMÄUS
Vereint studierten wir doch der Gesetze Buch
Und nun nichts anderes als noch ein letzter Fluch?
Doch fluche mir nur oft der garstige Unholde,
Ich will den Segen nicht, ich will von seinem Golde!
HARLEKIN
Er sprach: Der Advocat, verdorben, ganz verderbt,
Vom Vater in dem Geist das Söhnchen ist enterbt!
BARTHOLOMÄUS
Dem Lügenvater ich mein Väterchen vergleiche,
Ich spuck auf Reinecke und fluche seiner Leiche!

(Bartholomäus ab.)
HARLEKIN
Man sieht, wie Satanas das Menschenkind versucht,
Bekommt man nicht sein Geld, wird kräftig gleich geflucht.
Ich warte nur noch auf den Dritten, dass der Dritte
Auch werde ausgelacht, bekommt auch seine Tritte.

(Möchtegern-Politiker Herr Dutschke tritt ein.)

HERR DUTSCHKE
Ist Reinecke, mein Freund, an Geist und Leib gesund?
HARLEKIN
Der Leib ist ziemlich krank, der Leib ist todeswund,
Vom Geiste weiß ich nichts, du närrischer Geselle,
Ob Purgatorium ihn aufnahm oder Hölle?
HERR DUTSCHKE
Des toten Lenin Geist ist eingesargt im Herzen
Des Proletariats, wie Gold in Berges Erzen.
HARLEKIN
Doch sprach noch Reinecke kurz vor dem bösen Tod:
Der dumme Dutschke ist wie Höllenfeuer rot!
HERR DUTSCHKE
So hat er mich gekränkt vor seinem bösen Sterben?
Ich hadere mit Gott! Doch will ich ihn beerben!
HARLEKIN
Du wirst nichts erben, Freund! Wer wird beerben ihn?
Sein Erbe ist sein Narr, sein Teufel Harlekin!

ZWÖLFTE SZENE

(Reinecke, verkleidet als buddhistischer Mönch, Harlekin, Dutschke und Bartholomäus, Jürgen
Niemand, Zöli und Paul auf dem Marktplatz. Vom Himmel kommt die Justitia Divina, in ihrer
Linken die Waage des Weltgerichts und in ihrer Rechten das Schwert des göttlichen Urteilsspruchs.
Sie ist eine himmlische Jungfrau in gottähnlicher Schönheit.)

JUSTITIA DIVINA
Herr Reinecke, du Mönch im Ordenskleid des Buddha,
So wahr ich Jungfrau bin des wahren Gottes Mutter,
Jetzt wird dir all dein Gut, das deine Habgier stahl,
Genommen und geschenkt dem Pius-Hospital!
REINECKE
Dem zwölften Pius-Papst? Ah weh! Ich bin vernichtet!
Der Englische Pastor? Der Herr hat mich gerichtet!
JUSTITIA DIVINA
Du selber, Reinecke, du kommst ins Kerkerloch,
Wo Ratten nagen dir am Ohrlapp noch und noch!
REINECKE
Wenn ich schon muß hinab ins Kerkerloch der Hölle,
Sei mit mir Harlekin, mein teuflischer Geselle!
JUSTITIA DIVINA
Du, Harlekin, du Narr, du alter Ziegenbock,
Verprügelt wirst du jetzt, denn dir gebührt der Stock!
Du hast den Reinecke zur Habgier aufgewiegelt,
Drum wirst du toter Hund von Satanas versprügelt!
HARLEKIN
Des Narren Schicksal das, das ist so sein Geschick,
Mir bricht das Schicksal nicht das trotzige Genick!
Dir, o Justitia, und allen Himmelsschwestern
Will ich mit letztem Fluch die keusche Scham verlästern!
JUSTITIA DIVINA
Und du, Herr Möchtegern, du Dutschke! Dir zum Glück
Und deinem Weg gemäß und deiner Politik
Gewähre ich das Glück, zu leben in der Hölle
Auf dieser Erde schon: Ich dir zur Seite stelle
Die böse Ehefrau, den bissigen Skorpion!
So straft Justitia euch voller Spott und Hohn!
HERR DUTSCHKE
O Tibets Berge, fallt doch über euren Schüler!
Der heiße Höllenpfuhl ist als die Ehe kühler!
JUSTITIA DIVINA
Du Winkeladvocat, verdorben und verderbt,
Der seinen eignen Sohn verspottet und enterbt,
Du wirst zur Strafe jetzt für allen stolzen Dünkel
Zum Mann gegeben der Juristin Uschi Winkel!
Der Winkeladvocat und die Juristin hart,
Daß sich das harte Herz dem harten Herzen paart,
Zerplrückt im Ehebett die Eheparagraphen,
Und ob ihr noch so oft mögt miteinander schlafen,
Die Tante Uschi dir kein eignes Kind gebiert,
Weil ich dich mit dem Schwert aus Gottes Zorn kastriert!
BARTHOLOMÄUS
Kastriert am Mannesglied! O frostig-kalter Winter!
Wie gerne hätt ich doch von meiner Lende Kinder!
Die Kinderlosigkeit der Seele ist mein Leid!
Ach diese Einsamkeit, ach diese Einsamkeit!
JUSTITIA DIVINA
Dir, guter frommer Paul, dir gebe ich das Erbe
Des bösen Vaters dein, doch nicht am Geld verderbe!
PAUL
Ich gebe alles Geld den Hungerleidern hin!
Ein Hungerleider ich doch selbst aus Sehnsucht bin!
JUSTITIA DIVINA
Erwähl den Himmelsschatz, der lichter als die Sonne,
Dein Leben weihe ganz der himmlischen Madonne!
PAUL
Maria, Rose rot, dein Duft ist mir vertraut,
Dein Duft ist göttlich süß, du vielgeliebte Braut!
JUSTITIA DIVINA
O Zöli, lieb und schön, geliebt von Jesu Christe,
Wie schön ist doch dein Herz im Schutze deiner Brüste!
Du werde Gottes Braut und gebe Gott dein Ja,
Im Kloster weihe dich der – Santa Spirita!
JÜRGEN NIEMAND
Was aber ist mit mir im Feuer des Gerichts?
Bin ich Herr Niemand denn, bin ich denn Bruder Nichts?
JUSTITIA DIVINA
Du setze dich verkehrt auf einen alten Esel
Und von Sankt Pauli reit zum fernen Städtchen Hesel
Und schreie allzeit laut wie Säufer voller Durst:
Ich bin ein Dummkopf, bin der närrischste Hans Wurst!
Nicht würdig solcher Frau und solcher reinen Gattin!
PAUL
Justitia, gerecht bist du allein, o Göttin!

EPILOG

(Reinecke ganz allein auf der Bühne.)

REINECKE
Ich bin zwar nur ein toter Fuchs –
Das war ein Gaudi und ein Jux!
Klatscht in die Hände zum Applaus!
Jetzt, Mann und Weib, jetzt rasch nach Haus!

DIE NICHTE

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(Student der Physik, namens Mark, und ein Soldat auf der Straße.)

MARK
Komm mit mir, mein Soldat, in Tante Ellis Haus!
Dort geht das Narrenvolk freimütig ein und aus.
Ein Universum ists, die Sterne weithin fliehen,
Ein Raum und eine Zeit, dort wandeln Galaxieen,
Ein Makrokosmos ists, viel Mikrokosmen dort,
Da tönt es von Musik, voll Schall ertönt das Wort,
Dort findest du den Papst und auch den Dalai Lama,
Es ist ein Kaleidoskop und Weltenpanorama.
SOLDAT
Bei meinem Vaterland, bei dem Vereidigen
Aufs deutsche Grundgesetz, ich will verteidigen
Den schönen deutschen Wald, die liebe deutsche Heimat.
Ob Tante Elli auch für Kämpfer einen Reim hat?
Hat Tante Elli Sinn für heldenhaften Krieg,
Für einen Friedensschluß auch ohne einen Sieg?
Denn ich verteidige die Heimat meiner Ahnen,
Ich war am Hindukusch und kämpfte mit Afghanen.
MARK
Die Tante Elli ist zwar Pazifistin, doch
Soldaten, welche in dem Busen noch kein Loch,
Die noch lebendig sind, trotz allen Kampfes Bürde,
Ehrt Tante Elli auch, wie alle Menschenwürde.
SOLDAT
Und gibt es nach dem Blut und Staub und Kampfesschweiß
Auch Weine dunkelrot und Weine goldenweiß?
MARK
Ja, nicht nur Weine rot und weiß, auch goldne Biere,
Auch Japans Pflaumenwein und fruchtige Liköre.
SOLDAT
Und gibt es für den Mann auch was zu beißen? Fleisch?
MARK
Zwar Tante Elli isst nur vegetarisch keusch,
Doch Schokolade gibt’s und Honig für die Kinder,
Für Männer aber Fleisch, ja, Enten, Schweine, Rinder,
Vom Hühnchen eine Brust, vom Hahn den Schenkel rund,
Nur Ratten gibt es nicht und gibt auch keinen Hund,
So isst in China man. So wahr ich Gottes Enkel,
Der Gottesmutter Sohn, vom Frosch auch keinen Schenkel!
Doch Fisch! Forellen und von Krabben den Salat,
Langusten, Krebse und den rosigen Granat
Und weißen Tintenfisch und schließlich Austernmuscheln.
Von dieser Küche kann man nur das Beste tuscheln.
SOLDAT
Zum Tod fürs Vaterland bin allzeit ich bereit.
MARK
Zu Tante Ellis Haus der Weg ist nicht so weit.

ZWEITE SZENE

(Tante Ellis Nichte Luna, vierzehn Jahre jung, und der silberhaarige dicke Bischof in Rente.)

BISCHOF
Du süßes Mädchen Luna, süße Hündin,
Ganz Hündin du wie Helena von Sparta,
Die auch ja grade vierzehn Jahre zählte,
Als Venus sie dem Menelaos nahm
Und sie dem schönen Prinzen Paris gab.
Im Alter du der Heiratsmündigkeit
Sollst also heute einen Mann dir wählen.
Der Patriarch, der Onkel Eduard,
Hat dich als seine Erbin eingesetzt.
Du weißt, der Onkel Eduard ist reich.
Drum, wer dich nimmt zu seinem Eheweib,
Bekommt auch Geld, das alle Menschen lieben.
LUNA
Ach, nach der Heirat steht mir nicht der Sinn.
Wer will sich denn ein Leben lang schon binden?
Kann ich denn jetzt schon wissen, wen ich später
Noch lieben werde, wem ich noch begegne?
Du selber lebst doch auch ganz ohne Frau,
Mein lieber Patenonkel, als ein Bischof.
BISCHOF
Zwar ohne Gattin, doch nicht ohne Liebe!
LUNA
Du meinst bestimmt die heilige Maria?
BISCHOF
Ja, ja, gewiß, die heilige Maria,
Dazu die Kinder auch der Pfarrgemeinde,
Besonders diese Ministranten-Knaben
Sind wunderschön, ein jeder ist ein Amor,
Der mir mit seinem Pfeil das Herz durchbohrt.
LUNA
Und warum kriegst du eigentlich schon Rente?
BISCHOF
Ach, meine Liebe zu den Ministranten
War meinen Vorgesetzten doch zu groß.
LUNA
Was machst du nun in deiner Freiheit, Onkel?
BISCHOF
Ich dichte in platonischer Poetik
Von Philosophen und von Knabenliebe.
Da denk ich immer an die Ministranten,
Die süßen Knaben mit dem Rosenpopo.
LUNA
Die Mädchen interessieren dich nicht sehr?
BISCHOF
Die Mädchen? Ich hab doch gelobt die Keuschheit!
Doch ach, doch ach, die süßen Jesusknaben...

DRITTE SZENE

(Tante Elli, Doktor Kirch, der Arzt ist, Luna, Herr Goldmann, der ein Reicher ist, später kommt
Anna hinzu, welche Tante Ellis Busenfreundin ist.)

TANTE ELLI
Mein lieber Doktor Kirch, was hat denn Eduard?
Woran krankt denn sein Leib? Das sei mir offenbart.
DOKTOR KIRCH
Blutkörperchen im Blut, die roten und die weißen,
Im Blute spielen Krieg und sich wie Feinde beißen
Und in der Adern Bahn in höchst rasantem Lauf
Die Weißen fressen noch die Roten hungrig auf.
TANTE ELLI
Ob er es noch erlebt, wie Luna sich begattet,
Daß er das Testament und Erbe noch erstattet?
DOKTOR KIRCH
Jetzt wird es aber Zeit! Nicht ewig ist beseelt
Der Körper Eduards. Wenn Luna sich vermählt,
Dann soll sie’s heute tun. Auch der Poetik Vater
Sankt Aristoteles ja fordert vom Theater,
Daß alles, was geschieht, an Einem Tag geschieht,
Wogegen sündigt oft doch William Shakespeares Lied.
HERR GOLDMANN
Ja, wenn es schnell gehn soll, so bin ich schon zur Stelle.
Mit Gold gepflastert ist der breite Weg zur Hölle,
Die Liebe aber ist der Goldnen Venus süß,
Der Goldnen Venus Reich ist doch das Paradies!
LUNA
Was interessiert mich das? Du Reicher bist ein Alter,
Ich aber bin noch jung und flattre wie ein Falter.
Du zwar verdienst viel Geld, doch kannst nicht mädchenhaft
Mit Grillenlaunigkeit und Launen launenhaft
Wie Enten in dem Teich so kichern und so schnattern
Und wie ein Schmetterling so flüchtig-lustig flattern!
HERR GOLDMANN
Ein junger Schmetterling auch goldnen Nektar braucht,
Braucht nicht nur, was der Lenz mit seinen Lüften haucht.
Man lebt doch nicht von Luft allein und von der Liebe!
Die Liebe doch vergleicht man oft auch einem Diebe.
Die Liebe ist es nicht, die diese Erdenwelt
Im Allerinnersten so schön zusammen hält.
Was fließt denn dieser Welt durch jegliche Arterie,
Was fließt denn durch das Erz der irdischen Materie?
Es ist das reine Gold, es ist das liebe Geld!
LUNA
Herr Goldmann, du bist ja ein wahrer Liebesheld!
Glücksgöttin, segne mich, du launische Fortuna!
Ich möchte frei sein, ich, das hübsche Mädchen Luna.

(Busenfreundin Anna tritt auf.)

TANTE ELLI
Ach Busenfreundin mein, ach liebste Anna mein,
Zwei Hälften wollen wir von Einem Apfel sein!

VIERTE SZENE

(Tante Elli, Busenfreundin Anna, Doktor Kirch.)

DOKTOR KIRCH
Ich hatte einen ärmlichen Patienten,
Der sich beim Sohne seiner Herzensfreundin
Einst angesteckt und einen schrecklichen
Keuchhusten hatte jeden Morgen, aber
Er dachte, dieser Husten käme nur
Vom Rauchen, denn er rauchte Zigaretten
In höchstem Übermaß, wohl fünfzig Stück
An einem Tag, und ruinierte so
Die beiden Lungenflügel seiner Brust.
Er sagte also sich: Was soll ich denn
Beim Arzt, wenn mir der Doktor Kirch nur sagt,
Daß Zigarettenrauchen ungesund?
Das weiß doch jeder Knabe in der Schule.
Da ich das Rauchen doch nicht lassen kann,
So geh ich gar nicht erst zum Doktor Kirch.
ANNA
Die liebe Luna aber ist so blass!
TANTE ELLI
Ja, oftmals plagt sie eine Übelkeit,
Kopfschmerzen plagen sie und schlechte Laune.
Auch hat sie einen seltsamen Geschmack
Und isst zur Schokolade saure Gurken.
DOKTOR KIRCH
Bachblütentherapie kann ihr da helfen.
Denn dieser weise Mediziner Bach
Erkannte, dass die Krankheit einen Sinn hat.
Es sind ja alle Leiden selbstverschuldet
Durch eignes Fehlverhalten. Wenn der Arzt
Mit der Chemie der Mediziner aber
Die Krankheit unterdrückt, so lernt der Kranke
Nicht, seiner Krankheit Weisung zu erkennen.
Denn jede Krankheit will uns etwas sagen.
Rein geistige Potenzen nun der Blüten
Erleuchten reiner Geistigkeit den Geist
Und reinigen die Aura einer Seele
Und bringen Heilungskräfte der Natur
Und ihrer elementaren Geister ein
In den sublimen Stoff des Ätherkörpers
Und aktivieren so die Heilungskräfte,
Die in dem Inneren der Seele liegen.
Selbstheilung nennt man das und Selbsterlösung.
ANNA
Davon versteh ich nichts. Ich mach mir Sorgen
Um Luna, warum ihr so übel ist.
Hat sie Probleme mit der Menstruation?
TANTE ELLI
Wir sublunaren femininen Wesen
Sind doch regiert vom Mond und seiner Regel.
ANNA
Nun, Luna wird’s bald wieder besser gehen,
Nach jedem Regen kommt der Sonnenschein.

FÜNFTE SZENE

(Tante Elli, Bischof, Doktor Kirch, Mark und der Soldat.)

MARK
Da ist der Bischof, Herr, der Doktor für die Seele!
Und dort der Arzt, ja weiß der Arzt denn, was mir fehle?
Wie krank ist meine Haut doch von dem Muttermal,
So schneide mir es fort mit einem scharfen Stahl!
BISCHOF
Du bist ein Protestant? Sag, was ist dein Bekenntnis?
Gestehe, was du glaubst, dein sündiges Geständnis!
MARK
Den falschen Gegengott Muslime beten an,
Es steht doch die Moschee ganz in des Teufels Bann!
Beim Katzenjammer, ach, der Perser bidamag buden –
Das auserwählte Volk, das ist das Volk der Juden.
Wenn zum Messias sich bekehrt das Volk von El,
Dann kommt der Herr zurück zum Staate Israel.
Der Doktor Luther war ein heiliger Apostel.
Die Lutheraner heut im deutschen Fallingbostel
Sind Hure Babylon, wie ihre Schwester auch.
Es weht jedoch der Geist in feierheißem Hauch
Seit Zinzendorf im Kreis der Schar der Pietisten,
Die Neugebornen sinds, die neugebornen Christen.
John Wesley war ein Mann, ein gottgeliebter Christ,
Beinahe wär ich selbst ein frommer Methodist.
Den Glauben fand ich auch der bibeltreuen Christen
Bei Anglikanern, doch noch mehr bei den Baptisten.
Herrnhuter trinken Tee statt Wein zum Abendmahl,
Sie essen graues Brot nur zum Gedächtnismahl.
Jedoch die Jesus-Freaks gar Coca Cola trinken
Und mit Kartoffelchips anstatt der Hostie winken.
BISCHOF
Es hat doch unser Herr gebaut auf Peters Fels.
MARK
O Herrgott Zebaoth, o Herrgott Israels,
Nun ist die Kirche gar ein Mädchen, eine Mutter?
Der Fünfte Evangelist ist Doktor Martin Luther!
TANTE ELLI
Seit dreißig Jahren schlagt ihr euch die Köpfe ein,
Wer sei in Wahrheit nun der heilige Verein.
Was Protestantismus, was der alte Katholizismus?
So übt doch Toleranz und ehrt den Relativismus!
MARK
Wie Preußens Friedrich sprach, dass selig werden soll
Ein jeder, wie er will? Ich habe die Schnauze voll
Von dieser Häresie, es habe jedes Tierchen,
Die Hündin wie der Hund, sein eigenes Pläsierchen!

SECHSTE SZENE

(Soldat, Advokat, Mark, Tante Elli.)

SOLDAT
Das älteste Gedicht der Liebe ist
Ein babylonisches Gedicht vom Krieg
Der Liebe, von dem Krieg der Liebesgöttin
Inanna, der entbrannt um den Salatkopf
Inannas: Der Salatkopf ist die Vulva,
Um diese Vulva ward ein Krieg geführt,
Des Mannes Waffe seine Manneskraft,
Des Weibes Feuerpfeile ihre Blicke,
Die langen Seidenwimpern ihre Dolche,
Die Brüste explodierende Granaten!
Sex-Bombe nämlich ist die Liebesgöttin!
Frau Liebe selbst ist eine Liebes-Bombe,
Und wie die Napalm-Bombe Feuer ausgießt,
Das nicht zu löschen ist von Ozeanen,
So ist die Liebe eine Flamme Gottes,
Die nicht zu löschen ist von Wasserfluten.
ADVOKAT
Ihr seid so Schwätzer! Seh ich den Studenten,
Den Ewigen Studenten, der so schmutzig
Ist wie die Ratten in Zigeunerlagern,
Seh ich den Ewigen Studenten, der
Gleich einem Bettelmönche, der entlaufen
Dem Bettelorden ist, um Wein zu saufen,
Empört sich heiß das ehrliche Gewissen
Des Mannes, der noch fleißig Geld verdient.
MARK
Ja, was das Geld betrifft, das liebe Geld,
Da sagt die Herrin Weisheit, dass die Liebe
Zum Geld die Wurzel ist der tausend Übel.
Großzügig aber ist die Herrin Weisheit
Und schenkt jedwedem Menschen ihre Gaben.
Auch Onkel Eduard, der Patriarch,
Hat seine eigne Lebensphilosophie.
Wie Atomisten Griechenlands sagt er,
Die Welt sei nur aus Zufall von Atomen.
Wie Epikur in seiner Freundschaft Garten
Er sagt, es gäbe keine Himmelsgötter
Und nicht unsterblich sei des Menschen Seele.
Wie Aristippus lehrt auch Eduard,
Genuß und Freude sei des Lebens Sinn.
Das ist des Patriarchen Lebensphilosophie,
Ist Materialismus, Hedonismus.
Sankt Augustinus schätzte diese Weisheit
Und sagte: Gäbe es den lieben Gott nicht,
So wäre es die höchste Weisheit doch,
Das Leben auf der Erde zu genießen
Mit schönen Lüsten in der Freundschaft Garten.

SIEBENTE SZENE

(Tante Elli, Patriarch Eduard, Politiker, Mark.)

MARK
Ach, der Politiker, der grenzenlose Schwätzer,
Ein wahrer Antichrist, Ungläubiger und Ketzer!
TANTE ELLI
Wen meinst du denn damit, du lieber Gottessohn?
MARK
Den Revolutionär der Sexus-Revolution!
TANTE ELLI
Ach, willst du denn zurück zur prüden Einerleiheit?
Liebst du den Eros nicht, die sexuelle Freiheit?
MARK
Marxisten wollten einst Proleten-Revolution,
Ein Himmelsparadies im Tal der Tränen schon.
Der schöne Traum ging in der Wirklichkeit verloren,
Der Kommunismus war Diktat der Diktatoren.
Jedoch der Neu-Marxist, der Neo-Sozialist
Der Schule Frankfurts sah: Das größte Übel ist
Die christliche Kultur, des Abendlandes Lilie,
Am allerschlimmsten sind die Ehe und Familie.
Für Tugend und Moral sprach Romas Pontifex,
Jedoch der Sozialist, er wollte wilden Sex,
Der freien Liebe Lust, enthemmten Hedonismus!
Zur Ware ward die Lust im Materialismus,
Es kam die Hurerei, es kam die Pornographie,
Abtreibung, Ehebruch, der Unzucht Anarchie!
POLITIKER
Du, junger Freund, bist jung und glaubst an Offenbarung,
Doch ich Politiker, ich habe viel Erfahrung.
Die Freiheitsrevolution marxistischer Kultur
Von Sklaverei erlöst, befreite die Natur,
Vom Kirchenpatriarchat lang unterdrückte Triebe
Befreit die Revolution der ungehemmten Liebe,
Vorbei die Prüderie, der Unterdrückung Frust,
Die Freie Liebe herrscht, die Herrscherin der Lust!
PATRIARCH EDUARD
Ich schau den Staatsmann an, der Völkerfrieden stiftet,
Es hat die Religion die Völker oft vergiftet.
Ist unten Hölle nicht und oben Himmel nicht,
Ist irdischer Genuß des Menschen höchste Pflicht.
Dann kommt der Völker Wohl, dann werden augenblicklich
Die Völker satt, die Welt genießt, der Mensch ist glücklich,
Dann herrscht die Herrscherin, die ich auf Erden seh
Als Seligmacherin, die Göttin Hedone!
MARK
Ach, Tante Elli, ach, ich kam zum Mittagessen,
Ich wollte Ente braun und Erdnussbutter essen.
TANTE ELLI
Kommt alle jetzt zum Mahl, der Tisch ist schon gedeckt,
Die Silberlöffel sind so blank wie abgeleckt,
Es werde heute satt die ganze Menschentruppe,
Es gibt zum Kürbisbrot gewürzte Kürbissuppe.

CHORUS
(Die Muse der Komödie, Thalia, und die Muse der Liebespoesie, Erato, und der siebenjährige
Kleine Gott Amor.)

THALIA
Nun sind alle die Personen
Vorgestellt im ersten Akte?
ERATO
Eine Schönheit aber fehlt doch,
Eine Ewig-Musterhafte,
Wie die andern edlen Frauen
Vom Parnaß des Dichterhimmels.
THALIA
Ist die junge Hündin Luna
Nicht lasziv genug und reizend?
ERATO
Etwas liederlich und lüstern!
Nein, die Damen unsrer Dichter
Waren Heilige der Tugend!
THALIA
Wie erscheint dir Tante Elli?
Ist sie Herrin nicht des Hauses?
ERATO
Doch dass ich sie lieben könnte,
Müsste sie die Wahrheit lieben.
THALIA
Und die Busenfreundin Anna?
ERATO
Ach, auch sie ist nicht vollkommen.
THALIA
Immer bist du unbefriedigt!
Ach ich weiß, ihr armen Dichter,
Leicht wohl kann man Kränze flechten,
Aber schwerer ist zu finden
Doch ein Haupt, des Kranzes würdig.
ERATO
Was macht grade unser Dichter?
AMOR
Heute traf er seine Herrin,
Die mit streng verschlossnem Antlitz
Seine Liebe abgewiesen!
Aber als er noch gesprochen
Von der Göttlichkeit der Liebe,
Lächelte die Schöne Dame,
Voller Mitgefühl die Blicke,
Und er küsste ihr das Händchen!
Jetzo sitzt er in der Zelle,
Voller Wehmut, voller Schwermut!
ERATO
Kleines liebes Gottchen Amor,
Ach ich bitte dich fürsprechend,
Bringe meinem Liebesdichter
Heute nacht zwei Flaschen Rotwein!
ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Tante Ellis Nichte Luna, ihre alte Kinderamme, ihre Freundin Lena, die die vierzehnjährige Tochter
von Anna ist.)

AMME
Nun, liebe Luna, liebes Herzilein,
Du sollst ja bald den Tag der Hochzeit feiern.
Vielleicht kommt ja ein Prinz auf seinem Schimmel
Und macht dich zur Prinzessin seines Schlosses?
LUNA
Ich bin zu alt für solche Kindermärchen.
AMME
Nun sammle immer auch die kleinsten Münzen
In einem großen Glas für schöne Schuhe,
Brautschuhe, ach, die Träume der Prinzessin,
Schon wegen dieser Schuhe lohnt die Hochzeit.
LENA
Doch wenn die Tauben gurren Ruckediguh?
AMME
Da ist der reiche Mann, der sich bewirbt,
Dann gibt es auf dem Brot nicht Pflanzenfett
Und sonntags nur die gute deutsche Butter,
Nein, allezeit dann speist du die Langusten
Und Gambas mit dem Knoblauch und dem Öl.
Im Urlaub fährst du nicht nur an die Ostsee,
Du fliegst zu den Kanaren und nach Kuba.
LUNA
Wie würde ich dann heißen? Luna Goldmann?
LENA
Dein Name wäre Luna Silberfrau.
AMME
Ja, ja, Herr Goldmann und Frau Silberfrau,
Das wäre eine mystische Union.
LUNA
Ha, mystische Union? Du meinst wohl Sex!
AMME
Und wenn dich nun der Advokat Bartory
Zur Gattin nähme, wärst du Advokatin.
LENA
O Advocata nostra, ora pro nobis!
AMME
Da könntest du im schnellen Wagen fahren,
Denn reiche Männer haben schöne Frauen
Und reiche Männer haben teure Autos,
Ein reicher Mann mit einem teuren Auto
Hat neben sich gewiß ein schönes Weib.
LUNA
Was soll ich denn mit diesen alten Säcken?
Ich möchte lieber Super-Model werden!
AMME
Jetzt bist du jung und schön noch, Herzilein,
Doch wenn du alt und hässlich erst geworden,
Dann will dich keiner mehr zum Weibe haben.

ZWEITE SZENE

(Amme, Luna, Lena, Anna, Friseur.)

AMME
Nun, liebe Luna, soll dich der Friseur frisieren.
FRISEUR
Du junges Fräulein sollst dich nicht so schamhaft zieren,
Wie schön geschaffen dich die heilige Natur,
Noch schöner wirst du sein, mach ich dir die Frisur.
Hör gut mir zu, mein Kind, was ich dir offenbare,
Der Zauber einer Frau liegt in der Macht der Haare.
LUNA
Noch ist mein Haar ja blond und ist nicht silbergrau.
FRISEUR
Doch du bist solch ein Weib von solcher Art von Frau,
Dir tut der Eros-Schalk in allen Haaren sitzen,
Ob blond, ob rot, ob schwarz, er sitzt in deinen Spitzen,
Einst sitzt der Eros-Schalk in deinen Strähnen grau,
Allmächtig ist dein Reiz, du wunderschöne Frau!
ANNA
Doch wenn die Krankheit kommt und dir zerfrisst die Glieder
Und Krebs zerfrisst die Brust, den Busen in dem Mieder,
Wenn dir der Arzt dann nimmt vom Leibe eine Brust,
Bist du nicht Venus mehr, die Königin der Lust.
FRISEUR
Der Doktor hat erzählt, dass Jungfrau Luna kränkelt,
Es plage Übelkeit die Jungfrau schöngeschenkelt?
AMME
Ja, irgendetwas treibt in ihrem blauen Blut,
Es hüpft das Ei im Schoß mit namenloser Wut.
Ich kann mich wehren nicht der schrecklichen Gedanken:
Wär doch nicht Schwangerschaft der jungen Frau Erkranken!
LUNA
Um Gottes Willen, nein! Nur keine Schwangerschaft!
Wo wäre hin mein Reiz und alle Liebeskraft?
Ich müsste Ammen gleich mit heiligen Christkindeln
Im Bette liegen und den Rosenpopo windeln
Und hören Kinder schrein, die Brüste nicht mehr straff,
Von Kindern ausgesaugt, die leere Beutel schlaff!
ANNA
Wenn ich an Lena denk, mein Busen war ihr Futter,
Wie glücklich macht ein Kind die liebevolle Mutter!
Ein Kinderlachen macht so froh und auch ihr Schrein,
Ich möchte ewig nichts als liebe Mutter sein.
FRISEUR
Wenn Luna aber krankt, so ruft doch den Doktoren,
Den großen Doktor Kirch, den beten an die Toren,
In weißem Kittel kommt er an in ernstem Trott,
Der Herrgott ist dein Arzt, der Doktor ist dein Gott!
Der Doktor ist ein Gott im Kreis der reichen Männer,
Der Angebetete ein Gott und Alleskönner!

DRITTE SZENE

(Tante Elli, Busenfreundin Anna, Luna, Lena, Doktor Kirch, Advokat Bartory.)

TANTE ELLI
Du meine liebe süße Nichte Luna,
Ich wollt, du hättest Tiffany geheißen.
Für mich bleibst immer du die Tiffany!
DOKTOR
Jetzt aber muß ich dich zur Ader lassen.
O Luna, o du schönes weißes Weib,
Ich stech die Spritze in das Rückenmark
Und sauge Blut aus deinem Becken aus
Und untersuche dann dein Blut auf Fett.
LENA
Blutegel, deine beiden Töchter heißen:
Gib her! Gib her! So sagte Salomon.
DOKTOR
Ich bin doch kein Vampir, bin keine Lilith,
Und selbst Vampire haben nicht die Macht
Das Blut der Marmorvenus auszusaugen.
LENA
O heilig Blut! Martyrium des Herrn!
In allem Blut das Blut des Heilands seh ich!
TANTE ELLI
Nun sollst du auch noch einen Gatten kriegen.
Schau, wie vom Himmel her kommt galoppiert
Der Advokat Bartory, er, dein Retter!
Ein gottgesandter Bräutigam für dich!
DOKTOR
Ja, unser lieber Advokat Bartory
Hat oft mit mir im Tennisspiel gekämpft,
Wir beide liebe sehr das Tennisspiel.
TANTE ELLI
Ja, ja, weil dort die Tennisspielerinnen
So kurze Röckchen überm Popo haben.
DOKTOR
Der Advokat Bartory ist ein Sieger
In jedem Tennis-Match! Und ein Turnier
Ist schon benannt nach ihm, und der Pokal
Des Herrn-Bartory-Tennisspiel-Turniers
Ist sehr begehrt, umkämpft mit Leidenschaft.
TANTE ELLI
Doch hat Herr Goldmann nicht noch größern Reichtum?
LUNA
Nun, Geld genug muß schon mein Gatte haben,
Ich will ja nicht in einer kleinen Zweiraumwohnung
Nur Erbsensuppe essen oder Nudeln,
Ich möchte in Marokko Cous-Cous essen
Und dann in Kuba nehmen einen Drink
Und dann zurück sein zum Café au lait
Am Nachmittage in Paris und abends
In der Toskana trinken weißen Wein.
TANTE ELLI
Herr Goldmann kann dir dieses alles bieten.

VIERTE SZENE

(Herr Goldmann und der Bischof in Rente.)

HERR GOLDMANN
In Spanien sah ich einst ein Kirchlein ganz von Gold,
Da hab ich beten gar in diesem Dom gewollt.
Auch die Alhambra sah ich mit geheimem Schauren,
Wie schön ist doch das Gold der Araber und Mauren.
BISCHOF
Ich auch fürs liebe Geld üb aus mein Priesteramt,
Und dass die Seele nicht in Ewigkeit verdammt,
Man gibt mir liebes Geld, dass ich die Messe singe,
Ich singe ja so schön, wenn nur das Silber klinge
Im Klingelbeutel so, ich bin ja nun geweiht
Und angestellt beim Papst, so muß ich meine Zeit
Ableisten auch im Dienst. Doch soll man mich nicht stören
Bei meinem guten Schlaf, dann möchte ich nicht hören
Das dumme Telephon und Menschen, die in Not:
Herr Bischof, kommen Sie, es naht der Bruder Tod,
So geben Sie der Frau die Sterbesakramente!
Ich war noch fett und faul von der gebratnen Ente
Und schlummerte so süß in meinem weichen Bett
Und sagte also nur, dass keine Zeit ich hätt.
HERR GOLDMANN
Wie viel verdienst du denn in deinen Gottesstaaten?
BISCHOF
Ach, nicht so schlecht! So viel vielleicht wie Advokaten.
Nur junge Eiferer kann ich nicht leiden gut,
Die Charismatiker mit ihrer Inbrunst Glut.
Da lieber sind mir doch, und wären’s Protestanten,
Die kuchenessenden und kaffeetrinkenden Tanten.
HERR GOLDMANN
Ich spende etwas Geld für deine Kirche, schau,
Baufällig ist ja schon der ungenutzte Bau,
Mit diesem Spendengeld bau einen goldnen Tempel
Und stifte ihn der Kunst, da sollen zum Exempel
Konzerte finden statt und Orgeln tönen schön,
Dann wird die Kirche auch Besucher wieder sehn.
Hier hunderttausend Mark, nein, heute heißt es Euro,
Die hunderttausend Mark sind fünfzigtausend Teuro.
BISCHOF
Was kann denn ich dir tun zu deinem Seelenheil?
Frag nicht um ein Gebet, das macht mir Langeweil.
HERR GOLDMANN
Fürsprecher kannst du sein beim jungen Mädchen Luna,
Sag ihr, gesegnet sei ich von der Frau Fortuna,
Daß über meinem Haupt sich dreht das Rad des Glücks.
BISCHOF
Fürsprecher will ich sein, dann kommt die Liebe fix.

FÜNFTE SZENE

(Friseur, Advokat, Doktor, Herr Goldmann, Mark, Luna, Lena, Tante Elli.)

FRISEUR
Oh, diese Hündin Luna will ich haben,
Sie hat das allerschönste Haar der Welt!
Ja, meinetwegen nehmt das Weib mir weg,
Doch lasst mir ihre langen Seidenhaare!
Ich hebe keinen Milchzahn auf von ihr,
Den Milchzahn schenk ich gerne ihrer Zahnfee,
Doch eine Lockenspitze will ich haben
Und eingeschlossen in dem Medaillon
Will ich die Liebe immer bei mir haben,
Die mit der Spitze Eines ihrer Haare
Die Mannesbrust zu Tode mir verwundet!
ADVOKAT
Ich will die junge Hündin Luna haben,
Daß in die seelenloseste Kanzlei
Die blonde Seele einzieht mit dem Lachen
Der Unbekümmertheit und Heiterkeit!
DOKTOR KIRCH
Ich will den Leib der jungen Hündin Luna,
Sezieren möchte ich des Weibes Körper
Und mit dem scharfen Messer operieren
Und will dem Körper folgen bis zum Grunde,
Ob ich im Stoffe der Materie finde
Die Seele. Denn wo ist der Seele Sitz?
Sitzt ihre Seele in dem Mädchenhirne,
Sitzt ihre Seele in dem Mädchenherzen,
Sitzt ihre Seele in dem Monatsblut?
HERR GOLDMANN
Ich will die schmucke Hündin Luna haben,
Weil ich mich zeigen will mit einer Schönheit.
Was ist in der Gesellschaft dieser Welt
Ein Reicher ohne schmuckes Weib am Arm?
Die schmucke Luna sei des Reichen Schmuckstück.
MARK
Und keiner redet von dem Mädchen Lena?
Ich aber hab geträumt vom Mädchen Lena.
LENA
Was hast du denn von mir geträumt, mein Mark?
MARK
Ich war mit meinem Freund und Glaubensbruder
In einem Gottesdienst, da las man vor
Das Wort des Herrn. Mein Freund und Glaubensbruder
Und ich an seiner Seite schlummerten,
Wir kannten alles, was in Gottes Wort steht.
Du aber hörtest Gottes Worte zu
Und schlugest auf die Genesis von Mose
Und lasest ganz genau in Gottes Wort
Wie eine Schülerin des Wortes Gottes.

SECHSTE SZENE

(Patriarch Eduard, Friseur, Doktor, Advokat, Politiker, Bischof, Herr Goldmann, Tante Elli, Anna,
Mark, Luna, Lena.)

PATRIARCH EDUARD
Wer Luna haben will, der höre mein Gebot:
Gott Mammon ist allein der Herrscher und der Gott,
Gott Mammon, der erlöst uns aus der Armut Knechtschaft,
Der Lebenslust verschafft, der Glück zum Menschenrecht schafft,
Auf jede Münze prägt man Kaiserbilder ein,
Gott Mammon soll allein euch Gott und Kaiser sein.
Gott Mammon dient allein, sonst Gott und allen Göttern
Begegnet voller Hohn, mit Lustigkeit von Spöttern,
Gott Mammon bringt allein des Arbeitsschweißes Frucht,
Gott Mammon ist ein Gott von heißer Eifersucht.
Wer nämlich diesen Gott verschmäht und gar verachtet,
Der lebt in Einsamkeit, in Wahnsinn und umnachtet.
Wer diesen Gott verschmäht, noch Kind und Kindeskind
Wird strafen dieser Gott, sie ernten nichts als Wind.
Wer aber Mammon liebt, wird von dem Gott gesegnet
Und Sternentaler-Gold vom Himmel reichlich regnet.
Nie schmähe du das Geld! Wer nicht den Pfennig ehrt,
Ist wert auch nicht der Mark, so sehr er sie begehrt.
Weltspartag ehre du, da bringe du dein Sparschwein,
Weltspartag ist das Fest, da eisern soll gespart sein.
Sei fleißig alle Zeit und sage den Besuchern
Des Aktienmarkts, man soll mit den Talenten wuchern.
Auch Sonntags fleißig seid und geht in das Geschäft,
Vom Handel lebt die Welt, das schreib dir in dein Heft.
Den Vater ehre du, denn muß der Vater sterben,
Von seinem Testament wirst du den Reichtum erben.
Begehrst du eine Frau geheimer Sympathie,
Mit Geld, Geschenk von Gold und Schmuck du kaufe sie,
Begehrst du eine Frau, so runzle nicht die Stirne,
Denn will das Weibchen nicht, so kauf dir eine Dirne.
Begehrst du gar ein Haus, das alte Omilein
Von nebenan betrüg und lad zum Tee sie ein,
Daß sie dir unterschreibt, was gar nicht sie verstanden,
Und schon ist dein ihr Haus. Ist alles dann vorhanden,
So dankt dem goldnen Gott, wenn ihr zu beten wisst:
O Vater Mammon du, der du mein Himmel bist!
TANTE ELLI
Kriegt Luna einen Mann, was soll der Gatte glauben?
PATRIARCH EDUARD
Die Religionen doch die Ruhe mir nicht rauben.
Ob Jesus, Buddha, ob Allah und Mohammed,
Ob Zarathustra, ob da Hare Rama steht
In seinem Taufschein, das ist gleich. Die Protestanten,
Die Orthodoxen und die Katholiken-Tanten
Sind blinde Hühner doch und picken nicht so tief.
Nur eines sicher ist, dass Wahrheit relativ.
Das glaube dieser Mann. Die Wahrheit ist die gute,
Nur Relativismus ist die Wahrheit, absolute!

SIEBENTE SZENE

(Mark und Lena.)

MARK
O Lena, du bist eine Grazie Gottes,
Charme Gottes lächelt dir auf deinem Antlitz!
Du bist so weiß wie eine weiße Lilie,
Du bist so rot wie eine rote Rose
Und schwarz wie Ebenholz der Haare Schleier!
Wie lieblich lächeln deine süßen Lippen
Und wie charmant die klugen Blicke blitzen!
Was soll ich dir von deiner Nase sagen?
Ich finde, Gott der Herr als Liebesdichter
Im Hohen Liebes-Liede Salomos
Hat für die Nase da gewählt ein Gleichnis,
Das etwas seltsam ist. Doch deine Nase
Ist ganz vollkommen, wunderschöne Lena.
LENA
Ich danke dir für deine Komplimente.
MARK
Sag, magst du etwa gar den Advokaten?
LENA
Ich finde, dass sein Herz wie Eisen hart ist!
MARK
Schau hier, auf diesem Zettel steht ein Spruch,
Den hab ich aus der Bibel abgeschrieben.
Das lehrte mich der Jude Salomo,
Daß diese Worte sind ein Liebeszauber.
LENA
Magie? Die Liebe lässt sich niemals zwingen!
MARK
O Freund, du hast doch deinen eignen Brunnen,
Die eigne Quelle frischen Lebenswassers!
So trinke doch aus deiner eignen Quelle!
Willst etwa du, dass deiner Quelle Wasser
Auf alle Straßen fließt, in alle Gassen?
Das Wasser deiner Quelle teile nicht
Mit andern Männern. Trink du es allein,
Für dich allein soll deine Quelle sprudeln!
So freue dich an deiner lieben Frau,
Die du als schönes Mädchen dir genommen!
Sie soll dir viele liebe Knaben schenken!
Wie die Gazelle ist dein Weibchen schön
Und voller Anmut wie die Antilope!
Berausche allzeit dich an ihren Brüsten!
An ihren Brüsten du vergiß dich selbst!
LENA
Jetzt hast du mich mit Gottes Wort bezaubert!

CHORUS

(Thalia, Erato und der Kleine Gott Amor.)

THALIA
Das Poem ist fortgeschritten,
Die Personen sind bekannter,
Auch die Liebe ist erschienen!
ERATO
Ja, die Grazie Gottes, Lena,
Hat mir wirklich gut gefallen,
Dieser Zauber, diese Anmut,
Dieser Charme und dieser Liebreiz,
Ganz betörend, keusch und reizend!
AMOR
Aber ich hab heut gesehen
Sankt Maria Magdalena,
Schönste aller Sünderinnen!
ERATO
Wirklich, sie die Allerschönste?
Wie viel Sünderinnen kennst du?
AMOR
Ah, ich sah die Dirne Aphra,
Die zur Liebe sich bekehrte,
Schaute die Hetäre Thais,
Die ein Eremit bekehrte,
Sah Pelagia, die Hure,
Welche sang und welche tanzte
Und dann eremitisch lebte,
Die ägyptische Maria
Sah ich nackend auf dem Schiffe
Kopulieren mit Matrosen
Und dann in der Wüste büßen.
ERATO
O die Heiligen des Himmels!
Welch ein Paradies des Himmels,
Wo ein Christ, der Christus glaubte,
Trifft Ägyptiaca, Aphra,
Sankt Pelagia und Thais!
AMOR
Doch Maria Magdalena
Hatte doch den schönsten Körper,
Schlank wie eine Dattelpalme,
Traubengleiche weiche Brüste,
Schenkel straff wie goldne Spangen,
Lippen rot wie Rosenblüten,
Augen sanft wie Taubenaugen!
O die Liebe voller Lüste
Offenbarte Gottes Flamme,
Lebensvolle Liebesflamme!
ERATO
Ihre Schönheit sie verführte
Wohl zur Unzucht freier Liebe?
AMOR
Doch der Narr, der Joker Gottes,
Sie erlöste und verklärte
Sie zu einer Menschengöttin!

DRITTER AKT

ERSTE SZENE

(Apotheker, Friseur, Amme, Lena.)

APOTHEKER
Sie wollen alle jetzt nur essen den Gagant,
Der weiße Weizen wird von aller Welt verkannt,
Man liebt die Medizin Sankt Hildegards voll Dünkel
Und isst nur noch das Brot gebacken aus dem Dinkel.
Erdnüsse isst man nicht und nicht die Haselnuß
Und nicht die Walnuss mehr, jetzt nur noch Mandelmus.
Und isst man braunes Fleisch, so nicht mehr von der Ente,
Weil sich die Ente nährt vom Schmutz der Elemente,
Und isst man auch noch Fisch, so nicht den fetten Aal,
Der auf dem Meeresgrund aus Kot sich macht sein Mahl.
Stattdessen schützt man sich vor ungesunden Strahlen
Mit Edelsteinen, die doch kaum sind zu bezahlen.
AMME
Ich lieb den Hefekloß, Vanillesauce heiß,
Mit Heidelbeeren blau, auch süßen Birnen weiß.
Ein weißes Brötchen lieb, mit Honigmilch, nicht bitter,
Geröstet auf dem Herd, das nennt man Armen Ritter.
FRISEUR
So ist der Tisch gedeckt zum Lob des Gotts des Glücks,
Nicht diesem Jammerbild an seinem Kruzifix,
Der Glücksgott Chinas ist mit seinem dicken Bauche
Der Segen unsres Mahls, und was ich weiter brauche,
Die Schicksalsgöttin gibt’s. Der Schicksalsgöttin Lob!
Wie findet man den Weg? Man fragt das Horoskop.
Der Jupiter-Planet, das ist der Gott des Glückes,
Und kommt zu dir das Glück, so heb die Hand und pflück es!
Planet der Venus ist der Schicksalsgöttin Ort,
Die Göttin Manath ists, genannt in Gottes Wort,
Ich meine den Koran, die Göttin Manath-Venus,
Die Göttin Meni nennt sie Jesus Nazarenus
In seiner Biblia. Und Manath-Meni ist
Die Schicksalsgöttin, die das Schicksal zubemisst,
Denn Meni kommt von Mens, vom Monde und vom Meter
Und von der Menstruation (Was wissen Kirchenväter!)
Die Göttin Meni misst uns unsre Speise zu.
Die Todesstunde kommt, da führt zu unsrer Ruh
Ins Venusparadies die Göttin Venus! Veni
Creator spiritus! Ich lieb die Göttin Meni!
LENA
Ich aber lieb den Gott, der Amen ist und Ja,
Der Liebe Flamme ist die Glut der Gottheit Jah!

ZWEITE SZENE

(Mark und der Soldat.)

MARK
Von alten Frauen hörte ich, die einst
Katholisch waren und Maria ehrten
Und dann vom Glauben abgefallen sind
Und beteten des Mondes Göttin an,
Die himmlische Diana, die der Mond ist.
SOLDAT
Nichts ist der Mond als nur ein toter Stein.
MARK
Ich aber bete zu der Intelligenz,
Der hundert Milliarden Galaxien
Erschaffen hat und ist auch aktuell
Noch schöpferisch in dem Bereich der Quanten.
SOLDAT
Dies große Universum macht mir Angst!
Wie soll ich gegen schwarze Löcher kämpfen?
MARK
Das ungeheuerliche Übergroße
Bis zu dem Horizont des Universums,
Das ungeheuerliche Überkleine
Der Spukgespenster Quanten oder Quäntchen,
Sind die Extreme, doch im Zentrum steht
Der Mensch mit seinem denkenden Gehirn,
Das ist komplexer als das Universum.
SOLDAT
Ich will nicht denken! Die Gedanken sind
Nur störend bei dem Liebeskrieg mit Frauen!
Schenk lieber ein den Becher des Vergessens!
MARK
Ja, meine vielgeliebte Freundin ist
Ein Weinberg! Aber dieser Weinberg ist
Der Weinberg der galaktischen Carina
Und ist verschleiert von den Sternen-Nebeln.
Dort find ich keine blauen Donner-Disteln,
Taubnesseln nicht, Brennesseln nicht, nicht Dornen,
Nein, pralle Trauben nur wie volle Brüste,
So prall, sie spritzen fast den Wein schon aus!
SOLDAT
Wenn ich in irgendeinem Liebeskrieg
Ein Weib erobert, überwunden habe,
Vergesse ich ihr Angesicht am Morgen
Nach der durchzechten Nacht, da wir gezecht
Wacholderschnaps bis zur Vergessenheit,
Doch ihre Brüste werd ich nie vergessen!
MARK
So liebe ich die Biblia, die Frau,
Die rechte Brust des Alten Testamentes
Gibt Muttermilch, die süß wie Honig ist,
Die linke Brust des Neuen Testamentes
Gibt Wein von Kana, Wein der Hochzeitswonne,
Ekstase, Rausch, Vereinigung und Liebe!

DRITTE SZENE

(Tante Elli, Doktor Kirch, Apotheker, die Amme trägt die kranke Luna vorüber.)

TANTE ELLI
Was hat das arme Kind? Ach Amme, woran krankt sie?
Für ihrer Krankheit Heil und Gnade, Amme, dankt sie?
Denn wer der Krankheit Grund durchschaut und dann durchstößt
Zum wahren Seelenheil, der hat sich selbst erlöst.
Von Krankheit wird erlöst, wer sich befreit vom Karma.
AMME
Doloris veneris, o crux amoris arma!
TANTE ELLI
Seit wann sprichst du Latein, ein Küchenmagd-Latein?
AMME
Man nannte Küchengift Sankt Hildegardilein.
TANTE ELLI
Was aber hat das Kind, woran denn krankt die Luna?
DOKTOR KIRCH
Ungnädig ist ihr wohl die göttliche Fortuna?
Ja, dieser dicke Bauch wohl angeschwollen ist
Von einer Wassersucht? Wer zu viel in sich frisst
Von süßen Leckerli, von süßer Schokolade,
Kriegt einen dicken Bauch. Das rächt sich ohne Gnade.
Da habe ich gehört vom Nönnchen gar ein Wort:
Wenn dich das Fleisch bedrängt, dann treib gefälligst Sport!
APOTHEKER
Was unsre Luna plagt, sind Launen nur und Grillen,
Ich geb ihr Baldrian, ist in Likör zu füllen.
Es kommt nur dummes Zeug heraus, wenn jemand wacht
Auch noch nach Mitternacht und schläft nicht in der Nacht.
DOKTOR KIRCH
Vielleicht hat Luna auch schon eine Gürtelrose?
APOTHEKER
Ach, sie ist schizophren, ich sehe die Psychose.
DOKTOR KIRCH
Nein, an der Schwermut krank sie, blass ist ihre Haut.
Ist sie verzweifelt gar? Da hilft Johanniskraut!
APOTHEKER
Johanneskraut hilft nicht, auch nicht die Milch vom Mohne,
Auch nicht das Morphium, da braucht es Glückshormone!
DOKTOR KIRCH
Hormone, ja, das ists! Es ist die Pubertät,
Jetzt kommt das Glückshormon der Sexualität.
LUNA
Ach wehe mir, ach weh! Stellt mich nicht an den Pranger!
Ich bin zu Tode krank! Nur hoffentlich nicht schwanger!

VIERTE SZENE

(Advokat Bartory und der reiche Herr Goldmann mit dem Studenten Mark.)

MARK
Ich suchte lange nach dem Sinn des Lebens.
HERR GOLDMANN
Du bist ein Narr! Frag alle deine Freunde,
Ob einer nach dem Sinn des Lebens sucht.
Ja, wenn es gäbe einen Gott und Schöpfer,
Vielleicht, dann hätte dieses Leben Sinn.
Doch weiß die Wissenschaft, dass diese Welt
Aus Zufall ist entstanden, ohne Sinn,
Daß ich Produkt des Zufalls bin, ein Staub
Im Universum, mich das Nichts erwartet.
Einst bin ich Leiche, gelblich-bleich wie Wachs,
Verwesend unter einer Marmortafel
Und nichts bleibt übrig als der Maden Kot.
Du hast nur dieses eine Leben, also
Genieße du in vollen Zügen, iß gut,
Trink guten Cognac, liebe schöne Frauen,
Und ist die eine tot, lieb eine andre,
Freu dich an der Musik, am Kartenspiel,
Am Tennis oder Golf mit Advokaten.
ADVOKAT
Ja, auf dem Golfplatz ist mein Paradies.
MARK
Hab nun Juristerei studiert und ach,
Auch Theologie und leider Philosophie.
ADVOKAT
Zerstreut wie ein Professor scheinst du mir.
Doch was im Leben zählt, ist hartes Geld!
MARK
Ist nicht Gerechtigkeit dein Höchstes Gut?
ADVOKAT
Gerechtigkeit ist eine feile Hure!
Den Angeklagten zu verteidigen
Mit allen Künsten eines Advokaten,
Ist mein Beruf. Was kümmert mich Moral?
Was kümmert mich Gerechtigkeit im Lande?
Ich tue meinen Job, auf dass das Geld stimmt.
Du kannst es dir erlauben, mein zerstreuter
Professor, in die Galaxien zu gucken,
Doch Sternentalter bleiben nur ein Märchen.
Weißt du denn nichts von harter Wirklichkeit?
MARK
Auch Thales von Milet sah in den Himmel
Und prophezeite Sonnenfinsternisse
Und stolperte auf Erden doch und fiel
In eine Pfütze, ausgelacht hat ihn
Die Putzfrau, die sich auskennt mit den Pfützen.
Was aber ist die harte Wirklichkeit?
Materie ist nur ein Gedanke Gottes,
Ist ein verschleierter Gedanke Gottes!

FÜNFTE SZENE

(Arzt, Bischof, Politiker, der Patriarch Eduard liegt im Sterben, Anna kommt hinzu.)

PATRIARCH EDUARD
Ich kann nicht atmen mehr, ach, mir zerreißt die Lunge!
Wo ist denn Luna nur, die Reizende und Junge?
DOKTOR KIRCH
Du musst dich schonen, Freund, schweig lieber stille, still,
Ob ich dich auferweck, ich sorgsam schauen will.
Die Lunge tatest du mit Tabak dir verstopfen.
Hier, nimm du für dein Herz zur Heilung diese Tropfen.
PATRIARCH
Tut meiner Luna kund: Ist in der Schule sie
Gelehrig fleißig und fehlt in der Schule nie,
Bringt gute Noten heim aus gernbesuchter Schule,
So zahl ich ihr viel Geld. Auch möge sie ein Buhle
Beglücken in der Welt, doch so ein Dummkopf nicht,
Der nicht mit Menschen, der mit Hunden lieber spricht.
POLITIKER
Nun, ferne sei der Tod, da mach ich keine Witze,
Doch leidest du zu sehr, erfleh die Todesspritze!
PATRIARCH
Sprich nur nicht von dem Tod, in meinem Herzen stichts,
Ich steh vorm nackten Tod, ich steh vorm blanken Nichts!
In Kerzenflammen auch versterben nachts die Motten.
Ach, alter Sensemann, ich habe Lust zu spotten!
BISCHOF
Hast du vergeben auch den Menschen in der Welt
Und dir vergeben selbst, so sterbe wie ein Held,
Denn in das Himmelreich kommt jeder doch am Ende,
Da brauchst du nicht das Öl, die Sterbesakramente.
Du hast gespendet doch den Armen in der Welt,
Gott zahle dir zurück mit Zinsen all dein Geld.
PATRIARCH
Ach sprich vom Tode nicht, ich höre keine Tuba
Mit Auferstehungsschall. Ich wollte noch in Kuba
Am Strande liegen und im Erdenparadies
Die jungen Mädchen sehn in kurzen Röckchen süß!
DOKTOR KIRCH
Es ist die Medizin bereits so fortgeschritten,
Bald keiner mehr am Tod zu Tode hat gelitten,
Es kommt ein Apparat, ja bald ist es soweit,
Da die Maschine dir beschert Unsterblichkeit.
PATRIARCH
Warum gab man am Kreuz dem Christus Essig? – Morphium!

(Anna tritt ein.)

ANNA
O plena gratia! O ave verum corpum!

SECHSTE SZENE

(Mark, Politiker, Herr Goldmann, Bischof.)

POLITIKER
Es gibt zu viele Menschen auf der Welt,
Ganz Afrika vermehrt sich wie Kaninchen.
MARK
O Zorn des Lammes! Mich erfüllt der Grimm,
Der Grimm erfüllt mich, nichts als Gram und Zorn!
Amerika hat einen Präsidenten
Begrüßt wie einen irdischen Messias
Und dieser Präsident geboten hat,
Den Hunger Afrikas nur dann zu stillen,
Wenn Afrika bereit, die schwarze Frauen
Bereit sind, ihre Kinder zu ermorden,
Im Mutterschoße Embryos zu töten!
Der Holocaust am ungebornen Leben
Schreit wie das Blut des Evas-Sohnes Abel
Und ruft herab die Strafgerichte Gottes!
HERR GOLDMANN
Die reichen Deutschen spenden immer Geld
Den armen Schwarzen, aber die verschwenden
Das Geld in Korruption von Diktatoren.
Schwarz-Afrika braucht unsre Demokratie,
Selbstregulierungskraft des freien Marktes.
MARK
In Afrika nicht herrschen Präsidenten,
Das Militär nicht, nicht die Diktatoren,
Ein Weltimperium von großen Banken
Versklavt den Kontinent und beutet aus,
Der Internationale Währungsfond
Zusammen mit der Weltbank beutet aus
Schwarzafrika, lässt Afrika verhungern!
HERR GOLDMANN
Ich dachte, du bist Christ, du hörst dich an
Wie so ein Sozialist und Kommunist.
MARK
Süßwasser wird verschwendet in Europa
Und Nordamerika, die Industrie
Verschwendet Wasser, das man trinken könnte.
So teuer ist in Mexiko das Wasser,
Daß eine arme Mexikanerin
Dem kleinen Sohn nicht Wasser kaufen kann,
Doch Coca Cola, die ist billiger.
Amerikas Konzern von Coca Cola
Kauft internationale Wasserquellen,
Auf dass sie allzeit produzieren können
Ihr chemisches Getränk voll weißen Zuckers,
Obwohl in Afrika die Frauen müssen
Drei Stunden wandern, bis sie Wasser finden.
POLITIKER
Was schwatzt du allezeit von Afrika?
MARK
Ein Kind in Afrika ist heute Jesus!

SIEBENTE SZENE

(Mark, Politiker, Herr Goldmann, Amme, Patriarch Eduard und Doktor Kirch.)

MARK
Ich fragte mich, was heißt der Name Luna wohl?
Nun war es mir im Hirn so schrecklich leer und hohl,
Ich sah ins Wörterbuch und lernte akademisch,
Was ich von Luna sag. Das ist doch nicht blasphemisch,
Denn Luna heißt der Mond, poetisch Monat auch,
Ein Honigmond ist bei den Jungverliebten Brauch,
So dumm wie Luna ist das Spiel von kleinen Kindern
Und einem Vollmond gleich ist Lunas praller Hintern.
Und launisch ist sie auch und wechselt oft ihr Licht,
Pausbäckig aber ist der Luna Mondgesicht.
AMME
Dem stimm ich zu, gewiß, dem Vollmond gleicht ihr Hintern,
Doch widerspreche ich, dass dumm das Spiel von Kindern.
PATRIARCH
Wo ist denn Luna jetzt? Ist sie in Sippenhaft?
AMME
So hört genau mir zu: Der Luna Schwangerschaft
Ist allen offenbar, und wie ich deutlich sehe,
Ist schwanger dieses Kind, doch lebt nicht in der Ehe.
POLITIKER
Das ist doch heut egal! Was schert den Muttermund
Das kirchliche Gebot vom ehelichen Bund?
AMME
Ach, dieses junge Ding, von irgendeinem schwanger,
So jung, fast noch ein Kind! Wer stellt sie an den Pranger?
Die Nachbarn sicherlich, denn wie ein alter Gaul
Die Nachbarn lästerlich zerreißen sich das Maul!
POLITIKER
Sie braucht das Kind ja nicht im Schoße auszutragen.
Wenn sie es abtreibt, wird sie niemand doch verklagen.
MARK
So seid ihr! Erst die Lust genießen ohne Zucht,
Dann töten mörderisch die arme Leibesfrucht!
POLITIKER
Du Fundamentalist, nun schweig doch einmal stille!
Doch warum nahm das Kind, das Mädchen, nicht die Pille?
Sie wusste doch, sie wirkt auf Männer attraktiv!
Ein Mädchen habe stets bei sich ein Präservativ!
Wer unverhütend tat in junger Wollust lieben,
Der ist dann selber schuld. Doch werde abgetrieben
Das da in ihrem Schoß, dann ist das Ding sie los,
Es wird ganz einfach ihr gekratzt aus ihrem Schoß!
AMME
Ach arme Kinderchen! Staubsauger wollen saugen
Die Früchtchen aus dem Schoß! Ach geht mir aus den Augen!

CHORUS

(Thalia, Erato und der Kleine Gott Amor.)

THALIA
Ist der Kindermord denn komisch?
Das Verrecken eines Alten,
Ist das denn ein Stoff zum Lachen?
Ein Gesetz in der Komödie
Ist es: Niemals einen Toten!
Laßt doch in Tragödien Leichen
Scheitern an dem Fels des Schicksals!
Aber in Komödien sollen
Liebe Leute Hochzeit feiern!
ERATO
Mark soll seine Venus haben!
THALIA
Diese zynische Satire
Ist mir aber allzu bitter.
Der Komödiendichter sicher
Hat an dieser Welt gelitten!
AMOR
Mich verehrt der Liebesdichter
In dem dunklen Kult Mors-Amor!
Allzeit betet er: Mos-Amor,
Heiland Tod, Erbarmen, Heiland!
O Mors-Amor, laß verlöschen
Mich im Meer der Ewigkeiten!
THALIA
Soll ich einen Witz erzählen?
Wollten Ministranten-Knaben
Einmal gute Taten üben,
Einer alten Dame helfen
Auf die andre Straßenseite,
Führten helfend sie hinüber,
Da sprach doch die alte Dame:
Ach, ich wollte nicht hinüber!
ERATO
Vanitates vanitatem!
Aber ist es nicht zum Lachen,
Alle diese Eitelkeiten,
Alle diese dreisten Toren?
THALIA
Aber schildert doch die Toren
Liebevoller, kluge Dichter!
Seid ihr selber etwa Richter?
AMOR
Ach, mein armer Liebesdichter
Fürchtet sich vorm Weltgerichte,
Weil der Dichter heimlich wühlte
In dem Kleiderschranke Gottes
Und genommen hat von Byssus
Von Veronika ein Schweißtuch!
THALIA
Das ist lustig! Das gefällt mir!

VIERTER AKT

ERSTE SZENE

(Die Schwarze Witwe, Anna, Friseur.)

SCHWARZE WITWE
Frisiere mich, mein himmlischer Friseur!
FRISEUR
Du hast ja keine Läuse auf dem Kopf.
SCHWARZE WITWE
Ich hab auch keine Flöhe in dem Schamhaar.
FRISEUR
Das Haar ist auch nicht schwarz und nicht brünett.
SCHWARZE WITWE
Einst war es blond, jetzt ist es silbergrau.
FRISEUR
Das weiße Haar ist doch des Alters Würde.
SCHWARZE WITWE
Doch Silberhaar schützt leider nicht vor Torheit.
FRISEUR
Die Weisen wie die Toren müssen sterben.
SCHWARZE WITWE
Sprich nicht vom Tod! Ich habe Angst vorm Tod!
FRISEUR
Heut werden Frauen dreiundneunzig Jahre.
SCHWARZE WITWE
Frisiere mich, dass Männer ich bezaubre!
FRISEUR
Ist eine Hündin, die am Leben ist,
Nicht besser als die tote Löwenmutter?
SCHWARZE WITWE
Ich kann doch keine Totenseele lieben!
Auch eine Witwe braucht noch einen Mann.
FRISEUR
Wer soll denn sonst dir loben die Frisur?
SCHWARZE WITWE
Kannst du das Silber nicht mit Henna färben?
FRISEUR
Ja, rotes Haar wie Venus Medici!
SCHWARZE WITWE
Ich möcht noch einmal vierundzwanzig sein.
FRISEUR
Man ist genau so jung, wie man sich fühlt.
SCHWARZE WITWE
Man ist genau so jung, wie man sich anfühlt!
ANNA
Das ging ja fix mit deinem neuen Freund.
SCHWARZE WITWE
Man lebt nur Einmal und dann kommt der Tod.
ANNA
Die Kirche konnte dich nicht trösten, Witwe?
SCHWARZE WITWE
Du lieber Gott, die Orgeln tönen schön,
Mein Freund jedoch macht süße Komplimente.
FRISEUR
Er wird noch sagen, dass der Gott Cupido
Noch triumphiert in deinen grauen Strähnen.

ZWEITE SZENE
(Anna, Mark, Advokat Bartory.)

MARK
Je vous salue, Marie, und Ave gratia plena –
Wo ist das Mädchen jetzt, die wunderschöne Lena ?
ANNA
In ihrem Zimmerchen, im oberen Gemach.
MARK
Ach, eine Göttin ist das Mädchen Lena, ach!
ADVOKAT
Ich will sie haben auch, nicht um sie anzubeten,
Dien nicht dem Venuskult wie törichte Poeten,
Ich will sie nehmen mir alltäglich und gesund
In aller Nüchternheit zum trocknen Ehebund.
MARK
Ich hatte ein Gesicht! Ich sah das ganze Weltall,
Es klang das Firmament, es war im Himmelszelt Schall,
Gott schrieb die Symphonie, ich hörte ihren Schall,
Die Galaxieen und die Quanten schallten Hall,
Doch mitten in dem All sah eine junge Frau ich,
Frau Weisheit ist es wohl, so dacht ich wonneschaurig,
Frau Weisheit aber glich dem Mädchen Lena ganz,
Von Gottes Intelligenz lag auf ihr Geistesglanz,
Verkörperung war sie der universalen Töne,
Weltseele in Person die makellose Schöne!
ADVOKAT
Du liebst nur einen Traum gebaut aus Sternenlicht,
Liebst deine Venus nur als Gottes Angesicht.
Ich liebe ihren Reiz, sie ist doch eine Fesche,
Doch soll sie waschen auch mir meine Unterwäsche
Und kochen mittags mir ein leckres Mittagsmahl
Und nachts im Ehebett beglücken den Gemahl
Und Kinder bringen mir als Ehe-Hierodule
Und Kinder mir erziehn und Kindern nach der Schule
Das Schreiben bringen bei, das Malen einer Zahl.
Ich bin in Wirklichkeit der treuere Gemahl.
MARK
Du siehst in ihr ein Ding nur in der Alltagswildnis,
Ich sehe in ihr Gott in seinem Ebenbildnis!
ADVOKAT
Doch Gott macht sie nicht satt, verscheucht den Hunger nicht,
Es lebt doch keine Frau allein vom Sternenlicht,
Vertreibe ihre Angst und weltlich ihre Sorgen,
Denn jede Frau will doch beim Manne sein geborgen.
MARK
Ach, und die Leidenschaft? Träumst du von ihrer Brust?
Ist sie dir Königin und Göttin aller Lust?
ADVOKAT
Ach junger Schwärmer du und junger Philosoph, ah,
Ich lieber schlage ganz allein auf meinem Sopha,
Mich interessieren nicht die Triebe geiler Brunst
Und nicht das Liebesspiel nach aller Regeln Kunst.
ANNA
Ich weiß, die Lena träumt, bei den vier Elementen,
Und bei der Quintessenz, alleine vom Studenten.

DRITTE SZENE

(Politiker, Patriarch Eduard, Herr Goldmann.)

PATRIARCH
Nun ist die arme Närrin Luna schwanger,
Hat immer keinen Ehegatten noch,
Doch will ich ihr noch einen Gatten finden.
POLITIKER
Sie ist doch eine reizende Partie!
Gewiß, wir alle Herrn Politiker
Mit Fünfzig scheiden uns von unsern Frauen,
Wir nehmen uns dann lieber junge Mädchen.
PATRIARCH
Die Seele wird uns eben immer jünger.
POLITIKER
Wenn nur die Mütter nicht der Mädchen wären!
Die hüten sie wie Äpfel ihrer Augen,
Wie Drachen vor den Hesperiden-Äpfeln.
PATRIARCH
Oft sind die jungen Mädchen auch so stolz
Und wollen nichts von reifen Herren wissen.
Jedoch, wenn zu dem grauen Haar der Schläfe
Ein dickes Portemonnaie am Hintern kommt,
Dann sind die jungen Mädchen allzeit willig.
HERR GOLDMANN
Doch ob die jungen Mädchen uns dann lieben,
Uns selber, die wir doch so liebenswürdig
Und so charmant sind, oder nur das Geld?
PATRIARCH
Ach Liebe und romantische Verliebtheit
Sind was für Dichter, welche manisch sind.
Zur Ehe auch gehört die Wirklichkeit
Des Geldes. Viele gehen nur zur Kirche,
Weil ihnen das bringt einen Steuervorteil.
Ja, knallhart wird gerechnet in der Ehe
Und wie ein Staatsvertrag ist der Vertrag
Der Eheleute bei der Eheschließung,
Wer in dem Falle einer Ehescheidung was
Bekommt. Der reiche Ehegatte schützt sich,
Daß nicht das arme Weib ihn völlig aussaugt!
HERR GOLDMANN
Ja, Ehen schließen sie mit reichen Männern,
Um dann im Scheidungsfalle reich zu werden.
PATRIARCH
Doch junge Mädchen schätzen die Erfahrung
Der reifen Männer in der Kunst der Liebe.
POLITIKER
Ja, magisch ist die Jahrszahl Neunundsechzig.
PATRIARCH
Da schätzte man die Lust der Liebe noch!
Heut schließt man Ehen nur zum Steuervorteil.
Nun, Luna immerhin ist meine Erbin,
Und bringt sie Reichtum mit in ihre Ehe,
So akzeptiert man wohl auch einen Bastard.

VIERTE SZENE

(Lena, Mark, Bischof.)

MARK
Ach Lena, Mädchen du, wie deine Lippenrosen
Ich schaue gerne an und möchte sie liebkosen,
Ach Lena, Mädchen mein, wie deine Seidenhaut
So weich und weiß und glatt ich streicheln möchte traut,
Ach Lena, Mädchen mein, wie deine langen Wimpern
Bezaubern mich, ich möcht auf diesen Saiten klimpern,
Ach Lena, Mädchen mein, die Wangen rot und weiß
Durchschauern mich so süß wie Sommernächte heiß,
Ach Lena, Mädchen mein, wie zauberhaft dein Lächeln,
Ich möchte allzeit dir mit Chinas Fächer fächeln,
Ach Lena, Mädchen mein, die schwarze Lockenflut
Versetzt in Raserei mich und in Tanzeswut,
Ach Lena, Mädchen mein, dein liliengleiches Leibchen
Ist all mein Himmelstraum, du junges Götterweibchen!
Mit meinen Bissen schreib auf deine Brust ich Schrift
Und in den Busen flöß ich ein dir Schlangengift
Und sterbe ich, es sei im Angesicht der Engel,
Und sterbe ich, es sei inmitten deiner Schenkel!
LENA
Wird deine Liebe sein unsterblich, frommer Mann?
Schaust du mich noch im Tod als deinen Himmel an?
MARK
Der Tod allein ist echt. An dir will ich mich weiden
Und nicht einmal der Tod soll uns vonander scheiden.
LENA
Wenn ich ein Engel bin im dritten Himmel schön,
Seufzt du mir schmachtend nach mit liebendem Gestöhn?
MARK
Dann gibt es keinen Trost als Rotwein in dem Becher,
Ich halte Treue dann der Seligen als Zecher.
LENA
Und wirst du auf der Erde schon ein guter Freund mir sein?
MARK
Ich bin dein Freund allein, ich bin dein Mann allein!
Die andern allesamt der irdischen Gemeinde,
Spaßvögel allesamt, sind nichts als beste Feinde!
LENA
So habe du allein auf meine Liebe Recht.
MARK
Ich bin dein Herr vor Gott, doch in der Welt dein Knecht.
BISCHOF
In Liebestrunkenheit ihr jugendlichen Schwätzer,
In Liebeshäresie seid unglaubliche Ketzer.
Daß Liebe Arbeit ist und nicht Romantik pur,
Daß Liebe Arbeit ist, nicht Seeleneinheit nur,
Sag ich als Realist. So nehmt euch sakramentalisch,
Denn Gottes Gleichnis ist die Wollust infernalisch.

FÜNFTE SZENE

(Advokat, Mark, Lena, Bischof.)

ADVOKAT
O Lena, ich bereite dir ein Leben
Auf dieser Erde in geputzter Wohnung,
Du sollst dich plagen nicht mit Alltagsmühen,
Denn ich bereite dir ein schönes Leben.
Und willst du Kinder, müssen unbedingt
Aus deinem Schoße Kinder dir entspringen,
So sollst du Kinder haben, wenn es sein muß.
MARK
O Lena, ich bereite dir den Himmel
Nur durch mein ewiges Gebet für dich.
ADVOKAT
Ich werde dein getreuer Gatte sein,
Bis dass der bittre Tod uns scheiden wird.
MARK
O Lena, schon auf Erden in dem Himmel
Wir werden sein inmitten unsrer Schmerzen
Und nach dem Tode lieben wir uns noch
In Jesus als geschwisterliche Engel.
LENA
Ich frage nichts nach Reichtum oder Geld,
Die Ehre dieser Welt ist mir nur eitel.
Doch Liebe, die unsterblich, ohne Ende,
Und doch auf Erden schon beginnt, die lieb ich.
Du, Advokat, du hast ein teures Auto,
Du hast ein schönes Haus mit großem Garten.
Du, Mark, hast nichts als nur allein dein Fernrohr
In deiner schmutzigen Studentenbude,
Doch liebe ich die Armut und den Wahnsinn!
ADVOKAT
Ja, Wahnsinn liebst du? Laß dich untersuchen
Vom Psychotherapeuten auf dem Sopha!
MARK
Den Wahnsinn liebst du also? Halleluja,
Die Kunst und Wissenschaft ist nichts als Wahnsinn,
Die metaphysische Idee ist Wahnsinn,
Die Religion von Gott ist wahrhaft Wahnsinn!
Liebst du den Wahnsinn? Also liebst du mich!
LENA
Aller Wahnsinnigen Wahnsinnigsten!
Ich liebe dich auch noch im Paradies!
BISCHOF
Ich bin ein armer Sünder, Kinderschänder,
Ich bin ein Sünder, bin ein armer Säufer,
Ich bin kaputt, ein ruinierter Mensch.
Doch durch die Weihe meines Priesteramtes
Hab ich die Vollmacht von dem Papst bekommen,
Euch zu dem Ehebunde zu vermählen,
Dich, Christus Mark, und dich, Maria Lena.

SECHSTE SZENE

(Die Schwarze Witwe und die alte Kinderamme.)

SCHWARZE WITWE
Du alte Hexe du, Großmutter du des Teufels,
Ich kenne den Abyss des rattengleichen Zweifels,
Die du nur ein Gespenst, nur Wiedergängerin,
Ich aber wahrer Mensch mit Leib und Seele bin
Und stehe in der Welt mit meinen beiden Beinen
Auf festem Boden, doch du willst als Geist erscheinen.
Das ist Besessenheit und das ist Dämonie,
Du bist wie ein Vampir und eine Teufels-Sie,
Sie-Teufelin, Gespenst, die du den Wahnsinn stiftest
Und arme Kinder mit der Muttermilch vergiftest!
AMME
Ich armes Mütterchen, ich weiß nicht wie mir wird,
Mein Hirte ist der Herr, Jehowah ist mein Hirt!
SCHWARZE WITWE
Wenn einen Baum man fällt, nur nicht die Nase rümpfe,
In jedem Baume lebt doch eine Wäldernymphe,
Dann dieses Baumes Geist irrt klagend durch die Welt
Und fährt in jenen ein, der diesen Baum gefällt,
Und diese Nymphe dann mit Jammern und mit Klagen
Macht diesen Menschen krank und wird ihn schrecklich plagen.
Was ist der Wahnsinn denn als nur Besessenheit?
Du wirst noch nach dem Tod aus finstrer Ewigkeit
In Menschen fahren ein und diese Menschen dann
Besessen vom Gespenst sind in des Wahnsinns Bann!
AMME
Am Throne Gottes doch ich werde für sie beten,
So finden sie das Tor zum Himmelsgarten Eden.
SCHWARZE WITWE
Nur plage du nicht mich! Die Exorzisten ruf
Ich, die Schamanen und die Heiler von Beruf,
Daß sie dich treiben aus! Ich werde hungernd fasten
Und vegetarisch mich ernähren wie die Kasten
Der Priester Hindostans, ich werd Veganerin,
Bis ich wie ein Skelett nur noch aus Äther bin,
Und reinigen mein Blut mit Tee von Feuernesseln
Und kochen selbst das Gift in großen Hexenkesseln
Und essen Körner nur, bis hundertjährig ich
Der Sechzehnjährigen vergleichbar schön bin! Dich
Verbann ich mit Magie, ich kenn die Zaubersprüche,
Ein blaues Auge häng ich mir in meine Küche,
Das scheucht den bösen Blick. Du hast den bösen Blick!
Mir aber treibst du nicht aus meinem Geist das Glück
Und flößt mir Unglück ein. Ich sage nichts als – merde!
Hab du das Totenreich! Ich hab das Glück der Erde!
AMME
Wenn auf dem Kirchhof ich einst ruh als Gottes Magd,
Mein liebes Kindchen dann vor Gott dem Schöpfer klagt
Und betet zu dem Herrn, dem Hirten der Erlösten,
Dann will als Engelin ich meinen Liebling trösten!

SIEBENTE SZENE

(Patriarch Eduard mit einem neunjährigen Knaben aus der Nachbarschaft, Tante Elli, Anna,
Bischof, Mark, Lena.)

PATRIARCH
Du bist doch wirklich goldig, du mein Herzchen,
Du lieber Knabe bist ein reines Goldstück!
KNABE
Kracht dieses Universum einst zusammen,
Ich schlüpf ins parallele Universum.
TANTE ELLI
Tut Kindermund erneut die Wahrheit kund?
KNABE
Wenn erst die Sonne wird zum Roten Riesen,
Wenn dann die Sonne wird zum Weißen Zwerg,
Dann schlüpf ich durch ein warmes feuchtes Loch
Ins parallele Universum, siehe,
Die Mutter Erde mit den breiten Brüsten
Im parallelen Universum ist
Dann wieder jung wie in der Jungsteinzeit
Und ich bin dann im grünen Garten Eden
Und Eva geht im Garten nackt spazieren.
ANNA
Ja, ja, die Eva! Jeder will sie nackt sehn!
BISCHOF
Wir künden aber eine Hochzeit an!
PATRIARCH
Ja, hat die Hündin Luna einen Hund?
BISCHOF
Der evangelikale Mark, Student
Der theoretischen Physik, und Lena,
Die Grazie und Gnade unsres Gottes,
Vermählen sich in Sankt Marien Kirche.
LENA
Kommt alle zu der Hochzeit in die Kirche!
Wir haben so viel Fladenbrot und Käse
Und Paprika und Peperoni und
Oliven, Knoblauch, Chili, Wein und Wasser,
Sie sollen alle kommen, alle Bettler,
Die armen Säufer aus der Innenstadt,
Die Drogensüchtigen und Obdachlosen,
Sie werden alle satt von unserm Brot!
MARK
Wenn auch der Advokat und auch Herr Goldmann
Nicht kommen können wegen der Geschäfte,
So sollen alle Säufer sich betrinken,
Wir öffnen Fässer allerbesten Weines!
BISCHOF
Auch meine Heiligkeit liebt guten Wein.

CHORUS

(Thalia, Erato, der Kleine Gott Amor.)

AMOR
Ich bin Kind und ich bin Gottheit,
Bin ein Gott und bin ein Knabe.
Was muß ich auf Erden sehen?
Schaue ich nach Palästina,
Sehe ich die Islamisten,
Sehe ich die Terroristen,
Nehmen Knaben von neun Jahren,
Binden an den Körper Bomben,
Schicken sie dann zu den Juden,
Daß die Knaben mit den Bomben
Selbst sich jagen in die Lüfte,
Juden in den Tod zu reißen!
Islamisten dann versprechen,
Zweiundsiebzig Huris werden
Sie im Paradies beglücken.
THALIA
Ach das ist nicht lustig, Amor.
AMOR
Was muß ich auf Erden sehen?
In der Kirche der Apostel
Sitzen viele Feinde Gottes,
Geben sich als Gottesmänner,
Schänden lüstern kleine Knaben!
Wehe diesen Kinderschändern!
Hängt den bösen Kinderschändern
Um den Nacken einen Mühlstein
Und ersäuft sie in dem Meere!
THALIA
Ach das ist nicht lustig, Amor.
Gibt es gar nichts denn zu lachen?
ERATO
Mir gefällt die Busenfreundin
Unsrer lieben Tante Elli
Ausgesprochen gut, die Anna.
AMOR
Anna, Anna, ja die Anna!
ERATO
Und die liebe alte Amme!
ERATO
Wie gefällt dir denn die Lena?
AMOR
Ach, die gibt es nicht auf Erden!
Ist nur Traum im Herz des Dichters!
ERATO
Aber doch ein reizend-schönes
Bildnis einer wahren Traumfrau?
AMOR
Ganz wie meine junge Mutter
Venus war mit sechzehn Jahren!

FÜNFTER AKT

ERSTE SZENE

(Friseur, Apotheker.)

FRISEUR
Was macht das kleine Kind der wunderhübschen Luna?
APOTHEKER
Dem kleinen Kinde war nicht günstig die Fortuna,
Denn Luna trieb es ab in schrecklichem Abort!
So mancher nennt das gar doch einen Kindermord!
FRISEUR
Es ist doch die Kultur des ungeheuren Todes.
APOTHEKER
Soll man noch beten für die Seele des Herodes?
Die Muttergottes will das nicht, sprach ein Poet,
Ich weiß nicht, wo das Wort, in welchem Buche steht.
FRISEUR
Nun ist es eben hin, gestorben ist gestorben,
Zum Glück ist Luna nicht bei dieser Tat verdorben.
Ist sie noch reizend schön, noch voller Gratia,
So wie ich sie so süß im leichten Kleidchen sah?
APOTHEKER
Kannst du dir denken denn dies junge Kind als Mutter,
Mit einem Löffel Brei zu füttern mit dem Futter
Ein kleines Baby und zu wischen ab den Kot
Und salben den Popo, der von den Wunden rot,
Das Kind verschleiern mit der Haarflut, der konfusen,
Und lassen saugen das geliebte Kind am Busen?
FRISEUR
O Mädchenbrüste klein und jung und fest und straff!
Nur keine Hängebrust von Müttern welk und schlaff!
APOTHEKER
Und wenn sie Mutter dann geworden ist von Kindern,
Zwein oder dreien gar, ist nicht mehr schön der Hintern.
Und wenn sie dann gelebt, wie es bei Müttern Brauch,
Dann ist nicht mehr so fest und wohlgeformt der Bauch.
Und parfümieren sie des Kinderspeichels Düfte,
Die Taille nicht mehr schlank, kommt Fett an ihre Hüfte.
FRISEUR
Ja, Kinder wirklich sind der Mädchenschönheit Mord,
Die Schönheit rettet nur das Opfer des Abort!
APOTHEKER
In alten Zeiten auch den Göttern Opfer brachten
Und Menschenopfer gar die Menschen und gedachten,
Die eignen Kinderlein dem Moloch-Gott zu weihn,
Die Göttin Jugendreiz will heute Kinderlein!
FRISEUR
Ja, all die Embryos an ihren kleinen Kreuzen,
Geopfert werden sie der Göttin voll von Reizen!
Oh, dass die Göttin auch in immerjungem Reiz
Mit straffem Schenkelpaar die schlanken Beine spreiz!
APOTHEKER
So eben ist nicht gleich der Lieben Frau Maria
Mit ihrem Gott und Sohn die Göttin Luxuria!

ZWEITE SZENE

(Tante Elli, Anna, Amme, Schwarze Witwe, Luna, Lena, Mark.)

MARK
Hier ist das makellose weiße Linnen,
Das Laken über unserm Hochzeitsbette.
Hier seht ihr rote Flecken roten Blutes,
Als ich die Jungfernhaut durchstoßen zärtlich.
TANTE ELLI
Die Griechen nannten doch den Gott der Ehe
Gott Hymen. Sappho und Catullus sangen
Vom Bräutigam und seiner Braut, der Jungfrau,
Der Jungfrau, die verlassen ihre Mädchen,
Gesegnet von der unbefleckten Göttin
Diana, dieser reinen Jungfraungöttin,
So zog die Jungfrau zu dem Bräutigam
Und Hymenäus, Hymen, Hymenäus,
Der keusche Hochzeitsritus ward vollzogen,
Der keuschen Jungfrau Hymen keusch durchstoßen.
MARK
So hab ich öffentlich hier den Beweis,
Daß Lena keusch sich aufgespart zur Hochzeit.
Wir Evangelikalen glauben nämlich,
Daß wahre Liebe bis zur Hochzeit wartet
Mit dem beliebten Akt der Einigung.
AMME
O Lena, Lena, stolz bin ich auf dich,
Denn Reinheit in der Sexualität
Allein macht dich zum Kelch der Liebe Gottes.
MARK
Der Körper ist ein Tempel Gottes ja,
Wer aber Hurerei treibt mit dem Körper,
Der schändet Gottes Heiligtum, den Leib.
LENA
Ich nahm die keusche Jungfrau mir zum Vorbild
Und wollte immer mehr in meiner Seele
Zu einer Anderen Maria werden.
MARK
Auch Gott der Herr hat Jungfrau Israel
Erwählt zur vielgeliebten Brautgenossin.
Ohola aber wie auch Oholiba
Den Herren kränkten durch die Hurerei,
Sie spreizten allen Freiern ihre Beine
Und ließen sich betatschen ihre Titten,
Bis Gott der Herr als Gott und Bräutigam
Die keusche Tochter Zion fand, Maria,
Die Ja gesagt zu Gott dem Bräutigam,
Doch keinen Mann erkannte in dem Bett,
Weil Gottes Geist allein ihr Bräutigam.
AMME
Mit diesem roten Tropfen roten Blutes
Habt ihr ein Fundament gelegt der Ehe,
Drauf könnt ihr nun das Haus der Liebe bauen,
Das Freudenhaus der ehelichen Liebe!

DRITTE SZENE

(Mark und der Advokat.)

ADVOKAT
Bei der Justitia, ist eure Ehe auch
Rechtsgültig, so wie es bei allen Völkern Brauch?
MARK
Im süßen Hindostan gibt’s die Gandharven-Ehe,
Wenn ich als Freier schon die Freundin nackend sehe
Und dann beim Meeresschaum und in dem feuchten Sand
Mich unterm Mondenschein voll Lust mit ihr verband
Und wir wie Götter jung in Liebe kopulierten,
Der Götter Liebesspiel in unserm Akt vollführten,
Gandharven schauten zu, Asparas schauten zu
Und segneten den Akt, anschließend süße Ruh.
Die Freundin und der Freund sind trotz der Welt der Spötter
Ein wahres Ehepaar im Himmelreich der Götter.
ADVOKAT
Mahatma Gandhi so die Ehegattin nahm,
Doch das verbietet in Europa uns die Scham,
Hier auf dem Standesamt im Angesicht des Staates
Schließ du den Ehebund nach Rat des Advokates.
MARK
Ja, auf dem Standesamt beschließen öffentlich
Wir unsern Ehebund, den Bund von Du und Ich,
Dann in der Kirche auch vorm heiligen Altare
Vor Gottes Angesicht ich mich der Gattin paare.
ADVOKAT
Vermählt der Bischof euch, der doch ein Sünder ist?
MARK
Der handelt da nur in Persona Jesu Christ,
Ob auch ein Sünder ist der Bischof, doch ich freie
Die Vielgeliebte mir mit Segen seiner Weihe.
ADVOKAT
Wollt ihr denn Kinder auch? Sonst ist die Ehe nicht
Rechtsgültig nach dem Recht der Kirche, nämlich Pflicht
Der Eheleute ists, der Kirche Frucht zu schenken,
Nicht nur zur eignen Lust sich liebend zu versenken.
MARK
Ja, meine Liebste will der lieben Kinder zwei,
Will nicht ein Einzelkind, will zwei, will lieber drei,
Wenn nur die Fruchtbarkeit bei meinem Muttertier
Gesegnet fruchtbar ist, so will sie wohl auch vier.
Bedenk, mit welchem Spaß die Kinderlein gemacht,
So will ich jeden Tag wohl sieben oder acht!
ADVOKAT
Doch wird die Ehe erst rechtsgültig mit dem Akte,
Wenn Bräutigam und Braut vereint als Splitternackte,
Sich ehelich vereint in schöner Kopulation,
Sonst löst die Ehe auf der Herr und Menschensohn.
MARK
Doch davon schweige ich in Keuschheit und bescheiden,
Denn du, mein Advokat, du würdest mich beneiden!

VIERTE SZENE

(Patriarch Eduard, Tante Elli, Doktor Kirch.)

TANTE ELLI
Ach, seh ich meine Nichte Luna an,
Erkenn ich meine Nichte nicht mehr wieder.
Sie scheint von meinem Stamme nicht zu sein.
Denn alle meine Mütter, Müttersmütter,
Großmütter, Urgroßmütter, bis zu Eva,
Sie suchten alle Gott und Gottes Wahrheit.
Doch diese Luna ist wie eine Hündin,
Ganz ein Produkt des Zeitgeists dieser Welt,
Wie loser Flugsand, der im Winde treibt.
Nicht nur, dass sie nicht im Besitz der Tugend,
Auch scheint die Tugend wertlos ihr zu sein.
Getrieben nur vom animalischen
Begehren, von den Trieben des Instinktes,
Ganz Hündin in dem Geist des Hedonismus,
Scheint sie mir meine Nichte nicht zu sein.
DOKTOR KIRCH
Wie kann das sein? Wie löst sich dieser Knoten?
Wir sind im fünften Akte dieses Dramas,
Da muß sich irgendwie der Knoten lösen!
Wie will der Dichter unsres Lebensschauspiels
Dies lösen, dieser Dichter unsres Schicksals,
Der wie ein Gott uns unsre Rollen vorschreibt?
Ich muß die Rolle eines Arztes spielen,
Wie eine Marionette an dem Faden
Des Schöpfers dieses großen Welttheaters
Muß ich die Rolle meines Lebens spielen
In diesem tragikomischen Theater,
Das man das Leben auf der Erde nennt.
PATRIARCH
Der losen Luna möchte ich auch nicht
Im Testament den Reichtum anvertrauen.
Sie brächte es nur durch mit einem Säufer,
Mit einem Vagabunden oder Spieler.
Ach, wenn die würdevolle Lena doch
Die Erbin und die wahre Nichte wäre!
Sie hat ja den Studenten der Physik
Zum rechtlich angetrauten Ehegatten.
Der weiß Verantwortung zu tragen in
Der Ehe und dem Hause vorzustehen
Als Patriarch im Geist der Patriarchen
Und wie ein alter Vater Abraham
Die Frauen und die Kinder und die Herden
Und alle Erdengüter zu bewahren
Und zu vermehren durch den Fleiß der Arbeit
Und so ein familiäres Heim zu schaffen.
Wohlleben herrschen dort und süßer Wohlstand
Und aufgeschlossner Geist der Modernität
Und weisheitsvolle Mildigkeit mit Geld.

FÜNFTE SZENE

(Advokat Bartory, Soldat, Apotheker, Friseur, Politiker, Herr Goldmann, Student Mark, Amme,
Tante Elli, Luna und Lena. Alle sind versammelt. Unverständliches Gemurmel im Raum.
Schließlich tritt Ellis Busenfreundin Anna ein.)

ANNA
Kennt ihr die Fabel von dem weisen Salomon,
Ein weiser Richter auf Judäas Königsthron,
Zu ihm gekommen einst zwei schöne Tempelhuren,
Die kamen zum Gericht der sündigen Naturen
Mit einem toten Kind und einem lebenden.
Die eine Hure sprach mit einem bebenden
Und trauervollen Ton: Sie hat mein Kind genommen!
Ihr eignes Kind ist nachts im Bette umgekommen!
Die andre Hure sprach, in ihrer Stimme Zorn:
Nein, dieses Kind, das lebt, das ist aus meinem Born.
Der weise Salomon das Schwert nahm des Gerichtes,
Sprach über jenes Kind, das lebt: Ich jetzt vernicht es
Und teil das Kindlein auf! So jede Hure kriegt
Ein halbes totes Kind! So Göttin Weisheit siegt!
Die wahre Mutter schreit: Nein, gib das Kind der Andern,
Mein vielgeliebtes Kind soll nicht im Hades wandern,
Nein, lieber bleib allein auf Erden ich, allein,
Als dass mein liebes Kind erleide eine Pein!
ADVOKAT
Was soll das heißen nun, du jämmerliche Närrin?
Frau Weisheit ist gewiß nicht deine höchste Herrin!
ANNA
Hört meine Beichte an: Als ich geboren einst,
Sprach ich zur Leibesfrucht: Mein armes Kind, du weinst?
Du sollst einst groß und reich und herrlich werden, erben
Sollst du das Hab und Gut des Patriarchen, sterben
Sollst du in Armut nicht. Schau, Tante Elli auch
Hat eine Nichte jetzt von ihrer Schwester Bauch.
O Tante Elli ist so gut, so sanft, so lind,
Bei Tante Elli sollst du leben, liebes Kind.
Wenn Tante Elli dich erzieht nur pädagogisch,
Führt dich zur Heiligkeit der Tugend mystagogisch,
Wirst du ein guter Mensch und eine wahre Frau,
Daß man in deinem Bild die Schönheit Gottes schau!
TANTE ELLI
So meine Nichte ist die Hündin nicht, die Luna?
ANNA
Nein, deine Nichte ist die Heilige, die Lena!

SECHSTE SZENE

(Zu den vorigen kommt Doktor Kirch hinzu.)

DOKTOR KIRCH
Der Patriarch ist tot, er ist gestorben!
Der Patriarch, der unser Vater war,
Er ist nicht mehr, er ist hinweggegangen.
Ganz plötzlich ward er unaussprechlich müde
Und schlief am hellen Tag und in der Nacht
Und fing dann an zu husten und zu röcheln.
Fast schien er zu ersticken. Atemnot
Zusammenpressten ihm die Lungenflügel.
Er spuckte Schleim aus der zerfressnen Lunge,
Er spuckte Blut aus der zerfetzten Lunge
Und rief als seinen Arzt mich an das Bett
Und sprach: Der Affe tot – die Klappe zu!
Mein liebes Geld vermach ich aber Lena.
TANTE ELLI
O Lena, meine vielgeliebte Nichte!
Erst einen Bräutigam und dann das Erbe!
DOKTOR KIRCH
Dann sank der Patriarch in tiefen Schlaf.
Nur seine Augenlider zuckten noch,
Als ob er träumte oder Geister schaute,
Vielleicht Gespenster der Vergangenheit.
Er wachte auf nur, wenn er husten musste
Und wenn er seinen Blutschleim ausgehustet,
Dann schlief er wieder ein wie lebensmüde.
Zwar wollte ich verlängern ihm das Leben,
Allein die Lunge war schon ruiniert,
Das Herz zerstört, die Leber auch vergiftet,
Nichts war mehr heil an seinen Eingeweiden.
Nur einen Augenblick vor seinem Tod
Sah er mir in die Augen, so als ob
Er fragen wollte, ob ich ihm verzeihe.
Dann lachte er: Da kommt der Bruder Tod!
Dann lachte er noch: Ha, ha, ha, ha, ha!
Und so verstorben ist der Patriarch.
TANTE ELLI
Ob auch des Patriarchen Tod beschattet
Den heitern Ausgang des Komödienstückes,
Doch alles hat sich jetzt genau erfüllt.
Die wahre Nichte trat das Erbe an
Und ist vermählt mit einem edlen Christen.
So lebt die Ehe als ein Sakrament
Der Treue Gottes und der Liebe Gottes.
Ihr dürft euch küssen, küssen, Mark und Lena,
Denn die Tragödie endet mit dem Tod,
Doch die Komödie endet mit der Hochzeit!
LENA
Ihr seid verrückt! Ich hab euch alle lieb!
MARK
So segne euch die heilige Name Gottes!

DER RITTER VOM KESTOS UNSERER LIEBEN FRAU

PROLOG ALS PERSON


Wir haben hier das herrlichste Theater
Ganz Deutschlands, weil hier der Theaterdichter
Ein Dichter ist, wie heute es in Deutschland
Nicht einen zweiten gibt! Das Komitee
Für den Nobelpreis ehrt nicht das Genie,
Ehrt mittelmäßige Naturen nur.
Ja, unser Dichter schon in seiner Jugend
Zu seiner jungen schönen Muse sagte:
Ich bin verkannter Genius, o Muse!
Jetzt fragt der Dichter aber seine Deutschen:
Was wollt ihr heute im Theater sehen?
Weil Volkes Stimme Gottes Stimme ist,
Sagt an, es wird ihm Gottes Wille sein.
SPIESSER
O Ehefrau, weißt du noch, in der Jugend,
Wie in Hannover wir zur Oper gingen?
Jetzt möcht ich gerne eine Oper sehen.
SPIESSERIN
Ich aber möchte eine Oper hören.
SPIESSER
Nun, unser Dichter möchte Stücke schreiben?
Vielleicht gibt es den Stellvertreter Hochhuts,
Den Galileo Galiläi Brechts,
Vielleicht den Hölderlin von Peter Weiss,
Vielleicht das Warten auf Godot von Becket?
SPIESSERIN
Mein Sohn hat doch auf den Kanaren jüngst
Den Don Quijote gelesen, diesen Ritter
Von trauriger Gestalt! Mein armer Sohn
Ist nun von der Idee besessen, Ritter
Von Unsrer Lieben Frau Marie zu sein!
Mein armer Sohn mit seinen Künsten brotlos,
Er möchte gerne im Theater spielen.
Der deutsche Denker oder deutsche Dichter
Soll doch für meinen Sohn ein Drama schreiben
Von einem Ritter Unsrer Lieben Frau!
PROLOG ALS PERSON
Dies Wort in Gottes Ohr – und so geschieht es!
Wir sehen von Maria Josef Mayer
Die lustige Komödie vom Ritter
Vom Liebreizgürtel Unsrer Lieben Frau!

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(Im Haus des Bankers Schatz, welcher der Vater von Luzi Schatz ist. Der Banker spricht mit Kaspar
Fröhlich, einem jungen Mann, der ungeheuer in Luzi Schatz verliebt ist.)

BANKER
Also du bist in meine Tochter verliebt?
KASPAR
Ja, sie ist so schön, so gut, so fromm!
BANKER
Was fromm! Kannst du sie auch ernähren? Womit verdienst du dein Geld?
KASPAR
Ich bin Student der Alt-Philologie.
BANKER
Philologie? Ach ja, ich weiß: Du sammelst Briefmarken! Hast du etwa schon meiner Tochter dein
Briefmarken-Album gezeigt?
KASPAR
Ich bin kein Verführer! Ha, neulich am türkischen Kiosk fragte mich so eine reizende kleine Huri,
ob ich ihr meine Briefmarken zeigen wolle?
BANKER
Ja, der kleinen Türkin kannst du sie zeigen, aber nicht meiner westeuropäischen Tochter!
KASPAR
Ich zeigte der kleinen Huri mein Briefmarken-Album nicht, weil ich keine Briefmarken sammle.
Ich bin nämlich nicht Student der Philatelie, sondern der Alt-Philologie. Alt-Philologie zu studieren
bedeutet, Homer und Platon im Original zu lesen.
BANKER
Wen, sagst du, liest du?
KASPAR
Griechische Poesie und Philosophie.
BANKER
Aha! Jetzt weiß ich, was du für einer bist: Ein Taugenichts! Ein Müßiggänger! Du willst deiner
Göttin Muße dienen und faul mir auf dem Portemonnaie liegen! Du willst meine Tochter wohl nur,
damit ich dich dein Leben lang durchfüttre!
KASPAR
Ich liebe Luzi, weil sie schön ist wie die Homerische Helena von Sparta und schön wie die
Platonische Aphrodite Urania!
BANKER
Eine Heilige soll meine Tochter sein? Da kennst du sie schlecht! Wer soll sie sein? Aphrodite
Urania? Wer ist denn diese Schöne Dame?
KASPAR
Aphrodite Urania ist die Gottheit der puren, spirituellen Liebe!
BANKER
Geh du lieber zur Aphrodite Urinia ins Bordell!

ZWEITE SZENE

(Im Haus des Bankers. Banker Schatz und Junker Jörg von Junkersrott, ein junger wohlhabender
Mann mit blauem Blut, den der Banker zum Ehemann für Luzi Schatz erkoren hat.)

BANKER
O Junker Jörg, ich ehre dich mehr als die Protestanten den fünften Evangelisten!
JUNKER JÖRG
Ich verstehe nicht?
BANKER
Ich dachte an deinen Namenspatron.
JUNKER JÖRG
Patron? Ja, du sollst mein Vater sein! Mein Vater hat mich nicht geliebt, darum will ich jetzt, dass
du mein Vater bist.
BANKER
Gut, wenn du meine Tochter zur Frau nimmst, will ich dich meinen Sohn nennen. Ich hab ja leider
keinen Sohn, nur eine Tochter. Männer wissen, was sie wollen – aber Mädchen folgen immer ihren
Launen und sind wie das Meer vom Mond bewegt.
JUNKER JÖRG
Ob deine Tochter mich liebt? Ich bin mir da nicht sicher! Vielleicht sucht sie nur finanzielle
Sicherheit bei mir? Denkt nur an ihren materiellen Vorteil und liebt mich gar nicht wirklich?
BANKER
Liebe! Davon singen Mädchen auf allen Straßen und schwenken dazu ihre Becken zu afrikanischen
Trommelrhythmen! Nein, eine romantische Liebeshochzeit ist nur was fürs Theater. Im wirklichen
Leben kommt es darauf an, dass man zu leben weiß und nicht verhungert, sondern die Talente
wuchern lässt.
JUNKER JÖRG
Die Liebe wird schon kommen mit der Zeit, nicht wahr?
BANKER
Zuerst nimmst du sie dir, und dann wird sie sich an dich gewöhnen, wie sich eine Schmusekatze an
den Hausherrn gewöhnt. Zuletzt wird sie dich nicht verlassen, weil du zu ihrem Alltag genau so
dazu gehörst wie ihre Schokolade und ihr Spiegel.
JUNKER JÖRG
Ich werde sicher treu sein. Die Liebe wird wirklich übertrieben in unserer Zeit.

DRITTE SZENE

(Der Ritter vom Kestos U.L.F. tritt auf in einer altertümlichen Ritterrüstung, mit einer langen Lanze
in der Rechten. Mit ihm sind seine zwei Pagen, der sechsjährige Thomas und der neunjährige
Georg.)

RITTER VOM KESTOS


Hört mir zu, meine Pagen! Zwei Pagen hab ich leider schon im Krieg verloren! Euch aber will ich
zu Knappen machen, wenn ihr vierzehn seid, und wenn ihr einundzwanzig seid, will ich euch zu
Rittern schlagen!
GEORG
Lehre uns über das Vorbild der großen Ritter!
RITTER VOM KESTOS
Der größte aller Ritter ist vielleicht Don Quijote! Er liebte seine Donna Dulcinea! Sie war zwar nur
eine arme Bäuerin, die er sah, als sie im Bauerngarten die Wäsche aufhing, aber er schwor noch auf
dem Totenbett, dass sie die Schönste aller schönen Frauen war! Hätte er mit ihr zusammen gelebt in
der Ehe, hätte ihn ihr Gestank nach Knoblauchquark bestimmt bald ernüchtert. Aber da sie in weiter
Ferne lebte, sah er in ihr die Zwillingsschwester der Madonna!
THOMAS
Warum ist Don Quijote der größte aller Ritter?
RITTER VOM KESTOS
Er kann wie kein anderer uns Lehrer sein in dieser apokalyptischen Endzeit, denn er war Ritter in
unritterlicher Zeit.
GEORG
Wer ist eigentlich der Heilige Schutzpatron der Ritter, Knappen und Pagen?
RITTER VOM KESTOS
Der auch dein Heiliger Namenspatron ist – Sankt Georg! Sankt Georg erlöst die Jungfrau aus den
Fängen des Drachen! Der Juri-Tag in Russland ist der Tag, da die Sklaven sich frei einen neuen
Herrn wählen dürfen!
GEORG
War Herkules auch ein Ritter?
RITTER VOM KESTOS
Nein, die Heiden kannten selbstverständlich keine edlen Ritter. Allein die allerheiligste katholische
Religion brachte die Ritter hervor!
GEORG
Wer war der allerverliebteste Ritter?
RITTER VOM KESTOS
Der rasende Roland verlor den Verstand aus Liebesschmerz, weil seine angebetete Geliebte,
Angelika, die Ritterjungfrau und Kaiserin von China, nicht den Ritter Roland liebte, sondern den
Schurken Medor! Zur Hölle mit Medor! Roland verlor den Verstand, und er wäre im Wahnsinn
geendet, wenn nicht sein treuer Freund mit einem Flügelpferd zum Mond geflogen wäre, um von
dort den Verstand des rasenden Roland zurückzuholen.
THOMAS
Gibt es auf dem Mond auch Ritter mit Laser-Schwertern?
RITTER VOM KESTOS
Von meinen Abenteuern auf dem Morgenstern erzähle ich euch ein anderes Mal, ich sage nur soviel:
Auf dem Venusplaneten sah ich in einem Paradiesgarten die wunderschöne Eva!

VIERTE SZENE

(Im Hause der Familie Fröhlich. Herr Fröhlich ist betrunken, umgeben von vielen leeren Flaschen.
Frau Fröhlich sitzt bei ihrem Erstgeborenen und Liebling Karl-Heinz. Abseits sitzt Kaspar, der
Student der Alt-Philologie.)

HERR FRÖHLICH
Ein Hoch auf Bacchus und Venus!
FRAU FRÖHLICH
Du alter Säufer! Seit du in deiner Jugend dir in Bordeaux das Rotweintrinken angewöhnt hast, lebst
du in einem einzigen Dauerrausch.
HERR FRÖHLICH
Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang!
FRAU FRÖHLICH
Es wird immer schlimmer mit dir!
HERR FRÖHLICH
Der Vergänglichkeit zum Trotze! Erst zur Flasche, dann zur Fotze!
FRAU FRÖHLICH
Komm, mein geliebter Sohn Karl-Heinz, dein sogenannter Vater widert mich an! Sei du jetzt mein
Ehemann, mein Sohn!
KARL-HEINZ
Ja, Mutter, ich bin ja von Kindheit an dein wahrer Gatte.
KASPAR
Mama, ich liebe eine Frau!
FRAU FRÖHLICH
Was denn jetzt schon wieder für ein Miststück?
KASPAR
Die himmlische Luzi! Ein Engel vom Morgenstern ist sie!
FRAU FRÖHLICH
Was willst du von mir? Brauchst du Geld? Räum dein Studentenzimmer auf, dann klappt es
vielleicht mit der Dirne.
KASPAR
Mama, bitte segne mich!
FRAU FRÖHLICH
Ach, wärst du nie geboren!
KASPAR
Ah weh, ich hasse mein Leben!
HERR FRÖHLICH
Söhnchen! Die alten Weiber haben giftige Schlangenzungen! Ersäufe deinen Kummer im Wein!
Gott Bacchus ist Sorgenbrecher und Kummerlöser! Ich segne dich! Geh nur! Venus ist mit dir!

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Im Haus des Bankers. Banker Schatz und Junker Jörg von Junkersrott.)

BANKER
Nun wollen wir alles ganz genau planen.
JUNKER JÖRG
Es soll doch keine kirchliche Hochzeit sein?
BANKER
Papperlappap, das Standesamt genügt. Dann gibt es Steuervorteile.
JUNKER JÖRG
Ich habe alles ganz genau durchgerechnet. Es lohnt sich noch zu heiraten.
BANKER
Das denke ich auch. Dann besorge du den Termin beim Standesamt. Wähle einen Termin, der nicht
in die Zeit der Fußballmeisterschaft fällt. Wo wollt ihr feiern?
JUNKER JÖRG
In einer Discothek.
BANKER
Was gibt es zu trinken?
JUNKER JÖRG
Bier nach deutschem Reinheitsgebot.
BANKER
Wen wollt ihr einladen?
JUNKER JÖRG
Alle meine Jugendfreunde und die Freundinnen Luzis, dazu alles, was zur Familie gehört.
BANKER
Aber nicht, dass auch dieser Kaspar kommt!
JUNKER JÖRG
Nein, der nicht. Ich weiß, er hat ein Auge auf Luzi geworfen. Der nicht.
BANKER
Wollt ihr eine Hochzeitsreise machen?
JUNKER JÖRG
Ach, ich reise nicht gerne. Am schönsten ist es doch zuhause.
BANKER
Nun gut, du musst auch nicht reisen. Flitterwochen in Paris oder Venedig sind für hoffnungslose
Romantiker.
JUNKER JÖRG
Das Geld, das wir durch die Ehe mehr bekommen, wollen wir nicht gleich in Lustreisen
verschleudern.
BANKER
Nein, die Ehe hat nichts mit Lust zu tun, sehr viel aber mit dem Finanzamt.
JUNKER JÖRG
So ist also alles bereit?
BANKER
Ja.

ZWEITE SZENE

(Im Walde irren Frau Fröhlich und ihr Sohn-Geliebter Karl-Heinz, die Taschen voller Geld.)

FRAU FRÖHLICH
Endlich bin ich den Gatten los! Ich wollte ihn schon lange verlassen.
KARL HEINZ
Jetzt sind wir ganz allein, o Mama!
FRAU FRÖHLICH
Nicht allein, mein Geliebter, denn ich hab dich und du hast mich!
KARL HEINZ
Ich war immer eifersüchtig auf den Vater.
FRAU FRÖHLICH
Aber warum denn, mein Liebling? Das war doch gar nicht nötig, ich habe doch immer nur dich
geliebt!

(Der Ritter vom Kestos U.L.F. erscheint mit seinen Pagen Georg und Thomas.)

RITTER VOM KESTOS


Oh, eine bedrängte Frau in Not? Wir Kreuzritter, Tempelritter, Deutschordensritter helfen allen
Frauen in Not, weil Unsre Liebe Frau Himmelskönigin auch eine Frau gewesen ist. Frau, ich will
dich retten! Was willst du, dass ich dir tue?
FRAU FRÖHLICH
Was bist du denn für ein Schwachkopf? Komm, geliebter Karl-Heinz, wir wollen tiefer in den Wald,
uns in die Büsche schlagen und allein sein miteinander.
RITTER VOM KESTOS
Kommt, Georg und Thomas, die Menschen wollen sich nicht retten lassen. Der Retter ist da, aber
keiner will sich retten lassen! Reiten wir weiter, ob wir eine arme Seele finden, die sich retten lassen
will.

(Durch den wieder leeren Wald irrt Kaspar allein.)

KASPAR
Von aller Welt verlassen, von aller Welt verflucht, an welchen Engel soll ich mich wenden? Wer
hört mich, wenn ich schreie? O so mutterseelenallein! De profundis domine!

DRITTE SZENE

(Im tieferen, dichteren Wald. Frau Fröhlich und ihr Sohn-Geliebter Karl-Heinz. Der Ritter vom
Kestos U.L.F. mit den beiden Pagen.)

RITTER VOM KESTOS


O welch ein Bild! Die Mutter mit dem Sohn! Die Gottesmutter mit dem Gottessohn! Die Große
Mutter Venus mit dem göttlichen Knaben Amor!
FRAU FRÖHLICH
Nun haben wir uns doch verirrt. Jetzt kann ich dich brauchen. Wenn du auch ein Idiot zu sein
scheinst, vielleicht bist du mir nützlich?
RITTER VOM KESTOS
Ich kenne eure tiefe Not, o Frau und Mutter! Ich habe Erbarmen mit dir, auch wenn du stolz bist.
FRAU FRÖHLICH
Ich will doch mit meinem geliebten Karl-Heinz nicht im Walde leben! Wir wollen in die Stadt!
KARL HEINZ
Ja, Mama, in der Einkaufsstraße der Innenstadt kaufen wir dir neue schöne Kleider.
FRAU FRÖHLICH
Bin ich dir nicht schön genug, mein Sohn?
KARL HEINZ
Doch, Mama, du bist die Allerschönste! Darum verdienst du auch die allerschönsten Kleider.
FRAU FRÖHLICH
Ritter, Ritter, hilf du einem armen elenden Weib in großer Not! O Ritter, Ritter, nur du kannst mich
retten, sei mein Retter! Sei mein Heros, mein Held! Du bist doch ein Ritter der Gottesmutter,
erbarme dich einer armen hilflosen Mutter, die sich mit ihrem Sohn verirrt hat im Wald der Welt!
Führe uns auf die Straße des Heils und in die helle Stadt Gottes!
RITTER VOM KESTOS
Bei Gott, nie ist es gehört worden, dass ein armes elendes Weib vergeblich gerufen zum Ritter vom
Kestos Unserer Lieben Frau! Vorwärts, Frau, mit deinem Sohne vorwärts, ich führe euch ins Licht!

VIERTE SZENE

(Im Wald. Luzi geht spazieren. Junker Jörg von Junkersrott geht ihr nach und fasst sie bei den
Händen.)

LUZI
Ach, laß mich doch allein, ich bin am liebsten allein.
JUNKER JÖRG
Was machst du hier im Wald?
LUZI
Ich rede mit den Hamadryaden.
JUNKER JÖRG
Wie?
LUZI
Die Nymphen, die in den Bäumen leben, heißen Hamadryaden. Sie erscheinen mir, und ich rede mit
ihnen.
JUNKER JÖRG
Aberglaube! Hier ist ein echter Kerl! Nimm mich zum Mann und du brauchst nie mehr allein in den
Wald zu gehen. Wir werden stattdessen in der Innenstadt schönen Schmuck kaufen. Willst du antike
Statuen? Ich kaufe sie dir.
LUZI
Was soll ich mit toten antiken Statuen, wenn ich mit lebenden Hamadryaden kommunizieren kann?
JUNKER JÖRG
Rätselhaftes Weib! Ich verstehe dich nicht! Aber du bist recht hübsch.

(Kaspar kommt aus der Tiefe des Waldes.)

KASPAR
Ach, in der Mitte meines Lebens habe ich mich nun in einem dichten Wald verirrt! Wenn nur nicht
Bären und Wölfe und Panther kommen!
LUZI
Ah, Kaspar, du?
KASPAR
O Göttin, meine Retterin!
LUZI
Göttin und Retterin bin ich nicht, aber deine Seelenschwester, die dich lieb hat von Herzen.
KASPAR
Ich glaube, meine Liebe bist du!
LUZI
Mein Herzensfreund!

FÜNFTE SZENE

(In einer Schenke. Der Ritter vom Kestos U.L.F., seine Pagen Georg und Thomas. Frau Fröhlich
und ihr Sohn Karl-Heinz. Schenkwirtin.)

SCHENKWIRTIN
Hereinspaziert! Die Suppe steht schon auf dem Tisch.
RITTER VOM KESTOS
Was duftet hier so gut?
GEORG
Gibt es Reibekuchen, auch genannt Kartoffelpuffer?
FRAU FRÖHLICH
O, meine Reibekuchen solltest du einmal probieren! Sie sind die besten auf der ganzen Welt!
GEORG
Mit Apfelmus?
FRAU FRÖHLICH
Bestreut mit Zucker!
GEORG
O, ich liebe Zucker!
THOMAS
Gibt’s zum Nachtisch Schokolade?
SCHENKWIRTIN
Setzt euch an den Tisch, die Suppe ist fertig. Hier sind geröstete Pinienkerne, hier gebratenes
Weißbrot, schön knusprig. Hier ist Kürbissuppe vom Gemüsekürbis, verfeinert mit teurem
Kürbiskernöl.
THOMAS
Das schmeckt aber lecker! Zum Nachtisch möchte ich einen Joghurt und dann ein Stück
Schokolade.
FRAU FRÖHLICH
Man könnte in die Suppe noch etwas Schmand tun.
SCHENKWIRTIN
Schmand?
RITTER VOM KESTOS
Die Pinienkerne sind köstlich!
THOMAS
Ich bin satt! Darf ich Schokolade?
SCHENKWIRTIN
Und du, Page Georg, möchtest du auch Schokolade?
GEORG
Ich mag keine Schokolade. Aber ich mag Zucker! Weißen Zucker und braunen Zucker!
RITTER VOM KESTOS
Herr, wir danken wir! Laß uns alle dereinst an dem Himmlischen Hochzeitsmahl teilnehmen, wo
wir mit dir und deiner Mutter zu Tische liegen!

SECHSTE SZENE

(Im Haus des Bankers Schatz. Der Banker und Junker Jörg von Junkersrott.)

JUNKER JÖRG
Ach, ich weiß nicht mehr, wer mein Freund ist und wer meine Feinde sind! Meine schlimmsten
Feinde sind in der eigenen Familie! Aber der Satan in Person ist für mich dieser Kaspar, der mir
meinen Liebling raubt! Luzi, Licht meiner Augen! Dieser Kaspar raubt mir nicht nur Luzis Körper,
sondern auch ihr Herz! Er schmeichelt ihr mit Süßholzraspeln und Aufmerksamkeiten und mit
seinem melancholischen Narrenwitz und verführt sie zu seiner geistigen Phantasie und will sie
vermählen mit seinem Gott!
BANKER
Ich habe dir versprochen, ich werde dein Vater sein. Dieser arme Student, dieser versoffene
Bettelmönch soll meine Tochter nicht kriegen! Legislative, Jurisdiktion und alle ausführenden
Staatsorgane setze ich ein, meine Tochter vor diesem Verführer zu schützen. Er ist ein Rattenfänger,
ein Kinderfänger und Mädchenfänger. Mit der Schokolade seiner süßen Worte lockt er sie von
ihrem bürgerlichen Leben weg und will sie verderben in dem selben religiösen Wahnsinn, wie er
vom vielen Bücherlesen wahnsinnig geworden ist.
JUNKER JÖRG
Was tun?
BANKER
Ich hetze ihm die Polizei auf den Hals! Ich verklage ihn vor der Justiz! Ich sperre ihn ins Gefängnis:
Einzelhaft!
JUNKER JÖRG
Aber wenn Luzi immer noch den armen traurigen Clown lieb hat?
BANKER
Ach was! Aus den Augen – aus dem Sinn! Weiber sind wie Kinder, leben von Heute zu Heute, sind
wandelhaft wie der Mond und haben morgen vergessen, wer sie heute geliebt hat.
JUNKER JÖRG
Aber ich kann nicht so schöne Worte machen wie dieser Schwätzer.
BANKER
Worte, Worte, nichts als Worte!
JUNKER JÖRG
Aber Luzi liebt doch die süßen Worte.
BANKER
Unsinn! Als Vater verrate ich dir ein Geheimnis: Wenn da nur ein tüchtiger Schwanz ist, so sind die
Weiber zufrieden!

SIEBENTE SZENE

(Herr Fröhlich in einem Meer von leeren Flaschen, vor einigen vollen Flaschen Wein, lallt
betrunken dummes Zeug. Doch Kinder und Betrunkne sagen die Wahrheit.)

HERR FRÖHLICH
Schlaf brav ein, mein Kindchen, denn wenn du jetzt nicht schläfst, dann kommt der Jesuit und holt
dich! Ich habe so allerlei Gedanken. Was bedeutet das A, das E, das I, das O, das U? Das A ist die
Geburt, das E ist die Jugend, das I ist die Hochzeit auf den Honigbergen, das O ist die Weinernte,
das U ist der Tod und die Auferstehung des Fleisches! Ach, was müssen wir armen Säufer alles
grübeln! Warum erschoss sich Kronprinz Rudolf? Und warum kratzte Königin Luise in die
Fensterscheiben von Tilsit: Wer nie sein Brot mit Tränen aß und lange Nächte einsam weinend saß,
der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte! Oh, wo viel Weisheit ist, da ist viel Weh, und wo
viel Grübeln ist, da ist viel Gram. Aber für Sorgen sorgt das Leben, Sorgenbrecher sind die Reben.
Mein Kummerlöser ist Bacchus! Ich will doch immer nur Bacchus und Venus dienen! Schoß der
Venus, ich bete dich an!

(Der Banker tritt ein.)

BANKER
Wie der Vater, so der Sohn! Ist der Vater ein Säufer, wird dem Sohn die Leber vergiftet.
HERR FRÖHLICH
Mein Großvater war ein noch größerer Säufer als ich! Noch heute im Jenseits hat er so großen
Durst, dass er in mir weiter säuft! Aber der Urgroßvater meines Vaters war ein ganz wilder Zecher!
Wir alle stammen nämlich von Bacchus ab, als er betrunken mit Venus geschlafen und den Gott
Priap gezeugt hat! Die Frommen meinen allerdings, wir stammen von Noah ab, der als erstes nach
der Sintflut einen Weinberg gebaut und betrunken mit seinen eigenen Töchtern geschlafen hat.
BANKER
Und wahnsinnig bist du auch? Und siehst auch schon weiße Mäuse?
HERR FRÖHLICH
Die Mäuse nicht – die Möse!
BANKER
Ja, ja, jetzt weiß ich, was du für einer bist, ein Schweinehund! Pfeif nur deinen Sohn zurück, dass er
seine klebrigen Griffel von meiner teuren Tochter lässt!
HERR FRÖHLICH
Wenn Venus will, wird Helena den schwarzgelockten Menelas verlassen und den blonden Paris
leidenschaftlich lieben auf der Insel der Cythere!

DRITTER AKT

ERSTE SZENE

(Luzi und Kaspar allein im schwarzen Wald in der Mitte ihres Lebens. In Ehrfurcht vor dem Geist
in der grünen Kathedrale des Waldes flüstern sie zärtlich von ihrer Liebe.)

KASPAR
Luzi, du scheinst mir wie ein Licht des Himmels, wie ein Engel der Liebe, ein Genius der Venus!
Leuchte mir voran ins Paradies! Ich bin gefangen in tiefer Dunkelheit, verirrt im finsteren
Lebenswald.
LUZI
Wir sind Hänsel und Gretel, Geliebter, verjagt von der Stiefmutter. Nein, nicht die Großmutter ist
die Hexe, die wahre Hexe ist die Stiefmutter!
KASPAR
Luzi, meine himmlische Venus, die Menschen dieser Welt sind so grausam! Mich ekelt diese Welt
an! Die Welt ist geistlos und lieblos! So muß es vor der Sintflut gewesen sein. Ach, Eskapismus
nennt man das, ich möchte fliehen in den seligen Ideenhimmel!
LUZI
Ja, manchmal wird es den zärtlichen Lämmern mit den blutenden Herzen schwer zumute unter all
den Wölfen.
KASPAR
Ja, all die Panther der Unzucht, all die Wölfe der Geldgier, all die Löwen des Egoismus!
LUZI
Wir zärtlichen Seelen dürfen nicht verzärteln, Geliebter! Wir müssen Kämpfer für den Frieden sein!
Laß uns kämpfen gegen den Rest der Welt! Mögen die Wölfe heulen zur Luna und alle
Dämonenhunde bellen, unsre Liebe wird uns Flügel geben und uns zu den Sternen tragen!
KASPAR
Orion möge sich gürten und das Schwert an die Hüfte legen und kämpfen für die Wahrheit und
Gerechtigkeit! Kallisto soll uns zeigen den Weg! Luna möge uns trösten mit zärtlichen Küssen in
der Nacht! Unser Ziel ist der Himmel der Liebenden in dem Reich der himmlischen Venus!
LUZI
Dort die Macht der Liebe anzubeten!

ZWEITE SZENE

(In der Schenke. Schenkwirtin, Frau Fröhlich und Karl-Heinz, der Ritter vom Kestos U.L.F. und
seine beiden Pagen Georg und Thomas.)

SCHENKWIRTIN
Sie, Edeldame, haben also Ihren Gemahl verlassen und wollen jetzt mit Ihrem Sohn
zusammenleben. Ich weiß ein Haus, schön ländlich gelegen, fast ein Palast, mit einem großen
Obstgarten. Da könnten Sie leben mit Ihrem Sohn-Geliebten.
FRAU FRÖHLICH
Ich werde die Wohnung putzen, dass sie reinlich ist und blitz und blank und ein weißer Tempel der
Göttin der Hygiene. Dann werde ich ganz allein für meinen geliebten Karl-Heinz leben. Ich bin ja
so stolz auf ihn! Ich werde in der ganzen Welt erzählen, was für ein allmächtiger Mann mein Sohn
ist!
KARL HEINZ
O Mutter, es ist mir eine Ehre, dein Sohn zu sein. Ich bin stolz, eine solche Mutter zu haben! Du
bist rein wie die Göttin der Hygiene und kostbarer als das Gold Amerikas!
SCHENKWIRTIN
Es ist nur dies: In diesem herrlichen Landhaus, das so schön ist wie das himmlische Jerusalem im
paradiesischen Garten Eden, lebt zur Zeit der dreiköpfige Höllenhund Kerberos!
RITTER VOM KESTOS
Ich werde den Höllenhund bezwingen! In der Macht des Namens Jesus und in der Macht des
Liebreizgürtels Unserer Lieben Frau werde ich dem Hundedämon gebieten, zu entweichen.
SCHENKWIRTIN
Oh, du bist der letzte Ritter in dieser unserer unritterlichen Zeit!
GEORG
Ist der Name Jesus mächtiger als alle Dämonen der Hölle?
RITTER VOM KESTOS
Ja!
THOMAS
Ist der Name Jesus bedrohlich?
RITTER VOM KESTOS
Mein süßer Thomas, meine kandierte Zuckerlippe, der Name Jesus ist süßer als Honig!
GEORG
Ein Rätsel: Was ist süßer als Honig?
RITTER VOM KESTOS
Nur die Idee des Honigs ist süßer als der süße Honig selbst!

DRITTE SZENE
(Herr Fröhlich ist lustig in dem Harem seiner leeren Flaschen. Außerhalb der Bühne aber sitzen der
Spießer und die Spießerin aus dem Prolog und lästern über Herrn Fröhlich.)

HERR FRÖHLICH (lallend)


Oh, la bouche de Dieu! Oh, la bouche de la beauté divine ! Oh, la beauté d’amour ! Un grande
mystère d’amour ! Vive l’amour ! Vive l’esprit d’amour !
SPIESSERIN
Der tut so, als wenn er Fremdsprachen perfekt beherrschte und ist doch nur ein aufgeblasener
Schwätzer!
SPIESSER
Wenn er nur richtig Hochdeutsch könnte, ohne Dialekt, ich meine reines Hannoveranisches
Hochdeutsch!
SPEISSERIN
Er sagt sicher: Ich diene dem Herr – statt: Ich diene dem Herrn!
SPIESSER
Und Spaghetti al dente hält er für Alimente. Sicher verwechselt er auch Mir und Mich.
SPIESSERIN
Mehr noch: Er verwechselt Mein und Dein!
SPIESSER
Wenn er so weiter säuft, ruiniert er seine Leber. Er säuft billigen Wein, da ist Wermut drin, und
Wermut macht süchtig.
SPIESSERIN
Ja, er ist ein richtiger Wermutpenner! Und warum räumt er die leeren Flaschen nicht aus seiner
Wohnung? Er lebt ja auf einem Müllberg! Bald ziehen die Ratten bei ihm ein! Dann braucht er nicht
mehr von weißen Mäusen zu halluzinieren, dann lebt er mit echten Ratten zusammen!
SPIESSER
Er hat ja selber etwas von einer Ratte! Er war sicher in einem vorigen Leben einmal eine Ratte.
SPIESSERIN
Er ist so ekelig, ich würde ihn nicht einmal mit einer Mistgabel berühren!
SPIESSER
Gut, dass wir so ordentliche Leute sind!
SPIESSERIN
Ja, Gott sei Dank, wir sind nicht so wie der da!

VIERTE SZENE

(Schönes Landhaus in großem Obstgarten. Der Ritter vom Kestos U.L.F. allein mit dem Höllenhund
Kerberos.)

HÖLLENHUND
Wau, Wau, Wau! Wau, Wau, Wau! Wau, Wau, Wau!
RITTER
Jesus!

(Der Höllenhund duckt sich, schleicht weg.)

RITTER
Ah weh mir! Dieser geistige Kampf hat mich alle meine Kräfte gekostet! Alle meine Virtutes sind
ausgeflossen! Äolus hat alle Schläuche geöffnet und alle Winde entlassen, und nun bin ich ein
ausgepowerter Sack! Ich bin leer und zunichte! Ich bin das Nichts! Ich bin Herr Niemand! O, denke
ich an meine Väter – sie waren Feinde Gottes! Ist Gott darum mein Feind geworden? Wie ein
schwarzes Pantherweibchen hat Gott mich angefallen! Gott gleicht einer Bärin, der man ihre Jungen
geraubt hat! Ah weh, Feind ist mir Gott geworden! Ganz zerbrochen bin ich! Ja, wen der Vater liebt,
den züchtigt er! Darum also verprügelt mich der Vater und klopft mich windelweich? Herr, Herr,
furchtbar und schrecklich! Maria, töte mich lieber! Ah, wäre ich tot!

(Eine greise Dame geht vorüber mit Brot und Käse und Fleisch und einer Flasche Chateauneuf-du-
Pape.)

GREISE DAME
Vergiss deine Leiden! Trinke Vergessen! Richte die Augen deiner Seele unentwegt auf die göttliche
Schönheit!
RITTER VOM KESTOS
Oh, wann darf ich dahin kommen, dass ich schaue das Angesicht der göttlichen Schönheit? Ich
sehe, siehe, ich sehe schon, ich sehe den kusslichen Mund der göttlichen Schönheit!

FÜNFTE SZENE

(Das Haus der Familie Fröhlich. Herr Fröhlich ist betrunken, Frau Fröhlich und Karl-Heinz halten
Händchen.)

FRAU FRÖHLICH
Ich nehme jetzt Abschied von dir, mein Mann. Ich habe dich lange genug ertragen. Mein geliebter
Sohn, gib mir deinen Segen! Ich gehe von meinem Ehemann weg. Ein neues Leben wartet auf
mich, eine neue Liebe. Mein neues Leben und meine neue Liebe will ich nur mit dem Segen meines
geliebten Sohnes beginnen.
KARL HEINZ
Ich segne dich, Mutter! Alles, was du tust, ist mir recht! Ich gehe mit dir, wohin du willst! Dein
Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott und wo du einst begraben liegen wirst, da will auch
ich begraben liegen.
FRAU FRÖHLICH
Du, mein Mann, du bist für mich gestorben! Du hast den Namen, dass du lebst, aber in Wahrheit
bist du tot! Dich kann nur Gott noch retten! Ich scheide!

(Frau Fröhlich und Karl-Heinz ab.)

HERR FRÖHLICH
Besser allein in einem Winkel unterm Dach, als mit einer zänkischen Zunge in einem Haus.
Schlimmer als der Tod ist eine Frau, deren Arme wie Fesseln sind. Ich habe lange gesucht nach
einem Menschen, der etwas taugt. Einen habe ich gefunden, aber das war keine Frau. Du, den die
Götter lieben, du wirst bewahrt vor jener Frau, die schlimmer als der Tod ist. Nun, diese sterbliche
Frau ist fort, nun leb ich allein mit der göttlichen Venus zusammen. Schrecklich ist es, in die Hände
und zwischen die Schenkel der Frauen zu fallen! Aber die göttliche Venus Urania ist voller
Barmherzigkeit und brennender Liebe!

VIERTER AKT

ERSTE SZENE

(Kaspar allein, schwarz vor Schwermut.)


KASPAR
Wer weiß schon, wie es mir geht? Die Leute fragen: Wie geht es dir? Und wenn ich antworten will,
bekommen sie einen Hustenanfall. Jeder will zur Antwort hören: Gut, und dir? Und wenn du sagst:
Et geiht mi schleiht! Dann erzählt dein Gegenüber dir, wie viel schlechter es ihm doch geht. Also
nur still, meine Seele. Nur Luzi sag ich, wie es mir geht. Denn wer fühlt meine Seele? Wie soll ich
sagen, dass ich glücklich bin, weil ich in Liebe lebe, selbst wenn ich in der tiefsten Mitternacht des
Kummers bin? Ja, lieber ein großes und brennendes Herz mit schwarzer Verzweiflung, als seelenlos
sein und viel Spaß haben. Ja, ich liebe! Ich liebe Gott, ich liebe Luzi! Aber mich selbst hasse ich
abgrundtief! Warum gibt es mich überhaupt? Wär ich doch nie geboren! Wie kann meine Mutter das
je wieder gut machen, dass sie mich geboren hat? Die Frühgestorbenen haben es besser als die
Lebenden, aber noch besser haben es jene, die noch nicht geboren sind. Warum müssen wir denn
aus Gottes Schoß geboren werden in dieses Jammertal, um zu leiden unerträgliche Schmerzen, bis
wir wieder eingehen dürfen in Gottes Schoß? Und warum lebe ich nicht vereint mit Luzi, wo wir
vor der Empfängnis doch schon Mann und Frau im Ideenhimmel waren? Ach, ich weiß wieder, was
ich heute nacht geträumt habe. Bevor ich geboren wurde, war ich im Geisterreich eine purpurne
Perle, Luzi aber war im Geisterreich eine schneeweiße Lotosblume. Da waren zwei Heilige Väter
im Geisterreiche, der eine Heilige Vater betraute die Purpurperle und der andere Heilige Vater die
Lotosblume. Und als sie die Purpurperle in die Lotosblume legten, da wurden Luzi und ich geboren
unter dem selben Stern. Ach, warum darf ich meine Träume nicht leben? Warum ist die Wirklichkeit
so feindlich? Hat denn ein böser Gott die Wirklichkeit geschaffen, und dem Liebesgott gehören
allein das Geisterreich der Träume und die Paradiese der Phantasie?

ZWEITE SZENE

(Die Kaiserliche Hoheit Milona von Herzegowina erscheint, schön wie die Göttin der Schönheit, sie
erscheint vor dem Ritter vom Kestos U.L.F. und seinen beiden Pagen Georg und Thomas.)

KAISERLICHE HOHEIT MILONA


Du bist der Ritter vom Kestos Unserer Lieben Frau?
RITTER VOM KESTOS
Ja, ich bin’s.
KAISERLICHE HOHEIT MILONA
Ich bin die Tochter von Karl dem Fünften, dem allerkatholischsten Weltmonarchen. Ich bin die
Tochter der göttlichen Weisheit und Mutter aller Waisenkinder. Der Großen Frau gefällt, was du
tust! Ich möchte dich einladen in meine Residenz, komm in die Herzegowina, in mein Lustschloß
zu Medjugorje!
RITTER VOM KESTOS
Hoheit! Ihr seid eine atemberaubende Schönheit!
KAISERLICHE HOHEIT MILONA
Dafür kann ich nichts. Der Schöpfer hat mich so gemeißelt aus Marmor von Carrara. Ich war schon
als Baby das schönste Baby der Welt, wie man sagte. Die wahre Schönheit aber ist die Schönheit
der Heiligkeit. Darum habe ich mich dem Unbefleckten Herzen der Jungfrau geweiht und wurde
eine Mutter aller Waisenkinder.
RITTER VOM KESTOS
Hat man Euch schon den Titel Mutter aller Völker gegeben?
KAISERLICHE HOHEIT MILONA
Nein, aber in Afrika nennt man mich Mamma Afrika! Man gab mir im Südsudan den Ehrentitel
einer Kuh! Sie trommelten für mich und tanzten für mich, weil ich alle ihre armen Waisenkinder an
meinen Busen genommen, an mein Euter einer Mutterkuh.
RITTER VOM KESTOS
Ehrt Euch der Titel einer Kuh?
KAISERLICHE HOHEIT MILONA
Die Kuh, die sie meinen, ist die große himmlische Mutterkuh, die alle Waisenkinder der ganzen
Welt an ihr himmlisches Euter legt und stillt sie mit der Milch des Trostes.
RITTER VOM KESTOS
Ist Unsere Liebe Frau denn nicht die Heilige Kuh des Himmels?
KAISERLICHE HOHEIT MILONA
Als Gott an den Brüsten der Himmelskönigin gesogen, da spritzte aus dem Euter der
Himmelskönigin die Milch der Milchstraße und alle andern hundert Milliarden Galaxien.
RITTER VOM KESTOS
Uns wird die Milch der himmlischen Mutter retten! So wahr lebt der Vater und der Sohn und die
Mutter, ich folge Euch, Milona!

DRITTE SZENE

(Haus des Bankers. Banker Schatz, Luzi Schatz, Junker Jörg von Junkersrott, Frau Fröhlich und ihr
Sohn-Geliebter Karl-Heinz.)

FRAU FRÖHLICH
Hätte ich nur meinen verdammten Sohn Kaspar nicht geboren! Warum hat Gott mich damit gestraft,
solch ein Monster gebären zu müssen?
KARL HEINZ
Du bist meine Mutter, freue dich an mir! Vielleicht bist du gar nicht die Mutter von Kaspar.
FRAU FRÖHLICH
Ich habe ihn zwar geboren, aber ich bin nicht seine Mutter. Als ich wusste, ich bin zum zweiten Mal
schwanger, hab ich gesagt: Ich nehme dies Kind nicht an! Ich will dieses Kind nicht! Er soll nicht
leben!
BANKER
Warum hast du damals nicht abgetrieben?
FRAU FRÖHLICH
Ach, damals waren wir Frauen noch nicht so frei. Ich hab es mir zwar innerlich gewünscht und oft
gedacht: Wäre dieses Unding doch tot! Aber ich fürchtete die Schande, denn die Welt war damals
irgendwie noch christlich.
KARL HEINZ
Ich hasse meinen Bruder auch! Ich muß immer an Kain und Abel denken. Ich bin sicher der Abel,
der Geliebte, aber der Zweitgeborene ist Kain, mein Todfeind. Vielleicht muß ich ihn eines Tages
noch umbringen!
BANKER
Er ist ein Stück Scheiße! Aber dieser Junker Jörg von Junkersrott, das ist ein wahrer Mann! Schaut
euch diese breiten Schultern an und diesen männlichen Bart und maskulinen Gang! Und schaut
euch diesen Hintern an mit dem dicken Portemonnaie in der Gesäßtasche! Ein echter Kerl von
Schrot und Korn!
JUNKER JÖRG
Ach, der arme Kaspar ist eine Seifenblase. Ein Nichts. Den beachte ich gar nicht. Er existiert für
mich gar nicht.
LUZI
Ich verstehe euch nicht. Kaspar ist ein ganz besonderer Mensch, ganz anders als alle andern.
BANKER
Halt dein Maul, du dummes Kind! Dir sollte man lieber die Zunge abschneiden! Du liebst eben die
Verlierer, weil du selber eine Verliererin bist!
LUZI
Mein Jesus, Barmherzigkeit!

VIERTE SZENE

(Luzi allein im Vaterhaus. Nacht mit Mondschein.)

LUZI
(vor dem Bild der Schwarzen Madonna)
Ach Frau, ich bin voller Schmerzen und Unglück! Mir scheint das Leben nicht so zu verlaufen, wie
ich es möchte. Alles steht der Liebe entgegen! Die Dämonen haben die Übermacht. So viele grobe
und gemeine Menschen beherrschen die Welt. Ich möchte wohl rein sein, tugendhaft und heilig,
aber ich fürchte mich auch vor den Leiden, vor der Einsamkeit, vor dem Kreuz. Ich möchte auch
gerne glücklich sein, zufrieden, ein angenehmes Leben leben. Ich möchte in Harmonie mit der
Natur leben, den Edelsteinen, den Blumen und den Tieren. Ich möchte einen Mann lieben, der mir
von Gott und dem ewigen Schicksal vorherbestimmt wäre. Aber wer bin ich, dass ich so
hochfliegende Wünsche habe? Sind nicht alle erfolgreich, alle heilig, alle wissend, alle herrlich, ich
allein bin verwirrt und bedrückt? Aber ich liebe dich, o himmlische Mutter!

(Es klopft an der Tür.)

Herein!

(Zwei Boten tragen eine große Kiste herein.)

Dank euch, ihr Boten. Was mag das sein?

(Kaspar steigt aus der Truhe.)

Kaspar! Erregender Moment! Wir beide in der Nacht allein! Mondschein schimmert silbern durch
die Nacht. Stille. Wir beide allein! Aura an Aura mit knisternden Funken!
KASPAR
Ach göttliches Weib, wie bist du lecker! Lehre mich alles, was ich über die Liebe wissen muß!
Lehre mich die Heiligtümer des Leibes und die Mysterien des Weibes!
LUZI
Ach du!

(Der Banker tritt ein.)

BANKER
Du Schweinehund! Hol dich der Teufel!

(Kaspar springt aus dem Fenster.)

FÜNFTE SZENE

(Herr Fröhlich allein. Das Zimmer ist aufgeräumt. Es steht nur eine Flasche Bordeaux auf dem
Tisch, der Becher ist voll. Es ist Abenddämmerstunde. Von Ferne läutet die Glocke der Kirche den
Angelus.)

HERR FRÖHLICH
Ja, ja, ich sage: La beauté divine! Und die Leute sagen: Ah, la bouteille divine? Aufgeblasene
Leute! Ich tanze aber mit den Sternen, und wenn ich betrunken bin, bläst die Venus dazu die Flöte!
Wie sagt doch der Dichter zum Dichter: Tu est un con! Was heißt das? Du hast den Spleen! Ach, der
alte Mann und das Meer, was ist das? Aber der alte Mann und das junge Mädchen, das wäre was!
Ach, ich bin im Delirium! Mohammed hat recht: Das Paradies ist ein himmlisches Bordell! Der alte
Mann lehnt sich auf sein Sofa, die eine Huri bläst ihm die Flöte, unter der zweiten Huri liegt die
dritte Huri und übt den Cunnilingus und des alten Mannes rechte Hand streichelt die Vulva der
vierten Huri. Im Hintergrunde wachte die arabische Venus Suhre. Ach, ich saufe zuviel!

(Der Ritter vom Kestos U.L.F. erscheint.)

RITTER VOM KESTOS


Vater Fröhlich, du bist ein Narr, aber ein Narr in Christo! Die Leute halten dich für verrückt, aber
ich weiß, du allein ehrst den armen Kaspar. Ich will dafür sorgen, dass Kaspar und seine angebetete
Luzi in Ewigkeit glücklich werden.
HERR FRÖHLICH
Ach, der junge Mann, er glaubt noch, die leidenschaftliche Liebe mache glücklich. Ich aber habe in
meiner Eremitage einen geistigen Harem, in dem ich mich sorglos ergötze. Ich wünsche dennoch
dem lieben guten Kaspar Glück und seine Luzi noch dazu! Die Luzi ist ein scheues Reh, viel zu lieb
für diese Welt!
RITTER VOM KESTOS
Im Namen der großen Mutter, ich werde die Hochzeit von Braut und Bräutigam stiften!

FÜNFTER AKT

ERSTE SZENE

(Haus des Bankers. Banker allein.)

BANKER
Wie stehen die Aktien? Fünfhundert Prozent Profit!

(Junker Jörg von Junkersrott und Kaspar erscheinen. Kaspar wird vom Junker Jörg ins Haus
geprügelt mit einem dicken Knüppel.)

JUNKER JÖRG
Hier, Vater, ist der Schweinehund, der Lumpenhund, der Vagabund, der Schmutzfink, die elende
Ratte! Dass dieser Haufen Scheiße es wagte, seine Augen zu deiner teuren Tochter zu erheben,
grenzt an Gotteslästerung!
BANKER
Ach, ach, ach, meine Tochter!
KASPAR
Was ist mit der himmlischen Luzi?
BANKER
Sie ist fort!
KASPAR
Exodus! Moving of Jah People!
JUNKER JÖRG
Was, Exitus? Ich prügle dich zu Tode!

(Er prügelt weiter auf Kaspar ein. Da erscheint der Ritter vom Kestos U.L.F.)
RITTER VOM KESTOS
Jetzt ist es aber genug mit eurer satanischen Pädagogik! Verachtet nur eure Dichter, die Genien
eures Volkes, ihr geistlosen Dummköpfe, aber stört nicht die Harmonie der Liebenden! Es ist ein
Gott der Liebe in zwei Personen, in Mann und Frau als vereintem Ebenbild Gottes, vereint in der
Erotik des Geistes! Nie habe ich eine Frau wie Luzi gesehen, die von einem sokratischen
Daimonium geführt wird, und nie traf ich einen Mann wie Kaspar, der liebt, bis es weh tut! Und
wenn ihr meint, auf Erden die Harmonie der Liebenden stören zu können, so wird Gott aufstehen
von seinem Jaspis-Thron und mit Macht den wahrhaft Liebenden zu ihrer ewigen Gerechtigkeit
verhelfen! Ich beschwöre euch beim Kestos unserer lieben Frau: Vermählt Luzi mit Kaspar!

ZWEITE SZENE

(Vor dem Haus des Bankers erscheint der Ritter vom Kestos U.L.F. mit der Armee der Kaiserlichen
Hoheit Milona von Herzegowina, bestehend aus schwarzen Kindersoldaten.)

RITTER VOM KESTOS


Jetzt beginnen wir den Krieg, den Krieg der Liebe! Diesmal geht es nicht um den Salatkopf
Inannas, sondern um – le fruit de vos entrailles, Mère de Dieu!
SCHWARZE KINDERSOLDATEN
Sie haben uns lange genug geopfert und abgeschlachtet und ihren Götzen zum Fraß vorgeworfen!
Jetzt erhebt sich die Armee der Kinder der ganzen Welt! An unserer Seite kämpfen die Heerscharen
Gottes und die Engel der abgetriebenen Brüder und Schwestern! Wir sind die Armee aus Gummi-
Bärchen, wir haben Panzer aus Marzipan, unsere Lanzen sind Lutsche-Stangen und unsere
atomaren Bomben sind Bonbons!
RITTER VOM KESTOS
Jetzt ist es einmal an uns, Revolution zu machen! Eure Revolutionen des revolutionären Hasses
haben uns lange genug erbittert! Jetzt machen wir unsre Revolution, die Revolution der Liebe!
Unserer Revolutionsarmee voran weht die Fahne der apokalyptischen Jungfrau! Unsre
Schutzpatronin ist Jeanne d’Arc! Rechts und links zu unserer Seite marschieren Sankt Michael und
Sankt Georg mit den zärtlichen Waffen der Himmlischen!
SCHWARZE KINDERSOLDATEN
Dies ist der wahre heilige Kinder-Kreuzzug! Zu oft habt ihr das Jesuskind begraben! Wir
marschieren an das Grab des Jesuskindes und werden vereint mit dem auferstandenen Jesulein als
unserm Geheimem Kaiser die Universale Theokratie der Schönheit errichten!
RITTER VOM KESTOS
Hoch die Universale Theokratie der Schönheit! Lang lebe die Zivilisation der Schönen Liebe!
SCHWARZE KINDERSOLDATEN
Alle Kinder der Welt feiern einen Universellen Kindergeburtstag, das Weihnachtsfest des
auferstandenen Jesusbabys! Unser aller Mutter ist die Majestätische Mama Gottes!
RITTER VOM KESTOS
Krieg! Krieg bis zum Sieg des Herzens der Majestätischen Mama!

DRITTE SZENE

(Herr Fröhlich in seinem Haus.)

HERR FRÖHLICH
Ich habe dreimal die blonde Venus gesehen! Die blonde Venus war zweiundzwanzig Jahre jung und
schön, wunderschön, eine leckere Göttin! Sie lächelte und sagte: Bringt Kinder zur Welt und freut
euch an den Kindern, denn die Kinder sind die Sonnenstrahlen Gottes! Dann tanzte sie mit rosa
Schleiern und schüttelte ihre göttlichen milchigen Brüste, da sah ich die blonde Venus in einem
hinreißend lasziven Bauchtanz – très voluptueuse!

(Luzi und Kaspar erscheinen.)

KASPAR
Vater, gib uns deinen Segen!
HERR FRÖHLICH
O gütige, o milde, o süße Jungfrau Luzi! Wen soll ich denn anders dir vermählen als diesen Kaspar,
diesen Clown der göttlichen Liebe? Venus segne euch!

(Der Banker, Frau Fröhlich und Karl-Heinz erscheinen.)

FRAU FRÖHLICH
Exmann, dich lasse ich mit deiner Göttin zusammen, ich nehme mir zum neuen Mann den Banker.
BANKER
Karl-Heinz, du bist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe! Du sollst mein Erbe sein!

(Der Ritter vom Kestos U.L.F. erscheint mit seinen Knappen Georg und Thomas.)

RITTER VOM KESTOS


Kaspar, Luzi, Luzi, Kaspar! A und B und B und A! Ihre Kaiserliche Hoheit Milona von
Herzegowina und Medjugorje sendet euch zu eurer gesegneten Hochzeit alle herzinnigsten
Segenswünsche! Die Große Frau richtet dir, Kaspar, diese Botschaft aus: Mein liebes Kind, jede
rote Rose, die du deiner geliebten Luzi schenkst, erfreut auch mein Herz!
KASPAR
Luzi, ewig Geliebte! Unsern Honigmond, la lune du miel, wir wollen selig feiern, einen Himmel auf
Erden erleben, unter dem Kreuz des Südens tanzen und lachen im südlichen Kaiserreich Ihrer
Kaiserlichen Hoheit Milona von Medjugorje an der heißen Cote d’Ivoire!
LUZI
Ende gut – alles gut!

PHÄDRA

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(Aphrodite allein.)

APHRODITE
Ich bin die Leidenschaft und Feuerskraft der Liebe,
Die Welt entflamme ich im Innersten der Triebe,
Die heiße Feuersglut der Liebe leuchtet licht
Der Sonne im Gesicht, dem Monde im Gesicht,
Die Liebe reguliert die Bahnen der Planeten,
Die Liebe inspiriert die Lyra der Poeten,
Der Liebe Allgewalt wird feiern den Triumph
Und aller Feinde Speer und Pfeile werden stumpf,
Der Poetaster Volk, die allzu lieblos klimpern,
Die straft der Zornesblitz des Dolches meiner Wimpern,
Ich hetze Frau auf Frau, die Knaben auf den Mann,
Der Hirte schaut mit Lust die schwarze Zicke an,
Es sehnt der Philosoph sich nach den süßen Kindern,
Die Männer voller Kraft es treiben mit den Rindern,
Es schaut ein alter Mann nach jedem kurzen Rock,
Der Zicke hinten springt hinauf der Ziegenbock,
Die Hirsche röhren laut nach Rehen an den Quellen,
Wie brünstig seufzen heiß die hüpfenden Gazellen,
Die Nymphen baden nackt voll heißer Lust im Strom,
Es kopulieren heiß die Teile im Atom,
Das Universum selbst treibt Aphrodites Werke,
Die Schöpfung neigt sich tief vor Aphrodites Stärke!
Jedoch, ich klage laut, was da mein Schauen sieht,
Ich seh im Zölibat den keuschen Hippolit!
Er weigert sich der Lust, der Wollust wilden Wonne,
Will Liebe spielen nicht im Land der heißen Sonne,
Er betet nicht und stöhnt vor einer nackten Brust
Und keuschen Geistes er verschmäht des Weibes Lust,
Der Mann im Zölibat verwehrt sich den Gesetzen
Der Liebesleidenschaft. Ich werde Phädra hetzen,
Wie eine Jägerin die arme Hindin jagt,
Bis sie, die wird verschmäht, nur nach dem Tod noch klagt,
Weil ganz vergeblich ist ihr glühendheißes Werben,
Bis Phädra nichts mehr will als durch sich selbst zu sterben!
Mein Auge dann noch nicht befriedigt nieder sieht,
Befriedigt bin ich erst, wenn tot ist Hippolit,
Wenn ich bezwungen ihn mit meiner Rache Zwange
Und Hippolit ist tot, gemordet von der Schlange!
Er schaue dann – oh bei der Glut in meinem Schoß! –
Ob Artemis dann hilft, die Maid von Ephesos,
Ob sie allmächtig wie die Göttin heißer Lüste,
Ob sie ihn nimmt hinauf an ihre neunzehn Brüste?
Ah, meiner Wollust ist der Zölibat abscheulich,
Er, der für Artemis lebt heilig, keusch, jungfräulich!

ZWEITE SZENE

(Hippolit und der Chor der Jungfrauen)

HIPPOLIT
O Magna Mater, o du Gottheit voll der Macht,
Dein Bild von schwarzem Stein ist wie die dunkle Nacht!
Was hilft mir anders denn in meiner Seele Dunkel
Als deine Augen, Mond, du himmlisches Gefunkel,
Dein Licht in dunkler Nacht, du Mutter schwarzer Nacht?
Fast hat die Dunkelheit mein Ich schon umgebracht,
Fast schnitt den Faden ab schon Athropos, die Parze,
Da ruf ich flehend an die Magna Mater: Schwarze,
Du Nacht von meiner Nacht, ich selbst mir unbewusst
Die neunzehn Brüste küss ich, Göttin, deiner Brust!
CHOR DER JUNGFRAUEN
Ihr Männer betet an die Göttin thronend oben,
Hochthronend seht ihr sie, um sklavisch sie zu loben!
Wir Mädchen aber sind der schönen Jungfrau freund,
Weil Schwestergöttin sie den lieben Schwestern scheint.
Der Fuchs schlüpft in das Loch, es rucket in den Nestern,
Die Jungfrau lächelt sanft als Schwester zu den Schwestern,
Sie geht den Weg voran, sie weist den schmalen Pfad.
HIPPOLIT
Ich aber weihe mich im keuschen Zölibat
Der Himmelskönigin, der hohen Jungfraungöttin,
Die Allerkeuscheste ist meine Seelengattin!
CHOR DER JUNGFRAUEN
Wir Jungfraun auch sind schön, und Herzen in der Brust
Sind voll der Heiligkeit und stiller Himmelslust,
Und noch sind Mädchen wir, doch einst sind wir die Alten,
Dann sind wir Gottes Braut mit Runzeln und mit Falten.
HIPPOLIT
Und wenn mich eine von den Frauen reizen könnt,
Mein Geist im Herzen doch mit der Vernunft erkennt,
Ich könnte lieben sie, wenn sie mit neunzig Jahren
Mit silbergrauem Haar erneut mit schwarzen Haaren
Als Jungfrau stünd vor mir, sie, die geboren schon,
Natürlich schon gebar dem Gatten Sohn um Sohn,
Wenn wieder Jungfrau sie mit unverletztem Hymen,
Dann wollte ich sie als mein Ideal wohl rühmen.
CHOR DER JUNGFRAUEN
Du liebst die Ewige Jungfräulichkeit allein?
HIPPOLIT
Die Jungfrau Artemis von Ephesos ist mein!

DRITTE SZENE

(Alter Diener und Hippolit)

ALTER DIENER
Ein alter Diener ich, nichts als ein alter Diener!
Die Jugend voller Mut ist fröhlicher und kühner,
Doch töricht ist sie auch, die wilde Jugendzeit.
Geläutert bin ich, ach, von langen Lebens Leid
Und hoffe auf Vertraun, wenn ich zu einem Spruche
Das Herz dir öffne weit und meiner Weisheit Buche.
HIPPOLIT
Ein Jüngling bin ich noch, die Göttin-Jungfrau jung
Hab ich im Geist gesehn in der Begeisterung,
Das Göttin-Mädchen schön, ganz ohne Fleck und Falte,
Doch hör ich gerne zu, wenn predigt mir der Alte.
ALTER DIENER
Ich höre, dass du willst bezähmen streng das Fleisch
Mit Fasten und Gebet, durch Opfer werden keusch,
Doch bist du allzu streng, von solchem hartem Holze
Geschnitzt wird nur ein Mann, der mächtig ist im Stolze.
Vergiss nicht in der Welt der Götter Überfluss
Und labe dich am Wein und speise mit Genuss,
Die Liebe ehre du im himmlischen Gebiete,
Verschmäh die Göttin nicht, die schönste Aphrodite!
HIPPOLIT
Wer Aphrodite sich ergab und wer sein Herz
Der Liebe weihte, der zugrunde ging im Schmerz,
So alt der Reim auch ist: Aus Aphrodites Herzen,
Wie Rosen dornenreich, nur fließen Todesschmerzen!
ALTER DIENER
Was ist die Keuschheit denn und die Jungfräulichkeit,
Wenn sie nicht Liebe ist für alle Ewigkeit?
Will Jungfrau Artemis von Ephesos den Keuschen
Im Feuer braten gar und wie ein Hund zerfleischen?
Will sie nicht lieben auch, die Jungfraungöttin schön,
Freut sich die Jungfrau nicht am seufzenden Gestöhn?
Was ist das Fasten denn, was sind denn die Gebete,
Wenn sie der Jungfrau nicht erzeugen Wangenröte?
HIPPOLIT
Ach, was ihr Liebe nennt, ist nichts als geile Lust!
Ein leichtes Mädchen zeigt euch ihre nackte Brust,
So nennt ihr göttlich gar den nackten Mädchenbusen
Und preist die nackte Brust mit Hilfe aller Musen
Und ist doch Wollust nur und sexueller Trieb!
Die Jungfraungöttin ist im reinen Geiste lieb
Und will nichts wissen von der Tierheit in dem Fleische.
Allein der reine Geist verehrt die Heilig-Keusche.
ALTER DIENER
Doch trau dem alten Greis wie einem Pontifex:
In Wahrheit heilig ist der gottgeschenkte Sex!
So sehr du dich bemühst, du wirst nicht los den Sexus!
Der Falter flattert stets im süßen Solarplexus!
HIPPOLIT
Ach, Sexualität, ach, Aphrodite nackt!
Der reine Geist allein ist ewiglicher Fakt!

VIERTE SZENE

DER CHOR
Der König Theseus es nicht sieht,
Sein süßer Sprössling Hippolit
Von Theseus’ Gattin wird voll Kraft
Begehrt mit aller Leidenschaft!
Ach Phädra, Phädra! Armes Weib!
Wie plagst du dich in deinem Leib!
Wie ward die Liebe dir zur Qual!
Durchbohrt dein Herz von Schwertes Stahl!
Ach, des Geliebten Wangenrot
Ist schrecklich! Süßer ist der Tod!
Wenn seiner Augen keuscher Zorn
Und Wimperndolche wie ein Dorn
Durchbohren dich im tiefsten Fleisch,
Dann schreist du: Wär er nur nicht keusch!
Kein Atem mehr in deiner Brust,
In deiner Seele keine Lust,
Zerfressen ward dein Busen dir
Von deiner brennenden Begier!
Die Aphrodite wütet so
Und Knabe Eros, A und O,
Daß du verloren den Verstand
Und betest an den bunten Tand,
Den du gestohlen Hippolit,
Weil deine Seele gläubig sieht
In Hippolith, trotz allem Spott,
In Hippolit den Schönen Gott!
Er ist ja mehr als süßer Reiz,
Dein Theos ist er und dein Zeus!
Er ist das Alles, das du willst,
Ob Blut du aus der Seele quillst,
Ob Seufzer fliehn von deinem Mund,
Ob deine arme Seele wund,
Ob Schlangen glühn in deinem Blut,
Ob wild du in des Wahnsinns Wut,
Ob schrecklich dir die Furien nahn,
Ob Thanatos dir schenkt den Wahn,
Du die Vernunft wirfst über Bord,
Du planst der eignen Seele Mord,
Ob Hippolit den Tod dir schickt!
Daß er nur Einmal Gnade nickt
Und küsst den schwesterlichen Mund,
Die Seele würde dir gesund!

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Phädra im Krankenbett, krank vor Liebe. Phädras Amme steht ihr mütterlich bei.)

PHÄDRA
Unglaublich, Amme mein, und einfach unaussprechlich!
Wie ist die Kreatur fragil doch und zerbrechlich!
Von Schwermut bin ich voll und an der Seele krank,
Von schwarzen Blumen mich umrankendes Gerank,
Ein Trauerflor um mich, wie Muschelseiden-Byssus,
Ein Abgrund unter mir, ein finsterer Abyssus!
AMME
Die Welt geht leicht dahin in ihrem Alltagstrott,
Doch du bist in der Nacht! Und rettet dich kein Gott?
PHÄDRA
Ich habe laut geschrien zu allen Himmelsgöttern,
Zu unbekannten auch! Doch jetzt glaub ich den Spöttern,
Es ist kein Gott, der hilft, der rettet in der Not!
Ich kenne Einen Gott allein, das ist der Tod,
Der gute Heiland Tod, der rettet aus der Trauer!
Nein, zwischen Gott und mir ist eine hohe Mauer,
Ob auch der höchste Gott ein reines Dasein sei,
Kein Gott erhörte je den abgrundtiefen Schrei!
AMME
Mein Kind, der Sonnenschein folgt immer auf den Regen
Und nach den Qualen kommt erneut ein froher Segen.
PHÄDRA
Ach, keiner das versteht, die Hoffnungslosigkeit
Und der Verzweiflung Nacht! Wie unaussprechlich ist das Leid!
Im schreienden Gebet ich finde keine Worte,
Ich poche nur noch an des Bruders Todes Pforte
Und bitte nur allein in bodenloser Not:
O Himmelsgötter, gebt mir Elenden den Tod!
AMME
Die Todespforte steht uns allen einmal offen,
Doch du verzage nicht, wir sollen alle hoffen.
PHÄDRA
So krank war nie ein Mensch, ich leide solche Pein,
Als wär in Hades Reich ich ewiglich allein!
Ich sehe in dem Geist die bösesten Dämonen
In allen Menschen und in allen Völkern thronen
Und ich alleine steh dagegen in dem Kampf
Und schwitze Blut und Schweiß in heißer Tränen Dampf
Und unterliege doch in jämmerlicher Schwäche,
Verzweiflung, Ohnmacht! Ach, ihr Himmlischen, ich breche!
AMME
Ich bring ein Opfer dar zu deinem Seelenheil,
Auch dir wird Liebe noch von Himmlischen zuteil.

ZWEITE SZENE

(Chorführerin und Amme.)

CHORFÜHRERIN
Was hat denn Phädra nur und woran krankt die Herrin?
AMME
Ach, ist sie denn verrückt wie eine arme Närrin?
Soll ich die Ärztezunft ihr rufen an das Bett?
CHORFÜHRERIN
Wenn sie bei andern ist, dann ist sie lieb und nett,
Doch ist allein sie dann, sie scheint wie die Verrückten,
Die Doppelt-Elenden, im Übermaß Verzückten!
AMME
Hippokrates erklär mir das, ich weiß nicht mehr,
Asklepios, der Gott, er helfe als ein Herr.
Mal schreit sie schrecklich auf, vor Totengeistern panisch,
Dann lacht sie voller Lust, der Wahnsinn ist ja manisch.
CHORFÜHRERIN
Prophetin ist vielleicht und Seherin die Frau,
Zutiefst erschrocken von der Schreckensgötter Schau?
AMME
Vielleicht ist Künstlerin die launenhafte Dame
Und trägt in sich ein Werk, es drängt des Wortes Same?
CHORFÜHRERIN
Doch ich versteh sie nicht, die ganze Welt hat Spaß
Und alle Jugend ist so voll Serenitas,
Sie schweben alle auf, hinan die Himmelsleiter,
Die Götter Griechenlands sind lustvoll doch und heiter!
AMME
Ob sie vielleicht der Macht der Dämonie erlag,
Sich wandte an die Nacht, abwandte sich dem Tag,
Ob sie in der Magie bewandert, Riesenechsen
Lädt in ihr altes Haus wie alte Zauberhexen?
CHORFÜHRERIN
Ergründe nur den Grund von solcher Krankheit Qual,
Dann folgt die Therapie auch in der Ärzte Saal.
AMME
Doch ich verstehe nicht den Abgrund solcher Schrecken,
Und frage ich danach, so möchte sie mich necken
Und sagt nichts andres als: Ulyß ins Totenreich
Stieg auch dereinst hinab, Odysseus bin ich gleich
Und steige auch hinab zur Unterwelt der Schatten,
Daß Kore ich verehr, dem Hades mich zu gatten!
CHORFÜHRERIN
Bringt sie sich selber um? O steh der Armen bei,
Daß sie nicht selber sich macht von den Schmerzen frei!
AMME
Der Selbstmord bringt ja nur in ewigliche Schulden!
Ich sage Phädra nur: Hier gilt nur dulden, dulden!

DRITTE SZENE

(Phädra, Amme.)

PHÄDRA
Geliebte Amme mein, dein süßes Mutterherz
Heilt alle meine Qual und allen Seelenschmerz,
Ob auch die Schmerzen noch die Schwerter feindlich schärfen
Und wie in Fiebersglut entbrannt sind meine Nerven
Und Schrecken in der Nacht durch meine Seele fährt,
Ein Feuer ist in mir, das gänzlich mich verzehrt!
AMME
Sei ausgeglichner nur und sondre dich nicht ab,
Die Einsamkeit zuletzt erwartet dich im Grab,
Sei menschenfreundlich zu den Kleinsten und den Größten
Und manches sanfte Herz wird deine Seele trösten.
PHÄDRA
Doch kaum ertrag ich noch die Menschen dieser Welt,
Die Welt scheint mir ein Wolf, der in die Lämmer fällt.
Was kann ein Lamm allein, wer kann dem Armen helfen,
Verblutet ihm das Herz, zerfleischt von hundert Wölfen?
AMME
Du Lamm bist nicht allein, auch andre Lämmer sieht
Mein mütterliches Aug. Denk nur an Hippolit!
PHÄDRA
Der Name ist so süß, des Gotteswortes Same
Gesät in meinen Schoß der Seele ist der Name,
Der Name ist voll Macht, erweckt den Lebenstrieb,
Der Name ist so sanft, so gütig und so lieb,
Der Name mitleidvoll erbarmt sich aller Armen,
Der Name ist so gut, voll herzlichem Erbarmen,
Der Name ist voll Pracht und macht mir Lebensmut,
Der Name ist so schön, so mild, so süß, so gut,
Der Name rettet mich, wenn ich verzweifelt stöhne,
Der Name ist so schön, von göttergleicher Schöne,
Der Name ist so tief, so hoch, so lang, so breit,
Der Name ewig ist in alle Ewigkeit,
Der Name ist mein Geist, die Seele meiner Seele,
Daß ich dem Namen mich in Ewigkeit vermähle
Und selbst den Namen trag voll Liebe je und je!
AMME
Du redest trunken, Kind, als lallst du Evoe!
PHÄDRA
Die Musen über mich mit Feuerzungen kamen!
AMME
Doch welchen Namen meinst du mit dem schönen Namen?
PHÄDRA
Mein Seelchen immer seufzt: Ach süßer Hippolit!
Ach Hippolith, mein Herz! Mein Herz, ach Hippolit!
AMME
Jetzt ist mir alles klar, als ob ein Gott es schriebe:
Die Krankheit, die du trägst, die Krankheit ist die Liebe!

VIERTE SZENE

(Phädra, Amme, Chor.)

CHOR
Ja, Aphrodite lebt! Ja, Aphrodite lebt!
In Aphrodite lebt die ganze Welt und bebt!
Doch Aphrodite ist nicht nur die Menschengöttin,
Nicht Ares’ Bettgenoss, nicht Vulkans Ehegattin,
Nein, Aphrodite ist die allerhöchste Macht,
Macht über alle Macht, die sie hervorgebracht
Das ganze große All mit schöpferischem Triebe
Allein aus Überfluß des Herzens ihrer Liebe!
PHÄDRA
Ach, Liebe ist nur Schmerz! Die Liebe, Rose rot,
Die Liebe ist vereint dem bitterlichsten Tod.
Die Liebe weiß allein nur Leiden zu vererben,
Willst du vor Liebe fliehn, so eile du zu sterben!
Der Tod allein erlöst aus ihrem Schlangenarm!
Ich schrei in Höllenglut: O Heiland Tod, erbarm!
Die Liebe sehe ich mit feuerroten Wangen,
Die Liebe sehe ich mit schwarzen Lockenschlangen,
Die Liebe sehe ich mit einem Leib wie Schnee,
Die Liebe fühle ich, und alles tut mir weh,
Und tief in Geist und Fleisch, in Seele und im Herzen
Ist alles nichts als Qual und untragbare Schmerzen,
Besessen bin ich von der Liebe! Will ich fort,
Bleibt zur Befreiung nur des eignen Lebens Mord!
AMME
Der Aphrodite in demütigster Ergebung
Ergib dich, liebes Kind, dann schenkt sie dir Belebung,
Was Aphrodite ja am allermeisten liebt,
Ist, wenn voll Demut sich ein Menschenherz ergibt
Und gibt der Liebe Raum, das Leben zu gestalten,
Lässt Aphrodite nur im eignen Leben walten.
CHOR
Ergebung ja gebührt der höchsten Allgewalt
Der Liebe! Gottheit in unsichtbarer Gestalt,
O Aphrodite, du allein der Seele Labe,
Wir geben uns dir hin in voller Ganzhingabe!
Du Gottheit, du hast Lust an uns, wenn nach der Nacht
Dein Morgenstern erscheint, du aller Mächte Macht,
Wenn deiner Liebe sich Gewalten all und Mächte
Ergeben sich, dann freut dein Innres die Gerechte,
Die ganz sich gibt dir hin mit Seele und mit Sinn,
Dir, Aphrodite, gibt sich die Gerechte hin,
Du wirst ihr das Begehr mit heißer Liebe stillen
Und sie mit Götterlust im Innersten erfüllen!

FÜNFTE SZENE

(Phädra, Amme.)

AMME
Wie wird dir Hilfe und wie wird dir guter Rat?
PHÄDRA
Nie wird zum runden Kreis das eckige Quadrat,
Nie Weisheit einig ist mit der verliebten Jugend.
AMME
Die Meister helfen doch, die lehren fromme Tugend.
Der Mensch ist wie ein Vieh und hungert nach dem Fleisch,
Ist voller wilder Wut, begierig, doch nicht keusch,
Der Mensch ist ähnlich auch den tödlichen Dämonen,
Ein Mörder ist der Mensch, den Menschen nicht zu schonen,
Der Mensch ist Genius, ist nahezu ein Gott,
Die Schönheit anzuschaun, die Göttin ohne Spott.
Wenn du dies Ziel verfolgst mit deinem innern Herzen,
Zu schaun die Schönheit an, dann weichen deine Schmerzen.
Was macht denn solche Not, was solche Qualen dir?
Es ist der Appetit der fleischlichen Begier!
Weil Fleischeslüste dir dich selbst verzehrend glühten
Und in dir lodert Zorn und leidenschaftlich Wüten!
Doch zähme diese Brunst und zähme diese Brunft
Und folge ganz allein der leuchtenden Vernunft
Und ordne die Begier und alles Wüten unter
Der heiligen Vernunft, dann wirst du wieder munter
Und von dir flieht die Qual, der unglücksatte Schmerz,
Denn Götter schauen wird das makellose Herz.
PHÄDRA
Obwohl mein Leiden auch betitelt wird moralisch
Und meine Leidenschaft getauft wird infernalisch,
So hilft mir Weisheit nicht aus dem Ideensaal
Und nicht die Tugenden, nicht Ethik und Moral.
AMME
Unheilbar willst du sein? O hoffnungslose Jugend!
Hilft dir die Weisheit nicht, die Lehre nicht der Tugend,
Hilft dir vielleicht der Arzt mit seiner Medizin?
Frag nur den weisen Arzt, um Hilfe bitte ihn,
Denn was verwirrt dich sonst als schlecht gemischte Säfte?
Doch er kennt der Natur Physik, Selbstheilungskräfte
Der Organisation der Seele und des Leibs,
Er kennt die Mischung der Natura eines Weibs
Und kennt auch das Gehirn und seine Elemente
Und kennt die Galle auch und alle Temperamente,
Die Niere und die Milz, und seine Medizin
Stellt die Gesundheit her, so wende dich an ihn.
PHÄDRA
Unheilbar aber ist der Liebeskrankheit Wunde
Und heil wird erst das Kind in seiner Todesstunde!
Nur Eine Medizin die schwarze Galle heilt:
Wenn Hippolit am Hals - am Busen Phädras weilt!

SECHSTE SZENE

CHOR
Der Erste aller Götter ist
Gott Eros, wie ihr alle wisst.
Gott Eros trieb die Mutter Nacht,
Die Liebe mit dem Wind gemacht
Und hat das Ei der Welt gelegt,
Gott Eros sich im Ur-Ei regt
Und so entfaltet diese Welt
Und innerlich zusammen hält.
Gott Eros ist der Götter Herr,
Die Göttinnen führt einzig Er,
Von Gott und Göttin ist ein Paar,
Weil Eros Ehestifter war.
Und Gott und Menschenseele sind
Vereint durch Eros, dieses Kind.
Gott Eros lebt auch in dem Kraut,
Wenn es verliebt zum Busche schaut.
Gott Eros antreibt jedes Tier,
So hetzt er auf die Kuh den Stier,
Die Zicke treibt er mit dem Stock,
Die Zicke zu dem Ziegenbock,
Dem Rehbock sagt er: Rehbock, geh
Zur Quelle und zum schönen Reh!
Das Mädchen mit der Jungfernhaut,
Gott Eros macht sie bald zur Braut
Und stiftet Hymens Ehebund
Und öffnet ihren Muttermund
Zur segensreichen Fruchtbarkeit.
Gott Eros macht den Mann bereit,
Daß er vereinigt sich der Frau
Und schenkt ihr seinen Samen-Tau.
Gott Eros führt dem Weibe ein
Den Mann und zeugt die Kinderlein.
Gott Eros kleinen Kindern schon
Die Liebe schenkt, dem kleinen Sohn,
Der zärtlichsüßen Tochter auch,
Sie leben schon von seinem Hauch.
Gott Eros in sublimer Brunst
Die Lyrik stiftet und die Kunst,
In Malerei und Marmorblock
Steht Kypris da im kurzen Rock.
Mysteriöstester Magie
Gott Eros in der Philosophie
Den Weisen führt den Weg genau
Zur Gotterkenntnis, Gottesschau!

DRITTER AKT

ERSTE SZENE

(Phädra und Chorführerin vor dem Haus, im Hause Hippolit und die Amme.)

PHÄDRA
Die liebe Amme mein, um für mich fürzusprechen
Beim schönen Hippolit, sie wird das Herz mir brechen!
CHORFÜHRERIN
Wie willst du Hippolit gewinnen, wenn du nicht
Ihm offenbarst dein Herz, dein inneres Gesicht?
PHÄDRA
Nun sagte sie ihm gar von meinen Liebesflammen!
Wie zuckte er entsetzt vor der Gewalt zusammen!
CHORFÜHRERIN
Die Liebe hat doch Macht! So musst du ihn für dich
Erobern, wenn du ihm vermachst dein ganzes Ich!
PHÄDRA
Ach, alle Leidenschaft wird nicht sein Herz gewinnen,
Er schaudert ja zurück vor Wollust in den Sinnen.
CHORFÜHRERIN
Die Amme kennt dein Herz, und spricht sie für dich für,
So wird sie, Peitho, ihm erwecken die Begier.
PHÄDRA
Der Liebste ahnt nichts von der Seelenliebe Zierde,
Er hält das alles nur für fleischliche Begierde.
CHORFÜHRERIN
Er ist doch auch ein Mann! Du öffne ihm die Brust,
Entflamme mit der Brust im Herzen ihm die Lust!
PHÄDRA
Ach nein, ich bin verdammt! Aus himmelweiten Fernen
Bin ich verflucht, verdammt, von unheilvollen Sternen!
HIPPOLIT
(Aus dem Inneren des Hauses)
Du alte Kupplerin der Dirnen-Buhlerin!
Du denkst, dass ich ein Mann der geilen Unzucht bin?
AMME
Nein, nein, mein lieber Herr! Mit ganzem Lebenstriebe
Gibt Phädra alles hin, dir ihre ganze Liebe!
HIPPOLIT
Sie, meines Vaters Braut, die sie die Ehe bricht,
Wo Ehetreue doch der wahren Liebe Pflicht?
AMME
Der Liebe Macht kennt kein Gesetz! Und Leidenschaften,
Die kann kein armes Weib am eignen Leib verkraften!
HIPPOLIT
Wie tierisch ist die Brunst, die Geilheit in dem Fleisch!
Ich dien der Jungfrau nur, der reinen Göttin keusch!
AMME
Die Jungfraungöttin selbst hat keine süßen Triebe?
Dient sie denn selber nicht der Gottheit schöner Liebe?
HIPPOLIT
Die reinste Liebe wohnt in ihrer hohen Brust!
Doch was ihr Liebe nennt, das ist der Affen Lust!

ZWEITE SZENE

(Amme, Hippolit)

AMME
Bist du ein Weiberfeind? Und liebst du nicht die Liebe?
HIPPOLIT
Ich liebe nicht das Fleisch und nicht die geilen Triebe.
AMME
Hast du nicht Liebe für das Feuer in der Brust?
HIPPOLIT
Wie flüchtig ist der Rausch der eitlen Fleischeslust!
AMME
Und betest du nicht an des Weibes Leibesschöne?
HIPPOLIT
Einst ist der Maden Kot, wonach ich brünstig stöhne.
AMME
Ist dir nicht Götterlust der sexuelle Akt?
HIPPOLIT
Die Göttin selber schenkt der Liebe Katarakt!
AMME
Hab Mitleid mit dem Weib, das dich um Liebe bittet!
HIPPOLIT
Sie liebt sich selber nur in Ich-Sucht ungesittet.
AMME
So ist denn jedes Wort umsonst und alles Flehn?
HIPPOLIT
Ich habe manches Weib auf Erden schon gesehn,
Ich sah die Eitelkeit in ihrem bunten Putze,
Ich sah die Hurerei in ihrem eklen Schmutze,
Ich sah die Lüsternheit in ihrem geilen Fleisch,
Die alles hasste, was gottselig war und keusch,
Ich sah die heiße Gier, die mit des Geiers Schwingen
Sich alle Stoffe nahm von allen toten Dingen,
Ich sah die Ehefrau, die einen guten Mann
Bezaubert hat und dann sprach über ihn den Bann
Und holte ihn herab von seinen Geistesflügen,
Daß er sich sollte an die toten Dinge schmiegen,
Ich sah den Heiligen, wie er verließ den Leib
Und schaute Götter an, bis ihn verführt das Weib
Und er verließ den Geist der weisheitsvollen Griechen,
Um in dem Alltagsstaub als dummer Wurm zu kriechen,
Ich sah den Dichter auch, anbetend eine Frau
Und sie verehren als der Gottesschönheit Schau,
Wie sie ihn dann gelockt hat in das Lotterbette,
Daß sie ihn an den Staub des eitlen Alltags kette,
Ich sah den weisen Mann, der lebte nur dem Geist,
Der die Hetäre selbst als Gottesschönheit preist,
Zur Strafe seiner Lust Gott gab ihm seine Buße
Und er verlor das Glück der weisheitsvollen Muße,
So dass ich ganz geheilt von Erdenwollust bin!
Dein geiles Weib ist mir nichts als Verführerin,
Ich aber lass mich nicht von Fleischeslust verführen,
Ich will die Göttin selbst zu meiner Gattin küren!

DRITTE SZENE

(Phädra, Amme, Chor.)


PHÄDRA
Ach Amme, sag, warum sprachst du zu Hippolit
Von meiner Liebe, wie mein Busen für ihn glüht?
Nun wird mich Hippolit im heißen Zorn verachten!
Ich fühle meinen Geist im Unglück sich umnachten!
AMME
Wenn du ihm nicht gestehst, du seist in ihn verliebt,
Dann bleibst du doch allein und jämmerlich betrübt.
Wenn du ihm offenbarst den Andrang deiner Triebe
Und wie in Leidenschaft verzehrt dich deine Liebe
Und wie sein Angesicht verzaubernd dich betört,
Dann wirst du glücklich erst, wenn er dich doch erhört.
PHÄDRA
Das weiß ich aber wohl, das kann mein Geist noch fassen,
Will einer lieben nicht, so wird er schließlich hassen,
Wenn er geliebt wird von dem Herz, das er nicht liebt,
Wenn die, die er nicht liebt, ihm ihre Liebe gibt,
Dann ekelt ihn das an, dann ist ihm das zuwider.
Ah wehe, Amme mein, ich stürz zu Tode nieder!
CHOR
Wir fanden in der Not die Rettung dennoch oft,
Verzweifeln muss nur der, der in der Not nicht hofft,
Wer aber in der Nacht hält seinen Busen offen
Dem Rettenden, der darf auch auf den Retter hoffen.
PHÄDRA
Den Retter seh ich auch, der Rettung Morgenrot,
Der Rettung Abendrot, das ist der Heiland Tod!
O Heiland Tod, erbarm dich meiner, lass mich sterben,
Laß in Elysium mich Seelenruhe erben
Und in der Nymphenschar Elysiums voll Lust
Ich tanze mit als Geist, ein Schwert in meiner Brust!
Nur Schmerz, nur Schmerz, nur Schmerz mir Liebe war hienieden
Und erst im Schattenreich die Schatten haben Frieden.
Die Seele im Verließ, im Körper voller Qual,
Entfliehen möchte sie in den Ideensaal
Und möchte nymphengleich die himmlischen Ideen,
Wie sie im Tanze sich bewegen, selig sehen.
Auf Erden ist kein Licht, nur dichte Finsternis,
Zu Seiten mir der Tod und vor mir der Abyss,
Von Thanatos’ Kultur, der Übermacht des Bösen,
Das Schwert nur in der Brust kann einzig mich erlösen,
Mein eignes Salamis, mein eignes Schwert der Parther,
Eudämonie in Gott mein Ziel, der Weg die Marter!
Die Liebe gleiche ich der Schärfe eines Schwerts,
Altar des Eros, Herr, ich schlachte dir mein Herz!

VIERTE SZENE

CHOR
Wer stirbt, der wird nach seinem Tod,
Entkommen letzter Erdennot,
Geführt ins geisterhafte Licht
Zu Minos, kommt dort ins Gericht,
Empfängt dort seinen Urteilsspruch,
Den Bösen Minos spricht den Fluch,
Die treten in den Hades ein,
Wie Tantalos voll Durst zu sein,
Wo über ihm hängt prall die Frucht,
So köstlich, doch in steter Flucht!
Stets unerreichbar, süß und prall!
So quälen sich Verdammte all!
Wer weder gut noch böse war,
Wer mittelmäßig in der Schar
Gewöhnlich war, ob Mann ob Frau,
Nicht kalt, nicht heiß zu Gott, nur lau,
Die kommen in den Zwischenort
Und brennen in den Feuern dort,
Die brennen in dem Phlegeton,
Die brennen in dem Acheron
Und weinen Tränen ihrer Reu
Und machen ihre Seelen neu,
Sie waschen sich die Kleider weiß
Mit Reuetränen feucht und heiß,
Und wenn gereinigt sie dann sind
Und voller Unschuld wie ein Kind,
Sie kommen nach Elysium.
O Wonne, Wonne, um und um!
Die Heiligen, die da gerecht
Gewesen, ihre Liebe echt,
Hier, wo die Herzen offenbar,
Ist klar, dass ihre Liebe wahr,
Hier selig ist der Philosoph,
Der diente an der Weisheit Hof,
Ideen sieht er hier im Glanz
Wie Nymphen drehen sich im Tanz,
Wie Jungfraun keusch und rein und süß
In diesem Himmelsparadies.
Die Göttin Weisheit selbst erscheint,
Der Philosoph vor Freude weint,
Jetzt Philo schaut glückselig Sie,
Die übergöttliche Sophie! –
Oh welcher Liebe Überfluss
Im delikatesten Genuss!
Genießend ewig – ewig Sie,
Die Seligmacherin Sophie!

VIERTER AKT

ERSTE SZENE

(Chor und Amme.)


CHOR
Ah weh, ah weh, ah weh! Ach, Phädra ist gestorben,
Dahin die liebe Frau, von Todes Hand verdorben!
AMME
Ah weh, mein Kindchen mein, du warst mein liebstes Kind,
Unschuldig warest du wie kleine Kinder sind,
Einfältig warest du, naiv, von treuem Herzen.
Ach ich begreife nicht die grimmen Todesschmerzen,
Daß Gott mir nahm mein Kind, dass sie jetzt nicht mehr ist,
Daß meine Seele, ach, sie ewig jetzt vermisst,
Daß sie, die all mein Ruhm, die meiner Tugend Ehre,
Ging in das Schattenreich, in wesenlose Leere.
CHOR
Wir jammern alle laut! Aus Quellen des Gesichts
Die Tränen strömen uns! Weh, bodenloses Nichts!
Die Gute starb dahin, lebendig blieben Schlechte,
Die Erde sich verbirgt in tiefe Mitternächte,
Die Erde ist erstarrt in schrecklich-starrem Frost.
O welcher Gott hat jetzt für uns noch einen Trost?
Denn Phädra ging hinab in Hades’ düstre Kammer,
Auf Erden bleibt uns nichts als namenloser Jammer!
AMME
Doch ein Gedanke, ach, mit Schrecken mich befällt,
Freiwillig Phädra, ach, verließ die Erdenwelt,
Sie, die durch den Beschluss der Götter ist geworden,
Sie wagte, ach, zuviel, sich selber zu ermorden.
CHOR
Zu schelten weiß ich nicht des Menschen Suizid,
Zu weinen weiß ich nur mit Tränen im Gemüt,
Wenn Menschen wollen selbst von dieser Erde scheiden,
Dann weiß ich nur voll Leid mit ihnen mitzuleiden,
Denn schrecklich ist die Nacht der Angst in Einsamkeit,
Die Götter fleh ich an, ach, um Barmherzigkeit!
AMME
Und irrt sie immer noch voll Angst im Schattenreich der Toten?
Und kommt sie nie zurück zu uns wie Götterboten?
CHOR
Wir bringen Opfer dar, wir opfern Brot und Wein.
AMME
Ich mische mit dem Wein, die Tränen, die ich wein,
Mein Tränenopfer ists, die Götter zu versöhnen,
Mein Tränenopfer gilt der heimgegangnen Schönen.

ZWEITE SZENE

(König Theseus mit Gefolge. Chor.)

CHOR
O König Theseus, Herr, dein Eheweib ist tot!
Da liegt das Täubchen, tot, in ihrem Blute rot!
THESEUS
Wie, tot ist meine Frau? Die Liebe ohne Fehle
Ist tot? Gestorben ist mir meine eigne Seele!
Ich liebte meine Frau mehr als mein eignes Kind,
Ich liebte meine Frau, wie Eheleute sind
Geworden eins, Ein Mensch, zwei-einig Menschenwesen,
Zwei Apfelhälften wir sind Einer Frucht gewesen,
Die bessre Hälfte mein ist nun dahin und tot,
Die andre Hälfte bleibt allein in höchster Not,
Der Seele Innerstes, mein Weib, ist mir gestorben,
Mein unbeseelter Leib ist jetzt im Staub verdorben,
Weil Phädra fehlt mir jetzt, das Ebenbild des Lichts,
Bleibt nichts als dunkle Nacht, als Totenreich und Nichts!
CHOR
Ah weh, der arme Mann, im unbeseelten Leibe,
Die Seele schwand ihm mit dem seelenvollen Weibe!
THESEUS
Wenn ihre Seele schwand dahin ins Schattenreich
Und wandelt dorten sie den hohlen Schatten gleich,
Ich hör der Seele Ruf, hör Rufen von dem Weibe:
Der Seele folge mit dem unbeseelten Leibe,
Daß Leib und Seele sich vereinen ehegleich
Im Jenseitshochzeitsglück im süßen Totenreich!
CHOR
O Theseus, sei ein Mann, und gürte deine Lenden!
THESEUS
Doch warum tat mein Weib ihr Leben denn beenden?
CHOR
Die arme Phädra ließ dir einen letzten Brief,
Die letzten Worte sind gewiss voll Liebe tief.
Hier ist der Brief, o Herr, vom seelenvollen Wesen,
Du sollst das Testament der Vielgeliebten lesen.
THESEUS
Was schreibt die liebe Frau? – O König Theseus, du
Verzeihe deiner Frau, die nun in Totenruh
Gebettet liegt allein, sich vor der Schande rette,
Weil Hippolit versucht, in deinem Ehebette
Zu lieben deine Frau, doch wollte ich das nicht,
Die Götter hassen den, der Ehen treulos bricht,
Doch Hippolit voll Gier und Feuer in den Lenden,
Des Königs Ehebett versuchte er zu schänden.
Ich scheide jetzt von dir! Von Herzen lieb ich dich,
Doch bitt ich dich bei Gott, mein König, räche mich!
CHOR
Die Rache ist des Herrn! Die Rache sollst du erben?
THESEUS
Weh, Hippolit, mein Sohn! Ja, Hippolit muss sterben!

DRITTE SZENE

(König Theseus, Hippolit.)


HIPPOLIT
O Herzensvater gut, ich hörte deinen Schrei.
Was weinst du, Väterchen? Sag, was es immer sei.
Die Vaterschmerzen sind dem Sohn auch die größten.
O Vater, liebes Herz, sprich, denn ich will dich trösten.
THESEUS
O Torheit, deine Macht ist übermächtig groß!
Es wütet mir der Zorn im Busen und im Schoß,
Schon habe ich mein Weib, die Liebe selbst verloren,
Jetzt höre ich den Spott von diesem jungen Toren!
O Jugend, du bist ganz der Torheit doch vereint,
Dein alter Vater hier in Seelenkummer weint,
Es schämt sich doch der Mann der kleinen Tränentropfen,
Da willst du mir mein Maul mit Frömmelei verstopfen?
Du redest, du seist keusch, der Jungfrau dienst du keusch?
Wenn läufig ist ein Hund, so geil ist auch dein Fleisch,
Ich kenne dieses Fleisch, ich weiß von deinen Schwächen,
Du sprichst vom Zölibat und willst die Ehe brechen?
Der Jungfrau dienst du nicht, dein Zölibat ein Spott,
Die Unzucht liebst du nur, und Eros ist dein Gott!
HIPPOLIT
Die Jungfrau ist ganz rein, sie hat mich auserkoren,
Was kümmert mich der Spott von götterlosen Toren?
Der reinen Jungfrau nur der reine Diener naht,
Ich habe nicht befleckt den keuschen Zölibat,
Ich lebe rein und keusch, trotz meines Fleisches Schwächen,
Die Jungfrau sah mich nie den Bund der Ehe brechen,
Ob auch versucht wird oft mein frevelhaftes Fleisch,
Die Jungfrau mich bewahrt, ich lebe rein und keusch,
Ich halte streng mich frei von allen Unzuchtssünden.
THESEUS
Die Leidenschaften doch die Triebe dir entzünden,
Entzündeten dein Fleisch mit freier Liebe Glut,
Drum wird dir Vaterzorn, des Vaters Grimm und Wut,
Ja, sterben sollst du, Sohn, den Todesbecher zechen,
Den Tod hast du verdient durch deines Fleisches Schwächen.
Doch sterben ist zu schön! In Einem Augenblick
Der Lebensleiden frei, genießt du Hades’ Glück?
Nein, sterben sollst du nicht, ich werde dich verbannen!
Zu ewgen Leiden soll sich Hippolit ermannen!
Ich weiß, der süße Tod ist dein ersehntes Ziel,
Ich aber fluche dir, verbann dich ins Exil!

VIERTE SZENE

(Hippolit allein vor der Statue der göttlichen Jungfrau.)

HIPPOLIT
O Jungfrau, dir allein ich klage meine Leiden,
Die Menschen nennen mich hochmütig, unbescheiden,
Weil ich dich kenne und auf dich allein vertrau,
Du meine Retterin, du reine Götterfrau!
Man fordert jetzt von mir heroische Ermannung,
Denn tragen soll allein ich Elend und Verbannung.
Wer steht mir denn noch bei in diesem Jammertal,
Dem Tränental, da sind die Tränen ohne Zahl.
Mein Herz wär gern sozial, im Liebesglück gemeinsam
Mit lieben Menschen, doch ich leider bin sehr einsam.
Die Welt ist eine Nacht, ist keine Heimat mehr,
Die Welt ist kahl und kalt, erschreckend liebeleer.
Wann wird mich Bruder Tod vom Todesleib erlösen?
Wie lange muss ich noch ertragen all die Bösen?
Du forderst Demut und Gehorsam und Geduld
Und tragen soll ich all das Leid allein, der Huld
Der Königin allein, der Jungfrau ganz vertrauen.
Die Männer dieser Welt, sie haben ihre Frauen,
Die ihnen Hilfe sind und guter Beistand auch,
Ich habe nichts als dich, nur deiner Gnade Hauch.
Wie ist es oft so schwer, dem unsichtbaren Wesen
Alleine zu vertraun, das mich doch auserlesen.
Mein Vater schickt mich fort aus meinem Vaterland,
Der Vater schlägt mich hart, mich züchtigt seine Hand
Für Sünden, die ich nicht in Schuld begangen habe.
Mir reicht kein Menschenherz die liebevolle Gabe
Der warmen Herzlichkeit. Ich aber bin Gebet,
Ein junger Mann allein, ach, dem entgegensteht
Die ganze kalte Welt. Wir wollen sie erlösen,
O Jungfrau, aber sie stehn in der Macht des Bösen.
O Jungfrau, deine Huld schuf mich zum Menschenfreund,
Der alle retten will, doch jeder ist mein Feind,
Die Liebsten in der Welt, die eigene Familie,
Die ich gesegnet oft in betender Vigilie,
Sie hasst mich bis zum Tod, verschlossnen Angesichts
Und harten Herzens sie verdammen mich ins Nichts,
Ich blutete für sie aus tausend Herzenswunden,
Doch wie sie mir tun, tun sie nicht mal ihren Hunden,
Ja, besser geht’s dem Hund dort unter ihrem Tisch,
Die Kinder hungern, doch der Hund bekommt den Fisch,
So jagen sie mich fort aus meinem Vaterlande!
O Jungfrau, du verzeih der wilden Räuberbande,
Sie wissen gar nicht, was sie alles Böses tun,
Mich aber lasse du an deinen Brüsten ruhn!

FÜNFTE SZENE

CHOR
Alle suchen die Fortuna,
Die doch launisch wie die Luna,
Der Fortuna nur zu willen,
Ihren launenhaften Grillen,
Jeder wäre gerne glücklich.
Doch das Rad dreht augenblicklich
Die Fortuna unbescheiden
Und der Freude folgen Leiden.
Heute tanzt man auf den Festen,
Morgen wird sie Tod verpesten,
Heute seid ihr reich an Golde,
Scheint Fortuna euch die Holde,
Nach dem Drehen ihres Rades
Morgen jammert ihr im Hades.
Manche Dichter aber sagen
Und zu singen nicht verzagen,
Daß der höchste Gott geboten,
Er, der Richter aller Toten,
Der Fortuna, zu regieren
Und des Zepters Stab zu führen
Und den Menschen zuzuteilen,
Was das Leiden mag zu heilen,
Tags die Arbeit, nachts den Schlummer,
Morgens Wollust, abends Kummer,
Alles deckt sie mit dem Mantel,
Allen wechselvollen Wandel
Stolz verwaltet die Fortuna,
Göttin, thronend auf der Luna.
Doch es singen wahrhaft Weise
Eine andre Weisheit leise,
Denn in wechselnden Geschicken
Sie den Flickenteppich blicken,
Providentia gewoben
Hat den Teppich, schaut von oben
Dieses Teppichs buntes Eden,
Unten sehn wir wirre Fäden,
Sehn in törichter Verwirrung
Nichts als des Geschicks Verirrung,
Wild verschlungne Labyrinthe,
Spreu, geworfelt von dem Winde,
Providentia von oben
Sieht den Teppich, der gewoben
Ist aus Hochzeit, Totenfeier,
Providentia im Schleier
Alles plant unendlich weise.
Also fleht der Weise leise
Providentia zur Leier,
Daß sie schließlich sich entschleier!

FÜNFTER AKT

ERSTE SZENE

(König Theseus, ein Bote.)

BOTE
Mein König und mein Herr! Ich bringe Trauerkunde,
Nur Trauervolles hörst du, ach, aus meinem Munde.
Da du den Sohn verdammt, verbannt hast zum Exil,
Du weißt, o weiser Fürst, das Fluchen ist kein Spiel,
Geritten Hippolit ist aus dem Vaterlande,
Und da er eben ritt voll Schmerz am Meeresstrande,
Empörte sich das Meer mit aufgeschäumter Flut,
Poseidon wütete mit wilder Götterwut,
Und aus des Meeres Schoß kam eine große, lange
Gefleckte Schlange, und die große Meeresschlange
Umschlang mit Todeslust den jungen Hippolit!
THESEUS
Bringt seinen Leichnam her, auf dass mein Auge sieht
Des Todes wilde Wut in der Gestalt der Leiche.
O Todesschlange du, mit deinem Giftzahn weiche!
BOTE
So grausig war es, ach, zu sehen diesen Kampf,
Da Hippolit gezuckt, geschüttelt ward vom Krampf,
Die Schlange glatt und feucht mit listenreichem Flüstern
Umschmeichelte den Leib des Todgeweihten lüstern,
Der Giftzahn wie ein Schwert das Herz des Sohnes ritscht,
Der Schlange nackter Leib um seinen Körper glitscht,
Elektrisch schlägt durch ihn ein Schütteln und ein Zucken,
Kaum kann er noch hinan zum hohen Himmel gucken,
Die Schlange windet sich mit wilder Todeslust
Wie kopulierend um des Todgeweihten Brust,
Als wollte sich der Tod mit seinem Opfer gatten
Und Hochzeit feiern, ach, im Totenreich der Schatten!
THESEUS
O wehe meinem Fluch! Wie Gottes Zorn mir flammt,
Weil ich als Vater bös den eignen Sohn verdammt!
Ist Gott ein Vater nicht mit liebevollem Herzen?
Ich böser Vater tat dem Sohne an nur Schmerzen,
Dem Sohne Hippolit, der Liebe nur gesucht,
Ich böser Vater hab den eignen Sohn verflucht!
Nun traf mein Fluch auch ein! O Schamrot meiner Wange!
Aus meinem Fluche kam hervor die wilde Schlange!
Gerecht ist, dass der Zorn des Höchsten mich nun trifft,
Denn Schlangenzunge war mein Mund voll Fluches Gift!

ZWEITE SZENE

(Der Chor steht im Kreis um das Standbild der Göttin Aphrodite.)

CHOR
O grause Liebe du, voll Allgewalt des Schreckens,
Ich spür nichts mehr von Lust des Scherzens und des Neckens,
Sonst reiztest du den Trieb zur Stillung süßer Lust,
Sonst quoll wie süße Milch der Mutter deine Brust,
Du Urmacht aller Welt, in jedem Lebenstriebe
Erschien in höchstem Reiz die Süßigkeit der Liebe,
Sonst war voll Heiterkeit wie Abendstern dein Blick,
O Lachenliebende, du schönstes Seelenglück,
Frau Aphrodite du, noch heißer als die Sonne
Im Süden sommerlich, voll wollustvoller Wonne!
Jetzt aber schrecklich, ach, in deiner Dämonie,
Dem Tod verbunden in geheimer Sympathie,
Die Beter schrein zu dir von Helikon und Athos,
Die Liebenden voll Leid, sie reden voller Pathos,
Du aber ehern schweigst in starker Grausamkeit
Und bist wie Hades stumm in Götterschweigsamkeit!
Wir suchen alle nur den frohen Augenblick,
Da Liebe uns beglückt, die Wollust schenkt uns Glück,
Da Genien der Welt mit Gnadengunst nicht geizen
Und unsres Daseins Zeit sich füllt mit süßen Reizen!
Du aber, Herrscherin, verjagst uns von dem Ort
Der süßen Heiterkeit, jetzt wütet es wie Mord
In unserem Gebein, von Aphrodites Orden
Die Liebenden voll Leid sich selber jetzt ermorden,
Und wer sich tötet nicht, wer aushält in der Welt,
Wird von der Schlange Zahn verwundet und gefällt,
Und alles stirbt dahin, verwelkend und vermodernd.
Einst in der Jugendlust voll süßer Torheit lodernd,
Die alte Weisheit jetzt macht uns den Schädel kahl,
Der Totenschädel bleich und blass, wie Geister fahl,
Grinst frech uns an, der Tod! Ach, all die jungen Schwestern
Aus Aphrodites Reich jetzt Aphrodite lästern,
Und keiner in der Welt ist voller Liebe mehr.
Wann tauchst du wieder auf aus deinem Mittelmeer?
Bis wir dich wieder sehn, nackt tauchend aus den Schäumen,
Ach Aphrodite, wir nur Schreckensträume träumen.
Gewaltige, wir flehn, wir betteln flehend fromm:
O Schreckensherrscherin, ach Aphrodite, komm!

DRITTE SZENE

(Vor König Theseus erscheint die göttliche Jungfrau in strahlender Reinheit, mit Tränen in den
Augen.)

DIE JUNGFRAU
Dich, Vater, klag ich an, der seinen Sohn getötet,
Ja, jetzt ist dir vor Scham die Wange heiß gerötet,
Jetzt jammerst du und weinst, doch steht im Lebensbuch
Für alle Ewigkeit dein todesvoller Fluch.
Den Leib getötet hast du deinem frommen Sohne,
Die Seele hättest du ermordet auch noch ohne
Furcht vor der Schöpfermacht, vor aller Götter Gott,
Denn Götterehrfurcht war dir wert nur einen Spott!
Ich komme zum Gericht und alles Morsche falle
Und alle Bosheit, die für Gott nur hatte Galle
Und Gottes Diener und der Jungfrau Lieblingsknecht
Verspottet und verhöhnt! Wie machtet ihr ihn schlecht,
Der doch mein Liebling war, erkorener Erwählter.
Ihr waret seelenlos, er aber war beseelter
Und liebevoller als die tote Mörderwelt,
Die ihn zuletzt gestürzt, mit kaltem Haß gefällt.
Ihr glaubt, dass auf mein Recht zu richten ich verzichte,
Ihr glaubt nicht, dass ich euch gerecht und heilig richte?
Ihr aber irrt euch sehr! Wo ist jetzt euer Spott,
Den ihr gespendet habt der Jungfrau und dem Gott?
Wie hieltet ihr euch fest an eitlen toten Sachen,
Jetzt ist die Stunde da, euch höhnisch auszulachen!
Ihr wolltet ja den Rat, der Jungfrau Weisung nicht,
Jetzt zittre, Kreatur, vorm heiligen Gericht,
Jetzt erntest du die Frucht aus deinen bösen Taten,
Jetzt hilft dir keine List von Winkeladvokaten,
Denn unbestechlich ist die Jungfrau im Gericht,
Ja, schaue mich nur an, die Königin im Licht,
Was meinem Liebling du getan, ihn zu zerbrechen,
Das wird die Jungfrau jetzt an seinem Vater rächen!
THESEUS
O Herrscherin voll Macht, ich bebe zag und bang,
Wie böse war mein Trieb, wie übel all mein Drang,
Ich falle nieder hier, ein Wurm zu deinem Fuße,
O gib wie Feuer mir ein Leid zu meiner Buße
Und Schmerzen sende mir, der sich zu frech erkühnt,
Ja, leiden will ich Qual, bis alle Schuld gesühnt!
DIE JUNGFRAU
Gerechtigkeit ist groß, doch größer das Erbarmen,
Ihr Reichen seid ja doch die Ärmsten aller Armen,
Es bat für dich dein Sohn, drum gnädig ist mein Herz!
Ja, sühne deine Schuld, aus Huld schenk ich dir Schmerz!

VIERTE SZENE

(Der sterbende Hippolit und die Jungfrau.)

HIPPOLIT
Jetzt muß ich sterben, ach, da seh ich einen Schimmer,
Den sieht kein andrer Mensch, ich seh ein Lächeln immer,
Geliebte Jungfrau, ach, wie ich mich selig freu,
Daß du zu mir jetzt kommst! Aufrichtig ich bereu,
Was ich gefehlt im Geist, in heimlich-heißen Träumen,
Hab manchmal auch geseufzt nach Kypris weißen Schäumen
Und manchmal auch entfloß ein Seufzer meinem Fleisch
Und immer war ich nicht und allezeit nicht keusch.
Ersetze, was mir fehlt, vorm allerhöchsten Richter,
Bewahre, Göttin, mich vor Hades, dem Vernichter.
DIE JUNGFRAU
Die Jungfrau bin ich doch der Allbarmherzigkeit,
Die ihrem Lieblingsknecht verzeiht, wenn er verzeiht!
HIPPOLIT
Und so verzeihe ich dem Vater seine Strenge
Und seines Herzens Frost und seines Herzens Enge,
Und meiner Mutter auch, dass sie mich einst gebar,
Der ich so selig doch im Schoß der Vorwelt war.
DIE JUNGFRAU
Zeus-Vater bittet dich, dem Vater zu verzeihen
Von ganzem Herzen und den Vater mir zu weihen.
HIPPOLIT
O Theseus, Vater mein, du wie ein Eber hart,
Ich weihe deinen Geist der reinen Jungfrau zart,
Der makellosen Frau, der Göttin ohne Fehle
Für alle Ewigkeit vertrau ich deine Seele!
DIE JUNGFRAU
Der du auf Erden schon mir ganz ergeben warst,
Die Ganzhingabe du an dir selbst offenbarst,
Auf Erden lebtest schon in Geistesparadiesen,
Auf Erden gingest schon wie Geister in Elysen,
Der Jungfrau Liebesgunst, der Huld Mysterium
Führt heute deinen Geist in das Elysium!
HIPPOLIT
O reinste Jungfrau du in höchster Keuschheit Reiz,
Ich fürchte mich vorm Gott, dem Gott der Götter Zeus!
DIE JUNGFRAU
In deinem Sterbebett liegst du auf weißem Kissen,
Ich raube deinen Geist mit liebevollen Küssen!
Sei fröhlich, Hippolit, denn die Jungfräulichkeit
Belohnt der Vater Zeus dir mit Glückseligkeit!
HIPPOLIT
In deine Hände, Frau und Göttin, ich befehle
Für alle Ewigkeit dir meine fromme Seele!
(Er stirbt.)

FÜNFTE SZENE

CHOR
Hippolit wird nun begraben,
Gerne geben wir die Gaben,
Ehren gern sein Angedenken,
Wollen unsre Liebe schenken
Ihm auch noch nach seinem Tode.
Körper, eines Rasens Sode
Deckt nun deiner Ruhe Schlummer,
Mitbegraben aller Kummer.
Oft noch schleichen uns die Tränen
Aus den Augen und wir sehnen
Oft uns noch nach seiner Liebe,
Seinem süßen Liebestriebe,
Seiner Freundschaft, seiner Güte.
Auf dem Grabe manche Blüte
Lässt sich in dem Frühling sehen,
Die Natur wird auferstehen,
Nach des Winters strenger Grenze
Tanzen wieder wir im Lenze,
Tanzen auf den Gräbern heiter,
Tanzen unsre Liebe weiter.
Hippolit in Paradiesen
Tanzt die Tänze von Elysen
Mit den Horen und den Musen,
Horen mit den schönsten Busen,
Musen mit den schönsten Haaren,
Liebe uns zu offenbaren,
Kommt er von der Welt der Geister,
Von der Welt der weisen Meister,
Philosophen und Sophisten,
Von der Jungfrau neunzehn Brüsten
Singt er ewig seine Oden.
Wir beweinen unsern Toten,
Wir beweinen ihn voll Trauer,
Oft noch strömt ein Tränenschauer
Uns aus unsern dunklen Augen,
Wir am Kummerbecher saugen,
Vor dem Tode trunkne Zecher
Saugen an dem Kummerbecher,
Heißes Blut aus unsern Venen
Mischen wir mit unsern Tränen,
Allzeit traurig zu beweinen
Hippolit, bis uns wird scheinen
Liebe, wie sie spielt die Flöte
Köstlich in der Morgenröte!

DER ANGENAGELTE PROMETHEUS

ERSTER AKT

(Am Kaukasos. Der hinkende Gott Vulkan und der Titane Kraft schleifen in Ketten den armen
Prometheus zu dem Felsen, an dem er angenagelt werden soll.)

KRAFT
Ich, der Titane Kraft, ich bin der Sohn des Styx,
Ich freue mich im Hass, ich hasse voll des Glücks,
Daß der Prometheus jetzt, der Mann der Menschenliebe,
Wird angenagelt an dem Berg. Die Lebenstriebe
Sind dem Titanen Kraft erfüllt von hartem Hass.
Mich ekelt an der Mann! Wie aber Wein im Fass,
Ist lange schon gegärt mein Zürnen und mein Grimmen!
Prometheus soll im Leid, in Ozeanen schwimmen,
Im Tränen-Ozean, im schwarzen Kummer-Meer!
Den Becher saufe er, der voller Leiden, leer!
Ich, der Titane Kraft, aus Hass bin ich so mutig,
Und du, Prometheus, du, du weine Tränen blutig!
VULKAN
Was dich erwartet hier für alle Lebenszeit,
Prometheus, das ist nichts als nackte Einsamkeit!
Die Götter im Olymp in Scherzen sind gemeinsam,
Doch du, nichts als ein Mann, auf Erden bist du einsam.
Tags schreist du laut vor Schmerz und nachts flieht dich der Schlummer,
Ertrinken wirst du in dem Ozean aus Kummer,
Dich schlägt des Himmels Zorn, der Zorn der höchsten Macht,
Die Sinne sind dir tief getaucht in dunkle Nacht,
Die Seele ist getaucht in abgrundtiefes Dunkel,
In deiner dunklen Nacht kein einzig Sterngefunkel,
Dein Menschengeist getaucht ins Meer der Bitternis,
Der Gottheit Blitz ist dir wie dichte Finsternis,
Die Menschenliebe, die geblutet dir im Herzen,
Die Liebe dir besteht aus nichts als Todesschmerzen!
Nur noch um deinen Tod du bei dem Himmel wirbst
Und musst doch leben, ach! Gott will, dass du nicht stirbst!
KRAFT
Die Götter allesamt, im Zorn dir heimzuzahlen
Die Menschenliebe, sie verschwören sich, dir Qualen
Zu schenken, ihre Gunst in diesem Jammertal,
Der Götter Gunst für dich ist tausendfache Qual!
Ich will mehr Qualen noch dir Heißgehasstem machen,
Und stirbst du fast vor Schmerz, so werd ich höhnisch lachen!
PROMETHEUS
Die Menschenliebe ist aus Schmerzen, wie ich seh,
Aus Liebe leide ich! Ah weh mir, weh mir, weh!
KRAFT
Sonst redetest du stolz, Prometheus, unbescheiden,
Der Gott das Feuer stahl, jetzt strafen dich die Leiden,
Mein, des Titanen Kraft, mein heißer Hass bezeugt,
Daß dich, den Liebenden, der Götter Zorn gebeugt,
Jetzt wär dir schon ein Trost nur eine milde Wehmut
In abgrundtiefer Qual. So Gott lehrt dich die Demut.
Vulkanos, der du hinkst, der Venus Ehemann,
Prometheus schlage du an diesen Gipfel an!
VULKAN
Gerecht ist Gottes Zorn. Der Mensch erduld bescheiden,
Was zumisst ihm der Herr, die ganze Zahl der Leiden.
So leide denn der Mensch! Doch seh ich seine Not,
So groß, dass er sich wünscht nichts andres als den Tod,
Seh ich in Seelenqual zerrissen diesen Armen,
Mein Götterherz erfüllt ein herzliches Erbarmen.
Könnt lindern ich die Not, tät ich ein gutes Werk.
Doch muß ich schlagen ihn an diesen harten Berg,
Weil Jove es so will. Gehorsam muß ich üben,
Ob mich der Zorn des Herrn auch herzlich muß betrüben.
Geduldig leide du, Prometheus, mit Geduld
Abbüße du vor Gott durch Leiden alle Schuld.
Was hilft die Sehnsucht dir? Vergeblich alles Sehnen,
Gott hat bereits gezählt die große Zahl der Tränen,
Die du noch weinen musst. Und ist dein Herz wie Glas,
Die Trauer ordnet Gott nach Ordnung, Zahl und Maß.
Und wähnest du dich ganz von Himmlischen vergessen,
Die Schicksalsgöttinnen das Maß der Tränen messen,
Und bis die Zahl vollbracht, die Gott dir vorbestimmt,
Wein heiße Tränen du, bis Jove nicht mehr grimmt.
KRAFT
So weichen Herzens, Gott Vulkanos, bei dem Jammer?
Vulkanos, Hinkender, erhebe deinen Hammer
Und schlag Prometheus an an seiner Leiden Berg,
Vollführe Gottes Zorn und tu des Himmels Werk.
Was kümmert dich es, Herr, ob seine Seele heile?
Gott zürnt dem Menschen ja! Vulkanos, eile, eile,
Nur rascher schlage zu, beeile dich, o Gott,
Es muß der Liebende rasch werden jetzt zu Spott,
Er, der die Menschenwelt durch Liebe wollt vergotten,
Die Götter allesamt den Narren jetzt verspotten!
Verspritze er sein Blut und allen Lebenssaft,
Ich hass den Menschen heiß, ich, der Titane Kraft!
VULKAN
Freiwillig tu ich’s nicht, doch hat es Gott geboten!
Als Lebenden es geht doch besser noch den Toten,
Als Toten besser noch, wer nie geboren ward!
KRAFT
Laß ab vom weichen Herz! Mach hart dein Herz, steinhart!
VULKAN
So schlagen wir den Mann jetzt an der Leiden Gipfel!
KRAFT
Hinab den Lendenschurz, der letzten Keuschheit Zipfel!
VULKAN
Soll leiden so der Mann, wie Gott ihn schuf, ganz nackt!
KRAFT
Ja, ja, den ganzen Mann des Leidens Kralle packt!
VULKAN
Soll schlagen ich den Pfahl durch seine nackten Füße?
KRAFT
Für alle Schritte er der Menschenkinder büße!
VULKAN
Soll schlagen ich den Pfahl durch seine zarte Hand?
KRAFT
Schwer lastet Gottes Hand auf diesem Menschenland!
VULKAN
Soll krönen ich sein Haupt mit spitzen Rosendornen?
KRAFT
Die Rose Dornen nur schenkt diesem Auserkornen!
VULKAN
Soll ich durchbohren ihm mit spitzem Pfeil das Herz?
KRAFT
Durchbohren wird sein Herz der tiefste Liebesschmerz!
VULKAN
Und wird er vor der Zeit sein Leben schon verbluten?
KRAFT
Ein langes Leben, ha, schenk Jove diesem Guten!
VULKAN
Soll auf sein Schulterpaar ich legen ihm dies Holz?
KRAFT
Des Daseins schwere Last zerquetsche seinen Stolz!
VULKAN
Soll reißen ich entzwei ihm seine beiden Arme?
KRAFT
Ja, reiße ihn entzwei, ob er auch schreit: Erbarme!
VULKAN
Soll ich ihm speien auch mit Speichel ins Gesicht?
KRAFT
Ihn anzuspucken ist der Menschenkinder Pflicht!
VULKAN
Ohrfeigen soll ich ihn? Zerkratzen ihm die Wange?
KRAFT
Ja, beiße ihn der Zahn voll Gift der kalten Schlange!
VULKAN
Soll schlagen ich aus ihm die Blutestropfen rot?
KRAFT
Ja, quäle ihn zu Tod, doch gönn ihm nicht den Tod!
VULKAN
Und wenn ich all das tu, davon nichts unterlasse?
KRAFT
Ich freu mich wie ein Gott in meinem Todeshasse!
PROMETHEUS
O Pater Uranos! Erbarme dich, erbarm,
Erbarm dich meiner, Gott! Ich bin ein Würmlein arm,
Nicht gleich dem goldnen Haus, von Elfenbein dem Turme,
Es zuckt in mir mein Trieb, der Trieb von einem Wurme!
Der Dieb hat mich geraubt, ich ward des Diebes Raub!
Ach, läge ich schon tot in Mutter Erde Staub!
Ach, nimm von mir, o Gott, den Geist mir und die Seele!
Ach, wäre Mutter Grab mir letzter Zuflucht Höhle!
Gebrochen ist mein Herz, mir brach des Lebens Stab!
Komm, Schwester Made, komm, geliebte Mutter Grab!
Ein Seufzerschatten ich, vom Staub bin ich, vom Staube!
Ich brumme wie ein Bär, ich gurr wie eine Taube!
Der Bärenmutter gleich, der man die Jungen raubt,
Ist Pater Uranos, wie meine Seele glaubt,
Dem Pantherweibchen gleich, mich gierig zu zerfleischen
Ist Pater Uranos! Heil, dreimal Heil dem keuschen
Und unberührten Gott, den ich nicht mehr begreif!
O Gott, mein letztes Kleid mir von dem Leibe streif
Und stell mich so vor dich! Ich heiße nackte Seele
In heißer Liebesgier, so sehr ich mich auch quäle,
Ich schrei zu dir, mein Gott! Trotz aller Feinde Spott,
Ich schrei zu dir, mein Gott! O Gott, o Gott, o Gott!
Ich schmelze in der Glut, der Liebesglut wie Butter!
Erbarme dich, erbarm, o hohe Göttermutter!
In meiner tiefen Not, in meiner letzten Not
Ich halt an deinem Rock mich fest, und kommt der Tod,
Denn schließlich kommt der Tod nach eitlem Erdenwandel,
Ich klammre, Mutter, mich an deinen blauen Mantel!
Erbarme dich, erbarm dich in Barmherzigkeit,
Denn unaussprechlich schwer drückt nieder mich das Leid,
Es blutet mir mein Herz, das Blut in meinen Venen
Strömt blutig aus der Stirn, ich weine heiße Tränen,
In diesem Tränental, in diesem Jammertal,
In diesem Elende, o Mutter, voller Qual,
Kann ich mir wünschen nur im elenden Verderben,
Daß Gott mir schenkt den Tod und lässt mich endlich sterben!
Ich hab am Leben, ach, nicht mehr die Lebenslust,
Nimm, Mutter, mir den Geist! O birg an deiner Brust
Barmherzig mich, gib Trost von deinem Mutterbusen!
Ah, Schwanenjungfraun nahn, die Grazien und Musen.
CHOR DER DORIDEN
Erbarmen, Uranos, erbarm,
Gib Zuflucht, Gott, in deinem Arm!
Des Mitleids Schwestern wir, die Schwäne,
Wir trocknen dir die Trauerträne.
Ja, wir verstehen deinen Schmerz,
Wir schauen tief dir in dein Herz.
Die Qualen alle und die Peinen
Bewegen uns, wir müssen weinen.
Die Träne tropft uns blutig rot,
Wir leiden mit in deiner Not.
Gott schlug dich zwar mit hartem Hammer,
Dein Herz zerfließt in lauter Jammer,
Doch unser Mitleid steht dir bei.
Ach, werde von dem Kummer frei,
Doch wage nicht, den Herrn zu lästern,
Denn fromm sind deine schönen Schwestern,
Voll herzlicher Barmherzigkeit.
Geduldig trage du dein Leid,
Geschlagen an an diesem Felsen,
Selbst harte Herzen würden schmelzen,
Sähn sie dein Leiden, deine Not.
O weine Tränen blutig rot,
Ich will mit meinen langen Locken
Von Tränentau dich reiben trocken.
In tiefer Trauer dein Genuß
Sei meiner Gnade sanfter Kuss!
So schenken dir den Seelenfrieden
Die frommen Schwestern, die Doriden.
Du bist doch weise und du weißt,
Daß unsichtbar bei dir der Geist,
Wie schönste Nymphen ohne Mängel
Sind mit dir Gottes gute Engel.
Wenn du in allertiefster Not
Nur flehen kannst noch um den Tod
Und in der irdischen Gemeinde
Der Freund geworden ist zum Feinde
Und du in namenloser Pein
Auf Erden findest dich allein,
Nimm Zuflucht zu den frommen Toten!
Die Geister kommen dann als Boten
Und schenken dir in Qual und Pein
Uralt-geläutert Feuerwein
Zum Trost dem wilden Todestriebe
Und trösten dich mit Engelsliebe!
Doriden, Schwestern, näher nun,
Du sollst am Schwanenbusen ruhn,
Und solltest du gar Jove lästern,
Fürbittend beten für dich Schwestern,
Der Schwesterliebe Überfluss
Empfange du, der Gnade Kuss!

ZWEITER AKT

DER OZEAN
Nun schütte mir dein Herz in Ruhe aus, Geliebter!
PROMETHEUS
Geliebten nenn mich nicht, sag lieber: Mein Betrübter!
Ach, dass geboren mich der dunkle Mutterschoß,
Der ich nur Jammer seh, nur Seelenschmerzen groß!
Ach wäre ich im Schoß der Mutter doch gestorben
Und wie die Fehlgeburt im Mutterschoß verdorben!
Ach warum nur gebar die Mutter mich der Nacht,
Die all mein Leben mir verhüllt mit finstrer Macht?
Was kam ich aus dem Schoß, der Mutter innern Kammer,
Der ich nichts andres seh als Gram und Grimm und Jammer?
Verflucht sei jener Tag, da ich geboren ward,
Es soll ein Zauberer mit langem weißem Bart
Die Stunde der Geburt und Tag und Jahr verfluchen,
Da ich verlassen hab den dunklen Mutterkuchen
Und eingetreten bin ins grelle Licht der Welt,
Da stand ein böser Stern am finstern Himmelszelt,
Mars stand im Skorpion und grimmig schaute Eros
Und bannte von mir weg den herrlichen Anteros!
Stets einsam war ich, ach, Komet am Himmelszelt,
Ich war im Streite mit dem ganzen Rest der Welt,
Und einsam weinend saß ich in der dunklen Kammer,
War angefüllt mit Gram und Schwermut voller Jammer,
Mit Schwermut, die mich nie, als treue Frau, verlässt,
War mit den Frohen nie gesellig auf dem Fest,
Trank meinen Wein allein, der Tränen bittern Becher,
War nie betrunken froh im Kreis der wilden Zecher,
Trank keinen süßen Wein, ich trank die Bitterkeit
Wie Tränenflut, wie Blut, in tiefster Einsamkeit.
So wurde ich zum Spott der weltverliebten Spötter,
Als hielte ich mich selbst, ein Gott im Kreis der Götter,
Für einen Heros gar! Ein Heros war ich ja,
Bei Pater Uranos und bei Urania,
Der Schönheit Königin, ich mehr als Philosophe,
Ich feierte den Thron des Götterkönigs Jove,
Ich sprach mit Jove: Herr, erbarme dich der Welt!
Und Jove sprach zu mir: Die Welt mir nicht gefällt,
Wie diese Menschen all viel Sünden schlimm verrichten,
Ich werde diese Welt in einer Flut vernichten!
Ich sprach zu Jove für die arme Menschenwelt:
O Jove, König, Herr und Gott im Himmelszelt,
Vernichte nicht die Welt, vernichte nicht die Leute!
Und was tat Jove da? Wie findest du mich heute?
Der über alle Welt ergrimmt, der hat den Grimm
Mir auferlegt allein, drum geht es mir so schlimm,
Jetzt Jove mich allein aus Ingrimm will verderben!
O großer Ozean, Gott, dürfte ich nur sterben!
OZEAN
Man nannte dich doch klug, man nannte dich doch weise,
Der Weisheit Himmelsbrot war täglich deine Speise,
Wo ist die Weisheit jetzt mit ihrem Trost und Rat?
Viel Weise in der Welt, die weise für den Staat,
Die raten, wie die Welt in Frieden lebt gemeinsam,
Unweise sind sie doch, sind sie allein und einsam.
Und andre Weise sind, die wissen keinen Rat
Den lieben Frauen und den Männern in dem Staat,
Für sich alleine nur die innerlichen Weisen
Die Wege wissen, die die guten Geister weisen.
Und mancher Weise auch ist in dem großen Land,
Von aller Welt verkannt, den Menschen unbekannt.
Die Feinde nahn der Stadt und alle Wächter weichen,
Die Torheit findet man bei Mächtigen und Reichen,
Da ist ein armer Mann, der aber weise ist,
Doch ach, die ganze Welt den armen Mann vergisst,
Wenn ihr ihn nur gefragt um gute Weisung hättet,
Vielleicht der arme Mann, er hätte euch gerettet.
PROMETHEUS
Die Weisheit wich von mir und leer sind Hirn und Herz,
Gedanken flohen mich, es herrscht allein der Schmerz!
O Liebesschmerzen, die im Herzen ihr mir glühtet,
Wie habt ihr mit Gewalt in meinem Geist gewütet!
Jetzt kein Gedanke mir kommt von der Weisheit mehr,
Von Todesschmerzen ist mein Hirn gedankenleer!
OZEAN
Du hast getröstet doch mit Tröstungen so viele,
Die Kindermenschen, die verletzten sich im Spiele,
Die armen Einsamen, die Leidenden, die krank,
Die Sterbenden zuletzt, sie waren voller Dank,
Weil du und dein Genie die Sterbenden erlösten,
Es war dein Amt, die Welt im Todeskampf zu trösten.
Jetzt leidest selber du und findest keinen Trost?
PROMETHEUS
O Leidensbecher voll blutroter Tränen, Prost!
OZEAN
Du weißt nichts anderes der abgrundtiefen Schwermut
Als diesen Becher voll von Blut, das Sternbild Wermut?
PROMETHEUS
Den Kindermenschen hab versöhnt ich allen Zank,
Jetzt aber bin ich, ach, jetzt bin ich liebeskrank!
OZEAN
O guter Seelenarzt, jetzt helfe dir doch selber!
Ward Galle dir und Milz nur schwärzer noch und gelber?
Arzt, hilf dir selber doch und tu ein gutes Werk
Auch an dir selber doch! So steig herab vom Berg!
PROMETHEUS
So tröste mich, Musik! Ich hab getröstet alle!
O Himmelsharmonie mit unhörbarem Schalle,
Nun tröste du doch mich, nimm dir ein Vorbild an
Prometheus. Trostlos, ach, und nichts als Schmerzensmann!
OZEAN
Ich will zu Joves Thron, für deine Seele bitten!
Du hast doch nun genug dein Lebensleid gelitten.
Ich bet für dich zu Gott, dass Gott erbarme sich
Und von dem Leid befrei und von den Schmerzen dich.
Die schöne Liebe herrscht im ganzen Weltgebäude,
So freue du dich auch mit grenzenloser Freude,
So bitte ich für dich, dass Gott dir nimmt das Leid,
Daß Gott dir wieder schenkt des Herzens Heiterkeit.
Ist Gott nicht groß und gut, nicht gut und schön in Wahrheit?
Was trauerst du denn noch? Erhebe dich zur Klarheit
Der lichten Heiterkeit. Ich schwöre dir bei Styx,
Ich bitte für dich Gott, den Ursprung allen Glücks.
PROMETHEUS
Ach Vater Ozean, du redest treu und schicklich,
Ich auch, ich wäre gern in meiner Seele glücklich,
Doch darf es ja nicht sein. Des Gottes Herrlichkeit
Erfüllt mit Schrecken mich und füllt mich an mit Leid,
Denn Gott ist schrecklich, der Allmächtige ist schrecklich!
Ja, bete nur Gebet, als wäre es erwecklich,
Gott bleibt doch stumm und schweigt, Gott schweigt und bleibt mir stumm.
Ich zittere vor Gott in dem Mysterium
Der Gottesfinsternis! Der Gottesschönheit Schrecken
Will mich zerreißen fast, ich muß die Arme recken,
Die Arme ausgestreckt, das Herz im Busen schreit,
So schrecklich es auch ist, die Seele will das Leid!
OZEAN
Ach, das versteh ich nicht, ich frage dich bescheiden:
Der Himmelsgötter Glück bedeutet dir nur Leiden?
PROMETHEUS
Ach, frage mich nur nicht, denn, ach, ich bin entsetzt,
Im tiefsten Seelengrund von Gottes Zorn verletzt,
Ein Geist ergreift mich jäh als Windstoß bei den Locken,
Ich schaute Gottes Blitz und, ach, ich war erschrocken,
Des Lichtes Finsternis hat mich zutiefst erschreckt,
Nun dichte dunkle Nacht den Geist im Busen deckt!
Ja, Gott ist schrecklich, Gott, den meine Seele liebt,
Ich liebe meinen Gott, der mich zu Tod betrübt,
Der Gott, der Schönheit ist, die Gottesschönheit furchtbar,
Mein Gottesleiden ist im Menschenbusen fruchtbar!
OZEAN
Du redest irre, Mensch, es hört sich an wie Spott,
Soll ich nicht sprechen für dein Herz beim großen Gott?
PROMETHEUS
Ja, rede nur mit Gott! Doch was wirst du bezwecken?
Gott wird dich kreuzigen, dich mit der Hölle schrecken!
OZEAN
Ergib dich drein, mein Freund, und leide in Geduld,
Du büßest sicher ab die eigne Menschenschuld,
Und büßest du nicht selbst die eignen Sündenschulden,
So büßt du für die Welt. So lerne dich gedulden.
PROMETHEUS
Und doch empör ich mich! Ich schwöre dir bei Styx:
Geschaffen bin ich für die Seligkeit des Glücks!
OZEAN
Die Demut lerne du, gehorsam sei, bescheiden,
Denn über alle Welt ergeht das bittre Leiden.
Wer bist du denn, o Mensch, was blähst du dich voll Stolz?
Will Gott dein Leiden, nun, so leide du! Was solls?
PROMETHEUS
Was predigst du mir so das Leid des Gottesstaates?
Das Leid, ich bin gewiß, das Leid stammt aus dem Hades!
OZEAN
Ja, aus dem Hades stammt das bitterliche Leid,
Doch manchen brachte es bereits zur Herrlichkeit.
Das Leben ist dein Leid? Ein Leiden ist dein Leben?
So unterwirf dich Gott und leide gottergeben!
PROMETHEUS
Ach wär es nur ein Tag und dann die süße Nacht,
Da Schlummer mir und Traum die Seele glücklich macht!
Am Abend, sagt man wohl, am Abend musst du weinen,
Doch lachen wirst du froh, wenn Morgensterne scheinen.
Mit Tränen säst du aus der Tränen reiche Saat,
Als Ernte wird dir Glück. Mir aber ist genaht
Die Hoffnungslosigkeit, da musste ich verzweifeln
Und Nacht und Morgen, ach, ich wünscht zu allen Teufeln,
Und endlos schien mir und unendlich alle Not,
Allein mein Retter scheint zu sein der Heiland Tod!
OZEAN
Doch bist du einer ja vom Menschensöhne-Orden,
So ich beschwöre dich, dich selbst nicht zu ermorden!
Der Selbstmord ist gewiß die allergrößte Schuld,
Nein, gottergeben du, ach, leide in Geduld.
PROMETHEUS
Ach, wär der Selbstmord nur Erlösung von den Leiden,
Doch leider ist er’s nicht, ich sage es bescheiden,
Ich weiß, wer Selbstmord übt, er wird im Acheron
Das Leiden immer neu erleben, Schmerzenssohn,
Und nicht Erlösung kommt mit eines Kusses Gruße,
Bis er den Selbstmord hat gebüßt in weher Buße,
Und so Erlösung ist nicht aus den Lebensleiden,
Bis Gott den Geist uns küsst und ruft uns abzuscheiden.
Ich bete jeden Tag, wie all ihr Geister wisst,
Daß Gottes Gnade mich mit Todeslippen küsst!
OZEAN
Jetzt scheide ich, mein Freund. Ein Dürsten ruft den Zecher,
Ich will in meinem Bett aussaugen meinen Becher!
CHOR DER DORIDEN
Ach weh, ach, fromme Schwestern, weh,
Prometheus naht, in seiner Näh,
Ihr Schwäne aus den Schwanennestern,
Schenkt Tröstung ihm, ihr milden Schwestern!
Zum Mitleid rufe ich die Welt,
Im Leiden ist er ja ein Held.
Ob wir sein Leid auch nicht erlösten,
Doch möchten wir ihn gerne trösten.
O tröste ihn, du große Rom,
O tröste ihn, du Tiber-Strom,
O tröstet ihn im Schmerzensbrande,
Ihr Grazien vom Griechenlande,
O tröstet ihn in Reu und Buß,
Ihr Beter in der alten Rusj,
Mit Märchen tröstet ihn und Mythen,
Mit Haschisch tröstet ihn, ihr Skythen.
Gib, Gottheit, deiner Gnade Kuss,
Den Weinstock gib vom Kaukasus.
Ihr Jungfraun gleich der Madonnina,
Ihn tröstet, Frauen ihr von China.
Ich ruf den ganzen Weltenplan,
Euch, Göttinnen von Hindostan,
In Medien und Susa alle,
O tröstet ihn mit schönen Schalle,
O tröste, Königin von Ur,
Du Muttergöttin der Natur,
Du tröste auch, du Tochter Babel,
Und Jungfrau du, der Erde Nabel,
Jungfräuliche Jerusalem,
O Mädchen du von Bethlehem,
O tröstet, Ahnen in den Krypten,
Und du, o Isis von Ägypten,
Ihr Ahnen all von Afrika,
Seid, Ahnen, ihr noch alle da?
Der Vater Nil mit gelben Fluten
Mir tröste diesen Edel-Guten,
Ihr in Rosette an dem Riff
Und du, vollbusig Tarsis-Schiff,
Und Herakles bei seinen Säulen,
O höret meines Helden Heulen,
Und du, Atlantis-Inselreich,
Mit Küssen komme zärtlich weich,
O tröstet meinen Gottesseher,
Im weißen Eis ihr Hyperboräer,
Ihr alle unterm Himmelsdom,
Und Magna Mater du von Rom,
Prometheus tröstet in den Schmerzen,
Weil Liebe herrscht in seinem Herzen!

DRITTER AKT

DORIS
(Chorführerin der Doriden)
Prometheus, lieber Mensch, wenn ich dein Schicksal seh,
An Atlas denk ich dann und wie er trägt sein Weh.
PROMETHEUS
Nach Tarschisch reise du im Geiste der Gedanken,
Die Säulen schaue du von Herkules, die blanken,
Schau nach Atlantis aus. Wo einst die Insel war,
Schau den Atlantik an, das Meer bei Gibraltar.
Fahr dann nach Afrika und denke an Rosette,
Wo sich der Vater Nil ergießt ins Meeresbette,
Der siebenmündige, der Gelbe Vater Nil.
Karthago schau dir an, wo Fürstin Dido fiel
Von ihrer eignen Hand, das schaute Schwester Anna,
Aus Liebe dieser Tod zu einem schönen Mann, ah.
Zur Wüste gehe dann, die man Sahara nennt,
Wo Helios so heiß wie sieben Sonnen brennt.
Schau die Gebirge dort, schau an die Atlas-Berge.
Die Eseltreiber dort erscheinen dir wie Zwerge.
Den Anti-Atlas-Berg schau in der Wüste an,
Dann denk den Helden dir, titanisch dieser Mann,
Der auf den Schultern trägt des ganzen Weltalls Lasten
Und hebt das All empor. Die Arme stark umfassten
Den großen Atlas-Berg, auf seinem Schulternpaar
Das Universum ruht, da heimlich-offenbar
Weltseele geistig weht, doch all den dichten Stoffen
Ist Schwere eigen. Er nun über alles Hoffen
Auf die Erlösung hofft. Unglücklich ist er doch,
Ja, unglückselig er, es drückt ihn hart das Joch,
Er sehnt verzweifelt sich nach jenen Augenblicken,
Da kommt der Jovis-Sohn, um Atlas zu erquicken.
Der nimmt die Last ihm ab, die auf den Schultern drückt,
Dann Herkules voll Kraft an Atlas’ Stelle rückt,
Und Herkules das All wird auf die Schultern laden
Und tragen diese Welt, der Held von Gottes Gnaden,
Und Atlas wird befreit, der sich zur Erde bückt
Und an der Mutter sich erneuert und erquickt!
DORIS
Doch Herkules muß noch zum Hesperiden-Garten,
Die Hesperiden dort mit Liebesäpfeln warten.
PROMETHEUS
Der Drache vor dem Baum, die Schlange in dem Baum,
Erlaubt es Herkules vor gelbem Neide kaum,
Zu pflücken sich die Frucht vom Baum der Hesperiden,
Doch findet Herkules allein im Garten Frieden,
Wenn er die Äpfel pflückt der Hesperiden schön.
DORIS
Ich höre seufzen dich sehnsüchtiges Gestöhn.
PROMETHEUS
Ach, ließe mich auch Gott in diesen Seelenfrieden,
Dürft in den Garten ich der schönen Hesperiden!
DORIS
Du brachtest allen Trost, Ur-Becher voller Trost,
Und findest selbst nicht Trost? Trink blutigroten Most!
PROMETHEUS
Was habe ich gebracht den lieben Menschenkindern?
Ich brachte ein Geschenk und machte sie zu Findern,
Der Weisheit Gaben ich den Menschen brachte, denk
Dir, Doris, Schwanin, wie ich brachte das Geschenk
Der Zimmermännerkunst, das wissen weise Kenner,
Urweisheit ist Geschick der guten Zimmermänner.
Ich zeigte ihnen, wie man Tempel baut perfekt,
Die Weisheit ist ja selbst des Kosmos Architekt.
Ich malte ihnen vor in heiligen Exempeln
Die Gottesschönheit, die da wohnt in schönen Tempeln.
Ich lehrte sie die Kunst, wie Kinder man erzieht
Mit Zeit und Zärtlichkeit, Zuwendung, und man sieht,
Daß ich als Meister sie gelehrt die Pädagogik,
Da Autorität vereint mit Liebe ist die Logik,
Die innre Logik der Erziehung. Frauen auch
Die Weisheit brachte ich, dass großen Geistes Hauch
Auf frommen Frauen ruht, und ob die Männer führend
Und tätig in dem Werk, die Frauen inspirierend
Des Mannes Seele sind. Ich lehrte auch die Kunst
In jeder Hinsicht, die sublime Liebesbrunst
Das schöne Kunstwerk schafft, da zeigte ich die Richtung
Der Poesie für Gott, der heilig-schönen Dichtung.
Skulpturen zeigte ich, da Schönheit feiert Sieg,
Und Schönheitsmalerei und liebliche Musik,
Wie man das Schicksal ehrt und Gott, den Himmelsvater,
Wie man die Vorsicht ehrt in dem Sakraltheater.
Ich lehrte sie, wie man sich einen Weinberg baut,
Wie man den Weinberg liebt als vielgeliebte Braut,
Wie von dem Weinstock man empfängt das innre Leben,
Wie aus dem Weinstock saugt den Saft der Mund der Reben.
Ihr lehrte Liebe sie im Geiste und im Leib,
Wie sich vereinige der Mann mit seinem Weib,
Wie die Vereinigung soll geistig, seelisch, leiblich
Ein Wesen bilden, das zweieinig, männlich-weiblich,
Und lehrte, wie der Mann massiert der Frau die Brust
Und wie des Weibes Mund dem Mann bereitet Lust
Und wie die liebe Frau zu seligsten Genüssen
Den Mann, den Liebenden, soll sanft und zärtlich küssen.
Ich lehre sie den Kuss und wie man küsst den Hals,
Wo flutet schwarzes Haar wie Flut des Wasserfalls.
Ich lehrte sie den Geist, die Weisheit der Ideen,
Daß sie in der Natur die Schönheit Gottes sehen,
Urschönheit Gottes hab ich ihnen offenbart,
Urschönheit Gottes, Quell der Frauenschönheit zart.
Die ganze Weisheit gab ich Heiligen und Dirnen.
Und will mir darum Gott mit heißer Rage zürnen?
Weil ich den Menschen gab der Weisheit Höchstes Gut,
Drum Jove zürnt mit Grimm, mit väterlicher Wut?
DORIS
Die andern Männer doch, vor Neid sie werden gelber
Und gelber stets vor Neid. Du hilf dir doch auch selber!
Du spendest allen Trost und deiner Weisheit Gunst,
Machst ihnen zum Geschenk die Weisheit und die Kunst.
Denk an dich selber auch, an dich auch selbst zu denken,
Gebiet ich dir, und dir auch selber Gunst zu schenken.
Ein Vater warest du für alle Kinderlein,
Der Witwen Ehemann, der Waisen Väterlein,
Du gabest ihnen Geist und mütterlich das Futter.
Prometheus, lieber Mann, sei selbst dir eine Mutter!
Behaglich schaffe du dir einen Innenraum
Und bette dort dich weich und warm auf Schwanenflaum
Und tröste mütterlich, wenn will dein Herz verzagen,
Dann tröste mütterlich mit heiligem Behagen
Dich selber innerlich und nimm dich in die Hut,
Wie eine Mutter sei du zu dir selber gut!
PROMETHEUS
Selbstliebe lehren stets die kalten Egoisten,
Ich aber sehne mich nach liebevollen Brüsten!
DORIS
Was du nicht in dir hast, gibt dir kein andres Herz,
Wenn du dich selbst nicht liebst, wird Liebe dir zum Schmerz,
Wenn Liebe du allein suchst in den andern Herzen,
Dann wirst du finden nichts als bittre Liebesschmerzen.
Die Schönheit suchst du, suchst die Schönheit in der Welt,
In schönen Frauen suchst du Schönheit, o du Held,
Du Schönheit sucht man nicht mit äußerlichen Sinnen,
Denn in dir ist der Glanz der Schönheit, in dir innen!
Die Werke des Gesichts hast du nun lang geübt,
Jedoch die Innre Frau, sie will auch sein geliebt!
PROMETHEUS
O weise Einsamkeit! Der Weise liebe einsam
Sich selbst, sein eignes Ich? Ich aber will gemeinsam
Mit Menschen leben und im Liebesglück sozial
In der Gemeinsamkeit anschaun mein Ideal.
Es sollen Suchende doch werden auch zu Findern,
Ich suche Liebe, ach, bei lieben Menschenkindern,
Ich suche Liebe, ach, ein Herz in jeder Frau,
Ich suche einen Freund, vertraut der Gottesschau.
Die Schönheit suche ich in Rose und in Lilie,
Die Menschheit suche ich als heilige Familie!
DORIS
Du aber bist allein! So sei zufrieden auch!
In tiefster Einsamkeit küsst dich des Geistes Hauch!
Willst du vereinigen dich denn mit eitlen Spöttern?
In deinem Inneren sind Himmel voll von Göttern!
PROMETHEUS
Des Todes Einsamkeit mich zu den Göttern reißt!
Prophetisch greift am Schopf und küsst mich Gottes Geist!
DORIS
Was in dem Spiegel denn des Himmels darfst du sehen?
Was offenbarte dir der Tanz der Ur-Ideen?
PROMETHEUS
Von Gottes Einsamkeit ward manches Wort gesagt,
Als ob der höchste Herr wie wir so einsam klagt.
Doch über dieser Eins, die absolut ist einsam,
Seh ich geheimnisvoll in Liebe Drei gemeinsam!
DORIS
In Liebe diese Drei, in liebendem Verein?
Gott ist nicht absolut ein einsam Einig-Ein?
PROMETHEUS
Die Moira schaute ich, das Schicksal in der Dreiheit,
Mich riß zur Drei hinan der Gottesgeist der Freiheit.
Die Götter allesamt und selbst der Götter Gott
Stehn unterm Schicksal auch, ich Odem im Schamott,
Das Schicksal schaute ich, vernahm des Schicksals Stimme:
Daß Jove ist ein Gott von großem Zorn und Grimme,
Das nimmt ein Ende einst. So hör des Schicksals Rat,
Es raten dir die Drei: Es wird im Gottesstaat
Ein Neuer Gott geborn, es ist der Unbekannte!
Den Unbekannten mir des Schicksals Dreiheit nannte.
Des Schicksals Ratschlag selbst hat dieses mir bezeugt,
Ein Ur-Mysterium. Mein Mund nun mystisch schweigt.
DORIS
Doch welcher Gott im Schoß wird welchen Weibes zeugen?
PROMETHEUS
Oh Göttermutter, oh! Doch ich muß mystisch schweigen.
DORIS
Sprich von dem Neuen Gott, du bitte bleib nicht stumm,
Sprich, was du schautest, Mensch, von dem Mysterium.
PROMETHEUS
Es wird der Neue Gott, ich sage es bescheiden,
Erlösen mich dereinst von allen meinen Leiden!
DORIS
Die Hoffnung kam zu dir, ah, die geschäftige,
Die holde Trösterin, die zärtlich-kräftige?
PROMETHEUS
Die immerjugendlich den Durst der Lebenstriebe
In Ewigkeit mir stillt mit göttingleicher Liebe!
CHOR DER DORIDEN
Jetzt musst du büßen, Menschensohn,
Dein Leichnam dient in strenger Fron.
Jetzt musst du beten, büßen, fasten,
Jetzt musst du schultern deine Lasten.
Die Schwermut jetzt als Ehefrau
Presst aus dir aus den Tränentau.
Jetzt leidest du noch selbst im Schlummer
An Schwermut, Jammer, Trauer, Kummer.
Jetzt bohrt das Schwert sich durch dein Herz,
Die Seele spaltet dir der Schmerz,
Der Tränen ewiges Gewässer
Geht durch das Herz dir wie ein Messer,
Jetzt opferst du der Tränen Blut,
Jetzt wütet Gott in wilder Wut
Ungnädig in den Eingeweiden
Des Menschensohnes voller Leiden,
Jetzt bohrt sich dir durchs Fleisch der Pfahl,
Jetzt bohrt sich ein des Schwertes Stahl,
Verzweifeln musst du, darfst nicht hoffen,
Vom Wein der Traurigkeit besoffen,
Ach wehe dir, ach wehe, weh,
Ich doch in meinem Geiste seh,
Wie du in Leidenschaft und Jugend
Geliebt ein Weib voll frommer Tugend,
Die reizende Hermione!
Ach wehe dir, ach wehe, weh!
Wie Hochzeitslieder du gesungen
Mit Menschen- und mit Engelszungen
Der reizenden Hermione!
Ach wehe dir, ach wehe, weh!
Wie du in hochzeitlichen Tänzen
Die Liebste liebtest in den Lenzen,
Die reizende Hermione!
Ach wehe dir, ach wehe, weh!
Wie ließ sie ihre Wimpern fächeln,
Entzückend ihr charmantes Lächeln,
O reizende Hermione!
Ach wehe dir, ach wehe, weh!
Wie bebten ihre weißen Brüste,
Ihr Leib wie Liebe voller Lüste,
O reizende Hermione!
Ach wehe dir, ach wehe, weh!
Wie unterm Baume mit den Feigen
Euch plötzlich überfiel das Schweigen,
O reizende Hermione!
Ach wehe dir, ach wehe, weh!
Wie ich dich jetzt am Kreuze sehe,
So einsam, Herr! Ach weh dir, wehe!

VIERTER AKT

ISIS
Ach wehe mir, ach weh, ach wehe mir, ach weh,
Ich irre durch die Welt und keinen Lichtglanz seh,
Kein Stern am Himmel steht, mich tröstend mit Gefunkel,
So schwarz die Wolken sind, so dicht das tiefe Dunkel,
Fast hat mich schon der Schmerz gewaltsam umgebracht,
Die Sinne spüren nichts, der Geist geht in der Nacht,
Verzehrend sehnt sich fort zu meinem Glück die Seele,
Sie weiß nicht, was sie hat, sie weiß nicht, was ihr fehle.
Wie soll ich diesem Leid und dieser Trauer wehren,
Denn ich verzehre mich in brennendem Begehren!
Die Seele ist so leer, das Herz so unerfüllt,
Wo ist die Gotteshuld, die liebend mich erfüllt?
Einst träumte ich des Nachts, ich Jungfrau lag im Bette,
Daß eine Gottheit käm und liebend mich errette.
Ich hatte einen Traum, sah schauend die Vision,
Daß aus der Götter Schar zu mir ein Gottessohn
Gekommen ist, mich nahm zum Bund geheimer Ehe,
Ich Jungfrau ruhte da in eines Gottes Nähe.
In heißer Liebesglut ich eine Seele nackt,
Die Gottheit voll Potenz, voll schöpferischem Akt!
Doch welche Kleine sich vermählt dem Übergroßen,
Die wird in tiefe Nacht, ins Schmerzensreich gestoßen!
Jetzt irre ich umher, der schönen Heimat fern,
In meiner dunklen Nacht am Himmel strahlt kein Stern,
Jetzt nach der Seligkeit von Gottes Liebesküssen
Bin ich im Inneren verwundet und zerrissen,
Ich, die ich selig lag an eines Gottes Herz,
Ich tauchte in das Meer aus Bitterkeit und Schmerz.
Ob meine Küsse auch dem Gottessohn gemundet,
Ich bin jetzt fast schon tot, ich bin zu Tod verwundet,
Und über einen Schlund geh ich auf schmalem Steg
Und durch die Dornen führt mein steiler Tugendweg
Und ob ich einst gehofft, dass mich der Gottherr rette,
Ich mich in Rosen nicht, ich mich in Dornen bette!
Ich Götterlieblingin, ich Gottes Braut und Magd,
Ich wandle voller Angst durch Finsternis verzagt
Und sehne mich hinab in meine Grabeskammer,
Dort wird verstummen erst der armen Seele Jammer!
Bis dahin weine ich viel Tränen blutigrot,
Da mich mein Gott verstieß, ruf ich den Heiland Tod!
PROMETHEUS
O schöne Göttin du, von Schwermut so umnachtet,
Ihr Genien des Lichts nur Dunkelheiten brachtet,
Ich fühle mit dir die Zerrissenheit, dein Weh,
Schmerz öffnet mir den Blick, hellsichtig ich nun seh
Die Zukunftskirche, ah, Gott schüttelt ab die Bösen
Und schöne Liebe wird uns all vom Leid erlösen!
ISIS
Die Zukunftskirche siehst hellsichtig du im Licht,
So gib von der Vision getreulich mir Bericht.
PROMETHEUS
Geh, schöne Göttin du, ins wilde Reich der Skythen,
Dort opfert man im Zelt den Duft von Haschischblüten,
Die Skythen reiten dort, die Rosse sind begehrt,
Die Vielgeliebte man vergleicht mit einem Pferd.
Dann über den Ural und in den fernen Osten
Geh du zum Kaukasus, dort stehe deinen Posten,
Und schau am Kaukasus, am gipfelhohen Kliff,
Nach einem Rettungsboot, nach eines Retters Schiff.
Vom Kaukasus hinab, hinab die Weinterrassen
Gen Westen wende dich und wandere gelassen,
Ja, in Gelassenheit vom hohen Kaukasos
Hinab ans Schwarze Meer und an den Bosporos.
Die Aphrodite von dem Bosporos, die Hehre,
Mit langem schwarzem Haar taucht aus dem Schwarzen Meere.
Europa liegt dir still zur rechten Seite da,
Zur linken Seite liegt die Mutter Asia.
Besuche Asia, die Mutter, die Uralte,
Wo mancher Pilger schon auf Götterspuren wallte,
Und wandere hinab von Mutter Asia
Zur schwarzen Königin im schwarzen Afrika
Und suche dort in Kusch die tiefgeheimen Quellen
Des Gelben Vaters Nil. Woher sind seine Wellen?
Und von dem schwarzen Kusch und durch den Wüstensand
Du pilgere hinan, komm in Ägyptenland,
Und wo der Vater Nil sich eint dem Meeresbette,
Der siebenzüngige, dir schaue an Rosette
Und komm nach Syrien und in der Hirten Land,
Dort ehrt man einen Gott, dem Götter unbekannt.
ISIS
O, dieser Götter Gott, wird er mich nicht verschmähen?
Mich nicht als ein Idol und Götzenbild ansehen?
Als Heidin, Abgott und der Götter heilge Magd?
Ich fürcht mich vor dem Gott! Ich frage dich verzagt!
PROMETHEUS
Ach, all der Götter Schar, die Götter mir verzeihen,
Dich wird ein Göttersohn zur Auserwählten freien,
Der Göttersohn herab kommt von dem Götterthron
Und, Göttin Isis, zeugt in dir den schönsten Sohn!
ISIS
Wenn ich empfange einst von eines Gottes Samen,
So nenne mir den Sohn und sag des Sohnes Namen!
PROMETHEUS
Epaphroditus wird der Göttin Sohn genannt,
In Tyrus lebt er und in Sidon, in dem Land
Am Berge Libanon. Er wird ein Priester werden
Geheimen Ordens und mit klagenden Gebärden
Adon bejammern, der im Herbst gestorben war,
Doch auferstand im Lenz als Rose offenbar.
Epaphroditus wird von Tyrus mit dem Schiffe
Nach Zypern reisen und vorbei dem Römer-Riffe
Bei Paphos landen an und wird in Marion
Und in Kouklia dann beweinen den Adon.
Doch Aphrodite wird Epaphroditus lieben
Und trösten wird sie ihn im Trauern und Betrüben
Und küssen wird sie ihn mit zärtlich-keuschem Kuss
Und jauchzen wird er oft in trunkenem Genuss
Und trinkt den Wein allein und nicht im Kreis der Zecher
Und opfert Paphia die vielen vollen Becher.
Romantisch leben sie am Strand von Salamis
Und schaun nach Susa aus, doch ohne Bitternis,
Beim Oleanderbusch und trauernden Zypressen
Zusammen trinken sie der Traurigkeit Vergessen.
Romanzen träumt man so, wie schön die Götterfrau
Den Sohn der Göttin liebt! Der heitre Himmel blau
Und auf dem Mittelmeer ein schwanenweißes Schäumen,
Läßt sie Glückseligkeit empfinden wie in Träumen.
Doch später, wie ich seh, wird Göttin Paphia
Dem Liebling einen Sohn aus Liebe schenken, da
Beginnt die Dynastie. Die heiligen Dynasten
Von Aphrodites Schoß viel büßen, beten, fasten.
Und von Geschlechtern zu Geschlechtern folgen sich
Dynasten, welche fromm und mystisch, innerlich,
Ein priesterlich Geschlecht, die fromm wie Eremiten,
Und alle Frauen sind wie Nonnen-Aphroditen,
Sie leben heilig, keusch, in Tugend und in Zucht
Und keiner je begehrt von der verbotnen Frucht.
Sie leben alle keusch, jungfräulich, in der Ehe,
Sie leben schwesterlich als wie in Gottes Nähe,
Von diesem glücklichen und heiligen Geschlecht
Kommt nach des Schicksals Rat und höchsten Gottes Recht
Ein Mädchen dann hervor von eben vierzehn Jahren,
Ein Schönheitswunder sie mit langen schwarzen Haaren
Und grünen Augen in der schönsten Mandelform
Und ihre Heiligkeit ist herrlich und enorm.
Und dieses Mädchen in der keuschen Mädchenblüte
Die Erbin ist allein der Göttin Aphrodite.
ISIS
Erzähl mir mehr, o Freund, von dieser jungen Frau!
Wie siehst du im Gesicht das Mädchen deiner Schau?
PROMETHEUS
So vierzehn Jahre zählt die Frau, so sechzehn Jahre,
Ich sehe lang und glatt die schwarzen Seidenhaare,
Ich seh die Augen grün in schöner Mandelform,
Das Antlitz ist oval, harmonisch nach der Norm
Der Schönheitsharmonie, die Haut des Antlitz bräunlich,
Wie von der Sonnenglut gefärbet augenscheinlich,
Ich sehe ihren Mund, seh ihren Lächelmund,
Die Zähne perlenweiß, die Reihen ganz gesund,
Wie kusslich mir und süß erscheinen ihre Lippen,
Der rosenrote Mund, an rotem Wein zu nippen,
Und unter ihrem Haar, der Flut des Wasserfalls,
Ein Turm von Elfenbein, ein langer Schwanenhals,
Ich sehe ihren Leib von Anmut und von Reizen,
Die Finger ihrer Hand sich falten und sich spreizen,
Ich sehe diese Maid in schönster Lenznatur,
In ihren Fingern zart die weiße Perlenschnur.
Da sehe ich den Geist der Götter, ja, ich glaube,
Der Götter guter Geist kam wie die Liebestaube
Und zeugte einen Sohn. Die Taube hat geruckt,
Das schöne Mädchen hat mit offnem Aug geguckt,
Die Liebestaube kam mit Schnäbeln und mit Picken,
Das schöne Mädchen tat voll Huld und Gnade nicken,
Und so das schöne Kind, die Mädchenfrau gebar
Den Unbekannten, der der Neue Gottherr war!
ISIS
Du Seher des Gesichts, verschlossner Augen offen,
Ist dieser Neue Gott dein hoffnungsloses Hoffen?
PROMETHEUS
Sein Name ist der Schmerz! Daß er mein Leiden tröst
Und mich zum guten Schluß von allem Leid erlöst!
ISIS
Wie wird der Neue Gott den Schmerzensmann denn trösten?
Wie ist die Seligkeit denn der von ihm Erlösten?
Schaun sie erlöst auch aus, erlöst von allem Weh?
Ob ich Erlöste je auf schwarzer Erde seh?
PROMETHEUS
Auf Erden Schmerz, Schmerz, Schmerz! Doch dann in Paradiesen
Die Nymphen tanzen wie Ideen in Elysen!
ISIS
Und meine Tochter, sprich, die junge Mädchenfrau,
Was wird aus ihr dereinst nach deiner Geistesschau?
PROMETHEUS
Ach, in Elysium die Frau wird sich entschleiern
Und ich, der Schmerzensmann, mit ihr die Hochzeit feiern!
CHOR DER DORIDEN
Wie schön ist eine Ehe doch,
Da geht der Mann im sanften Joch
Der wundervollen Frauenliebe,
Ergänzung finden da die Triebe
Und in den Seelen keusch und rein
Ereignet schön sich der Verein
Und starke Männer, schöne Weiber
Vereinen zärtlich ihre Leiber
Und wie die beiden liebend sind,
Sie werden fruchtbar in dem Kind.
Ob Indianer oder Inder,
Die Frauen schenken uns die Kinder.
Und die Familie liebevoll,
Bei allen Musen und Apoll,
In Scherz und Ernst und Leid und Lachen
Das Lebensspiel gemeinsam machen
Und heiter wie das kleine Kind
Der Vater und die Mutter sind
Und tanzen wie im Lenz die Falter
Und lieben sich auch noch im Alter
Und wenn dann kommt der bittre Tod
In ihres Lebens Abendrot
In Götterdämmrungen, purpurnen,
Die Aschen ruhen in den Urnen,
Wie sich das Paar die Liebe gab,
Vereinigt noch in Mutter Grab.
Doch wehe, wehe, wehe, wehe,
Wenn einer wählt die Gottes-Ehe!
Dahin ist der Erotik Reiz,
Wie Sklaven hängt er an dem Kreuz!
Gott will ihn schon auf Erden richten
Und fordert radikal Verzichten
Und Opfer fordert ohne Spott
Und schmerzliche Entsagung Gott!
Dann dulden muß man Frevler, Spötter,
Die preisen ihre goldnen Götter,
Dann tausend Tode stirbt man, bis
In allertiefster Finsternis
Sich deine gottverlassne Seele
Dem gottverlassnen Gott vermähle!
Dann erst nach dem Martyrium –
Heil, Heil! – folgt das Elysium!

FÜNFTER AKT

PSYCHOPOMPUS
(Der Götterbote und Seelenführer der Toten)
Prometheus, alter Narr! Wer ist denn jenes Mädchen,
Das Gott gebären wird? Das Schicksal spinnt die Fädchen
Seit aller Ewigkeit. Von Jove ward geschickt
Ich heute her zu dir. Gott hat dich angeblickt
Und will jetzt wissen: Wer wird jenen Gott gebären,
Den deine Geistvision schon heute tut verehren,
Der dich vom Leid erlöst, der dich erlösen soll,
Ob Jove dir auch zürnt, der Vater-Rage voll?
PROMETHEUS
Ich kenn die Eifersucht der Götter und Göttinnen,
Drum schweige mystisch ich. Ich muß mich doch besinnen.
PSYCHOPOMPUS
Beschreibe mir das Weib noch einmal ganz genau,
Das Wundermädchen, das halb Kind, halb junge Frau.
PROMETHEUS
Die schwarze Katze der Mondgöttin Isis schleicht
Nicht so charmant und sanft, wie dieses Kind entweicht,
Naht ihr ein alter Mann. Ein alter Mann ist dumm
Und wird vor dieser Frau, vor diesem Kinde stumm.
Es ist ein alter Mann dem hübschen Kind abscheulich,
Denn sie ist keusch und rein und immerdar jungfräulich.
PSYCHOPOMPUS
Wie aber sieht sie aus? Das sollst du mir benennen,
Denn Jove will sie dann zur rechten Zeit erkennen.
PROMETHEUS
Sie ist gazellenschlank, anmutig wie ein Reh,
Sie ist so leis und sanft wie frischgefallner Schnee,
Die Stimme flötet süß wie Nachtigallenlieder,
Wie Stäbe Elfenbeins die schlanken Fingerglieder,
Die Brüste fest und klein, der Bauch ist fest und schlank,
Die Augen voll von Licht wie grüne Meere blank,
Geschnitten groß und rund in schönsten Mandelformen,
Sie schaun wie Orient dich groß an, die enormen,
Du siehst das Angesicht der Schönsten aller Fraun,
Es ist des Mädchens Haut von heißer Sonne braun.
PSYCHOPOMPUS
Viel schöne Frauen sind im Tränental der Erde.
Wie ich die Eine in der Schar erkennen werde?
PROMETHEUS
Es gehn die Frauen all auf einem breiten Weg,
Da ist ein Schnattern wie von lauten Gänsen reg,
Betrachtest du die Welt im femininen Scheine,
Dann plötzlich blitzt dir auf: Die Schönste ist die Eine,
Die Frau der Frauen sie, in dem Ideensaal
Der Nymphen der Ideen ist Sie das Ideal!
PSYCHOPOMPUS
Und dieser Frau der Fraun und diesem Himmelsschwane
Bist du verfallen schon im liebevollsten Wahne?
PROMETHEUS
Ja, Wahn ist alles, Wahn! Ich bin ein Idiot!
Komm, küsse mich, o Tod! Du küsst so zärtlich, Tod!
Was will ich von der Welt noch als von Gaben wissen?
Der Frauen-Genius kommt tödlich mich zu küssen!
Wie gut der Tod doch küsst! Was für ein süßer Kuss!
Wie gut doch küssen kann der Frauen-Genius!
PSYCHOPOMPUS
Was Tod? Was Genius der Frauen? O du Tor,
Der liebend den Verstand im Liebeswahn verlor !
PROMETHEUS
Ganz aufgeweicht das Hirn mir aus der Nase schnäuze
Und heule jämmerlich vor tödlich-schönem Reize!
PSYCHOPOMPUS
Doriden, hütet euch vor dieses Manns Manie,
Dem Jove zwar Genie, doch nicht Vernunft verlieh!
Ihr Schwanennymphen, ihr liebreizende Doriden,
Der arme Tor verlor den innern Seelenfrieden,
O hütet euch vor ihm und seinem irren Wahn,
Sein Wahnsinn steckt euch noch mit irren Küssen an!
PROMETHEUS
Doriden-Königin, lass küssen dich, o Doris,
Du Lebensquelle mein, o Mater Creatoris!
PSYCHOPOMPUS
O Doris, hüte dich ! Die Leiden der Manie
Verfluchen sonst auch dich in böser Sympathie,
Denn diesem bösen Mann die Götter alle fluchen
Und Flüche sind auf ihm schon seit dem Mutterkuchen!
DORIS
Doriden, kommt mit mir, ist jede wie ein Schwan,
Er hauche euch nicht an, der Schmerzenssohn im Wahn!
DORIDEN
O Mutter Doris du, du Königin voll Frieden,
Wir schwimmen fort mit dir, jungfräuliche Doriden.
PSYCHOPOMPUS
Ha, jetzt bist du allein! Du Irrer, du bist krank!
Gott schickte Wahnsinn dir! Sag Jove schönen Dank!
PROMETHEUS
Ja, Dank dir, großer Gott, für alle Todesqualen!
So kann ich meine Schuld mit Schmerzen dir bezahlen!
Du liebst es ja, o Gott, wenn einer tödlich stöhnt
Und sich in Todesqual mit deinem Zorn versöhnt!
PSYCHOPOMPUS
Den Geier rufe ich, ich ruf den Lämmergeier!
Hier, wo das Aas ist, kommt der Tod zur Leichenfeier!

(Ein Geier kommt herangeschwebt und bohrt den Schnabel dem Prometheus in die Leber, ihn
langsam zerfleischend.)

Für tausend Jahre sollst du leiden, Schmerzensmann,


Für tausend Jahre sei du in der Leiden Bann!
PROMETHEUS
Hochheilige Mutter mein, Erbarmen, ach, Erbarmen,
Hochheilige Mutter mein, ich sterb in deinen Armen!
Hochheilige Mutter mein, ich ärmster Schmerzensmann,
Hochheilige Mutter mein, in tiefster Qualen Bann,
Hochheilige Mutter mein mit honigsüßem Herzen,
Hochheilige Mutter mein, erbarm dich meiner Schmerzen!
Hochheilige Mutter mein, ich schenk dir meine Qual,
Hochheilige Mutter mein, in diesem Tränental!
Hochheilige Mutter mein, von aller Macht des Bösen,
Hochheilige Mutter mein, wollst gnädig mich erlösen!

(Prometheus stirbt.)

DER HEILIGE STEFAN UND DIE SELIGE GISELA

ERSTE SZENE

(Esztergom in Ungarn. Der Magyaren Großfürst Géza, sein Sohn Stefan, Stefans Patenonkel
Deodatus.)

DEODAT
Die wilden Magyaren sind Räuber und Pferdediebe, Heiden schlimmster Sorte! Vater Géza und
Stefan, du deines Vaters Sohn, wisst ihr die Gnade Gottes zu schätzen, der euch das Sakrament der
Taufe gespendet hat?
VATER GEZA
Ja, auch meinen Schädel haben drei Tropfen geweihten Taufwassers benetzt. Dem Namen nach bin
auch ich ein Christ. Dem Christentum gehört das neue Europa. Aber wenn man Einen Gott im
Himmel verehrt, werden dann nicht alle andern Götter eifersüchtig? Ich bekenne mich als Christ
zum Christentum, aber ich ehre auch den Donnergott, ich ehre auch den Sonnengott und die Göttin
des Mondes, ich ehre das heilige Feuer und die Nixen des Wassers. Der großen Mutter Erde mit den
breiten Brüsten werde ich immer dankbar sein, dass sie mich mit dem täglichen Brot ernährt, und
dem Weingott werde ich immer dankbar sein für den edlen magyarischen Wein!
DEODAT
Und du, Stefan, denkst du wie dein Vater?
STEFAN
Soll ein Sohn nicht seinen Vater ehren? Soll ein Sohn nicht die Lebensweisheit seines Vaters
beherzigen?
DEODAT
Als Bischof Adalbert von Prag dir das Sakrament der Taufe gespendet hat, da nahm dich Unser
Vater in den Himmeln als seinen Sohn in Christus an.
STEFAN
Wenn ich den Vater im Himmel lobe und das Vaterunser bete, denke ich mir Gott immer wie meinen
starken, klugen, lebensfrohen Vater.
DEODAT
Und doch hat Jesus einmal gesagt: Ihr sollt niemanden auf Erden Vater nennen, denn Einer nur ist
euer Vater, Gott, der Vater in den Himmeln. Und des weiteren hat Jesus gesagt: Wer Vater oder
Mutter mehr liebt als Mich, der ist Meiner nicht wert!
STEFAN
Und doch hat Gott in den Zehn Geboten gesprochen: Ehre Vater und Mutter, auf dass du lange lebst
auf Erden.
DEODAT
Aber im Evangelium heißt es auch: Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen! Nun, mein
lieber Patensohn Stefan, bekenne deinen Glauben: Glaubst du an den Einen Gott und den Herrn
Jesus Christus? Oder glaubst du an die Götter der Heiden, die Elemente dieser Welt, an die Götzen,
die in Wahrheit Dämonen sind?
STEFAN
Ich glaube, dass Gott mich geschaffen hat. Ich glaube, dass allein Jesus Christus mir das Ewige
Leben schenken kann. Ich glaube, dass der Geist der Liebe in meinem Herzen ausgegossen ist.
DEODAT
Wer hat dir diesen Glauben geschenkt?
STEFAN
Christus selbst hat sich mir offenbart und mir aus reiner Gnade den Glauben an Gott geschenkt.
DEODAT
Wer lehrte dich die Lehre Jesu? Wer unterweist dich im Willen Gottes? Durch wen führt dich der
Heilige Geist zur Heiligkeit?
STEFAN
Dies alles tut der lebendige Gott durch die heilige Mutter Kirche.
DEODAT
Warum nennst du die Kirche der Apostel deine Mutter?
STEFAN
Sie hat mich neugeboren in dem Becken der Taufe zu einem Kinde Gottes. Meine leibliche Mutter
hat mich geboren für das zeitliche irdische Leben, das mit dem Tod endet. Aber die heilige Mutter
Kirche hat mich im Becken der Taufe neugeboren für das Ewige Leben im Königreich der Himmel.

ZWEITE SZENE

(Fürst Stefan von Ungarn und die bayrische Fürstentochter Gisela. Ihre Hochzeit.)
STEFAN
Die Magyaren wollen Frieden schließen mit den Bayern. Ich Magyar und du Bayerin, wir wollen
Friedensstifter sein.
GISELA
Jesus sagt: Selig sind die, die Frieden stiften, sie werden das Land besitzen.
STEFAN
Dein Vater Heinrich der Zänker war gegen die Versöhnung der Bayern mit den Magyaren. Jetzt ist
er tot, jetzt können wir Frieden schließen.
GISELA
Stefan, verzeih meinem Vater! Versuche, ihn zu verstehen: Die wilden Magyaren haben oft als
Räuber die frommen Bayern überfallen.
STEFAN
Auch die Magyaren werden sich bekehren zu Jesus, dem Friedefürsten. Wie geht es deiner Mutter?
GISELA
Meine Mutter Gisela ist fest gegründet im tiefen Vertrauen auf Gott. Ihr habe ich meine christliche
Erziehung zu verdanken.
STEFAN
Hat deine Mutter Gisela dich selber unterwiesen in der Weisheit der heiligen Mutter Kirche?
GISELA
Sie hat vor allem durch das Beispiel einer christlichen Güte mich geprägt. Die religiöse
Unterweisung hat mir Bischof Wolfgang von Regensburg erteilt.
STEFAN
Der Bischof Wolfgang hat dich getauft?
GISELA
Ja, durch die Gnade der Taufe bin ich geworden eine Tochter Gottes des Vaters und der heiligen
Mutter Kirche.
STEFAN
Ich selber wurde getauft von Bischof Adalbert von Prag. So ich nun einer der Söhne Gottes
geworden bin, du aber Gottes Tochter, Gisela, siehe, so sind wir ja als Kinder Gottes Bruder und
Schwester.
GISELA
Wie es in den Liebesliedern Salomos heißt, die in der Heiligen Schrift zu lesen sind: Ich, deine
Freundin, bin deine Schwester-Braut!
STEFAN
Aber man nennt dich, Gisela, eine Geisel des Glaubens, eine Geisel der Kirche von Rom.
GISELA
Sollen die bösen Zungen doch lästern!
STEFAN
Ich werde dir beweisen, dass ich nicht allein aus Staatsräson mit dir die Ehe schließe, sondern dass
ich dich lieben, ehren und achten will in guten und in schlechten Zeiten, bis der Tod uns scheidet.
Ich will dir nicht ein diplomatisches Ja-Wort geben, sondern bewusst im Angesicht Gottes dir die
Treue meiner Liebe versprechen.
GISELA
Die Ehen werden ja im Himmel geschlossen. Man kann sich nicht selber überreden, einen
Menschen zu lieben, sondern die Liebe ist – wie die Dichter sagen - eine Himmelsmacht, ein
Geschenk Gottes!
STEFAN
Ja, wie die antiken Dichter sprachen vom Liebespfeil des Liebesgottes Amor, der die Herzen trifft
und die Liebe entzündet. Nun, der Kleine Gott Amor hat einen Liebespfeil mit Gift an der Spitze,
und wer von diesem Pfeil am Herzen verwundet wird, der liebt, doch findet keine Gegenliebe!
GISELA
Ach der Arme! Gott erbarme sich seiner!
STEFAN
Aber uns hat der kleine Liebesgott mit jenem Liebespfeil getroffen, dessen Spitze in Honig getaucht
ist. Unsre Liebe ist wechselseitiges Geben und Nehmen, nicht wahr, meine Liebe?
GISELA
Ja. Ich werde mich immer zurücknehmen, um dich zu empfangen.
STEFAN
Auch ich, auch ich, Geliebte, werde mich immer zurücknehmen, um dich zu empfangen.
GISELA
Du wirst mir deine klaren klugen Gedanken schenken.
STEFAN
Und du wirst mir die Gedanken, bereichert mit deiner tiefen Intuition, wiederschenken.
GISELA
Wir wollen eine mustergültige christliche Ehe führen.
STEFAN
Ja, Heilige wollen wir werden, aber zusammen wollen wir Heilige werden als ein heiliges Ehepaar!

DRITTE SZENE

(Fürst Stefan und sein Onkel, der Fürst Koppány.)

ONKEL KOPPANY
Mein Neffe! Dein Vater, mein Bruder, ach, der Großfürst Géza ist gestorben!
STEFAN
Gott sei seiner Armen Seele gnädig!
ONKEL KOPPANY
Er war ein echter Magyar. Er konnte reiten wie kein Zweiter und führte das Schwert wie ein
herrlicher Krieger.
STEFAN
Ach, es tut mir in der Seele weh, dass mein Vater auf dem Sterbebett das Kreuz des Retters nicht
geküsst hat.
ONKEL KOPPANY
Stefan, deine Religion ist gut für alte Weiber, die stricken und am Webstuhl sitzen und, um besser
einschlafen zu können, den Rosenkranz murmeln. Aber wir Magyaren brauchen Fürsten, die
Männer sind, echte Männer, die nicht mit der Bibel in der Hand durch Ungarn pilgern, sondern die
zu kämpfen wissen, die ihren Mann stehen in den kriegerischen Auseinandersetzungen unserer Zeit.
STEFAN
Wer wird dem Großfürsten Géza auf dem Throne folgen, lieber Onkel, du oder ich?
ONKEL KOPPANY
Das ist die Schicksalsfrage Ungarns. Wird Ungarn ein Land von weibischen Mönchen in langen
Röcken? Oder wird Ungarn bleiben, was es ist, die freie Welt der reitenden und streitenden Krieger?
Die Götter sollen entscheiden!
STEFAN
Ich will Großfürst werden, auf dass der Geist Christi zur Seele des ungarischen Volkes werde.
ONKEL KOPPANY
Was ist das, der Geist Christi? Die Demut von Weibern und Mönchen in langen Röcken? Nein, bei
den alten Göttern der Elemente! Der Magyar soll weiter seinen Esel schlachten und saufen den
starken roten Wein und Krieg führen gegen die Feinde!
STEFAN
Ich will mich beraten mit Gott.
ONKEL KOPPANY
Ja, ja, frage du nur deinen lieben Gott! Hat er denn einen Mund, dass er reden kann?

(Onkel Koppany geht ab. Stefan kniet vor der Ikone der Gottesmutter Maria.)

STEFAN
O Mutter Gottes, führe Ungarn und die heidnischen Magyaren alle zu deinem göttlichen Sohn! Ich
will dein Diener sein und die Magyaren zu deinen Kindern machen, himmlische Mutter!

(Der gottselige Einsiedler Günther tritt ein. Er ist ärmlich gekleidet und trägt am Gürtel einen
Rosenkranz.)

EINSIEDLER GÜNTHER
Mein Fürst, du hast mich zu dir gerufen?
STEFAN
Gottseliger Einsiedler, guter Günther, ich weiß, du hast einen besonders intimen Umgang mit Gott
dem Herrn.
GÜNTHER
Ja, ich weiß, mein Stefan. Ich, der elendste aller Knechte Gottes, bin reich begnadet worden von
Gott. Warum es Gott in seiner freien Gnade gefällt, gerade mich, der ich der wildeste Sünder aller
Magyaren bin, so reich zu beschenken mit mystischen Gnaden, weiß ich nicht zu sagen. Es erfüllt
mich aber eher mit zitternder Furcht als mit Stolz.
STEFAN
Was denkst du, gottseliger Mann, wer soll als Großfürst die Magyaren führen? Will Gott der Herr
den starken, streitbaren, weltliebenden Koppany als Großfürsten Ungarns oder will Gott der Herr
mich, seinen geringsten Diener Stefan, zum Vater des ungarischen Volkes ernennen?
GÜNTHER
Stefan, Stefan! Christus will, dass du der Schutzengel der wilden Magyaren wirst und sie führst ins
Königreich der Himmel. Christus will, dass du dabei ganz auf die Hilfe Seiner Mutter vertraust.
Christus wird nicht eher ruhen, bis Seine heilige Mutter feierlich zur Königin des ungarischen
Volkes ernannt worden ist.
STEFAN
So sei es. Gott steh mir bei!

VIERTE SZENE

(Rom. Der Gesandte des Großfürsten Stefan, Aristicus, wird vom Heiligen Vater Sylvester II. in
einer Audienz empfangen. Auch der deutsche Kaiser Otto III. ist anwesend.)

HEILIGER VATER
Rede, mein Sohn!
ARISTICUS
Heiliger Vater! Großfürst Stefan von Ungarn versichert Eurer Heiligkeit seinen Glaubensgehorsam
und seine kindliche Liebe. Desselben versichert die Großfürstin Gisela von Ungarn Eurer Heiligkeit
ihres beständigen Gebets für EureN apostolischen Dienst.
HEILIGER VATER
Das hören wir gerne, mein Sohn. Richte bitte dem Großfürsten Stefan und der Großfürstin Gisela
aus, dass wir beim täglichen Opfer ihrer gedenken und für sie beten.
ARISTICUS
Der Großfürst Stefan von Ungarn, in völliger ehelicher Harmonie mit seiner geliebten Gemahlin
Gisela, bittet in Demut Eure Heiligkeit, ihm die königliche Krone zu verleihen.
HEILIGER VATER
Stefan will König werden?
ARISTICUS
Ja, Eure Heiligkeit. Und er will das Königreich Ungarn eng anschließen an den Heiligen Stuhl.
HEILIGER VATER
Stefan wendet sich nicht an die Ostkirche?
ARISTICUS
Eure Heiligkeit, Stefan ist vom Bischof Adalbert von Prag im alleinseligmachenden Glauben der
römisch-katholischen Kirche unterwiesen worden. Die ihm in kirchlicher Kopulation sakramental
anvertraute Ehefrau Gisela ist von Bischof Wolfgang von Regensburg unterwiesen worden in dem
wahren Glauben der einen Kirche Christi, die vom Nachfolger Petri geführt wird.
HEILIGER VATER
Wir sind zufrieden mit unserm Sohne Stefan. Die Frömmigkeit unserer Tochter Gisela ist auch
schon zu unsern Ohren gedrungen.
ARISTICUS
Heiliger Vater, was darf ich meinem Landesherrn Stefan sagen? Wird der Stellvertreter Christi auf
Erden meinen Herrn Stefan zum König von Ungarn krönen?
HEILIGER VATER
Mein Sohn Otto, tritt hinzu und sprich!
ARISTICUS
(verneigt sich vor dem Kaiser)
Eure Kaiserliche Majestät Otto, Gottes Gnade ruht auf Eurem Haupt!
OTTO III
Heiliger Vater, wollt Ihr meine Meinung hören?
HEILIGER VATER
Ja, mein Sohn Otto. Wir wissen von deinem Glauben und deiner staatsmännischen Weisheit. Der
Nachfolger Petri ist kein absolutistischer Alleinherrscher, sondern der Diener der Diener Christi.
Der Papst berät sich gerne mit den Weisen. Was meinst du, mein Sohn Otto, sollen wir den
Großfürsten Stefan zum König von Ungarn krönen?
OTTO III
Heiliger Vater, ich weiß, wir haben dieselbe Vision für Europa. Wir wollen ein christliches
Abendland, dessen Seele der Glaube an Christus ist. Wir wollen die Völker Europas geeint sehen in
einem Imperium Romanum, beseelt vom Geiste Christi. Ich, der deutsche Kaiser, kenne die
Großfürstin Gisela. Ihr Vater Heinrich der Zänker und ihre fromme Mutter Gisela sind mir bekannt
und ebenfalls ihr Bruder Heinrich. Dieser Bruder Heinrich wird noch in die Geschicke Europas
eingreifen. Das klare Bekenntnis des Großfürsten Stefan und der Großfürstin Gisela zum Heiligen
Stuhl und zur Kirche Christi scheint mir ein Zeichen zu sein, dass mit der Krönung Stefans zum
König von Ungarn die Bildung eines christlich-römischen Abendlandes voranschreitet.
HEILIGER VATER
Du sprichst mir aus dem Herzen, mein Sohn Otto. Aristicus, mein geliebter Sohn, bringe du Stefan
die Krone des Königs und Gisela die Krone der Königin. Du aber, Aristicus, sollst als Bischof Hirte
der ungarischen Landeskirche sein.

FÜNFTE SZENE

(Krönung. Stefan und Gisela, der Bischof der ungarischen Landeskirche, Klerus, Grafen und Volk.)

BISCHOF VON UNGARN


Im Auftrag des obersten Hirten der universalen Kirche überreiche ich dem König Stefan die
königliche Stefanskrone des christlichen Königreichs Ungarn!

(Der Bischof krönt den knieenden Stefan zum Ersten König von Ungarn.)
STEFAN
Ich, König Stefan von Ungarn, König von Gottes Gnaden, will tragen das weltliche Schwert der
Gerechtigkeit im Namen Jesu Christi, des Richters der Lebenden und der Toten, des Königs der
Könige.
BISCHOF
Kraft seiner apostolischen Autorität als Nachfolger des Ersten Papstes Petrus verleiht Seine
Heiligkeit Papst Sylvester II. der Großfürstin Gisela die Krone der Königin von Ungarn.

(Die knieende Gisela empfängt vom Bischof der ungarischen Landeskirche die Krone der Königin.)

GISELA
Siehe, ich bin die Magd des Herrn. Obwohl ich von der göttlichen Gnade zur Königin von Ungarn
erhoben worden bin, bleibe ich die demütige Dienerin des Herrn und des ganzen Volkes Gottes.
BISCHOF
König Stefan und Königin Gisela, Heil euch! Möget ihr als König und Königin im Königreich
Ungarn herrschen als Diener Gottes des Herrn. Möge eure Herrschaft ein Gleichnis sein der
vereinigten Herzen Jesu und Mariens. König Stefan herrsche im Geiste der opferbereiten Liebe des
heiligsten Herzens Jesu, und Königin Gisela regiere im Sinne des allerzärtlichsten Unbefleckten
Herzens Mariens!
DIE GRAFEN
König Stefan! Du hast die alten Stammesgebiete der heidnischen Häuptlinge aufgelöst und ein
zivilisiertes Staatswesen im Sinne römischer Staatsweisheit begründet, indem du Ungarn eingeteilt
hast in vierzig Grafschaften. Wir, die Grafen von Ungarn, sind die Verwalter unserer Grafschaften
und die Heerführer unserer freien Kriegerverbände. Heute, am Tage deiner feierlichen Krönung
zum König von Ungarn, schwören wir, die Grafen Ungarns, dir als unserm Herrn die Treue!
DAS VOLK
Heil dir, Stefan! Unser König Stefan lebe lang! Heil dir, Königin Gisela! Unsere Gisela lebe lang!
Lange lebe Königin Gisela!
KÖNIG STEFAN
Meine allergeliebteste Königin und Frau, Regina Gisela! Hochwürdigster Bischof unserer geliebten
ungarischen Landeskirche! Heiliger Klerus der ungarischen Kirche! Treue und edle Grafen der
vierzig Grafschaften Ungarns! All ihr meine zärtlich geliebten Landeskinder! In der Kraft der
göttlichen Gnade, die mir im Gottesgnaden-Königtum verliehen worden ist, in der Kraft meines
Glaubens an Jesus Christus und Seine heilige Kirche, und in der Kraft der mir von Gottes heiligem
Geist verliehenen Weisheit der Regierungskunst, werde ich nach bestem Wissen und Gewissen
sorgen für mein ganzes Volk. Die Kirche hat die volle Freiheit, das Evangelium zu verkünden.
Überall sollen neue herrliche Gotteshäuser errichtet werden. Missionare sollen nach Ungarn
kommen. Ich werde ein guter König aller Magyaren sein, nicht allein der Christen, sondern auch der
armen Heiden. Ich werde für religiösen, politischen und sozialen Frieden im Lande sorgen. Mein
besonderes landesväterliches Wohlwollen gilt den Armen des Landes. Ich bitte alle ungarischen
Gläubigen, für mich zu beten bei Gott unserm Herrn.

SECHSTE SZENE

(Im Marien-Dom. Die Heilige Messe ist vorübergegangen. König Stefan weiht in einem feierlichen
Weiheakt sein Königreich Ungarn dem Unbefleckten Herzens Mariens.)

STEFAN
Ein Volk, das im Finstern und im Schatten des Todes saß, sah ein großes Licht! Ein Stern ist
aufgegangen in Israel. Unsere Liebe Frau, erleuchte alle Seelen, die in Finsternis und Schatten des
Todes sitzen!
VOLK
Ave gratia plena! Benedictus fructus ventris tui!
STEFAN
Wir sind verwirrt und unser Geist erfasst die Geheimnisse der Liebe Gottes nicht. Unsere Liebe
Frau, schenke unsern umnachteten Geistern den lichten Strahl der göttlichen Weisheit!
VOLK
Ave gratia plena! Benedictus fructus ventris tui!
STEFAN
Wir sind erschrocken, wie über alle hin das Leid geschieht. Unsere Seelen tränen angesichts des
Leidens der Kinder, der Armen, der Kranken, der Sterbenden und der Armen Seelen. Unsere Liebe
Frau, zeige uns nach diesem Elend das Land der Lebendigen!
VOLK
Ave gratia plena! Benedictus fructus ventris tui!
STEFAN
Angesichts der Flut der schwarzen Magie, der Anbetung der Natur, der Kindermorde durch die
Hexen, der Befragung der Totengeister, der Verehrung der falschen Götter, des Aberglaubens und
des Irrglaubens, bitten wir dich, Unsere Liebe Frau, erleuchte unsere inneren Sinne mit dem
schönen Licht der Ewigen Liebe Gottes!
VOLK
Ave gratia plena! Benedictus fructus ventris tui!
STEFAN
Unsere Frauen wünschen sich vor allem eins: den Frieden! Wir sehnen die Zeit herbei, da unsere
Knaben nicht mehr das Kriegshandwerk lernen. Wir sehnen uns nach Frieden mit Gott, Frieden im
Herzen, Versöhnung mit uns selber, Versöhnung in der Familie, Versöhnung mit den Nachbarn, ja,
nach dem Frieden in der ganzen Schöpfung. Unsere Liebe Frau, schenke uns das liebliche Lächeln
deiner sanften und süßen Güte und befriede unsere aufgewühlten Seelen!
VOLK
Ave gratia plena! Benedictus fructus ventris tui!
STEFAN
Ich, der Erste König Ungarns, weihe dir das Könighaus von Ungarn. Unsere Liebe Frau, du bist die
Königin des Königs, nimm mich als deinen Sklaven an! Mein Platz ist zu deinen Füßen, um voller
Verehrung zu dir aufzuschauen!
VOLK
Ave gratia plena! Benedictus fructus ventris tui!
STEFAN
Meine Ehefrau, die Königin Gisela, sei deiner Güte und Gnade anvertraut. Unsere Liebe Frau,
nimm meine geliebte Frau als deine Freundin und Schwester an!
VOLK
Ave gratia plena! Benedictus fructus ventris tui!
STEFAN
Die gottgeweihten Seelen, die ehelos leben für das Königreich der Himmel, benötigen dringend den
zärtlichen Beistand deiner süßen Liebe! Unsere Liebe Frau, schenke ihnen die Reinheit einer
selbstlosen Liebe und erlöse sie von allen ungeordneten Begierden und lass sie allezeit in ihrem
Nächsten das Ebenbild Gottes schauen!
VOLK
Ave gratia plena! Benedictus fructus ventris tui!
STEFAN
Ich weihe dir den Adel des Volkes. Unsere Liebe Frau, hilf du dem Adel, die Berufung zur
Heiligkeit zu erkennen und schenke ihnen die Demut, zu erkennen, dass auch die aristokratischen
Menschen nichts als deine allergeringsten Sklaven sind!
VOLK
Ave gratia plena! Benedictus fructus ventris tui!
STEFAN
Ich weihe dir die Bürger von Ungarn. Lehre du durch deine evangelische Armut die Bürger, den
wahren Reichtum zu ergreifen, den Reichtum der Liebe, auf dass sie den Schatz des Himmels
erwählen. Unsere Liebe Frau, ich vertraue dir auch die Finanzen unseres Landes an.
VOLK
Ave gratia plena! Benedictus fructus ventris tui!
STEFAN
Mein Staat sei ein Staat der Arbeiter und der Bauern. Unsere Liebe Frau, du Frau des
Zimmermannes, ich weihe dir alle Zimmerer. Unsere Mutter, ich weihe dir die Bauern. Liebe Frau,
lass allezeit die Euter der Kühe prall sein und strotzen vor Milch! Herrin, segne unsre Hengste und
Stuten!
VOLK
Ave gratia plena! Benedictus fructus ventris tui!
STEFAN
Amen.

SIEBENTE SZENE

STEFAN
(Vor einer Ikone der Allerheiligsten Dreifaltigkeit)
O meine Majestät, du Allerheiligste Dreifaltigkeit, diese Ikone hat mein Sohn Emmerich gemalt,
mein Gott, er hatte eine Vision von dir und war verzückt! O Gott, Kinder sind ein Geschenk des
Herrn und Knaben eine Gabe Gottes. Als du mir meinen Liebling Emmerich geschenkt hast, o
Jesus, bist du in ihm selber in mein Haus gekommen. Ja, verrückt vor Liebe bekenne ich: Du, Gott,
bist mein Sohn geworden...
BOTE
(Eintretend)Mein König!
STEFAN
Was gibt es Neues? Nichts Neues unter der Sonne!
BOTE
Verzeiht mir, mein König! Euer Sohn –
STEFAN
Wie geht es meinem Liebling?
BOTE
Euer einziger Sohn ist –
STEFAN
Der Abgott meines Herzens! Sprich von meinem Liebling!
BOTE
Prinz Emmerich ritt auf Bärenjagd. Der Bär zerfleischte den Prinzen! Mein König, der Prinz ist tot!
STEFAN
Ah weh!
BOTE
Verzeiht dem Hiobsboten.
STEFAN
Geh, ich muß allein sein.
(Bote geht ab.)
Warum, mein Gott? Warum! Warum hast du mir den Liebling genommen? Mein Gott, mein Gott!
Ah weh, mein Sohn Emmerich, Emmerich, mein Sohn! Mein Sohn ist tot! Tot, mein Sohn! O Gott!
Wie soll ich diesen Schlag tragen, mein Gott? O Gott, Gott, Erbarmen, Erbarmen! Ah, ich hasse
dies Leben! Ich hasse die Gewalt des Todes! Wie kannst du mir das antun, mein Gott? Wie ein Bär,
dem man die Jungen geraubt hat, ja, wie eine wildgewordene Bärenmutter stürzt du dich auf mich,
mein Gott, und zerfleischst mich! Töte mich lieber, Gott! Töte mich! Schlage mich tot, mein Gott!

(König Stefan sitzt in seinem dunklen Gemach allein. Er birgt sein Antlitz in seinen Händen und
weint schluchzend, lange, lange rinnen ihm Ströme von heißen Tränen aus den Augen. Nur
manchmal entringt sich seiner schluchzenden Kehle ein verzweifelt jammerndes „Gott!“ und wieder
muß er herzerschüttert weinen. Langsam, sehr langsam beruhigt sich seine gequälte Seele zu einer
unendlich schwarzen Schwermut. Da hockt er in tiefster Resignation, ergeben seinem Schicksal,
wie ausgelöscht, wie erstarrt zu seinem steinernen Götzenbild. Über allem liegt der schwarze
Schatte des Todes.)

GISELA
(Eintretend)Geliebter!
STEFAN
Ah weh, meine Liebe!
GISELA
Gott hat den Liebling uns geschenkt. Gott hat den Liebling uns genommen. Der Name Gottes ist
immer noch die Ewige Liebe!
STEFAN
Gott sprach zum Patriarchen Abraham: Geh, schlachte mir deinen Sohn Isaak!
GISELA
Der Ewige Vater hat seinen einzigen Sohn Jesus Christus für uns am Kreuze hingegeben!
STEFAN
Muss das so sein? Können Gott denn unsre Gebete nicht versöhnen?
GISELA
Es war zur Zeit des Cäsaren Tiberius von Rom, zur Zeit des Gouverneurs Pontius Pilatus, als in
Jerusalem in Palästina auf grausamste Weise der Sohn des lebendigen Gottes von den Menschen
gekreuzigt worden ist! In schrecklichsten Qualen wurde er gemartert, bis sein Herz vor Liebe
verblutet ist! Und nur Ein Tropfen dieses Blutes vermag die ganze Menschheit zu erlösen vom
ewigen Tod. Aber Jesus vergoss Ströme seines kostbaren Blutes, um uns zu schenken das Ewige
Leben!

ACHTE SZENE

(Stefan in Ritterrüstung auf seinem Kriegsross. Gisela in Bußgewändern auf einem Hügel vor einem
Kruzifix zum Gebete knieend.)

STEFAN
Nach dem Abscheiden des Thronfolgers erhoben sich meine Vettern mit dem Anspruch, meinen
Thron zu erben. Heiden, die sie waren, vertrieb ich sie aus meinem Königreich. Einer floh nach
Russland, einer floh nach Polen, einen musste ich blenden lassen. Gisela, bete für meine Seele um
Gottes Erbarmen!
GISELA
Die schlimmste Rebellion hat sich jetzt erhoben. Zegzard, der Führer der Heiden, führt Krieg gegen
dich. Ungarn darf nicht zurücksinken in die Barbarei heidnischen Aberglaubens!
STEFAN
Ich habe eine Woche lang bei Brot und Wasser gefastet, ich habe gebeichtet, ich habe den Leib des
Herrn empfangen und das Wort Gottes gehört. Nun muß ich kämpfen!
GISELA
Wenn die Heiden siegen in Ungarn, dann werden statt des Wortes Gottes wieder die Hellseherinnen
und Wahrsagerinnen befragt. Bei den Hexen wird man magische Edelsteine kaufen. Von den
Zigeunerinnen lässt man sich aus der Hand sein Schicksal lesen. Statt Gott zu vertrauen, werden die
Menschen an die Macht der Sterne glauben. Hexen praktizieren schwarze Magie. Zauberer befragen
die Seelen der Toten. Schamanen beschwören Dämonen über den Kranken. Statt zu glauben an den
Einen Gott, den Schöpfer aller Himmel und der Mutter Erde, werden die Menschen die Sonne
verehren, an die dreifaltige Mondgöttin glauben, der Venusgöttin der Lust folgen, sie werden sich
prostituieren, Knaben schänden, Ehen brechen, Verkehr mit Tieren haben! Die Hexen werden mit
Gift und andern Zaubereien die Kinder in den Mutterschößen ermorden! Sie werden wieder mit den
Gnomen der Erde reden, die Meerjungfrauen der Meere lieben, auf die Luftgeister hoffen und
Feuersalamander beschwören. Sie halten die Pferde für heilige Tiere und wahrsagen Zukunft aus
dem Wiehern des Hengstes und dem Schnauben der Nüstern der Stute! Alle diese Gräuel sind
gräulich, aber der allerschlimmste Gräuelgötze ist die Mondgöttin, der sie die eigenen Kinder
schlachten!
STEFAN
Ich werde mit Christi Beistand die Wiederkehr des heidnischen Aberglaubens zurückweisen.
Zegzard soll die Macht Christi erfahren. Er hat Wind gesät, er wird Sturm ernten!
GISELA
Während du mit deinen christlichen Rittern unter der Fahne des Kreuzes in den Kampf ziehst,
werde ich den heiligen Martin um Hilfe anrufen.
STEFAN
(singt)
Der Sankt Martinus war ein Christ,
Ein glaubensstarker Mann!
Weil heute sein Triumphtag ist,
Zünd ich die Kerze an!
GISELA
Sankt Martin breite seinen Mantel der Barmherzigkeit über alle Magyaren! Die Unbefleckt
Empfangene Mutter vom Sieg verhelfe uns zum Triumph über die wachsende Flut des Heidentums!
Sankt Michael, der heilige Erzengel, stürze den Satan und alle satanischen Geister in die Hölle!
Christus, das Wort Gottes, der König der Könige, reite uns auf seinem weißen Ross voran!
STEFAN
Gisela, bete wie eine Heilige! Ich werde kämpfen wie ein Herkules, der den Saustall des Augias
ausmisten musste! Aber der Sieg kommt von Gottes Hilfe allein!
GISELA
Gürte dein Schwert an die Hüfte, Geliebter, sei ein Mann und reite für die Wahrheit! Von deinen
Pfeilen sollen deine Feinde niederfallen! Dein Schwert dringe ins Herz der Feinde des Königs!
STEFAN
Auf! Für Gott und Unsere Liebe Frau!

NEUNTE SZENE

(Stefan, Gisela, Stefans Schwester Maria und ihr Sohn Peter.)

STEFAN
Maria, Liebste, wie geht es deinem Gemahl?
MARIA
Dem Dogen von Venedig, mit dem Meer vermählt, macht sein undankbares Volk Ärger. Er sorgt
selbstlos für sein Volk, belehrt die Reichen, ehrt die Gelehrten, baut Spitäler für die Kranken und
sorgt für Speise den Kindern. Aber er erntet für all seine Liebe – keine Gegenliebe!
GISELA
So kann er sich üben in der christlichen Liebe, denn die christliche Liebe ist eine selbstlose,
schenkende Liebe. Als Jesus gesagt hat: Geben ist seliger als Nehmen, da hat er nicht nur an
materielle Geschenke gedacht, sondern ich glaube, Jesus wollte sagen: Lieben ist seliger als geliebt
zu werden!
STEFAN
Das sagte auch Platon, der Philosoph der Liebe: Der Liebende ist göttlich, nicht der Geliebte.
MARIA
Nun, mein Lieber, du hast mich aus Italien zu dir eingeladen. Mein Lieber, was kann ich für dich
tun?
STEFAN
Als unser so innig geliebter Emmerich heimgegangen ist zu Gott, da fehlt uns seitdem der
Thronnachfolger. Meine heidnischen Vettern haben sich frech und dreist aufgespielt, aber mein
Königreich überlasse ich nicht den Heiden, die Pferde anbeten.
MARIA
Ja, nimm dem Volk die katholischen Priester und sie werden bald wieder die Pferde anbeten.
GISELA
Ich habe lange um eine Lösung des Problems gebetet, bis ich in der Kirche Gottes eine Eingebung
hatte. Maria, dein Sohn Peter soll Stefan auf dem Thron folgen!
PETER
Ich? Glaube mir, liebe Tante, ich fühle das Schwert des Henkers über meinem Nacken niederfallen!
Ich wollte lieber den Künsten und der Weisheit leben.
GISELA
Alles ist eine Frage der Berufung. Wir sind vom Schöpfer berufen worden, in dies irdische Leben zu
kommen. Wir können uns das Leben ja nicht selber geben.
PETER
Verzeih mir, liebe Tante, aber wenn man mich um Erlaubnis gefragt hätte, ob man mich zeugen
dürfe, ich hätte gesagt: Nein, bitte lasst das bleiben! Lasst mich bitte einen puren Gedanken im
Geiste Christi bleiben und schickt mich nicht in diese Welt, die im Argen ist, und in diese böse Zeit.
MARIA
Mein Sohn ist oft sehr schwermütig. Versucht, ihn zu verstehen.
GISELA
So beruft auch Gott die Könige, die in Christi Namen regieren sollen. Die Ewige Weisheit spricht:
Durch Mich regieren die Könige! Wenn Gott dich beruft, mein junger Freund, dann wage es und
antworte Gott mit einem: Ja, ich will, mit der Hilfe der seligen Jungfrau Maria!
PETER
Madonna! Ist es Ihr Wille?
MARIA
Ja, die Madonna will es so!
PETER
Alles tu ich, was die Madonna will! Ich bin ihr allergeringster Sklave!
STEFAN
Gut! Das wäre geklärt. Ich selber, der König, werde meinen Neffen unterrichten in der göttlichen
Weisheit der Regierungskunst. Wir fangen an mit Platons Lehre von der Monarchie und der
Tyrannei, von der Aristokratie und der Oligarchie, von der Demokratie und der Anarchie.
PETER
Platon bevorzugte...?
STEFAN
Platon bevorzugte die Monarchie, die Führung des Staates durch einen weisen und heiligen
Menschen. Gott schenke uns die Ewige Weisheit!

ZEHNTE SZENE

(König Stefan in seinem Sterbebett. Nach Empfang der Absolution, des Leibes Christi und der
Letzten Ölung segnet ihn der Priester mit dem Zeichen des Kreuzes und verlässt das Sterbezimmer.
Königin Gisela tritt ein.)

GISELA
Ach, mein Schatz!
STEFAN
Meine Geliebte, meine beste Freundin! Ich bin zu schwach zum Beten. Bitte wiederhole mir jeden
Tag den Satz, den ich dir jetzt vorspreche.
GISELA
Das will ich tun. Was soll ich dir jeden Tag vorsprechen?
STEFAN
Nur Mut! Bald lässt dich Unsere Liebe Frau in ihren Paradiesesgarten!
GISELA
Ich verspreche, dir dies jeden Tag zuzusprechen.
STEFAN
Komm, setz dich zu mir auf mein Bett. Gib mir deine Hand, mein Schatz!

(Königin Gisela sitzt auf dem Sterbebett Stefans und hält eine zeitlang schweigend seine Hand.)

GISELA
Wenn ich an meine beiden Söhne denke, die ich gleich nach der Geburt verloren habe – du wirst sie
bald wiedersehen. Und, nicht wahr? Unser Liebling Emmerich war ein Heiliger?
STEFAN
Ja, Emmerich war ein Heiliger! Dir Mutter Kirche wird ihn gewiß bald heilig sprechen!
GISELA
Meinst du, Jesus wird zu dir kommen und seine Engel werden dich in den Himmel tragen?
STEFAN
Ach, ich hab es aufgegeben, mir irdische Bilder vom Himmel zu machen. Es ist eben doch etwas
gar zu Großes, was Gott denen bereitet, die ihn lieben. Da reicht eben unsre menschliche Phantasie
nicht aus, sich das vorzustellen.
GISELA
Sag, hast du Angst vor dem Tod? Zweifelst du, ob dich das Nichts erwartet oder das Ewige Leben?
STEFAN
Mich überfällt immer wieder die Finsternis der Todesangst und ich fühle wie die elenden Gottlosen
einen Horror vor dem Vakuum nach dem Tode!
GISELA
Hilft dir dein Glaube nicht mehr?
STEFAN
Doch, ich weiß, dass mein Erlöser lebt und dass ich ihn in meinem Leibe und mit meinen Augen
schauen werde! Aber ich leide die Finsternis der Todesangst all meiner heidnischen Magyaren.
Stellvertretend für meine gottlosen Landeskinder leide ich den Horror vor dem Vakuum!
GISELA
Wie kannst du das ertragen? Kannst du denn als ein Gläubiger freiwillig die Todesangst der
Gottlosen leiden?
STEFAN
Ach, was können menschliche Worte sagen? Nichts kann man sagen!
GISELA
Sag, dass du nicht verzweifelst!
STEFAN
Ich gehöre Jesus und Jesus ist mein! Ich weiß, ich werde ein Gott in Gott sein...
GISELA
Ein Gott in Gott...?
STEFAN
Das sagen doch die griechischen Väter: Gott ist Mensch geworden, auf dass der Mensch Gott wird.
Gott ist Gott seinem Wesen nach, aber der Mensch soll aus Gnade Gottes ein Gott in Gott werden.
GISELA
Denkst du nicht an die Wiese des Jenseits, an den Garten des Paradieses?
STEFAN
Ich kann mir das Jenseits schon gar nicht mehr als Land denken. Ich fühle, wie ich mich langsam
auflöse und verlösche in einem Ozean der Ewigen Liebe!
GISELA
Ich werde dir folgen.
STEFAN
Siehst du dort das Licht an der Tür?
GISELA
Nein, ich sehe nichts.
STEFAN
Die heilige Jungfrau ist da! Sie lächelt so charmant... – Ja, Maria....

(Stefan stirbt.)

FAUST

PROLOG IM HIMMEL

(Der Herr Zebaoth, die himmlischen Heere. Später Asmodeus. Die drei Erzengel Sankt Michael,
Sankt Gabriel und Sankt Raphael erscheinen.)

SANKT RAPHAEL
Die Sonne singt in alter Weise
In heiliger Geschwister Chor,
Bei ihrer großen Sphärenreise
Oft kommen Donnerschläge vor.
Die Engel stehn, sich zu ergötzen,
Ein jeder Engel, wie er mag.
Das Spiel nach ewigen Gesetzen
Ist lustig wie am ersten Tag.
SANKT GABRIEL
Du kannst das Beste doch nicht fassen,
Wie Mutter Erde sich bewegt,
Mal von der Sonne übergossen,
Mal samtnes Schwarz sich niederlegt.
Da bäumt sich auf die See mit Schäumen
Und spritzt aus tiefem Felsenspalt
Und geistig Wassernymphen träumen,
Die Erde leidet die Gewalt!
SANKT MICHAEL
Und wilde Stürme, immer reger,
Von Land zu See, von See zu Land,
Die wilde Jagd, der wilde Jäger,
Der Jäger steckt das Haus in Brand.
Ein Blitz, ein Schlag vom Donnerhammer,
Der Hammer donnert immerzu.
Dein Sklave, Gott, in seiner Kammer
Liegt da in schönster Seelenruh.
DIE DREI
Die Engel stehn, sich zu ergötzen,
Ein jeder Engel, wie er mag.
Das Spiel nach ewigen Gesetzen
Ist lustig wie am ersten Tag.
ASMODEUS
Herr, wieder gibst du eine Audienz,
Willst hören, ob wir sind mit dir zufrieden.
Sonst gnädig auch, mein Gott in Evidenz,
Bescheiden hab ich mich zu dir beschieden.
Alexandriner auf Franzosenweise
Kann ich nicht machen, wie der Franke macht,
Doch sollst du lächeln, Gottheit, lieblich leise,
Hat Jesus doch mit Kindern auch gelacht!
Vom Universum weiß ich nicht zu reden,
Von Adam doch und Eva nackt in Eden,
Und jeder Mann behauptet, er hab Recht,
Er sei ein Mann vom göttlichen Geschlecht!
Doch ist es wie beim ersten Sündenfall
Gleich nach des Weltalls allererstem Knall,
Da Adam pflückte sich die Feige weg:
Auf Evas linker Brust den Schönheitsfleck!
Der Mann doch lebte glücklich seine Brunft,
Wenn du ihm nicht gegeben die Vernunft.
Ja, graut dir nicht, siehst du das Affentier,
Von hinten auf die Kuh dringt ein der Stier.
Bei Tieren wohl geschieht das dann und wann,
Wenn aber viehisch sich verhält der Mann,
Wenn er es nicht gesteht dem Ohrenpriester,
So ist er bestialischer als Biester.
O Majestät, geschehe Euer Wille!
Der Mann erscheint mir ähnlich einer Grille,
Die vor der Pforte der Geliebten zirpt,
Ums Plätzchen an dem warmen Ofen wirbt,
Allmorgentlich in feuchten Nebelschwaden
Süß zirpt wie die französischen Zikaden,
Meint, seine Stimme sei wie Orpheus stark,
Hüpft einfach in den allerersten Quark!
HERR ZEBAOTH
Was läuft dir sonst noch über deine Galle?
Verklagst du nicht die Menschensöhne alle?
Bist du mit dem, was weise ich beschieden,
Mit meiner Liebesgunst denn nie zufrieden?
ASMODEUS
Nein, Donnerer, mit deinem Donnerhammer,
Mich jammert so des armen Menschen Jammer
Und ich kann nur noch lamentieren, klagen!
Frau Armut selber wag ich nicht zu plagen!
HERR ZEBAOTH
Kennst du den Doktor Johann Faustus recht?
Der Dulder Hiob ist mein bester Knecht!
ASMODEUS
Der Doktor Mysticus der Kabbala?
Mein Drittes Auge ihn heut morgen sah,
Wie geistig seinen Esel er geritten,
Beflügelt ist ins Paradies geglitten.
Vom Himmel will er Lämmerwolken pflücken
Und auf der Erde weiche Weiber ficken.
Herr! Bleibe hart bei solcherlei Begehren,
Sollst ewig eine Vulva ihm verwehren,
Er wäre nach dem Akte schlaff und matt
Und all sein Liebeshunger doch nicht satt,
Denn wie nach den Mätressen einst die Fürsten,
Ist in ihm ewig-ewigliches Dürsten!
HERR ZEBAOTH
Geht er auch in der Gottesfinsternis,
Will dringen er in jeglichen Abyss,
Einst wird entschleiern sich die Gotteswahrheit,
Er schaut die Gottheit dann in bloßer Klarheit!
Und liebt und hofft er, weiß er auch zu schweigen,
Die Ewigkeit einst schenkt ihm ihre Feigen!
ASMODEUS
Ha! Majestät, ich packe Euren Knecht,
Den Faust, an seinem göttlichen Geschlecht,
Versuche ihn mit Geld und Macht und Sex,
So ist er bald der lieben Gottheit Ex!
HERR ZEBAOTH
Geh, Asmodeus, prüfe meinen Knecht,
Ich aber sprech aus Gnade ihn gerecht.
Versuche ihn mit Unzucht, ob er fehle,
Doch Mein bleibt seine gottgeweihte Seele!
ASMODEUS
Wohlan, ich geh wie andre Gottesboten,
Versuchen kann ich ja nicht mehr die Toten,
Versuchen will ich jene, die noch leben,
Die Männer, die vor Weiberbrüsten beben!
Die Toten, Herr, die kann ich nicht mehr packen,
Die Lebenden jedoch mit prallen Backen!
Was soll mir in dem Grabe das Skelett?
Die leben, lock ich in der Unzucht Bett!
HERR ZEBAOTH
Gut, Asmodeus, Doktor Faust sei dein,
Versuche ihn, ob er die Quelle rein
Der Liebe, dieser Herrscherin von Sternen,
Verlassen wird für schmutzige Zisternen?
Und wenn vergebens meine Gnade quölle,
Kommt er zum Teufel in die Feuerhölle!
Doch, Dämon, sei beschämt, musst du bekennen:
Allein muß ich im Pfuhl aus Feuer brennen,
Der Wahre Mensch ist mir zur Last geworden,
Zur Last – und nicht zur Lust im Wollust-Orden!
ASMODEUS
Gut, geh ich zu den Dornen und den Nesteln,
Ich will ihn mit dem Nesselhemde fesseln,
Versuch ihn, nichts als Lust um Lust zu suchen,
Mit geilen Huren will ich ihn versuchen,
Und will es mir mit Huren nicht gelingen,
Die schon so manchen freien Christen fingen,
Ich Dämon bleibe dennoch unverzagt,
Versuche ihn mit einer frommen Magd!
Er buhlt mir noch um ihre Apfelwangen!
Verflucht ist er wie andre kluge Schlangen,
Soll wie die Schlange und wie andre Lurche
Mir kriechen durch die schwarze Ackerfurche!
HERR ZEBAOTH
Du hast den freien Willen, freier Geist,
Ob du auch unrein bist und Dämon heißt,
Zur Erde geh hinab von Zions Hügel,
Sei einsichtsvoll und klug wie Eulenspiegel.
Der Mann, ich rufe ihn, sich aufzuraffen,
Mit seiner Schöpferkraft ein Werk zu schaffen,
Und sehnt er sich nach absoluter Ruh,
Geselle ich ihm einen Bruder zu.
Der Freund und Bruder, das ist ohne Zweifel
Sein Schatten oder auch sein eigner Teufel.
Ihr aber, meine gottgetreuen Engel,
Gehorsam ihr der Jungfrau ohne Mängel,
Den Menschen führt ins Land von Seim und Butter,
Gott liebt den Menschen ja wie eine Mutter!
So soll der Mann in seines Gottes Namen
Zur Engelsernte säen seinen Samen.

(Der Himmel schließt sich.)

ASMODEUS
So ab und an hör ich doch gern den Vater,
In Uranos den liebevollen Pater.
Ich möcht mit meinem Gott und Herrn nicht brechen,
Der menschlich mit Dämonen weiß zu sprechen.

NACHT. FAUST IN SEINER ZELLE.

FAUST
Ich las so manchen Philosophen,
Gold aus der Weisheit Feuerofen,
Doch fand ich nicht die Dame Chockmah.
Ich kenn der Theologen Dogma
Und auch die Politik der Staaten
Und leider, ach, die Advokaten!
So steh ich nun als Tor der Toren,
Als hätt ich den Verstand verloren!
Geworden bin ich ein Magister,
Ein Doktor auch wie die Geschwister.
Sei sieben Jahren bin ich Lehrer
Und mach es meinen Schülern schwerer
Und schwerer Jahr um Jahr, sie müssen
Erkennen, dass sie gar nichts wissen,
Ob sie es auch nicht wollen leiden,
Doch sollen bleiben sie bescheiden.
Ich aber bin nicht wie die Affen,
Die Wissenschaftler und die Pfaffen.
Ich lob mir schöpferischen Zweifel
Und habe keine Angst vorm Teufel.
Doch seit ich Weisheit zu mir nahm
Mit Löffeln, fühl ich Gram, nur Gram,
Seit ich geheimer Einsicht seh,
Ich fühle in der Seele Weh.
O Demut! Dies ist einzusehen:
Ich kann die Gottheit nicht verstehen!
Ich habe mich des Amts entledigt,
Ich hab schon lang nicht mehr gepredigt
Und allen Weisheit angeboten,
Ich gleiche mehr den Idioten,
Bei all der Vielgelehrten Tanz
Bin ich der Doktor Ignoranz!
Frau Armut hält mich jetzt besetzt,
Das Geld, das alle Welt ergötzt,
Das rinnt mir nur durch meine Finger,
Ich bin nicht Mammons treuer Jünger.
Auch bin ich schön nicht von Gestalt,
Der Bart ist grau, jetzt bin ich alt,
Und faulig dampft mein Atemhauch
Und vor mir her trag ich den Bauch
Und hab im Hirne manche Grille
Und vor den Augen eine Brille.
Durch meine Seele geht ein Messer!
Da geht es jeder Hündin besser,
Die, wenn die jämmerliche jault,
Von ihrem Frauchen wird gekrault!
So! Jetzt studier ich die Magie,
Erforsch geheime Sympathie
Der Zwillingsseelen und der Geister
Und lerne Zauberwort der Meister
Und gurre wie ein Turteltauber,
Ein Psalm ist mir ein Liebeszauber,
Mit Salomo ich tue kund,
Wie eng der Hindin Muttermund,
Frau Weisheit will ich nicht vertauschen,
An ihren Brüsten mich berauschen!
Doch in dem Dunkel meiner Nächte
Ich suche jene Macht der Mächte,
Die in dem ganzen Weltgetriebe
Die Energeia ist, Frau Liebe!
Komm nur ins Offene, mein Freund!
Schau, ob die Sonne heiter scheint?
Mit des okkulten Philosophen
Agrippa aus dem Feuerofen
Der heiligen Magia geh
Ich durch die Sphären, ob ich seh
Geschrieben dort das Zauberwort:
Verkehrtes Wesen, fliege fort!
Die Unverschleierte, Frau Wahrheit,
Will schauen ich in bloßer Klarheit,
Die Unverschleierte erreichen!
O, Pentagramm – okkultes Zeichen!

(Er schlägt das Buch der Okkulten Philosophie auf.)

Was ist das für ein Pentagramm?


Ein Drache kommt und nicht ein Lamm?
Der Mutter Erde Seele will
Beschwören magisch ich und still.
Der Mutter Erde Seele seh
Als Lebewesen ich, als Fee.
Jetzt fühl ich Grünkraft, Lebenskraft,
Vitalität voll Lebenssaft!
Die Schlange steigt mir durch den Sexus
Und aufwärts durch den Solarplexus
Und löst den Knoten in der Kehle!
Erleuchte meine Gottesseele,
Mein Drittes Auge in der Stirne,
Du Gott im eigenen Gehirne!
Nun geht zu Bett die junge Luna,
Aurora lächelt als Fortuna!
Ich fühle neues Liebesleben!
Von oben fallen Spinneweben,
Mir in das Haupthaar fällt die Spinne,
Vor Angst mir schwinden meine Sinne!
Weg, Geist der Angst, ich will dich bannen,
Nicht weibisch zagen, mich ermannen!
Ich sehe dich, o Mutter Erde,
O Göttin, schrecklicher Gebärde,
Nicht eben wie Madonna edel,
An deiner Brust ein Totenschädel,
Ein Rosenkranz von Totenschädeln!
Die Haare dir wie Schlangen wedeln!
Ha! Aber dir will ich mich schenken,
In deinen Schoß mich tief versenken!
Und ob die Göttin auch mich quäle –
Dir, Elfe, weih ich meine Seele!

(Er spricht ein orphisches Gebet an die Göttin Gäa. Die elfengleiche Seele der Mutter Erde
erscheint.)

SEELE DER MUTTER ERDE


Da bin ich! Du hast mich beschworen.
FAUST
Ich Narr der Narren, Tor der Toren!
Nun hör ich deine Seele brausen,
Sanft säuselnd sausen, fühl ich Grausen!
SEELE DER MUTTER ERDE
Dein Wort hat mich zitiert, berufen,
Ich kam herauf die Treppenstufen.
Was möchtest du von mir, mein Faust?
FAUST
O Mutter Erde, wie mir graust!
SEELE DER MUTTER ERDE
Du riefest mich mit deinem Leben,
Mit heimlich magischen Geweben.
Was soll ich geben meinem Toren,
Der mich mit seinem Wort beschworen?
Wie? Nun du machst dir in die Hose,
Da ich erschein als rote Rose?
Ein echter Übermensch bist du!
Ein Weiser ohne Seelenruh!
FAUST
Hier stehe ich wie Doktor Luther,
Ich kann nicht anders, Große Mutter!
SEELE DER MUTTER ERDE
In allem Lebensdrang der Triebe
Ich wehe geistig voller Liebe
Von Alpha bis nach Omega
Im Namen Gottes: Ich bin da!
Das Leben, prall von Wollust-Wut,
Das Leben gleicht der wilden Flut!
Die Ebbe in dem Abendrot,
Das leise Fliehen, ist der Tod!
Ich bin die Weberin und webe,
Ich nur an meinem Webstuhl lebe,
Denn Gottes Kleid ist die Natur,
Ein transparentes Kleidchen nur!
FAUST
Dein sanftes Sausen ohne Fehle,
Das fühle ich, du Weltenseele,
Dein sanft verschwebend Säuseln sacht,
Weltseele, fühl dich in der Nacht!
Die Täubchen gehn in ihre Nester –
Weltseele, du bist meine Schwester!
SEELE DER MUTTER ERDE
In meinem gottgehauchten Wesen
Kannst du in Wahrheit gar nicht lesen.
Doch zeig ich dir mein schönes Scheinen.
Faust, bleibe du mit deinen Beinen
Nur sicher auf der Erde stehn.
Ein Mann wird Gott doch nie verstehn!

(Die Seele der Mutter Erde wird wieder unsichtbar.)

FAUST
Ich Übermensch! Ich bin kein Gott?
O Weltenseele, welch ein Spott!
Gott schuf den Mann nach seinem Bilde,
Zumeist die Frau, so sanft und milde!
Von Elfenbein ist Sie ein Turm –
Ich aber zucke wie ein Wurm!

(Es klingelt an der Tür.)

O Bruder Tod! Das ist wohl der Student


Der Alchemie? Beim fünften Element!
Bei allen Göttinnen, die um mich werben,
Der Hanswurst wird mir alle Lust verderben!

(Detlev Wagner im Schlafrock und in Pantoffeln tritt ein.)

DETLEV WAGNER
Du deklamiertest wie Rhapsoden laut.
Wer kriegt in der Komödie denn die Braut?
Wie? Oder sprichst du tragisches Theater,
Wo Ödipus Rival war seinem Vater?
Von dem Theater unsrer alten Griechen
Ist viel zu lernen. Ihnen nachzukriechen
Schien Nyssos’ Gregor wert und auch Sankt Paul.
Wie tragisch ist der Selbstmord doch von Saul!
Auch das Theater scheint mir wie geschaffen
Für das Sakraltheater unsrer Pfaffen.
FAUST
Wenn nur der Pfaffe nicht mit großem Durst
In der Komödie spielt nur den Hanswurst!
WAGNER
Ach, ist ein Pfaffe doch kein Philosoph! Ah,
Er sitzt gemütlich sonntags auf dem Sofa
Und tut sich des Gebets entledigen
Und kann nur Ungesalznes predigen.
Wer nicht hinaustritt in das Weltgetriebe
Und nie besessen war von heißer Liebe
Und tat auch nie ein schönes Weib begehren,
Was soll der gute Mann die Männer lehren?
FAUST
Man liest in Büchern alter Kirchenväter
Und hört den Vater in dem Dom Sankt Peter.
Wenn aber Gott ist nicht erlitten worden,
Dem hilft auch nicht der Mönche Mystik-Orden!
In deinem Innern suche deinen Gott,
Sonst wird dir selbst die Bibel nur zum Spott!
Doch plappre nach den Katechismus nur,
Fühlst du nicht, wie der Herr gen Himmel fuhr
Als Feuerphönix aus der heißen Asche,
Dann weiter nicht nach Luftgespinsten hasche.
Dann, Wissenschaftler vor dem Tuch der Tücher,
Dann schreibe lieber Kinderfabelbücher.
Ein wahrer Gaudi ist ein Kinderbuch!
Doch wer nie roch der Rose Wohlgeruch,
Der kann auch plappern nächtlicher Vigilien
Von kühler Keuschheit rauhreifweißer Lilien!
Wer Gott erfahren nicht in Todesschmerzen,
Der rührt auch nie die schönen Frauenherzen!
WAGNER
Ein Prediger zu sein gelehrter Predigt,
Der sich der Bibelwissenschaft entledigt,
Rhetorik braucht es mehr als Fanatismus,
Historisch-kritisch sei der Biblizismus.
Denn wenn die Schwärmer sterben ihren Göttern,
Wir Prediger, wir lehren nach den Lettern.
FAUST
Ja, lesen muss man können, das hilft viel,
Am allermeisten bei dem Kartenspiel,
Und wer nicht rechnen kann wie Mammonas,
Herzdame er verwechselt mit Pik-As.
Doch Freundschaft – ach die Freundschaft! – oder Liebe –
Da braucht es heißes Blut und Lebenstriebe!
Es lehrt dich doch kein Buch das rechte Rammeln!
Du glühe nur, dann strömt dir schon dein Stammeln!
WAGNER
Ach, vieles will ich wissen von der Welt,
Will kennen Papst und König, Narr und Held,
Weltwissen steht in Büchern, die sind dick,
All das zu lesen, das ist mein Geschick.
Ach, manchmal brennen mich auch heiße Lüste,
Passionen mir durchwühlen meine Brüste,
Doch Arbeit kühlt mich ab! Das ist perfekt,
Den Eros treibt nur aus der Intellekt!
Bevor du Blutschweiß schwitzt von Eros heiß,
Verdiene Geld in Angesichtes Schweiß!
FAUST
Der rationale Intellekt befriedigt
Den Busen dir? O Mann, wie du erniedrigt
Durch deine Arbeit bist, durch den Verstand!
Ah, meine Seele lodert stets im Brand!
WAGNER
Man muss doch bei den biblischen Geschichten
Und was die Hagiographen alles dichten
Bedenken der Historie Fundament.
Wenn man wie ich so gut die Bibel kennt,
Berührt dich weiter nicht das Hohelied,
Das allegorisch man zu sehr bemüht.
FAUST
Ja, steige in die Lettern, tret das Pflaster
Der Bibelwissenschaft! „Ich bin der Aster“,
So sagt der Herr. Der Herr sich offenbarte
In diesem Wort als göttliche Astarte!
WAGNER
Die Wissenschaft ist rational und kühl,
Denn allzu heiß scheint mir das Liebesspiel.
Bevor ich selbst verbrenne an der Liebe,
Von Liebeskunst ich lieber Bücher schriebe!
FAUST
Ach, alle Weisen müssen mystisch schweigen!
Wer je sich pflückte der Erkenntnis Feigen,
Der schweige von der Gottheit höchstem Reize,
Sonst findet er sich wieder an dem Kreuze!
Am Kreuze aber findet er nur Hohn:
Du hältst dich selber wohl für Gottes Sohn?
Doch es ist spät, mein lieber Freund und Bruder,
Die Nacht ist schwarz und Laila ist ein Luder!
WAGNER
Tiefsinnigster Genosse meines Lebens,
Wie inspirierst du meines Wissenstrebens
Gewissenhaften Fleiß! Ich hätt die Nacht
Noch gern mit dir beim Glase Wein verbracht.
Ist morgen doch der Ostersonntag! Siehe,
Ich bin schon wach vorm Morgenrote frühe.
Nach einer Flasche Rotwein übernachte,
Weil ich nach meinem Ostersonntag schmachte!

(Wagner ab.)

FAUST
Ah weh! Mir ist zum Heulen und zum Schreien!
In seinem Kopf nur Spiegelfechtereien!
Er gräbt ein Loch, als ob er Gott ergründet,
Ist froh schon, wenn er nackte Würmer findet!

OSTERSPAZIERGANG

(Johann Faust und Detlev Wagner.)

FAUST
Von Eis befreit ist nun der klare Bach,
Der Zephyr bläst die kleinen Hügel wach.
In Wiesen grün die Gräser sind voll Saft,
Dem Winter ist erschlafft die scharfe Kraft,
Der Winter schleicht an seinem Stocke fort,
Noch kommt des Hagelschlages böser Mord,
Auch das Spektakel geht doch bald vorbei,
Die weißen Tropfen auf dem grünen Mai.
Die Sonne strahlt im heitern Herzen schön!
Die Knospe auch mit seufzendem Gestöhn
Leis öffnet ihre Lippen Taues Tropfen,
Die Falter, sich mit Nektar vollzustopfen,
Umflattern allerschönste Blumen heute
Und freundlich sind die wundervollen Leute.
Von Berg zu Stadt die Menschen voller Ruhe
Dem Tor entquellen, gürten ihre Schuhe.
Die Kleinen und die Großen fröhlich blicken,
Schön sind die Schlanken, schön sind auch die Dicken.
Und alle tragen ihren Sonntagsstaat,
Als ob der Tag der Auferstehung naht,
Der Auferstandne kommt aus seinem Grab
Und segnet Magdalena mit dem Stab.
Aus guter Stube zu dem roten Staube
Das Menschenvolk wie eine pralle Traube,
Dort tanzen sie im lüsternen Getümmel,
Der Frauen Tanz, das ist der Männer Himmel.
Und jeder fühlt die Liebe Gottes rein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich menschlich sein!
WAGNER
Mit dir, mein Doktor Faust, spazierengehn,
Mit deinen Augen die Natur zu sehn,
Ist pure Poesie. Was ich nicht lobe,
Das Allzumenschliche, das Stofflichgrobe!
Ich nur allein wär sicherlich nicht hier.
Der Mann in seiner Lust brüllt wie ein Stier.
Ihr Hörnerblasen und ihr schrilles Geigen
Ist nicht so schön wie meiner Zelle Schweigen.
Und dieses Stöhnen zu der Trommeln Klang,
Die Eselsschreie nennt man dann Gesang!

(Tanz lustiger Dirnen! Der alte Bauer Georg mit einem breiten Becher Wein tritt zu Faust.)

BAUER GEORG
Mein lieber Doktor, Freund und Kupferstecher,
Vergessen hat uns nicht der große Zecher!
Daß so ein tiefgelehrter Weiser heute
Auch freundlich denkt an seine kleinen Leute!
Hier wie ein Becken reich ich dir den Becher,
Den breiten Becher sauge leer der Zecher!
Und hast du diesen Becher leergetrunken,
Noch einmal füllt der Becher sich mit Funken,
Wie aus dem Becher rote Tropfen rinnen,
So mögest du Frau Ewigkeit gewinnen!
FAUST
Ja, Dank für dieser Liebe Feuerregen!
Die Liebe Gottes spende dir den Segen!

(Er setzt den breiten Becher an die Lippen und schlürft bacchantisch-genüsslich.)

BAUER GEORG
Gut, dass du kommst, um kräftig zu genießen,
Weil deiner Nächstenliebe Gnaden fließen
Doch allezeit zu Krüppeln, Seelenkranken,
Die todgeweihten Kinder kommen danken!
Du warest Retter in der schwersten Stunde,
Nun küss den Becher auch mit heißem Munde!
Dein Vater Konrad half uns, als die Pest
Auf Erden hielt ihr großes Totenfest,
Du, noch ein junger Mann, um uns zu retten,
Du hieltest Wache an den Krankenbetten.
Wen gestern tat das Leben lustig laben,
Den haben heut die Pfaffen schon begraben.
Du warest unser Retter, so als sei
Der Heiland mit dir, Christus stand uns bei!
VOLK
Gesundheit dir am Leib und an der Seele,
Daß nie uns deine starke Hilfe fehle!
FAUST
Der Hilfe Gottes sei allein die Ehre,
Daß uns die Hilfe hilft und uns bekehre!

(Johann Faust und Detlev Wagner gehen weiter.)

WAGNER
Das strömt dir doch wie Wein durch deine Kehle,
Wirst du so hoch gelobt, du feine Seele!
Durch dich die Gnaden zu den Kranken fließen,
Nun darfst du auch ihr Dankeschön genießen!
FAUST
Komm, setzen wir uns hier auf diese Bank,
Hier wollen wir von allem Rennen rasten.
Hier, als die Menschen von dem Pesthauch krank,
Hier saß ich oft zu beten und zu fasten.
Hier wagte ich, und keiner konnt mich dämpfen,
Wie Jakob selber mit dem Herrn zu kämpfen!
Wie Jakob tat ich mit dem Engel ringen,
Der Krankheit Ende rasch herbei zu zwingen!
Was soll der Toren Lob, der Toren Tadel,
Was der Gesang von meinem Seelenadel?
Ich kenne meines Vaters Konrad Plan,
Adept der Alchemie, ein Scharlatan,
Mit Elixieren und geheimen Pillen
Gott aufzuzwingen seinen eignen Willen
Und mit der Energie der Nervenbahnen
Des ganzen Universums Heil zu planen,
Aus Sonnenstrahlen wollt er saugen Geister,
Bezaubern Kranke wie ein Zaubermeister,
Wie weise Magier vom Morgenland
Zu heilen durch die Segnung seiner Hand,
Zu heilen jede seelische Psychose
Durch die Magie bezaubernder Hypnose,
Zu rufen die Dämonen wie Schamanen,
Weltseelenpriester gleich den Scharlatanen,
Und doch zu sein vorm großen Gott ein Spötter,
Sich selbst zu sehn als höchsten Gott der Götter!
WAGNER
Ein junger Mann soll von dem Alten lernen,
Der wanderte durch weltenweite Fernen,
An Vater Konrad denk ich noch in Wehmut.
Ein Alleswisser! Doch ihm fehlte Demut!
FAUST
Glückselig ist der Mann, der sich erlösen,
Befreien kann aus aller Macht des Bösen.
Mein Glück ist sicher nicht von dieser Welt,
Was meine Seele in den Händen hält,
Das will ich nicht, das ist nur meine Pflicht,
Was ich begehre, das bekomm ich nicht,
Was ich nicht haben darf, das ist das Beste
Und machte erst mein Leben mir zum Feste.
Doch muß ich mich ja meinem Schicksal fügen
Und ist auch grenzenlos mein Ungenügen!
Tarnkappe auf des starken Siegfried Haupt –
So hat er die Brunhilde sich geraubt!
Die Siebenmeilenstiefel an den Füßen,
So möcht ich wohl den Garten Gottes grüßen.
Auf einem Teppich wollt ich fliegen können,
Prinzessinnen von Hindostan mir gönnen.
Möcht auf dem Flügelross wie Mohammed
Zum Huri-Himmel, wo die Latte steht!
Mit Pegasos vom Schoße der Meduse
Ich wollte reiten wohl zum Kuss der Muse!
Die Wirklichkeit jedoch behält den Sieg,
Das lehren mich Doktoren der Physik.
WAGNER
Ach, fliegen kann ich selbst in Träumen nicht,
Und flattern Schmetterlinge in dem Licht,
Beneid ich nicht der Schmetterlinge Flügel.
Wohl wallt ich gerne über kleine Hügel,
Doch mehr noch als der Rose Wohlgeruch
Lieb ich in langer Winternacht ein Buch,
Wo Männer streuen ihre Geistessamen
Und schön und liebevoll sind alle Damen.
FAUST
Du willst nur weise werden durchs Studieren,
Ich will mich in der Lebenslust verlieren!
Di-Psychos bin ich, Doktor Schizophrenus,
Will Sapientia und auch die Venus!
Ich will hinan zur höchsten Gottesliebe
Und auch befriedigen die heißen Triebe!
Will, dass mein Geist der Gottheit Antlitz schaut
Und will im Bette willig meine Braut!
Ach wenn ich zaubern könnte, Gott beschwören
Und durch Magie das schönste Weib betören,
Ich gäbe für ein Weibchen, willig, weich,
Für ihren Schoß dahin das Himmelreich!
WAGNER
Ich las, des Weibes Wollust sei erlabend.
Doch lass uns gehn. Wie kühl ist doch der Abend.

(Sie gehen)

FAUST
Siehst du die schwarze Hündin auf der Wiese,
Die schwarze Hündin mit dem schwarzen Vliese?
WAGNER
Läuft brünstig um wie eine junge Hindin!
FAUST
Was hältst du von der jungen schwarzen Hündin?
WAGNER
Was soll ich mir bei einer Hündin denken?
Den Berner-Sennen-Hund lass ich mir schenken,
Am Abend nach der Arbeit zu spazieren.
Ich gehe gerne um mit schönen Tieren.
Ein Tier vermag uns nicht das Herz zu brechen
Und nicht wie Frauen stets zu widersprechen!
FAUST
Doch siehst du nicht? Das Auge einer Lüchsin,
Die Gier der Wölfin und die List der Füchsin,
Umkreist sie uns in Kreisen der Magie.
WAGNER
Ich seh nur eine schwarze Hündin, die
Nach einem Herrchen sucht, das ihr befehle.
FAUST
Sie kommt heran! Bei meiner armen Seele!
Sie hat wohl großen Hungern nach was Leckerm?
Siehst du die Zunge an der Schnauze schleckern?
Die schwarze Hündin – Dämon, will mir scheinen –
Ist mit der Schnauze zwischen meinen Beinen!
WAGNER
Ich weiß, dass du der Teufel Namen kennst,
Doch dies ist eine Hündin, kein Gespenst.
FAUST
Ach, leider, ja, ganz hündische Natur,
Kein Geist! Ist alles nichts als nur Dressur!

DIE ZELLE DES WEISEN

FAUST
Verlassen habe ich den Garten,
Die liebe stille Nacht ist da.
Was Weise mir doch offenbarten,
Ich selbst mit eignen Augen sah.
Doch nehm ich jetzt die liebste Bibel,
Ist alles andre nur von Übel.
Still, Hündin, belle nicht so laut,
Frau Weisheit ist jetzt da, die Braut!
Was hat die Hündin doch für Launen!
Was hör ich doch die Winde raunen?
Ach, wem nur in der eignen Kammer
Die Lampe wieder ruhig brennt,
Dahin ist aller Elendsjammer
Der Seele, die sich selber kennt.
Still, Hündin, nicht so laut gebellt,
Ich bin im Offenbarungszelt!
Was von der lieben Bibel weht
Und sanft durch meine Seele geht
Wie Geisthauch über Chaoswellen,
Da passt mir nicht der Hündin Bellen.
Frau Welt, Frau Welt, beim Friedefürsten,
Du kannst mir stillen nicht mein Dürsten.
Steht, was mir in der Seele brennt,
Doch längst im Neuen Testament!
Will ich die Koine einmal lesen,
Studieren das geheime Wesen,
Und schaun, wie man die Griechenzunge
Verdolmetscht deutsch. Mein lieber Junge!
Des Evangeliums Ergötzen
Ist schwer in Deutsch zu übersetzen.

(Er schlägt den Urtext der Bibel auf.)

Im Anbeginne war das Wort,


Das Wort war Gottheit fort und fort.
Das Wort? Das kann ich nicht verstehn.
Das Wort? Das finde ich nicht schön.
Ah, bei der Inbrunst meiner Brunft:
Am Anfang war die Allvernunft!
Doch denke nach. Nur keine Eile.
Gut Ding will haben lange Weile.
Ist das Vernunft, die alles schafft?
Am Anfang war die Lebens-Kraft!
Doch kann ich dieses Wort nicht lieben:
Private Gründe. Drum geschrieben
Sei diese Weisheit als ein Fakt:
Am Anbeginne stand der Akt!

(Er lächelt.)

Ha, biblizistische Gesellen!


He, Hündin, lass dein lautes Bellen!
Halt deine Schnauze, Hündin, still,
Ich dir den Hintern prügeln will!
Was seh ich da im Lampenscheine?
Was, Hündin, bist denn du für eine?
Aus dieser Hündin schwarzem Vliese
Aufsteigt ein roter Geistesriese!
Das ist nicht hündische Gestalt,
Das ist dämonische Gewalt!
Jetzt ist er größer als ein Ochse!
Der Dämon da, der orthodoxe,
Er spiegelt sich in meinem Fenster
Als Urgespenst der Nachtgespenster!
Wer bist du, schrecklicher Geselle,
Du Junker aus der Feuerhölle?
Zur Feige ich die Finger spreiz
Und schlage mit der Hand das Kreuz!

(Aus einer Rauchwolke tritt Asmodeus hervor.)

ASMODEUS
Was sollen diese Frömmeleien nun?
Was kann ich jetzt für meinen Meister tun?
FAUST
Das also war der schwarzen Hündin Wesen?
ASMODEUS
Ich bin so froh wie eine Magd mit Besen!
Ich grüße meinen Meister sehr gewitzt,
Wie hab ich doch für meinen Herrn geschwitzt!
FAUST
Mir deinen eigentlichen Namen sage!
ASMODEUS
Mein Freund, was ist denn das für eine Frage
Für einen, der das Wort so sehr verschmäht?
FAUST
Wer bist du? Sag, wohin dein Leben geht!
ASMODEUS
Mein Name ist des Bösen Geistes Kraft,
Die Böses will, notwendig Gutes schafft.
FAUST
Der Böse auch muss dienen Gottes Segen?
Das Wort will ich im Herzen oft bewegen.
ASMODEUS
Ich heiße Kraft, der ewige Rivale
Des Guten! In dem Namen aller Baale,
Ich will, was fließet aus des Ursprungs Schlunde,
Zu Leere werde, Nichts und geh zugrunde!
Was ist, wär besser, wenn es gar nicht wäre!
Ich liebe nur die Absolute Leere!
Und was ihr Unzucht nennt, Begierde, Sünde,
Das ist die Höchste Lust, die ich verkünde,
Wonach die Seelen insgeheim doch jagen,
Ich weiß, auch du! Wir werden uns vertragen.
Um deine Doktorgrillen wegzufegen,
Komm ich als Hausknecht dir doch ganz gelegen.
Ich komm zu dir in allerfeinstem Mantel,
Komm, weltlich sei gesinnt dein Erdenwandel!

(Er kokettiert mit seinem teuren Mantel.)

O Stoff, wie Spitzenseide von Brabant!


Bin ich gekleidet nicht sehr elegant?
Die Hahnenfeder sieh am Hute stehen,
Der Degen an der Hüfte ist zu sehen.
Herr Doktor, willst du froh dein Leben treiben,
So musst du dich bekleiden und beleiben.
FAUST
Ich kann aus dieses Tränentals Verließ
Mich nicht erlösen durch ein Goldnes Vlies.
Ich bin zu alt zu frohem Kinderspiel,
Zu jung und heiß, zu opfern mein Gefühl!
ASMODEUS
Ach, was du Mystik nennst, ist Unzucht auch,
Du schmachtest brünstig nach der Gottheit Hauch,
Daß Elohim dem Adam in die Nase
Das Ewig-Leben in der Fülle blase!
Tu unter schönen Weibern nicht so keusch,
Der liebe Gott weiß wohl, du bist vom Fleisch!
Ich spaße! Will ich aus der Mystik Nebel
Dich jagen nicht zum ordinären Pöbel,
Dein Feuer will ich zünden, altes Haus,
Die Lust am Leben, alter Bruder Klaus,
Nicht so in deiner hohlen Zelle lunger
Um alte Pergamente. Liebeshunger!
Den Liebeshunger werde ich dir stillen
Und dich mit allerhöchster Wollust füllen!
Fort aus der Drangsal, Trübsal und Bedrängnis,
Geist, fleuche aus dem Kerker und Gefängnis,
Zu Diensten stehen dir Dämonengeister
Wie einst dem weisen Salomo. Mein Meister
Und Herr bist du, o Faust, so ist es recht,
Du bist der Herr und ich bin nur der Knecht.
FAUST
Was willst du denn von mir für all dein Werben?
ASMODEUS
Ach Doktor, heute sollst du noch nicht sterben.
FAUST
Ach, Luzifer, der ist ein Egomane,
Tut ohne Geld doch gar nichts der Schamane,
Du dienst mir, du, ein Fürst im Höllenthron,
So sag nur offen: Was soll sein dein Lohn?
ASMODEUS
Die Erde mach ich dir zum Garten Eden,
Im Jenseits sollst du Luzifer anbeten.
FAUST
Was kümmert mich die geistige Verbindung
Mit Jenseitsgeistern? Jenseits ist Erfindung
Der klerikalen Reaktion: Erlösten
Sie malen Himmelslust, sie zu vertrösten.
Mein Motto sei ein Carpe diem tüchtig,
Bis ich im Hades Schatten werde flüchtig.
Und schaffst du es, den Kopf mir zu verdrehen,
Kann ich der Lebenslust nicht widerstehen,
Soll zum Genießer ich der Erde werden,
Daß ich nicht lassen will die Lust auf Erden,
Daß ich mir selbst gefalle, mir gefällt
Die Lady Vanity der schönen Welt,
Daß ich mich kann an Vanitas erlaben,
Dann sollst du jenseits meine Seele haben.
ASMODEUS
Die Weihe gilt, geschlossen ist der Pakt.
FAUST
Sag ich, mit Lady Vanitas im Akt,
Daß diese Welt auf Erden mir gefalle,
Ich alsogleich in die Gehenna walle.
ASMODEUS
Ich steh zu Diensten! Doch ich bin durchtrieben,
Erst werde dieses Schriftstück unterschrieben.
FAUST
Ein Mann – ein Wort! Ich hab mein Wort gegeben.
ASMODEUS
Der Satan ist ein Bürokrat im Leben,
Und amtlich muss es sein mit Brief und Siegel,
Sonst öffnet Hedoné nicht ihren Riegel!
FAUST
Ich tauch die Feder in das Tintenfass!
Das Himmelreich für Lady Vanitas!
Das ist ein Schnäppchen. Ha, ich fühl mich gut.
ASMODEUS
Nicht Tinte, pfui! Du unterschreibst mit Blut!
In deinem Blut ist deine Lebens-Kraft,
Die Lebens-Kraft von ganz besondrem Saft!

(Johann Faust unterschreibt bürokratisch den Pakt.)

FAUST
Ich werde meinen Treuebund nicht brechen,
Ich halt der Hölle treulich mein Versprechen.
ASMODEUS
Nun Schluss mit den gelehrten Spinnereien,
Der Mystik Unzucht mit den Innereien!
Das allerschönste Leben wartet draußen,
Komm, Reiter, lass uns auf den Hengsten brausen!
Ja, wiehern wie die Hengste nach den Stuten!
Da warten sie im Grünen schon, die Guten!
Ein Mann, der sich ergibt der Theorie,
Ist wie ein Hengst in einer Wüste, sieh,
Ob er auch schnaubend Atem schnaube, blase,
Vergeblich wiehert er in trockner Wüste,
In Nachbarschaft, da wartet die Oase,
Daß er der Stute feuchte Schnauze küsste!
FAUST
Was tun wir jetzt, du Teufel voller Kraft?
ASMODEUS
Besuchen wir des Lebens Nachbarschaft!
IN DER SCHENKE ZUM JUNGEN FUCHS

(Jugendliche Säufer.)

VOLKER
Wollt ihr nicht saufen? Noch einen Kurzen!
Die Böcke stinken, die Hexen furzen!
Ihr seid mir heute wie nasses Heu!
Ihr wollt nicht brennen! Evoe! Eu!
WERNER
Erzähle doch einen versauten Witz:
Die Ehefrau erschlug der Blitz...
VOLKER
(schüttet dem Werner Wein auf den Kopf)
Empfange so deine Feuertaufe!
WERNER
Du Schweinehund! Saufe, Genosse, saufe!
VOLKER
Na, endlich feierst du deine Genossen!
Wir haben doch all alle Weiber genossen!
THOMAS
Ich hab den Jungfraunberg bestiegen!
SONJA
Ich lache, dass sich die Balken biegen!
VOLKER
Lirum-Larum-Löffelstiel,
Wer nicht trinkt, der wird nicht viel.
THOMAS
Der Träumer aber, der gar nichts wird,
Wird eben freizügiger Thekenwirt.
VOLKER
Freizügiger oder Freigebiger? Hatem,
Ich lob mir betrunken die Jubelflöte!
THOMAS
Deutschland, einig Vaterland!
Ihr bringt mich noch um den Verstand!
WERNER
Nichts von Politik! Bei Beelzebul:
Wie findet ihr den Neuen in Peters Stuhl?
VOLKER
Was reimt sich denn auf Benedikt?
THOMAS
Der Papst, der Papst, von Maria ge—schickt!
ERICH
(singt)
Ich hatte eine Geliebte, Anette,
Die war wie eine Zigarette,
Die ich jetzt liebe mit Venus-Augen,
Ist wie an der Meerschaumpfeife zu saugen!

(Johann Faust und Asmodeus erscheinen in der Tür.)


ASMODEUS
Faust, wenn dir so was Wonne macht,
Das kannst du haben jede Nacht.
FAUST
Moin, Brüder, Freunde und Genossen!
ALLE
Die Theke ist noch nicht geschlossen!
Komm nur herein, bei Babels Leben,
Uns allen einen auszugeben!
THOMAS
Was für nichtswürdige Figuren!
Sie kommen wohl vom Haus der Huren?
VOLKER
Sie halten sich für Geniusse
Von Gnaden Ihro Musenkusse!
WERNER
Ne, ne, das sind nur Harlekine.
SONJA
Und wo ist denn die Colombine?
VOLKER
Ich zieh es ihnen aus der Nase,
Woher der Sturm die Herren blase.

(Volker tritt zu Faust und Asmodeus.)

Kamst du von Hamburg lange Strecken?


FAUST
Wie, Hamburg? Von den Pfeffersäcken?
Gott Brahma reitet auf dem Hansa,
Auf seinem Esel Sancho Pansa.
VOLKER
Seid ihr denn von der Heilsarmee
Und reitet brünstig, wie ich seh,
Fielt auch wie Saulus von dem Gaul
Und missioniert jetzt in Sankt Paul,
Wo Huren frieren in dem Winter,
Wie Paul die Huren der Korinther?
FAUST
Apostelfürsten Paul und Kefa!
Wir alle kommen doch von Eva!
THOMAS
Hat Gott den Adamas geschaffen?
Sprich! Oder stamm ich ab vom Affen?
FAUST
Der Affe kennt sich seinen Trost.
WERNER
Nastrowje, lieben Brüder, Prost!

(Faust und Asmodeus setzen sich, alle trinken.)

VOLKER
Nun sollst du uns ein Ständchen bringen.
FAUST
Ich kann doch nicht nach Noten singen.
ASMODEUS
Ich kann! Ich kann! Ich kann es immer!
Nur kein elegisches Gewimmer!
(singt)
Ich komme aus Arabiens Wüste,
Ich habe Nachtigallenbrüste,
Dort sang ich allen den Suleiken
Von süßen Paradiesesfeigen!
THOMAS
Ha, Bruder, das wird ein Genuss!
SONYA
Hier – hast du deinen Musenkuss!

(Sonja küsst Asmodeus auf die Nase.)

ASMODEUS
(singt)
Es war eine Hure in Korinth,
Wo allerlieblichste Huren sind.
Man nannte die Hure Jungfrau Floh,
Sie knackte die Flöhe auf dem Klo!
Die Flöhe juckten in meiner Scham!
So juckt es der Huren Bräutigam!
THOMAS
Der reine Wahnsinn! Sing doch weiter!
Ich steig noch auf die Himmelsleiter,
Die ganze Arche auszumessen!
ASMODEUS
Wie’s weiter geht, hab ich vergessen.
VOLKER
Vergessen! Bestes der Gebete!
Ich saufe leer die ganze Lethe!
FAUST
Genossen, Freunde, lieben Brüder!
Trinkt ihr denn Essig immer wieder?
Den Messwein habt ihr wohl vergessen?
Trinkt Satansblut in Schwarzen Messen?
WERNER
Er scherzt, uns einen auszugeben!
THOMAS
Er lebe hoch! Hoch soll er leben!
SONJA
Ich trinke Wodka nackt im Schnee,
Ich mag nicht Hagebuttentee!
THOMAS
Weinrosentee von Hagebutten,
Sankt Pauli trinkt es mit den Nutten.
FAUST
Bei meiner Herrin Vanitas,
Die rund ist wie ein dickes Fass,
Ich ziehe jetzt den dicken Pfropfen,
Euch allen euer Maul zu stopfen!
WERNER
Ja, darf ich noch? Kann ich noch stehen?
Ich sehe alles rings sich drehen!
Ich sehe alle Dinge doppelt,
Dort schon die Mausfamilie hoppelt!
Doch nicht geklagt die süßen Schwächen,
Denn Männer können immer – zechen!
FAUST
Gebt einen Korkenzieher! Schaut,
So bohr ich euch die rote Braut,
Mit Feuer euern Geist zu taufen!
Was, lieben Brüder, wollt ihr saufen?
THOMAS
Nacktärscherl diese gute Stunde!
Denn soff ich einst bei Kunigunde.

(Faust bohrt mit dem Korkenzieher in den Thekentresen, und weißer Nacktärscherl-Süßwein fließt
hervor.)

FAUST
Nacktärscherl ist für dich. Und was willst du?
WERNER
Der Dompfaff raubt mir meine Ruh!
Der Dompfaff mahnt mir mein Gewissen,
Das ist das beste Ruhekissen!

(Faust bohrt ihm den Dompfaff an.)

FAUST
Das ist der Dompfaff. Aber nun?
VOLKER
Liebfrauenmilch! Dann kann ich ruhn!
Liebfrauenmilch ist meine Lust
Von Unsrer Lieben Frauen Brust!
FAUST
Liebfrauenmilch! Und du, dein Traum?
SONJA
Rotkäppchensekt mit rosa Schaum!
Rotkäppchen lieb ich, Schaum des Sekts,
So bet ich täglich meine Sext.
FAUST
Der letzte nun? Sprich, bei Don Bosco!
ERICH
Den süßen Perlenwein Lambrusco!

(Alle saufen ihren Lieblingsfusel.)

THOMAS
So große Gnade, ohne Zweifel,
Das kann nur kommen von dem Teufel.
ERICH
Ja, Wein, das war sein letztes Wort,
Dann trugen ihn die Teufel fort.
ALLE
(singen)
Wir kommen alle in die Hölle!
Ah Hölle, Hölle, Hölle, Hölle!
ERICH
He, Sonja! Deine Brüste – Trauben!
An solche Trauben will ich glauben!
Ich bin der Weinstock, du die Rebe,
Nur immer innig an mir klebe!
VOLKER
He, tut doch nicht so aufgeblasen!
Fasst euch doch an die eignen Nasen!
SONJA
Ich hab euch lang genug erlitten!
Die Nasen werden abgeschnitten!
ERICH
Die Nase lass ich mir nicht rauben!
Die Nase steck ich in die Trauben!
SONJA
Wir alle miteinander machen
Der Freien Liebe schönste Sachen!

(Asmodeus wirft Feuer in die Schenke zum Jungen Fuchs.)

FAUST
Genossen! Heil der Mitternacht!

(Faust und Asmodeus ab.)

ERICH
Ich schaute sie die Himmelsleiter
Gen Himmel reiten, Schimmelreiter!
SONJA
Ich sah die beiden als Vampir!
VOLKER
Genossen! Vorwärts! Weg von hier!

NACHDURST-GASSE

Faust. Röschen geht nah an ihm vorüber, er spürt ihre Nähe.

FAUST
O liebe süße Frau, darf ich es wagen,
Als Kavalier der Frau mich anzutragen?
RÖSCHEN
Bin keine Göttin und kein Überweib
Und auch nicht schön, ach, sterblich ist mein Leib.

(Sie geht weiter.)

FAUST
Ich suchte ja nur süßen Zeitvertreib.
Ach, die ist doch ein wahres Wonne-Weib!
Wie fein ironisch! Grimmig, dennoch gütig!
Wie wär sie denn erst, wär sie liebeswütig?
In meinem Leben sah ich nie solch Schätzchen
Wie diese Muschi, dieses schwarze Kätzchen!
O Sanftmut, Demut! Niedliche und Nette!
Ach läg ich mal bei ihr in ihrem Bette!

(Asmodeus kommt.)

ASMODEUS
Mein Herr, wie kann ich heut dir dienen?
FAUST
Oh, jene Miene aller Mienen:
Dies Weibchen sollst du mir besorgen!
Ach wär ich doch in ihrem Schoß geborgen!
ASMODEUS
Du hast kein anderes Problem?
Von wem denn redest du, von wem?
FAUST
Sie ist mir eben erst erschienen!
Ihr möchte ich in Liebe dienen!
Besuchen will ich sie heut abend!
Wie ist mir der Gedanke labend!
ASMODEUS
Ach die! Kommt eben von der Beichte,
Doch ihre Schuld war keine feuchte,
Die Sünde lässlich, lästig, lässig,
Sie war fürwahr nicht übermäßig,
Es ist ein sanftes Ruhekissen
Ihr feingesponnenes Gewissen.
Ja, diese Röschen ist ein Engel,
Ein Sternenwesen ohne Mängel,
Mit ihren grünen Mandelaugen
Kann sie zur Himmelsvenus taugen!
Hat nichts Besonderes zu beichten,
Dämonen all von ihr entweichten.
Geläutert ihr Gewissen, hold,
Der Engel ist so rein wie Gold.
FAUST
Doch will ich ihren Jungfernkranz!
ASMODEUS
Du bist ein geiler Eselsschwanz!
Willst alle Jungfraun deflorieren,
Womit sie ihre Zierrat zieren?
FAUST
Verschone mich mit deiner Ethik!
Vom Eros stammt doch die Poetik!
Gehorche! Mir besorg das Weib,
Den Engel in der Venus Leib!
Die schwarze Muschi, sie mein Schätzchen,
Dies samtne schwarze Schmusekätzchen!
Wenn ich sie heute Nacht nur hätte
Zum Liebesspiel in meinem Bette!
ASMODEUS
Nicht vierzehn Jahre sollst du warten,
Wie Jakob einst auf seine Rachel,
In vierzehn Tagen in dem Garten
Die Blume sticht der Bienenstachel!
FAUST
Nicht vierzehn Tage! Ich will lieben
Die liebste Frau in sechs, in sieben!
Hätt ich nur sieben Tage Zeit,
Da fänd ich schon Gelegenheit,
Sie zu verführen, ohne Zweifel,
Dafür ich brauche nicht den Teufel.
ASMODEUS
Wir gehn mal eben in ihr Zimmer.
FAUST
Ihr Bett zu sehn im Lampenschimmer?
ASMODEUS
Ja, eben leert die Kaffee-Kanne
Sie bei der Busenfreundin Anne.
Jetzt eben wär Gelegenheit,
So einen Hauch von Ewigkeit
An ihrem leeren Bett zu riechen,
Auch unters Laken schnell zu kriechen
Und dann mit heißen schwülen Küssen
Sich zu ergießen in dem Kissen!
Das wird noch was mit euch, ihr Lieben,
Die ihr es schon im Geist getrieben!
FAUST
Geht es an diesen Himmelsort
Jetzt, auf der Stelle, gleich, sofort?
ASMODEUS
Den Hengst, den zügle mit Geduld,
Bald schenkt die Frau dir ihre Huld.
FAUST
Oh, bei dem Gürtel ihre Taille!
Kauf eine silberne Medaille
Mit ihrer Schutzpatronin drauf
Und Rosenöl und Seide kauf!
ASMODEUS
Was die erhitzten Freier denken!
Von all den brünstigen Geschenken
Macht selbst der Mammonas bankrott!
Das liebe Geld! Mein lieber Gott!
ABENDDÄMMERUNG. RÖSCHENS SCHLAFZIMMER.

RÖSCHEN
(vor dem Spiegel ihre Haare frisierend)

Wenn ich nur wüsste, wer der Mann heut war.


Sein Wort war glühend, Liebe offenbar!
Wohl nicht von schlechten Eltern, wohlerzogen,
Die Augenbrauen fast wie Amors Bogen,
In seinem Angesicht erhabner Geist!
Ich fand ihn aber übermäßig dreist!

(Sie geht aus dem Haus. – Faust und Asmodeus schleichen sich ein.)

ASMODEUS
Komm, heimlich in ihr Schlafgemach!
FAUST
O Brautgemach des Himmels! Ach!
Geh, Dämon, lass mich hier allein!
ASMODEUS
Wie fein ist alles hier! Fein, fein!

(Asmodeus ab.)

FAUST
Ja, brenne, nackte Lampenbirne,
Ein Feuer lodert mir im Hirne,
Ein Schmerz ist in mein Herz gefallen!
Was soll das Stottern, Stammeln, Lallen?
Ihr Atem! Ein Gefühl von Ruhe!
Vorm Bette hier die schwarzen Schuhe!
Bescheidenheit ist ihr beschieden,
Hier ist man doch sogleich zufrieden.
Ach, ach, und dieses Bettes Fläche!
Da überkommt mich eine Schwäche!
Wie zuckt es mir in meiner Hand!
Ach, ich verliere den Verstand!

(Asmodeus ist plötzlich wieder da.)

ASMODEUS
Verlasse jetzt dies Himmelsglück,
Das süße Weibchen kommt zurück.

(Asmodeus reicht dem Faust eine Handvoll Schmuck. Faust verstreut den Schmuck auf Röschens
Bett.)

FAUST
Soll ich den ganzen Schmuck ihr weihen?
ASMODEUS
Willst du sie nun als Freier freien?
Ich habe alles das besorgt,
Hab mehr gestohlen als geborgt.
Mit diesem Glitzer-Glitter-Haufen
Kannst du Prinzessinnen dir kaufen.
Die Zeit geht flöten! Rasch gesputet!
Was hast du mir nicht zugemutet?
Die Arme wirst du wohl erringen
Mit diesen goldnen Silberdingen,
Mit diesen Muscheln, diesen Perlen!
Als sprächest du mit deinen Kerlen
Im Hörsaal physisch-metaphysisch,
So stehst du da, du Freier mystisch!
Ich hör der Pforte Flügel, rums!
Nur Fidibums, nur Fidibums!

(Beide ab. Röschen erscheint wieder.)

RÖSCHEN
Hier ist es feucht und dampfend-schwül!
Zwar draußen ist es klar und kühl,
Doch in dem Innern ist mir bange
Als schlich sich durch mich eine Schlange.
Wär Mütterchen Elfriede nur
Zurück, die Seele der Natur!
Ein Schauer zückt mir durch den Leib!
Ach, sterblich bin ich schwaches Weib!

(Indem sie sich auszieht – singt sie ein Lied)

Der König von Thule – sein Leben,


Das war ein breiter Becher,
Den ihm seine Freundin gegeben,
Dem ewig betrunkenen Zecher!

Er nahm es als Testamente


Und hat allnächtlich gesoffen
Bis an sein seliges Ende
In Glauben und Lieben und Hoffen!

Und als es ging an ein fröhliches Sterben,


Das Testament verfasste der Zecher,
Vermachte alles den gierigen Erben,
Doch nicht der Geliebten Becher!

Am Abend die Brüder ihn grüßen,


Schneeflöckchen-Weißröckchen auf allen Bäumen,
Das letzte Abendmahl zu genießen,
Die Meerflut stöhnte mit spritzenden Schäumen!

Der König erhob sich, der wankende Zecher,


Betrunken vom Himmel zu träumen,
Mit der Hand er schleuderte lachend den Becher,
Versenkte ihn ins feuchte Schäumen!

Die Nixen den Becher entgegennahmen,


Der Todesengel kam schüchtern,
Der König stöhnte: Ja und Amen –
Und starb! Da war er zum ersten Mal nüchtern!

(Jetzt erblickt sie ihr durchwühltes Bett und den Schmuck darauf.)

Wie kommt der Schmuck denn auf die Decke?


Da seh ich perlenvolle Säcke!
Die Engel flüstern, Engel tuscheln,
Da, Venusmuscheln, Pilgermuscheln,
Ein Armband, eine Perlenkette,
Verstreute Perlen auf dem Bette,
Ein Liebreizgürtel für die Taille,
Dort eine heilige Medaille,
Wie schön ist alles anzublicken!
Ich will mich einmal damit schmücken!

(Röschen schmückt sich vor dem Spiegel.)

Woher sind all die Herrlichkeiten?


Wer wollt mir solchen Schatz bereiten?
Schön von Natur sind zwar die Ricken,
Doch Frauen lieben’s, sich zu schmücken!
Zwar von Natur die Augen blinken,
Doch schön, die Wimpern auch zu schminken!
Am Munde auch der Lippenstift
Ist doch kein Zahn voll Schlangengift!
Zwar, wahre Schönheit kommt von innen,
Doch Männer lieben mit den Sinnen!
Wer hässlich ist, der trägt sein Kreuz –
Die Schöne triumphiert durch Reiz!

ALLEE

Faust in Gedanken wandelnd. Zu ihm tritt Asmodeus.

ASMODEUS
Der Herr verdamm mich in den Feuerpfuhl,
In heiße Höllenglut mit Beelzebul!
Für solch ein Weib ist das geringste Wort
Zu gut. Ich bin hier nicht am rechten Ort.
FAUST
Was machst du Satan deine Reverenz?
Schau nicht so trübe drein in diesem Lenz!
ASMODEUS
Ich möchte mich dem Teufel übergeben,
Wär ich nicht selber doch der Teufel eben.
FAUST
Was ist denn? Hör doch auf, so wild zu toben!
ASMODEUS
Da soll ich doch die Mutter Kirche loben!
Den schönen Schmuck, den Röschen ich beschaffen,
Den haben jetzt die alten faulen Pfaffen!
Denn Röschens Mutter ward mit einmal bange,
Der schöne Schmuck vielleicht käm von der Schlange?
Sie hat so eine Katholiken-Nase
Und riecht des Teufels Angstschweiß leicht. Ich spaße,
Obwohl mir nicht zum Spaß zumute ist.
Die Mutter, die das Beten nie vergisst
Und immer ausstreckt sich zum Unerreichten,
Die schickt das arme Röschen: Geh du beichten!
Und Röschen, die so fromm und die so hold,
Sie bringt dem alten Pfaffen all mein Gold,
Die Muschelperlen, all die Augenweide.
FAUST
Und auch das Kleidungsstück von schwarzer Seide?
ASMODEUS
Da sprach der Pfaffe: Du sollst nicht begehren –
Und unrecht Gut kann nicht auf Dauer währen,
Und wollt sie sich des Höchsten Tochter nennen,
Die schwarze Seide solle sie verbrennen!
FAUST
Verbrennen soll man alte Zauberbücher,
Jedoch nicht solch ein feines Tuch der Tücher!
ASMODEUS
Was wissen schon von Seide diese Pfaffen?
FAUST
Du musst ein neues Tüchlein mir beschaffen!
Doch diesmal soll es haben an den Kanten
So einen feinsten Saum mit Diamanten.
ASMODEUS
Du tust, als wenn das etwas Spielzeug wäre,
Ein kleines Kriegerpüppchen mit Gewehre,
Doch solche Seide, o beim Höllenfeuer,
Ist selbst für Satans Portemonnaie zu teuer.
FAUST
Lass ab vom Geiz! Ich scheiß auf Satanas
Und seinen alten Geizhals Mammonas!
Ich sage dir: Schaff meiner Augenweide
Umgehend schöne schwarze Spitzenseide!
ASMODEUS
Ja, Mond und Sonne und die Sterne all
Und alle Galaxien im Weltenall,
Die hättst du als Raketen rasch verpufft
Für Röschen – Puff! Fliegt alles in die Luft!

IN DER WOHNUNG VON RÖSCHENS BUSENFREUNDIN


ANNE SCHEIDLEIN
ANNE
Erbarmen habe Gott mit meinem Mann,
Er tat mein Leben lang mir Leiden an,
Er schreitet in die große Welt hinein
Und lässt mich liegen in dem Bett allein.
Was hat ihn nur so sehr an mir betrübt?
Wie haben wir uns doch geliebt, geliebt!
Am Ende ist gar tot mein Tor, ach mein,
Ach hätte ich doch nur den Totenschein.

(Röschen kommt.)

RÖSCHEN
Ach Anne, meine Busenfreundin Anne,
Ich träum so viel von jenem seltnen Manne!
ANNE
Wie geht es dir? Wie fühlst du dich, mein Röschen?
RÖSCHEN
Schau dieses schwarze Spitzenunterhöschen,
Das Säckchen hier mit Perlen und mit Muscheln!
Was werden da die lieben Nachbarn tuscheln?
Viel schöner diese als die erste Seide,
Der schwarze Schlüpfer eine Augenweide!
ANNE
Bewahre das vor deiner Mutter Gaffen
Und lass das wissen nicht den dicken Pfaffen!
RÖSCHEN
Verstreut die Perlen all auf meinem Bette!
ANNE
Ach Evastochter, Niedliche und Nette!
RÖSCHEN
Ich darf mich leider damit in den Gassen
Und in dem Gotteshaus nicht sehen lassen!
ANNE
Komm manchmal abends her zu mir, du Fesche,
Dann trägst du diese schwarze Unterwäsche!
Wenn so dich sehen könnte jener Mann!
Da lassen wir den Gottesmann nicht ran!
So nach und nach, da wählst du eine Perle
Und schmückst dich schön, das merken wohl die Kerle,
Das Armband legst du an von Süßmeermuscheln,
Da hör ich leis die heißen Männer tuscheln,
So trittst du schön geschmückt ins Licht des Lichts,
Davon merkt deine alte Mutter nichts.

(Asmodeus tritt einfach unangemeldet durch die offene Tür in Anne Scheidleins Wohnung.)

ASMODEUS
Verehrte Damen, lieben Frauen, Frommen,
Ich bin so dreist zu euch hereingekommen.
(Er verneigt sich tief vor Röschen.)

Frau Anne Scheidlein komm ich zu verehren.


ANNE
Wie? Das bin ich! Was ist denn dein Begehren?
ASMODEUS
Du hast Besuch? Da möchte ich nicht stören,
Ich lass mich morgen Mittag wieder hören.
ANNE
(zu Röschen)
Hör, Schwesterchen, so wahr ich Schwester bin,
Der dort hält dich für eine Königin!
RÖSCHEN
Ich tadle selbst mich oft mit strengem Tadel.
ASMODEUS
Du bist von göttergleichem Seelenadel!
Du hast so etwas – ach, wie sag ich’s doch?
So etwas, ach, Gewisses! Lebe hoch!
ANNE
Was führt dich her? Was möchtest du berichten?
ASMODEUS
Das gäbe doch unendliche Geschichten.
Unnütze Worte möchte ich nicht büßen.
Ich soll von deinem toten Mann dich grüßen!
ANNE
Mein Göttergatte tot? Der Liebste tot?
Ah weh, ah weh! Ich bin in tiefer Not!
RÖSCHEN
Ach Annchen mein, was kann ich für dich tun?
ASMODEUS
Es möge seine Arme Seele ruhn!
ANNE
Ach hätt ich das zuvor vorausgewusst,
Wie mich das schmerzen wird! Ach, all die Lust!
ASMODEUS
Die Liebeslust verschafft ein Liebesleid,
Die Leiden suchen neue Lustigkeit!
ANNE
Oft träum ich noch von unsern Liebesspielen.
Dahin sind all die Wonnen nun, die vielen!
ASMODEUS
Sein Grab ist in Assisi, dort sein Kranz,
Wo Vögeln einst gepredigt hatte Franz.
ANNE
Sonst nichts? Und hatte er mich nicht vergessen?
ASMODEUS
Er bittet seine Frau um Seelenmessen,
Ihn zu befreien aus dem Fegefeuer!
Vom Gelde weiß ich nichts. Das Grab war teuer.
ANNE
Kein Angedenken? Nichts? Kein kleinstes Ding?
Nicht einmal einen schwarzen Freundschaftsring?
ASMODEUS
Er sprach zuletzt: Daß Jesus sich erbarm,
Ich hatte meine Sünden und war arm!
RÖSCHEN
Wollt Gott, er wäre in Jerusalem!
Ich will ihm singen schön das Requiem.
ASMODEUS
Du bist so gütig, Röschen! Deine Nähe
Beglücke einen Mann im Bett der Ehe!
RÖSCHEN
Vom Sakrament der Ehe weiß ich nichts.
ASMODEUS
O keusche Unschuld deines Angesichts!
Soll dich der Ehemann noch nicht beglücken,
Lass gnädig oft den Hausfreund dich erblicken!
RÖSCHEN
Ein Hausfreund soll zuhause mich erblicken?
Das würde sich nicht schicken, ach, nicht schicken!
ASMODEUS
Ob sich das schickt, sich nicht schickt, ach,
Oft steht ein Hausfreund in dem Schlafgemach.
ANNE
Erzähle! Hat er viel zum Schluß gelitten?
ASMODEUS
Ich bin zum Sterbebette hingeschritten,
Da lag er da in seinem Exkrement,
Jedoch: Er starb mit Christi Sakrament!
Er seufzte: Soll ich werden Überwinder?
Muß ich verlassen meine Frau und Kinder?
Ich habe meine Lebenssünden über,
Barmherzigkeit von Jesus hätt ich lieber!
ANNE
Ich habe ihm auch alles schon vergeben!
ASMODEUS
Allein, er sprach: Sie hinderte mein Streben!
ANNE
Was? Lüge! Immer reicht ich ihm die Hand!
ASMODEUS
Kurz vor dem Tod verlor er den Verstand
Und war in seiner Todesangst von Sinnen
Und tat wie Spinnen Spinnenweben spinnen:
Wie hat sie mich so sehr doch ausgenutzt!
Ich hab den Kindern ihren Po geputzt,
Dieweil sie lag gemütlich faul im Bette!
Wenn ich ins Bette nur gedurft doch hätte!
Allein, der Herr erlöse uns vom Übel,
Ich musste schleppen ihren Abfallkübel!
ANNE
Was? Was? Hat er vergessen meine Brüste
Und wie ich ihm bereitet höchste Lüste?
ASMODEUS
Bewahre Gott! Er dachte daran immer!
An jene Kammer, jenes kleine Zimmer,
Darin nichts stand als jenes Bett und, ach,
Und ach, wie du geliebt im Schlafgemach!
ANNE
So bleib ich in Erinnerung? Der geile
Genosse geh verlustig seinem Heile!
ASMODEUS
Er ist gestorben, das ist offenbar.
So traure du ein ganzes Trauerjahr,
Dann schaue dich nach einem Neuen um.
ANNE
Ach, du bist dumm, du bist unglaublich dumm,
Wie jener Mann wird keiner sich mir gatten!
Vielleicht kommt er zu mir nach Art der Schatten?
Ach, denk ich an den guten Mann, den harten!
Nur, all der Wein! Und immer diese Karten!
War allzeit auch bereit, sich umzuschauen
Und nachzuschauen allen jungen Frauen!
ASMODEUS
Du warest auch nicht von den Immertreuen
Und tatest an so manchem dich erfreuen.
Lässt nur die Frau dem Manne manchen Flirt,
Lässt er der Frau den ihren ungestört.
Bei solcher freien Liebe, will ich meinen,
Ich möcht fast selber gern mich dir vereinen.
ANNE
Du liebst mich nicht! Du denkst nur mit dem Schwanz!
Nicht Liebe willst du, nur der Lüste Kranz!
ASMODEUS
Gefährlich ist des Wonnebusens Nähe!
Die finge selbst den Luzifer zur Ehe!

(zu Röschen)

Wie steht es denn bei dir mit einer Heirat?


Steh zur Verfügung dir mit Rat und Beirat.
RÖSCHEN
Ich weiß es nicht. Ich denke nicht an das.
ASMODEUS
O Sankt Simplicitas! Simplicitas!
Nun muß ich scheiden, meine lieben Frauen,
Euch voller Sehnsucht ewig nachzuschauen!
ANNE
Noch eins! Kann einer seinen Tod bezeugen?
ASMODEUS
Ich weiß, wer da geeignet ist zum Zeugen!
Ich bring ihn mit, er dient als Zeuge schlicht,
Zu zeugen vor dem höchsten Weltgericht!
ANNE
So finde ich vielleicht die Seelenruhe.
RÖSCHEN
Ich bins nicht wert, zu wichsen ihm die Schuhe!
ASMODEUS
Du bist die schönste aller Badenixen
Und wert, dem Papst selbst seinen Schuh zu wichsen!
ANNE
Kommt beide morgen in den Rosengarten,
Wir werden wirklich willig auf euch warten!

IM ROSENGARTEN DER ANNE SCHEIDLEIN

Röschen Seite an Seite mit Faust. Asmodeus und Anne, die Arme untergehakt. Die Paare wandeln
auf und ab.

RÖSCHEN
Ach, warum liebst du mich so sehr?
Mein Leben ist oft öd und leer!
Du konntest doch schon viele Frauen
Und schönere auf Erden schauen?
FAUST
Geheimnisvoll ein Wort von dir,
Ein süßes Lächeln, ach, ist mir
Mehr wert als Fürstin und Prinzess,
Du meine wandelnde Zypress!

(Er küsst ihr zärtlich die Hand.)

RÖSCHEN
Ach, Freund, ach, küss nicht meine Hand,
Wie oft ich schon im Hause stand
Und hielt in meiner Hand den Besen,
Zu fegen fort des Staubes Wesen.
FAUST
Nein, diese Hand ist ohne Mängel,
Mit solchen Händen segnen Engel!
RÖSCHEN
Bisher ist meiner Arbeitshand
Das Segenszeichen unbekannt.

(Sie wandeln vorüber.)

ANNE
Und du, mein Freund, bist weit gereist?
ASMODEUS
Fand wenig Nahrung für den Geist
Auf allen meinen weiten Reisen,
Die Welt selbst ist nicht gut zu speisen.
Ach, immer weiter, weiter treiben!
Daheim ich sollte lieber bleiben.
ANNE
Das Reisen gut ist in der Jugend,
Das ist des Wandervogels Tugend.
Man denkt, die Liebe liebt das Wandern,
Sie will von einem zu dem andern.
Doch kalt wird dann dem Philosophen,
Er sehnt sich nach dem warmen Ofen,
Nach all dem lustigen Geschwärme
Ein trautes Heim wär schön voll Wärme.
ASMODEUS
Wie einsam werd ich sein im Alter!
Im Winter geht es schlecht dem Falter!
ANNE
Drum, weitgereister weiser Mann,
Beizeiten schließ dich freundlich an.

(Sie wandeln vorüber.)

RÖSCHEN
Ach, aus den Augen, aus dem Sinn!
Jetzt deinen Augen schön ich bin,
Doch hast du ja in der Gemeinde
Noch andre allerbeste Freunde,
Die mehr verstehn von deiner Weisheit
Als ich mit meines Flüsterns Leisheit.
FAUST
Ach, was die Freunde Klugheit nennen
Und von dem großen Gott erkennen,
Ist auch nur Eitelkeit der Welt!
Gott mir in deinem Bild gefällt!
RÖSCHEN
Bin noch erleuchtet nicht vom Licht.
FAUST
Du, Demut, kennst dich selber nicht!
RÖSCHEN
Ach, denkst du auch sehr oft an mich?
Ich sprech mit Anne über dich.
FAUST
Und denkst an mich in Einsamkeit?
RÖSCHEN
Bin gern allein in stiller Zeit.
Ach, Zeit zu beten und zu fasten!
Doch Arbeit lässt mich immer hasten,
Muß kochen, fegen, Wäsche waschen,
Ist wenig Zeit, nach Wind zu haschen.
Genug des Brotes ist zuhaus,
Auch Bier geht bei uns ein und aus.
Vom Vater habe ich das Erbe,
Das Gartenhaus, in dem ich sterbe.
Mein junger Bruder ist Soldat,
Der Mutter bald das Ende naht.
Mein kleines Schwesterchen ist tot!
Ich hab mein eigen Kreuz und Not.
Der toten Schwester Zwillings-Blagen,
Die nahm ich auf, tat gern mich plagen.
FAUST
Du Engelin an diesem Ort!
Ich will dich lieben fort und fort!
RÖSCHEN
Ich hab wie eine Kuh gebuttert,
Der Schwester Zwillinge bemuttert,
In meinem Arm, auf meinem Schoß
Die Zwillingsknaben wurden groß.
FAUST
Und hast darin dein Glück gefunden?
RÖSCHEN
Ach, leider, viele schwere Stunden!
Nachts wacht ich immer an den Wiegen,
Ob sie vielleicht das Fieber kriegen,
Stets wollten sie auch was zu naschen
Und täglich musst ich Wäsche waschen,
Ihr Leid hat mir das Herz gebrochen,
Musst dennoch täglich Essen kochen
Und war aktiv von morgens an
Und nachts war schlecht der Schlummer dann,
So ging es täglich, immerzu,
Wie gerne hatt ich da die Ruh,
Und hat der Herr ein wenig Gnade,
So schenke er mir Schokolade.

(Sie wandeln vorüber.)

ANNE
Hast du noch keine Frau gefunden,
Die Wärme schenkt in stillen Stunden?
ASMODEUS
Der Weise sagt: Der eigne Herd,
Das eigne Weib ist Perlen wert!
ANNE
Hast du nicht Lust, nicht Lust zu scherzen?
ASMODEUS
Ich fand bei manchen offne Herzen.
ANNE
Wars einmal ernst in Herzenssachen?
ASMODEUS
Will Frauen keinen Kummer machen.
ANNE
Mein Freund, du kannst mich nicht verstehn!
ASMODEUS
Das tut mir leid, mein Tausendschön,
Und doch, vernimm du mein Bekenntnis,
Ich weiß: Du sprichst von der – Erkenntnis!

(Sie wandeln vorüber.)

FAUST
Hast du mich gleich erkannt, du Fromme,
So gleich ich in den Garten komme?
RÖSCHEN
Hast du erkannt nicht meine Gnaden?
Ich selber hab dich eingeladen!
FAUST
Und war mir böse nie dein Geist,
Daß ich so frech war und so dreist?
RÖSCHEN
Ich hab mich nur gefragt im Herzen:
Lud ich dich ein zu solchen Scherzen?
War da in meinem frommen Wesen
So eine Frechheit auch zu lesen?
Ich sagte mir: Ihr guten Geister,
Was will von mir der weise Meister?
Da war ich böse mir allein,
Dir mochte ich nicht böse sein.
FAUST
Ach, mehr als Zucker süße Frau!
RÖSCHEN
Lass! – Dieses Gänseblümchen schau!

(Sie pflückt einzeln die Blütenblätter des Gänseblümchens ab.)

Er liebt mich – liebt mich nicht – er liebt mich –


FAUST
Die Blume redet wahr: Er liebt dich!
Ich liebe dich von tiefstem Herzen
Und kostet es auch Todesschmerzen!
RÖSCHEN
Ein Schauer läuft mir übern Rücken!
FAUST
Du mein entsetzliches Entzücken!

(Röschen läuft eilig davon, Faust erstarrt, dann eilt er ihr hinterher.)

ANNE
Jetzt bricht herein die dunkle Nacht!
ASMODEUS
Wir wollen gehen, sanft und sacht.
ANNE
Ach, könntest du noch etwas bleiben!
Was sollen da die Leute sagen?
Wie die es da gar heimlich treiben!
So würden sie uns doch verklagen,
Die superfrommen Nachbarsfraun
Stets spionieren durch den Zaun
Und sehn sie Schatten hinterm Fenster
In Liebe zärtlich, Nachtgespenster,
Dann reden diese Weiber dreist:
Begonnen habt ihr es im Geist
Und rein wie Ideale keusch
Und wollt vollenden es im Fleisch!
Wo aber sind denn Faust und Röschen?
ASMODEUS
Der Schminkstift liegt im offnen Döschen.
ANNE
Ich weiß, ich weiß, er mag sie leiden!
ASMODEUS
Und sie, die Demut selbst, bescheiden,
Sie hat ihn auch von Herzen lieb,
Wie es kein Dichter je beschrieb.
Die Liebe ist nicht auszusagen!
Nach Liebeswonnen kommen Klagen!

IM CHINESISCHEN GARTENPAVILLON

RÖSCHEN
(Sie schlüpft in den Pavillon, spioniert durchs Schlüsselloch)
Er kommt! Ich muss nicht länger harren!
FAUST
Vor Liebe werde ich zum Narren!

(Er küsst sie zärtlich auf die Wange.)

RÖSCHEN
(Seine Hüfte umfassend und ihn zärtlich auf den Hals küssend)
Wir beiden Narren Christi, sag,
Ich möcht dich haben jeden Tag!

(Es klopft jemand von draußen an die Tür.)

FAUST
Wer pocht von draußen an die Pforte?
ASMODEUS
Nun fort von diesem trauten Horte!

(Asmodeus tritt mit Anne ein.)

ANNE
Verzeihung, wenn ich stören muss.
FAUST
Ach Röschen! Noch so einen Kuss!
RÖSCHEN
Was soll da meine Mutter sagen?
FAUST
Könnt ich der Mutter Hallo sagen.
RÖSCHEN
Nun, gute Nacht und schlaf recht süß
Und schau im Traum das Paradies!
ANNE
Wünsch guten Schlaf im warmen Bette!
FAUST
Ach Röschen, Niedliche und Nette,
Ich hab dich lieb, du bist so süß!
Adieu, Geliebte! Röschen, Tschüß!

(Faust und Asmodeus ab.)

RÖSCHEN
Du lieber Gott! Er ist so weise,
Was sucht er nur in meinem Kreise?
Ich arme Frau von schlichter Sorte,
Ich höre alle seine Worte
Und wie ich lausch den Worten, da
Will ich nur immer sagen: Ja!
Ich bin nicht weise, bin nicht schön,
Was will sein seufzendes Gestöhn?

RÖSCHENS SCHLAFZIMMER

(Sie legt Wäsche zusammen.)

Dahin ist meine Ruhe,


Wie bin ich doch von Sinnen,
Ich find nicht Ruhe draußen,
Ich find nicht Ruhe drinnen!

Ach, wenn er mich verließe,


Ah weh, das wär mein Tod,
In meinem Garten blühte
Nie mehr ein Röschen rot!

Auf ihn nur muß ich warten


An diesem trauten Orte,
Nach ihm nur schau ich sehnend
Und öffne meine Pforte.

Dahin ist meine Ruhe,


Wie bin ich doch von Sinnen,
Ich find nicht Ruhe draußen,
Ich find nicht Ruhe drinnen!

Oh seine Mannesstärke!
Sein Lächeln um den Mund!
Gefährlich, ach, gefährlich
Der Augen tiefer Grund!

Sein Wandeln, seine Worte


Und wie er sich erbarmt,
O seine Art, sein Adel
Und wie er mich umarmt!

Ich bin im tiefsten Herzen


Von ihm allein besessen!
Ich habe längst mein Leben,
Mein Ich und Selbst vergessen!

Dahin ist meine Ruhe,


Wie bin ich doch von Sinnen,
Ich find nicht Ruhe draußen,
Ich find nicht Ruhe drinnen!

IN ANNES GARTEN

Röschen und Faust

RÖSCHEN
O sag mir doch, o du, o mein Johannes...
FAUST
Was willst du wissen von dem Geist des Mannes?
RÖSCHEN
Wie denkst du über Gott und die Natur?
Du bist ein Weiser und Gelehrter, nur
Mir scheint, du glaubst nicht an des Heilands Blut?
FAUST
Geliebte! Dir bin ich von Herzen gut!
Ich liebe mit der Liebe in dem Blute
Das Wahre und das Schöne und das Gute,
Will keinem seine Überzeugung rauben.
RÖSCHEN
Doch muss man an den Christus Jesus glauben!
FAUST
Was redest du im Glauben denn von Müssen?
Ach, was wir müssen, das ist, uns zu küssen!
RÖSCHEN
Und ehrst du nicht der Liebe Sakrament?
FAUST
Doch! Zu der Liebe sich mein Herz bekennt!
RÖSCHEN
Doch du begehrst nicht, deine Schuld zu beichten!
Wann riefest du zuletzt zum Unerreichten,
Empfingest in der Kirche Christi Leib?
Glaubst du an Gott? Sags einem armen Weib!
FAUST
Geliebte, mancher redet wie ein Spott
Und sagt so leichthin: Ich glaub auch an Gott.
Frag doch die Priester und die Tiefgelehrten,
Frag die Gerechten und frag die Bekehrten,
Nur Phrasen dreschen sie des Biblizismus,
Auswendig lernten sie den Katechismus.
RÖSCHEN
So glaubst du nicht, wie in der Schrift zu lesen?
FAUST
Ich mag von Gottes unnennbarem Wesen
Nicht Phrasen dreschen, Theologen-Phrasen.
Der wert ist der verzückendsten Ekstasen,
Wird abgespeist mit einem Credo nur,
Herabgeleiert. Oh, die Gott-Natur,
Das Höchste Wesen, laß ich mir nicht rauben,
Muß jede Seele an den Gott doch glauben.
Die Welten all aus Gottes Busen stammen,
Die Liebe Gottes hält sie all zusammen.
Die Mutter Erde mit den breiten Brüsten
Gab Gott den Menschen zu des Lebens Lüsten.
Vom Himmel abends grüßt der Abendstern,
Früh morgens segnet uns der Morgenstern.
Die Morgenröte lässt die langen Wimpern
Fein lächelnd über lichten Augen klimpern.
Und unsere Gedanken fliegen ferne
Zu Apfelgärten auf dem Venussterne.
Und unsre Körper bleiben auf dem Boden,
Bis uns zuletzt bedecken grüne Soden.
Der Geist lebt in Vernunft und allen Sinnen
Und Seele webt von außen sich nach innen.
Erfüllt ist doch dein Herz mit Ahnung, Liebe,
Weltseele ahnst du in dem Weltgetriebe,
Die Liebe unaussprechlich lässt dich beben.
So sage: Gottheit! Oder: Ewiges Leben!
Die Ewige Liebe in dem Seelensamen,
Die Eine Gottheit hat sehr viele Namen.
Fühlst du nicht schon des Ewigen Lebens Wonne,
Wenn dich am Morgen segnet Gottes Sonne?
RÖSCHEN
So steht das nicht im Katechismus! Zwar
Dein liebendes Bekenntnis lieblich war,
Wenn auch des Priesters Predigt andrer Sorte,
Bekennen Gott doch gleichfalls deine Worte.
FAUST
Schau dich doch um in allen Erdenkreisen,
Wie stammeln und wie lallen nur die Weisen!
So tu ich gleichfalls wie die andern alle:
Von Gott in meiner eignen Sprache lalle!
RÖSCHEN
Doch ich empfinde leider melancholisch,
Dein Glaube ist nicht kirchlich und katholisch.
FAUST
Geliebte! Liebe ist mein Christentum
Und Zärtlichkeit mein Kirchenheiligtum!
So kirchlich-christlich bin ich auch bereit
Zur seligmachenden Liebeszärtlichkeit!
RÖSCHEN
Doch ach, so lange tut es mir schon weh,
In welcher Art Gesellschaft ich dich seh!
FAUST
Wen meinst du mit dem Wort, mein kleiner Christ?
RÖSCHEN
Den Mann, der stets an deiner Seite ist!
Ich mag ihn nicht! In meinem ganzen Leben
Hat nie ein Mensch mir solchen Stich gegeben
Ins Herz, wie diese hässliche Visage!
FAUST
Er kann nichts für die hässliche Visage.
RÖSCHEN
Ich wäre gerne allen Menschen gut,
Doch jener Kerl, der plagt mich bis aufs Blut!
Wie seine seelenlosen Augen schauen
So ohne Liebe, ach, das ist ein Grauen!
Ich halte ihn für einen Hanswurst nur!
Vergebe Gott der schlimmen Kreatur!
FAUST
Er hat so seine Macken, das ist üblich.
RÖSCHEN
Ach, lieber Mann, du aber bist so lieblich!
Mit solchem schlimmen Kerl wollt ich nicht leben,
Wollt ihm in Liebe nicht die Hände geben!
Er ist von jener allerschlimmsten Sorte,
Die allzeit haben nichts als harte Worte.
Mein Herz, bin ich bei dir, in deinem Arm,
Wie ist mir wohl, wie fühlt mein Herz sich warm!
Wenn aber er dazutritt mit Gewalt,
Ist alles wie der Frost des Winters kalt.
So sehr verehrt und liebt dich meine Seele,
Doch jener Kerl, der schnürt mir zu die Kehle!
FAUST
(leise)
So ahnungsvoll ist diese fromme Frau!
RÖSCHEN
Und wenn ich plötzlich dann den Hanswurst schau
Mit seinen toten Augen, kalt wie Stahl,
Dann denke ich, ich sei dir ganz egal,
Und seh ich ihn an deiner Seite dann,
Frag ich mich gar, ob du ein edler Mann,
Verzeih! Und mein Gebet will mir vergehen,
Muss ich den aufgeblasnen Kraftprotz sehen.
Ach Liebster, meine Seele ganz beseelend,
Warum wird dir bei jenem Kerl nicht elend?
FAUST
Der ist dir einfach unsympathisch nur.
RÖSCHEN
Ich geh! O Mutter heilige Natur!
FAUST
Ach, dürfte ich dich einmal so umfangen
Wie in dem Morgenland die schönen Schlangen
Umschlingen einen süßen Sandelbaum
Und lieben dich – o Gott – ein schöner Traum!
RÖSCHEN
Ja, wenn ich mal allein im Bette liege –
Die Mutter wacht doch immer an der Wiege!
Wenn Mutter wüsste... ach das wär mein Tod!
FAUST
Ich weiß ein Mittel gegen diese Not:
Der Mutter gebe diesen Baldrian,
Dann wird der Schlaf auf samtnen Pfoten nahn,
Dann wird sie tiefer als die Tiefsee schlafen
Und kann uns nicht für unsre Liebe strafen.
RÖSCHEN
Und keine Nebenwirkung, welche schädlich?
FAUST
Nein, meine Medizin ist nichts als redlich.
RÖSCHEN
Geliebter! Seh ich dich – du bist mein Leben!
Ich gab schon viel – ich will dir Alles geben!

(Sie geht fort. – Asmodeus kommt hervor.)

ASMODEUS
Die schwarze Muschi, schlich sie sich davon?
FAUST
Im Haus der Liebe wieder mal Spion?
ASMODEUS
Sie fragte dich nach deinem Biblizismus,
Ob du gelesen auch den Katechismus?
Ja, wenn wir folgen ihrer Religion,
So dienen sonst wir auch in ihrer Fron.
Das wollen sie mit ihrem ganzen Reize,
Daß wir vor ihnen kriechen noch zu Kreuze!
FAUST
Du kannst das nicht begreifen, Finsterling!
Nichts andres möchte dieses hübsche Ding,
Als mich für alle Ewigkeit zu retten!
ASMODEUS
Ja, lieben dich noch in den Himmelsbetten!
Du übersinnlich-sinnlicher Gefährte
Saugst an der Hoffnung Busen, die dich nährte!
FAUST
Du Arsch! Du kannst den Himmel nur verspotten,
Wo uns die Ewige Liebe wird vergotten!
ASMODEUS
Sieht mich mit grünem Aug die schwarze Katze,
So stört an Satan sie die Teufelsfratze!
So schaut doch kein Genie! So schaut ein Teufel!
Und heute Nacht? Ihr liebt euch? Ohne Zweifel?
FAUST
Heut Nacht erweist mir Gnade die Madonne!
ASMODEUS
Ha, Unzucht ist der freien Liebe Wonne!

AUF DEM MARKTPLATZ

Röschen und Madel mit Körben voller Möhren, Rüben und Zucchini.
MADEL
Hast du gehört schon von Susanne heute?
RÖSCHEN
Ich treffe so rein gar nicht mehr die Leute.
MADEL
Susanne ist so ganz und gar verstört,
Wie sich das für die Dirne auch gehört!
RÖSCHEN
Was wissen von Susanne denn die Kenner?
MADEL
Ist Einer nicht genug? Sie braucht zwei Männer!
RÖSCHEN
Sonst war der eine Freier schon ihr schnuppe.
MADEL
Sie tut wie eine Fee, wie eine Puppe,
Will doch die Gurke nur für ihren Topf,
Hat nichts als Kerle in dem hübschen Kopf!
Da stand der eine Mann als Ehrenmann,
Als Kavalier der andre drängte ran,
Da spritzte Schaum des Sekts, man tanzte Tanz,
Ein Hengst der Kavalier mit langem Schwanz,
Kam mit Geschenken, kam mit Schokolade,
Sie ließ ihn ansehn ihre nackte Wade,
Und als der Andre eben weggeblickt,
Hat sie den guten Kavalier gefickt!
RÖSCHEN
Darüber muss mein frommes Seelchen trauern.
MADEL
Mein Schatz, nur kein bigott-frigid Bedauern!
Uns armen Weibern ist das Leben bitter,
Denn nachts bewachen uns die alten Mütter,
Susanne aber schlich wie eine Katze
Und nahm sich, was sie wollte, von dem Schatze.
Den Kavalier, der, ach, so liebeskrank,
Den nahm sie nachts sich auf der Gartenbank!
Nun kann sie bei des Himmelreichs Eunuchen
Barmherzige Vergebung flehend suchen!
RÖSCHEN
Er sich gewiss zum Traualtare schickt.
MADEL
Zum Traualtare? Nein! Zuerst gefickt
Und dann davon gehuscht und sie verlassen!
So etwas sollten Frauen unterlassen!

(Madel ab.)

RÖSCHEN
Wie können sich empören fromme Seelen,
Wenn solche jungen Dinger sich verfehlen!
Die Pharisäer! Die scheinheiligen Heuchler!
Mag jede Muschi den charmanten Schmeichler,
Der als ihr Kavalier sein Süßholz raspelt,
Und schon sie sich in seinem Netz verhaspelt.
Ich selbst hab auch gelästert und geflucht!
Jetzt aber ward ich selber heimgesucht,
In Sack und Asche meine Sünde büß
Und doch – ach Gott – die Sünde war so süß!

RÖSCHEN IM GEFÄNGNIS

In einer Nische eine Statue der Gottesmutter. In einer Vase eine rote Rose davor.

RÖSCHEN

Komm, Jungfrau, komm zu mir,


In all mein Elend hier,
Steh deiner Tochter bei in ihrer Not!

Die Schärfe eines Schwerts


Durchbohrt dein reines Herz,
Du leidest mit dem Gottessohn den Tod!

Zum Himmel auf du blickst,


Gebete weinend schickst
Zum Ewigen, die Tränen blutigrot!

Ach, ob es einer fühlt,


Wie mir das Leiden wühlt
Durch meine Seele und durch meinen Leib?
Wonach mein Herz verlangt,
Verzagt verschmachtend bangt,
Ach, davon weiß kein andres Erdenweib!

Wo immer ich auch bin,


Die Pein ist Königin!
Des Schicksals schwarzen Raben ich erblicke.
Und bin ich ganz allein,
Ich wein und wein und wein,
Mein Herz, mein Herz bricht mir in tausend Stücke!

Aus meinem Auge strömt ein Tränenregen,


Die Trauertränen meiner Herzensnot,
So will ich deine rote Rose pflegen,
Die Rose rot, wie Blut und Feuer rot!

Was kann ich Hoffnungslose jetzt noch hoffen?


Es fällt kein Licht in meine dunkle Kammer!
Allnächtlich habe ich das Auge offen
Und liege wach auf meinem Bett voll Jammer!

O Jungfrau! Steh mir bei in meiner Pein!


Vom Himmel komm herab!
Die Mutter schläft im Grab!
Ich bin allein – Maria – ich bin dein!

KAPELLE. TOTENFEIER FÜR RÖSCHENS MUTTER.

Alle Verwandten. Chor.

FINSTERER ENGEL
(Hinter Röschen)
Anders war es damals, Röschen,
Als du knietest vorm Altare
Und aus dem Gesangbuch sangest,
Was du nicht verstanden hattest,
Halb naiven Kinderglauben,
Halb Gefühl vom Höhern Wesen.
Röschen! Aber was empfindest
Du jetzt in der jungen Seele?
Was willst du in der Kapelle?
Eine Seelenmesse singen
Für die Seele deiner Mutter?
Eingeschlafen ist die Mutter
Von dem Opium des Glaubens,
Das du selber ihr gespendet.
Deine Seele ist voll Sünden!
Und es regt sich unterm Herzen
Dir sogar die Frucht des Leibes,
Die du ehelos empfangen!
RÖSCHEN
Wehe, wehe, wehe, wehe!
Die Gedanken, die mich plagen,
Werde ich nicht los, mich jagen
Hin und her und ohne Ruhe
Die Gedanken meiner Sünden!
Wohin könnte ich noch fliehen?
CHOR
Vater unser in den Himmeln,
Sei dein Name uns geheiligt,
Bring dein Königreich der Himmel,
Und geschehe nur dein Wille
Wie im Himmel so auf Erden!

(Die Orgel schwillt an.)

FINSTERER ENGEL
Wehe, die Posaunen blasen,
Öffnen werden sich die Gräber
Und dein Herz wird aus dem Staube
Auferstehen von den Toten
Und vor deinen Richter treten!
RÖSCHEN
Fort, nur fort aus der Kapelle,
Dieses Orgelspiel des Himmels
Presst zusammen meine Lunge,
Weh mir, ich kann hier nicht atmen!
Diese Lieder, diese Töne,
Wollen löse meine Zunge,
Alles möchte ich gestehen,
Aber das darf keiner wissen!
CHOR
Vater unser in den Himmeln,
Gib uns täglich unser Manna
Und befrei uns von den Schulden,
Wie wir allen selbst verzeihen.
RÖSCHEN
Wehe mir, mich packt der Wahnsinn!
Diese Kirchenchöre machen
Angst mir vor dem Weltenrichter!
Berge, fallt mir auf den Schädel,
Hügel, mir bedeckt den Körper!
Das Gewölbe der Kapelle
Mich verschließt in einem Sarge!
Luft! Die Lüfte will ich atmen!
CHOR
Vater unser in den Himmeln,
Führe uns aus der Versuchung
Und befrei uns von dem Bösen.
FINSTERER ENGEL
Ja, versteck dich vor dem Richter!
Gottes Zorn wird dich ergreifen!
Nie wird Gott sich dein erbarmen!
Luft und Licht, Natur und Himmel –
Armes Herz, du gehst verloren!
CHOR
Vater unser in den Himmeln,
Dein ist alles Reich der Himmel,
Dein sind Mächte und Gewalten,
Alle Herrlichkeit und Schönheit!
FINSTERER ENGEL
Gottes Engel dich verlassen,
Sie verschmähen deine Seele!
Gottverlassne Seele, weh dir!
CHOR
Vater unser in den Himmeln!
Ewigkeiten – Ja und Amen!
RÖSCHEN
Weihrauch! Weihrauch will ich riechen!

(Röschen fällt in Ohnmacht.)

NACHT. VOR RÖSCHENS HAUS.

Klaus, Röschens Bruder.


KLAUS
Wenn ich beim Gelag gesessen
Und zu trinken nicht vergessen,
Wenn dann alle Trankbetreiber
Allzeit schwatzten über Weiber,
Die vertraut mit allen Lüsten
Und auch Kochrezepte wüssten
Und auch sanft und ehrlich wären,
Dacht ich an die Frau der Ehren.
Wer die Frau der Ehren ist?
Röschen ist es, dass ihrs wisst!
Also sprach ich zu den Zechern
Bei dem Süßwein in den Bechern.
Sprach ich: Mag wohl manches Mädchen
Hübsch und niedlich sein im Städtchen,
Tauben hocken sich in Nester,
Aber hold wie meine Schwester
Ist mir keine und so heilig!
So bekannt ich allen eilig.
Meinem Röschen alle Ehre!
Und als ob sie Göttin wäre,
Hoben alle wilden Zecher
Auf mein Röschen ihre Becher.
Die da andrer Meinung waren,
Rauften sich in ihren Haaren,
Fassten sich an ihre Nasen,
Wussten nichts von Tut und Blasen!
Aber nun muss ich mich schämen!
Nach der Heiligkeit Extremen
Sie extreme Sünderin,
Hure sie! Ein Narr ich bin!
Alle heben ihre Humpen,
Lachen laut, die dummen Lumpen,
Lästern lachend: Deine Pure
Ist nur ordinäre Hure,
Deine Hure, deine Hexe,
Packt am Schwanze jede Echse!
Da kommt einer und dabei
Noch ein zweiter, es sind zwei.

(Faust und Asmodeus kommen.)

FAUST
Wie des nachts im Gottesdome
Leuchtet gleich dem Gnadenstrome
Eine Lampe mit Gefunkel,
Flackerlicht im tiefen Dunkel,
Schläft auch tiefen Schlaf der Priester,
Ists in meinem Herzen düster!
ASMODEUS
Aber ich bin gar nicht müde,
Bin so läufig wie ein Rüde,
Der zu seiner Hündin trachtet
Und inbrünstig-brünftig schmachtet!
Will nicht wie ein Faultier gammeln,
Will wie ein Kaninchen rammeln!
Bald ist ja Walpurgisnacht,
Wo die Hexe Liebe macht,
Wo sie hebt den kurzen Rock
Für den geilen Ziegenbock!

(Er singt zur Gitarre.)

Was willst du, willst du, süßes Mädchen,


Du Buhlerin um Mitternacht?
Gib acht, gib acht, du wildes Kätchen,
Du wildes Kätchen, gib gut acht,
Er stillt dir alles dein Geschmacht!

Nehmt euch in acht, ihr jungen Dinger,


Der Buhler ist ein schlimmer Finger,
Es will ja nichts der Liebesjünger
Als euch zu schwören, euch betören,
Ihr müsstet Einmal ihn erhören!

KLAUS
Was singst du, gottverdammter Sänger,
Du Flötenbläser, Rattenfänger?
Ich erst zerschlag dir die Gitarre
Und dann den Kopf dir, alter Narre!

(Klaus zerschlägt dem Asmodeus die Gitarre. Faust und Klaus fechten. Klaus fällt, zu Tode
verwundet.)

VOLK
(herbeieilend)
Da liegt der arme Bruder Klaus,
Ist mausetot wie eine Maus!
RÖSCHEN
O Gott, o Gott! O große Not!
Erbarmen, Herr Gott Zebaoth!
KLAUS
(mit letztem Atem röchelnd)
Mit Einem fängst du an zu huren
Und dann mit Allen Kreaturen!
Ja, wenn man erst ein Dutzend hätte!
Geht mit der ganzen Stadt ins Bette!
RÖSCHEN
Mein kleiner Bruder, sei mir gut!
KLAUS
Wein du nicht wegen meinem Blut!
Verscheidend sage ich dir barsch:
Du liebtest einen dummen Arsch!
Hanswurst vom alten Satans-Orden,
Der tat den Bruder Klaus ermorden!
Ich spotte aller Teufel Spott:
Ach, Röschen, ach – ich geh zu Gott!

FAUST UND ASMODEUS

FAUST
Im Elende! Von aller Hilfe verlassen, allein im Kerker! Zu den Verbrechern gezählt, in eisernen
Ketten, eingeschlossen in ein finsteres Verließ! Ach diese unschuldig-unselige Evastochter! So weit
ist es schon! Und mir hast du das verheimlicht? Ja, blitze nur mit deinen eiskalten Augen, du
Satansbraten! Ich kann dich leider nicht bannen! Sie, in dunkler Nacht, gefangen zwischen
Spinnenweben, allein mit den Mäusen des Kerkers! Vorgeführt dem Pöbel und den ungerechten
Justizräten! Du kennst den Jammer und jagst mich dennoch durch die Welt, eine flüchtige Lust zu
erhaschen, sprichst kein Wort und lässest die gute Seele ohne Hilfe verlassen sein?
ASMODEUS
Sie ist die erste nicht, die du so ruiniert hast.
FAUST
Arschloch! Der heiligste Engelsgeist möge dich bannen in die schwarze Hundegestalt, in der du
dich herangeschmeichelt hast, dass du winselnd vor mir liegst und ich dich peitsche mit der
ledernen Leine! Sie wär die erste nicht, die ich so ruiniert hätte? O Jammer, Jammer! Keine
Menschenseele kann meinen Jammer begreifen!
ASMODEUS
Ach du lieber Harlekin, jetzt bist du am Ende mit deinem Mönchslatein und an der Schwelle des
Wahnsinns angelangt! Was gibst du denn den okkulten Dämonen erst die Hand, wenn du doch nicht
treu bleiben willst? Erst willst du fliegen in ätherische Sphären und dann wird dir schwindlig! Hab
ich mich angebiedert oder hast du dich angeboten?
FAUST
Du kotzt mich an! O heiligster Engelsgeist, du hast dich mir offenbart! Ach, warum muß ich
gefesselt sein an diesen okkulten Dämon?
ASMODEUS
Bist du bald fertig?
FAUST
Befreie sie aus dem Gefängnis!
ASMODEUS
Ich habe keine Macht, sie zu befreien. Das ist nicht mein Amt, Ketten zu lösen. Befreiung? Wer hat
die gute Seele denn so bekümmert, ich oder du?
FAUST
Trage mich zu ihr! Ich will sie erlösen!
ASMODEUS
Da gibt es noch eine Blutschuld! Auf den Menschenmörder haben noch Rechte die höllischen
Geister.
FAUST
Gib nicht immer andern die Schuld! An allem Übel der Welt bist du selber schuld! Bring mich rasch
zu der guten Seele, gebiete ich dir!
ASMODEUS
Sei’s drum. Aber ich habe nicht alle Macht im Himmel und auf Erden. Ich kann allerdings den
Wächter einschläfern. Die gute Seele befreien, das musst du schon selber tun. Ich werde die
Hengste holen.
FAUST
Auf, reiten wir rasch zu ihr!
NACHT. OFFENES FELD

Faust und Asmodeus reiten auf schwarzen Rossen.

FAUST
Ein Nebelschleier überm Hexenhügel!
ASMODEUS
Die Hexen spreizen ihre Drachenflügel!
FAUST
Mit Schwänzen peitschen dort die Riesenechsen!
ASMODEUS
Die Schwarze Messe feiern da die Hexen!
FAUST
Wer ist die Frau, die ich dort oben schau?
ASMODEUS
Die Göttin Lilith - - - Adams erste Frau!

IM TIEFSTEN VERLIESS

Una Poenitentium (vormals Röschen genannt) in Ketten. Faust vor der Tür mit brennender Fackel
und Schlüsselbund.

FAUST
Es geht ein Messer durch meine Seele! Entsetzlicher Schrecken! Muß ich noch barfuß durch die
Hölle pilgern? Doch sammle dich, Seele, ich will mit der Geliebten reden.
UNA POENITENTIUM
(singt)
Meine Mutter, meine Mutter,
Dieses Weib hat mich vergessen,
Ach mein Vater, ach mein Vater,
Ach der hat mich aufgefressen,
Meine Schwester streckt die Beine,
Oh wie möchte ich mich tümmeln,
Fühl mich gleich den jungen Vögeln,
Fliegen will ich in den Himmeln!
FAUST
Geliebte! Freundin!
UNA
Ist das der Engel des Todes?
FAUST
Hab keine Angst! Ich bin’s! Ich komme, dich zu befreien!
UNA
Jetzt schon? Komm doch morgen wieder!
FAUST
Lass mich nur machen.
UNA
Ich will leben, ich will leben! Ach in der Mitte meines Lebens! Ich war doch schön in meiner
Jugend, nicht wahr? Ich bin nur ein armes Weib. Ach wie schön die Blumen sind, schau doch mal,
die rosa Tulpe... Ach, was hab ich getan! Ich kenne dich nicht. Ich habe mein ganzes Leben lang
dich nicht Einmal angeschaut!
FAUST
Sie ist verrückt.
UNA
Sieh doch mein Kind! Ach, ich muß meinem Kindchen die Brust geben! Wo ist mein Kind? Da war
der Knabe doch eben noch, da war er doch eben noch! Weh mir, sie haben mir meinen Knaben
weggenommen! Sie sagen, ich hätte mein eignes Kind ermordet! Am Ort der Gerechtigkeit herrscht
die Ungerechtigkeit! Die Richter lügen!
FAUST
Geliebte, Geliebte!
UNA
Ich hör’s rufen: Geliebte, Geliebte! Ist Er das? In all meiner Todesangst kenn ich Seine Stimme, Er
ruft: Geliebte, Geliebte!
FAUST
(hält ihre Hand)
O Freundin! Komm, Geliebte, ich bin’s! Ich bringe dich ins Leben zurück! Komm mit mir in die
Freiheit!
UNA
Küss mich!
FAUST
Ich gebe dir tausend Küsse, zehntausend Küsse, aber nicht im Kerker hier, sondern dort in der
Freiheit!
UNA
Küss mich! Oh du kannst küssen! Oh wie du küssen kannst! Küss mich, sonst küss ich dich!
(Sie küsst ihn.)
Küsse ich den Engel des Todes?
FAUST
Komm! Zehntausend Küsse, mehr als der Sand am Meer, aber komm, komm in die Freiheit!
UNA
Du löst die Ketten?
FAUST
Komm, komm rasch, Geliebte!
UNA
Meine Mutter ist tot, mein Kind ward mir genommen! Dein Liebling, mein Freund! Lieber Gott im
Himmel! Du bist doch kein Traum? Mein Freund, gib mir deine Hand! Ach, ich werde verrückt!
FAUST
Ich sterbe vor Schmerzen!
UNA
Nein, du musst noch leben bleiben! Wer soll denn sonst mein Grab pflegen? Leg mir meinen
kleinen Knaben an den Busen! Gib mir deine Hand, mein Freund, du bist mein Ehemann.
FAUST
Siehst du mich? Hörst du mich? Ich bin’s! Ich bin gekommen, dich in die Freiheit zu holen!
UNA
In die Welt? Auf keinen Fall! Ich will in die Ewige Ruh!
FAUST
Die Tür ist offen, komm!
UNA
Da warten welche...
FAUST
Freundin, Geliebte, in die Freiheit komm!
UNA
Siehst du meinen kleinen Liebling? Er weint! Rette meinen Sohn! Rette unsern Liebling! Bring ihn
in Sicherheit!
FAUST
Dich will ich retten! Deine Seele!
UNA
Meine Großmutter sitzt im Sessel. Ihr Kopf ist herabgesunken. Ihr Strickzeug liegt in ihrem Schoß.
Sie macht die Augen auf und lächelt mich an.
FAUST
Ich sehe die Wimpern der Morgenröte, Geliebte, Freundin!
UNA
Der Morgenstern ist aufgegangen in meinem Herzen. Das ist mein Hochzeitstag! Ach, du warst ja
schon in der dunklen Nacht vor dem Hochzeitstag im Schoße deiner Geliebten, bekenn es nur! Ach,
ich verlasse dich nicht. Wir werden uns wiedersehen. Die Glocke! Hörst du? Die Glocke läutet die
Morgenmesse ein!

(Asmodeus tritt ein.)

ASMODEUS
Mein Hengst wird unruhig. Mein Hengst wiehert schon brünstig.
UNA
Schick den da weg, schick den Satansbraten weg! O Mütterchen Gottesmutter! Rette mich,
Mütterchen Gottesmutter! Adieu, mein Freund!
FAUST
Ich verlasse dich nicht!
UNA
Mütterchen Gottesmutter, ich lege meine Seele in deinen Schoß! Adieu, Geliebter, pass gut auf dich
auf!
ASMODEUS
Sie muß vor den Richter!

(Asmodeus verschwindet mit Faust. Una Poenitentium bleibt allein zurück.)

UNA
(verhallend) Mein Jesus, Barmherzigkeit...........

FIGEROS HOCHZEIT
Zeit: Das Jahr 2000 A.D. Ort: Der großherzogliche Residenzort des Großherzogs von Oldenburg in
Oldenburg, Rastede, im Schloß und Schlosspark von Rastede.

PERSONEN
Peter Friedrich – Großherzog von Oldenburg
Rosine Sophia – Großherzogin von Oldenburg
Figeros – Diener des Großherzogs
Susanne – Dienerin der Großherzogin
Erna Marcia – die Haushälterin des Schlosses
Dr. Bartholdy – ein Winkeladvocat
Seraphim – der Hofpoet der Großherzogin Sophia
ERSTE SZENE

(Figeros und Susanne betrachten den Raum im Schloß, in dem sie nach ihrer ersehnten Hochzeit
wohnen wollen. Der Raum ist neben den Gemächern des Großherzogs und durch eine Tür mit
diesen verbunden. Figeros stellt gerade das neue Doppelbett auf. Susanne schaut amüsiert ihrem
Zimmermann zu.)

FIGEROS
Geliebte, schönste Braut, hier ist das Brautgemach
Des Himmels, dieser Raum dem Paradies gleich, ach,
Wenn wir erst sind vermählt, du Niedliche und Nette,
Und schlafen Arm in Arm in diesem Himmelsbette!
O Weib der Weiber, du bist ein Mysterium!
SUSANNE
(haucht)
Ich ein Mysterium? Warum, mein Schatz, warum?
FIGEROS
Victor Hugo war einst verliebt in Juliette,
Die Göttliche! Er sprach von Juliettes Bette
So warm und liebevoll: Die rue de paradis
Die Straße war, da Sie gelebt, gelitten, Sie
Geliebt! Die Straße war, die Wohnung und das Zimmer
Und ihr durchwühltes Bett in nackter Birne Schimmer
Fürwahr mein Himmelreich, fürwahr mein Paradies!
SUSANNE
Warum? Was ist denn an so einem Bett so süß?
FIGEROS
Gleich, Freundin, klatsch ich dir auf deinen Apfelhintern!
SUSANNE
Wie steht es denn, mein Schatz, mit gottgeschenkten Kindern?
FIGEROS
Ach, denke ich, o Braut, an unsre Hochzeitsnacht!
Bei Gott! Wie werden doch die Kinderlein gemacht?
Bei Nacht im Kerzenschein, wenn Engel mystisch schweigen,
Dann wollen wir mit Gott auch wohl ein Kindlein zeugen!
SUSANNE
Eins, lieber Bräutigam? Ich möchte lieber zwei!
Und Oldenburger Recht ist die Geheimzahl Drei!
Und wenn wir uns dann noch wie in der Brautnacht lieben,
Dann möchte ich wohl sechs, dann möchte ich wohl sieben!
FIGEROS
Und all die Blagen soll ich füttern dann mit Brot?
O Herrgott Zebaoth, bewahr uns vor der Not!
SUSANNE
Und weißt du: Dort die Tür, sie geht zu dem Gemache
Des Herzogs. Aber das ist eine eigne Sache.
FIGEROS
Was ist mit jener Tür und was mit dem Gemach?
SUSANNE
Der Herzog schleicht mir auf verbotnen Wegen nach.
FIGEROS
Der alte Fall! Ganz klar! Als Adam war in Eden
Im Gartenparadies, da hörte Adam reden
Jehowah unsern Herrn: Die Feige dort zwar nickt
Dir lüstern zu, mein Sohn, doch wird sie nicht gepflückt!
Ein göttliches Gesetz! Doch zeugen alle Zeugen
Von Adams Sündenart, dass die verbotnen Feigen
Am allerköstlichsten erscheinen jedem Mann!
SUSANNE
Er küsste meine Hand schon zärtlich dann und wann.
FIGEROS
Ja, einen Handkuss, ja, den darf er sich erhaschen,
Doch darf er nie, nein nie, von meiner Pflaume naschen!
SUSANNE
Der Herzog ist nun mal vor Lust für mich entbrannt,
Es hat ihn die Begier gewaltig übermannt!
FIGEROS
Ich sorge schon dafür – beim Sakrament der Ehe –
Daß unser lieber Herr und Fürst zu weit nicht gehe!
SUSANNE
Es schmeichelt mir ja doch, will mich ein Fürst verehren
Und eine arme Magd zur Herrscherin begehren.
FIGEROS
Des Weibes Eitelkeit liebt sehr die Schmeichelei,
Das Süßholzraspeln so, als ob es Manna sei.
SUSANNE
Den Herzog reih ich nie in Reihen der Erhörten –
Doch darf ich manchmal nicht ein bisschen mit ihm flirten?
FIGEROS
Susanne, süßes Weib, so niedlich und so nett,
Charmantes Wesen du, auch du, auch du kokett?
SUSANNE
Nein, keusch bin ich und fromm, nicht ähnlich den Kokotten,
Sind in der Kirche doch wir zwei der Hugenotten.
FIGEROS
Der Ehebund ist zwar nichts als ein weltlich Ding,
Doch ha! wenn man sich so ein liebes Täubchen fing,
Dann lebt auf Erden man bereits im Himmelreiche!
SUSANNE
Gott Vater hat wohl auch für uns noch Backenstreiche!

ZWEITE SZENE

(Die Küche des Schlosses. Die Haushälterin Erna Marcia sitzt mit dem Advocaten Dr. Bartholdy am
Küchentisch beim Kaffee.)

ERNA MARCIA
Sie sind ein Gentleman, dass Sie es nicht verschmähn,
In dieser Küche hier dem Weibchen beizustehn!
DR. BARTHOLDY
Nur nicht bescheiden sein! Sie sind ein armes Weib,
Das ist zwar nicht so schön, doch schön ist ja Ihr Leib!
ERNA MARCIA
Sie sind ja wirklich nett! Sie wissen ja zu schmeicheln!
DR. BARTHOLDY
Und dabei muss ich noch nicht einmal listig heucheln.
Ach, gute Küchenmagd, so sagen Sie: Was ist
Ein Advocat als nur ein Füchslein voller List?
ERNA MARCIA
Gerechtigkeit, ach ja! Die Wahrheit ist vielfältig,
Ist auch ein gutes Weib selbst manchmal hinterhältig.
DR. BARTHOLDY
Der Kaffee ist sehr stark, o Frau, den Sie gekocht,
Was wär denn sonst der Grund, dass mir die Ader pocht?
ERNA MARCIA
Herr Peter Friedrich, der mein Herzog, ist ein Zecher,
Und wenn er in der Nacht den Wein sog aus dem Becher,
Wenn ich ihn morgens dann zerknautscht, zerknittert seh,
Dann braucht er Türkentrank, recht schwärzlichen Kaffee,
Ja, eine Kanne leert am Morgen er, ein Prasser!
DR. BARTHOLDY
Ach geben Sie mir doch dazu ein wenig Wasser.
Nun aber zu dem Fall. Sie sagen, was geschah,
Ich ruf die Göttin an, die Frau Justitia!
ERNA MARCIA
Die Göttin? O mein Gott! Die Wahrheit nur, die pure!
DR. BARTHOLDY
Justitia, fürwahr, die Göttin gilt als Hure,
Justitia regiert als Göttin zwar die Welt,
Doch schiebt man in den Strumpf ihr Scheine, gutes Geld,
Justitia wird dann als Göttin herrlich fechten
Zum schließlichen Triumph der zahlenden Gerechten.
ERNA MARCIA
Nun hab ich wenig Geld, ich bin nur angestellt.
DR. BARTHOLDY
In Wahrheit ja das Geld regiert die liebe Welt,
Ich drück ein Auge zu, bei solchem süßen Weibchen
Kann zahlen auch das Weib mit ihrem eignen Leibchen!
ERNA MARCIA
Wie? Ich verstehe nicht? Doch lieber guter Mann,
Hört einmal voll Geduld Geschwätz des Weibes an!
DR. BARTHOLDY
Ich sage Du zu dir, du liebe arme Seele,
Erzähle, was geschah, von Anfang an erzähle.
ERNA MARCIA
Ich bin schon vierzig Jahr, Figeros zwanzig Jahr,
Figeros aber fand mich einmal wunderbar.
Damit ich ließe ihn in meines Rockes Nähe,
Versprach Figeros mir für später mal die Ehe.
Figeros aber nun Susanne schaut nur an
Und will zur Hochzeit sie, bedienen sie als Mann.
So kann man doch fürwahr gegebene Versprechen
Nach Lust und Laune nicht und eine Ehe brechen,
Die zwar vollzogen nicht und nicht gesetzlich ist,
Die doch versprochen war in Lüsternheit und List.
DR. BARTHOLDY
Fürwahr, da schnaubt mein Hengst aus seinen feuchten Nüstern,
Was nicht ein Mann verspricht, ist er nach Weibern lüstern!
Die Griechen sagten einst: Die Götter hören nicht,
Was so ein Männchen schwört, wenn ihm das Herze bricht
Und er will nur im Bett das süße Weib betören,
Die Götter hören nicht, was dann ein Mann wird schwören.
ERNA MARCIA
Bei Göttern mag das sein, doch nicht bei Gottes Kind,
Wir alle hier im Schloß doch Hugenotten sind.
DR. BARTHOLDY
Ja, alle Göttinnen ich wagte zu verspotten,
Doch Ehre in der Höh dem Herrn der Hugenotten!
Nun, liebes armes Weib, was ist jetzt dein Begehr?
Figeros, was soll er dir tun, was könnte er
Dir irgend Gutes tun? Sags, du musst dich nicht schämen.
ERNA MARCIA
Justitia soll ihm gebieten: Er soll nehmen
Mich in sein Ehebett als seine Ehefrau,
Wie einst es mir versprach mein Füchslein listig schlau.
DR. BARTHOLDY
Ja, mit Gesetzes Macht wir werden ihn schon zwingen,
Daß er dich herzlich liebt vor allen andern Dingen!
Gesetzes Macht ist groß, Justitia ist groß,
Sie treibt ihn mit Gewalt und Macht in deinen Schoß!
ERNA MARCIA
Wird er gezwungen erst – bei meinem Sündenleben –
Steckt er erst in dem Schoß, so bleibt er schon noch kleben!

DRITTE SZENE

(Susanne in ihrem Schlafzimmer. Bei ihr der junge Hofpoet der Großherzogin Rosine Sophia, der
Dichter Seraphim.)

SERAPHIM
Susanne, glaube mir, Madonna gestern Nacht
Hat mit den Augen mich so feurig angelacht
Und sagte seufzend mir, dass sie schon fast zerrönne
Und länger sich nicht mehr, ah weh, beherrschen könne!
SUSANNE
Du bist ein Schwärmer, nun, du bist ja ein Poet,
Der immer in der Glut, der Liebe Weißglut steht.
SERAPHIM
Doch was mich traurig macht, so trunken melancholisch:
Im Hugenottenhaus bin ich allein katholisch.
SUSANNE
Ein jedes Tierchen sein Pläsier und Ideal,
Wir sind ja tolerant und offen liberal.
SERAPHIM
Martinus Luther doch mit seinem Vetter Micheln
Nicht unterlässt es, stets scharf ketzerisch zu sticheln!
SUSANNE
Empfindsamkeit, du bist von zärtlicher Natur,
Jedoch ist ein Schakal die Menschenkreatur.
SERAPHIM
Ich dichtete bereits den Psalm auf Sankt Susanna,
Die das Martyrium erlitt für Gottes Manna.
SUSANNE
Du schmeichelst als Poet wohl jedem hübschen Weib?
Entzündet wirklich dich ein jeder schöne Leib?
SERAPHIM
Die Nymphen seh ich all im Tanz im Himmelssaale
Und alle Nymphen sind die Eine Ideale!
SUSANNE
Was ist dein Ideal? Die Jungfrau rein und keusch?
SERAPHIM
Ja, willig ist der Geist und reizend ist das Fleisch!
SUSANNE
Und unsre Herzogin? Was singst du für Rosine
Sophia, ihr zum Lob? Als Dichter sie bediene
Mit Ode, Hymne, Psalm, wie’s ihrer würdig ist,
Und sei im Liebeslied nur auch ein frommer Christ!
SERAPHIM
Wenn ich Sophia seh, Rosine sehe spreizen
Den kleinen Finger zart, verzückt von ihren Reizen
Ich bet als Gott sie an, der Schönheit Ur-Idee,
Wie sie den Finger spreizt an ihrer Tasse Tee!

(Es klopft an der Tür zu Susannes Schlafzimmer.)

SUSANNE
Wer klopft an meine Tür? Doch hoffentlich kein Schuster!
HERZOG
(von draußen)
Susanne, Dienerin, den Herzog lass ins Duster!
SUSANNE
(laut)
Mein Herzog, Gott sei Dank, mein Herzog, Gott sei Dank!
(leise zu Seraphim)
Mein Seraphim, versteck dich in dem Wäscheschrank!
SERAPHIM
(sich im Wäscheschrank versteckend)
Die schönsten Schlüpfer hier, die feinsten Büstenhalter!
In der Narzisse Kelch glückselig steckt der Falter!
SUSANNE
(laut)
Mein Herzog, Gott sei Dank, dass Ihr mich hier beehrt!

(Der Großherzog Peter Friedrich tritt ein.)


HERZOG
Du weißt, Susanne, dass der Herzog dich begehrt!
SUSANNE
(fällt scheinbar in Ohnmacht)
Ach, ach, mein Herzog, ach, ich fühle mich so schwächlich!
Ich bin ein schwaches Weib, so zart und so zerbrechlich!
(Es raschelt im Wäscheschrank)
HERZOG
In deinem Wäscheschrank, sag, lebt da eine Maus?
Geht in dem Wäscheschrank ein Mäuschen ein und aus?

(Der Großherzog öffnet den Wäscheschrank und entdeckt den Dichter Seraphim, die Nase in den
Seidenspitzenunterhöschen tief versteckt.)

SERAPHIM
Mein Herzog und mein Herr, Verzeihung und Erbarmen,
Verzeiht dem Elenden, dem Liebeskranken-Armen!
HERZOG
Du fauler Knecht, ich schick dich zu der Bundeswehr,
Die Waffe halten lern als deutscher Ritter Er!

(Figeros tritt ein, er hörte noch die letzten Worte und fügt spöttisch hinzu)

FIGEROS
Ja, zärtlicher Poet, du wahrhaft Gottes Affe,
Poliere als Soldat soldatisch deine Waffe!
Empfindlicher Papist, du opferst Gottes Lamm,
Du krieche nur verliebt durch schwarzer Erde Schlamm!

VIERTE SZENE

(Susanne mit Seraphim allein in ihrem Schlafzimmer.)

SUSANNE
Ach junger Seraphim, du Sehnsuchtshungerleider,
Ich kleide jetzt dich ein in rote Frauenkleider,
Erwarte in Geduld so meine Hochzeit du!
Und kleide ich mich um, so schau mir immer zu!
SERAPHIM
(während er ein kurzes rotes Kleid mit Spaghetti-Trägern anzieht)
Ich denk an Attis heut, den Heros der Kybele,
Die Magna Mater war Kybele, meine Seele,
Die Große Mutter Gott. Ihr Sohn-Geliebter war
Der Heros Attis, der der Göttin Priester war,
Und weil er diente ihr als Sehnsuchtshungerleider,
Ihr gleich er wollte sein, drum trug er Frauenkleider,
Und wenn er opferte der Göttin einen Bock,
Dann stand der Priester da im roten Frauenrock.
Nicht an der Vorhaut nur der Priester war beschnitten,
Die Göttin-Priester der Entmannung Schmerz erlitten
Und so verstümmelt als ein heiliger Eunuch
Der Göttin opferte er Weihrauchs Wohlgeruch.
Origenes, ich denk an diesen Kirchenvater,
Er diente Gott dem Herrn, nicht Göttin Magna Mater,
Im Evangelium las einst Origenes,
Wer in dem Himmelreich sucht Ewigseiendes,
Der lebe ehelos für Gott im Zölibat,
Als heiliger Eunuch und seliger Kastrat.
Origenes gleich nahm ein scharfgeschliffnes Messer,
Er damals nicht verstand die Worte Jesu besser,
Er schnitt sich ab sein Glied, sein bestes Mannesstück,
Weil Gottes Paradies war all sein Liebesglück.
Die Mutter Kirche auch, die heilig, apostolisch,
Des Herrn Ecclesia, die einig und katholisch,
Hat eine Priesterschaft in ihrem Gottesstaat,
Die leben nur für Gott im keuschen Zölibat
Und weihen sich dem Herrn in allen Erdenländern
Und dienen Gott dem Herrn in weiblichen Gewändern
Und in der Liturgie in langem Priesterrock
Sie opfern Gottes Lamm, der Sünder Sündenbock.
Ich aber als Poet, als Sekretär der Musen,
Bei deinem roten Kleid denk deinen weißen Busen
Und inspiriert allein von der Liebfrauenbrust
Ich sing mein Liebeslied voll Leidenschaft und Lust,
Denn lustvoll träume ich von meiner Seelengattin,
Madonna, Muse mir, Schutzengelin und Göttin!

(Es klopft an die Tür.)


SUSANNE
Wer möchte da herein zu Gottes armer Magd?
HERZOG
(von draußen)
Susanne, ach, erbarm! Dem Himmel sei’s geklagt!
Darf ich in deinem Schoß nicht heute übernachten,
Verzehr ich mich zu Tod und sterbe vor Verschmachten!
SUSANNE
Nur einen Augenblick, mein Herzog und mein Fürst!
HERZOG
Rasch, öffne mir die Tür, verschmachtend ich verdürst!
SUSANNE
(leise zu Seraphim)
Der Herzog als Vampir wie nächtliche Gespenster
Will zu der Magd des Herrn. Du fliehe durch das Fenster!

(Seraphim im kurzen Frauenkleid flüchtet durch das Fenster aus Susannes Schlafzimmer. Susanne
öffnet dem Herzog Peter Friedrich die Tür.)

HERZOG
Als Freier stehe ich auf Freiersfüßen hier
Und ich bekenne dir: Ich ganz gehöre dir!
SUSANNE
Ach, Eure Majestät, des höchsten Adels Heros,
Gehör ich doch dem Knecht, dem elenden Figeros.
Ihr, Majestät, Ihr seid ein wahrer Edelmann,
Figeros einer, den man nicht verderben kann,
Weil, er ist durchaus schlecht, den kann man nicht verderben.
Doch, Eure Majestät, lasst nicht die Tugend sterben!
Der Geist ist willig, ah! Begierlich ist das Fleisch!
Sophia, Eure Frau und Herrscherin, ist keusch
Und sie vertraute ganz sich Euch in frommer Ehe.
Was wollt Ihr dann bei mir in so intimer Nähe?
HERZOG
Das göttliche Gesetz verbietet Ehebruch,
Ich hör die Botschaft wohl, den ernstgemeinten Spruch,
Seh wandeln aber ich vor meinen Augen solche
Urphänomenale Frau – die langen Wimpern Dolche –
Mein Jesus, ich bin schwach, Erbarmen, lieber Gott,
Ich bin ja nur ein Hauch, mein Leib von Lehm, Schamott,
Ich kann auf dich, o Magd der Götter, nicht verzichten,
Nicht weise mich zurück, du würdest mich vernichten!
SUSANNE
O Peter Friedrich, Fürst in Eurer Majestät,
Euch bittet Gottes Magd: Geht zu Sophia, geht!

FÜNFTE SZENE

(Figeros in seiner Kammer. Er sitzt am Schreibtisch, vor ihm ein jungfräuliches weißes Blatt Papier.
Er schüttelt seinen Füllfederhalter etwas heftig, so dass die königsblaue Tinte herausspritzt.)

FIGEROS
Jetzt schreib ich einen Brief, doch einen anonymen,
An Peter Friedrich, an den Herzog, nicht zu rühmen
Den Herzog, sondern um zu warnen ihn sehr streng,
Daß er in dieser Welt engherzigem Gedräng
Der Hochzeit ferne bleib Figeros’ und Susannes,
Weil sonst ihn Zorn erreicht des anonymen Mannes.
Ich rede als Prophet, im Dunkelmännerton,
Orakelhaft, wie ein moderner Musensohn,
Anspielungen, ein Wink, ich droh, ihn zu verraten
An seine Ehefrau, ich werde ihn beraten,
Wie er die Ehe mit Sophia neu erfrischt,
Auch wird ihm Marktgeschwätz von Weibern aufgetischt.
Bleib du der Hochzeit fern – in Gottes großem Namen –
Bleib du der Hochzeit fern – das ist des Briefes Amen.

(Er schreibt. Nach einer Weile - )

Nun fertig ist der Brief, und roter Siegellack.


Die Marke auf den Brief, ein seltsamer Geschmack,
Daß man die Marke noch muß mit der Zunge lecken,
Wie kleine Kinder, die die Lutschestange schlecken.

(Die Großherzogin Rosine Sophia tritt plötzlich herein.)


ROSINE SOPHIA
Figeros, mir verzeih, ich hab nicht angeklopft.
Was tut mein Diener hier so angestrengt verkopft?
FIGEROS
Ach, nichts, o Herrscherin, in Muße und in Nichtstun
Verbring ich meine Zeit, will ewig in dem Nichts ruhn.
ROSINE SOPHIA
Mein Hugenotte und mein neugeborner Christ
Ersehnt das reine Nichts? Du wurdest gar Buddhist?
FIGEROS
Nein, meine Herrscherin, beim fünften Elemente,
Doch wie der Römer singt vom dolce far niente,
Der Muße Göttin sei alltäglich mir gegrüßt,
Der Muße Göttin, die mir meinen Tag versüßt!
ROSINE SOPHIA
Das stammt von Hölderlin. Ich kenne die Poetik.
Von Calvin ist das nicht und seiner Arbeitsethik.
FIGEROS
Auch Calvin war ein Mensch und lag wohl manchmal schief.
ROSINE SOPHIA
Was aber ist denn das? Ein anonymer Brief?
Den anonymen Brief, den hast du selbst geschrieben
An Peter Friedrich, an den Mann, den darf ich lieben!

(Rosine Sophia öffnet den Brief und liest ihn.)

FIGEROS
Verzeiht mir, Herzogin, und nehmts nicht zu genau,
Ich war ja nur besorgt um meine liebe Frau.

(Sophia will eben antworten, da klopft es an der Tür und Dr. Bartholdy und Erna Marcia treten ein.)

DR. BARTHOLDY
Ich bin im übrigen der festen Überzeugung:
Karthago wird besiegt! Historische Bezeugung
Des Advocatentums schon in dem Altertum!
Im Neuen Testament gibt’s Advocatentum,
Der Advovat, das ist das Beistandsamt des Geistes
Und Advocatin ist Maria uns, so heißt es.
Der Anwalt, Beistand, ist der Geist, der Paraklet.
Ein jeder Moslem meint, das wäre Mohammed.
Karthago wird besiegt! Ja, meine lieben Damen,
Karthago wird besiegt! Das ist des Anwalts Amen.
ROSINE SOPHIA
Von Weisheit zeugt das nicht, was Sie da reden, Mann,
Doch was Sie wollen hier, das sagen Sie uns an.
DR. BARTHOLDY
Figeros, dieser Kerl und Hund von einem Manne,
Er will die Ehe mit der reizenden Susanne.
Weiß auch die Herrscherin, dass er die Ehe brach,
Hier dieser Köchin einst den Ehebund versprach?
ROSINE SOPHIA
Marcia Erna, bei dem Kochtopf und dem Kessel,
Spricht Wahrheit dieser Mann? In deiner Haare Fessel
Figeros fingst du ein? Du bist doch gut und nett,
Figeros wirklich lag bereits in deinem Bett?
ERNA MARCIA
Nicht dass ich wüsste, Frau und Herrscherin, doch aber
Und ja und aber doch, unendliches Gelaber
Ließ er vom Stapel einst, wie lieb er mich doch hätt
Und wie sein Paradies im Himmel wär mein Bett
Und wie er atmen könnt allein in meiner Nähe
Und wie vollziehen wollt die Pflichten er der Ehe!
ROSINE SOPHIA
Figeros, das ist ernst! Was sagst denn du dazu?
FIGEROS
Ich will Susanne nur, bis zu der Ewgen Ruh!
ROSINE SOPHIA
Fruchtwasser Unsrer Frau, Marias Mutterkuchen!
Nun, den verstrickten Fall, den muß ich untersuchen.
Die Hochzeit jedenfalls verschieb ich erst einmal.
Figeros, sage klar: Wer ist dein Ideal?

SECHSTE SZENE

(Im großen Saal des Schlosses treffen sich der Großherzog und die Großherzogin.)

HERZOG
Ach, gar nichts weiß ich mehr, bin ganz leer von Gedanken,
Ich bin so sehr verwirrt, so wie die psychisch Kranken.
Vorsehung? Was ist das? Was ist denn Gottes Plan?
Ich sehe Irrsinn nur, Verstrickung nur und Wahn!
Der eine Mann liebt die, und die liebt einen andern.
Die Schicksalsfäden wirr als Labyrinth mäandern.
HERZOGIN
Mein Hirte ist der Herr, ich bin ja nur sein Schaf.
Geliebter Mann, du brauchst heut einen tiefen Schlaf.

(Der Herzog geht. Susanne kommt.)

SUSANNE
O meine Herrscherin, Ihr also habt gerufen?
Bei allen Elohim, die die Adame schufen,
Sagt, was ist Euer Wunsch, der Majestät Begehr?
Jehowah Zebaoth im Himmel sei die Ehr!
HERZOGIN
Ich habe einen Plan: Du sollst den Fürst erwarten
In dieser Frühlingszeit in diesem Schlosspark-Garten,
Doch trage du das Kleid der Herzogin dabei,
Ich gebe dir mein Kleid, mein Kind, ich bin so frei,
Mein allerschönstes Kleid von feiner weißer Seide,
Dein liebes Leibchen wird darin zur Augenweide.
Wenn dich der Herzog dann im Schlosspark so erblickt,
Von deiner Herrlichkeit der Herzog ist entzückt!
SUSANNE
Warum denn dieser Plan? Was ist denn Euer Wille?
HERZOGIN
Nur stille, liebes Kind, mein liebes Kind, nur stille,
Vertraue meinem Plan, ich löse alles auf,
Die Schicksalsgöttin nimmt oft den gewundnen Lauf.
Was du, Susanne, jetzt noch gar nicht kannst durchschauen,
Einst klärt sich auf dein Blick, du musst mir nur vertrauen,
Am Ende triumphiert die Liebe sonnenklar,
Entsprechend ihrem Stand gesellt sich Paar um Paar,
Zufrieden jeder Mann mit seinem rechten Bräutchen,
Zufrieden auch die Braut mit keuschem Jungfernhäutchen,
Wenn sie der rechte Mann vom Mädchentum erlöst
Und kirchlich kopuliert und zärtlich sie durchstößt.
SUSANNE
Ich hab ja aufgespart vorm Ehestand als Braut
Nur für den Einzigen die keusche Jungfernhaut.
HERZOGIN
Und so allein ists recht, so ist das fromme Wesen,
Wovon seit Kindheit an ich in der Schrift gelesen.

(Die Herzogin übergibt Susanne ihr feines weißes Seidenkleid, streicht ihr übers Haar und geht.
Susanne befingert die feine Seide und verbirgt das Kleid dann in einer Schachtel. Nun kommt
Figeros und gesellt sich zu Susanne.)

FIGEROS
Wie geht’s, wie stehts, o Braut, wie fühlst du dich, o Braut?
SUSANNE
Ich habe in den Kelch des Schicksals tief geschaut.
Hör, unsre Herzogin Sophia, Frau Rosine,
Die schönste Herrscherin, der ich in Demut diene,
Hat untersucht den Fall Marcia Erna und
Figeros, was gesagt angeblich hat dein Mund.
Ich künde dir Triumph, du hast den Advocaten
Besiegt, mein bester Freund, dem ist es schlecht geraten.
Der Winkeladvocat, der Fuchs mit seiner List,
Vom höchsten Weltgericht bereits gerichtet ist!
FIGEROS
Susanne, meine Braut, mein Atem und mein Leben,
Was hat der Herzogin Erforschung denn ergeben?
SUSANNE
Marcia Erna ist dein Mütterchen, mein Herz,
Die unter Wehen dich geboren einst voll Schmerz.
FIGEROS
Wer aber in der Welt irrsinnigem Theater
Ist durch den Zeugungsakt auf rechte Art mein Vater?
SUSANNE
Ah, mothers baby, ah, but fathers maybe, Schatz,
So spricht in England man den zweifelhaften Satz.
Doch kurz und gut, mein Herz, als Bastard bist geboren.
Marcia Erna hat dich frühe schon verloren
Und sie vergaß dich ganz, jedoch ihr Mutterherz
Erwachte wiederum voll liebevollem Schmerz,
Als sie dich wiedersah. Du musst es ihr verzeihen,
Die eigne Mutter dein wollt dich als Gatten freien.
FIGEROS
Susanne, Liebste mein, bei deinem Rosenmund,
Nun nichts entgegen steht mehr unserm Hochzeitsbund!
SUSANNE
Ach, Peter Friedrich schäumt, im Wüten überheblich,
All seine Schmeichelei, Verführungskunst vergeblich!
Ich hörte eben ihn laut schreien voller Zorn:
Weh mir, Begehrteste, verschlossner Wonneborn!

SIEBENTE SZENE

(Großherzogin Rosine Sophia sitzt an ihrem Schreibtisch und schreibt einen Brief.)

ROSINE SOPHIA
Komm, wehe, Geist des Herrn, durch meine Seele wehe,
O du mein Genius, zur Ehre meiner Ehe
Will schreiben ich den Brief, der von der Liebe spricht,
Ob es an Worten auch der armen Frau gebricht.
Ich möchte anonym dem Herzog Liebe künden,
In großer Leidenschaft, mit Süßigkeit von Sünden,
Ich will die ganze Glut ergießen aus der Brust
Und in dem guten Mann erwecken alle Lust,
Was man nur sagen kann von Liebe einem Manne.
Dann schick ich mit dem Brief zu ihm die Magd Susanne,
Soll er doch denken, dass Susanne ihn begehrt,
Anbetend anschaut und als Heiligen verehrt!
In Wahrheit liebe ich den großen Friedrich Peter,
Wie meine Mütter nicht einst liebten seine Väter,
Denn solche Liebe gab es noch nicht auf der Welt,
Weil dieser Mann fast mehr als Jesus mir gefällt.
Mein Jesus, ach, verzeih, der Abgott meiner Liebe
Scheint mir allmächtig fast, mit allem Lebenstriebe
Und jedem Fäserchen des Herzens bet ich an
Den Einen, Einzigen und Ewigen, den Mann!
Zur großen Liebe auch in übergroßer Stärke
Geselle sich die Lust, weil Amors gute Werke
Nicht Liebe nur allein betreiben, auch die Kraft
Der Wollust treibt sie an, der Lust und Leidenschaft!
Platonisch nicht allein sei meine Hohe Minne,
Auch kitzeln will ich ihn an dem Geschlecht der Sinne.
Ein Dichter mag allein als reiner Platonist
Anbeten eine Frau, ein neugeborner Christ
Glaubt aber an das Wort, das wahrhaft Fleisch geworden,
Und nicht wie Nonnen nur in ihrem Jungfraun-Orden
Will Liebe singen ich mit heiß erglühtem Mund,
Nein, Liebe singe ich und sing den Ehebund,
Die Liebe nämlich ist verschieden, vielgestaltig.
Doch Mann und Frau und auch ein Kind, das ist dreifaltig
Wie die Dreifaltigkeit des allerhöchsten Herrn.
Nun, kurz und gut, mein Mann: Ich hab dich schrecklich gern!

(Sie läutet. Susanne tritt ein.)

SUSANNE
Was wollt Ihr, Herzogin, von Eurer Magd Susanne?
ROSINE SOPHIA
Bring diesen Liebesbrief zu meinem Ehemanne!

(Sophia begibt sich in ein Nebenzimmer. Susanne will eben fortgehen, den Brief zu überbringen, da
stürmt der Herzog Peter Friedrich zornig herein.)

HERZOG
Gottvater, Blitz und Zorn! Ich hatte ihn verbannt,
Den Dichter Seraphim! Jetzt hab ich ihn erkannt,
Er lebt ja immer noch in meinem Herzogsschlosse,
In Frauenkleidern geht der singende Genosse
In meinen Hallen um. Ein Harem scheint ihm wohl
Mein weißes Herzogsschloß? Die Frauen, die sind hohl,
Ein Hohlraum ist die Frau! Und er, er will sie füllen,
Den schönen Innenraum erfüllen, diesen stillen.
Ja, eben sah ich ihn, er las in einem Buch,
Der Dichter Seraphim, im Harem ein Eunuch.
Wie lange will er noch in meinem Schlosse wohnen?
Die Köchin kocht ihm gar zu Nudeln rote Bohnen,
Obwohl doch jeder weiß, so sagt Pythagoras,
Die Bohne isst man nicht, es ist gesetzlich das,
Wie Ja und Amen in der Kirche, weil in Bohnen
Die toten Ahnen und die toten Freunde wohnen!
Dann aber Seraphim als Buhle unverzagt
Macht an Susanne sich heran, Sophias Magd,
Und dichtet Oden ihr in nächtlicher Vigilie
Und nennt sie tiefen Kelch der keuschen weißen Lilie!
Ich weiß wohl, was er meint mit seiner Ode, welch
Geheimnis er besingt im tiefen Lilienkelch!
Doch nicht allein die Magd, die wunderschöne Närrin,
Bedichtet Seraphim, er feiert auch die Herrin
Und preist Sophia, preist Rosine ohne Spott
Und rühmt so hoch sie, als wär sie der liebe Gott!
Bei Gott, das geht zu weit, dass dieser Grillenfänger,
Daß dieser Taugenichts und faule Müßiggänger
Und Tor und Tunichtgut in meinem Schlosse wohnt
Und keinen Weiberrock mit seinem Lied verschont!
SUSANNE
Verzeiht dem armen Tor, ein Tor in Christo ist er,
Wir alle ehren ihn, wir betenden Geschwister,
Weil er in Gottes Geist frohlockt und jubiliert
Und für uns alle stets die Psalmen psalmodiert.
Jedoch, vergesst ihn nur, er ist halt krumm und schief.
Doch, o mein lieber Herr, lest diesen Liebesbrief!
(Susanne gibt den Liebesbrief dem Herzog. Der liest, beruhigt sich, sein Antlitz wird weich und
verliebt und darum töricht.)

HERZOG
Wer so von Liebe spricht, von tiefsten Liebesleiden
Und dabei mild und keusch, demütig und bescheiden,
Der kennt der Liebe Macht. Nun stillt sich meine Wut,
Befriedigt bin ich, ah, von solcher Liebesglut!

ACHTE SZENE

(Im Schlosspark erscheint die Großherzogin Sophia Rosine, verkleidet als Susanne. Um sie herum
scharwenzeln der Großherzog Peter Friedrich, der Diener Figeros und der Dichter Seraphim.)

ROSINE SOPHIA
Wie schön im Frühling sind im Schlosspark doch die Tulpen!
SERAPHIM
Wie Minnesänger und Kreuzritter gehn in Stulpen
Und dienen mit dem Geist und ganzem Körperbau
Der Minneherrscherin, der wunderschönen Frau!
Ob diese Frau vermählt ist aber einem Manne
Das stört den Dichter nicht! O göttliche Susanne!
ROSINE SOPHIA
Wie schön und feuerrot die Nelke hier doch flammt!
SERAPHIM
O roter Nelkenschoß von allerfeinstem Samt!
Ja, von der Gottheit Schoß die Universen stammen,
Heim in der Gottheit Schoß will ich in Liebesflammen!
ROSINE SOPHIA
Wie königlich sind doch die Edelrosen rot!
SERAPHIM
Die christliche Passion ist doch ein Liebestod,
Der Gott und Bräutigam in wilden Liebesschmerzen
Verletzen ließ vom Dorn sich tief an seinem Herzen,
Verblutend liebevoll er für die Liebste starb
Und Jungfrau Kirche so zum Bräutchen sich erwarb!
ROSINE SOPHIA
Die Osterglocken schau – selbstliebende Narzissen!
SERAPHIM
Susanne, Osterlamm, laß dich nur einmal küssen!
Sankt Paulus uns gebot: Grüßt euch mit heilgem Kuss!
Durch einen Liebeskuss zu sterben – ein Genuss!
Darf ich die Lippen nicht dir küssen – doch dein Wänglein!
Dein Wänglein küssen lass, du Elfe und du Englein!
ROSINE SOPHIA
Der Christ die Christin grüßt, die Christin grüßt den Christ,
Geschwisterlichen Kuss man in der Kirche küsst!

(Seraphim küsst Sophia Rosine auf ihre Wange.)


SERAPHIM
Ich habe Gott geküsst! Ein Kuss auf Gottes Wange!
Ich küss in Ewigkeit, dort küss ich lange, lange!

(Der Herzog tritt hinzu. Figeros steht hinter Seraphim.)

HERZOG
Du Dichter Seraphim, der du ein Heide bist,
Figeros Braut hast du, Susanne du geküsst?
Die Strafe deiner Schuld sollst du am Leibe tragen :
Ohrfeigen will ich dir auf deine Backe schlagen!

(Der Herzog will Seraphim ohrfeigen, der Dichter weicht geschickt aus und die rechte Hand des
Herzogs landet auf Figeros’ Wange.)

FIGEROS
Ach, ach, mein hoher Herr, Ihr habt mich ohrgefeigt!
Mein Vater und mein Herr, ich bin Euch zugeneigt!
Ihr schlagt mich mehr und mehr, als Vater mich zu züchtgen,
Ich lieb Euch immer mehr und diene Euch im Tüchtgen.

(Figeros und Seraphim verlieren sich im Schlosspark. Der Großherzog will der als Susanne
verkleideten Großherzogin den Hof machen, aber diese entzieht sich immer wieder geschickt. Je
weiter die sogenannte Susanne sich im Schlosspark verliert, desto brünstiger eilt Peter Friedrich ihr
nach.)

HERZOG
So ist es auch mit Gott: Je mehr ich Gott entdeckt,
Je tiefer hat sich Gott verborgen und versteckt!
Ja, eine schöne Frau ist Gottheit einem Manne,
Der Schönheit Göttin du, o göttliche Susanne!
ROSINE SOPHIA
Mein Herzog, ist Euch ernst der Hohe Minnekult,
Beweist der Hohen Frau, Ihr dient ihr in Geduld!
HERZOG
Nach Luftgespinsten soll ich wie die Toren haschen?
Vom Zuckerkandismund Susannes will ich naschen!
Soll ich denn irren wie ein Irrer tief im Wahn?
Die Brüste kosten lass, die süß wie Marzipan!
ROSINE SOPHIA
Die wahre Liebe ist ein Festmahl dir zum Schlickern?
Soll Liebe spielen ich mit einem immer Dickern?
HERZOG
Ja, eilig will ich, Frau, betreiben Liebes-Sport!
Mein Muskeltraining sei die Liebe fort und fort!

NEUNTE SZENE

(Schlosspark. Die als Susanne verkleidete Großherzogin ist verschwunden. Figeros und Seraphim
stehen schweigend im Garten, als die wahre Susanne erscheint, aber als Großherzogin Rosine
Sophia verkleidet.)
SERAPHIM
Sophia, Herrscherin, o göttliche Sophia,
Wie Jesus Christus Gott und lieblich wie Maria,
Erschrocken bin ich, Frau, von deiner Allgewalt,
In deinen Händen mich und meine Seele halt!
Der Erde Enden vier, von allen Erdenecken
Die Menschheit schreit zu dir: O Gottheit, unser Schrecken!
SUSANNE
Die Liebe aber ist dem Liebenden stets süß,
Der Kleine Liebestod ist doch ein Paradies!
FIGEROS
Sophia, oder soll Rosine ich Euch nennen,
Die Sünden Anderer, die muß ich Euch bekennen!
SUSANNE
Anhören muß ich all die Sünden in Geduld,
Wann aber beichtest du denn deine eigne Schuld?
FIGEROS
Ich mach das selber klar mit Gott dem Unerreichten,
Wir Hugenotten, Frau und Herrscherin, nicht beichten.
Gesündigt tapfer stets, wie Luther sprach voll Reiz,
Denn alle Schuld vergab vorlängst der Herr am Kreuz.
SUSANNE
Gesündigt tapfer? Nun, was willst du mir verkünden
Von eines andern Manns und seines Schwanzes Sünden?
FIGEROS
Ha, Euer Ehemann schleicht der Susanne nach!
Wer weiß, ob er nicht schon den Bund der Ehe brach?
Susanne zwar ist schön, wie schön ist alle Jugend,
Den Herzog nur bewahrt Susannes keusche Tugend,
Wenn sie ihm nicht verwehrt das Ehebrechen hätt,
Er hätt gewiss sie schon erkannt in ihrem Bett!
SUSANNE
Ja, mit dem Schwanze denkt die Art von einem Manne!
Du aber glaubst, es sei wie Lilien keusch Susanne?
FIGEROS
Sophia, Herrscherin, gottgleiche Kaiserin,
Für ihre Keuschheit geb ich meine Seele hin!
SUSANNE
Und Peter Friedrich? Er hüpft hinter jedem Röcklein
Als Freier hinterher, den Zicken nach als Böcklein?
FIGEROS
Sophia, leider ja, ich sags mit Scham und Scheu,
Ich jedenfalls bin treu und keine Schuld bereu,
Der Herzog aber ist ein Sünder, ist ein Buhle,
Es scheint sein Ideal der Venus Hierodule!

(Der Großherzog Peter Friedrich erscheint.)

HERZOG
Man redet über mich, ich seh es euch doch an,
Ihr kichert! Was denn schwatzt ihr über mich, den Mann?
SUSANNE
Mein Herzog und mein Herr, man sagt, du habest Schwächen
Und wolltest allzu gern einmal die Ehe brechen?
HERZOG
Wer sagt denn das von mir? Ich bin ein frommer Christ,
Der zwar ein Sünder war und sein wird und auch ist,
Und doch bemüh ich mich, nicht andrer Frauen Wade
Zu fassen sündlich an. Doch alles ist nur Gnade!
FIGEROS
Susanne aber, Herr, bei Christi Blut und Fleisch,
Die nähmet gerne Ihr, so reizend sie und keusch!

(Der Herzog wird zornig und verprügelt den Diener Figeros. Voller Zorn geht der Herzog fort.
Susanne beugt sich mitleidsvoll über Figeros und streichelt seine Wunden. Da erkennt Figeros in
der angeblichen Großherzogin seine Verlobte Susanne.)

FIGEROS
Mein Bruder Seraphim, mein bester Freund und Bruder,
Sophia bete an, Sophia ist kein Luder,
Sophia bete an, den femininen Gott,
Der du bist orthodox, du bist kein Hugenott,
Du bist doch ein Poet, der ewig melancholisch,
Du orthodoxer Christ, der römisch und katholisch.
SERAPHIM
Sophia, du bist schön, der Schönheit Ursprung du!
Dein Schönsein ist perfekt, schön bist du immerzu,
Schön deine Liebe ist, die Mutter aller Tugend,
Schön bist du, makellos, in ewigjunger Jugend,
Schön bist du aller Welt, von Sünden unbefleckt,
Schön bist du ewiglich, dein Schönsein ist perfekt,
Du Schönheit, du bist Gott! Urschönheit, meine Göttin,
Urschönheit, Göttin-gleich, bist meine Ehegattin!
FIGEROS
Ha, jetzt erkenne ich, wie tief im Irrtum ist
Mein armer Katholik, mein sündiger Papist!
Sophia bietest du dich an zum Gottesmanne
Und siehst nicht: Diese Frau ist nur die Magd Susanne!
SERAPHIM
Sophia selber ist Urschönheit, göttlich wohl,
Susanne aber ist mein irdisches Idol!

ZEHNTE SZENE

(Alle sind im Schlosspark versammelt.)

DR. BARTHOLDY
Marcia Erna, dich nehm ich zum Eheweibe!
ERNA MARCIA
Jetzt geb ich dir mich hin mit meinem ganzen Leibe!
HERZOG
Rosine, deine Brust alleine mich erfreu,
Sophia, dir allein bin ich als Gatte treu!
HERZOGIN
Mein Peter, du mein Papst und ich bin deine Kirche,
Mein Friedrich, du mein Baum und ich bin deine Kirsche!
FIGEROS
(kniet vor Susanne mit einer roten Rose)
Susanne, keusche Magd, die du mit mir verlobt,
Wie haben oft wir schon die Kissenschlacht getobt –
Auf heilig-keusche Art, das kann ich wohl bezeugen!
Nimm mich zum Gatten an, ich will auch in dir zeugen
Zwei Kinder, wenn du willst! Jedoch, ich denke grad,
Die Kinder werfen dann uns an die Wand Spinat!
SUSANNE
Ich werde deine Frau und will dich treulich lieben
Und will ich nicht nur zwei und will ich lieber sieben,
Wie immer es auch sei, denn Kinder sind Geschenk
Des lieben Gottes nur, Mann, daran immer denk!
FIGEROS
So kleide dich, o Braut, schneeweiß in sanftem Samte,
Dann eile ich mit dir sogleich zum Standesamte.
SUSANNE
Zur Ehe bürgerlich bin ich bereits bereit,
Vom Pastor aber auch sei unser Bund geweiht,
Wir wollen unserm Herrn den Bund zu Füßen legen:
Herr Jesus, gib uns, Herr, gib, Herr, uns deinen Segen!
FIGEROS
Nicht im Mariendom Geist Gottes auf uns brause,
Sankt Ulrich wähle ich für uns zum Gotteshause,
Sankt Ulrichs Gotteshaus ist in der Welt bekannt
Als Haus des Luthertums, denn ich bin Protestant.
Stiefmütterlich die Brust von Doktor Martin Luther
Mir lieber als die Brust der Großen Gottesmutter!
SUSANNE
Mein Adam bist du doch und ich die Eva dein,
Gott soll der Dritte in dem Bund der Ehe sein!
FIGEROS
Doch in der Hochzeitsnacht, seh Eva ich, die Nackte,
Ist Gott der Dritte auch bei unserm Liebesakte?
SUSANNE
Im Liebesakte Gott im Innern sei dabei,
Die Liebe Gottes in dem Akte schöpfrisch sei!
FIGEROS
Die göttliche Potenz mich mach zum Überwinder
Und zeuge durch den Akt uns anvertrauter Kinder!
ROSINE SOPHIA
Mein armer Seraphim, wo alle Welt sich freit,
Bleibst du allein zurück in Menscheneinsamkeit?
SERAPHIM
O wenn die dumme Welt von meiner Liebe wüsste,
Wie ich allnächtlich sie inbrünstiglichstens küsste!
Die Welt der Narren weiß von meiner Frau nicht, welch
Geliebte sie mir ist! Sie ist des Heiles Kelch,
Ihr breites Becken ist des Ewgen Lebens Becher
Und täglich Tag und Nacht ich zeche als ihr Zecher
Und leck den Kelch noch aus, die Scherben ich noch leck,
Und wenn ich tief berauscht im tiefsten Gottesschreck,
Verzweifelt und verzagt, ob ich von den Erlösten,
So gibt sie ganz sich hin, berauschend mich zu trösten,
Bis ich vergehe fast vor Paradieseslust,
Weil ich im Rausche ruh an ihrer Traubenbrust,
An ihren Brüsten süß, berauschend, prallen Trauben!
An ihre Liebe will ich, an ihr Herz stets glauben,
Weil sie ihr Blut gibt hin, ich trinke dann ihr Blut,
Mit meinem Blut vermischt ihr Blut sich voller Glut,
Und wenn sie mich entblößt, fast tödlich mich zu schwächen,
Will ich den Tränenkelch, den Kummerbecher zechen,
Dann kommt die Liebste an, in bloßer Schönheit an
Und nennt mich Liebesheld! Ihr auserwählter Mann
Bin ich im Liebestod! So herrlich ist mein Schrecken,
So hart die Liebe ist, so süß weiß sie zu necken,
Und wenn sie mich entblößt, im Schrecken fast entherzt,
Wie trunken macht sie dann, wie lustvoll sie mich herzt,
Bis ich betrunken bin von Allgewalt der Liebe,
Ekstatisch bin berauscht im tiefsten Liebestriebe!
Ein Becher meine Braut, sie ist mein Morgenstern,
Denn ich, ich bin vermählt der Trunkenheit des Herrn!

CARMEN

ERSTER AKT

(Die Szene des ersten Aktes ist ein Marktplatz in Sevilla.)

ERSTE SZENE

(Hauptmann Morales und die Garde beobachten das Volk.)

MORALES
Wie lebt das Volk in großer Torheit doch!
Sie hasten durch die Straßen auf den Markt,
Um Dinge einzukaufen, nichts als Dinge.
Ja, wenn sie selbst die Sonne kaufen könnten
Und frische Luft abfüllen sich in Flaschen
Und sich Parzellen auf dem Monde kaufen,
Sie möchten Urlaub auf dem Monde machen
Und kaufen sich mit Geld ein Paradies!
GARDESOLDATEN
Das Volk hat Zucht und Ehre nicht im Leib.
MORALES
Es ist ein Spielball blinder Leidenschaften!
Wenn irgendwo ein Stern am Himmel strahlt,
Ein Stern in der Musik und im Theater,
Ein junges Weibchen von besondrer Schönheit,
Ein Kerl, der in dem Wettkampf triumphiert,
Sie werden angebetet von dem Volk.
GARDESOLDATEN
Wer kämpft denn noch für Gott und Königshaus?
MORALES
Ach, Volkes Stimme – Gottes Stimme? Torheit!
Das Volk verblendet ist von den Begierden!
Soll dieses Volk im Königsthrone sitzen?
Dies Sammelsurium von Vorurteilen?
GARDESOLDATEN
Was raunt das Volk denn heute in den Gassen?
LEUTE
(Gemurmel)
Bischof Nikolaus, beschütze
Unsre Weiber, unsre Kinder –
Ach, ich bin so hoch verschuldet
Und mein armes Weib vergesslich –
Schweinefleisch will ich nicht essen,
Essen will ich nur Gemüse –
Ach das Wetter, ach das Wetter! –
Kommst du heute auch zum Ballspiel?
Schau, mein Sohn ist gut im Ballspiel! –
Kennst du jenen Nachbarsjungen,
Der dämonische Grimassen
Mit den schiefen Augen schneidet? –
Gott bestimmte unser Schicksal,
Seien wir nur stets zufrieden. –
Ach, die böse Armenkasse,
Gibt mir gar kein Geld fürs Nichtstun –
Tanz, Gesang und Wein und Weiber! –
Dass so schön doch sind die Huren
Mit den öffentlichen Muschis! –

ZWEITE SZENE

(Don José und seine Jugendliebe Michaela.)

MICHAELA
Mein liebster Don José, mein süßer Schatz!
DON JOSE
Was willst du jetzt schon wieder, alte Freundin?
MICHAELA
Ach, hast du mich denn gar kein bisschen lieb?
DON JOSE
Sag nur, was du schon wieder von mir willst.
MICHAELA
Von deiner lieben Mutter bring ich Grüße,
Dir einen Brief und einen Beutel Münzen
Und Kleider aus dem Schrank des toten Vaters.
DON JOSE
Ach, lass mit meiner Mutter mich in Ruhe!
MICHAELA
Mein sanftes Weiberherz ist tief bekümmert,
Wenn du nicht ehrst die Frau, die dich gebar.
DON JOSE
In Gottes Namen, was denn schreibt die Mutter?
MICHAELA
(liest)
Söhnchen, Grüße von der Mutter!
Lang hab ich dich nicht gesehen,
Kommst mich gar nicht mehr besuchen!
Was tat dir die liebe Mutter?
Bin bewusst mir keiner Schulden!
Ehrst auch nicht den toten Vater,
Liest ihm keine Seelenmesse!
Aber treu liebt dich die Mutter,
Ob du bist auch noch so garstig,
Widerwillig, übellaunig,
Denn ich habe dich geboren
In den Schmerzen meiner Wehen!
Wenn du liegst allein im Bette,
Unbeweibt, mit keiner Dame,
Leg du eine warme Decke
Übers Bett, dass dir nicht kalt wird.
Kocht dir keine Ehegattin
Leckre Speise wie die Mutter,
Schicke ich dir Fisch und Nüsse,
Trinke nur nicht zuviel Rotwein!
Schon mein Vater war ein Säufer,
Ist mit sechzig schon gestorben.
Kaufe dir nur etwas Schönes,
Darum schick ich dir den Beutel
Mit den hundert Silbermünzen,
Aber kaufe nicht Geschenke
Für die Dirnen in den Gassen!
Deine Mutter. Gott befohlen.
DON JOSE
Und du, was willst du, Freundin Michaela?
MICHAELA
Als deiner Mutter Stellvertreterin
Dich küssen, wie wir in der Jugend küssten!

DRITTE SZENE

DON JOSE
Ich habe mich in dich verliebt, o Carmen!
CARMEN
Du Schmeichler, sagst zu mir so nette Sachen.
DON JOSE
In deinem langen glatten schwarzen Haar
Lieg ich gefangen wie in Fesselstricken,
Die Mundrubine deiner süßen Lippen
Sind rot wie Blut, das mir im Herzen weint,
Die lichten Blicke deiner Sternenaugen
Sind wie Gewitter von dem Zorne Gottes,
Die langen dunklen Seidenwimpernspitzen
Sind Dolche, die durchbohren meine Seele,
Die Brüste, die aus deinem Kleide quellen,
Sind Wolken, draus ich melke meine Tränen,
Die runden Hüften deines breiten Beckens
Sind Ozeane, darin ich versinke!
CARMEN
Ach, alles was du liebst, ist nur mein Körper!
Wer aber liebt die Seele einer Frau?
DON JOSE
Die Männer lieben eben äußerlich,
Weil ihr Geschlecht an ihnen außen ist,
Die Frauen lieben eben innerlich,
Weil ihr Geschlecht in ihnen innen ist.
CARMEN
Wenn alle Männer nur den Körper lieben,
Dann will ich aller Männer Herzen brechen!
DON JOSE
An meinem Herzen ist dir nicht genug?
Du hast mir ja schon längst mein Herz gebrochen!
Ach, heile meine liebeskranke Seele
Mit deinem Elixier der Gegenliebe!
CARMEN
Ich lieb dich nicht, ich lieb dich nicht, José!
DON JOSE
Ich schenke dir mein Leben, meine Seele,
Schenk du mein Ich mit Liebe mir zurück!
O, du hast meine Seele mir ermordet,
Du Mörderin, weil meine Seele starb,
In deinem Herzen müsste auferstehen
In Liebe meine Seele, schenke mir
Mein Leben durch die Liebe deiner Seele!
CARMEN
Wenn du nicht in dir selber Liebe hast,
Dann kann dich meine Liebe nicht beglücken.
Lieb du dich selber, liebe du dich selber,
Befriedige dein Selbst durch Eigenliebe!
DON JOSE
Du schwarze Pantherin, du machst verrückt
Die Männer dieser Welt durch deine Reize,
Wahnsinnig machst du mich durch deine Reize!
VIERTE SZENE

GARDIST
Du bist ein Weib, dazu ein schlechtes, Carmen!
CARMEN
Ja, ich bin böse, ich bin eine Hexe!
Hast du denn keine Angst vor meinem Zauber?
GARDIST
Man gab dir eine Arbeit in Sevilla,
Mit andern Frauen rolltest du Zigarren.
Das dicke Weib, die deine Vorgesetzte,
Was tat sie dir, dass du sie umgebracht?
CARMEN
Sie brachte mich ganz einfach auf die Palme
Mit ihrer Herrschsucht, wenn sie mir geboten,
Noch länger bei der Arbeit zu verweilen,
Zigarre um Zigarre für die Männer
Zu rollen mit den schlanken feinen Fingern!
Ich aber wollte auf den Plätzen tanzen!
Und wenn ich nicht auf Plätzen tanzen wollte,
Dann wollt ich reiten Hengste aus Arabien!
Oh, sahst du jemals diese Araber?
Ich könnte stundenlang und tagelang
Nur schauen an die Hengste, ihre Häupter,
Die Mäuler mit den Nüstern, welche wiehern,
Wie ihre Flanken zittern beim Galopp
Und wie sie ihre langen Jamben werfen!
GARDIST
Und darum brachtest du die Dicke um,
Die deine Vorgesetzte bei der Arbeit?
Du bist ein Weib, dazu ein schlechtes, Carmen!
Ich muss dich leider ins Gefängnis bringen!
CARMEN
Ach, nur nicht ins Gefängnis! Freiheit, Freiheit,
Ich brauche Freiheit, brauche Luft zum Atmen!
Ich bin ja schon gefangen in dem Körper,
Doch meine Seele ist die Göttin Freiheit,
Ein junges Mädchen, welches nackend reitet,
Ganz unbekleidet, bis auf Pfeil und Bogen,
Sitzt auf dem Hengste, ohne Sattel reitet,
Den Hengst nur lenkt durch ihrer Schenkel Druck!
GARDIST
O Weibchen, wie du sprichst! So sexuell!
Mit deinen sexuellen Hexereien
Verhext du den Gardist, Zigeunerin,
Doch ich ermanne mich, ermanne mich!
Mein oberstes Gebot ist Pflichterfüllung,
Die Ehre des Gardisten ist die Pflicht,
Drum sperr ich dich jetzt ins Gefängnis ein.
CARMEN
Ich kenn nur eine Pflicht und eine Ehre,
Das ist allein die Zauberei der Liebe!
Dein Gott ist Pflicht und Ehre - meine Gottheit
Ist sexuelle Liebeszauberei!

(Der Gardist führt sie ab.)

FÜNFTE SZENE

(Carmen im Gefängnis. Don José vor ihrem Gitter.)

DON JOSE
Ich hab gesehn die Liebe Frau vom Karmel,
Madonna schwitzte tüchtig bei der Arbeit,
Die Hand des Gotteszorns zurückzuhalten!
CARMEN
Ich liebe auch die schwitzende Madonna!
Wir, die Zigeuner, lieben sehr die Schwarze
Madonna, Herrscherin der dunklen Nacht!
DON JOSE
Du glaubst nicht an die Göttin Bowanéh,
Die Göttin dunkler Nacht, wie die Zigeuner?
CARMEN
Ach, wenn ich liebe, wenn ich tanz und singe,
Dann bete ich zur Göttin Bowanéh,
Doch wenn ich leide, bin ich im Gefängnis,
Dann bete ich zu meiner Schutzpatronin,
Zu Unsrer Lieben Frau vom Berge Karmel.
DON JOSE
Was wünschst du dir denn von der Karmel-Herrin?
Ich werde deine Wünsche dir erfüllen!
CARMEN
Ich wünsch mir Frieden in der ganzen Welt!
DON JOSE
So schenk ich dir den Frieden mit dem Herrn,
Den Frieden mit dir selbst in deinem Herzen,
Den Frieden in dem Kreise der Familie,
Den Frieden in dem Kreise deiner Freunde,
Den Frieden in dem Vaterlande Spanien,
Den Frieden auf dem ganzen runden Erdkreis,
Den Frieden in dem ganzen Universum!
CARMEN
Ich danke dir, mein lieber Freund José.
DON JOSE
Und hast du ganz persönlich nicht noch eine
Begierde, sei sie noch so egoistisch?
CARMEN
Ja, wenn ich für mich selber bitten dürfte,
So wünsche ich mir nichts als meine Freiheit!

(Don José steckt den Schlüssel ins Schlüsselloch und dreht ihn um, so öffnet er die Pforte.)

DON JOSE
Kann ich nur Einem Menschen Freiheit schenken,
So brauch ich nicht mit meinem Gott zu hadern!
CARMEN
(reicht Don José zärtlich die Hand, dabei wie zufällig seine Hand streichelnd)
Du bist ein lieber Freund, mein Don José.
DON JOSE
Und du, oh Carmen, du bist meine Göttin!

ZWEITER AKT

(Die Szene des Zweiten Aktes ist eine Schmuggler-Schenke.)

ERSTE SZENE

(Escamillo, der Torero, und betrunkene Schmuggler.)

ESCAMILLO
(singt)

Ich, der starke Götterbulle,


Bin von göttergleicher Kraft!
Nicht wie eines Papstes Bulle,
Sondern Mann in vollem Saft!

Ich, der Götterstier der Stiere,


Bin die große Gotteskraft,
Bin der Kraftprotz aller Tiere,
Der potent den Kosmos schafft!

Ich, der Ochse starker Rampen,


Bin voll Energie und Kraft,
Buhle ordinärer Schlampen,
Hab viel Röcke aufgerafft!

Ich, der Bulle, bin allmächtig,


Mit potenter Schöpferkraft,
Habe manches Weib allnächtlich
Liebevoll dahingerafft!

Hört den Bullen kräftig brüllen,


In dem Horn ist seine Kraft,
Jedes Weib war mir zu willen,
Meiner Glut der Leidenschaft!

Bulle, hab ich viele Rinder,


Die anbeten meine Kraft,
Habe Kälber, habe Kinder,
Nie ist noch mein Horn erschlafft!

Ah, der Kühe breiten Hintern


Ich besteige voller Kraft,
Mit der Kraft von Überwindern
Brüll ich, bis ich sie geschafft!

SCHMUGGLER
(gröhlen)
Heil, Heil dir, großer Götterbulle Kraft!

ZWEITE SZENE

SCHMUGGLER
(durcheinander)
Heute gibt es große Ernte –
Ist Bescherung wie zur Weihnacht –
Ach die schönen, schönsten Dinge –
Schmuck, zu schmücken schöne Mädchen –
Doch vor allem Silbermünzen
Oder lieber goldne Münzen –
Und Geräte, zu bedienen –
Kleider für die Edeldamen –
Kleidchen für die süßen Dirnen –
Ach die Dirnen, sie begehren
Spielerei und Süßigkeiten –
Eitelkeiten, Eitelkeiten –
Ja, das wird ein großer Fischfang,
Menschenseelen einzufangen
In dem Fangnetz unsres Bootes –
Alle die verbotnen Feigen
Sind so übermäßig köstlich –
Groß die Ernte auf dem Meere,
Aber wenig nur der Fischer –
Bitte, schöne Carmencita,
Bitte du den Gott der Diebe,
Viele Schmuggler auszusenden –
Carmencita, Carmencita,
Komm du mit in unserm Boote –
Sei du unsre schönste Nixe,
Unsre Meeresjungfrau Venus,
Denn von deiner Schönheit Zauber
Folgen uns die keuschen Fische
Und vom Netze deines Schwarzhaars
Menschenseelen sind gefesselt!
CARMEN
Mit euch, ihr Diebsgesindel, Räuberbande,
Mit euch ist nicht der Segen Carmencitas.
Mit meinem schokoladensüßen Herzen
Erwarte ich voll süßer Sehnsucht innig
Den liebsten Seelenbruder meiner Seele,
Den innern Führer meines wahren Geistes,
Anbeter ist er meines Honigleibes,
Auf ihn nur wart ich, mehr als Wächter
Aufs Morgenrot, wart ich auf Don José!
SCHMUGGLER
Wo ist denn dein Vielgeliebter?
Wohin ging dein Seelenbruder?
Bist allein hier in der Schenke,
Rauben wir dir deinen Schleier!
CARMEN
Ha, ich bin in der Freiheit, er gefangen!
Er ging freiwillig in den Kerker, nur
Um meine Freiheit zu erreichen, einzig
Aus Liebe sitzt er schmachtend im Verließ!

DRITTE SZENE

(Carmen tanzt Bauchtanz und Don José starrt sie an wie das Kaninchen auf die Schlange.)

DON JOSE
Wie schaukelst du die Hüfte doch, dein Becken,
Ein Becher voller Pflaumenschnaps dein Becken!
Ah, könnte ich dich ewig tanzen sehen
Und kreisen wie das ganze All dein Becken!
Wie reizend ist doch auch dein Liebreizgürtel,
Geschlungen voller Liebreiz um dein Becken!
Wie lieblich ist die große Doppelschnalle,
Wie schmückt sie golden-glorios dein Becken!
Ich knie auf der Erde vor dir Göttin
Und über mir bewegst du schön dein Becken!
O Femina Divina, Frau und Göttin,
Des Universums Zentrum ist dein Becken,
Die Galaxieen schmücken deinen Gürtel,
Bewegen sich, wie es befiehlt dein Becken,
Milchstraße, Asteroiden und Planeten
Umkreisen all ihr Zentrum nur, dein Becken,
Die Sphärenharmonieen auch zum Tanze
Musik ertönen lassen, tanzt dein Becken,
Die Seraphim und Cherubim und Götter,
Sie psalmodieren Hymnen an dein Becken,
Ich sehe dich als Königin des Kosmos,
Das All der Liebreizgürtel um dein Becken,
Im tobenden Entzücken Universen
In Kreisen tanzen alle um dein Becken!
Ich sehe gar die Schöpferin Frau Weisheit
Den Bauchtanz tanzen, sehe wie dein Becken
Frau Weisheit auch im Tanz die Hüfte kreisen!
Frau Weisheit, da du tanzt, bewegst dein Becken,
Erregen sich im Nichts die Ideale,
Die Samen aufruft aus dem Nichts dein Becken
Und von dem Tanz der göttlichen Erotik
Aus reinem Nichts erweckt Ideen dein Becken,
Aus absolutem Nichts erwachen Samen
Und Schöpfungen entstehen, kreist dein Becken,
Und aufgeregt von ewigen Begierden
Die Universen preisen all dein Becken,
Das Universum aller Universen
Als höchstes Glaubensziel ersehnt dein Becken,
Frau Weisheit, weil dein Becken ist der Ursprung
Der Universen, ist ihr Ziel dein Becken!
Ich aber, überaus begnadet, Göttin,
In genialer Lust umfass dein Becken
Und fass mit meinen Händen deine Hüfte
Und lasse kreisen über mir dein Becken!
Der Göttin Becken habe ich gehalten,
Hielt wie den Becher meines Heils dein Becken!

(Carmen hört auf zu tanzen.)

CARMEN
Charmeur! Berühre noch einmal mein Becken!

VIERTE SZENE

CARMEN
Geliebter Freund, wir wollen Liebe feiern,
Genießen wir vereint das schöne Leben!
Geliebter, lass uns feiern diese Tage,
Gott gebe uns ein Herz voll Fröhlichkeit!
Was machen denn die Engel sonst im Himmel
Als Lachen, Singen, Tanzen, Gott zu feiern?
Ja, meine Seele ist so voller Hoffnung,
Ich glaube gar, dass wir aus Gottes Gnade
Wie Göttinnen und Götter Griechenlands
Uns lieben werden in Elysium!
DON JOSE
Nur mit den beiden Beinen auf der Erde
Geblieben! Ist die Welt doch voller Teufel
Und heiß umkämpft ist unser Vaterland,
Die Kirche und das Königshaus umkämpft,
Da braucht es männlich-tapfere Soldaten,
Die Gott verteidigen und Gottes Ehre.
In meinem geistigen Gewissen steht
Geschrieben von dem Herrn die Pflicht zum Gutsein,
Nicht nur zum Gutsein, auch zum Gutestun.
So habe ich die Pflicht, auf dieser Erde
Zu kämpfen für den Frieden in der Welt.
Denn ewig soll er sein, der Menschheitsfriede!
So setze ich den Helm der Hoffnung auf,
Die Ritterrüstung zieh ich an des Glaubens,
Das scharfe Schwert nehm ich des Wortes Gottes,
Die Stiefel zieh ich an der Friedensbotschaft.
Gestiefelt für das Evangelium
Des Friedens kämpfe ich als frommer Ritter,
Als Ritter Unsrer Frau vom Berge Karmel.
CARMEN
Ist Fastenzeit, bei Brot und Wasser faste,
Ist Rebhuhnzeit, verschlinge du dein Rebhuhn!
Ich will dein Rebhuhn sein so appetitlich,
Mein lecker Fleisch soll deine Speise sein!
Wenn du zu streng asketisch lebst, mein Freund,
Kommst du zum Tugendstolz der Pharisäer.
DON JOSE
Mich sollen Sinnlichkeiten nicht umstricken!
CARMEN
Umstricken will ich dich, will dich umstricken,
Umstricken soll dich meine Sinnlichkeit,
Umstricken will ich dich mit Zauberei
Charmantester Erotik, mein Geliebter!

(Leutenant Zuniga tritt ein.)

DON JOSE
O Leutnant, Vorgesetzter des Soldaten,
Ich wollte grade heim in die Kaserne.
LEUTENANT ZUNIGA
Gardist José, du bist ein Taugenichts!

FÜNFTE SZENE

LEUTENANT ZUNIGA
José, was ist das für ein Prachtweib dort?
Oh, wie romantisch die Verwirrung doch
Der langen Ranken ihrer schwarzen Haare!
Dies Weib ist doch ein Gartenparadies,
Inmitten süß die Feige der Erkenntnis!
Vielleicht wars keine Feige der Erkenntnis,
Vielleicht ja war es eine süße Pflaume?
Und diese beiden Lebensäpfel Evas
Sind prall wie paradiesische Melonen!
In dieses Weibes Gartenparadies
Möchte ich wohl eine strotzende Zucchini
Einsetzen in den unbesamten Acker!
Und erst die rote Rose ihrer Lippen!
Und jener Dornbusch erst, so wirr und schwarz,
Da wächst verborgen wohl die schönste Muschel!
DON JOSE
Bei aller Ehrfurcht, väterlicher Leutnant,
Begierdeblicke stehen dir nicht an,
Denn mein, ganz mein ist diese Carmencita!
LEUTENANT ZUNIGA
Ich sehe den Gekreuzigten am Kreuz
Und dürsten voll Begierde nach der Seele
Und immer schmachtend seufzen: Eli, Eli...
Was geb ich diesem gottverlassnen Gott?
Ich gebe ihm den Essig meines Spottes
Und mische Galle ihm in seinen Wein!
DON JOSE
Gott selber weiß sich zu verteidigen!
LEUTENANT ZUNIGA
Und dieses Prachtweib werde ich besteigen,
Ich bin ein Gott in voller Manneskraft!
DON JOSE
(Zieht sein Schwert aus der Scheide)
Du prahlst als Kraftprotz? Bist du doch ein Schlappschwanz!
Dies kalte Herz reiß ich dir aus der Brust
Und werfe es zum Fraß vor Carmens Hündin!

(Don José will den verdammten Leutenant ermorden für seine gotteslästerlichen Begierlichkeiten.
Die Schmuggler treten dazwischen, nehmen dem Leutenant Zuniga das Schwert ab, fesseln ihn,
nehmen auch Don José das Schwert ab und umstehen ihn im Kreis.)

SCHMUGGLER
Don José, sei unser Bruder,
Mitglied unsrer Schmugglerkirche!
Alles haben wir gemeinsam,
Sind ein Herz und eine Seele!

DRITTER AKT

(Eine Schlucht im Gebirge.)

ERSTE SZENE

(Schmuggler und Zigeuner um ein Lagerfeuer bei Tanz und Gesang.)

SCHMUGGLER
(singen)

Hermes, o du Gott der Diebe,


Führe uns dein Schlangenstab!
Dieser Welt gilt unsre Liebe,
Liebe bis zum schwarzen Grab!

Hermes, o du Gott der Diebe,


Götterkind im Marmorbild,
Welche Lüste, welche Liebe
Treiben uns durch das Gefild!

Hermes, o du Gott der Diebe,


Hilf uns rauben jeden Schatz!
Unser Schatz und unsre Liebe
Ist die Herrin hier am Platz!

Hermes, o du Gott der Diebe,


Öffne, Gott, uns den Trésor!
Habegierig unsre Liebe,
Leihe willig uns ein Ohr!
ZIGEUNERINNEN
(wie feurige Schlangen tanzend, singen)

Mutter Nacht, du rabenschwarze,


Große Göttin Bowanéh,
Mit der Schere kommt die Parze,
Heile alles Liebesweh!

Mutter Nacht, so tief und dunkel,


Große Göttin Bowanéh,
Edelsteine und Karfunkel
Heilen alles Liebesweh!

Mutter Nacht, du Schleiereule,


Große Göttin Bowanéh,
Luna hört das Wolfsgeheule,
Heulend unser Liebesweh!

Mutter Nacht der Finsternisse,


Große Göttin Bowanéh,
Feurigheiße Schlangenbisse
Schenken bittres Liebesweh!

Mutter Nacht, ach, ach, verlassen!


Große Göttin Bowanéh!
Liebchen liebend zu umfassen,
Stille alles Liebesweh!

ZWEITE SZENE

CARMEN
José, ich will dich jetzt nicht länger hören,
José, ich will dich jetzt nicht länger sehen!
Such dir doch irgendeine andre Frau,
Ich hab in meinem Herzen keinen Platz
Für deinen Namen mehr und für dein Wesen.
DON JOSE
Denk ich an dich, so sage ich nur: Ah,
Sie ist die Königin des Universums!
CARMEN
Nein, deine Schmeicheleien und dein Raspeln
Von Süßholz sind zuwider mir geworden,
All deine Poesie aus Marzipan
Und dein verliebtes Wort aus Puderzucker
Und deine Schokoladen-Schmeicheleien.
DON JOSE
In meinen Augen bist du eben schön!
CARMEN
Geh, ich will jetzt alleine sein, José!
(José entfernt sich.)

Mir geht es schlecht! Ach, liebte mich doch nur


Torero Escamillo, dieser Mann
So ganz nach meinem liebeskranken Herzen!
Ach Escamillo, liebe mich doch bitte!
Denkst du denn nicht an deine Carmencita?
Ach, hätten wir doch eine große Villa
Mit großem Landbesitz auf den Kanaren,
Ich drehte jeden Tag dir die Zigarre,
Und wenn ich älter würde, dicker würde,
Du würdest mich als treuer Gatte lieben
Und mir die Liebe geben, die mein Vater
Mir nicht gegeben hat in meiner Kindheit.
Und wär ich dick und wäre aufgequollen,
Ich setzte mich auf einen starken Hengst,
Aufbäumen würde sich der starke Hengst,
Ich säß auf seinem Rücken ohne Sattel,
Hielt in der rechten Hand die Liebesfackel
Nach oben triumphierend, an der Hüfte
Das rechte Schwert wär in der rechten Scheide,
Wie üppig quölle mir der Busen aus
Dem Dekolleté, die Haare aufgesteckt,
So wär ich dick und dennoch voller Hochmut!

(Escamillo erscheint.)

ESCAMILLO
Was willst du, arme Dirne Carmencita?
Soll ich dein Gott und auch dein Gatte sein?
Ich bin mir doch allein genug, ich bin
Verschlossen in mich selbst, mein eigner Gott!
CARMEN
Ach Kummer! Nehmen will ich mir das Leben!

DRITTE SZENE

DON JOSE
Du aufgeblasner Kraftprotz, was denn willst du
Von meiner wunderschönen Sternengöttin?
Was soll die Königin des Universums
Mit einem dummen Ochsen, der nur Gras frisst?
ESCAMILLO
Was willst denn du dort in der zweiten Reihe?
Hock du dich in den Winkel zu den Hunden!
Ich bin allein der Herr der schönen Weiber!
DON JOSE
Nichtswürdiger, die Zähne putzt du dir
Mit Pisse, schwarzgelockter Menelaos!
ESCAMILLO
Pass auf, sonst schlag ich dir den Schädel ein!
DON JOSE
Die Hand, mit der du deinen Stiefel wichst,
Berühre nicht die Hüfte meiner Göttin!
ESCAMILLO
Nun will sie aber mich, mein Freund, nicht dich!
Verschmäht wirst du von deiner Sternengöttin!
Ich soll als Stier die sanfte Kuh besteigen!
DON JOSE
Intimes Vorspiel weißt du nicht zu spielen,
Dein Herz ist kalt und deine Seele tot!
ESCAMILLO
Mein Herz ist heiß in Rage und in Wut!
Die Carmen nehm ich wie das letzte Dreckstück!

(Don José zieht sein Messer und schneidet Escamillo plötzlich über seinen linken Oberarm.
Escamillo brüllt wie ein Stier. Carmen und einige Schmuggler eilen hinzu und trennen Don José
von Escamillo.)

CARMEN
José! Ich liebe diesen Escamillo!
Dich lieb ich nicht, dich lieb ich nicht, José!
DON JOSE
Fast hätt ich ihm das kalte Herz durchbohrt
Und ihn zu seinem Herrn hinab gesendet!
CARMEN
Mein Escamillo, Gott sei Dank, du lebst!
Du Mann nach meinem liebeskranken Herzen,
Wenn du gestorben wärest, wollt ich mich
Von einer Klippe stürzen, selbst mich morden!
ESCAMILLO
So teuer ist dir mein vitaler Körper?
CARMEN
Seit ich dich schaute, träum ich jede Nacht,
Wie du mit mir genießt die Liebesfreuden,
So wie ein Rüde steigt auf seine Hündin.
DON JOSE
Ah, Carmencita, du ermordest mich!

VIERTE SZENE

MICHAELA
Viellieber Don José, mein süßer Schatz!
DON JOSE
Ach, Michaela? Woher kommst denn du?
MICHAELA
Ich bin schon lange hier bei diesen Schmugglern
Und den Zigeunern und Zigeunerinnen.
DON JOSE
Ich hab dich nicht gesehn, nein, wirklich nicht.
MICHAELA
Da siehst du es! Ich bin wie unsichtbar
Ein Schutzgeist immer um dich, süßer Schatz,
Du aber siehst mich nicht, du hast nur Augen
Für diese Carmen mit dem harten Herzen.
DON JOSE
Ihr Herz ist mir verschlossen ganz und gar,
Mein Herz jedoch wie eine offne Wunde!
MICHAELA
Lass du dich von der alten Freundin trösten,
Ruh dich an meinem Schwesterbusen aus.

(Michaela umarmt Don José. Er ruht an ihrem Busen, wie ein Kind in den Armen der Mutter.)

DON JOSE
Bist du zu mir gekommen, extra nur
Zu mir? Vielleicht du willst mir etwas sagen?
MICHAELA
Ja. Deine Mutter liegt im Sterbebett.
Sie möchte sich so gern mit dir versöhnen.
DON JOSE
Was soll ich ihr denn sagen? Niemals konnten
Wir miteinander sprechen in der Wahrheit.
MICHAELA
Tritt du nur einfach an ihr Sterbebett
Und schau mit deinen Augen in die ihren
Und zeige ihr den Gott in deiner Seele.
DON JOSE
Sie wird sich nicht bekehren, sondern sich
Noch auf dem Sterbebette amüsieren
Und mich bezichtigen als Taugenichts.
MICHAELA
Auch Jesus Christus wurde so verspottet,
Er aber betete für seine Feinde.
DON JOSE
Ich könnte hier in Gottes grünem Garten
Auch beten für die Seele meiner Mutter,
Ich will doch nicht von Carmencita fort,
Ich liebe schließlich Carmencita mehr
Als jene Frau, die mich dem Tod geboren.

FÜNFTE SZENE

DON JOSE
O Carmen, gerne möcht ich bei dir bleiben
Und deiner Seele Glück und Frieden schenken.
Doch meine alte Mutter liegt im Sterben
Und will mich sehen noch vor ihrem Tode.
Die Pflicht ruft mich zu meiner alten Mutter,
Die Liebe fesselt mich an dich, o Carmen!
CARMEN
Ja, geh du nur zu deiner alten Mutter,
Ich brauch dich nicht, ich kann dich nicht gebrauchen.
Mein Herz ist bei dem starken Escamillo,
Den schwächlichen José mit seinem Schmachten
Hab ich vergessen schon in meinem Herzen.
DON JOSE
Du meine Mörderin voll Grausamkeit!
Das Unglück ist doch meine treue Schwester!
CARMEN
Ja, wenn du leiden willst, so leide eben!
Der Mensch ist selber schuld an seinem Unglück!
Du willst dein Unglück? Ja, so weine denn!
DON JOSE
Nie hörte ich ein Wort so unbarmherzig!
Und meine alte Mutter liegt im Sterben.
CARMEN
So einen Schwächling voller Hundedemut
Mit der Moral von Sklaven brauch ich nicht.
Was ich begehre, ist ein Übermensch,
Den Supermann, den Sieger, Triumphator,
Der herrschen kann, der mich beherrschen kann.
DON JOSE
Wo ist die Sanftmut deiner Seele hin?
CARMEN
Man sagt den Frauenzimmern immer: Seid nur lieb,
Seid weiche Weiber, zärtlicher Empfindung.
Das Leben hütet und die Tränen trocknet.
Nein, ich bin da auf einem andern Weg,
Ich will die böse Kraft der Rebellion
In mir erwachen lassen, stark und frei sein,
Ich mach mein Herz so hart wie Diamant
Und gehe rücksichtslos den eignen Weg
Und so vollende ich mich selbst in Kraft,
Indem ich mich vollkommen mache und
Den Teufel meiner Seele integriere!
DON JOSE
Das ist die Carmen nicht, die ich so liebte.
CARMEN
Du liebtest ja nicht mich, du liebtest nur
Dein Ideal, das dir im Innern lebt.
Geh in dich, liebe du dein Ideal,
Ich bin es nicht, die dich von Herzen liebt!
DON JOSE
Ach, glücklich meine Mutter, die jetzt stirbt.

VIERTER AKT

(Sevilla. Vor der Stierkampf-Arena.)

ERSTE SZENE

(Der Torero Escamillo wird vom Volk bejubelt.)


VOLK
O Torero, Götterbulle,
Deine Kraft und Leidenschaften
Wilder sind als bei dem Wildstier!
Triumphator, Triumphator,
Breche brüllend durch die Schranken,
Pflüge Spaniens Ackerfurchen,
Steig von hinten auf die Kühe!
O du großer Götterbulle,
Mit dem Phallus eines Stieres
Und dem Regen von dem Himmel
Du befruchte Mutter Erde
Und besame Mutter Erde!
Spanien dürstet, Spanien schmachtet,
Goldner Stier, nach deinem Samen!
Ah, die Kraft in deinem Horne
Ist der Segen deiner Gottheit,
Evident die Kraft des Gottes!
O Torero, Gottes Wildstier,
Breche brüllend durch die Wolken,
Mit dem Hammer deiner Hufen
Schlage Donner aus dem Äther!
Mit dem Schnauben deiner Nase
Du entfache die vier Winde
Von der Mutter Erde Lenden,
Mit der Nase Schnauben blase
Aus der Feuchtigkeit der Nüstern
Winde, die die Samen tragen
Von den Blumen zu den Blumen!
O Torero, Gottes Wildstier,
Schau die Mutterkuh des Himmels,
Melke du ihr Himmelseuter,
Melke du ihr Wolkeneuter!
O Torero, Kraft der Gottheit,
Heute weiht sich Spanien völlig
Dieser Mutterkuh des Himmels
Mit dem vollen Himmelseuter:
Totus tuus – Kuh des Himmels!

ZWEITE SZENE

CARMEN
Ach Escamillo, Escamillo mein!
Wie du so dastehst in potenter Kraft,
Gleichst du vollkommen meinem jungen Vater,
O liebe mich, mein junger Himmelsvater!
DON JOSE
Geliebte Carmen, so wirst du nicht glücklich!
CARMEN
Gardist; du hättest Priester werden sollen.
DON JOSE
Ja, ich der Christus, du bist meine Kirche!
CARMEN
Ich möchte deine Predigt nicht mehr hören.
DON JOSE
Nein, dieser Christus hält dir keine Predigt,
Ist nicht ein Schwätzer wie die Hugenotten,
Nein, dieser Christus opfert dir sein Leben,
Durchbohren lässt er sich das Herz von dir
Und schüttet aus sein Blut für seine Kirche,
Für die geliebte Braut des Schmerzensmannes,
Im Tode offenbart er seine Liebe.
CARMEN
Ach, du mit deinem Tod! Dein Bruder Tod
Soll ewig mir von meinem Leibe bleiben!
Ich möchte diesen kräftigen Torero,
Er weide mich auf einer grünen Aue!
Ich sah im Traume einen Stier schneeweiß
Und eine milchigweiße Mutterkuh
Im frischen Sommerschatten in dem Gras
Behaglich liegen, Gräser wiederkauend.
Doch dann erhob sich dieser weiße Stier,
Denn in der Ferne stand die Rinderherde,
Ganz junge Kühe noch, ja, braune Färsen,
Die Färsen schon geschlechtsreif, nicht mehr Kälber,
Die Färsen schon geschlechtsreif, noch nicht Kühe,
Weil sie noch nicht gekalbt, weil noch kein Kalb
Gemolken hat des Mutterrindes Euter,
Die Färsen, schon geschlechtsreif, wollt der Stier
Auf jener fernen grünen Rinderweide
Besteigen, und die milchigweiße Kuh
Blieb ganz allein zurück in ihrer Aue.
DON JOSE
Was ihr in Leidenschaft beginnen wollt,
Im Sturme der Verliebtheit euch zu paaren,
Das ist kein Fundament für treue Liebe,
So wirst du glücklich nicht mit diesem Kerl.
CARMEN
Fang nur nicht an, von Keuschheit jetzt zu plappern,
Denn was du Keuschheit nennst, ist Prüderie.
DON JOSE
Ich sage dir voraus des Herzens Unglück.
CARMEN
Ich schließ mein Muschelohr für deine Worte.

DRITTE SZENE

CARMEN
Geh, Don José, geh du mir aus dem Weg,
Ich will zu meinem Gotte Escamillo!

(Sie stößt ihn beiseite.)


DON JOSE
Im Anbeginne Don José und Carmen
Sind Licht und Dunkel, Don José und Carmen,
Du bist am Himmel meine Gnadensonne,
Ich Mond dein Spiegel, Don José und Carmen,
Du bist die erste Frau der Erde, Lilith,
Ich bin dein Adam, Don José und Carmen,
Ich bin ein Lichtteil auf dem Marsplaneten,
Du Venus’ Lichtteil, Don José und Carmen,
Ich bin das blaue Wasser aller Trauer,
Du Liebesfeuer, Don José und Carmen,
Ich bin der Leib in seiner Auferstehung,
Du meine Seele, Don José und Carmen,
Ich eigne ganz der Lieben Frau vom Karmel,
Du deinem Christus, Don José und Carmen,
Wenn Gott erlöst den Mann, erlöst er gleichfalls
Des Mannes Liebe, Don José und Carmen,
Ich führe weise dich den Weg zum Himmel,
Du bist mein Himmel, Don José und Carmen,
Fragt Gott am Jüngsten Tag, was ich getan hab,
Ich liebte Carmen! Don José und Carmen,
Wie Jesus und Jerusalem, die Nymphe,
Ich lieb dich ewig, Don José und Carmen.
Unsterblich ist die Seele, Hauch der Körper,
Vereint in Liebe, Don José und Carmen,
Ich bin der Körper nur, der unbelebte,
Du Gottes Atem, Don José und Carmen,
Ich bin die schlechte Hälfte meiner Seele,
Du bist die gute, Don José und Carmen,
Die Weltenseele einst schuf unsre Seelen
Als Eine Seele, Don José und Carmen,
Zwei Hälften Eines Spiegels wir der Gottheit,
Zwei-einig Wesen, Don José und Carmen,
Gott schuf nach Gottes Bild uns männlich-weiblich,
Wie Gott und Göttin, Don José und Carmen,
Wenn wir aus Gnade einst vergottet werden
Zu Gott und Göttin, Don José und Carmen,
Wir lieben uns wie Göttinnen und Götter
Im Paradiese, Don José und Carmen!
CARMEN
Ach, Escamillo, Escamillo, ach!
DON JOSE
Mesalliance ist Sünde vor der Gottheit !

VIERTE SZENE

CARMEN
Du hast mir einen schwarzen Ring geschenkt,
Wie du ihn schon am Ehefinger trägst
Für Unsre Liebe Frau vom Berge Karmel,
Den Ring ist schwarz, von schwarzem Ebenholz,
Ist aus dem fernen Goldland Mexiko,
Ich aber möchte keinen Ring von dir!
Was soll ich denn mit solchem armen Ring?
Ich habe einen schönen Ring gesehn
Von reinem Silber, groß war der Rubin,
Das Silber und den rosigen Rubin
Soll Escamillo mir zur Hochzeit schenken!
DON JOSE
O Vielgeliebte, deine Mundrubine
Sind blutigrot wie allerbester Rotwein.
Trink ich allein die flüssigen Rubine
Des roten Weines, denk ich deines Mundes.
Ach, darf ich küssen nicht die Mundrubine,
So küsse ich den Becher mit Rubinrand
Und mische meine blutigroten Tränen
Dem flüssigen Rubin von Spaniens Rotwein.
CARMEN
Ja, saufe nur, bis dich der Wahnsinn packt!
DON JOSE
Geliebte, bitte tu doch meinen Ring
An deinen vierten Finger deiner Hand
Und trage ihn als treuen Freundschaftsring.
CARMEN
Hier hast du deinen Ring der treuen Freundschaft!

(Sie schleudert ihm den Ring ins Gesicht und geht ab.)

DON JOSE
Ach, Eli, Eli, lama asabtani?

(Don José nimmt sein Messer und durchbohrt sein Herz. Verblutend stirbt er.)

LULU

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(Berlin, Spandau. Der Bürokrat Georg Schönling und seine Maitresse Lulu.)

BÜROKRAT
Ich habe dich gerettet aus der Gosse,
Da streuntest du herum mit schwarzen Katzen.
LULU
Ich bin ja selber eine schwarze Katze,
Geliebter, und du bist mein roter Fuchs.
BÜROKRAT
Du Streunerin, du armes Straßenmädchen,
Verlassen warest du von deinem Vater
Und aufgegeben von der armen Mutter,
Ich aber fand dich, und ich dachte gleich:
Die Dirne hat betörend schöne Brüste!
LULU
Ich war für dich die reizende Lolita,
Nichts als dein Lustobjekt und Sexidol.
BÜROKRAT
Die bürgerliche Ehe hasste ich
Und dieses Ideal des Christentums
Von Keuschheit und vom Sakrament der Ehe.
Ich kam und sah und siegte über dich!
LULU
Und hättest du mich mehr geachtet, Georg,
Wenn ich mich lange Zeit verweigert hätte?
BÜROKRAT
O große Göttin der Gelegenheit!
Als Aphrodite einst Anchises sah,
Besann sich nicht sehr lang die Liebesgöttin
Und liebte gleich ihn auf dem Ida-Berg.
LULU
Wer ist denn diese Göttin Aphrodite?
Sag, gibt es diese Liebesgöttin wirklich?
BÜROKRAT
Du, Lulu, bist die Göttin Aphrodite!
Als ich dich sah, erkannte ich sogleich,
Daß Göttin Aphrodite mir erschienen
In ihrer Erden-Stellvertreterin,
Wenn ich die Stellvertreterin beschlafe,
Beschlafe ich die Göttin Aphrodite.
LULU
Und als du mich genommen in dein Haus,
Da lagen wir sogleich im breiten Bett.
Sag, hat dir meine Liebe Lust bereitet?
BÜROKRAT
Du schufest mir die Lust des dritten Himmels!

ZWEITE SZENE

(Dieselben.)

BÜROKRAT
Maitresse, oder sag ich Konkubine,
Ich liebe nicht das Leben der Bohème,
Ich bin kein Künstler und bin kein Student,
Kein Bettelmönch, kein trunkner Vagabund.
LULU
Was kümmert mich das alles, liebst du mich?
BÜROKRAT
Ja, Liebe, Liebe... Leidenschaft ist schön
Und Wollust ist wohl köstlich zu genießen,
Doch dieser Liebestraum nicht lange dauert,
Dann kommt die Wirklichkeit und fordert Geld.
LULU
Was ist denn Geld im Angesicht der Liebe?
BÜROKRAT
Ach, Träumerin, das Geld regiert die Welt.
Ich schaute eben heute auf mein Konto,
Wie groß geworden ist mein Schuldenberg!
LULU
Die Vögelein ernährt die Liebe immer.
BÜROKRAT
Der Ernst des Lebens fordert mehr als das.
Ich lernte kennen eine Millionärin.
LULU
Und ist die Millionärin schön wie ich?
BÜROKRAT
Ach, fünfzig Jahre zählt die Millionärin,
Doch will sie mich zum Ehemanne nehmen.
LULU
Was soll aus deiner kleinen Lulu werden?
BÜROKRAT
Ich kenne einen alten Mediziner,
Der kennt die Medizin auch der Chinesen,
Kann Brustkrebs therapieren durch das Atmen
Und Meditieren über Yin und Yang,
Den hab ich dir zum Gatten auserwählt.
LULU
Ach, bleibst du heimlich dennoch mein Geliebter?
BÜROKRAT
Erst einmal nicht. Ich muß der Millionärin
Vertrauen doch gewinnen, ihr Vertrauen
Ist meine Zukunft, meine Altersrente.
LULU
Was immer du begehrst, das will ich tun,
Doch Einmal sollst du heut noch mit mir schlafen!
BÜROKRAT
Ich kann nicht mehr, bin impotent geworden,
Ich schlafe lieber nachts auf meinem Sofa.

DRITTE SZENE

(Lulu und der junge Dichter Schwarz.)

LULU
Willst du denn nicht an meinen Brüsten liegen?
DICHTER SCHWARZ
Gebettet zwischen deinen Brüsten, sing ich
Die Ode an die Brüste Aphrodites.
LULU
Du schreibe immer, schreibe was du willst,
Ich frage nicht danach, doch wenn du singst
Von mir, dann will ich es auch gerne lesen.
DICHTER
Die Alten fabelten von Himmelsmusen,
Von Göttinnen, die inspirierten sie,
Dein Mund soll mir die Musenküsse geben!
LULU
Ja, küssen will ich dich und mit den Lippen
Liebkosen jedes Glied dir, mein Adonis.
DICHTER
Was will der Dichter mehr als einen Becher
Voll schweren dunklen Rotweins von Bordeaux,
Sein kleines Büchlein mit der Odyssee
Und willig wartend in dem Bett ein Weib!
LULU
Ich wüsste nicht, wie sonst ein Dichter sollte
Von Liebe singen können, von der Göttin
Der Liebe und der Schönheit, wenn nicht eine
Geliebte Frau ihn inspirieren würde.
DICHTER
Der Glaube an die Himmlischen ist Wahnsinn,
Das Musenpriestertum ist Wahnsinn auch
Und die Erotik ist ein wilder Wahnsinn!
Das ist mit Einem Wort mein Platonismus.
LULU
Vom Platonismus hörte ich, die Liebe
Sei übersinnlich, reine Seelenliebe.
Und körperliche Liebe, mein Poet,
Willst du von mir die körperliche Liebe?
DICHTER
Wenn ich gesungen hab die Abendhymnen
An die astrale Venus und getrunken
Den Becher Wein, ja, auch den dritten Becher,
Will ich mich schleichen in dein Kämmerlein
Und will mich legen in dein weiches Bett
Und will mit Leib und Seele dich liebkosen.
LULU
Ich lehre dich die Liebeskünste alle,
Dann schreibst du ein didaktisches Poem
Und singst, wie einst Ovid Corinna sang.

VIERTE SZENE

(Lulu und der Dichter Schwarz liegen leicht bekleidet Arm in Arm im Bett.)

DICHTER
Geliebte Göttin, welche Lust der Liebe!
LULU
Da fehlen selbst dem Dichter alle Worte?
DICHTER
Ich fühl in meinem Innern süße Lust!
O süße Lust, die mir die Liebe schenkt!
LULU
Hab ich die Liebe dir im Fleisch geschenkt?
DICHTER
Es drängte in mir zur Vereinigung
Und du hast die Vereinigung gewährt!
LULU
Soll das das letzte Mal gewesen sein?
DICHTER
Geliebte! Solches will ich jeden Tag!

(Man hört Schritte vor der Tür.)

LULU
Wer stört da unsre traute Zweisamkeit?

(Lulus Gatte, der alte Mediziner Dr. Groll, poltert herein.)

MEDIZINER
Was muss ich sehen, liederliche Dirne?
In deinem Bett mit einem andern Mann?
LULU
Was soll ich sagen? – Denk du an dein Herz!
MEDIZINER
Du liederliche Lulu, Teufelin,
Mein Vorhofflimmern bricht im Herzen an,
Mein Herzschrittmacher schlägt im Herz nicht mehr.

(Er holt sich schnell sein Pillendöschen aus der Jackentasche und wirft sich eine Pille ein.)

Ach, auch die Medizin will nicht mehr helfen.


Du, du bist schuld an meinem Herzinfarkt,
Gemeine Dirne, stadtbekannte Dirne,
Du, Lulu, hast den Gatten umgebracht,
Mein Herz gebrochen! Gott erbarm sich deiner!

(Der alte Mediziner Dr. Groll stirbt am Herzinfarkt.)

LULU
Ach, Tod und Hochzeit, das ist alles eins!

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Lulu im roten Brautkleid, mit tiefem Décolleté, die Schultern bloß, das Kleid reicht auf die
Oberschenkel. Der Dichter schwarz gekleidet wie ein melancholischer Student des Existentialismus.
Sie haben eben geheiratet.)
LULU
Mein Dichter! Jetzo sind wir Mann und Weib!
DICHTER
Ja, ich bin Adam, du bist meine Eva!
LULU
Ich Aphrodite, du mein Mann Adonis!
DICHTER
Nun keiner stört mehr unsre Zweisamkeit
Und Tag für Tag wir lieben uns im Bett!
LULU
Wir brauchen keine große schöne Wohnung,
Dein Zimmer sei nur groß genug für deine
Geliebten Bücher und die Manuskripte
Und mir, Geliebter, mir genügt die Kammer,
Die eben groß genug fürs breite Bett!
Ein kleines Tischchen vor dem Bette reicht,
Dort staple ich erotische Romane.
DICHTER
Das aber muß sich ändern, liebste Lulu,
Daß du erotische Romane nur
Und andre schlechte Belletristik liest.
LULU
Ich habe den Gefallen dir getan
Und Tolstois Auferstehung durchgelesen.
DICHTER
Was denkst du über dieses Buch, Geliebte?
LULU
Mein lieber Schatz! Ich muß mein Leben ändern!
DICHTER
Nun komm, Geliebte, gehn wir in die Kammer,
Ich möchte deinen bloßen Busen sehen
Und betten mich im Tale deiner Brüste,
Denn dieses Tal inmitten deiner Brüste
In Wahrheit ist das Liebesnest Cupidos.
LULU
Cupido? Ach, ich möchte einen Knaben!
Ach, mach mir einen kleinen Benjamin!
DICHTER
O göttlicher Cupido, herrsche nun!

(Sie verschwinden in der Bettenkammer.)

ZWEITE SZENE

(Der Dichter Schwarz allein, er liest die Oden von Horaz.)

DICHTER
Was will nur Lulu bei dem Georg Schönling,
Warum muss sie den Bürokraten treffen?
Die ganze Nacht ist sie bei ihm geblieben!
Ach, wenn ich daran denke, dass der Hund
Gebissen ihr in ihre weiße Schulter
Und ihr beim Liebesspiel die Haut zerkratzt,
Die Galle quält mich in den Eingeweiden!

(Er wendet sich zur Marmorstatue der nackten Aphrodite.)

O Venus, steh du deinem Diener bei,


Denn meine vielgeliebte Lulu ist
Mir untreu! Sie ist fremdgegangen mit
Dem Rüden Georg Schönling, diesem Hund!
O Göttin Venus, du in deiner Allmacht,
Geh bitte jetzt zu Lulu und gebiete
Der ungetreuen Vielgeliebten, dass
Sie eben jetzt in Liebe an mich denkt
Und dass ihr alles Lustverlangen schwindet
Im Bette Georg Schönlings, dass die Liebe
Zu mir allein ihr ganzes Fleisch durchzückt!
O Venus, droben nickt dein Abendstern
Erhörung meinem frommen Flehen zu!

(Die Tür geht auf und Lulu tritt ein.)

LULU
Verzeih mir, mein Poet, mein süßer Schatz,
Gestehen muß ich: Ich bin fremdgegangen!
Ich lag bei Georg Schönling in dem Bett,
Wir lagen nackend in dem Bett zusammen
Und machten eben Liebe miteinander,
Da plötzlich konnte ich an dich nur denken,
Ich unterbrach den Liebesakt mit Georg
Und zog mich an und eilte gleich zu dir
Und also bin ich hier. Was willst du nun?
DICHTER
Gemeine stadtbekannte Dirne, Lulu,
Wie soll ich jemals wieder dir vertrauen?
LULU
Ich liebe dich noch mehr als einen Bruder!
Was aber deinen Nebenbuhler angeht,
Das ist nur Sex und hat nichts zu bedeuten.
DICHTER
Du brichst mir immerzu das Herz, Geliebte!

DRITTE SZENE

(Der Dichter Schwarz nachts unter einer Blutbuche, in der Hand ein Messer.)

DICHTER SCHWARZ
Weg die Geliebte! Weg der Sinn des Lebens!
Der Satan hat in mich gepflanzt den Wahnsinn,
Die Hölle tat sich auf, sie stank wie Schwefel
Und Ratten kamen aus der Hölle, Ratten!
Ja, Mephistopheles ist Fürst der Ratten,
Da huschen überall an jedem Zaun
Die Ratten, rascheln unter jeder Hecke.
Vielleicht sinds Amseln und vielleicht sinds Igel,
Nein, Ratten sind es, Satan schwarze Ratten,
Die stinken wie die Pest, wie faule Eier.
Dort oben an dem Himmel eine Wolke,
Die Wolke sieht wie Indien aus, ich seh,
Die Menschen stellen Opferspeisen für
Den Elefantengott Ganesha hin
Und Ratten fressen diese Opferspeise.
Jetzt seh ich den Himalaya am Himmel
Und eine Riesen-Ratte steigt hinan,
Verseucht den Quell des Ganges, über Indien
Es regnet Pest, die Flöhe aus den Ratten.
Am Himmel seh ich eine Ratten-Wolke
Und eine Wolke, einem Engel gleich,
Der in der Rechen hält ein scharfes Schwert,
Sankt Michael, der tötet alle Ratten.
Doch habe ich die Biblia bei mir,
Was sagt mir das Orakel diese Stunde?

(Er schlägt die Bibel auf und sticht mit dem Finger einen Vers und liest)

Ich werde heute Nacht dich schlagen mit


Dem Schwert und keiner wird dich finden und
Verbinden deine Wunden an dem Arm.-
Gott sagt es, das ist der Befehl des Herrn,
Komm, Messer, schneide mir die Adern auf!

(Er nimmt das Messer und schneidet sich die Pulsadern auf. Verblutend spricht er seufzend)

Ach Lulu, ich bin wie zerriebne Myrrhe!


Maria, wartest du bereits auf mich?

(Er stirbt.)

VIERTE SZENE

(Lulu und der Bürokrat Georg Schönling.)

LULU
Was willst du denn, mein bester Bürokrat,
Du Vater aller Götter und der Menschen?
BÜROKRAT
Als ich die Millionärin nahm zur Frau,
Wir schlossen den Vertrag der Ehe ab,
Bei einer Scheidung ich bekäm ein Drittel.
Geschieden bin ich nun und reich genug.
LULU
Und willst du mich zu deiner Gattin nehmen?
BÜROKRAT
Soll ich dich nehmen, die kein andrer will?
Das brächte mir ja keinen Steuervorteil.
LULU
Doch liebe mich! Ich will, du sollst mich lieben!
BÜROKRAT
Ach, Liebe, das ist was für junge Schwärmer,
Romantische Poeten blauer Blumen.
Gewohnheit aber, oder höchstens Freundschaft,
Das geb ich, wirst du meine Konkubine.
LULU
Weil ich verliebt bin in dein schwarzes Haar...
BÜROKRAT
Und ich begehre deine hübschen Brüste!
LULU
Nun, wenn kein Fundament von Felsen, dann
Ein Fundament von Sand, darauf gebaut
Ein Wolkenkuckucksheim für Vögelein.
BÜROKRAT
Was soll ein ganzes Ja zu Einem Menschen?
In Wahrheit will ich Alle Frauen haben!
LULU
Was soll ein ganzes Ja zu Einem Mann?
Weiß ich, ob ich dich morgen auch noch liebe?
Nein, treu bin ich nur meinem eignen Stern!
BÜROKRAT
Doch manchmal will ich kommen in dein Bett.
LULU
Schlaf ich geborgen dann in deinen Armen
In einer zärtlichen Umarmung ein?
BÜROKRAT
Ein rascher Liebesakt, das ist genug,
Dann treff ich mich mit meinem Freund zum Bier.
LULU
Ach, ach, die zärtliche Geborgenheit...
BÜROKRAT
Du willst nur und du forderst nur, mein Schatz,
Sei du zufrieden, wenn dich einer nimmt!

FÜNFTE SZENE

(Abend. Lulu und ihr Hausfreund beim Abendbrot. Der Bürokrat kommt aus dem Büro.)

LULU
Und magst du gerne weichen Ziegenkäse?
HAUSFREUND
Ja, warme Brötchen, reich besetzt mit Körnern,
Mohnsamen oder Sesamsamen auch,
Darauf die Butter von der guten Mutter
Und dicke Scheiben weichen Ziegenkäses
Und oben drauf die grünlichen Oliven,
Die ohne Kerne sind, gefüllt mit Knoblauch.
LULU
Und möchtest du dazu ein Tässchen Tee?
Sag, oder möchtest du ein Tässchen Kaffee?
HAUSFREUND
Was trinkst denn du, du Angebetete?
LULU
Ich trinke grünen Tee Darjeeling nur.
HAUSFREUND
So mir auch eine Tasse grünen Tee.
LULU
Eisbergsalat mit Sonnenblumenkernen!
Hier Mozarella-Käse mit Tomaten!
Sag, oder möchtest du ein bisschen Wurst?
HAUSFREUND
Nein, meine vegetarische Geliebte!
Ich lebe nur von keuscher Luft und Liebe!
LULU
(Sie lauscht nach der Tür)
Da kommt der Bürokrat aus dem Büro.
HAUSFREUND
Nur leisetreten! Jetzt kommt mein Rival!

(Der Bürokrat Georg Schönling tritt ein.)

BÜROKRAT
Ach, ich verdiene also nur das Geld,
Du Weib, du sitzt den ganzen Tag nur müßig,
Hast auch gefunden einen Hausfreund schon?
Und du, mein lieber Freund und Kupferstecher,
Kannst du zuhaus nicht essen Abendbrot?
Willst du von meinem Gelde dich ernähren?
LULU
Sei nicht so geizig, Mann! Er liebt mich doch!
BÜROKRAT
Er liebt dich? Er liebt meine Konkubine?
HAUSFREUND
(listig lächelnd)
Du, Georg, Ehemann von Gottes Gnaden,
Ich liebe deine Freundin rein platonisch!

DRITTER AKT

ERSTE SZENE

(Lulu und ihr Verehrer, der Prügelknabe Quintus Kraft.)

QUINTUS KRAFT
Schau meine Muskeln an, geliebtes Weib,
Schau meinen Gang mit breiten Beinen an,
Ich bin der maskuline Supermann,
Ich werde retten alle Universen!
LULU
Anbetung dir, dem großen Supermann,
Zu Recht, o Freund, trägst du den Namen Kraft,
Denn Christus heißet Gottes Kraft und Weisheit,
Du sollst mein Christus sein, die Gottes-Kraft,
Kraft Gottes bist du, die ich bete an,
Kraft Gottes bist du, Gott in meinem Innern!
QUINTUS KRAFT
Wenn du dich ganz mir anvertraust, o Weib,
Dann bau ich dir ein wunderschönes Landhaus,
Von meinem Geld kauf ich dir eine Villa
Mit einem riesengroßen Blumengarten
Und schenke Hengste dir und schenk dir Stuten
Und Kesselflicker-Ponys, wenn du willst!
LULU
Auf alle Ponys will ich gern verzichten,
Wenn du mein Hengst nur bist, du Gott der Kraft!
QUINTUS KRAFT
Ja, du bist meine Helena von Sparta,
Die geile Hündin, welche läufig ist!
Schau nur aus deinem Fenster, Aphrodite,
Zünd eine Lampe an in deinem Fenster!
LULU
Wenn ich die Hündin bin, die läufig ist,
Der Rüde du, der mich bestiegen hat!
QUINTUS KRAFT
In einem sehr erotischen Roman
Aus China las ich einst von einem Mann,
Des Penis war nicht lang und breit genug,
Doch Chinas Mediziner konnten helfen,
Er wurde operiert, in seinen Penis
Ein Teil von einem Hunde-Penis ward
Dem Mannespenis eingefügt und so
War dieser Mann so kraftvoll wie ein Rüde.
LULU
Mein Gott der Kraft, dein Penis ist für mich,
So wie er ist, so lang und breit er ist,
Das beste Stück, das ich gesehen habe.
Was soll mir Dichterliebe, Dichterehre,
O Kraft, wenn ich nur deinen Penis habe!

ZWEITE SZENE

(Lulu und der schwärmerische Student Johannes Hardenberg)

JOHANNES HARDENBERG
Ich hab von dir geträumt, geliebte Frau,
Ich schaute deinen weißen Körper fast
Ganz nackt, nur transparente Schleier
Umwehten deinen schönen nackten Leib,
Ich schaute deinen Rücken, deinen Po,
Das Haar trugst du zum Knoten aufgesteckt,
Du wandeltest mit deinen nackten Füßen
Auf blauem Wasser in der dunklen Nacht
Und auf dem blauen Wasser schwammen Blumen,
Die allerreinsten weißen Lotosblumen,
So schrittest du auf einen Vollmond zu,
Der hing wie eine Hostie in der Nacht,
Rein wie ein unbefleckter Spiegel Gottes.
LULU
Was du so träumst! Ist das denn meine Seele?
Ist das nicht vielmehr deine eigne Seele?
JOHANNES HARDENBERG
Wie kannst du nur so grausam sein, Geliebte,
Die du die Seele meiner Seele bist!
Du hast geraubt mir meine eigne Seele,
Den Atem und das Leben meiner Seele
Hast du mir weggenommen, o Geliebte!
Nun wandelst du davon mit meiner Seele
Und ich bin nichts als unbelebter Staub!
LULU
Ich bin nicht deine Seele! Meine Seele
Ist meine eigne Seele, ganz mein eigen,
Ich bin ich selbst, ich bin mein Wahres Selbst,
Gott hauchte mir die eigne Seele ein,
Doch deine Seele, Schwärmer, bin ich nicht!
JOHANNES HARDENBERG
Doch habe ich verloren meine Seele
Und bitte dich, gib mir die Seele wieder!
Ach, wenn du meine Seele gar nicht willst,
Dann gib mir meine Seele bitte wieder!
Sei nicht so seelenlos, du kalte Frau,
Belebe bitte meinen toten Staub!
LULU
Ich seelenlos? Ich bin nicht seelenlos!
In Wahrheit hab ich nämlich sieben Seelen!
Ja, wie die Katze sieben Leben hat,
Im Innern leben sieben Seelen mir!
JOHANNES HARDENBERG
Ich weiß nicht, ob es sieben Seelen sind,
Vielleicht auch sind es sieben böse Geister!
LULU
So liebst du mich – und nennst mich einen Teufel?
Geh, lass mich heut allein, ich will allein sein!

DRITTE SZENE

(Lulu liegt mit dem Jüngling Michael im Bett.)

MICHAEL
Mein Mütterchen, die Millionärin, liebt
Mich nicht, sie liebt ja nichts als Gold und Geld,
Mein Vater ist ein kalter Bürokrat
Und hat kein Herz in seinem harten Busen,
O Lulu, meine Schutzfrau, meine Liebe,
Ich suche Zuflucht unter deinem Rock!
LULU
Ich, deines Vaters Konkubine, bin
Des Sohnes Konkubine auch, Geliebter,
Und Schutzfrau deiner depressiven Seele.
Komm, ruhe dich an meinen Brüsten aus
Und sauge Trost aus meinen vollen Brüsten!
MICHAEL
In dieser Welt gibt’s leider keine Liebe,
An einen lieben Gott kann ich nicht glauben,
Nein, mein Altar, das ist allein dein Bett!

(Jemand rüttelt an der Tür, aber sie ist abgeschlossen.)

GEORG SCHÖNLING
(von draußen)
Ich rüttle an der Tür, ich klopfe an,
Du Teufelin, was hast du abgeschlossen?
LULU
Machst du mir wieder großen Psycho-Stress!
Ha, sehen, sehen sollst du, wen ich liebe,
Und spüren, dass ich dich nicht länger liebe!

(Die leichtbekleidete Lulu schließt die Tür auf. Georg Schönling tritt ein und sieht seinen Sohn
Michael in dem Bette seiner Geliebten.)

GEORG SCHÖNLING
Ah, Lulu, das zerfetzt die Seele mir!
LULU
Ja, aller Männer Herzen will ich brechen!
GEORG SCHÖNLING
Du bist ein böses Weib! Du bist ein Teufel!
LULU
Du willst mir fluchen? Fluchen ist verboten!
Nein, lieber Freier, segne deine Feindin!
GEORG SCHÖNLING
Ach, fluchen will ich, fluchen und verdammen,
Doch meine böse Feindin muss ich segnen!
So fluch ich Satanas und Satans Braut!

VIERTE SZENE

(Georg Schönling mit Pistole, und Lulu.)

GEORG SCHÖNLING
Ich habe lange drüber nachgedacht,
Du schienst mir eine stadtbekannte Dirne,
Das aber wäre harmlos, liebe Lulu,
Jetzt weiß ich, du bist eine Fledermaus,
Die Gräfin Dracula von Siebenbürgen!
Um deine schlechte Seele noch zu retten,
Du müsstest brennen auf dem Scheiterhaufen,
Doch heut verbrennt man Hexen ja nicht mehr.
Dämonisches Gelichter munter geht umher,
Kein Pfaffe spricht den Exorzismus heute.
Nun gut, du schlechtes Weib, du böses Weib,
Du, Lulu, sollst mich nicht zum Selbstmord treiben,
Wie du es mit dem Dichter Schwarz gemacht!
Hier also reiche ich dir die Pistole,
Genosse Mauser, Revolutionärin,
Und fordere dich auf, dich zu erschießen!
LULU
Ha! Das ist eine herrliche Idee!
Ich habe um das Leben nicht gebeten,
Ich geb die Eintrittskarte zu der Welt
Hohnlachend meinem Schöpfergott zurück!

(Sie nimmt die Pistole, richtet den Lauf auf Georg Schönling und erschießt ihn! Georg fällt tot zu
Boden, wie ein toter Körper fällt.)

LULU
Der ging mir ja schon lange auf die Nerven!

(Eine Nachbarin stürzt herein, die den Schuss gehört hat.)

NACHBARIN
Ach Fräulein Lulu, ist dir was passiert?
LULU
Mir? Mir ist nichts passiert! Doch Er ist tot!
NACHBARIN
Zu Hilfe! Polizei! Ein Mensch ist tot!
Der Mann ermordet von dem bösen Weib!
LULU
Susannchen, bitte deinen Gott für mich,
Denn leider, ach, ich bin ein böses Weib,
Bin nicht so fromm wie du, du reine Lilie,
Besessen bin ich von Dämonen, Christin,
Drum sprich ein Ave du für meine Seele.
NACHBARIN
Gegrüßet seist du Neue Eva! Amen!

VIERTER AKT

(Die Szene des vierten Aktes ist Paris, Quartier Latin. Lulu erscheint als Halbweltdame im Kreise
der Bohème.)

ERSTE SZENE
LULU
Paris, du wunderschöne Stadt der Liebe,
Nun ich entlassen bin aus dem Gefängnis
Und bin befreit von allen meinen Feinden,
Nun kann ich in der Stadt der Liebe leben!
Ich werde vor der Kirche Notre Dame
Mit einem klugen Ziegenbocke tanzen
Und werde einen Gottesmann bezaubern,
Der die Magie betreibt in seiner Zelle.
Ich werde vor der Kirche Notre Dame
Ein Croissant zum Frühstück essen und
Wenn Pöbel kommt und sagt: Das Volk hat leider
Kein Brot, sag ich den Revolutionären:
So soll das arme Volk doch Kuchen essen!
Ich werde mit Kamelienblumen mich
Am Abend im Theater schmücken und
Poeten laden ein in meine Zimmer
Und inspirieren die Poeten, die
Mein breites Bett für einen Himmel halten!
Ich habe meine Reize nicht umsonst,
Kalypso will ich sein auf ihrer Insel,
Paris ist mir die Insel der Kalypso,
Und wenn Odysseus kommt, der einfallsreiche,
Dann lasse ich ihn nicht aus meinen Armen.
Ich habe nie verstanden, dass Odysseus
Aus der lasziven Liebesgöttin Armen
Geflohen ist zur Frau Penelope,
Zur Langeweile ihrer Ehetreue.
Die jungen Männer werde ich bezirzen
Und nennen sollen sie mich: Göttliche!
Ich werde in Paris berühmt sein als
Maitresse von Marquisen, Kurtisane
Der Philosophen, Muse und Madonna
Und Engelin der trunkenen Poeten.
Wenn sie in meinem Himmelsbett gewesen
Und angebetet meinen Gott Priap,
Den Gott Priap, den Schutzgott meines Bettes,
Dann werden niemals mehr sie mich vergessen.
Ich geh in die Geschichte ein der Dichtkunst
Als Göttliche, als Hure der Poeten!

ZWEITE SZENE

(Lulu und ein Bankier.)

LULU
Ich brauche etwas Geld noch von der Bank.
BANKIER
Das Geld ist aber alles ausgegeben.
LULU
Mein Geld ist weg? Wovon soll ich jetzt leben?
BANKIER
Du hättest eben richtig rechnen müssen.
Schreib dir in Zukunft auf, wofür du all
Dein Geld ausgibst, in einer Spalte schreibst
Du auf, was du für Essenssachen ausgibst,
Wie viel für Kleidung und wie viel für Schuhe,
Wie viel für Schmuck und andre Kostbarkeiten,
Für Gouloise-Zigaretten und
Für Rotwein aus Bordeaux und für Champagner.
Dann schaust du, wie viel Geld du ausgegeben
In einem Monat, wie viel Geld bekommen,
Und untersuchst, wo du jetzt sparen könntest.
LULU
Am Essen kann der Mensch doch immer sparen,
Doch nicht an Gouloise-Zigaretten.
BANKIER
Nein, der Franzose denkt da anders, Lulu,
An allem könnte sparen der Franzose,
Doch nicht am Essen. Das tun nur die Deutschen.
LULU
Ich habe objektiv zu wenig Geld.
BANKIER
Nun, wenn das so ist! Unsre Bank ist aber
Kein Esel, welcher Gold-Dukaten scheißt,
Und keine Kuh, die man stets melken kann.
LULU
Ach, ruiniert bin ich! Jetzt müssen Tricks
Mir von dem Vater Staat das Geld ergaunern.
BANKIER
Der Vater Staat, ja, ja, der Vater Staat!
Hast du denn keinen reichen Vater mehr,
Der deine Schulden dir begleichen kann?
LULU
Mein Vater ist als armer Mann gestorben,
Er hatte spekuliert, erlitt Verluste.
BANKIER
Da weiß ich eines nur: Such einen Mann
Mit vollem Beutel in der Hosentasche
Und prostituiere dich und gib dich hin
In körperlicher Liebe einem Reichen
Und lasse dich vom reichen Mann ernähren,
Für deine körperliche Liebe soll
Er zahlen dir mit Schmuck und mit Parfümen,
Mit Schmuck, Gemälden und antiken Göttern.

DRITTE SZENE

(Lulu und ein Marquis)

LULU
Marquis, wo soll ich hin? Ich weiß nicht weiter!
So arm, ich ende noch im tiefsten Elend!
MARQUIS
Du schönes Weib, die du so reizend bist,
Mit deinem Körper kannst du Geld verdienen.
Uns Männern ist das leider nicht gegeben,
Wir müssen fleißig sein in dem Büro,
Vom Vater Staate leben oder erben.
Ihr Frauen habt es besser, ihr könnt lieben,
Mit euren Reizen könnt ihr Geld verdienen.
LULU
Soll ich als Hure auf die Straße gehen?
MARQUIS
Dafür bist du doch viel zu schön! Die Huren
In den gemeinen Gassen sind nicht schön.
Nein, du bist viel zu schön für diese Welt!
Ich weiß jedoch in Alexandria
Im koptischen Ägypten ein Bordell,
Das ist kein ordinäres Hurenhaus,
Ein Freudenhaus ist das von Edelhuren!
Ich könnte dich vermitteln, liebste Lulu.
LULU
Selbst wenn ich eine Edelhure wäre,
Es wollte doch kein Mann mehr mit mir schlafen.
Ich bin doch keine sechzehn Jahre mehr.
MARQUIS
Nein, wärst du in Ägypten Edelhure,
In Alexandria im Freudenhaus,
So zög ich nach Ägypten, wohnte dort
In Alexandria und wäre täglich
Dein treuer Kunde, ja, dein bester Kunde!
LULU
Doch Hure sein, das ist nicht ehrenhaft.
MARQUIS
Das ist der älteste Beruf der Welt!
Sankt Paulus missionierte in Athen
Bei Philosophen, bei den Stoikern
Und bei den Epikuräern, aber diese
Verlachten ihn und sagten: Körnerpicker!
Dummschwätzer! Paulus eilte nach Korinth
Und in der Hafenstadt Korinth im Hafen
Er missionierte unter Huren, siehe,
Die Huren kommen schneller in den Himmel
Als weise Philosophen von Athen.
Von wem hat Sokrates die Redekunst?
Er hat sie von Aspasia, der Hure!
Maria Magdalena auch war eine
Hetäre, eine wunderschöne Hure,
Und Christus küsste oft sie auf den Mund!

VIERTE SZENE
(Nacht. Lulu packt eilig ihre Tasche.)

LULU
Adieu, Paris, Adieu, du Eifelturm,
Du Efeuturm, Adieu, Champs Elysée,
Arc de Triomphe, Adieu, Adieu, Montmartre
Und Sacré Cœur, Adieu, und Notre Dame,
Adieu, Hotel de Dieu, Adieu, du Metro,
Adieu, du Gard du Nord, Quartier Latin,
Adieu, du Moulin Rouge, Adieu, Pigalle,
Adieu, Café au lait, Adieu, Croissant,
Adieu, Baguette, Adieu, du roter Wein,
Adieu, Salat, Adieu, ihr Käsesorten,
Adieu, du Mousse au chocolat, Adieu,
Adieu, ihr leckern Schenkeln von den Fröschen,
Adieu, ihr vielgeliebten Weinbergschnecken,
Adieu, du Truthahn und Adieu, Champagner,
Adieu, du Cidre, süßer Apfelmost,
Adieu, Maronen und ihr Pommes frites,
Adieu, gebratne Enten, leckre Enten,
Adieu, Tomaten, pommes de paradis,
Adieu, geliebte Liebe, Sinnlichkeit,
Adieu, Französisch, Zunge du der Engel!
NACHTWÄCHTER
(ruft in der Straße)
O Leute, Leutchen, es ist Mitternacht!
LULU
O, Mitternacht, und ich, ich schlafe nicht,
Vor lauter Kummer kann ich gar nicht schlafen,
Die Nachtgespenster lassen mich nicht schlafen.
Jetzt finden mich die Nachtgespenster wachend,
Doch ob ich weise bin wie alte Männer,
Doch ob ich töricht bin wie junge Mädchen,
Das kümmert gar nicht diese Nachtgespenster.
NACHTWÄCHTER
(flüstert)
Ach, ein Gespenst geht in Europa um,
Das ist das Nachtgespenst der Göttin Lilith...
LULU
Wenn der Marquis mich prostituieren will,
So sind nun einmal die Franzosen, sinnlich!
Doch will ich in Ägypten nicht und nicht
In Alexandria als Hure leben.
O Deutschland, Deutschland, meine blonde Mutter!
Nein, wenn ich schon als Hure enden soll,
Dann such ich Zuflucht lieber bei Sankt Pauli!

FÜNFTER AKT

ERSTE SZENE
(Lulu steigt von einem Schiff auf die Landungsbrücken im Hamburger Hafen, gefolgt von zwölf
begeisterten Matrosen.)

MATROSEN
Wir danken dir für diese Überfahrt,
Nie war die Reise übers Meer so schön!
LULU
Ich danke euch, dass ihr mich mitgenommen,
Ich konnte doch die Reise nicht bezahlen.
MATROSEN
Du hast bezahlt mit einer andern Währung,
Dein Körper ist mehr wert als reines Gold.
LULU
Nun singt zum Abschied mir noch einen Shanty!
MATROSEN
(singen)

Einst wollte zu dem Heilgen Grabe


Die schöne Evelyn Roe,
Sie hatte aber keine Habe
Als ihren Leib. He-Ho!

Da gab sie allen den Matrosen


Den Körper frisch und froh.
Ein jeder durfte zärtlich kosen
Die schöne Evelyn Roe.

So ist sie auf dem Schiff gestorben,


Die arme Evelyn Roe.
Sie hat ums Paradies geworben
In dulce jubilo!

Doch an der Himmelstür Sankt Peter


Zur Sünderin sprach so:
Es ist kein Platz in Gottes Äther
Für Huren, Evelyn Roe!

Zur Hölle musst du ohne Zweifel,


Du Hure Evelyn Roe!
Doch drunten sprach zu ihr der Teufel:
Ach Weib, beim A und O,

Du wolltest zu dem Heilgen Grabe,


Zum Neuen Salomo!
Gabst dafür alle deine Habe,
Dich selber, Evelyn Roe!

Kein Platz ist für dich in der Hölle,


Du fromme Evelyn Roe!
Als Nachtgespenst in Lunas Helle
Spaziere irgendwo!
O Nachtgespenst der Nachtgespenster!
Wir alle lieben so
Die tote Dirne nachts am Fenster,
Die tote Evelyn Roe!

ZWEITE SZENE

(Sankt Pauli. Huren stehen an der Straße. Die beiden Huren Eva und Lulu zusammen.)

LULU
Wie bist du denn gestrandet in Sankt Pauli?
HURE EVA
Ich war Studentin einst in Hamburg, aber
Mein Vater wollte mir kein Geld mehr zahlen,
Weil ich zu lange und zu faul studierte.
Doch mir gefiel so das Studentenleben
Und eine Arbeit wollte ich noch nicht,
Ich brauchte irgendwie nur schnelles Geld,
Da dachte ich bei mir: Ach, Sex macht Spaß,
Was gibt es bessers, als mit Spaß am Sex
Sich schnelles Geld ganz einfach zu verdienen!
LULU
Macht denn der Sex mit Freiern wirklich Spaß?
HURE EVA
Ach, wie man’s träumt, so schön ist’s dann doch nicht.
Die Freier wollen nur mal eben kommen
Und masturbieren nur in deiner Vulva,
Und wenn sie abgespritzt, dann gehen sie
Und unbefriedigt bleibt dein armes Seelchen.
LULU
Ja, willst du nicht mal eine andre Arbeit
Und einen treuen Mann und liebe Kinder?
HURE EVA
Ich dachte einmal: Nicht mehr länger Hure,
Wie gerne wär ich eine Bäckerin!
Da ging ich also in den Bäckerladen
Und sprach zum Bäcker: Lieber Meister Bäcker,
Wie gerne würde ich zur Bäckerin!
Da sprach zu mir der dicke Meister Bäcker:
Was, Mädchen, hast du vorher denn gemacht?
Da sagte ich: Mein lieber Meister Bäcker,
Ich hab gespreizt die Beine jedem Freier!
Da sprach der Meister Bäcker: Ach du Hure,
Dich will ich haben nicht als Bäckerin!
LULU
Ist auch der älteste Beruf der Welt,
Bist eine ehrenhafte Prostituierte.
HURE EVA
Im Alter kommen keine Freier mehr.
LULU
Gott sorgt schon für die kleinen Vögelein.
DRITTE SZENE

(Roterleuchtetes Zimmer. Die Hure Lulu und ein Freier, der Nuttenmörder Black Jack.)

LULU
Karfreitag kommst du in mein Freudenhaus?
BLACK JACK
Karfreitag – weiß nicht – was bedeutet das?
LULU
Die Generalin von der Heilsarmee
Versprach mir grade heute ihr Gebet.
BLACK JACK
Ach ja! Was gab man Jesus noch zu trinken?
Am Kreuz gab man zu trinken ihm – Gin Tonic!
LULU
Ein Spötter also bist du! Nun, mein Spötter,
Karfreitag heut – was willst du, dass ich tue?
BLACK JACK
Die Perversionen aus dem Ausland bitte!
Die Deutschen nennen den Fellatio
Französisch! Weißt du, was die Briten sagen,
Wenn eine Domina den Freier geißelt?
Das nennen Briten eben german love!
LULU
Auspeitschen soll ich dich als Domina?
BLACK JACK
Ja, meine Schlange, ja, mein Skorpion!
Du Domina im schwarzen Netzstrumpf nur,
Ja, geißeln sollst du mich, du Geißel Gottes!
Du Domina und ich dein Flagellant!
LULU
Geh weg, ich habe keinen Bock auf dich!

(Black Jack stiert sie an. Plötzlich zieht er ein Messer und sticht es zornig in ihr Bett.)

BLACK JACK
Ich hasse meine Mutter! Tod der Mutter!
Tod allen Feigen und verdammten Muschis!
LULU
Ich habe keinen Bock auf Psychopathen!

(Black Jack zieht das Messer aus dem Bett, greift sich Lulu und sticht ihr in die linke Brust! Lulu
verblutet. Es ist Mitternacht. Vom Dome Michel Glockenläuten.)

LULU
(sterbend)
Ich sterbe! Halleluja! Hallelu - -

(Sie stirbt)
DER HEXENSABBATH

(Ein Gebirge, auf dem sich die Hexen zur Schwarzen Messe am Hexen-Sabbath versammeln.
Bischof Theophilus und der Dämon Asmodäus.)

ASMODÄUS
Willst du auf einem Besen reiten?
Ich wünschte mir in diesen Zeiten,
Zu reiten einen Ziegenbock!
THEOPHILUS
Ich wollte reiten einen Rock!
Doch jetzt genügt der Wanderstab,
Den ich in meiner Rechten hab.
Wie labyrinthisch ist der Wald
In diesen Tälern mannigfalt,
Den Felsen möchte ich besteigen,
Die Quelle mögest du mir zeigen.
Das Wandern ist des Müller Lust!
Den Frühling spür ich in der Brust,
In Spanien und auch in Germanien,
Den Frühling spüren die Kastanien
Und auch die jungen schlanken Birken.
Der Lenz beginnt in mir zu wirken!
ASMODÄUS
Ich fühle nichts von Frühlingslust,
Ich habe Frost in meiner Brust,
Nicht Lenzes süßes Liebesweh,
Ich liebe Frostigkeit und Schnee.
Wie traurig schleicht am Horizont
Die Luna hin, man nennt sie Mond,
Die Luna gibt so matten Schimmer,
Man stößt sich an den Steinen immer.
Hinan, hinan zum Felsenturm!
Die Wege der Johanniswurm
Uns zeige! Ach Johannestrieb,
Der ist den alten Weisen lieb!
He du, Johanniswürmchen da,
Du kleiner Glühwurm, komm nur nah,
Flieg uns voran den Waldeswipfel
Und zeig den Weg hinan zum Gipfel!
JOHANNISWÜRMCHEN
In Ehrfurcht meine Reverenz!
Ich führe euch durch diesen Lenz,
Traut mir als trautet ihr den Engeln,
Wo sich hinan die Pfade schlängeln.
ASMODÄUS
Den Engeln denkst du’s nachzuahmen?
So schlängle dich, in Satans Namen,
Sonst blas ich dir als wie ein Weib
Die Seele aus dem heißen Leib!
JOHANNISWÜRMCHEN
Ich merke wohl, vom Herrn und Meister
Bist einer du der bösen Geister,
Gehorchen will ich meinem Herrn!
Doch Freitag ists, beim Venusstern,
Die Hexen reiten auf dem Besen,
Die Weiber treiben toll ihr Wesen!
THEOPHILUS
In Träume, wie sie träumen Schlangen,
In Träume sind wir eingegangen.
THEOPHILUS UND ASMODÄUS
Johanniswürmchen, durch die Träume
Führ uns durch dunkle leere Räume!
JOHANNISWÜRMCHEN
Wie rasch die Bäume sich verrücken,
Wie sich die Felsenspitzen bücken,
Die Gipfel mit den steilen Nasen,
Die Windsbraut saust, um scharf zu blasen!
THEOPHILUS
Auch die Quelle sprudelt nieder!
Hör ich freche Gassenlieder,
Gassenhauer voller Klage?
Lebt sie heute noch, die Sage,
Von dem Schlüssel Salomonis
Und von Venus und Adonis?
JOHANNISWÜRMCHEN
Uhu! Tödliches Geheule!
Uhu heult und Schleiereule!
THEOPHILUS
Wo wir einer mit dem andern
Durch die dunklen Wälder wandern,
Labyrinthe und Mäander,
Wie im Feuer Salamander!
ASMODÄUS
Und aus Höhle und Gehäuse
Scharenweise weiße Mäuse,
In den Büschen, wie im Schatten,
Huschen hin die fetten Ratten.
Nicht nur Ratten, nicht nur Mäuse,
Auch die Flöhe, auch die Läuse!
THEOPHILUS
Aber ob wir Menschen stehen,
Sich um uns die Welten drehen,
Oder ob wir Menschen wandern,
Stille stehen alle andern?
THEOPHILUS UND ASMODÄUS
Alles scheint um uns zu wanken,
Scheint zu taumeln, scheint zu schwanken,
Tote in den Bäumen baumeln,
Trunkne torkeln, Trunkne taumeln!
ASMODÄUS
Fasse meines Rockes Zipfel,
Schauen wir von diesem Gipfel
Zu dem alten Gott von Ammon,
Zu dem goldnen Gotte Mammon!
THEOPHILUS
Steckt das Gold doch in den Erzen,
Aber mehr noch in den Herzen,
Steckt das Gold in rauen Felsen,
Komme Feuer, Gold zu schmelzen,
Einzig wegen diesem Feuer
Ist das reine Gold uns teuer!
Nur das Purgatorium
Macht das Gold zum Heiligtum!
ASMODÄUS
Vater Mammon hat Gefallen
Hier an diesen offnen Hallen,
Mammon dünkte, Mammon däuchte,
Daß uns Mammons Glanz erleuchte!
O die Feiern, o die Feste!
Wir sind ungebetne Gäste!
THEOPHILUS
O wie scharf die Windsbraut bläht
Ihre Backen, o wie weht
Dort die Windsbraut, mich zu packen,
Hockt sich mir auf meinen Nacken!
ASMODÄUS
Hier an dieser steilen Klippe
Halte fest die alte Rippe!
Sonst wird dich die Windsbraut stürzen
Und das Leben dir verkürzen!
Graue Nebelschleier fließen
Über diese leeren Wiesen!
Wölfe in den Wäldern heulen,
Von den Bäumen schaun die Eulen!
In der Ulme hängen Fische!
Welch ein Blasen, ein Gezische,
Wie sich schlängeln die Lianen,
Wandern Schatten, sinds die Ahnen,
Eichen stürzen, Eichen splittern
In den donnernden Gewittern!
Einsam gurrt der Turteltauber!
Weiber heulen Liebeszauber!
CHOR DER HEXEN
Die Hexen ziehn zur Sabbatfeier,
Es ist doch nur die alte Leier,
Du, Eva, möchtest einen Freier,
Du, nackte Eva, fragst nicht lange,
Du packst am Schwanze gleich die Schlange!
EINE HEXE
Demeter soll uns Göttin sein,
Sie kommt auf einem Mutterschwein!
O große Göttin, Gottheit-Frau,
Wir weihen dir die alte Sau!
CHOR DER HEXEN
Viel Ferkel an der Säue Zitzen!
Wir sehen auf den Säuen sitzen
Demeter, die uns backt das Brot!
Ach, Kore tot, ach, Kore tot!
EINE HEXE
Ich will, dass alle Mütter platzen,
Ich will aus ihren Schößen kratzen
Und reißen aus dem Mutterschoß
Die Leibesfrüchte, Embryos!
DIE MAGIER
Die Frauen stets das Böse spüren,
Drum sollen uns die Frauen führen.
Wir Männer, wahre Frauenkenner,
Den Frauen folgen wir, die Männer.
CHOR DER HEXEN
Lasst nicht die Mutterkühe kalben!
Zum Fluge wollen wir uns salben!
Der Mohn mit seiner Milch ist gut,
Stechapfel schafft uns Übermut,
Tollkirsche schafft uns Todeswut,
Der Schierling schafft die innre Glut!
ASMODÄUS
Wie Besen dort an Besen klappert,
Das Weibchen mit dem Weibchen plappert,
Die Hexe furzt, die Hexe brennt,
Das ist der Weiber Element!
Theophilus, wo bist du jetzt?
THEOPHILUS
Die Hexe da hat mich verletzt!
ASMODÄUS
Gehorche, Hexe, deinem Herrn,
Ich komm vom Meister Luzifern!
THEOPHILUS
Welträtsel will ich alle lösen!
Da! Weiber in der Macht des Bösen!
ASMODÄUS
Wolfsrudel oder Hunderudel,
Die Weiber treiben dort im Strudel,
Nur fort und fort, hinan nach oben,
Zum Bösen drängts, da wird geschoben.
ALTE HEXE VOM FLOHMARKT
Wandrer, schleiche nicht so lahm
Hier vorüber, sieh den Kram,
Altes ist als Neues besser,
Siehe hier die scharfen Messer,
Menschen taten selbst sich töten,
Schaue hier die goldnen Kröten,
Schau, bereit für Gift der Becher,
Mancher Ehemann war Zecher,
Als von seinem Eheweibe
Gift ging ein zu seinem Leibe.
ASMODÄUS
Alte Weiber, breite Spalten!
Alte, weg mit deinem Alten!
An den Engen, an den Neuen
Kann ein Mann sich nur erfreuen!
THEOPHILUS
Bist du nun ein Dämon, Herr,
Oder nur ein Magier?

(Sie sind auf dem Gipfel angekommen.)

STIMMENGEWIRR
Ja, er kommt, der Satan kommt,
Wie es alten Hexen frommt!
Also freut es Hexenmeister,
Kommt der Herr der bösen Geister!

(Hörner werden geblasen. Qualm. Gestank. Satan erscheint auf dem Gipfel. Die Hexen frohlocken.)

SATANSNOVIZE
Satan, der du Meister bist,
Dir allein will ich gefallen,
Zwar ich bin ein Kommunist,
Doch ich küsse dir die Krallen!
ZEREMONIENMEISTER
Sollst nicht nur die Krallen küssen,
Wirst dich tiefer bücken müssen!
NOVIZE
Was verlangt das Ritual?
ZEREMONIENMEISTER
Wenn du ehren willst den Baal,
Musst du tiefer noch dich bücken,
Tiefer noch, bis untern Rücken,
Bis zu Satan leckst den Arsch!
Hexenmeister reden barsch.
NOVIZE
Komme über mich der Zorn!
Doch ich küss ihn auch von vorn!

(Der Satan, der dem Novizen erst den Arsch gezeigt hat, wendet sich um und dreht ihm seinen
starrenden Phallus zu.)

Daß ich Satans rote Nase


Küsse, ihm den Phallus blase!
Aber was begehr ich noch
Als in Satans schwarzes Loch,
Mag es noch so übel riechen,
Satan in den Arsch zu kriechen!

(Stille. Plötzlich kreischen alle alten Hexen laut auf vor Entzücken.)

Was will Satan weiter noch?


Will ich doch ins schwarze Loch!
SATAN
Satans Knecht, du bist erprobt,
Wer so gut wie du gelobt
Satans Arschloch, ohne Heucheln,
Dem wird Satan ewig schmeicheln.

(Mitternacht. Satan setzt sich auf seinen Thron.)

Hier in meinem Weltgericht


Böcke mir zur Rechten dicht,
Sollen sich die Böcke schmiegen
An die Zicken, an die Ziegen,
Jede Zicke sage Dank,
Dankt dem Bock den Bocksgestank!
HEXEN
Fallet nieder in den Staub!
Kommt der Dieb doch jetzt zum Raub!
Dürfen wir in unsern Sünden
Satans Tiefen doch ergründen!
SATAN
Seien euch zwei Dinge hold,
Ehrt zumeist das gelbe Gold,
Der Vergänglichkeit zum Trotze,
Ehrt des Weibes feuchte Fotze!
MAGIER
Dürfen wir in unsern Sünden
Gottes Tiefen doch ergründen!
SATAN
Seien euch zwei Dinge hold,
Ehrt zumeist das gelbe Gold,
Dann zum Becken eurer Tänze
Wie die Schlangen ehrt die Schwänze!
HEXEN
Satan, schenke uns Ekstasen,
Wenn wir Männerschwänze blasen!
EINE HEXE
Ah, auch ich in meinen Sünden
Gottes Tiefe darf ergründen!
ASMODÄUS
(zu einem sechzehnjährigen Mädchen)
Was denn fürchtest du, mein Kind?
Warum zagst du? Sags geschwind!
MÄDCHEN
Ach der große Herr und Meister
Und der Gott der freien Geister
Sprach von Fotzen und von Schwänzen,
Das verletzt der Sitte Grenzen!
ASMODÄUS
Junges Mädchen, hübsche Nichte,
Auf die Wollust nicht verzichte,
Greife nach erhitztem Tanz
Deinem Onkel an den Schwanz!
SATAN
Ihr hübschen Mädchen, schönen Frauen,
Wie lasst ihr gerne euch versauen!
Tags Putzfrau auf des Herren Spuren,
Doch Nachts die allergeilsten Huren,
So preisen euch die Frauenkenner,
Die meine Knechte sind, die Männer.

(Orgie. Die Sauforgie geht rasend über in eine Sexorgie.)

THEOPHILUS
Daß ich mich nicht selbst vergesse
Bei der schwarzen Satansmesse!
ASMODÄUS
Komm nur her zum breiten Becher,
Sind wir doch die besten Zecher,
Frauen, Geister im Gehirne,
Frauen, nackt wie eine Dirne,
Schönste Frauen aus dem Städtchen,
Doch am allerliebsten Mädchen!
Wollen wir doch nicht verzichten
Auf die kaum verhüllten Nichten!
THEOPHILUS
Aber wer ist jene Frau?
ASMODÄUS
Die studiere du genau!
Lilith ist des Weibes Name,
Sie ist Adams erste Dame.
Ihre Macht liegt in den Haaren,
In den langen schönen Haaren!
Blitze schleudern ihre Augen,
Dir den Samen auszusaugen,
Will sie in der Nacht nicht säumen,
Saugt an dir in deinen Träumen,
Von dem Samen, den du spendest,
Wenn dich ihrem Mund zuwendest,
Sie gebiert Dämonensöhne!
Lilith, Lilith, wie ich stöhne!
THEOPHILUS
Schaue dort die weiche Mutter
Mit dem Busen weiß wie Butter
Und bei ihr das junge Mädchen,
Schönste Dirne aus dem Städtchen!
Nach der Liebeskünste Regeln
Wissen beide wohl zu vögeln!
ASMODÄUS
Heute gibt es keine Ruh,
Also rasch, wir greifen zu!
THEOPHILUS
(mit dem Mädchen flirtend)
Kürzlich hatt ich einen Traum,
Schaute einen Apfelbaum,
Schöne Äpfel, bei den Göttern,
Wollte ich den Baum beklettern!
MÄDCHEN
Hör von Äpfeln immer reden,
Immer von dem Garten Eden,
Äpfel hüpfen, Äpfel nicken,
Tust du nur die Äpfel pflücken!
ASMODÄUS
(mit der Mutter flirtend)
Weichen Herzens, süße Alte,
Wie ein Baum mit breiter Spalte,
An dem Baume hing die Feige,
Doch was weiter kommt? Ich schweige.
MUTTER
Alter Esel! Aber doch
In dem Baum das breite Loch,
Breite Spalte in den Borken,
Stopfe nur hinein den Korken!

(Das junge Mädchen singt. Ihr Gesang ist wie brünstiges Liebesgestöhn, sich steigernd zu
animalischer Brunft. Ihr Tanz gleicht den rhythmischen Bewegungen des Beckens beim Liebesakt –
fast kopuliert sie auf öffentlicher Bühne – da reißt sich Theophilus los.)

ASMODÄUS
Was willst du dieses Weib nicht necken?
Willst du denn nicht ihr Becken lecken?
THEOPHILUS
Grad, da ich fast sie schon begatte,
Schlüpft aus dem Mund ihr eine Ratte!
ASMODÄUS
Was solls, wenn Ratten quiekend piepen!
Das Mädchen wollt sich lassen lieben!
THEOPHILUS
Ich sehe, siehe, was ich schau - -

(In der Ferne ist Anne-Marie zu sehen, die Jugendgeliebte des Theophilus. Sie ist nackt.)

ASMODÄUS
Was schaust du? Etwa eine Frau?
THEOPHILUS
Siehst du die nackte Frau dort? Sie
Ist meine Liebe, Anne-Marie!
ASMODÄUS
Du leidest Halluzinationen
Und hältst die Träume für Visionen.
Die Frau dort ist nur ein Phantom,
Ein Schatte nur vom Lethe-Strom.
THEOPHILUS
Nein, das ist meiner Jugend Muse!
ASMODÄUS
Du lasest wohl von der Meduse!
THEOPHILUS
Ich seh die Lippen, rosenrote!
Erbarmen! Ach es ist die Tote!
Das ist die Brust, die ich genoss,
Der Schoß, den ich geliebt, der Schoß!
ASMODÄUS
Nein, du verliebter Turteltauber,
Das ist Magie nur, das ist Zauber,
Wie du sie siehst, die nackte Schöne,
So Paris sah einst die Helene.
THEOPHILUS
Ach welche Reue! Welche Leiden!
Ich will von dieser Frau nicht scheiden!

(Gericht. Anne-Marie steht auf dem Scheiterhaufen. Die Söhne des heiligen Dominikus und die
Söhne des heiligen Franziskus begleiten sie bis zum Tode.)

DAS FROMME VOLK


Heiliger Gott! Heiliger starker Gott! Heiliger unsterblicher Gott! Wir opfern dir auf den Leib und
das Blut, die Seele und die Gottheit unsres Herrn Jesus Christus, deines Sohnes, um Erbarmen zu
erlangen für uns und für die ganze Welt! Herr Jesus, bewahre uns vor dem Feuer der Hölle! Führe
alle Seelen in den Himmel, besonders jene, die deiner Barmherzigkeit am meisten bedürfen! Ave
Maria!
PATER
Du, Anne-Marie, stehst vor dem Tod,
Schrei du aus allertiefster Not
Zu Jesus Christus voll Erbarmen:
Erbarm dich, Jesus, deiner Armen!
Ich traue dir, mein Jesus Christ,
Der du allein mein Retter bist!
Ich bin ein Weib – ein schlechtes Weib –
Doch, Jesus, schenk mir deinen Leib!
O geh du ein zu meinem Munde,
Mein Gott, in meiner Todesstunde!

(Die Erscheinung verlöscht. Die tiefste Nacht bricht über Theophilus herein.)
THEOPHILUS
(allein)
Erbarme dich, Herr Jesus Christus!
DIE WAHRE HELENA

Ort: Ägypten. Zeit: Nach dem Fall Trojas.

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

HELENA
Nun steh ich hier allein, fern meinem Griechenland,
Wohl waltet über mir des Vatergottes Hand.
So denke ich zurück an jene Unheilsstunde,
Da Alexander stand am Ida in dem Grunde
Bei Troja, ihm erschien dreifaltig Gott-Natur,
So Alexander stand, erschrockne Kreatur,
Und sah Athene an, die Alexander fragte,
Ob sie die Schönste sei? Der arme Mann verzagte,
Es fragte ihn ja auch die Himmelskönigin
Mit weißem Lilienarm: Ob ich die Schönste bin?
Und Alexander sah des Meeresschaumes Blüte,
Die nackend ihm erschien, die Göttin Aphrodite,
Die fragte lächelnd ihn, charmanten Lächelns leis:
Nennst du die Schönste mich, gibst mir des Apfels Preis,
Schenk Alexander ich, ich Anadyomene,
Die schönste Frau der Welt, erotische Helene.
Und so begann der Krieg. Die Himmelskönigin,
Der Ehe-Göttin sie, in heilig-keuschem Sinn,
Dem Alexander gab ein Scheinbild, eine Schöne,
Die nichts als Traumfrau war. Um dies Idol Helene
Das weise Griechenland mit Troja führte Krieg,
Ich weiß nicht, ob bereits errungen ist der Sieg.
Die Himmelskönigin mich nahm in ihre Arme
Und führte mich hinweg aus all dem herben Harme
Und nach Ägypten hin die Himmelskönigin
Mich brachte, Helena, die ich die Keusche bin,
Nicht frevelnd mich begab in Alexanders Nähe,
Nein, Menelaos treu, nicht brach die fromme Ehe.
So wahrte Helena die Himmelskönigin,
So dass ich unbefleckt vom Ehebruche bin.
Jedoch der Griechen Heer in Asia im Kriege
In wilder Kriegerwut sie kämpften bis zum Siege.
Um wen denn kämpften sie? Um nichts als ein Idol,
Chimäre, Phantasie, ein Traumbild, innen hohl,
Ein flüchtiges Idol, gleich Imaginationen,
Um eine Illusion, gleich Halluzinationen.
Dies reizende Idol der Traumfrau Helena
Ist weiße Leinwand nur, auf der ein jeder sah,
Was ihm im Innern war. Die Männer projizieren
Und malen farbig schön die schönste Frau, die ihren
Gemütern ganz entspricht, ist Psyche offenbar.
Doch ich bin Helena, die wahre Frau, und wahr
Bin ich ein wahrer Mensch von gottgezeugtem Wesen.
Von Gott ist meine Art, von Gott ich auserlesen,
Vom Vatergott geliebt, ich Gottes Tochter bin,
Geschützt vom Lilienarm der Himmelskönigin.

ZWEITE SZENE

(Helena am Granit-Grabmal des alten Pharao.)

HELENA
So kam ich also einst hierher ins Land Ägypten,
Wo Götter von Basalt regieren in den Krypten.
Der alte Pharao nahm mich als Tochter an,
Er war ein Vater mir, ein tiefgelehrter Mann.
Nie die Spartanerin war jemals königlicher,
Beim alten Pharao, dem Vater, war ich sicher.
Nicht eitel schmückt ich mich mit Flechten und mit Putz,
Der alte Pharao gewährte seinen Schutz
Der schlichten frommen Frau, die einfach war und edel.
Ägyptens Weisheit war in seinem breiten Schädel,
Ägyptens Weisheit und Mysterienreligion,
Geheime Wissenschaft vom ewigen Äon,
Vertraut war diesem Mann, der Pharao war weise,
Die Göttin Isis in der Tierkreisbilder Kreise
Verehrte er und mit der Mutter auch den Sohn
Und nahm stets teil an der Mysterienreligion.
Doch schließlich starb auch er. Ich hüllte mich in Trauer.
Es stirbt der Pharao, es stirbt auch jeder Bauer,
Sie kommen ins Gericht. Wer aber auferstand,
Als Bauer ewig lebt und pflügt sein Ackerland
In alle Ewigkeit und ausstreut seine Saaten.
Die Totengötter sind Ägyptens Demokraten,
Der Bauer aufersteht im Jenseits ebenso
Wie aus dem Mumienschrein der große Pharao.
Dem alten Pharao gefolgt ist auf dem Throne
Der junge Pharao. Ich werde von dem Sohne
In Liebesgier bedrängt. Der Pharao begehrt
Die Europäerin, er sagt, dass er verehrt
Der Gottesschönheit Bild in meiner Zierrat Zierde,
Allein ich weiß als Frau, es ist nur die Begierde,
Er schielt nach meinem Hals, er schielt nach meiner Brust,
Ich bin ihm Augenlust, ich bin ihm Fleischeslust.
Er ist betört, verwirrt von meinen Körperreizen,
Er träumt in seinem Geist, ich tät die Schenkel spreizen.
Jedoch mein Herz ist keusch, jungfräulich ist mein Herz,
Ich liebe nicht den Spaß, den töricht-eitlen Scherz,
Die lose Buhlerei in fremden Mannes Nähe.
In meinem Herzen bin ich treu dem Mann der Ehe,
In meinem Herzen und im Fleische bin ich treu,
An keinem Manne als an Menelas mich freu.
Zudringlich aber ist der Pharao, der junge,
Bedrängt mein Muschelohr mit seiner Schlangenzunge,
So fliehe ich vor ihm zu diesem Grab-Granit.
Der alte Pharao vom Himmel niedersieht
Und schützt mich vor dem Sohn, die ich sonst keinen habe
Als eines Toten Geist hier am granitnen Grabe.

DRITTE SZENE

(Ein griechischer Bote tritt zu Helena.)

GRIECHISCHER BOTE
Wer bist du, schöne Frau, granitnem Grabe nah?
HELENA
Ich bin Spartanerin und heiße Helena.
GRIECHISCHER BOTE
O, wenn du Griechin bist, so willst du sicher hören,
Ob Troja heut noch steht? So kann ich dir beschwören,
Gefallen Troja ist, geschlagen von dem Heer
Der griechischen Armee, die ankam übers Meer.
HELENA
Nun sage mir auch, nach dem Krieg und seinem Chaos,
Was kannst du sagen mir vom Griechen Menelaos?
GRIECHISCHER BOTE
Des Menelaos Frau Zankapfel war des Kriegs,
Die Alexander nahm, nach dem Triumph des Siegs
Aus der zerschlagnen Burg und ihrer Trümmer Chaos
Die Frau nahm sich zurück der Grieche Menelaos.
HELENA
Wie, Menelaos hält Helene an der Hand?
Ist heimgekommen er bereits nach Griechenland?
GRIECHISCHER BOTE
Legenden hört man viel. Odysseus, geht die Sage,
Zehn Jahre irrt umher, dreitausend lange Tage,
Es hielt die göttliche Kalypso ihn im Schoß,
Bis von der Göttin er riß sich gewaltsam los,
Er irrte übers Meer, als ihm sein Floß zerschmettert,
Er Leukothea sah, die Frau, von Zeus vergöttert,
Die ihren Schleier ihm ließ huldvoll sinken, dass
Er retten ließe sich aus Meerestiefen naß,
Da lag er plötzlich nackt bei Klippen an dem Strande,
Und so nahm man ihn auf in dem Phäakenlande,
Odysseus nämlich an dem Strande spielen sah
Mit ihren Freundinnen die Maid Nausikaa,
Als er vor ihr erschien, fast wie ein Todesschatte,
Nackt, nur verhüllt das Glied von einem Eichenblatte.
HELENA
Odysseus kehrt wohl heim. Doch sag mir lieber, was
Geworden ist aus dem geehrten Menelas?
GRIECHISCHER BOTE
Ach, Fama bläst das Horn, lässt das Gerücht erschallen,
Daß Menelaos sei, seit Trojas Burg gefallen,
Auf Irrfahrt, irrend auf dem alten Archipel.
HELENA
So lebt er also noch? O weiter doch erzähl!
GRIECHISCHER BOTE
Die Fama bläst das Horn, der Grieche sei verdorben,
Der edle Menelas, bläst Fama, sei gestorben.

VIERTE SZENE

HELENA
O Bote, kommst du doch zu mir aus Griechenland,
Wie geht es Helenas Familie? Gottes Hand
Ist über Helena und all den Ihren gütig.
Die Hand des Vaters, sag, ist Gott im Zorne wütig?
BOTE
Von ihrer Mutter hör! Die Nymphe Leda sahn
Die Himmlischen dereinst, wie Gott als weißer Schwan
Sie gnädig heimgesucht und liebend sie begattet
Und sie als Gotteskraft hat fruchtbar überschattet.
Die Mutter jetzt ist tot, die Nymphe Leda tot!
HELENA
Die Nymphe Leda ist von Gottes Zorn verdorben,
Als Folge ihrer Schuld als Sünderin gestorben?
Ist keine Hoffnung mehr, dass Leda weiterlebt?
Wie Wehen der Geburt mein weißer Busen bebt!
Wir werden alle doch des grimmen Hades Futter!
Ah weh dir, Helena, ah wehe deiner Mutter!
BOTE
Doch hatte Helena ein Töchterchen, ein Kind,
Ein Mädchen, jung und schön, wie junge Mädchen sind,
Die Maid Harmonia in ihrem jungen Grame
Verwehrte sich dem Bund mit einem Bräutigame.
O großer Schade ist es einem Mädchen doch,
Wenn sie die Ehe scheut, des Ehegatten Joch.
Wodurch geheiligt wird das Mädchen in der Jugend?
Wenn Söhne sie gebiert in ehelicher Tugend!
Ein Mädchen unfruchtbar, ein Mädchen unbemannt,
Von keines Gatten Akt im Ehebund erkannt,
Wenn ihre Jungfernhaut nicht leidet sanfte Häutung,
Ein solches Mädchen ist doch ohne die Bedeutung,
Die eine haben kann, in Ehren haben kann,
Die gänzlich sich ergibt in Liebe einem Mann.
HELENA
Sind keine Freier denn in ihrem Heimatstädtchen?
Wählt keinen sich zum Mann das wunderschöne Mädchen?
Glückselig ist der Mann, ich sags mit keuschem Mund,
Glückselig, den sie wählt zum ehelichen Bund.
BOTE
Doch aber Helena, beim Liebeslied der Lieder,
Sie hatte Brüder auch, die beiden Zwillingsbrüder.
HELENA
Was ist geworden denn, o sage weis und wahr,
Was ist geworden denn aus diesem Zwillingspaar?
BOTE
Was immer lästern auch die gottvergessnen Spötter,
Die Zwillinge sind doch geworden eilansgöttHeilanHeilandsgötter!
HELENA
Ach weh dir, Helena, ach dulde, leide still!
Ich selber nur in Gott, in Gott verlöschen will!
Wenn ich die Erde seh, die Übermacht des Bösen,
Begehr ich nur, in Gott mich gänzlich aufzulösen!

FÜNFTE SZENE

HELENA
In meinem Busen welch ein Chaos!
Ich weiß nicht: Lebt noch Menelaos?
Ist Menelaos, weh mir, tot?
Dann wein ich Tränen blutig rot!
CHOR DER GRIECHISCHEN SKLAVINNEN IN ÄGYPTEN
Die Tochter Pharao befrage,
Daß sie dir deine Zukunft sage!
Die Tochter Pharao ist klug,
Die oft in stiller Wüste frug
Nach ihres Gottes leiser Stimme,
Ob Gott sei gnädig oder grimme.
Die Tochter in Ägyptenland
Geschrieben las in Gottes Hand
Das Schicksal aller Menschenseelen,
Ob sie voll Glück, ob sie sich quälen.
Des Schicksals Vater ist doch Gott,
Wir aber, Odem im Schamott,
Wir wollen ganz uns unterwerfen
Und unsre innern Sinne schärfen,
Ob wir auch in der Wüste dort
Vernehmen Gottes leises Wort.
Nicht für dich selber sollst du fragend
Und flehend bitten, beten klagend,
Die Tochter Pharao am Ort
Befragen nach des Vaters Wort,
Doch ob in dieses Daseins Chaos
Lebendig sei dein Menelaos,
Ob er nach des Geschicks Gebot
Sei schon im Hades, sei schon tot.
Die Tochter Pharao, die stille,
Sie weiß, wie Gottes Vaterwille,
Sie hört die Stimme Gottes still,
Und weiß, was Gott vom Menschen will.
Wir sind vor Gott ja nichts als Sklaven,
Wir wollen ja in Gott nur schlafen,
In Geistesdingen sind wir stumpf,
Von Venus sehn wir nur den Rumpf,
Nur Brüste, aber keine Arme.
Doch dass der Höchste sich erbarme,
Befrage die Prophetin dort
Nach Gottes Weisung, Gottes Wort.
Denn die Prophetin kann bezeugen,
Daß Gott ist nicht ein Gott im Schweigen,
Im Innern der Prophetin schlicht
Der Höchste leise wehend spricht.
Ja, in der Tochter Pharao
Ertönt das Wort, das A und O.
So geh und ende deine Klage,
Die Tochter Pharao befrage!

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Menelaos in zerfetzten Kleidern, verwildert die langen blonden Haare und der lange volle Bart. Er
steht vor dem Palast des Pharao.)

MENELAOS
Ach Himmel, so zerfetzt, so lumpig und zerfetzt,
So von dem langen Krieg zerrissen und verletzt!
Die Irrfahrt währte lang, seit Troja unterlegen,
Wir Griechen siegten zwar durch guter Götter Segen,
Ich habe Helena errungen mir zurück,
Sie ist auf meinem Schiff, mein Engel und mein Glück!
O schönste Helena, wie Aphrodite Schaumfrau,
O schönste Helena, du engelgleiche Traumfrau!
In meinem Innern ist im schwarzen Körper hohl
Ein dunkles schwarzes Loch, du lebst darin, Idol!
Wo aber bin ich jetzt? Fern von dem Land der Griechen,
Muß durch Ägypten ich wie Wüstenschlangen kriechen?
Hier steht nun der Palast, Palast des Pharao,
Der sicher weise ist wie König Salomo.
Ob man mich aufnimmt hier, der Schiffbruch ich erlitten?
Schiffbrüchiger, will ich um eine Zuflucht bitten!
O habt doch Mitleid, all ihr Himmlischen, mit mir,
Ich klopf um Gnade an an dieser Gnadentür!

(Menelaos klopft an die breite, hohe, uralte Pforte. Eine Alte öffnet die Pforte, es ist die greise
Amme des Pharao.)

AMME
Wer klopft hier Fremdling an, wer will an diesem Orte
Begehren Einlass und will durch die Gnadenpforte?
MENELAOS
Schiffbrüchiger bin ich, verlor fast den Verstand,
Ich möchte endlich heim ins schöne Griechenland.
Schiffbrüchiger, der ich den Schiffbruch jüngst erlitten,
Ich möchte um Asyl im Land Ägypten bitten.
AMME
Der junge Pharao nimmt keinen Fremdling an,
Der junge Pharao will bald als Ehemann
Sich nehmen eine Braut, die Allerschönste freien,
Hat keinen Sinn im Glück für Leiden. Mußt verzeihen.
MENELAOS
Wer ist die Glückliche, der er gibt seine Hand,
Wer wird hier Königin sein in Ägyptenland?
AMME
Wie Hathor ist sie schön, die schöne Frau Helene,
Ein wahrer Wunderwerk an Schönheit ist die Schöne!
MENELAOS
Helene? O wie schön der Name Helena!
Sie? Sie ist ja bei mir! Sie spricht: Ich bin ja da!

ZWEITE SZENE

MENELAOS
Auf meinem Schiffe ist die seligste Helene,
Ein wahres Traumbild sie, ein Geist in höchster Schöne!
Die Amme aber sprach, es sei im Lande da
Ein wunderschönes Weib, das heiße Helena,
Und das verwirrt mich doch. Ob mich Dämonen necken?
Da nahen junge Fraun. Ich werde mich verstecken.

(Menelaos versteckt sich in einem Gebüsch. Der Chor der griechischen Sklavinnen kommt mit
Helena.)

CHOR
O edle Griechenfrau, sag, hast du auch befragt
Die Tochter Pharao? Und was hat sie gesagt?
Hat die Prophetin dir in deine Seele offen
Gegossen neuen Mut dir ein und neues Hoffen?
HELENA
Der Erde Nabelstein ist Delphis Heiligtum.
Dort sitzt die Pythia, schaut das Mysterium
Und hört den Sehergott, den Segen und die Flüche.
Dann lallt die Pythia von Gott Orakelsprüche
Und trunken visionär in göttlicher Gewalt
Ekstatisch Pythia von Gott Orakel lallt
Und keiner kann verstehn, was spricht der Seelenrichter,
Bis schön es übersetzt der priesterliche Dichter.
So ist Prophetentum im schönen Griechenland.
Hier in Ägypten ist auch Prophetie bekannt
Und die Prophetin ists, die Gott vernimmt im Wetter,
Hört Gott im Wettersturm, den höchsten Gott der Götter.
CHOR
Was lallte trunken nun dir der Prophetin Mund?
Was tat des Gottes Wort, o Helena, dir kund?
Vor Sehnsucht nach dem Wort uns unsre Brüste beben:
Sag, ist dein Menelas, dein Gatte, noch am Leben?
HELENA
Des Chaos Strudel ihn ergriff, des Chaos Trubel,
Des Meeres Abgrund ihn verschlang! Und doch o Jubel,
Mein Menelaos lebt! O meine Rede stockt,
Im Busen mir mein Herz so sprachlos mir frohlockt!
CHOR
Ja, wenn uns Jammer trifft und uns die Götter nehmen
Das Liebste von uns weg, dann wilde Worte strömen
Und alles Weh und Leid wird trunken ausgesagt
Und wohlberedet reich der Mensch in Qualen klagt,
Doch will uns süßes Glück umflattern und umsummen,
Dann muß vor Lust das Herz in Seligkeit verstummen!
HELENA
Mein Menelaos lebt! Das dank ich Gott, ich weiß,
Der Himmelskönigin sei ewig Lob und Preis!

DRITTE SZENE

(Nachdem der Chor gegangen ist, tritt Menelaos aus dem Gebüsch und spricht Helena an.)

MENELAOS
Wie hängt mein Leben doch am dünnsten Schicksalsfädchen,
Du aber bist sehr schön, ja, wohl ein Himmelsmädchen?
HELENA
Ich heiße Helena, bin die Spartanerin,
Der Griechen Heiligtum, der Schönheit Königin.
MENELAOS
Das kannst du sagen wohl, doch kann ich es auch glauben?
Ach Helena, mein Traum, bei Aphrodites Tauben!
Auf dem zerstörten Schiff, auf meinem Wrack ist ja
Gerettet aus dem Brand von Troja Helena.
HELENA
Was kann ich tun, als dir den Namen mein zu nennen?
Kannst du nicht deine Frau, dein Weib in mir erkennen?
MENELAOS
Ja, wahrlich, du bist schön! Ich sehe Cypria
In deinem Ebenbild, die Göttin Paphia
In deinem Ebenbild, wie Aphrodites Schäume
Dein Leib ist schwanenweiß, jedoch im Innern träume
Ich noch von meiner Frau, im schwarzen Körper hohl
Lebt jetzt noch meine Frau, mein Helena-Idol.
HELENA
Ja, die erfandest du, phantastisch sind die Künste
Der Männerphantasie, die haschen eitle Dünste.
MENELAOS
Du Schwanenkönigin, dein Busen weißer Schaum,
Du reine Lichtgestalt, scheinst selbst mir nur ein Traum.
HELENA
Umleuchtet meinen Leib der Gottesschönheit Klarheit?
Doch bin ich wirklich Weib von Fleisch und Blut in Wahrheit!
MENELAOS
So ich dich heute schau, voll Staunen ich dich schau,
Ich mein, die Göttin selbst erscheint mir in dir Frau!
Jedoch, ich bin gewiß, dass meiner Seele Gattin
Zurückblieb auf dem Wrack, Helene, meine Göttin!
HELENA
Ist sie so schön wie ich? Schau meinen runden Leib!
Wann sahest jemals du ein so vollkommnes Weib?
MENELAOS
Doch Spartas Helena vom Reiche der Ideen,
Die solltest einmal du mit meinen Augen sehen.
Die Gottesschönheit seh ich visionärer Schau
In dieser Traumgestalt, der idealen Frau.
HELENA
Dein Geist ist außer sich, ist tief im Wahn verloren!
Was willst du mit der Frau, die dir dein Traum geboren?
Ist sie dein Ideal, im Geiste Gottes keusch,
Ich bin das wahre Weib, bin Frau von Blut und Fleisch.
MENELAOS
Ob Venus’ Tauben so im Liebesfrühling girren,
Wie weißt du mich, o Weib, wahnsinnig zu verwirren!

VIERTE SZENE

MENELAOS
O Liebesenergie im schwarzen Körper hohl,
Ich eile jetzt zurück zum Helena-Idol,
Die Wirklichkeit ist wahr, im Traum erscheint die Traumfrau,
Als Wahrheit schöner ist die makellose Schaumfrau!
HELENA
Ein leeres Traumbild nur, von lauter Nichts verkeuscht,
Das sag ich dir voraus, dass dich die Frau enttäuscht.

(Ein griechischer Bote kommt eilend und grüßt Menelaos.)

BOTE
O Menelaos, Fürst, ich komme zu berichten.
MENELAOS
Was Schicksalsgöttinnen für neues Schicksal dichten?
BOTE
Die schönste Helena, befreit aus Trojas Brand,
Die du hierher gebracht in der Ägypter Land,
Für die du Krieg geführt zehn lange Kriegesjahre,
Die Troja angesteckt mit Einem ihrer Haare,
Die Siegstrophäe, die bei der Trompeten Schall
Verkündet Griechenland den Sieg und Trojas Fall,
Die schöne Helena, die von der Liebesgöttin
Zum Ehebruch verführt, die Hündin und die Gattin,
Du ließest sie zurück auf dem zerstörten Wrack,
Matrosen um sie her, ein liederliches Pack,
Ja, heute morgen wars, ich roch die schönsten Düfte,
Die schöne Helena entfloh in Ätherlüfte!
MENELAOS
Die schöne Helena floh in die Himmelsluft,
Ließ mich allein zurück in dieser Erdengruft?
Wie kann das sein? O Mann, o sagst du auch die Wahrheit?
BOTE
Die allerschönster Frau von kristalliner Klarheit,
Die Angebetete, das göttergleiche Weib,
Sie löste auf in Duft und Luft den lieben Leib
Und so zerfloss ihr Leib im lichterfüllten Äther,
Das haben nie gesehn der Griechen weise Väter,
Ich aber habs gesehn! Ihr schönstes Angesicht
Zerfloss im Himmelsblau, ging auf im Sonnenlicht!
Ob Aphrodite selbst tat Helena entrücken?
Dahin ist das Idol, phantastisches Entzücken,
Die Göttin hat entrückt zum Himmel dein Idol!
MENELAOS
O Liebesenergie im schwarzen Körper hohl,
Was macht auch die Idee im Erdenreich der Schatten?
Kann sich ein Schatte der Idee der Schönheit gatten?

FÜNFTE SZENE

CHOR
Ach armer, armer Menelas,
Helene ohne Unterlaß
Du suchtest in des Krieges Chaos,
Ein Traumbild nur, o Menelaos!
Dein Traumbild war zwar wunderschön,
Ein Ideal aus den Ideen,
Erotisch, reizend, wenig züchtig,
Jedoch wie Schaum des Meeres flüchtig!
Aus Meeresschaum kam Cypria,
Aus Meeresgischt stieg Paphia,
Die Göttin stieg aus Meeresschäumen,
Um zu entzücken unser Träumen,
Die Schönheit vom Ideensaal
Erschien in Träumen ideal
Und ließ sich sehen in dem Lichte
Allein dem inneren Gesichte,
Der sechste Sinn allein erblickt
Das Ideal, das so entzückt,
Mit Wirklichkeit nicht zu vertauschen,
Vermag ein Traum uns zu berauschen,
Erotisch, reizend, wenig keusch,
Ein Geist in transparentem Fleisch,
In allen Liebeskünsten tüchtig,
Gleich einer Hündin wenig züchtig.
Allein, zerflattert ist der Traum,
Die Traumfrau sank zurück in Schaum.
Allein, in göttergleicher Klarheit,
Die Schönheit dir erscheint in Wahrheit,
Die Güte selbst im schönsten Leib,
Gottähnlich, aber doch ein Weib,
Nicht Illusion allein romantisch
Und nicht Vision allein phantastisch,
Nein, züchtig sie erscheint und keusch,
Doch voller Liebreiz ist ihr Fleisch,
Ihr Körper schön ist ohne Fehle,
Noch schöner aber ihre Seele,
Noch schöner aber, dass du’s weißt,
Der liebt die Wahrheit, ist ihr Geist,
Triumph der Königin! Victorie!
Schau Helena in ihrer Glorie!
Schau, ihre langen schwarzen Haare
Verschleiern bräutlich dir die wahre
Helene, sei ihr Brautgemahl,
Die wirklich ist und ideal!

DRITTER AKT

ERSTE SZENE

MENELAOS
Du bist die Helena, die Königin von Sparta,
Regentin meines Staats nach frommer Liebe Charta.
HELENA
Ich bin die Königin von Sparta, Helena,
Die lange nach dir sah, voll Sehnsucht nach dir sah.
MENELAOS
Du konntest ganz allein mein Herz im Busen rühren,
Ich will voll Zärtlichkeit den Körper dir berühren.
HELENA
Ich weiß, dass deine Lust mich gern umarmen will,
Ich lieg in deinem Arm und beb und bin doch still.

(Sie umarmen sich und ruhen eine Zeitlang in der Umarmung.)

MENELAOS
Ach dass die Götter mich nicht aus der Wonne wecken,
Ich rühre zärtlich dir dein wundervolles Becken.
HELENA
Das darfst nur du allein, mich so berühren, so
Voll liebevoller Lust zu tasten an den Po.
MENELAOS
Zehn Jahre kämpfte ich in einem schlimmen Kriege
Und dachte: Mein Triumph und alle meine Siege
Sind weniger als nichts, doch dass jetzt bei mir da
Die liebe Ehefrau, die schöne Helena,
Jetzt weiß ich auch, warum ich all die Kämpfe führte?
Jetzt aber merke ich, dass ich nur phantasierte!
Es war ein Nachtgespenst im schwarzen Körper hohl,
Dem Blitz gleich, Illusion, Phantom nur und Idol.
HELENA
Die Himmelskönigin mich brachte nach Ägypten,
Der Göttin weiht ich mich in heiligen Gelübden.
Hier in Ägyptenland der alte Pharao
Gab mir Asyl, er war so klug wie Salomo.
Der alte Pharao ist aber jüngst gestorben,
Vom jungen Pharao ich werde jetzt umworben,
Er ist charmant und gut und hilfsbereit und nett
Und will doch eines nur: Er will mich in sein Bett
Zur Liebe haben und zu ordinären Lüsten
Und sich ergötzen an dem Schoß und an den Brüsten.
Vorm jungen Pharao, den ich nicht gerne hab,
Bin ich geflohen an des alten Herrschers Grab.
MENELAOS
So segnen Tote uns, die ruhen in den Grüften,
Wenn ich dich zart berühr am Becken und den Hüften,
Der Tote wohl im Grab geheime Wollust spürt,
Als ich dein Becken dir so flüchtig zart berührt?

ZWEITE SZENE

MENELAOS
Ach komm mit mir, mein Weib, nach dieser Schicksalspause
Und diesem kurzen Tod komm du mit mir nach Hause.
HELENA
Die Heimat, ja, wie schön! Ist Sparta doch ein Staat,
Und ein Spartaner ist ein Mann der guten Tat,
Und die Spartanerin ein starkes Weib und tüchtig
Und tugendsam und fromm und rein und keusch und züchtig.
MENELAOS
Wie hat der lange Krieg doch meinen Sinn verderbt
Und all der Männermord! Was ist es, was man erbt?
Ich möchte lieber doch mit meinem Weib zu Hause
Einsiedlerisch zu zweit sein in der stillen Klause.
HELENA
Der junge Pharao lässt mich gewiss nicht gehn,
Er findet meinen Leib zu reizend und zu schön.
MENELAOS
Den junge Pharao, in geiler Wollust Orden,
Soll ich ihn mit dem Schwert im edlen Zorn ermorden?
HELENA
Nein, lass ihn leben nur! Er machte mir viel Not,
Die Götter strafen ihn dereinst bei seinem Tod!
MENELAOS
Soll ich dem Schicksal mich so wie ein Schlachtschaf fügen?
Den jungen Pharao will lieber ich betrügen.
HELENA
Ich bleibe an der Gruft, des alten Herrschers Grab,
Bis ich die zündende Idee der Rettung hab.
MENELAOS
In süßer Sehnsucht, ach, wir wollen uns doch sehnen
Nach unsrem Vaterland nach diesem Tal der Tränen,
Ob auch Ägyptenland gewährte dir Asyl,
Es ist kein Heimatland spartanischem Gefühl,
Ich sehne mich zurück nach unsres Reiches Charta,
Nach unserm starken Staat, dem Königreich von Sparta.
HELENA
Der junge Pharao steht uns im Wege noch,
Ein Wollustjünger er des Ehebruches doch,
Nur immer tiefer will er dringen, immer fester
Mich lieben. Aber ich will bitten seine Schwester,
Die Tochter Pharao, Prophetin ist sie ja,
Prophetin, rate sie der schönen Helena,
Der Götter Neunheit ruf sie an, der Götter Dreiheit,
Und führe Menelas und Helena zur Freiheit!

DRITTE SZENE

(Helena und die Tochter Pharao.)

HELENA
O Tochter Pharao, Prophetin du von Gott,
Als ich gelitten jüngst an deines Bruders Spott,
Da fragte ich dich aus: Trotz all der vielen Spötter,
Prophetin, du befrag für mich die guten Götter,
Ob Menelaos noch, mein Mann, auf Erden weilt,
Daß neue Hoffnung mir die dunkle Seele heilt.
TOCHTER PHARAO
Ich schaute ein Gesicht, dass meine Geister beben,
Ich schaute deinen Mann, sah Menelaos leben!
HELENA
Und Wahrheit sprachest du, so wahr mein Busen bebt,
Mein vielgeliebter Mann, mein Menelaos lebt!
TOCHTER PHARAO
Wo ist dein lieber Mann, der Gatte deiner Ehe?
Ach, ist er fern von dir? Ist er in deiner Nähe?
HELENA
Ja, heute eben erst, da hielt ich seine Hand,
Mein lieber Ehemann ist in Ägyptenland.
Wir suchen aber jetzt uns doch zurückzuziehen
Und aus Ägyptenland vorm Pharao zu fliehen.
TOCHTER PHARAO
Ich ruf die Götter an, bet ohne Unterlass,
Doch warum sagst du mir ganz herzlich offen das?
HELENA
Ob Todeshunde auch, ob Höllenhunde belfen,
Ob auch Anubis bellt, du möchtest uns doch helfen.
TOCHTER PHARAO
Dir helfen, dass du fliehst mit deinem Ehemann?
Sag, wie ich helfen kann, was ich da machen kann?
HELENA
Wir wollen uns nicht mehr dem strengen Schicksal fügen,
Den jungen Pharao, wir wollen ihn betrügen.
TOCHTER PHARAO
Die Götter hassen das, all diesen bösen Lug
Und all die böse List, den listigen Betrug.
HELENA
Der junge Pharao wird mich doch lieber töten,
Mit meines Mannes Blut gern seinen Säbel röten.
TOCHTER PHARAO
Zu Lüge und Betrug kann ich euch helfen nicht,
Doch Schweigen ist seit je mir höchste Götterpflicht.
In Lüge und Betrug kann ich nicht Falsches zeugen,
Doch dass dein Gatte lebt, ja, das kann ich verschweigen.
Ich lüge nicht und sag nichts Falsches, doch ich will
Vorm jungen Pharao ganz einfach schweigen still.
HELENA
Die Götter wollen so, das ist der Götter Wille.
Es schweigt die Seherin, die Seherin ist stille.

VIERTE SZENE

MENELAOS
Wie kommen wir zurück ins schöne Griechenland?
Die Weisheit übersteigt den männlichen Verstand!
HELENA
Der Tod gibt Leben doch. Das wollen wir gebrauchen.
Die Himmlischen zu mir den Plan der Rettung hauchen.
MENELAOS
Sind wir vergessen nicht von allen Göttern hier?
Der junge Pharao als wie ein goldner Stier
Beherrscht Ägyptenland. Es herrschen in Ägypten
Die Todesgötter doch, die Toten in den Krypten.
HELENA
Sie lieben so den Tod, als einen Gott den Tod,
Wir durch des Todes Nacht uns nahn dem Morgenrot.
MENELAOS
Wie meinst du das, o Frau, um die ich lang geworben,
Zehn Jahre bin im Krieg ich Tag für Tag gestorben.
HELENA
So höre meinen Plan: Dem jungen Pharao
Ich werde sagen, dass du starbest irgendwo,
Daß deinen Leichnam wir nicht in Ägypten haben,
Symbolisch aber doch wir möchten dich begraben.
Weil Menelaos nun gestorben auf dem Meer,
Weil Schiffbruch er erlitt mit seinem ganzen Heer,
Drum fordert das Gebot der religiösen Griechen,
Daß nicht die Lebenden in Todestrauer siechen,
Daß ich den Leichnam, den ich leider zwar nicht hab,
Begrabe in der See, begrab im Meeresgrab.
So will ich bitten dann, dass ich vom Küstenkliffe
Darf fahren auf das Meer, ich frag nach einem Schiffe,
Dem toten Ehemann ein Totenopfer will
Ich bringen auf der See, den Toten ehren still,
Und wenn ich dann begrub den toten Ehegatten,
Dem jungen Pharao will ich mich bräutlich gatten.
MENELAOS
Das wird dem jungen Mann doch rauben den Verstand,
Wenn er das von dir hört, dass in Ägyptenland
Du sein willst Königin und seine Ehegattin.
HELENA
Heil Himmelskönigin, o Retterin und Göttin,
Gelingen laß den Plan, o Himmelskönigin,
O Mutter, weil ich Kind doch deiner Liebe bin!
MENELAOS
Heil Himmelskönigin, trotz all der Spötter Spott,
Ich trau auf Helena, die Tochter ist von Gott.

FÜNFTE SZENE

CHOR
Wir sind ja nicht wie freche Spötter,
Wir ehren unsre alten Götter,
Wir geben alle ganz uns hin
Der hohen Himmelskönigin,
Wir sind die guten, milden Schwestern,
Die nicht die hohe Herrin lästern.
Doch, o bei aller Götter Gott,
Wir müssen hören bösen Spott
Von dreisten Spöttern, die sich irren,
Die sich im Labyrinth verwirren.
Was soll da sagen unser Chor?
Es ist kein Gott, so denkt der Tor!
Sie haben sich vereint verschworen,
Die blinden Blindenführer, Toren,
Gesetzlos, gottvergessen, blind,
Die blinde Blindenführer sind.
Sind wir die Schwestern, welche sehen?
Sehn wir die Tänze der Ideen?
Wie herrlich die Ideen sind
Hoch überm Erdenlabyrinth
Auf Universums Sphärenbahnen,
Ach, können das die Schwestern ahnen?
Was hat die Weisheit uns gebracht
Als eine tiefe Mitternacht,
Als Einsamkeit im Tal der Tränen?
Und wenn sich, ach, die Schwestern sehnen
Ins lieblichste Elysium,
Sind wir nicht wie die Dummen dumm?
Was wissen wir vom Anbeginne,
Bevor begonnen unsre Sinne?
Was steht denn in des Schicksals Buch?
Ach, hören müssen wir den Fluch,
Verflucht von Gott sind jene Toren,
Die von der Seele dies beschworen,
Vor der Empfängnis lebten sie
Schon im Ideenhimmel, wie
Ein Himmelswesen, eine Göttin,
Als schöne Psyche, Gottes Gattin!
Doch was erwartet nach dem Tod
Die Seele in dem Morgenrot?
Was sollen hoffend wir erwarten?
Die Weisen sagen: Keinen Garten
Und keine Liebesgötter nackt
Und Nymphen für den Liebesakt,
Das denken nur die Toren schwächlich.
Die Gottheit ist doch unaussprechlich,
Wir sind auf Erden bloß und blind,
Verwirrt im Erdenlabyrinth,
Wir uns im Labyrinth verirren,
Wie Bären brummen, Tauben girren.

VIERTER AKT

ERSTE SZENE

HELENA
O junger Pharao, mein Herr, ich bitte dich,
Gewähr mir einen Wunsch, o Herr, erhöre mich.
PHARAO
Du findest meine Huld, denn du bist wohlgelitten,
Ich stets der schönen Frau gewähre alle Bitten.
Was auf dem Herzen liegt dir schwer, o Frau? So sprich!
HELENA
Mein Ehemann ist tot, unglaublich leide ich!
Zwar stirbt der Pharao, wie gleichfalls stirbt der Bauer,
Doch stirbt der Ehemann, wie groß ist dann die Trauer!
Für diese Trauer, ach, ich keine Worte hab.
O Herr, gewähre mir, zu sorgen für sein Grab!
PHARAO
Die Totengötter ihn im Totenreich erlaben,
Was willst du seinen Leib denn weiter noch begraben?
HELENA
Der Geisterschatte freut sich am geschmückten Grab,
Wenn ich auch seinen Leib geehrt in Ehrfurcht hab.
PHARAO
Es steigt hinan das Ka, wie Falke oder Taube,
Doch sind wir alle ja im Leib nur Staub vom Staube.
HELENA
Mein vielgeliebter Mann, den ich jetzt nicht mehr seh,
Er starb ja nicht zu Land, er starb auf wilder See,
Im aufgewühlten Meer mein Gatte ist ertrunken
Und unter Wasser mir erlosch sein Seelenfunken.
PHARAO
Auch in der Trauer bist du noch ein schönes Weib.
Wo ist vom Gatten jetzt der seelenlose Leib?
Es wird der Knochenstaub doch täglich grau und grauer,
Doch deine Seele, Weib, ist schön auch in der Trauer.
HELENA
Bei Griechen ist es Kult, wenn starb ein Mann zur See,
Verschlungen ihn der Gischt, der Meeresschaum wie Schnee,
Ein Opfer bringt man dar, ein Opfer auf dem Meere,
Das Totenopfer riecht im Hades dann der Hehre,
Drum will ich auf das Meer, ein Opfer bringen dar,
Gib bitte mir ein Schiff, zur Seefahrt mach es klar.
PHARAO
Das Schiff sei dir gewährt und auch die Seebestattung.
Ist aber wirklich tot dein Liebling der Begattung,
Ist hier ein Grieche auch, der seinen Tod bezeugt?
HELENA
Den Griechen kenn ich, der von Menelas nicht schweigt.

ZWEITE SZENE

HELENA
Mein junger Pharao, hier habe ich den Zeugen,
Der von dem Tode wird des Menelas nicht schweigen.
PHARAO
Zerrissen und zerfetzt, in allergrößter Not,
Wer bist du, armer Mann? Ist Menelaos tot?
MENELAOS
Ja, tot ist Menelas, ja, tot ist Menelaos!
Der Elemente Streit im Weltgetrieb des Chaos
Hat ihn verschlungen und zunichte ganz gemacht
Und so sank er hinab ins Schattenreich der Nacht.
PHARAO
Lebt Menelaos nicht mehr in des Lichtes Klarheit?
Ist er im Schattenreich? Und sagst du auch die Wahrheit?
MENELAOS
So wahr die Königin des Totenreiches lebt!
Denk ich an seinen Tod, mein Herz mir jetzt noch bebt!
Doch starb er ohne Angst, in tiefem Gottvertrauen,
Was ihn erwartete auch immer, tiefes Grauen
Im Schattenreich der Nacht, ob Seligkeit des Glücks,
In Gottvertrauen er hinab ging an den Styx!
PHARAO
Zum Hades ging sein Ka? Was ward aus seinem Leibe?
Was ward aus seinem Leib, der Wonne war dem Weibe?
MENELAOS
Wir Griechen denken so, mein junger Pharao,
Der Leib ein Kerker ist, wir Griechen denken so,
Die Seele ist ein Geist, das Geistige ist stärker
Als die Materia, der Körper ist ein Kerker,
Jedoch wenn unser Geist mit schrillem Adlerschrei
Aus dem Gefängnis flieht, so ist die Seele frei!
PHARAO
Ja, bangt denn nicht das Ka vor den Dämonenratten,
Den Schöffen des Gerichts, dem Richter aller Schatten?
MENELAOS
Was ihr Osiris nennt, das nennen Minos wir,
Von dem Gericht im Tod auch redet weise ihr,
Wir Griechen aber auch, die Redner und die Dichter,
Bekennen, dass der Geist muß vor den Totenrichter.
Wer gottlos lebte, der muß an dem Lethefluß
Die Lebensfrüchte sehn und doch wie Tantalus
Kann er die Lebensfrucht nicht greifen, all die prallen
Begierlichschönen ihm dort in den Schoß nicht fallen,
Nein, ewig hungrig wird in ewigem Geschmacht
Vergeblich er die Frucht begehren in der Nacht.
Die aber fromm gelebt, die werden auf den Wiesen
Des Jenseits wandeln mit den Nymphen von Elysen!
PHARAO
Was ist denn das Geschick des toten Menelas?
Liebt in Elysium er ohne Unterlass?
MENELAOS
Wie blind die Menschen in des Weltgetriebes Chaos!
Ich wüsste gerne das Geschick des Menelaos!

DRITTE SZENE

PHARAO
O schöne Helena, o schönste Helena,
Die Schönheitsgöttin steht vor mir im Bilde da,
O Schönheitsgöttin du, o Königin der Schwäne,
Tief bete ich dich an, du göttliche Helene!
HELENA
Du redest nicht gemein, nicht stofflich, sinnlich, grob,
Ich danke für den Ruhm, ich danke für dein Lob,
So freut sich stets die Frau an eines Mannes Schmeicheln,
Des Mannes Schmeichelwort weiß ihr das Herz zu streicheln.
PHARAO
Da tot ist Menelas, da Menelaos tot,
Jetzt geht mir auf dein Licht, ich seh das Morgenrot!
Wie tief war doch die Nacht, wie stand ich doch im Dunkeln,
Da in der tiefsten Nacht mir keine Sterne funkeln,
Mir selbst der Venus Stern als Aster nicht erblüht,
Jetzt aber hoffnungsvoll mir neues Leben glüht!
HELENA
So sprich nur alles aus, lass aus dem Busen offen
Mir strömen alle Glut. Was lässt dich wieder hoffen?
PHARAO
Wie herzlich die Vision, die ich vor Augen hab!
Da Menelaos’ Leib gelegt wird in sein Grab,
Nach ihres Gatten Tod ist wieder frei die Gattin,
Jetzt wirst du mein, o Weib, du wahre Schönheitsgöttin!
HELENA
Bist du dir sicher des, dass alles will dein Geist,
Was dir dein Morgentraum so hoffnungsschön verheißt?
PHARAO
Sei Aphrodite Ruhm! Ägypten preise Hathor!
Die schöne Liebe ist zuletzt doch Triumphator!
HELENA
Wenn ich gesenkt ins Grab des toten Körpers Rumpf,
Dann hoffst du auf das Heil der Liebe, den Triumph
Der Aphrodite dann? O Göttin Aphrodite,
Aus Meeresschaum geborn, du weiße Lotosblüte,
Was will der Mann von mir? Sind Männer denn nur geil
Auf meinen schönen Leib? Wer will mein Seelenheil?
Wer für mein Seelenheil hinab geht zu den Schatten,
Den wähle ich allein zu meinem Seelengatten!
PHARAO
Lass mir die Hoffnung, lass der Aphrodite Ruhm,
Dass Helena mir schenkt der Ehe Heiligtum,
Wenn Menelaos erst ist feierlich begraben,
Dass Helena mich dann wird voller Lust erlaben!
Oh lass mich ruhen nur an deiner vollen Brust!
Heil, Aphrodite, Heil! Heil, Liebe voller Lust!

VIERTE SZENE

MENELAOS
Ich Grieche, ich ein Knecht, des Götterkönigs Sklave,
Ich bitte Gott: O Herr, abwende du die Strafe!
Ein Opfer bring ich dar für alle Sterbenden
Zum Höchsten Gut hinan, für alle Lebenden
Und für die Toten auch, ja, auch für unsre Toten!
Die Götter senden sie zu uns als Götterboten,
Als Schatten stehen sie unsichtbar um den Tisch,
Es dürstet sie nach Wein, es hungert sie nach Fisch,
Ja, dass die Toten sich an unsern Opfergaben
Mit ihrem Seelenmund im Jenseits noch erlaben,
Drum bringen heute wir, der ganze Griechenstamm,
Das Opfer unserm Herrn, Zeus opfern wir das Lamm!
CHOR
Wir Sklavinnen dazu aufopfern unsre Schmerzen
Und statten Toten ab die Dankesschuld von Herzen!
MENELAOS
Den Leichnam tragen wir im Meere jetzt zu Grab,
Zeus nahm die Seele fort, Zeus einst die Seele gab,
Wir opfern Zeus ein Lamm, dass fromm der Geist entweiche
Und Frieden findet auch die seelenlose Leiche.
Ist das Gefängnis leer, so wie der Körper heißt
Den Griechen Kerker nur, so frei ist jetzt der Geist.
CHOR
Die Seele steigt hinan die sieben Sphärenstufen,
Wir Sklavinnen dem Geist noch nach ein Selig rufen,
Sei selig bald, o Geist, nach aller Peinigung
Und aller Feuersglut der wehen Reinigung
Nehm Vater Zeus dich auf ins selige Elysen,
Dort tanze jung und nackt in Gartenparadiesen!
MENELAOS
Auf dass die Seele im Elysium zum Gott
Mit andern Göttern wird, von Lehm frei und Schamott,
Unsterblich ist der Geist, trotz Philosophen-Spöttern,
Die Seele wird ein Gott, lebt selig bei den Göttern
Und Göttinnen bei Zeus. Der Mann, ich sag es kurz,
Schön ist er wie Apoll, trägt einen Lendenschurz,
Die Frau als Göttin ist die schönste Augenweide,
Zeus’ Nymphe trägt ein Kleid von hingehauchter Seide.
Doch dass es so auch wird, so schön und süß und klar,
Als Priester bringe ich das Lamm dem Vater dar!
CHOR
Ob die Ägypter auch die Adlernasen rümpfen,
Zeus feiert Hochzeit doch mit allen nackten Nymphen!

FÜNFTE SZENE

CHOR
Gefahren ist hinaus das Schiff,
Das Totenschiff vom Felsenkliff,
Zwar keinen Leichnam aufzubahren,
Doch zum Begräbnis auszufahren.
Das Opfer ist gebracht, das Lamm
Als Sühne für den Griechenstamm.
Im Meeresgrund die Leichen modern,
Auf Totenschiffen Feuer lodern.
Die hohen Flammen züngeln auf
Zum Sonnengott in seinem Lauf.
Ja, Helena, die Heilig-Hehre,
Ich seh sie fahren überm Meere,
Die schöner noch als jeder Traum.
Die Göttin aus dem Meeresschaum
An Schönheit gleicht nur der Helene,
Der weißen Königin der Schwäne,
Der weißen Göttin unsrer Lust
Mit Schwanenhals und Taubenbrust,
Sie, unser Reimwort auf die Sonne,
Die freie Göttin wilder Wonne,
Der freien Liebe Göttin sie,
Die wie ein Schwan im Sterben schrie,
Wenn Menelas auf ihrem Rücken
In Wonnen wollte sie verzücken,
Die Scharlachrose feuerrot!
Ah, nun ist der Geliebte tot!
Kann nicht in ihrem Schoß mehr zeugen!
O wehe, wenn die Götter schweigen,
Der Gott der Götter schweigt voll Spott,
Abwesend scheint der Götter Gott,
Die Feinde dir das Leben rauben,
Du kaum noch mehr vermagst zu glauben,
Du zweifelst an dem Schicksalsplan,
Am Vatergott, am Gott im Schwan,
Du zweifelst an des Vaters Güte,
Nur Mitternacht in dem Gemüte,
Kein Gott scheint im Ideensaal,
Da deine Seele kennt nur Qual,
Die Lenden deiner Seele zittern,
Du nimmst den vollen Kelch, den bittern,
Den Gott dir selbst entgegenträgt,
Die Vaterhand, die hart dich schlägt,
Fast deine Seele will ermorden,
Die ehrst du noch im frommen Orden
Und mit dem Schwert in deiner Brust
Nur Sterben ist noch deine Lust,
Nachts träumst du dann mit wildem Triebe
Von Aphrodites freier Liebe!

FÜNFTER AKT

ERSTE SZENE

ÄGYPTISCHER BOTE
Mein Herr und Pharao, entkommen großer Not
Bin ich zuletzt allein. Barbarisch ist der Tod.
PHARAO
Sag und gestehe nur dem göttlichen Tyrannen,
Was ist geworden denn aus deinen Brüder-Mannen?
BOTE
Die schöne Helena, die milde Helena,
Die angenehmste Frau, die ich im Leben sah,
Sie ging aufs Totenschiff, den Gatten zu begraben
Und seinen Schattengeist mit Opfern zu erlaben.
Der Griechenbote war bei ihr, zerlumpt, zerfetzt,
Der sich auf einen Stuhl an ihrer Seite setzt.
Ägypter waren da, ägyptische Matrosen,
Zu dienen ihr, der Frau, der Königin der Rosen.
Der Griechenbote rief auch eine Griechenschar,
Vom Schiffswrack kamen sie, sie folgten offenbar
Dem Griechenboten, der verehrte sehr die Hehre.
Und schließlich waren wir auf offnem Mittelmeere,
Da betete zu Gott die schöne Helena,
Der Griechenbote an der Herrin Seite da
Rief zu der Griechenschar: Bei unsrer Mutter Erde,
Greift, Griechen, kräftig zu, greift mit der Hand zum Schwerte!
Mit kriegerischem Lärm den Boden mit Gestampf
Des Schiffes tretet auf, es geht zum wilden Kampf,
Wir kämpfen für die Frau, die Rose aller Rosen!
Rasch, die Ägypter fällt, ja, schlachtet die Matrosen!
Zwar die Ägypter all, die Stöcke in der Hand,
Sie kämpften für den Herrn und für Ägyptenland,
Doch fielen alle sie, o Herrscher, mein Verehrter,
All die Ägypter sind dahin durch Griechenschwerter!
Nur ich allein entkam, dass ich es melde dir,
O göttlicher Tyrann, so steh ich zitternd hier.
PHARAO
Verrat am Pharao! Ja, sind es Demokraten,
Die an dem Gottesstaat verüben Freveltaten?
Ist es der König und die hohe Königin
Von Spartas starkem Staat, den Genius im Sinn?
BOTE
Das habe ich erkannt in dieser Kämpfe Chaos:
Zur Seite Helenas, ja, das war Menelaos!
PHARAO
Ah weh mir, so entgeht mir dieses süße Weib!
Wie wollte ich voll Lust genießen ihren Leib!
Die Schwanenbrüste wollt ich saugen, Mondmilch trinken
Und in der Himmelslust auf Erden schon versinken!
So falsch ist stets das Weib! Die Liebe stets ein Wahn!
Die schönste Frau der Welt ist wie ein Schlangenzahn!
Das Übel dieser Welt ward doch vom Weib gestiftet,
Und ich auch, ach, auch ich vom Schlangenweib vergiftet!

ZWEITE SZENE

PHARAO
Ägypterin, o Weib, du Schlangenzunge, du
Mistkäfer, Basilisk, du raubst mir meine Ruh!
TOCHTER PHARAO
Was ist mir dir, o Herr, was schimpfst du so, mein Bruder?
PHARAO
Im Spinnenwebenkleid bist du ein faules Luder!
TOCHTER PHARAO
Ach, zwar Visionen schau von Göttern ich, es geht
Mein Geist im Jenseits, doch was werde ich geschmäht?
PHARAO
Du zauberst mit Magie, du zeichnest dein Pentakel,
Du Hexe finstrer Nacht, so murmelst du Orakel!
Du Schlangenzunge, du, die dient dem Schlangenkult,
Dass Helena mir fehlt, ach, das ist deine Schuld!
TOCHTER PHARAO
Ich hab, dass Menelas am Leben ist, gesehen,
Ich konnte Helena im Flehn nicht widerstehen,
Doch dass jetzt Helena errungen ihren Sieg,
Das ist nicht meine Schuld. O Pharao, ich schwieg,
Und das ist meine Schuld, sonst nichts, allein mein Schweigen,
Doch sah ich im Gesicht zwei gute reife Feigen,
Zwei gute Feigen sah ich in der Götter Huld.
Ist Helena dir fern, das ist nicht meine Schuld.
Den andern geben stets die Schuld die dreisten Spötter.
Dein Schicksal dulde du, so wirken es die Götter.
PHARAO
Der Götter Schicksalsspruch ist mir ein böser Spott,
Dein Gott, Prophetin, ist gewiss ein böser Gott!
TOCHTER PHARAO
O Mutter Isis du und alle deine Schwestern,
Hör du den Pharao, hör meinen Bruder lästern!
O Mutter Isis du, so mild wie Mondenschein,
Du sollst dem Pharao, dem Bruder mein verzeihn!
PHARAO
Jetzt prüf ich deinen Gott, jetzt prüf ich deine Göttin,
Die schöne Helena, sie ward nicht meine Gattin,
Jetzt bring ich dich, o Weib, in allergrößte Not,
Prophetin, Schwester, ha, jetzt schlage ich dich tot,
Von meinem scharfen Schwert sollst schrecklich du verderben,
So rufe du zum Gott, zur Göttin fleh im Sterben,
Wenn Mutter Isis hilft, hält sie das Schwert zurück,
Wenn Mutter Isis hilft, dann findest du das Glück,
Ist Isis aber nur ein Luftgespinst von Spöttern,
So wird mein Schwert dich jetzt ganz gnadenlos zerschmettern!
TOCHTER PHARAO
O Jungfrau auf dem Mond, hilf, deiner Sklavin hilf,
Das Leviathan-Tier bedrohe du im Schilf!

DRITTE SZENE

(Die Zwillingsgötter erscheinen in den Lüften.)

ZWILLINGSGÖTTER
Fluch dir, o Pharao, du bist ein dreister Spötter,
Laut fluchen dir die Zwillingsgötter!
In deiner Seele ist Betrug und List und Mord,
Nichts ist als Lüge all dein Wort!
Du willst durch eitle List dein Schicksal selbst dir fügen
Und alle Redlichen betrügen!
In deiner Seele herrscht die Finsternis der Nacht,
Begierig bist du nur nach Macht!
Ein Räuber bist du und Erzdieb der falschen Diebe
Und Missbrauch übst du an der Liebe!
Du böser Pharao, der Herr der Erde ist,
Nicht Wahrheit liebst du, sondern List!
Zutiefst verachtest du die Redlichen und Keuschen,
Betrügerisch suchst du zu täuschen,
Doch alle deine List uns Zwillingen ein Spott,
Der Menschensohn, der Sohn von Gott,
Sie lachen über dich mit bitterlicher Lache,
Du spürst der Dioskuren Rache!
PHARAO
Ihr Zwillingsgötter, ach, ich bin der Sonne Sohn,
Ich sprech euch Zwillingen als Herr der Erde Hohn!
ZWILLINGSGÖTTER
Zur Hölle fahr hinab, dort fressen dich die Würmer,
Du geltungsgeiler Gipfelstürmer,
Das Feuer brennt dich dort, dort nagt an dir der Wurm,
Zerbrechen wird dein stolzer Turm,
Das Blut der Opfer wird beflecken dich und röten,
Die Schwester darfst du doch nicht töten!
PHARAO
Die falsche Seherin, die meiner Weisung murrt?
Sie hat mit Menelas im Ehebruch gehurt!
ZWILLINGSGÖTTER
Die reine Seherin darf sich im Himmel betten,
Es werden Zwillinge sie retten!
Dir aber, Sonnensohn, dir hilft auch kein Apoll,
Du musst hinunter in Scheol!
Die reine Seherin in schwarzer Haare Henna
Elysen schaut! Doch du Gehenna!
Fluch dir in Ewigkeit, du böser Pharao,
Verurteilt bist vom A und O!

VIERTE SZENE

(Die Zwillingsgötter schweben in immer größerer Herrlichkeit über dem Mittelmeer und rufen mit
dem Schall des göttlichen Wortes den Segen Helena nach.)

ZWILLINGSGÖTTER
Heil, Heil dir, Menelas, du treuer Ehegatte,
Weissagung dies: Du wirst als Schatte
Eintreten durch das Tor des Tods ins Heiligtum
Der Felder von Elysium
Und tanzend schweben durch die Pforte des Triumphes,
Nach Niederlegung deines Rumpfes
Vergessen trinken aus der Lethe alles Leids
Und mit der Nymphe voller Reiz
In lustvoll-seligem Getümmel und Gewimmel
Glückselig im Ideenhimmel
Vereint mit Helena als ihr vermählter Mann
Die Schönheit Gottes schauen an,
Die nicht zu malen ist mit eines Engels Pinsel,
Glückselig wirst du auf der Insel
Der Seligen vereint mit Helena dort sein
In trunken liebendem Verein
Und beide werdet ihr aufstrahlen wie die Sonne
In Lust vereint und Götterwonne!
Du aber, Helena, du schönste Helena,
Von allen, die die Erde sah,
Die Allerschönste du, von allerschönsten Frauen
Die Allerschönste anzuschauen,
Des Hellenismus Reich als Göttin betet an
Dich, Helena, und jeder Mann
Und jede Frau wird zu der Göttin beten,
Elysisches Gefilde Eden
Wird dir dein Garten sein, wo deine Wohnung steht,
Dort oben du erhörst Gebet,
Wenn Dichter beten an beim Weine des Silenus,
Dann hörst du oben auf der Venus!
Die Aphrodite wird zuletzt vergessen sein,
Man ruft allein den Namen dein,
Dich ruft man an als Frau von idealer Schöne,
Dich preisen alle Sphärentöne,
Die Frauen preisen dich zu lauter Trommeln Schall,
Der Flötenbläserinnen Hall,
Die Männer brünstiglich nach deiner Schönheit stöhnen,
Du Göttin, Königin der Schönen,
Die Liebenden erlöst du aus der Qual des Leids!
Heil, Göttin Helena voll Reiz!

FÜNFTE SZENE

CHOR
Wir knieen nieder vor der Göttin,
Des Menelaos treuer Gattin,
Wir preisen Göttin Helena,
Das Abbild der Urania,
Wir preisen ihre Götterschöne,
Die schönste göttlichste Helene
Im Schleier ihres Ätherkleids,
Gehüllt in nichts als Duft und Reiz,
Und ihre schöngewölbten Wangen
Nur hüllen schwarze Lockenschlangen.
Im Hauchgewand des Leibes Glanz,
So tanzt sie mit den Sphären Tanz.
Wir sie im Schleiertanze sehen
Im Himmelstanze der Ideen.
Der Sterne lodernd heiße Flammen
Ihr Liebreizgürtel hält zusammen.
Ich glaub, ein Krater auf dem Mars
Pries ihre Schönheit, ja, so wars.
Und wie vom Weine des Silenus
Betrunken feierte sie Venus
Und selig in dem Himmelsfrieden
Am Gürtel alle Asteroiden
Lobpriesen Göttin Helena,
Die schönste Sapientia!
Die heiße Muschi auch, die zarte,
Die liebestrunkene Astarte
Am Asteroidengürtel all
Mit Flötenbläsereien Schall
Lobpriesen ihre Götterschöne.
Es schrien zur göttlichen Helene
Im höchsten Himmelsheiligtum
Des Sokrates Daimonium,
In sich vermählenden Äonen
Die guten heiligen Dämonen
Lobpriesen Göttin Helena,
Die Helena-Urania.
Und mit den heiligen Dämonen
Die Götter all auf ihren Thronen
Verneigten sich vor ihrem Reiz
Des Lichtleibs in dem Hauch des Kleids,
Bei Bacchus’ Wein und Ceres’ Weizen,
Anbetend knien vor ihren Reizen
Die Götter all auf ihrem Thron
Und Gottessohn und Menschensohn
Verliebt sind in die Ewigschöne,
Die übergöttliche Helene,
Anbetend kniet vor ihrem Reiz
Der Gott der Götter, Vater Zeus!

EXODUS

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(Moses und seine Frau Zippora und sein Sohn Gerschom wandern am Fuße des Horeb. Sie ruhen
aus vor einem Dornbusch.)

MOSES
Ruhe brauch ich.
ZIPPORA
Ruhe dich in meinen Armen aus und bette dein Haupt an meinen Brüsten.
GERSCHOM
Papa, der Dornbusch leuchtet so seltsam.
MOSES
Was ist das? Ich spüre die Gegenwart von etwas Heiligem.
ZIPPORA
Bete zum König der Juden!
MOSES
Allmächtiger meiner Seele!
(Der Dornbusch flammt auf und brennt, ohne zu verbrennen. Die Stimme Gottes tönt wie
Meeresrauschen.)

GOTT
Moses, Moses, ich habe dich berufen und auserwählt!
MOSES
Sprich zu mir, Herr, dein Sklave hört.
GOTT
Ich habe das Jammern, Schreien und Flehen meines Volkes gehört, die als Sklaven in Ägypten
leben. Du sollst sie in die Freiheit führen!
MOSES
Ich? Wer bin ich, dass ich solches könnte?
GOTT
Verlass dich nicht auf deine eigene Weisheit, sondern vertraue dem Herrn allein. Die Wahrheit wird
euch frei machen, denn wo der Geist des Herrn weht, da ist Freiheit.
MOSES
Wer bist du, Gott?
GOTT
Ich bin, der ich bin!
MOSES
Herr, hier bin ich, so sende mich!
GOTT
Geh und sag dem Pharao, er soll meine Leute gehen lassen! Fürchte dich nicht vor ihm, denn ich
bin mit dir!
MOSES
Drein Wille geschehe, allmächtiger Vater!

ZWEITE SZENE

(Ägyptische Soldaten treiben die hebräischen Sklaven zur Arbeit an einer Pyramide an. Unter den
hebräischen Sklaven sind die Verwandten des Moses, Aaron, Mirjam, Anaida, Saphira.)

SOLDATEN
Wollt ihr immer nur die Hände falten und beten? Macht euch an die Arbeit!
AARON
Eine Pyramide sollen wir für den Pharao errichten. Mumifizieren wollen sie den Körper des Pharao.
Alle Flüssigkeit wird aus seinem Körper herausgesogen, auch die Flüssigkeit des Hirnes. Wenn er
dann leiblich aufersteht, hat er kein Gehirn im Kopf.
MIRJAM
Die Auferstehung der Toten galt jahrhundertelang nur dem Pharao und der Pharaonin. Aber nach
einer demokratischen Revolution in Ägypten können nun auch die armen Leute leiblich
auferstehen.
AARON
Wenn der arme Landmann leiblich aufersteht und das Totengericht besteht, dann darf er im ewigen
Leben wieder seinen Acker bestellen.
MIRJAM
Im Totengericht werden des Menschen gute und böse Werke gerichtet. Auf der rechten Schulter sitzt
der gute Engel, auf der linken Schulter sitzt der böse Engel. Wenn der Mensch vorm Totenrichter
Osiris sagt: Ich bin unschuldig! Dann tritt der böse Engel vor und sagt: Ich habs gesehen! Du hast
gestohlen! Du hast dein eigenes Fleisch befleckt! Dann kommt die Göttin der Gerechtigkeit, Maat,
mit einer Waage. Auf die eine Waagschale werden die guten Werke und auf die andere Waagschale
die bösen Werke gelegt. Und nur wenn die guten Werke überwiegen, darf der Mensch ins ewige
Leben.
AARON
Um dann im ewigen Leben wieder wie auf Erden die gleichen leiblichen und irdischen Dinge zu
tun, die auf Erden seine Freude waren, nämlich mit dem Pflug hinterm Stier die Erde aufzureißen
und in die Löcher der schwarzen Erde Samen einzusäen.

DRITTE SZENE

(Die ägyptischen Soldaten ziehen sich kurz zurück. Die hebräischen Sklaven, angeführt von Moses,
planen den Aufstand.)

SOLDATEN
Genossen, kommt, wir wollen in die Hütten, Götterbier trinken!

(Soldaten ab.)

AARON
Oh wären wir die Antreiber los!

(Moses tritt zu ihnen.)

MOSES
Lieben Brüder!
MIRJAM
Und liebe Schwestern!
MOSES
Gott hat euer Jammern gehört! Der Herr erbarmt sich seiner Kinder!
AARON
Wie lange noch, Herr, wie lange noch müssen wir seufzen und stöhnen?
MIRJAM
Wie lange noch erdulden den neunschwänzigen Skorpion?
MOSES
Wen die Wahrheit frei macht, der ist wirklich frei!
AARON
Freiheit! Ein schönes Wort! Doch auch die Gottlosen preisen die Freiheit. Sie zerreißen die Stricke
Gottes und seines Messias und nennen das Freiheit.
MOSES
Wer sich von Gottes Gesetz befreit, ist Sklave der Sünde, des Teufels und des Todes. Wer sich aber
dem Allmächtigen unterwirft als allergeringster Sklave, der ist wahrhaft frei, denn er hat Anteil am
Geist des Herrn, der der Geist der Freiheit ist. Denn wo der Geist des Herrn weht, da ist Freiheit!
AARON
Demonstrieren wir für unsre Freiheit!
ANAIDA
Heute ist der Tag des Zornes! Tag des gerechten Zornes! Tag des heiligen Zornes!
MIRJAM
O göttliche Freiheit, erlöse deine Sklaven, o göttliche Freiheit!

VIERTE SZENE
(Moses und die hebräischen Sklaven am Lagerfeuer.)

MOSES
Aaron ist zum Pharao gegangen, um unsre Freiheit zu erbitten.
HEBRÄER
Ja, Moses, der Herr hat dich zum Gott gemacht und Aaron zu deinem Mund.
MOSES
Ich sitze nicht zusammen mit gottlosen Spöttern, sondern Morgen und Abend murmle ich die Worte
Gottes.
HEBRÄER
Das können die Heiden nicht ertragen, dass wir den wahren Gott erkennen, dem lebendigen Gott
dienen, mit dem ewigen Gott in Ewigkeit zusammen sein wollen.
MOSES
Wir allein vermögen nichts gegen die gottlosen Heiden. Aber der Herr ist mit uns! Die Gnade des
Geistes Gottes erleuchte Aaron, dass er die richtigen Worte finde, wenn er vor dem Pharao steht.
HEBRÄER
Ein Engel Gottes steh an seiner rechten Seite, dass seine Kniee nicht zittern und seine Hände nicht
schwitzen, wenn er vor dem Pharao steht und Freiheit verlangt!
MOSES
Oh wie sehnen wir uns nach einer guten Nachricht! Wenn doch ein Zeichen käme, dass der Herr mit
uns ist und uns beschützt vor unsern Feinden!
HEBRÄER
Wir haben uns die größte Tugend angewöhnt, wenn wir uns die Geduld angewöhnt haben.
MOSES
Ja, mit den geduldigen Duldern ist der Herr! Aber wie lange duldet der Herr noch unser Elend? Ach
wenn doch der heiße heilige Zorn des Herrn entbrennen würde und den mächtigen Tyrannen von
seinem stolzen Stuhl würfe!
HEBRÄER
Da, Aaron kommt! Mirjam ist bei ihm! Oh, das ist ein gutes Zeichen: Mirjam kommt!

FÜNFTE SZENE

(Aaron und Mirjam treten vor Moses und die hebräischen Sklaven.)

AARON
Ich habe mit dem Pharao gesprochen.
MOSES
Nun, will er uns in die Freiheit lassen?
AARON
Nein. Aber er sagte, er sei nicht gegen uns. Wir sollten nicht denken, dass er unser Feind sei. Sein
Gott sei die Sonne, die über Gerechte und Ungerechte scheint, und er sei der Sohn der Sonne, er sei
Gottes Sohn, Gott von Gott und Licht von Licht, und er sei uns gnädig.
MOSES
Was für eine aufgeblasene Kreatur, der die Demut mangelt! Welcher Mensch kann sagen: Ich, ein
Mensch, bin Gott!
AARON
Zum Zeichen seiner Gnade schenkt er Mirjam die Freiheit. Zwar das ganze Gottesvolk bleibt in der
Knechtschaft, aber Mirjam allein hat schon die Freiheit.
MOSES
Und was sagst du, o Mirjam?
MIRJAM
Mein Glück ist erst vollkommen, wenn ich alle meine Brüder und Schwestern in der Freiheit weiß.
Aber ich darf euch ein Zeichen der Hoffnung sein.
MOSES
Hoffnung, holde, gütiggeschäftige, die du das Haus der Trauernden nicht verschmähst! Hoffnung,
junges Mädchen, die du deinen beiden älteren Schwestern Glaube und Liebe voraneilst! Sei
gegrüßt, Mirjam, unsre einzige Hoffnung!
AARON
Der Pharao fordert aber ein Zeichen, dass wir das Volk Gottes sind und dass unser Gott mit uns ist.
MOSES
Als ich vor dem brennenden Dornbusch stand, verwandelte Gott meinen Stab in eine Schlange. Ich
fasste die Schlange mit meiner rechten Hand an ihrem Schwanz an, da ward sie zum harten Stab.
Bei diesem Wunder, beim Herrn der Wunder, dem Ewigen Vater und wunderbaren Ratgeber, hebe
ich den Stab gen Himmel und rufe den Herrn an: Herr, vergiss uns nicht in unserm Elend! Gedenke
deines Bundes mit uns und sei uns gnädig!

(Am Himmel erscheint ein Regenbogen.)

SECHSTE SZENE

(Moses, Aaron, Mirjam und eine Schar hebräischer Sklaven am Lagerfeuer. Der Engel des Herrn
erscheint.)

ENGEL
Hört, ihr Söhne von Eber, hört, ihr Söhne von Levi, es naht die Stimme des Herrn! Bereitet euch, tut
Buße, schüttet Asche auf euer Haupt und schafft eure Sünden hinweg, denn gleich wird sprechen zu
euch der Herr, der Ewige Vater!
AARON
Wir bekennen dem allmächtigen Vater, dass wir unterlassen, freundlich zu sein, und dass wir Sünde
gedacht und Sünde gesprochen und Sünde getan! Darum bitten wir die Ewige Weisheit und alle
Cherubim und Seraphim, für uns zu beten bei Gott dem Herrn.

(Es donnert am Himmel.)

GOTT
Ich biete euch die Jungfrau Torah an! Ich habe sie Ägypten angeboten. Aber als Ägypten hörte: Ich
bin dein Gott, der Herr allein, du sollst keine andern Götter anbeten als den Herrn allein – da sagte
Ägypten: Ich verehre alle Götter! Ich will die Jungfrau Torah nicht! Da bot ich die Jungfrau Torah
den Hellenen an. Aber als die Hellenen hörten: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib! Ja,
nicht einmal in Gedanken sollst du begehren deines Nächsten Weib und sie durch deine
begehrlichen Phantasien zur Hure machen – als Hellas das hörte, sagte Hellas: Ach, mir ist die Lust
das Höchste Gut! Von den Hetären will ich die Künste lernen! Darum will ich die Jungfrau Torah
nicht! Und nun, ihr Söhne Ebers und ihr Kinder Levis, wollt ihr die Jungfrau Torah?
MOSES
Ja, ich will! Mit Gottes Hilfe vermähle ich mich der keuschen Jungfrau Torah! Ich will alles tun,
was die himmlische Jungfrau Torah gebietet! Sprich, mein Herr und mein Gott, dein Diener hört! Tu
mir kund die Worte des ewigen Lebens!
GOTT
Hiermit überreiche ich dir, o Moses, meinem Freund, die Jungfrau Torah! Tu, was Sie gebietet, und
du wirst leben!

(Es donnert und blitzt und der Himmel schließt sich wieder.)
SIEBENTE SZENE

(Ein fröhliches Fest der Armen.)

AARON
Wir erheben den Becher des Heils!
MOSES
Gott hat den Wein geschaffen zur Freude der Herzen!
AARON
Doch sauft euch nicht voll Wein, sondern lasst euch vom Geist erfüllen!
MOSES
Die Spötter reden, wir seien betrunken vom Wein, doch wir sind erfüllt vom Geist der Weisheit!
AARON
In nüchterner Trunkenheit!
MOSES
Und die Schwäne tunken ihr Haupt ins heilignüchterne Wasser!
AARON
Anaida, Anaida! Tanze, du Schöne, tanze zum Lobpreis des Ewigen!
ANAIDA
Soll ich tanzen den Bauchtanz? Mirjam, Salome, kommt, wir tanzen den Bauchtanz!
AARON
Anaida, Anaida! Tanze du den Schleiertanz!
ANAIDA
Verschleiert von sieben Schleiern bin ich! Soll ich fallen lassen Schleier um Schleier?

(Anaida tanzt verschleiert den Bauchtanz.)

MOSES
Blast die Hörner!
AARON
Streicht die Cymbeln, streicht die klingenden Cymbeln!
MIRJAM
Flötenbläserinnen, blast die Flöten!
MOSES
Opfern wir den Bock dem Herrn! Opfern wir den Bock, beladen mit allen unsern Sünden, opfern
wir den Bock dem Herrn!
AARON
Heil dir, Sündenbock! Heil dir, geopferter Bock! Hinaus in die Wüste mit dir, du Sündenbock!
MOSES
Lasset kreisen die Becher!
MIRJAM
Flötenbläserinnen, blast die Flöten!

ACHTE SZENE

(Die Soldaten des Pharao unterbrechen das fröhliche Fest der hebräischen Sklaven.)

SOLDATEN
An die Arbeit, an die Arbeit, ihr Sklaven!
MOSES
Wir tanzen zum Lobpreis Gottes!
SOLDATEN
Ja, zur Ehre Gottes tanzen, zur Ehre Gottes zechen, das wollt ihr, arbeiten für den Pharao wollt ihr
aber nicht! Sollen wir euch die Peitsche fühlen lassen? An die Arbeit, faules Pack!
AMUN
Ich, Amun, bin der Sohn des Pharao! Anaida, hebräische Sklavin, komm zu mir, der Sohn des
Sohnes Gottes ruft dich!

(Die Hebräer gehen an die Arbeit, von den Soldaten begleitet. Anaida und Amun stehen abseits zu
zweit allein.)

ANAIDA
Mein Schatz!
AMUN
Freundin und Geliebte!
ANAIDA
Hast du mich lieb?
AMUN
Ich hab dich lieb, du Schöne! Ich habe den Astrologen des Pharao befragt, wie die Sterne über dem
Schicksal unserer Liebe stehen.
ANAIDA
Du glaubst an die Sterne?
AMUN
Über unserer Liebe steht ein böses Sternbild, der Skorpion! Über unsern Häuptern schwebt der
Fluch der Götter! Das Schicksal hat uns verflucht zu ewigem Liebesunglück!
ANAIDA
Aber Er, der Mond und Sonne und die Sterne geschaffen hat, der ist die Liebe!
AMUN
Ich trotze dem Schicksal! Ob auch die ewigen Götter unsere Liebe verfluchen, ich trotze den
Göttern! Trotz des Fluches liebe ich dich mit einer ewigen Liebe!
ANAIDA
Noch nach meinem Tode werde ich dich lieben!

NEUNTE SZENE

(Von den Soldaten bewacht, arbeiten die hebräischen Sklaven an dem Bau der Pyramide. Der
Pharao und seine Gemahlin Sinaida mit vornehmem Gefolge erscheinen.)

PHARAO
Ihr Sklaven, wie kommt ihr mit der Arbeit voran?
SINAIDA
Ihr habt doch genügend Zeit, vom frühen Morgen an bis zum späten Abend zu arbeiten. Wollt ihr
etwa müßig sein und nur von den Göttern träumen?
PHARAO
Müßiggang ist aller Laster Anfang!
SINAIDA
Ja, wenn Männer müßig gehen, verlieben sie sich aus purer Langeweile!
AARON
Das Joch ist zu schwer auf unsern Schultern! Wir wollen einmal frei durchatmen! Wir sind Kinder
des wahren Gottes und wollen den Tag mit Gebet beginnen und mit Gebet beenden.
PHARAO
Das lieben die Götter nicht, das lange Plappern von Gebetsformeln und das Abspulen von
Perlenschnüren! Wenn ihr den Göttern gefallen wollt, dann steht früher auf und werft euch vor
Beginn eurer Arbeit vor euren Göttern nieder. Aber arbeiten müsst ihr vom frühen Morgen an bis an
den späten Abend.
AARON
Lass uns gehen, Pharao, wir wollen in die Wüste, um in der Einsamkeit mit Gott zu sprechen!
PHARAO
Wenn du mit einem Gott sprechen willst, dann sprich mit mir, denn ich bin ein Gott!
AARON
Du bist vom Staub genommen und zu Staub wirst du werden!
PHARAO
In mir ist der große Sonnengeist Fleisch geworden! Ich bin ich, ein menschgewordener Gott. Wer
mich schaut, der schaut die Sonne. Fallt auf eure Angesichter und betet mich an! Ich bin ein
Mensch, aber ich bin auch ein Gott!

ZEHNTE SZENE

(Die Soldaten des Pharao verteilen Maisbrei an die hebräischen Sklaven. Moses Frau Zippora und
Moses Schwester Mirjam beklagen ihr Elend.)

SOLDATEN
Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Aber da ihr euch abgemüht habt, den ganzen Tag gearbeitet
habt, sollt ihr nun aus reiner Gnade vom Pharao ein Schälchen Maisbrei bekommen.
HEBRÄER
O Gott, der du den Mais aus der Erde wachsen lässt, O Gott, der du das Wasser aus der Erde
sprudeln lässt, wir danken dir, o Herr, und deinem Messias, der als Menschensohn zu deiner
Rechten thront und kommen wird zu unserer Erlösung! Amen.
ZIPPORA
Mein Vater ist ein Priester des Allerhöchsten. Mein Vater ist ein Hirte und seine Herde ist groß. Ich
aber muß hier niedrigste Sklavendienste tun. Mein Herz im Busen empört sich!
MIRJAM
Ich habe gesehen, wie der Pharao befahl, alle jüdischen Knaben umzubringen! Ach, was ist besser,
als Kind zu sterben oder in Sklaverei zu leben? Wenn die Feinde Gottes uns das Leben so
verbittern, dass wir wünschten, nicht geboren zu sein, dann möge Gott seine allmächtige Rechte
ausstrecken und uns retten!
ZIPPORA
Ich sorge mich um meinen kleinen Gerschom. Er braucht mich, ich darf ihn nicht verlassen. Aber
ich wäre lieber tot als lebendig! Oh wie kann Gott das zulassen, dass die Feinde unseres Seelenheils
solche Macht über uns gewinnen, dass wir vor Kummer sterben möchten? Die Feinde unserer Seele
verbittern uns das Leben, sie lassen uns nicht leben, nicht atmen, nicht lieben und Gott nicht feiern.
MIRJAM
Gott wird das Schreien seiner Geliebten hören! Harren wir auf den Herrn, wir werden ihm noch
danken für seine Hilfe.

ELFTE SZENE

(Der Pharao und Moses ziehen sich zu politischen Verhandlungen zurück. Der Sohn des Pharao,
Amun, tritt vor die Frau des Pharao, Sinaida, und schüttet ihr in seiner Verzweiflung sein Herz aus.)
AMUN
Mutter, ich habe dir nie mein Herz ausgeschüttet.
SINAIDA
Du bist ja schon ein Mann. Du bist ja kein Säugling mehr.
AMUN
Aber Mutter, jetzt bin ich verzweifelt! Ich bin so ratlos, dass ich mir vorkomme wie ein kleines
hilfloses Kind, das von der Mutter an die Hand genommen werden muss.
SINAIDA
Ein weiser Mann sagte mir: Eine Mutter bleibt eine Mutter und ihr Sohn bleibt ihr Kind, auch wenn
der Sohn schon zum Mann herangereift ist.
AMUN
Mutter, Mutter, ich weiß nicht weiter! Meine Situation ist ausweglos!
SINAIDA
Was gibt es denn, was dich bekümmert?
AMUN
(weinend)
Ach Mutter, die Liebe...
SINAIDA
Ja, weine ruhig, mein Sohn.
AMUN
Die Frau, die ich liebe, gehört nicht zu unserem Volk und zu unserem Gott, sie gehört zu den
Feinden und zu den Göttern der Feinde. Die Juden wollen frei sein! Meine Geliebte wird mich
verlassen! Ich soll aus der Heimat fort und den Sklaven folgen, will sie, aber ich bin der Sohn des
Pharao und werde selber einst der Sohn Gottes sein.
SINAIDA
Lass kein Weib über dich herrschen, Sohn! Sei männlich und stark! Sei dir deiner Würde bewusst!
Du bist der Sohn der Sonne, du bist der Neue Gott nach deinem Vater! Lass dich nicht von einer
Sklavin versklaven, sondern hebe dein Haupt! Sei männlich und stark, mein Sohn!

ZWÖFTE SZENE

(Pharao und seine Minister. Moses, Aaron und einige Hebräer.)

PHARAO
Genug diskutiert! Auf Worte sollen Taten folgen!
MOSES
Du lässt uns also ziehen?
PHARAO
Beweise mir, dass der Gott Israels ein lebendiger Gott ist und dass er mächtiger ist als der höchste
Gott Ägyptens, die Sonne am Himmel!
MOSES
(hebt seinen Stab gen Himmel)
Herr, offenbare deine Macht und Herrlichkeit! Nicht um meinetwillen, Herr, sondern zur Ehre
deines Namens tu ein Wunder!

(Die Sonne verfinstert sich. Über Ägypten bricht mitten am Tag eine Finsternis herein.)

PHARAO
Mein Gott hat mich verlassen! Ah mir, ich stehe in dichter Gottesfinsternis! Mein Geist versteht den
Gott des Lichts nicht mehr, da es Finsternis in meinem Glauben ist! Meine Seele ist umnachtet,
meine Seele ist blind und taub und stumm und gelähmt vor Kummer! Meine Sinne sind umnachtet
und ich sehe nicht mehr die Herrlichkeit des Herrn am Himmel! O mir, ich verliere den Verstand!
Wehe, wehe, wehe, der Wahnsinn fällt mich an! Meine Seele verblutet und der Nil wird rot wie
Blut! Die unsichtbare Katzengöttin fällt mich an und zerkratzt mir die Seele und meiner Seele
Leben fließt aus! Ich bin unbeseelt! Ich rede im Fieber! Die Sonne ist Gott und der Mond ist Göttin,
sie haben mich verlassen! Ich sehe ein Herz mit einem Schwert darin und ich sehe einen Drachen
am Himmel! Bin ich wahnsinnig oder ein Seher? Ich sehe die Toten aus dem Totenreich auf Erden
wandeln! O mir, der Wahnsinn hat mich überfallen!

ENDE DES ERSTEN AKTES

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Der Pharao mit seinen Dienerinnen in seinem Palast, in tiefer Finsternis.)

PHARAO
Ich bin in tiefster Finsternis. Meine Seele ist umnachtet. Alle Freude am Daseins ist dahin. Ich
wünschte, nie geboren zu sein. Warum hat meine Mutter mich geboren? Wie kann ich ihr das je
verzeihen? Ich schrei zu den Göttern, mich doch tot zu schlagen! Ich bin mir selber meine größte
Last geworden, ja, ich bin mir selbst mein schlimmster Feind geworden. Ich versuche, die
unerträgliche Seelenqual und den unausschöpflichen Jammer mit Wein zu betäuben, aber
vergeblich. Meine Mädchen in den Spinnwebenkleidern, tanzt für mich, lasst eure Becken kreisen
und streicht dazu das Sistrum und singt ein schmachtendes Liebeslied für mich, vielleicht, dass
mich das erheitert?

MÄDCHEN IN SPINNWEBENKLEIDERN
(singen)

Es war einmal ein junger Mann,


Der liebte eine schöne Dame,
Sie aber sah ihn gar nicht an
Und wollt ihn nicht zum Bräutigame.

Da ist er krank geworden, krank


Vor Liebe ist der Mann geworden.
Er kam ins Haus der Kranken. Dank
Den sanften Schwestern von dem Orden!

Die Ärzte gaben Medizin


Dem armen liebeskranken Manne.
Doch konnten sie nicht heilen ihn,
Er stand in einem Zauberbanne.

Die Liebeskrankheit heilen muss


Die goldne Liebesgöttin Hathor.
Ach, Liebste, gib mir einen Kuss,
Dann werde ich zum Triumphator!

PHARAO
Ach, weh mir, ich bin verflucht von allen Göttern und verflucht von allen Menschen! Ich verfluche
mein Leben!

ZWEITE SZENE

(Palast des Pharao.)

PHARAO
Ihr Mädchen, ich hab genug von euch und euren trällernden Hurenliedchen! Ich kann das Geplärre
eurer Liebeslieder und das Geklapper eurer Klapperbleche nicht mehr ertragen. Geht mit der Göttin,
aber geht! Lasst mich allein mit meiner kranken Schwermut! Einzig treu ist mir die Finsternis.
EIN MÄDCHEN
Mein König, kann ich denn gar nichts für dich tun? Ach, wenn mein König doch wieder Lust am
Leben hätte!
PHARAO
Ja, rufe mir den Moses herbei! Nur Moses kann mir jetzt noch helfen.

(Mädchen ab.)

Ach, am Ende des finsteren Tunnels seh ich ein kleines Fünkchen Glut, eine kleine Hoffnung, wie
ein schwächliches junges Mädchen, schüchtern und scheu, und diese Hoffnung ist Moses und sein
Gebet.

(Moses tritt ein.)

MOSES
Du wolltest nicht hören auf Israels Gott. Du hast dir selbst den Zorn des einzigen wahren Gottes
herabbeschworen auf dein Haupt. Bekehre dich und glaube an den Gott Israels!
PHARAO
Hab doch Mitleid mit mir, du strenger Moses! Wie kannst du so hartherzig sein? Ich bin nahe daran,
den Verstand zu verlieren aus großem Kummer, und du weinst nicht mit dem Weinenden, sondern
hältst mir mit nüchternem Herzen eine trockene Predigt! Mehr Mitleid mit Ägypten, du Israelit!
MOSES
Ich werde für deine Bekehrung beten.

DRITTE SZENE

(Vor dem Palast des Pharao auf offenem Platz. Der Pharao steht in dem Tor des Palastes. Auf dem
Platz erscheinen Moses, Aaron und Mirjam.)

MOSES
Ich habe für den Pharao und Ägypten gebetet.
PHARAO
Wird dein Gott dich erhören? Oder ist dein Gott ein zorniger Gott, ein Rachegott? Dann, welche
Opfer bringst du, deinen Rachegott zu versöhnen?
MOSES
Der Herr ist barmherzig!
PHARAO
Warum muß ich dann so leiden?
MOSES
Siehe, der Herr wird sich deiner erbarmen und sein Angesicht wieder leuchten lassen über dir!

(Moses hebt den Stab gen Himmel und betet ohne Worte. Die Finsternis weicht und die Sonne
scheint wieder über Ägypten.)

PHARAO
O, die göttliche Sonne gehorcht dem Gott Israels!
MOSES
Anbetung, Dank, Ruhm, Ehre, Weisheit und Lobpreis sei dem Ewigen, dem Herrn aller Herren und
König aller Könige, dem Gott aller Götter, dem Allerhöchsten, der war und ist und sein wird!
PHARAO
Der war und ist und sein wird?
MOSES
Ja, der Ewige!
PHARAO
Auch Isis sagt, so heißt es: Ich bin Isis, die war und ist und sein wird!
MOSES
Hat dir der Herr nicht seine wunderbaren Werke gezeigt? Muß er dich erst an den Rand des Todes
führen, bis du dich bekehrst und den wahren und einzigen Gott anbetest?
PHARAO
Du, Gottheit, die du warst und bist und sein wirst, ich bete dich an!

VIERTE SZENE

(Die Ägypter feiern ein Freudenfest und tanzen für den Sonnengott.)

PHARAO
Du Gott des Lichts, der du im östlichen Himmelsgebirge erscheinst, du triumphierst im Süden, du
gehst im westlichen Meer zur Ruhe. Gott des Lichts, dir wollen wir Sistrum und Cymbel erschallen
lassen!
ÄGYPTER
Ja, wir musizieren für den Gott des Lichts, den Einzigen, unsern König!
MÄDCHEN
Wie blasen die Flöten des Königs!
PHARAO
Dem goldenen Gott, dem Herrscher, der Ober- und Unter-Ägypten erleuchtet, dem Vater am
Himmel, dessen Sohn ich bin, sei ein Opfer dargebracht von Götterbier!
ÄGYPTER
Wir leeren die Becher zur Ehre des Gottes, der am Abend im Westen zur Ruhe geht. Den ersten
Becher auf den Gott im Osten, den zweiten Becher auf den Sieger im Süden, den dritten Becher auf
den niederfahrenden Gott im Westen, den vierten Becher auf den Totenrichter im Jenseits!
MÄDCHEN
Erst zu den Bechern, dann zu den Mädchen!
PHARAO
Ruft Moses und die Israeliten herbei! Die Juden dürfen mit uns feiern! Ihr Gott ist unser Gott des
Lichts, der Vater am Himmel ist der Vater im Himmel, und der Pharao ist sein Sohn! Wir glauben an
Einen Gott, den Sieger am Himmel, die Sonne der Gerechtigkeit!
MOSES
(erscheint)Die Juden feiern keine Orgien für die Götter der Gestirne!
PHARAO
Ist euer Gott kein Gott der Freude und der Feste? Ägypter, tanzt zur Ehre der Sonne, trinkt zur Ehre
der Sonne, liebt euch zur Ehre der Sonne!

FÜNFTE SZENE

PHARAO
Meine Soldaten, sagt den verdammten Juden, sie sollen wieder arbeiten gehen! Immer nur beten
und Psalmen singen! Nein, vom Morgen bis zur Nacht sollen die Sklaven arbeiten! Geht, meine
Soldaten, vollzieht meinen Befehl! Und du, mein Sohn Amun? Ich bin nicht zufrieden mit dir!
AMUN
Was kann ich tun, Vater, um deine Liebe zu verdienen?
PHARAO
Streng dich an! Sei ein Sohn, der seines Vaters würdig ist, und bedenke, dein Vater ist der Sohn
Gottes!
AMUN
Ich will dir ja gefallen, Vater! Aber was ich auch tu, in deinen Augen ist es ungenügend.
PHARAO
Wenn du mein Wohlgefallen finden willst, so nimm dir eine Frau!
AMUN
Ja, ich liebe!
PHARAO
Ach, was du Liebe nennst! Ich glaube nicht an deinen Wahnsinn! Nimm dir eine Frau, die deinem
Vater gefällt und zum Nutzen des Reiches Ägypten ist!
AMUN
Welche Frau gefällt dir, Vater, dass ich sie nehmen soll?
PHARAO
Ein Mann soll schauen, ob eine Frau ein gebärfähiges Becken hat und ihm Söhne schenken kann,
und ob sie mächtige Brüste hat, die Söhne großzuziehen.
AMUN
Wen meinst du, Vater?
PHARAO
Nun, sieh dir die Tochter Assyrien an! Hast du je solch ein gebärfähiges Becken gesehen und solche
imposanten Brüste? Hathor selbst ist sie!
AMUN
Aber ich liebe Anaida!
PHARAO
Die faule Jüdin?
AMUN
Ob ich will oder nicht, mein Vater, und ob es dir gefällt oder nicht, die Götter wollen es, ja, ob ich
will oder nicht, die Götter gebieten es mir: Ich liebe Anaida!

SECHSTE SZENE

(Vor dem Tempel der Göttin Isis.)

PHARAO
Ägypter von Ober- und Unter-Ägypten, huldigt der großen Göttin Isis!
ÄGYPTER
Isis, Isis, heile uns von unsern Krankheiten!
PHARAO
Isis hat viele Namen. Die Griechen nennen sie Aphrodite, die Phönizier nennen sie Astarte, die
Babylonier nennen sie Ishtar, aber ihr wahrer Name ist Isis, Mutter der Götter!
ÄGYPTER
Wir sind die Auserwählten der Himmelskönigin! Ob wir dich Hathor nennen oder Nephthys oder
Isis, du bist die Große Mutter, wir sind deine Kinder!
PHARAO
Komm, mein Sohn Amun, bete mit mir die Goldene an.
AMUN
Vater, habe Geduld, ich will dort abseits stehen und beten.

(Anaida aus einem Versteck tritt zu Amun, der abseits steht.)

ANAIDA
Beim wahren Gotte Zebaoth, komm, Geliebter, fliehen wir! Sie wollen dich fangen, sie wollen dich
fesseln, sie wollen dein Seelenheil verderben!
AMUN
Meine Sonne, meine Freundin, meine Göttin – Anaida!
ANAIDA
Ich bin nicht Gott! Unser Gott ist ein Gott, der uns rettet, der uns in die Freiheit führt! Ich gehöre
meinem Gott, ich lasse mich von meinem Gott erlösen! Laß dich erlösen, Geliebter, laß dich
befreien! Zieh du mit den Israeliten in das gelobte Land von Milch und Honig!
AMUN
Morgen, Geliebte! Morgen gehöre ich deinem Gott. Heute Nacht aber will ich feiern die
orgiastischen Zeremonien der Großen Mutter!
ANAIDA
Isis ist ein Dämon!
AMUN
Isis ist die göttliche Weisheit!

SIEBENTE SZENE

(Zeremonie im Isis-Tempel.)

PRIESTER
Isis, Isis, unsre göttliche Katze! Heilig, heilig ist unsre göttliche Katze! Deine Augen sind
Sichelmonde, dein Fell ist schwarz wie die Nacht! Freie Göttin, kein Mensch kann dich
beherrschen! Göttliche Katze, dir gilt unsre Liebe!
ÄGYPTER
Göttliche Katze, wir beten dich an!
PRIESTER
Hathor, Hathor, Göttin der Liebe, des Tanzes und der Musik, du bist die himmlische Kuh! Wir
hängen alle an deinem Euter und saugen an deinen Zitzen! Hab Erbarmen, Große Mutter, Heilige
Kuh, du Goldenes Kalb, und lass uns saugen die Milch deiner Liebe!
ÄGYPTER
Heil dir, Goldenes Kalb, du göttliche Mutter, du Heilige Kuh, o Hathor, dir weihen wir Tanz und
Musik und die Lüste der Liebe!
PRIESTER
Heil dir, Sekmeth, schreckliche Göttin, blutdürstig bist du! Töte unsere Feinde, schlage die Feinde
Ägyptens tot und saufe ihr Blut! Betrinke dich, schreckliche Göttin, besaufe dich am Blut deiner
Feinde und taumle! Du bist die Löwengöttin, brülle, Göttin, zerreiße die Gazellen und die Antilopen
und friß das Aas, o Göttin des Todes!
ÄGYPTER
Heil dir, blutdürstig bist du, schreckliche Göttin! Sauge uns das Blut aus dem Leibe und verschlinge
unser verwesendes Aas! Töte uns, Göttin! Friß uns auf, o Göttin! Wir sind dein Fleisch und dein
Blut und deine Opferspeise, Göttin des Todes!
PRIESTER
Heil dir, dreifaltige Isis!
ÄGYPTER
Heilig, heilig, heilig ist die große Göttin!

ACHTE SZENE

(Moses tritt in den Isis-Tempel ein, wo der Pharao und die Ägypter tanzen.)

MOSES
Pharao!
PHARAO
Was willst du hier, Jude? Störe nicht die Zeremonien der heiligen Götter!
MOSES
Eure Götter sind nicht Götter. Ob ihr die Sonne oder den Mond anbetet, den Nil anbetet oder den
Mistkäfer anbetet, Sonne und Mond und Nil und Mistkäfer sind Geschöpfe des einen Gottes!
PHARAO
Deinen Gott hat noch keiner gesehen. Unser Gott geht jeden Morgen am Himmel auf. Unsre Göttin
lächelt uns jede Nacht an.
MOSES
Weißt du denn nicht, dass der Mond ein Stein ist, den Gott an den Himmel gesetzt und ihm seine
Bahnen um die Erde vorgeschrieben hat?
PHARAO
Wo ist denn dein Gott?
MOSES
Es ist so schwierig zu sagen, wo Gott ist, wie es schwierig ist zu sagen, wo Gott nicht ist.
ÄGYPTER
Deine jüdischen Spitzfindigkeiten kannst du alten jüdischen Weibern preisgeben, aber störe nicht
unsern zeremoniellen Tanz zu Ehren der Mondgöttin! Du störst unsre Kreise!
MOSES
Was nennt ihr eure Mondgöttin? Etwa jene Goldene Kuh dort auf eurem Altar mit der silbernen
Mondsichel zwischen den Hörnern? Gebt acht!

(Moses schlägt den Stab auf den Boden, die Erde bebt, die goldene Kuh der Mondgöttin fällt zur
Erde und zerfällt in Scherben. Die Ägypter im Tumult und im Lärm brechen in Chaos aus.)

AMUN
Wo bist du, Anaida?
ANAIDA
Ich bin ja da, Geliebter!
AMUN
Komm, lass uns fliehen!
ANAIDA
Ich folge dir, mein Geliebter!

(Anaida und Amun entfliehen.)


NEUNTE SZENE

(Anaida und Amun allein am Ufer des Roten Meeres.)

AMUN
Wo sollen wir hin?
ANAIDA
Es gibt keinen Ausweg mehr!
AMUN
Ach, Hoffnungslosigkeit!
ANAIDA
Unsre Liebe steht unter einem bösen Stern.
AMUN
Alles ist zuende.
ANAIDA
Wir wollen zusammen sterben!
AMUN
Die Erde ruft zum Morgenstern: Ach, ich habe leider Menschen! Der Morgenstern sagt zur Erde:
Keine Sorge, das geht vorüber.
ANAIDA
Auf dieser Erde ist kein Ort für die Liebe.
AMUN
So wollen wir uns im Totenreich lieben.
ANAIDA
Die Lebenden lieben die Liebe nicht.
AMUN
Die Toten sind treu.
ANAIDA
Ach, wäre ich nie geboren!
AMUN
Ach, wären wir beide nie geboren!
ANAIDA
Dann wären wir im Himmel geblieben.
AMUN
Ich liebe nur noch das Nichts.
ANAIDA
Wir beide wollen zusammen verlöschen im Nichts.
AMUN
Uns umarmen in der Ewigkeit des Todes!
ANAIDA
Wirst du im Jenseits auch keine andre Frau lieben?
AMUN
Ich bin du und du bist ich.
ANAIDA
Wir sind eins in Gott.
AMUN
Ich bin der Sonnengott und du bist die Mondgöttin.
ANAIDA
Herr, erbarme dich!
AMUN
Himmelskönigin, hilf!
ZEHNTE SZENE

(Die Israeliten in ihrem Exodus kommen an das Rote Meer und treffen auf Amun und Anaida.)

MOSES
Anaida, du bist eine Tochter Gottes! Komm mit Gottes Volk in die Freiheit!
ANAIDA
Aber ich will bei Amun bleiben.
MOSES
Anaida, Gott ruft dich in die Freiheit! Lass dich nicht von einem Ägypter versklaven! Wen liebst
du, Gott oder den Sohn des Pharao?
ANAIDA
Gott!
AMUN
Du verlässt mich für deinen Gott? Ich hasse den Gott der Juden! Ich hasse die Juden!

(In der Ferne erscheint der Pharao mit seiner Armee.)

MOSES
Herr, rette uns vor unsern Feinden!
AMUN
Mein Vater und Pharao, vertilge die Juden!
PHARAO
Meine Soldaten! Treibt die Juden in eine Sackgasse! Wir treiben sie wie Ratten ins Rote Meer und
ersäufen sie wie Ratten!
AMUN
Ja, die Pest über die Juden! Die Juden sind Läuse und Ratten!
MOSES
Herr, erbarme!
AMUN
All ihr Götter, zeigt eure Macht! Vernichtet die Juden und den Judenheiland!
PHARAO
Aufmarschiert, Armee! Im Namen der göttlichen Sonne, meines Vaters, und der Mondgöttin, meiner
Mutter, nieder mit Israel! Der Gott Ägyptens vertilge Israel!
MOSES
Herr, Herr, Gott!
ANAIDA
Vater im Himmel!

ELFTE SZENE

(Am Ufer des Roten Meeres stehen sich gegenüber die Israeliten und die Ägypter.)

PHARAO
Ihr Juden, ich habe nichts gegen euch, im Gegenteil, ihr seid mir ganz gleichgültig! Aber ich will
euer Bestes, ihr sollt nicht in die Einsamkeit der Wüste hinaus! Denkt nicht, ihr könntet vom Gebet
allein leben! Ich will euch Arbeit geben. Die Arbeit wird euch zu Menschen machen. Schämt euch
nicht, Sklaven zu sein, denn ihr seid nicht Sklaven irgendeines Sklavenhändlers, sondern Sklaven
des Sohnes Gottes!
SINAIDA
Pharao, ich sehe auf Moses Antlitz einen göttlichen Glanz! Ich sehe über Moses die Wolke der
Herrlichkeit! In meinem Herzen ist ein Durst nach Gott! Wo ist Gott, dass ich ihn finde und fasse
und nicht mehr lasse? Ich will nicht eines Tages sagen müssen: Sinaida, du hast den Namen, dass du
lebst, aber in Wahrheit lebst du gar nicht wirklich, denn du hast die Wahrheit nicht ergriffen! Nein,
mein Pharao, die Wahrheit ruft mich, Gott ruft mich zu dem Gottesvolk, und ich muß Gott mehr
gehorchen als dir, meinem Mann.

(Sinaida läuft zu den Israeliten über. Moses hebt seinen Stab gen Himmel.)

MOSES
Herr, Herr, Gott, Allmächtiger meiner Seele, Gewaltiger, Herr der himmlischen Heerscharen,
schlage unsre Feinde, schlage die Feinde unsrer Freiheit! Uns aber, deinen Kindern, öffne die
Augen, dass wir sehen die tausend mal zehntausend Engel um uns, die uns beschirmen vor dem
Übel!

(Die Erde bebt. Der Pharao und seine ägyptische Armee, sie fallen alle ohnmächtig zu Boden.)

SINAIDA
Gott Israels, nimm mich an, ob ich auch Tochter Ägypten heiße, nimm auch mich auf in dein
heiliges Volk!
MOSES
Sinaida, Tochter Ägypten, auch du, auch du sollst anbeten Gott den Herrn!

ZWÖLFTE SZENE

(Die Ägypter erheben sich erneut, sie drängen die Israeliten ganz dicht ans Rote Meer.)

PHARAO
Mein Weib, Sinaida, die Götter haben dich zu meinem Eigentum bestimmt, zu meiner Sklavin! Du
bist mein! Wenn du jetzt deinen Herrn und Gott verlässt, um mit Moses und seinem Judenheiland
Ehebruch zu treiben, so wisse, dass die Ägypter unter Anrufung der ägyptischen Götter dich jagen
werden, bis sie dich ergreifen und dich totschlagen wie eine räudige Hündin!
AMUN
Anaida, Anaida, einst hab ich dich begehrt, einst hab ich dich geliebt! Komm zurück von deinem
unsichtbaren Gott, der dich doch vor dem Tode nicht beschützen kann, komm zurück von deinem
Gott der Sklavendemut und komm zu unsern ägyptischen Göttern, zur siegreichen Sonne! Wenn du
aber deinen Gott der Sklavendemut nicht verlässt und heimkehrst zur siegreichen Sonne, um meine
Geliebte zu werden und meine Liebesdienerin, werde ich dich töten, und kein Gott kann dich retten,
wenn ich dir die glühende Spitze meines Schwertes in deinen mächtigen Busen bohre!
SINAIDA
Moses, bitte du zu deinem Gott und meinem Gott, zu deinem Herrn und meinem Herrn, mein Leben
zu retten!
ANAIDA
Moses, hebe deinen gewaltigen Stab, der einst zur Schlange geworden, um sich wieder aufzurichten
als Stab, und rufe an den Herrn, meinen Herrn, Gott, meinen Gott, meine Seele zu erlösen!
MOSES
Barmherziger Heiland, unser Retter, segne Sinaida, segne Anaida, segne die Tochter Ägypten, die
dich anruft als den wahren und lebendigen Schöpfer und Erlöser, und befreie deine Jungfrau Israel
von der Aggression, von den Aggressoren, die Israel ausrotten wollen.
(Moses hebt den Stab gen Himmel. Der Engel des Herrn tritt ans Rote Meer und teilt das Meer und
bereitet den Kindern Israel den Weg.)

DREIZEHNTE SZENE

(Die Israeliten ziehen durch das geteilte Rote Meer.)

MOSES
O Wolkensäule, die du uns vorausgezogen, nun stelle dich hinter uns auf, o Wolkensäule, und
schirme uns vor unsern bösen Feinden!
ISRAELITEN
(singen)

Moses went to Pharao:


Let my People go!
Go down, Moses,
Go down to Egypts land,
Tell old Pharao:
Let my People go!

(Am Ufer des Meeres bereitet sich die ägyptische Armee, geführt vom Pharao und Amun, sie reiten
mit Kriegswagen und Kriegspferden in das Rote Meer. Die Wolkensäule erhebt sich über dem Meer
und die Wellen schlagen über der ägyptischen Armee zusammen.)

AMUN
Ihr Götter, ihr habt uns verlassen!

(Pharao, Amun und alle Ägypter ertrinken im Meer.)

MOSES
Barmherziger Heiland, erbarme dich der armen Seelen unserer toten Feinde!

(Die Israeliten sind am anderen Ufer angekommen. Sie sind in der Freiheit. Die Frauen tanzen,
geführt von Mirjam, und singen die Ode an die Freiheit.)

MIRJAM
Freiheit, schönste Tochter Gottes,
Trotz der Herrn und Unterdrücker
Siegtest du! In deinem Namen
Tanzen alle Töchter Gottes!
ISRAELITINNEN
Paukenschlägerin, o Mirjam,
Prophetissa, Tochter Gottes,
Sing der Freiheit eine Ode!
MIRJAM
Freiheit, schönste Tochter Gottes,
Über uns im Dritten Himmel
Wohnt ein liebevoller Vater!
DIE SEELENVERWANDTEN

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(Anna und Peter, beide 24 Jahre alt, im Jahr 1990 in Berlin-Spandau.)

PETER
Du bist schön, du Wonneweib!
Trinkst du Wodka mit mir?
ANNA
Wodka mit bittrer Limone, ja.
PETER
Wie hast du deine Jugend verbracht?
ANNA
Im Kampf für die Revolution.
PETER
Du auch, mein Sohn Brutus?
ANNA
Ich war schon als Kind
Bei den jungen Pionieren,
War Funktionärin
In der sozialistischen Jugend.
PETER
Ich auch, du Schöne.
Ich studierte die kommunistischen Dichter,
Berthold Brecht
Und Johannes R. Becher
Und Wladimir Majakowski
Und Pablo Neruda.
ANNA
Ich habe mit meiner Freundin Eva
Das Kapital von Marx studiert.
PETER
Glasnost und Perestroika
Haben mir den Glauben
An die kommunistische Lehre genommen.
ANNA
Aber Frieden und Gerechtigkeit
Und Freiheit für die Menschen
Liebst du immer noch?
PETER
Ich liebe dich!
ANNA
Ich liebe dich auch!
PETER
Ich wollte die Welt
Vom Kopf auf die Füße stellen.
ANNA
Wie Lenin es tun wollte
Mit der Dialektik Hegels?
PETER
Hast du Hegel gelesen?
ANNA
Auf französisch.
PETER
Frankreich! Zunge der Liebe!
ANNA
Schenk mir noch ein Glas Wodka ein.
PETER
Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang,
Der bleibt ein Narr sein Leben lang!
ANNA
Wenn du nicht mehr glaubst
An die Ideologie des Kommunismus,
Was glaubst du dann?
Glaubst du an Gott?
PETER
Ich habe Mythologie studiert,
Mythologie des Matriarchats,
Ich glaube an die Muttergöttin.
ANNA
Mutter?
PETER
Die dreifaltige Göttin
Des Himmels und der Erde und des Meeres.
Und du, glaubst du an Gott?
ANNA
Was dir die Muttergöttin ist,
Das ist mir die Natur.
Höre ich Bäume rauschen
Oder höre ich rauschen das Meer,
So bin ich geborgen.
PETER
Und lebst in Berlin
Und nicht auf dem Land?
ANNA
Später einmal will ich auf dem Land leben,
Vielleicht in Friesland am Meer.
PETER
Der See in Spandau ist auch schön.
ANNA
Ja, wenn der Mond sich spiegelt
Im stillen Spiegel des Sees.
PETER
Wollen wir spazieren gehen
Bei Mondschein am See?
ANNA
Ich bin zu betrunken.
Ich will schlafen.
PETER
Ich will auch schlafen,
Anna, schlafen mit dir!
ANNA
Komm, gehen wir ins Bett!
PETER
Zu schlafen mit der Priesterin Aphrodites,
Heißt zu schlafen mit Aphrodite.

ZWEITE SZENE

(Anna und Peter am Frühstückstisch. Sommer.)

ANNA
Guten Morgen, Schatz, hast du gut geschlafen?
PETER
Das weißt du besser als ich.
ANNA
Hast du schon einmal so gut geschlafen?
PETER
Noch nie lag ich so weich gebettet.
ANNA
Aber geliebt hast du schon einmal?
PETER
Als ich noch aufs Gymnasium ging,
Liebt ich ein Mädchen,
Weil sie Maria hieß.
ANNA
Nur weil sie Maria hieß?
PETER
Als Kind im Weihnachtsgottesdienst
Fand ich Maria immer so schön.
Und du, hast du geliebt vor mir?
ANNA
Den einen und den andern.
PETER
Und bist bei keinem geblieben?
ANNA
Ach, ihr Männer seid ja so:
Mit eures Lebensbalsams Füllekraft
Schüttet ihr eure Begierde aus
Und mit der Begierde alle Liebe
Und lasst das Weib allein zurück.
PETER
So bist du also eine Blume,
Die von Biene zu Biene fliegt?
ANNA
Wohin die Liebe fällt,
Da bleibt sie liegen.
PETER
Und ich, ich liebe nur die Schönheit.
ANNA
So kannst du nicht treu sein?
PETER
Der Schönheit bleib ich ewig treu.
ANNA
Und bin ich schöner
Als deine Jugendliebe Maria?
PETER
Du bist schön
Wie die Venus von Milo.
ANNA
Die sah ich in Paris.
PETER
Du bist ein Weib,
Du bist so weiblich!
ANNA
Wie meinst du das?
PETER
Du darfst dich anlehnen an mich.
ANNA
Darf ich auch vor dir weinen?
PETER
Wenn du weinen musst,
Will ich dich trösten,
Denn ich fühle
Wie ein Bruder
Für seine geliebte Schwester
Zärtliche Liebe für dich.
ANNA
Wie Brüderchen und Schwesterchen
Im deutschen Kindermärchen?
PETER
Ich werde immer Mitleid mit dir haben.
ANNA
Und ich, mein Schatz, ich liebe dich
Wie einen Bruder
Und mehr noch als einen Bruder.
PETER
Meine Genossin bist du,
Mein kleiner Kamerad:
Mon filou!
ANNA
Sag nicht filou zu mir.
PETER
Mon bijoux!
ANNA
Das ist schon schöner.
PETER
Ma jolie!
ANNA
Schatz, lass das keinen hören.
Reichst du mir den Honig?
PETER
Reichst du mir den Quark?
ANNA
Und gib bitte das Sesambrot.
PETER
Hast du Kaffee gekocht?
ANNA
Und heiße Milch dazu.
PETER
Und gleich gehst du duschen?
ANNA
Ja, komm mit mir unter die Dusche!

DRITTE SZENE

(Anna und Peter auf dem Balkon im Sonnenschein.)

PETER
Was liest du da? Slawistik?
ANNA
Enthüllungen über den Stalinismus.
PETER
Über Stalin, den entlaufenen Klosterschüler?
ANNA
Er hat alle Kommunisten,
Die an der Oktoberrevolution
Teilgenommen, ausgerottet.
PETER
Trotzki war auch ein Terrorist.
ANNA
Ja, es war eine Diktatur
Des Staatsterrorismus.
PETER
Mütterchen Russland
War doch einst so fromm.
ANNA
Die Mönche wurden verfolgt
Vom stalinistischen Terror-Regime.
PETER
Stalin hat sich selbst ernannt
Zu Väterchen Zar.
ANNA
Wohl nicht von Gottes Gnaden.
PETER
Stalin hat sich anbeten lassen
Wie einen Gott.
ANNA
Er war nicht besser
Als Adolf Hitler.
Sie haben sich beide
Polen geteilt.
PETER
Ja, ja, die Herren Götter
Und Väter ihrer Völker!
Dostojewskis Russland
Verehrte Mütterchen feuchte Erde
Und Mütterchen Gottesmutter.
ANNA
Die Kommunisten haben,
In Wahrheit gesagt,
Mehr Menschen umgebracht,
Als selbst die erzbösen Nazis!
PETER
Warum haben wir das nicht bedacht
In unserm Jugend-Idealismus?
ANNA
Wir haben die russische Revolution
Romantisch verklärt.
Aber was liest du?
PETER
Ich lese das Gilgamesch-Epos.
ANNA
Was ist das?
PETER
Ein babylonisches Heldenepos.
Da ist ein König,
Der hat einen Kameraden,
Aber es stirbt der Kamerad,
Und der König sucht fortan
Das Geheimnis des ewigen Lebens.
ANNA
Also Männerfreundschaft.
PETER
Da ist auch die Göttin der Liebe,
Ishtar, die Göttin der Schönheit,
Die begehrt den König Gilgamesch.
ANNA
Und liebt er sie auch?
PETER
Er sagte: O Liebesgöttin,
Du hattest diesen und jenen
Und manchen Geliebten
Und alle hast du ruiniert,
Darum lass mich in Ruhe,
Deine Liebe ist tödlich!
ANNA
Und hat er gefunden
Das Geheimnis des ewigen Lebens?
PETER
Nein. Der Tod blieb allmächtig.
Als einzige Rettung blieb ihm
Ein Werk, um Nachruhm zu erringen
Und so im Angedenken der Menschen
Auch nach dem Tod zu verbleiben.
ANNA
Hast du Angst vor dem Tod?
PETER
Manchmal lieg ich im Bett
Und fühle in tiefer Verzweiflung:
Ich bin ein Waisenkind im Weltall!
Ich suche die göttliche Mutter,
Aber hab sie noch nicht gefunden.
ANNA
Komm an meinen Busen!
PETER
Eine Dichterin dichtete einmal:
Ich bin müde vom Tod,
Ich möchte einen Herzallerliebsten haben,
Mich in seinem Fleisch vergraben!
ANNA
Komm, mein lieber Schatz,
Vergrabe dich in meinem Fleisch!

VIERTE SZENE

(Anna und Peter im Bett.)

PETER
Ich habe noch nie die körperliche Liebe
Genossen, wie ich sie mit dir genossen.
ANNA
Ja, wir passen sehr gut zusammen.
Hast du schon einmal
Mit einer Frau geschlafen?
PETER
Ich kannte in der Jugend
Nur die platonische Liebe.
ANNA
Platonische Liebe?
Also ohne körperliche Liebe?
PETER
Ich liebte nur einen Traum,
Nur die lichte Frau,
Die ich im Traum sah.
ANNA
Aber ich bin real.
PETER
Ja, du bist ein reales Weib,
Schöner als die steinerne Venus.
ANNA
Ich habe hier Lehrbücher
Über die körperliche Liebe,
Dort oben im Regal
Über meinem Bett.
PETER
Dies hier? Das ist
Das Kamasutra.
ANNA
Ja, und das daneben auch.
PETER
Das Tao der Liebe.
ANNA
Hast du auch schon gelesen
Über die Kunst der Liebe?
PETER
Ja, Ovid.
ANNA
So etwas lese ich ja nicht.
PETER
Ich werde dir ein Buch schenken.
ANNA
Welches?
PETER
Die Memoiren Casanovas.
ANNA
Ich bin ja keine Intellektuelle,
Ich liebe nicht mit dem Kopf,
Sondern mit dem Herzen.
PETER
Küss mich!
ANNA
So?
PETER
Wie es in einem Blues-Song heißt:
Kisses sweeter than wine!
ANNA
Beschreibe mich,
Wie du mich siehst!
PETER
Deine Haare sind schwarz
Wie Rabenflügel oder die Nacht.
Deine Augen sind blau
Wie der Ozean der Liebe.
Deine Wangen sind rötlich
Wie ein Granatapfel.
Deine Lippen sind süß
Wie eine geteilte Feige.
Deine Brüste sind groß
Wie Kirchenglocken.
Dein Bauchnabel ist rund
Wie ein Topf voll Zucker.
Dein Schamhaar ist kraus
Wie der Salatkopf Inannas.
Deine Schenkel sind gebogen
Wie eine goldene Spange.
Deine Füße sind klein
Wie weiße Lotossprossen.
ANNA
Du bist ein Dichter.
Bin ich deine Muse?
PETER
Die Schönste aller Musen –
ANNA
Mit dem größten Busen?
PETER
Muse, gekommen vom dritten Himmel –
ANNA
Zu erwecken deinen Pimmel!
PETER
Genug gedichtet.
Lass uns lieben!
ANNA
Aber diesmal anders herum.
PETER
Wie meinst du das?
ANNA
Ich will es dir zeigen.
PETER
Du bist meine Lehrmeisterin
In der Kunst der Liebe.

FÜNFTE SZENE

(Anna und Peter. Spaziergang am See von Spandau.)

ANNA
Wir leben zusammen
In einer großen Wohnung.
Schön ist es, für eine Frau,
Mit einem Mann zusammen zu sein,
Und doch fehlt ihr etwas,
Es fehlt ihr eine Freundin.
PETER
Wer ist denn deine Freundin?
ANNA
Eva, mein herzallerliebstes Evchen!
PETER
Du kannst sie doch treffen.
ANNA
Sie lebt gerade in Darmstadt.
Aber ich möchte sie gerne
Zu uns einladen,
Mit uns zu wohnen
In unsrer gemeinsamen Wohnung.
PETER
Erzähl mir von Eva.
ANNA
In unsrer Jugend haben wir
Zusammen studiert
Das Kapital von Marx.
Wir sind zusammen gereist
Nach Portugal
Und haben gemeinsam
Viele Männer geliebt.
Jetzt ist sie stiller geworden,
Ist religiös geworden.
PETER
Religiös? Was glaubt sie denn?
ANNA
Ich weiß nicht so genau,
Ich hab es nie verstanden.
PETER
Aber sonst verstehst du dich gut
Mit deiner Freundin?
ANNA
Ich kann ihr alles erzählen.
Sie kann so gut zuhören.
PETER
Ist sie denn auch schön?
ANNA
Ganz reizend!
Sie wird dir gefallen.
PETER
Dann lade Eva doch ein.
ANNA
Du bist lieb, mein Schatz.
PETER
Aber ich seh es schon kommen,
Wenn du mit deiner Freundin
Hier täglich zusammen bist,
Dann werdet ihr plaudern,
Dann werdet ihr schwatzen,
Und ich werde mich langweilen.
ANNA
Ich dachte, du sprichst gerne
Mit einer guten Frau.
PETER
Ja, eine Frau allein
Offenbart dem Mann
Das Geheimnis des Lebens,
Zwei Frauen zusammen
Offenbaren nichts!
ANNA
Was machen wir mit dir?
PETER
Ich habe einen Freund,
Mark ist sein Name.
Er wohnt in Köln
Und arbeitet dort
Als Bühnenbildner.
ANNA
Lad ihn doch ein!
Ich möchte deinen Freund
Gern kennen lernen.
PETER
Er ist kein Intellektueller,
Mehr Handwerker,
Aber wenn wir zusammen sitzen
Bei einem herben Bier,
Dann macht er mir viel Spaß,
Er heitert mich immer auf.
ANNA
So ist er lebenslustig?
PETER
Ich mit meiner Schwermut
Bin der Ritter von der traurigen Gestalt,
Und Mark mit seinem Witz
Ist der treue Freund
Mit dem derben Realitätssinn.
ANNA
So ist er dein Narr?
PETER
Aber ein Narr, wie früher
Am Hofe eines Königs,
Der einzige, der dem König
Die Wahrheit sagen durfte.
ANNA
Schön, dann lass ihn kommen.

SECHSTE SZENE

(Anna, Peter, Eva und Mark spazieren am Spandauer See. Peter und Eva gehen zusammen voran,
Anna und Mark folgen.)

PETER
Wie schön du bist!
EVA
Danke. Du bist sehr nett.
PETER
Anna sagte, du seiest religiös?
EVA
Ich sage eher: Spirituell.
PETER
Glaubst du an Gott?
EVA
An Gott glaub ich, ja,
Aber nicht an Gott den Vater,
Sondern an eine göttliche Kraft.
PETER
Wo ist diese Kraft zu finden?
EVA
Ich meine, im Innern der Seele.
In der Tiefe der Seele
Ist die Seele eins
Mit der göttlichen Kraft.
Und du, glaubst du?
PETER
Ich glaube an die Mutter Natur,
An Werden und Vergehen,
An die Fruchtbarkeitsgöttin.
EVA
Gott oder Göttin!
Meistens heißt es,
Der Gott sei die Sonne
Und die Göttin sei der Mond.
Aber Isis in uralten Zeiten
War die Sonnengöttin.
PETER
Zu Recht sagen die Deutschen:
D i e Sonne und d e r Mond,
Denn der Mann empfängt
Sein Licht von der Frau.
EVA
Was heißt Frau?
Ist wie Yin und Yang,
Der Mann das Licht,
Die Frau das Dunkle?
PETER
Mir erschien die Frau
Immer als eine Lichtgestalt.
ANNA
Du bist Bühnenbildner?
MARK
Ja, ich habe Zimmermann gelernt,
Wollte dann aber zum Theater.
ANNA
Ich habe auch einmal
In einer Theatergruppe gespielt.
Damals nannte ich mich
Jekatharina.
Was wird denn gespielt
In deinem Theater?
MARK
Zuletzt gespielt wurde
Die Mutter
Von Berthold Brecht.
ANNA
Von Brecht kenn ich sogar
Ein Kinderlied.
MARK
Und wie lautet das?
ANNA
Xanthippe sprach zu Sokrates:
Bist du schon wieder blau?
Sprach Sokrates:
Bist du auch sicher des?
Er gilt seitdem als weiser Mann
Und sie als böse Frau.
MARK
Wein und Weiber
Betören die Weisen!
Wie gut, dass ich kein Weiser bin!
Ich lass mich gerne betören
Von Wein, Weib und Gesang!
ANNA
Ich werde gleich Spaghetti kochen
Mit Fleisch und Gemüse,
Reis-Essig und Soya-Sauce,
Und dann können wir trinken,
Das wird lustig.
MARK
Und Musik wollen wir hören.
ANNA
Und tanzen, tanzen!
MARK
Dich möchte ich gerne tanzen sehen,
Du hast einen musikalischen Leib!
ANNA
Ich tanze,
Wenn du dazu die Musik spielst
Auf deiner Wirbelsäulenflöte.
MARK
Ich freu mich.

SIEBENTE SZENE

(Nacht. Peter betrunken, mit einer Wodka-Flasche in der Hand, vor Evas Zimmertür.)

PETER
Wie reizend Eva ist!
Wie sie mich erotisiert!
Sie hat einen ungeheuren
Sex-Appeal!
Das leichte Kleidchen,
Die sichtbaren Brüste,
Das kurze Röckchen,
Die glänzenden Schenkel!
Aber gleichzeitig ist sie
Keusch wie eine Nonne,
Ein eiskaltes
Rühr-mich-nicht-an!
Ah, ich will mit ihr schlafen!
Sie ist meine Traumfrau!
Die platonische Jugendliebe
Maria war nur erträumt,
Anna war pure Fleischeslust,
Aber Eva ist mein Ein-und-Alles,
Meine platonische Traumfrau
Und die Königin meines Fleisches!
Mit ihr zu schlafen
Muss der Himmel sein!
Wenn es einen Himmel gibt
Und eine Ewigkeit der Liebe,
Will ich im Himmel
Für alle Ewigkeit
Mit Eva schlafen!
Doch sie lässt mich nicht ran!
Aus Treue zu Anna
Lässt sie mich nicht in ihr Bett!
Was tun?
Ich werde zu Anna gehen
Und zu Anna ins Bett steigen
Und mit Anna schlafen
Und bei dem Liebesakt
Von Eva träumen:
Eva nackt!
Eva im Bett!
Eva beim Sport der Liebe!
Wenn ich träume
Von Liebe mit der Geliebten,
Ist sie dann nicht mein?
Anna wird mir die Begierde stillen,
Aber wenn ich mich in Anna ergieße,
Dann stöhne ich heimlich: Eva!

(Er geht zur nächsten Zimmertür und tritt ein. Anna liegt im Bett. Peter steigt zu Anna ins Bett.)

ANNA
Mark, bist du das?
PETER
Ich bins, Peter.
ANNA
Ach du, Schatz.
PETER
Hast du geträumt?
ANNA
Bist du auch nicht eifersüchtig?
PETER
Wie kann man auf Träume
Eifersüchtig sein?
ANNA
Ja, ich habe geträumt,
Mark kam zu mir
Und er war sehr erregend
Und beinah hätten wir
Miteinander geschlafen,
Aber da kamst du
Und hast mich geweckt.
PETER
Ich will mit dir schlafen!
ANNA
Ich habe große Lust in mir.
PETER
Lass mich mit dir schlafen
Und träume einfach weiter,
Dass Mark jetzt mit dir schläft.
ANNA
(singt)
Die Gedanken sind frei,
Wer kann sie erraten?
Sie fliegen vorbei
Wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
Kein Jäger erschießen,
Es bleibet dabei,
Die Gedanken sind frei!
PETER
Wenn du von Mark träumst,
Träum ich von Eva.
ANNA
Aha! Hab ich’s mir doch gedacht:
Eva ist dein Sex-Idol!
PETER
Weißt du, Schatz,
Wenn wir jetzt miteinander schlafen,
Dann schlafen in unsern Träumen
Eva und Mark miteinander.
ANNA
Red nicht soviel.
Komm lieber!

ACHTE SZENE

(Einige Zeit ist vergangen. Draußen ist schon Herbst. Anna und Peter am Frühstückstisch.)

ANNA
Ich habe dir etwas zu sagen,
Ich weiß nicht,
Ob du erschrecken wist
Oder dich freust:
Ich bin schwanger!
PETER
Von mir?
ANNA
Von dir und keinem andern.
Es wird ein Sohn.
PETER
Ich freu mich!
Wie wollen wir ihn nennen?
Vielleicht Aaron?
ANNA
Oder Leon?
PETER
Maximilian!
ANNA
Ja, Maximilian!
PETER
Aber du liebst doch Mark.
Willst du jetzt vielleicht
Mit Mark zusammen sein?
ANNA
Schatz, wir haben ein Kind zusammen!
Ich verzichte auf Mark!
PETER
Aber wird er bleiben?
ANNA
Nein, er geht zurück nach Köln,
Er will wieder am Theater
Als Bühnenbildner arbeiten.
Sie führen ein Stück
Über die heilige Johanna auf.
PETER
Aber du wirst ihn vermissen?
ANNA
Ja, sicher.
Aber wenn erst das Kind da ist,
Werde ich nur noch
An Maximilian denken.
PETER
Lass mich deinen Bauch berühren.
ANNA
Aber du, du liebst doch Eva!
Willst du mit ihr zusammen sein?
PETER
Ich bin hin und her gerissen,
Ich hab dich doch von Herzen gern,
Aber ich verzehre mich
Nach Eva, meiner Liebe.
Sie zu sehen Tag für Tag,
Wie sie vor mir herumspaziert,
Diese Herrlichkeit,
Und sie nicht haben zu können,
Das frisst meine Seele auf!
Und nun haben wir ein Kind!
Weißt du, heute Nacht
Hatte ich einen besonderen Traum.
ANNA
Von Eva?
PETER
Nein, nicht von Eva,
Von einer anderen Frau,
Du wirst staunen,
Ich träumte
Von der Himmelskönigin Maria!
ANNA
Wirst du jetzt etwa katholisch?
PETER
Das will ich nicht sagen,
Aber die Himmelskönigin
Erschien mir im Traum,
Da war ich in Lourdes
Im Süden Frankreichs.
ANNA
Wie sah Maria denn aus?
PETER
Wie Eva fast,
Aber noch schöner.
Ich will jetzt zu Fuß pilgern
Von Berlin nach Lourdes
Und die Himmelskönigin suchen
Und sie fragen, was ich tun soll.
Ich suche Seelenfrieden!
Ich bin so zerrissen innerlich,
Dass ich fürchte,
Vernichtet zu werden!
ANNA
Und unser Kind?
Soll es ohne Vater sein?
PETER
Ich bin in einem Jahr wieder da.
ANNA
Ich werde Maximilian
Gemeinsam mit Eva aufziehen
Und hoffe auf deine Rückkehr,
Denn ein Knabe braucht
Einen liebevollen zärtlichen Vater.
Aber entscheide dich,
Wem du dein Herz schenken willst.

NEUNTE SZENE

CHOR DER SCHICKSALSGÖTTINNEN

Wenn die Seele


Vor der Empfängnis
Im Kerker
Des Körpers
Schon ewig lebt
Im Himmel,

So schwebt die Seele


Mit allen Seelen
Vor dem Thron
Des schöpferischen Gottes.

Und zur Rechten


Des Thrones Gottes
Ist ein makelloser
Himmelsspiegel.

Und in dem makellosen


Himmelsspiegel
Schaut die Seele
Ihren vorherbestimmten
Seelenpartner.

Wenn dann die Seele


Zur Erde schwebt
Und in der Empfängnis
Kommt in den Körper,
Trinkt sie
Vom Wasser des Vergessens.

Und so vergisst sie


Die selige Schau
Des vorherbestimmten
Seelengefährten
Im Himmelsspiegel,
Und irrend
Sucht sie auf Erden
Den rechten Partner.

Wenn die Seele


Trift den vorherbestimmten
Schicksalsgefährten,
Leuchtet dieser Mensch
Wie eine Gottheit,
Und der liebenden Seele
Wachsen die Flügel
Und sie fliegt
Zur seligen Schau
Der geliebten Seele
Im Spiegel Gottes.

Und wenn ein Mann


Sich hingezogen fühlt
Zu einer Frau,
Dann weil die Frau
Ihn berufen hat,
Berufen zur Liebe.

Kein Mann
Kann kommen
Zur Frau,
Es sei denn,
Die Frau zieht ihn an.

Aber in der tragischen


Liebe,
Die unerwidert bleibt,
Was ist das?

Da wird der Mann


Berufen zur Liebe
Von einer Frau,

Aber er weiß nicht,


Welche Frau
Ihn berufen.

So irrt er sich
Sozusagen in der Tür
Und tritt ein
Bei einer Frau,
Die ihn nicht gerufen.

Aber der Mann


Spürt stark
In seiner Seele
Den weiblichen Lockruf.

Und so scheitert
Der liebende Mann
Am Felsen
Seines Schicksals.

Und er verzehrt sich


Nach Gegenliebe
Jener Frau,
Die ihn nicht gerufen.

Und er erkennt nicht


Die Frau, die in Wahrheit
Ihn berufen zur Liebe,
Zur Harmonie
Der heiligen Ehe.

ZWEITER AKT
ERSTE SZENE

(Anna und Eva am Teetisch.)

ANNA
Meine Busenfreundin,
Kommst du mit mir
Zur Laien-Schauspielgruppe?
EVA
Zum epischen Theater?
Was ist das eigentlich?
ANNA
Das ist die Lehre
Der Schauspielkunst
Nach Berthold Brecht:
Der Schauspieler soll
Sich nicht identifizieren
Mit seiner Rolle,
Sondern in Distanz
Die Rolle nur zeigen.
EVA
Und so spielt ihr?
ANNA
Nein, wir spielen
Nach der Lehre
Des russischen
Schauspiellehrers
Stanislawki. Das heißt:
Der Schauspieler soll
Sich identifizieren
Mit seiner Rolle
Und die Figur nicht nur spielen,
Sondern selber sein.
EVA
Und was übt ihr für ein Stück?
ANNA
Wir üben ein neues Stück
Von Josef Maria Mayer,
Das Mysterium Buffo
Oder Mausoleum Buffo.
EVA
Worum geht es da?
ANNA
Es sind Gespräche
Der kommunistischen Führer
Und kommunistischen Dichter
In der Hölle.
EVA
Wen spielst du dabei?
ANNA
Ich spiele Inès Amand,
Die französische Geliebte
Von Wladimir Iljitsch Lenin.
EVA
Das Theaterspielen
Ist meine Sache nicht.
ANNA
Was willst du tun?
EVA
Ich werde Architektur studieren.
ANNA
Was für eine Architektur?
EVA
Die mystische.
ANNA
Was ist das?
EVA
Die uralte Weisheit
War schon bekannt
Auf der Insel Atlantis,
Wo es wunderschöne Tempel gab
Für den Gott Poseidon
Und die Jungfrau Klito.
Dann ging die Weisheit
Nach Ägypten,
Wo die Tempel von Luxor
Und die Pyramiden von Gizeh
Errichten wurden
Von mystischen Architekten.
Dann unterrichtete
Die uralte Weisheit
Den weisen König Salomo,
Der den Salomonischen Tempel
Für Jehowah errichtete.
Im Mittelalter
Ward von der uralten Weisheit
Der mystischen Architektur
Die Kathedrale
Von Chartres gebaut.
In dieser Kathedrale
Von Chartres befindet sich
Der Rock
Der allerseligsten Jungfrau.
ANNA
Und willst du einmal
Selber etwas bauen?
EVA
Ja, eine kleine Kapelle
Der göttlichen Sophia.
ANNA
Wer ist das?
EVA
Die Göttin der Weisheit.
ANNA
Und den Kölner Dom
Sieht Mark gerade.
EVA
Und das Heiligtum von Lourdes
Sieht Peter gerade.

ZWEITE SZENE

(Anna stillt ihr Baby Maximilian.)

ANNA
Mein süßes Kind,
Wie ruhen meine Augen
So zärtlich auf dir,
Wie bin ich stolz auf dich,
Wie strahlst du
In meine Augen!
O ich muss denken,
Wie dein Charakter ist,
Was deine Stärken sind,
Ob du Genießer bist
Oder Denker
Oder Phantast,
Ob du allein sein wirst
Oder gesellig leben,
Ob du ein Sozialarbeiter wirst
Oder ein Priester,
Ob du ein Heiliger bist
Oder ein inkarnierter Engel?
In deinen Augen
Leuchtet mir Gott auf!
Ich glaube zwar nicht
An einen Vater im Himmel,
Aber ich glaube
An den Gott
In den Augen
Meines Kindes!
Deine Lippen
Sind so kusslich,
Und wie lieb ich es,
Wenn du an meiner Brust
Die Milch der Liebe saugst!
Ich will dich nicht nur
Mit Muttermilch stillen,
Ich will dich stillen
Mit Mutterliebe!
O wenn deine Augen
In meine Augen schauen,
Dann sind wir eins
Wie ich mit keinem Mann
Je eins gewesen bin,
Dann fließt das Licht
Aus deinen Augen
Durch meine Augen
In meine Seele
Und entzündet
In meinem Herzen
Das zärtliche Feuer
Der zauberhaften Liebe.
Wenn ich dich betrachte,
Mein Maximilian,
So seh ich in deiner Nase
Eine erstaunliche Ähnlichkeit
Mit Marks Nase,
Die selbe Charakternase,
Die selbe Adlernase,
Die auf Stärke hinweist.
Das ist nicht Peters Nase,
Peter hat eine kleine Nase,
Eine schmale Nase,
Nein, Maximilian,
Deine Nase beweist,
Dass dein geistiger Zeuger
Der Mark meiner Träume ist.
Aber betrachte ich weiter
Dein schönes Antlitz,
So seh ich deinen Mund
Verblüffend ähnlich
Evas schönem Mund,
Du hast das selbe zauberhafte
Charmante Lächeln,
Dein Mund, mein Kind,
Ist nicht ähnlich
Meinem Mund,
Meinem breiten Mund
Mit den vollen
Sinnlichen Lippen,
Die gerne lachen.
Nein, Maximilian,
Du hast nicht mein Lachen,
Du hast Evas Lächeln.
Und so erkenne ich,
Dass deine geistige Mutter
Eva ist, die Eva,
Von der Peter geträumt hat,
Als er dich zeugte,
In seinem Samen war
Als Inbild beschlossen
Evas lächelnder Mund.
Und so bist du eigentlich
Nicht nur mein Sohn,
Sondern auch Evas Sohn,
Und so bist du eigentlich
Nicht nur Peters Sohn,
Sondern auch Marks Sohn.
Und die leiblichen Eltern
Werden ergänzt
Von geistigen Eltern,
Die Traumgestalten sind,
Mein Traum-Mann Mark,
Peters Traum-Frau Eva,
Und du das Kind
Von leiblicher Zeugung
Und geistiger Zeugung auch.

DRITTE SZENE

(Sommer 1991. Am Spandauer See. Peter und Eva spazieren zusammen.)

EVA
Du bist zurückgekommen
Aus Lourdes?
Was hast du dort erlebt?
PETER
Ich habe der Großen Mutter
Gebeichtet
Meine Zerrissenheit,
Denn ich liebe Anna
Und ich liebe dich!
EVA
Hast du Seelenfrieden
Gefunden bei der Mutter?
PETER
Nachdem ich der Großen Mutter
Gebeichtet in Lourdes,
Muss ich auch dir, o Eva,
Beichten in Berlin.
EVA
Was hast du mir denn
Zu beichten?
PETER
In meiner Phantasie
Hab ich oft
Mit dir geschlafen,
Sowohl im nächtlichen Traum,
Als auch in Annas Bett.
EVA
Wenn du mich phantasierst
Und es zum Samenerguss kommt,
Ist das wie eine Vergewaltigung
Meines Astralkörpers!
PETER
Verzeih mir,
Ich begehre dich!
EVA
Es ist schön,
Begehrt zu werden,
Das sagt mir doch,
Dass ich noch reizend bin.
PETER
Ich habe in Lourdes beschlossen,
Ich möchte mit dir
Zusammensein
Bis ins hohe Alter
Und von dir allein
Zu Grabe getragen werden.
EVA
Rede nicht vom Tod!
Ich fürchte mich vorm Tod!
PETER
Eva, verzeih,
Aber ich liebe dich!
EVA
Ich liebe dich doch auch.
PETER
Willst du denn mit mir
Zusammensein
Bis ans Ende des Lebens?
EVA
Ich kann dich doch nicht
Wegnehmen
Meiner besten Freundin
Anna,
Die du doch auch liebst,
Und die dich liebt!
PETER
Ich weiß nicht,
Ob sie mich liebt,
Oder ob sie mich nur
Haben will als Vater
Und Versorger des Kindes.
EVA
Nein, sie liebt dich,
Sie liebt dich mehr noch
Als einen Bruder.
PETER
Aber wenn Anna
Mich gehen ließe,
Du würdest mich nehmen?
EVA
Wir müssen warten,
Was das Schicksal
Über uns beschließt.
Alles ist Schicksal,
Im vorigen Leben
Erworben als Schuld.
PETER
Eva, Geliebte, du warst
In einem vorigen Leben
Meine Schwester
Oder meine Frau!
EVA
Wer weiß denn schon,
Was wir lernen sollen
In diesem Leben,
Welche Schuld abbüßen?
PETER
Ach, das Dasein selbst
Ist schon eine Schuld
Und das Leiden
Ist nichts als Buße
Für die Daseinsschuld.

VIERTE SZENE

(Abend. Spandauer See. Eva im Ruderboot mit Maximilian. Peter am Ufer.)

EVA
Peter!
PETER
Eva!
EVA
Ich komm gleich zu dir!
PETER
Rudre langsam,
Pass auf Maximilian auf!
EVA
Der Abendstern wacht
Über unserm Leben.
PETER
Die himmlische Venus
Führe dich sicher!
EVA
Ein Sturm zieht auf.
PETER
Hoher Wellengang!
EVA
Maximilian, halte dich fest
Am Rand des Bootes!
Verstehst du mich,
Maximilian, Peters Sohn?
PETER
Eva, bringe du mir
Den kleinen Maximilian,
Wie Mutter Maria uns
Das göttliche Kind gebracht.
EVA
Das Boot schaukelt!
PETER
Du bist stark, Eva,
Du schaffst das.
EVA
Das Boot, das Boot!
PETER
Gekentert! Ihr Götter!
EVA
Maximilian!
PETER
Er ertrinkt!
Mein Sohn! Mein Sohn!
EVA
Ich tauche nach ihm!
PETER
Eva! Maximilian!
EVA
Er ist tot!

(Eva am Ufer mit dem toten Maximilian.)

PETER
Tot mein Sohn! Mein Sohn tot!

(Längeres Schweigen.)

EVA
Was soll uns das sagen?
Alles hat einen Sinn.
Alles Äußere um uns
Kommt aus unserm Inneren.
PETER
Die himmlischen Götter
Oder soll ich sagen
Der schreckliche Gott
Hat uns gezeigt:
Nichts bindet mich mehr
An Anna,
Maximilians Mutter,
Ich bin frei,
Dich zu lieben, Eva!
EVA
Du glaubst, das ist
Ein Wink des Schicksals?
PETER
Gott der Vater selbst
Hat seinen Sohn geopfert,
Dass wir das Leben haben.
EVA
Das Opfer Maximilians
Soll das Fundament sein
Unsres Liebesglücks?
PETER
So wollen es
Die grausamen Götter
Oder das Schicksal.
EVA
Lass uns zuerst
Den Liebling begraben.
PETER
Wenn Maximilian
Begraben wird,
So werde ich mit ihm
Begraben unter der Erde,
Ich bin schon tot
Und wandle nur noch
Als Schatte auf Erden!
EVA
Wehe, wehe, wehe
Unsrer verhängnisvollen
Liebe auf Erden!
PETER
Welche schreckliche Schuld
Lastet auf unserer Liebe,
Für die Maximilian
Büßen musste
Mit seinem Tod?

FÜNFTE SZENE

(Eva liegt im Sterbebett. Peter sitzt auf einem Stuhl neben ihrem Bett.)

PETER
Warum willst du mich nicht?
EVA
Gott lehrte mich Verzicht.
Ich kann doch mein Glück
Nicht auf Maximilians Tod bauen.
PETER
Du darfst nicht sterben!
Lieber noch soll Anna sterben,
Nur du nicht!
Ich bete: Gott,
Nimm mir alles,
Nur diese scharlachrote Rose nicht!
Ich brauche dich,
Ich brauche dich zum Leben,
Ich brauche dich zum Atmen!
EVA
Ich will ganz Geist werden,
Engel werden
Und in der geistigen Anderswelt
Als körperlose Seele
Schweben im Licht.
PETER
Und darum isst du nichts mehr?
Iss und trink, Geliebte,
Und genieße das Leben mit mir.
EVA
Gib mir
Einen Aprikosenkern,
Mehr vertrage ich nicht.
PETER
Und was willst du trinken?
EVA
Eine Untertasse voll
Sauerkrautsaft,
Dann lass mich sterben.
PETER
Du darfst mich nicht verlassen!
Wie soll ich ohne dich
Leben in der Welt?
Du bist meine Sonne,
Du bist mein Licht,
Du bist mein Atem,
Du bist meine Seele!
Verlass mich nicht,
Du meine Seele,
Sonst sterbe auch ich!
EVA
Jetzt gehört meine Seele
Gott ganz!
PETER
Wer ist dein Gott?
EVA
Mein Gott ist der Gott,
Der Kraft ist,
Der voller Energie ist.
PETER
Wo ist er denn, dein Gott?
EVA
Im tiefsten Innern
Meiner Seele
Ist mein Seelengrund
Seinsmäßig eins
Mit meinem Jesus.
PETER
Und dein Atem
Ist der Atem Gottes.
EVA
Und ich hauche
Meine Seele aus
In die göttliche Kraft.
PETER
Wo soll ich hin
Nach deinem Scheiden?
EVA
Begrabe mich.
PETER
Wo soll ich dich begraben?
EVA
In der von mir gebauten
Kleinen Kapelle
Der himmlischen Sophia.
PETER
Wenn du stirbst,
Sterbe ich dir nach.
Im Elysischen Gefilde
Werden wir heiraten!
EVA
Nein, wir werden nicht
Heiraten im Jenseits,
Sondern wie Engel sein
Und alle Seelen lieben.
PETER
So bleibst du mir
In alle Ewigkeit
Versagt?
EVA
Die Liebe allein
Ist genug.

SECHSTE SZENE

(Anna allein in der Kapelle der himmlischen Sophia vor den aufgebahrten Leichnamen von Eva und
Peter.)

ANNA
Meine lieben Toten,
Ich träume oft von euch,
Dann seid ihr
Nicht tot.
Ihr kommt
Aus euren Gräbern
Und wandelt wieder
Wie einst im Leben,
Immer noch lebendig,
Wie auferstanden.
Ich kann nicht glauben,
Dass ihr tot seid.
Oft geschieht
In unserm Haus
Ganz seltsam Merkwürdiges,
Es knarren die Türen,
Es schlagen die Fensterflügel,
Das Licht geht plötzlich an,
Dann denke ich,
Meine Toten sind da.
Ich weiß nicht,
Ob ich den Verstand verliere.
Ich glaube ja nicht
An ein Leben
Nach dem Tode,
Und doch glaube ich,
Dass ihr lebt,
Dass ihr da seid,
Als gute Geister
Um mich seid,
Mein Maximilian
Wie ein Engel,
Peter und Eva
Wie lebende Seelen.
Ich glaube nicht
An den Himmel
Und nicht an ein Paradies
Über den Sternen,
Ich glaube,
Die Toten sind
Als gute Geister
Um mich herum
Auf Erden.
Und neulich, Eva,
Vor Schloß Charlottenburg,
Sah ich dich stehen
Am Rand der Straße,
Genauso schön,
Wie du im Leben warst.
Und noch einmal
Sah ich dich
Auf der ägyptischen
Museumsinsel,
Du große Kleopatra,
Du schöne Nofretete!
Und auch dich, Peter,
Sah ich beim Christusdom
Und im Lustgarten
Und du schautest ernst
Und freundlich mich an.
Und noch einmal
Sah ich dich
Vor einem Bücherladen
Und du legtest
Deine Hand
Auf das Buch,
Das ich lesen sollte:
Diotima!
Ihr Toten
Seid nicht tot!
Dem ewigen Leben
Lebt ihr alle!
Ach Maximilian,
Mein heiliger Engel,
Ich kann keinen Knaben sehen,
Der schön ist,
Ohne dass ich glaube,
Ich sehe dich!
So malen die Maler
Die Engel doch, wie Kinder,
Wie nackte Kindlein
Mit Flügeln an den Schultern.
Ich glaube zwar nicht
An die Engel,
Aber ich glaube doch,
Dass du, mein Maximilian,
Mein heiliger Engel bist!
Ich sage immer:
Ich glaube nicht –
Und dann sag ich doch:
Aber ich glaube –
Ich bin so einsam!
Ich bin so seelenkrank!
Alle, die ich liebte,
Sind tot!
Ich bin so verzweifelt,
Dass ich bete
In meiner Verzweiflung:
Hosianna, Hosianna!

SIEBENTE SZENE

CHOR DER SCHICKSALSGÖTTINNEN

Die Menschen,
Die Böses getan
Zu Lebzeiten,
Kommen nach dem Tod
In die Unterwelt,
In den Hades,
Dort leben sie
Als traurige Schatten
An den feurigen
Unterweltsflüssen
Und bejammern
Ihr Leben
Und verzehren sich
Vergeblich
Nach lockenden Früchten,
Ewig unerreichbar,
Und werden gerädert
Und schöpfen vergeblich
Wasser in löchrige Fässer.
Die flattern umher
Wie Fledermäuse
Und huschen umher
Wie piepsende Ratten
Und bangen
Vor dem Fürsten
Der Finsternis,
Dem schrecklichen Hades,
Vor dem kein Entrinnen ist,
Sondern in Ewigkeit
Sind sie leere Gespenster
In trüber Öde,
In ewiger Trübsal
Und nie getrösteter Trauer.

Aber die Menschen,


Die auf Erden
Nicht nur Böses getan,
Sondern auch Gutes,
Aber nicht nur Gutes getan,
Sondern auch Böses,
Die kommen
Nach dem Tod
In ein Zwischenreich,
Nicht in den Hades,
Nicht in Elysium,
Dort baden sie
In feurigen Flüssen,
Reinigen sich
Und bereuen
Alle ihre Fehler.
Die mittelmäßigen Seelen
Aus dem Zwischenreich
Teilen sich
In zwei Gruppen:
Die einen kommen
Nach der Reinigung
Nach Elysium,
Die andern aber,
Zur Buße ihrer Sünden,
Werden wiedergeboren
Und kommen erneut
In den Kerker
Eines Körpers
Und müssen wieder leiden
Auf Erden
Zur Buße ihrer Sünden.
Aber die guten Seelen
Kommen nach dem Tod
Nach Elysium,
Zu den Inseln
Der Seligen,
Zu den Gärten
Des Himmels,
Zu den Nymphen
Der oberen Wasser,
Zu den Jungfrauen
Der himmlischen Zelte,
Zu den Spiegeln
Der himmlischen Götter,
Zu schauen
Die göttliche Wahrheit,
Die göttliche Güte,
Die göttliche Schönheit!
Die Seelen der Guten
Im Elysäischen Gefilde
Fahren in Wagen
Gemeinsam mit den Nymphen
Zu den Chören
Der himmlischen Götter
Und schauen oberhalb
Der himmlischen Götter
Den König der Götter,
Den gastfreundlichen Gott,
Den Vater der Äonen,
Und leben in Ewigkeit
Bei dem Vater der Götter und Menschen
Gemeinsam mit den himmlischen Nymphen
In den heiligen Palästen des Vaters.

REQUIEM FÜR PRINZESSIN DIANA

ERSTE SZENE

(Frances Spencer, die Mutter der Prinzessin, mit ihren beiden Töchtern Jane und Sarah.)

JANE
O Mutter, nun Diana ist Prinzessin,
Denkst du an ihre Kindheit denn noch oft?
FRANCES
Mein Gatte Edmund, als er noch mein Mann war,
Er wollte, dass ich einen Sohn gebäre.
Zwei Töchter hab ich ihm zuerst geboren,
Ich habe Jane und Sarah ihm geboren.
SARAH
War er enttäuscht, dass wir nur Mädchen waren?
FRANCES
Nein, sondern voller Freude über euch
Der Vater Edmund und die Mutter Frances
Euch ließen taufen auf den Namen Jesu.
JANE
Doch Vater wollte einen Sohn als Erben.
FRANCES
Wir waren jung, noch blühend unsre Leiber,
Noch war mein benedeiter Schoß ja fruchtbar,
Ich war nach kurzer Zeit auch wieder schwanger.
SARAH
Da kamst du also mit Diana nieder?
FRANCES
Nein, sondern ich hab einen Sohn geboren!
JANE
Da war wohl Vater Edmund voller Glück?
FRANCES
Ja, da war voller Freude Vater Edmund,
Doch kurz nach der Geburt ist unser Sohn
Gestorben. Ach, zu kurz war unser Glück,
Wie voller Kummer war doch euer Vater
Und machte insgeheim mir einen Vorwurf,
Daß ich zwei Töchter lebend ihm geboren
Und einen Sohn und Erben tot gebäre.
SARAH
Doch ob ein Kind geboren wird und ob
Es dann ein Mädchen oder Junge ist
Und ob das Kind dann lebensfähig ist
Und ob es stirbt, das liegt in Gottes Hand.
FRANCES
Mein Gatte Edmund aber sagte immer:
Du, Frances, sollst mir einen Sohn gebären,
Gebären einen Knaben, der gesund ist,
Der meinen Adelstitel erben kann.
SARAH
Warst du da traurig wegen seinem Drängen?
FRANCES
Ich selber wollte auch ja einen Sohn!
Und als ich endlich wieder schwanger ward,
Da waren wir so voller Hoffnungsfreude,
Daß Gott der Herr uns einen Knaben schenke!
JANE
Gott aber schenkte damals euch Diana?
FRANCES
Ja, Gott verzeih mir, doch ich war enttäuscht!
Der Schöpfer schenkte mir die Frucht des Leibes,
Ich aber wollte ja nur einen Knaben!
Dies Kindlein, diese Leibesfrucht Diana,
War eine mächtige Enttäuschung nur,
Wir freuten uns so gar nicht über sie!
SARAH
Und darum trennte Vater Edmund sich
Von dir, weil du ihm keinen Sohn geboren?
FRANCES
Mein Gatte Edmund jagte mich davon!
Drei Töchter hatte er von mir und nahm
Mir alle meine Töchter weg und nahm
Den Töchtern ihre eigne Mutter weg,
Diana gab er einer Gouvernante.
JANE
Diana mochte diese Gouvernante.
FRANCES
Ja, sie hat ihre Amme mehr geliebt
Als ihre eigne Mutter, denn sie dachte:
Die eigne Mutter hat mich nicht gewollt!
Sie hat die Gouvernante angebetet
Und für die Kinderliebe sie geliebt.
Von dieser Gouvernante Kinderliebe
Diana lernte selbst die Kinderliebe.
SARAH
Doch Vater Edmund blieb ja nicht allein,
Er holte eine Freundin in sein Haus.
FRANCES
Stiefmütterchen des Märchens, böses Weib,
Diana hat des Vaters neue Freundin
Von Herzen abgelehnt, abscheulich fand
Sie dieses Weib, die wollte Gattin sein
Des Vaters, aber ohne Mutterliebe
Für Vaters kleine Tochter zu empfinden.
JANE
Was lernte wohl Diana aus der Kindheit?
FRANCES
Diana lernte aus der Kindheit, dass
Sie selbst nicht lebenswertes Leben sei,
Ist selbst nicht liebenswert und nicht geliebt,
Daß diese Welt ist voller Lug und Trug
Und dass die Erde keine Heimat sei.

ZWEITE SZENE

(Zwei Jugendfreundinnen der Prinzessin.)

ERSTE FREUNDIN
Nun unsre Freundin wurde zur Prinzessin,
Ich denke an die liebliche Diana.
ZWEITE FREUNDIN
Ja, wie wir nach dem strengen Internat
Zusammen lebten in der Wohngemeinschaft.
ERSTE
Denkst du noch gern zurück an unsre Schulzeit?
ZWEITE
Diana war nicht groß im Intellekt,
Doch war sie eine wahre Badenixe.
ERSTE
Ja, wer sie sah im blauen Wasser baden,
Der dachte, dass er eine Nymphe sähe,
So eine griechische Najade schwimmen.
ZWEITE
Ihr schlanker Körper pfeilte durch das Wasser,
Auch war sie schön wie eine junge Venus.
ERSTE
Ja, schön wie eine Venus, reine Jungfrau,
Sie war ja keine von den Buhlerinnen.
ZWEITE
Als wir zusammen in der Wohngemeinschaft
Als Mädchen lebten, fast wie Klosterschwestern,
Wie junge Nonnen eines Frauenordens,
Hast du den Intellekt denn je vermisst
Bei unsrer lieblichen Diana damals?
ERSTE
Nicht in der Theorie und Wissenschaft
Lag ihre Stärke. Eine andre Weisheit
Besaß Diana, eine Herzensweisheit.
In ihren Emotionen war sie klug
Und hatte Mitgefühl mit allen Schwestern.
ZWEITE
Ja, Empathie war ihre Herzensweisheit.
ERSTE
Das ist ja die besondre Frauenweisheit,
Das Menschliche zu lieben, alles Leben
Zu lieben und zu hegen und zu fördern.
ZWEITE
Die Männer mögen in der Theorie
Den Intellekt betätigen und den Verstand,
Doch wenn den Männern fehlt die Herzenswärme,
Wird einem kalt beim männlichen Verstand.
ERSTE
Mit einem Worte: Sie war eine Seele!
ZWEITE
Diana war ein ganz besondres Wesen!
ERSTE
Obwohl sie eine reine Jungfrau war
Und keusch und unberührt vor ihrer Ehe,
War sie als Jungfrau doch schon mütterlich,
Ja, sozusagen eine Jungfraumutter.
Zwar ihre Mutterschaft war da nicht leiblich
Und doch von mütterlichem Wesen war
Da ihre geistige Gesinnung, als
Sie Babysitterin in London war.
ZWEITE
Die Babys andrer Mütter nahm sie an
Als wären es die eignen Leibesfrüchte.
ERSTE
Ich glaube, weil sie selbst als kleines Kind
Sich nicht geliebt gefühlt von ihrer Mutter,
Drum fühlte sie mit diesen kleinen Babys
Und wollte ihnen Mutterliebe schenken.
ZWEITE
Ja, weil ihr selbst die Mutterliebe fehlte,
So wusste sie, wie wichtig diese Liebe,
Und dass die Babys in den ersten Jahren
So sehr nichts brauchen wie die Mutterliebe.
ERSTE
Der Jungfrau Herz war voller Mutterliebe,
So groß war ihre Mutterliebe, dass
Sie nicht ein Baby hüten wollte nur,
Nein, lieber einen ganzen Kindergarten!
ZWEITE
Wir Freundinnen, die wir wie Schwestern waren,
Zusammen lebten wie Novizinnen,
Wir konnten Tag für Tag Diana sehen
Bei ihrer Arbeit in dem Kindergarten.
Das war nicht nur Beruf zum Geldverdienen,
Das war Berufung zu der Mutterschaft.
ERSTE
Nicht jede Frau ist zwar berufen zur
Gelebten Mutterschaft in der Familie,
Doch wer als Jungfrau lebt zur Ehre Gottes,
Ist doch berufen auch zur Mutterschaft,
Die muß nicht leiblich sein, die kann auch geistig
Sich breiten über alle Menschenkinder.
ZWEITE
Die Männer lieben meist die toten Dinge,
Abstrakte Theorien kühl und sachlich,
Wir Frauen aber können Mütter werden,
Zusammen mit dem Schöpfer Leben schaffen,
Im Leibe fähig zu der Mutterschaft
Ist unsre Seele mütterlicher Art
Und liebt besonders das Lebendige
Und hegt und pflegt das Leben, liebt die Kleinen
Und ist barmherzig zu den Kranken, Armen.
Der Frauen Wesen ist Barmherzigkeit.

DRITTE SZENE

(Prinz Charles, Sohn der Königin Elisabeth, kommend von einer Fuchsjagd.)

CHARLES
Camilla ist ein schönes Frauenzimmer.
Die Königin und auch der ganze Hof
Entzückt ist von der lieblichen Diana,
Die aufgefallen ist dem ganzen Hof
Durch ihren Anstand, ihre Artigkeit,
Und alle wollen, dass ich ihr begegne,
Man arrangiert ein Treffen, also heute
Soll ich die junge Dame sehen, die
In London einen Kindergarten leitet.
Hier steh ich also vor dem Kindergarten,
Gleich läuten alle Glocken zu der Sext.

(Die Jungfrau Diana tritt aus dem Kindergarten. Sie trägt ein langes weißes Seidenkleid. Auf dem
Arm trägt sie einen kleinen blonden Knaben. Der Himmel über ihr ist bewölkt, aber eben, da die
Glocken zur Sext läuten, teilen sich die Wolken und die Sonne strahlt im Zenit. Die Jungfrau Diana
mit dem Knaben auf dem Arm wird umleuchtet vom Sonnenlicht. Das Sonnenlicht durchleuchtet ihr
weißes Seidenkleid, so dass das Kleid transparent wirkt.)

DIANA
Mein Prinz! Was wünscht mein Prinz von seiner Magd?
CHARLES
O Demut, eine Magd nennst du dich selber
Und scheinst doch eine Himmelskönigin!
DIANA
Ich bin nur eine Kindergärtnerin,
Mein Vater zwar stammt ab von altem Adel,
Ein Mädchen bin ich nur von sechzehn Jahren
Und wollt doch meinen Prinzen glücklich sehen,
Wenn ich es selber auch nicht wagen darf
Zu denken, dass ich glücklich machen könnte
Den Prinzen, der einst Englands König sein soll.
CHARLES
Zwar königliche Hoheit nennt man mich,
Doch bin ich nicht ein Funktionär des Staates.
Ein Mann bin ich mit einem Herzen, der
Auf Liebe hofft – was immer Liebe ist.
DIANA
Die Liebe einer Mutter zu den Kindern
Ist Brot, ist Kinderseelen Himmelsspeise.
Die Liebe einer Freundin zu der Freundin
Ist Seelenzwillingsschwesterschaft, ist Einheit
Im Denken und im Fühlen. Und die Liebe
Des Mannes zu der Frau – was weißt du, Charles,
Was weißt du von des Mannes Frauenliebe?
CHARLES
Was Dichter von der Liebe sagen, dass
Die ungestillte Liebe größer ist
Als die erfüllte Liebe in der Ehe.
DIANA
Ich glaube aber, dass im Himmel Ehen
Gestiftet werden, dass der Ehebund
Zwei Menschen so vereint, dass sie vereinigt
Ein einig Wesen werden, ähnlich Gott,
Und können mit dem Schöpfer Schöpfer werden.
CHARLES
Und Gott? Diana, was bekennt dein Glaube?
DIANA
Erzogen wurde ich zur Protestantin.
CHARLES
Und vor der Ehe die Jungfräulichkeit
Ist unumstößliches Gesetz für dich?
DIANA
Der Ruhm des Mädchens vor der Ehe ist
Jungfräulichkeit, so ist es Gottes Wille.
CHARLES
Du bist beliebt am Hof, du bist sehr schön,
Bist Jungfrau und als Protestant erzogen.
DIANA
Und was davon bewegt dein Herz am meisten?
CHARLES
Sag, liebst du Pferde? Reitest du auch gerne?
Ich lade dich zum Polo-Spiele ein.
Ich möchte gern dich näher kennenlernen.
Mein Herz – ein Mann muß ein Geheimnis haben.
Das hasst der Mann, wenn Frauen lesen können
In seiner Seele wie im offnen Buch.
DIANA
Mein rätselhafter Prinz! Wie gern wollt ich
Entschlüsseln das Geheimnis deiner Seele!
CHARLES
Du findest deines Prinzen Wohlgefallen.

VIERTE SZENE

(Saint Paul’s Cathedral. Die Hochzeit von Prinz Charles und Lady Diana. Der Erzbischof von
Canterbury traut das Paar nach dem Ritus der Kirche von England.)

ERZBISCHOF
Und wenn ich nun mit Menschenzungen rede
Und wenn ich nun mit Engelszungen rede
Und hätte ich die wahre Liebe nicht,
So wär ich nichts als eine Narrenschelle.
Und könnt ich prophezeien als Prophet
Und wüsst ich die Geheimnisse der Weisheit
Und wüsst ich, wie die Welt entstanden ist
Und wie der Mensch geworden ist und wie
Ein Gott in drei Personen existiert,
Und hätt ich einen felsenfesten Glauben
Und könnte so versetzen große Berge
Und hätte ich die wahre Liebe nicht,
Wär alles Eitelkeit der Eitelkeiten.
Und gäbe alle Güter ich den Armen
Und stürbe ich zuletzt als Marterzeuge
Und hätte ich die wahre Liebe nicht,
So wäre alles sinnlos vor dem Herrn.
Die Liebe ist geduldig, sie ist gütig,
Sie ist nicht eifersüchtig und sie prahlt nicht,
Sie ist nicht stolz und handelt auch nicht taktlos,
Sie trägt nicht nach das Böse, liebt das Recht
Und freut sich über Unrecht nicht, sie freut sich
Vor allem an der Wahrheit, sie erträgt
Die Prüfungen des Lebens und sie glaubt
Den ganzen Glauben, den der Herr gelehrt,
Sie duldet alles in Geduld und hofft
In Ewigkeit auf Gottes große Gnade.
Die Liebe hört nicht auf. Prophetentum
Und Zungenrede werden einst verstummen,
All die Erkenntnis ist auch nur ein Stückwerk
Und auch ein Stückwerk das Prophetentum.
Doch wenn dann das Vollkommne kommt, dann wird
Das Stückwerk abgetan. Als ich ein Kind war,
Da sprach und dachte ich auch wie ein Kind.
Jetzt, da ich aber Mann geworden bin,
Da leg ich alles ab, was kindisch ist.
Jetzt sehn wir alles wie durch einen Schleier,
Einst aber schaue ich das Angesicht.
Dann werde ich erkennen Gott den Herrn,
Wie Gott der Herr auch mich schon jetzt erkennt.
Wir haben Glauben jetzt und haben Hoffnung
Und Liebe, doch allein die Liebe bleibt.
Zwei Schwestern sind der Glaube und die Hoffnung,
Das schönste Mädchen aber ist die Liebe!
CHOR
O großer Gott, o Herr, wir loben dich,
Wir preisen deine große Macht und Kraft,
Vor dir verneigen Himmel sich und Erde
Und staunen deine Wunderwerke an!
ERZBISCHOF
Charles, willst du die jungfräuliche Diana
Vor Gott zu deiner Ehegattin nehmen
Und ehren sie und achten sie und lieben
In guten wie in schlechten Zeiten und
Ihr treu sein, bis der Tod euch scheiden wird?
CHARLES
Ich will. Ich nehm Diana zur Gemahlin.
ERZBISCHOF
Und du, jungfräuliche Diana, willst
Du Charles, den Prinzen, zum Gemahle nehmen?
DIANA
Ja! Ja, ich will, mit Gottes treuer Hilfe.
ERZBISCHOF
Prinz Charles, du darfst jetzt deine Gattin küssen.

(Sie küssen sich.)

CHARLES
(flüstert)
Jetzt will ich führen dich zu deiner Pflicht,
Als königliche Hoheit sollst du für
Das Volk von England deine Arbeit tun.
DIANA
(flüstert)
Millionen Menschen schauen uns jetzt zu,
Das ist die schlimmste Stunde meines Lebens.
KÖNIGIN ELISABTH
(flüstert ihrem Sohn zu)
Bist du verliebt auch in Diana, Charles?
CHARLES
(flüstert)
Was man Verliebtheit nennt! Was ist denn schon
Verliebtheit? Denk dir deinen eignen Teil!
ERZBISCHOF
Prinz Charles und Lady und Prinzess Diana,
Ihr seid vor Gott dem Herrn ein Ehepaar.
Gesegnet seid von Gott und Englands Kirche
Und allen Völkern von Britannias Zunge.
CHOR
So lobt den Herrn, den König aller Ehren,
Lasst Lobgesang zu euren Harfen schallen!

FÜNFTE SZENE

(Prinzessin Diana und die Republikaner Australiens.)

DIANA
Wo immer man Britannias Zunge spricht,
Dort ist das Reich von Englands Königin.
Ich bin hier als Vertreterin des Thrones,
Als Stellvertreterin der Königin.
REPUBLIKANER
Wir wollen, dass das Volk jetzt selbst regiert.
DIANA
Beginnen wir beim großen Meister Platon,
Der doch bevorzugt hat die Monarchie.
Dann denken wir auch an Ben Jonson, der
Dem Hof gedient von Englands Königshaus.
Der deutsche Dichter Goethe hat bevorzugt
Die Monarchie vorm Volk der Liberalen.
REPUBLIKANER
Wir wollen, dass die Menschen unsres Volkes
Sich die Regierung selber wählen, die
Die Interessen unsres Volks vertreten.
DIANA
Vier Jahre dann regiert euch die Regierung,
Dann wählt ihr neu. Dann kommt die Opposition.
So schwankt ihr immer zwischen der Regierung
Und ihrer Opposition, die eine wählt ihr,
Wenn sie euch schlecht regieren, wählt ihr dann
Die andern, die es auch nicht besser machen.
REPUBLIKANER
So müssen die Parteien sich bemühen
Im Wettstreit um die Gunst des Volkes, dass
Sie die Interessen ihres Volkes wahrhaft
Vertreten, dass sie klug politisch handeln.
DIANA
Doch die Partei, die dann an der Regierung
Gerade ist, die wird nichts unternehmen,
Was dem Geschmack des Volkes ist zuwider.
Sie machen ihre Politik nur so,
Daß bei den nächsten Wahlen wieder sie
Die Stimmen der Bevölkerung gewinnen.
So kann man nicht in Weisheit herrschen, so
Ist man ein Knecht der Launen nur des Volkes.
Projekte in der Politik, Jahrzehnte
Voraus bedacht, die werden umgestürzt
Beim nächsten Wahltermin, Kurzsichtigkeit,
Kurzatmigkeit bestimmt die Politik.
REPUBLIKANER
Das klingt vernünftig, o Prinzeß Diana.
DIANA
Ich habe in Neuseeland so gesprochen.
REPUBLIKANER
Neuseelands und Australiens Völker jubeln
Dir fröhlich zu, der englischen Diana,
Nicht nur Neuseeland und Australien jubeln
Dir zu, auch Nordamerika begeistert
War von dem Charme und Liebreiz der Prinzessin.
DIANA
Ja, Nordamerika war wie ein Tänzer,
Der tanzte mit der englischen Prinzessin.
REPUBLIKANER
Wie kommt es, königliche Hoheit, denn,
Daß du, Diana, in der ganzen Welt
Vertrittst die Monarchie Britannias, während
Prinz Charles allein bei seinen Pferden bleibt?
DIANA
Der Prinz ist eifersüchtig auf die Frau,
Die Weltberühmte, die Ikone Englands.
Er straft, indem er Liebe mir verweigert,
Er geht jetzt lieber beim Gestüt spazieren
Mit seiner Jugendfreundin, der Camilla.
REPUBLIKANER
Bei Demokraten ist es üblich, dass
Der Führer der Partei im Alter sich
Ein neues junges Mädchen holt ins Bett.
DIANA
Die Kirche aber hält die Ehe heilig.
REPUBLIKANER
Wir haben aber ein Gerücht gehört,
Leibwächter haben uns erzählt, dass du
Auch außerehelichen Beischlaf hattest.
DIANA
Zwei Söhne habe ich geboren, zwei
Kronprinzen, Söhne meines Ehemannes.
REPUBLIKANER
Ist unsre königliche Hoheit glücklich?
DIANA
Als ich mit meinen Söhnen niederkam,
Die postnatale Depression befiel
Mein mütterliches Herz, ich wurde traurig,
Ich weinte nur noch, musste immer weinen,
Ein Schwert durchbohrte meine Seele da,
In meinem Herzen steckten sieben Schwerter.
REPUBLIKANER
Wie können wir dich trösten, o Diana?
DIANA
Neuseelands Jubel und Australiens Jauchzen
Und auch der Tanz mit Nordamerika,
Die Liebe aller Menschen tröstet mich.
Wenn ich jedoch allein bin und verlassen,
Dann wein ich wieder. Gott zählt meine Tränen!

SECHSTE SZENE

(Prinz Charles und Prinzessin Diana in ihrem Gemach.)

CHARLES
Du denkst nur an den Ruhm noch in der Welt,
Daß dir die Menschheit applaudiert, Diana,
Das ist dir wichtig, aber nicht dein Mann.
DIANA
Ja, hätte ich doch einen Ehemann!
Doch seit die Welt mir applaudiert und jubelt,
Ziehst du dich in die Einsamkeit zurück.
CHARLES
Wenn ich mit dir nur reden könnte, aber
Du sprichst ja lieber mit der ganzen Menschheit.
DIANA
Du selber hast bei unsrer Hochzeit mir
Die Pflicht gezeigt, fürs Wohl der Welt zu wirken.
CHARLES
Zuerst doch für das Wohl des Ehemannes.
DIANA
Zwei Söhne hab ich dir geschenkt, zwei Söhne,
Ob ich nach der Geburt auch leiden musste.
CHARLES
Ja, du und deine Depressionen immer,
Ich will von deinem Jammer nichts mehr hören.
DIANA
Ach, wenn du wüsstest, wie verlassen ich
Mich fühle, von dem eignen Mann verlassen,
Verlassen von der Königin, dem Hof!
CHARLES
Zuletzt auch von dem lieben Gott verlassen?
DIANA
Ja, gottverlassen bin ich, das ist wahr,
Du kannst die Schmerzen ja nicht nachempfinden.
CHARLES
Das möchte ich auch nicht. Camilla denkt
Nicht nur an ihre eignen Seelenschmerzen,
Sie kreist nicht immer um ihr eignes Leid,
Sie kümmert sich sehr gut um meine Seele.
DIANA
Du gibst es zu, dass du mich schon verlassen
Im Herzen hast, mich ganz allein gelassen,
Daß ich allein mit meinem Elend bin
Und du, dieweil ich schlimmste Schmerzen leide,
Dich froh an einer andern Frau ergötzt.
CHARLES
Ich geb es zu, dass ich mich gut verstehe
Mit der vernünftigen Camilla, mehr
Als mit der immerleidenden Diana.
DIANA
Und so vermehrst du meine Seelenschmerzen!
In guten wie in schlechten Zeiten wolltest
Du treu mich achten, ehren und mich lieben!
CHARLES
Und du, du liebst dich selber nur, Diana,
Du badest dich in dem Applaus der Welt,
Der ganzen Menschheit dienst du als Geliebte
Und freust dich, wenn du angebetet wirst!
DIANA
Weil du mich längst verlassen hast und lieblos
Mich ganz allein in meinem Dunkel lässt,
Wirfst du mir vor, dass mich die Menschheit tröstet?
Du tröstest dich ja auch bei deiner Freundin.
CHARLES
Sie tröstet mich, Camilla tröstet mich,
Denn für Camilla bin ich Englands König.
DIANA
Wie tröstet sie dich denn? Wie weit geht schon
Der Trost Camillas, den sie dir gespendet?
CHARLES
Du bist ja gar nicht liebesfähig mehr,
Am Tag die strahlende Prinzessin du
Und Angebetete der ganzen Welt
Und in den dunklen Nächten weinst du einsam
Und schwemmst dein Bett allein mit Tränen.
DIANA
Camilla schwemmt ihr Bett mit Tränen nicht?
CHARLES
Camilla schwemmt ihr Bett mit Liebeswonnen!
DIANA
Im ehebrecherischen Bett genießt du
Die Liebeswonnen deiner Jugendfreundin,
Dieweil dein Eheweib in Tränen liegt?
CHARLES
Ja, ich genoss Camillas Liebeswonnen!

(Diana greift zu einem Messer, das auf einem Tischchen liegt, und schneidet sich Brüste und
Schenkel blutig.)

DIANA
Ich hasse mich! Ich hasse dieses Leben!
CHARLES
Hör auf mit diesem Wahnsinn! Selbstmord ists,
Was Judas von Iskariothes tat!
DIANA
Ja, wer am Abgrund steht, der hört den Spötter:
Den, der am Abgrund steht, den stoßt hinab!

SIEBENTE SZENE

(Prinz Charles, Königin Elisabeth, Lady Diana.)

DIANA
Ich kann es länger nicht ertragen, Charles,
Mit dir den Tisch und auch das Bett zu teilen.
Ich will mich trennen. Stimmst du dem nun zu?
CHARLES
Wenn ich mit meinem Herzen bei Camilla
In jedem Augenblicke bin, so kann ich
Mit dir nicht teilen Tisch und Bett, Diana,
Und darum stimm ich unsrer Trennung zu.
ELISABETH
Ich stimm der Trennung nicht zu! Lieben!
Was soll das Volk von England denken, wenn
Der Prinz und die Prinzessin nun sich trennen?
Sie werden fragen: Warum muss das sein?
CHARLES
Die Journalisten werden forschen, bis
Das ganz Private öffentlich geworden.
DIANA
Das Volk von England gibt dann mir die Schuld,
Dabei hat Charles die Ehe doch gebrochen.
ELISABETH
Das spielt doch keine Rolle. Das Private
Im königlichen Schlafgemach gehört
Nicht in die öffentlichen Zeitungsblätter.
DIANA
O Königin, dass mich dein Sohn betrogen
Und mit Camilla brach die Ehe, das
Soll ich wohl schweigend schlucken, Königin?
ELISABETH
Genug davon. Ich will nichts davon hören.
Nun, wenn es sein muß, stimme ich der Trennung
Von Tisch und Bett auf eine Weile zu,
Doch nie und nimmer einer Ehescheidung!
Ich bin ja doch das Oberhaupt der Kirche,
Die König Heinrich einst begründet hat
Und Königin Elisabeth die Große
Hat auch geführt die Kirche Englands, ich
Als Oberhaupt der Kirche Englands dulde
Nicht eine Ehescheidung, denn das ist
Im Sinn des Evangeliums doch Sünde.
Ich habt vor Gott das Ja-Wort euch gegeben
Und Treue euch geschworen allezeit.
DIANA
Charles hat ja diese Treue grad gebrochen.
Ich aber soll dann vor dem Volk von England
Als öffentliche Sünderin dastehen?
ELISABETH
Ihr trennt euch, doch ihr scheidet nicht die Ehe!

(Elisabeth und Charles ab.)

DIANA
Wenn sich der Prinz und die Prinzessin trennen,
Dann wird der Königshof das Volk von England
Belügen und betrügen, ich sei schuld,
Ich wäre fremd gegangen, außerhalb
Der Ehe hätte ich den Bodygard
Ins ehebrecherische Bett gelassen.
Und wenn man dieses Urteil erst gestreut,
Dann würde man auch Wege finden, um
Den Bodygard zu töten. Alle Welt
Ist jetzt begeistert von Diana, Schwärmer
Verehren mich auf dem Parkett der Welt
Und nennen mich Ikone von Britannien,
Keusch wie Elisabeth, die reine Jungfrau,
Elisabeth, die Jungfraunkönigin,
Die Edmund Spenser als Eliza pries,
Als Gloriana, Elfenkönigin.
Wenn mich der Königshof mit Schmutz bewirft
Und meine Ehre in den Dreck zieht, dass
Ich eine öffentliche Sünderin
Erscheine wie Maria Magdalena,
Und dann den Stab bricht über mir das Volk,
Die Schmach und Schande überlebt ich nicht.
In jeder Zeitung soll die Wahrheit stehen,
Daß Charles die Ehe brach, dass Charles Camilla
Vor unsrer Ehe schon geliebt und in
Und während unsrer Ehe auch geliebt
Und Liebe wie ein Dichter ihr gestanden
Am Telefon, ins Ohr geflüstert ihr,
Daß er sie liebe mehr als seine Frau,
Daß er sie liebe und es nicht bereue,
Daß er im ehebrecherischen Bett
Den Ehebruch vollzogen mit Camilla.
Das soll das Volk von England wissen, das
Soll alle Welt erkennen, dass nicht ich
Die Ehe brach, das soll die Menschheit wissen,
Vorm Richterstuhl der Weltgeschichte sollen
Als Zeugnis liegen seine Liebesbriefe,
Die er in ehebrecherischer Unzucht
Der vielgeliebten Konkubine schrieb.
Das macht mich krank! Das treibt mich in den Wahnsinn!
Verlassen von dem ganzen Königshof,
Verlassen von der Königin, vom Prinzen,
Bemakelt vor der Welt, der ganzen Menschheit,
Ja, öffentlich dem Schandpfahl preisgegeben!
Ich hasse dieses Leben! Wär ich tot!
Ach wär ich nie geboren! Wär ich nichts!
Ach, hätte Gott der Herr mich nie geschaffen!

(Sie weint bitterlich.)

ACHTE SZENE

(Königin Elisabeth, der Erzbischof von Canterbury, Prinz Charles, Prinzessin Diana.)

ELISABETH
Diana, dass dein Mann die Ehe brach,
Das ist zwar schlimm, doch soll man drüber schweigen,
Die Frau ertrage das und schweige still.
Doch dass du öffentlich bekannt gemacht
Im Schmutz des Zeitungswaldes diese Briefe,
Die Charles Camilla schrieb in seiner Torheit,
Das ist nicht zu verzeihen. So hast du
Der Monarchie und Englands Thron geschadet.
ERZBISCHOF
Die Königin Elisabeth und ich,
Der Erzbischof von Canterbury, sind
Der Meinung, dass das Fundament der Ehe
Zerstört ist, das Vertrauen ist gestört,
Die Liebe ist dahin. Der Prinz kann nicht
Einst König sein mit einer Königin,
Die in der Zeitung seine Schwäche bloßstellt.
Zum Wohl der Monarchie und Englands Thron
Stimmt unsre Kirche eurer Scheidung zu.
DIANA
Ich stimme dieser Ehescheidung zu.
CHARLES
Du wirst dich nicht Prinzessin weiter nennen,
Nicht königliche Hoheit wirst du weiter
Genannt, Diana, die Prinzeß von Wales,
Von Wales die königliche Hoheit ist
Jetzt nur Diana Frances Spencer noch.
DIANA
Und mein Vermögen, was wird daraus werden?
CHARLES
Ein kleiner Teil verbleibt dir noch, genug,
Ein angenehmes Leben dir zu machen.
ERZBISCHOF
Zwar Jesus wollte nicht die Ehescheidung,
Doch auch der Papst kann eine Ehe lösen,
Nun sind wir Protestanten, unsre Kirche
Wird von der Königin geführt und mir,
Und also seid ihr jetzt geschiedne Leute.
DIANA
Charles, werde glücklich mit Camilla, Charles.
CHARLES
Ich wünsche Tröstung deiner Depression,
Doch suche keine Tröstung beim Champagner!

(Königin, Erzbischof und Prinz ab.)

DIANA
(allein)
Nein, Königin von England will ich nicht
Mehr werden, aber Königin der Herzen,
Ja, Königin des Herzens aller Menschen.
Doch ach, ich bin die Königin der Schmerzen!
Ich hasse meinen eignen schlanken Körper!
Zwar muß ich essen, aber diese Speise
Ich speie aus! Ich hasse meinen Körper!
Die Menschen, ach, sie sagen: Sie ist schlank,
Sie ist so graziös wie eine Grazie,
Wie eine Charitin so schlank und schmal,
Wie eine Palme aus dem Garten Eden!
Schön, aber wissen diese Menschen auch,
Daß ich an einer schlimmen Krankheit leide?
Simone Vespucciani war die Venus
Der Renaissance, sie aber litt an Schwindsucht!
Der Venus Schwindsucht in der Renaissance
Ist heute der Diana Bulimie!
Ja, schrecklich ist das Wort: Die Bulimie
Ist gar nicht appetitlich, wenn ein Mädchen,
Um schlank zu sein wie eine Dattelpalme
Und weil sie ihren eignen Körper hasst,
Die ganze Speise ausspeit ins Klosett!
Die Venus, die frigide ist, die malten
Die Maler, wie sie frierend aus dem Bad kommt,
Die Venus aber, schlank wie eine Palme,
Die speit die Speise nach dem Fressen aus,
Die hat kein Maler je bisher gemalt.
Diana auch von Ephesos, die Dichter
Besangen die Diana oft als Jungfrau,
Als reine Jungfrau und als Große Mutter,
Doch welcher Dichter sang je die Diana,
Die leidet unter schlimmsten Depressionen?
Die Götter Griechenlands sind immer glücklich,
Die Venus immer schön und lebensfroh,
Diana immer keusch und immer rein,
Minerva immer klug und immer tapfer,
Allein Maria Mater Dolorosa
Mit ihrem Schmerzensmanne auf dem Schoß
Versteht mein Leiden, denn auch ich bin tot,
Ich lebe zwar, in Wahrheit bin ich tot,
Auch meine Seele ist gekreuzigt worden,
Auch meine Seele ward vom Schwert durchbohrt,
Auch meine Seele fuhr hinab zur Hölle,
Auch meine Seele kämpfte mit dem Satan,
Auch meine Seele war von Gott verlassen,
Auch meine Seele schmeckte die Verdammnis,
Auch meine Seele bettet sich im Schoß
Marias, Nostra Mater Dolorosa!

NEUNTE SZENE

(Lady Diana in Kalkutta, im Hospiz der heiligen Mutter Teresa, mit derselben.)

DIANA
O Mutter, ich bin auch ja eine Mutter,
Zwei Söhne habe ich geboren und
Vergesse meine Söhne nie und nimmer.
MUTTER TERESA
Die Tochter Zion klagte einst vor Gott:
Mein Gott, mein Gott, was hast du mich verlassen!
Da sagte Gott der Herr zur Tochter Zion:
Kann eine Mutter denn ihr Kind vergessen?
Und wenn die Mutter selbst ihr Kind vergäße,
Ich Gottheit, ich vergess dich nicht, mein Kind!
DIANA
Gott ist wie eine liebevolle Mutter?
MUTTER TERESA
Gott ist barmherzig. Die Barmherzigkeit
Der Gottheit ist wie viele Mutterschöße.
Die göttliche Barmherzigkeit ist ähnlich
Den Eingeweiden einer Mutter oder
Dem Uterus mit einer Leibesfrucht.
DIANA
Doch Jesus Christus ist ein wahrer Mann!
MUTTER TERESA
Doch Jesus, der barmherzige Erlöser,
In Polen einst zu einer Nonne sprach,
Daß alles, was im Weltall existiert,
In Jesu göttlicher Barmherzigkeit
Verborgen ist noch tiefer, inniger,
Als selbst die Leibesfrucht im Schoß der Mutter.
DIANA
Auch ich bin eine Mutter und ich liebe
Die Söhne, denen Leben ich geschenkt.
MUTTER TERESA
Maria sprach dereinst zu einer Mutter:
Du, liebes Kind, bist selber eine Mutter,
Fünf Söhne trugst du unter deinem Herzen,
Du willst gewiß nicht, dass auch eines nur
Verloren gehe in dem Totenreich,
Bedenke nun, wie ich erst leiden muß,
Die ich die Mutter aller Menschen bin,
Und die ich sehen muß, wie viele Seelen
Verloren gehen in der Unterwelt!
DIANA
Maria ist die Mutter aller Menschen?
Sie, die einst unterm Kreuz gelitten hat,
Die Mater Dolorosa mit dem Sohn?
MUTTER TERESA
Zweitausend Jahre ist es her, dass Jesus
Von Nazareth am Kreuz gestorben ist
Und dass Maria als die Schmerzensmutter
Und Miterlöserin mit ihm gelitten,
Doch Unsre Liebe Frau Maria leidet
Noch heute an den Leiden ihrer Kinder.
Diana, tröste du die Muttergottes!
DIANA
Wie könnte ich die Muttergottes trösten,
Die ich doch selber trostlos traurig bin.
MUTTER TERESA
Du kreise nicht mehr um dein eignes Leiden,
Dein Leid schließ ein im wunden Herzen Jesu,
Kreis um das Leiden Gottes in der Welt!
DIANA
Unfähig ist doch Gott der Herr zum Leiden,
Gott ist doch ewige Glückseligkeit!
MUTTER TERESA
Doch Gott ist Mensch geworden in dem Christus,
Die Gottheit hat die Menschheit angenommen,
Der Menschheit Leiden sind auch Gottes Leiden,
Gott leidet mit der Menschheit voller Mitleid.
Gott in der Menschheit hängt erneut am Kreuz
Und ruft: Mich dürstet, Mensch, nach deiner Liebe!
DIANA
Wie kann ich denn den Gott am Kreuze trösten,
Wie will der Gottmensch denn von mir geliebt sein?
MUTTER TERESA
Die Lieblinge des Höchsten sind die Armen,
Die kleinen Kinder und die Kranken und
Die Sterbenden. Und willst du Jesus lieben,
So liebe Jesus in den kleinen Kindern,
So liebe Jesus in den Armen, Kranken,
So liebe Jesus in den Sterbenden.
DIANA
Woher nehm ich das Übermaß der Liebe?
MUTTER TERESA
Wenn du den Waisenkindern Mutter bist
Und wenn du Sterbenden die Hände hältst,
Wird Gott dich lieben mehr als deine Mutter.
DIANA
Ach, meine Mutter hat mich nicht geliebt!
MUTTER TERESA
Doch Gott ist Caritas, ist große Liebe,
Gott hat nicht nur viel Liebe für Diana,
Gott ist die Liebe für Diana, Gott
Ist nicht nur Liebe unter anderm, sondern
Ist nichts als Liebe, Gott ist nichts als Liebe!

ZEHNTE SZENE

(Lady Diana und ein lepröser Mann, der im Sterbebett liegt.)

DIANA
Verzeih mir, guter Mann, du bist nicht schön.
LEPRÖSER
Ich weiß, das tut mir leid, Prinzessin, dass
Ich dich mit Schönheit nicht erfreuen kann.
DIANA
Ein schöner Mann, ein starker Mann, vielleicht
Ein Bodygard, das hat mich sonst gereizt,
Doch Mitleid regt sich nun in meinem Herzen.
LEPRÖSER
Mit mir hat keiner von den Menschen Mitleid,
Ich hoffe, Gott der Herr hat mit mir Mitleid.
DIANA
Ich ahne, dass es eine andre Liebe
Als Liebe zu dem Schönen gibt, als Eros,
Denn Eros ist die Liebe zu dem Schönen.
LEPRÖSER
Die Jugend und das Leben, das ist schön,
Die Krankheit und der Tod sind aber unschön.
DIANA
Die Mutterliebe, die ihr Kindlein liebt,
Die liebt ja sozusagen noch ihr eignes.
Das Mädchen, das den schönen Jüngling liebt,
Sie liebt vielleicht die eigne Lust allein,
Die dieser Jüngling ihr bereiten kann.
Doch warum fühle ich für dich am Rande
Des Todes hier in diesem Sterbebett
So eine süße und warmherzige
Barmherzigkeit in meinem weichen Herzen?
LEPRÖSER
Ja, wenn ich jung und schön noch wär, Prinzessin,
Ich war in meiner Jugend jung und schön,
Du neigtest dich vielleicht, mich anzubeten,
Vor meinen Reizen fielst du auf die Kniee,
Wenn du dann sagen würdest, du empfändest
Barmherzigkeit für mich, ich würde stolz
Empören mich und sagen, dass ich das
Nicht brauche, dass Barmherzigkeit und Mitleid
Für Schwache ist und nicht für Übermenschen.
Jetzt hat die Krankheit doch mich klein gekriegt,
Barmherzigkeit ist alles, was ich brauch.
DIANA
(umarmt den Leprösen)
Barmherzigkeit und herzliches Erbarmen
Empfinde ich für dich. Lass dich umarmen!
LEPRÖSER
In meiner Jugend war ich Kommunist,
Prinzessin, hätte man mir da erzählt
Von deiner königlichen Hoheit, hätte
Ich voll von revolutionärem Zorn
Gesagt: Hängt sie an der Laterne auf!
Die Kommunisten predigen den Hass,
Den revolutionären Hass, sie geben
Den Armen Waffen in die Hand, nicht Brot,
Parolen von dem Paradies auf Erden,
Doch halten sie nicht Sterbenden die Hand.
Ich weiß jetzt erst am Rande meines Todes
Die göttliche Barmherzigkeit zu schätzen.
In meiner Jugend war mir Jesus fremd,
Mein Gegen-Christus war mir damals Lenin.
Jetzt lieg ich hier, ein Wurm mehr als ein Mensch,
Jetzt fühl ich mich wie Jesus Christus selber,
Jetzt ist mir Jesus Christus nicht mehr fremd,
Jetzt bin ich Jesus, Jesus ist jetzt ich!
DIANA
Und wenn ich dich umarme, armes Würmlein,
Umarm ich nicht ein armes Würmlein nur,
In dir umarm ich Jesus Christus selbst!
LEPRÖSER
Bist du nicht bang, du strahlende Prinzessin,
Auch angehaucht zu werden von dem Tod?
DIANA
Ich weiß nicht, ob es wahr ist, was man sagt,
Napoleon, so sagt man, traute sich,
Pestkranke in den Zelten zu berühren.
Nicht, dass Napoleon die Welt erobert,
Hat mich erobert, sondern dass er ruhig
Pestkranken über ihre Stirnen wischte.
LEPRÖSER
Und wenn ich dich nun anhauch mit dem Hauch
Des Todes, wärest du bereit zu sterben?
DIANA
Da ich soeben Jesus selbst umarmte
Und seh des Heilands Angesicht in deinem,
So hab ich keine Angst mehr vor dem Tod.
LEPRÖSER
Ich sterbe bald. Doch du sollst noch den Kindern,
Den Waisen Afrikas zur Mutter werden.
DIANA
Ich will den Waisen eine Mutter werden.
LEPRÖSER
So laß mich jetzt allein. Gott segne dich!

ELFTE SZENE

(Angola. Lady Diana und ein Schwarzafrikaner vor einem Minenfeld.)

AFRIKANER
Schwarzafrika schreit auf zu Gott dem Herrn!
DIANA
Hört Gott in seinem Weltenregiment
Die Schreie auch des schwarzen Afrika?
AFRIKANER
Herr Jesus Christus heute ist ein Kind
In Afrika, ein kleines schwarzes Kind.
DIANA
Die Kinder Afrikas, sie schrein vor Hunger!
AFRIKANER
Der Internationale Währungsfond,
Die Weltbank gibt den Kindern keinen Maisbrei,
Sie denkt ja nur an ihre Diamanten.
DIANA
Der Internationale Währungsfond?
So haben also recht die Kommunisten?
AFRIKANER
Die Kommunisten geben Kindern Waffen.
DIANA
Ich hab gesehn so viele kleine Kinder,
Die von den Minen-Explosionen
Verkrüppelt sind. Ist Jesus jetzt ein Krüppel?
AFRIKANER
Ja, der Gekreuzigte ist jetzt ein Krüppel!
DIANA
Vom Bürgerkrieg die Minen liegen alle
Noch in der schwarzen Erde Afrikas?
AFRIKANER
Die Rüstungsindustrie zwar produziert
Landminen, und die Bürgerkriegsparteien
Landminen graben in den Boden ein,
Und kleine schwarze Kinder Afrikas
Verlieren durch die Bomben ihre Glieder,
Wenn sie nicht gar ihr Leben selbst verlieren,
Doch keiner tut was gegen diese Minen.
Angola ist ein Pulverfass geworden,
Angola bringt die eignen Kinder um!
DIANA
Ich selbst bin eine Mutter und ich weiß,
Daß Kinder erst das Leben herrlich machen.
AFRIKANER
Die Weißen lieben Kinder längst nicht mehr,
Schwarzafrika liebt seine Kinder noch,
Die Weißen töten ihre eignen Kinder
Und wollen, dass auch wir das selbe tun,
Sonst spenden sie nicht mehr der Korruption.
Wenn wir verbieten, Kinder abzutreiben,
Dann gibt uns Nordamerika kein Geld.
DIANA
Was kann ich gegen diese Minen tun?
AFRIKANER
Prinzessin, du bist in der Welt berühmt,
Sprich nur ein Wort, verdamme diese Minen!
DIANA
Mit Worten ist es nicht getan, mein Freund,
Ein Zeichen braucht die Welt, das sichtbar ist,
Die Fernsehbilder sagen heute alles.

(Diana winkt dem Kamerateam von Fernsehjournalisten.)

AFRIKANER
Was hast du vor, du lächelnde Prinzessin?
DIANA
Ihr Journalisten, tut ein gutes Werk
Und filmt mit eurer Fernsehkamera,
Was ich jetzt tu. O Welt, gib acht, gib acht!

(Diana schreitet todesmutig durch ein Minenfeld.)

JOURNALIST
Das habe ich gefilmt, Prinzessin, das
Soll sehn die ganze Welt, dass du
Dein weltberühmtes Herz aufs Spiel gesetzt!
Ich prophezei – obwohl ich Journalist
Und nicht Prophet bin – dass die weiße Welt
Den Atem anhält, wenn sie dieses sieht,
Die lächelnde Prinzessin todesmutig
Das Minenfeld durchschreitend, ja ich sage,
Dass die Regierungen der Welt beschließen,
Die Minen in der Erde zu verbannen.

(Lady Diana kehrt zurück von ihrem Gang durch das Minenfeld. Sie wischt sich den Schweiß von
der Stirn.)

AFRIKANER
Diana schreitet durch das Minenfeld!
JOURNALIST
Nobelpreis von dem Komitee des Friedens!
DIANA
Die Menschen können sich nicht Christen nennen,
Wenn sie nicht für die ärmsten Kinder kämpfen!
AFRIKANER
Die für die Kinder Afrikas gekämpft,
Die hat gekämpft für unsern armen Jesus!

ZWÖLFTE SZENE

(Paris, an der Stelle, wo Diana tödlich verunglückte. Eine Woche nach ihrem Tod. Zwei
Journalisten.)

ERSTER JOURNALIST
Wir fuhren ihrem Wagen hinterher,
Diana saß in dem Mercedes hinten
Und Dodi war bei ihr, Dianas Freund,
Der Fahrer hatte Alkohol getrunken.
Wir Journalisten jagten hinterher,
Ein Foto zu erhaschen von Diana.
Der Fahrer des Mercedes fuhr sehr schnell,
Sie wollten fliehen vor den Journalisten.
ZWEITER JOURNALIST
Das war was andres doch als eine Fuchsjagd,
Wo Reiter mit den Hunden Füchse jagen.
ERSTER
Als der Mercedes war in voller Fahrt,
Da kam ein Journalistenwagen ihm
Entgegen auf der andern Straßenseite,
Der Journalist wollt auch ein Foto machen
Von Dodi und Diana, und er schoss
Ein Foto in der Nacht, der Blitz jedoch
Des Fotoapparates blendete
Den Fahrer des Mercedes, dass der Fahrer
Vom Weg abkam und einen Unfall baute.
Diana starb nicht gleich am Unfallort,
Sie kam noch in Paris ins Krankenhaus,
Sie starb an inneren Verletzungen.
ZWEITER
Sind ihre letzten Worte überliefert?
ERSTER
Sie stöhnte noch: Mein Gott, ich liebe dich!
ZWEITER
Ich war ja auch bei der Begräbnisfeier,
Man hörte dort das Requiem von Verdi.
Ich sah Diana auch im Sarge liegen,
Gefaltet ihre Hände vor der Brust,
In ihrer Hand hielt sie den Rosenkranz,
Den Sankt Teresa von Kalkutta ihr
Geschenkt. Wer weiß, ob sie ihn oft gebetet?
ERSTER
Ja, Sankt Teresa von Kalkutta, heute,
Grad sieben Tage nach Dianas Tod,
Gestorben ist Teresa von Kalkutta.
ZWEITER
Komm, Kamerad, lass uns den Ort verlassen.

(Journalisten ab. – Geistererscheinung am Unfallort. Die Seele der Prinzessin Diana im langen
feuerroten Kleid und die Seele der heiligen Mutter Teresa im langen weißen Kleid, sie begegnen
sich.)

SEELE DIANAS
Ich irrte sieben Tage hier herum,
So war verwirrt ich über meinen Tod,
So jäh herausgerissen aus dem Leib,
Unvorbereitet ist die Seele dann
Und findet sich im Tode nicht zurecht.
Ja, sieben Tage blieb ich in Paris,
Jetzt bist auch du gestorben, liebe Mutter?
SEELE DER MUTTER TERESA
Ja, Gott der Herr hat mich auch heimgerufen.
Ich lebte dreißig Jahre in der Nacht,
Der dunklen Nacht der Seele, da ich nichts
Geschmeckt mehr von der süßen Liebe Gottes,
Und doch hab ich geglaubt an Christi Kreuz
Und mich bemüht, den Durst des Herrn zu stillen.
Jetzt ruft der Herr mich in die Seligkeit.
Ich bin gekommen, um dich mitzunehmen.
SEELE DIANAS
Ich darf zu Gott? Ich arme Sünderin?
Jetzt bin ich nicht mehr die Prinzessin, jetzt
Bin ich nur noch die arme Sünderin.
SEELE DER MUTTER TERESA
Diana, komm, wir gehen zu dem Richter
Der Lebenden und Toten, Jesus Christus.
Hab keine Angst, hab keine Angst vor Christus,
Es ist der Jesus der Barmherzigkeit,
Der richten wird uns nach dem Maß der Liebe,
Die wir gelebt in unserm Leben haben.
Ja, unsre Richterin ist Gottes Liebe,
Die göttliche Barmherzigkeit in Christus!
SEELE DIANAS
Ich fühle wie ein Feuer in der Seele
Die Glut der Sehnsucht nach der Liebe Gottes!
SEELE DER MUTTER TERESA
Nimm meine Hand, Diana, meine Tochter,
Ich führe dich zur Mater Caritas,
Du sollst ausruhen in dem Paradies
Und jetzt das wahre Leben erst beginnen.
SEELE DIANAS
O Jesus, laß mich ruhn in deinem Schoß!

(Die beiden Seelen schweben aufwärts.)


ROBIN HOOD UND MAID MARIAN

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(Im Walde Sherwood Forest. Robin Hood, Maid Marian, Bruder Tuck und Schäfer und
Schäferinnen.)

ROBIN HOOD
Ich lade alle meine Hirten ein
Und mit den Hirten alle Schäferinnen.
Der Frühling kommt, der neue Liebesfrühling!
Mit einem Fest begrüßen wir den Frühling.
O meine allerschönsten Schäferinnen,
So schön wie Nymphen von Arkadien,
Najaden, badend in den klaren Flüssen,
Wie Mutterschafe, tauchend aus der Schwemme,
Ist jede Nymphe wie ein Mutterschaf,
Hat Zwillinge geboren reinster Lämmer.
Ihr wandelt immer über grüne Hügel
Mit euren Widdern, Mutterschafen, Lämmern,
Geht friedevoll spazieren an den Wassern,
Stets tragen eure Lämmer kleine Glöckchen,
So könnt ihr hören, hat sich eins verirrt
Und blökt verzweifelt wo in einem Dornstrauch.
Kommt, ob auch der Tyrann im Lande herrscht
Und Löwenherz am Heiligen Grabe kämpft,
Wir wollen feiern, wollen freudig sein.

(Er wendet sich an seine Herrin, Maid Marian.)

Maid Marian, o vielgeliebte Herrin,


Was brauchen heute wir zu einem Festmahl?
Geh, Jungfrau-Braut, und jage einen Hirsch!
Geh jagen in dem Walde Sherwood Forest,
Ob du den grünen Hügel wiederfindest,
Wo du gesehen hast das junge Reh,
Wo du gehört aus schwarzem Fichtenwalde
Das Röhren eines Hirsches in der Brunft!
O, wenn der Hirsch in seiner Brunftzeit ist,
Dann wage keiner sich in seine Nähe,
Selbst Büffel haben vor dem Hirsch dann Angst,
Ihm pendelt mächtig hin und her das Glied
Und aggressiv ist er vor Manneskraft
Und jeglicher Rival wird aufgespießt.
MAID MARIAN
Einst sah ich einen Hirsch im Fichtenwalde,
In seinem vierzehnendigen Geweih
Sah strahlen ich ein goldnes Kruzifix.
Ja, Robin, ich besorge dir den Hirsch,
Ich jage dir den Hirsch zu einem Festmahl.

(Robin wendet sich an den dicken Bruder Tuck.)

ROBIN HOOD
Mein lieber Bruder Tuck, mein dicker Pfaffe,
Mein heiliger Kaplan und auch mein Mundschenk,
Du dickes Weinfass mit der roten Nase,
Besorge du den Rotwein für das Fest!
BRUDER TUCK
O Engel Frankreichs, Engel, sei uns gnädig!
O Seele Frankreichs, hab mit uns Erbarmen!
Einst Missionare einer Sekte wollten
Im Süden Frankreichs predigen Askese,
Ja, sprachen diese überschlauen Weisen,
Wollt ihr wie Engel schon auf Erden sein,
Enthaltet euch des Weines, lieben Brüder!
Die seligen Franzosen, Katholiken
Von Fleisch und Blut, vertrieben diese Ketzer!
ROBIN HOOD
Was predigst du mir von der Seele Frankreichs?
Ich bat dich nur um guten roten Wein.
BRUDER TUCK
Verliebt bin ich, ach, in den Engel Frankreichs,
Ist Frankreichs Zunge doch der Engel Zunge!
ROBIN HOOD
Mein Engelland wird aber eifersüchtig,
Mein Engelland ist doch das Land der Engel.
BRUDER TUCK
Jeanne d’Arc und Ritter Georg sind sich einig
Und streiten sich im Paradiese nicht.
ROBIN HOOD
Zurück nun zu den ganz profanen Dingen:
Gibt’s guten Rotwein auch auf unserm Fest?
BRUDER TUCK
Den Wein von Chios trank bereits Homer
Und Salomo den Wein vom Libanon,
Hafiz trank seinen Rotwein von Shiraz
Und ich in meiner Jugend den Bordeaux.
Jetzt aber hat ein dicker Klosterbruder
Mich auch auf den Geschmack gebracht, dass ich
Den Rotwein Saint Pétrus genießen kann.
Ansonsten gibt es Chateau-Neuf-du-Pape,
Den tranken Päpste schon in Avignon.
ROBIN HOOD
Ich bin zufrieden, lieber Bruder Tuck.
Das ist das Himmelreich auf Erden schon,
Beim guten Wein zu sprechen mit den Freunden.
BRUDER TUCK
Ja, paradiesisch soll das Küssen sein,
Noch paradiesischer ist mir der Wein!

(Die eingeladenen Gäste erscheinen am Waldrand. Robin Hood geht ihnen entgegen, begrüßt sie
herzlich und führt sie in sein Lager.)

ROBIN HOOD
O lieben Brüder, vielgeliebte Schwestern!
In dieser finstern Zeit, da der Tyrann
Den Gnadenstuhl des Königs usurpiert
Und Unterdrückung herrscht im Vaterland
Und Arme klagen über hohe Steuern,
Da wollen wir nicht mutlos werden, Freunde.
EIN HIRTE
O Robin Hood, du Heros, halte durch!
Du darfst nicht mutlos werden, Robin Hood!
Wir sind nur eine kleine Truppe, aber
Sehr viel vermag ein kleines Volk Gerechter!
ROBIN HOOD
Verscheucht die Traurigkeit, die schwarze Schwermut,
Verscheucht die Fledermaus der Melancholie!
Die Sonne gehe auf in euren Herzen
Und singt ein Liebeslied dem Herrn und Hirten.

(Eine Hirtin nimmt die Flöte und bläst die Flöte und ein Hirte singt dazu den Psalm.)

HIRTE
(singt)

Jehowah ist der Gute Hirte,


Er führt mich auf die grüne Au.
Mit frischem Wasser mich bewirte,
Erquicke mich mit Morgentau!

Des Guten Hirten Stab und Stecken


Führt Pfade der Gerechtigkeit,
Die Seele neu mir zu erwecken
Aus finstrer Nacht der Traurigkeit.

Und muß ich durch das Tal der Tränen


Und muß ich durch das Jammertal,
Jehowah hört mein Seufzen, Stöhnen,
Zählt meine Tränen ohne Zahl.

Jehowah füllt mir voll den Becher


Und deckt mit Speise mir den Tisch,
Beim vollen Becher bin ich Zecher,
Die Speise macht mich wieder frisch.

Die süße Güte mich begleitet,


Bei mir ist die Barmherzigkeit,
Bis Gottes Huld mich heimgeleitet
Ins schöne Haus der Ewigkeit!

ZWEITE SZENE

(Die Leute Robin Hoods und die Hirten tummeln sich fröhlich im Wald und im Lager. Aber abseits
sitzt traurig der Hirte Amour. Robin Hood bemerkt den Einsamen und gesellt sich zu ihm.)

ROBIN HOOD
Du siehst so traurig aus, mein armer Hirte,
Ich seh es dir doch an, du hast geweint.
Sag, was betrübt dich so, geliebte Seele?
AMOUR
Ach, meine Vielgeliebte ist gestorben,
Carina ist gestorben, meine Liebe!
ROBIN HOOD
Das tut mir leid, Amour, mein lieber Hirte,
Willst du mir von Carina nicht erzählen?
AMOUR
Wie fehlt sie mir! Wie einsam bin ich jetzt!
Jetzt weiß ich erst, wie sehr ich sie geliebt!
Ich hab zwar alles stets für sie getan,
Doch hab ich ihr nicht oft genug gesagt,
Daß ich sie liebe. Ach, jetzt ist sie tot!
ROBIN HOOD
Gewiss doch ihre Seele schwebt um dich.
AMOUR
Ich fühl auch immer, dass ein Engel ist
In meiner Nähe, eine Engelin
Von zärtlichsanfter Art und liebem Wesen
Und immer sag ich meinem Engel: Engel,
Ich liebe dich! Ach, tröste meine Seele!
ROBIN HOOD
Willst du dir eine neue Freundin suchen?
AMOUR
Nie wieder wird es solch ein Wesen geben,
Denn einzigartig war die Vielgeliebte.
Gott selber könnte nicht noch einmal schaffen
Ein solches liebes Mädchen, schön und treu.
ROBIN HOOD
Wie war Carina denn? Erzähl mir, Lieber!
AMOUR
Ach, schön war sie wie eine Schönheitsgöttin,
Wie eine Venus aus dem dritten Himmel,
Und treu war sie wie Gottes Bundestreue,
Und menschenliebend war sie wie der Geist
Der Weisheit, der doch alle Menschen liebt.
Sie liebte die Natur und alle Liebe,
Sie liebte die Familie, alle Kinder,
Ihr war das Leben heilig, alles Leben,
Sie spielte schön die Zymbeln, tanzte schön,
Die Flöte blies sie gut und küsste süß,
War eine große Küsserin vor Gott!

(Bruder Tuck tritt hinzu.)

BRUDER TUCK
Wo alle Christen also fröhlich sind,
Was schaut denn ihr so unerlöst die Welt an?
ROBIN HOOD
Amour ist traurig, lieber Bruder Tuck.
BRUDER TUCK
Todsünde ist die Melancholie und Schwermut.
ROBIN HOOD
Ach Bruder Tuck, Amour ist voller Trauer,
Carina, seine Liebe, ist gestorben.
BRUDER TUCK
Amour, glaubst du an die Unsterblichkeit?
AMOUR
Ich glaube an die Ewigkeit des Lebens.
BRUDER TUCK
So tröste dich mit dem Gedanken, dass
Carina jetzt im Himmel lebt bei Gott.
So bete du für ihre Seele täglich
Und sie wird dir zu deinem Engel werden.
AMOUR
So ist es sicher, lieber Bruder Tuck,
Doch ich muß immer weinen, immer weinen,
Nicht will sich meine Seele trösten lassen.
ROBIN HOOD
Nun, Bruder Tuck, wenn das Gebet nicht hilft,
Was rät der selige Kaplan alsdann?
BRUDER TUCK
Der Weise spricht, genauer, seine Mutter
Belehrt den Sohn: Ein König soll nicht trinken,
Nicht trinken Wein und Bier und scharfen Schnaps
Und seine Kraft auch nicht den Weibern geben,
Jedoch der Elende und Jammervolle
Soll trinken gelbes Bier und roten Wein
Und wenn das Bier und wenn der Wein nicht hilft,
Dann scharfen Pflaumenschnaps und Feigenschnaps!
AMOUR
Solch einen breiten Becher gibt es nicht,
Um meinen Tränenstrom hineinzugießen.
ROBIN HOOD
Amour, nur hänge dich nicht selber auf!
Der Frühling kommt doch bald, sei voller Hoffnung,
Im Frühling lacht auch dir das Leben wieder!
BRUDER TUCK
Ja, die Druiden prophezeien alle,
Ein neuer Menschheitsfrühling wird beginnen
Und Liebesfeuer gießt sich auf die Erde!
AMOUR
Was soll mir alle Lust des Lenzes denn,
Wenn mir Carinas Busen nicht mehr hüpft?

(Amour erhebt sich und geht von Robin Hood und Bruder Tuck fort und sucht eine einsame Stelle
unter einem Kastanienbaum. Er umarmt die Kastanie und weint. Nach einer Weile des Weinens
spricht er leise.)

Du Elfe, die in der Kastanie wohnt,


Du Elfe, höre meine Arme Seele!
Ach Elfe, Elfe, jeder will mich trösten,
Ein jeder Mann mit seiner Menschenweisheit
Vernünftig sucht zu trösten meine Seele,
Doch will die Seele sich nicht trösten lassen.
Ja, den Verstand erreichen ihre Reden,
Dem Herzen aber scheinen sie ein Hohn.
Die starken Männer, denen nicht geraubt
Der Tod ihr Liebstes, sie verstehn mich nicht.
Ach Elfe, Robin Hood hat immer noch
Maid Marian als Hilfe an der Seite
Und Bruder Tuck ist ja vermählt mit Gott
Und trinkt die Liebe Gottes in dem Wein.
Ich nur allein, ich bin so elend ganz,
Ein Waisenkind im ganzen Universum!
Schon fällt unheimlich mich der Wahnsinn an
Und näher als den Männern dieser Welt
Fühl ich dem Mond mich und den Feen und Elfen.
Soll alle Welt am Tage fröhlich sein,
Ich will zur Nacht alleine einsam weinen.
Ja, Elfe, keine Frau wird mich verstehen,
Doch du bist keine Frau von dieser Welt,
Ein unsichtbares Wesen du aus Geist,
Ganz reine Seele, nichts als nur Gefühl,
Empfindsam, zärtlich, mütterlich voll Mitleid.
Dir nur vertrau ich meinen Kummer an,
Dir nur gesteh ich: Ich will traurig sein,
Denn in den Trauertränen meines Kummers
Erscheint im Angedenken meiner Liebe
Carina wieder mir vorm Herzensauge.
Nur, dass ich diesen Kummer tragen kann
Und nicht zerbreche am Gewicht des Jammers
Und mir nicht schließlich selbst das Leben nehme!
Bei Gloriana, Königin der Feen,
O Elfe, bitt ich dich, sei du mein Trost,
Die du in der Kastanie wohnst, o Elfe,
Sei du die Trösterin des Desolaten!

DRITTE SZENE

(Maid Marian kommt von der Jagd, zwölf Jäger um sie, die einen erlegten Hirsch bringen. Robin
begrüßt seine Herrin.)
ROBIN HOOD
Maid Marian, da bist du endlich wieder!
MAID MARIAN
Ja, komm nur zu mir, du mein Vielgeliebter!
ROBIN HOOD
Wie schön du bist in deinem weißen Kleid,
Das von dem Scheitel zu den Füßen fällt!
Allmächtige Prinzessin meiner Seele!
Mich fragte einst ein weiser alter Mann,
Ob du die göttliche Diana seist?
MAID MARIAN
Diana! Kennst du von der Jungfraungöttin
Den Mythos auch des elenden Aktäon?
ROBIN HOOD
Aktäon ging im Frühling in den Wald
Und wandelte bei Eichen und Kastanien
Und kam zu einem still verschwiegnen Waldbad
Und sah die göttliche Diana dort
Im Bade nackt, verschleiert kaum vom Nebel
Des Morgens, badend ihren nackten Leib.
Da sah die göttliche Diana ihn
Und gleich verhexte sie in einen Hirsch
Den selig-elenden Aktäon, der
Die Göttin nackt gesehen in dem Bade
Und floh als Hirsch nun durch den grünen Wald.
Die göttliche Diana aber hetzte
Die Hündin der Diana hinterher.
Die Hündin Luna jagte hinterher
Und riß den Hirsch in Stücke und zerfleischte
Aktäon, der die Göttin nackt gesehen.
MAID MARIAN
Ich komme eben von der Hirschjagd auch,
Doch habe ich gejagt den echten Hirsch,
Nicht einen Mann mit eines Hirsches Maske.
ROBIN HOOD
Es gibt doch eine alte Melodie,
Die wird genannt: Die Melodie vom Hirsch,
Vom Hirsch, der ward im Morgenrot gejagt.
MAID MARIAN
Nein, Robin, so heißt nicht die Melodie,
Es heißt die Melodie: Die Melodie
Von einer Hirschkuh, die im Morgenrot
Gejagt ward von den Jägern und den Hunden.
ROBIN HOOD
Ja, Gottes Weisheit ist wohl eine Hirschkuh,
Die noch am Abend meines Lebens wird
Erquickend wie die Jugendliebe sein.

(Maid Marian und Robin Hood treten beiseite. Die zwölf Jäger tragen den Hirsch in die Küche.)

MAID MARIAN
Mein Schatz, ich bin geboren für die Liebe!
ROBIN HOOD
Maid Marian, wenn ich bei Bruder Tuck
Gebeichtet hab und Absolution empfangen,
Dann muß ich immer auch vor dir noch beichten,
Und wenn du lächelst über meine Sünden,
Dann scheint es erst mir, dass der Herr mich segnet.
MAID MARIAN
Was musstest du denn wieder beichten, Liebster?
ROBIN HOOD
Ich musste beichten meinem Gott und Herrn,
Daß oft ich in der Finsternis des Spleen
Nicht mehr zu Jesus Christus beten kann,
Daß ich dann bet zu dir, Maid Marian!
MAID MARIAN
Und wenn du betest zu Maid Marian,
Hat dir Maid Marian auch schon geholfen?
ROBIN HOOD
Der Bruder Tuck hat einmal mir geraten,
Zu reden auch recht oft mit meiner Seele
Und meiner eignen Seele zuzureden:
Was bist du denn so traurig, meine Seele?
Hab nur Geduld, Gott wird dir schon noch helfen!
MAID MARIAN
Nach Winterfrost kommt Frühlingssonnenschein.
ROBIN HOOD
Da wollte ich mit meiner Seele reden,
Da sprach ich doch nur mit Maid Marian,
Maid Marian, so nannt ich meine Seele.
MAID MARIAN
O treuer Freund, ich sage allen Leuten,
Wie gut du zu mir bist, wie klug du bist,
Daß du mein Retter warst in jeder Not,
Die ganze Welt weiß schon von unsrer Freundschaft,
Und wenn wir nicht mehr auf der Erde sind,
Dann wird man singen erst von Robin Hood,
Dein Name, Guter, wird nicht untergehen.
ROBIN HOOD
Und wenn man auch dereinst in Engelland
Von Robin Hood noch wird Balladen singen,
Dann wird mit Robin Hood gefeiert werden
Maid Marian, dein Name ist unsterblich.
MAID MARIAN
Unsterblich lebt mein Name fort durch dich!
Oh, das ist eine ganz besondre Liebe!
ROBIN HOOD
Und in dem Apfelgarten Avalon
Sind wir in Ewigkeit vereint, Geliebte!

(Die zwölf Jäger kommen wieder und gesellen sich zu Robin Hood und Maid Marian.)

EIN JÄGER
Der Hirsch ist abgeliefert in der Küche.
ROBIN HOOD
Erzählt mir von der Jagd, ihr meine Jäger,
Maid Marian, wie war sie auf der Jagd?
DER JÄGER
Maid Marian, wie ritt sie auf dem Roß!
Mir war, ich schaute eine Göttin jagen!
Mit ihren Schenkeln lenkte sie das Roß,
Das kräftig sie mit ihren Schenkeln peitschte!
MAID MARIAN
Ich werde niemals eine Stute peitschen!
JÄGER
Verzeih den Ausdruck, meine hohe Herrin!
Ich meine nur, Maid Marian geritten
Ist wie ein Dichter auf dem Flügelpferd,
Wie der Prophet ritt in den Garten Eden!
Es war, als hielte sie in ihrer Rechten
Die Fackel Amors, um die ganze Welt
In Feuersbrünsten zu verbrennen! Und
An ihrer Lende in der Scheide steckte
Das scharfe Schwert mit seiner scharfen Schneide!
Die Brüste aber quollen aus dem Kleid!
MAID MARIAN
Die Brüste quollen! Jäger, wie du redest!
JÄGER
So hetzte sie den armen Hirsch zu Tode!
MAID MARIAN
Nein, Robin Hood, das war ganz anders. Also,
Ich schlich mich leise einsam durch den Wald
Und kam auf eine leere Hügellichtung
Und sah auf dieser Hügellichtung weiden
Ein junges Reh, so schlank, so braun das Fell!
Doch an dem Rande dieser Hügellichtung
Sah ich den Hirsch mit mächtigem Geweih,
Ihm zwischen seinen Beinen baumelte
Das Hirschglied in potenter Manneskraft
So hin und her in wilden Zuckungen!
Da legte ich den Pfeil auf meinen Bogen
Und spannte meines Bogens Sehne straff
Und schoß den Pfeil direkt ins Herz dem Hirsch!
ROBIN HOOD
Ob du die göttliche Diana bist,
Maid Marian, die Göttin-Jägerin
Diana bist und ich dein Hirsch Aktäon?
MAID MARIAN
Mein Freund, ich bin doch nur ein scheues Reh,
Ich bin doch eine sanfte milde Hirschkuh.
Schau, meine Brüste hopsen wie Gazellen,
Die Augen schaun wie Antilopenaugen.
ROBIN HOOD
Gazellenzwillingskitze deine Brüste!
VIERTE SZENE

(Madel, eine Hexe von vierzig Jahren, mit langen feuerroten Locken, sehr schlank, kommt in Robin
Hoods Lager.)

MADEL
Ich traf im Walde einen deiner Jäger,
Er lud mich ein zu dieser Festlichkeit.
ROBIN HOOD
Du bist die Hexe doch vom Pappelhage?
Du wohnst doch bei den großen Hünensteinen?
MADEL
Ja, was ihr Christen eine Hexe nennt!
Doch Hexe kommt von Hag und das heißt Garten,
Maria wohnt doch auch im Rosenhage,
Denn Hag, das heißt Gehege, heißt behaglich,
Behagliches Gehege ist mein Hag,
Ja, Hag, das kommt vom Worte Hagios,
Und Hagios, das ist die Heiligkeit.
Denn Heiligkeit heißt abgesondert sein
Von dieser Erdenwelt, um ganz allein
Vertraut mit seiner Gottheit nur zu leben.
ROBIN HOOD
Wer ist denn deine Gottheit? Doch nicht Christus!
Du glaubst doch an die alte Heidengöttin!
MADEL
Der Weiße Christus eurer Missionare
Hat uns beschert die Kirchenhierarchie
Und heiße Scheiterhaufen für die Hexen!
Doch unsre Göttin der Dreifaltigkeit
Ist rein wie eine junge Mädchengöttin,
Ist liebevoll wie eine Liebesgöttin,
Ist weise wie die greise Schicksalsgöttin.
Ich bin die Priesterin der Großen Göttin.
ROBIN HOOD
Ihr feiert doch in der Walpurgisnacht
Den Hexensabbath und die Schwarze Messe,
In der ihr euch vermählt dem Ziegenbock!
MADEL
Ja, Heil dir, Bock, der du geschlachtet bist!
ROBIN HOOD
Wer ist denn euer Bräutigam, der Bock?
MADEL
Der Bock und Bräutigam der Hexenkirche,
Das ist der alte Gott, der Sohn der Göttin,
Der von Gott-Vater und dem Sohne Jesus
Vertrieben ward, nun im Verborgnen lebt,
Gott Luzifer, und ich bin seine Braut!

(Robin Hood schlägt das Zeichen des Kreuzes über sich. Madel schüttelt ihre langen feuerroten
Locken und beginnt sich wie im Tanze zu bewegen.)
ROBIN HOOD
Das schmerzt mich zwar, dass du den Gottessohn
Und einzigen Erlöser Jesus Christus
Nicht liebst, doch Jesus Christus liebt auch dich!
MADEL
Auch ich bin dir ja feindlich nicht gesonnen.
ROBIN HOOD
So bist auch du zu meinem Fest geladen.
Kannst du auch irgendetwas Gutes tun?
MADEL
Ich könnte in der Küche Gutes tun.
Ich kenne mich ja aus mit grünen Kräutern,
Geheimen Wirkungen von grünen Pflanzen,
Heilkräuter aus der Göttin Apotheke
Sind mir vertraut, und nicht allein die Stoffe,
Wie heilsam auch die Düfte schon der Stoffe,
Die Kraft der Edelsteine kenn ich auch,
Wie Amethyst befreit dich von der Trunksucht,
Ich weiß auch, was gesunde Speise ist,
Gemüse kann ich schälen, Suppe kochen,
Ich kenn die Kraft der Erbsen und Karotten,
Nur Bohnen wollen lieber wir nicht essen.
ROBIN HOOD
Warum denn keine Bohnen, schöne Madel?
MADEL
Wir Hexen essen keine Bohnen,
Weil Ahnen in den Bohnen wohnen.
ROBIN HOOD
O Madel, du bist ja auch Dichterin!
MADEL
Die Große Göttin Brigid ist die Muse,
Die Muse mit dem großen Hexenkessel,
Der inspiriert die heidnischen Poeten,
Die eingeweiht in das Mysterium
Des Alphabets der Bäume unsrer Göttin.
ROBIN HOOD
Die Göttin Brigid? Das verwechselst du!
Sankt Birgit ist doch keine Heidengöttin!
MADEL
Sankt Birgit, hör uns flehn, du Makellose,
Sankt Birgit, hör uns flehn, du Liebevolle,
Sankt Birgit, hör uns flehn, du Ewige Weisheit!
ROBIN HOOD
Geh, Madel, du bist närrisch, schönes Weib,
Geh in die Küche, mach was Leckeres!

(Die schöne Hexe Madel geht nun allein in Richtung Küche und redet dabei mit sich selber.)

MADEL
Ja, kochen werd ich einen leckern Tee,
O Göttin! Schon in den Mysterien
Des heiligen Dionysos berauschten
Sich die Bacchantinnen und kauten Efeu.
Ich hörte von den Skythen auch im Osten,
Wenn sie von ihren schwarzen Stuten steigen
Und in die Zelte schlüpfen, dampft es dort
Vom Rauch des Haschisch aus den Meerschaumpfeifen.
In China rauchen sie das Opium
Und fliehen so in absolute Leere.
Auch in Atlantis, jener großen Insel
Im fernen Westen, essen Eingeborne
Nach Weisung ihrer heiligen Schamanen
Die Pilze, die der Sinne Tore öffnen
Und laden Seelen zum Spaziergang ein
Im Ewigen Jagdgrund mit den toten Ahnen.
O Göttin, jedem Volk die eigne Droge!
Denn die Gesundheitsregel uns empfiehlt,
Zu nehmen von dem heimatlichen Boden.
Stechapfeltee will ich den Leuten kochen,
Und wenn sie trinken den Stechapfeltee,
Er schmeckt ein wenig säuerlich im Mund,
Dann kommen schönste Halluzinationen
Wie im verrückten Zustand der Psychose
Und Unruh überfällt die Leute, Unruh,
Und reden wollen sie dann, immer reden,
Vielleicht befällt sie auch die Paranoia!
Es kann auch sein, dass sie ersticken, ja,
Stechapfeltee kann tödlich sein! O Göttin!
Tollkirsche will ich auch darunter mischen,
Da überfällt die Leute Wahn und Tobsucht.
Doch eins erstaunt mich, große Muttergöttin,
Ich kenne eine Hexe, die schön sang
Von der dreifaltigen Mariengöttin,
Die einmal trank Tollkirschentee und starb
Und ihre Seele schwebte in das Jenseits
Und in dem Jenseits sah sie Jesus Christus
Und Jesus Christus weckte auf die Hexe
Von ihrem Tod und gab ihr neues Leben
Und schickte sie zurück zur schwarzen Erde
Und diese wilde Sängerin und Hexe
Tatsächlich ist geworden eine Christin
Und singt jetzt immer: Ave gratia plena!

FÜNFTE SZENE

(Maid Marian mit einigen Schäferinnen. Robin Hood und Bruder Tuck stehen etwas abseits und
beobachten die Frauen.)

MAID MARIAN
Ihr Schäferinnen, meine lieben Schwestern,
Ich habe einen Hirsch erlegt, ich sag euch,
Das ist ein Hirsch, ein echter wahrer Hirsch!
SCHÄFERINNEN
Ja, dürfen wir den auch einmal betrachten?
MAID MARIAN
Jetzt ist der Hirsch zu sehen in der Küche,
Noch ist er ganz, das Exemplar ist prächtig,
Bald schon wird er zerteilt, zerschnitten sein,
Dann werde ich die Einzelteile alle
Auf unserm Lagerfeuer in der Pfanne
Schon knusprig braten. Lecker ist sein Fleisch.
SCHÄFERINNEN
Hirschbraten, das ist eine Köstlichkeit,
Es schmeckt sehr gut dazu der Rotkohl, Blaukraut,
Wenn Lorbeerblätter runden alles ab.
MAID MARIAN
Ja, und dazu die braune Festtagssauce,
Nachtschattenknollen gibt es auch dazu.
SCHÄFERINNEN
Der Gute gibt sein eignes Leben hin,
Daß wir sein Fleisch als Speise zu uns nehmen.
MAID MARIAN
Ich kann es nicht vergessen, wie ich ihn
Gesehn in seiner Brunftzeit in dem Walde,
Wie da sein Hirschglied voller Manneskraft
In Zuckungen gebaumelt hin und her!
SCHÄFERINNEN
Und seine Hirschkuhherde? Ach die Armen,
Was tun sie ohne ihren Gatten jetzt?
War ein Rivale da, ein andrer Hirsch?
MAID MARIAN
Ich habe keinen da gesehen, kein
Rivale traute sich in seine Nähe,
Da die Potenz in seinem Hirschglied zuckte,
So heiß erregt war er, so aggressiv,
Er hätte jeden anderen Rivalen
Um seine Hirschkuhherde umgebracht!
SCHÄFERINNEN
Ach, wenn doch unsre Männer auch so wären!
Sie aber lassen immer die Rivalen
In unsre Nähe, dass sie Süßholz raspeln,
Das ist doch unsern Männern ganz egal.
MAID MARIAN
Kommt, Schäferinnen, mit mir in die Küche,
Noch einmal staunen meinen Hirsch wir an!

(Maid Marian und die Schäferinnen verschwinden in der Küche. Es ist eine bedrückende Stille auf
der Szene. Die Stille wird nur kurz unterbrochen von einem kurzen Wechselgespräch zwischen
Robin Hood und Bruder Tuck.)

ROBIN HOOD
Ich bin so müde, lieber Bruder Tuck,
Ob sich das mit dem Frühling geben wird?
BRUDER TUCK
Den Seinen gibt Jehowah guten Schlaf!

(Es ist wieder eine bedrückende Stille auf der Szene. Schließlich erscheint Maid Marian wieder,
aber sie scheint ganz verändert, ihr Charakter hat ihre Süßigkeit verloren.)

MAID MARIAN
Nein, dieser schöne Hirsch, der starke Hirsch,
Ist nichts für Robin Hood und seine Männer.
Soll Robin Hood doch weiter Hühner braten,
Die er sich stiehlt von manchem Bauernhof,
Doch solch ein Hirsch ist nur für Edelmänner!
ROBIN HOOD
Maid Marian, was bist du jetzt so anders?
MAID MARIAN
Es geht jetzt nicht um dich! Ich habe andres
Zu tun! Geschäftigkeit in dieser Welt
Ist dir wohl unbekannt? Ich hab zu tun!
BRUDER TUCK
Was willst du machen mit dem guten Fleisch?
MAID MARIAN
Fleisch wollt ihr essen, immer nichts als Fleisch!
Denkt ihr nicht an die armen kranken Leute?
Sankt Birgit, bitte du für alle Armen,
Sankt Birgit, bitte du für alle Kranken,
Die Hunger haben nach Gerechtigkeit
Und Rache, die soll sättigen die Rache!
BRUDER TUCK
Fast hört sich dein Gebet zwar christlich an,
Maid Marian, du bist Getaufte doch,
Doch dein Gebet, in Wahrheit ist es heidnisch.
MAID MARIAN
Ja, was ihr Kirchenleute christlich nennt!
Ihr predigt allezeit vom keuschen Fisch
Und fresst gebratnes Fleisch im Übermaß!
ROBIN HOOD
Ja, soll ich denn den leckern Hirsch nicht essen?
Wer soll an meiner statt den Hirsch denn essen?
MAID MARIAN
Ich schick den Hirsch zur schönen lieben Madel,
Der Zauberin vom Pappelhage, die
Wohnt bei den Hünensteinen in der Grotte.
ROBIN HOOD
Maid Marian, ich kenne dich nicht wieder!
So herzlos bist du plötzlich gegen mich!

(Die Jäger erscheinen mit dem Hirsch. Die Schäfer und Schäferinnen treten hinzu.)

MAID MARIAN
Ihr Jäger, bringt den Hirsch zur schönen Madel!
ROBIN HOOD
Maid Marian, das ist doch unser Hirsch!
MAID MARIAN
Was unser? Was meinst du mit unser denn?
Du willst wohl alle Menschen glauben machen,
Wir beide sei’n ein reines Liebespaar
Und unsre Liebe heilig und platonisch?
ROBIN HOOD
Ich liebe dich noch nachts in jedem Traum.
MAID MARIAN
Wir sind nicht Braut und Bräutigam vor Gott!
ROBIN HOOD
Wie, glaubst du nicht mehr an die Seelenhochzeit,
Die geistige Vereinigung von uns?
MAID MARIAN
(schweigt und pflückt die ersten Narzissen.)
ROBIN HOOD
Du schweigst? Doch was du denkst, das kann ich hören!
MAID MARIAN
Gedanken also willst du lesen können?
Was denk ich eben jetzt, Gedankenleser?
ROBIN HOOD
Du denkst: Ich lieb dich nicht, ich lieb dich nicht!
MAID MARIAN
Die Christen sollen doch die Menschen lieben,
Ganz unpersönlich alle Menschen lieben.
ROBIN HOOD
Nur mich nur liebst du nicht, Maid Marian!
MAID MARIAN
Ich lieb dich nicht, ich lieb dich nicht, und du
Bist auch kein schöner Mann in meinen Augen.
SCHÄFERIN
So harten Herzens, Herrin? Warum das?
So kennen wir dich nicht, du schöne Dame,
Sonst voller Güte gegen alle Menschen.
MAID MARIAN
Dich lieb ich nicht, dich lieb ich nicht! Ich liebe
Die Menschheit unpersönlich, doch nicht dich!

(Maid Marian verschwindet im Wald.)

ROBIN HOOD
Gott der Allmächtige bricht mir das Herz!

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Die Hexe Madel und ihre dreizehnjährige Tochter Sweety, welche auch lange feuerrote Locken hat
und sehr reizend ausschaut.)

MADEL
Ach Sweety, ja, du bist ein wahres Sweet-piece!
SWEETY
Als du noch sechzehn Jahre zähltest, Mama,
Hast du bestimmt verrückt gemacht die Männer.
MADEL
Ach, Männer, Männer! Was denn taugen Männer!
SWEETY
Ich will auch keinen Mann, will keine Hochzeit.
MADEL
Wenn dich ein Mann zur Ehegattin nimmt,
Dann starrt er abends nur in den Kamin,
Weiß weiter keine Worte mehr zu wechseln.
SWEETY
Mir wachsen meine Brüste schon, o Mama!
MADEL
Als ich dich neulich in der Wanne sah,
Da dachte ich: Das Mädchen hat ja Brüste!
SWEETY
Ach, wenn man doch nur Kinder haben könnte
Und keinen Mann als Gatten dafür bräuchte!
MADEL
Maid Marian und Robin Hood sind auch
Verwirrt, und Unglück waltet über beiden.
SWEETY
Erzähl mir alles, liebe Mutter Madel!
MADEL
Ich hab durch Zauberkunst und Hexerei
Maid Marians Gestaltung angenommen
Und aus dem Munde seiner Heiligen
Verflucht den Liebenden mit Flüchen lieblos!
SWEETY
Was schwärmt auch Robin Hood nur immer für
Maid Marian, die Rose unter Dornen!
Soll er doch einmal merken, dass die Rose
Auch Dornen hat, die spitz verletzend stechen!
MADEL
Er dachte sonst, sie wär sein Adlerweibchen,
Daß kaum vom Himmelreich zur Erde komme,
Die Erde kaum berührt mit ihren Flügeln
Und schon zurückkehrt in das Himmelreich.
Maid Marian! Erfahren hat er heute
Durch meine magische Verzauberung
Und schwarze Hexerei, dass sie sein Stachel
Im Fleische ist, sein Skorpionenstachel!
SWEETY
Ich auch wollt einen Stachel in das Fleisch!
MADEL
Ja, ja, der Stachel in dem Fleische macht
Dich selig wie die Seligen im Himmel.
SWEETY
Wie ist die Liebe zwischen Mann und Frau?
MADEL
Ach Sweety, dreizehn Jahre bist du jetzt
Und deine Brüste fangen an zu blühen,
Wenn du erst sechzehn Jahre zählst, mein Mädchen,
Wird sich der erste Mann in dich vergucken.
Ja, prahle nur mit deinen straffen Brüsten!
Schlag du aus deinem Kapital Profit!
Wenn du dann vierundzwanzig Jahre bist,
Dann wollen Männer deinen Leib genießen,
Bist ihnen dann ein Paradies der Wollust!
Verhülle wenig deinen schönen Leib
Und lass die Männer oftmals Blicke werfen
Auf deine schönen Brüste, kaum verhüllt,
Anbeten werden sie dich dann als Göttin!
Drei Jahre später ist es dann vorbei,
Erwarte keine Liebe mehr von Männern.
SWEETY
Erzähl von Robin Hood doch weiter und
Maid Marian und ihrem Liebeszank.
MADEL
Der arme Robin Hood! Er weiß ja gar nicht,
Wie ihm geschieht, was ihm geschehen ist.
Doch solch ein Zank von seiner Vielgeliebten!
Was für Gefühle der romantischen
Verliebtheit und der Minneschwärmerei
Je sollen dieses Paar erneut versöhnen?
SWEETY
Ist er nicht einer denn von jenen Männern,
Die man so recht zutiefst verachten muß,
Damit sie dir als Göttin huldigen?
MADEL
Ja, schlag nur immer auf die Kerle ein,
Sie lecken dir in ihrer Hundedemut
Die Füße, wenn du jung und reizend bist!
Wenn du jedoch als Weib ein Dämon bist
Und nicht erotisch mehr des Körpers Liebreiz,
Dann wird man nennen dich verfluchte Hexe,
Hypnotiseurin finsterster Magie
Und abergläubisches Gespiel des Teufels!
SWEETY
Ja, soll ich wie Marias Demut sein?
Ich will mich lieber paaren mit dem Teufel
Und dann als Nachtgespenst im Traum erscheinen,
Um Männern ihren Samen auszusaugen!
MADEL
Das kann doch Robin Hood ihr nicht verzeihen,
Daß sie die ganze Menschheit auf der Erde
In göttlicher Agape liebt, allein
Den Einzigen, der sie verblutend liebt,
Daß sie den Liebenden verschmäht, verachtet!
SWEETY
Er sollte einmal meine Brüste sehen!
MADEL
Maid Marian hat nun ein schlimmes Schicksal,
Ihr Schicksal hat sie angefüllt mit Unglück.
SWEETY
Maid Marian ist eine fromme Christin
Und sagt, sie leb in Gottes Gegenwart,
Wie kann sie denn da sagen, dass sie leide?
MADEL
Des Christentums perverser Glaube ist
Der Glaube an das Kreuz. So schreien sie:
Oh laß mich mit dir sterben an dem Kreuz!
Begierig wie ein Mann nach seiner Liebsten
Sind sie, für ihren Herrn und Gott zu sterben!
Am liebsten wollen sie noch heute sterben,
Am liebsten heute sterben, aber nicht
Den friedevollen Strohtod in dem Bett,
Nein, martern soll man sie und sie ermorden!
Doch wenn sie heute noch nicht sterben dürfen
Im blutigen Martyrium für Christus,
Dann wollen leben sie und das heißt leiden,
Ein dauerndes Martyrium des Herzens
Soll dann ihr Leben sein und tausend Tode
Begehren sie, bis sie dann endlich sterben!
Ja, einer dieser ganz perversen Christen
Einst betete zu seinem Weißen Christus:
Herr, allzu leicht wärs doch, für dich zu sterben
Und dann im Paradies glückselig sein!
Die Engel sind glückselig zwar im Himmel,
Doch voller Neid beneiden uns die Engel,
Weil wir auf Erden sind und leiden können!
Herr, weil ich dich so maßlos liebe, will ich
Auf Erden lebend tausend Tode sterben,
Um Arme Seelen aus dem Fegefeuer
Gekreuzigt zu erlösen und zu retten
Und arme Sünderinnen zu bekehren!
SWEETY
Wie paradox ist dieses Christentum!
Man nennt es eine Freudenbotschaft, aber
Sie reden immer nur von Kreuz und Leiden!
MADEL
Dagegen unsre Liebesgöttin ist
Fürwahr die Seligspenderin der Wonnen
Und Freuden und der köstlichsten Genüsse!
SWEETY
Ich bin gemacht aus Liebe, bin gemacht,
Um schön zu lieben mit dem schönen Leib,
Wenn Christen nach dem Tode erst gelangen
Ins Paradies, ich will auf Erden schon
Im Paradiese leben, lustvoll lieben!
MADEL
Der Gott der Christen ist ein Gott des Kreuzes,
Der Heiden Liebesgöttin ist die Lust!
ZWEITE SZENE

(Die Hexe Madel, ihre junge Tochter Sweety und Madels achtzehnjähriger Sohn Daddy, ein
schmutziger Schweinehirte, stehen unter einem breiten Kastanienbaum, in dem oben eine
Baumhütte ist, darin ist Carina eingesperrt.)

SWEETY
Carina sitzt ja oben in dem Baum!
MADEL
Ich hab sie eingeschlossen, sie gebannt
In meines bösen Willens Zauberkreis!
SWEETY
Oh, dieses kurze rote Kleid, das will ich!
Carina, her mit deinem roten Kleid!
MADEL
Du süße Sweety, dreizehn Jahre jung,
So lege ab den langen schwarzen Mantel,
Nun ziehe aus das lange schwarze Beinkleid,
Nun ziehe aus das blaue Oberhemd,
Nun stehst du da in deinem Unterhemdchen,
Dem seidenweißen feinen Unterhemdchen,
Dem seidenweißen feinen Unterhöschen,
Die weißen Brüste quellen aus dem Hemdchen,
Wie weiß und straff sind deine Oberschenkel,
So sollte dich ein Dichter sehen und
Besingen dich als junge Göttin Venus!
SWEETY
Nun, Mama, gib Carina den Befehl,
Das rote Kleid zu mir herabzuwerfen!
MADEL
Carina, deinen göttlichen Astralleib
Und Ätherkörper mit dem sechsten Sinn
Kannst du den Männern ruhig nackend zeigen!
Behalte deinen Büstenhalter an,
Den schwarzen von der feinsten Seidenspitze,
Behalte auch dein Unterhöschen an,
Das schwarze von der feinsten Seidenspitze!
SWEETY
Schau, Madel, steht mir dieses rote Kleid?
MADEL
Ja, nackt die Schultern und die Arme nackt,
Der Rock reicht eben auf die Oberschenkel,
Das Dekolleté ist tief geschnitten, so
Die Minner können sehen deine Brüste,
Du bist die Priesterin der Göttin Venus!
SWEETY
So will ich zu dem Fest von Robin Hood,
Wenn mich die jungen Hirten sehen werden,
Vergessen sie sogleich die schwarzen Zicken!
MADEL
Mein liebes Söhnchen Daddy, Schweinehirte,
Wie findest du die nackende Carina?
DADDY
Ich bin ja nur ein armer Schweinehirte
Und wälze täglich mich in Schlamm und Dreck
Und fresse mit den Schweinen Schweinefutter
Und wenn’s mich juckt, reib ich mich an der Eiche.
MADEL
Sag doch der Nymphe, dass du sie begehrst!
DADDY
O Nymphe, mein totales Sex-Idol,
Ich bin ganz rasend vor Begier nach dir!
Wenn ich dich sehe, deine nackten Reize,
Der Wahnsinn bringt mich ganz um den Verstand!
Erotisch bist du, voller Sex-Appeal,
Ja, deine Aura ist aus heißem Eros!
Ganz sicher bist du eine Geisterfüchsin,
Die magisch nur vom Mannessamen lebt!
Ganz sicher bist du eine Lamia,
Erotisches Reptil der geilen Unzucht!
Ich träume jede Nacht von deinem Leib
Und auch am Tage träume ich von dir,
Wie wir es treiben auf dem grünen Rasen,
Von oben und von unten, wie ich will,
Mit obern Lippen und mit untern Lippen,
Stets bist du willig, wildes Weib der Wollust!
Jetzt aber will ich dich in Wirklichkeit!
Ich seh es dir doch an, du geile Hure,
Du wartest auf die Vergewaltigung!
Du provozierst mich, böse Feuerschlange,
Bis ich dich mit Gewalt genommen habe!
Du willst die Vergewaltigung? Nun gut,
Ich tu es dir zu Liebe mit Gewalt,
Ich reiße dich entzwei, du Heißgeliebte,
Ich liebe dich zu Tode, wenn du willst,
Wenn dich das geil macht, würg ich dich am Hals,
Das macht dich geil, ich würge immer länger,
Und wenn ich dich erwürgt beim Liebesakt,
Beschneide ich die Lippen deiner Scham
Und trage sie als heilige Reliquie
Mit deinem roten Blut durch Engelland!
SWEETY
Ach, solche Leidenschaft, mein großer Bruder,
Ich wollt mich liebte auch so sehr ein Mann,
Daß er bereit wär, mich dafür zu töten!
Ja, wenn ich eines Tages sterben muß,
So soll ein Mannsbild mich zu Tode lieben!
MADEL
Mein Sohn, mein lieber Schweinehirte Daddy,
Ich gebe dir als Mutter einen Rat:
Lass niemals dich von einer Frau beherrschen,
Behalte immer deinen freien Willen.
Wenn eine Frau dich erst gefesselt hat
Mit ihrer langen Schlangenlocken Fesseln
Und mit den schwarzen Netzen ihrer Strümpfe,
Dann macht sie dich zu ihrem letzten Sklaven!
Missbrauchen wird sie dich als Arbeitssklaven,
Dann wird sie sagen: Schneide dir den Bart
Und schneide dir die lange Mähne kurz
Und trage bitte keine Augengläser
Und zieh die Kleider an, die ich dir gebe,
Dann wird sie sagen: Friß nicht so viel Fleisch,
Iß fortan nichts als Körner und Gemüse,
Auch höre auf, den Schachtelhalm zu rauchen,
Der Rauch ist gar nicht gut für kleine Kinder,
Dann bitte trink auch keinen Rotwein mehr,
Denn Rotwein ist nicht gut für die Gesundheit.
Und wenn du alles das gehorsam tust,
Dann sagt sie: Träume du nicht mehr von mir
Und rühre mich auch körperlich nicht an,
Ich bin nicht körperlich nur unberührbar,
Auch in der Phantasie berühr mich nicht,
Denn dein Orgasmus in der Phantasie
Befleckt die Unbeflecktheit meiner Seele,
Ich spüre das aus weiter Ferne schon,
Wenn du mich liebst mit geiler Affenliebe,
Das gleiche ich der Vergewaltigung
Des mystischen Astralleibs meiner Seele.
Mein Sohn, wenn dich das Weib so weit gebracht,
Dann nimm ein Schwert und stech dich selber tot!
Willst du jedoch nicht sterben durch dich selber,
Dann saufe dich am gleichen Abend voll
Und dann besorg es deinem frechen Luder,
Sie soll doch merken, wo der Hammer hängt!
DADDY
Wenn ich ein Weib begehre, schöne Mutter,
Besorg ich’s meinem Weibchen jeden Tag,
Sie soll sich so bewegen wie ich will,
Und will ich, dass sie oben auf mir reitet,
Dann wird mein Weib auch oben auf mir reiten,
Und will ich, dass sie unten liegt wie Eva,
Liegt meine Eva willig unter mir!
MADEL
So ist es recht, mein vielgeliebter Sohn!

DRITTE SZENE

(Die rothaarige Hexe Madel und ihre junge schöne Tochter Sweety.)

MADEL
Wo willst du denn jetzt hin, du süße Sweety?
SWEETY
Ich möchte zu dem Fest von Robin Hood!
Schau, darum habe ich Carinas Kleid
Auch angezogen, kurz und feuerrot,
Daß ich beim Fest der Hirten ihrer Herde
Die Schäfer all kokett verzaubern kann!
MADEL
Ja, kokettiere nur, du süßes Weib!
SWEETY
Die Hirten, sonst zusammen nur mit Schafen,
Die lieben doch das Kokettieren und
Das Flirten, ja, man sagt ja auch Flirtation,
Und Dichter schreiben ja Romane auch,
Die sie Flirtation nennen. Ach zu flirten
Ist alles, was ich will, ich will nur spielen,
Ich will nichts Böses und will auch nichts Ernstes,
Will keine Ehealltagslangeweile
Und auch kein Sakrament von Mann und Frau,
Ich will nur spielen jugendlich und scherzen,
Verführen mit den Reizen meines Leibes,
Verlocken in die Wüste, zärtlich küssen,
Geständnis der Liebe machen, harmlos,
Das hat ja alles gar nichts zu bedeuten,
Ist nur ein Traum, nur Phantasie.
MADEL
Ja, reize mächtig du die Hirten an,
Die sonst mit Mutterschafen ganz allein,
Wenn sie dann sehen deine jungen Reize,
Die schmalen Hüfte und den flachen Bauch,
Die wohlgeformten festen straffen Brüste
Und deinen Allerwertesten perfekt,
Die Hirten träumen dann in Einsamkeit
Erotisch-phantasierend Träume nachts
Und ohne dass sie etwas Böses tun,
Der Samen geht im Nachtschlaf ihnen ab.
SWEETY
O welche Macht hat doch ein schönes Mädchen!
Wenn reife Frauen auch wohl tanzen möchten,
Sie würden sich in Grund und Boden schämen,
Wenn so ein frisches junges Mädchen auch
Erotisch neben ihnen tanzen würde.
MADEL
Ja, Männer lieben keine alten Weiber,
Doch sehen sie ein junges hübsches Mädchen,
So werden Philosophen selbst zu Narren
Und Gute Hirten selbst zu Sündenböcken!
SWEETY
O Mama Madel, kommst du auch zum Fest?
MADEL
Ich komme auch zum Fest von Robin Hood,
Doch da die Hexe nicht geduldet ist
Beim Festmahl dieser Christen, komme ich
Verkleidet als Maid Marian, die Jungfrau.
SWEETY
In magischer geheimer Wissenschaft
Kannst du das Aussehn andrer Leute ja
Annehmen. Wie sieht Marian denn aus?
MADEL
Vor allem trägt sie ja ein weißes Kleid,
Von feinem Stoff, jedoch nicht transparent,
Die Arme sind bedeckt bis zu den Händen,
Des weißen Seidenkleides untrer Saum
Nicht nur bis auf die nackten Oberschenkel,
Nein, sondern zu den Füßen niederfallend.
Die Füße in den goldenen Sandalen
Sind nackt, jedoch mit Henna malt sie gern
Sich rote Rosen auf die nackten Füße.
Auf ihrem Haupthaar liegt ein weißer Schleier,
Jedoch nicht wie bei Muselmaninnen
Das Angesicht verschleiernd, sondern offen
Die Augen schauen mondgleich in die Welt
Und ihre Lippen lächeln liebevoll.
Der Schleier nur bedeckt die dunklen Haare,
Schwarzbraune Haare hat Maid Marian.
SWEETY
Nun stell dir einmal vor, ein junger Schäfer,
Der Pan verehrt, die Nymphe Echo liebt,
Der sieht Maid Marian, die weiße Dame,
Und Sweety sieht er auch, halbnackte Venus,
Wen wird wohl lieben dieser junge Schäfer?
MADEL
Nun, Sweety, dich wird er sogleich ergreifen,
Mit dir zur Lust in einem Busch verschwinden
Und dich vernaschen sinnlichen Genusses.
Jedoch sein Herz gehört der weißen Frau,
An deren Stirn ihm seine Gottheit tagt.
Wenn er dich ausgelutscht wie eine Pflaume,
Wirft er dich weg, empfindet Ekel nur
Vor seiner eignen geilen Fleischeslust
Und gibt die Schuld daran nur dir, der Hure,
Die weiße Frau wird ihm erscheinen dann
Als heilige Maria oder gar
Als göttliche Diana, Jungfraungöttin!
SWEETY
Ich weiß jedoch, wenn dieser junge Schäfer
Genug geseufzt nach seiner keuschen Göttin,
Die unbefleckt zwar ist, doch frostig auch,
Dann sehnt er sich zurück nach meinen Schenkeln!
Siegt über die Diana stets die Venus!
MADEL
Wenn ich verkleidet geh zum Fest der Hirten,
Ich sage dir, woran du mich erkennst.
SWEETY
Ja, woher weiß ich, dass du Madel bist,
Die Zauberin, und nicht Maid Marian?
MADEL
Ich hörte von den Moslems, von den Sufis,
Die tragen unter ihren blauen Kutten
Des Derwischordens unter dem Gewand
Geheimnisvoll verborgen noch den Gürtel,
Den Gürtel ihres Meisters Zarathustra,
Der zwar den Moslems als ein Ketzer gilt
Und Götzendiener, doch die Sufis lieben
Doch insgeheim die alten Götter noch.
So hat auch mancher Minner der Maria
In seinem Kult der Großen Gottesmutter
Die Magna Mater weiterhin verehrt,
Die Artemis mit ihren neunzehn Brüsten.
SWEETY
Hat Artemis denn wirklich neunzehn Brüste,
Nicht neunzehn Hodensäcke eines Stieres?
MADEL
Das täte dir gefallen, neunzehn Hoden!
Nun, wenn ich geh im reinen weißen Kleid
Maid Marians als schöne Dame und
Als weiße Frau, als Mayden-Queene of Maye,
So trag ich unterm weißen Seidenkleid
Doch immer noch der Venus Zaubergürtel!
SWEETY
Erzähl mir von der Venus Zaubergürtel!
MADEL
Wenn Göttin Venus aus dem Bade kam,
Wo unterm Wasserfall sie nackt geduscht,
Sie zog ihr Beinkleid an aus blauem Leinen
Und band sich um die wonnevolle Hüfte
Der Göttin Aphrodite Zaubergürtel.
Ein Ledergürtel ists von Schlangenleder,
Die Schnallen sind sehr groß, von reinem Silber,
Gewaltiger Verschluss am Zaubergürtel,
Doch lässt sie lässig und lasziv auch hängen
Des Ledergürtels Ende, welches hängt
Wie eine Schlange, baumelnd um die Lenden.
SWEETY
Wer darf der Venus Zaubergürtel lösen,
Der Gatte, dieser stinkende Vulkan,
Sprich, oder gar der Aphrodite Hausfreund,
Gott Mars, der liebestrunkne Ehebrecher?
MADEL
Die Göttin Venus stand vorm Gotte Mars,
Gott Mars stand hinter ihr, er sah den Po
Der göttlichen Callipigos, das Becken
Der Angebeteten, des Beckens Becher,
Da fasste er die Göttin bei den Hüften,
Bewegte Aphrodites breites Becken!

VIERTE SZENE

(Der junge Schäfer Karol geht mit seinem Hirtenhund Elisama spazieren. Er seufzt beständig, sieht
auch ganz krank aus vor Liebeskummer.)
KAROL
Ach, ach, und immer wieder nichts als Ach!
Mein lieber Elisama, dir gesteh ich,
Daß ich mich sehne mit verzehrender
Und heißer Sehnsucht nach der Vielgeliebten!
Hier gingen wir doch sonst zu zweit spazieren,
Bewunderten die Pflaumen an dem Baum,
Vom Wege hob ich eine Eichel auf
Und schenkte sie der schönen Amica
Und Amica leis lächelnd fragte: Karol,
Was hat das zu bedeuten, dass du mir
Die Eichel zum Geschenke machst, mein Freund?
Ach, so sublim zu flirten weiß allein
Die Eine, deren Eros sehr sublim,
Subtil, sublim! Die allerfeinste Frau!
Ach Elisama, du mein treuer Freund,
Verstehst du mich? Ich schaue in dein Auge,
Schau in den Augen eine Seele leben,
Die schimmert voll Gefühl. Doch denkst du nicht,
Wenn ich dir spreche von der Erstursache,
Vom Allbeweger und dem Urprinzip,
Das wäre wohl ein dummes Selbstgespräch.
Doch Freude fühlst du auch, und wenn ich komme,
Dann springst du voller Freude an mir hoch.
Und Liebe? Elisama, kennst du Liebe?
Die Welt spricht von der Liebe,
Sie meinen nur die Triebe!
Auch deine Triebe drängen dich zur Liebe,
Begehren kennst du auch nach einer Hündin,
Dich fortzupflanzen durch Vereinigung,
Ja, sogar für die Welpen da zu sein.
Doch Elisama, wenn ein Schäfer liebt,
Wenn er so recht romanzensüchtig ist
Und schwärmt von seiner Angebeteten
Und kann nicht unterscheiden zwischen Gott
Und Unsrer Lieben Frau und der Geliebten,
Wenn alles ihm nur Eine schöne Liebe,
Wenn Liebe alles ist in allem ihm,
Weltseele ihm die Vielgeliebte scheint
Und er der Vielgeliebten Antlitz schaut
Im Duft, der aus der Kirschenblüte steigt,
Sag, treuer Elisama, was ist das?
Doch sprichst du nicht, ach Hund, du kannst nicht sprechen,
Du kannst nicht denken, Hund, und kannst nicht sprechen
Und dich nicht über deinen Trieb erheben,
Aus Liebe auf die Liebste zu verzichten!
Ach, ach, und immer wieder nichts als Ach!

(Maid Marian begegnet dem liebeskranken Hirten Karol.)

MAID MARIAN
Ich hörte eben dich noch seufzen, Karol.
KAROL
Maid Marian, ach, ich bin krank vor Liebe!
MAID MARIAN
Erkläre mir, was ist das: Liebe? Karol!
KAROL
Maid Marian, ich will von Liebe singen!
MAID MARIAN
In meiner Tasche steckt die Knochenflöte,
Ich werde selbst die Knochenflöte blasen
Und du, mein Karol, singst das Lied der Liebe!

(Maid Marian bläst die Flöte und Karol fängt an zu singen wie ein sterbender Schwan.)

KAROL
(singt)

Die Mütter sagen immer:


Erzähle unsern Kindern
Von nichts als heiterm Schimmer,
Von starken Überwindern,
Die Engel lachend scherzen
Von Liebe in dem Herzen.

Dann sage ich: O Mütter,


Ist das mir zuzumuten,
Daß mir die Liebe bitter,
Mich grausam lässt verbluten?
Im liebeswunden Herzen
Steckt tief das Schwert der Schmerzen!

Die schönen Mütter reden:


Sprich von der Liebe Lächeln,
Von Eva sprich in Eden,
Von langer Wimpern Fächeln,
Verschmelzend leuchten Kerzen,
Wenn Liebe eint die Herzen!

Dann seufze ich: O Frauen,


Was sag ich euren Erben?
Die Schönheit ist ein Grauen!
Die Liebe ist ein Sterben!
In tausend Todesschmerzen
Die Liebe glüht im Herzen!

(Maid Marian steckt die Knochenflöte wieder in ihre Tasche und spricht jetzt liebevoll zärtlich, fast
flüsternd, um den liebeskranken Hirten Karol zu trösten.)

MAID MARIAN
Es gibt wohl eine Frau in deinem Herzen?
KAROL
Ich liebe Unsre Liebe Frau Maria,
Doch lieb ich auch die Freundin Amica.
MAID MARIAN
Ich kenne ihre Seele, sie ist sehr
Gutmütig, und ich liebe ihre Güte.
KAROL
Doch meine Liebe, ach, ist unerfüllt!
Die heiße Liebesglut ist unbefriedigt
Und Amica will meine Glut nicht stillen!
MAID MARIAN
Du weißt doch, was die Heiligen getan?
KAROL
Von einer Heiligen hab ich gehört,
Die schwor, jungfräulich für den Herrn zu leben.
Die Jungfrau war sehr schön und voller Liebreiz,
Ein junger Mann begehrte diese Jungfrau.
Die keusche Schwester schlummerte im Garten,
Es war ein heißer Sommertag, da lag sie
Im Gras, so hingegossen, und gespreizt
Die Arme, lag sie da in ihrer Unschuld.
Da kam der junge Mann in ihren Garten
Und sah die Heißbegehrte schlafend liegen
Und hob den Rock der Keuschen und beschlief sie!
Sie litt es voller femininer Demut,
Doch selbst empfand sie keine böse Lust,
So blieb sie rein vor ihrem Bräutigam.
MAID MARIAN
Und Franz, wenn ihn die Brünste überwältigt,
Er zog sich nackend aus im kalten Winter
Und wälzte seinen nackten Leib im Schnee.
KAROL
Doch hörte ich von seiner Freundin Klara,
Daß sie den Freund und Bruder Franz besucht,
Da war er in seraphischer Verzückung
Und sie war in seraphischer Verzückung,
Da ruhte sie an seinem vollen Busen
Und molk des Trostes Milch aus seinem Busen!
MAID MARIAN
Ich will dir auch die Milch des Trostes spritzen
In deinen Mund, du liebeskranker Karol!
Ich habe gestern Amica gehört,
Ich hab gehört ihr seufzervolles Flüstern:
Ich hab dich lieb, mein lieber Freund und Bruder,
Ich lieb dich auch, mein lieber Freund und Bruder!
KAROL
Sie liebt mich, Amica, sie liebt mich auch!

FÜNFTE SZENE

(Robin Hood und seine Gäste, Maid Marian, William Scathlock.)

ROBIN HOOD
Maid Marian, ich klage öffentlich
Dich an, du hast mich tief enttäuscht, sehr tief
Enttäuscht, ich hatte doch an dich geglaubt,
Du wärest meine wahre treue Freundin
Und würdest mütterlich für alle sorgen,
Die Hirten und die schönen Schäferinnen,
Die Jäger und für alle die Genossen,
Daß wir von leckerm Fleisch ein Festmahl haben.
MAID MARIAN
Ja; hab ich denn nicht in der Morgenröte
Den Hirsch gejagt, wie der Psalmist gesungen?
ROBIN HOOD
Getäuscht hast du uns alle! Nicht als Freundin
Gehandelt, sondern wie die allerschlimmste Feindin!
Wir haben dich verehrt, Maid Marian,
Wie eine himmlische Jerusalem,
Du hast dich gegen uns gewendet aber
Wie eine Hure Babylon, die trunken
Vom Blut der Märtyrer den Löwen reitet!
MAID MARIAN
So sehr verkennst du mich und wirst zum Ketzer?
Hat deine Liebe sich in Hass verwandelt?
Was hab ich dir getan, mein lieber Freund?
Ich habe dir doch nur mein Herz geschenkt!
Das machst du mir zum Vorwurf, Robin Hood,
Daß ich mein Feuerherz dir schenken will?
ROBIN HOOD
Auch Luzifer verkleidet sich als Engel
Und manche schöne Frau erscheint dem Mann
Wie eine Göttin voller Güte, bis
Sie ihm das wahre Antlitz offenbart
Und er erkennt, dass sie besessen ist
Von den Dämonen und beherrscht von Satan.
MAID MARIAN
Konkret! Wir Frauen lieben das Konkrete!
Was denn genau wirfst du mir vor, mein Freund?
ROBIN HOOD
Du hast den Hirsch, gedacht als unser Festmahl,
Durch William Scathlock überreichen lassen
Der Hexe Madel, die im Bunde steht
Mit Satan und den finsteren Dämonen!
MAID MARIAN
Das hab ich nicht getan! Gott weiß, ich sage
Die Wahrheit! Jesus ist mein Zeuge, dass
Der Satan an mir keinen Anteil hat!
ROBIN HOOD
Sprich, William Scathlock, sag die reine Wahrheit!
Hat sie dich mit dem Hirsch geschickt zu Madel?
WILLIAM SCATHLOCK
Maid Marian! Mit meinen eignen Augen
Hab ich gesehen, wie du vor mir standest
In deinem strahlendweißen Seidenkleid,
Fast transparent, im himmelblauen Schleier,
Fast transparent, dein Antlitz strahlend schön,
Ein zauberhaftes Lächeln auf den Lippen,
Die Augen leuchteten vor Lust und Freude,
Ich habe deine Stimme auch gehört,
Dein liebevolles Flüstern, süßes Hauchen.
MAID MARIAN
Was hast du denn von mir gehört, mein Willy?
SATHLOCK
Du schicktest mich mit unserm Hirsch zu Madel!
MAID MARIAN
Das hab ich nicht gesagt, das lügst du, Willy,
Nie hab ich unsern Hirsch geschickt zu Madel,
Das hast du dir nur selber ausgedacht!
Die ganze Welt erhebt sich gegen mich,
Es steht die Hölle auf, mich anzufeinden!

(Maid Marian bricht in herzergreifendes Weinen aus. Ihre Tränen fallen wie glitzernde Diamanten
auf das Moos.)

SCATHLOCK
Maid Marian, Maid Marian, nicht weinen!
Nicht weinen, meine vielgeliebte Herrin!
Ich glaube dir, Maid Marian, ich glaube,
Du redest Wahrheit, immer nichts als Wahrheit!
Und wenn die ganze Welt der Sichtbarkeit
Und alle Evidenz der Welt auch leugnet,
Daß du die Wahrheit sprichst und nichts als Wahrheit,
Und wenn auch alle Menschen es bezeugen
Und wenn es auch ein Bischof wollt beschwören
Und Wissenschaftler es beweisen könnten,
Daß du dich irrst und nicht die Wahrheit sagst,
Ich glaube dir, Maid Marian, ich glaube,
Daß du die Wahrheit sprichst und nichts als Wahrheit!
Und wenn auch meine eigene Erfahrung,
Die eigne sinnliche Erfahrung selbst,
Wenn mein Verstand, das Denken meines Hirnes,
Wenn mein Gefühl dich selbst verleugnen wollte,
So mit dem letzten Tropfen meines Blutes
Auf dem Schafott ich würde noch bezeugen:
Maid Marian spricht Wahrheit, nichts als Wahrheit!
MAID MARIAN
Ich danke dir, mein treuer William Scathlock,
Das tröstet mich, das trocknet meine Tränen,
Daß ich bei all der Feindschaft in der Welt
Noch einen Helden hab, der an mich glaubt.
SCATHLOCK
Ja, mehr noch, Rechtsanwalt will ich dir sein,
Maid Marian, dein Advocat! Jedoch
Kein Winkeladvocat, der vorm Gericht
Noch um der Waisen Erbteil schachern würde,
Nein, sondern ein gerechter Advocat.
MAID MARIAN
Ja, sei du hungrig nach Gerechtigkeit!
SCATHLOCK
Mein guter Robin Hood, bei unsrer Freundschaft
Beschwör ich dich, die Angelegenheit
Genauer noch zu untersuchen und
Dem Schein der Evidenz nicht zu vertrauen!
ROBIN HOOD
Nein, ich besitz die absolute Wahrheit,
Willst du mein Freund sein, steh an meiner Seite,
Sei meiner Feinde Feind und stärke mich!
SCATHLOCK
Wenn nun ein Eremit und Alchemist
In seinem chemischen Labor entdeckte,
Daß wir den Schöpfergott nicht länger brauchen,
Weil er selbst im Besitz der Klugheit sei
Und wisse, wie aus Stoffen der Natur
Und aus der Elemente Mischung und
Aus der Vereinigung in der Phiole
Von Sol und Luna, dieser Alchemist
Homunculus erschaffen kann, und wenn
Er seinen selbsterschaffnen Golem dir
Vor Augen führte, und der Golem machte
Lebendig wahre Affensprünge und
In allem wie ein Affe sich verhielte
Und fummelte an seiner Scham herum
Wie Affen, und verstünde auch, das Werkzeug
Wie kluge Zimmermänner zu gebrauchen,
Wenn dieser Alchemist dir so bewiese,
Gott sei als Schöpfer abgesetzt, der Mensch
Weiß nun vermittels der Natur zu schaffen
Und jetzt der Mensch sei also selber Schöpfer
Und Gott sei nicht ein Mensch geworden wahrhaft,
Vielmehr der Mensch sei Gott und kann erschaffen
Ein neues menschliches Geschlecht von Affen,
Dies sei nun einmal absolute Wahrheit,
Was, Lieber, würdest du dem Manne sagen?
ROBIN HOOD
Ich würde sagen, dass der Satan ihm
Den bösen Wahnsinn auf den Hals gehetzt!
SCATHLOCK
So untersuche alles noch genauer
Und zweifle niemals an Maid Marian!

SECHSTE SZENE

(Zu den Vorigen tritt die Hexe Madel hinzu.)

MADEL
Maid Marian, ich danke dir von Herzen,
Daß du den edlen Hirsch zu mir geschickt!
O solch ein edler Hirsch, so rein und heilig,
Geschickt in meine alte Hexenküche,
Das ist zuviel der Ehre, hohe Frau!
Maid Marian, wie kann ich je dir danken?
Ich stehe abgrundtief in deiner Schuld!
MAID MARIAN
Was lügst du wieder, falsche Schlange Madel?
Ich war es nicht, die diesen Hirsch geschickt
In deine alte Hexenzauberküche,
In Wahrheit kam er wohl in Teufels Küche!
Das ist nicht meine Schuld, ich war es nicht,
Die diesen edlen Hirsch zu dir geschickt!
Ich selber habe ja den Hirsch gejagt,
Ich fing ihn ein, dass er zur Speise werde,
Mein Liebespfeil hat tödlich ihn getroffen!
MADEL
Maid Marian, gewiss, du warst es, Frau,
Frau, oder soll ich lieber Weib dich nennen?
MAID MARIAN
Weißt du denn nicht, wen wir als Weib betiteln
Und wen als Frau und wen als edle Dame?
MADEL
Wir Weiber halten besser doch zusammen,
Wir sind doch alle Töchter einer Göttin
Des Mondes, wir, Dianas Priesterinnen.
MAID MARIAN
Soll deine göttliche Diana doch
Den Hirsch von ihren Hunden jagen lassen,
Ich bin die Tochter Gottes, meines Herrn.
MADEL
Ich glaube einen Gott und Schöpfer auch,
Der Satanas erschuf allein die Ratten.
Jedoch in meiner Hütte huschen nachts
Die Ratten durch die Hexenzauberküche.
Großmütterchen des Teufels, hab Erbarmen,
Die Ratten fressen mir den Käse weg!
MAID MARIAN
Das darfst du alles essen, Brot und Käse,
Gemüse und Salat und trockne Körner
Und Obst und Nüsse, aber keinen Hirsch!
Das Fleisch des alleredelsten der Hirsche
Hab ich gejagt für Robin Hood allein
Und Robin Hoods Gefährten in dem Wald,
Die alle treu sind König Löwenherz,
Der steht als Ritter an dem Heiligen Grabe!
WILLIAM SCATHLOCK
Das alles ist verwirrend, sehr verwirrend,
Ich weiß nicht, ob ich trauen darf den Augen
Und dem Verstand, dem Denken der Vernunft.
Maid Marian behauptet steif und fest,
Sie habe Madel nicht den Hirsch geschickt.
Eins weiß ich aber sicher, dass ich sah,
Wie unsre Herrin in dem Wald gejagt
Und dort den Hirsch erlegt mit ihrem Pfeil
Und dann das leckre Fleisch des edlen Hirsches
Geschickt hat in die Küche unsres Lagers.
Der Koch selbst nahm des Hirsches Fleisch entgegen.
ROBIN HOOD
Der Koch! So ruft herbei den Suppenkoch,
Der leckren Braten zu bereiten kam.
WILLIAM SCATHLOCK
Komm, keinen Imbiss wollen wir von dir,
Die reine Wahrheit sollst du nur bezeugen!
KOCH
(eilt herbei)
Was schreit ihr so? Ich bin ja schon zur Stelle.
SCATHLOCK
Hat unsre Herrin dir den Hirsch gebracht?
KOCH
Maid Marian hat mir den Hirsch gebracht,
Den soll ich knusprig braten, sagte sie,
Dann soll ich leckre Bratensauce machen
Und fette Speise lecker zubereiten,
Nachtschattenknollen, Rotkohl kochen
Und reichlich Zucker in den Rotkohl tun
Und Lorbeerblätter auch – obwohl der Lorbeer
Doch besser für den Stückeschreiber ist,
Der später einmal Robin Hood verherrlicht
In einem Schauspiel auf dem Globe-Theater.
SCATHLOCK
Und hat die Herrin sich den Hirsch genommen,
Nachdem sie ihn in deine Küche brachte,
Ihn wieder fortgenommen und geschickt
Zu Madel, dieser Zauberin der Götter?
KOCH
Maid Marian hab ich nicht mehr gesehen
In meiner Küche, seit sie mir gebracht
Den Hirsch, dass ich ihn tüchtig knusprig brate.
Die Hexe Madel kam in meine Küche,
Um fachzusimpeln mit dem Suppenkoch,
Denn Hexen kochen immer gerne Suppen.
MADEL
Großmutter Satans! Ah, ich hasse euch!
Ihr seid so arrogant, ihr Tugendstolzen!
Ihr frommen Christen seid so aufgeblasen!
Hat euer Weißer Christus nicht gestürzt
Die Große Göttin von dem Muschelthron?
Nein, euren Weißen Christus will ich nicht
Und hasse alles, was sich Kirche nennt!
Aus England rottet mir die Kirche aus,
Der Papst ist ein Verbrecher und die Pfaffen
Sind schlimmer als die schlimmsten Menschenmörder,
Das Christentum ist Lüge, nichts als Lüge,
Nein, weg mit eurer sanften Christendemut
Und eurem religiösen Minnekult!
Die starke Göttin mit dem geilen Bock
Soll wieder heilig wilde Hochzeit feiern!
KOCH
Was fluchst du, Hexe, Luzifers Gemahlin?
MADEL
Abraxas! Komm, Abraxas, komm, Abraxas!
Komm, Dämon Ashtaroth! Verhexe diesen
Gemeinen Koch in einen wilden Eber!

(Der Koch verwandelt sich in einen wilden Eber und rennt in das Dickicht des Waldes.)

ROBIN HOOD
Jetzt seh ich, Madel, dass du böse bist!
MADEL
Die Weiber sollen immer lieblich sein,
Charmant zu lächeln wissen allezeit,
Ein Inbegriff von Sanftmut und von Demut.
Beim Gott Abraxas und bei Ashtaroth,
Bei Luzifer und Lilith, bei dem Hunde
Der Hölle und der Liebesgöttin Katze
Und bei der Schlange von dem Garten Eden,
Ich hasse eure Güte, eure Liebe!
Nein, böse will ich sein! Will wild und frei sein
Und kein Gesetz des Schöpfers anerkennen!
Ich selber definiere mir, was gut ist,
Ich sage euch: Das Böse ist das Gute,
Das Gute ist das Böse, weil ich’s will!
Ja, William: Fair is foul and foul is fair!
ROBIN HOOD
Zwar bist du schön, doch bist du böse, Madel,
Von außen schön, von innen aber böse,
Ja, deine Seele ist ein Pfuhl, der stinkt
Nach Fäulnis und nach deinem Gott der Fliegen!
MADEL
Ja, meine Liebe ist die böse Macht,
Ich möchte schließlich in die Hölle kommen!

DRITTER AKT

ERSTE SZENE

(Sweety in Carinas Habit, verfolgt vom Hirten Karol.)

KAROL
Halt, Mädchen, halt, ich kenn dich doch, o Mädchen!
SWEETY
So hasche mich, ich bin die pure Lenzlust!
KAROL
So eile nicht und fliehe nicht vor mir,
Denn du bist meine Schwester doch, das Leben!
SWEETY
Ja, lass uns eilen, mein Geliebter, komm,
Komm mit mir in die Hütte meiner Mutter!
KAROL
Wohin entflohen bist du, Schwester-Braut?
Ihr Wälder, wo ist meine Seelenschwester?
Ihr Hirsche und ihr Rehe in dem Wald,
Wisst ihr, wo meine Seelenschwester ist?
Ihr Tauben in den Wipfeln der Kastanien,
Wohin entschwebt ist meine Seelenschwester?
Du Eichhorn, folgend deinem Eichhornweibchen,
Wo ist sie hin, die liebe Seelenschwester?
Ihr Nachtigallen in den wilden Rosen,
Ach, wie vermiss ich meine Schwester Leben!
Ihr Steine, meine Brüder, schreit es laut,
Wo ist die Seelenschwester Leben hin?
Du Nymphe Echo an dem Waldesrand,
Gib Antwort mir: Wo ist die Schwester-Braut?
Ihr wilden Eber, wilder Ferkel Väter,
Habt ihr gesehn die Schwester-Braut, das Leben?
Du Bärin, hat man dir geraubt die Jungen?
Doch brumme, Bärin: Wo ist meine Schwester?
Ach, sie ist weg, ach, sie ist weg, die Liebste,
Ach, könnt ich finden meine Schwester-Braut,
Ich brächte sie in meiner Mutter Hütte!
Sie lag mit mir an meiner Mutter Brüsten,
Wir tranken doch die selbe Milch des Trostes!
Wenn ich sie finden würde, meine Schwester,
Ich würde küssen sie in Sherwood Forest
Und keiner dürfte lästern über uns,
Wenn Brüderchen und Schwesterchen sich küssen!
SWEETY
(flüchtig auftauchend)
Hu, Karol, lieber Hirte Karol, Hu!
Komm, hasche mich, ich bin die Lust am Leben,
Komm, kasche mich, ich bin die pure Lenzlust!
KAROL
Du bist es ja, Carina, ich erkenn dich,
Selbst wenn du tot bist, kenne ich dich noch,
Weil du ein Stück von meinem Herzen bist!
SWEETY
(steht jetzt ruhig vor Karol, der sie für Carina hält)
Sag Ja zum Leben, Karol, Ja zur Liebe!
KAROL
Ich dachte, du wärst tot, mein Schwesterherz!
SWEETY
Und wenn ich sterbe, wie ergehts dir dann?
KAROL
Das weiß ich erst, wenn du gestorben bist!
Denn wenn du lebst, mein Schwesterherz Carina,
Dann ist es doch für mich ganz unausdenklich,
Du könntest einmal nicht mehr bei mir sein.
SWEETY
Sag einmal, wie du um mich trauern würdest.
KAROL
Ich bäte Bruder Tuck, er möge singen
Ein Requiem für dich und ein Te-Deum!
SWEETY
Kein Mönchslatein, denn das versteh ich nicht.
KAROL
Ich sagte: Nackig kam Carina, ah,
Ja, nackig kam sie aus dem Mutterschoß
Und nackig scheidet sie von dieser Erde.
Gott hat gegeben uns Carina nackt,
Gott hat genommen uns Carina nackt.
Wir singen Lob dem süßen Namen Gottes!
SWEETY
So tröstet dich dein Christenglaube schnell?
KAROL
Mein Christenglaube Trost wär in der Trauer,
Doch meine Trauer wäre unermesslich!
Um dich nicht weinte ich, mein Schwesterherz,
Nein, um mich selber würd ich bitter weinen!
Die Tränensäcke unter meinen Augen
Bezeugten aller Welt, wie ich voll Trauer
Und trotz des Glaubens ohne Trost bin,
Weil du mir fehltest! Du bist unersetzlich!
Mein Leben selbst verlöre seinen Sinn
Und ich verlöre alle Lust am Leben
Und hätte keine Zukunft mehr auf Erden
Und keine andre Hoffnung als den Tod,
Um bald bei dir zu sein im Schoße Gottes!
SWEETY
Ach traurig, traurig, wehe, traurig, traurig!
Erzähl doch wieder lustige Geschichten,
Lass Tag für Tag dein Herz nur heiter sein!
Ich lebe noch! Ich bin doch appetitlich?
Komm, komm, vernasche deine Süßigkeit
Und schmecke nur, wie deliziös ich bin!
KAROL
Ja, du bist meine delikate Lust!
Das Leben wird durch dich zur Delikatesse!
Oh, deine Küsse sind so deliziös!

(Der liebeskranke Schäfer Amour kommt melancholisch langsam wandelnd näher.)

SWEETY
Amour, der liebeskranke Schäfer, kommt!
Hinweg, hinweg, so sag ich meiner Seele,
Ich will nicht sehn den liebeskranken Trottel
Mit seinem Dattelblick voll Hundedemut!
Er soll mir nicht die hohen Stiefel lecken
Und sklavisch werfen sich vor mir zu Boden
Und mich anbeten als die höchste Göttin
Und mit dem lieben Gotte mich verwechseln
Und als Ertrinkender in tiefster Not
Zu meiner Seele beten: Hohe Schutzfrau,
Allmächtige, erlöse meine Seele!
AMOUR
(von ferne, singend)

Die Liebe, sie bringt Todesschmerzen,


Den Wachs verzehrend glühn die Kerzen,
Die Tränen blutig rot
Mir tropfen aus dem wunden Herzen,
Ich kann nicht froh mehr sein und scherzen,
Carina, ach, ist tot!

Die Liebe bringt mir nichts als Leiden,


Sie will an meinem Weh sich weiden,
Stürzt mich in Todesnot,
Ich muß die liebste Liebe meiden
Und sehn mich nur noch abzuscheiden,
Carina, ach, ist tot!

Die Liebe bringt mir Marterqualen,


Ich muß für alle Sünden zahlen,
Die mir das Leben bot,
Ich muß in tiefen Jammertalen
An Kreuze Schmerzensmänner malen,
Carina, ach, ist tot!

Die Liebe ist es, die mich peinigt,


Ich bin mit meiner Pein vereinigt,
Ich esse Aschenbrot
Und trinke Tränentrank, mich reinigt
Die Qual, seit mir ihr Tod bescheinigt,
Carina, ach, ist tot!

SWEETY
(flüchtend)
In diesem Tränental und Jammertal
Mit ihm doch will ich nicht spazieren gehen,
Ich liebe mehr die lustigen Gefilde
Und was ich will, bin ich verliebt im Herzen,
Ist, froh zu scherzen in der Lust der Liebe!

ZWEITE SZENE

(Amour und Karol.)

AMOUR
Ich glaube gar, ich sah Carinas Geist!
O Gott! Die Toten sind schon auferstanden?
KAROL
Wie sahest du Carinas Geist? Als Schatten?
AMOUR
Gerade eben war sie noch um mich,
Da sah ich ihre liebliche Gestalt.
Von hinten sah ich sie: O solchen Po
Hat nur Carina, nur Carina hat
So wohlgeformt das Becken und die Hüfte.
Als ich sie sah, tat sich der Himmel auf!
KAROL
Der Himmel? Wie? Hat Jesus Wein getrunken
Mit dem Kollegium der zwölf Apostel?
AMOUR
Nein, nein, beileibe nicht! Im Himmel Jesus
Trinkt keinen Wein, er selber ist der Wein
Und wir ein kleiner Tropfen Wasser nur,
Der löst sich auf im breiten Becher Mischwein.
KAROL
Wie ist Carina denn im Himmel? Nackt?
Trägt sie im Himmel weiße Leinenkleider?
AMOUR
Ich sah die Gottheit, einen Ozean
Der Schönen Liebe in der Ewigkeit,
Den Ozean des ewigen Genusses,
Die Ewigkeit von Glück und Lust und Wonne,
Und Wollust über Wollust rauschte rauschend
Wie Wellen aus der Ewigkeit heran
Und in dem Ozean der Gotteswonne
Die Ideale all der Schönheit schwammen
Und alle Ideale meines Lebens,
Die trunkenen Visionen reiner Schönheit,
Sie alle badeten im Ozean
Der Schönen Liebe in der Ewigkeit
Und da sah ich Carina auch, nicht tot,
Lebendig war sie, ja, sie war vergöttlicht,
Von Gott vergöttlicht, Göttin gar geworden,
Der Schönheit und der Liebe junge Göttin,
Die tauchte aus der Gischt der Wellenbrecher
Des Ozeans der Ewig-Schönen Liebe
Als nackte Göttin ewigen Genusses!
KAROL
Wer solches schaut, der muß glückselig sein.
AMOUR
Ich Unglückseliger! Ich armer Atlas!
Die ganze Welt der Schmerzen muß ich tragen!
Ich bin in absoluter Einsamkeit,
Wenn ich allein bin, bin ich einsam, und
Auch wenn ich unter Menschen bin, so bin
Ich einsam! Keiner will von mir geliebt sein!
So schenk ich meine Liebe meiner Toten!

(Der Hirte Clarion und die Hirtin Mona Leone kommen und wenden sich an Karol.)
CLARION
O Karol, Amica ersehnt dein Kommen!

(Amour entfernt sich melancholisch langsam wandelnd.)

KAROL
Ich sehne auch mich sehr nach Amica!
MONA LEONE
Was ist denn mit Amour nur los, mein Freund?
KAROL
Er ist so voller Wehmut, voller Trauer,
So melancholisch und so einsam, ach,
Sein Herz ist viel zu zärtlich für die Welt
Und überall vermisst sein Herz die Liebe.
CLARION
Ja, frostig geht es unter Menschen zu.
KAROL
Amour will nur noch ganz alleine sein,
Denn unter den Lebendigen ist er
Nicht ganz zuhause mehr, er will nur noch
An seine tote Vielgeliebte denken.
Oft scheint es ihm, dass ihn ihr Geist umschwebt,
Dann will er nicht gestört sein von den Kindern
Der Welt, er will dann seinem Traum nachhängen.
CLARION
Was sind Lebendige und was die Toten?
KAROL
Amour scheint mehr doch zu empfinden, dass
Die Lebenden in Wahrheit Tote sind,
Die Totengeister aber ganz lebendig.
Vertrauter geht er mit den Toten um
Als mit den Lebenden von dieser Welt,
Die zwar den Namen haben, dass sie leben,
In Wahrheit aber kalten Herzens tot sind.
MONA LEONE
Ich fühle Mitleid mit dem armen Schäfer.
Ach, möge ihn der Gott vom Himmel trösten!
Ach, möge er doch in der Morgenröte
Die Glocke hören von der Waldkapelle
Des Eremiten Columban und hören
Das Blöken junger Lämmer früh am Morgen,
Daß Gott den Frieden in den Geist ihm senke.
KAROL
Amour wär halb getröstet, liebe Mona
Leone, wenn er spürte, dass ein gutes
Und sanftes Mädchen mit ihm Mitleid habe.
MONA LEONE
Ich hab ihn lieb, so seltsam es auch klingt,
Auf meine Art auch liebe ich Amour.
KAROL
Sein Herz will sich doch gar nicht trösten lassen.
CLARION
Was aber Amica betrifft, mein Freund,
Wie sieht es da mit deiner Sehnsucht aus?
KAROL
Ach, heute Nacht hab ich von ihr geträumt,
Sie hatte einen Hirten als Gemahl,
Ich aber war in ihrer Hirtenhütte
Mit Amica allein und wir durchwühlten
Gemeinsam voller Liebeslust das Bett
Und saßen dann, ermattet von der Liebe,
Auf schön geflochtnen Stühlen vorm Kamin,
Da kam herein ein Freund von ihrem Gatten
Und sah uns an und sagte dann zu mir:
O Karol, Amica ist doch vergeben,
Nie wirst du mit der Vielgeliebten glücklich!
Dann sprach er noch: Jetzt kommt der Ehemann
Von seiner Weide, von dem Hirtenamt,
Er steht gleich vor der Tür und tritt gleich ein,
Für dich, o Karol, bleibt ein Ausweg nur,
Du müsstest eben durch das Fenster fliehen.
CLARION
Ach, war das nicht ein Alptraum, dass die Freundin
Und Vielgeliebte Amica vergeben
An einen andern Mann und du vergeblich
Sie liebst mit aller Tiefe deines Herzens?
KAROL
Nein, weil so schön die süß genossne Lust
Der Liebe war im Bett der Amica,
Und weil ich in dem Traum doch selber wusste,
Daß Amica mich lieb hat, ja, mich liebt!
CLARION
Doch merke ich, du willst jetzt weg. Wohin?
KAROL
Ich will Amour, den armen Schäfer suchen,
Daß er sich in der melancholischen
Umnachtung seiner liebeskranken Seele
Nicht noch an einem Eichenbaume aufknüpft.
MONA LEONE
Geh, such ihn, Karol, du getreuer Freund
Und Weggenosse, Hirte mit dem Hirten,
Und wenn sein Lebenshaus in Trümmern liegt
Nach seiner Lieblingin Carinas Tod,
Erinnre du ihn an das Fundament,
Daß er in Gottes Schoß noch lebt und webt!
KAROL
Was wäre denn mein Leben ohne ihn?
Amour hält doch zusammen meine Seele!
Bei seinem Schutzpatron, ich find ihn noch!
MONA LEONE
Sein Schutzpatron? Wer ist der Heilige?
KAROL
Sankt Amor ists, der alle Welt regiert!
DRITTE SZENE

(Sweety allein im Walde.)

SWEETY
Sie alle wollen mich zur Ehefrau,
Allein weil ich so rote Haare habe!
Dryaden, niemals nehm ich einen Mann!
Ich bin vermählt dem Großen Ziegenbock!

(Mutter Madel erscheint.)

MADEL
Da treff ich meine wunderschöne Tochter
In Sherwood Forest und sie spricht gerade
Mit den Dryaden im Kastanienbaum.
O Sweety, wo Kastanienbäume stehen,
Da ist Geselligkeit und Heiterkeit.
Die Schleierbirken sind wie junge Mädchen,
Die Eichen sind wie Männer, wie Heroen,
Die Buchen sind voll mütterlicher Weisheit.
Kennst du das Alphabet der Bäume auch
Und das Geheimnis der Vokale auch?
A, das ist die Geburt des Göttin-Sohnes
Zur Weihnacht an der Wintersonnenwende,
E ist die Initiation des Heros,
Wenn Tag und Nacht von gleicher Länge sind,
U ist der Hieros Gamos unsrer Göttin
Mit unserm Heidengott zu Sankt Johannis,
Zur Sommersonnenwende, wenn die Göttin
Ihr Hochzeitsbett im Heidekraut gemacht
Und gleich der Bienenkönigin begattet
Vom Heros wird, der in der Hochzeit stirbt,
O ist die Erntezeit, die Traubenernte,
Da spritzt das Traubenblut an nackte Beine
Der Keltertreterin, der alte Gott
Besäuft sich maßlos mit dem roten Wein,
I ist die dunkle Mitternacht der Seele,
Der Sonnengott verschwindet in dem Schoß
Der Großen Mutter Nacht, wird neugeboren
Als Gottessohn, der Großen Mutter Sohn.
SWEETY
Ich bin geboren, da am Himmel die
Plejaden regnen in dem Monde des
Skorpions, der unter Plutos Herrschaft steht,
Was, Mutter Madel, ist mein Schicksalsbaum?
MADEL
Du halte immer dich am Kalmus fest,
Schafgarbe wird den Nieren zugeordnet,
Die Nieren stehen unter Venus’ Herrschaft,
Es herrscht die Waage der Gerechtigkeit
Der Göttin Maat. Doch wo der Pluto herrscht
Und wo der Mond im Haus des Skorpions,
Da regen sich bei Mann und Weib im Leib
Die Sexualorgane, Glied und Scheide,
Der Phallusgott paart sich der Vulvagöttin!
Die Hochzeit wird gesegnet von dem Kalmus.

(Robin Hood erscheint in der Ferne.)

SWEETY
O Madel, Madel, da kommt Robin Hood!
MADEL
Verwandle ich mich in Maid Marian!
O Göttin Ashtaroth! O Gott Abraxas!
Hoc Corpus – Hokuspokus, Hokuspokus!

(Madel erscheint im Habit von Maid Marian. Unter ihrem weißen Gewand ist noch zu sehen der
mächtige breite Zaubergürtel. Robin Hood tritt hinzu und hält die Hexe Madel für seine Herrin
Maid Marian.)

ROBIN HOOD
Maid Marian, wie schön bist du gekleidet,
Dein weißes Kleid ist weißer als der Schnee,
Dein Lichtgewand ist heller als der Blitz,
So weiß dein Kleid, so weiß kann es kein Färber
Mit Bleiche färben, meine Weiße Frau!
MADEL
Was willst du denn von mir, o Robin Hood?
ROBIN HOOD
Ich will noch einmal dir ins Auge schauen.
MADEL
Ich träumte heute Morgen im Erwachen,
Wir wären schon seit Millionen Jahren,
Seit hundert Millionen Jahren eins
Als Liebespaar vom ersten Tag der Schöpfung!
ROBIN HOOD
So weiß dein Kleid, doch lichter noch als weiß,
Wie lichtdurchflossne Luft, des Äthers Aura,
Ich sehe schimmern durch dein Hauchgewand...
MADEL
Was siehst du schimmern? Robin Hood, mein Freund,
Wie eines Mannes Blicke scharf durchdringen
Das leichte Kleidchen seiner Vielgeliebten
Und nackt sehn in der Phantasie den Leib
Der Vielgeliebten! Bilde dir nicht ein
Im Überflusse deiner Phantasie,
Daß du berührst erotisch meinen Leib,
Den nackten und begehrten Leib, und schändest
Dich selbst, befleckst dich in der Phantasie
Und überwältigst meinen nackten Leib
In deiner Phantasie mit Lustgewalt
Und schändest meine Seele in dem Leib
Und vergewaltigst deine Vielgeliebte!
ROBIN HOOD
Maid Marian, nicht vergewaltigt wirst du
Von mir, du wirst geliebt von Robin Hood!
Nicht nackt seh ich dich unterm Hauchgewande,
Ich seh der Venus breiten Zaubergürtel
Aus Schlangenleder um dein Becken hängen!
Ich öffne deinen Liebreizgürtel, Venus!

(Robin Hood reißt Madel gewaltsam den Zaubergürtel vom breiten Becken.)

MADEL
Sei du verflucht in alle Ewigkeit!

(Madel, ohne Zaubergürtel, verliert den Habit Maid Marians und steht wieder als Hexe Madel da.)

SWEETY
O große Göttin Madel, meine Mutter,
Ich bin die Dienerin der Muttergöttin!
MADEL
Bei Hekate, der Göttin aller Hexen,
Der Göttin von Magie und Zauberei,
Der Göttin, die am Kreuzweg herrscht, der Göttin,
Die stärker ist als selbst der böse Hades,
Hilf mir, die Hirten alle zu verfluchen!
SWEETY
Ja? Werde ich jetzt eingeweiht in die
Magie der schwarzen Göttin Hekate?
MADEL
Ich rufe: Energeia, Energeia,
Kraft-Wirkungen der Geister in dem All,
Verflucht die Hirten und die Christenschar!
SWEETY
Die große Göttin fluche allen Christen!
MADEL
Ich rufe Isis, Königin des Mondes,
Ich rufe Hekate, die Zauberin,
Ich rufe Kybele, die Magna Mater,
Ich ruf Persephone, die Todesgöttin,
Ich rufe Venus, Göttin freier Liebe,
Ich rufe Pluto, der den Reichtum schenkt,
Ich rufe Herakles, der Muskeln strafft,
Ich rufe Pan, den Großen Ziegenbock!
SWEETY
Ihr Götter und ihr Göttinnen der Völker,
Vereinigt euch und fluchet allen Christen!
MADEL
Wir schreiben Robins Namen auf Papier
Und stechen mit der Nadel in den Finger
Maid Marians, mit ihrem Tropfen Blut
Wir weihen Robin Hood dem Großen Bock,
Im Tropfen roten Blutes von Maid Marian
Erscheint das Angesicht von Robin Hood,
Wir schreiben ihm auf seine Christenstirn
Die Zahl der Aphrodite: Sex, Sex, Sex!
SWEETY
Heil Natas, Heil dem Bocke, Sex, Sex, Sex!

VIERTE SZENE

(Im Lager Robin Hoods. Robin Hood, Maid Marian, Karol, Amica, Schäfer und Schäferinnen.)

DIE SCHÄFER
Der Böse hat sich in Gestalt gezeigt,
Wir wissen, dass die Hexerei und schwarze
Magie von okkultistischen Dämonen
Verursacht wird, wo Satan Herrscher ist.
Was wollen wir? Mit kleinen Lämmern spielen,
Auf goldnem Vlies der Mutterschafen ruhn,
Die schwarzen Zicken von den Hügeln wallen
Und fließen sehn wie Haare der Geliebten,
Da stört der Böse uns, der Gottesfeind!
SCHÄFERINNEN
Wir wollen ja nur friedlich Flöten blasen!
SCHÄFER
Man lasse uns die Stille in den Wiesen
Und störe unsern stillen Frieden nicht!
Die bösen Mächte halten sich für Götter
Und haben nichts im Sinn, als uns zu plagen,
Als uns die stille Seelenruh zu rauben.
Gott der Allmächtige vertreibt die Bösen!
Bleibt uns vom Leib mit euren Elixieren
Und euren Zaubersprüchen, ihr Doktoren
In dem Mysterium iniquitatis,
Wir wollen nur den Frühlingslüften lauschen!
SCHÄFERINNEN
Wir wollen ja nur friedlich Flöten blasen!
SCHÄFER
Die böse Macht gibt sich als große Götter,
Als Weiße Götter gar in Linnenkleidern,
Wir fallen nicht herein auf ihren Trug!
Ach, wenn die Glöckchen an den Lämmern läuten
Und wenn die Glocke der Kapelle läutet,
Wo still im frommen Wahn der Eremit
Sein Ave murmelt jede Abendstunde,
Dann finden Frieden wir in der Natur.
Wir wollen nur von schöner Liebe träumen!
SCHÄFERINNEN
Wir wollen ja nur friedlich Flöten blasen!
SCHÄFER
Ob auch der böse Feind den Frieden stört
Und in den dumpfen Mauern seines Kerkers
In giftigen Phiolen Elixiere
Zusammenbraut und Todesgifte mischt,
Die Schäferinnen schenken wieder Frieden
Den Schäfern, wenn sie ihren Stimmen lauschen.
Wir wollen ja nur heitre Liebe feiern!
SCHÄFERINNEN
Wir wollen ja nur friedlich Flöten blasen!
SCHÄFER
Ja, Schäferinnen, blast die Hirtenflöten!
SCHÄFERINNEN
Maid Marian ist anders doch als Madel!
Ihr Schäfer, singt ein Lied Maid Marian,
Lobpreist die Frau im Wechselsang der Musen!
EIN SCHÄFER
Als ich Maid Marian zum ersten Mal
Am Feuer sitzen sah am ersten Mai,
Erkor ich sie zur Maienkönigin,
Die schlank wie eine Schleierbirke ist.
Ich sah sie an, die androgyne Anmut
Von femininer Schönheit, und ich dachte:
Das ist gewiss der Engel Gabriel!
Da trat ich zu der Herrin, fragte sie:
Bist du ein Mädchen oder gar ein Engel?
Ich glaub, du bist der Engel Gabriel!
Maid Marian still lächelnd sah mich an
Und sprach: Das habe ich noch nie gehört!
O Syrinx, blase uns die Flöte Pans!
ANDERER SCHÄFER
Als ich spazieren ging im grünen Wald,
Maid Marian sah ich am Baume stehn,
Sie schaute mich aus warmen Augen an,
Verschleiert war ihr Haupt vom langen Haar,
Ihr Auge blitzte voller Lebensfunken,
Ihr Antlitz war voll Ernst und doch voll Lächeln,
Die Augen schauten klug vor Frauenweisheit,
Mir war, ich sah die heilige Madonna!
O Syrinx, blase du die Flöte Pans!
ERSTER SCHÄFER
Von meiner vielgeliebten Schäferin
Vernahm ich, dass Maid Marian fast tot
Und schon mit einem Fuß im Jenseits war
Und dort begegnet ist Messias Jesus
Und ward vom Herrn zurückgeschickt zur Erde,
Drum ist sie auch kein Mensch, sie ist ein Engel!
O Syrinx, blase du die Flöte Pans!
ZWEITER SCHÄFER
Ich sah Maid Marian im Kreis von Frauen,
Da schienen alle andern Frauen mir
Brennesseln nur und Disteln nur und Dornen,
Maid Marian war aber eine Rose,
Nein, eine rosaweiße Lotosblume!
Maid Marian ist ganz wie die Madonna!
Madonna ist im Himmel eine Göttin,
Maid Marian auf Erden eine Göttin!
O Syrinx, blase du die Flöte Pans!
SCHÄFERINNEN
Der erste Schäfer spende eine Zicke,
Genauer, eine fette schwarze Zicke,
Der zweite Schäfer spende einen Becher,
Genauer, einen breiten vollen Becher!
O Syrinx, gern bläst du die Flöte Pans!

(Karol und Amica sondern sich ab und stehen unter einem großen Kastanienbaum.)

KAROL
Ach Amica, wie schön doch, dich zu sehen!
AMICA
Ach Karol, eher konnte ich nicht kommen,
Denn meine Lämmer hatten sich verlaufen.
KAROL
Als du nicht da warst, war ich gottverlassen!
AMICA
Den Gottverlassenen ist Jesus nahe!
KAROL
Am Morgen aber schöpft ich neue Hoffnung,
Ich hörte sprechen dich in meinem Kopf,
Du flüstertest von süßen Liebesfreuden.
AMICA
Du bist ein Mann! Vergiss nicht, ich bin keusch!
KAROL
Dann sah im Osten ich die Sonne aufgehn,
Da dacht ich: Amica geht auf im Osten!
AMICA
Ja, wenn ich so in deiner Seele lebe,
Bin ich es wirklich selber, die du liebst?
Liebst du nicht nur ein reines Ideal
Und dem gibst du den Namen Amica?
KAROL
Ich sah dein Angesicht in meinem Geist,
Da warst du eine Göttin, welche lächelt.
AMICA
Ich habe eben auch an dich gedacht.
KAROL
Was hast du denn von mir gedacht, o Freundin?
Ach, sag es lieber nicht, es könnte sein,
Daß du gedacht: Er soll mich nicht begehren!
AMICA
Begierde ist nicht Liebe, sondern Liebe
Ist selbstlos, führt den anderen gen Himmel.
KAROL
Du bist ja selbst mein süßes Paradies!
AMICA
Und auch Vergötterung ist keine Liebe.
KAROL
Und leidenschaftlich soll ich auch nicht sein?
AMICA
Nein, liebe rein und ohne Leidenschaften,
Apathisch bleibe in der Seelenruhe
Und liebe keusch und unbefleckt wie Gott.
KAROL
Gott ist doch selber leidenschaftlich liebend!
Gott liebt und will auch unsre Gegenliebe!
AMICA
Sei nur getrost. Ich hab dich ja auch lieb.

FÜNFTE SZENE

(Der Hexensohn und Schweinehirte Daddy steht vor dem Baum, in den Carina eingesperrt ist.)

DADDY
Ich will dich, o du reizende Carina!
Gehören sollst du keinem als nur mir!
Drei Triebe sind im Herzen ja des Menschen,
Drei Leidenschaften, die den Menschen treiben:
Erwerben will der Mensch und will besitzen,
Beherrschen will der Mensch die ganze Welt,
Begatten will der Mann sein Weib und zeugen!
Carina, du bist meine Leidenschaft
Der Leidenschaften: Dich will ich erwerben,
Doch werben will ich nicht als Minnesänger
Mit einer Mandoline vorm Balkon,
Um nichts als nur Geranien zu verdienen,
Erwerben will ich dich, genauer noch
Gesagt, ich will dich nicht einmal erwerben
Mit Geld wie eine ordinäre Hure,
Nein, du sollst Geld mir zahlen, aber ich
Will dich wie eine Beute mir erhaschen
Und rauben dich und stehlen dich der Welt!
Besitzen will ich dich! Ich selber bin
Besessen vom Gedanken, dich zu haben,
Dich ganz zu eigen zu besitzen und
Mit dir zu schalten und zu walten wie
Mit etwas, das mir ganz zu eigen ist,
Was keiner mir mehr nehmen darf und keiner
Besitzen darf als ich allein und was
Sich selbst nicht stehlen kann aus meiner Hand,
So will ich dich besitzen, dass du mir
Die Sicherheit in diesem Leben gibst,
Darauf ich bau den Tempel meines Lebens.
Beherrschen will ich dich und deinen Leib!
Ja, Macht, das heißt Magie! Und mächtig bin ich,
Denn ich beschwöre deine Seele mit
Geheimen Zaubersprüchen und beherrsche
Dein Denken durch die Weisheit, die Abraxas
Und Ashtaroth höchstselber mir verliehen,
Vor allem aber will ich herrschen über
Den Körper der Begehrten, dass dein Körper
Nicht länger deiner eignen Wollust diene,
Nein, dass dein Körper Liebessklavin sei
Und mir gehöre, meiner Wollust diene,
Du alles tust, was ich von dir verlange
Und du auf jede Weise mein Begehren
Befriedigst, wie ich selber es mir wünsche!
Du meiner Leidenschaften Leidenschaft,
Du göttliche Dryade, komm hervor!

(Carina kommt aus der Baumhöhle, in die sie gebannt ist und steht vor Daddy. Carina ist sehr
appetitlich anzuschauen und Daddy fuchtelt erregt um sich vor Geilheit.)

Ah, wenn ich dich so seh, Begehrteste,


So werde ich zu einem Gartengott!
Anbetung, Ruhm und Ehre, Dank und Lobpreis
Sei Gott Priap, dem ewigen Priap!
O, wenn ich an dich denke, süßes Weib,
So seh ich den allmächtigen Priap
Sein Gotthaupt stolz erheben, Gottes Allmacht!
Der Phallus ist der Sirius am Himmel
Und Hoden sind die Dioskuren-Götter,
Du aber bist die Venus aus der Steinzeit,
Allmächtig deine göttergleichen Brüste,
Dem Euter gleich der Goldnen Himmelskuh,
Dein Becken aber ist der Becher Gottes,
In welchen ich den Schaumwein spritzen will!
Du liebst so sehr die transparente Seide,
Du heilige Hetäre, Gottes Hure,
Ich will die Seide dir vom Leibe reißen!
Liebst du so sehr den transparenten Stoff,
Will ich auf meinen steilen Phallus stülpen
Den transparenten Beutel, der gemacht
Aus Stierdarm, stülpe mir den Beutel über!
Bespringen will ich dich, so wie der Stier
Die Kuh bespringt von hinten, oder wie
Der Elch mit seinem erigierten Penis
Sein Weib von hinten mächtig will begatten!
Doch bist du willig nicht, brauch ich Gewalt!
Dann reiß ich dir die Kleider von dem Leib
Und werfe splitternackt dich auf den Boden,
Mit einer Hand halt ich den Mund dir zu
Und mit der andern Hand und mit dem Arm
Ich reiße deine Beine auseinander
Und werfe meinen Körper auf den deinen
Und stoße meinen Gott in deine Scheide
Und stoße zu und vögle dich zu Tode!
Ja, meine Wollust will ich an dir haben,
Dein Fleisch will ich benutzen dir zur Lust!
Nur weg mit aller Sklaverei der Kirche,
Nur weg mit der bigotten Prüderie!
Ich habe Triebe, die allmächtig sind,
Und du bist meine Triebbefriedigung!
Ich habe einen göttergleichen Phallus,
Du hast die Scheide für mein scharfes Schwert!
So spreize deine Beine, lass dich vögeln,
Sonst spreiz ich selber deine Beine, Weib,
Und bohr mein scharfes Schwert in deine Scheide,
Ob du auch blutest aus von meinem Schwert!
Priap gebietet, ich gehorche Ihm!

(Der Schäfer Clarion kommt aus der Ferne näher und singt.)

CLARION
(singt)

O reine Venus ohne Leidenschaft,


Du Makellose, Pure,
Frau Liebe bist du, welche Welten schafft,
Nicht ordinäre Hure.

O Ewigkeit der süßen Lebenskraft,


Du Schöpfertrieb der Liebe,
Wie alles sich entwickelt durch den Saft
Voll deinem Göttertriebe!

Frau Venus, o du große Gott-Natur,


All deine Triebe schaffen,
Das ganze All ist deine Kreatur,
Die Geister und die Affen.

Frau Venus, schenk mir deine süße Gunst,


Die Gischt schäumt auf am Felsen,
Du webst mein Schicksal, lehre mich die Kunst,
In Liebe zu verschmelzen!

Frau Liebe, meine höchste Meisterin,


Ich bet zu deiner Ehre,
Von dir kommt alles, Liebe, was ich bin,
Ich bad in deinem Meere!

Frau Liebe, höchste Schönheitskönigin,


Ich bin von deiner Gnade,
All deinen Fluten gebe ich mich hin,
Der ich in Liebe bade!

Frau Liebe, schenk mir der Ekstase Trunk,


Des Mischweins breiten Becher,
In trunkner Nüchternheit mein Haupt ich tunk,
Des Schicksals Wellenbrecher!

Frau Venus von dem reinen Engelsgeist,


In deiner Lust ich bade,
Ob mich das Schicksal an den Strand auch schmeißt,
Lust wartet am Gestade!

DADDY
Wer kommt da an mit Pfaffen-Litanei?
Sexgöttin Venus, berge du Carina
Im Baum vor dem profanen Blick des Mannes,
Der Liebe feiert wie ein Heiligtum
Und weiß nichts von den tollsten Schweinereien!

(Daddy versteckt Carina wieder in der Baumspalte.)

SECHSTE SZENE

(Clarion steht unter dem Baum, in den Carina gebannt ist. Er hört eine Melodie, die wortlos
gesummt wird.)

CLARION
Ich höre einen lieblichen Gesang,
Ich höre eine tröstliche Musik,
Die spricht zu meiner Seele, tut mir gut.
Das Orgelspiel der Erde ist wohl schön,
Doch schöner ist das Orgelspiel des Himmels.
Der Wind bläst auf den Flöten starker Eichen
Und Nachtigallen flöten für die Rosen.
Die ganze irdische Natur erscheint
Mir als Musik. Ich glaube gar, der Schöpfer
Im Anbeginn nahm sein Psalterion
Und strich die Harfensaiten seines Psalters
Und aus den hohen Tönen wurden Engel
Und aus den tiefen Tönen wurden Affen
Und Menschen sind wie Engel und wie Affen
Musik, sind Schwingungen des Psalters Gottes.
Ich denke an Carina bei den Tönen,
Wie gern sie sang französische Romanzen
Und auch wie gern sie sang die Weihnachtslieder
Mit ihrer engelreinen Kinderstimme.
Musik ist für die Liebenden gemacht,
Musik ist für die Trauernden gemacht,
Und diese Melodie, die ich jetzt höre,
Ist wie Ägyptens Hieroglyphen magisch,
Ist magische Beschwörung des Geliebten.
Ja, wahrlich, da kommt schon Amour gegangen!
AMOUR
(Tritt zu Clarion unter den Baum)
Umarmen möchte ich wohl diesen Baum,
Denn eine Harmonie geht aus vom Baum,
Die tröstet meine kummervolle Seele.
Doch kann ich nicht anstatt Carina lieben
Dryaden, diese Nymphen in den Bäumen.
Die Weisen dieser Welt versuchen mich
Zu trösten über meines Liebchens Tod
Und sagen: Geh nur immer in den Wald,
Die Schöpferin Natur wird dort dich trösten,
Die Schöpferin Natur wird zu dir sprechen
Und schenkt dir Liebe, wenn du ihre Bäume
Umarmst und nimmst die Kraft der Bäume auf.
So spotten mein die Klugen dieser Erde,
Denn welcher Liebende wird die Geliebte
Verwechseln mit den Nymphen in den Bäumen?
Jetzt aber scheine ich verrückt zu werden,
Weil ich die Seele der Natur vernehme
Und höre die Musik der Schöpferin
Natur mir mit Carinas Stimme summen!
CLARION
Das ist ein mystischer Gesang, nicht wahr?
AMOUR
Das ist Carinas Stimme, aber nicht
Carina in dem Kleid der Sterblichkeit,
Carina hat das Kleid schon abgelegt
Der Sterblichkeit und ist unsterblich jetzt
Der Engel Schwester, meine Engelin!
So ist auch diese himmlische Musik
Musik der Engel. Wenn die Engel singen
Im neunten Chor der Hierarchie der Engel,
Sie singen dann französische Romanzen.
Die Zunge, die französisch Liebe singt,
Das ist Carinas Zunge, ist die Zunge
Der Engel, welche von der Liebe flötet.
Oft auch erheben sich die Engel und
Die Engelinnen von dem Berg Parnaß
Und steigen auf zum Chor von Gabriel
Und Michael und Raphael und steigen
Hinan in die Elysischen Gefilde
Der Fürstentümer zu den Tugenden,
Wo Tugenden in Lorbeerkränzen wallen,
Und Mächte, Herrlichkeiten und Gewalten
Der Liebe Hymnen singen an die Gottheit,
Und steigen zu den jungen Cherubinis
Und zu den Seraphinen, die seraphisch
Als Feuerschlangen von sublimer Weißglut
Vereinigt mit den Götterthronen tönen
Die leidenschaftliche Passion des Herrn
Und donnern dann im Himmel aller Himmel
Zum Orgelspiel des Himmels das Tedeum!
Wenn aber Engel sind und Engelinnen
Auf ihren Inseln der Glückseligkeit
Vom Gottesdienste frei und unter sich,
Dann flöten wie verliebte Nachtigallen
Sie die französischen Romanzen wieder
Und schwärmen von der Lust der Jugendliebe
Und von dem Zucker dieser Zeit, der Wollust,
Weil sie genießen die Glückseligkeit
Berauschender Ekstase in der Liebe!
CLARION
Da kann ich dir nicht folgen, lieber Freund,
Ich bin nicht so zuhause in den Himmeln.
Nie hat ergriffen so mich mit Gewalt
Die mystische Ekstase, wie sie dich
Gleich den Betrunkenen dir selbst entrückt.
Vergiß nicht, ich bin nur ein armer Schäfer,
Ich weiß Bescheid vom Streit der Widder und
Der Mutterliebe auch der Mutterschafe
Und Lämmer kenn ich, die in Lilien weiden,
Ich kenn die Schöpferin Natur, jedoch
Der Engelinnen Zunge kenn ich nicht.

(Über Clarion und Amour erscheint die kleine Hand Carinas.)

AMOUR
O Himmel, Himmel, ich seh Gottes Hand!
Ja, Gott streckt seine Hand vom Himmel aus!
Rasch, meine Seele, ich will beichten gehen!

(Amour entfernt sich eilig.)

CLARION
O weiße Hand, o süße Frauenhand,
Dir will ich huldigen, o liebe Hand!
Von deiner Hand so süße Gnaden kommen,
Ich glaube gar, dass deine Hand voll Gnade
Selbst am Karfreitag voller Liebe ist!
Wenn ich betrachte die geschickten Finger,
Wie diese lieblich zu liebkosen wissen,
Dann strömen Ströme süßen Glücks durch mich!
Mit dieser Frauenhand voll schönster Gnaden
Berühre du die Lenden des Gemütes mir
Und führe mich auf deinen Weg der Liebe!
O Frauenhand, o Frauenhand voll Gnade,
Im Alten Testamente auch der Knecht
Tat seine Hand zum Schwur dem Abraham
Auf seine Hüfte, der Beschneidung Mal
Berührend, schwur er ihm den Bund der Liebe!
O Hand, gewähre mir die Huld doch einmal,
Zu schwören bei dem Male der Beschneidung.
Ob ich auch meine Vorhaut noch besitze,
Nimm du mich in die Allianz auf der
Beschnittenen und pfropf den wilden Zweig
In deinen edlen Feigenbaum und so
Du okuliere und du kopuliere
Und pfropf den Wildtrieb auf den Feigenbaum,
Auf dass ich Früchte auch der Buße bringe!
Dann lege deine Frauenhand voll Gnade
Aufs Haupt voll Blut und Wunden, streichle, streichle,
Liebkose du das Haupt voll Blut und Wunden!
Von deiner Frauenhand voll süßer Gnade
So süße Liebesgnaden gehen aus,
Daß mich elektrische Begeisterungen
Durchzücken wie die lichten Blitze Gottes!
Und alle Lebenskraft und Lebenstriebe
Leg ich vertrauensvoll in deine Hand
Und schütte alle Perlen meiner Seele
In deine liebevolle Frauenhand.
Du in der Palme deiner Hand empfange
All meiner Liebe glühende Ergüsse!

(Plötzlich aufkommender grauer Nebel verschleiert die ganze Szene.)

SIEBENTE SZENE

(Plötzlich löst sich der dichte Nebel auf. Mutter Madel mit Tochter Sweety und Sohn Daddy.)

MADEL
O Morgennebel, o du weißer Schleier,
O Abendnebel, o du weißer Schleier,
Die Menschen alle haben Grauen Star
Und sehen nicht die Göttin der Natur,
Die sich verhüllt in dichten Nebelschleiern.
SWEETY
Woher der Nebel kam so plötzlich, Madel?
MADEL
Du nennst mich Madel? Sage lieber Mama!
SWEETY
Ach, lieber will ich zu dir Madel sagen,
Dein Name schon allein, o Madel, ist
Magie, ist reine Zauberei der Göttin.
DADDY
Ich hab ein Kinderlied in meiner Seele.
MADEL
Mein Junge, singe mir das Kinderlied!
DADDY
(singt)

O Mama, laß dein Antlitz auf mich scheinen,


Du musst doch nicht um deinen Jungen weinen,
O Mama, süße Mama!

O Mama, lass du Tränen auf mich schauern,


Du musst doch nicht um deinen Jungen trauern,
O Mama, süße Mama!

O Mama, schau zu mir wie Schleiereulen,


Du musst doch nicht um deinen Jungen heulen,
O Mama, süße Mama!
MADEL
Schau, Sweety, Daddy nennt mich Mama noch.
DADDY
Nein, Madel, wenn ich von der Mama singe,
Dann meine ich die große Göttin Mami!
MADEL
Ich bin der großen Göttin Priesterin,
Und dass die Welt die Göttin nicht erblickt
So splitternackt, wie ich sie geistig schaue,
Drum wirkte ich den weißen Schleiernebel.
Denn wenn die Menschen unsre liebe Göttin
In ihrer bloßen Nacktheit schauen würden,
Wie ich sie schaue immerdar im Geist,
Der Göttin weiße Brüste, weiß wie Milch,
Wie Blitze würden sie die Menschen blenden!
DADDY
Die Menschen reden immer von Carina,
Als würden sie sie kennen so wie ich.
Ich will sie ganz für mich alleine haben!
MADEL
Ja, darum wirkte ich den dichten Nebel,
Daß nicht Amour und Clarion und Karol
Und all die andern schäferlichen Narren
Entdecken deine Lieblingin Carina
In ihrer Spalte, in den Baum gebannt.
DADDY
Mach bitte Zauberkreise um Carina,
Daß nicht die Hirten ihr zu nahe treten.
MADEL
Ja, Kreise will ich ziehen um Carina.
O Nostradamus, hilf zu der Magie,
Daß selbst die schwarz- und weißen Hirtenhunde
Nicht überschreiten dieses Pentagramm.
DADDY
Wenn ich mit Hexerei okkulter Geister
Carina bannen und beschwören kann,
So wird sie wie ein Incubus ganz mein!
Ich werde als ein Satanshexenmeister
In dem verhexten Schoß Carinas zeugen
Dämonensöhne, die die Welt verfluchen!
MADEL
Ja, zeuge du im Geist Dämonensöhne,
Die treu gehorsam ihrem Vater Satan!
DADDY
Verhexe mir den Incubus Carina,
Daß sie dem alten Ziegenbocke Satan
Anbetend küsst den Allerwertesten!
MADEL
O Daddy, schwöre du bei Satans Zahl,
Schwör Satan Treue, schwöre: Sex, Sex, Sex!
DADDY
Ich bring den Hirtenknaben Lieder bei,
Da singen sie dem großen Helden Natas!
O Natas, steh uns bei, o Herr und Meister!
MADEL
Sie wissen gar nicht, was sie singen, Narren,
Doch beten sie den alten Satan an!
DADDY
Die Hirtenmänner lehr ich Lieder, Tänze
Die Hirtinnen, sie singen zu den Tänzen:
O Sex, Sex, Sex! Sie freuen sich daran
Und wissen nicht, sie preisen Satans Zahl!
MADEL
Fluch diesem kindlich-reinen Schäferfest,
Den Christen Fluch, die sich an Christus halten!
SWEETY UND DADDY
Im Namen aller alten Götter, Fluch!
MADEL
Fluch jedem Eremiten, der allein
Nur der Betrachtung lebt der Weisheit Gottes!
SWEETY UND DADDY
Im Namen aller alten Götter, Fluch!
MADEL
Fluch allen Priestern, die gen Osten schaun
Und sehn die Hostie an wie Gottes Sonne!
SWEETY UND DADDY
Im Namen aller alten Götter, Fluch!
MADEL
Fluch jedem fetten Mönch, der Fleisch genießt
Und jeden Abend eine Flasche leer trinkt!
SWEETY UND DADDY
Im Namen aller alten Götter, Fluch!
MADEL
Fluch allen Ultramontanisten, die
Nach Roma schauen zu dem Patriarchen!
SWEETY UND DADDY
Im Namen aller alten Götter, Fluch!
MADEL
Fluch allen frommen Müttern, die sich weigern,
Die eignen Leibesfrüchte abzutreiben!
SWEETY UND DADDY
Im Namen aller alten Götter, Fluch!
MADEL
Fluch allen Mönchen, die die Kinder achten,
Als ob sie alle Jesuskinder wären!
SWETY UND DADDY
Im Namen aller alten Götter, Fluch!
MADEL
Fluch allen Christen, die als Missionare
In aller Welt die Heiden missionieren!
SWEETY UND DADDY
Im Namen aller alten Götter, Fluch!
MADEL
Fluch allen Rittern, die auf Kreuzfahrt gehen
Und Christen schützen an dem Grabe Gottes!
SWEETY UND DADDY
Im Namen aller alten Götter, Fluch!
MADEL
Fluch allen Hirten, die die Herde weiden,
Und die nicht fliehen, wenn die Wölfe kommen!
SWEETY UND DADDY
Im Namen aller alten Götter, Fluch!
MADEL
Fluch allen Frauen, die Maria lieben!
Im Namen unsrer alten Göttin, Fluch!

ACHTE SZENE

(Alle Schäfer und Schäferinnen, Gäste bei Robin Hoods Festmahl, pirschen durch den Wald.)

SCHÄFER
Wir lesen Spuren auf der schwarzen Erde,
Wir lesen Spuren in dem feuchten Gras.
Wo ist die Hexe, dass wir sie vertreiben!
SCHÄFERINNEN
Lasst unsre Hunde Witterung aufnehmen!
SCHÄFER
Die Himmelsrichtung zu bestimmen, lesen
Wir ab das Moos im Westen an der Rinde.
SCHÄFERINNEN
Die Zeit und Stunde sagt die Sonne an.
SCHÄFER
Auch unser Kompaß immer weist gen Norden.
Im Norden ist der mächtige Magnetberg.
Ob wir auch in dem tiefsten Süden wären,
Die Nadel zeigte immer in den Norden.
SCHÄFERINNEN
Im Norden, in der Mitternacht, da wohnt
Der Böse, sitzend auf dem Götterberg!
SCHÄFER
Wenn wir den bösen Feind erst überwunden,
Versammeln wir uns in Arkadiens Auen.
SCHÄFERINNEN
Wir waren auch einst in Arkadiens Auen!
SCHÄFER
Die böse Macht lässt uns doch keine Ruhe,
Bis wir den Satanismus überwunden,
Wir finden eher keine Seelenruhe.
SCHÄFERINNEN
Wir wollen aber euch apathisch haben
Und wie die Kyniker bescheiden lebend
Mit Wasser nur und heißer Erbsensuppe.
SCHÄFER
Wir aber wollen nicht apathisch sein,
Wir wollen Leidenschaft und Zweifel lieber!
SCHÄFERINNEN
Das wird sich alles finden, wenn die Hexe
Erst ausgetrieben ist aus Sherwood Forest.
SCHÄFER
Von Robin Hood noch werden Knaben singen!
SCHÄFERINNEN
Maid Marian besingen dann die Dichter!
SCHÄFER
Hier endet ihre Spur, die Hexe wohnt
Hier hinter dieser Heckenrosenhecke
In ihrer Hütte mit des Teufels Küche.

(Die Schäfer und Schäferinnen dringen durch die Heckenrosenhecke und sehen die Hütte der Hexe
Madel. Die Tür ist offen. Madel sitzt in des Teufels Küche und modelliert eine Wachspuppe von
Robin Hood und sticht Nadeln in die Wachspuppe und murmelt dabei Zaubersprüche.)

MADEL
Jetzt, Robin Hood, durchbohr ich dir die Hände,
Den Nagel schlag ich dir durch deine Hände,
Jetzt, Robin Hood, durchbohr ich dir die Füße,
Den Nagel schlag ich dir durch deine Füße,
Jetzt, Robin Hood, durchbohr ich deine Stirne,
Die Dornen bohren sich in deine Stirne,
Jetzt, Robin Hood, durchbohr ich dir dein Herz,
Es bohre sich die Lanze in dein Herz!
Abraxas, Ashtaroth! Herbei, Dämonen!

(Die Hexe nimmt einen neuen Wachsklumpen und modelliert die Wachspuppe von Maid Marian
und bohrt Nadeln in die Wachspuppe und murmelt Zaubersprüche.)

Maid Marian, jetzt stech ich dir ins Herz,


Umwunden soll dein Herz von Dornen sein,
Ja, sieben Schwerter stechen dir ins Herz!
Abraxas, Ashtaroth! Herbei, Dämonen!
SCHÄFER
O heilige Maria von dem Dornbusch,
Komm uns zu Hilfe, große Mutter Gottes!
SCHÄFERINNEN
Mit jenen, deinen allbarmherzigen
Und tränenvollen Augen führe uns
Hinweg aus dieser finstern Teufelsküche!
SCHÄFER
Du, Jungfrau, trittst der Schlange auf den Kopf!
SCHÄFERINNEN
Du Zweite Eva, unser Garten Eden,
Vertreibe du den Engel Luzifer
Und alle okkultistischen Dämonen!
SCHÄFER
Maria, große Frau der Offenbarung,
Wahrsagerinnen und Hellseherinnen
Und Astrologen und die Hexen schwarzer
Magie und alle Poltergeister und
Auch jeden Kobold, jedes Nachtgespenst
Und alle Geister aus den Elementen
Und Lilith und den Rattengott vertreibe!

(Von der Sonne kommt zur Erde der große feurige Erzengel Ariel, von einem gewaltigen
Gotteslöwen begleitet. Der Gotteslöwe brüllt, die Hexe Madel erschrickt, der Erzengel Ariel wirft
eine Flamme vom Flammenherd Gottes auf des Teufels Küche, die im Feuer zu Asche verzehrt
wird. Dann wendet sich der seraphische Erzengel Ariel an die Schäfer und Schäferinnen.)

ARIEL
Im Namen Göttlicher Triade – Dreiheit
In Einheit – lebt jetzt in dem Geist der Freiheit!
Wer Sklave ist der Mutter Gottes, Sklave,
Noch tiefer als ein Sklave, grüßt sie Ave,
Die Herrin grüßt in ihres Thrones Sessel,
Dem löst die Mutter Gottes jede Fessel!
Erst wer sich an den wahren Gott gebunden,
Als Gottesknecht die Freiheit hat gefunden!
Wer frei sein will im Hochmut und im Stolze,
Sich nicht versklavt dem Heiland an dem Holze,
Wer voller Hochmut selbst sich will erlösen,
Der bleibt geringster Knecht der Macht des Bösen!
Beim großen Kindermörder, bei Herodes,
Der Sünder bleibt versklavt ein Knecht des Todes!
Die aber ganz sich Gottes Mutter weihen,
Die kann die Mutter Gottes nur befreien!
Bei Salomo und bei dem Seher Nathan,
Die Jungfrau nur befreit euch von dem Satan!
Weil ihr die Jungfrau grüßt, die ohne Mängel
Ganz Gottes ist, schickt sie euch ihren Engel!
Mein Name Ariel heißt Gottes Feuer,
Aus dieses Labyrinthes Abenteuer
Ich führe euch zum Feuerherde Gottes!
Wer tritt zum Feuer, frei vom Hohn des Spottes,
Wer tritt zum Feuer Gottes ohne Schuhe,
Den Unbeschuhten führe ich zur Ruhe,
Befriedet alle seine Lebenstriebe
Die heiße Flamme nur der Schönen Liebe!

(Der Erzengel Ariel schreitet voran, die Schäfer und Schäferinnen folgen dem Erzengel auf eine
Lichtung, von hellster Frühlingssonne erhellt, zu ihnen gesellen sich Robin Hood und Maid
Marian.)

ROBIN HOOD
Hier stehe ich und kann nicht anders, Frau,
Gott will es so, o Frau: Ich liebe dich!
MAID MARIAN
Auch ich, auch ich, ich liebe dich im Geist!
DIE SCHENKE

PROLOG

Die Vorgeschichte will ich euch erzählen.


Es war einmal ein frommer Pietist,
Sein Name: Bruder Markus Eichelberg,
Der war vermählt mit einer frommen Christin,
Der Lilie gleich, Susanna Eichelberg.
Susanna schenkte ihrem Ehemann
Als erstgebornes Töchterchen ein Mädchen,
Die nannte sie mit Namen: Angelina
Jolie, sie war ein wunderschöner Engel.
Und schwanger ward Susanna Eichelberg
Mit einer zweiten Tochter in dem Schoß,
Die wollte nennen sie: Laetitia Casta.
Doch Markus Eichelberg verließ die Gattin,
Weil sie ihm nichts als Töchterchen gebar
Und keinen Sohn vom Samen seiner Lende.
Susanna niederkam mit ihrer Zweiten,
Laetitia Casta war ein schönes Kind.
Als aber beide Töchter, Angelina
Jolie, Laetitia Casta, sechzehn Jahre
Auf Erden zählten, ging Susanna fort.
Susanna Eichelberg sprach zu den Töchtern:
Wenn ich nicht einen Sohn noch darf empfangen,
Verzweifle ich und werde depressiv
Und bringe mich am Ende selber um!
So ging Susanna Eichelberg von dannen,
Von irgendeinem Manne zu empfangen
Noch einen Sohn zur Freude ihres Gatten,
Daß wieder käme Markus Eichelberg.
Die erstgeborne Tochter Angelina
Jolie ging früh schon in der Welt verloren,
Laetitia Casta aber ward zur Dame,
Sie ist die Heldin unserer Komödie.

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(Laetitia Casta allein.)

LAETITIA CASTA
Es sagen alle Männer, daß ich schön bin,
Sie schmeicheln mir und raspeln immer Süßholz.
Sie wollen alle mir zu Füßen liegen
Und hündisch mir die Stiefeletten lecken,
Erklären mich zu Mistress Universum
Und preisen mich als Gottes Partnerin,
Ja, als das feminine Antlitz Gottes!
Ja, manche sagen, über der Drei-Einheit
Der Allerheiligsten Dreifaltigkeit
Die Einheit Gottes sei, die Höchste Gottheit,
Die eine Jungfrau sei – und die sei ich!
Die andern, nicht so weise, schwören mir,
Als Sklaven sich mir völlig zu versklaven
Und Blutschweiß schwitzend mir sich aufzuopfern!
Und andre, welche nicht so fleißig sind,
Sie lieben mich mit abgrundtiefem Selbsthass
Und schwören mir, sich selber umzubringen,
Wenn ich sie nicht empfange in dem Bett!
Nun, Rechtsanwälte muß ich fragen, ob
Ich diesen armen Narren sagen darf:
So bring dich ruhig selber um, was solls?
Doch habe ich noch keinen Mann gefunden,
Den ich von ganzem Herzen lieben könnte.
Ich fand zwar Kerle, aber keinen Mann!
Ich fand zwar Bürokraten und Autoren,
Akteure und Mechaniker und Bauern,
Perverse Mönche oder laue Priester
Und dekadente Fürsten, Manager
Voll grenzenloser Geldgier, Präsidenten
Voll ungeheurer Selbstverliebtheit, Sportler,
Die zu dem Fußballgott gebetet haben,
Doch einen Wahren Menschen fand ich nicht.
Wenn ich nun einen Menschen lieben wollte,
So müsste dieser Mann mein Schicksal sein.
Er müsste ganz allein der Liebe leben,
Doch Liebe nicht verwechseln mit der Lust.
Er sollte wissen, was die Liebe ist,
Die Liebe Gottes und die Frauenliebe,
Und sollte nicht perverser Sünder sein
Gemäß der Unzucht der modernen Zeiten.
Das Wörtlein Tugend oder auch Virtutes,
Das müsste ihm vertraut sein aus Erfahrung.
Wo aber soll ich finden solchen Mann
In unsern, ach, so prostituierten Zeiten?
Laetitia Casta – Freude an der Keuschheit –
So heiße ich, weil mich die Keuschheit freut.
Ach, lieber bleibe immer ich allein
Als mich mit einem Ziegenbock zu paaren!

ZWEITE SZENE

(Laetitia Casta mit ihrer Dienerin Binah vor der Schenke, welche auf dem Schilde stehen hat: Pappa
Leo.)
LAETITIA CASTA
O meine vielgeliebte Dienerin,
Wie such ich eine Heimat auf der Erde,
Wo ich empfangen bin und wohlgelitten
Und angenommen, wie ich eben bin!
BINAH
O Herrin, leider muss ich dir bekennen,
Auf dieser Erde ist kein Heimatort,
Ja, nicht einmal in der Kapelle Gottes,
Wo heut so viele Heiden sich versammeln!
Es ist nur eine Heimat in dem Himmel!
LAETITIA CASTA
Doch wenn ich diese Schenke sehe, Magd,
Gastfreundlich schein willkommen hier zu sein,
Ob liebe Menschen wohl hier wohnen mögen,
Ob warme Freundschaft in den Herzen lebt?
BINAH
Geliebte Herrin, Tochter meines Auges,
Mein Augenstern, du Apfel meines Auges,
Ball meines Auges, Mensch in meinen Augen,
Was ist die vielberühmte Freundschaft denn?
Wenn du berühmt bist und zu lachen hast,
Wenn zu den Reichen du dich zählst, zu den
Gesunden an der Seele und dem Leib,
Dann hast du hundert Freunde in der Welt.
Wenn du jedoch erkrankst, zum Beispiel dir
Der Krebs die wunderschöne Brust zerfrisst,
Und wenn du arm bist, wenn du betteln musst,
Dann schaun die Menschen dich verächtlich an
Und meiden dich, als wärst du ekelhaft.
Ja, wenn du jung und produktiv, erfolgreich,
Gesund, vergnügt, wenn du genießen kannst,
Dann klatscht die ganze Erde dir Applaus.
Wo aber sind die ganzen Freunde hin,
Wenn Gott dich ruft in dein Martyrium?
Dann, Herrin, hast du Gott allein zum Freund!
LAETITIA CASTA
Ach liebe Binah, meine Dienerin,
So schwarz will ich die Erde doch nicht sehen.
Ist diese wunderschöne Schöpfung Gottes
Vielleicht ein Tränental, ein Jammertal?
Nur wenn du selber voller Jammer bist,
Ist diese schöne Welt ein Jammertal.
Doch in der Schenke hier von Pappa Leo
Der Sanctus Spiritus soll wie Champagner
Mir Wonne gießen ein, wie Schaum des Sekts!

(Sie treten ein in die Schenke.)

DRITTE SZENE
(In der Schenke von Pappa Leo wohnt schon seit längerer Zeit der gute Mann Gottlieb Liebstöckel.
Ihn besuchen seine zwei Freunde, echte Gentlemen.)

GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Das Weib scheint eine Gottheit mir zu sein,
Die Gottheit scheint mir wie ein schönes Weib!
ERSTER FREUND
Das scheint dir so, weil du alleine lebst,
Die Ehefrau erscheint dir nicht als Göttin.
Schau mich an, Bruder Gottlieb, ich bin zwar
Vermählt mit einer femininen Demut,
Doch oftmals nerven Frau und Kinder mich
Und zornig lauf ich nachts dann durch die Straßen
Und all mein Glück ist diese Schenke dann
Und das Gespräch mit einem guten Freund.
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Des Weibes Schoß ist aller Wünsche Ziel
Und so erscheint mir Gottes Paradies
Nicht wie der Schoß von Vater Abraham,
Nein, wie der Schoß der Lieben Frau Maria!
ERSTER FREUND
Der Himmel soll ja einer Hochzeit gleichen,
Doch will ich Jesus nicht zum Manne haben,
Denn ich bin ja nicht homosexuell.
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Was aber heißt das Wort des lieben Meisters,
Es wird im Himmel keine Heirat geben
Von Ehemann und Ehefrau, vielmehr
Die Himmelsbürger gleichen dann den Engeln?
ZWEITER FREUND
Im Himmel gibt es keine Ehefrau
Mehr zum ausschließlichen Besitz des Mannes,
Im Himmel ist nicht Standesamt, nicht Kirche,
Der Himmel ist der Harem Salomos,
In dem wir alle sorglos uns ergötzen!
ERSTER FREUND
Ja, das wär schön, ich weiß nicht, ob es wahr ist,
Vielleicht hat Mohammed prophetisch auch
Den Garten Eden schon gesehn, die Huris,
Ich weiß nicht, ob es in dem Paradiese
Noch sexuelle Einigungen gibt?
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Wenn sexuelle Einigungen aber
Im Sinne Platons nichts als Schatten sind,
Und Urbild jeder sexuellen Einung
Ist die Vereinigung im Innern Gottes?
ERSTER FREUND
Gott ist doch unser Vater in dem Himmel.
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Gott ist Vereinigung von zwei Personen
Im Geist der Liebe, oder wie der Papst sagt:
Der Gott der Liebe ist der Wahre Eros!
Die Gottheit ist die Göttliche Agape,
Die alle uns in ihrem Schoß empfängt!

VIERTE SZENE

(Gottlieb Liebstöckel allein in der Schenke. Ganz überraschend steht Laetitia Casta vor ihm. Er ist
spontan überwältigt und verzückt. Später tritt die Dienerin Binah hinzu.)

GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Es summt so liebliche Musik in mir...

(Laetitia Casta erscheint.)

Wer bist du, schöne Frau? Bist du ein Engel,


Bist du ein Genius vom Morgenstern,
Bist du Apostelin der Göttin Venus,
Bist du ein Glanz vom Glanz der Schönheit Gottes?
LAETITIA CASTA
Bin eine Frau in aller Einfachheit.
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Nur eine Frau? Oh, du bist eine Frau!
Ich glaube, dass die Frauen göttlich sind!
LAETITIA CASTA
Nein, ich bin nichts als eine Kreatur.
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Nein, du bist mehr als eine Kreatur,
Du bist ein Ebenbild der schönsten Gottheit!
LAETITIA CASTA
Das schmeichelt meinem armen Frauenherzen,
Doch bin ich keine ideale Göttin,
Ich bin ein wahrer Mensch aus Fleisch und Blut.

(Sie ruft ihre Dienerin Binah.)

O meine Dienerin, geliebte Binah,


Komm, hier in dieser Schenke sind charmante
Genossen, wahre Freunde schöner Liebe
Und Gentlemen der Minne-Höflichkeit.

(Binah erscheint.)

BINAH
Mein Herr, ich seh es deinen Augen an,
Die voll von heißen Seelenfunken sind,
Anbetend glühend für die höchste Herrin,
Daß du ein Mensch bist, der die Liebe liebt!
Kennst du den alten Brauch der Provenzalen,
Den Minnehof, wo eine Kaiserin
Der Schönen Liebe hält ihr Weltgericht,
Und alle, die nicht in der Liebe leben,
Für alle Zeit verdammt in Dantes Hölle,
Und schöne Seelen in den schönen Leibern
Für alle Ewigkeit inthronisiert
Im Thron der Glorie in der Ruhmeshalle?
Zu einem solchen Minnehof geladen
Bist du, mein Herr, von meiner lieben Herrin.
LAETITIA CASTA
Ja, komm zum Jüngsten Tag der Schönen Liebe!

FÜNFTE SZENE

(In der Schenke, Laetitia Casta, Gottlieb Liebstöckel, Dienerin Binah. Binah wird zur Kaiserin des
Minnehofs gekrönt.)

LAETITIA CASTA
Ich bin ja nicht die Richterin der Liebe,
Ich werde selbst gerichtet vom Gericht.
Und wenn ich auch mit Engelszungen flöte
Und wenn ich auch mit Frauenzungen flöte
Und hätte in mir keine wahre Liebe,
So wär ich eine Glocke ohne Schwengel!
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Auch ich bin nicht der Richter in der Liebe,
Die Liebe sagt, dass ich nicht richten soll.
Ja, manchmal möcht ich mich wohl selber richten
Und möcht die eigne Seele schon verdammen,
Weil ich mehr Lust verspür als wahre Liebe,
Doch ich bin nicht der Richter meiner Seele,
Die Richterin, das ist die Liebe selber.
LAETITIA CASTA
Wer ist die Richterin am Minnehof?
Wer ist die Kaiserin der Schönen Minne?
Du, Binah, bist die Kaiserin der Minne!
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
So wollen wir dich Göttin Binah nennen!
BINAH
Doch bin ich nichts, als Gottes Sklavin Binah.
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Was heißt denn gar dein schöner Name Binah?
Heißt dieser Name Binah: Honigbiene?
Bist du Melissa oder gar Mylitta?
BINAH
Der Name Binah in der Juden Mystik
Bedeutet Einsicht, praktischer Verstand,
Die göttliche Vernunft, die Intelligenz.
Schon König Salomo im Buch der Sprüche
Sprach zu dem jungen Philosophenschüler:
Die Hagia Sophia, Gottes Weisheit,
Die wähle du zu deiner Wahren Freundin,
Und Binah, diese göttliche Vernunft,
Die liebe du als deine Wahre Schwester!
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
So sei die Kaiserin des Minnehofes
Die göttliche Vernunft, der Intellekt,
Du, o du Intelligenz der Intelligenzen,
Du Große Mutter Binah, bist die Göttin,
Dich krönen wir mit Gottes schönster Krone,
Dich kränzen wir mit Gottes Kranz der Schönheit.
LAETITIA CASTA
Wir bitten, Intelligenz der Intelligenzen,
Dich, Große Mutter Binah, Gottes Einsicht,
Um Einsicht in der Liebe tiefstes Wesen!

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(In der Schenke. Zimmer der Lady Laetitia Casta. Die Lady und Binah allein.)

BINAH
Ach meine hohe wunderschöne Herrin,
Ich hab zu einer Kaiserin kein Kleid.
LAETITIA CASTA
Ich habe schon geschickt zu Meister Schneider,
Andreas Schneider ist ein großer Künstler,
Ja, ein Genie der schönsten Frauenmode,
Und seine Gattin Madel Schneiderin
Ist selber wie die Weberin des Schicksals,
Sie kann noch selbst aus Spinnewebefäden
Dir weben ein sehr feines Negligé.
Bevor Andreas Schneider aber kommt
Mit seinem Kleide einer Kaiserin,
Sollst du von mir die besten Kleider haben.
BINAH
Schau hier nur meine elende Blue-jeans!
LAETITIA CASTA
Nur nicht so schüchtern, meine Dienerin,
Ernesto Cardenal sang schon die Hymne
An Venus in blue-jeans! Der selbe Dichter
Sah einen Automaten für Kondome
Und dachte an die beiden Sakramente
Des Ehesakramentes, Glied und Scheide.
BINAH
Doch eine Kaiserin der Höchsten Minne
Darf sich bewegen nicht in Männerkleidern,
Nicht in Bikini oder Mini-Rock.
LAETITIA CASTA
Nun geh an meinen großen Kleiderschrank,
Da findest du Bikini, Mini-Rock,
Blue-jeans, du schöne Venus in blue-jeans,
Doch findest du dort auch Madonnen-Mode.
BINAH
Nur keine Burka, hoffe ich, die ganz
Verhüllt den Körper einer schönen Frau
Und noch vergittert ihre schwarzen Augen.
LAETITIA CASTA
Wo denkst du hin? O nur kein Fanatismus!
Nein, schau dir die Madonnen-Mode an!
Wie fließt der himmelblaue Äther-Umhang,
Wie fließt das seidenfeine weiße Kleid,
Daß noch der Brüste Spitzen sind zu sehen,
Der Hauch von Schleier auf der Lockenflut
Fließt meerschaumgleich bis zu den nackten Füßen.
BINAH
Ja, die Madonnen-Mode, die gefällt mir,
Zugleich ganz keusch, zugleich ganz voller Liebreiz!
LAETITIA CASTA
So hast du nun ein Kleid, o Göttin Binah!

ZWEITE SZENE

(Laetitia Casta und Binah.)

LAETITIA CASTA
Ach Binah, du bist meine Dienerin,
Ach Binah, du bist meine Kaiserin,
Doch eine Freundin hab ich leider nicht.
Ich war für viele Menschen gute Freundin,
War ihnen Beistand in der höchsten Not,
War immer da mit Rat und Tat der Hilfe
Und schenkte meine Freundschaftsliebe selbstlos,
Doch selber hab ich keinen wahren Freund,
Doch selber hab ich keine wahre Freundin,
Für mich macht keine doch den Finger krumm.
BINAH
Schau auf den Wirt der Schenke, Pappa Leo,
Betrachte seinen kleinen schönen Sohn,
Der wird dir reine Freundschaftsliebe schenken.
LAETITIA CASTA
Du meinst den kleinen blondgelockten Saki?
BINAH
Ja, nimm dir einen Becher süßen Schaumwein,
Den besten roten zuckersüßen Schaumwein
Und spritz den Schaumwein an der Pforte Pfosten
Und sage zu dem goldgelockten Knaben:
Das ist das Opferblut des Agnus Dei!
Dann reiche ihm mit deiner Hand den Becher,
Daß seine Lippen an dem Becher saugen
Den roten Schaumwein wie des Lammes Blut
Und seine Zunge leckt noch aus dem Becher
Das letzte Zuckerkorn des süßen Schaumweins.
LAETITIA CASTA
Was sagen dann die Menschen dieser Welt,
Wenn sie mich einen Knaben lieben sehen?
Ich bin doch keine Kinderschänderin!
BINAH
Wir geben diesem goldgelockten Knaben
Die lange braune Haarflut als Perücke
Und sagen: Dies ist Schwester Angelina
Jolie, Laetitia Castas Seelenschwester.
LAETITIA CASTA
Ach, keine Liebe war ja je so keusch,
Wie keusche Liebe zwischen Schwesterseelen.
BINAH
(ruft aus der Tür)
Komm, kleiner Saki, komm, geliebter Schenke,
Komm, Gottes Liebling, dein bedarf die Lady
Laetitia Casta, komm nur schnell, Geliebter!
SAKI
(Hereinrennend)
Wie kann ich meiner Herrin Freude machen?
Was du dir wünschst, will ich dir Liebes geben!
LAETITIA CASTA
Du bist im Spiel jetzt Schwester Angelina
Jolie. Als Lohn für deinen Liebesdienst
Schenk ich dir meine schönste Muschelperle.

DRITTE SZENE

(Laetitia Casta und Binah, Gottlieb Liebstöckel und Saki kleiden die Mutter des Wirtes, also die
Großmutter Sakis, als eine Edeldame nach der Mode der Madame Pompadour.)

BINAH
Großmütterchen, des lieben Saki Oma,
Da wir verwandelt haben ihren Enkel
In diese wunderschöne Angelina
Jolie, soll mit der Ehre ihres Enkels
Großmütterchen zum Ruhm erhoben werden.
Wir sind am Minnehof der Kaiserischen,
Großmütterchen, wer möchtest du jetzt sein?
GROSSMUTTER
Ich möchte sein die reizende Madame,
Die weltberühmte Dame Pompadour.
BINAH
Theresia Maria Österreich
Und Katharina von der Alten Rus
Und diese schöne Dame Pompadour,
Sie waren einst das weltberühmte Dreieck,
Der Venus Delta in Europas Schoß.
Doch Preußens Friedrich, dieser kalte Mann,
Er nannte diese Damen Prostituierte.
GROSSMUTTER
Nicht Prostituierte, sondern einfach Huren.
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Nun, Notre Dame Pompadour, sag an,
Wo ist der kleine Jesus Christ geboren,
In Bethlehem in Juda oder Wien?
GROSSMUTTER
Wenn Notre Dame Maria, Vierge Noire,
Wär eine nette Wienerin gewesen,
So wäre Engel Gabriel gekommen
Und hätte ausgesprochen: Gnädige,
Ich küss die Hand! Sie werden Muttergottes!
Dann hätt gesagt die Wienerin Maria:
Ach gnädger Herr, ach kommen’s morgen wieder!
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Madame Pompadour, sagt, was ist Mekka?
Ein Wallfahrtsörtchen? Eine Tasse Kaffee?
GROSSMUTTER
Ja, alle Türken wollen zu dem Mokka.
Als Kind hab ich gelernt den Kindervers:
Trink nicht so viel vom türkischen Kaffee!
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Bei wie viel Zwergen lebte einst Schneewittchen?
Schneewittchen, ach, mit ihrer weißen Bluse,
Den langen seidenglatten schwarzen Haaren,
Dem Mund, dem Mund von süßen roten Kirschen!
GROSSMUTTER
Bei sieben Zwergen lebte einst Schneewittchen,
Die war die Schönste in dem ganzen Lande.
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Madame Pompadour, Ihr seid voll Weisheit,
Ihr habt gewonnen drei Milliarden Schekel!

VIERTE SZENE

(Georg Schönling allein mit Saki, der als Angelina Jolie verkleidet ist.)

GEORG SCHÖNLING
O Schönheitsgöttin! Du bist so knabenhaft! Nur die Harten kommen in den Garten, das ist die ganze
erotische Mystik des Islam. Nicht die Weich-Eier kommen in den Garten, eher kommen noch die
Ekligen in den Garten! Ja, meine knabenhafte Schönheitsgöttin, mein homoerotisches Modell, sei
nur ekelhaft! Wir wollen über Liebe sprechen. Wenn du mich nicht erhörst, mein androgyner
Urmensch, ich schwöre dir, ich wohne dann einer Zicke bei! Gut, dass es die Tempel der Hinduisten
gibt, so weiß ich, wie die Götter lieben! Das ist ein Gott, ein echter Kerl, der an die Wand pissen
kann, der besteigt die Heilige Kuh von hinten! Das ist ein Gott, ich denke, das ist der ewige
Urbuddha, der steht und vor ihm kniet seine Brautseele, weiblich dargestellt, aber sie ist ein kleiner
Novize, der liebt den Gott und schafft dem Buddha Glückseligkeit durch den Mundverkehr! Aber
keine Angst, Angelina Jolie, wir wollen uns viktorianisch verhalten und heiraten! Dann erst in der
Ehe ist die Unzucht legal! Nun, du bist erst neun Jahre alt, Angelina Jolie, da werden wir keine
andere Kirche finden, uns zu trauen, als die deutsche Luther-Kirche. Die Frau Pastorin ist
geschieden und lebt jetzt mit ihrem Buhlen in wilder Ehe zusammen. Ihr Geliebter stillt das Baby,
die Frau Pastorin leitet den Gesprächskreis der feministischen Theologinnen. Diese Frau Pastorin
wird uns sicher vermählen. Wenn wir dann verheiratet sind, dann sollst du mir das Sakrament der
Mundkommunion spenden! Komm, zum Zeichen dass du zu mir gehörst und nicht zu diesem
Gottlieb Liebstöckel, leg wie der Knecht Eliezer seinem Herrn Abraham deine Hand an meine
Lende zum Schwur: Ich bin ganz dein! Mir geschehe nach deinem Wunsch und Begehren!

FÜNFTE SZENE

(Ein Besäufnis von ordinärem Pöbel in der Schenke.)

DIETER BECKER
Tu est un con!
DETLEF WEGENER
Was sagst du, Arschloch ?
DIETER BECKER
Du Fotze!
DETLEF WEGENER
Ich hab mir eine elektrische Fotze gekauft! He, Pflaumenschnaps!
DIETER BECKER
Was dem einen seine Pflaume, ist dem andern seine Feige.
DETLEF WEGENER
Feige, fica, la figue, the fig!
DIETER BECKER
Ach, du kannst französisch?
DETLEF WEGENER
Ich hatte mal so eine kleine Französin!
PROFESSOR
Cunnus heißt Fotze und lingua heißt mit der Zunge lecken.
DETLEF WEGENER
Gib mir die Flasche!
PROFESSOR
Du bist ein Flaschenhals!
DIETER BECKER
Gib mir einen Becher!
PROFESSOR
Spritzt aus dem Flaschenhals der Schaumwein in den Becher!
DIETER BECKER
Will ich den Becher noch auslecken!
PROFESSOR
Fass mal mit der Hand an den Flaschenhals!
DIETER BECKER
Nein, das macht mein Weib! Professor, bei dir hab ich noch nie ein Weib gesehen!
PROFESSOR
Meine Dame ist die schwarze Königin im Schach.
DETLEF WEGENER
Ich bin zu dumm zum Schachspiel.
PROFESSOR
Bei allen konvulsivischen Kontraktionen, ihr seid alle unerträgliche Dummköpfe!

SECHSTE SZENE

(Lady Laetitia Casta, Kaiserin Binah, Gottlieb Liebstöckel.)

GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Ich liebe dich, du wunderschöne Lady
Laetitia Casta, meine Aphrodite!
Ich bin ganz dein, o meine Aphrodite!
LAETITIA CASTA
Ich stieg direkt vom dritten Himmel nieder,
Ich komm vom Genius des Morgensterns,
Der Engel Haniel, der Charis Diener,
So stieg ich nieder vom Planeten Venus
Und reiste durch den Jupiter und Merkur
Zum Mars und weiter zu der sanften Luna
Und von der Luna kam ich zu der Erde.
Nun preise du doch einmal meine Brüste!
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
O weißer Brüste Paar der Aphrodite,
Du hochgelobtes Land von Milch und Honig,
Du Paradies von leckerm Marzipan,
Du Götter-Ballspiel mit den Marmorbällen,
Ihr hüpfenden Gazellen-Zwillingskitze,
Du Zuckerberg in dem Peru Mariens,
Du Doppelgipfel von dem Berge Horeb,
Parnass und Helikon, ihr Zwillingsschwestern,
Du Berg-und-Tal-Bahn und Cupidos Sitz,
Himalaya der Dritten Göttin Liebe,
Du Busen, dem die Galaxie entströmt,
Ihr, die ihr Liebe flößt und Weisheit ein,
Du Gottesliebe und du Nächstenliebe,
Du Altes Testament und Neuer Bund,
Du, prall von Muttermilch des Trostes Gottes,
Reichäpfel ihr der Gottheit Magna Mater,
Des Wonneparadieses Himmelsberge,
Milchmütter unsres fleischgewordnen Gottes,
Ihr Lebensquellen und ihr Liebesquellen,
Ihr weißen Betten in dem Paradiese,
Du Doppel-Weinberg mit Rosinengipfel,
Rosinenkuchen ihr zum Feigenkuchen,
Ganz Indien preist die Mutterbrüste Devis,
Denn Devis Brüste sind das Paradies,
Denn Devis Brüste sind die Brüste Gottes!
Ich aber, o ihr Mutterbrüste Gottes,
Ich bin ein Kind am Mutterbusen Gottes,
Ihr aber, Liebesäpfel Aphrodites,
Entflammt mich mit der Göttin Liebesflamme!
LAETITIA CASTA
Ich lege meine weiße Bluse ab,
Die keusch verschleierte die weißen Brüste,
Und ziehe an ein feines schwarzes Hemdchen,
Daß du die Brüste der Geliebten anstaunst,
Denn dich erwählte ich zum Favoriten
Und zum Erwählten meines vollen Busens!

SIEBENTE SZENE
(Lady Laetitia Casta und Gottlieb Liebstöckel knien Seite an Seite vor der Kaiserin Binah, die im
Sessel thront.)

LAETITIA CASTA
Gottkaiserin, o gib uns deinen Segen!
BINAH
Laetitia Casta, du bist von dem Adel
Der Schönheit! Was ist Schönheit eigentlich?
Die Schönheit, sie ist ein Ur-Phänomen,
Die in der Welt nie völlig rein erscheint.
Ur-Phänomen der Schönheit ist ein Glanz
Der Ordnung in dem Universum Gottes.
Von diesem göttlichen Ur-Phänomen
Ein Abglanz fällt auf alle schönen Dinge.
Und diesen Abglanz von dem Glanz der Schönheit
Der ewigen Urgottheit der Urschönheit
Sieht Gottlieb visionär in deiner Schönheit,
Um Gottes Schönheit ewig anzubeten
Im Sakrament der Schönheit der Geliebten.
Du, Frauenschönheit von der Gottesschönheit,
Bist ihm ein Sakrament und Mittlerin
Zur ewigen Urgottheit der Urschönheit,
Die er von Ewigkeit zu Ewigkeit
Anschauen will und selig tief genießen!
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Gottkaiserin, gib mir auch deinen Segen!
BINAH
Du, guter Mann, bist für die Vielgeliebte
Ein Zeichen für den Geist in dieser Welt,
Ein Sakrament der Weisheit und Vernunft.
Dein Geist ist ihr ein Licht vom Geiste Gottes,
Dein Wort ist ihr ein Schall vom Worte Gottes.
Nicht irdischer Begierlichkeit der Lust
Im fleischlichen Genuss der Sinnlichkeit
Liebt dich die Vielgeliebte als den Freund,
Du bist ein Hinweis ihr auf Gottes Weisheit,
Mysterium in dem Geheimnis Gottes,
Denn deine Worte sind erfüllt vom Wort
Und so vernimmt die Vielgeliebte in
Den Worten ihres Freundes Gottes Wort
Und meint gar manchmal, wenn du vor ihr stehst,
Daß Jesus vor ihr steht und zu ihr spricht!
LAETITIA CASTA
Du, Binah, du bist meine wahre Freundin!
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
O Binah, segne unser beider Freundschaft!
BINAH
Sei eure keusche gottgeweihte Freundschaft
Ein Sakrament der treuen Freundschaft Gottes!
DRITTER AKT

ERSTE SZENE

(Kaiserin Binah, Laetitia Casta, Gottlieb Liebstöckel.)

BINAH
Mein lieber Gentleman und liebe Lady
Laetitia Casta, jetzt geb ich euch Urlaub.
O Gottlieb, sei du allzeit Gentleman
Und habe feines Taktgefühl und Anstand
Und halte Maß und rede edle Worte
Und nicht gemeine Worte, denn dann wirst du
Mund Gottes sein und Sapientia sabbern!
Und du, geliebte wunderschöne Lady
Laetitia Casta, eine Stunde vor
Dem Mittagessen gehe du spazieren
Mit deinem vielgeliebten Schoßhund Gottlieb.
Du bist noch jung, Laetitia Casta, du
Darfst einen Baum besteigen. Schaut genau
Den nächsten Eichbaum an, umklammert von
Den Efeuranken oder schaut die Ulme,
Umklammert von dem Wein mit prallen Trauben.
Und schaut ihr Hügel, seien euch die Hügel
Der Venus Hügel, schaut ihr Doppelgipfel,
Schaut, ob ihr oben Jadeknospen findet.
Ja, manchmal steht die Welt auch Kopf, fürwahr,
Da findet man in Ulmen auf dem Gipfel
Die schönsten Muscheln. Streift ihr durch das Tal,
Schaut ganz genau den Rosenbusch euch an,
Oft findet man im Rosenbusch die Perle.
Kommt ihr zum Teiche, wo die Kranichpaare
Vereinigt durch den blauen Äther segeln,
Schaut die Fontäne an, die Springfontäne,
Die wie Champagner aus dem Flaschenhals
In hoher Säule aufspritzt und zerfließt.
Doch kommt ihr zu den Auen mit den Kühen,
So schaut, der Stier hat viele Mutterkühe,
Die Mutterkühe haben volle Euter,
Und wenn sie mit den breiten Hintern schaukeln,
Dann buttern sie, wie man in Indien sagt.
Und kommt ihr zu den Auen mit den Schafen,
Schaut an die Heiligkeit des reinen Lammes,
Wie es von hinten tritt heran zum Mutterschaf
Und zwischen dieses Schafes Hinterbeinen
Die Zitze sucht, dass es sie saugen darf.
Die Tiere haben alle eine Weisheit,
So lernt von ihnen, wie man lieben muss.
Zum Mittagessen kommt zurück ins Haus
Und esst Kartoffeln, in dem heißen Fett
Frittiert, und Würste esst dazu und dann
Legt eine Stunde nach dem Mittagessen
Zum Mittagsschlaf euch in das keusche Bett.

ZWEITE SZENE

(Kaiserin Binah, Lady Laetitia Casta, Gentleman Gottlieb Liebstöckel, Großmutter als Madame
Pompadour und Saki als Angelina Jolie.)

BINAH
Eröffnet ist an diesem Nachmittag
Der Minne-Hof der Minne-Aristokraten.
LAETITIA CASTA
O mein geliebter Freund, erklär mir Liebe!
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Und hätt ich tausend Zungen in dem Mund,
Auslecken könnt ich nicht das Meer der Liebe.
Doch ich beginne bei der Mutterliebe.
Schaut eine Henne euch im Garten an,
Wenn sie geboren ihre kleinen Küken
Und dann spazieren geht mit ihren Küken
Und immer ihre Küken dicht sich drängen
An Mutters Rock, das Flügelkleid der Glucke.
Und wenn die Glucke sich dann niedersetzt
Und in dem Schatten ihrer Schwingen birgt
Die kleinen Küken, hörst du Piep, piep, piep!
Genau so ist die Große Mutter Jesus!
Und hörtet ihr nicht auch vom Pelikan?
Die Mutter Pelikan mit ihrem Schnabel
Pickt sich den Busen blutig, mit dem Blut
Des Herzens nährt sie alle ihre Küken.
So bringt die Große Mutter Jesus auch
Am Kreuz ihr Liebesopfer für die Kinder
Und lässt das Herz sich öffnen von der Lanze
Und Blut und Wasser lässt sie strömen aus
Und füttert ihre Kinder mit dem Manna,
Süßschmeckend ist die Himmelsspeise Manna,
Schmeckt jedem Kind nach eigenem Geschmack.
Und denkt euch eine Oma heiligmäßig,
Die ihren Enkel aufzieht in dem Glauben
Und lehrt ihn Paternoster und Tedeum
Und betet stets für ihn wie Monika
Für Augustinus allezeit gebetet,
Dann werdet ihr verstehen, dass der Enkel
Sich sagt: Ich lieb die Große Gottesmutter,
Maria ist die Große Mutter Gottes
Und ich bin Gottes Kind, so ist Maria
Großmutter nach der Gnadenordnung mir.
In aller dieser süßen Mutterliebe
Wir finden Gottes absolute Liebe,
Bedingungslose Mutterliebe Gottes,
So dass wir mit dem süßen Bernhard sagen:
Gott, unser Herr, ist wahrhaft Magna Mater!
LAETITIA CASTA
Wie süß du von der Mutterliebe sprichst,
Mein Freund, was aber ist die Freundschaftsliebe?
Ist Freundschaft eine Form der Liebe auch?
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Die Philosophen der Antike und
Des frommen Mittelalters priesen Freundschaft,
Weil diese Form der Liebe nicht vom Trieb
Der Fruchtbarkeit beherrscht wird, sondern ganz
Vom Geist. Die Männerfreundschaft in dem Geist
Wie der Apostel Brüderbund ist heilig,
Wie Petrus mit Johannes Markus war
Befreundet, diese Freundschaft war ein Zeichen,
Daß Jesus sie nicht mehr als Sklaven sah,
Daß Jesus seine Jünger Freunde nannte.
So Jesus stiftete den Freundschaftsbund
Der Brüder, aber auch der frommen Schwestern,
Wie Sankta Klara fromme Freundin war
Dem heiligen Franziskus keuscher Liebe,
Und wie Teresia von Jesus Freundin
War Juan de la Cruz im Geist des Karmel,
Wie Jeanne Chantal war Freundin Franz von Sales,
Und wie die schwarze Göttin Kali, Mutter
Teresa von Kalkutta, geistig war
Befreundet mit dem Papst Johannes Paulus,
Johannes Paulus griff zum Telephon
Und schickte einen Gruß vom Vatikan
Von Roma zu dem indischen Kalkutta
Und sagte nur: Wir lieben dich, o Mutter!
Die Mutter sagte: Dankeschön, mein Papst!
Das war der ganze Segen des Apostels.
Die Philosophen Griechenlands die Freundschaft
Verehrten als die Göttin Philia,
Die Welt im Innersten zusammenhaltend.
Der Krieg jedoch als Vater aller Dinge
War der Zerstreuer und Zerstörer aller
Der Elemente in dem Universum,
Doch Philia, die Königin der Freundschaft,
Hält alles in dem Innersten zusammen,
Durch Sympathie des Kosmos Elemente
Vereinend, dass das Universum wird
Zu einer Zivilisation der Freundschaft,
Zu einer Theokratie der freien Geister,
Da herrscht die Göttin Philia als Herrin.
Auch Salomo sprach herrlich von der Freundschaft,
Denn wie der Christus Freund der Christen ist,
So ist die Hagia Sophia Freundin
Der Weisen, denn dem wahrhaft Weisen ist
Die Hagia Sophia seine Freundin,
Sophia ihm intimvertraute Freundin.
LAETITIA CASTA
Auch ich will dir vertraute Freundin sein.
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Wie schön, dass du mich magst zum Freunde haben!
Das ist ein großes Glück in meinem Leben!
LAETITIA CASTA
Was aber ist der hochgerühmte Eros?
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Die Philosophen Griechenlands mit Orpheus
In Eros sahen schöpferische Macht.
Sie sagten, Eros wohne immanent
Im Urkeim dieses Universums, als
Die immanente Intelligenz, die alles
Entwickelt in den Evolutionen zu
Dem höchsten Ziel erotischer Entelechie,
Der Amorisation des Universums.
Die Philosophen kennen auch den Eros
In herzlicher Verliebtheit, da ist Eros
Die Liebe zu der Schönheit der Geliebten,
Zuerst zur Körperschönheit der Geliebten,
Sodann zur Seelenschönheit der Geliebten,
Sodann die Liebe zu der Tugendschönheit,
Zuletzt die Liebe zu der Schönheit Gottes.
Man nennt sie heilige Urania,
Die Venus purer spiritueller Liebe.
In allem Eros drängt zur Einigung,
In menschlicher Erotik Eros drängt
Zu der Vereinigung von Mann und Weib,
Der Eros zwar bedient sich da des Sexus,
Indem der Phallus sich vereint der Vulva,
Allein dies ist ein Ausdruck nur des Eros,
Der Seelen eint, so dass die Liebenden
Zu Einem Menschen werden sozusagen.
Jedoch der Eros ist als schöpferische
Gewalt der Liebe schöpferisch und fruchtbar
Und die Zweieinigkeit von Mann und Frau
Wird fruchtbar in dem Geist gezeugten Kindes.
So die Erotik der Vereinigten
Im Ehesakrament wird mit den Kindern
In einer heiligen Familie Gleichnis
Der Allerheiligsten Dreifaltigkeit.
So ist der Eros in der Menschenwelt
Realsymbol des Eros in der Gottheit.
Was aber ist der Eros in der Gottheit
Als die Vereinigung von zwei Personen
In dem Mysterium der Liebe Gottes?
Sankt Dionysius Areopagita
Sprach als der Vater abendländischer Mystik
Vom Eros Gottes, nämlich Er ist Christus,
So dass die Heiligen als Christi Narren
Laut weinend durch die Gassen liefen, rufend:
Ah weh, mein Eros ist gekreuzigt worden!
Ha! Eros ist vom Tode auferstanden!
Die Menschen lieben meinen Eros nicht,
Ah weh, sie lieben meinen Eros nicht!
Denn Jesus Christus ist der Eros Gottes,
Der von dem Himmel kam zur Erde nieder,
Zur Braut zu wählen sich die schöne Psyche
Und Psyche in den Himmel zu entrücken
Und Psyche durch Vereinigung mit Eros
Aus Liebe zu vergöttlichen zur Göttin!
LAETITIA CASTA
Wer solche Hymnen singen kann dem Eros,
Kann sicher gut mit seiner Zunge küssen!
Was aber weißt du von der Karitas?
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
O Freundin, alle Worte sind vergeblich!
Doch denk dir eine aufgeregte Hündin,
Ein Mann hält an dem Seil die junge Hündin,
Sie springt umher und zerrt an diesem Seil
Und gibt dann auf und legt sich ruhig hin,
So kommen wir im Beten zu der Ruhe.
Dann gleicht die Seele aber einem Garten,
Da wunderschöne Lotosblumen blühen.
Im Meditieren nimmt der Gärtner nun
Die Kanne, fasst den Hals der Kanne an
Und gießt das Wasser auf die Lotosblumen.
Das ist doch mühsam, ist noch eine Arbeit.
Doch kommt das kontemplierende Gebet
Dem Lotosgartenparadiese gleich,
Das von dem Regen des Monsun befruchtet
Aus reiner Gnade aufblüht zu dem Himmel.
Dann ist die Gottheit da wie eine Sonne
Und lädt den Menschen zu der Liebe ein.
Die Gottheit Schöne Liebe spricht zum Menschen
Und sagt: So lass dich einfach von mir lieben!
Aus reiner Gnade neig ich mich zu dir
Mit allem Überflusse meiner Liebe
Und bringe dir das Licht der Liebesflamme
Und lass dich saugen an den Mutterbrüsten
Und ruhen an dem Busen deiner Gottheit
Und in der seligen Umarmung ruhen
Und im Mysterium des heiligen Fleisches
Verschmelzen mit der Liebe deiner Gottheit,
Um einzugehen in den Schoß der Gottheit,
Um eins zu werden mit der Gottnatur
Und in dem Inneren der Schönen Liebe
Ein Gott zu werden in dem Schoß der Gottheit
Mit aller göttlichen Glückseligkeit
Und allem Übermaß von Lust und Wonne,
Denn Ich, die Gottheit Ewig-Schöner Liebe,
Ich habe große Lust an dir, Geliebter!
LAETITIA CASTA
Ich singe Halleluja, Halleluja!
BINAH
Bist du zufrieden, vielgeliebte Lady
Laetitia Casta, mit des Freundes Weisheit?
LAETITIA CASTA
Komm, Freund, komm mit zum Teich des Kranichpaars,
Wenn Luna silbrig macht den schwarzen Busch,
Dann geb ich dir den ersten keuschen Kuss,
Der mehr berauscht als aller Schaum des Sekts,
So dass von meinem keuschen Kuss erregt
Du den Orgasmus in der Seele spürst.

DRITTE SZENE

(Pappa Leo und Saki, noch als Angelina Jolie verkleidet. Ein Unbekannter erscheint und schließlich
eine fremde Frau.)

PAPPA LEO
Die Fässer in dem Keller sind noch voll,
Wo aber sind die Gäste zu dem Weinfest?
SAKI
O Väterchen, ich habe großen Hunger!
PAPPA LEO
Geh in die Küche, in der Pfanne schmort
Das beste Lammfleisch, tu es auf den Teller,
Dazu nimm Krautsalat von dem Salatkopf
Inannas, und dazu den Knoblauchquark
Und Zwiebeln nimm und scharfe Peperoni.
SAKI
Wie gut du doch zu mir bist, lieber Pappa!

(Der Unbekannte tritt ein.)

UNBEKANNTER
Ich grüße euch mit einem Pax vobiscum!
PAPPA LEO
Ich sage: Salam aleikum, Unbekannter!
UNBEKANNTER
Ich sag dir meinen Namen: Josef Levi
Von Zypern, auch genannt der Sohn des Trostes.
In dunkler Nacht ging ich aus meinem Haus
Mit leisen samtenschwarzen Katzenpfoten
Und suche meine vielgeliebte Herrin,
Die ich bisher nur in dem Traum gesehen.
PAPPA LEO
In meiner Schenke, wo die Zecher zechen
Den heiligen Spiritus aus breiten Bechern,
Da haben wir Studentinnen der Liebe,
Studentinnen der Künste in der Liebe,
Da wirst du wohl ein Weib zur Liebe finden.
JOSEF LEVI VON ZYPERN
Ich meine doch nicht irgendeine Dirne,
Die Dirnen können Bürokraten haben.
Ich suche nur die Göttin Phantasie,
Schoßtochter Gottes, mir von Gott vertraut,
Die schon als meine Seelenzwillingsschwester
War mit mir in der Mutter Uterus
Und war mit mir vereint vor der Empfängnis
Als himmlische Idee, als Ideal,
Im Mutterschoß des Heiligen Geistes Gottes!
PAPPA LEO
Nimm vorerst einen Schluck aus diesem Becher,
Denn nüchtern auch gefällt die schlechte Dirne,
Doch trunken findest du die rechte Braut,
Die bei der Hochzeit um den Wein sich kümmert.

(Die fremde Frau tritt ein. Sie ist orientalisch pomphaft gekleidet.)

FREMDE FRAU
Ich komm im Namen meines Göttergatten!

VIERTER AKT

ERSTE SZENE

(Die Schenke ist dunkel, kaum erleuchtet von einer roten Laterne. Die fremde Frau in reichem
Orientalischem Putz erscheint in der Gemeinde des besoffenen Pöbels.)

PROFESSOR
(sabbernd)
Hallo, schönes Fräulein! Darf ich wagen, Ihr Arm und Geleit anzutragen?
FREMDE FRAU
Bin weder Fräulein, weder schön, kann ungeleitet nach Hause gehn.
PROFESSOR
Kluges Mädchen, und so reizend!
DETLEF WEGENER
Wie die Brüste sich abzeichnen durch das Hemd!
DIETER BECKER
Runter mit dem Hemd! Trägst doch hoffentlich keinen Büstenhalter?
DETLEF WEGENER
Sonst auch runter mit dem Büstenhalter!
DIETER BECKER
Aber trägt sie einen Slip unterm Rock?
DETLEF WEGENER
Das käm auf eine Probe an.

(Detlef Wegener und Dieter Becker fummeln an der fremden Frau herum.)

FREMDE FRAU
Rührt mich nicht an!
DETLEF WEGENER
Oh, eine kleine Rührmichnichtan!
DIETER BECKER
In Wahrheit gewiss eine Jelängerjelieber! Runter mit dem Rock!
DETLEF WEGENER
Du zuerst, Genosse, dann ich!
PROFESSOR
(sabbernd)
Lasst es mich auch noch mal versuchen!
DIETER BECKER
Du kriegt doch keinen mehr hoch, du alter Sack von Oberlehrer!
DETLEF WEGENER
Die Hure besorgt es dir schon. Auf sie mit Gebrüll!
FREMDE FRAU
Maria hilf!

(Gottlieb Liebstöckel erscheint.)

GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Weg, ihr räudigen Rüden, bei Jesus, weg mit euch, ihr Satansmenschen!

ZWEITE SZENE

(Kaiserin Binah, Lady Laetitia Casta, Gottlieb Liebstöckel, Pappa Leo und die fremde Frau.)

PAPPA LEO
Ach das ist doch die Madel Schneiderin!
MADEL
Ich hab die kaiserlichen Kleider an
Der byzantinischen Prinzessin von
Der Kaiserstadt des ganzen Morgenlandes.
BINAH
So trägst du meine kaiserlichen Kleider?
Zieh sie nur ruhig aus und gib sie mir.
MADEL
Hier also ist die kaiserliche Krone –
(Sie legt die Krone ab)
Hier ist die königliche Perlenschnur
(Sie legt die Perlenschnur ab)
Hier ist der kaiserliche Siegelring –
(Sie streift den Ring vom Finger)
Hier ist der feminine Hochzeitsschleier –
(Sie nimmt den Schleier ab)
Hier ist der himmelblaue Sternenmantel –
(Sie lässt den Mantel fallen)
Hier ist das Gazekleid, bestickt mit Blüten –
(Sie lässt das Gazekleidchen fallen)
Hier ist der rote Rock der Königin –
(Sie lässt den Rock sinken)
Hier sind die Strümpfe der Ophelia –
(Sie zieht die Strümpfe aus)
Hier sind der Himmelskönigin Sandalen –
(Sie zieht die Sandalen aus)
Hier ist der Aphrodite Büstenhalter –
(Sie legt den Büstenhalter ab)
Hier ist der Slip, der Eva Feigenblatt –
(Sie zieht den Slip aus)
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Gott schuf dich als das Meisterwerk der Schöpfung!
LAETITIA CASTA
O wunderschöne Madel Schneiderin,
Leg doch zumindest diesen Schleier um,
Es ist ein Hauch nur ätherfeiner Gaze,
Doch darf die Dame sich nicht prostituieren
Und muß verschleiern ihre keusche Nacktheit
Zumindest mit dem transparenten Schleier
Des Sonnenlichtes um den Ätherkörper!
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
O heilige Maria Magdalena,
Ich hab die Göttin Venus Medici
Gesehn im Striptease! Herr, erbarme dich!

DRITTE SZENE

(Kaiserin Binah, Lady Laetitia Casta, Gottlieb Liebstöckel)

GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
O Binah, unsre Minnekaiserin,
Leg an der Eva keusches Feigenblatt,
Auf dass die Reinheit ewig triumphiere,
Leg an der Aphrodite Büstenhalter,
Daß allzeit quelle uns die Milch des Trostes,
Leg an der Himmelskönigin Sandalen,
Daß wir des Friedens Freudenbotschaft bringen,
Leg an die Strümpfe der Ophelia,
Daß uns die Armen Seelen Beistand leisten,
Leg an das Sommerkleid von feinster Gaze,
Daß unsre Leiber seien geistbeherrscht,
Leg an den himmelblauen Sternenmantel,
Auf dass das Universum preist den Schöpfer,
Leg an die Perlenschnur an deinen Arm,
Auf dass wir allzeit beten, beten, beten,
Leg an die goldne kaiserliche Krone,
Auf dass die Hierarchie auf Erden walte,
So wie die Hierarchie im Himmel waltet.

(Die Kaiserin Binah thront nun im vollen Staat der Cäsarin Augusta in ihrem Sessel.)

LAETITIA CASTA
Gottkaiserin, o göttliche Vernunft,
Als Goethe nahe an dem Tode war,
Bekannte er vor Eckermann den Glauben,
Daß Gott sei die Vernunft, sich offenbarend
Geheimnisvoll in der Natur dem Weisen.
Du, Binah, Name über allen Namen,
Vereint mit deiner Seelenzwillingsschwester
Sophia in dem Geist der Heiligkeit,
Als Herrin trägst du göttlich die Corona,
Die Krone Gottes, Stellvertreterin.
Wir fallen nieder vor der Trinität
Der Krone und der Weisheit und der Einsicht,
Drei Herrinnen in Einer Gott-Natur,
Die Unsre Mutter ist und Kaiserin,
Die Göttin Magna Mater, Gott-Natur,
Die wir in menschlicher Verkörperung
In dir verehren, Dienerin der Herrin.
BINAH
(lächelnd)
Ja, nennt mich immerhin nur eure Göttin,
Ihr Schwärmer mit verliebter Herzenstorheit,
Leibeigne bin ich, Sklavin, Dienerin,
Ein absolutes Nichts vor Gott dem Herrn!

VIERTE SZENE

(Kaiserin Binah, Lady Laetitia Casta, Gottlieb Liebstöckel)

LAETITIA CASTA
Unsittlichkeit und Keuschheit, sprich darüber!
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Wir leben heut in prostituierten Zeiten,
Der Zeitgeist macht normal den Katalog
Der Sünden, die abscheulichsten Verbrechen.
Die Keuschheit lehrt, dass Sexualität,
Daß sexuelle Einigung geschehe
Im Bund der Ehe zwischen Mann und Frau
Und fruchtbar werde in der Kinderschar.
Wer aber wird von Gott dem Herrn berufen,
Dem Himmelreiche ehelos zu dienen,
Enthalte sich der sexuellen Übung.
Heut aber dringt der Geist der Unzucht ein
Selbst in das Heiligtum der Mutter Kirche
Und Mönch und Priester schänden kleine Kinder!
Es wäre den Versuchern dieser Kleinen
Noch besser, hängte einen Mühlstein man
Um ihren Hals, ersöffe sie im Meer!
Auch in der Ehe und Familie werden
Die Kinderlein geschändet. Kleine Knaben
Und kleine Mädchen werden prostituiert
Und angeboten von den Pornographen.
Die zweigeschlechtliche Vereinigung
Ward von den rosa Revolutionären
Beleidigt, Männer paaren Männern sich
Und Frauen paaren Frauen sich, und künstlich
Der Gummiphallus soll die Frau ergötzen.
Die homosexuellen Präsidenten
Das Ja-Wort geben sich in Luthers Kirche,
Und Anglikaner von Amerika
Den homosexuellen Bischof weihen
Ganz gegen Paulus’ Evangelium
Und das mosaische Gesetz der Schrift.
Auch wird der Ehebund geschlossen nicht
Und Menschen leben unvermählt zusammen
Im Konkubinat zu diesen Bastard-Zeiten.
Vielweiberei ist ganz normal geworden,
Der Präsident hat jetzt die vierte Frau.
Novizinnen verlassen die Gemeinschaft,
Um bigamistisch ihrer Lust zu leben
Mit einem Ehebrecher in der Unzucht
Und mit der lesbischen Geliebten auch.
Auch wird der Liebesakt von Mann und Frau
Nicht fruchtbar mehr in einer Kinderschar,
Denn künstliche Verhütungsmittel lösen
Die Sexualität von Fruchtbarkeit
Und der Pariser Präservativen-Gummis
Und die verfluchte Anti-Baby-Pille
Bewirken so, dass Mutter Deutschland stirbt,
Europa stirbt an Kinderlosigkeit.
Ist dennoch in dem Schoß ein Kind empfangen,
So wird es von dem Arzt herausgekratzt
Und wird geworfen in den Abfalleimer!
Europa stirbt an Kinderlosigkeit
Und Abels Blut schreit von der Erde auf
Zu Gott, dem Schöpfer ungeborner Kinder!
LAETITIA CASTA
O welche Finsternis in diesen Zeiten!
Sprich über Tugend, mein geliebter Freund!
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Ich preise jetzt die kardinale Tugend
Als Klugheit, Maß, Gerechtigkeit und Stärke.
Der Mensch besteht aus Seele, Geist und Leib.
In seinem Geiste sei der Klugheit Tugend,
Daß er erkennt, wer Gott und wer der Mensch
Und was ist die Natur der Dinge und
Die Wahrheit von dem Menschen und die Ehrfurcht
Vor Gott, dem Gott der göttlichen Vernunft.
Des Menschen Seele hab der Stärke Tugend,
Das Herz des Menschen habe rechten Starkmut,
Auf dass das Herz in allen Prüfungen,
Die kommen müssen, nicht verzage und
Verzweifle, sondern seines Daseins Kampf
Von Licht und Finsternis, von Gut und Böse,
Heroisch trage aus und triumphiere
Als Krieger Gottes gegen die Dämonen.
Im Leib des Menschen, welcher gut geschaffen
Und gottgefällig ist, der Seele Ausdruck,
Im Leib des Menschen walte vor das Maß,
Der Körper halte Maß in Mäßigung
Und übertreibe nicht den Appetit
Der sexuellen Gier, von Speis und Trank,
Von Hab und Gut in der Vergänglichkeit.
Wenn in dem Geiste herrscht der Klugheit Tugend
Und in der Seele herrscht der Stärke Tugend
Und in dem Leibe herrscht des Maßes Tugend,
Herrscht in der menschlichen Person als ganzer
Die Tugend der Gerechtigkeit, so ist
Die menschliche Person gerecht und gut.
Gott aber gießt aus Gnade Tugend ein
Des Glaubens, wenn sich Jesus offenbart
Und eine Seele sich bekehrt zu Christus
Und annimmt Gottes volle Offenbarung
In Jesus Christus, Gottes Eingebornen,
Und im Gehorsam Gottes Offenbarung
Vertrauend annimmt, wie sie Christus Jesus
Den heiligen Aposteln anvertraut
Und wie für alle Zeit sie wird bewahrt
In der Ecclesia catholica.
Wenn sich der Mensch zu Gott dem Herrn bekehrt
Und von dem Herrn empfängt den Corpus Christi,
Lebt er das Leben schon der Ewigkeit
Und wird auch ewig leben nach dem Tod
In der Vereinigung mit Gottes Einheit
Glückselig ewiger Vergöttlichung.
Der Glaube rettet uns aus reiner Gnade,
Die Hoffnung zeigt das Ziel des Lebens an,
Allein die gottgeschenkte Gottesliebe
Wird bleiben Ewigkeit um Ewigkeit!
LAETITIA CASTA
O, nie genug zu sagen von der Liebe!
Ein Mensch der Liebe nur kann auferstehen!
Komm, gib mir einen Kuß auf meine Wange!

(Gottlieb Liebstöckel küsst Laetitia Casta zärtlich auf die weiche Wange.)

FÜNFTER AKT

ERSTE SZENE

(Georg Schönling und Saki als Angelina Jolie.)

GEORG SCHÖNLING
Wenn Venus am Morgen die himmlische Orgel spielt und ihren Spiegel hervor holt, um die wahre
Farbenlehre zu offenbaren, dann ist es Zeit, junge Geliebte, in die Kirche des Evangeliums zu
treten. Frau Pastorin Käthe Bora wird uns das Hohelied der Liebe vorsingen und dann wird sie
predigen. Das müssen wir ertragen. Wenn sie uns fragt: Wollt ihr euch lieben, achten und ehren, bis
dass der Tod euch scheidet? So sage nur bedenkenlos: Ja, ja, ich will. Und wenn sie uns fragt: Wollt
ihr Kinder und wollt ihr die Kinder taufen lassen und sie christlich erziehen? So sage nur
bedenkenlos: Ja, ja, ich will. Und wenn sie fragt: Wollt ihr, dass der Weiße Riese seine Waschkraft
behält? So sage nur bedenkenlos: Ja, ich will, so wahr mir Gott helfe! Wenn Frau Pastorin Käthe
Bora zu lange predigt, dann hol dein Taschentuch hervor und schnäuze deine Nase in das feine
gestickte Taschentuch, dann wird die ganze Gemeinde aufmerken und allein deine Nase bewundern!
O, ich heirate dich allein wegen deiner Nase! Zwar ist alles an dir schön, mein knabenhaftes
Mädchen, aber deine Nase, deine Nase! Sie ist wie der Vorsprung am Libanonturm, der nach
Damaskus schaut. Ja, ich liebe deine Nase so sehr, ich liebe noch jeden hellen Tropfen an deiner
Nase! Wie ich dich liebe, wenn du in das Tasschentuch schnäuzt! Ich werde dir zur Hochzeit ein
besonders schönes Taschentuch schenken, feinste Brüssler Spitze! Oder willst du ein Taschentuch
aus rosa chinesischer Wildseide? Oder möchtest du ein Taschentuch aus Byssus vom Heiligen
Land? Ich bete deine Nase an! Ich werde solange durch alle Museen der Welt spazieren, bis ich eine
Gottheit gefunden, die deine Nase hat! Die Nase ist der Sitz des Charakters. Und weil du so eine
erhabene Nase hast, darum erkenne ich deinen erhabenen Charakter. Auf zur Hochzeit! Sankt
Luther, segne uns!

ZWEITE SZENE

(Gottlieb Liebstöckel liegt müde auf einem Sopha.)

GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Wie müde ist mein Körper und mein Geist,
Doch meine Nerven sind hellwach, aktiv.
Was ist mit meinen Nervenbahnen los?
Die Nervenbahnen haben doch Membrane,
Synapsen, zwischen ihnen ist ein Freiraum,
Elektrisch blitzen die Informationen
Hinüber von Synapse zu Synapse,
Getragen von den Neuro-Transmitter-Stoffen.
Sowenig Neuro-Transmitter-Stoffe sind
Da zwischen den Synapsen, dass sie nicht
Genau die Informationen tragen können,
Unschärfe ist in der Materia,
Unschärfe, Unbestimmtheit ist im Stoff
Wie in dem Mikrokosmos auch die Quanten,
Die völlig irrationale Sprünge machen,
Wie Kinder, welche übermütig spielen,
Wie Dichter, die im Haschischrausche dichten,
Wie Idioten in der Psychiatrie.
Der Schöpfer scheint ein Kind zu sein, das spielt
Und spielerisch das Universum schafft.
Der Schöpfer scheint ein genialer Künstler,
Alogisch, surreal, intuitiv
Im Rausch der Inspiration und der Manie
Den Kosmos als ein Kunstwerk zu erschaffen.
Der Schöpfer scheint ein Narr, ein Idiot,
Verrückt der Schöpfer, der im wilden Wahnsinn
Der göttlichen Manie das Weltall träumt.
Im Mandelkern Neutronen ein Gewitter
Entladen in elektrischer Entladung
Und Blitze malen meine lichten Träume
Auf schwarzer Leinwand meiner dunklen Nacht
Des Unbewussten meiner Anima.
In dunkler Nacht die schwarze Anima
Erschien als Mamma Afrika vor mir
Und reiste von der Cote d’Ivoire nach England
Und ward zu einer Lady edler Blässe.
Ich sang: So white, so soft, so sweet is Shee!
Jetzt strahlt mir diese weiße Göttin-Dame
Durch meine Seele wie der Lichtglanz Gottes
Und ihre makellosen weißen Brüste
Mir spritzen Ströme Lichts in meinen Mund
In einer intergalaktischen Kommunion!
Ach, schlafen möcht ich, schlafen, Liebe Frau,
Mit dir, o Weib, in deinem Schoße schlafen!

DRITTE SZENE

(Gottkaiserin Binah gekrönt im Sessel, Lady Laetitia Casta kniet vor ihr und betet sie an.)

LAETITIA CASTA
Nicht die Modelle der mondänen Mode,
Nicht weltberühmte Schauspielschülerinnen,
Nicht weltweit angebetete Bajaderen
Und internationale Hierodulen
Und nicht des Präsidenten Sekretärin
Hat Gott sich zur Vikarin auserwählt,
Nein, eine arme, unbekannte Putzfrau!
Die Reichen und die Schönen dieser Welt,
Die Weisen in der Weisheit dieser Welt
Hat Jesus nicht erwählt, vielmehr die Törin,
Die Törin voll der süßen Kindertorheit,
Das Leckermaul mit Schokoladenmund,
Dich, Binah, hat der Ewige erwählt!
Du bist die heilige Gerechtigkeit
In deinem mütterlichen Allerbarmen
Und bist die Zärtlichkeit der lieben Güte
Und bist die Sanftmut einer schönen Seele
Und bist die Demut einer wahren Seele
Und hast das reine Herz von einem Kinde
Und bist die Schönheit von der Schönheit Gottes,
In dir erkenne ich die Weisheit Gottes,
Die Tochter Gottes, die herabgestiegen
Vom Schoße Gottes zu der Welt der Menschen,
Ein göttlicher Aspekt der Schönen Liebe,
Die uns zum schmalen Pfad geworden ist
Ins Himmelsparadies der Schönen Liebe!
Ich preise dich als meine höchste Herrin,
Ich preise dich als meine höchste Göttin,
Ich nenne dich intimvertraute Freundin
Und nenn dich meine Seelenzwillingsschwester!
Du Lehrerin des ewigen Gebetes
Und Meisterin in mystischer Erotik,
Du Gottheit in dem Tempel meines Leibes,
Du Atem in dem Atem meines Mundes,
Du Göttin, aufgetaucht aus meinem Blute,
Du Herzenskönigin der Herzenskammer,
Geliebte in dem Brautgemach der Seele!
In meiner Todesstunde steh mir bei
Und lächelnd sitz an meinem Sterbebette
Und halte zärtlich mir die Zitterhand
Und küss mich auf die Stirn und mit dem Kuss
Schick meine Seele in den Garten Eden,
Den Garten Iden oder Garten Aden,
Den Garten Oden oder Garten Uden,
Ich scherze, denn du liebst den Scherz, o Göttin!

VIERTE SZENE

(Georg Schönling und seine Braut Angelina Jolie, eigentlich Saki.)

GEORG SCHÖNLING
Angelina, Angelina, du Engel meiner Begierde! Du Gottheit meiner Lust! Jetzt haben wir den Segen
der heiligen Stiefmutter Kirche, also auf zur fröhlichen Unzucht! Ins Bett mit dir, mein androgyner
Urmensch! Zum Sex mit deinem Gender-Wesen! Schüttle die langen braunen Locken wild! Nimm
die schwarze Sonnenbrille ab! Mach noch einmal den berühmten französischen Schmollmund! Sage
Nein, wenn du Ja meinst! Laß dein Kleid fallen, junges Mädchen! Komm, ich löse dir den
Keuschheitsgürtel, ich löse dir den Liebreizgürtel, du bärtige Venus! Was für ein Gürtel, meine
knabenhafte Venus! Was für eine breite lederne Schlange! Was für ein mächtiges Schloß von
kretischen Doppeläxten! Ah, was für eine Schnalle! Löse den Gürtel, mein Kind! In der heiteren
Unzucht Namen und des priapischen Zeitvertreibs! Wie juckt es mich zur legalen Sünde!

(Er fummelt an Angelina Jolie herum, ihr Kleid fällt. Da steht der kleine Schenken-Knabe Saki in
Unterhose vor ihm.)

Ah, wie? Was? Du bist ein Knabe! Aha? Ha ha ha ha! Ja, das ist ja noch besser! Nun darf ich mit
dem Segen der heiligen Stiefmutter Kirche einen Knaben schänden! C’est extraordinaire!
SAKI
O mein Jesus!

(Georg wird plötzlich gelähmt, fällt zu Boden, rührt sich nicht mehr.)

Er ist nicht mehr! Georg Schönling ist tot! Satan erbarme sich seiner Seele!

FÜNFTE SZENE

(Lady Laetitia Casta und der Gentleman Gottlieb Liebstöckel allein.)

GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Laetitia Casta, sieh mich vor dir knien,
Ich reiche dir die Rose meiner Liebe,
Sag, willst du mich zum Ehemanne nehmen?
LAETITIA CASTA
Mein Glück ist, deine Ehefrau zu heißen!
Nun gib mir einen Kuss, nicht nur ein Küsschen!
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Bei Amors Buch, wie möchtest du geküsst sein?
LAETITIA CASTA
Die Lippen press auf meine Oberlippe,
Die Lippe press auf meine Unterlippe,
Dann beiße mit den Zähnen meine Lippen,
Die Oberlippe und die Unterlippe beiße
Und knet mit deinen Lippen meine Lippen
Und streichle dann mit deiner Zungenspitze
Die Oberlippe und die Unterlippe
Und tippe leicht mit deiner Zungenspitze
An meine Zungenspitze heiß und feucht
Und lass die Zungen miteinander spielen,
Dieweil wir Mund auf Mund in Liebe drücken!

(Sie küssen sich.)

GOTTLIEB
Wir brauchen Zeugen auch für das Verlöbnis.
LAETITIA CASTA
Ich schlage vor als Zeugin Angelina
Jolie, ich mein, den süßen Knaben Saki.
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Ich schlage vor Großmutter Pompadour.
LAETITIA CASTA
In welcher Kirche sprechen wir das Ja-Wort?
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Nun, in dem Dome Unsrer Lieben Frau!
LAETITIA CASTA
Wohin wird unsre Hochzeitsreise gehen?
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
I want to see the sea-Cybele Venice!
LAETITIA CASTA
Ich trage dann ein kurzes rotes Kleid
Und dann mit dir auf einen schwarzen Schwan!
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
Oh du, mein Himmelreich auf Erden schon!
Gott strafe mich nur nicht für so viel Glück!
LAETITIA CASTA
Am Ende ist doch alles gut geworden.
Doch Binah sucht noch ihren Bräutigam!

SECHSTE SZENE

(Lady Laetitia Casta, Gentleman Gottlieb Liebstöckel, Großmutter Pompadour, Schenke Saki, Josef
Levi von Zypern und Binah.)

LAETITIA CASTA
Komm, Binah, meine Göttin-Kaiserin,
Schau diesen noblen Mann an, Josef Levi
Von Zypern, Priester er der Schönen Liebe!
BINAH
Das ist ein Edelmann nach meinem Herzen!
JOSEF LEVI VON ZYPERN
O Klugheit in Person, du meine Traumfrau!
BINAH
So wollen wir Gefährten werden, Bruder!
JOSEF LEVI
Ich lasse mich von deiner Klugheit führen,
Du die Prophetin, ich der Hohepriester.
BINAH
Ein mystisches, geheimes Bündnis sei
Mit uns, geheimnisvoller Ehe ähnlich,
Doch frei von aller weltlichen Begierde.
JOSEF LEVI
Die pure, spirituelle Kopulation
Des Denkers mit der göttlichen Vernunft !
BINAH
So sei es. Ich bin deine hohe Schutzfrau,
Du sei der Führer aller weisen Männer.
GOTTLIEB LIEBSTÖCKEL
O Josef Levi, wahrer Zypriote,
Mein Neuer Platon, sei du mein Monarch!
JOSEF LEVI
Wenn ich dir dienen kann, du Diener Gottes...
SAKI
O Gottlieb, du bist immer noch mein Held!
Die Weisen alle schwören Josef Levi
Von Zypern ihren Bruderbund der Freundschaft,
Allein ich kleines Kindlein ohne Mutter
Will Gottlieb meinen Weisheitsmeister nennen.
BINAH
Nun auf zur Pilgerreise, Josef Levi
Von Zypern, mit der Muschel an der Kappe,
Wohin geht unsre große Pilgerfahrt?
JOSEF LEVI
In meiner Heimat Zypern der Olymp
Bewahrt im Kloster von dem Heiligen Kreuze
Hoch auf dem Gipfel des Olymp im Schrein
Als heilige Reliquie den Gürtel
Mariens, dahin wollen wir wallfahren,
Und bei dem Liebreizgürtel Unsrer Frau
Der ewigen Liebe ewige Treue schwören!

STÖRTEBECKER

ERSTER AKT
ERSTE SZENE

(Marienhafe. Störtebecker, Eberhard Pilgrimson, Godecke Michael, der Räuber Ben Berthold,
einige Likedeeler, Buddeltorsten.)

(..............) dass wir die Faust ballen können! Aber mit lächelndem Antlitz mit uns zusammensitzen,
mit uns Karten spielen, mit uns Wein trinken, feinste Seide und andre Ware von uns kaufen, und
dann hingehen und mit großen Augen hinter unserm Rücken die Hamburger rufen und uns
christliche Brüder verkaufen für dreißig Silberlinge wie eine Herde von Schlachtschafen!
EBERHARD PILGRIMSON
Das erste Mal, vor neun Wochen, als die Ballen Seide verschwanden, da hielt ich es noch für einen
Zufall.
STÖRTEBECKER
Sünde, Tod und Teufel! Diesen Zufall werden wir zu Fall bringen!
(Zu Ben Berthold)
Du kannst nun gehen, Ben. Klar machen zum Segeln!
BEN BERTHOLD
(Ein großer stattlicher Räuber, geht von Störtebecker fort und redet verbissen mit sich selber)
Ha! So ist das bei den Spitzbuben! Nun bist du mal an Land und denkst: Jetzt hab ich endlich mal
meine Ruhe... Prost Mahlzeit! Auf, sei bereit, Ben Berthold, heißt es, es gibt wieder Arbeit für dich!
GODECKE MICHAEL
(auf Ben Berthold zugehend)Na, wie ist es, Herr? Geht es auf Seefahrt?
BEN BERTHOLD
(übellaunig)
Was sonst?
GODECKE MICHAEL
(begeistert)
Ha! Herr! Wir werden ihn schon fassen, den Hund von Hornsiel!
BEN BERTHOLD
(verächtlich auf Godecke Michael herabschauend)
Pah! Du und den Hund von Hornsiel anherrschen! Mach das Schiff klar, du Milchgesicht!
GODECKE MICHAEL
Was redet er da?
(Er geht, um das Schiff klar zu machen.)
STÖRTEBECKER
(Godecke Michael beobachtend)
Wer ist der Knabe da? He du, Bruder!
GODECKE MICHAEL
(auf Störtebecker zueilend)Nikolaus Störtebecker! Sankt Nikolaus segne dich!
STÖRTEBECKER
Wie heißt du, Knabe?
GODECKE MICHAEL
Godecke Michael ist mein Name.
STÖRTEBECKER
Sankt Michael segne dich! Godecke Michael – was für ein Name! Dein Name ist so brausend wie
ein Wellenbrecher!
(Störtebecker mustert den Knaben.)
Wenn nur der Mensch auch so herrlich ist wie das Meer!
GODECKE MICHAEL
Ich will mein Bestes geben, um so herrlich zu werden wie das Meer, bei Sankt Marie der See!
STÖRTEBECKER
Du bist noch jung. Wie lange bist du bei den Likedeelern?
GODECKE MICHAEL
Drei Monde.
STÖRTEBECKER
Drei Monde? Und da kenn ich dich noch nicht?
EBERHARD PILGRIMSON
Unser Reich ist größer geworden, Störtebecker.
STÖRTEBECKER
Größer, ja, aber auch besser? Da ballt mancher Schurke die Hände gegen die Reichen, der täte
besser, die Faust gegen sich selber zu ballen. Was trieb dich zu uns, Godecke Michael?
GODECKE MICHAEL
Ich war es überdrüssig, den Fußabtreter zu spielen in der bösen Welt.
STÖRTEBECKER
Auch bei mir gibt es Dienst, harten Dienst!
GODECKE MICHAEL
Ja, aber freien Dienst! Likedeeler sind wir, hier gilt gleiches Recht für alle.
BUDDELTORSTEN
Godecke Michael, Bursche, wo bist du?
STÖRTEBECKER
Sie rufen dich.
(Störtebecker gibt Godecke Michael die Hand.)
Was wir schaffen, ist ein lebensgefährliches Werk. Die ganze Welt ist gegen mich! Mögest du es nie
bereuen, dass du zu mir gekommen bist.
GODECKE MICHAEL
(schaut Störtebecker begeistert an)
Mit dir, Störtebecker, segle ich bis ans Ende der Welt! (ab.)
STÖRTEBECKER
Der hat leuchtende Augen und ein brennendes Herz!
EBERHARD PILGRIMSON
Noch mehr solche Männer wie Godecke Michael und mir ist um unsre Sache nicht bange.
STÖRTEBECKER
Dreißig Likedeeler sind durch Verrat verschwunden, ausgeblasen wie das Licht einer Kerze!
EBERHARD PILGRIMSON
Als echte Brüder sind sie ohne Angst in den Tod gegangen. Stolz und mit erhobenem Haupt sind sie
gegangen ihren letzten Gang. Die Hamburger können nicht prahlen, sie hätten Todesangst bei
unsern Brüdern gesehen. Und Anton von Oldenburg, der Schiffshauptmann...
STÖRTEBECKER
Der Grafensohn? Das war einer unserer Besten!
EBERHARD PILGRIMSON
So ist er in den Tod gegangen: Störtebecker lebt!
STÖRTEBECKER
Donnerwetter! Ja, Störtebecker lebt! Und das schwör ich dir, mein toter Bruder: Ich vergesse dich
nicht! Mit meinem Schwert will ich dein Angedenken verklären! Zu Brei hau ich die Satansbraten!
BEN BERTHOLD
(kommt hinzu, mürrisch und verdrossen)
Klar zur Abfahrt!
STÖRTEBECKER
Auf denn, Ben Berthold!
EINIGE LIKEDEELER
Störtebecker, Störtebecker!
STÖRTEBECKER
Auf ein Wort, Matrosen!
BEN BERTHOLD
Ja, reden, das kannst du, aber die Arbeit soll ich allein tun.
STÖRTEBECKER
Likedeelers! Ihr segelt nun nach Hornsiel, ihr wisst warum, man hat uns verraten. Durch Verrat sind
dreißig Likedeeler in Hamburgs Hände gefallen.
LIKEDEELER
Nieder mit dem Judas Iskariot!
STÖRTEBECKER
Es ist gefährlich, nach Hornsiel zu segeln. Der Tod steigt da durch die seidenen Fenster ins Haus.
Seit ihr bereit, mit Leib und Leben einzustehen für unsre toten Brüder?
LIKEDEELER
Luv oder Lee – frei ist die See!
STÖRTEBECKER
Ich kenn euch, Matrosen. Ich weiß, ihr lasst euch nicht bange machen. Gleiche Rechte im Glück,
gleiche Rechte erst recht in der Not!
LIKEDEELER
Freiheit!
BEN BERTHOLD
Gleichheit? Aber ich allein muß die ganze Arbeit machen.
STÖRTEBECKER
Sankt Nikolaus segne euch auf der See! Ich bin mit euch! Gottes Freund –
LIKEDEELER
Und aller Welt Feind!
STÖRTEBECKER
Ja, Gottes Freund und aller Welt Feind!
BEN BERTHOLD
Er ist mit ihnen, ja, in Gedanken. Aber ich bin es, der die schwere Arbeit tut.
STÖRTEBECKER
Ben, in deine Hände lege ich Leben und Ehre der guten Schelme! Behüte sie mir gut! Wohlan denn!
BEN BERTHOLD
(hämisch)
Ich danke dir für deinen priesterlichen Segen. Auf, Matrosen, löst die Taue!
STÖRTEBECKER
Herrgott Sakrament! Will der Ben Berthold meine guten Schelme in das Unheil treiben?
EBERHARD PILGRIMSON
Was meinst du, Störtebecker?
STÖRTEBECKER
Hast du nicht gehört, Eberhard, wie bitterböse Ben Berthold über meinen Segen spottet? Hast du
den Hohn gehört? Ben Berthold ist wie ein bissiger Wolf gegen mich!
EBERHARD PILGRIMSON
Störtebecker, du täuschst dich in Ben.
STÖRTEBECKER
Das wäre seine Rettung. Herrgott Sakrament! Gehorsam will ich meine Schelme! Wer andere zur
Ordnung rufen will, muß sich erst selbst beherrschen können. War das nicht Ben Berthold, der
letztes Jahr zu Ostern vor Sylt ein ganzes Schiff zugrunde gehen ließ?
EBERHARD PILGRIMSON
Störtebecker, jeder macht einmal einen Fehler. Das musst du ihm verzeihen!
STÖRTEBECKER
Eberhard, mein Alter, ich glaube, ich muß selber segeln!
EBERHARD PILGRIMSON
Das Schiff hat schon abgelegt. Du selber segeln! Ha, du bist vor drei Stunden erst in den Hafen
eingelaufen. Ruh dich aus!
STÖRTEBECKER
Ausruhen kann ich mich, wenn ich tot bin.
EBERHARD PILGRIMSON
Du kannst doch nicht überall selber helfen.
STÖRTEBECKER
Wo Lebensgefahr ist, da gehör ich hin.
EBERHARD PILGRIMSON
Du siehst zu schwarz, Störtebecker. Leg dich schlafen! In drei Stunden kannst du wieder arbeiten.
STÖRTEBECKER
Ich kann nicht mehr schlafen.
EBERHARD PILGRIMSON
Dann komm mit in die Schenke.
STÖRTEBECKER
In die Schenke? Nein, ich bleibe im Hafen. Ich muß Seeluft riechen.
EBERHARD PILGRIMSON
Gut, bleiben wir hier. Die Beine fest auf der Erde, die frei werden soll, den Blick fest auf die offene
See, die frei ist!
STÖRTEBECKER
Das freie Meer!
EBERHARD PILGRIMSON
Schau, wie der Wind den Nebelschleier zerreißt!
STÖRTEBECKER
Der Wind macht alles klar.
EBERHARD PILGRIMSON
So wollen wir auch die Nebelschwaden des Bösen zerreißen und Klarheit schaffen!
STÖRTEBECKER
Und doch nennt die Welt uns schlimme Finger!
EBERHARD PILGRIMSON
Die Welt, ha! Die Welt macht aus schwarz weiß und aus gut böse. Weißt du noch? Es ist erst ein
paar Jahre her, da brachten wir als Viktualienbrüder die Viktualien nach Stockholm, als die
skandinavische Königin Margarethe unsern deutschen König gefangen hielt in Stockholm. Da
hatten wir Kaperbriefe, da waren wir Piraten ehrliche Seemänner der christlichen Seefahrt. Und was
taten wir damals? Das selbe wie heute! Nur damals passte es Hamburg in seinen Kram. Ha, wie
haben sie miteinander gejauchzt, die von Mecklenburg und die von Hamburg, wenn wir Schiffe
gekapert hatten!
STÖRTEBECKER
Heute sieht es anders aus.
EBERHARD PILGRIMSON
Ja, heute ist es anders. Als sich die Feinde vertragen hatten – Pack schlägt sich, Pack verträgt sich –
da hieß es: Störtebecker, geh in Rente, wir brauchen dich nicht mehr! Hüte dich, du falsche Welt,
haben wir da gesagt. Rügen war unsre Burg, Wisby unsre Stadt. Die ganze Ostsee von Rostock bis
Danzig war unser!
STÖRTEBECKER
Sie haben uns doch von der Ostsee vertrieben.
EBERHARD PILGRIMSON
Nun ist es Zeit, dass wir uns die Ostsee zurückerobern. Bruder, damals waren wir fünfhundert
Männer mit vier Schiffen, heute sind wir mehr als tausend Männer.
STÖRTEBECKER
Aber dreißig Männer haben sie uns in Hornsiel gefangen genommen und sie getötet.
EBERHARD PILGRIMSON
Ben Berthold ist nach Hornsiel gesegelt, um als Richter Gericht zu halten.
STÖRTEBECKER
Aber Eberhard, weißt du, ob er wiederkommt? Kennst du Ben Berthold gut genug, dass du sagen
könntest: Er ist der rechte Mann für diesen wichtigen Dienst? Ich hätte es lieber doch selber
gemacht.
EBERHARD PILGRIMSON
Dazu ist es nun zu spät.
STÖRTEBECKER
Wenn meine guten Schelme nicht wiederkommen, wenn ich meine lieben Schelme nicht
wiedersehe, ich weiß nicht, wie ich das überstehen soll! Ich will mich auf meine schwarze Stute
werfen und meine Schenkel an ihre Flanken pressen und reiten wie auf den Flügeln des Sturmes
nach Hornsiel, dass ich noch eher da bin als Ben.
EBERHARD PILGRIMSON
Meinetwegen, bei Gott, so reite! Aber glaub nicht, dass Ben Berthold sich freut, wenn er dich sieht!
Er ist doch so misstrauisch! Misstrauen sät der Satan!

(Der Rattenfänger von Hameln tritt auf, ärmlich gekleidet wie der Ewige Jude.)

RATTENFÄNGER
Fange nur die braune Ratze,
Schicken wir die weiße Katze!
Mäuse in die Mäusefalle,
Alle Ratten fang ich, alle!
STÖRTEBECKER
Wie? Ein Rattenfänger?
RATTENFÄNGER
Mäusefalle stell ins Haus,
Fange nur die fette Maus!
STÖRTEBECKER
Eberhard, das ist der Rattenfänger von Hameln, der alte Mann, der schwerhörig ist, der alte Kerl mit
seinen verrückten Reden und mit seinen Mausefallen und Küchenbürsten.
(Störtebecker ahmt den Rattenfänger von Hameln nach.)
Ach, ich kann euch gar nicht hören,
Brüllt ihr auch in Himmelschören!
Ich der Lahme, ich der Taube –
Brumme, Bär, und gurre, Taube!
EBERHARD PILGRIMSON
Störtebecker, spiel nicht Komödie!
STÖRTEBECKER
Mit den Augen des Rattenfängers von Hameln will ich einmal die falsche Welt betrachten.
EBERHARD PILGRIMSON
Du hast ja den Spleen, mein Lieber!
STÖRTEBECKER
Ja, ich hab den Spleen! Ich bin so verrückt wie das Leben selber!
(sentimental)
Eberhard, als ich noch ein Knabe war, sagte meine Großmutter immer: Du hast ja den Spleen, mein
Junge, du lamentierst wie ein Jude!
EBERHARD PILGRIMSON
Störtebecker, du bist aber kein Kindlein in der Wiege mehr.
STÖRTEBECKER
Das war eine selige Frau, meine liebe Frau Großmutter! Nun ist sie im Himmel!
EBERHARD PILGRIMSON
Störtebecker, du bist der König der freien See!
STÖRTEBECKER
Ich will um Vergangnes nicht trauern, mein Alter. Was gibt es Neues auf der See?
EBERHARD PILGRIMSON
Gut so, Störtebecker! Nur nicht das Leben verträumen! Was es Neues gibt auf der See? Von London
kamen zwei Dutzend Schiffe, sie gehörten Simon von Utrecht, wir haben sie gekapert.
STÖRTEBECKER
Simon von Utrecht, das ist eine Quasselstrippe!
EBERHARD PILGRIMSON
Vor Sylt gekapert haben wir ein Schiff mit spanischem Wein, echten Carinena! Das Schiff liegt nun
mit allen Fässern in Marienhafe!
STÖRTEBECKER
Das gibt neues frisches Blut in den Venen meiner Männer!
EBERHARD PILGRIMSON
Schiffe mit Fleisch sind von Dänemark gekommen, wir haben sie gekapert, sie liegen nun bei
Helgoland an der Langen Anna.
STÖRTEBECKER
So können wir den grausamen Winter überstehen, wenn die Lange Anna uns ihr Fleisch gibt!
RATTENFÄNGER
Fange Ratten, fange Mäuse,
Fange Flöhe, fange Läuse!
EBERHARD PILGRIMSON
Hüte dich, du falsche Welt! Die Nordsee ist unser! Die Ostsee erobern wir uns wieder! Von Emden
und Marienhafe aus erobern wir das Meer! Und dann fangen wir an, ein neues Buch des Lebens zu
schreiben – auf unsere Art!
STÖRTEBECKER
(Pfeift)
Heureka! Ich hab eine Idee!
EBERHARD PILGRIMSON
Eine Idee?
STÖRTEBECKER
Die beste Idee! Eberhard Pilgrimson, grüße von mir den Häuptling Keno Tom Broke! Ich muß fort!
EBERHARD PILGRIMSON
Störtebecker, wann kommst du wieder?
STÖRTEBECKER
Wenn die Gerechtigkeit gesiegt hat!
EBERHARD PILGRIMSON
Hat er einen Knoten in seinen Nervenbahnen? Ist er verrückt geworden? Nun steht mein Knabe da
und flüstert mit dem Rattenfänger von Hameln!

ZWEITER AKT

(Schenke zum Weißen Jadebusen in Hornsiel. Der Schenkwirt Detlef Krüger und sein Knecht,
sowie seine Pflegetochter, die siebzehnjährige Marie: lange braune Haare, große braune
Mandelaugen, schlanke Anmut eines hübschen Leibes.)

ERSTE SZENE

(Störtebecker, verkleidet als der Rattenfänger von Hameln, tritt in die Schenke zum Weißen
Jadebusen.)

MARIE
Was ist das hier für ein wildes Treiben?
DETLEF KRÜGER
Der Flötenbläser und der Rattenfänger,
Der Flötenbläser und der Kinderfänger,
Der Ewge Jude ist es, ach und oh,
Der stand dereinst schon vor dem Pharao.
KNECHT
Der Vogel, der morgens früh singt...
DETLEF KRÜGER
...den fängt abends die schwarze Katze! Na, Marie, schau dir den Rattenfänger an! Ist das nicht eine
imposante Erscheinung? Dick ist erotisch!
MARIE
Schäm dich, mein Pflegevater, man soll sich über einen alten kranken Mann nicht lustig machen!
DETLEF KRÜGER
Dirne! Spielst du wieder Moses auf dem Sinai?
MARIE
Still! Der Rattenfänger will reden.
RATTENFÄNGER
(zeigt seinen Sack mit Mäusefallen)
Huscht durchs Haus die fette Ratze,
Fang sie, Katze, fang sie, Katze!
Huscht durchs Haus die fette Maus,
Ist die Katze nicht zuhaus?
KNECHT
Wie funktionuckelt so eine Mausefalle?
RATTENFÄNGER
Hier tu etwas Käse hin,
Riecht das dann der Mäusesinn,
Kommt sie, nagt den Käse an,
Schnappt die Falle zu! Und dann
Sitzt die Mäusemutter fest!
Rattenflöhe bringen Pest!
O die fette Mäusefrau,
Sitzt sie fest im Kerkerbau!
MARIE
Und ist die weiße Mäusedame gefangen, was geschieht dann mit ihr?
DETLEF KRÜGER
Schlag sie tot!
MARIE
Oh diese süßen niedlichen Mäuschen! Sie sind ja so niedlich! Denen kann man doch nichts zuleide
tun! Und wenn so ein kleines weißes Mäuseweibchen tot wäre – ich würde sie besprengen mit
Marienmilch und so auferwecken vom Tode!
RATTENFÄNGER
Für die Bauern und die Fürsten
Und die Hausfraun hab ich Bürsten,
Sollen euch zum Besten nutzen,
Könnt das Haus im Frühling putzen!
DETLEF KRÜGER
Das ist was für dich, Marie, du liebst es doch, das Haus reinlich zu halten.
MARIE
Ja, mein Haus sei rein von Kot, wie auch die Welt soll rein sein von Sünde! Aber, Rattenfänger, was
hast du denn da im ledernen Sack?
RATTENFÄNGER
Tu ja nichts als Gottes Willen:
Hier sind Drogen, also Pillen,
Habe keinen noch betrogen,
Sind nur Apothekerdrogen,
Kann ein Mensch vor Qual nicht schlafen,
Bring ich ihn in Morpheus’ Hafen!
DETLEF KRÜGER
Rattenfänger, musst du dir bei deinem vielen Verse-Rezitieren denn nicht einmal die Kehle spülen?
Willst du eine Flasche Wein?
RATTENFÄNGER
Die Finanzen und die Banken
Und die Armen und die Kranken,
Advokaten, geile Affen,
Dumme Bauern, fette Pfaffen!
DETLEF KRÜGER
Der kennt die Welt! Aber willst du nun eine Flasche Wein?
RATTENFÄNGER
Alle wollen gute Gaben,
Wollen immer haben, haben!
Alle sind so königliche
Iche, aufgeblasne Iche!
DETLEF KRÜGER
Ob du eine Flasche Wein willst!
RATTENFÄNGER
Wollen rammeln wie die Ratten,
Fressen, saufen, sich begatten!
KNECHT
Detlef, da hast du ja deinen Meister gefunden.
RATTENFÄNGER
Fette Bäuche, zum Exempel,
Speisehäuser sind ihr Tempel,
Ob sie auch verfettet keuchen,
Götter sinds mit dicken Bäuchen!
DETLEF KRÜGER
Und die dummen Ehegatten
Rammeln ihre fetten Ratten!
MARIE
Schäm dich, mein Pflegevater, so über den alten kranken Mann zu spotten!
DETLEF KRÜGER
Du redest wie ein Weib!
MARIE
Und so über einen alten kranken Mann zu spotten, das nennst du männlich? Nein, alter kranker
Mann, ich verspotte dich nicht! Setz dich da in den Winkel unters Kruzifix! Christus segne dich!
DETLEF KRÜGER
Marie, ich weiß: E v a regiert die Welt!
MARIE
Nein, nicht Eva, sondern die L i e b e regiert!
RATTENFÄNGER
Junges Mädchen! Schlankes Mädchen!
Schönes Mädchen! Liebes Mädchen!
DETLEF KRÜGER
Ha, Marie, den alten Sack hast du dir gefischt! Einen schönen Ritter hast du da!
ZWEITE SZENE

(Ben Berthold und eine Horde Seeräuber dringen in die Schenke zum Weißen Jadebusen ein.)

MARIE
Aha! Ihr also nennt euch Likedeeler?
BEN BERTHOLD
Passt dir das nicht?
MARIE
Was geht dich meine Ansicht an?
BEN BERTHOLD
Ah Dirne! Du machst die Stirn so kraus, wenn du mich anschaust!
MARIE
Meinst du, dir soll das glatte Antlitz eines Mädchens lächeln?
BEN BERTHOLD
Wirt, sind hier noch andre Männer im Haus als du und dein Knecht?
DETLEF KRÜGER
Nein.
BEN BERTHOLD
Und dies hübsche Mädchen ist deine Tochter?
DETLEF KRÜGER
Nein, Marie ist ein Waisenkind. Ich bin ihr gesetzlich bestellter Vormund.
MARIE
Mein Pflegevater, was sagst du dem Piraten das? Soll er etwa über mich zu Gericht sitzen?
BEN BERTHOLD
Ja, zu Gericht sitzen will ich! Wir Likedeeler sind gekommen, die Gerechtigkeit aufzurichten!
MARIE
Da bist du ja der Richtige!
DETLEF KRÜGER
Marie, halt den Mund!
MARIE
Du und Gerechtigkeit? Schäm dich, so ein heiliges Wort in den Mund zu nehmen! Du selbst bist ja
die größte Ungerechtigkeit!
DETLEF KRÜGER
Marie, du redest wie ein unmündiger Säugling! Ich bitte dich, mein Bruder Ben, rechne Marie das
nicht an!
BEN BERTHOLD
Lass sie nur reden! Ich höre ihr genauestens zu!
MARIE
So, Ben Berthold, so großsprecherisch? Was ist deine Gerechtigkeit? Ihr Likedeeler reißt die Kreuze
aus den Kirchen heraus, ihr raubt die Ikonen und die Messgewänder, und nennt das heiligen Zorn
des Volkes? Den göttlichen und katholischen Glauben tretet ihr mit Füßen! Rauben und
niederbrennen und morden, das ist eure Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit! Ihr seid unterdrückt
worden von den Reichen? Ja, aber meint ihr denn, man könne Unrecht wiedergutmachen durch ein
noch größeres Unrecht?
GODECKE MICHAEL
Ah, das sollte der große Störtebecker hören!
MARIE
Störtebecker, der Pirat? Ein Räuber!
BEN BERTHOLD
Ah Dirne, du gefällst mir!
MARIE
Ob ich dir gefalle, das interessiert mich nicht! Ich sage, was mein Herz mir eingibt!
BEN BERTHOLD
Ja, du musst wohl ein loderndes Herz haben unter diesen göttlichen Brüsten!

DRITTE SZENE

(Der Fischer Piet stürzt herein)

PIET
Wo ist der Hauptmann?
EIN SEERÄUBER
Bei Fuß, du Hund!
BEN BERTHOLD
Was soll das?
PIET
Herr, hab Erbarmen! Mein Weib Kati liegt im Sterben!
SEERÄUBER
Das ist der Verräter! Der Hund wollte abhauen!
BEN BERTHOLD
Männer! Konntet ihr nicht Herr werden über so einen räudigen Köter?
DETLEF KRÜGER
Gott schütze die Seeräuber! Ich bin rein und unschuldig wie ein neugebornes Kindlein! Und wenn
irgendein Makel an mir sein sollte, dann stopfe Sankt Mark mir das Maul!
BEN BERTHOLD
Dummer Detlef! Soll ich dir das Maul stopfen? So, Likedeeler, was ist mit dem Kerl hier?
SEERÄUBER
Ich sollte doch alle Häuser durchsuchen, den Verräter zu finden. Da fand ich das letzte Haus, und
ein Menschensohn floh aus dem Haus und lief durch die Felder.
PIET
Das war mein Sohn Maximilian!
SEERÄUBER
Halt, du Hasenfuß, rief ich, aber er rannte, als wäre er Reinecke Fuchs, von Hunden gejagt!
PIET
Mein Sohn Maximilian wollte zum Priester, dass der die Sterbesakramente bringe zu seiner Mutter!
BEN BERTHOLD
Ich weiß Bescheid! Der Pfaffe wohnt sicher in Hamburg!
PIET
In Hamburg? Da gibt es keine Pfaffen.
BEN BERTHOLD
Du hast den Burschen doch gefangen, Matrose?
SEERÄUBER
Wir haben ihn gefangen genommen!
BEN BERTHOLD
Sterbesakramente! Dass ich nicht lache!
PIET
Mein Gott!
MARIE
Ben Berthold, wie kannst du so böse sein? Wenn der Tod mit seinen Knochenfingern an die Türe
klopft, da braucht es Christi Barmherzigkeit!
BEN BERTHOLD
Ich weiß alles, Mädchen, ich weiß alles! Auf solchen Trug fall ich nicht herein!
SEERÄUBER
Ich also mit dem Knaben ins Haus! In der Kammer fanden wir den Fischer am Bett seiner
sterbenden Frau. Ich sag, er soll mitkommen, er folgt wie ein guterzogener Hund.
PIET
Ich konnte doch am Bett meiner sterbenden Frau keine Revolution machen! Ich dachte doch, die
Wahrheit kommt letzten Endes ans Licht!
BEN BERTHOLD
Ja, wenn dein Sohn Maximilian noch nach Hamburg gekommen wäre, dann wäre deine tote Frau
gewiss auferstanden von den Toten!
PIET
Vater im Himmel! Gott weiß, dass ich unschuldig bin.
BEN BERTHOLD
Lass das Beten! Beten, beten, beten! Da kannst du in die Hände scheißen, die Hände falten und
deine Scheiße kneten!
SEERÄUBER
Wir sagten ihm, er solle mitkommen, aber er rannte weg und stürzte hierher und hinein in die
Schenke zum Weißen Jadebusen!
BEN BERTHOLD
Da knüpft sich doch einer selber die Schlinge um den Hals! Unschuld, das ist ein Spaß!
PIET
Ich wollte zum Hauptmann! Ich dachte: Die Matrosen sind ungerecht, aber der Hauptmann, der
Hauptmann ist gerecht! So wahr der Herr lebt, ich bin unschuldig! Kati, Kati, meine arme sterbende
Frau!
GODECKE MICHAEL
Ben, wenn der Mann unschuldig ist! Lass ihn zu seiner sterbenden Frau!
BEN BERTHOLD
Und ihn noch einen Pfaffen besorgen lassen aus Hamburg? Nein, davon verstehst du Milchgesicht
nichts!
RATTENFÄNGER
(donnert mit der Faust auf den Tisch)
Hol den Rattenfloh die Pest!
Haltet nicht den Fischer fest!
BEN BERTHOLD
Bringt den Fischer auf mein Schiff, mein Reich und mein Gericht!
PIET
Kati, Kati, meine arme Frau! Ohne Priester-Beistand in deiner Todesstunde! Barmherziger Jesus!

VIERTE SZENE

EIN LIKEDEELER
Erzähl mir, Buddeltorsten, wie war das mit dem Pfaffen?
BUDDELTORSTEN
Wie das mit dem Pfaffen war? Klar wie Brühe! Er donnerte auf das Volk seine Rede, als ob der
Herrgott im Himmel donnerte! Ich sage dir, so einen Himmelsdonner hab ich mein Leben lang noch
nicht gehört.
LIKEDEELER
Ha, den Pfaffen hätt ich gern gehört.
ANDRER LIKEDEELER
Ich weiß nicht, recht war es doch nicht von Störtebecker, dass er dem Volk den Pfaffen auf den Hals
geschickt hat.
BUDDELTORSTEN
Ha, Kinder! Der Pfaffe, das war ja – Er selbst! Störtebecker, unser Hauptmann!
LIKEDEELER
Augen wie Blitze, Worte wie Donner!
BUDDELTORSTEN
Das Volk war kaum fort, da warf Störtebecker das Messgewand ab und stand wieder da als unser
Hauptmann. Und da musste er lachen über unsre dummen Gesichter!
BEN BERTHOLD
Detlef Krüger, eine Flasche Wein! Nein, ihr Spitzbuben, das ist nicht Likedeeler-Art,
Versteckspielen! Komödie! Nein, geradeaus ist Likedeeler-Art! Nicht wahr, Marie, mein süßes
Mädchen, direkt drauf zu und gradewegs hinein ist unsre Art?
MARIE
Was willst du von mir?
BEN BERTHOLD
Oho, das Mädchen ist pikiert! Je wilder die Stute, desto lustiger ist das Zähmen! Komm auf meinen
Schoß, du süße Dirne!
MARIE
Lass deine Griffel von mir!
BEN BERTHOLD
Oho, eine Rühr-mich-nicht-an!
(Ben Berthold versucht, an Marie herumzufummeln. Sie gibt ihm eine schallende Ohrfeige.)
RATTENFÄNGER
Solch ein Knall! Ein Schöpfungsknall!
Solch ein Schall, ein Donnerhall!
BEN BERTHOLD
Du schmutziger Rattenfänger! Nicht jeder Pfannkuchen ist ein Prophet!
RATTENFÄNGER
Solche Herrenmenschen herrisch
Sind doch böse nur und närrisch,
Sind erfüllt von den Begierden
Nach der Zierrat schmucken Zierden,
Wollen sich am Geld erlaben,
Haben wollen sie und haben,
Fressen, saufen, sich begatten,
Rammeln wie die fetten Ratten!
BEN BERTHOLD
Noch eine Flasche vom korsischen Wein! Korsar, du bist mein Bruder!
RATTENFÄNGER
Auf die lieben Leute alle
Wartet eine Mausefalle,
Für die Kleinen und die Großen,
Für die Bauern und Matrosen!
Streckt vergebens eure Hände,
Denn es kommt ein schlimmes Ende!
Alle, alle müsst ihr sterben
Und es lachen eure Erben!
Seid ihr noch so große Lichter,
Das Gericht kommt und der Richter!
DETLEF KRÜGER
Ha, hörst du, Genosse Ben? An diesem schmierigen Rattenfänger ist ein Priester verloren gegangen!
BEN BERTHOLD
Halt das Maul, Detlef! Die süße Marie soll mir die Falsche korsischen Wein bringen!
RATTENFÄNGER
Doch der Mensch ist leider dumm,
Irrt so in der Welt herum,
Hat das liebe Geld so lieb,
Treibt so mit im Weltbetrieb,
Jeder lüstern voll Begier!
Jedem Affen sein Pläsier!
Ob du Esel oder Aff,
Hör gut zu: Ich bin der Pfaff,
Hört gut zu, ich bin der Papst!
Ob du dich an Lust erlabst,
Kommt geschlichen doch schon sacht
Mitternacht, ja, Mitternacht!
Gib dir einen letzten Ruck,
Nimm vom Wein noch einen Schluck,
Schau, wie Blut der Wein so rot,
Übermensch, es kommt der Tod!
Habt das Geld umsonst geschöpft,
Weil euch Hamburg morgen köpft!
BEN BERTHOLD
(umarmt gewaltsam Marie)So, süße Dirne, jetzt bist du mein!
MARIE
Sünder, laß deine schmierigen Griffel von mir!
BEN BERTHOLD
Sauft, Männer! Detlef Krüger gibt einen aus! Auf meine Hochzeit! Marie, nun halt doch still, du
Wildkatze!
GODECKE MICHAEL
Ben, hast du den Verstand verloren?
BEN BERTHOLD
Weg mit dir!
GODECKE MICHAEL
Lass doch die junge Dirne los!
BEN BERTHOLD
Aha? Damit du sie dir in dein Bett nimmst?
GODECKE MICHAEL
Du hast ja nur geile Gedanken!
BEN BERTHOLD
Wer hat hier das Sagen?
GODECKE MICHAEL
Mein Gott! Wenn Störtebecker hier wäre!
BEN BERTHOLD
Was ich zu tun habe, weiß ich selber.
GODECKE MICHAEL
Likedeeler, Brüder! Ben Berthold weiß nicht mehr, was er tut! Seht da den Detlef, der hat uns
verraten! Ich seh es ihm an seiner Satansfratze an! Fesselt den Judas Iskariot!
BEN BERTHOLD
Das ist Meuterei! Ich hab hier das Sagen!
BUDDELTORSTEN
Aber Ben, Godecke Michael ist einer von uns!
BEN BERTHOLD
Bindet ihn an den Schiffsmast und peitscht ihn aus!
GODECKE MICHAEL
Noch ist nicht aller Tage Abend!
BEN BERTHOLD
Deine letzte Stunde hat geschlagen!
GODECKE MICHAEL
Kraft unsres Gesetzes, hat nur Einer das Recht, zu richten über Leben und Tod! Störtebecker!
BEN BERTHOLD
Ha! So ruf doch deinen Störtebecker! Aber der sitzt bei Keno Tom Broke in der Häuptlingsburg und
spielt Karten!
RATTENFÄNGER
Satansbraten! Satansbraten!
BEN BERTHOLD
Was fällt dir ein, du stinkendes Aas?
RATTENFÄNGER
(richtet sich auf und steht jetzt da wie ein Riese, donnert drohend)
Schelme! Ich bin euer Hauptmann!
(Er greift das Schwert des Godecke Michael und fechtet mit Ben Berthold.)
BEN BERTHOLD
Gott verdamm mich! Der ist stärker als ich!
RATTENFÄNGER
Ben Berthold, hör mir zu: Es gibt einen Weg, wie ihr hier alle wieder heil herauskommt: Ich lasse
dich und deine Bande frei, wenn du mir den Störtebecker auslieferst, dass ich ihn den Hamburgern
übergebe!
BEN BERTHOLD
(knirscht mit den Zähnen)Gut, den Störtebecker sollst du kriegen!
DETLEF KRÜGER
Ah, das ist eine teuflische Idee!
RATTENFÄNGER
Ja, Detlef, das gefällt dir, eine teuflische Idee! Der Teufel ist doch dein Herr und Meister!
GODECKE MICHAEL
(will fliehen)
Mein Störtebecker!
RATTENFÄNGER
Bleib hier, Knabe! Du gefällst mir! Nun sag: Gibst du mir Störtebeckers Leben für dein Leben?
GODECKE MICHAEL
Für Störtebecker bin ich bereit in den Tod zu gehen!
(Der Rattenfänger reißt seine Maske herunter und steht jetzt da als der herrliche Störtebecker!)
DETLEF KRÜGER
Störtebecker! Gott verdamm mich!
BEN BERTHOLD
Gott verdamm mich! Störtebecker!
MARIE
Du? Du bist Störtebecker?
STÖRTEBECKER
Ja, Marie, und du, du gefällst mir!
GODECKE MICHAEL
Mein Hauptmann!
STÖRTEBECKER
Komm mit mir, Godecke Michael, ich will auf die See! Ich will wieder Seeluft riechen! O Sankt
Marie der See, meine Braut, o freie See, ich komme!
DRITTER AKT

(Marienhafe. Die Häuptlingsburg von Keno Tom Broke. Die Häuptlingsschwester Frauke, Eberhard
Pilgrimson und Marie, sie warten auf die Wiederkunft Störtebeckers.)

ERSTE SZENE

(Frauke und Marie)

FRAUKE
Marie, mein Gott, mein Mädchen! Fällst du in Ohnmacht? Wie ist dir?
MARIE
Es ist nichts.
FRAUKE
Nein, Marie, wenn dich etwas bedrückt, dann sprich es aus! Denk nicht daran, dass Eberhard
Pilgrimson dir nichts zutraut! Ich steh an deiner Seite!
MARIE
Ich danke dir, liebe Frauke! Aber das ist es nicht. Ach, soll er mich doch totschlagen! Dann hätte all
der Jammer ein Ende!
FRAUKE
Mädchen, Mädchen! So soll ein Mensch nicht reden! Kommt ein schwerer Schicksalsschlag, so
müssen wir geduldig tragen! Aber Eberhard Pilgrimson, er ist auch nur Staub vom Staube! Aber
was ist sein Streiten gegen dich andres als Liebe zu Störtebecker?
MARIE
Liebe? Wenn Eberhard hier sitzt und Karten spielt? Mein Gott! Wenn ich ein Mann wär! Dann läge
ich nicht so faul im Sessel! Auf die See hinaus würde ich fahren, Störtebecker wär ich nachgesegelt,
und wenn es durch Windhosen ginge! Bis ans Ende der Welt wär ich ihm nachgesegelt!
FRAUKE
Marie, das tätest du für unsern Nikolaus?
MARIE
Ja, wenn ich ein Mann wär! (Sie weint.)
FRAUKE
Hat er zu dir denn einmal von Liebe gesprochen?
MARIE
Damals, in der Schenke zum Weißen Jadebusen, bevor er endgültig ging, kam er noch einmal zu
mir zurück, um mit mir allein zu sprechen, er wolle mich mitnehmen auf die See!
FRAUKE
Was hast du ihm zur Antwort gegeben?
MARIE
Dass ich ein Mädchen bin!
FRAUKE
Und Nikolaus?
MARIE
Ich komme wieder, sagte er. Und ich hab gerufen: Ich geh bis nach Westindien, dass du mich nicht
wiedersiehst!
FRAUKE
Aber du bist dann doch nicht nach Westindien gegangen?
MARIE
Die Jugend! Sie kann ein ganzes Peru an Liebe verschwenden! Aber nein, ich konnte nicht. Ach,
liebe Frauke, ich hab doch jetzt auf der ganzen Welt niemanden mehr als dich! Ach, es zerreißt
mich! Nachts, da seh ich vor mir im Geist sein Antlitz, und dann bete ich: Herr, lass ihn nicht
wiederkommen! Ach Herr, lass ihn bald wiederkommen! O liebe Frauke, schütze mich vor
Störtebecker!
FRAUKE
Marie! Wie könnte ich dich schützen vor deinem eignen Herzen? Weißt du nicht, dass der
Zauberbann der Liebe heilig ist und dass selbst des Priesters Absolution nicht lösen kann den
heiligen Zauberbann der Liebe?

ZWEITE SZENE

(Eberhard Pilgrimson, einige Likedeeler, Frauke und Marie.)

LIKEDEELER
Eberhard Pilgrimson, was sollen wir machen?
EBERHARD PILGRIMSON
Seid ihr Brüder? Ist das Brüder-Art, den Kopf niederzuducken? Das Korn ist weiß zur Ernte! Wir
wollen es allen beweisen, dass wir Engel der Ernte sind!
(Likedeeler lärmend ab.)
Unser Glück ist das Leid! Unsre Ernte ist der Tod! Wenn es Zeit zur Ernte ist, dann wollen wir
unsre Sensen dengeln!
FRAUKE
Komm, Marie, das ist nichts für empfindsame Mädchenohren.
EBERHARD PILGRIMSON
(fasst Marie am Lilienarm)Warte, schönes Mädchen! An meine Seite, Marie! Wenn es in den Tod
geht, will ich in schöner Gesellschaft sein!
FRAUKE
Eberhard, lass doch das junge Mädchen los!
MARIE
Lass ihn nur, liebe Frauke.
FRAUKE
Mädchen! Bist du wahnsinnig? Du in deiner Unschuld!
MARIE
Ich habe doch niemanden mehr in der Welt!
EBERHARD PILGRIMSON
Meine Zeit ist um! Die Erntezeit kommt! Nikolaus, auf Leben und Tod! Nun spür ich deine Kraft in
mir! Und wenn ich dir nacheilen muss ins Jenseits – dein Werk bleibt bestehen! Ich seh es voraus:
Dein Ruf, Nikolaus, scharf wie ein Schwert, gebietend dem Sturm und der See, dein Ruf geht durch
die Welt!
(Vom Hafen her hört man das Kuhhorn blasen)
FRAUKE
Gott sei Lob und Dank! Er kommt wieder! Die Schiffe hissen die schwarze Flagge! Störtebecker
kommt!
EBERHARD PILGRIMSON
Wenn das wahr wäre...
FRAUKE
Sein Schiff legt an. Marie, du bist frei !
MARIE
Frei ? Nun fängt das Leiden erst richtig an !
FRAUKE
Die Männer vom Schiff kommen auf unsre Burg. Großer Gott! Wie sind die Schiffe ramponiert!
Der Mastbaum ist gebrochen!
MARIE
Aber er ist gekommen!
DRITTE SZENE

(Störtebecker, Godecke Michael, Eberhard Pilgrimson, Buddeltorsten, Frauke, Marie.)

STÖRTEBECKER
Buddeltorsten, sattle meine Stute!
BUDDELTORSTEN
Willst du wieder in die Schenke zum Weißen Jadebusen? Eberhard Pilgrimson hat des Teufels
Küche niedergebrannt!
STÖRTEBECKER
Bruder! Du hast den Satan Detlef Krüger und den Verräter Ben Berthold hingerichtet?
EBERHARD PILGRIMSON
Ja, mein Sohn!
STÖRTEBECKER
Aber Marie? Das Mädchen! Wo ist Marie!
MARIE
Störtebecker, ich bin ja da!
STÖRTEBECKER
Marie!
MARIE
Nikolaus!
STÖRTEBECKER
Marie, mein Mädchen!
MARIE
Störtebecker, was willst du von mir?
STÖRTEBECKER
Alles will ich von dir, du göttliches Mädchen! Jetzt hab ich keine andren Wünsche mehr!
FRAUKE
Marie, nimm einen Schluck Wein.
MARIE
So. Jetzt geht es wieder.
FRAUKE
Knabe, trink auch du vom guten Wein!
GODECKE MICHAEL
Ich trinke nicht. Aber Buddeltorsten, der ist gewiss schon durstig!
BUDDELTORSTEN
Ich habe geschworen, solange der Satan und sein Judas Iskariot noch am Leben sind, keinen
Schluck zu trinken!
GODECKE MICHAEL
Aber nun, Buddeltorsten, nun darfst du trinken!
BUDDELTORSTEN
Ja, ich liebe den Wein, ich liebe das Weib, ich liebe den Gesang!
GODECKE MICHAEL
Trink in Christi Namen! Du hast es dir verdient!
EBERHARD PILGRIMSON
Wo wart ihr so lange?
GODECKE MICHAEL
Wir waren vor Albions weißer Küste, da rollte eine Perle aus dem Rosenkranz dem Störtebecker
direkt vor die Füße, da nahm er die Perle in die Finger und rief: Ja, die Erde ist rund! Die Erde ist
keine flache Scheibe, dass wir am Rande hinunterfallen könnten! Nein, die Erde ist wie eine Perle
im Rosenkranz! Wenn wir nach Westindien segeln, kommen wir nach Ostindien! Auf nach Peru!
EBERHARD PILGRIMSON
Ihr seid zurückgekehrt.
GODECKE MICHAEL
Ja, und vor der Küste haben wir noch ein Hamburger Schiff gekapert mit bestem Rotwein aus
Bordeaux!
BUDDELTORSTEN
Bordeaux, mein Freund, du bleibst mir treu!

VIERTE SZENE

(Störtebecker und Marie allein.)

STÖRTEBECKER
Marie, ich brauche dich!
MARIE
Ich bin doch nur ein junges Mädchen!
STÖRTEBECKER
Ich will dich an meiner Seite haben!
MARIE
Du könntest dir tausend Frauen mit Gewalt nehmen!
STÖRTEBECKER
Tausend Frauen will ich nicht! Ich will dich allein, mein göttliches Mädchen!
MARIE
Wirst du wieder auf die See gehen?
STÖRTEBECKER
Ich muss das sein, wozu der Donnerer mich berufen hat: Ich bin das Jüngste Gericht!
MARIE
Ich bin bei dir!
STÖRTEBECKER
Geliebte Marie!

VATER ELIAS

ERSTE SZENE

(Speisezimmer im Haus des katholischen Verlegers Doktor Herder. Vater Elias, der Poet, zu Gast
mit seiner ältlichen Geliebten Eva. Ein junger Verehrer des Dichters. Entenbraten auf dem Tisch. Im
Raum ein wurmstichiges Harmonium.)

DOKTOR HERDER
Mein lieber Vater Elias, ich habe Ihre Gedichte gelesen, aber sie sind nicht geeignet für meinen
kirchlichen Verlag.
VATER ELIAS
Komm ich auf dem Index?
DOKTOR HERDER
Der Index ist abgeschafft.
VATER ELIAS
Dann komm ich auf einen Scheiterhaufen?
DOKTOR HERDER
Scheiterhaufen werden nicht mehr errichtet. Aber wenn Sie wollen, dass die Kirche Ihre Gedichte
anerkennt, schreiben Sie nicht so erotisch über die Muttergottes!
VATER ELIAS
Aber Maria ist doch die intakte Jungfrau, die allein in ihrem Schoß das Horn des Einhorns
einfangen kann.
DOKTOR HERDER
Ihre Magdalena ist ja mehr eine florentinische Venus. Sie schrieben gar nichts über die Reue und
Buße der Sünderin.
VATER ELIAS
Ich sah sie eben in ihrer Herrlichkeit.
DOKTOR HERDER
Und ihr Buch Sonette an die Jungfrau Maria, das können wir nicht veröffentlichen, die deutschen
Protestanten würden das Buch nicht kaufen.
VATER ELIAS
Aber den Dalai Lama geben Sie heraus?
VEREHRER
Vater Elias, Meister! Sie sind ein Genius! Sie haben in der Sonettkunst das Allergrößte geleistet! Sie
haben alle Sonettformen meisterhaft beherrscht! Aber warum schreiben Sie immer nur über Maria?
VATER ELIAS
Und keiner fragt Petrarca, warum er nur über Donna Laura schrieb. Die Sonettform kommt von
oben und ist die Form, in der die Einziggeliebte gepriesen wird.
VEREHRER
Meister! Ich anerkenne Ihren Genius! Sie sind vielleicht der größte Dichter deutscher Sprache! Die
Nobelpreisträger dagegen schreiben einen Dreck.
VATER ELIAS
Sie schmeicheln mir, junger Mann.
VEREHRER
Sie sind größer als Hölderlin und Rilke!
VATER ELIAS
Zumindest bin ich so neurotisch wie Rilke und so schizophren wie Hölderlin.
VEREHRER
Sie haben in der deutschen Lyrik mehr geleistet als Goethe! Und Ihre Nachdichtungen aus dem
Sanskrit, dem Mandarin, dem Persischen, Arabischen, Hebräischen, Ägyptischen, Griechischen,
Lateinischen, Italienischen, Französischen und Englischen! Sie müssen ein Sprachgenie sein!
VATER ELIAS
Es ist zehn Uhr abends, wenn ich jetzt nicht eine Flasche köpfe, werde ich böse.
EVA
Elias, zu trinkst zuviel.
VATER ELIAS
Wie soll ein Dichter dichten ohne Wein? Der Kuß der Muse ist der Becher Wein.
EVA
Wenn du zuviel getrunken hast, wirst du wieder anzüglich oder auszüglich.
VATER ELIAS
Ja, nach einer Flasche Wein sind alle Weiber schön. Ich trinke mir die alten Frauen schön.
EVA
Aha? Ich bin dir also zu alt? Wohl auch zu dick?
VATER ELIAS
Ich will Harmonium spielen.
DOKTOR ELIAS
Ja, das Harmonium hat Zimmerlautstärke. Das kann man auch in der Nacht spielen. Eine Geige
dringt durch alle Wände, aber mit dem Harmonium kann man Sterbenskranke in den Schlaf wiegen.
VATER ELIAS
Ich improvisiere ein wenig über den Bach-Choral: Jesus bleibet dennoch meine Freude!

ZWEITE SZENE

(Im Zimmer von Vater Elias. Eine Unmenge leerer Weinflaschen, Bücher und Manuskripte auf dem
Boden. Vater Elias und sein Freund Johannes.)

VATER ELIAS
Ich träume immer vom Himmel. Der Schöpfer liebt den Messias und der Messias liebt den Schöpfer
und ihre Liebe ist eine Gottheit. Ich nenne diese Gottheit: Frau Liebe! Frau Liebe sehe ich in ihrem
weißen Leib vorm blauen Himmel. Frau Liebe stillt mich an ihren schönen Brüsten!
JOHANNES
Liebst du nur den Himmel? Liebst du denn gar keine Frau?
VATER ELIAS
Wenn schon die jungen Mädchen so schön sind, dass man anfängt zu stottern und zu stolpern, wie
schön ist dann erst Frau Liebe! Ein junges Mädchen ist doch eine Rosenknospe, frisch entsprungen
aus der Hand Gottes. Wenn ich eine schöne Frau sehe, denke ich, ich sehe das Antlitz der göttlichen
Schönheit! Und du, Johannes, liebst du eine Frau?
JOHANNES
Ich liebe das junge Mädchen Marie.
VATER ELIAS
Im Schatten junger Mädchenknospe?
JOHANNES
Das liebliche Mädchen Marie ist noch eine unberührte Jungfrau.
VATER ELIAS
Und ist sie schön?
JOHANNES
Sie ist schlank und hochgewachsen wie eine Palme. Sie hat lange, glatte, braune Haare. Ihre Augen
sind groß, sehr groß, man sieht das Weiße in den Augen. Ihre Augen haben die Form einer Mandel.
Ihre Pupillen sind braun. Ihr Antlitz ist ein schlankes Oval. Sie hat ein Schönheitsmal über der
lieblichen Lippe. Ihr Mund ist wie eine Mohnblüte. Sie duftet nach Lavendel.
VATER ELIAS
Ja, der Lavendel der Provence! Die Hummel liebt die Lavendelblüte und sammelt den klebrigen
Nektar von den Blütenstempeln. Dann packt die Hummel sich rechts und links an der Hüfte die
Taschen voll. So süß ist deine Geliebte?
JOHANNES
Klopstock sagte zwar, dass das junge Mädchen Angelika dem Auge nicht so sehr gefällt wie der
Gesang der alten Frau Baucis dem Ohr gefällt. Aber hier ist es anders: Angelika singt sehr schön!
VATER ELIAS
Was singt sie denn?
JOHANNES
Sie singt: Es ist ein lustiges Gefühl im Innern meiner Seele!
VATER ELIAS
Ja, dein liebliches Mädchen Marie ist gewiss ein schöner Schmetterling. Als Kind hab ich
Schmetterlinge gefangen, wenn sie sich auf dem Schmetterlingsflieder sammelten. Aber meine
selige Großmutter sagte: Mein Junge, wenn du die Schmetterlinge an ihren gepuderten Flügeln
berührst, verlieren sie die Farbe. Dann werden ihre Flügel feucht und sie sterben. So geht es mir mit
den Frauen: Aus der Ferne betrachtet, sind sie wie schillernde Schmetterlinge, Monarchen, aber
wenn man erst ihre Flügel berührt, verlieren sie ihre Schminke und all ihre Schönheit ist dahin.
JOHANNES
Du willst wie ein Schmetterling von Blume zu Blume hüpfen?
VATER ELIAS
Du hast nicht zugehört. Nicht ich bin der Schmetterling, das Mädchen ist der Schmetterling. Die
unberührte Jungfrau soll unberührte Jungfrau bleiben.
JOHANNES
Und die älteren Frauen, die reifen Weiber, die sich schon begatten ließen und Kinder geboren aus
gebärfreudigem Becken?
VATER ELIAS
Meine Seele ist ein junges schlankes Mädchen. Ich liebe die lieblichen Mädchen. Unschön sind die
alten dicken Hausfrauen mit verbitterten Herzen, härter als Stein! Nein, ich liebe mir die Schönheit
der lieblichen Mädchen.

DRITTE SZENE

(Eine kleine Wein-Schenke. Still trinkende Arbeiter. Vater Elias, Eva, Johannes und Marie. Die
Schenkin Siduri.)

VATER ELIAS
Eva, du bist bitter geworden wie eine saure Limone. Siduri, Schenkin, schenke Eva einen Litchi-
Likör ein, dass sie wieder süß wird! Ach, wie süß warst du früher! Wie flötend war deine Stimme,
lallend wie süßer Honig. Nun bist du ein saurer Essigtropfen, wie billiger Wein, der alt geworden
ist.
SIDURI
Hier ist eine Flasche Litschi-Likör. Trink, Eva! Das Leben ist ein harter Kampf und eine schwere
Arbeit, nur die Poesie und das Kinderspiel sind heiter. Für Sorgen sorgt das Leben, aber
Kummerbrecher ist der Litschi-Likör.
EVA
Wer sich spirituell höher entwickeln will, der darf nach der Lehre der Theosophen keinen Wein
trinken.
VATER ELIAS
Eva, du bist so bitter und so böse geworden, seit du in die Schule der Theosophen gegangen bist.
Deine übertriebne Askese hat dich hart gemacht.
MARIE
Vater Elias, rede nicht so schlecht über Eva! Sie ist ein guter Mensch, ein liebes Wesen. Du hast sie
doch einmal vergöttert.
VATER ELIAS
Sie war so charmant wie der Charme Gottes. Aber seit sie in die Schule der Gnosis gegangen und
die Feige vom Baum der Erkenntnis gepflückt, ist ihr Herz härter als ein Stein.
MARIE
Sie kann ja nicht zu allem und jedem Ja und Amen sagen. Sie muss sich wehren, dass sie nicht
ausgenutzt wird.
VATER ELIAS
Wenn ich von Gottes Vaterliebe predige, sagt Eva nur ihr Nein-Wort.
MARIE
Und findest du sie nicht mehr schön?
VATER ELIAS
Die Liebe macht schön. Ein Herz im Busen, das härter ist als Stein, das nimmt dem Busen alle
Schönheit.

(Der Knabe Maximilian tritt ein.)

MAXIMILIAN
Vater Elias, lieber Vater! Abba, Abba, komm mit mir! Lass doch die harten Frauen und die
unberührbaren Mädchen und folge mir in die Freiheit!
VATER ELIAS
Mein Knabe, mein Liebling! Maximilian, mein Sohn, wohin sollen wir gehen?
MAXIMILIAN
Wir fahren mit einem Zirkuswagen durch Europa. Wir beide spielen Clown im Zirkus. Ich kann
auch Zauberkunststücke. Ich kann Münzen verschwinden lassen.
VATER ELIAS
Münzen verschwinden lassen, das ist keine Kunst. Münzen herbeizuzaubern, das ist die Kunst.
MAXIMILIAN
Was brauchen wir Münzen? Der liebe Gott lässt süße Kirschen an den Bäumen wachsen zur Speise
für die Amseln und für uns!
VATER ELIAS
Aber schlucke die Kirschkerne nicht hinunter, denn sonst kriegst du Bauchschmerzen.
MAXIMILIAN
Ich schenke dir einen Kirschkern! Und wenn morgen die Welt untergeht, so pflanzen wir heute noch
einen Kirschbaum.
VATER ELIAS
Aber nicht mit sauren Kirschen.
MAXIMILIAN
Nein, mit süßen Kirschen.
VATER ELIAS
Wie sie Amseln und Kindern behagen.
EVA
Elias, verlass mich nicht! Ich bin zwar alt geworden und leider auch dick geworden, aber geh nicht
mit dem Knaben fort! Ich will doch selbst von dir noch einen Knaben haben!
VATER ELIAS
Der Sohn ruft, der Vater folgt dem Sohn.

(Vater Elias und Maximilian ab.)

VIERTE SZENE

(In Vater Elias’ Zimmer, notdürftig aufgeräumt, doch dicke Staubwolken auf den unzähligen
Büchern. Vater Elias sitzt auf seinem Sofa, auf dem zweiten Sofa sitzt das siebzehnjährige Mädchen
Marie.)

VATER ELIAS
Ich habe gestern Nacht zu tief ins Glas geschaut, darum bin ich in der Nacht immer wieder
aufgewacht, weil ich solch einen brennenden Durst nach frischem Wasser hatte.
MARIE
Vater Elias, den Seinen gibt es der Herr im Schlaf. Was hast du geträumt?
VATER ELIAS
Ich habe von dir geträumt, ich habe immer von deinem Namen geträumt, Marie, und immer nur
Marie.
MARIE
Ich habe gestern Abend wohl deine heimlich bewundernden Blicke gespürt.
VATER ELIAS
Ich habe in der Nacht im Vollrausch noch eine Ode an meine heimliche Liebe gedichtet.
MARIE
Wieso gerade ich?
VATER ELIAS
Im Beichtstuhl sagte ich einmal dem Jesuitenpater: Ich möchte die Madonna einmal nackt sehen!
Da gab mir der Jesuit eine Bibel mit Holzschnitt-Illustrationen. Ein Holzschnitt stellte Sulamith dar,
die nackt unter einem Granatapfelbaum steht und einen Granatapfel in der rechten Hand hält, die
linke Hand liegt leicht auf ihrer Scham. Diese nackte Sulamith ist die nackte Madonna. Und du
siehst genauso aus wie diese nackte Madonna.
MARIE
Aber ich habe mich dir nicht nackt gezeigt, nicht einmal leichtfertig gekleidet.
VATER ELIAS
Nein, Marie, du kleidest dich nicht wie diese sexualisierten Weiber. Du kleidest dich so anmutig
und so rein wie die Madonna in all ihren Erscheinungen. Oder bist du eine Marien-Erscheinung?
MARIE
Was sagst du zu diesen Regengüssen draußen?
VATER ELIAS
Ich frage mich, ob Gott die Welt noch einmal mit einer Sintflut bestrafen muss? Ich habe darum
eine Ode an Noah gedichtet.
MARIE
Sing mir dein Lied von Noah!
VATER ELIAS

OdeanNoah

Noah, Noah! Dein Name


Heißt Tröster und Ruhebringer.
Noah, lieber Noah!
Höre die Stimme des Vaters:
Es wird Zeit, bau die Arche!
Die Schriftgelehrten sagen spottend:
Wähle dir eine Geliebte,
Indem du die Heilige Schrift befragst:
Sie ist riesengroß
Und über und über mit Pech beschmiert!
Lieben Brüder Schriftgelehrte,
Das ist wahrlich meine Geliebte,
Die Arche Noah
Ist meine heimliche Liebe!
In ihrem Bauche
Haben alle Vögelein Platz
Und alle Schlangen der Wüste.
Meine Geliebte, die Arche Noah,
Rettet auch mich durch die Sintflut hindurch.
Auf dem Gipfel des Ararat
Seh ich meine Geliebte
Und sehe Noah
Und sehe drei Söhne Noah.
Noah, Noah, mein Tröster!
Pflanze einen Weinstock,
Bau einen Weinberg!
Noah lag auf seinem Bette
Und es kamen die drei Söhne Noah,
Sem, der Semiten Vater,
Japhet, der Vater von Jawan,
Und Ham, der Vater Ägyptens.
Sem und Japhet
Verhüllten ihre Augen
Vor ihres Vaters bestem Stück.
Aber Ham sah den Vater nackt
Und bestaunte sein kraftvolles Glied!
MARIE
Ich liebe diesen Noah!

FÜNFTE SZENE

(Vater Elias in seinem Zimmer, er entkorkt eine Flasche Wein.)

VATER ELIAS
Plopp! Das Geräusch, das der Korken macht, wenn man die Flasche entkorkt, ist wie ein Urknall.
Und dann: gluck-gluck! Der Wein gluckst so glücklich in den kristallenen Kelch!

(Die beiden blonden Schwestern von Marie treten ein.)

ÄLTERE BLONDE SCHWESTER


Vater Elias!
JÜNGERE BLONDE SCHWESTER
Ach, lieber Vater Elias!
VATER ELIAS
Ihr blonden Schwestern, kommt in meinen Kuschel-Club! Küsschen, jüngere blonde Schwester, ein
Küsschen aus der Ferne! Ältere blonde Schwester, du bist ein Engel! Mutter aller indischen und
indianischen Kinder, Engel meiner Todesstunde!
ÄLTERE BLONDE SCHWESTER
Engel sind wir, aber Todesengel!
VATER ELIAS
Tod, wie bitter bist du einem starken gesunden Mann, dem alles glückt im Leben! Tod, wie süß bist
du einem kranken und elenden Manne, der nur noch um Erlösung vom Todesleibe bittet!
JÜNGERE BLONDE SCHWESTER
Aber Vater Elias, du musst noch nicht sterben.
VATER ELIAS
Wie, ihr Todesengel? Warum seid ihr gekommen?
ÄLTERE BLONDE SCHWESTER
Marie ist tot!
VATER ELIAS
Unglaublich!
JÜNGERE BLONDE SCHWESTER
Ertrunken in der Elbe!
VATER ELIAS
Weiß eure Mutter, dass ich euch liebe?
JÜNGERE BLONDE SCHWESTER
Unsre liebe süße Mutter kommt gleich selber. Ihr Herz ist zu Tode verwundet.
(Die süße Mutter tritt ein, eine schlanke Frau von vierzig Jahren. Die Brüste zeichnen sich unterm
Hemd ab.)

SÜSSE MUTTER
Na, meine beiden weißen Schwäne? Seid ihr dem Vater Elias auf den Teich geflattert?
VATER ELIAS
Walkyren sind es, Schwanenjungfraun, die der seligen Marie ein Requiem singen.
SÜSSE MUTTER
Ja, musikalisch sind meine beiden weißen Schwanenjungfraun wie Singschwäne, die dem Tode ein
Willkommen singen: Halleluja, Tochter in Elysium!
VATER ELIAS
Der Herr hat sie uns gegeben! Der Herr hat sie uns genommen! Singt dem Herrn ein Halleluja!
SÜSSE MUTTER
Marie spielt jetzt im Himmel Geige.
VATER ELIAS
Ein Himmel voller Geigen! Ein Himmel voller Marien!
SÜSSE MUTTER
Der Tod hat mir weh getan!
VATER ELIAS
Du musst selbst noch dem lieben Gott verzeihen!
SÜSSE MUTTER
Ich kann nicht mehr kämpfen. Resignation! Resignation!
VATER ELIAS
Lass dich umarmen, süße Mutter.
SÜSSE MUTTER
Das Herz einer Mama! Wer wagt es, das Herz einer Mama zu durchbohren mit giftigen Pfeilen?
VATER ELIAS
Ich habe Marie geliebt! Sie wusste nicht, wie sehr ich sie geliebt hab! Ich habe geschwiegen. Ich
habe ihr nicht gesagt, wie sehr ich sie geliebt hab.
SÜSSE MUTTER
Meine weise Marie weiß, dass du sie liebst!
VATER ELIAS
Mein Engel, mein Himmel, mein Paradies, meine Madonna Marie!
SÜSSE MUTTER
Kommt heim, meine weißen Schwanenjungfraun, kommt heim, Walkyren, heim zu eurer Mama!

SECHSTE SZENE

(Vater Elias in seinem Zimmer. Er sitzt vor einem leeren Blatt Papier.)

VATER ELIAS
Das, denken die Toren, sei so leicht, die Schwanenfeder ins Tintenfass zu tauchen und dann zu
singen. Wehe mir, meine Muse ist gegangen! Ich bin ein Liebender ohne Geliebte!

(Johannes tritt ein. Sein Haar verwildert, seine Kleidung unordentlich.)

JOHANNES
Vater Elias, Marie ist fort! Marie ist fort! Marie ist gen Himmel gefahren !
VATER ELIAS
Johannes, man sieht dir an, du hast geweint. Einmal stand vor mir der barmherzige Jesus, ich sagte
zu ihm: O Jesus, ich seh es deinen Augen an, du hast geweint!
JOHANNES
Ich war an ihrem Grab. Da pflanzte ich Lavendel.
VATER ELIAS
Johannes, mein Sohn Johannes, du stehst da wie ein Grabstein aus Granit! Bist du ein lebendes
Denkmal für Marie? Bist du ein Bote aus dem Jenseits, mir zu sagen, Marie sei glücklich?
JOHANNES
Ich soll dir sagen, Vater Elias, ich soll dir sagen von Marie: Ich bin glücklich im Himmel und will
nicht auf die Erde zurück!
VATER ELIAS
Laß mich allein, Johannes.
JOHANNES
Wehe mir, ich bin mit Marie gestorben!

(Johannes ab.)

VATER ELIAS
Ich kann nicht singen ohne Musenkuß und Mädchenhuld! O Gott, ein Königreich für ein Mädchen,
ein Königreich für ein Mädchen!

(Er tritt vor seine Haustür.)

SOPHIE
Guten Tag!
VATER ELIAS
Wer bist du, Mädchen? Wie heißt du?
SOPHIE
Ich heiße Sophie.
VATER ELIAS
Sophie? Oder Sophia?
SOPHIE
Sophie.
VATER ELIAS
Sei du meine Philosophie!
SOPHIE
Was für eine Philosophie?
VATER ELIAS
Sei du meine Philosophie der Liebe! Komm in meine Wohnung, dass wieder eine goldne Wolke der
Herrlichkeit in meiner Wohnung sei!

(Sophie tritt ein.)

SOPHIE
Hier lebst du also? Auf diesem Berg von Büchern und leeren Weinflaschen?
VATER ELIAS
Schau, ich habe ein Harmonium geschenkt bekommen.
SOPHIE
Und spielst du auch darauf?
VATER ELIAS
Ich improvisiere.
SOPHIE
Ich liebe die Musik!
VATER ELIAS
Eine Muse, die die Musik liebt! Spielst du ein Instrument?
SOPHIE
Ja, die Geige. Und manchmal singe ich auch.
VATER ELIAS
Was singst du?
SOPHIE
Jerusalem, Jerusalem!
VATER ELIAS
Wartet jemand auf dich?
SOPHIE
Ja, meine Großmutter. Sie ist schon siebzig Jahre alt und manchmal verwirrt. Ich muß heim.
VATER ELIAS
Kommst du noch einmal wieder zu Elias?
SOPHIE
Wir sehen uns!

SIEBENTE SZENE

(Auf der Straße treffen sich Vater Elias und der betrunkene Narr Harlekin.)

HARLEKIN
Frau Kannegießer, meine Wirtin, Frau Kannegießer ist an Krebs gestorben!
VATER ELIAS
Gott hat den Tod nicht geschaffen.
HARLEKIN
Frau Focken-Bottle, meine Lehrerin, Frau Focken-Bottle hat mich aus der Schule geworfen!
VATER ELIAS
Debilissimus!
HARLEKIN
Nun bet ich immer zur heiligen Juliana!
VATER ELIAS
Der Freundin der seligen Evelin?
HARLEKIN
Die selige Evelin wird nur in der Lüttich-Straße verehrt, aber die heilige Juliana auf der ganzen
Welt! Ich hebe den Kelch auf die heilige Juliana! Erleuchte mich, heilige Juli! Bald kommt der Juli-
Mond! Jetzt geht der Corpus Christi durch unsern Garten.
VATER ELIAS
Die heilige Juli und der Corpus Christi!
HARLEKIN
Die vergöttlichte Juli und der weiße Leib der Ewigen Weisheit!
VATER ELIAS
In der Monstranz...
HARLEKIN
Blubb! Mit der Monstranz gegen das monströse Monster!
VATER ELIAS
Aber du trinkst zuviel! Hast du Religion oder Wein im Blut?
HARLEKIN
Die Religion überlass ich den Zisterziensern, den heiligen Bernhardinern! Ich habe den Wein in
mein Blut verwandelt!
VATER ELIAS
Wo ist deine Colombine?
HARLEKIN
Colombine ist tot, Colombine ist tot, es lebe der weiße appetitliche Leib der Ewigen Weisheit!
VATER ELIAS
Hat Jesus die Frauen geliebt?
HARLEKIN
Ja, erst die Johanna und dann die Susanna und dann die Magdalena.
VATER ELIAS
Und welche Frau war seine große Liebe?
HARLEKIN
Gestern sah ich in Hamburg die Madonna. Es war in Buxtehude unter einem Kirschbaum. Die
Madonna war siebzehn Jahre jung, voll Hoheit und voll Huld, eine Anmut, eine Schönheit, vom
Himmel auf die Erde herabgestiegen. In ihren Armen ruhte der Jesusknabe, vier Jahre alt, mit
langen goldblonden Haaren, der Heiland und Trost der ganzen Welt. Dann sprang der Jesusknabe
auf die Erde und spielte auf einer Wiese mit der Madonna Fußball. Ich sagte: Madonna, bist du
außer Atem? Sie lächelte mich an und sagte: Ja!
VATER ELIAS
Hat Jesus auch mit dir gesprochen?
HARLEKIN
Der Jesusknabe sagte: Ich will dir was flüstern ins Ohr! Ich beugte mich zu Jesus herab und sagte:
Ja, ich höre! Er flüsterte mir ins Ohr: Kommst du gleich mit mir auf die Wiese, Fußball spielen? Ich
sagte: Ja, mein Heiland, ich will dein Fußball sein!
VATER ELIAS
Und die Madonna?
HARLEKIN
Die Madonna kam zu mir und sagte: Harlekin, du bist doch Tabakraucher, du hast bestimmt Feuer
für mich! Zünde doch bitte diese Kerze an!
VATER ELIAS
Du hast der Madonna Feuer gegeben?
HARLEKIN
Ja, es war eine Totenkerze, ein Ewiges Licht für meine tote Colombine! Ach, Colombine flattert
jetzt im Himmel! Einst werde ich Colombine wieder flattern sehen!
VATER ELIAS
Seliger Narr!

ACHTE SZENE

(Sommernacht. Unter regennassen Kirschbäumen Vater Elias und die Jungfrau Sophie.)

VATER ELIAS
Sophie, du bist so schön, ich möchte dich malen! Ich möchte malen können wie Botticelli, denn du
bist schön wie Botticellis Muse! Du bist heitere Serenitas wie Botticellis Primavera, du bist schlank
wie Botticellis Venus auf der Muschel, du bist fein und anmutig wie Botticellis Madonna mit dem
Granatapfel, du bist hoheitsvoll wie Botticellis Minerva, und ich bin dein Kentaur. Du bist meine
Ikone des florentinischen Neuplatonismus. Gott ist die Urgottheit, Gott ist die Urschönheit. Früher
war Gott mir in Eva erschienen, aber Eva hat ihr Herz von Gottes Wort abgewandt. Nun bist du, o
Jungfrau Sophie, die Inkarnation der göttlichen Schönheit. Puschkin nannte dich flüchtige
Erscheinung des Genius der reinen Schönheit. Mit dir als meinem Ideal der reinen Schönheit
kommt mir wieder Leben, Liebe und Inspiration.
SOPHIE
Ich danke dir für deine Liebe. Du nennst mich flüchtige Erscheinung der göttlichen Schönheit, aber
ist deine Liebe nicht auch flüchtig?
VATER ELIAS
Ich liebe die Menschen nicht, ich liebe nur die Schönheit der Menschen. Ich bin den Menschen
nicht treu, ich bin allein der göttlichen Schönheit treu.
SOPHIE
Du bist ein Dichter, du bist von Gott berufen zur Anbetung der göttlichen Schönheit.
VATER ELIAS
Ob die Wesenheit der Schönheit ein eigenes Dasein hat oder nur existiert in ihrer konkreten
Erscheinung, das weiß ich nicht. Aber das ich ein meiner Seele innewohnendes Ideal habe, das weiß
ich, und dass ich dieses Ideal allein liebe, das mir in verschiedenen Menschen schon begegnet ist.
Aber heute ist die Madonna lieblicher und schöner als je!
SOPHIE
Elias, dein Antlitz ist von tiefen Schmerzen geprägt. Ich sehe die Stirnfalten deines einsamen
nächtlichen Philosophierens, ich sehe die tiefen Schatten unter deinen Augen und dass du viel
geweint hast. Ich sehe die grauen Haare in deinem Bart und vom vielen Weingenuß ist dick dein
Bauch geworden. Aber man sagte auch von Sokrates, er sei äußerlich nicht schön. Er sah aus wie
ein bocksbeiniger und gehörnter Satyr. Aber wenn man die Satyr-Figur öffnete, saß man im Innern
die drei Grazien.
VATER ELIAS
Leider hat kein griechischer Maler die drei Grazien des Sokrates gemalt. Raffael aber hat uns die
drei Grazien herrlich offenbart. Ein Gott in drei Personen, das übersteigt mein Fassungsvermögen,
aber dass in dir als einer Göttin der Schönheit die drei Grazien vereinigt sind, das ist die pure
Evidenz.
SOPHIE
Vater Elias, so bist du mein Satyr Sokrates.
VATER ELIAS
Und du bist meine Anima, du bist die Grazie meiner Seele.
SOPHIE
Ich bin im Alter aufblühender Wachstumshormone, aber du bist alt und grau geworden.
VATER ELIAS
Aber je älter mein äußerer Mensch wird, desto jünger wird meine Anima. Der äußerliche Mensch
verfällt, ja, das Fleisch verwest bei lebendigem Leibe, aber der innere Mensch wird von Gott doch
Tag für Tag verjüngt.
SOPHIE
Du gehst ja auch immer rascher der ewigen Jugend entgegen.
VATER ELIAS
Was mich betrifft, ich habe die Gottheit immer im Innern meines Geistes als jugendliche feminine
Schönheit geschaut. Und du bist die Realisierung dieser Evidenz Gottes.
SOPHIE
Du bist ein Idealist.

NEUNTE SZENE

(Konzerthalle. Ein Gitarrespieler und seine Tochter, die Sängerin. Vater Elias und der Knabe
Micha.)

GITARRIST
Ich habe mir die Finger blutig gespielt, Vater Elias, bis ich so gut war wie jetzt. Meine Tochter wird
zwei Lieder singen. Zwei geniale Komponisten haben die Lieder komponiert, Johann Sebastian
Bach und ich. Ich habe das erste Lied komponiert zum Tode meines Vaters und es heißt: Halleluja!
VATER ELIAS
Ich habe inzwischen großen Durst.

(Er füllt sich einen Kristallkelch mit Wein.)

GITARRIST
Vater Elias, erzähle mir vom Phönix!
VATER ELIAS
Es ist eine alte orientalische Sage. Der sagenhafte Vogel Phönix lebt fünfhundert Jahre, dann stürzt
er sich in sein brennendes Nest aus Myrrhe und verbrennt. Aber er erfährt eine Auferstehung vom
Tode und steigt aus der Asche neu lebendig wieder auf.
GITARRIST
Phönix aus der Asche, ja, ich weiß. Die Sage ist also sehr alt?
VATER ELIAS
Ja, schon im biblischen Buch Hiob sagte Hiob: Ich dachte, ich würde alt wie der Phönix und still in
meinem Nest verscheiden.
GITARRIST
Meine Tochter Juliette wird jetzt das Lied singen, das ich zum Tode meines Vaters komponiert habe.
Es ist sehr schön geworden und wir führen es gerne auf. Es hat nur eine Strophe, aber Juliette wird
die Strophe dreimal singen.
VATER ELIAS
Nun ist das Glas schon wieder leer! Ach, die Flasche ist auch leer? Dann entkorke ich eine neue
Flasche! Neuer Wein muß in neue Weinschläuche! Und ich fühle mich wie so ein neuer
Weinschlauch!
GITARRIST
Du bist doch ein Dichter. Willst du nicht ein Gedicht vortragen?
VATER ELIAS
Ich habe meiner toten Marie ein Denkmal gesetzt.
JULIETTE
Oh, das möchte ich einmal lesen! Darf ich das auch lesen?
VATER ELIAS
Ja, aber erst einmal muß ich aufs Klosett, Wasser wegbringen.
MICHA
Ich muß auch!
VATER ELIAS
Dann komm mit, mein Knabe.

(Sie gehen zur Toilette. Vater Elias geht zuerst aufs Klosett.)

MICHA
Bist du bald fertig? Ich muß auch!

(Micha klopft an die Toilettentür. Vater Elias ruft von drinnen.)

VATER ELIAS
Wer klopft denn da? Ist das ein Zwerg?
MICHA
Nein!
VATER ELIAS
Ist das dann ein Heinzelmännchen?
MICHA
Nein! Ich bins!
(Vater Elias kommt aus der Toilette. Micha geht aufs Klosett.)

VATER ELIAS
Ich warte draußen auf dich.
MICHA
Warum draußen?
VATER ELIAS
Ich dachte, du möchtest auf dem Stillen Örtchen deine Ruhe haben.
MICHA
Aber du wartest auf mich!
VATER ELIAS
Ja, ich warte auf dich. – Oh, jetzt hab ich den Auftritt der jungen Juliette verpasst!

ZEHNTE SZENE

(Vater Elias und der Knabe Maximilian auf einer großen Wiese, die von Tannen gesäumt wird.)

VATER ELIAS
Maximilian!
MAXIMILIAN
Lass dich umarmen, Vater!
VATER ELIAS
Lass mich noch einmal deine Stimme hören, du brüllender Löwenjunge, du Sohn einer
Löwenmutter!
MAXIMILIAN
Ich weiß, Vater, wie du heißt! Du heißt...
VATER ELIAS
Elias heiße ich, weißt du das nicht mehr?
MAXIMILIAN
Nein, du heißt... Ach ja, du heißt: Lalla!
VATER ELIAS
(in gespielter Entrüstung)
Unverschämtheit!
MAXIMILIAN
Du bist lalla! Du bist lalla!
VATER ELIAS
Pass auf, ich schnapp dich und beiße dir dein Ohrläppchen ab!
MAXIMILIAN
Ich kitzle dich am Hals!
VATER ELIAS
Willst du an meinem Hals noch einmal die Unbefleckte Empfängnis küssen?
MAXIMILIAN
Ich sammle Tannenzapfen und dann beschieß ich dich mit Tannenzapfen!
VATER ELIAS
Ach, mein kleiner Amor! Nicht mit Feuerpfeilen schießt du auf mich, sondern mit Tannenzapfen?
MAXIMILIAN
Zum Angriff!
VATER ELIAS
Au! Na warte, ich schieße zurück!
MAXIMILIAN
Du triffst mich nicht! Da! und da! und da!
VATER ELIAS
Ich bin außer Atem. Lass uns Pause machen.
MAXIMILIAN
Lalla! Lalla!
VATER ELIAS
O mein Liebling!
MAXIMILIAN
Wie ging noch mal das Spiel mit dem Engel der Liebe?
VATER ELIAS
Du bist der Engel der Liebe, ein kleiner nackter Knabe mit Flügeln an den Schultern, und du hast in
Händen Pfeil und Bogen. Und wenn du mich mit dem Pfeil ins Herz triffst, ruf ich: Liebling,
Liebling, ich liebe dich!
MAXIMILIAN
Da! Getroffen!
VATER ELIAS
Ah! Ich liebe dich!
MAXIMILIAN
Und du hast mir doch einmal einen Becher geschenkt mit zwei kleinen Schutzengeln drauf.
VATER ELIAS
Ja, wenn Maria auf den Wolken erscheint, dann schauen ihr zu den bloßen Füßen zwei kleine
Engelein vom Himmel auf die Menschenkinder.
MAXIMILIAN
Sind die Engel wirklich so?
VATER ELIAS
Ich war einmal in einer barocken Jesuitenkirche. Die Kuppel der Kirche war himmelblau und da
wimmelte es im hellblauen Himmeln von kleinen Nacktärscherln!
MAXIMILIAN
Was sind denn Nacktärscherl?
VATER ELIAS
Kleine nackte Knaben mit blonden Haaren, Flügeln an den Schultern und nackten Popos.
MAXIMILIAN
So sind also die Engel?
VATER ELIAS
Ich fuhr einmal mit einem Omnibus nach Lourdes in Südfrankreich, wo Maria einem jungen
Mädchen namens Bernardette erschienen ist. Da waren im Bus auch viele Kinder und Jugendliche.
Und oben in der Gepäckablage spielten lachend die kleinen Engelein und tobten fröhlich herum!
MAXIMILIAN
Ich schenke dir was zum Abschied. Da, ein Kirschkern! Du brauchst ihn mir auch nicht
wiederzugeben.
VATER ELIAS
Ich werde im Gebet immer bei dir sein.

ELFTE SZENE

(Auf einer Gartenbank unter einer breiten Hainbuche sitzt Elias, Maximilian auf seinem Schoß. Ihm
gegenüber auf einer zweiten Gartenbank neben einem Rhododendron sitzen zwei Mütter.)

ERSTE MUTTER
Mein Sohn studiert Arabisch. Er war schon im arabischen Palästina. Bald will er nach Saudi-
Arabien, Mekka und Medina zu sehen.
VATER ELIAS
Die Muslime verachten die atheistischen Europäer. Aber wenn ein Europäer sagt: Ich glaube an
Gott und an Jesus Christus! Dann freuen sich die Muslime und sagen: Wir haben ja vieles
gemeinsam, eure Propheten sind auch unsre Propheten, Noah, Josef, Moses, David, Salomon und
Jesus. Aber wir glauben an Einen Gott.
ERSTE MUTTER
Ich interessiere mich eigentlich nicht für den Islam. Aber wenn der eigene Sohn den Islam studiert,
dann möchte ich doch ein wenig Bescheid wissen.
VATER ELIAS
Darf ich dir einmal meine Gedichte nach dem Koran schenken? Ich habe auch über Fatima und die
Huris geschrieben. Ich kenne die arabischen Philosophen und die persischen Mystiker-Dichter.
ERSTE MUTTER
Ich müsste einmal die satanischen Verse lesen.
VATER ELIAS
Die satanischen Verse preisen die heidnischen Fruchtbarkeitsgöttinnen, die Naturgöttin.
ERSTE MUTTER
Und deine Gedichte preisen Allah?
VATER ELIAS
Ja, meine Gedichte preisen Allah und den Sohn Allahs, den die Jungfrau Maryam vom heiligen
Geist empfangen hat.
ERSTE MUTTER
Ich lese eigentlich keine Gedichte. Ich bin auch nicht sehr gebildet, wenn ich auch so aussehe. Ich
lese lieber Unterhaltungsromane.
VATER ELIAS
Damit kann ich leider nicht dienen.
ZWEITE MUTTER
Mir geht es ähnlich. Meine Tochter hat in Berlin jüdische Geschichte studiert. Dazu hat sie auch
eine jüdische Synagoge besucht. Ich und mein Mann waren auch in der jüdischen Synagoge, in
einer liberalen, nicht in einer orthodoxen Synagoge. Daraufhin ist mein Mann aus der katholischen
Kirche ausgetreten und zum Judentum konvertiert. Meine Tochter hat einen Juden aus Israel
geheiratet und ist nach Israel gezogen. Sie studiert jetzt an der Universität von Jerusalem. Sie hat
sich mit der Torah, der Kabbala und der jüdischen Philosophie beschäftigt.
VATER ELIAS
Ich habe ein Poem übers Judentum geschrieben, zur Sühne für die Sünden meines Großvaters, der
Nationalsozialist gewesen ist. Ich muß doch die Vorfahrenschuld abtragen.
ZWEITE MUTTER
Vorfahrenschuld abtragen? Das kann man nicht. Ich kenne eine muslimische Familie, deren Sohn
Drogensüchtiger war und gestorben ist, aber noch Schulden hatte. Die Muslime wollten die
Schulden ihres Sohnes begleichen, auf dass er ins Paradies komme. Ich sagte: Wenn er tot ist, hat er
keine Schulden mehr.
VATER ELIAS
Wir Katholiken beten für unsre Toten, dass Gott ihnen auch im Jenseits noch die Sünden vergebe.
So lebe ich mit meinen Toten, die für mich zu Engeln geworden sind.
ZWEITE MUTTER
Aber nur, wenn sie Zucker sind. Wenn sie Essig sind, sind sie keine guten Engel.
VATER ELIAS
Die süßen Toten aber sterben mit einem Halleluja auf den Lippen.
ZWEITE MUTTER
Ja, mit einem Halleluja beginnt das Leben, mit einem Halleluja endet das Leben und mit einem
Halleluja geht das Leben im Jenseits weiter. Und weißt du auch warum?
VATER ELIAS
Warum?
ZWEITE MUTTER
Weil es dort oben viel, viel guten Wein gibt!

ZWÖLFTE SZENE

(Nacht. Unter der Hainbuche auf der Gartenbank Vater Elias und ein achtzigjähriger
Handwerksmeister.)

HANDWERKSMEISTER
Darf ich mich zu dir setzen?
VATER ELIAS
Ja, ich trinke gerade die letzte Flasche leer. Sophie, mein Henkersmädel, / komm, küsse mir den
Schädel!
HANDWERKSMEISTER
Ich denke viel an den Tod.
VATER ELIAS
Meine Marie ist auch von mir gegangen. Aber ich lebe mit meinen Toten. Ich bin versunken in
Erinnerungen, ich lebe gar nicht in der Gegenwart, sondern ich lebe in den Erinnerungen an Marie.
Dabei sagte mir der Heilige Geist: Lass los und lebe in der Gegenwart! Aber ich will, dass meine
Toten mich nicht verlassen! Ich will sie nicht vergessen! Manchmal meine ich, ich sehe Marie auf
der Straße, plötzlich ist sie da, oder sie singt mir ein französisches Liebeslied im Radio vor. Dann
merke ich: Mein Engel ist da, begleitet mich und segnet mich.
HANDWERKSMEISTER
Ich dagegen bin nüchterner Realist. Vor einem Monat ist mein Sohn gestorben an einer unheilbaren
Krankheit. Er war erst fünfzig Jahre alt. Aber wenn er nicht gestorben wäre, so wäre sein Leiden
immer schlimmer geworden. So war der Tod für ihn eine Erlösung.
VATER ELIAS
Das tut mir leid für Sie.
HANDWERKSMEISTER
Ich denke auch über Gott nach. Da gibt es Buddha, Manitou, Allah, Donar und Jehowah, und alle
diese Götter geben dem Menschen ein Gesetz, nachdem sie leben sollen. Aber wir reden immer nur
vom Menschen. Die Natur hat auch ein Recht zu leben. Der Mensch braucht die Natur, aber die
Natur braucht den Menschen nicht.
VATER ELIAS
Und hat Ihr Sohn auch Kinder zurückgelassen?
HANDWERKSMEISTER
Ja, einen Sohn von zwanzig Jahren. Der lebt jetzt allein bei seiner Mutter. Sie erzieht ihn mit
weiblicher Liebe, aber ein Sohn braucht zur Erziehung auch die männliche Autorität. Männer
denken eben anders als Frauen. Ein Kind braucht das weibliche Denken und das männliche Denken.
So hab ich meinen Enkel anstelle meines Sohnes als Sohn angenommen und sorge mich um ihn. Ich
habe ihm eine Arbeitsstelle besorgt. Aber er ist ein Schwächling.
VATER ELIAS
Wie meinen Sie das: ein Schwächling?
HANDWERKSMEISTER
Nun, er kann keine schwere körperliche Arbeit tun, dann ist er gleich erschöpft. Aber um ein guter
Handwerksmeister zu sein, muß man was von Menschenführung verstehen. Wenn einer kräftige
Muskeln hat, aber ein wenig dumm ist, soll er die harte Arbeit tun. Aber wenn einer ein
Schwächling ist, aber pedantisch genau im Kopf ist, so gib ihm eine andre Arbeit. Wenn man
allerdings dem Kraftprotz intelligente Arbeit gibt und dem pedantischen Schwächling körperliche
Schwerstarbeit, dann hat man als Meister keine Menschenkenntnis.
VATER ELIAS
Ich bin so sturzbetrunken und kann nur noch an die Jungfrau Sophie denken. Sie ist wie ein
dichtbehangener Kirschbaum voller dunkelroter Süßkirschen.
HANDWERKSMEISTER
Dann lass ich dich jetzt mal allein.
VATER ELIAS
Ich bin fünfzig Jahre alt und Sophie ist siebzehn Jahre jung, aber wenn ich vor ihr stehe, fang ich an
zu stottern wie ein schüchterner Knabe.
HANDWERKSMEISTER
Gute Nacht.

DREIZEHNTE SZENE

(Vater Elias und die Jungfrau Sophie an einem Tisch, sie essen chinesische Suppe.)

VATER ELIAS
Sag mir, wo du wohnst?
SOPHIE
Ich lebe mit meiner Großmutter in einem alten Bauernhaus. Wir haben Schafe und Hühner und
Tauben und Pferde. Das zutrauliche Mutterschaf heißt Regina Coeli und die schwarze Stute heißt
Indrani. Wir haben auch einen großen Garten mit Nussbäumen und Apfelbäumen. Da mähe ich
gerne das Gras mit der Sense. Wir haben ein Gemüsebeet und essen gerne Gemüsesuppe mit
selbstgebackenem Brot. Ich mag gerne Beerlauch.
VATER ELIAS
Ich würde dich gerne einmal besuchen.
SOPHIE
Vielleicht lad ich dich auf mein Sommerfest ein. Soll ich dich dann meinen Freundinnen vorstellen:
Das ist der alte Mann, der mich anbetet?
VATER ELIAS
Ach, du wirst mich verlassen. Deine königliche Hoheit voller Huld wird einen Jüngling lieben
lernen. Was soll auch eine irdische Göttin mit solch einem alten Tränensack?
SOPHIE
Ja, ich werde dich verlassen. Ich gehe bald nach Amerika.
VATER ELIAS
Was willst du in New York?
SOPHIE
Nein, ich will zum andern Amerika. Ich gehe nach Peru.
VATER ELIAS
Auf den Spuren der Inka?
SOPHIE
Nein, ich gehe zu den armen Straßenkindern, ihnen zu helfen.
VATER ELIAS
Ich habe gestern einen Schwarzafrikaner getroffen. Ich sagte: Friede sei mit dir, Pascal! Wie geht es
deiner Familie in der Elfenbeinküste? Er sagte: Die Franzosen haben die Elfenbeinküste
bombadiert. Frankreich will Afrika nicht aufgeben. Nordamerika und China streiten sich um den
afrikanischen Markt, um die afrikanischen Rohstoffe. Ich fragte ihn, ob es in der Elfenbeinküste
einen Krieg zwischen Muslimen und Christen gebe. Er sagte: Nein. Im Norden leben die Muslime
und im Sünden die Christen. Er sei Papist, aber seine besten Freunde lebten im Norden. Zu
Ramadan schenken die Muslime den Christenkindern Süßigkeiten und zu Weihnachten schenken
die Christen den Kindern der Muslime Süßigkeiten. Der Krieg in der Elfenbeinküste sei von
Frankreich inszeniert, mit der Unterstützung Nordamerikas. Die Franzosen hätten immer noch
imperialistische und kolonialistische Gelüste. Nordamerika will den Wirtschaftskrieg gegen China
um die afrikanischen Diamanten gewinnen.
SOPHIE
Meine Solidarität gilt den Armen, ja, den Ärmsten der Armen.
VATER ELIAS
Eva sagte mir: Man kann nicht immer als Mutter Teresa durch die Welt gehen, man muß auch böse
sein! Aber warum? Warum nicht Mutter Teresa zum Vorbild nehmen?
SOPHIE
Ich werde dir eine Photographie aus Peru schicken.
VATER ELIAS
Ja, die Jungfrau Sophie, auf dem Schoß einen kleinen Knaben mit Orange in der Hand, um sie ein
Dutzend kleine Inka-Kinder.
SOPHIE
Adieu!
VATER ELIAS
(küsst ihr die Hand)Ich wünsche dir alles Gute!

VIERZEHNTE SZENE

(Im Speisezimmer des alten Paul Michael. Vater Elias, Mutter Morpho und ihre Tochter Mercedes
mit Violincelli.)

PAUL MICHAEL
Wie geht es deiner Gesundheit, Vater Elias?
VATER ELIAS
Der Arzt hat meine Lunge untersucht: Mein lieber Schwan, sagte er, wann wollen Sie unter die
Erde? Recht bald, sagte ich.
PAUL MICHAEL
Und deine Leber? Alles in Ordnung?
VATER ELIAS
Der Arzt fragte: Wie viel trinken Sie? Ich sagte: Eine Flasche Wein am Tag. Er sagte: Dann sind Sie
alkoholkrank. Ich weiß, sagte ich, dass ich alkoholkrank bin, aber ein echter Alkoholiker weiß das
nicht mehr.
PAUL MICHAEL
Und wie geht es den Nerven?
VATER ELIAS
Chronisch krankhaft traurig. Man gab mir Morphium für die Seele. Nun verschlaf ich die Hälfte des
Tages und träume wirres Zeug.
PAUL MICHAEL
Ich habe einen Hexenschuss im Rücken.
VATER ELIAS
Das geht vorbei.
PAUL MICHAEL
Ich habe Krebs, Metastasen im Rückenmark und Blutkrebs.
VATER ELIAS
An Blutkrebs ist mein Vater gestorben. Einen Vater verliert man nur einmal.
PAUL MICHAEL
Die Chinesen sagen, ich solle Musik von Meister Wu hören. Ach, wenn ich noch in den Wald
könnte und mit meiner chinesischen Meditation das Yin und Yang in mir harmonisieren! Vater Elias,
du solltest auch chinesische Meditation treiben, dann verschwände auch deine Nervenkrankheit.
VATER ELIAS
Aberglaube! Ich glaube nicht an das Chi und die kosmische Harmonie von Drache und Phönix.
MUTTER MORPHO
(kniet vor Paul Michael und hält seine Hände)
Lieber, lieber Paul Michael! Ich und meine Tochter Mercedes wollen dir noch einmal auf dem
Violoncello ein Ständchen bringen.
PAUL MICHAEL
Liebe Urmutter Morpho! Danke, mein Engelchen!
MUTTER MORPHO
Wir singen dir das Volkslied Annchen von Tharau.
PAUL MICHAEL
Das kann ich mitsingen.
VATER ELIAS
Ich kannte einmal ein Mädchen, das verliebt war in ein Violoncello und sagte: Ein Violoncello ist
wie eine Geliebte!
TOCHTER MERCEDES
Lieber Onkel Paul Michael, ich singe jetzt für dich von Annchen von Tharau.

(Sie musizieren, Mercedes singt.)

VATER ELIAS
Mercedes! Mercedes! Ich bin ein Prophet, und ich weiß, wann die Madonna vom Himmel steigt!
Mercedes, Mercedes, heute Abend habe ich den lieben Gott gesehen und der liebe Gott war ein
junges schönes Mädchen!
PAUL MICHAEL
Ach, Vater Elias, ich kann nicht glauben an die Unbefleckte Empfängnis. Wie kann eine Frau von
Gott ein Kind empfangen?
VATER ELIAS
(stampft mit dem rechten Fuß auf)
Irrtum! Die jungfräuliche Geburt Jesu ist nicht die Unbefleckte Empfängnis, denn der Mannessame
in einer Frau beim ehelichen Beischlaf ist keine Befleckung, sondern die Befleckung ist die Sünde.
Unbefleckte Empfängnis ist Marien Empfängnis, weil sie ohne Sünde ist seit ihrer Empfängnis im
Schoß ihrer Mutter.
PAUL MICHAEL
Du echauffierst dich, mein Lieber.
VATER ELIAS
Unbefleckte Empfängnis, o wie schön du bist!

FÜNFZEHNTE SZENE

(Vater Elias und Johannes.)

JOHANNES
Marie!
VATER ELIAS
Dir sing ich meine Ode an die tote Marie.
JOHANNES
Das Denkmal, das du der toten Marie gesetzt, soll noch den Enkeln tönen.
VATER ELIAS

OdeandietoteMarie

Marie, Marie ist fort,


Sie ist aus meiner sichtbaren Welt
Hinübergegangen in das Reich
Der Erinnerung. Mnemosyne,
Mutter der Musen, inspiriere mich!
Diese meine beiden Augen
Sehen nicht mehr ihre Augen,
Ihre großen weißen Mandelaugen!
Aber der Sehsinn des Herzens
Sieht sie überall, Marie,
Marie ist überall,
Schwebend über allen Frauen,
Schwebend über allen Mädchen
Als Königin der Schönheit!
Werde ich einmal vergessen,
Wie schön dein langes Haar war?
Werde ich einmal vergessen
Deine großen leuchtenden Augen?
Werde ich einmal vergessen
Deinen schön geschwungenen Mund
Und deine Fingernägel,
Rot wie Kirschen, Marie?
Wohin löst du dich auf?
Welche Seite der Wirklichkeit
Genießt jetzt deine Schönheit?
Erscheine mir wieder,
Mein femininer Engel!
Singe dein Lied in mir,
Marie, dein Lied der Liebe,
Dein Lied von der Wiese
Im himmlischen Paradies!
Komm wieder, Marie!
Der Geist und der Bräutigam rufen:
Komm bald wieder, Marie!

JOHANNES
Marie ist nicht mehr hier! Die Freude ist dahin! Die Flügel meines Herzens sind schwer wie Blei
und hängen schlaff herab. Was bleibt?
VATER ELIAS
Es bleiben die weißen Brüste der Ewigen Weisheit!
JOHANNES
Wie?
VATER ELIAS
Die Ewige Weisheit ist eine göttliche Frau, an ihren beiden weißen Brüsten stillt sie zwei bärtige
Philosophen.
JOHANNES
Welche Philosophie hat dir denn die Ewige Weisheit mit ihrer Milch in den Mund gespritzt?
VATER ELIAS
Den Kindern spritzt sie Milch der zärtlichen Liebe in den Mund. Mir als altem bärtigem
Philosophen mit dickem Bauch spritzt sie herben blutigen Wein in den Mund!
JOHANNES
Und kein irdisches Mädchen offenbart uns mehr den Himmel auf Erden?
VATER ELIAS
Was bleibt, das ist der sechste Sinn der älteren Frauen.
JOHANNES
Du meinst, die Himmelskönigin ist nicht mehr, was bleibt, das sind die heidnischen Hexen?
VATER ELIAS
Die Himmelskönigin wird wiederkommen! Vielleicht muß sie noch Seelen auf den Dioskuren
erlösen und Seelen in dem Sternennebel Carina?
JOHANNES
Ich bin bange, dass ich die Himmelskönigin nie wieder sehe.
VATER ELIAS
Sie wird immer wieder ein auserkorenes Gefäß erwählen, uns zu erscheinen.
JOHANNES
Vielleicht hab ich sie auch nur ein Jahr lang sehen dürfen und dann nie wieder?
VATER ELIAS
Ein Tag, an dem man die Makellose sieht, ist kostbarer als ein ganzes Leben in den Häusern der
Gottlosen!

SECHSZEHNTE SZENE

(Vater Elias und der alte Paul Michael.)

PAUL MICHAEL
Ich stehe schon mit einem Fuß im Grabe, und du ahnst nicht, woran ich denke.
VATER ELIAS
Woran denkst du, mein lieber Vater?
PAUL MICHAEL
Ich denke an das Schönheits-Idol meiner Jugend.
VATER ELIAS
An wen?
PAUL MICHAEL
An Marilyn Monroe.
VATER ELIAS
Die blonde Venus?
PAUL MICHAEL
Ich höre noch, wie sie John F. Kennedy ein Ständchen zum Geburtstag brachte: Happy birthday to
you, dear Mr. President, happy birthday to you!
VATER ELIAS
So ein Bettgeflüster am Rande des Grabes?
PAUL MICHAEL
Noch einmal will ich die Liebe genießen. Schau, was ich lese!
VATER ELIAS
Die chinesische Kunst der Liebe?
PAUL MICHAEL
Wie ein Mann die Erektion zurückhalten kann so lange wie möglich, bis er seine Frau in der Nacht
vielmals zum Orgasmus gebracht.
VATER ELIAS
Ja, das Himmelreich ist wie eine Hochzeit. Manche Menschen kennen den Altar der Kirche nicht
mehr, ihr einziger Altar ist das Bett der Liebe.
PAUL MICHAEL
Thanatos ist der Trieb zum Tode, die Libido ist der Trieb zum Leben und zur Liebe. Am Rande des
Thanatos wird die Libido noch einmal mächtig.
VATER ELIAS
Sexualität ist ein Heiligtum des Schöpfers.
PAUL MICHAEL
Und was beschäftigt deine Libido, mein sehr verehrter Poet?
VATER ELIAS
Statt Thanatos und Libido herrschen in meiner Seele Thanatos und Morpheus.
PAUL MICHAEL
Wer ist das?
VATER ELIAS
Thanatos und Morpheus sind Zwillingsbrüder, der Tod und der Schlaf.
PAUL MICHAEL
Beschreibe mir den Morpheus, denn ach, ich kann in der Nacht nicht mehr schlafen.
VATER ELIAS
Morpheus ist ein schlanker blonder Knabe, sieben Jahre alt. In seiner Hand hält er eine Mohnblume.
Er schneidet die Mohnkapsel auf und tropft das Opiat auf die Lippen des Menschen, der bald drauf
einschläft und phantastische Träume träumt.
PAUL MICHAEL
Und sein Zwillingsbruder Thanatos?
VATER ELIAS
Auch Thanatos ist ein blonder Knabe von sieben Jahren, aber süßer als sein Bruder. Er hält in der
Hand eine Fackel, so dass du ihn für den göttlichen Amor hältst! Aber dann senkt er die Fackel zum
Wasser der Lethe und löscht das Feuer aus. Dann stirbst du.
PAUL MICHAEL
Ist die Seele unsterblich?
VATER ELIAS
Die Seele ist unsterblich.
PAUL MICHAEL
Wird die Seele wiedergeboren?
VATER ELIAS
Der Mensch lebt nur einmal, stirbt nur einmal und dann kommt das Gericht.
PAUL MICHAEL
Was ist Gott?
VATER ELIAS
Aristoteles sagt: Gott ist die Erstursache aller Bewegung. Kant sagt: Gott ist der Anruf an jeden
Menschen, gut zu sein. Jesus sagt: Gott ist Liebe.
PAUL MICHAEL
Du philosophierst, mein Lieber, ich glaube, du bist weise.

SIEBZEHNTE SZENE

(Vater Elias in seinem Zimmer. Nacht. Auf dem Harmonium eine Kerze und ein Glas Rotwein. Er
rezitiert seine Ode zum Harmoniumspiel in liturgischem Sprechgesang.)

VATER ELIAS

OdeandenToddesaltenMannesimWalde

Der alte Mann, gerufen


Vom ernsten Bruder Tod,
Dreibeinig schleicht er
Den letzten Gang in den Wald.
Abschied nimmt er
Von den geliebten Hütten
Und den bekämpften Palästen.
Er tritt ein in den Wald
Und murmelt seine Gebete.
Der wilde Eber hört ihn
Und gehorcht seinem Murmeln,
Der Fuchs wird scheu
Aus Ehrfurcht vor dem Alten,
Die Rehe lieben ihn an
Und schauen zärtlich zu ihm
Mit großen braunen Augen.
Er streichelt noch einmal
Den Farn aus den Tagen
Der Schöpfung der Welt,
Er steckt noch einmal
Seine Nase ins Moos
Und saugt den Duft ein
Des lebendigen Mooses.
Einmal noch streichelt er
Die alte deutsche Eiche
Und die mütterliche Blutbuche.
Spielend nimmt er in die Hände
Die Zapfen der Tanne
Und denkt noch einmal
An die fröhliche, selige Weihnacht,
Von lachenden Enkeln umtobt
Und dem Lächeln der schönen Tochter.
Ach Wald, du deutscher Wald,
Du große grüne Kathedrale,
Der alte Mann auf seinem Weg
Zum Rendezvous mit dem Tod
Tritt zu deinem bemossten Altar,
Umarmt das heilige Holz
Und atmet die Weltseele ein.
Über dem Walde aber,
Über dem deutschen grünen Walde,
Über der duftenden Kathedrale
Öffnen sich die schwarzen Wolken,
Gewitterschwangere schwarze Wolken
Tun sich auf und es erscheint
Ein segnender Strahl der Sonne.
Das segnende Licht der Höhe
Spiegelt sich in der feuchten Luft
Und die Frau Iris erscheint,
Das Zeichen der himmlischen Hoffnung.
Und aus dem offenen Himmel
Über die Brücke des Regenbogens
Kommt hernieder
Die Jungfrau Misericordia
Und lächelt an den alten Mann.
O Jungfrau Misericordia,
Wer hat dich gerufen?
Wer hat dich beschworen
Mit murmelnden Worten
Zur heiligen Perlenschnur?
Deine langen Haare
Verschleiern dein Antlitz,
Deine großen weißen Augen
Lächeln voll schöner Liebe,
Deine rosigen Lippen
Lächeln charmant
Dein kussliches Lächeln.
Jungfrau Misericordia,
Du beugst dich herab
Zum alten Mann
Am Rande des Grabes
Und flüsterst ins Ohr ihm
Hallelujagesänge:
Halleluja dem Schöpfer,
Halleluja dem Retter,
Halleluja dem Spender
Des ewigen Lebens!
Halleluja, Halleluja
Der Unsterblichkeit der Seele!
Halleluja, Halleluja
Der Auferstehung des Fleisches!
Alter Mann am Rande des Todes,
Dir war ein Leben bestimmt
Und nach dem einzigen Leben
Das göttliche Totengericht!
Da wird die Jungfrau Misericordia
Ihre weißen Brüste entblößen
Vor Gott dem Herrn
Und bei der süßen Milch
Ihrer milchweißen Brüste
Dir erbitten das ewige Leben!

ACHTZEHNTE SZENE

(Gartenbank unter einer Hainbuche. Eine greise, gebrechliche Dame und Vater Elias, beide
rauchend.)

GREISIN
Ich lebe nur noch in der Erinnerung.
VATER ELIAS
Ja, seit Marie tot ist, lebe auch ich nur noch in der Erinnerung. Aber der Geist sagt mir: Lebe in der
Gegenwart! Gott zu lieben, hab ich nur diesen heutigen Tag.
GREISIN
Aber wenn du erst einmal so alt bist wie ich, dann lebst du auch nur noch in der Erinnerung. Ich
denke an meine Mutter. Ich war sieben Jahre alt, als meine Mutter gestorben ist.
VATER ELIAS
Und kannst du dich jetzt mit achtzig Jahren noch an deine Mutter erinnern?
GREISIN
Meine Großmutter war sehr streng. Die Mutter meiner Mutter war nicht liebevoll zu ihrem Kind.
VATER ELIAS
War deine Mutter denn lieb zu dir?
GREISIN
Ich lag allein in meiner Kammer, da kam meine Mutter herein mit meiner Puppe. Meine Mutter
hatte meiner Puppe ein schönes neues Kleid gemacht.
VATER ELIAS
Hast du von Gott gehört in deiner Kindheit?
GREISIN
Man hat mir den Glauben der Kirche mit dem Prügelstock beigebracht! Ich will nichts mehr hören
von dem Glauben der Kirche!
VATER ELIAS
Aber Gott ist Liebe, nichts als Liebe!
GREISIN
Aber das unschuldige Leiden in der Welt! Ach, wenn ich an die Kinder von Vietnam denke, die von
Napalmbomben verbrannt wurden! Da werde ich zornig! Wie kann ein liebender Gott so etwas
dulden? Nein, davon will ich nichts wissen! Aber erzähle du mir, wie es dir ergangen ist in den
finstersten Nächten deiner seelischen Schmerzen.
VATER ELIAS
Im Mutterschoß empfangen, wurde ich zurückgestoßen vom Mutterkuchen meiner Mutter.
GREISIN
O, deine Mutter liebt dich gewiss!
VATER ELIAS
Das Gefühl, nicht erwünscht zu sein auf Erden, ist seit meiner Kindheit in mir. Einmal hörte ich
Satan, er sprach zu mir: Es ist nicht gut, dass es dich gibt! Es wäre besser, du wärest nie geboren!
Du bist eine Last und Zumutung für alle Menschen! Keiner mag dich leiden! Töte dich selber!
Lösche dein Leben aus, lösche deine Person aus und werde zu Nichts!
GREISIN
Ich glaube nicht, dass es den Teufel gibt. Der Teufel ist nur eine Puppe im Kasperletheater.
VATER ELIAS
Ich aber habe Satans Stimme gehört. Aber ich habe auch das Flüstern der Madonna gehört. Die
Madonna ist ein junges Mädchen, ich hörte sie flüstern, ihre Stimme war wie ein Gesang, und sie
sang: Ich will, dass du lebst, ich will, dass du lebst und blühst wie eine Lilie!
GREISIN
Je vous salue, Marie! Ja, das kenne ich noch.
VATER ELIAS
Jesus sagte zu mir: Alles, was existiert in der Welt, ist im Innern meiner Barmherzigkeit tiefer
verborgen als der Embryo im Schoße seiner Mutter.
GREISIN
Mutter... Ja, vielleicht gibt es doch eine mütterliche Göttin?
VATER ELIAS
Gott sprach zu mir: Du sagst: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Aber kann eine
Mutter ihren Sohn vergessen? Und selbst, wenn deine Mutter dich nicht liebt, ich, dein Gott und
dein Herr, ich liebe dich mit einer brennenden grenzenlosen Liebe!

NEUNZEHNTE SZENE

(Vater Elias und der Knabe Thomas.)

VATER ELIAS
Wer bist du?
THOMAS
Ich bin Evas Sohn.
VATER ELIAS
Wie heißt du?
THOMAS
Ich heiße Thomas. Aber meine Mutter nennt mich den Engelgleichen.
VATER ELIAS
Was willst du von mir?
THOMAS
Ich möchte mit dir Schach spielen.

(Thomas stellt das Schachbrett auf. Sie spielen Schach.)

VATER ELIAS
Epiktet sagte, das Leben ist ein Theaterstück. Gott ist der Dichter, der das Stück geschrieben hat.
Jeder muß seine Rolle spielen. Wer Arbeiter ist, muß arbeiten. Wer alt ist, muß sterben. Die
Kirchenväter sagten: Das Leben ist nicht Arbeit, das Leben ist nicht Kampf, nein, sondern das
Leben ist ein Spiel! Schiller sagte: Das Leben und der Kampf sind ernst, nur das Kinderspiel und
die Kunst sind heiter! Goethe sagte: Mit Kindern und mit Dichtern gibt man sich nur ab, um zu
spielen! Schiller sagte: Wer spielen kann, ist frei!
THOMAS
Schach!
VATER ELIAS
Oh, du hast meine Dame geschlagen!
THOMAS
Im Spiel darf man die Dame schlagen.
VATER ELIAS
Es gibt keinen Ausweg mehr für mich!
THOMAS
Matt!
VATER ELIAS
Ich habe mit dem Bruder Tod Schach gespielt und Bruder Tod hat mich schachmatt gesetzt!
THOMAS
Stirbst du jetzt? Soll ich deine Mama rufen?
VATER ELIAS
Höre meine letzten Worte!
THOMAS
Ah, dein Schwanengesang!
VATER ELIAS
Ich muß beichten! Ich habe meinem Vater und meiner Mutter noch nicht verziehen, dass sie mich
geboren haben!
THOMAS
Ach lieber Vater Elias, ach lieber Vater Elias!
VATER ELIAS
Ich hab dich lieb, mein Engel!
THOMAS
Gehst du jetzt ins Paradies?
VATER ELIAS
Ich habe heute morgen von der heiligen Edith Stein geträumt. Sie hat zu mir gesagt: Du kommst in
den Himmel!
THOMAS
Wirst du dann mein Schutzengel?
VATER ELIAS
Ich lehre dich einen Spruch: Ich habe einen Schutzengel, der wacht über meine Ehre! Grausame
Kinder der Welt, beleidigt meinen Schutzengel nicht!
THOMAS
Wenn ich einen eigenen Schutzengel habe und du im Paradies auch noch zu meinem Schutzengel
wirst, dann habe ich ja zwei Schutzengel!
VATER ELIAS
Ja, mein Süßer. Aber jetzt laß mich allein.
THOMAS
Adieu!

(Thomas ab.)

VATER ELIAS
Nun zu uns beiden, Jesus...

DER JUNGE LUTHER

ERSTER AKT

(Mansfeld in Sachsen-Anhalt. Vater Hans Luther, Mutter Margarethe, und der kleine Martin.)

VATER LUTHER
Wo ist die goldne Nuß, die ich bewahrte
In der Schatulle hier in diesem Schrank?
MUTTER LUTHER
Gesteh es, Martin, du hast sie gestohlen!
VATER LUTHER
Die Blage! Dafür mühe ich mich ab?
Ein Bauer war ich, hab mich abgemüht,
Ein Bergmann war ich dann geworden, stieg
Tief in den Schoß der schwarzen Mutter Erde.
Sankt Anna wachte über unsern Bergbau.
Und nun besitz ich gar die Bergwerks-Mine.
Nun hab ich es zu etwas Geld gebracht.
Nun möchte ich mein Eigentum genießen
Und sehe, dass mein Sohn ein Räuber ist!
Den Vater sollst du ehren und die Mutter,
So hat es Gott am Sinai geboten!
MARTIN LUTHER
Ich wollte doch nur diese goldne Nuß,
Ich meine... Vater, ach, verzeihe mir!
VATER LUTHER
Geh, Margarethe, hole mir die Rute!
MUTTER LUTHER
Schau, Martin, das hast du verdient, dass du
Jetzt Schläge auf den bloßen Hintern kriegst.
VATER LUTHER
Nur weiter nichts geredet, Margarethe.
Ein Vater, der den Sohn von Herzen lieb hat,
Der züchtigt seinen Sohn auch mit der Rute.
Auch Gott ist ja ein strenger Vater, der
Die Kinder Gottes mit der Rute züchtigt.
Und wer vom Herrgott nicht gezüchtigt wird,
Der darf sich auch nicht Sohn des Vaters nennen.

(Margarethe hat die Rute geholt und reicht sie ihrem Gatten.)

MUTTER LUTHER
Jetzt, Martin, sei ein braver Sohn, bereue,
Dann wird der Vater nicht so kräftig schlagen.
MARTIN LUTHER
(heult)
Ach Vater, Vater, schlag nur kräftig zu!
VATER LUTHER
So ist es recht, du Räuber und du Dieb,
Zeig du nur Reue, weine Reuetränen!
MUTTER LUTHER
Ach lieber Hans, mein guter Eheherr,
Laß mich den kleinen Martin züchtigen.
VATER LUTHER
Ja, Martin, Gnade soll vor Recht ergehen,
Die Mutter wird dich mit der Rute schlagen.
MUTTER LUTHER
So, Martin, leg dich über diesen Stuhl,
Und jetzt hinunter mit dem Hosenboden.
Ich denke, vierzig Schläge sind genug.

(Die Mutter züchtigt Martin. Der beißt die Zähne zusammen und leidet still.)

VATER LUTHER
Das waren vierzig Schläge, Margarethe.
Jetzt komm, wir müssen aus dem Hause gehen.
Du, Martin, bete du zu Gott dem Vater!

(Die Eltern verlassen die Stube.)

MARTIN LUTHER
(betet weinend)
Sankt Anna, weißt du auch, wie weh das tut?
Der Vater ist so streng und meine Mutter
Steht immer auf der Seite meines Vaters
Und ich bin ganz allein in dieser Welt.
Sankt Anna, du beschützt den Bergbau doch,
Und meine Mutter hat mir einst erzählt,
Daß du als Mutter Unsrer Lieben Frau
Einst Jesus mit der Rute hast geschlagen,
Drei Schläge nur auf Jesu sanften Po.
Sankt Anna, nur drei Schläge! Aber ich
Hab vierzig auf mein Hinterteil gekriegt!
Doch hab ich’s ja verdient, Großmutter Gottes,
Weil ich gestohlen und gelogen habe
Und hab verdient den Zorn des Vatergottes
Und hab verdient die ewige Verdammnis,
Wo mich die Teufel mit den Ruten schlagen
Für eine ganze lange Ewigkeit!
Ich will nicht in die Hölle kommen, Anna!
Sag doch dem Vater, deinem Enkel Jesus,
Ich will noch gerne viele Schläge leiden,
Wenn ich dafür nicht in die Hölle komm!
Sankt Georg, mach du mich zu einem Ritter,
Sankt Georg, mach du mich zum Drachentöter!
In Patri, Filius et Spritus
In saeculum et saeculorum Amen.

ZWEITE SZENE

(Eisenach. Der fünfzehnjährige Luther und sein Lehrer, ein Franziskanermönch.)

LUTHER
Ich heiße Martin, Luther oder Luder,
Denn meine Väter hießen Luder, aber
Das deutsche Luder stammt vom Griechischen
Und es bedeutet: Eleutherios,
Und Eleutherios, das heißt: Der Freie!
FRANZSIKANER
Mein Eleutherios, was lehrten dich
Die Brüder vom gemeinschaftlichen Leben
In Magdeburg, der Schule an dem Dom?
LUTHER
Sie lehrten mich die deutsche Muttersprache.
O Magdeburg, du wunderschöne Braut,
Frau Weisheit, du liebst einen Kriegsmann nur,
Der dich im Sturme nimmt und feurig liebt!
Doch, Pater, sprich vom heiligen Franziskus!
FRANZISKANER
Als Franz verlassen seinen Vater hatte,
Den Kaufmann, der den Mammon angebetet,
Als Franz sich mit Frau Armut keusch vermählt,
Da sprach der Herr zu ihm in einem Traum:
Mein Armer, renoviere meine Kirche!
Franz dachte, dass er soll ein Kirchlein bauen,
Bis er erkannte die Berufung, dass
Er soll die Kirche renovieren, die
Gehurt hat mit den Mächtigen der Welt
Und lebte in dem Luxus, dieser Sünde,
Da sollte Franz die reiche Luxus-Kirche
Durch seine reine Armut renovieren.
Die Kirche braucht ja immer die Reform,
Die Kirche reformiert sich immer wieder
Durch ihre heiligen Reformer, die
Durch Heiligkeit die Kirche reformieren.
LUTHER
Die Heiligen, das waren reine Herzen,
Ich aber bin ein abgrundtiefer Sünder.
FRANZISKANER
Doch du hast eine schöne Stimme, Martin,
Du kannst sehr schön die Psalmen psalmodieren.
Laß hören! Sing mir einmal einen Psalm!
LUTHER
(singt)
Gott ist uns eine feste Seelenburg,
Ist unser Schild, sein Wort ist unsre Waffe!
FRANZISKANER
Wir haben nicht umsonst gelehrt Musik
Und Poesie. Wer ist dein Lieblingsdichter?
LUTHER
Vor allen Römern lieb ich den Vergil
Am meisten, er ist doch der Vater Pius.
FRANZISKANER
Vergil ist der Advent-Poet der Kirche!
Er pries den Gottessohn, den Weltenheiland,
Das Friedensreich der ganzen Ökumene
Und auch die Ewigkeit der Mutter Roma.
LUTHER
Ich habe auch verstanden, dass die vierte
Ekloge Prophezeiung ist auf den
Messias, auf den Gott, als Kind geboren,
Der Frieden bringt der ganzen Ökumene.
Doch um die Hirtenlieder von Vergil
Auch richtig zu verstehen, müsste man
Ein ganzes Leben lang mit Hirten leben.
FRANZISKANER
Und die Georgica, das Buch vom Landbau?
LUTHER
Um die Georgica verstehn zu können,
Muß man sein Leben lang ein Bauer sein.
Dort liebe ich zumeist die Bienenzucht.
Vergil vergleicht den Gottesstaat der Bienen
Ja mit dem Reich von Roma, da der Kaiser
Die Bienenkönigin im Stocke ist
Und ihre Drohnen, das sind Roms Soldaten.
FRANZISKANER
Die Bienenkönigin, das ist der Papst,
Die Arbeitsbienen aber sind die Priester.
Und die Änaeis, was sagst du dazu?
LUTHER
Wie Moses Israel geführt hat aus
Ägyptenland, sie durch die Wüste führte,
Sie führte ins Gelobte Land und wie
Dort Israel viel Kämpfe kämpfen musste
Mit den Hevitern und den Amoritern
Und wie zuletzt in Israel geboren
Der Heiland ward, der König aller Völker –
So floh Äneas auch mit seinem Vater
Und seinem Sohn aus Trojas Brandruinen
Und mussten irren übers Mittelmeer
Und kamen von Karthago nach Italien
Und mussten kämpfen dort mit den Latinern
Und gründeten das Neue Troja dort
Und so Äneas ward der Vater Roms,
Bis dann Augustus Cäsar ward geboren
Als Retter und als Friedefürst der Völker.
FRANZISKANER
So haben nicht die Juden nur Propheten,
So haben auch die Heiden die Sibyllen,
Und alle prophezeien Jesus Christus.

DRITTE SZENE

(Universität Erfurt. Martin Luther als Magister der sieben freien Künste, und der
Universitätsprofessor.)

PROFESSOR
So sprechen Sie von Aristoteles!
LUTHER
Wenn Platon visionär Ideen schaute
Als ideale Wesenheiten geistig,
So lehnte Aristoteles das ab.
Was Aristoteles in der Natur sah,
Das war der Stoff und war die Form des Stoffes.
Der Stoff war die chaotische Materie,
Die Form das geistige Prinzip, gestaltend
Den Stoff zu einem Ding. Die Form ist Geist,
Doch existiert sie nicht wie die Idee
Selbständig als ein Wesen rein im Geist,
Die Form ist immer an und in den Dingen.
PROFESSOR
So sprechen Sie von Akt und von Potenz!
LUTHER
Die Potentialität ist Möglichkeit,
Ist bloße Möglichkeit, die übergeht
In die reale Wirklichkeit durch Akte.
Die Akte als die Macht und Wirksamkeit
Erst setzen die Potenz ins reine Dasein.
Wenn ich nun spreche, schreibe oder gehe,
So übe ich den Akt des Gehens, Sprechens
Und Schreibens. Das Subjekt ist dann schon da.
Der Akt des Daseins schafft erst das Subjekt.
PROFESSOR
Wenn nun der Akt des Daseins das Subjekt
Mit Namen Martin Luther erst ins Daseins setzt,
War Martin Luthers Wesen dann schon möglich
In Potentialität? Und kommt nun durch
Den Akt des Daseins Wichtiges hinzu?
LUTHER
Mein Wesen in der bloßen Möglichkeit,
So sagen welche, ist genauso wertvoll,
Wie das durch einen Akt verwirklichte.
Die bloße Möglichkeit von tausend Talern
Ist wertvoll wie die Wirklichkeit derselben.
Doch andre sagen, dass alleine wertvoll
Die pure Existenz, und dass kein Wesen
Bedeutsam ist, allein die Existenz,
Und dass die Gottheit sei die Existenz
In Reinform, doch besitze Gott kein Wesen.
PROFESSOR
Was dazu ist Ihr Kommentar, mein Luther?
LUTHER
Wenn nun die Existenz allein ist wichtig
Und unbedeutsam ist das Wesen, wie
Begreifen wir, dass Menschen nicht allein
Nur existieren wollen, sondern gut
Und selig leben? Nämlich Jesus sagte
Von Judas, der so ganz verzweifelt war:
Es wäre besser, er wär nie geboren!
Denn ist die Existenz verzweiflungsvoll,
So wünscht der Mensch, er wäre nie geworden!
Das Wie der Existenz ist eben wichtig.
PROFESSOR
So sprechen Sie vom Universalienstreit!
LUTHER
Ob die platonische Idee ein Geist
Mit eignem Dasein sei und existiere
Rein in sich selbst als Wesenheit im Geist,
Wie manche sagen, oder ob sie nur
Gedanklicher Begriff von Menschen sei,
Verallgemeinerung realer Dinge,
Wie andre sagen, das ist nun der Streit.
Die an die Realitäten der Ideen
Als Wesenheiten glauben, nennen sich
Als Idealisten also Realisten.
Und die behaupten, dass all die Ideen
Nur menschliche Begriffe sind und nichts
Ganz wirklich existiert als nur die Dinge,
Die nennen wir mit Namen Nominalisten.
PROFESSOR
Und Ihre Position, Magister Luther?
LUTHER
Ich denke, Wahrheit sagen Nominalisten.
PROFESSOR
Und abgesehn von aller Theorie,
Was hat das zu bedeuten für die Praxis?
LUTHER
Wenn unabhängig vom Begriff des Menschen
Als Geister Wesenheiten existieren,
Dann ist das für die Theologie bedeutsam,
Denn dann ist die Idee des Einen Gottes
Bei den Muslimen und des Einen Gottes
In drei Personen in der Christenheit
Ein reines Dogma, das verkündet wird
Von dem Koran bei den Muslimen oder
Vom Papst und den Konzilien in der Kirche
Als Offenbarung, die von oben kommt,
Von Gott geoffenbart und überliefert
Von einer Hierarchie der Heiligkeit.
Wenn aber alles ist Begriff des Menschen,
Dann disputieren wir human und ringen
Um die Erkenntnis, und des Menschen Denken
Betrachtet dann die Realität der Dinge.
Und so die Wissenschaft von der Natur
Kommt auf und so der säkulare Staat,
Nicht mehr der Kaiser als von Gottes Gnaden,
Vielmehr die Fürsten als die Landesväter
Sind die Vertreter des gemeinen Volkes.
PROFESSOR
Magister artium, Magister Luther,
Sie haben ja rebellische Ideen!
LUTHER
Ach, wissen Sie, die menschliche Vernunft,
Die Philosophie ist eine Hure nur!
Der Mensch bleibt ein verdammter Sünder doch!

VIERTE SZENE

(2.Juli 1505. Stotternheim zwischen Mansfeld und Erfurt. Luther als Wanderer allein.)

LUTHER
(singt)
Ach Annchen Tharau, meines Herzens Blut!
Ach Annchen Tharau, du mein liebstes Gut!

(Er pfeift. Nach einer Weile nachdenklich)

O meine Seele, sei jetzt nicht mehr traurig!


Jetzt, wo ich die Juristerey studiere,
Ist doch mein Vater wieder ganz zufrieden.
Er hat ja investiert ins Studium
Des Sohnes, in die ganze Schulausbildung,
Und will sich freuen jetzt an seinem Sohn,
Daß der was werde in der eitlen Welt.
Frau Welt, du eitle buhlerische Dirne,
In deinem Luxus-Laster, geile Hure,
Ja, so ein Advokat gefällt dir gut!
Als Advokat, da kann man vor Gericht
Der armen Witwe ihre Söhne nehmen.
Justitia, du buhlerische Hure,
Der Advokat steckt Geld dir in den Schoß
Und schon begehst du Ungerechtigkeit
An Stätten der Gerechtigkeit, du Hure,
Du blinde Göttin, die du nicht nur Geld nimmst,
Du machst auch deine Advokaten reich.
Und Geld ist alles, was der Welt gefällt,
Geld bringt dem Advokaten Ehre ein,
Geld macht den Sohn beliebt bei seinem Vater!

(Er schweigt)

O Gott, ist deine Stimme doch der Donner


Und machst du Wolken dir zu deinem Zelt?
Wie drohend ballen schwarze Wolken sich
Zusammen an dem zornerfüllten Himmel!
Gott Vater, du in deinem Zorn und Grimm,
Ich bin ein Sünder, durch und durch ein Sünder,
O strafe mich mit deinen Blitzen nicht
Und mit dem Donner deines Weltgerichtes!
Verdorben bin ich, ganz und gar verdorben,
Der Satan reitet mir auf meinem Rücken
Und peitscht mich in die ewige Verdammnis!
Wie groß muß doch dein Zorn sein, Vatergott,
O schlage ruhig nur gewaltig drein!
Die Hure Welt ist eine Lasterhöhle
Voll Luxus, Lästerung und geiler Geldgier!
Die Kirche ward zur Hure Babylon,
Die Priester wurden geile Knabenschänder,
Der Becher deines Zornes ist gefüllt!

(Es beginnt zu donnern.)

Ich fürchte mich vor Gottes Vaterrute!


Und wenn der Zorn des Herrn die Erde richtet
Und alle Sünder in die Hölle schickt
Und nicht auf Erden mehr Gerechte findet
Und nur noch Sünder findet, die geschaffen
Zur ewigen Verdammnis sind, bestimmt,
Vorherbestimmt zur ewigen Verdammnis,
Dann kann ich Gottes Rute nicht entgehen,
Dann muß der Heilige auch mich verwerfen,
Weil ich Kloake voller Unrat bin
Und bin vorm Heiligen ein Kübel Kot!

(Es donnert und blitzt.)

O Gott, in dieser tiefen Todesangst


Erinnr’ ich mich an meinen Kinderglauben.
Ja, wenn ihr werdet nicht wie kleine Kinder!
Ich habe doch als kleiner Knabe stets
Sankt Anna angebetet, diese Mutter
Der Muttergottes, diese große Mutter
Hat all mein Heulen allezeit getröstet.

(Ein Blitz schlägt neben Luther ein. Luther in panischer Todesangst betet weinend und wimmernd.)

Sankt Anna, Mutter du der Muttergottes,


Sankt Anna, du Großmutter unsres Herrn,
Sankt Anna, keusche Gattin des Joachim,
Sankt Anna, Mutter du der Unbefleckten,
Sankt Anna, Schutzpatronin du des Bergbaus,
Sankt Anna, Zuflucht aller kleinen Kinder,
Sankt Anna, Zuflucht aller armen Sünder,
Erbarmen, in dem Namen Gottes, Anna!

(Er kniet sich neben einer Eiche in den Schlamm, hebt die Arme gen Himmel und betet und
schwört.)

O Mutter Anna, wenn du jetzt mich rettest


Vorm jähen Tod und vorm Gerichte Gottes,
Dann schwör ich dir, o große Mutter Anna,
Ich werde Mönch und lebe ehelos
In Armut und gehorsam ganz der Regel
Und leiste Buße ab für alle Sünder
Und sühne alle meine Sündigkeit
Und sühne auch die Sünden aller Christen
Und sühne auch die Sünden aller Ketzer
Und sühne auch die Sünden aller Juden
Und sühne auch die Sünden der Muslime
Und sühne auch die Sünden aller Heiden,
Ich werde Mönch, wenn du mich rettest, Anna!

(Der Himmel klart auf.)

FÜNFTE SZENE

(Erfurt. Kloster der Augustiner-Eremiten. Luther und drei Mönche.)

LUTHER
Als meinem Vater ich gesagt, dass ich
Ins Kloster gehe, Mönch im Orden werde,
Da sagte er im väterlichen Zorn:
Ich habe investiert in deine Schule
Und in dein Studium, du solltest als
Jurist, als Advokat viel Geld verdienen,
Und jetzt gehst du zu deinen Bettelbrüdern,
Zu diesen Eremiten, Müßiggängern,
Die betteln immer nur und beten nur
Und machen alle ihren Vätern Schande.
ERSTER MÖNCH
Auch Abraham, wir lesens im Koran,
Er musste sich von seinem Vater trennen,
Der Vater betete zu goldnen Götzen,
Doch Abraham zum einen Herrn der Sterne.
Da sagte Gott zum frommen Abraham:
Geh, Abraham, verlaß dein Vaterhaus,
Verlaß die ganze Sippe der Verwandtschaft!
ZWEITER MÖNCH
Wir lesen in den Blümlein des Franziskus,
Daß er von seinem Vater sich getrennt,
Sein Vater liebte nämlich sehr das Geld,
Franz aber liebte inniglich Frau Armut.
LUTHER
Ich bin doch nicht wie Vater Abraham,
Ich bin auch nicht so heilig wie Franziskus.
Ich fühle mich so durch und durch als Sünder,
Nicht nur, dass ab und an ich Sünden tu,
Nein, meine ganze menschliche Natur
Ist ganz und gar durchdrungen von der Sünde.
ERSTER MÖNCH
Und darum tust du auch so fleißig Buße,
Du wischst den Boden in dem Klostergang
So blitzblank sauber wie kein andrer Mönch.
Weil du ein Vorbild in der Pflichterfüllung
Und in Beachtung unsrer Ordensregel,
Drum wurdest du zum Diakon geweiht.
ZWEITER MÖNCH
Ich hörte, in dem Anbeginn der Kirche
Auch gabs die Weihe zu dem Diakon
Für Frauen als geweihte Diakone.
Doch unterm Einfluß der Justiz von Rom
Dann wurde abgeschafft die Frauenweihe.
LUTHER
Jetzt bin ich also ein geweihter Priester.
DRITTER MÖNCH
Die erste Messe, die du zelebriertest,
Die gibt dir heute die Gelegenheit,
Uns, deine Brüder, überreich zu segnen.
LUTHER
Ich sag euch, Brüder, sags aus ganzem Herzen:
Als ich zum ersten Mal an dem Altar stand
Und in Persona Christi sprach die Worte:
Dies ist mein Leib, für euch dahingegeben,
Dies ist mein Blut des Neuen Testamentes,
Und als auf dieses Wort hin Brot und Wein
In Blut und Körper Christi ward gewandelt
Und als in meiner Hand, des Sünders Hand,
Lag Christi Fleisch und Blut und Seele, Gottheit,
Traf wie ein Blitz die Ehrfurcht mich vor Gott!
Wie kann der Heiligste der Heiligen
Sich liefern aus den Händen eines Sünders?
Ich zitterte vor Ehrfurcht vor dem Herrn
Und da die Hand mir zitterte vor Ehrfurcht
Und ich in meiner Hand den Kelch des Heils
Mit Blut und Gottheit Christi hielt, da hatte
Ich plötzlich eine abgrundtiefe Angst,
Daß einen Tropfen ich verschütten könnte
Und so entheiligen des Blut des Herrn!
Am liebsten wär ich weggerannt, am liebsten
Hätt ich versteckt mich und gerufen: Berge,
Fallt über mich! O Herr, geh weg von mir,
Ich bin von einer sündigen Natur
Und bin nur Staub vor dem Allmächtigen
Und bin nur Kot vorm Allerheiligsten!
DRITTER MÖNCH
Die Menschen draußen in den Städten denken:
Ein wenig Sünde, gern verzeiht das Gott.
Wer dem lebendigen und wahren Gott
Begegnet ist, dem dreimal Heiligen,
Der weiß, wie durch und durch von Sünde er
Durchdrungen ist, und dass er es nicht wert ist,
Daß Jesus Christus eintritt in den Sünder.
LUTHER
Ich weiß nicht, ob ich noch einmal die Messe
Der allerheiligsten Eucharistie
Am christlichen Altare feiern kann.
Ich bin von tiefer Gottesfurcht erschüttert.
Der Zorn des Vaters liegt auf aller Sünde
Und Gottes heilige Gerechtigkeit
Muß doch für alle Ewigkeit verdammen
Die Sünde, die uns alle ganz verdorben!
DRITTER MÖNCH
Doch sprichst du nie von der Barmherzigkeit.
LUTHER
Barmherzigkeit? Soll Gott denn alles dulden?
Soll Gott – wie eine Mutter ihre Kinder –
Sie alle lieben, wenn sie noch so schlecht sind?
Die Advokaten, den verdorbnen Klerus,
Die kaiserlichen Welttyrannen und
Die Ehebrecher und die Huren alle
Nicht strafen mit dem Feuer der Verdammnis?
DRITTER MÖNCH
Doch Jesus Christus starb für uns am Kreuz!

SECHSTE SZENE

(Im Kloster. Johann von Stempitz, Luthers Beichtvater, und Luther.)

LUTHER
Ich plage mich mit abgrundtiefer Selbstqual,
Weil ich so ganz und gar befleckt von Sünde,
Ich bin nicht nur der Täter meiner Sünden,
Ich bin von einer sündigen Natur!
BEICHTVATER
Mein Martin, in der Taufe Sakrament
Ist dir die Erbschuld Adams abgewaschen.
Der alte Adam ist im Bad gestorben
Und du hast Jesus Christus angezogen.
LUTHER
Der alte Adam kann doch sehr gut schwimmen.
BEICHTVATER
Was die Natur des Menschen nun betrifft,
So ist sie gut, von Gott als gut erschaffen,
Wenn auch verwundet durch die Erbschuld Adams,
Von daher neigt sie auch sehr leicht zur Sünde.
Doch dafür ist das Sakrament der Buße,
Hier will der Herr dich lösen von den Sünden.
LUTHER
Doch um Vergebung zu erlangen, muß
Die Reue wahrhaft sein und diese Reue
Muß Reue sein aus Liebe zu dem Herrn.
Ich aber fühle diese Reue nicht!
Das heißt: Ich fühle diese Liebe nicht!
Ich kann bereuen nur aus großer Angst,
Aus Angst bereuen, aber nicht aus Liebe!
Und diese Reue aus der Angst heraus
Und nicht aus Liebe, ist doch ohne Wert,
Und also kann mir Christus nicht verzeihen!
BEICHTVATER
Die wahre Reue ist auch eine Gnade.
So bitte du den Herrn um wahre Reue.
LUTHER
Ich leiste alle die Gebete ab,
Die vorgeschrieben sind, das Paternoster,
Das Ave gratia plena, das Brevier
Mit allen Horen, doch ich bin zerrissen!
Ich habe keinen Frieden in der Seele!
Ich fühle, dass der Herrgott zornig ist
Mit mir, ja, auf mir lastet Gottes Zorn!
BEICHTVATER
Mein lieber Martin Luther! Unser Vater
Ist zornig nicht mit dir, vielmehr bist du
Erzürnt auf Gott! Aus welchem Grunde denn?
LUTHER
Ich kann nicht glauben, dass ich in den Himmel
Zu Jesus und Maria komme, denn
Ich bin nicht rein! Bin ich im Stand der Gnade?
Die Theologen sagen, dass man das
Nicht wissen kann, ob man im Stand der Gnade
Und ob man einst verstirbt im Stand der Gnade.
Ich glaube nicht, dass ich im Stand der Gnade,
Ich glaube nicht, dass mir das Heil gewiß!
BEICHTVATER
Lebst du nach Jesu Weisungen und betest,
Empfängst die Kommunion mit Jesus Christus,
Bekennst die Sünden alle in der Beichte
Und übst du Nächstenliebe an den Armen,
Darfst du gewiß doch guter Hoffnung sein.
LUTHER
Ich fühle, dass der große Vatergott
Zwar alle meine Mühen und Verdienste
Sich anschaut, aber nie ist es genug!
Solch ein unendlich hocherhabnes Wesen
Wie Gott der Vater, heilig, heilig, heilig,
Verdient ja auch unendliche Verdienste!
Was ist denn schon mein selbstgequältes Streben?
Das Zucken eines Wurmes in dem Kot!
BEICHTVATER
Wir werden alle nicht durch unsre Mühen,
Durch unser Streben in den Himmel kommen.
Der Glaube ist ja eine Gnade Gottes,
Die wir als Bettler nur empfangen können.
LUTHER
Da! Manche glauben, manche leben gottlos!
Wenn Menschen gottlos leben, hat dann ihnen
Gottvater seine Gnade nicht geschenkt?
Und weiß ich, ob ich in der Gnade lebe?
Ist Gott der Vater nicht ein Willkürherrscher,
Der einem Gnade schenkt, dem andern nicht?
Wenn Gott dem einen Menschen Gnade schenkt,
So holt er diesen Bettler in den Himmel.
Dem Menschen aber, welcher gottlos lebt,
Hat Gott verweigert seine Vatergnade,
Als Sohn des Zornes lebt er unbegnadet,
Der Satan reitet ihm auf seinem Rücken,
Er ist vorherbestimmt für die Verdammnis,
Geschaffen für die ewige Verdammnis!
Ich fürchte auch, dass ich vorherbestimmt,
Geschaffen bin zur ewigen Verdammnis!
BEICHTVATER
Die Theologen solltest du studieren,
Der Kirche Gottesbild dir anzueignen.
Geh du nach Wittenberg, studiere du
Die Bibel und der Theologen Lehre.

SIEBENTE SZENE

(Universität von Wittenberg. Luther als Student der Theologie und ein Mitstudent.)

LUTHER
Ich, als ein Augustiner-Eremit,
Was hab ich Augustinus nicht zu danken!
Ich habe siebzig Werke dieses Meisters
Gelesen und ich kann dir gar nicht sagen,
Wie inspirierend dieser Denker ist.
STUDENT
Pelagius behauptete, dass Adam
Und Eva nur für sich allein gesündigt
Und keine Erbschuld draus entstanden sei.
Und Jesus sei allein ein edler Meister,
Ein ganz vollkommner Mensch und unser Vorbild.
Die Menschen könnten doch aus eigner Kraft
Sich selber überwinden, heilig werden.
Wie Adam nicht für alle Welt gesündigt,
Sei Jesus nicht für alle Welt gestorben.
Doch Augustinus setzte ihm entgegen,
Was Paulus lehrte von der Sünde Adams,
Durch die der Tod zur ganzen Menschheit kam.
Und Jesus als der zweite, neue Adam
Gestorben sei am Kreuz für alle Menschen.
Ja, ohne den gekreuzigten Messias
Und ohne sein Verdienst wär für die Menschen
Kein Weg zum Heil, zu Gott im Paradies.
Die sündige Natur des Menschen nämlich
Bedarf der Gnade von dem Herrn, damit
Der Mensch erneuert wird und heilig wird.
LUTHER
Wie aber kommt der Mensch in den Genuß
Der Gnade, und was ist denn eigentlich
Die Gnade anderes als Gottes Freispruch?
STUDENT
Die Gnade ist die Selbstmitteilung Gottes
An seine Kreatur, das Leben Gottes
Wird seinen Kreaturen mitgeteilt
Und zwar durch alle sieben Sakramente.
So in dem Sakrament der Taufe wirkt
Die Gnade, dass die Erbschuld abgewaschen
Vom Menschen wird und dass das Leben Gottes
Im Inneren der Seele jetzt beginnt
Zu leben und zu heiligen den Menschen.
Im Sakrament des heiligen Altares
Wird mit der Gnade als dem Leben Gottes
Der Mensch im Inneren ernährt und wird
Von Mahl zu Mahl verwandelt in den Herrn.
LUTHER
Doch ohne die Bekehrung und den Glauben,
Da nützen nichts die sieben Sakramente.
Aus Gnade – durch den Glauben – wird uns Heil.
STUDENT
Ich hörte aber auch, dass du den Wilhelm
Von Ockham fleißig durchstudiertest, Martin.
So weit ich weiß, sind viele seiner Thesen
Als Häresie vom Lehrstuhl doch verurteilt.
LUTHER
Weil er es wagt, an Aristoteles
Und Thomas gar zu zweifeln, die doch alle
Betrogen mit der Hure der Vernunft.
Nun, Ockham sagt, die Wahrheit über Christus
Ist nicht dem Lehrstuhl des Apostels Petrus
Und auch nicht den Konzilien anvertraut.
So Papst Johann der Zweiundzwanzigste
War Ockhams Meinung nach ein schlimmer Ketzer.
Doch alle die Konzilien haben auch
Sich mannigfach geirrt. Wenn Christus sagt:
Der Hölle Pforten überwältigen
Die Kirche nicht – so heißt das nicht, dass Papst
Und dass Konzilien sich nicht irren können,
Es könnte sogar heißen, dass die ganze
Vereinte Christenheit der Kirche Roms
Vom Glauben abfällt, und allein ein Kindlein,
Ein einziges, ein kleiner Knabe nur
Die Wahrheit über Christus noch bewahrt.
STUDENT
Die Kirche Roms bewahrt den Glauben nicht,
Den Christus den Aposteln anvertraute?
Ein kleiner Knabe nur bewahrt den Glauben?
Ein kleiner Knabe nur von sieben Jahren?
Und meinst du wohl, dass du der Knabe bist?
LUTHER
Ja, wenn ihr nicht wie kleine Kinder werdet!
Nicht von der römischen Ecclesia
Spricht Ockham, sondern von der universalen,
Der wahren Christenheit, der Kirche Gottes.
In dieser universalem Kirche Gottes
Regiert der Papst nicht wie ein Sklavenhalter
Und Herrscher über die Millionen Sklaven
Von Christen Roms, nein, jeder Einzelne,
Ein jeder Christ in Christi Gottesstaat
Beurteilt selbst im eigenen Gewissen
Die Glaubenswahrheit über Gott und Christus.
Denn wenn der Papst ein schlimmer Ketzer ist
Und wenn Konzilien sich schon oft geirrt,
Dann muß der Christ als Individuum
Den Glauben unverfälscht bewahren. Und,
Ja, wenn du willst, ich will der Knabe sein,
Der unverfälscht bewahrt den wahren Glauben.
STUDENT
Der Hochmut kommt doch vor dem Fall, mein Luther.

ACHTE SZENE

(1511. Rom. Luther in der Volksmenge, allein, später tritt eine römische Hure zu ihm.)

LUTHER
O Gott, ich habe meine Lebensbeichte
Vor dir gebeichtet und Vergebung auch
Erlangt von dir. Nun muß ich Buße tun.
Die Treppe zu dem Lateran bin ich
Auf Knieen betend hochgekrochen und
Ich habe für die armen Seelen meiner
Verwandten droben in dem Fegefeuer
Als Stellvertreter Sühne dir geleistet
Und habe für die armen Seelen auch
Die heiligen Reliquien berührt
Und habe einen Ablaß auch erworben.
Ich sehe hier die Massen frommen Volkes
Vielmehr in frommem Aberglauben leben.
Sie rufen Gott nicht an, die Heiligen
Verehren sie wie Göttinnen und Götter,
Vertrauen auf Medaillen, wundertätig,
Die hängen sie als Talismane um,
Und überall die kleinen Götzenbilder,
Die Statuen der Heiligen und Bilder
Der Jungfrau, die sie hier als Göttin ehren,
Sie haben diese Magd des Herrn verwandelt
In eine Artemis von Ephesos.
So ist das Volk. Wie Christus in dem Tempel
Wollt ich die Händler aus der Kirche peitschen!
O Gott, der Klerus ist doch auch nicht besser,
Die Kirchenfürsten leben wie die Reichen
Und feiern Orgien lasziven Luxus’.
Der sechste Alexander, Papst, sogar
Verließ die fünfzigjährige Mätresse
Für seine siebzehnjährige Mätresse!
Ein Petrus, der ein Erotomane ist!
Und Julius der Zweite ist ein Krieger
Und reitet hoch zu Roß als wie ein Feldherr.
Die Priester und die Mönche aber gehen
Zu Huren ins Bordell. Das Rom des Papstes,
Es ist das größte Freudenhaus der Welt!
Aus aller Herren Länder kommen Huren,
Um hier in Rom dem Klerus sich zu schenken.
Und finden sich hier Priester oder Mönche,
Die nicht aus Fleischeslust zu Huren gehen,
Sinds homosexuelle Knabenschänder!
Wo wird das Evangelium verkündet,
Wo leben Christi Jünger keusch und arm?
Ich sehe diesen Sündenpfuhl als wie
Einst Sodom und Gomorrha in der Bibel!
HURE
Na, junger Mönch, wie wär es mit uns beiden?
LUTHER
Jetzt sehe ich im Himmelreich den Wagen
Der Kirche – aber auf dem Wagen steht
Die Hure Babylon, die große Babel!
Die heilige Ecclesia war doch
Als die jungfräuliche Jerusalem
Geplant, die Nymphe-Braut des Lammes Gottes!
Jetzt aber wurde sie zur Hure Babel!
Die wilde Hure, nackt im Scharlachrock,
Hält in der Hand den goldnen Kelch des Blutes
Der Marterzeugen, die sie hingeschlachtet!
Und um sie lodern heiße Scheiterhaufen,
Da brennen Ketzer und da brennen Hexen!
Ich sehe diese Hure Babylon
Paktieren mit den Königen und Kaisern
Und Handel treiben mit den reichen Händlern!
Die Hure Babel auf den sieben Hügeln
Hurt mit den Mächtigen der Erde und
Es finden sich in ihrer reichen Stadt
Viel Huren, Magier und Knabenschänder
Und Lügner und irrgläubige Propheten!
Ich sehe auch das Tier, die Wölfin Rom,
Die Luxus-Hure aller Unzuchts-Laster!
Ein Adler mit dem Evangelium
Fliegt da posaunenblasend durch den Himmel
Und kündet an dem Himmel und der Erde:
Die Hure Babylon, sie ist gefallen!
Gekommen ist das Reich des Christus Jesus
Und aller wahren Christen, die gerecht
Aus Gnade sind – allein – durch ihren Glauben!
HURE
Was schreist du von der Hure Babylon?
Hat Jesus doch die Huren lieb gehabt,
Viel lieber als die Herren Schriftgelehrten!
Die Priester gehn doch gerne zu den Huren,
Weil alle Heiligen die Sünder lieben
Und allermeist die schönen Sünderinnen!
LUTHER
Erbarmen, Gott, mit deiner geilen Kirche!
Die Kirche, dieses Lazarett von Sündern,
Die Kirche reformiere du durch Christus,
Die Kirche reformiere du durch Gnade,
Die Kirche reformiere du durch Glauben!
HURE
Du bist ein wunderlicher Mönch, voll Wahnsinn,
Ich glaube, du bist ein betrunkner Mönch!

NEUNTE SZENE

(Universität. Luther als Doktor der Theologie und einige Studenten.)

STUDENTEN
O Doktor Luther! Etwas von den Psalmen!
LUTHER
Psalm zweiundzwanzig ist die Klage eines
Verzweifelten in tiefer Mitternacht
Der Seele. Scheinbar hat ihn Gott verlassen.
Sein Mark ist ausgeschüttet, seine Zunge
Klebt ihm am Gaumen, Hunde sind um ihn
Und Büffel sind um ihn, er aber ist
Kein Mensch mehr, sondern ist ein Wurm im Kot.
Doch Gott in der Geschichte Israels
Hat immer seinem Volk geholfen und
Auch diesen Mann hat Gott gezogen aus
Der Mutter Schoß. Vom Mutterschoße an
Ist Gott der Gott des elenden Psalmisten.
Was denn betrübst du dich, o meine Seele?
Geduldig warte du auf Gottes Hilfe!
Du wirst dem Herrn noch danken deine Rettung!
STUDENTEN
O Doktor Luther! Etwas über Paulus!
LUTHER
Wie krieg ich einen gnadenvollen Gott?
Sind Sünder wir doch alle, aber Christus
War ganz Gerechtigkeit, und durch den Glauben
An Christus wird den Sündern zugesprochen
Die göttliche Gerechtigkeit des Christus,
Und Gott der Vater schaut die Sünder an,
Und wenn sie sich vereinigen mit Christus,
Schaut Gott der Vater Christus in den Sündern,
So stehen wir gerecht vor Gott dem Vater.
STUDENTEN
O Doktor Luther! Etwas über Adam!
LUTHER
Die ganze Menschheit starb im ersten Adam,
Als Eva hört auf das Wort der Schlange.
Doch Christus ist der letzte Adam, ist
Der neue Adam, stellvertretend für
Die ganze Menschheit starb er an dem Kreuz.
Der erste Adam stammt von Mutter Erde
Und brachte Tod und Sünde in die Welt,
Der letzte Adam stammt von Gott im Himmel
Und ist der Geist, der allen Leben spendet.
STUDENTEN
Maria aber ist die neue Eva?
LUTHER
Das hab ich in der Bibel nicht gelesen.
STUDENTEN
O Doktor Luther! Etwas über Mystik!
LUTHER
Wenn Gottes Geist dich grüßt und Gottes Wort
Sollst du empfangen in dem Ohr und Herzen,
Dann trage du in dir das Gotteswort
Und denke über alles nach im Herzen,
Frucht bringen laß das Gotteswort in dir
Und trage dann, begnadet mit dem Christus,
Den Christus aus und bring ihn in die Welt.
So bist du benedeite Magd des Herrn.
STUDENTEN
O Doktor Luther! Etwas über Weisheit!
LUTHER
Wenn deine Seele ist erfasst von Liebe,
Von Liebe als dem Mittler zu der Gottheit,
So liebst du Wahres, Gutes, Schönes nur.
Du liebst die Schönheit der Natur, der Körper,
Mehr als die Körperschönheit noch die Schönheit
Der Seele, ihre Güte in der Tugend,
Und mehr noch als die schöne Seelengüte
Liebst du die Güte an und für sich, liebst
Das Höchste Gut, die allerhöchste Schönheit!
STUDENTEN
O Doktor Luther! Etwas über Schönheit!
LUTHER
Ein Weib ist schön in ganz bestimmter Hinsicht,
In andrer Hinsicht ist das Weib nicht schön.
Heut zwar erscheint dir schön das junge Mädchen,
Doch morgen nicht mehr schön das alte Weib.
Zwar schön erscheinen dir des Weibes Augen,
Doch nicht so schön des Weibes kleine Brüstchen.
Und dennoch scheint dir schön das schöne Weib,
Doch deinen Freunden scheint das Weib zu dunkel.
Die Gottesschönheit ist doch immer schön,
In allen Teilen schön die Gottesschönheit.
Heut ist sie schön, die Gottesschönheit, und
Auch morgen, immer ist die Schönheit schön.
Und wer sie schaut, der findet schön die Schönheit,
Und unschön findet keiner Gottes Schönheit.
STUDENTEN
O Doktor Luther! Etwas von dem Himmel!
LUTHER
Sankt Thomas sagt, wir werden s c h a u e n Gott,
Anschauen ewiglich die Schönheit Gottes.
Doch Augustinus spricht da vom G e n i e ß e n :
Genießen werden wir die Schönheit Gottes!
Wir werden ewig schmachten nach der Schönheit
Und dennoch stets befriedigt uns die Schönheit!
Obwohl die Schönheit dort uns stets befriedigt,
Wir werden niemals ihrer überdrüssig,
Stets schmachtend – stets befriedigt – sie genießen!

MADDEL’S LIED

PROLOG

ODE AN MADDEL

O Maddel, schön wie du auf dem Pferde sitzt,


Sankt Martin saß so sicher auf seinem Pferd.
Wie lebensgrün ist doch die Wiese,
Schlank und erhaben die schwarzen Bäume.
Ich saß in tiefer Nacht in der Einsamkeit
Und schaute an dies Bild und ich dachte da:
Die Maddel ist wie Mutter Erde,
Mutter Natur in der Bodenhaftung.

Ich las einmal das Wort eines Predigers:


Die Kirche ist ein Raumschiff, doch sie verliert
Fast den Kontakt zur Mutter Erde,
Sie verliert ihre Bodenhaftung.

Da dachte ich: Wie Maddel geerdet ist,


So möchte ich geerdet auch sein, denn schön
Ist doch die grüne Mutter Erde,
Mutter Natur ist so schön und weiblich!

Karine hat mich immer geerdet, ach,


Nach allen theoretischen Grübelein
Karine gab mir kleine Kinder,
Daß ich sie wickele in die Windeln.

Karine aber ist jetzt an Gottes Thron


Und schwebt anbetend, singend um Gottes Thron,
Was tut mir jetzt Karine? Heute
Hebt sie mein Herz in den siebten Himmel!

Maria sagte einmal, als sie erschien:


Denkt, Kinder, an die Dinge des Himmels, und
Denkt nicht an diese Welt, der Himmel
Wird euch gehören, geliebte Kinder!

Noch einmal schaue ich auf das schöne Bild:


Wie lieb von dir, mir dieses zu schicken, das
Hat dir geraten wohl dein Engel?
(Engel beraten zu guten Taten.)

Doch meine Seele ist nicht auf Erden mehr,


Denn Liebe fand ich hier auf der Erde nicht,
Doch Liebe find ich bei den Toten,
Bei den Glückseligen in den Himmeln.

So sing ich mit den seligen Dichtern dies:


Hosanna, Christus, der du erstanden bist,
Du Auferstehung und du Leben,
Dir weih ich Maddel und Sankt Karine!

MADDEL’S LIED

ERSTER AKT

ERSTE SZENE
(Piet, 20 Jahre alt, und seine Mutter Paula, am Grab seines Vaters.)

PIET
O Vater, Vater, ist mein Elternhaus
Nicht so was wie ein kaiserliches Lustschloss?
Die Zaren einst in Zarskoje Selo
Besaßen solch ein Lustschloss, solchen Park!
MUTTER PAULA
Mein Sohn, du schwebst schon wieder in den Himmeln!
Dein Vater, ach, hat alles Geld versoffen,
Verspielt, weil er doch immer Karten spielte.
Gott sei der Seele deines Vaters gnädig!
PIET
Nein, Mütterchen, ich weiß, du irrst dich da,
Die Königin von England und ihr Prinz
Nicht so ein schönes Schloss wie wir besitzen.
Und Vaters Seele sitzt gewiß im Himmel
Bei Kaiser Nero in dem Goldnen Haus!
MUTTER PAULA
Du phantasierst mein Junge! Armer Junge,
Ich fürchte, dass du den Verstand verlierst!
PIET
Nein, Mütterchen, ich weiß, du irrst dich da,
Denn die Vernunft ist doch nur eine Hure,
Wie unser Doktor Martin Luther sagt.
Die Phantasie ist eine Königin,
Die darf auch nackend auf der Straße tanzen!
MUTTER PAULA
Was Hure und was nackte Königin?
Was soll der Herr Pastor denn dazu sagen,
Der unsern Vater schön beerdigt hat.
Wir haben grad das Requiem gesungen,
Da sprichst du schon von einer nackten Hure.
Nun aber klopft Frau Armut an die Tür,
Frau Armut möchte nämlich bei uns wohnen.
PIET
Frau Armut und Frau Sorge und Frau Todin –
Die sollen alle ihre Suppe haben.
Wir sind doch reich und sind barmherzig, Mutter,
Wir geben allen armen Kindern ab.
Der Vater sicher schüttet von den Sternen
Uns goldne Taler in der Schürze Tasche!
MUTTER PAULA
Ach, du bist närrisch, Kind! Komm mit nach Hause,
Milchsuppe gibt’s und eingeweichte Brötchen.

ZWEITE SZENE

(Mutter Paula und Piet beim Abendbrot. Schwarzbrot und Käse und schwarzer Tee auf dem
Küchentisch.)
MUTTER PAULA
Du Taugenichts, du lieber Tunichtgut,
Der Müßiggang ist aller Laster Anfang,
Der Müßiggang hat Kriege angefangen,
Der Müßiggang hat Städte ruiniert.
PIET
Nein, Mütterchen, ich bin ein großer Held,
Ich hab ein Abenteuer heut erlebt!
MUTTER PAULA
Mit Bären hast du nicht gekämpft, mein Sohn,
So hast du wohl mit Mücken Krieg geführt.
PIET
Nein, Mutter, sondern ich war in Walhalla,
Bin dort dem Gotte Thor begegnet, dem
Sein Hammer war gestohlen worden, also
Hat er als Göttin Freyja sich verkleidet,
Zurückzuholen seinen Donnerhammer
Vom Riesen, der das Ding gestohlen hatte.
Die beiden Böcke, die den Wagen zogen
Des Gottes Thor, die blieben ausgespannt,
Denn Thor nahm sich der Freyja Katzenwagen.
Da nahm ich einen dieser Böcke Thors
Und setzte mich auf den behaarten Rücken
Und flog zum Nordkap, das in Norweg liegt.
Die Sonne sah ich in der Mitternacht
Wie eine rosa Pille stehn am Himmel.
Ich ritt zurück auf meinem Bock und kam
Nach Folkwang, wo die himmlischen Walkyren
Als Schwanenjungfraun Honigmet einschenken
Den Toten, die gefallen auf dem Schlachtfeld.
Sie tranken alle reichlich Honigmet!
Ich habe auch vom Honigmet getrunken
Und habe mir das Bärtchen abgewischt
Und also bin ich wieder hier bei dir.
MUTTER PAULA
Du machst mir Sorge, liebes Sorgenkind,
Ich glaube, ja, ich weiß, du hast den Spleen!
PIET
Ich hab den Spleen? Nein, ich bin ein Genie,
Ein Liebling und ein Tischgenoss der Götter!

DRITTE SZENE

(Mutter Paula und Piet gehen durch den Garten, sie bleiben an einem Wasserteich stehen.)

MUTTER PAULA
Ach liebes Kind, du bleibst ja doch mein Kind,
Ich werde immer deine Schutzfrau sein.
Du darfst dich stets an meine Schürze klammern.
Ich habe dich gestillt und will dich stillen
Mit meiner Mutterliebe allezeit.
PIET
Die Liebe suche ich, die schöne Liebe,
Und siehe, Mutter, ich hab sie gefunden.
Siehst du denn nicht die Zwerge auf der Erde?
Hörst du der Zwerge lautes Lustgeschrei?
Die Zwerge mit den roten Zipfelmützen
Sind weise wie die alten Patriarchen
Und lebenslustig wie die kleinen Knaben.
Ich scherze immer mit den kleinen Zwergen
Und fühle mich als Vater vieler Knaben.
Die Zwerge haben mich so köstlich lieb,
Da wird mein Herz ganz groß und warm, o Mutter.
MUTTER PAULA
Mein Sohn, du bist schon zwanzig Jahre alt,
Du solltest dir ein schönes Mädchen suchen.
PIET
Gefunden, längst gefunden ist das Mädchen!
MUTTER PAULA
Wer ist das liebe Mädchen? Kenn ich sie?
PIET
Es ist die Nymphe in dem Gartenteich!
Sie ist so jung und lieblich, schön und schlank,
Sie hat so einen lilienweißen Leib
Und hat so lange feuerrote Locken!
MUTTER PAULA
Was sagst du da? Des Gartenteiches Nixe?
Ja, hat die Nixe denn auch einen Fischschwanz?
PIET
Sei nicht so abergläubisch, liebe Mutter,
Glaub doch nicht an die alten Ammenmärchen!
Nein, meine Nymphe hat sehr schöne Beine,
Mit nackten Füßen steht sie auf der Muschel.
MUTTER PAULA
Du also liebst die kleine Meerjungfrau?
PIET
Ich liebe sie! Doch was noch besser ist:
Die Nymphe hat mich ja zuerst geliebt!
MUTTER PAULA
Ach, wirklich, lieber Sohn, du hast den Spleen!

VIERTE SZENE

(Piet reitet in der Nacht auf einem Schimmel zum Bauernhof in der Nachbarschaft. Er tritt
stürmisch ein.)

PIET
Geliebte Eva, bist du da, Geliebte?
EVA
Ach Piet, sei still, mein Mann schläft nebenan.
PIET
Der alte Adam soll zur Hölle fahren!
Komm, nämlich heute Nacht wirst du entführt!
EVA
Ich will nicht! Lass mich hier bei meinem Adam!
Willst du mich denn zur Ehegattin haben?
Dazu bist du zu spät gekommen leider.
PIET
Nein, nicht zur Hochzeit mit des Priesters Segen,
Ich will dich nur für Eine wilde Nacht,
Ganz ohne ewige Vergangenheit,
Ganz ohne Zukunft, nur im Hier und Jetzt,
Ganz ohne den Verstand und die Besinnung,
Nur für den Rausch, wie sich die Götter lieben!
EVA
Nur Eine Nacht? Und dann verschwindest du?
PIET
Das ist das Schlüsselwort zum Bett der Frauen:
Madame, ich bin nur heute Nacht noch da
Und morgen bin ich weg und das für immer.
EVA
Bist du mit deinem schönen Schimmel da?
PIET
Der starke Schimmel kann uns beide tragen.
EVA
Mein Adam schnarcht ja nebenan im Bett,
Da könnten wir ja einen Ausflug machen.
PIET
Ja, komm, Geliebte, auf mein Flügelpferd
Für einen heißen Ritt zu tausend Sternen!

(Sie besteigen zusammen das Roß.)

EVA
Wie lange bin ich schon nicht mehr geritten.
PIET
Jetzt presse ich die Flanken mit den Schenkeln
Und hetze meinen Schimmel in die Hölle,
Die Hölle heißer Liebesleidenschaft!

(Sie fliegen durch die Nacht.)

FÜNFTE SZENE

(Morgenröte. Die junge Maddel kommt auf einem Feuerroß geritten. Sie trägt ein weißes Kleid.
Ihre langen feuerroten Locken flattern im Winde. Auf dem Haupt trägt sie eine Bischofsmütze. Sie
lacht Piet an, der vor Staunen niederkniet.)

PIET
O Göttin, bist du gar die Göttin Venus?
MADDEL
Ich bin die Frau der schönen Morgenröte!
Der Böse stellt die bösen Engel auf,
Ich stelle meine lieben Engel auf.
Ich bin des Universums Große Mutter,
Ich habe zwar den Schmerz des Universums,
Doch hab ich auch des Universums Liebe!
PIET
Ach, klagen will ich dir, du schöne Göttin:
Ich hatte viele kleine Zwergenknaben
Und war ihr frohgesinnter Zwergenvater.
Der böse Feind hat alle mir genommen,
Die Zwergenkinder haben mich verwaist gelassen.
Den Vater ließen sie zurück als Waisen!
Einst war ich kinderlos, dann Zwergenvater,
Nun, weh mir, bin ich wieder kinderlos!
MADDEL
So lege mir dein Leiden zu den Füßen.
PIET
Ich ehre dich, ich glaub, du kannst mich retten!
Die Engel haben dich zu mir gesandt.
MADDEL
Was weißt du Träumer denn schon von den Engeln?
Hat jeder kleine Knabe einen Engel?
Ja, denke dir: Ich selber bin ein Engel!
PIET
Mein Engel bist du? Wer beschützt die Engel?
MADDEL
Mich, deine Schwester und Schutz-Engelin,
Erzengel Micha-El wird mich beschützen!
PIET
Erzengel Micha-El, wer schützt denn den?
MADDEL
Die Mächte und Gewalten schützen ihn.
PIET
Wer aber schützt die Mächte und Gewalten?
MADDEL
Das tun die Cherubim und Seraphim.
PIET
Wer schützt die Cherubim und Seraphim?
MADDEL
Das tun die Throne (die man Götter nennt).
PIET
Ich hab dich lieb, o nimm mich in die Arme!
MADDEL
Nein, denn ich liebe nicht so schnell wie Männer.

SECHSTE SZENE

(Grüne Wiese im Sommer. Maddel im Kleid einer indischen Tempeltänzerin. Sie tanzt danse de
ventre. Piet bewundert ihren Tanz.)

PIET
Ich sehe meinen guten Engel tanzen.
MADDEL
Im Himmel tanzen alle Engel-Chöre.
Die Engel und die Seligen des Himmels
Im Paradiese lachen, lachen, tanzen!
PIET
Ich aber in dem irdischen Exil,
Ich bin kein Engel, sondern bin ein Lehmkloß.
MADDEL
Leg an die Flügel deines Seelengeistes!

(Sie küsst ihn schwesterlich auf die Stirn.)

PIET
Oh, meine Seele fliegt! Es schwebt mein Geist
Am Mond vorüber, an der sanften Luna,
Vorbei am lustigen Planeten Venus,
Ich sehe zwischen Mars und Jupiter
Die Zwergplaneten oder Asteroiden,
Ich seh den Zwergplaneten der Astarte,
Ich seh den Zwergplaneten Amor-Typ,
Jetzt schweb ich zum Carina-Sternen-Nebel
Und sehe die Geburt der neuen Sonnen.
MADDEL
Klopf leise pochend an die Himmelspforte
Und sage: Mama, ach, ich kann nicht mehr!
PIET
Ich sehe viele arme Seelen da
Vor dieser perlenschönen Himmelspforte,
Die Seelen haben alle guten Willen,
Jetzt seh ich Jesus auch, er kommt zu mir,
Mit ausgestreckten Armen kommt er an
Und sagt zu mir: Mein Piet, du sollst noch leben,
Du musst zurück zur schwarzen Mutter Erde!
MADDEL
Ich bleibe aber bei dir, ich, dein Engel,
Ich, deine Schwester und Schutz-Engelin,
Jetzt siehst du mich nicht mehr, jetzt wirst du wandern,
Die Welt durchwandern und den Schmerz durchleiden,
Und wenn du mich das nächste Mal erblickst,
Dann reiten wir auf meinem Feuerroß
Zur Sonne der Glückseligkeit im Himmel!

(Maddel wird plötzlich unsichtbar.)

(Der Vorhang fällt. Eine orientalische Tanzmusik von Flöten und Cymbeln ertönt. Dann geht der
Vorhang wieder auf.)

*
ZWEITER AKT

(Dreißig Jahre später.)

ERSTE SZENE

(Piet, dick geworden, mit einem grauen Bart, in Marokko. Bei ihm sein Geschäftspartner.)

PIET
Jetzt sind wir reich geworden, o mein Bruder,
Im Hafen liegt das Schiff, gefüllt mit Gold.
GESCHÄFTSMANN
Wir haben im Sudan ja gut gehandelt,
Die schwarzen Christen alle eingefangen
Und den Muslimen sie verkauft als Sklaven.
Allah ist groß und Mahom sein Prophet –
Doch größer als Allah ist doch der Mammon!
PIET
Das Paradies zu Füßen liegt der Mütter,
Wie Mahom einst in seiner Weisheit sagte.
Das Glück der Erde aber, wo liegt das?
Ja, liegt es auf dem Rücken denn der Pferde?
Das Glück der Erde liegt im Kasten Gold!
GESCHÄFTSMANN
Du hast erzählt, dass du in deiner Jugend
Ein Träumer und Phantast gewesen bist.
Jetzt bist du aber Realist geworden?
PIET
Ein Philosoph, der ein Marxist gewesen,
Der sagte, dass den Flügeln seines Geistes
Man Blei der Wirklichkeit anlegen müsse.
GESCHÄFTSMANN
Ich dachte erst, dass du ein bisschen närrisch
Und ein Verrückter seist, doch als ich sah,
Wie gut du dich ums Geld zu kümmern weißt,
Da sah ich, du hast menschlichen Verstand.
PIET
Ich dachte da an einen alten Mythos
Der alten Griechen, denn da war ein Held,
Der kämpfte schwebend in den hohen Lüften,
Wenn er jedoch die Kraft verlor, dann warf
Er Mutter Erde sich in ihre Arme
Und Mutter Erde gab ihm neue Kraft.
So ging ich in Marokko zu dem Atlas-
Gebirge, warf mich auf den harten Felsen,
Lag Mutter Erde an der Felsenbrust
Und saugte neue Kraft zum Lebenskampf.
GESCHÄFTSMANN
Wir haben alles Gold uns selbst verschafft,
Denn wir sind sehr geschickte Sklavenhändler,
Uns hat kein Gott vom Himmelreich geholfen.
Ich glaube ja an keinen Gott am Himmel,
Ich glaube an das Geld, den Gott der Erde.

ZWEITE SZENE

(Piet im Hafen von Agadir, Marokko. Seine Augen suchen sein Schiff. Ein armer Fischerjunge tritt
zu ihm.)

PIET
Wo ist mein Schiff, die goldne Meerjungfrau?
FISCHERKNABE
Die goldne Meerjungfrau ist aufgelaufen.
PIET
Wer hat mir meine Meerjungfrau genommen?
FISCHERKNABE
Mein Herr, ich sah dich oft mit einem Mann
Im Hafen stehn, du nanntest Bruder ihn,
Ein Mann sehr gut gekleidet, sah nach Geld aus,
In seinen Augenschlitzen kalte Augen,
Kalt blitzend wie ein krummer Türkensäbel.
PIET
Wie, der Geschäftsmann, mein geliebter Bruder?
FISCHERKNABE
Der ist mit deinem Schiff davongefahren.
PIET
Der hat mir meine Meerjungfrau genommen?
O Bruderliebe oder Freundesliebe,
Wie schwach wirst du, wenn du das Gold anbetest!
FISCHERKNABE
Ihr Europäer seid ein dummes Volk,
Ihr glaubt an einen Gottessohn im Himmel,
In Wahrheit aber dient ihr nur dem Geld,
Das Geld in Wahrheit aber ist der Satan!
Doch wir Muslime glauben an Allah.

(Der Ruf eines Muezzin ertönt und ruft die Muslime zum Gebet. Piet kniet nieder und betet laut.)

PIET
Allah, du Rächer aller Unterdrückten,
In deinem Namen fluch ich dem Geschäftsmann!
Mein Partner im Geschäft des Sklavenhandels
Hat mir genommen meine Meerjungfrau!
Allah, so strafe zornig den Verbrecher,
Zerschmettere, versenke du das Schiff!
Den Bruder und Geschäftsmann schleudere
Herunter in die unterste der Höllen!
Allah, so schleudre zornig deines Blitzes Waffe!

(Es donnert über dem Meer. Ein Sturm wühlt das Meer auf.)

FISCHERKNABE
Herr, siehst du auf dem Meer die Meerjungfrau?
Sie sinkt! Der Geldmann fährt hinab zur Hölle!

DRITTE SZENE

(Piet und ein Franziskaner-Mönch in Marokko. Sie essen eine Schale Cous-Cous-Brei und trinken
heißen Pfefferminz-Tee.)

PIET
O Bruder Franziskaner, ich bin arm!
FRANZISKANER
Einst der seraphische Franziskus hat
Frau Armut sich zu seiner Braut erwählt.
PIET
Du bist ein Christ. Was machst du in Marokko?
FRANZISKANER
Der heilige Franziskus war dereinst
Zum interreligiösen Dialog
Beim Sultan von Marokko, sprach mit ihm.
PIET
Was sprach der Christ mit dem Mohammedaner?
FRANZISKANER
Er sagte: Gott war einst in dem Palast
Der sieben Seligkeiten, als ein Pilger
Zu dem Palaste trat und klopfte an,
Und Gottes Stimme sprach von innen her:
Wer klopft da an an meine Himmelspforte?
Der Pilger sprach voll Selbstbewusstsein: Ich!
Doch Gott ließ ihn nicht ein in den Palast.
Da klopfte wieder an der fromme Pilger
Und Gottes Stimme sprach von innen her:
Wer klopft da an an meine Himmelspforte?
Der selbstbewusste Pilger sagte: Ich!
Doch Gott ließ ihn nicht ein in den Palast.
Da klopfte wieder an der fromme Pilger
Und Gottes Stimme sprach von innen her:
Wer klopft da an an meine Himmelstür?
Und diesmal sprach der Mann voll Demut: Du!
Da ließ ihn Gott in den Palast der Freuden!
PIET
Ich denke drüber nach, mein frommer Bruder.
FRANZISKANER
Sag mir, was ist denn noch dein Eigentum?
PIET
Nur noch die Kleider, die ich auf dem Leib trag.
FRANZISKANER
So winde um dein Handgelenk hier dies,
Es ist der Rosenkranz der Mutter Gottes,
Und steck in deine Hosentasche dies,
Es ist das Evangelium von Jesus.
PIET
Ich danke dir. Ich will die Schätze hüten.
VIERTE SZENE

(Piet allein, wandernd durch die Wüste Sahara.)

PIET
Der Schreck sitzt mir ja noch in allen Gliedern,
Wie plötzlich in Marokko in den Straßen
Und öffentlichen Märkten Affen waren,
Es war ein grausiges Gewimmel von
Gewaltbereiten Menschenaffen, von
Brutalen Orang-Utans und Gorillas,
Von aufgehetzten Pavianen und
Schimpansen und Schimpansenweibchen, die
Laut schreiend lärmten durch Marokko und
Mich drängten aus dem schönen Agadir.
Auch Tarudant war schön, doch sah ich, wie
Auch dort die Affenherde eingefallen ist.
Die Menschenaffen nahmen sich die Mädchen
Und vergewaltigten zu Tode sie!
Da bin ich lieber einsam in der Wüste
Als so in einem Aufstand wilder Affen.
Hier zwar in der Sahara leben Schlangen
Und giftige Skorpione, aber die
Sind doch nicht eine Plage wie die Affen,
Man sieht die Schlangen und Skorpione doch
Und geht den Biestern einfach aus dem Weg.
Wohin bin ich gekommen, guter Gott?
Hierher hast du mich also jetzt gebracht,
Daß ich durch die Sahara schreiten muß
Und nichts besitze als kaputte Lumpen,
Den Rosenkranz, das Neue Testament.
Ich schwitze unterm lichten Strahl der Sonne,
Der Äther flirrt in einem grellen Licht.
Was seh ich da? Erscheint mir eine Fata
Morgana, eine Spiegelung der Luft?
Ich sehe eine liebliche Oase,
Ich sehe eine frische Wasserquelle
Und Palmen, hochgewachsne Dattelpalmen,
Und Zelte seh ich, Beduinenzelte,
Kamele weiden dort in der Oase.
Dahin, mein Vater, dahin laß mich wandern!

(Er nähert sich der Oase. Ein Beduinenhäuptling kommt ihm entgegen.)

BEDUINE
Der Friede sei mit dir, o Wanderer!
PIET
Der Friede sei mit dir, o Beduine!
BEDUINE
Komm, trinke eine Schale Pfefferminz-Tee
Und speise eine Schüssel Cous-Cous-Brei.

FÜNFTE SZENE

(In der Oase liegen zweiundsiebzig Paradiesjungfraun, Huris genannt, auf Teppichen. Die Schönste
von ihnen ist Anahita, sie flirtet mit Piet.)

DIE HURIS
Wenn du mit uns die Haschischpfeife rauchst,
Dann schau, wie wir die Wasserpfeife saugen!
ANAHITA
Wenn du im Haschisch-Rausche glücklich bist,
Bist du auf Erden schon im Paradies.
PIET
Du, Anahita, bist ja paradiesisch!
Es heißt, zur Rechten von dem Throne Gottes
Befindet sich die Wonne – das bist du!
O Wonneweib der Paradieseswonne!

(Sie rauchen die Haschisch-Wasserpfeife.)

ANAHITA
Ist nun erweitert dein Bewusstsein, Mensch?
PIET
Ich sehe meinen Körper unten liegen,
Die Seele schwebt in einer dunklen Nacht.
Ah, plötzlich seh ich einen Abgrund offen,
Ich höre Schreie von Verzweifelten
Und riech Gestank als wie von faulen Eiern
Und von verwesten Ratten. Welch ein Schrecken!
Ich sehe in der Nacht monströse Ratten!
Ah Gottesmutter, hilf, o Gottesmutter!
Sie reißt mich von dem Schreckensabgrund fort,
Ich sehe jetzt mein ganzes Leben vor mir,
Ich hab so viele Liebe unterlassen,
Ich möchte mich verstecken vor der Gottheit!
Ah, lass mich schlafen, lass mich lange schlafen!

(Piet schläft ein. Anahita raubt ihn aus: Sie zieht ihm seine Kleider aus, sie nimmt ihm den
Rosenkranz und das Neue Testament und lässt ihn nackt und allein zurück. Die Beduinen, Anahita
und die Huris reiten auf Kamelen fort. Dann erwacht Piet.)

PIET
Ich war schon tot, ich war schon in dem Jenseits,
Mein nackter Körper liegt noch in der Wüste
In der totalen Menscheneinsamkeit
Und in der radikalen Armutsblöße,
Doch meine Seele ist bei Gott geblieben!
O Seele, meine Seele, o wo bist du?
Ich glaube, das ist der extreme Wahnsinn!
SECHSTE SZENE

(Kairo in Ägypten. Piet ist eingeliefert worden ins Irrenhaus. Der Irrenarzt ist ein Deutscher mit
dem Namen Doktor Weinberg.)

PIET
Herr Doktor Weinberg, meine arme Seele
Ist ausgeblutet durch das Schwert der Schmerzen!
DOKTOR WEINBERG
Sie haben zuviel Phantasie, mein Herr.
PIET
Ich bin hinabgefahren in die Hölle
Und habe mit den Toten dort gesprochen.
DOKTOR WEINBERG
Das sind ja religiöse Wahngedanken,
Ist eine regelrechte Paranoia!
PIET
Nur das Gebet kann heute mich noch heilen.
Ich bete sieben Stunden jeden Tag.
DOKTOR WEINBERG
Nein, was bei solchem Wahnsinn einzig hilft,
Ist Arbeit, nichts als Arbeit jeden Tag.
Sie stehen morgens früh um Sieben auf
Und schrauben Schräubchen dann den ganzen Tag
Und kehren abends dann um Sieben heim
Und schauen sich dann einen Film noch an
Und gehen schlafen dann und schlafen tief
Und traumreich durch die neue Medizin,
Die ich verschreiben werde, eine Pille,
Die sie in einen langen Schlaf versetzt.
PIET
Sie sind der Gegner meines Seelenheils!
Ich will der Gottesmutter täglich danken,
Daß sie mich vor der Unterwelt bewahrt!
Ja, meines Lebens Sinn ist das Gebet!
DOKTOR WEINBERG
Genie und Wahnsinn, sagt man allgemein.
So manch ein Genius der Poesie
Geendet ist in einem tiefen Wahnsinn.
Nach ihrem Tode ehrte man die Dichter.
Sie haben religiöse Wahngedanken
Auf hoher intellektueller Ebne.
Doch wenn sie beten wollen, guter Mann,
So stehn Sie eine Stunde früher auf
Und beten eine Stunde vor dem Frühstück.
Doch sieben Stunden beten, armer Narr,
Das ist nicht christlich, sondern das ist Wahnsinn!
Und ich verpflichte Sie zur Tagesarbeit!
PIET
Ich gehe, Gegner meines Seelenheils!
Mein Leben sei fortan ein Dankgebet
An meine Lebensretterin Maria.

SIEBENTE SZENE

(Piet ist wieder in seiner Heimat an der Nordsee, vor Gram gealtert. Er spricht mit dem
sechsjährigen Knaben Maximilian.)

MAXIMILIAN
Du lieber Onkel, weißt du, diese Welt
Ist ganz wie eine Zwiebel, aber bei
Der Zwiebel ist die Außenhaut doch größer
Als es der Kern im Innern ist. Die Welt
Ist da gerade andersrum: Das Äußre
Ist klein, das Innere ist wirklich groß.
PIET
In meiner Jugend hab ich mich gefragt,
Ob meine Seele einer Zwiebel gleicht,
Wo Silberschale liegt an Silberschale,
Doch ist im Inneren kein fester Kern.
MAXIMILIAN
Und weißt du auch, du lieber Onkel, dass
Die Welt, in der wir leben, nichts ist als
Der Schatten einer wahren Anderswelt?
Und wenn wir sterben, so verlassen wir
Die Schattenwelt und kommen in die andre,
Wir kommen in die wahre Welt und dort
Bewegen wir uns schneller als der Blitz
Und wir verstehen dort der Vögel Sprache.
PIET
Ich war schon einmal in der Anderswelt.
MAXIMILIAN
Wie war es dort denn in der Anderswelt?
PIET
Da sind drei Türen in der Anderswelt.
Die erste Tür ist links und ist sehr groß,
Dahinter ist Gestank und Lärm und Streit,
Da schreien die Verzweifelten und heulen.
Die Pforte in der Mitte ist schon schmaler,
Dahinter ist November, trist und trüb,
Wie Abenddämmerung und blasser Nebel,
Da trauern Menschen über ihre Fehler.
Die rechte Tür ist etwas weiter weg,
Dahinter ist ein Licht, das ist so hell,
Das man geblendet wird. Und wer hindurch geht
Durch diese rechte Tür, der schaut die Liebe.
MAXIMILIAN
Das ist gewiß das Paradies im Himmel!
PIET
Und fragst du mich, ob alles weißes Licht ist,
So sag ich ja, und doch ist alles bunt.
Und fragst du mich, ob dort ist alles still,
So sag ich ja, und doch ertönt Musik.
Dort badet man im Ozean der Liebe.

ACHTE SZENE

(Pfingstsonntag. Piet steht an der Nordsee auf dem Deich. Maddel kommt auf ihrem Feuerroß
stürmisch angeritten, ihre langen feuerroten Locken flattern im Winde.)

MADDEL
Hü, Cherubim, Hü, du mein Seraphim!
PIET
O schöne Maddel, schöne Schwester Todin,
Kommst du mich holen in den dritten Himmel?
MADDEL
Steig auf mein Roß, wir reiten übers Meer!

(Piet steigt auf Maddels Feuerroß, sie reiten über das Meer, dem Horizont entgegen, wo das Meer
sich mit dem Himmel vereinigt.)

MADEL
(singt in immer weiterer Ferne)

Schwester Sonne, Schwester Sonne,


Preise du das Feuer Gottes!
Schwester Mondin, Schwester Mondin,
Preise du den Lichtglanz Gottes!
Mutter Erde, Mutter Erde,
Preise du die Speise Gottes!
Keusches Wasser, keusches Wasser,
Preise du die Quelle Gottes!Bruder Esel, Bruder Esel,
Bruder Körper, Bruder Körper,
Preise du die Menschheit Gottes!
Schwester Todin, Schwester Todin,
Preise du den Himmel Gottes!

(Vom Himmel erscheint Sankt Micha-El, ein starker schöner Gottesmann.)

SANKT MICHA-EL
Auf, reite in das Paradies, o Maddel!
MADDEL
Sankt Micha-El, ich liebe dich von Herzen!
SANKT MICHA-EL
O Maddel, führe Piet ins Paradies!
MADDEL
So hilf ihm auch, du starker Micha-El!
SANKT MICHA-EL
Gott wartet, breitet seine Arme aus!
MADDEL
Rasch, aufwärts an den vollen Busen Gottes!
SANKT MICHA-EL
Auf, o Madonna, öffne deine Pforte!
PIET
Ich komme, Ewige Geliebte!

THOR

ERSTER AKT:
SIF

ERSTE SZENE

(Vater Odin mit zwei Raben auf den Schultern. Jörd, die Mutter Erde. Der Sohn Thor mit dichtem
rotem Bart, mit dem Hammer spielend.)

VATER ODIN
O Thor, mein lieber Sohn, die beiden Raben
Auf meiner Schulter sagen das Vergangne
Und sagen auch die Zukunft wahr. Es werden
Die Asen-Götter einmal untergehen
Und Baldur nur und Nanna werden leben.
THOR
Mein Vater Odin, o du Gott der Götter,
Erzähle mir noch einmal, wie du hingest
Neun Nächte lang, den Kopf nach unten, in
Der Welten-Esche und nach diesen Nächten
Der Vögel Sprache gut verstehen konntest.
VATER ODIN
Neun lange Nächte hing ich an dem Baum!
Allvater, unser aller Himmelsvater,
Allvater hatte mich da ganz verlassen.
Ich schrie: Allvater, du hast mich verlassen!
Doch mein Gebet kam als ein Pfeil zurück!
THOR
Doch jetzt kannst du den Vogelsang verstehen.
VATER ODIN
Ich spreche auch die Sprache selbst der Vögel
Und so verkünde ich den Vögeln, dass
Allvater ihren Lobpreis gerne hört.
THOR
O Vater, was singt denn die Nachtigall,
Wenn sie zur fernen roten Rose flötet?
VATER ODIN
Die Nachtigall singt wehe Liebesschmerzen!
Die rote Rose blüht und duftet schön,
Doch nie wird sie die Nachtigall erhören.
THOR
Die Liebe ist so alt wie die Gezeiten,
Alt wie der Bernstein, wie der Schachtelhalm,
Alt wie die Schlange, wie die Nebelschiffe,
Doch älter als die Liebe ist der Schmerz!
VATER ODIN
Der Schmerz, das ist das Fundament der Welt,
Am Gott der Schmerzen scheitern einst die Götter!
THOR
Wir sind ein sterbendes Geschlecht, wir Götter.
MUTTER JÖRD
Mein Sohn, sei du nur ohne alle Sorge,
Geh deinen Weg auf dieser schwarzen Erde,
Allvater weihe dich von ganzer Seele.
THOR
O Mutter Jörd, o schwarze Mutter Erde,
Ich liebe dich mit allen meinen Kräften,
Von ganzer Seele und mit dem Gemüt
Und liebe dich mit aller meiner Kraft.
MUTTER JÖRD
Einst wirst du finden eine liebe Frau,
Dann wirst du lieben deine liebe Frau.
THOR
O Mutter Erde, alle deine Berge
Und jeden Eisberg in dem weißen Kleid,
Die tiefen Schluchten und die wilden Fjorde,
Die Ströme alle zwischen deinen Klippen,
Die weiten Ebenen von weißem Schnee
Und die Unendlichkeit von goldnen Feldern,
Wo Weizen wächst und blaue Blumen wachsen
Und roter Mohn wächst zwischen goldnem Weizen,
Die dunkelblauen Wälder, Tannenwälder,
Mit weißem Schnee auf ihren blauen Zweigen,
Die grünen Gärten mit den bunten Blumen,
Da wachsen Dill und Kümmel, Petersilie,
O Mutter Erde, o wie schön du bist!
MUTTER JÖRD
Ich habe dich genährt an meinen Brüsten,
Getragen hab ich dich in meinem Schoß.
VATER ODIN
Gott Thor, gesegnet sei die Mutterbrust,
Die dich mit ihrer Brüste Milch gestillt,
Gesegnet sei der Uterus der Mutter,
Der dich ernährt hat mit der Kraft des Blutes!
THOR
O Mutter Erde, liebe Mutter Jörd,
Von dir hab ich die Stärke meines Lebens.
Ich will ein Gott für alle Bauern sein
Und Gott der Kraft und Gott der Fruchtbarkeit,
Und Frauen von Germanien im Tode
Begleiten soll mein Hammer in das Grab.
VATER ODIN
Dein Hammer, Thor, ist das Symbol der Kraft,
Dein Hammer ist Symbol der Fruchtbarkeit,
Die Frauen von Germanien im Grab
Umfassen mit den Händen deinen Hammer.
THOR
Mit meinem Hammer schlag ich auf die Wolke
Und so erzeug ich Donner und Gewitter.
VATER ODIN
Du bist ein Mann, Gott Thor, ein starker Mann!
THOR
Ich werde immer meinen Hammer ehren!

ZWEITE SZENE

(Gott Thor und Göttin Sif feiern Hochzeit.)

THOR
Ich liebe dich, o meine Göttin Sif!
Vor allem liebe ich dein goldnes Haar!
Das Haar ist keine Nebensächlichkeit,
Das Haar ist Zeichen für die Bräutlichkeit.
Die Göttin trägt die langen goldnen Haare
Als Schleier ihrer keuschen Bräutlichkeit.
Im langen Haar der Göttin ist Erotik,
Die Liebesgöttin stets hat lange Haare.
Und wenn ich deine goldnen Haare seh,
So denk ich an ein goldnes Weizenfeld.
Der Weizen unterm lichten Sommerhimmel,
Der goldne Roggen und die goldne Gerste,
Das goldne Weizenfeld ist mir ein Gleichnis
Für deinen Leib, den goldnen Weizenhaufen,
Umsteckt mit Lilien und mit rotem Mohn.
Ich sage allen Kindern dieser goldnen Erde:
Die Göttin Sif ist wie ein Weizenfeld,
Die Göttin Sif ist golden wie das Korn.
SIF
Gott Thor, ich kann dich gar nicht anders denken,
Als dass du eine lange Mähne trägst
Und einen vollen reichen Männerbart.
Ich liebe deinen dichtgewachsnen Bart
Und deine lange wildgelockte Mähne.
Des Gottes Haar ist keine Kleinigkeit,
Man kann den Gott des Mutes und der Kraft
Sich denken nicht mit einem kahlen Schädel.
Ich liebe dich, o Gott, als Bräutigam,
In deinen langen Haaren liegt die Kraft.
Wer schneiden wollte deine Haare ab,
Der nähme deine Götterkraft von dir,
Denn in der langen Mähne meines Gottes
Ist alle Kraft der göttlichen Erotik
Des Gottes, der da ist mein Bräutigam!
THOR
Wenn du mich anschaust mit den lichten Augen,
Kornblumenblauen Augen, find ich Mut
Und Kraft, in deinem Aug ist meine Kraft,
Durch deine Liebe werde ich zum Helden.
Und weil ich eine jetzt gefunden habe,
Die an mich glaubt als einen Gott der Kraft,
Drum bin ich auch ein Heldengott voll Mut.
SIF
Zwar bin ich eine goldenblonde Göttin,
Kornblumenblaue Augen hat die Göttin,
Doch will ich glauben auch an einen Gott,
An einen Mannesgott voll Mut und Stärke.
Ich glaube, dass ich schon gefunden habe
Den Heldengott, an den ich glauben kann:
Gott Thor, du bist der Gott, der alles kann!
THOR
Ich hab mich immer schon nach einer Frau gesehnt,
Doch wollt ich keine schlechte Menschentochter,
Die einem Gott beschert ein böses Hauskreuz!
Die Riesenjungfraun hass ich ganz besonders!
Doch eine Göttin weizenblonder Haare,
Kornblumenblauer Augen, eine Göttin,
Ja, Frau und Göttin, das ersehnt ich mir.
SIF
So willst du also mich als Frau und Göttin?
THOR
Ja, bis die Götterdämmerung uns scheidet!
SIF
Und stört dich nicht, dass ich aus erster Ehe
Noch Uller bringe in die Ehe mit?
THOR
Er soll mir sein als wie mein eigner Sohn.
Doch schenke mir auch bitte eine Tochter!
SIF
Und wirst du treu sein, Gott voll Manneskraft?
THOR
Ich werde immerdar dich lieben, Sif,
Doch wage ich einmal ein Abenteuer,
So laß dich bitte nicht gleich scheiden, Göttin.
SIF
Allvater segne unsern Ehebund!
THOR
Nimm diesen meinen Ring an deine Hand!
SIF
Und nimm du meinen Ring an deine Hand!
THOR
Komm mit mir in die Götterburg von Asgard
Und wohne dort mit mir in Thors Palast!
SIF
Ich schenke dir am Abend als Walkyre
Viel Honigmet in dein sehr großes Trinkhorn!
THOR
Und bin ich trunken dann von Honigmet,
Sag, spielst du dann herum mit meinem Hammer?
SIF
Thors Keule – alle Frauen lieben das.

DRITTE SZENE

(Göttin Sif und der Dämon-Gott Loki in Thors Burg. Sif kämmt ihr langes goldenes Haar.)

SIF
Ich sitze immer auf den höchsten Bergen
Und schaue gnädig nieder zu den Fjorden.
Dort auf den Bergen kämme ich mein Haar,
Die Haarflut wallt zu meinen Füßen nieder,
Das Weizengold der blonden Locken glänzt
Und blendet alle Wikinger, die fahren
In ihren Drachenbooten auf den Flüssen,
Und von den Wikingern die Kapitäne
Sehn meine blonde Haarflut oben glänzen
Und werden irritiert von meiner Schönheit,
So scheitert dann das Schiff der Wikinger
Am rauen Felsen mitten in dem Fjord.
LOKI
Es war ein Wikinger auf seinem Schiff
Mit seiner Mannschaft und sie hatten alle
Geraubt sich einen Schatz von rotem Gold
Und nun war allzu sehr beschwert das Schiff,
Und so beschließt die Mannschaft, dass der Schatz
Ins Meer geworfen werden müsse. Aber
Der Kapitän nahm seine Axt zur Hand
Und tötete die Mannschaft seines Schiffes
Und warf die Wikinger ins Meer hinaus
Und segelte allein mit seinem Schatz
Von rotem Golde heimwärts in den Hafen.
SIF
Was spielst du mit der Schere, böser Loki?
LOKI
Ich will doch einmal sehen, ob dich Thor
Noch liebt, wenn deine Haare abgeschnitten
Und du mit kurzen Haaren vor ihm stehst.
SIF
Mein Thor liebt nicht nur meine langen Haare,
Er liebt mich auch noch, bin ich graue Greisin,
Denn er liebt meine göttliche Person
Und nicht allein die Reize meiner Schönheit.
LOKI
Das muss bewiesen werden, schöne Sif!

(Loki packt Sif und schneidet ihr mit der Schere die lange blonde Mähne ab. Sif schreit.)
SIF
Mein Thor, mein Ehegott, komm mir zu Hilfe!

(Thor hörte das Schreien und tritt rasch ein.)

THOR
Was ist geschehen hier, o Sif, o Loki?
SIF
Der böse Loki schnitt das Haar mir ab!
THOR
Dein schönes Haar, dein goldnes Weizenblond?
O Sif, du meine ewige Gemahlin,
Heut morgen habe ich im Morgentraum
Von deinem goldnen Weizenhaar geträumt.
SIF
Und nun mein goldnes Haar ist abgeschnitten,
Sag, liebst du mich jetzt noch, o mein Gemahl?
THOR
Ich liebe jetzt dich, lieb dich immerdar
Und liebe dich bis in die Ewigkeit!
SIF
O du mein Herr, der du doch alles kannst,
Ich bitte dich, verschaff mein Haar mir wieder!
THOR
(zu Loki gewandt)
Du, Loki, bist ein immerböser Dämon,
Doch ich gebiete dir als Gott der Allmacht.
LOKI
Du bist der Heilige des Wetterhimmels,
Es zittern vor dir alle die Dämonen!
THOR
Und so gebiet ich dir, dass du gleich eilst
Zu deinen Freunden, den geschickten Zwergen,
Daß sie aus Gold ein schönes Flechtwerk machen,
Das soll das Haar ersetzen meiner Sif.
LOKI
Wenn Zwerge machen aber die Perücke
Aus feinem goldnen Draht für deine Göttin,
So wird das Haar nicht weiter wachsen, Herr.
THOR
So gehe zu den Zwergen, die bewandert
In Zauberkünsten sind, sie sollen machen
Mit ihrer Zauberkunst ein goldnes Haar,
Das wie das echte Haar der schönen Frau
Noch weiter wachsen kann, ja, wachsen soll
Das Haar der Göttin bis zu ihren Füßen!
LOKI
Ich eile gleich zu meinen kleinen Zwergen.
Denn nach dem großen Vatergotte Odin
Bist du, o Thor, du Gott und Sohn des Vaters,
Zumeist gefürchtet doch von den Dämonen.
THOR
(zu Sif gewandt)
Dein Haar, Geliebte, o dein goldnes Haar
Soll wachsen wie der Weizen auf der Erde.
Wer Thor vertraut, wird nicht zuschanden werden,
Sei du dir meiner Liebe nur gewiß,
Denn meine Liebe kann der Tod nicht töten!

VIERTE SZENE

(Die Göttin Sif und ihr erstgeborener Sohn, der junge Gott Uller. Sie gehen im Schnee spazieren.)

SIF
Mein Sohn, mein vielgeliebter Uller, sag,
Willst du denn nicht auch eine Göttin haben?
ULLER
Aus diesem Alter bin ich schon heraus.
SIF
Wie? Bist du doch grad vierzehn Jahre alt!
ULLER
Mit Mädchen geben sich die Götter ab,
Wenn sie wie Säuglinge und Knospen schlafen
In unbewegter Ruh der Himmlischkeit.
Wenn aber erst ein Gott ein Mann geworden
Und spricht mit einer männlich-tiefen Stimme,
Dann hat ein Gott doch anderes zu tun,
Als für der Weiber Eitelkeit zu sorgen.
SIF
Was willst du lieber tun, mein großer Uller,
Als mit der Freundin liebevoll zu scherzen?
ULLER
Ich werde Taten tuen, welche würdig
Der Männlichkeit des ernsten Gottes sind.
Ich werde Kriege führen in der Welt
Und werde rasend schnell auf Skiern fahren.
SIF
Vielleicht magst du den eignen Leib nicht leiden,
Daß du dir keine Gattin nehmen willst?
ULLER
Mein Leib ist eines Gottes würdig, aber
Mein Leib ist nicht für Weibereitelkeit,
Mein Leib ist einzig für die ernsten Dinge
Der Welt, als Kriege sind und Fahrt auf Skiern.
SIF
Doch wirst du dann auch glücklich sein, mein Sohn,
Wenn du als Gott allein am Himmel herrschst
Und keine Göttin an der Seite hast?
Dann such zumindest dir doch einen Freund,
Noch einen Gott, mit dem du dich befreundest.
ULLER
Ich lese grade alle alten Sagen,
Die man geschrieben über Baldur hat,
Ja, Baldur soll mein Freund und Mitgott sein.
SIF
Da hast du gut gewählt, mein junger Gott,
Denn nach der großen Götterdämmerung
Wird ganz allein als Gott noch Baldur sein.
Er ist der Sieger unter allen Göttern.
ULLER
In Wahrheit bin ich ja ein alter Gott,
Noch älter als die andern Asen-Götter.
Und darum treibe ich auch die Magie
Und lehre alte Weiber der Germanen
Die Kunst, die Zaubertränke zu bereiten
Und manchen Heiltrank auch aus grünen Kräutern,
Auch wundertätige Medaillen zu
Erstellen, Talisman und Amulett,
Und Liebesverse auf Papier zu schreiben,
Auch Feindesnamen auf Papier zu schreiben
Und die Papiere zornig zu verbrennen,
Auch Liebeszaubertränke zu bereiten
Und auch Parfüme, die bezaubern sollen,
Ich lehre auch die Kunst der Horoskope
Und wahrzusagen aus der Hände Linien.
SIF
Die alten Frauen der Germanen werden
Dein Bild im Talismane bei sich tragen.
ULLER
Ja, Uller fahrend auf den Skiern, so
Die Frauen tragen mich am Silberkettchen.
SIF
Dein Pflegevater auch, der starke Thor,
Bezaubert sehr die Frauen der Germanen,
Denn wenn sie sterben müssen, in dem Alter,
Vielleicht auch schon in ihrer Reifezeit,
So wünschen sie als Grabbeigabe sich
Von Stein die Keule Thors in ihrem Grabloch.
ULLER
Ich werde nicht nur Gott sein der Magie,
Ich werde auch ein Gott des Winters sein.
Und darum muß ich streng und frostig sein
Und darf mit keiner Göttin mich beweiben.
Und wenn die Wintersonnenwende kommt,
Zwölf Nächte lang, ich fahre durch die Welt
Auf Skiern oder fahre hin auf Schlittschuhn,
Dann fürchten die Germanen sich vor mir.
SIF
Ich aber gehe dann von Haus zu Haus
Und schaue an in jedem Haus die Hausfrau,
Ob sie die Wohnung auch schön aufgeräumt.
Das weiß auch jede Hausfrau, darum fürchten
Sie diese Rauhenächte auch so sehr,
Besonders auch die schönen Frauen, denn
Die schönen Frauen sind die faulen Frauen,
Unschöne Frauen aber sind sehr fleißig.
ULLER
Ich schaue auch, ob meine Magier
Und Runenschreiber in den Rauhenächten
Die Hausfrau angewiesen, aufzuräumen,
Und wenn sie keine eigne Hausfrau haben,
So schick ich meinen weisen Runenschreibern
Ein Putzweib, dass sie ruhig zaubern können.

FÜNFTE SZENE

(Gott Thor und Göttin Sif und beider Tochter, die junge Göttin Thrud, dreizehn Jahre jung, mit
langen roten Locken, weißem Gesicht und rotem Mund.)

SIF
O Thrud, du bist genauso wie dein Vater,
Du trinkst genauso viel vom Honigmet.
Wenn ich dich einmal seh betrunken kommen,
Dann laß ich dich nicht in das Haus hinein.
Ich habe soviel schon zu leiden an
Der Trunksucht deines Vaters, dass ich nicht
Bereit bin, deine Trunksucht zu ertagen.
THRUD
Ich trinke ja am Tag nur einen Tropfen,
Bin nicht so süchtig wie die andern Götter.
SIF
Nun, du verstehst die Seele einer Mutter,
Ich will ja nur das Beste für mein Kind.
Doch selbst, wenn du betrunken vor mir stündest,
Ich ließe dich nicht draußen in der Nacht,
Das kann doch eine Mutter nicht, die Tochter
Betrunken stehen lassen in der Nacht.
THRUD
Ich weiß, du lässt mich dann nicht draußen stehen.
SIF
Und noch was, meine Tochter, ich muß sagen,
Du bist genauso faul wie Thor, dein Vater.
Thor sitzt nur immer mit dem Horn voll Met
Im Thron und kümmert sich nicht um die Welt.
Auch du räumst nie dein Zimmer auf, o Thrud.
Es reicht, dass ich die Zimmer deines Vaters
Stets sauber machen muß, ich will nicht auch
Noch deine Kammer täglich sauber machen.
THRUD
Ja, ja, o Mütterchen, ich tu’s ja schon.
SIF
Ja, ja, o Mütterchen – so sagst du jetzt
Und regst dich doch nicht von der Stelle, denn
Du bist genauso faul wie Thor, dein Vater.
THRUD
Ein andres Thema, meine liebe Mutter:
Ich möchte nackt in einem Waldteich baden.
SIF
Nein, liebes Fräulein, das geht doch zu weit!
Wenn dich die andern jungen Götter sehen
Nackt baden in dem Waldteich, was wird dann?
Nein, bade du in einem langen Kleid,
Anständig-sittlich wie die Asen sind.
Das, Tochter, das erlaube ich dir nicht,
Daß du mit deinen Reizen kokettierst!
THOR
(eintretend)
O Sif, ich kann das Zanken nicht mehr hören!
Leb lieber ich allein doch unterm Dach
Als mit der Zanksucht in der gleichen Wohnung!

(Sif geht empört ab.)

THRUD
O Thor, mein lieber Gott und lieber Vater,
Du bist mein Gott und bist mein Bräutigam!
Ich bin doch deine göttliche Prinzessin,
Die schön ist wie die Elfenkönigin!
In deinen Augen bin ich schön, mein Gott!
THOR
Ja, Thrud, geliebte Tochter und Prinzessin,
In meinen Augen bist du eine Göttin!
Die Künstler malen immer Göttin Freyja,
Die Liebesgöttin und die Schönheitsgöttin,
Schau hier, ich schenke dir ein Bild der Freyja,
Du bist genauso schön wie Göttin Freyja!
THRUD
Oh, die ist schön, die schöne Schönheitsgöttin!
THOR
Und doch ist dieses Bild nur ein Geschmiere,
Es sind nur Farbenkleckse auf der Leinwand.
Ein Narr, wer sich verliebt in ein Gemälde
Und betet an ein Bild als seine Göttin!
Du aber, Göttin, bist von lichtem Fleisch,
Realpräsente Göttin du im Fleische!
THRUD
O Väterchen, bei deinem roten Bart,
Für dich trag ich die roten Haare lang,
Für dich auch schmink ich meine Lippen rot.
THOR
O Thrud, du junge schöne Mädchengöttin,
Du bist ja wie die schöne Morgenröte!
Wie haben in Germania lange Nächte,
Der graue Winter eine Finsternis,
Da sind die Götter selbst voll tiefer Schwermut,
Wenn aber du erscheinst, o Mädchengöttin,
Mit deinem weißen Antlitz, roten Mündchen,
Mit deinen langen feuerroten Locken,
Dann geht den tiefbetrübten Göttern selbst
Ein neues Licht der jungen Hoffnung auf!
THRUD
Das ehrt mich, Vater, wie du von mir denkst.
THOR
Ich habe für mein Mädchen einen Schmuck,
Bereitet von geschickten Zwergenkünstlern,
Der Schmuck soll schmücken deine junge Schönheit.
THRUD
O Thor, mein Gott und Vater, sieh mich lachen!
Ich bin die lachenliebende Prinzessin!
THOR
Du bist der Menschheit schönste Zukunftshoffnung!

SECHSTE SZENE

(Gott Thor und der bärtige Zwerg Alwiss sitzen in der Nacht in Thors Götterburg beim Trinkhorn
voll Honigmet.)

THOR
Du, Zwerg Alwiss, willst meine Tochter freien?
Allwiss bedeutet doch Allwissender,
So laß mich fragen, gib du Antwort mir!
Was weißt du von der Schöpfung dieser Welt?
ALWISS
Allvater schuf am Anfang diese Welt,
Vier gute Geister waren da bei ihm.
Der erste Geist sprach zu Allvater dies:
Wie, Schöpfer, wie hast du die Welt geschaffen?
THOR
Wie ist der Name dieses ersten Geistes?
ALWISS
Es ist der Wissenschaftler der Natur.
THOR
Was sagte denn der zweite Geist zum Vater?
ALWISS
Er sagte: Warum, Schöpfer, schufest du?
THOR
Wie ist der Name dieses zweiten Geistes?
ALWISS
Der Philosoph der Transzendenz ist er.
THOR
Was sprach der dritte Geist zum Vater denn?
ALWISS
Er sprach: Kann ich dir helfen, guter Schöpfer?
THOR
Wie ist der Name dieses dritten Geistes?
ALWISS
Er ist der Architekt, der Zimmermann.
THOR
Was sprach der vierte Geist zum Vater denn?
ALWISS
Der vierte Geist sprach gar nicht, sondern schwieg,
Doch als Allvater diese Schöpfung schuf,
Da applaudierte er und tanzte lustig!
THOR
Wie ist der Name dieses vierten Geistes?
ALWISS
Das war der Mystiker geheimer Weisheit.
THOR
Du denkst wohl, dass du selbst ein Weiser bist?
Nein, die Legende ist doch viel zu albern!
ALWISS
So frage mich nach einer andern Wahrheit,
Denn siehst du mich als den Allwissenden,
So gibst du Göttin Thrud mir gern zur Frau!
THOR
Was weißt du von der Schöpfung denn der Menschheit?
ALWISS
Im Anbeginn im Gartenparadiese
Zwei Bäume standen, Esche da und Ulme.
Gott Odin ging im Paradies spazieren
Zur Zeit der Abenddämmerung und da
Hat aus der Esche er den Mann geschnitzt
Und aus der Ulme schnitzte er die Frau.
Der Mann, der aus der Esche ward geschnitzt,
Der erste Mann im Paradies hieß Esk.
Die erste Frau, die aus der Ulme ward geschnitzt,
Die erste Frau im Paradies hieß Embla.
THOR
Und gab es je ein Wesen namens Urmensch?
ALWISS
Die Weisen streiten noch, ob dieser Urmensch
Idee allein war im Ideenhimmel
Und als Gedanke nur zu denken oder
Ob dieser Urmensch wirklich war auf Erden.
Dann streiten sich die Weisen weiter noch,
Ob dieser Urmensch androgyn gewesen
Und sich geteilt dann hat in Mann und Frau,
So sagen welche, oder ob der Urmensch
Von Anfang an als Pärchen existierte,
Das sich verbunden hat im Bund der Ehe.
THOR
Alwiss, ich will dir meine Meinung sagen:
Du sollst die Göttin Thrud zur Frau nicht haben!
Ich habe nur so lang mit dir geplaudert,
Bis diese Nacht vorüberging und nun
Erscheint im Osten schon die Morgenröte.
Ich weiß, ihr Zwerge scheut das Licht des Tages.
ALWISS
O nein! Bei Gott und allen guten Göttern!
Nur nicht die Morgenröte, nur nicht die!
(Im Osten erscheint die junge schöne Morgenröte. Ein Strahl des Lichtes fällt auf Alwiss und er
versteinert.)

THOR
(lacht)
Die Weisheit dieses bärtigen Alwiss
Hat ihn doch nicht davor bewahrt, zu Stein
Zu werden. Zwar er steht jetzt da als Denkmal,
Doch soll er meine junge Mädchengöttin
Nicht haben zum Gespiel, so wahr ich Gott bin!

ZWEITER AKT:
JARNSAXA

ERSTE SZENE

(Thor und die Joten-Jungfrau Jarnsaxa, eine Riesin.)

THOR
Ach, Sif, die Göttin, ist doch allzu launisch!
JARNSAXA
Und darum kommst du jetzt zu mir, der Riesin?
THOR
Wir Asen-Götter haben keinen Umgang
Mit Riesen, aber dennoch lieb ich dich.
JARNSAXA
In Wahrheit liebst du doch noch immer Sif.
THOR
Ich weiß es nicht, ob ich sie liebe oder
Ob ich sie hasse, Haß und Liebe ist es.
JARNSAXA
Du bist ein Gott, du bist doch sicher treu,
Ihr Asen-Götter heiligt doch die Ehe.
THOR
Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach.
JARNSAXA
Und wenn du bei mir liegst auf diesem Lager,
Auf diesem Fell des Eisbärn, vorm Kamin,
Bei aller Treue deines Ehepaktes,
Da kommt gewiß doch auch die Lust dich an?
THOR
Du Riesenweib mit deinen Riesenbrüsten!
JARNSAXA
Ich möchte nicht allein die Lust genießen,
Ich möchte Riesenknaben auch von dir!
THOR
Hast du denn keinen Riesen, der dich liebt?
JARNSAXA
Zwar einen Riesen hab ich, meinen Knecht,
Dem ich befehle, was er machen soll,
Doch will er keine Riesenknaben zeugen,
Er ist voll Abscheu Kindern gegenüber,
Ich aber will so gerne Kinder haben.
THOR
Was tun, o Jungfrau, wie kannst du gebären,
Wenn nicht dein Riesen-Sklave in dir zeugt?
JARNSAXA
Ich will von einem Gott befruchtet werden,
Und wenn ich meine Söhne dann gebäre,
Dann schieb ich sie dem Riesenknechte unter.
THOR
Ich soll als Gott die Söhne in dir zeugen,
Ein Riesensklave soll sie auferziehen?
Nein, wenn ich schon die Söhne in dir zeuge,
Dann will ich auch ihr wahrer Vater sein.
JARNSAXA
Ja, Thor, du bist gewiß ein guter Vater!
Du liebst ja alle Kinder der Germanen!
THOR
Den Riesenknecht schick in das Reich der Hel!
JARNSAXA
Der Riese will ja in das Reich der Hel,
Er will ja gar nicht kommen nach Walhalla.
THOR
Nun, nach Walhalla kommen Helden nur,
Die in der Schlacht den Heldentod gestorben.
Die Narren aber, die den Strohtod starben
Und eingeschlafen sind im Bett, die kommen
Nicht zu den Heldenkämpfen in Walhalla
Und trinken nicht mit Schwanenjungfraun Met.
JARNSAXA
Du aber bist ein Gott und ich bin Jungfrau.
THOR
So zeuge ich in dir mit meinem Hammer.
JARNSAXA
Ich spüre unter meinem Herzen schon
Die Zwillinge im Heldenkampf begriffen,
Sie streiten, wer der Liebling Gottes sei.
THOR
O Jungfrau, sag, was fühlst du in dem Schoß?
JARNSAXA
Der eine von den beiden Zwillingsbrüdern
Ist schwach und nährt sich nicht von meinem Blut,
Der andre von den beiden Zwillingsbrüdern
Ist stark und trinkt viel Blut in meinem Schoß.
Ich habe Liebe für den kleinen Schwächling.
THOR
Ich habe Liebe für den Gottessohn,
Der Gottessohn wird meinen Hammer erben!
JARNSAXA
Doch ahne ich, du wirst mich bald verlassen
Und wieder gehen zu der Göttin Sif,
Zu deiner ehlich angetrauten Göttin.
Doch ich beschwöre bei Allvater dich,
Sei stets ein Vater deinen Zwillingssöhnen!
THOR
Ich bin ein Gott und hab in dir gezeugt
Und was gezeugt im Schoß der Joten-Jungfrau
Sind Gottes Söhne und so soll es bleiben.
Auch über deinen Tod hinaus, Jarnsaxa,
Noch nach der letzten Götterdämmerung
Der Liebling Thors ist Erbe seines Vaters!

ZWEITE SZENE

(Die Riesenjungfrau nährt an ihren Riesenbrüsten die Zwillingssöhne Magni und Modi. Thor steht
als glücklicher Kindsvater an dem Bett der riesigen Jungfrau mit entblößten Brüsten.)

THOR
Jarnsaxa, welch ein Bildnis für die Götter,
Wie diese Kinder dir am Busen saugen!
Du hast doch wirklich allerschönste Brüste,
Da möcht ich selbst an deinen Brüsten saugen!
JARNSAXA
Schau, Magni hat genug getrunken, nimm,
O Thor, du deinen Liebling auf die Arme.

(Sie reicht den kleinen Magni dem stolzen Vater.)

Der kleine Modi ist so schwach, er muß


Noch etwas trinken, ja, er ist so schwach,
Daß er kaum Milch der Mutter saugen kann.
THOR
O Magni, deine himmelblauen Augen,
O Magni, deine honigsüßen Lippen,
O Magni, deine goldenblonden Härchen!
Wie süß du bist, mein kleiner Liebling Magni!

(Thor tritt mit Magni auf den Armen an das Fenster. Draußen schneit es.)

Schneeflöckchen du mit deinem weißen Röckchen,


Du kommst aus dem Gewölk, du kommst von fern,
Laß nieder dich, du tanzendes Schneeflöckchen,
Komm, tanz für uns, wir haben dich so gern!
MAGNI
Ah! Mama!
THOR
Ich bin dein Papa, lieber Gottessohn,
Doch kannst du ruhig Mama zu mir sagen.
JARNSAXA
He, lieber Thor, die Mama, das bin ich!
Da bin ich eifersüchtig, wenn dich Magni
Auch Mama nennt! Die Mama bleibe ich!
THOR
Des Säuglings Stimme ist der Götter Stimme!
O Magni, wenn ich dich nur stillen könnte!
Du wirst bestimmt ein starker Held, o Magni,
Bald kannst du sicher meinen Hammer tragen.
Jarnsaxa, schau, wie schön der weiße Schnee ist.
JARNSAXA
Die Kinder hüllen wir in Bärenfell
Und gehen dann im weißen Schnee spazieren.
THOR
Schneeflöckchen in dem weißen Röckchen, tanze!
JARNSAXA
Weißt du auch noch, wie du mich einst beworfen
Mit einem Schneeball, den du selbst geknetet?
THOR
Und da zerstäubte dieser weiße Schneeball
Und weißer Puderschnee blieb liegen da
Auf deinen langen Wimpern, o Jarnsaxa,
Da sah ich auf der Spitze deiner Wimper
Zehntausend lichte Elfen schimmernd sitzen.
JARNSAXA
Und damit hast du das Problem gelöst,
O Thor, an dem die Weisen lange kauten,
Wie viele lichte Elfen sitzen können
Auf einer Nadelspitze? Nun, zehntausend!
THOR
O Magni, Liebling, Modi, kleines Püppchen,
Ihr müsst Jarnsaxa einmal sehen mit
Den Augen Thors: Die absolute Frau!
JARNSAXA
Und wenn wir durch den Schnee spazieren gehen,
O Thor, dann gehen wir doch Hand in Hand
Als wie ein altes treues Ehepaar.
THOR
Die ganze Erde eine weiße Decke,
Der ganze Himmel voller weißer Flocken,
Jarnsaxa, so ist heute hier Walhalla!
JARNSAXA
Und wenn wir wiederkommen vom Spaziergang,
Dann zünd ich den Kamin an und wir schauen
Ins Feuer lange traumverlorne Blicke.
Die Flammen tanzen wie Prinzessinnen
Und rote Drachen und wie Drachentöter!
THOR
Dann trinke ich am Abend Honigmet.
JARNSAXA
Ich gehe früh am Abend schlafen schon.
THOR
Doch Magni will in meinem Bette schlafen.
JARNSAXA
Und Modilein wird bei der Mama schlafen.
(Jarnsaxa bedeckt sich ihre Brüste und steht vom Eisbärenfell auf.)

THOR
Allvater segnet uns mit weißem Schnee.

DRITTE SZENE

(Thor im Kampf mit dem Riesen Hrungnir.)

HRUNGNIR
So stirb an meinem Haß, du Asen-Gott!
THOR
Bevor ich falle, musst du selber fallen!

(Thor erschlägt den Riesen mit seinem Hammer.)

HRUNGNIR
Ah wehe mir, ein Gott hat mich getötet!

(Hrungnir fällt, aber Thor kommt unter den schweren Leib des Riesen zu liegen und kann sich nicht
befreien.)

THOR
Ich lieg begraben unter meinem Feind!
Kommt, alle Asen-Götter, kommt zu Hilfe!

(Die Liebesgöttin Freyja erscheint, eine schlanke junge Frau, weißen Leibes, langer feurigroter
Locken, mit charmantem Lächeln und strahlenden Augen.)

FREYJA
Bei aller Zaubermacht der schönen Liebe,
Gebiete ich dem Leib des toten Riesen:
Hinweg! Und lasse in die Freiheit Thor!

(Der tote Riese bewegt sich nicht.)

FREYJA
So habe ich umsonst gelehrt die Hexen,
Mit Zaubersprüchen alles zu bewegen,
Nein, hier hilft nicht die Zauberkunst der Liebe.
THOR
O Frigg, o Göttin du der heilgen Ehe,
Komm, allerhöchste Asengöttin, hilf!

(Frigg erscheint, hoheitvoll, streng gekleidet, aber mit bloßen Lilienarmen.)

FRIGG
Auf, bei der Heiligkeit des Ehebundes,
Beim heilgen Ehebund von Thor und Sif,
Gebiete ich dem Leichnam: Heb dich fort!
(Der Leichnam regt sich nicht.)

THOR
Ach, alles nur, weil ich die Ehe brach!
Allvater, o vergib mir meine Sünde!

(Odin erscheint.)

ODIN
Verdammter Leichnam des verdammten Riesen,
Der Gott der Asen-Götter dir gebietet,
Gib Thor frei, meinen stärksten Gottessohn!

(Der tote Leichnam regt sich nicht.)

THOR
O wehe mir, ich bin verloren, bin
Verloren, alle Götter helfen nicht!
Hier muß ich sterben jetzt vor meiner Zeit!

(Der dreijährige Knabe Magni kommt fröhlich herbeigelaufen.)

MAGNI
O Papa, steh doch auf! Was liegst du da?
THOR
O Magni, wundervoller Götterknabe,
Ich habe diesen Riesen hier getötet,
Da fiel der Leib des toten Riesen Hrungnir
Auf deinen Papa, drückend mich zu Boden,
So lieg ich hier und kann mich nicht befreien.
MAGNI
Da steht dir doch die Liebesgöttin bei?
THOR
Ohnmächtig leider ist die Liebesgöttin!
MAGNI
Da steht dir doch die Ehegöttin bei?
THOR
Ohnmächtig leider ist die Ehegöttin!
MAGNI
Da steht dir doch der Gott der Götter bei?
THOR
Ohnmächtig, wehe, der Allmächtige!
MAGNI
Sei ohne Sorge, Thor, ich rette dich!

(Der dreijährige Knabe Magni hebt mit Götterkraft den toten Riesen auf und schleudert ihn in weite
Ferne.)

THOR
(sich erhebend)
Mein Magni! Stärker als der Gott der Götter!
Du bist fürwahr ein wahrer Gottessohn!
VIERTE SZENE

(Die Welt raucht noch von der gewaltigen Götterdämmerung. Alle Asen-Götter sind von den
Chaosmächten getötet worden. Thor wurde vergiftet von der sterbenden Midgardschlange. Jetzt
taucht das grüne Ida-Feld aus den Chaoswogen auf und dort steht nur noch Ein Gottesthron, der
Thron Baldurs, an seiner rechten Seite der Thron der Himmelskönigin Nanna. Magni, der
siebenjährige Knabe, kniet vor der thronenden Nanna.)

NANNA
O Magni, du mein vielgeliebter Knabe!
Weißt du auch, dass gestorben ist Gott Thor?
MAGNI
Die Asengötter alle sind gestorben!
BALDUR
Mein Liebling! Thor hat heldenmütig noch
Gekämpft mit jener bösen Midgardschlange,
Er hat die Midgardschlange totgeschlagen
Mit seinem Hammer, der den Donner machte,
Mit seinem Hammer, den die Frauen liebten.
Die Midgardschlange lag im Sterben, da
Noch einmal spritzte sie das Todesgift
Und so vergiftete die Midgardschlange
In ihrem Untergange noch den Gott,
Den Gott des Donners, der dein Papa war.
MAGNI
O Papa, o mein vielgeliebter Papa,
O Thor, wie sehr vermiss ich dich, o Thor!
BALDUR
Der Vaters Thors ist auch gestorben, Odin!
NANNA
Die Liebesgöttin Freyja ist gestorben!
Die Ehegöttin Frigg ist auch gestorben!
BALDUR
Den großen Weltenuntergang der Götter
Hab ich nur überlebt mit meiner Nanna.
Hör, Magni, Nanna hat ein Wort für dich.
NANNA
Wir haben auf dem Ida-Felde noch
Den Hammer Thors, den Donnerhammer Mjölnir,
Und Thors Kraftgürtel haben wir hier noch,
Der seine Stärke hat vertausendfacht.
MAGNI
Ach Thor ist tot, ach Thor ist tot, ach Thor!
NANNA
Du, Magni, warst der Liebling deines Vaters,
Du sollst des Gottes Donnerhammer erben
Und Thors Kraftgürtel sollst du erben auch.
MAGNI
Was tu ich mit dem Donnerhammer Thors?
NANNA
In Zukunft, wenn es donnert an dem Himmel
Und wenn die Eichen der Germanen stürzen,
Dann sagen die Germanen nicht mehr: Thor,
Gott Thor macht Donner mit dem Donnerhammer,
In Zukunft werden die Germanen sagen:
Herr Magni macht mit seinem Hammer Donner!
MAGNI
O wunderschöne Nanna, Königin
Des Himmels und der Erde und der Hölle,
Verleihst du mir den Hammer meines Vaters
Und Thors Kraftgürtel, den verleihst du mir?
NANNA
Du bist mein auserwählter Liebling, Magni,
Ich gebe dir den Segen meiner Gnade.
Ja, Thor ist tot! Jarnsaxa auch ist tot!
Auch Sif starb in der Götterdämmerung!
Die Götter Thrud und Uller sind gestorben!
Ein Gott allein herrscht jetzt auf Ida-Feld
Und ich bin dieses Gottes Königin
Und gebe dir den mütterlichen Segen.

(Magni empfängt von Nanna den Hammer und den Kraftgürtel.)

BALDUR
O Magni, Sohn, auf dir ruht jetzt die Hoffnung
Germanias, du schenke ihr den Frieden!
Den deutschen Frauen widme deinen Hammer
Und schenk den deutschen Männern deine Kraft!
Sei du der Herr in Skandinavia,
In Island und in Grönland herrsche du!
Norwegen, Finnland, Schweden, Dänemark,
Germania und England ehren dich!
Sei du im Norden von Europa Herr
Und schenke allen Völkerschafen Frieden
Und Glauben an den einzig-einen Gott!
MAGNI
Allvater! Magni betet an den HERRN!

DIE JUGEND

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(Mutter Bea und ihre vierzehnjährige Tochter Eske in der Küche.)


MUTTER BEA
Was hast du dir gekauft für deinen Urlaub?
ESKE
Hier, liebe Mama, siehe: den Bikini!
MUTTER BEA
Nein, Flittchen, nein, den ziehst du mir nicht an!
ESKE
Meinst du, ich könnte mich nicht zeigen so?
MUTTER BEA
Ich will nicht, dass die Männer dich begehren!
Du bist zu jung noch für das Liebesspiel,
Du bist ja noch ein Kind und keine Frau.
ESKE
Doch meine Brüste sind schon rund und fest.
MUTTER BEA
Als die französische Armee dereinst
Die Bombe explodieren ließ in dem
Atoll, das man Bikini nennt, da fand
In Frankreich eine Mode-Messe statt,
Man stellte erstmals den Bikini vor
Und nannte ihn nach dem Atoll der Südsee,
Wo grad die böse Bombe explodierte.
ESKE
Das ist mir ganz egal. Ich will ihn tragen.
Ich muss doch meinen Körper nicht verstecken!
MUTTER BEA
Wenn Männer deinen Körper nur begehren
Und dich benutzen als ihr Lustobjekt,
Dann werden sie auch mit dir schlafen wollen
Und werden dich danach verlassen, dann
Sitzt du allein mit dem zerrissnen Herzen.
ESKE
Ich will doch mit den Männern gar nicht schlafen.
Ich will den Körper nur der Sonne zeigen.
MUTTER BEA
Ja, Frankreichs Sonne! Da ist Lüsternheit.
Ich will nicht prüde sein, mein liebes Fräulein,
Doch nackt gehst du mir nicht in Frankreich um!
ESKE
Die andern Jugendlichen lachen mich
Doch aus, wenn ich wie eine Alte gehe
Und gar nichts zeig von meinen Jugendreizen.
MUTTER BEA
Ihr jungen Mädchen, reizt mit euren Reizen
Und schickt erotische Signale aus
Und wollt doch gar nichts von den Männern! Das
Laß ich nicht zu. Nein, weg mit dem Bikini!

ZWEITE SZENE

(Zwei achtzehnjährige Gymnasiasten, Dodo und Erich, in Dodos unaufgeräumtem Zimmer.)


DODO
Was willst du in der Zukunft einmal werden?
ERICH
Ich werde sicher einmal Comics zeichnen.
Ich habe einen Comic schon gezeichnet,
Faust, der Tragödie Ersten Teil, bebildert.
DODO
Was weißt du von der Sexualität?
ERICH
Ich bin ja immerdar verliebt, verliebt,
Ich glaube gar, ich bin der Don Juan,
Der Don Juan des steten Liebeskummers!
DODO
Ja, ja, ein junges Mädchen auf dem Fahrrad
Ist wie ein Cherub auf dem Rad des Thrones!
Wenn aber ich ein junges Mädchen seh,
Dann denk ich: Werde einmal fünfzig Jahre,
Dann ist auch deine Schönheit all dahin.
ERICH
Wenn einmal mich ein Mädchen käm besuchen
Und wollt mit mir in einem Bette schlafen,
Ich stieße sicherlich sie nicht zurück.
DODO
Was aber weißt du von der Liebeskunst?
ERICH
Bei uns zuhause spricht man nicht davon.
DODO
Ich hab die ganze Liebeskunst studiert,
Ich habe Lehrgedichte schon geschrieben,
Was sagt das Kamasutra von der Liebe
Und andre Liebesbücher Hindostans
Und schrieb auch über Liebes-Taoismus.
ERICH
Ja, darf ich das denn alles einmal lesen?
DODO
Es sollen dies die Leute niemals lesen,
Ich hab es ganz allein für mich geschrieben.
ERICH
Doch bitte gib es mir zu lesen einmal.
DODO
Und Liebe und Verantwortung? Das auch?
ERICH
Verantwortung? Dass Liebe Arbeit ist?
DODO
Dass Liebe kein Gefühl allein, dass Liebe
Entscheidung ist, die trifft der Menschen Wille.
ERICH
Ich bin kein Esel, der nur Lasten schleppt!
Ich bin ein Schmetterling, der flattert lustig
Von Blumenkelch zu Blumenkelch, Seim naschend.
DRITTE SZENE

(Eske und ihre vierzehnjährige Mitschülerinnen Maria und Andrea auf dem Schulhof. Alle sind sehr
hübsch.)

ESKE
Wie denn gefallen euch die ältern Jungens,
Die mit dem Dodo sind in einer Klasse?
MARIA
Dein Dodo, ja, das ist ein lieber Mensch.
Der Erich scheint mir etwas schizophren,
Ich glaube, er raucht Haschisch in der Pfeife,
Der endet einmal in dem Irrenhaus.
ANDREA
Der Dodo ist ja wirklich sehr charmant.
Der Volker, der ist nüchtern, realistisch,
Er denkt so ganz wie eine Zählmaschine.
MARIA
Der Werner macht mir nichts als Langeweile.
Der Thomas aber ist ein rechter Dummkopf.
ESKE
Der Dodo, wie er mich doch immer anschaut!
MARIA
Der schaut doch allen jungen Mädchen nach.
ANDREA
Mir hat er auch gesagt, wie schön ich bin.
ESKE
Mein Vater redet übel von dem Dodo,
Stiefvater sagt, er sei ein schlimmer Finger.
ANDREA
Ach, Väter, Väter! Wenn du wüsstest, Eske!
Mein Vater haut mich immer auf den Hintern!
ESKE
Wie ist denn das? Tut das so richtig weh?
ANDREA
Es ist so ähnlich wie das Kinderkriegen.
ESKE
Ja, meine Schwester Fanny hat ein Kind.
Ich weiß nicht, wie sie so dazu gekommen.
Wie ist das wohl, das Kindermachen? Schön?
MARIA
Nun, meine Mutter sagt, die Kinder macht
Der liebe Gott den Eltern zum Geschenk.
ESKE
Man hat mir doch noch nichts davon erzählt,
Wie es so zugeht bei dem Kindermachen.
Ich möchte auch wohl so ein kleines Püppchen,
Doch jetzt noch nicht, erst wenn ich älter bin.
ANDREA
Lass du dir nur kein kleines Püppchen machen,
Denn dann ist es vorbei mit Spaß und Party.
ESKE
Ich seh’s bei Fanny, die hat nichts als Sorge,
Sie kriegt ja fast schon graues Haar vor Sorge.

VIERTE SZENE

(Dodo, Erich, Volker, Werner und Thomas auf dem Schulhof des Gymnasiums in der Raucherecke.)

VOLKER
Genosse Erich, wirst du nicht versetzt?
THOMAS
Musst du dann mit den Kleinen weiter lernen?
DODO
Wer wahrhaft Freund ist seinem Freunde, der
Bleibt guter Freund auch dem, der sitzen blieb.
ERICH
Ha! Zwar ich dachte, ich werd nicht versetzt,
Muss zu den Bübchen eine Klasse tiefer.
THOMAS
Da sind doch auch besonders schöne Mädchen.
ERICH
Mir schien, dass ich den wenigen Verstand
Vernichtet hab mit meiner Haschischpfeife.
DODO
Wahrnehmung soll doch so erweitert werden.
ERICH
Ich schlich mich aber in das Lehrerzimmer
Und schaute in den Schrank von Sauerland,
Der ja mein Tutor ist, nach meinem Zeugnis.
DODO
Der strenge Sauerland, der Maoist?
ERICH
Ich sage euch, er wird mich doch versetzen!
THOMAS
Ich bin enttäuscht, mein Lieber, alter Schwede,
Ich dachte, dass du es den Lehrern zeigst,
Wir sehr wir spucken auf den Unterricht!
WERNER
Du warst doch immer unser aller Vorbild,
Weil du gezeigt, es gibt was Wesentliches,
Was nicht gelehrt wird in der dummen Schule.
VOLKER
Ja, du hast vorgelebt, dass diese Schule
Ist keine Lebensschule, sondern Zwang,
Den gern abschüttelt, wer es irgend kann.
THOMAS
Ich dachte, wird der Erich nicht versetzt,
Dann geht er sicher von der Schule ab
Und tingelt als Zigeuner durch Europa.
DODO
Jetzt wirst du doch versetzt, mein lieber Freund,
Im nächsten Schuljahr lehrt uns Frauenknecht
Macbeth, ich schwöre, das gefällt uns beiden.
ERICH
Ich bleib euch noch erhalten, Weggefährten.
DODO
Macbeth und seine Lady – sieh, wir kommen!

FÜNFTE SZENE

(Ein kleines Wäldchen. Eske sucht abseits des Weges Pilze. Dodo kommt auf seinem Fahrrad
vorbei, hält an und tritt zu Eske.)

DODO
Na, schöne Eske, Jungfrau Morgenröte,
Was machst du hier im dunklen Wald allein?
ESKE
Ich suche Pilze für der Mutter Küche.
DODO
Für ein Omelett mit Eiern und mit Pilzen?
ESKE
Wir braten uns die Pilze in der Pfanne.
DODO
Schau dort, ein Eichhorn! Weißt du, süße Eske,
Das Eichhorn gräbt die Tannenzapfen ein
Und spart sie so als Wintervorrat auf,
Im Winter hat es aber dann vergessen,
Wo es die Tannenzapfen hat vergraben.
ESKE
Die beiden dort, die streiten sich ums Weibchen!
DODO
Die evangelische Konfirmation
Hast du mit vierzehn Jahren jüngst erfahren?
ESKE
Ja, das war schön, ein weißes Fladenbrot
Und eine Schale voll von roten Trauben.
DODO
Was macht denn die Andrea, diese Schlanke?
ESKE
Ach, die kriegt Schläge ja auf ihren Hintern
Von ihrem Vater, diesem reichen Mann.
Schlag mir doch auch einmal auf meinen Hintern!
DODO
Ganz wie du willst! Nur einen leichten Klapps!
ESKE
Das war ein leichter Klapps? Das war ja Streicheln!
DODO
Nun gut, dann schlag ich etwas fester zu.
ESKE
Das hab ich schon gespürt, das war ein Schlag.
DODO
Nun hab ich Lust bekommen, deinen Hintern
Zu schlagen, doch jetzt schlag ich richtig zu!
ESKE
Nein, nicht so doll! Das tut ja richtig weh!
DODO
Soll ich dir auch noch in den Hintern treten?
ESKE
Ach Dodo, bitte, sei nicht so brutal!
DODO
Nun bin ich vor mir selbst erschrocken, Eske,
Daß ich so grausam sein kann, so brutal!
Komm, lass mich deinen schönen Hintern streicheln!

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Dodo und Erich in Dodos unaufgeräumtem Zimmer. Sie hören Blues-Musik und rauchen.)

ERICH
Es gibt so viel zu tun in dieser Welt,
Und wer nichts leistet, der ist auch nichts wert.
Den Wert des Menschen, den bemisst man heut
Am Gelde, das er sich erworben hat.
Es ist ein solcher Druck in unsrer Schule,
Daß ich die Leistung nicht erbringen kann.
DODO
Du klingst bedrückt, ja, ziemlich depressiv.
ERICH
Mir geht durch meine Seele ein Gedicht:

Nur Angst über Angst!


Nur Not über Not!
Nur Dunkel über Dunkel!
Nur Schimmel über Schimmel!
Nur Grab über Grab!
Nur Tod über Tod!

DODO
Muss ich mir Sorgen machen über dich?
ERICH
Die Sorgen doch verlängern nicht mein Leben.

(Dodos Mutter kommt herein mit Tee und Keksen für die beiden.)

DODOS MUTTER
Was liegt da für ein Buch auf deinem Tisch?
Faust, der Tragödie erster Teil, von Goethe?
So etwas liest du schon? Mein lieber Sohn,
Du bist zu klug, dein Köpfchen ist zu voll,
So etwas hast du nicht von deinem Vater.
ERICH
Dank, liebe Frau, für Kekse und für Tee.
DODO
Ja, lass uns wieder jetzt alleine, Mutter.

(Die Mutter ab.)

ERICH
Bei meiner Mutter gibt es immer Fleisch
Und sie begreift nicht, dass ich Fleisch nicht mag.
DODO
Lass uns zusammen spielen einen Blues.

(Sie nehmen Gitarre und Mundharmonika und spielen und singen den Blues-Song: Nobody knows
you when you are down and out!)

ZWEITE SZENE

(Mutter Bea und ihre Tochter Eske in der Küche.)

MUTTER BEA
Nun, Eske, Fanny hat ein Kind gekriegt,
Und Fanny ist doch grad erst achtzehn Jahr.
Sei klug, mein Kind, und mach es ihr nicht nach.
ESKE
Wie kam denn Fanny zu dem Kinde, Mutter?
MUTTER BEA
Vor einem Jahr saß Fanny auf dem Zimmer
Und Marius, der freche Nachbarsjunge,
Besuchte Fanny. Und ich hörte was,
Da dachte ich, ich guck mal lieber nach,
Da lagen beide nackt in Fannys Bett.
Ich sagte: Ja, was macht denn ihr da beide?
Da sagte Marius: Wir vögeln eben!
ESKE
Was heißt das und was ist das, Vögeln, Mutter?
MUTTER BEA
So spricht man nicht! Sie machten eben Liebe.
ESKE
Wie macht ein Mädchen Liebe mit dem Freund?
MUTTER BEA
Nicht mit dem Freund von nebenan mal so,
Als ob man eben ein Glas Wasser trinkt,
Es muss schon wirklich Liebe dabei sein.
ESKE
Wenn ich verliebt bin, ist das dann schon Liebe?
MUTTER BEA
Nein, Liebe ist nicht nur so ein Gefühl,
Ist nicht wie Schmetterlinge in dem Bauch.
Verrückt im Frühling spielen die Hormone
Und dann befallen sie sich wie die Tiere,
Aus bloßem Gattungstrieb. Das ist nicht Liebe.
ESKE
Wer sagt denn, dass die Liebe dauernd bleibt?
MUTTER BEA
Drum lerne deinen Freund zuerst gut kennen
Und warte noch, bis du dich hingibst ganz.
Du sollst erst wissen, dass er auch der Rechte,
Daß er dich wirklich liebt, nicht nur begehrt.
ESKE
Wenn er mich liebt, wird er mich ewig lieben?
MUTTER BEA
Er soll dir seine Treue ja versprechen,
In guten und in schlechten Zeiten soll
Er ehren dich und lieben dich von Herzen.
ESKE
Doch wüsst ich gern auch, ob die Liebe schön ist,
Wenn so ein lieber Mann ein Mädchen liebt.
MUTTER BEA
Da denkst du doch nicht schon an wen bestimmtes?
ESKE
Der Dodo sieht mich immer zärtlich an.

DRITTE SZENE

(Werner kommt aus der Schul-Toilette, in seiner Hand die Venus von Urbino als Gemälde-
Postkarte.)

WERNER
Nein, Venus, das ist nicht die wahre Liebe!
Dich zu begehren, das ist Leidenschaft,
Da ich genieße deinen nackten Leib.
Die Ich-Sucht bloßer Selbstbefriedigung
Ist das und keine Liebesganzhingabe.
Ich träume bloß in meiner Phantasie,
Daß ich die Liebesgöttin selbst beschlafe
Und habe Lust und gebe mich nicht hin
Und schenke keinem Menschen meine Liebe
Und liebe meine Phantasie allein
Und bleibe einsam in dem Selbstgenuß
Und bleibe doch nach dem Erguß des Feuers
Wie eine öde Wüste leer zurück.
Ich bin enttäuscht von dir, du nackte Venus,
Denn zwar du reizest die Begierde an
Und gaukelst die Befriedigung mir vor,
Doch fühl ich mich so schal und abgeschmackt,
Als ob ich selber mich betrogen hätte.
Adieu, du große Liebesgöttin Venus,
Ich fall auf deinen Trug nicht mehr herein!
Dies Götzenbild der Selbstbefriedigung
Und der Entleerung und der Seelenödnis
Verbrenne ich! Ich zünde dich jetzt an!
Nie mehr verehre ich die nackte Venus!
Ich dien nicht mehr der Göttin des Bordells!

(Er verbrennt das Bild der Venus.)

Ach, wohin nur mit all dem Lebenstrieb?


Das Schicksal schenke bald mir eine Freundin!
Es ist in mir ein großer Liebestrieb
Und was ich heut umsonst verschüttet habe,
Das hätte wohl Prinzessinnen beglückt!
Nun, irgendwo hab ich gelesen jüngst,
Daß intellektuelles Forschen stillt
Den heißen Trieb des liebenden Verlangens.
So will ich Wirtschaftswissenschaft studieren,
Will das Gesetz des Kapitals studieren,
Der Zahlen Nüchternheit gibt mir den Frieden.
Wer an Profit und an Rendite denkt,
Hat keine Zeit, an Brüste viel zu denken.
Die Wirtschaft interessiert mich, was auch werde,
Ob ich einst in die Wirtschaft selber gehe,
Das weiß ich nicht, doch ökonomisch denken
Erlöst mich von der Übermacht der Venus.

VIERTE SZENE

(Eske und Dodo auf einem Heuboden. Sie ziehen sich wieder an.)

ESKE
Wenn meine Mutter das erfährt, Geliebter,
Dass wir ein Liebesnest uns hier bereitet!
DODO
Ich hab den Leib der Göttin Morgenröte
Erkannt, in Wirklichkeit und nicht im Traum!
ESKE
Du hast dir so viel Zeit gelassen, Lieber!
DODO
Mir ist, als hätte ich dein Fleisch gegessen,
Mir ist, als hätte ich dein Blut getrunken.
ESKE
Ich bin zufrieden, Lieber, bin ganz still.
DODO
Und ich, Geliebte, hab schon wieder Lust.
ESKE
Jetzt muss ich los, muss Hausaufgaben machen.
DODO
Und keine künstliche Verhütung, nein!
Ich will dich nicht mit einem Handschuh streicheln.
ESKE
O die Natur! Die Liebe und das Heu!
Ich riech dich noch auf aller meiner Haut.
DODO
Du duftest gut, nach Liebe und nach Heu.
ESKE
Doch meine Mutter darf es nicht erfahren,
Sie warnt mich immer vor der Männerliebe.
DODO
Beim Vögeln sind wir frei wie Vögel, Liebste,
Kein Alter darf uns da den Flug verwehren.
ESKE
Wie Vögel sind geflogen wir im Himmel.
DODO
Ich hatte auf dem Höhepunkt Gesichte
Von einem Erdbeergarten in dem Himmel.
ESKE
Das machen wir noch einmal, mein Geliebter,
Gleich morgen treffen wir uns wieder hier
Und lieben uns im Heu und jeden Tag.
DODO
Die Alten denken immer an den Ernst
Des Lebens, ihnen ist die Liebe Arbeit,
Nur in der Jugend ist die Liebe Spiel
Und Heiterkeit und köstlicher Genuß.
ESKE
Ja, lustig ist das Leben und die Liebe.
DODO
Und alle Lust will tiefe Ewigkeit!

FÜNFTE SZENE

(Dodos Mutter namens Frau Bargeld sitzt in einer blitzblanken Küche und liest einen Brief.)

DODOS MUTTER
Was hat der gute Erich mir geschrieben?
„Frau Bargeld, Sie allein sind meine Hoffnung!
Zwei Möglichkeiten gibt es für mich nur,
Die eine Möglichkeit ist eine Reise
Nach Kuba, um im Paradies zu leben
Bei Rum aus Zuckerrohr und bei Zigarren,
Doch dazu brauch ich tausend deutsche Mark.
Frau Bargeld, geben Sie mir bitte doch
Für meine Freiheit tausend deutsche Mark.
Die andre Möglichkeit – Sie fragen sich?
Ich habe mir ein Messer schon gekauft,
An seinem Schaft sind Perlenmutterplättchen,
Der Stahl ist deutscher Stahl aus Solingen.
Was will ich mit dem Messer? Mich ermorden!
Ich las ein Gleichnis von Gautama Buddha:
Es war ein Mensch, der war schon sehr erleuchtet,
Der hatte sechs Erleuchtungen bereits
Und wollte nun die siebente Erleuchtung
Und darum wollte er sich selbst ermorden,
Um frei zu werden von der Werdelust!
Da kam der Teufel zu dem Heiligen
Und sagte: Frommer, bring dich ja nicht um!
Das liebe Leben ist voll Leidenschaft
Und lustig ist das Dasein in der Welt!
Gautama Buddha dies von fern erkannte
Und bannte fern den Teufel von dem Frommen
Und der ermordete sich selbst und sank
Wie eine Träne in den Ozean.
Kurzum, ich bin entschlossen, mich zu töten,
Frau Bargeld, geben Sie mir nicht das Geld,
Auf dass ich reisen kann ins Paradies.
Ich bleibe, Gnädigste, Ihr Erich Schneider.“

(Dodos Mutter legt den Brief beiseite, nimmt ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber und
schreibt das Antwortschreiben.)

DODOS MUTTER
Du guter Erich, bring dich ja nicht um!
Zwar kann ich dir nicht tausend deutsche Mark
So einfach schenken, das verstehst du doch?
Bedenke: Nach dem Regen kommt die Sonne!
So halte nur die Ohren steif und lebe!
Ich grüße dich, Frau Bargeld, Dodos Mutter.

SECHSTE SZENE

(Abenddämmerung. In einem Park unter einer Blutbuche sitzt Erich und spielt mit dem Messer.)

ERICH
Jetzt ist die Zeit, da es zum Sterben geht.
Ich denke an ein Lied aus meiner Kindheit.

(Er singt)

Tochter Zion, freue dich!


Jauchze laut, Jerusalem!

(Die siebzehnjährige Schönheit Julie kommt vorbei, ganz das Modell einer Renaissance-Madonna.)

JULIE
Ach Erich, was machst du denn hier im Park?
Was soll das Messer da in deiner Hand?
ERICH
Ich hab die Lust verloren an dem Leben.
JULIE
So komm doch mit in meine Künstlerkreise.
Wir leben für die Kunst, für die Musik,
Ich spiele Violine, spiele Cello
Und singe auch. Dann steh ich auch Modell
Bei einem jungen Maler. Meine Eltern
Sind Musiker, wir reisen durch die Welt
Und haben eine tiefe Lebensfreude
Und freuen uns an allem wahren Schönen!
ERICH
Du bist so schön, du göttliche Julie!
JULIE
So kommst du morgen also uns besuchen?
Vielleicht wir musizieren dann zu zweit,
Ich weiß, du spielst sehr schön die Blues-Gitarre
Und Mundharmonika und auch Trompete.
Bis morgen also! Sei nur, fröhlich, Erich!

(Julie ab.)

ERICH
Das war mein Todesengel! O wie schön!
Wie schön und lieblich bist du, Schwester Todin!
Doch dass ich muss zur Unterwelt hinab
Und hab die Liebe einer schönen Frau
Noch nicht genossen, körperliche Liebe!
So komme, Nichts, du Ozean der Leere!

(Er schneidet sich die Pulsadern auf und verblutet.)


Ach Gott...

(Erich ist gestorben.)

DRITTER AKT

ERSTE SZENE

(Im Lehrerzimmer des Gymnasiums. Der konservative Direktor, der maoistische Lehrer Sauerland
und Frau Hansen, eine alte dicke Frau mit Damenbart.)

DIREKTOR
Der Schüler Erich Schneider ist gestorben,
Das ist ein Fleck der Schande unsrer Schule.
Das humanistische Gymnasium
Soll Schülern Glück und Sinn des Lebens zeigen.
Wir haben hier in diesem Fall versagt.
SAUERLAND
Wenn einer steht am Rande eines Abgrunds,
So soll man geben ihm noch einen Stoß.
DIREKTOR
Sie Maoist zitieren Friedrich Nietzsche?
SAUERLAND
Der Erich war kein Held im Klassenkampf!
Die Kommunisten haben Disziplin,
Doch Erich war ein fauler Anarchist,
Dazu von seinen Drogen ruiniert.
FRAU HANSEN
Bei meinem Barte der Prophetin sag ich,
Der Mensch soll Hammer oder Amboss sein.
Wer leidet, der hat dieses schon beschlossen,
Wer selbst sich liebt, nur der wird glücklich sein.
DIREKTOR
Was aber sagen wir der Elternschaft?
FRAU HANSEN
Sie sollen ihre Kinder streng erziehen
Und schon zur Kindheit die Askese lehren.
Wenn Kinder aber weißen Zucker naschen
Und trinken Milch und essen weißes Brot,
Dann werden sie verwöhnte Gören werden.
SAUERLAND
Man soll den Vätern sagen, dass sie nicht
Mit ihren kleinen Kindern spielen sollen.
FRAU HANSEN
Nur wer ein hartes Herz hat in der Welt,
Der kommt zum Ziel der Selbstverwirklichung.
Wer aber depressiv im Trübsinn hockt,
Verdient es auch, von dieser Welt zu scheiden.
DIREKTOR
Wir brauchen hier ein neues Christentum,
Wir brauchen Werte wieder und Moral.
SAUERLAND
Nicht Religion! Nicht Opium fürs Volk!
FRAU HANSEN
Wir brauchen Vegetarier und Seelen,
Die Eine Weisheit in der Welt erkannten:
Du lieb dich selbst und tu dann was du willst!

ZWEITE SZENE

(Im Lehrerzimmer. Die bärtige Frau Hansen, alt und dick, und der herbeizitierte Dodo.)

FRAU HANSEN
Du, Dodo, du warst Erichs bester Freund,
Du hast ihn in den Suizid getrieben!
DODO
Ich bin mir aber keiner Schuld bewusst.
FRAU HANSEN
Du hast nicht nur an diesem Leben Schuld,
Du hast auch am vergangnen Leben Schuld!
DODO
Sie glauben an die Reinkarnation?
FRAU HANSEN
Ich war vor vielen tausend Jahren einst
Ägyptische Prinzessin, dass du’s weißt!
DODO
Und Putzfrau bei Iwan dem Schrecklichen?
FRAU HANSEN
Bei meinem Damenbarte der Prophetin,
Du hast den Erich in den Tod getrieben!
Das Beste wär, du brächtest auch dich um!
DODO
Sie haben aber Haare auf den Zähnen.
FRAU HANSEN
Du meinst wohl, eine Frau soll lieblich sein,
Soll immer nett sein, zauberhaft, charmant?
Ich will dich eines Besseren belehren!
Ihr liebt die hübschen Mädchen, feminine,
Ja, feminin die Mädchen sollen sein,
Doch eine Frau, die feministisch ist,
Die nennt ihr einen alten Drachen dann!
DODO
Es gibt nur junge Huren, alte Hexen.
FRAU HANSEN
Die alte Hexe zeigt dir ihre Macht!
Ich werde dir in Werte und Moral
Ein Zeugnis geben, dass dein Vater staunt!
DODO
Was ich von Epikur geschrieben habe,
Beruht auf seinen eignen Schriften aber.
Sie können meine Schrift nicht schlecht bewerten.
FRAU HANSEN
Der Volker Bürger schrieb genau das selbe,
Die gleiche Punktzahl habt ihr zwar erzielt,
Doch fühle ich in meinem dicken Bauch,
Dass du verdienst die allerletzte Note.
DODO
Kann ich jetzt gehen, liebe Frau Prophetin?
FRAU HANSEN
Ja, geh nur, Dodo, fahr du nur zum Mond!

DRITTE SZENE

(Erichs Begräbnis. Eltern, Lehrer und Schüler stehen am offenen Grab und reden durcheinander.)

ELTERN
Ach Junge, Junge, schon so früh gestorben –
Dass meinem Kinde das nicht auch passiert –
Der Tod ist ungerecht, das Leben heilig –
Was hat ihn zur Verzweiflung nur getrieben –
Der Vater weint, die Mutter ist verstört –
Wie kann man nur sein Leben so vergeuden –
Die Jugend heute ist doch all zu wild –
Zu meiner Zeit, da gab es keinen Selbstmord –
Wir müssen beten für die Arme Seele –
LEHRER
Wir haben ihm zu leben beigebracht –
Auch Seneca erwählte sich den Selbstmord –
Die Menschen sollen doch das Diesseits lieben –
Die Jugend, Jugend, wirft so schnell sich weg –
Und alles um ein Mädchen, wie man sagt –
Sie haben keine Disziplin mehr heute –
Dem fehlte das Bewusstsein für die Pflicht –
Dem fehlte das Bewusstsein für den Kampf –
SCHÜLER
Man kann sich ja an einem Strick erhängen –
Erschießen kann man sich mit der Pistole –
Auch stürzen kann man sich von einem Hochhaus –
Auch Gift ist möglich oder Schlaftabletten –

(Die Schüler lachen albern.)

Was gibt es morgen denn in Religion? –


Wir reden morgen übers Judentum –
Ich muss noch heute Schillers Räuber lesen –
Und dann der Satz noch von Pythagoras –
Und Thomas Mann im Licht von Friedrich Nietzsche –
Ach Friedrich Nietzsche war doch fast ein Nazi –
Und in Musik die Kindertotenlieder
Von Gustav Mahler nach dem Text von Rückert –
Wann gehen wir denn endlich wieder schwimmen –

(Die Trauergesellschaft löst sich auf.)

DODO
(allein)
Du warest Er- und Ich, mein Doppelgänger,
Nun gingst du in die Finsternis des Jenseits,
Und meine Seele ist mit dir gestorben
Und ich verliere den Verstand – ah weh!

VIERTE SZENE

(Andrea, sechzehn Jahre, schwarze Haare, schwarzes Kleid, anmutig schlank, und Julie, eine
Modell-Schönheit mit roten Fingernägeln und rotem Mund, braunhaarig, sehr schlank,
siebzehnjährig, stehen an Erichs Grab. Es sind schon Blumen gepflanzt und ein Grabstein
aufgestellt.)

ANDREA
Wer hat den armen Erich denn gefunden?
JULIE
Ich habe ihn vor seinem Tod gesehen,
Ich glaub, ich war die Letzte, die ihn sah,
Gefunden hab ich ihn im Morgengrauen.
ANDREA
Mit einem Messer hat er sich ermordet?
JULIE
Ja, hier, mit diesem Messer, das ich fand,
Es war ganz blutverschmiert, ich habs gewaschen.
ANDREA
Oh bitte, Julie, gibst du mir das Messer?
JULIE
Was willst denn du gerade mit dem Messer?
ANDREA
Es soll mich immerdar an ihn erinnern.
JULIE
Das geht nicht, nein, das Messer bleibt bei mir.
Ich habe ihn als Letzte ja gesehen
Und auch als Erste Erich tot gesehen.
ANDREA
Ich hab noch nie gesehen einen Toten.
JULIE
Ja, so ein Toter, der ist gelb wie Wachs.
ANDREA
Hast du den toten Erich noch geküsst?
JULIE
Nein, nein, das war mir denn doch gar zu schaurig.
ANDREA
Auch war ja seine Seele nicht mehr da.
JULIE
Wer weiß, vielleicht gespenstert er ums Grab?
Ich möchte hier um Mitternacht nicht sein.
ANDREA
Ich bete einen Rosenkranz für ihn,
Daß seine Arme Seele Frieden findet.
JULIE
Vielleicht wird er ja noch einmal geboren?
ANDREA
Dass Gott verzeihn ihm möge seinen Selbstmord,
Denn Suizid ist Sünde vor dem Schöpfer.

FÜNFTE SZENE

(Dodo und seine Eltern, Herr und Frau Bargeld.)

HERR BARGELD
Du, Dodo, bist ja nur ein Taugenichts!
Der Erich Schneider wär geworden sicher
Versicherungsvertreter oder Bankmann,
Wenn du ihn nicht so ganz verdorben hättest!
DODO
Ich, Vater, werde Gitarrist des Blues.
HERR BARGELD
Brotlose Künste! Und von meinem Geld!
Nein, Dodo, du gehörst ins Irrenhaus!
FRAU BARGELD
Der arme Junge! Der ins Irrenhaus?
Mein Schatz, was sollen da die Leute sagen!
Nun schimpf nicht so mit deinem armen Jungen.
DODO
Ja, liebe Mutter, steh mir nur zur Seite.
HERR BARGELD
Mein liebes Mädchen, schau dir einmal an
Das Zimmer, drin der arme Wilde haust.
FRAU BARGELD
Da hast du recht, mein Liebling. Sag mal, Dodo,
Wann hast du mal dein Zimmer aufgeräumt?
Sonst kommen noch die Ratten in dein Zimmer!
DODO
Ich träum Alpträume immer von den Ratten.
HERR BARGELD
Da haben wirs! Du kommst ins Irrenhaus!
DODO
Nein, Vater, lass mir meinen frohen Wahnsinn!
Ich rede mit den Bäumen in dem Walde
Und sehe Göttinnen auf allen Gassen.
FRAU BARGELD
So zwischen Himmelreich und Erde schwebend,
Mein Junge, du gehörst ins Irrenhaus.
DODO
Als David zu dem König Achisch kam,
Da stellte David sich meschugge, so
Dass ihm der Speichel in den Bart gelaufen.
Da sprach der König Achisch zu den Dienern:
Hab ich noch nicht genug Meschugge hier?
HERR BARGELD
Ich selber fahre dich mit meinem Wagen
Ins Irrenhaus und geb dir Kleidung mit.
Wenn aber du dem Irrenhaus entläufst,
Will ich nichts mehr mit dir zu schaffen haben!
FRAU BARGELD
Ja, sei gehorsam nur den Irrenärzten,
Ein Irrenarzt ist auch ein Gott in Weiß.

SECHSTE SZENE

(Dodo im Irrenhaus. Andere Irre um ihn im Raucherzimmer.)

ERSTER IRRER
Ich bin als Kind ja schon zum Mond gefahren,
Das glaubt mir keiner, aber es ist wahr.
Auch hab ich ein Perpetuum Mobile
Erfunden, denn ich bin ein Genius.
ZWEITER IRRER
Ich hatte eine himmlische Vision:
Am Himmel sah ich einen roten Drachen
Und sah daneben leuchten auf ein Herz
Und in dem Herzen steckten sieben Schwerter.
DRITTER IRRER
Ich habe keine Seele mehr, denn weißt du,
Ich hatte eine Freundin und die hatte
Im Hause eine schwarze Katze, die
Befreundet war mit einer unsichtbaren
Dämonen-Katze, die mich angefallen
Und meine Seele mir zerkratzte, da
Ist all mein Blut der Seele ausgelaufen.
VIERTER IRRER
Die Pflegeschwester ist sehr schön, ich frag mich,
Wenn ich in meiner Phantasie berühre
Den nackten Leib der schönen Pflegeschwester,
Ob sie sich dann wohl vergewaltigt fühlt?
FÜNFTER IRRER
Kalinka, ach Kalinka, ach Kalinka!
SECHSTER IRRER
Kennst du auch Sankt Franziskus, der gepredigt
Den Vögeln? Er verstand die Vogelsprache!
DODO
O heiliger Franziskus, komm und hilf mir!
O führ mich in die Freiheit wieder, Herr!
Franziskus, der die Stigmata empfangen,
Seraphicus, du führ mich in die Freiheit!
PFLEGESCHWESTER
(eintretend)
Herr Bargeld, wollen Sie uns schon verlassen?
DODO
Der Arzt will mich behalten, doch ich gehe.
PFLEGESCHWESTER
Herr Bargeld, gehen Sie getrosten Mutes.
DODO
Sie müssen nur bedenken, liebe Schwester,
Dass Narrenwärter selbst auch Narren sind.
PFLEGESCHWESTER
Und bleiben Sie nicht einsam, rat ich Ihnen.
DODO
Ich will in meinen Turm von Elfenbein
Und nur mit mir und mit den Göttern reden
Und anschaun die Ideen in ihren Tänzen!

SIEBENTE SZENE

(Eske in ihrem Jungmädchenzimmer. Sie liegt im Bett. Nur ein nackter weißer Arm langt aus dem
Bett. Ihre Mutter Bea kommt mit Kamillen-Tee.)

MUTTER BEA
Was hast du denn, mein armes liebes Kind?
ESKE
Mir ist so übel, meine liebe Mutter.
MUTTER BEA
Gleich kommt der Onkel Doktor, liebes Kind.

(Der Hausarzt tritt ein.)

DOKTOR
Wie geht es meiner kleinen schönen Eske?
ESKE
Mir ist so übel und ich hab Gelüste.
DOKTOR
Gelüste, was denn für Gelüste, Eske?
ESKE
Auf Gurkenscheiben, dazu Schokolade.
DOKTOR
Und deine Monatsblutung, wann war die?
ESKE
Ist diesen Monat nicht gekommen, Doktor.
DOKTOR
Ja, dass du’s weißt, mein Mädchen, du bist schwanger!
MUTTER BEA
Wie, du bist schwanger? Ordinäre Hure!
Das Kind wird auf der Stelle abgetrieben!
ESKE
Ach Mama, Mama, sag, was soll ich tun?
MUTTER BEA
Herr Doktor, treiben Sie das Baby ab!
Die Eske ist doch selber noch ein Kind.
DOKTOR
Beim Eide des Hippokrates, Frau Mutter,
Das Leben unsrer Eske will ich retten.
Besorgen Sie sich den Beratungsschein
Und gehen eilig dann ins Krankenhaus.
MUTTER BEA
Sie sind ein Lebensretter, lieber Doktor.

(Doktor ab.)

ESKE
So kurze Lust, so eine schwere Folge!
MUTTER BEA
Wer war es denn, der dir dies Kind gemacht?
ESKE
Nun, Dodo, als wir uns im Heu geliebt.

ACHTE SZENE

(Nacht. Dodo allein auf dem Friedhof. Er steht an Eskes Grab.)

DODO
Nun Eske auch bei der Abtreibung starb,
Hab ich die Lust am Leben ganz verloren!
Ich will zu Eske in das Fegefeuer!
Ich will zu Erich in das Fegefeuer!
O Gott, ich bin des Lebens überdrüssig!
Doch wer erscheint als Geist auf diesem Friedhof?
Du Totengeist aus der Vergangenheit,
Woher kommst du? Und nenn mir deinen Namen!
GEIST
Ich bin der Geist des abgeschiednen Erich.
Heut wird dich Gott mit seinem Schwerte schlagen
Und keiner wird dich finden und verbinden!
DODO
Ich habe noch dein Messer, lieber Erich,
Ich hab es von der göttlichen Julie!
GEIST
Ja, töte dich! Du kannst ja Buße tun
Und Sühne leisten für den Suizid
Im Fegefeuer deiner Läuterung!
DODO
Ich wills! Zu Erich und zu Eske jetzt!

(Ein Unbekannter erscheint.)

UNBEKANNTER
Du willst dich doch nicht etwa selbst ermorden?
DODO
Ach, ich ertrag nicht mehr die Daseins-Hölle!
UNBEKANNTER
Ich kenne dich, mein lieber Bruder Dodo,
Ich sage dir, mein Lieber: Du sollst leben!
Du bleib am Leben! Denn du sollst erblühen
Wie eine weiße Lilie auf dem Felde!
DODO
Wer sind Sie aber, unbekannter Herr?
UNBEKANNTER
Wenn du nach meinem Namen weiter fragst,
So sag ich dir, mein Name ist: Das Leben!

(Unbekannter ab.)

DODO
So will ich leben und um Eske trauern!
Ach, möge Eske mir zum Engel werden!

(Dodo verlässt den Friedhof.)

DIE HEILIGE HURE THAISIS

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(Vor der Klause des Eremiten Paphos.)


PAPHOS
Ein schamloses Weib lebt in unserem Land.
DER SCHÜLER
Die ist verderblich für die Männer?
PAPHOS
Sie strahlt in wunderbarer Schönheit! Doch ihr Lebenswandel erregt den Heiligen tiefen Weltekel!
SCHÜLER
Elend! Wie heißt sie?
PAPHOS
Thaisis, der Göttin Isis gehörig.
DER SCHÜLER
Ah, die Hure?
PAPHOS
Sie!
DER SCHÜLER
Ihre Verderbtheit ist keinem Mann ein Geheimnis mehr.
PAPHOS
Und das ist auch kein Wunder! Denn nicht mit wenigen geht sie die breite Straße zur Verdammnis.
Ah! Ihrer Schönheit Zauber scheint alle Männer in das Loch der Hölle zu locken!
DER SCHÜLER
Unglück!
PAPHOS
Leichtsinnige Jugendliche nicht allein verschwenden all ihr Hab und Gut im Dienst an der Hure,
auch angesehne Bürger lassen sich von ihr berauben. Was sie nur Kostbares besitzen, das wandert
in das Haus der Hure, sie schenken sich arm, um Thaisis zu bereichern.
DER SCHÜLER
Vom bloßen Hören bin ich erschrocken.
PAPHOS
Ganze Scharen von Hurenböcken strömen zu ihr.
DER SCHÜLER
Sie richten sich zu Grunde.
PAPHOS
Und blind vor Geilheit erregen diese Menschen Zank und Streit, wer Thaisis zuerst haben darf.
DER SCHÜLER
Eine Sünde hat doch immer noch eine andere Sünde im Gefolge.
PAPHOS
Das ist ein Kampf vor dem Haus! Bald schlagen sie sich mit den Fäusten, bald gehen sie mit
Waffen aufeinander los. Der Hure Schwelle wird von Blut überschwemmt.
DER SCHÜLER
Schande!
PAPHOS
Und diese beweinenswerte Schmach erzeugt mir meine Traurigkeit!
DER SCHÜLER
Da hast du wirklich Grund zum Trauern! Ich zweifle nicht, dass selbst die Heiligen im Himmel mit
dir weinen.
PAPHOS
Wenn ich als Freier verkleidet zu Thaisis gehen würde, ob es noch möglich wäre, sie von dem
breiten Pfad zurückzuführen?
DER SCHÜLER
Der Heilige Geist, der dir diesen Plan eingab, wird dir auch die Kraft geben, ihn auszuführen.
PAPHOS
O bete für mich, damit mich nicht die Schlange durch ihre Klugheit besiegt!
DER SCHÜLER
Maria, die den Satan besiegt, möge ihres Unbefleckten Herzens Triumph herbeiführen!

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Auf dem Marktplatz von Alexandria.)

PAPHOS
Dort auf dem Marktplatz seh ich Jugendliche. Ich will an sie heran gehen und sie fragen, wo ich
Thaisis finde.
JUGENDLICHER
Da, ein Fremdling kommt zu uns, lasst uns sehen, was er will.
PAPHOS
(von weitem)
Ihr Jugendlichen, wer seid ihr?
JUGENDLICHER
Einwohner von Alexandria.
PAPHOS
Ich grüße euch.
JUGENDLICHER
Ich grüße dich auch, ob du ein Bürger unseres Landes bist oder ein Ausländer.
PAPHOS
Ich bin ein Ausländer und gerade erst angekommen.
JUGENDLICHER
Was suchst du?
PAPHOS
Das kann ich dir nicht sagen.
JUGENDLICHER
Warum nicht?
PAPHOS
Ich möcht es gerne für mich behalten.
JUGENDLICHER
Besser, du sprichst. Da du kein Mitbürger bist, dürfte es dir nur schwer gelingen, ohne Rat der
Bürger irgendetwas hier zu vollbringen.
PAPHOS
Was aber, wenn ich gerade durch meine Offenheit ein Hindernis für meinen Plan erzeugte?
JUGENDLICHER
Hab keine Angst.
PAPHOS
So gebe ich gerne nach und will euch mein Geheimnis enthüllen.
JUGENDLICHER
Wir werden dir keine Feindschaft entgegenbringen.
PAPHOS
Ich hab von dem einen und andern gehört, dass unter euch ein Weib lebt, die alle Welt zur Liebe
reizt und nicht mit ihren Reizen geizt!
JUGENDLICHER
Kennst du ihren Namen?
PAPHOS
Ja.
JUGENDLICHER
Wie heißt sie?
PAPHOS
Thaisis.
JUGENDLICHER
Ah! Sie steckt unsere ganze Stadt in Brand!
PAPHOS
Man sagt, sie sei die liebenswürdigste Frau und sehr reizend anzuschauen?
JUGENDLICHER
Das ist die Wahrheit.
PAPHOS
Wegen ihr bin ich hierher gekommen, um sie zu sehen, bin ich gekommen.
JUGENDLICHER
Da hindert dich nichts.
PAPHOS
Wo wohnt Thaisis?
JUGENDLICHER
Ihr Haus ist ganz in der Nähe, da! Schau doch!
PAPHOS
Das Haus dort, auf das du zeigst?
JUGENDLICHER
Ja.
PAPHOS
So will ich erst recht zu ihr!
JUGENDLICHER
Wenn du willst, kommen wir mit.
PAPHOS
Ich geh lieber allein zu ihr.
JUGENDLICHER
Wie du willst.

ZWEITE SZENE

(Haus der Thaisis.)

PAPHOS
(von außen)
Bist du da, Thaisis? Ich suche dich!
THAISIS
Wer ist da? Wer spricht da? Ein Fremder?
PAPHOS
Aber ich liebe dich!
THAISIS
(nachdem sie Paphos hereingelassen hat)
Wer mir sein Herz schenkt, dem schenk ich meine Liebe!
PAPHOS
O Thaisis, Thaisis! Was für einen weiten Weg hab ich hinter mir, um mich an deiner Stimme
Gesäusel zu erquicken, an deiner Lippen Schönheit mich zu ergötzen!
THAISIS
So will ich mein Angesicht nicht verschleiern, und wenn du mit mir plaudern willst – ich bin dir
gern zu Willen.
PAPHOS
Doch unser Gespräch bleibe geheim, und das erfordert einen geheimeren Ort als dieses
Wohnzimmer.
(Sie gehen in Thaisis’ Schlafzimmer.)
THAISIS
Schau, mein gemütliches Schlafzimmer, hier ist es schön.
PAPHOS
Hast du nicht noch einen anderen Raum, noch geheimer und noch verborgener, wo uns keiner
belauschen und beobachten kann?
THAISIS
Ja, ich habe einen Raum, der ist so verborgen, dass ihn außer mir niemand kennt als der Gott der
Liebe.
PAPHOS
Der Gott der Liebe? Von welchem Gott redest du?
THAISIS
Ich rede von dem lebendigen Gott.
PAPHOS
Glaubst du auch, Gott sei allweise?
THAISIS
Sicher, Gott weiß alles.
PAPHOS
Glaubst du, dass er die Sünden der Sünder nicht sieht?
THAISIS
Ich glaube, er belohnt die guten Werke der Guten und bestraft die bösen Taten der Bösen.
PAPHOS
O Jesus Christus! Wie wunderbar ist deine Gnade! Geduldig bist du mit denen, die sündigen,
obwohl sie behaupten, dich zu kennen.
THAISIS
Was hast du? Warum bist du plötzlich so traurig?
PAPHOS
Ich erschrecke, wenn ich an dein ewiges Schicksal denke, und ich beweine deine Verdammnis. Du
kennst den Herrn und lebst doch in Sünde?
THAISIS
Ah weh mir!
PAPHOS
Du beleidigst die göttliche Majestät! Wie schmerzlich wird deine Strafe sein!
THAISIS
Ewiger Gott! Was sprichst du da? Ich? Was droht mir?
PAPHOS
Die Hölle droht dir, wenn du nicht von dem Weg der Sünde umkehrst.
THAISIS
Grässlich!
PAPHOS
Du sollst ruhig erschrecken, so dass du nicht mehr der Wollust Sklavin sein willst!
THAISIS
Wie könnte in meinem Busen ein Raum bleiben für die Sinnenlüste, da nur noch bittere Traurigkeit
in meinem Busen ist und das Bewusstsein schwerer Schuld!
PAPHOS
So soll es sein. Und wenn du das Unkraut der Sünde ausgejätet hast, so begieße den Garten deiner
Seele mit Tränen der Reue.
THAISIS
Bist du denn noch voller Hoffnung für mich? Glaubst du, ich Sünderin, die ich mich tausendmal
und abertausendmal im Pfuhl der Sünde gewälzt, ich könnte noch gereinigt werden und, durch
welche Buße es auch sei, die Gnade Gottes erlangen?
PAPHOS
Keine Sünde ist so schwer, dass sie nicht mit Reuetränen gesühnt werden könnte, wenn dann auch
die Taten der Buße folgen.
THAISIS
So flehe ich dich an, Pater, zeige mir das Werk der Liebe, wie ich mich mit Gott versöhnen kann!
PAPHOS
Verachte alle zeitlichen Güter, und fliehe deiner Freier sündige Gemeinschaft.
THAISIS
Und dann?
PAPHOS
Begib dich in die Stille. Such einen Ort, wo du dein Selbst beschauen kannst und beweinen deiner
Sünden ungeheure Schwere.
THAISIS
Glaubst du, das könnte mich retten? So will ich nicht länger zögern.
PAPHOS
Es bringt dich näher zu Gott, gewiss.
THAISIS
Gib mir nur noch ein bisschen Zeit, dass ich den Mammon schnell einstecke, dem ich so lange
gedient und dem ich auf so sündigem Wege nachgejagt bin.
PAPHOS
Kümmere dich doch nicht um die Schätze!
THAISIS
Ich will sie ja nicht für mich, ja, ich will sie noch nicht einmal den Armen schenken, denn
Hurenlohn scheint mir zum Almosen nicht geeignet.
PAPHOS
Was willst du dann mit den Schätzen tun?
THAISIS
Ich werde sie ins Feuer werfen!
PAPHOS
Warum?
THAISIS
Damit auf Erden nichts bleibt, das ich mir durch die Sünde erwarb und durch die Verspottung
meines Schöpfers.
PAPHOS
Wahre Sinnesänderung! Du bist die Thaisis nicht mehr, die du früher warst, da dich nach sündiger
Wollust gelüstete und nichts als Habsucht in deinem Herzen war.
THAISIS
Möge es dem Herrn gefallen, mich in eine bessere Thaisis zu verwandeln.
PAPHOS
Unwandelbar ist die Substanz des Höchsten, doch ist es ihm leicht, unsere Substanz zu wandeln.
THAISIS
So will ich gehen und tun, was ich gesagt habe.
PAPHOS
Gehe hin in Frieden und komm bald zurück zu mir!

DRITTE SZENE

(Auf dem Marktplatz.)


THAISIS
(beschäftigt, ihr Gold und Geschmeide auf einen Scheiterhaufen zu legen)
Kommt alle her zu mir! Versammelt euch, alle, die ihr mich geliebt habt!
FREIER
Ist das nicht die Stimme von Thaisis? Schnell, schnell zu ihr! Wir könnten sie sonst durch langes
Ausbleiben kränken.
THAISIS
Kommt schnell her! Ich hab euch etwas Wichtiges zu sagen.
FREIER
Was machst du, Thaisis? Was soll der Scheiterhaufen, den du aufgehäuft hast? Und diese Menge
von Schmuck darauf, was soll das?
THAISIS
Wollt ihr das wirklich wissen?
FREIER
Wir sind sehr neugierig.
THAISIS
So will ich es euch sagen.
FREIER
Das wär lieb.
THAISIS
Achtung!
(Sie zündet den Scheiterhaufen an)
FREIER
Thaisis, was machst du? Bist du wahnsinnig geworden?
THAISIS
Wahnsinnig nicht, ich fühle mich vielmehr sehr gesund.
FREIER
Was soll denn das, dass du vierhundert Drachmen an Gold und Edelsteinen vernichtest?
THAISIS
Was ich mir durch meine Sünde erworben habe, all eure Geschenke, das soll das Feuer jetzt
schmelzen. Auch nicht ein einziger Hoffnungsschimmer soll euch bleiben, dass ihr mich in Zukunft
wieder eurem Liebesgesäusel willig seht.
(Sie will weggehen)
FREIER
Verweile einen Augenblick, du bist so schön! Sag uns, was dir den Geist verstörte.
THAISIS
Ich bleibe nicht und mag auch nicht länger mit euch plaudern.
FREIER
(Sie halten Thaisis fest)
Warum verachtest du uns? Warum verschmähst du uns? Sind wir dir nicht immer treu ergeben
gewesen? Noch immer haben wir dir jeden deiner Wünsche erfüllt. Willst du etwa mit diesem
unverdienten Hass uns danken?
THAISIS
Lasst mich los! Geht, haltet mich nicht länger fest! Ihr werdet mir noch das Hemdchen und
Röckchen zerreißen! Es soll euch genügen, dass ich bisher eurer Begierde willig gedient hab. Ich
will mich sofort von euch trennen! Meine Sündenliebe soll zuende sein.
(Sie reißt sich los und rennt weg)
FREIER
(untereinander)
Wo will sie hin?
THAISIS
(von weitem)
Da will ich hin, wo mich kein Hurenbock finden wird.
FREIER
Teufel auch! Das ist ein unbequemes Wunder! Unser Liebchen, unsre Hure Thaisis, die keine andre
Sorge hatte als Geld und Reichtum zu sammeln, die immer auf Lust und Spaß aus war und in
Wollust förmlich badete, die gibt jetzt auf Nimmerwiedersehen ihr Gold dem Feuer? Und sie
schickt uns weg, uns, ihre treuen Freier? Sie beleidigt uns und lässt uns dann allein zurück?

VIERTE SZENE

(Im Haus der Thaisis)

THAISIS
Da bin ich wieder, o Paphos, mein lieber Pater. Nun will ich dir nachfolgen.
PAPHOS
Du bist ein bisschen lange weggeblieben. Ich hatte schon Angst, dass dich neue sündige Geschäfte
aufgehalten hätten.
THAISIS
Hab keine Angst! Ich denke an nichts Vergängliches mehr. Mit meinem Gold hab ich nun so getan,
wie es mein Plan war, und habe mich in aller Öffentlichkeit von meinen Freiern losgesagt.
PAPHOS
Hast du dich von deinen Freiern geschieden, darfst du den himmlischen Bräutigam freien!
THAISIS
Lieber Pater, sag mir, was ich jetzt tun soll.
PAPHOS
Folge mir.
THAISIS
Deinen Schritten kann ich folgen. O möge Gott mir geben, dass ich dir auch in der Heiligkeit folge!

DRITTER AKT

ERSTE SZENE

(Vor einem Kloster)

PAPHOS
Da ist das Kloster, da die heiligen Jungfrauen wohnen. Hier sollst du von nun an leben, hier bringe
dem Gott der Liebe deine brünstigen Gebete dar.
THAISIS
So soll es sein.
PAPHOS
Ich will die Mutter bitten, die Führerin der heiligen Jungfrauen, dich anzunehmen.
THAISIS
Und was soll ich solange tun?
PAPHOS
Begleite mich.
THAISIS
Ja, gerne.
PAPHOS
Da kommt die Mutter. Wer kann ihr gesagt haben, dass ich mit dir komme?
THAISIS
Das hat Fama geblasen.
PAPHOS
(zur Mutter)
Du kommst gerade recht, o Mutter, ich habe dich gesucht.
MUTTER
Von Herzen willkommen, lieber Pater Paphos. Sei gesegnet, du Geliebter Gottes!
PAPHOS
Die göttliche Gnade beschenke dich mit ewiger Glückseligkeit!
MUTTER
Und was verschafft mir die Ehre deines Besuches?
PAPHOS
Deine Hilfe ist gefordert.
MUTTER
Was willst du, dass ich tue? Sag mir nur deinen Wunsch, und ich will alles tun, was in meiner
Macht steht, dein Begehren zu befriedigen.
PAPHOS
Ich führe ein Zicklein zu dir, das ich den gierigen Wölfen entrissen habe. Hab Mitleid mit ihr und
kümmere dich um ihre Heilung, damit sie bald das raue Fell des Zickleins abwerfe und sich mit
dem weichen Vlies des Lammes bekleide.
MUTTER
Sprich deutlicher.
PAPHOS
Die du hier bei mir siehst, verbrachte ihr Leben als Hure.
MUTTER
Die Unglückliche!
PAPHOS
Der Lust und dem Spaß hatte sie sich ganz hingegeben.
MUTTER
Und so verdarb sie?
PAPHOS
Doch durch mein Gebet und die Gnade Jesu Christi ist sie dem ehemals so heißgeliebten Schmutz
entkommen und will von jetzt an rein sein und bleiben.
MUTTER
Dank sei Gott, der ihr das Herz geöffnet hat!
PAPHOS
Eine Seelenkrankheit lässt sich am besten durch das Gegengift heilen, so ist es nötig, dass die Hure
sich ganz scheide von ihrem Gewerbe. In einer Zelle soll sie leben, wo sie den Gott der Liebe
ungestört lieben kann.
MUTTER
Das wird ihr gut tun.
PAPHOS
Teile ihr also eine schöne Zelle zu.
MUTTER
Das braucht ein bisschen Zeit.
PAPHOS
In dieser Zelle soll keine Tür sein, nur ein Fenster, durch das sie die himmlische Speise empfängt.
MUTTER
Ich fürchte nur, das Mädchen ist zu zart, und sie wird solche Strenge nicht ertragen.
PAPHOS
Schwere Krankheit erfordert eine schwere Pille.
MUTTER
Du sprichst die Wahrheit.

ZWEITE SZENE

(Vor der Thaisis Zelle)

PAPHOS
(zur Mutter)
Wenn irgendjemand Thaisis besuchen kommt, lässt sie sich am Ende doch wieder verführen?
MUTTER
Sie soll verschlossen vor der Welt in ihrer Zelle leben. Die Zelle ist schon bereit.
PAPHOS
Sehr gut. Thaisis, geh nun hinein. Gesegnet ist der Ort deiner täglichen Bekehrung zu Gott.
THAISIS
Wie dunkel ist diese Zelle! Nein, das ist kein Ort zum Aufenthalt für ein zartes Mädchen wie mich!
PAPHOS
Warum erschrickst du vor dem Ernst der Umkehr? Du hast dich nicht erschrocken, als du in Hurerei
deinen Leib geschändet hast!
THAISIS
Ich bin an ein bequemes Leben gewöhnt, ich sehne mich zurück nach dem früheren Leben der Lust!
PAPHOS
Darum ist es notwendig, von der Welt abgeschlossen zu leben, dass du nicht in Versuchung geführt
wirst.
THAISIS
Was deine väterliche Weisheit mir vorschlägt, will ich tun.
(Sie begibt sich in die Zelle)
PAPHOS
Nun ist es Zeit, dass ich zu meiner geliebten Einsamkeit zurückkehre, um meinen treuen Schüler
aufzusuchen. Ich vertraue die Gefangene der göttlichen Liebe deiner Fürsorge an, heilige Mutter.

MUTTER
Mach dir keine Sorgen, Pater, ich will in mütterlicher Fürsorge für sie sorgen.

PAPHOS
So will ich jetzt gehen.

MUTTER
Gehe hin in Frieden.

DRITTE SZENE

(In der Einsiedelei des Paphos)

SCHÜLER
Wer klopft an die Tür?
PAPHOS
Mach auf!
SCHÜLER
Das ist die Stimme von Pater Paphos.
PAPHOS
So öffne doch die Tür!
SCHÜLER
(die Tür öffnend)
Willkommen, lieber Pater!
PAPHOS
Sei gegrüßt.
SCHÜLER
Wie lange bist du weggeblieben! Ich hab mich schon nach dir gesehnt!
PAPHOS
Ich hab in der Zeit viel Gutes geschaffen!
SCHÜLER
Was wurde aus Thaisis?
PAPHOS
Sie hat sich dem Herrn geöffnet.
SCHÜLER
Wo ist sie jetzt?
PAPHOS
In einer Zelle betet sie.
SCHÜLER
Lobpreis sei der Allerheiligsten Dreifaltigkeit!
PAPHOS
Gesegnet sei Ihr Name, vor der die Zeit bebt und die Ewigkeit.
SCHÜLER
Amen.

VIERTER AKT
ERSTE SZENE

(Vor der Einsiedelei des heiligen Antonius)

PAPHOS
Drei Jahre sind vergangen, seit Thaisis sich für Jesus geöffnet hat. Doch weiß ich noch nicht, ob sie
Gnade gefunden hat bei Gott, ob Gott ein Wohlgefallen an Thaisis gefunden hat. Ich bitte den
heiligen Antonius um Erleuchtung!
HEILIGER ANTONIUS
(sieht Paphos von weitem kommen)
Was für eine unerwartete Freude! Welche neue Wonne kommt zu mir? Ich glaube, dort kommt
mein lieber Bruder Paphos. Ja, er ist es!
PAPHOS
Ich bin’s!
HEILIGER ANTONIUS
Willkommen, lieber Bruder! Wie freut mich dein Besuch!
PAPHOS
Und ich freue mich, dich wieder einmal zu sehen.
HEILIGER ANTONIUS
Doch sag, was führt dich zu mir?
PAPHOS
Drei Jahre ist es her, da lebte bei uns eine Hure mit Namen Thaisis. Nicht ihre eigene Seele allein
verdarb sie, sondern zog auch viele Männer mit ins Verderben!
HEILIGER ANTONIUS
Die Unglückliche!
PAPHOS
Ich bin als Freier verkleidet zu ihr gegangen und hab ihre Sündenliebe durch sanftes Zureden
beendet.
HEILIGER ANTONIUS
Wohl war es nötig, deine Worte weise zu mischen, um solche Sünde zu besiegen.
PAPHOS
Endlich ergab sie sich mir. Und als der alte Dämon der Hurerei verflogen war, hat sie sich auf
meinen Rat hin in eine stille Zelle zurückgezogen, um ganz der mystischen Gottes-Ehe zu leben.
HEILIGER ANTONIUS
Wie freut mich diese Frohe Botschaft! Wahrlich, wahrlich, es tanzen alle Nerven meines Herzens
vor Lust und Wonne!
PAPHOS
So freuen sich Heilige. Ich freue mich auch, aber ich bin doch auch noch voller Sorge, ich fürchte,
das verwöhnte Mädchen wird kaum lange den Ernst der Umkehr ertragen.
HEILIGER ANTONIUS
Wenn in einem Herzen Liebe wohnt, herrscht in diesem Herzen auch die mütterliche
Barmherzigkeit Gottes.
PAPHOS
Ich bitte dich um deiner Liebe willen, dass du für Thaisis viel betest, bis wir vom Heiligen Geist
erleuchtet werden, ob Gott Wohlgefallen hat an Thaisis?
ANTONIUS
Ich werde für Thaisis beten.
PAPHOS
Und der Gott der Liebe – ich zweifle nicht daran – wird voller Gnaden unsere glühende Sehnsucht
befriedigen!

ZWEITE SZENE

HEILIGER ANTONIUS
Siehe, die evangelische Verheißung hat sich erfüllt!
PAPHOS
Welche Verheißung meinst du?
HEILIGER ANTONIUS
Die Verheißung, dass wir alles von Gott empfangen können, wenn wir in Christi Namen bitten.
PAPHOS
Was ist geschehen?
HEILIGER ANTONIUS
Meinem Knaben ist eine Vision geschenkt worden.
PAPHOS
Ruf ihn her!
HEILIGER ANTONIUS
Knabe, komm her! Sag dem lieben Pater Paphos, was du geschaut hast.
KNABE
Ich sah in der Nacht ein Bett, das war ein Himmel, mit weißen Decken und Kissen schön gemacht.
Links und rechts von dem himmlischen Bett standen zwei paradiesische junge Frauen, in
strahlender Schönheit, als Schutzengel. Als ich die wundervolle Pracht schaute, da dachte ich:
Dieses Himmelsbett mit den beiden paradiesischen Frauen ist für meinen Vater Antonius
hergerichtet, kein anderer ist würdig eines solchen Bettes, als mein Vater Antonius.
HEILIGER ANTONIUS
Kein Mensch kann solche Glückseligkeit durch Verdient erwerben.
KNABE
Doch als ich dies so dachte, hörte ich wie ein Meeresrauschen und Donner Gottes Stimme, die
sprach: Nicht dem heiligen Antonius ist dieses Himmelsbett bereitet, sondern Thaisis, die heilige
Hure, soll liegen in diesem Himmelsbett.
PAPHOS
Lobpreis sei der Süßigkeit deiner mütterlichen Barmherzigkeit, ewiger Vater! Wie bist du lieb zu
mir und hast meine schwere und tiefe Trauer so über die Maßen tief getröstet!
HEILIGER ANTONIUS
Wahrlich, wahrlich, unser Gott und Herr ist würdig der Anbetung!
PAPHOS
Schnell will ich zu Thaisis gehen und mein Schäfchen besuchen.
HEILIGER ANTONIUS
Es ist die rechte Stunde, die göttliche Hoffnung und die Wonnen der ewigen Glückseligkeit ihr
vorzustellen.

DRITTE SZENE

(Vor der Zelle der Thaisis)

PAPHOS
Thaisis, meine Geliebte, öffne mir dein Fenster schnell! Ich will dich sehen!
THAISIS
Wie komm ich zu der Ehre, dass du, großer Beter, zu mir, der Sünderin, kommst? Woher kommt
dies große Glück?
PAPHOS
War ich auch dem Leib nach drei Jahre fern von dir, ich habe doch jeden Tag für dein Seelenheil
gebetet und gelitten.
THAISIS
Dann wird mir das Seelenheil wohl zuteil werden. Ich glaube an dein Gebet.
PAPHOS
Du hast den Schoß deiner Seele dem himmlischen Bräutigam Jesus geöffnet und darum wird dir
wohl die Wonne der ewigen Glückseligkeit im Paradies zuteil!
THAISIS
O wollte der Geliebte mich bald an sich reißen!
PAPHOS
Gib mir deine Hand, ich führe dich aus der Zelle. Die Stunde ist gekommen, mein Herz, dass du die
Furcht vor dem Tode weit von dir wirfst. Dass du deine Seele Jesus aufgetan hast, hat Gott gefallen,
und so darfst du auf die ewigen Wonnen glücklich hoffen!
THAISIS
O, alle Gottessöhne sollen die göttliche Liebe preisen, die mein demütiges Herz nicht abgewiesen
hat!
PAPHOS
Sei treu in der Liebe zu Jesus und bleibe in ihm, dann bleibt er in dir. In wenigen Tagen wird deine
Seele deinen Leib verlassen. Dann endlich, endlich hast du glücklich deine Pilgerschaft im Tal der
Tränen vollendet. Die Ewige Liebe wird dein sein und du wirst dich zu den höchsten Wonnen der
paradiesischen Glückseligkeit aufschwingen!
THAISIS
Wenn ich vor der ewigen Verdammnis gerettet werde durch den barmherzigen Jesus, dann möge
mein Aufenthalt im Reinigungsort kurz sein! O Ewige Liebe, reiße rasch den letzten Schleier
herunter!
PAPHOS
Alles ist nichts als Gnade! Preise Gott für seine uferlose Barmherzigkeit!
THAISIS
Alle Himmel preisen die herzliche Barmherzigkeit der ewigen Gottheit!
PAPHOS
Die göttliche Barmherzigkeit ist von Ewigkeit zu Ewigkeit. Gott ist Barmherzigkeit, Gott verdammt
nicht eine einzige Seele!

VIERTE SZENE

(Zelle der Thaisis)

THAISIS
Verlass mich nicht, Paphos! Bleib als mein Tröster bei mir in meiner Sterbestunde!
PAPHOS
Ich verlass dich nicht, ich gehe nicht weg, bis deine Seele jubelnd zum Himmel aufgefahren ist und
ich deinen Körper dem Grabesschoße eingesenkt hab.
THAISIS
O Bruder Tod, er kommt.
PAPHOS
Bete zu Jesus!
THAISIS
O mein Jesus, Barmherzigkeit! Jesus, ich vertraue auf dich!
(Sie stirbt)
PAPHOS
Du unerschaffene Ursache aller Welten, du ewiges Sein, du absolute All-Einheit, du ewige Liebe,
mein Herr und mein Gott, der du Thaisis erschaffen hast, ihre Seele gehaucht und ihren Leib im
Schoß der Materie gebildet, nimm ihre Seele auf in deine göttliche Glückseligkeit und bereite ihr
ein Himmelsbett, in dem sie sich mit ihrem Bräutigam Jesus in einer himmlischen Hochzeit
vereinigen kann, und gib ihr in der Auferstehung des Fleisches ihren wunderschönen Leib verklärt
zurück – du, Gottheit, welche die Einzige ist, die du in der Einheit der Allerheiligsten Dreifaltigkeit
von Ewigkeit zu Ewigkeit unsere Schöne Liebe bist! Amen.

MARION BUSSE

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

(Der Ort Norden in Ostfriesland. Vor dem Hotel zur Post stehen einige Leute. Unter ihnen der
Student Peter Schwan.)

LEUTE
Ein Wagen wird aus Dornum kommen, der
Wird Jungfrau Marion nach Norden bringen –
Man hört sehr viel von ihrer reinen Schönheit –
Sie gilt zugleich als unberührte Jungfrau –
Auch ist sie Künstlerin und selber Muse –
Wenn sie erscheint, wird sie uns sicher blenden –
Ich habe jüngst Lysistrata gesehen,
Die Frau allein wird uns den Frieden bringen –
Hat einer ihre Augen schon gesehen? –
Wird sie alleine kommen oder wird
Ihr Bruder Heinrich Buße sie begleiten? –
Was sagst denn du dazu, mein lieber Schwan?
PETER SCHWAN
Ich hörte wohl, sie sei ein Wundermädchen,
Doch ob sie von der Liebe etwas weiß?
LEUTE
Ach Peter Schwan, Student und Bettelbruder,
Was weißt du selber von der Liebe denn? –
Der arme Peter, der weiß nichts von Liebe –
Der ist so rein wie eine keusche Jungfrau –
Der hat noch nie ein schönes Weib geküsst –
Der hat die Manneskraft noch nicht betätigt –
Ja, reden kann er! Aber kann er küssen? –
Er ging den Frauen immer aus dem Weg –
Für ihn ist Sinnlichkeit wohl eine Sünde –
Du bist ein Dichter, kennst die Liebe nicht?
PETER SCHWAN
Ja, Dichter bin ich, kenn die Liebe wohl.
LEUTE
So sing uns doch ein Liedchen von der Liebe.
PETER SCHWAN
(singt)

Die Liebe stammt vom Himmel ab,


Denn ewig ist die Liebe!
Ich lieb die Liebe bis zum Grab,
Daß ich im Himmel bliebe.

Die Liebe führt ins Himmelreich,


Ist uns von Gott gegeben,
Die Liebe ist der Gottheit gleich,
Schenkt uns das wahre Leben.

Bei Liebe kenn ich keinen Spott


Und höhn nicht mit den Spöttern,
Denn durch die Liebe wird uns Gott
In Ewigkeit vergöttern!
ZWEITE SZENE

(Vor dem Hotel zur Post. Im Wagen kommen an: Marion Buße und ihr Bruder Heinrich Buße. Mit
ihnen kommt der Bankangestellte Michael Franke an. Sie steigen aus und sprechen abseits von den
Leuten miteinander.)

HEINRICH BUSSE
Der Vater Heinrich Buße senior hat
Beschlossen, dass du in ein Kloster sollst.
MARION BUSSE
O Bruder, welches Kloster soll es sein?
HEINRICH BUSSE
Der Karmel Unsrer Lieben Frau vom Frieden
In Köln solls sein, dort sollst du hinter Gittern
Dem ganzen Stammbaum derer von der Buße
In strengen Opferleiden Sühne leisten.
MARION BUSSE
Mich aber reizt das Leben mehr der Kunst.
Ich möchte eine junge Muse sein
Und selber Meisterin der Malerei.
HEINRICH BUSSE
Was so ein junges Mädchen alles will!
Du sollst nur wollen, was der Vater will!
MICHAEL FRANKE
Doch solche Klosterschwestern, die geloben
Doch Armut? Armut ist ein elend Ding.
Das Geld muss alles doch zuwege bringen!
HEINRICH BUSSE
Nein, Marion soll nicht der Eitelkeit
Der Welt verfallen! Nichtigkeit ist alles!
MICHAEL FRANKE
Doch solche Klosterschwestern auch geloben
Vor Gott die Keuschheit und Jungfräulichkeit.
Willst du die Liebe ihr denn vorenthalten?
HEINRICH BUSSE
Sie soll nicht gehn den Weg der Hurerei,
Der heute ist der allgemeine Weg.
MICHAEL FRANKE
Doch solche Klosterschwestern auch geloben
Gehorsamkeit vor Mutter Oberin.
HEINRICH BUSSE
Gehorsam soll sie ihrem Vater sein,
Der will, dass Marion wird Karmelschwester.
MARION BUSSE
Und wenn der Vater so mein Unglück will?
Nein, hinter Gittern möchte ich nicht leben!
Ich möchte schaun das Erdenparadies
Und malen alle Winkel meiner Seele!

DRITTE SZENE
(Marion Buße nähert sich dem Hotel zur Post. Peter Schwan erblickt sie – es ist Liebe auf den
ersten Blick!)

PETER SCHWAN
Beim Heiland! Welche tiefen Zauberblicke!
Wie magisch schauen mich die Monde an!
Ich seh in diesen großen Mondenaugen
Die Seele einer lang vergangnen Welt,
Ich glaube gar, in einem andern Leben
War Marion mir Schwester oder Frau!
MARION BUSSE
Wie heißt du? Mensch, ich sehe es dir an,
Du bist ein Dichter oder sonst ein Künstler.
PETER SCHWAN
Ich bin ein Dichter. Manchmal mal ich auch
Ikonen einer strahlenden Madonna
Und manchmal spiele ich auf dem Piano
Von Träumereien oder Mondsonaten.
MARION BUSSE
Mit dir will ich ein großes Kunstwerk schaffen.
Wie wär es mit Theater-Marionetten?
PETER SCHWAN
Ja, soll ich ein Theaterstück dir dichten?
MARION BUSSE
Ja, von der Offenbarung Sankt Johannes.
PETER SCHWAN
Du bist die große Dame auf dem Mond!
MARION BUSSE
Die Dame der geheimen Offenbarung,
Ach, sie erinnert mich grad jetzt daran,
Mein Vater will, ich soll ins Kloster gehen,
Ich soll ins Kölner Karmelkloster gehen.
PETER SCHWAN
Auch ich will oftmals in ein Kloster gehen,
Doch wenn ich’s recht bedenke, will ich nicht
Ins Männerkloster zu den strengen Brüdern,
Nein, lieber Glöckner sein im Schwesternkloster!
MARION BUSSE
Ein Dichter braucht ja immer eine Muse.
PETER SCHWAN
In dir hab ich gefunden meine Muse!
Ich sah dich vorher schon in meinen Träumen.
MARION BUSSE
Mein Bruder kommt. Ich kann nicht weiter reden.
PETER SCHWAN
Komm heute Abend in die Schenke dort,
Zur Borke heißt die Schenke, siehst du, dort,
Dann wollen wir von unsrer Zukunft reden.

VIERTE SZENE
(Im Hotel zur Post. Michael Franke spricht mit dem Hotelwirt. Neben ihm am Tresen steht Enno
Fink, ein Trinker.)

MICHAEL FRANKE
Hotelwirt, hast du dieses Weib gesehen?
HOTELWIRT
Die junge Frau mit Namen Marion?
MICHAEL FRANKE
Ach, Namen sind ja nichts als Schall und Rauch,
Ob Marion, ob sie nun Eva heißt,
Ein Klasseweib von ganz besondrer Schönheit!
Zu schade doch für hohe Klostermauern
Und die Klausur im Schatten dichter Gitter.
Hotelwirt, hier hast du genügend Geld,
Bestell mir einen Wagen für heut Nacht.
HOTELWIRT
Verlässt du uns schon wieder, guter Mann?
MICHAEL FRANKE
Ja, ich verlasse dies Ostfriesland heute
Um Mitternacht und zwar mit Marion.
HOTELWIRT
Entführen willst du dieses schmucke Mädchen?
MICHAEL FRANKE
Als Schmuckstück soll sie mir mein Leben schmücken.

(Enno Fink, der zugehört hat, entfernt sich unauffällig und tritt aus dem Hotel zur Post und redet
mit seinem Freund Peter Schwan, der draußen bei einem Glas Bordeaux sitzt.)

ENNO FINK
Mein lieber Peter Schwan, mein Saufkumpan,
Der Franke Michael, der Bankmann drinnen,
Entführen will er deine Marion.
PETER SCHWAN
Entführen will er Marion? Und wann?
ENNO FINK
Heut grade zu der Zeit der Mitternacht.
Er hat sich einen Wagen schon bestellt.
PETER SCHWAN
Ach, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
ENNO FINK
Da musst du schneller sein, mein lieber Dichter.
PETER SCHWAN
Heut seh ich in der Borke Marion,
Am späten Abend werden wir uns treffen,
Ich frag sie, ob sie mit mir fliehen will.

FÜNFTE SZENE

(Die Schenke Zur Borke in Norden. Peter Schwan und Marion Buße sitzen am Tisch. Vor der
Schenke steht schon der Wagen, den Michael Franke bestellt hat. Es ist kurz vor Mitternacht.)
PETER SCHWAN
Komm, meine stumme Taube unter Fremden,
Komm mit mir, vielgeliebte Colombine!
MARION BUSSE
Wenn ich die Colombine bin, bist du
Pierrot, der melancholische Gefährte.
PETER SCHWAN
Wir wollen durch Europa ziehn und singen
Und lustig musizieren wie Zigeuner.
(Er singt)

O Gott, ich hab dich wirklich lieb,


Denn du beschenkst den Pferdedieb!
Gestohlen hab ich Pferde viel,
Nun dank ich dir beim Kartenspiel!

MARION BUSSE
Du bist ein Träumer, trauriger Pierrot.
PETER SCHWAN
Ich aber liebe dich und brauche dich
Und wer gebraucht wird, der ist nicht mehr frei.
MARION BUSSE
Will nicht gebraucht sein, sondern will geliebt sein!
PETER SCHWAN
Da draußen steht der Wagen, den dein Michael
Bestellt, bezahlt hat, um dich zu entführen.
Laß uns in diesen Wagen steigen, fliehen!
MARION BUSSE
Wie Mohammed geflohen ist aus Mekka
Und kam dann nach Medina als Prophet.
PETER SCHWAN
Ich bin Prophet, und du bist meine Muse,
Madonna der geheimen Offenbarung!
MARION BUSSE
Zieh mich dir nach und laß uns eilen, Liebster!

(Sie verlassen die Schenke. Vor der Tür stehen Leute. Peter und Marion steigen in den Wagen und
fahren ab. In dem Augenblick kommen Heinrich Buße und Michael Franke. Sie sehen Marion
flüchten.)

HEINRICH BUSSE
So lässt du Vaterhaus und Vaterland?
MICHAEL FRANKE
Und du wirst dennoch mein, du wildes Weib!
DIE LEUTE
Ihr Narren! Ist euch euer Schatz geraubt? –
Den Käfig hat das Vögelein verlassen –
Jetzt steht ihr da, verdutzte Idioten –
Lasst fahren alles allzu Flüchtige –
Wer Frauen traut, der hat auf Sand gebaut –
MICHAEL FRANKE
Lacht nur! Auf meiner Seite ist das Geld!
Seit Eva lieben Frauen goldnen Schmuck!

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE

(Peter Schwan und Fräulein Buße in Paris, in einer sehr schlichten Dachkammer.)

PETER SCHWAN
Wie schön ist unsre Kammer unterm Dach!
Geliebte, in der Liebesstadt Paris
Ich will nun stets an deinen Brüsten liegen!
Nur aus dem Hause geh ich, Brot zu kaufen,
Kaffee zu kaufen, nicht mal roten Wein.
Ich brauche keinen Rausch des Weines mehr,
Wenn trunken ich an deinen Brüsten liege!
FRÄULEIN BUSSE
Geliebter, schön ist doch die Jugendzeit,
Paris, die Stadt der Liebe, ist so schön!
Ich möchte einmal sehen Notre Dame!
PETER SCHWAN
Du bist ja Notre Dame, und ich dein Glöckner!
FRÄULEIN BUSSE
Wir haben leider bald kein Geld mehr, Lieber.
PETER SCHWAN
Dann male doch ein Bild, du Künstlerin!
FRÄULEIN BUSSE
Soll malen ich den androgynen Vater,
Der trägt ein Glied inmitten seiner Schenkel
Und Frauenbrüste an dem Oberkörper?
PETER SCHWAN
Mal du das herrliche Geschlecht des Mannes
Vereint mit dem Geschlechte eines Weibes!
FRÄULEIN BUSSE
Du kennst doch die französische Komödie?
PETER SCHWAN
Wovon denn handelt die Komödie Frankreichs?
FRÄULEIN BUSSE
Nun, eine schöne Frau liebt einen Mann,
Der Mann weiß aber gar nicht, was er will,
So plappert er Gered der Philosophen,
Sie aber müht sich sehr um den Geliebten
Und schließlich: Sie vereinen sich im Bett.
PETER SCHWAN
Geliebte, lass doch Notre Dame und lass
Die Isle de la Cité, den Bogen des
Triumphes, die Elysischen Gefilde,
Hotel de Dieu und Efeuturm und komm,
Geliebte, komm zu mir ins breite Bett!
Victor Hugo beschrieb einst eine Straße,
Die rue de paradis, da sagte er:
Das war mein Paradies, das war das Bett,
Dort liebte ich die göttliche Julie!

ZWEITE SZENE

(Marion Buße trifft ihren Bruder Heinrich Buße in Paris, wie zufällig, auf der Straße. Er führt sie zu
Michael Franke, der in einem reichen Viertel wohnt.)

MARION BUSSE
Mein Bruder! Du bist also in Paris?
HEINRICH BUSSE
Da wo die Schwester ist, da ist der Bruder.
MARION BUSSE
Willst du mit mir nicht einen Kaffee trinken?
HEINRICH BUSSE
Ja, aber nicht in dem Café der Straße,
Ich weiß da eine Wohnung, wo willkommen
Nicht nur der Bruder, noch vielmehr die Schwester.

(Sie kommen an ein vornehmes Haus.)

MARION BUSSE
Wer wohnt in dieses Hauses Herrlichkeit?
HEINRICH BUSSE
Ein Mann, der große Sehnsucht nach dir hat.

(Sie klopfen an. Michael Franke öffnet die Tür.)

MARION BUSSE
Der Franke Michael! Was machst du hier?
MICHAEL FRANKE
Komm nur herein, geliebte Marion!
Zwar heute ist nicht grad der Weihnachtstag,
Doch hab ich einen ganzen Berg Geschenke
Für meine angebetete Geliebte!
MARION BUSSE
Ich bin des Elends meiner Armut satt!
Ja, wenn die ganze Menschheit elend wär,
Ich fügte mich bescheiden in das Schicksal.
Nun geht es aber allen Menschen gut,
Nur, weh mir, ich allein bin arm und elend.
MICHAEL FRANKE
Ja, Bettelmönche mögen das verklären
Und Künstler das vielleicht romantisch finden.
Ich glaube nicht, dass stinken tut das Geld.
Schau, hier ist Schmuck aus Südamerika,
Der Maya Gold, ich leg es dir zu Füßen.
Ich schenke dir ein goldenes Peru.
MARION BUSSE
Der Schmuck ist schön. Ich danke dir dafür.
(Sie legt den Schmuck an und besieht sich im Spiegel.)

MICHAEL FRANKE
Nicht danken sollst du, liebe mich dafür!

DRITTE SZENE

(In der Wohnung von Michael Franke. Marion Buße ist schön gekleidet und reich geschmückt.
Einige Freunde von Michael Franke sind zu einem abendlichen Fest gekommen.)

MICHAEL FRANKE
Schaut, meine Freunde, diese schöne Frau!
FREUND 1
Ich dreh mich auf der Straße nach ihr um.
FREUND 2
Die ist noch schöner als mein eignes Weib.
FREUND 3
So schön ist sie und so ein liebes Wesen.
FREUND 4
Sie ist die Mutter der Barmherzigkeit.
MICHAEL FRANKE
Und heute Abend wird sie für uns tanzen.
FREUND 1
Ja, wird sie für uns tanzen auf dem Tisch?

(Michael Franke stellt einen Musikapparat an, es ertönt orientalische Tanzmusik. Marion Buße tanzt
einen orientalischen Bauchtanz.)

MICHAEL FRANKE
So tanzt die Bajadere für die Götter!
FREUND 1
So tanzte Salome für Sankt Johannes.
FREUND 2
He, Freunde, haltet eure Köpfe fest!
MICHAEL FRANKE
Sagt, hab ich nicht ein wunderschönes Weibchen?
FREUND 3
Das passt sehr gut, ein Mann mit reichlich Geld,
Ein schönes Weib dazu mit goldnem Schmuck.
FREUND 2
So, Michael, kannst du dich sehen lassen
In der Gesellschaft, die die gute heißt.
Ein schönes Weib ist wie ein teures Schmuckstück.
FREUND 4
Ist sie auch anschmiegsam wie eine Katze?
MARION BUSSE
Die Katzen auf den Dächern von Paris
Sind nicht so zärtlich anschmiegsam wie ich.
MICHAEL FRANKE
Ihr habts gehört. Ich bin der Herr im Haus,
Sie ist der Edelstein in meiner Krone,
Ich bin ihr Haupt und habe hier zu sagen,
Ich liebe sie wie meinen eignen Leib.
MARION BUSSE
Ich ehre dich und bin dir auch gehorsam.
FREUND 4
Auf Erden habt ihr schon das Paradies.

DRITTE SZENE

(In Michael Frankes Haus. Michael Franke und seine Freunde gehen aus dem Haus, um in den
öffentlichen Häusern weiter zu feiern. Marion Buße schaut wehmütig aus dem Fenster. Da treten
Heinrich Buße und Peter Schwan ein.)

PETER SCHWAN
Geliebte, meine Flötenspielerin,
Ich lege dir die Rose hier zu Füßen!

(Peter Schwan legt Marion Buße eine rote Rose zu Füßen. Sie hebt die Rose auf und pflückt die
Blütenblätter einzeln ab und verstreut sie im Raum.)

MARION BUSSE
Ich schenk die rote Rose deiner Liebe
Der ganzen Menschheit und der ganzen Schöpfung!
PETER SCHWAN
O hohe Herrin, laß mich knien vor dir,
Leg du mir deine Hände auf das Haupt
Und gib mir deinen göttingleichen Segen!

(Er kniet vor ihr. Sie legt ihm die Hände auf das Haupt.)

MARION BUSSE
Die Weisheit Gottes ewig sei mit dir!
Doch nun erhebe dich und sage mir,
Warum bist du gekommen und was willst du?
PETER SCHWAN
Ich wollt noch einmal deine Augen sehn!
MARION BUSSE
Ich hab von dir geträumt, mein lieber Schwan,
Wir kennen uns seit Millionen Jahren.
PETER SCHWAN
Umarme mich, Madonna meiner Seele!

(Sie umarmen sich.)

MARION BUSSE
Geh, du mein lieber Freund, ich komme nach.
Ich will den Schmuck aus Südamerika
In einem Koffer doch noch mit mir nehmen.
Nun geh, bevor dich Michael entdeckt,
Sonst bist du deines Lebens nicht mehr sicher.
Wir treffen uns in unsrer Künstlerbude!
(Peter Schwan ab. Marion Buße packt ihren Schmuck in eine Tasche und geht auch ab.)

VIERTE SZENE

(Marion Buße verlässt gerade mit ihrer Tasche voller Schmuck die Wohnung von Michael Franke,
da begegnet ihr vor der Tür Michael Franke, der mit einem Polizisten im Gespräch ist. Er entdeckt,
dass sie mit dem Schmuck fliehen will.)

MICHAEL FRANKE
So dankst du mir, du liederliche Hure?
MARION BUSSE
Kein Weib wird gern als Hure angeredet.
MICHAEL FRANKE
Und doch, ich weiß es schon seit Jugendtagen,
Wenn einer nicht von Huren reden soll,
So muss er überhaupt von Weibern schweigen.
MARION BUSSE
Nicht weil du Geld hast, bleibe ich bei dir.
Ich habe keine Angst vor Not und Elend.
MICHAEL FRANKE
So seid ihr Künstler, Hungerleider seid ihr,
Die Herrin Armut preist ihr hochgesinnt,
Doch von dem Bankmann nehmt ihr gern den Schmuck.

(Er wendet sich an den Polizisten.)

Gendarm, die Hure hier hat mich bestohlen,


So machen Sie nur mal die Tasche auf,
Sie finden Schmuck aus Südamerika.
MARION BUSSE
O Michael, den hast du mir geschenkt!
POLIZIST
Wem denn gehört nun dieser goldne Schmuck?
MICHAEL FRANKE
Mir, mir allein, ich habe ihn gekauft,
Ich habe dieses Weib damit geschmückt,
Dass ich mich sehen lassen kann in der
Gesellschaft feiner Leute mit der Dirne.
Ich habe diesen Schmuck doch nicht gekauft,
Dass sie ihn trägt zu ihrem Bettelmönch!
POLIZIST
Madam, ich muss sie leider jetzt verhaften.
MARION BUSSE
Zum Himmel schreit die Ungerechtigkeit!
POLIZIST
Sie können einen Advokaten nehmen.
MARION BUSSE
Ja, diese Advokatenklasse kenn ich,
So sagte einst ein Advokat zum Richter:
Ja, mein Klient, er ist des Todes schuldig!
DRITTER AKT

ERSTE SZENE

(Marion Buße im Gefängnis. Ihr Advokat Herr Benoni ist bei ihr.)

MARION BUSSE
Was hat beschlossen das Gericht? Was gibt’s?
HERR BENONI
Das Todesurteil über dich erging.
MARION BUSSE
Gut. Soll ich sterben, also sterbe ich.
HERR BENONI
Doch ich verwandelte das Todesurteil
In lebenslange Haft in dem Gefängnis
Sankt Quentin drüben in Amerika.
MARION BUSSE
So lehrte schon der weise Denker Platon,
Dass meine Seele Schuld auf sich geladen
Und aus dem Himmel der Ideen fiel
In einem ersten Sündenfall am Anfang
Und kam in das Gefängnis der Materie
Und wandte sich mit Lust dem Fleische zu.
Doch kommt der Advokat, der Paraklet,
Der Geist zur Seele kommt in das Gefängnis.
HERR BENONI
So sagt man, Heilig Geist ist Advokat,
So ist der Advokat wohl Heilig Geist.
MARION BUSSE
Der wahre Paraklet befreit die Seele
Und löst sie aus dem Kerker ihres Fleisches.
HERR BENONI
Morbide Philosophensprüche dies!
Mir, mir hast du dein Leben zu verdanken!
MARION BUSSE
Was soll ich mit dem Leben in Sankt Quentin?
HERR BENONI
Wenn du schon Philosophensprüche liebst:
Im Dasein ist verborgen eine Schuld,
Die Menschen fressen Tiere und die Tiere
Selbst fressen Tiere und sie fressen Pflanzen
Und alles ist voll Sterben und Verwesung.
Begleiche du die Sünden deines Daseins,
Begleiche du die Schuld der Existenz,
Indem du in Sankt Quentin Buße tust,
Wie schon dein Name dich berufen hat,
Weil Nomen Omen ist und du bist Buße.
MARION BUSSE
So will ich Buße tun, doch nicht allein
Für meine Sünde, sondern für die Schuld
Der Väter auch und auch der ganzen Menschheit.

ZWEITE SZENE

(Vor dem Gefängnis, in dem Marion Buße sitzt, stehen schwarzgekleidet Heinrich Buße und Peter
Schwan. Mondhelle Nacht.)

HEINRICH BUSSE
Die Schwester zu befreien, ach, vergebens!
PETER SCHWAN
Vergebens! Großes Wort des ganzen Lebens!
HEINRICH BUSSE
Was nur der Menschengeist vermag – vergebens!
PETER SCHWAN
Ach, alle Mühen unsrer Kraft – vergebens!
HEINRICH BUSSE
Des Lebens Arbeit – nichts als Nichtigkeit!
PETER SCHWAN
Ganz wie die Ohnmacht des Allmächtigen!
HEINRICH BUSSE
Vergebne Liebesmüh das ganze Drama!
PETER SCHWAN
Die Seele ist ein Vögelchen im Käfig.
HEINRICH BUSSE
Was kann ich noch für meine Schwester tun?
PETER SCHWAN
Ach, könnten meine Tränen sie befreien!
HEINRICH BUSSE
Die Menschenfeinde haben sie gefangen.
PETER SCHWAN
Der Menschenfreund bleibt ohne Macht zurück.
HEINRICH BUSSE
Wie dunkel ist doch dieses Erdental!
PETER SCHWAN
Ja, lacrimosum valle – diese Erde!
HEINRICH BUSSE
Wenn Gott Gewitter von dem Himmel schickte!
PETER SCHWAN
Wenn Gottes Donner diese Wände bräche!
HEINRICH BUSSE
Die Gottheit hüllt sich ein in tiefes Schweigen.
PETER SCHWAN
Vorsehung Gottes, siebenfach verschleiert!
HEINRICH BUSSE
Ergeben wir uns still in Gottes Willen.
PETER SCHWAN
So mancher hilft sich mit dem Fatalismus.
HEINRICH BUSSE
O dunkle Seele unsrer armen Ohnmacht.
PETER SCHWAN
Die Liebe ist ein Opfer der Gemeinen.
HEINRICH BUSSE
Vermählen wir mit ihrem unser Opfer.
PETER SCHWAN
Der Tod erlöst uns? Ach, wir sind unsterblich.

DRITTE SZENE

(Im Hafen von Marseille liegt das Schiff Sankt Maria, das Marion Buße nach Amerika bringen soll,
ins Gefängnis Sankt Quentin. Marion Buße wird in Ketten von einem Polizisten auf das Schiff
gebracht.)

MARION BUSSE
O jenseits von den Säulen Herkules’
Die Insel liegt im Wasser dort, Atlantis.
POLIZIST
Europa war ein junges Mädchen einst
Und schwamm auf Gottes weißem Stier nach Kreta.
MARION BUSSE
Frau Simonetta war die schlanke Venus,
Ihr Bruder war Americo, der Seemann.
POLIZIST
Europa aber auf drei Säulen ruht,
Ruht auf Jerusalem, Athen und Rom.
MARION BUSSE
Doch wenn Atlantis wieder aus dem Meer taucht?
POLIZIST
Europa ist der Gipfel der Kultur.
MARION BUSSE
Die Indianerin Amerika,
Die Kaiserin der zwei Amerika,
Erwartet sie mich im gelobten Land?
POLIZIST
In Deutschland Denker sind und Dichter sind,
In Frankreich leben glücklich die Verliebten,
In Roma aber residiert der Papst.
MARION BUSSE
Wenn die jungfräuliche Amerika
Aus dem Atlantik auftaucht, jung und nackt,
Und wenn sie naht sich der Virginia,
Wenn Göttin Freiheit hoch die Fackel hält,
Dann bin ich wohl in Gottes eignem Land?
POLIZIST
Hier ist das Abendland der Mutter Kirche.
Dort tümmeln sich fanatisch nur die Sekten.
MARION BUSSE
Doch dort ist Mexiko, das Land des Mondes!
POLIZIST
Vom Land des Mondes kriegst du nichts zu sehen,
Sankt Quentin schließt dich ein in seine Mauern.
MARION BUSSE
Ist denn die ganze Erde ein Gefängnis?
POLIZIST
Die Flut des Bösen ist gewaltig groß!
MARION BUSSE
Wie halt ich auf die große Flut des Bösen?
Soll denn mein Leben eine Agonie sein?
POLIZIST
Nun schweige, Marion, sei still vor Gott
Und lausche auf das Schweigen deiner Gottheit.

VIERTE SZENE

(Nacht. Das Schiff Sankt Maria liegt im Hafen von Marseille. Peter Schwan, schwarz gekleidet wie
die Nacht, schleicht sich an.)

PETER SCHWAN
Sie haben meinen Liebling mir entführt!
Ihr Bösen, wenn ihr eure Dichter stört,
So sei es euch vergeben und vergessen,
Doch reißt nicht die Verliebten auseinander!
O welcher Groll in meiner Seele tobt!
Vergeben soll ich euch? So will es Christus!
Ich aber rufe zu dem Gott der Rache
Und der Gerechtigkeit und der Vergeltung:
O Gott der Rache, häufe diesen Bösen
Die Gluten deines Zornes auf ihr Haupt!
O Gott der Rache, du vergelte ihnen,
Wie diese Übeltäter es verdient!
O Gott der Rache, spare deinen Zorn nicht,
Gib diesen Unfruchtbaren keine Kinder!
O Gott der Rache, diese Übeltäter,
Lass ernten sie die Früchte ihrer Werke!
O Gott der Rache, wie sie lieblos waren,
Gib ihrer Feindschaft den verdienten Lohn!
O Gott der Rache, wie du strafen kannst,
So strafe ohne weibliches Erbarmen!
O Gott der Rache, strafe diese Sünder,
Die mit der Sünde deine Huld beleidigt!
O Gott der Rache, fege von der Erde
Den ganzen Haufen dieser Bösen fort!
O Gott der Rache, tilge ihre Sippschaft,
Die Unfruchtbaren bleiben unfruchtbar!
O Gott der Rache und Gerechtigkeit,
An Stätten der Gerechtigkeit herrscht Unrecht,
Gerecht bestrafe diese üblen Leute!
O Gott der Rache, lass nicht in den Himmel
Die Lästermäuler und die Schlangenzungen!
O Gott der Rache, lass nicht in den Himmel
Die Unfruchtbaren und die Kindermörder!
O Gott der Rache, lass nicht in den Himmel
Die Ungerechten, straf sie im Gericht!
Mir aber gib in allen Ewigkeiten
Den Schatz zurück, den Liebling, den ich liebe!
O Gott der Liebe, gieße deine Huld aus
Und deinen Segen über die Gefangne!
O Gott der Liebe, segne die Gefangne
Und schütz sie mit dem Mantel des Erbarmens!
O Gott der Liebe, öffne deinen Himmel
Für meinen Schatz, den ich so brennend liebe!
O Gott der Liebe, rette du dein Kind,
Schenk Wonne ihr in Zeit und Ewigkeit!

(Peter Schwan schleicht sich als blinder Passagier auf die Sankt Maria.)

VIERTER AKT

ERSTE SZENE

(Alabama in den Vereinigten Staaten von Amerika. Peter Schwan und ein Franziskaner vom Ewigen
Wort.)

PETER SCHWAN
Ich habe meinen allerschlimmsten Feind
Verflucht, verdammt, und oft schon umgebracht!
PATER
Und sollst doch deinen Feinden all vergeben.
PETER SCHWAN
Wie oft schon habe ich vergeben, doch
In jeder Nacht erneuert sich der Haß!
PATER
So denke du an Jesus an dem Kreuz:
Verzeihe, Vater, allen meinen Mördern,
Sie wissen nicht, was Böses sie getan!
PETER SCHWAN
Und wenn ich selber wie der Herr verzeihe,
So kommt mir doch zurück die Lust der Rache!
PATER
Ja, sagt man zwar, die Rache ist so süß,
Doch wenn du deinen Feinden nicht vergibst,
Vergibt dir Gott auch deine Sünden nicht.
PETER SCHWAN
Ich glaube, dass ich meinen Feind getötet,
Ich habe ihn hinabgeschickt zur Hölle!
PATER
Die Mörder kommen nicht ins Himmelreich.
PETER SCHWAN
Wenn nur mein Feind nicht in den Himmel kommt!
PATER
Ja, willst du denn nicht in den Himmel kommen?
PETER SCHWAN
Wenn ich nur Marion auf Erden habe!
PATER
Und soll nicht Marion im Paradies
Glückselig sein in aller Ewigkeit?
PETER SCHWAN
Sie ist ja eine Heilige, gewiß
Gibt Gott ihr einen Thron beim Thron Mariens.
PATER
Das weiß man nicht. Das steht allein bei Gott.
PETER SCHWAN
Ach, was ich alles litt für Marion,
Das wird ihr doch das Paradies verdienen!
PATER
Und du? Dein Schicksal in der Ewigkeit?
PETER SCHWAN
Am Fuß des Fegefeuers will ich knien
Und schaun zu Marion im Paradies!

ZWEITE SZENE

(Marion Buße und Peter Schwan in der Wüste von Mexiko.)

PETER SCHWAN
Als Israel zog aus Ägyptenland,
Sie zogen vierzig Jahre durch die Wüste.
Elias floh vor Fürstin Isebel,
Da ging er vierzig Tage durch die Wüste.
Herr Jesus wurde von dem Geist geführt,
War fastend vierzig Tage in der Wüste.
Im Anbeginn des Christentums die Mönche
Den Psalter betend lebten in der Wüste.
Die fromme Witwe Paula lebte auch
Studierend in der Bibel in der Wüste.
MARION BUSSE
Ja, Israel war in der Wüste Gottes
Und traute auf den Herrn für vierzig Jahre.
Elias auch war in der Wüste Gottes
Und betete zum Vater vierzig Tage.
Und Jesus fastete in Gottes Wüste,
Allein mit seinem Vater vierzig Tage.
Und in der Kirche ist die Zeit der Buße
Bis zu dem Osterfeste vierzig Tage.
PETER SCHWAN
Wie groß das Böse ist in dieser Welt!
Da zieh ich mich zurück von dieser Welt.
MARION BUSSE
Was sollen Schlangen und Skorpione auch
Uns schaden in der Wüste Mexikos?
Viel schlimmer sind der Menschen Schlangenzungen
Und Menschen, die wie die Skorpione stechen!
PETER SCHWAN
Wenn nur das Manna von dem Himmel fällt,
Dann frag ich nichts nach Knoblauch aus Ägypten.
MARION BUSSE
Und wenn wir fasten, wie es Jesus tat,
Und in der Wüste leben bei den Schlangen,
Dann kommen Engel auch und dienen uns.
PETER SCHWAN
Ich sah einst die Vision von meinem Engel,
Da war es eine Lichtgestalt als Schwester
In einem langen weißen Seidenkleid
Und angetan mit einem goldnen Gürtel
Und goldne Locken fielen auf die goldnen Flügel
Und aus den Flügeln schauten weiße Hände
Und in der schmalen Hand ein goldnes Schwert.
MARION BUSSE
Und auf dem Schwert der Name Gottes steht?
Doch, Peter Schwan, wie ist der Name Gottes?
PETER SCHWAN
Der Name Gottes ist Messias Jesus.

DRITTE SZENE

(In der mexikanischen Wüste. Marion Buße und Peter Schwan allein.)

MARION BUSSE
O Peter Schwan, mein Felsen und mein Petrus,
Ich habe solchen Durst! Mich dürstet sehr,
Ich weiß nicht, ob es dürstet mich nach Wasser,
Ich weiß nicht, ob es dürstet mich nach Liebe.
PETER SCHWAN
Ich möchte tränken dich mit meiner Liebe!
MARION BUSSE
Ich fühle jetzt, wie Quasimodo schrie
Vor Unsrer Dame von Paris in Qualen:
O Wasser, Wasser, Esmeralda, Wasser!
PETER SCHWAN
Wo soll ich Wasser finden in der Wüste?
MARION BUSSE
In meine Seele ist gefallen Feuer
Von einer Napalm-Bombe aus Vietnam
Und dieses Feuer kann kein Wasser löschen,
Ja, nicht einmal der Stille Ozean!
PETER SCHWAN
So will ich gehen, ob ich in der Wüste
Hier einen Kaktus finde, denn als Kind
Hab ich gelernt aus Indianer-Schriften,
Der Kaktus in der Wüste spendet Milch.
MARION BUSSE
Die Kaktus-Milch ist meine letzte Hoffnung.

(Peter Schwan entfernt sich.)

Du, Unsre Liebe Frau des Lichts, erscheine,


Du, Unsre Liebe Frau von Mexiko,
O steh mir bei in meiner Todesstunde!

(Peter Schwan erscheint wieder.)

PETER SCHWAN
O selig, dürstend nach Gerechtigkeit!
O selig, dreimal selig sind die weinen!
Glückselig sind die Ausgestoßenen!
Die Armen ruhen in den Armen Gottes!
MARION BUSSE
Kein Wasser, keine Kaktusmilch für mich?
PETER SCHWAN
Wie unbarmherzig ist die Wüstenwelt!
Kein Kaktus spendet seine Muttermilch!
MARION BUSSE
Die Erde ist ein Kaktus ohne Milch.

(Sie schweigen.)

VIERTE SZENE

(In der mexikanischen Wüste. Marion Buße liegt sterbend in den Armen von Peter Schwan.)

MARION BUSSE
Ich denke jetzt an meine liebe Mutter.
Unglücklich war die Liebe meiner Mutter
Zu mir, ich liebte meine Mutter nicht,
Unglücklich war auch meine Liebe zur
Geliebten Mutter, die mich nicht geliebt.
PETER SCHWAN
Verzeihe deiner Mutter, Marion,
Verzeihe dir die Sünde deiner Jugend,
Verzeihe Gott, der viel dir zugemutet!
MARION BUSSE
Jetzt sind wir beide ganz allein, mein Lieber,
Jetzt ist es Zeit, dass ich es dir gestehe:
Ich liebe dich mit meiner ganzen Seele!
PETER SCHWAN
Ich liebe dich in deiner Todesstunde
Und liebe dich in alle Ewigkeit!
MARION BUSSE
Ich gehe in das Reich von tausend Jahren
Und herrsche mit dem Herrn in seinem Himmel.
PETER SCHWAN
Wenn du im Reich der tausend Jahre bist
Und droben herrschst mit Christus in dem Himmel,
Dann bitte Gott, dass du mein Engel wirst!
MARION BUSSE
Dein Engel will ich werden, mein Geliebter!
PETER SCHWAN
Und wenn ich selber in den Himmel komme,
Dann will ich viele hundert Kinder haben!
MARION BUSSE
Du, Unsre Liebe Frau des Lichts, erscheine!
O komm zu mir, geliebtes Jesuskind!

(Marion Buße stirbt.)

PETER SCHWAN
O kleines Jesuskind, du bist so schön!

(Er neigt sich weinend auf die tote Marion Buße.)

Mit meinen Tränen lösch ich deinen Durst!


Ah weh mir, weh mir, Marion ist tot!
Ich bin allein in dieser Erdenwelt,
Vollkommen isoliert in dieser Wüste!
Nimm mich in deine Heiland-Arme, Tod!

HEDDA HEIDENA
ERSTE SZENE

HEDDA HEIDENA
Schon immer wollte ich die Hochzeit feiern
In der Venezia, der Meer-Kybele,
Schon immer heiraten im roten Kleid.
JÖRGEN STARK
Nun heißt du nicht mehr Heidena, mein Mädchen,
Nun bist du Ehegattin Hedda Stark.
HEDDA
Nun bin ich sicher in dem Ehe-Hafen.
JÖRGEN
Und ich kann voller Seelenruhe schreiben,
Mein Prosa-Epos von den Katzenkriegen
Ist gut vorangekommen in Venedig.
HEDDA
Ja, ja, ich dachte eigentlich, romantisch
Verklärt wär unsre Hochzeitsreise, aber
Du schriebst nur immer an dem Katzen-Epos.
JÖRGEN
Ich will für dieses Katzen-Epos schließlich
Den Lorbeerkranz des Dichters mir erobern.
Zwei Dinge streb ich an in dieser Welt:
Den Ruhm des Dichters und des Autors Reichtum!
HEDDA
Das Geld verachte ich, doch braucht man es,
Um sicher-froh zu leben in der Welt.
JÖRGEN
Ich will der größte Dichter Deutschlands sein!
Aus Bremen kamen selten Dichter zwar,
Nur Rudolf Alexander Schröder kenn ich,
Doch werde ich Homer noch übertreffen!
Was sind Homeros’ Hektor und Achill
Im Gegensatz zu meinen Katzenkriegern,
Zu Feuerpfote und zu Tigerkralle?
HEDDA
Nur immer schreiben! Welche Langeweile!
Schriftsteller sein und immer fleißig schreiben
Und auf der Hochzeitsreise nicht zu küssen!
JÖRGEN
Talent ist wenig, Fleiß erst macht den Dichter.
HEDDA
Ja, fleißig schreibe von der Katzengöttin,
Doch kennst du nicht die Katze in dem Haus.
JÖRGEN
Ja, jede Frau ist eine Katze, weiß ich,
Doch liebe ich die Bücher mehr, die nicht
Von Frauen handeln oder von der Liebe,
Mehr liebe ich die harte Männerwelt
Von Clans und ihrem kriegerischen Leben.

ZWEITE SZENE

HEDDA
Nun, lieben kann ich diesen Jörgen nicht,
Ich war am Anfang wohl in ihn verliebt,
Verliebt war ich, doch liebte ich ihn nicht.
Ich werde sicher unter ihm noch leiden,
Denn er verehrt den Genius der Frau nicht.
Allein schon in der Sexualität!
Wie schwärmt er für Rimbaud doch und Verlaine,
Ich glaube, er ist homosexuell.
Nur manchmal kommt er eilig in mein Bett,
Um seine eheliche Pflicht zu tun,
Dann steht er nach dem Beischlaf wieder auf
Und legt in seinem Zimmer sich aufs Sofa
Und schläft allein in seiner Bücherei
Und sicher träumt er von der Katzengöttin.
Der Frau Begier nach sanfter Zärtlichkeit
Und nach Geborgenheit im starken Arm
Versteht er nicht, versteht die Frauen nicht.
Noch kürzlich sagte er zu mir: Du bist
Verschlossen, meine Liebe, bist versiegelt,
Als wär ein Schleier dir vor deiner Seele,
Du willst ja gar nicht, dass man dich erkennt. –
Warum ich dennoch ihn zum Mann genommen?
Er kann mir Sicherheit und Ruhe geben.
Ich möchte schließlich einmal Kinder haben
Und brauch dazu soziale Sicherheit.
Das hat ja die Statistik schon entdeckt,
Dass die Erotik für den Mann bedeutet
Der Frauen Busen und der Frauen Becken,
Es ist die pure Sexualität,
Was Männer an den Frauen interessiert.
Doch die Erotik für die Frau bedeutet
Finanzpotenz des Mannes. Geld ist geil!
So sprach auch Berthold Brecht dereinst,
Das Geld macht sinnlich! Rilke sagt es so:
Er redet vom Geschlecht des Geldes, von
Des Gelds Geschlechtsteil! Sicherheit
Ist für die Frauen höchst erotisch, ja,
Die Männer schauen auf der Frauen Hintern,
Die Frauen aber auf der Männer Hintern,
Ob in der Tasche des Gesäßes auch
Ein Portemonnaie mit großer Fülle steckt.
Warum soll ich das leugnen? Ich bin Frau.
Und schließlich bin ich keinem Manne treu,
Auch keinem Ehemanne bin ich treu,
Nein, treu bin ich allein dem eignen Stern!
Jetzt kann mir Jörgen Stark noch nützen, aber
Kommt einst ein andrer Mann von größerm Reiz,
So folg ich meinem Schicksal, meinem Stern.

DRITTE SZENE

JÖRGEN
Was hab ich mitgebracht in unsre Ehe?
Ein Paar Pantoffeln, Erbstück von der Oma.
HEDDA
Und was für ein Symbol! Was will das sagen?
JÖRGEN
Hausvater will ich sein und Patriarch.
Ich will in einem guten Bürgertum
Die Werte der Familie ehren-retten,
Ich will das Geld verdienen durch die Arbeit,
Die Gattin soll zuhaus die Kinder hüten.
Und wenn ich aus dem Arbeitszimmer komme,
Dann soll der Hund mich liebestreu umwedeln.
Am Sonntag red ich an dem Gartenzaun
Mit unsern Nachbarn über Politik.
Ich will der Pater Familiaris sein
Und meine Kinder will ich streng erziehen,
Nicht spielen mit den Kindern wie ein Kind,
Nein, auch die Rute werde ich nicht sparen.
Von meiner Ehefrau erwarte ich,
Dass sie die Küche putzt, die Wohnung aufräumt,
Die Wäsche wäscht, die kranken Kinder pflegt
Und Katze, Hund, Kaninchen Futter gibt.
Das Sagen übers Geld hab ich allein.
HEDDA
Was hab ich mitgebracht in unsre Ehe?
Ein Messer, habs geerbt von meinem Vater.
JÖRGEN
Das Spielzeug ist gefährlich, meine Frau.
Was willst du mir mit dem Symbol bedeuten?
HEDDA
So wie die Stoa-Philosophen einst
Behaupte ich: Des Menschen Freiheit ist
Die Freiheit auch zum eignen Suizid.
Zwar fragten meine Eltern einst mich nicht,
Ob ich geboren werden wollte, aber
Wann ich die Welt verlasse, das entscheide
Ich selbst in aller Freiheit meines Willens.
JÖRGEN
Das sagst du nur, um so mich zu erpressen.
HEDDA
Schau hier den Horngriff an von diesem Messer,
Wo eingeritzt der Name Heidena,
Mein Name, ich bin Hedda Heidena.
JÖRGEN
Nein, meine Frau, du bist jetzt Hedda Stark.
HEDDA
Ich bleibe immer Hedda Heidena,
Ich bleibe stets die Tochter meines Vaters.
JÖRGEN
Und ich, ich bleibe meiner Oma Enkel.

VIERTE SZENE

HEDDA
Jetzt spür ich erst die innre Leere, öde
Ist es in meiner Seele, leer und öde!
Jetzt merk ich erst, wie leer doch diese Ehe,
Wie ödet mich doch an mein Ehemann!
Ja, jetzt, wo Gottlieb Adler in der Stadt ist,
Vermiss ich erst die heiße Leidenschaft.
Zehn Jahre ist es her, dass Gottlieb Adler
Und ich ein Liebespaar gewesen sind.
Ach, damals war ich jung noch, schön und reizend,
Mit allem meinem Liebreiz einer Frau
Hab damals ich versklavt den armen Dichter,
Und Muse war ich dem Poeten Gottlieb,
Er war entflammt von heißer Leidenschaft
Und Sinnlichkeit trieb ihn zu Lobgesängen.
Wie schwierig war doch unsre Liaison,
So himmlisch die Begeisterung, so tollkühn,
Er sah in mir sein Ideal, die Gottheit,
Dann wieder tief betrübt, betrübt zu Tode
Hab ich ihn an des Todes Rand gebracht.
Wie Skorpion und Skorpionenweibchen
War unsre Liaison ein wildes Drama,
Ein Bacchanal, ein wildes Opferfest.
Ja, Gottlieb wollte gerne für mich sterben
Und wollt von Ewigkeit zu Ewigkeit
Im Paradies mit mir vereinigt sein!
Er fragte nichts nach Gott, nichts nach den Huris,
Nichts nach der allerseligsten Maria,
Ich, ich allein war ihm sein Paradies!
Ich, ich war seine ewige Verdammnis!
Bengalische Geliebte war ich ihm
Und seine Muttergöttin aus der Steinzeit.
Ich habe meine Macht zutiefst genossen,
Ich fühlte mich begehrt und mich geliebt.
Dagegen diese arme Jörgen Stark,
Der schlurft in seinen ewigen Pantoffeln
Und will der Patriarch des Hauses sein.
O Gott, bewahre mich vor Langeweile!
Wie öde sieht es aus in meiner Seele!
Ich glaube gar, ich bin schon im Nirvana,
Erloschen schon in mir die Lebensflamme,
Vergangen alle Lust an diesem Leben,
Vorbei die Schöpfungslust, die Werdelust,
In mir ist nichts als grenzenlose Leere!
Jetzt bin ich in der Ödnis Mitte, bin
Gestorben schon in dieser Lebenszeit
Und in dem Leib ist eine tote Seele
Und in dem Busen ist ein müdes Herz.
Nur Gottlieb Adler kann mich noch beleben!
O Gott der Leidenschaft, o Gott der Lust,
Ich bitte, schicke mir den Gottlieb Adler!

FÜNFTE SZENE

GOTTLIEB ADLER
Ich habe, Götter, allzu viel gesoffen,
Ich habe jede Nacht geleert die Flasche
Und im Delirium der schwarzen Schwermut
Ich mischte meine Tränen mit dem Wein.
In Bremen, in der Großstadt, war ich einsam,
In Friesland aber, auf dem platten Land,
Da bin ich nicht mehr einsam, denn die Knaben
Bewundern mich, sind nahezu verliebt,
Geb Unterricht ich in dem ABC.
Das A, das ist die heilige Drei-Einheit
Vom Vater und vom Sohn und von dem Geist,
Das B, das ist der Busen Unsrer Frau.
Da ist er ja, der kleine süße Knabe.
KNABE
Mein Lieber, sag, was lernen wir denn heute?
GOTTLIEB
Heut, lieber Knabe, lernen wir das Reimen.
KNABE
Du sagst ein Wort, ich sage dir das Reimwort.
GOTTLIEB
Mein Liebling, sag, was wollen heut wir essen?
KNABE
Alltäglich Engelsbrot in heiligen Messen!
GOTTLIEB
Und tun wir immer, Liebling, was wir wollen?
KNABE
Nein, Gottes Willen tun, ist was wir sollen.
GOTTLIEB
Wer trägt vor seinem Angesicht ein Gitter?
KNABE
Der Gottesmutter Knecht, Marien Ritter.
GOTTLIEB
Was tun wir, sind wir einsam in der Kammer?
KNABE
Wir lesen Gottes Wort, das ist ein Hammer.
GOTTLIEB
Was ist der Schatz, für den wir feurig brennen?
KNABE
Das Antlitz Jesu Christi zu erkennen!
GOTTLIEB
In jedem Reimwort unterstreiche du
Die Doppelkonsonanten mit dem Stift.
Nun geh und denke dran: Iß Honig, Sohn,
Weil Wabenhonig süß ist für den Gaumen,
So ist die Weisheit süß für deine Seele.
KNABE
Ach, lieber Gottlieb Adler, wenn ich groß bin,
Dann will ich auch ein Dichter sein, wie du!
GOTTLIEB
Erzengel, geh, träum süße Träume!

SECHSTE SZENE

SONJA WEISS
Geliebter Gottlieb, was hast du geschrieben?
GOTTLIEB
Wozu nur du mich inspirieren konntest.
SONJA
Ich inspirierte dich? Wie tat ich das?
GOTTLIEB
Die Lippe, die nach Küssen dürstet, singt.
SONJA
Du weißt, ich habe einen Ehemann.
GOTTLIEB
So sei es denn. Ich hasse ja die Ehe,
Spießbürger sollen eine Ehe schließen,
Doch Dichter bleiben stets romanzensüchtig.
SONJA
Was hast du nun für mich geschrieben, Gottlieb?
GOTTLIEB
Ich dichtete den Lobgesang an Phryne.
SONJA
An Phryne? Wer ist diese Phryne denn?
GOTTLIEB
Praxiteles war Muse sie, Modell,
Sie stand Modell zur Venus auch von Knidos.
Beim Eleusinischen Mysterium
Die Neugetauften sahen aus dem Meer
Nackt Phryne tauchen und sie riefen: Venus
Wird wiederum aus Meeresschaum geboren!
Und Aristoteles, der Pädagoge
Des großen oder kleinen Alexander,
Ließ Phryne stets auf seinem Rücken reiten.
SONJA
Und ich, ich stand Modell für deine Phryne?
GOTTLIEB
Ein Advokat verklagte einst die Phryne,
Doch sie entblößte vor dem Richter ihre
Prachtvollen Brüste und ward freigesprochen.
SONJA
Du findest also meinen Busen prachtvoll?
GOTTLIEB
Ja, prachtvoll ist dein voller Busen, Sonja!
SONJA
Wirst du mit deinem Lobgesang an Phryne
Bekommen auch den Preis der Schiller-Stiftung?
GOTTLIEB
Ja, ganz gewiss, denn Schiller wird mich mögen.
SONJA
Zitiere mir doch einmal aus der Hymne.
GOTTLIEB
Als Phryne Aristoteles zur Arbeit
Einst schicken wollte, sprach der Philosoph:
Schatz, alles was wir müssen ist uns küssen!

SIEBENTE SZENE

SONJA
He, Hedda, hast du etwas Zeit für mich?
HEDDA
Nun, Zeit ist knapp, ich hab so viel zu tun.
JÖRGEN
Nun sag schon, Sonja, was machst du in Bremen?
SONJA
Ich habe meinen Ehemann verlassen.
JÖRGEN
Den dummen Dieter? Aber sag warum?
SONJA
Er hat sich ganz dem Satanas geweiht
Und schreibt an einer Zeitschrift Antichrist.
HEDDA
Nun, Lord Maytreja ist der Antichrist.
SONJA
Ich hab das schöne Friesland dann verlassen
Und folgte Gottlieb Adler in die Stadt.
HEDDA
Der Dichter Gottlieb Adler ist der größte
Rivale meinem Gatten Jörgen Stark.
SONJA
Sag, Jörgen, woran schreibst du eben jetzt?
JÖRGEN
Ich schreib an einem Katzenkrieger-Epos.
SONJA
Und kommt darin auch etwas Liebe vor?
JÖRGEN
Ja, Graustreif von dem Donner-Clan der Katzen
Liebt Silberflut, die Katze von dem Fluss-Clan.
Und Feuerpfote, mein besondrer Heros,
Liebt Katze Tüpfelblatt vom Sternen-Clan.
Die Katzen von dem Sternen-Clan sind Tote.
SONJA
Und Gottlieb Adler dichtet von Hetären.
HEDDA
Ja, wenn er eine edle Muse hätte,
Er schriebe dann geheimnisvollerweise
Von esoterischen Mysterien.
Nun aber nur vulgäre Sinnlichkeit
Ist Gottlieb Adlers liederliche Muse.
SONJA
Na, vielen Dank, du meine beste Freundin.
JÖRGEN
Wenn Gottlieb wäre nicht so ein Genie,
Bekäme ich den Preis der Schiller-Stiftung.
SONJA
Ja, Gottlieb Adler ist der neue Schiller
Und Hölderlin und Goethe in Person.
Ich aber liebe ihn als guten Menschen,
Sein Herz ist fromm und voller sanfter Güte,
Sein weises Herz ist weit wie Sand am Meer.

ACHTE SZENE

HEDDA
Du, Sonja, ich bin schrecklich eifersüchtig
Auf deinen Einfluss auf den Liebesdichter.
SONJA
Du, eifersüchtig? Liebst du Gottlieb denn?
HEDDA
Ich lieb ihn nicht. Ich lieb die ganze Welt
Und liebe keinen doch als mich allein.
SONJA
Ach, Hedda, wenn du aber Kinder hättest!
HEDDA
Nein, Kinder hindern nur die Selbstentfaltung.
SONJA
Willst du denn Gottlieb Adlers Muse sein?
HEDDA
Ich möchte, dass der Dichter mich begehrt
Und mich vergöttert! Ich bin eine Gottheit!
Ich bin ein menschgewordner Gott wie Christus!
SONJA
Ich hab ja nichts getan als ihn zu lieben,
Die Kunst kommt ja von seinem Genius.
HEDDA
Er aber sagt, du inspiriertest ihn.
SONJA
Ach, nur mein Leib und nur mein schöner Busen.
Ich war für ihn ja nur ein Kamerad.
HEDDA
Habt ihr euch körperlich denn nie geliebt?
SONJA
Grad, als ich frisch vermählt mit meinem Mann,
Da habe Gottlieb Adler ich geliebt.
Wir haben heimlich uns geliebt, geschlafen
Am lichten Tag auf meinem breiten Bett.
HEDDA
Wie ist denn Gottlieb Adler in der Liebe?
SONJA
Mein Ehemann war ja zu faul zur Liebe,
Mit Gottlieb aber war sehr gut der Sex.
Wenn ich dran denke, leck ich mir noch heute
Die Lippen vor verzehrender Begierde.
HEDDA
Ich will ihn reizen mit des Weibes Liebreiz!
Was reizt ihn denn, den schmachtenden Poeten?
SONJA
Nun, tiefer Ausschnitt oder kurzer Rock,
Die Männer sind doch alle oberflächlich.
HEDDA
Ja, Männer können einfach gar nicht lieben,
Begehren können sie nur nackte Haut.
Und darum möchte ich auch allen Männern
Auf dieser Erde ihre Herzen brechen!

NEUNTE SZENE

JÖRGEN
Da ist mein lieber Advokat Benoni.
BENONI
Ich weiß wohl, Jörgen, von dem Katzen-Epos,
Du willst damit den Lorbeerkranz erringen,
Den ersten Siegespreis der Schiller-Stiftung,
Doch weißt du, wer dir wird den Sieg abjagen?
JÖRGEN
Du meinst doch Gottlieb nicht mit seiner Phryne?
BENONI
Er hat ein wahres Meisterstück vollendet,
Hexameter der allerschönsten Weise,
Die Hymne an Urania Aphrodite.
BENONI
Hast du denn selbst das Manuskript gesehen?
BENONI
Ich sah es und ich las es, lieber Jörgen,
Ja, er ist ein germanischer Homer.
JÖRGEN
Der Gottlieb ist mein ewiger Rivale.
BENONI
Er ist ein Taugenichts, ein Tunichtgut.
Soll sein Hymne Nachruhm ihm erringen,
Doch Geld machst du in dieser Welt, mein Jörgen.
JÖRGEN
Die Nachwelt kann mir doch gestohlen bleiben.
Für Reichtum dieser Welt schreib ich Romane.
Mein Katzen-Epos ist schon angelangt
Beim zwanzigsten Roman, ich muss schon sagen,
Ich bin vielleicht ein zweiter Marcel Proust,
Vielleicht auch ein erneuerter Balzac,
Nur schreib ich nicht die menschliche Komödie,
Ich schreibe von dem Krieg der Katzen-Clans.
BENONI
Ich werde dafür sorgen schon, mein Jörgen,
Dass die Verlage deine Bücher drucken.
Ich glaube, Knaben lesen das sehr gerne,
Und wenn man laut die Werbetrommel rührt,
Dann werden Taler in der Kasse klingeln.
JÖRGEN
Benoni, Mann des praktischen Verstandes,
Soll Gottlieb für die Schizophrenen schreiben,
Ich schreibe für den Ruhm in dieser Welt.
BENONI
Soll Gottlieb doch die Hände falten, beten,
Wir wollen Scheiße noch zu Feingold kneten.
JÖRGEN
Ein Dichter bist du, mein Benoni! Beten
Und mit dem Reimwort darauf: Scheiße kneten!
BENONI
Ein Genius ist Gottlieb nicht allein,
Ich bin ein Genius, was Geld betrifft.

ZEHNTE SZENE
HEDDA
Gekommen ist nun meine Stunde, da
Ich übe die allmächtige Magie,
Die Herrschaft über einen klugen Mann.
Nein, Jörgen Stark ist mir zu schwach zum Opfer,
Ein müßiger Pantoffel-Patriarch,
Nein, wenn ich siegen will, dann über einen,
Der würdig meines Hasses, meiner Feindschaft.
Was sag ich, Hass? Was sag ich, Feindschaft? Nein,
Hassliebe wär das treffendste der Worte.
Es ist wie in den alten Zeiten, wie
Zur Steinzeit, als die große Göttin herrschte,
Die Männer haben sich entmannt, um ihr
Zu dienen, alle Männer ihre Sklaven.
Heut aber möchte man die Frauen weiblich
Und weiblich meint, mit einer sanften Schwäche.
Die Herren halten sich doch für die Sonne,
Das Weib ist ihnen Mond und Spiegel nur.
Nein, ich, ich bin die große Sonnengöttin,
Ich bin die Herrscherin des Universums,
Ich bin die Kraft, die Göttin Kraft, ich bin
Die Göttin mit den tausend Totenschädeln
Und tanzen werde ich auf Gottlieb Adler.
Er ist ein Genius, und hinter einem
Genie steht immer eine starke Frau.
Wer ist denn Sonja Weiß, sein kleines Liebchen?
Sie ist ja nett und süß und sehr charmant,
Ich aber Tigerin und Panterin,
Ich aber Würgeschlange und Skorpion.
Ich will ihn überwinden, ihn besiegen,
Und singen soll er mir kein Liebeslied,
Nein, unterwerfen soll er sich der Herrin
Und nur noch flehen, dass ich ihn ermorde!
Ich werde ihn zu Tode hetzen, diesen
Poeten, diesen großen Genius,
Ich gehe dann in die Geschichte ein
Als Göttin, die den Heros umgebracht!
Ah, wenn er mir zu Füßen liegt und winselt,
Ah, wenn er mir zu Füßen liegt und bettelt,
Dann stell ich meinen Fuß auf seinen Schädel
Und rufe: Sieg der starken Frauenseele!
Und wenn er mich um Liebe anfleht, wenn
Er will genießen meines Leibes Reize,
Verhöhn ich ihn, verschmähe und verspotte
Die männliche Begierde und erkläre:
Ich lieb dich nicht, du Narr und Liebesdichter,
Ich hass dich nicht, du Narr und Liebesdichter,
Gleichgültig bist du mir, mein Gottlieb Adler,
Gleichgültig bist du mir, du langweilst mich!

ELFTE SZENE
SONJA
Was seh ich da, mein Gottlieb, eine Flasche
Mit Wein, dem du doch abgeschworen hast?
GOTTLIEB
Ich denke an die Zeit, zehn Jahre her,
Als Hedda Heidena verzaubert mich
Mit ihrer weiblichen Erotik und
Magie. Wir waren Lilie da und Löwe,
Sie weiße Lilie, ich der rote Löwe,
Ergaben wir das androgyne Wesen.
SONJA
Das ist Erinnerung, ist doch kein Grund,
Zum Teufel Alkohol zu flüchten, Gottlieb.
GOTTLIEB
Nun, eine Flasche hab ich schon geleert.
SONJA
Dann geh jetzt lieber schlafen, mein Poet.
GOTTLIEB
Nein, eine zweite Flasche will ich leeren,
Ich muss den dummen Schmerz in mir betäuben.
Ja, damals, das war eine große Liebe,
Und nun ist alles hin, ist alles fort,
Mein Leben ist verspielt und ich bin tot.
SONJA
Ich aber hab dich lieb, mein guter Gottlieb.
GOTTLIEB
Ach, die mich lieben, Sonja, muss ich hassen,
Und lieben muss ich jene, die mich hassen.
SONJA
Das denkst du nur in dem Delirium.
GOTTLIEB
Ja, lala, im Delirium der Schwermut,
Ja, lala, im Delirium von Wermut.
SONJA
Ich kann dein Elend nicht ertragen, lieber
Verlass ich dich, als zuzusehen, wie
Du in der Gosse endest als Besoffner.
GOTTLIEB
Ja, geh, mein Weh, die Schmerzen in dem Herzen,
Ich will mich gern von meinen Leiden scheiden,
Nun ströme in mich, roten Weines Schauer,
Und mach mich schlauer, grenzenlose Trauer,
Ich bin doch kein Prophet, ich bin ein Bauer.
Das Weh ist wie der Schnee, und was ich seh,
Der Schnee sinkt selig in der Seele See,
Ach weh, ach läg ich mit der Fee im Klee,
Der Fee die Brüste hüpften wie ein Reh,
Ich schwanke hin und her wie Luv und Lee,
Und seufze der Vergänglichkeit zum Trotze
Und schaue nach der Flasche und dem Weibe!
ZWÖLFTE SZENE

GOTTLIEB
Ach Hedda Heidena, du Panterfrau,
Ich bin jetzt ganz vollkommen ruiniert.
Ich bin nur die Ruine meines Selbst.
HEDDA
Der Teufel Alkohol hat das getan.
GOTTLIEB
Ich bin jetzt ausgestoßen aus der Menschheit.
Die Nägel wachsen mir wie Vogelklauen
Und Bart und Haare wie ein Bärenfell.
HEDDA
So fühle ich mich manchmal auch, so einsam,
So ausgestoßen aus der ganzen Menschheit.
GOTTLIEB
Ich rede, aber keiner hört mir zu.
Ich schreibe Briefe, keiner gibt mir Antwort.
Ich gehe durch die Straßen, keiner sieht mich,
Als wäre ich aus Glas, ganz transparent.
HEDDA
Ich bin allein mit mir und meinem Schatten.
Nur meine böse Doppelgängerin
Ist einzig-treue Freundin in der Welt.
GOTTLIEB
Moralisch bin ich gleichfalls ruiniert,
Mich treibt die wüste Sexualität.
HEDDA
Nur mach du dir kein Bild von mir im Traum.
GOTTLIEB
Ach, wenn die Poesie nicht wär, ich stürbe
Von eigner Hand! Allein Urania,
Mein Epos, hält mich noch in diesem Leben.
Jetzt aber ist mein Manuskript verschwunden!
HEDDA
Und ich hab nicht gelesen deine Hymne.
Hat Sonja Weiß vielleicht dein Manuskript?
GOTTLIEB
Nein, Sonja Weiß, die Muse meiner Hymne,
Sie hat das Manuskript noch nicht gelesen.
Ich wollte drucken die Urania
Und binden lassen schön in rotes Leder
Und dann mit goldnen Lettern: Sonja Weiß
Gewidmet – auf die erste Seite schreiben
Und dann das Buch am Ostertag ihr schenken.
HEDDA
Dann ist dir wohl, dir sei ein Kind gestorben?
GOTTLIEB
Ja, Sonjas Kind und Gottliebs Kind: die Liebe!
Die Liebe in Person ist mir gestorben!
Nun hat mein Leben keinen Sinn mehr, Hedda.
HEDDA
Sei ruhig. Halt es in der Hölle aus!

DREIZEHNTE SZENE

SONJA
Mein lieber Schatz, wo ist das Manuskript,
Darin du mich als Venus hast verherrlicht?
GOTTLIEB
Ich habe es zerrissen und verbrannt.
SONJA
Wie damals mit dem Heldenepos von
Dem großen Lomonossow über Peter
Den Großen, das ich für dich übersetzte?
GOTTLIEB
Ja, deine Übersetzung hatte ich
Mir mitgenommen in die Einsiedlei,
Da mich der Wahnsinn grausam überfiel,
Ich dachte da, du seist die Hure Babel.
SONJA
Warum bist du nur so gemein zu mir?
Ich liebe dich wie einen Bruder, Gottlieb,
Ich liebe mehr dich noch als einen Bruder.
GOTTLIEB
Vielleicht, sag, willst du meine Gattin werden?
SONJA
Ich glaub, du liebst die Hedda Heidena.
GOTTLIEB
Ach, Liebe oder Hass, Begier und Zorn!
SONJA
Doch dass du mein Poem vernichtet hast!
Willst du nichts mehr mit mir zu schaffen haben?
Bin ich nicht mehr dein treuer Kamerad?
GOTTLIEB
Ich liebe und ich hasse Hedda nur!
Ich bin doch nicht dein Sklave, Sonja Weiß,
Ich liebe dich nicht mehr und weiß auch nicht,
Ob ich dich je geliebt hab oder nur
Begier empfand für deinen schönen Körper.
SONJA
Wie kannst du nur so grausam sein, mein Freund?
GOTTLIEB
Ist besser ja allein in einem Winkel
Zu leben unterm Dache als in einem
Palast mit einer Frau, die zänkisch ist.
Und eine Frau, die in der Unzucht lebt,
Ist eine Sau mit goldnem Ring im Rüssel.
SONJA
Wo hast du diese dummen Sprüche her?
Nein, früher warst du lieber, mein Geliebter,
Da sahest du in mir die Schönheitsgöttin.
GOTTLIEB
Doch Schönheit ist vergänglich, meine Liebe,
Und Reiz und Anmut sind nur Lug und Trug.
SONJA
Nein, solche Sprüche möchte ich nicht hören.
Dann geh zu deiner Hedda Heidena!

VIERZEHNTE SZENE

HEDDA
Was ist mit dir? Was schaust du denn so traurig?
GOTTLIEB
Ach, alle Poesie ist ganz vergeblich,
Ich schreibe nur noch für den Scheiterhaufen.
HEDDA
Was, wenn ich dein Poem gefunden hätte
Und hätte Jörgen Stark es übergeben?
GOTTLIEB
Ja, hast du das getan, geliebte Hedda?
HEDDA
Nein, nein, ich hab nur einen Spaß gemacht.
GOTTLIEB
Ich habe Hochzeitslieder schön gesungen,
Doch tanzten nicht mit mir die schönen Frauen.
Ich habe Klagelieder schön gesungen,
Doch weinten nicht mit mir die schönen Frauen.
HEDDA
Ich werde nie dich lieben, Gottlieb Adler!
GOTTLIEB
Da bohrst du mir ein Schwert in meine Seele!
HEDDA
Ich will auch nicht, dass du mich heiß begehrst!
GOTTLIEB
Gescheitert bin ich ganz in diesem Leben!
HEDDA
Doch Trost ist ein absurdes Wort, mein Freund,
Wer nicht verzweifeln kann, der muss nicht leben.
GOTTLIEB
Verzweiflung, ja, und Hoffnungslosigkeit.
HEDDA
Denk an die Königin Kleopatra,
Sie setzte eine Schlange an den Busen
Und nahm sich selber so das schlimme Leben.
Denk an den Philosophen Seneca,
Er tötete sich selbst voll Seelenruhe.
Und was ich in der Jugend so geliebt,
Die Leiden Werthers, denke auch daran,
Wie Werther auch das Leben dir zu nehmen.
Der Selbstmord ist allein ein schöner Tod,
Denn da beweist sich eines Menschen Freiheit.
Ob er geboren werden will, das fragte
Ihn keiner, nein, man brachte ihn zur Welt,
Ob er auch lieber nicht geworden wäre,
Doch ob er sterben will, entscheide er
Alleine, wann und wie er sterben will.
GOTTLIEB
Ja, wie denn, durch Erhängen mit dem Strick,
Wie weiland der Verräter Judas tat?
HEDDA
Nein, nimm mein Messer. Hier geschrieben steht
Mein Mädchenname: Hedda Heidena.
GOTTLIEB
So sterbe ich, weil ich zu sehr geliebt.

FÜNFZEHNTE SZENE

HEDDA
Nun brenne, brenne, Gottliebs Manuskript!
Nun brenne, Gottliebs Kind und Sonjas Kind!
Ja, Sonjas Kind verbrenne ich zu Asche!
JÖRGEN
Sag, Satansbraten, was verbrennst du da?
HEDDA
Zu Asche ich verbrenne Gottliebs Epos
An Sankt Urania, gewidmet Sonja.
JÖRGEN
Und warum, Braut des Teufels, tust du das?
HEDDA
Mit diesem Epos würde Gottlieb Adler
Berühmt als größter Dichter Deutschlands werden.
Und Deutschland wäre wieder Griechenland.
Ich will jedoch, dass einzig Jörgen Stark
Gelesen wird von allen Kindern Deutschlands.
Und Deutschland wird das Reich der Katzengöttin.
JÖRGEN
Für meinen Ruhm bist du besorgt? Geliebte!
HEDDA
Wenn du erst ein Erfolgsautor geworden,
Dann werden Germanistikprofessoren
Und auch Studentinnen der Germanistik
Nachforschen, wer die Frau an deiner Seite.
JÖRGEN
Ja, hinter jedem großen Manne steht
Ein Musenweibchen, das ihn inspirierte.
HEDDA
Wenn du den Preis der Schiller-Stiftung kriegst,
Dann wirst du Geld bekommen, lieber Mann.
JÖRGEN
Des Gelds Geschlechtsteil ist erotisch, Weib.
HEDDA
Dann mit dem Geld erfüll ich meine Träume.
Du wirst mir dann ein schönes Landhaus kaufen
Und kaufen mir ein Pferd, reinrassig, edel.
Ich werde nur die schönsten Kleider tragen
Und Schmuck von Silber, Gold und Edelsteinen
Und Schuhe aus dem Leder von Delphinen.
JÖRGEN
Für diese Eitelkeit verbranntest du
Das größte Epos eines deutschen Dichters?
O Eitelkeit der Eitelkeiten, Weib!
HEDDA
Ja, kann denn ein Autor in Deutschland sein,
Wenn Gottlieb Adler deutscher Dichter ist?
Ich bin doch deine Muse, Jörgen Stark.
Und mehr als Muse noch, die Ehefrau,
Die sich um den Erfolg zu kümmern hat.
Dein Geld ist meins. Dies Feuer ist für dich!

SECHSZEHNTE SZENE

BENONI
Nun, Hedda Heidena, ist Gottlieb Adler
Gefahren in die Hölle, in den Himmel.
Das Messer fand ich in dem Leichnam stecken,
Dein Mädchenname steht auf diesem Messer.
HEDDA
Was willst du sagen mir damit, Benoni?
Dass etwa ich sei schuld an seinem Tod?
BENONI
Ich hab das Messer ja an mich genommen,
Dass es die Polizei nicht findet, Schönste.
HEDDA
Du nennst mich Schönste? Schaust so lüstern drein?
BENONI
Wenn ich das Messer geb der Polizei,
So wirst du sicher angeklagt, Geliebte.
HEDDA
Dann gib das Messer nicht der Polizei.
BENONI
Aus Liebe will ich dir zu Willen sein,
Wenn du aus Liebe mir zu Willen bist.
HEDDA
Ich dir zu Willen sein, wie meinst du das?
BENONI
Ja, weißt du nicht, dass ich dich sehr begehre?
Ich werde vorm Gefängnis dich bewahren,
Wenn du mir deine Liebe schenkst, Geliebte.
HEDDA
Ich lieb dich nicht, du Winkeladvokat!
BENONI
Nun, solche Liebe mein ich nicht, romantisch
Musst du mich auch nicht lieben, o Begehrte,
Doch schenke mir die Reize deines Körpers!
HEDDA
Und wenn ich meine Reize dir geschenkt,
Verrätst du dann mich an die Polizei?
BENONI
Nein, Gott verdamm mich in die tiefste Hölle,
Wenn ich nur Einmal mit dir schlafen darf!
HEDDA
Ich bin geschmeichelt, Winkeladvokat,
Für mich du opferst auf dein Seelenheil
Und wirfst dich Satan in die Arme, nur
Für Eine Liebesnacht mit der Begehrten?
Ich bin geschmeichelt! Doch ich sage: Nein!
BENONI
Das Messer aber ist verräterisch!
Was ist denn schon dabei? Doch nur der Körper,
Doch nur den unbeseelten Körper will ich,
Dein Herz ist mir egal, ich will dein Fleisch!
Entscheide dich: Gefängnis oder Bett?

SIEBZEHNTE SZENE

HEDDA
Wie ekelt mich das Erdenleben an!
Nun Gottlieb Adler hat sich selbst ermordet,
Nun sehe ich, wie billig ist dies Leben,
Man wirft es weg aus nichts als Liebeskummer!
Was für ein Schwächling dieser große Dichter!
Jetzt bleibt nur noch die arme Kreatur,
Mein Mann, der Herr Pantoffel-Patriarch!
Was sind das doch für Elendskreaturen!
Ich glaube gar, von einem bösen Willen
Sind wir geworfen in die Welt aus Schein.
Erlösung – doch nicht christliche Erlösung
Mit der persönlichen Unsterblichkeit
Und glücklichem Genießen in den Himmeln,
Das such ich nicht, doch die Erlösung such ich,
Die im Erlöschen meiner Seele liegt!
Den Ego-Tod in alle Ewigkeit
Begehre ich und traumlos schlafen will ich
Und mich versenken in das Nichts, die Leere,
Verlöschen in dem Ungewordensein,
Als wär ich nie geboren, nie geworden!
Denn besser als die Menschen, die noch leben,
Viel besser haben es die Toten doch,
Und besser als die Toten, die einst lebten,
Viel besser geht es doch den Ungewordnen!
Die Seele, welche nie erschaffen wurde,
Die Seele preise ich allein glückselig!
Wenn ich mir jetzt das dumme Leben nehme,
Dann nicht, um Gottliebs Seele zu begegnen
In einem Paradiesesgarten droben
Hoch über allen Galaxien, sondern
Ich will mich ungeschehen machen, will
Zum Schöpfer sagen: Hättest du doch nicht
Geschaffen meine Seele, denn ich bat
Dich nicht darum, mein Schöpfer, mich zu schaffen!
Wer gab dir denn das Recht dazu, mein Schöpfer,
Ein Wesen zu erschaffen, das nicht will
Erschaffen sein, das ungeworden bleiben
Im Nichts und in der Leere will und nie
Die Schöpfung sehen, die ein böser Gott
Geschaffen hat. Ach, wäre auch die Schöpfung
Des Universums nie erschaffen worden!
Wenn Gott vor aller Ewigkeit glückselig
In seiner liebenden Dreifaltigkeit
Gewesen ist, warum hat Gott als Schöpfer
Die böse Welt aus namenlosen Leiden
Geschaffen und der Seele Nichtigkeit
Gehaucht, aus Nichts, im Leeren zu verlöschen?
Nein, Schöpfergott, ich sage Nein zu dir!

(Sie schneidet sich die Pulsadern auf und verblutet.)

ACHTZEHNTE SZENE

SONJA
Ach Jörgen, ich hab das Notizbuch doch
Von Gottlieb Adler noch, dem Genius,
Germanischem Propheten der Idee,
Und darin stehen weite Teile schon
Des Epos von Urania geschrieben
In klassischen Hexametern und Teile
In Prosa auch, die doch poetisch ist.
JÖRGEN
So wollen du und ich, geliebte Sonja,
Rekonstruieren die Urania,
Posthum veröffentlichen dieses Epos,
Auf dass der Name Gottlieb Adlers strahle
So wie das Sternbild Adler an dem Himmel.
Ich habe ein Gedicht geschrieben auf
Den Tod von Hedda und von Gottlieb, weißt du.
SONJA
So rezitiere dein Gedicht, mein Jörgen.
JÖRGEN
Ich schaute eine Seele, die war rein,
War rein wie eines Kindes Seele, nein,
War rein wie eines Engels Seele, siehe,
Ich sah sie schweben in der Morgenfrühe
Zu einem Diamanten auf, darin
Ein Auge war, lebendig war der Sinn
Des Auges, und die Seele sah hinein
Und dachte voller tiefem Grauen: Nein,
Ich tat noch niemals Gutes auf der Erde,
Verdammt ich sicher in das Feuer werde,
Ach würde doch ich von dem Feuer besser!
Ein Schmerz durchfährt mich, wie von einem Messer,
Als schnitt ein Messer scharf durch meinen Arm,
Ich stehe ganz im Feuer, Gott erbarm!
Als Gott sie um Erbarmen bat, da kam
Ein Lichtstrahl, der die Sicht ihr ganz benahm,
Vom Lichtstrahl stand die Seele ganz geblendet,
War all ihr Leid mit einemmal beendet,
In Ohnmacht ist die Seele da gefallen
Und ruht nun selig in des Himmels Hallen.
SONJA
Sehr schön, mein Jörgen Stark, du bist ein Dichter,
Du wirst das Lebenswerk von Gottlieb Adler
Vollenden nach dem Tod des Genius
Und Ruhm ihm schaffen in den deutschen Landen
Und ganz Europa und der ganzen Welt.
Ich aber werde bei dem Mahl des Herrn
Für seine Seele in dem Fegefeuer
Gebete opfern und die Hostie opfern,
Auf dass er bald gelangt ins Paradies!

THESEUS UND ARIANNA AUF NAXOS


ERSTES KAPITEL

THESEUS
Dank dir, Ariadne!
ARIADNE
Nenn mich nicht mehr Ariadne, nenn mich Arianna!
THESEUS
So dank dir, Arianna!
ARIANNA
Du warst von Athen gekommen, die Jünglinge von Athen zu erlösen, die unserm Minotaurus auf
Kreta geopfert werden sollten. Der Dank der Knaben gebührt dir.
THESEUS
Wie hätte ich aber meine Mission ohne dich erfüllen können?
ARIANNA
Der Mann tut, die Frau ist.
THESEUS
Zu viel haben uns die Dichter erzählt vom verderblichen Wesen der Frauen.
ARIANNA
Helena...
THESEUS
...die Troja verbrannte.
ARIANNA
Pandora...
THESEUS
...von der alle Übel der Welt stammen.
ARIANNA
Deianira...
THESEUS
...die Herakles auf den Scheiterhaufen brachte.
ARIANNA
In Kreta aber vor alten Zeiten wurden die Frauen geehrt als Königinnen, ja, Göttinnen.
THESEUS
Und du, kretische Prinzessin, bist meine Göttin in Menschengestalt.
ARIANNA
Ich gab dir nur den Wollknäuel und den Faden, der dich aus dem Labyrinth des Minotaurus wieder
herausführte.
THESEUS
Und warst wie die dreifaltige Schicksalsgöttin und hieltest meinen Lebensfaden in deinen Händen.
ARIANNA
Ich dein Schicksal?
THESEUS
Ich danke dir, meine Schicksalsgöttin, ich danke dir mein Leben, meine Rettung, mein Heil!
ARIANNA
Wir kretischen Frauen kennen das Labyrinth.
THESEUS
Du segnetest meinen Einzug und du segnetest meinen Auszug. Ich bin, was ich bin, durch deine
Gnade.
ARIANNA
Wir haben als Jungfrauen, Mütter und Königinnen getanzt den Tanz der Göttin des Mondes Mene in
diesem Labyrinth.
THESEUS
So dank ich deinem Tanz meine Erlösung!
ARIANNA
Wir haben die labyrinthischen Spiralen getanzt, die Bahnen des Mondes, das gebogene All. Wir
tanzten in Raum und Zeit den Tanz von Geburt und Leben und Tod und Wiedergeburt.
THESEUS
Dank dir, Arianna, durch deinen jungfräulichen Tanz hast du mich wiedergeboren zu einer
lebendigen Hoffnung der Unsterblichkeit der Seele und des ewigen Lebens in Elysium!
ARIANNA
Das ewige Leben! Unsere Weisen streiten sich noch, ob es eine Unsterblichkeit der Seele gibt, eine
Unsterblichkeit allein des göttlichen Geistes, eine Wiederverkörperung auf Erden, eine ewige
Wiederkehr des Gleichen, eine Auferstehung des Fleisches?
THESEUS
Und da ich dich so sehe, glaube ich an die Unsterblichkeit der Seele, denn ewig möcht ich dich so
schauen von Angesicht zu Angesicht!
ARIANNA
Und hoffen dürfen wir doch, zu schauen die Götter im Tanz der Sphären!
THESEUS
Ja, schauen will ich dich Göttin im Tanz!
ARIANNA
Ich bin nur ein Schatte, ich bin nicht die Idee. Doch nach dem Tode wird sich wiegen die Idee im
Himmelsblau.
THESEUS
Die Idee und die Liebe! Die Idee und die Rose! Das ist, was bleibt. Ich danke dir, Arianna, du bist
die holde Hoffnung, du gütige, immergeschäftige, die du das Haus des Trauernden nicht
verschmähst!
ARIANNA
Nur sprich nicht so viel vom Tod, sprich lieber vom Leben. Gott ist das Leben.
THESEUS
Doch wen die Götter lieben, den lassen sie jung sterben. Und besser als die Toten haben es die
Ungeborenen.
ARIANNA
Ich habe noch keinen Ungebornen fragen können, ob es ihm gut geht in seiner Nichtigkeit.
THESEUS
Sagen doch die Weisen, vor der Empfängnis im Fleisch sei die Seele im Himmel und schaue Gott.
Aber ich preise die Stunde meiner Geburt.
ARIANNA
Warum?
THESEUS
Ich bin geboren, um dich zu schauen und dich schauend dich zu lieben! Ich bin für dich geschaffen!
Darum danke ich dem Demiurg, der meinen Leib geschaffen, meine Augen, dich zu schauen, meine
Ohren, dich zu hören. Dank sei dem Demiurg für deinen schönen Körper, dein schwarzes Haar,
deine blauen Augen, deine sinnlichen Lippen, deine hüpfenden Brüste!
ARIANNA
Du dankst für den Kerker des Körpers, den Sarg der Seele?
THESEUS
Ich danke dir, o kretische Prinzessin, du hast mich weiser als die Philosophen gemacht, du hast
mich gelehrt, den Leib zu lieben, den Leib als Mittel der Einfühlung in das geliebte Du!
ARIANNA
Du kommst an kein Ende mit deinem Dank.
THESEUS
Zuerst sag ich Dank dir für kleine Dinge, dann lerne ich auch Dank zu sagen für große Dinge.
Zuerst Dank für meine Rettung, dann Dank für meine Hoffnung, dann Dank für die Unsterblichkeit,
dann Dank für die neue Schöpfung, dann dank für die unsterbliche Seele und den verklärten Leib!
ARIANNA
So danke den Göttern!
THESEUS
Aber dass ich Götter glauben kann, das danke ich dir, denn in dir seh ich die Gutheit der Gottheit!
Dank dir, Geliebte, unaussprechlichen Dank!

ZWEITES KAPITEL

ARIANNA
Du hast mir so schön gedankt, Geliebter, ich will dir auch danken.
THESEUS
Mir? Der ich unwürdig deiner Liebe bin?
ARIANNA
Du nennst mich die Göttin von Kreta – aber was muss das für ein Mann sein, der eine unbefleckte
Göttin liebt!
THESEUS
Du bist zu gütig.
ARIANNA
Du könntest ja auch gehen nach Korinth in den Hafen, und eine Thais oder Lais lieben, oder eine
Phryne, pure Lustobjekte männlicher Sinnlichkeit.
THESEUS
Ach, manchmal lockt schon der süße Schoß einer lüsternen Hetäre, aber mein Genius ermahnt
mich: Du bist der Göttin geweiht!
ARIANNA
Und deine demütige Göttin ist dir dankbar.
THESEUS
Aber wofür? Was leiste ich schon?
ARIANNA
Nach Leistung frag ich nicht, ich suche nur dein Herz. Weißt du noch, in Kreta, im Hafen Phönix,
angesichts des Leuchtturm, wie ich zu dir sagte: Mein Geliebter, wollen wir nicht heiraten?
THESEUS
Wie schön du da in meinen Augen warst! Mir schien, die goldene Aphrodite hatte dir ihren
Liebreizgürtel geliehen.
ARIANNA
Und du knietest vor mir nieder, mit einer blauen Blume in der Hand, und sagtest: Geliebte, willst du
mich zum Ehemann?
THESEUS
Nicht aus böser Lust wollte ich dich heiraten, sondern ich wollte der Vater deiner Kinder sein.
ARIANNA
Und wenn ich, Priesterin der Göttin, jemals Kinder haben sollte, so wollte ich für sie keinen
anderen Vater als dich. Wir haben uns also verlobt!
THESEUS
Keusche Göttin! Doch wir wollten unsre Ehe nicht beginnen wie die Hurenböcke, denn wir sind
Kinder der Heiligen Mutter.
ARIANNA
Und auch dafür sag ich dir Dank, dass du nicht nur meinen Leib genießen wolltest, sondern wolltrst
den heiligen Segen der keuschen Ehegöttin.
THESEUS
Wiewohl du allzu reizend und verführerisch jetzt neben mir am Strande liegst, da kann ich nur
hoffen, heilige Jungfrau, dass du keusch für uns beide bist und dass mit uns in dieser Nacht nicht
geschieht, was ich will.
ARIANNA
Das Fleisch ist schwach, aber der Geist ist willig.
THESEUS
Wir warten auf ein Schiff, das uns von Naxos nach Athen bringt, dort treten wir vor die
Hohepriesterin der Ehegöttin Hera und bitten um das Mysterium der Ehe und der Göttin heiligen
Segen.
ARIANNA
Bis die Götter gesegnet unsre Ehe, leben wir keusch wie Brüderchen und Schwesterchen.
THESEUS
Als Knabe lag ich unter einem Apfelbaum und mir erschien in einer Vision das Antlitz einer
Jungfrau geistig in dem Duft der Apfelblüten, ein Antlitz mild, als wär es meine Schwester. Ich habe
keine Schwester, aber mir schien, im Himmel bei den Göttern lebe meine himmlische Schwester
und sei mir Genius und Schutzfrau.
ARIANNA
Und ich liebe dich wie einen Bruder und noch mehr als einen Bruder.
THESEUS
Sind doch alle Menschen Brüder und Schwestern, denn Zeus ist der Vater der Götter und Menschen.
ARIANNA
Und ich liebe die ganze Menschheit und so liebe ich auch dich.
THESEUS
Und wenn ich dich begehre?
ARIANNA
Begehre nicht meinen Leib in ungenügender Selbstsucht und verzehre dich nicht vor Verlangen. Ich
will mich dir ja schenken, wenn die Götter es gnädig erlauben.
THESEUS
Auch ich will dich nicht missbrauchen für egoistische Eigenliebe, sondern ich will mich dir
schenken und mich ganz hingeben mit Leib und Seele und Geist.
ARIANNA
Warten wir auf ein Zeichen des Himmels.
THESEUS
Ich liebe dich! Das ist das Zeichen des Himmels.
ARIANNA
Sag es schöner.
THESEUS
Ich bin in dich verliebt! Das ist der Frühling.
ARIANNA
Ich danke dir für dein Ja zu mir.
THESEUS
Du bist so schön, mein himmlisches Mädchen!
ARIANNA
Ich bin schön, weil ich dich liebe.
THESEUS
Du bist die vollkommene Schönheit.
ARIANNA
Ich danke dir für alle Liebe, die du mir erweist. Du weißt, ich liebe dich auch.
THESEUS
Du liebst mich? Mich?
ARIANNA
Ich liebe dich mit einer feurigen Liebe! Ich liebe dich mit einer grenzenlosen Liebe!
THESEUS
Die Weisen wissen, was Liebe ist. Liebe ist Weisheit und Weisheit ist Liebe. Ich schenke dir mein
Herz! Ich sterbe mir selber ab und begrabe mich in deinem Herzen! In deinem Herzen will ich
auferstehen! Du wirst mein Herz in deinem Herzen umfangen und es bereichern mit der Huld deiner
Liebe und so mein Herz mir wieder schenken, voll von deiner schönen Liebe! - Aber ich bin bang,
du schenkst mir mein Herz nicht zurück.
ARIANNA
Fürchte dich nicht! Ich tu dir nichts zuleide.
THESEUS
Schenkst du mir dein Herz?
ARIANNA
Mein Herz und die Insel der Seligen!
THESEUS
Was Hoffnung, da ich selig bin in deiner Liebe! Was Glaube, da ich deine Herrlichkeit schaue! Nur
Liebe bleibt, mit der ich dich in Ewigkeit lieben will!
ARIANNA
Mein Herz ist mein Ich und dein Herz ist mein Du, und Ich und Du sind eins in Liebe.
THESEUS
Ich möchte mit dir verschmelzen...
ARIANNA
Ich lade dich in meinen Schoß ein.

DRITTES KAPITEL
THESEUS
Ich habe geschlafen, und siehe, ich bin so süß erwacht.
ARIANNA
Erzähle mir deinen Traum.
THESEUS
Ich habe einen erotischen Traum gehabt.
ARIANNA
Von mir und dir, Geliebter?
THESEUS
Von mir und dir, Geliebte.
ARIANNA
Haben wir uns vereinigt?
THESEUS
Auf die süßeste Weise, die ich kenne.
ARIANNA
Preis sei der Königin der Liebe, die solche Träume dir eingibt.
THESEUS
Die Weisheit der Götter kennt alle Fibern meines Herzens. Ihr sind meine Träume bekannt.
ARIANNA
Eros ist mächtig.
THESEUS
Was ist ein Mann ohne Eros? Ich will kein Mann der Apathie sein. Die hochgerühmte
Leidenschaftslosigkeit der Philosophen ist unschöpferisch. Eros ist Schöpfer! Der Eros im Mann
macht den Mann zum Mitschöpfer Gottes.
ARIANNA
Die Götter haben Freude, wenn Bruder und Schwester friedlich zusammen leben. Die Götter haben
Freude, wenn die Bürger einer Stadt friedlich zusammen leben. Die Götter haben Freude, wenn
Mann und Frau in perfekter Harmonie zusammen leben.
THESEUS
Die Göttin der Freundschaft stiftet die Harmonie im Universum.
ARIANNA
Die Königin der Liebe hält mit ihrem Zaubergürtel des Weltalls tobendes Entzücken zusammen.
THESEUS
Alle Liebe kommt von der Göttin der Liebe. Ich preise sie, weil sie mir Arianna als Lebensgenossin
gegeben hat.
ARIANNA
Ich preise sie, weil sie mir Theseus zum treuen Kameraden gegeben hat.
THESEUS
Treuherzige Kameradin, Treuliebchen, lass uns zusammen Aphrodite preisen!
ARIANNA
Ich sah einst auf Kreta vor dem Königspalast im Frühling eine Aphrodite-Prozession. Männer
trugen auf ihren Schultern die Aphrodite-Statue, die auf einem Thron von weißen Lilien stand.
THESEUS
War sie nackt?
ARIANNA
Nein, sie trug ein feuerrotes Kleid, ein meerschaumweißes Hemdchen, einen meerblauen Mantel.
Nur ihre schmalen Füße waren nackt.
THESEUS
War sie allein oder war Eros bei ihr?
ARIANNA
Sie trug auf den Armen den nackten Knaben Eros, er war etwa vier Jahre alt. Er schmiegte sich an
ihre Brüste.
THESEUS
Segnete Aphrodite den König und das Volk von Kreta?
ARIANNA
Ja. Sie zog erst in einer geduldigen Prozession durch das Volk, bis sie dem König im Palast von
Knossos gegenüber stand. Er saß auf seinem goldenen Thron und schien im Zwiegespräch mit der
schönen Göttin versunken. Dann zog Aphrodite zum Königsthron, stellte sich neben den König, der
König verneigte sich vor der schönen Göttin und hielt dann eine Ansprache an das Volk von Kreta.
THESEUS
Und sangen die Priesterinnen Gesänge?
ARIANNA
Sie sangen immer: Chaire, Charis, Herrin der Charitinnen, du bist voller Charme, und voller
Charme ist dein göttlicher Sohn Eros! Heilige Frau und Göttin, segne uns hier und heute und wenn
Thanatos seine Fackel senkt!
THESEUS
Wie war das Antlitz der schönen Göttin?
ARIANNA
Es war das Antlitz eines jungen Mädchens, einer heiligen Jungfrau. Sie schaute überaus zärtlich aus
großen leuchtenden Augen. Die Augenlider lagen schwer auf den Augen. Die Wimpern waren lang.
Ihre schwarzen Haare waren in der Mitte gescheitelt und flossen lang herunter. Ihre Nase war
schlank und klein. Ihr Mund war rot und sinnlich und von charmantem Lächeln umspielt.
THESEUS
Ich liebe die Mutter des göttlichen Eros!
ARIANNA
Preise mir den Knaben Eros, dann freut sich die schöne Muttergöttin.
THESEUS
Es war letztes Jahr in Athen, es war in der schönen Frühlingszeit. Anhaltender Frühlingsregen vom
Vater im Himmel hatte die Mutter Erde fruchtbar gemacht, und die Natur stand in Saft und
Grünkraft. Farbiger glühten die Blüten und hingebungsvoller sangen die Vögel und brünstiger
gurrten die Turteltauben. Da ging ich mit meinem Knaben Didymus in der Natur spazieren. Er
wollte Schmetterlingsraupen suchen und züchten, denn er sagte: Wenn man gut zu den Raupen ist,
dann bleiben die Schmetterlinge bei einem. Ich sah ihn schon im Geist ins Gymnasium gehen mit
einer Wolke von weißen Schmetterlingen um sein Haupt. Ich dachte auch an die Seele, denn wir
Menschen auf Erden sind Raupen, die sich im Grab verpuppen, aber in Elysium ist unsre Psyche ein
Schmetterling.
ARIANNA
Eine hübsche Geschichte. Ist das dein Lob des Eros?
THESEUS
Du weißt, die Weisen sagen, die Geschöpfe der Erde sind nur Schatten und Abglanz von göttlichen
Ideen. Der weise Mann ist ein Seher und sieht im Abbild das Urbild.
ARIANNA
Du schautest also im Knaben Didymus den göttlichen Eros?
THESEUS
Ja, es war wie eine Vision, es war mir, als öffnete Aphrodite mir den Himmel und zeigte mir
wunderschöne Landschaften in Elysium, da mein Geist mit dem Knaben Eros spazieren ging.
ARIANNA
Möge Gott Eros den Knaben Didymus segnen, in dem sich der kleine Gott offenbarte.
THESEUS
Ja, und um das Ebenbild vollkommen zu machen, schenkte ich dem Knaben Didymus einen Köcher
mit Pfeilen und einen Bogen aus Eschenholz.
ARIANNA
Ich bin müde, mein Geliebter. Morpheus sei gepriesen, der uns den Schlaf schenkt.
THESEUS
Auch ich will schlafen an deiner Seite und bin voller Erwartung, was ich träume, denn die Götter
sprechen zu uns durch Träume und Visionen.

VIERTES KAPITEL

THESEUS
Arianna, schläfst du? Sie schläft. Ich aber bin wach von einem bilderreichen Traum. So lebhaft war
der Traum wie die Ereignisse des Tages. Lasst mich besinnen, ihr Götter! Vielleicht war es ein
prophetischer Traum? Ich sah Gesichte. Ich sah vor einer Hirtenhütte auf einer Moosbank Chiron
sitzen, den Vater der Kentauren. Sein dichter Bart war grau, sein Leib der eines Pferdes, aber seine
Augen strahlten Weisheit und Güte aus. Er schaute in den heiligen Hain und siehe, da sah ich
Helena, zehn Jahre jung, die mythologische Jungfrau, ewig jung, von schlanker Gestalt, die Beine
waren Beine der Gazelle, ihr Leib war sportlich-beweglich wie bei den Jünglingen im Gymnasium,
ihr Haupt umfluteten goldene Haare, die sie zu Zöpfen gebunden hatte, eine kaum zu bändigende
Mähne, ihr Antlitz war schneeweiß, aber rötlich glühten ihre Wangen von keuscher Leidenschaft,
ihre Augen glühten feurig, von tiefem funkelndem Blau, und ihre Lippen dufteten Honig. Und ich
sah, und siehe, bei ihr war der Knabe Eros, vielleicht neun Jahre alt, und Helena und Eros spielten,
sie spielten Haschen und Fangen. Helena hielt einen purpurnen Ball in den Armen und Eros
versuchte, den Ball zu kriegen. Und wenn Eros den Ball hatte, lief er davon, und Helena eilte ihm
nach. Und hatte Helena den purpurnen Ball, so trug sie ihn zu Chiron, stolz den Sieg über Eros
zeigend dem alten Kentauren. Der saß unbeweglich in seiner gütigen Weisheit, aber seine Augen
strahlten, wenn er Helena sah, er bewunderte ihre schlanke Anmut und ihre honigduftenden Lippen,
ihre goldenen Haare, ihre glühenden Augen. Eros aber wälzte sich auf der Wiese und bat die schöne
Helena: Gib mir den purpurnen Ball! Und Helena warf Eros den Ball zu. Da sah ich, und siehe, ich
sah, wie Eros die Maske des Thanatos hielt in seinen Händen. Aber o Mitternacht! Wer kommt! Wer
ist diese Göttin! Du, wer bist du, himmlische Jungfrau?
APHRODITE
Ich bin die keusche Aphrodite.
THESEUS
Sprich, Herrin, dein Sklave hört.
APHRODITE
Mein Herz ist voll von unendlicher Traurigkeit wegen der Menschen. Ob der Demiurg die Mutter
Natur erschaffen, die Menschen achten den Demiurg nicht. Ob Adonis im Herbst gestorben und im
Frühling auferstanden, die Menschen achten Adonis nicht. Was habe ich nicht alles für die
Menschen getan! Ich habe alles gegeben, aber keinen Funken Dankbarkeit geerntet. Nicht den
geringsten Funken Dankbarkeit. Die Menschen sind dem Hades verfallen, weil sie nicht lieben. Die
Menschen sind dem Hades verfallen, weil sie keine Gedanken der Liebe denken. Die Menschen
sind dem Hades verfallen, weil sie keine Liebe im Herzen haben und darum auch keine Liebe geben
können. Die Menschen sind dem Hades verfallen, weil sie die Mutter Natur nicht achten. Die
Menschen sind dem Hades verfallen, weil sie Kinder töten. Die Menschen sind dem Hades
verfallen, weil sie die Liebe mit Füßen treten. Das muss ich euch sagen, eure unendlich traurige
Mutter.
THESEUS
O Mutter, meine Seele und deine Seele sind eins.
APHRODITE
Ich schaue voller Huld auf die schlafende Arianna. Nein, Theseus, sie ist nicht tot, sie schläft nur.
Immer, wenn du den blumenreichen Weg des Lasters verlässt und den dornenreichen Weg der
Tugend beschreitest, wird Ariannas schlafende Seele dein Genius sein, deine Schutzfrau.
THESEUS
Werde ich Arianna heiraten in Athen?
APHRODITE
Eine andere Hochzeit hast du geträumt. Mein Sohn Eros, neun Jahre alt, und die schöne Helena,
zehn Jahre alt, werden Hochzeit feiern in Elysium.
THESEUS
Bin ich zu alt zur Ehe?
APHRODITE
Du bist ein König, Theseus. Du sollst Athen, die Stadt der Weisheit regieren. Du brauche deinen
politischen Glauben. Du sollst in Hellas die Theokratie der Schönheit stiften!
THESEUS
Aber was wird aus Arianna?
APHRODITE
Ein Gott hat Arianna auserwählt.
THESEUS
Ein Gott? Es gibt viele Götter. Welcher Gott hat Arianna auserwählt?
APHRODITE
Dionysos.
THESEUS
Der trunkene Gott, der von Indien gekommen ist?
APHRODITE
Er hat bei sich selbst geschworen, Arianna als seine Braut zu freien.
THESEUS
Doch wollte ich ja Arianna heiraten.
APHRODITE
Das ist dir verboten.
THESEUS
Und das sagst du, die Göttin der Liebe? Du bist doch von Zeus dazu berufen, die Werke der Ehe zu
stiften.
APHRODITE
Arianna ist auch berufen zur Ehe.
THESEUS
Aber du sagtest, die Ehe sei ihr verboten.
APHRODITE
Die Ehe mit einem Sterblichen ist ihr verboten. Aber zur Ehe mit dem Gott ist sie auserwählt.
THESEUS
Warum?
APHRODITE
So hat es dem Gott gefallen.
THESEUS
So ist ein Gott mein Rivale.
APHRODITE
Füge dich dem Willen des Gottes und du wirst gesegnet.
THESEUS
Wird Arianna glücklich mit dem Gott? Wird sie mich vergessen?
APHRODITE
Das Glück ist nicht das Höchste Gut. Das Höchste Gut ist die ewige Trunkenheit Gottes.
THESEUS
Wird der Gott des Wahnsinns Arianna zu einer Wahnsinnigen machen?
APHRODITE
Alle Dichter sind Wahnsinnige. Alle Liebenden sind Wahnsinnige. Alle religiösen Seher sind
Wahnsinnige.
THESEUS
Ich ergebe mich dem Willen der Götter.
APHRODITE
So geh! Aber geh mit dem Segen der heiligen Götter.

FÜNFTES KAPITEL

THESEUS
Ich dachte, ich liebe dich, Arianna, ich dachte, ich wollte dich zur Braut. Aber nun haben es die
Götter anders beschlossen. Der Wille der Götter geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Und die
Götter sind menschenfreundliche Geister. Nicht sind sie neidisch auf das Glück des Menschen und
suchen es zu zerstören. Nein, sie wollen unser Wohl. Dein Heil ist die Gottes-Ehe. Und auch ich bin
versöhnt mit meinem Schicksal. Das allmächtige Schicksal, das die Götter regiert, dem Zeus selbst
gehorcht, das allmächtige Schicksal regiere auch mich. Ich bin zufrieden mit meinem Los. Mir ist
das Los gefallen auf ein liebliches Land, auf Athen, die Stadt der göttlichen Weisheit. Und nun bin
ich erleuchtet. Mir sind die Augen aufgegangen. Ich wäre mit dir nicht glücklich geworden,
Arianna. Und ich hätte dich auch nicht glücklich machen können. Ich diene der Schönheit allein.
Und was, Arianna, wenn du alt und hässlich geworden wärest? Dann hätte ich von der
vierzehnjährigen Helena geträumt, dann hätte ich im Schlaf den Namen Helena gelallt, und du
wärest eifersüchtig geworden, eifersüchtig wie eine Furie. Nein, ich habe schon manche Nymphe
geliebt, als sie Nymphe war, aber ich habe auch manche Nymphe sich in eine Furie verwandeln
gesehen. Das will ich dir nicht antun, Arianna, dass ich mit dir verschmelze und mich dann losreiße
von dir, der neuen Schönheit selig nachzuwandeln, dich zurückzulassen mit einem zerrissenen
Herzen. Dazu liebe ich dich denn doch zu sehr, als dass ich dich verletzen könnte. Ich kann den
Frauen nicht treu sein. Ich kann nur treu sein meinem eigenen Stern, dem Stern der
immerjugendlichen Schönheit. Also, Arianna, wenn du mich hörst in deinem Schlaf, und der Schlaf
ist der Bruder des Todes, so höre meine Stimme jetzt: Ich verlasse dich und bewahre doch meine
Liebe zu dir. Ich vertraue dein ewiges Schicksal deinem göttlichen Bräutigam an, der allein mit
seiner ewigen Liebe dich glückselig machen kann. Aber was kommt da? Über das Meer
geschwommen kommt nach Naxos ein Schiff. Siehe, der Kapitän tritt ans Land.
KAPITÄN
Ich komme auf Geheiß der Götter zu dir, o König Theseus.
THESEUS
Welche menschenfreundliche Gottheit hat dich zu mir gesandt? Wer von all den Göttern hörte mich,
da ich schrie?
KAPITÄN
Die gütigen Tyndariden sind mir im Traum erschienen.
THESEUS
Die göttlichen Zwillinge!
KAPITÄN
Eben dieselben. Kastor, der Sohn des Tyndareos, schmiegte sich an meinen Rücken, und
Polydeukes hielt eine Rede: Meine Mutter Leda ist tot! Mein Vater ist Zeus, der König der Götter!
THESEUS
Wie haben die Himmlischen dich geführt?
KAPITÄN
Sie sprachen im Traum, ich solle segeln, ein König bedürfe meiner Hilfe. Aber ich wusste nicht,
wohin?
THESEUS
Und wie hast du den Weg hierher gefunden, zur einsamen Insel Naxos?
KAPITÄN
Die Zwillinge tanzten wie kleine Blitze auf dem Mast meines Schiffes. Sie zeigten mir durch ihre
hellen Blitze, rechts oder links, den Weg. Und so kam ich nach Naxos.
THESEUS
Du kommst gerade recht. Ich muss diese schlafende Jungfrau verlassen, denn der heilige Gott
Dionysos hat sie sich zur Braut erwählt.
KAPITÄN
Wehe dem, der sich Dionysos entgegenstellt. Dionysos würde deine Mutter wahnsinnig machen,
dass sie dich bei lebendigem Leibe zerreißt und dein Fleisch auffrisst.
THESEUS
Ich aber muss ins vernünftige Athen. Die göttliche Jungfrau Athene sagt: Durch mich regieren die
Könige! Und ich muss regieren und die Theokratie der Schönheit realisieren, in Athen, in Arkadien,
im ganzen panhellenischen Reich.
KAPITÄN
So sei willkommen auf meinem Schiff. Es ist nicht gerade die Argo, aber es bringt dich sicher zum
Ziel.
THESEUS
Mein Kapitän, ich habe meinem Vater gesagt, wenn ich heil aus Kreta heimkomme und die
athenischen Jünglinge vor dem Opfertod gerettet habe, dann komme ich zu Schiff gefahren mit
einem schwarzen Segel. So bitte ich dich, hisse ein schwarzes Segel, denn siehe, ich lebe!
KAPITÄN
Das wird deines Vaters Trost sein, denn ein lebender Sohn ist der Trost eines alten Vaters.
THESEUS
Ich sehe meinen alten Vater, er sitzt in seinem Thronsessel, es ist ein Thronsessel der Weisheit. Er
liest in den alten Pergamenten die Legenden der heiligen Helden und die Orakel der Seher der
Götter. Aber er ist fast erblindet und sieht nur noch mit dem Herzen gut. Sein Geist ist schon nicht
mehr ganz auf Erden, sondern wandelt schon am Acherusischen See.
KAPITÄN
Hat er die himmlischen Götter geehrt, dass er hoffen darf, Elysium zu betreten?
THESEUS
Mein Vater hat Apollon geliebt, Phöbus Apollon, wenn er am Morgen im Osten aufgeht, im Süden
steht im Zenit, im Westen schlafen geht im Meeresbett. Mein Vater hat Apollon angebetet und hat
den Gott gebeten, von seinen ehrwürdigen makellosen Händen Strahlen der Gnade ausfließen zu
lassen, himmlische Kräfte, auf das silberne Haupt meines Vaters. Mein Vater hat die alten Seher
geehrt, die die Metempsychose geschaut, und die alten Seher, die die Weltseele liebten. Mein Vater
erwartet, in der Stunde seines Todes mit seiner Psyche sich in die absolute Substanz aufzulösen.
KAPITÄN
Aber es wird die Freude des Alten sein, vor seinem Abscheiden von der Erde noch einmal seinen
Sohn zu sehen, den Erben seines Reiches.
THESEUS
Darum löse die Taue, Kapitän, lichte den Anker, und segle mit der Gnade Poseidons rasch in die
Heimat.
KAPITÄN
Ich vertraue auf den Segen der göttlichen Zwillinge.
THESEUS
O Vater, ich komme heim!

SECHSTES KAPITEL

In den himmlischen Lüften, über der Insel Naxos schwebt der Chor der Mänaden, vollbusige
Weiber mit langen schwarzen Mähnen und Pantherfelle lasziv um die halbnackten Leiber
geschlungen. Zu ihrem Psalm schlagen die Zymbeln, Zymbeln des Jubelgeschreis.

CHOR DER MÄNADEN

Wir sagen euch an


Den lieben Sdvent:

Er kommt,
Er kommt,
Dionysos kommt!

Bereitet euch,
Ihr törichten Jungfraun,
Bereitet euch,
Ihr weisen Jungfraun,
Bereitet euch
Zur himmlischen Hochzeit!

Siehe, um Mitternacht
Oder wenn der Hahn kräht
Kommt der Gott,
Kommt der Bräutigam!

Seid trunken
Und wacht in der Nacht!

Lasst klingen
Die Zymbeln,
Lasst klingen
Die Zymbeln
Des Jubelgeschreis!

Blast das Horn!


Der Tag des Herrn
Ist nahe!

Schlagt in die Hände,


Schlagt die Klapperbleche,
Windet um die glühenden Lenden
Die schwarzen Pantherfelle!

Seid bereit
Zum heiligen Nachtmahl!
Seid bereit
Zur seligen Trunkenheit Gottes!

ERSTE MÄNADE

Der König ging am Abend


Auf dem Dach des Palastes
Durch den betötend duftenden
Adonisgarten
Und sah, und siehe, was er sah,
War ein nacktes Weib,
Sie badete sich lasziv
Die üppigen Glieder.
Der König ließ sie kommen
Und nahm sie in sein Bett
Und zeugte in ihrem Shoß.

Aber den Ehemann


Der nackten Buhlerin
Schickte der König
An die Front des Krieges
In Todesgefahr.

Der Ehemann starb!


Die süße Buhle war frei!

Dionysos jauchzte,
Denn Dionysos liebt
Die Werke Aphrodites.

CHOR DER MÄNADEN

Trinkt, meine Brüder,


Und werdet trunkeneVor Liebe!

Wir tranken unsre Milch


Und aßen unsern Honig,
Wir tranken unsern Wein
Und wurden trunkeneVor Liebe!

Siehe, der Wein


Geht lieblich ein
Meinem Geliebten
Und lässt seinen Mund
Im Traumschlaf murmeln.

Lob sei dem Gott,


Der den Wein geschaffen
Zur Wonne unserer Hrzen!

ZWEITE MÄNADE

Der Gott ging auf Erden


In Jünglingsgestalt
Und kam in das Haus
Der korinthischen Huren.

Eine Hure warf sich


Mit aufgelösten Haaren
Und nackten Brüsten
Dem Gott zu Füßen
Und küsste seine Füße.
Die kalten Gelehrten aber,
Die die halbnackte Hure sahen
Liebkosen den trunkenen Gott,
Die kalten Gelehrten dachten:
Was ist das für ein Gott,
Der die Huren liebt?

Aber der selige Gott


Sagte zu den kalten Gelehrten:
Ihr Wissensstolzen
In eurer nüchternen Tugend
Habt mir nicht die Füße geküsst,
Aber diese halbackte Hure
Küsste leidenschaftlich meine Füße.

Sie hat viele Männer geliebt,


Darum hab ich sie angenommen.

CHOR DER MÄNADEN

Dionysos und Aphrodite


Sind Eines Sinnes!

Trunkenheit der Liebe!


Liebe zur Trunkenheit!

Der Wahnsinn der Liebe


Und der Wahnsinn des Weines
Verzückt uns
In den elysischen Garten!

Evoe, Evoe!
Im Wahnsinn der Prophetie
Künden wir lallend
Den neuen und ewigen Gott,
Wir singen den Advent des Gottes,
Der war und ist und der kommt
Zu seiner heiligen Hochzeit
Mit der schlafenden Braut!

EURYDICE IM HADES

ERSTER AKT
(Ort: Die Erde, Theben in Griechenland. Zeit: Die Antike.)

ERSTE SZENE

EURYDICE
Mein Gatte Orpheus! Welche Langeweile doch
Ist eingekehrt in unsre Ehe! Du sitzt da,
Du starrst in deinen Becher voller Zypernwein
Und schaust mich nicht mehr an und sprichst mit mir nicht mehr.
ORPHEUS
Geliebte, wenn ich an die Philosophen denk,
Ob Wasser oder Feuer Urgrund ist der Welt,
So weiß ich doch, dass du davon rein nichts verstehst.
Nur wenn ich spräche von der Lust als Höchstem Gut,
So würdest du den Philosophen wohl verstehn,
So aber würfe ich die Perlen vor die Sau.
EURYDICE
Doch Menschen auch, die Lust als Höchstes Gut anschaun,
Auch solche können herzensgute Menschen sein.
ORPHEUS
Mich langweilt deine Weisheit dieser eitlen Welt
Und dein Geplapper und Geplauder noch vielmehr.
Du redest über Menschen nur, nur übers Fleisch,
Ich aber denke an die ewgen Götter nur.
EURYDICE
Als ich noch jung war, Dichter, warst du sehr charmant
Und sangest zu der Lyra Liebes-Oden mir
Und priesest mich ans Neue Aphrodite gar,
Jetzt aber bist du mürrisch, übellaunig nur
Und machst mir keine netten Komplimente mehr.
ORPHEUS
Ja, wenn die Reize einer jungen Frau vergehn,
Vergehen auch die Komplimente eines Manns.
Die Jugend nur ist reizend und erotisch, doch
Die Gnade einer reifen Frau besteht darin,
Dass man mit ihr von ewgen Göttern reden kann
Und über Philosophenweisheit sprechen kann.
EURYDICE
Ich glaub, du schaust dich nur noch nach der Jugend um.
ORPHEUS
Zur süßen Liebe fehlt es dir, Eurydice,
An heißer Leidenschaft wie in der Jugendzeit,
Zur weisen Freundschaft fehlt es dir, Eurydice,
An männlichem Verstand und weiblichem Genie.
EURYDICE
Bevor du weiter mich beleidigst, lieber Mann,
Geh in den Garten ich, die Rosen anzusehn,
Du bleibe nur allein mit deinem Becher Wein.

(Eurydice ab.)

ORPHEUS
Ich will berauschen mich am roten Zypernwein,
Am Blute des Dionysos, des Herrn des Wahns,
Ich will berauschen mich am Purpurblut des Herrn
Dionysos und dann versinken in dem Arm
Des Morpheus, der mir schöne Träume oft geschenkt,
Und also bitte ich den Gott des Schlafs, des Traums,
Dass ich noch einmal von dem Mädchen Nympha träum!
Wie schön sie war mit ihrem purpurroten Mund,
Der lachend meine Finger abgeküsst im Traum,
So süße Lippen, o so feucht und o so warm!
Ja, Nympha ist mein Traum, des Dichters Ideal,
Sie ist so schlank wie eine Palme, anmutreich,
Die lange glatte Haarflut ist maronenbraun,
Die braunen Augen groß und von der Mandel Form,
Der schlanke weiße Hals ein langer Schwanenhals,
Die mädchenhaften Brüste fest und straff und weiß,
Sie ist ein Ideal, ist geistige Idee
Von sinnenhafter Schönheit rein und makellos!
Ich wäre längst zu ihr gegangen, ihr als Mann
Zu offenbaren Liebe nach Poeten-Art,
Doch eine Göttin hält mich bei Eurydice!
Ich hätte doch Eurydice verlassen schon
Und wäre längst gegangen schon zur jungen Maid,
Wenn diese hohe Göttin mir nicht Herrin wär!
Die Göttin Pheme ist die Göttin meines Ruhms,
Sie wird für meinen Nachruhm sorgen in der Zeit,
Und Göttin Pheme – oder nenn ich Ossa sie –
Des Ruhmes Göttin Pheme hat mir prophezeit,
Dass meines Ruhms Unsterblichkeit in Zukunft ist
Verbunden mit dem Namen der Eurydice!
Eurydice –mein Ruhm! Die Göttin Pheme sprachs,
Des Ruhmes Göttin Ossa hat es prophezeit!
Und was auch soll das junge Mädchen Nympha mir?
Noch ist sie jung, noch ist sie reizend, makellos,
Von ungeheurer Anmut, großer Grazie,
Jedoch die Weisen lehren mich, bei Töchtern stets
Die Mütter anzuschauen, denn so werden sie,
Wenn ihrer Jugend Reiz verflogen ist, ja dann
Trägt Warzen sie wie Hexen von Thessalien,
Nein, Nymphas Mutter ist ein widerliches Weib,
Ist nicht nur hässlich, sondern auch noch dumm wie Stroh!
O Göttin meines Ruhmes, Göttin Pheme du,
Besondre Art von Göttin du mit Zungen viel,
Die du mit vielen Zungen die Posaune bläst,
Dir weih ich meinen Ruhm in Zeit und Ewigkeit!

ZWEITE SZENE

EURYDICE
Mein heimlicher Geliebter, Aristäus mein,
Ich habe Langeweile in der Ehe zwar
Und all mein Leben ist ein Leben ohne Salz,
Das stört mich aber nicht. Ich lebe gerne noch,
Denn wenn man einmal eine große Qual erlebt,
Weiß man zu schätzen süße Langeweile erst.
ARISTÄUS
Sprich nicht von Langeweile, vielgeliebtes Weib,
Die Muße preise du als große Göttin mehr!
EURYDICE
Und wäre ich nicht müßig in dem Garten oft
Und träumte vor mich hin und lauschte Vogelsang,
Wie könnten wir sonst scherzen voller Liebesglut?
ARISTÄUS
Ja; denke dir, Eurydice, du wärest gar
Ein Bauernweibchen oder eine Sklavin gar
Und müsstest Tag für Tag sehr schwere Arbeit tun,
Wann sollten dann wir voller Liebe scherzen süß?
EURYDICE
Und, Aristäus, wenn du von der Liebe sprichst,
So fühle ich mich wieder wie zur Jugendzeit,
Als Orpheus noch für mich geschwärmt voll Liebesglut.
Wie abgestanden unsre Ehe heute ist,
Wie schales Wasser, weder heiß noch kalt, nein lau,
Zum Speien ist dies laue abgeschmackte Nass!
ARISTÄUS
Ich bin ein Imker, meine Herzenskönigin,
Und sehe gerne Bienen mit dem Stachel scharf
Im Krokuskelche bohren, um den Nektarseim
Zu sammeln für die große Bienenkönigin.
Du weißt vielleicht, der Staat der Bienenkönigin
Ist ganz ein Matriarchat wie in der Goldnen Zeit,
Als noch die Große Mutter herrschte in der Welt.
Es gibt im Staat nur Eine Bienenkönigin,
Und wer die Wonne ihrer Liebe spüren durft,
War gern bereit, im Bett zu sterben süßen Tod.
Die andern dienen ihr als Sklaven insgesamt.
Und du, Eurydice, bist Bienenkönigin
Und ich will gerne sterben in dem Liebesbett,
Man nennt die Liebe nämlich auch die Kleinen Tod!
EURYDICE
Zwar Orpheus ist ein Sänger, Dichter und Prophet,
Doch solche süßen Worte habe ich noch nie
Von ihm vernommen, oder lange ist es her,
So lange her, dass ich mich nicht erinnern kann.
ARISTÄUS
Mein Schatz, ich möchte gerne einen Bienenstock
Mit einem meiner Bienenvölker stellen hier
In deinen Garten, mitten in den Thymian,
Ja, mitten in die Krokuswiese weiß und blau.
EURYDICE
Komm morgen wieder, Liebling, heute muss ich gehn,
Für heute sei’s genug der Liebesscherzerei,
Jetzt ruft mich abendliche eheliche Pflicht,
Dem Orpheus zu bereiten still sein Abendmahl.

(Eurydice ab.)

ARISTÄUS
Das ist ein Weib, so ganz nach meines Gaumens Schmack!
Doch was ich ihr noch nicht verraten habe, ist,
Dass ich kein Imker bin, dass ich kein Hirte bin,
Jedoch, ein Hirte bin ich wohl und weide all
Die todgeweihten Schafe in der Unterwelt.
Ich bin ein Gott und Pluton ist mein Name, ich
Bin Bruder des Poseidon und des Donnrers Zeus.
Zeus waltet über alle oben im Olymp,
Mit Lilienarmen Hera ihm zur Seite thront,
Poseidon herrscht, der blaugelockte Meeresgott,
Im weiten Ozean mit der Doriden Chor,
Und Amphitrite in der Tiefe hat ihr Bett.
Ich aber, Pluton, bin der Gott der Unterwelt,
Der Hades ist mein Reich, die dunkle Totenwelt,
Und keine Ehegattin mir zur Seite thront,
Ich Gott allein und keine Göttin ist bei mir.
Die Weisen aber sagen: Unersättlich ist
Der Schoß der unfruchtbaren Frau und ebenso
Vollkommen unersättlich ist das Totenreich.
Die Menschen haben tiefe Sehnsucht doch nach mir
Und ihre Dichter sagen: Wen die Gottheit liebt,
Der stirbt schon in der Mitte seiner Zeit. Und auch
Die Dichter sagen: Besser als die Lebenden
Die Toten haben es in dunkler Unterwelt.
Ich auch bin voll Begier nach einem Eheweib,
Wie König Zeus Gespielinnen auf Erden hat
Und Leda einst begattete als weißer Schwan,
Europa einst begattete als weißer Stier,
Und auch Poseidon hat Gespielinnen im Meer
Und manches Mädchen er begattete als Fluss.
Ich aber, Gott, begehre die Eurydice,
Begehre dieses Wonneweib voll Üppigkeit!
Wie üppig ihre vollen großen Brüste sind!
Wie üppig und wie schwellend ihre Lippen sind!
Ich werde eines Tages ihr enthüllen, dass
Ich Pluton bin, dann offenbare ich der Frau
Die ganze Schreckensmajestät des Totengotts!
Vorerst bin ich ihr Schäfer, bin ihr Imker süß,
Vorerst will ich mit der Gewalt des Eros sie
Umgarnen und sie schmeichelnd locken in mein Netz.
Ich sage, ja, mit der Gewalt des Eros, denn
Gott Eros ist bekannt auch in der Unterwelt.

DRITTE SZENE

ORPHEUS
Ich finde dich ganz unerträglich, altes Weib,
Es ist doch besser, dass ein weiser Dichter wohnt
Allein in einem stillen Winkel unterm Dach,
Als dass er wohnt zusammen in dem selben Haus
Mit einem Weib, des Zunge immer zänkisch ist.
EURYDICE
Du bist ein Frauenfeind geworden, dicker Mann.
ORPHEUS
Mit einem Weibchen zu verkehren, welches stets
Gleich einem Wasserfalle schwatzt und plaudert, das
Ist so, als bläse man die Kriegstrompete laut.
EURYDICE
Wir Frauen wissen eben über unser Herz
Zu reden, doch ihr Männer sprecht nur mit dem Wein.
ORPHEUS
Ein Weib, das immer schwatzt und immer plaudert, das
Ist für den stillen und gelehrten weisen Mann
Wie eine Düne ganz aus Sand für einen Greis,
Der an der Krücke humpelnd steigen soll hinan.
EURYDICE
Du bist ganz einfach unverschämt geworden, Mann.
ORPHEUS
Ein schönes Weib, das aber ohne Sitte lebt
Und unmoralisch lebt alleine für die Lust,
Ist so wie eine Sau mit einem goldnen Ring.
EURYDICE
Du nennst mich Sau? Du selber bist ein altes Schwein,
Du vergewaltigst in Gedanken mich, du Schwein!
ORPHEUS
Du bist ein Skorpion, du bist ein Plage-Geist!
Wenn Götter strafen wollen diese Welt der Schuld,
So senden sie Skorpione mit dem Schwanz voll Gift,
Und so ein Plage-Dämon bist du in Person!
EURYDICE
Du bist so arrogant und eingebildet, Kerl,
Du willst, man soll stets lauschen deinem Weisheitswort
Und ganz Empfängnis sein, ganz feminin und still,
Doch wenn die Frau verkündet ihren eignen Wert,
Wenn eine Frau verkündet, dass sie wertvoll ist,
Dann hältst du sie für überheblich und für stolz,
Weil du nur an dich selber glaubst und deinen Wert,
Du hältst dich selbst für einen Philosophen, doch
Du bist ja auch nicht besser als ein geiler Kerl.
ORPHEUS
Ja, tu du nur so keusch und halte dich für Gott,
Ja, halte dich für eine Sonnengöttin, doch
Du bist ein dummes Weib und dazu alt und dick.
EURYDICE
Ich alt und dick? Das höre ich mir nicht mehr an.
ORPHEUS
Ich geh zu meinen Freunden in die Schenke und
Betrinke mich mit Wein, dass ich vergessen kann,
Dass ich vergessen kann mein böses Eheweib!

(Orpheus ab.)

EURYDICE
Jetzt müsste Aristäus kommen, schmeicheln mir,
Und sagen mir, ich sei noch sehr begehrenswert,
Und reden, süß wie Honig, weg die Bitterkeit.

(Auftritt Aristäus-Pluton)

ARISTÄUS
Was schaust du denn so traurig drein, Geliebte mein?
EURYDICE
Mein Gatte Orpheus hat mich schwer beleidigt grad,
Noch ist verletzt, noch ist verwundet mein Gemüt.
ARISTÄUS
Dein Gatte Orpheus weiß dich ja zu schätzen nicht,
Eurydice, du bist zu schön für diese Welt!
EURYDICE
Du sagst so nette Sachen immer, lieber Freund.
ARISTÄUS
Ach, wenn ich dich nur einmal küssen dürfte, Schatz!
EURYDICE
Es ist in Ordnung, Aristäus, küss mich nur.
ARISTÄUS
So sauge ich mich fest an deinem Schwanenhals!
EURYDICE
Du beißt mich ja, Geliebter! Weh, es flieht mein Geist!
PLUTON
Da liegt Eurydice in tiefer Ohnmacht nun!
Der Kuss des Totengottes ist ein kalter Kuss!
Nun ist sie mein, Eurydice ist völlig mein!
Ich habe sie gebissen! Und ein Tropfen Blut
Eurydices hat ihre Seele mir vermacht!
Wir untern Götter lieben sehr das Menschenblut!
Die Priester wollen uns versöhnen mit dem Blut
Von Lämmern, die sie schlachten uns auf dem Altar,
Doch dürsten wir allein nach wahrem Menschenblut!
Das Blut des Menschen ist ein ganz besondrer Saft!
Und jetzt, wo ich von ihrem Blut getrunken hab,
Wo ich von ihrem Fleisch gegessen habe, jetzt
Versunken bin in tiefer Liebe ich zu ihr!
Jetzt, jetzt hat Orpheus keine Rechte mehr an ihr!
Die Ehe ist ein Heiligtum auf Lebenszeit,
Doch mit dem Tode endet auch der Ehebund.
Der Toten Geist gehört dem Totengott allein!
Nun führ ich sie ins Reich des Todesschattens ein,
Nun führ ich sie ins Reich der Finsternis hinab.
Noch einmal wache auf von deinem Schlummer, Weib,
Noch einmal aus der Ohnmacht du erhebe dich,
Noch einmal will ich wecken dich vom Todesschlaf
Und dann gehört mir deine schöne Seele ganz.

(Eurydice erwacht.)

EURYDICE
Du, Aristäus, du bist Pluton? Ich bin dein!

VIERTE SZENE

PLUTON
Du solltest einen Brief an Orpheus schreiben noch
Und Abschied nehmen vom vertrauten Ehemann.
EURYDICE
Ich war zwar eines Dichters Frau und früher auch
Er nannte Muse mich, doch schreiben kann ich nicht.
PLUTON
So sage mir, was du in deinem Herzen trägst,
Dann will ich formulieren deinen Abschiedsbrief.
EURYDICE
Wie soll ich denn beginnen, was sag ich zuerst?
PLUTON
Mein lieber Orpheus? Oder lieber Ehemann?
EURYDICE
Mein Schatz, mein Schätzchen hab ich immer ihn genannt.
PLUTON
Gut, also: Lieber Schatz, ich wende mich an dich...
EURYDICE
Was sage ich in dieser Abschiedsstunde ihm?
PLUTON
An wen denn denkst du jetzt, da dich der Tod geküsst?
EURYDICE
An meine liebe Mutter denk ich allermeist,
Zunächst der Mutter auch an Orpheus denke ich.
PLUTON
Ich denke jetzt, da mich der Bruder Tod geküsst,
In meines Lebens letztem Augenblick an dich!
EURYDICE
Doch an die liebe Mutter noch viel inniger.
PLUTON
Das muss ja Orpheus wissen nicht, das lassen wir.
EURYDICE
In Ordnung. Aber sagen will ich ihm doch noch,
Dass er nach meinem Tode glücklich werden soll
Mit seinem jungen Mädchen Nympha, seinem Schwarm.
PLUTON
Mein Liebling, wenn ich in dem Totenreiche bin,
Sollst keine bittren Tränen weinen du um mich,
Nein, schau ein junges Mädchen an und tröste dich,
Denn in dem Totenreiche sind wir alle jung.
EURYDICE
Und wenn er denkt, ich wäre eifersüchtig dann?
PLUTON
Und denke nicht, ich wäre eifersüchtig dort,
Ich hab im Totenreiche alles was ich brauch
Und wünsche mir nur eines: Dass du glücklich bist.
EURYDICE
Ja, das ist schön. Und auch noch die Erinnerung
An unsre wilde Liebe in der Jugendzeit?
PLUTON
Was willst du sagen von der süßen Liebeslust?
EURYDICE
Er möge sich erinnern, wie wir uns geliebt.
PLUTON
Dann schreib ich so: Mein Schätzchen, denke an die Lust,
Wie wir uns lüstern liebten in der Jugendzeit!
EURYDICE
Ja, das ist gut gesagt. Nur lüstern sage nicht,
Sprich lieber doch von Herzlichkeit, von Innigkeit.
PLUTON
Mein Schätzchen, denke an die süße Liebeslust,
Wie in der Jugend du mich innig hast geliebt!
EURYDICE
Was sag ich weiter? Etwas noch zu seinem Trost?
PLUTON
Vielleicht: Und wenn ich Schatten bin im Totenreich,
Dann denke du daran in deiner Trauerzeit,
Dass ich als dein Daimonium stets bei dir bin.
EURYDICE
Ja, schreibe so. Das ist gewiss ein schöner Trost.
PLUTON
Und weiter Worte auch der Hoffnung noch für ihn.
EURYDICE
Der Hoffnung? Welche Hoffnung denn dem Trauernden?
PLUTON
Ich bin ja stets um dich als dein Daimonium
Und wenn du selber sterben wirst als weiser Greis,
So auf der Insel der Glückseligen vereint
Im Lichte leben Orpheus und Eurydice,
Wie heute Helena lebt dort schon mit Achill.
EURYDICE
Sehr schön. Lies einmal vor. Was haben wir bis jetzt?
PLUTON
Mein lieber Orpheus, Schatz, ich wende mich an dich.
Ich denke jetzt, da mich der Bruder Tod geküsst,
In meines Lebens letztem Augenblick an dich.
Mein Liebling, wenn ich in dem Totenreiche bin,
Sollst keine bittren Tränen weinen du um mich,
Nein, schau ein junges Mädchen an und tröste dich,
Denn in dem Totenreiche sind wir alle jung!
Und denke nicht, ich wäre eifersüchtig dort,
Ich hab im Totenreiche alles was ich brauch
Und wünsche mir nur eines, dass du glücklich bist.
Mein Schätzchen, denke an die süße Liebeslust,
Wie in der Jugend innig du mich hast geliebt.
Mein Herz, und wenn ich Schatte bin im Totenreich,
Dann denke du daran in deiner Trauerzeit,
Dass ich als dein Daimonium stets bei dir bin.
Ich bin ja stets um dich als dein Daimonium,
Und wenn du selber sterben wirst als weiser Greis,
So auf der Insel der Glückseligen vereint
Im Lichte leben Orpheus und Eurydice,
Wie heute Helena lebt dort schon mit Achill.

FÜNFTE SZENE

ORPHEUS
Ich hab den Abschiedsbrief gelesen und ich fühl
Kein bisschen Liebe für die Frau Eurydice.
Nun ist sie also tot. Und ich bin endlich frei!
Was war sie doch für eine Last auf meinem Geist,
Ich konnte nicht mehr denken, kontemplieren nicht,
Sie zog mich immer in des Alltags Not hinab.
Urworte orphisch hätt ich gern geschrieben, doch
Eurydice mich immer band an diese Welt.
Ich bin ein Göttersohn, ich bin ein Kind des Lichts,
Eurydice war eitel und ein Kind der Welt.
Und muss ich denken an Eurydice im Grab,
Wo ihre Leiche liegt, der geilen Würmer Fraß,
So werf ich keine rote Rose in ihr Grab,
Ich werfe eine rote Nelke nur hinab.
Hinab mit dir, du rote Nelke, so profan,
Im Augenblick des Todes der Eurydice
Ich fühle keine Liebe in des Herzens Grund.
Nun ist sie endlich fort und ich bin endlich frei!
Sie sagte ja zu mir: Du lege flach dich hin,
So will ich schreiten über deinen Rücken stolz!
Was schreibt sie aber stolz in ihrem Abschiedsbrief?
Ich solle zu dem jungen Mädchen Nympha gehn
Und trösten mich, in Ewigkeit sind alle jung.
Zu Nympha will ich eilen und ihr sagen an,
Dass ich nun frei geworden von Eurydice
Und dass ich Nympha lieben kann, die junge Maid.
So will ich eilen gleich zu Nymphas Heiligtum,
Zu ihrer Hütte in der lieblichen Natur,
Dort lebt sie unter Pferden, Stute oder Hengst,
Dort lebt sie unter Lämmern als die Hirtin schön,
Dort lebt sie unter Hühnern, Eier legenden,
Dort lebt sie unter Tauben, in den Eichen ruckts.
Dort will das junge Mädchen Nympha treffen ich
Und schauen ihre Schönheit an, der Anmut Glanz,
Der langen braunen Haare Flut und Wasserfall,
Der großen braunen Augen schöne Mandelform,
Der himmlisch süßen Lippen tiefes Scharlachrot,
Des langen weißen Halses schlanken Schwanenhals,
Die schlanke Grazie niedlich hübscher Brüste Paar,
Den braunen Schönheitsflecken auf der linken Brust.
Und sagen will ich Nympha: Maid, ich liebe dich,
Weil du bist ganz der Schönheit göttliche Idee!
Du bist ja keine Frau aus dieser Schattenwelt,
Du bist die makellose göttliche Idee
Der unbefleckten Schönheit in dem Grazienleib,
Und solche Schönheit schaute ich noch nie im Traum,
Wie du sie offenbarst in aller Wirklichkeit.
Nur deine Mutter soll von Liebe hören nichts,
Weil sie den Hexen gleich ist von Thessalien
Und neidisch wäre auf der Tochter reinen Reiz!

(Auftritt der Göttin Pheme.)

PHEME
Mein Orpheus, halte ein, besinne dich ganz still.
ORPHEUS
Gegrüßet seist du, Herrin, was ist dein Begehr?
PHEME
Erzähle mir von deinem Traume heute Nacht.
ORPHEUS
Ich träumte, dass ich läg im breiten Ehebett
Und liebevoll erkannte Frau Erydice.
PHEME
Und an dem Tag du lästerst über sie so laut?
ORPHEUS
Es ist ganz seltsam, denn am hellen Tage bin
Ich voller Groll und voller Ingrimm über sie
Und meine fast, ich hasse Frau Eurydice,
Doch stets zur Nacht, da träum ich liebevollen Traum
Und liebe Frau Eurydice mit Innigkeit.
PHEME
Entferne du aus deinem Herzen allen Hass!
ORPHEUS
Wir lebten zwanzig Jahre doch zusammen als
Ein altes Ehepaar und in Vertraulichkeit
Wie Brüderchen und Schwesterchen. Nun ist sie tot,
Und nach dem ersten Wüten meines Hasses spür
Ich in der Tiefe meines Herzens, dass sie fehlt!
Ja, dass sie fehlt und dass ich sie vermisse sehr!
PHEME
Ein jeder großer Mann in seinem Rücken hat
Und treu an seiner Seite eine große Frau.
ORPHEUS
Wenn ich die Götter sang, die nie ich hab gesehn,
Für jede Göttin stand Eurydice Modell.
PHEME
Du sollst in Ewigkeit des Nachruhms leben so
Als Dichter der Eurydice, ihr Bräutigam
Auf Erden und vom Tode ungeschieden noch.
Und darum sollst du sie erbitten von dem Herrn
Und Vater Zeus anflehen hoch auf dem Olymp,
Dass Vater Zeus Eurydice dir wiedergibt.
ORPHEUS
Wo wohnt denn Vater Zeus? Die Weisen sagen doch,
Allgegenwärtig sei im Innern der Natur
Der Geist des Zeus, es wohne Vater Zeus im Licht,
Das unzugänglich sei, der unerforschte Gott!
PHEME
Ich aber will nach Zypern dich geleiten und
Im Wagen fahren einen Weg auf den Olymp,
Auf Zypern nämlich das olympische Gebirg
Trägt auf dem Gipfel Gottes Haus und Heiligtum
Und ich, die Göttin Pheme, führe dort dich ein
Bei den Olympiern und ihrem König Zeus.

SECHSTE SZENE

CHOR DER EROTEN

Der Weise lehrt,


Dass ein Mann
Und eine Frau
In Treue leben
Sollen ihre Ehe
Bis zum Tode
Des Mannes.

Dann ist die Frau


Nicht mehr gebunden
An ihren Ehemann.

Die Witwe darf


In aller Gottesfurcht
Wieder heiraten.

Aber besser wäre es,


Wenn die Witwe
Allein bliebe
Nach dem Tod
Des Ehemannes
Und im Gebet
Den Göttern diene.

Die jungen Witwen


Sollen lieber
Nach dem Tod
Des Ehemannes
Wieder heiraten,
Damit sie sich nicht
Verzehren
In unbefriedigter
Begierde!

Aber die alten Witwen


Sollen lieber
Ihre Kinder
Und Kindeskinder lehren
Die Lehre der Götter
Und gute Werke tun
Der Barmherzigkeit
Und leben
Wie Jungfrauen
Bis zum Grabe,
Geweihte der Götter!

Aber die Dichterin


Der Liebe sagt:
Wenn ein Mann
Vor seiner Frau stirbt,
Soll die Frau
Den verewigten Mann
Weiter lieben
Als himmlischen Schutzgeist.

Wenn die Witwe


Nach dem Tod
Des Ehemannes
Sich einen Freund
Zum Liebhaber nimmt,

So begeht sie
Nach den Worten
Der Dichterin
Der Liebe
Posthumen Ehebruch!

Wenn ein Mädchen,


Geliebte eines Dichters,
Stirbt in ihrer Jugend,

Soll der Dichter


Sie feiern
Als Schutzgeist
Seiner Liebe,

Er soll sie preisen


In heiligen Hymnen
Als Verkörperung
Göttlicher Weisheit,
Die den Dichter
Zu den Göttern
Nach Elysium führt.
Aber ein anderer
Dichter der Liebe
Lehrte die jungen Dichter:

Stirbt euch
Eine Geliebte,
So trauert nicht
Der Toten nach,
Lebt nicht allein
In Erinnerung
An die tote Geliebte,

Sondern sucht euch


Ein lebendiges Mädchen
Zur Huldigung!

ZWEITER AKT

(Ort: auf dem Olymp. Personen: die Olympier. Zeit: die Ewigkeit.)

ERSTE SZENE

ZEUS
O Tochter, große Artemis von Ephesos,
Wie voller Langeweile ist doch der Olymp!
Nur immer Götter anzuschauen und das All
Und das Gebet der Menschheit gnädig hören an!
Wie voller Langeweile öde ich mich an!
ARTEMIS
Mein Vater und mein Herr! Was wäre dir ein Trost?
ZEUS
Ein Mädchen von den Menschentöchtern sah ich jüngst,
Sie zählte etwa neunzehn Jahre, o so jung,
Sie lehnte lächelnd sich ans Haus von Stein,
Zu ihren Füßen stand ein großer Wasserkrug,
Die langen braunen Haare fielen auf die Brust,
Sie hob die beiden Arme über ihren Kopf,
Da unter ihren Achseln wuchs kein bisschen Haar,
Ihr Schamhaar war wie dunkelbraune Wolle kraus,
Der Beine Säulen waren schlank und voller Kraft.
ARTEMIS
Was sagt denn deine Gattin Hera zu dem Bild?
ZEUS
Ich sah ein andres Bild auf schwarzer Erde noch,
Ein Mädchen von den Menschentöchtern, sechzehn Jahr,
Ihr schwarzes Haar fiel auf das weiße Schulterpaar,
Den linken Arm hielt sie erhoben bis zum Kopf,
Mit ihrer rechten Hand hielt sie den Buchenzweig,
Der ihre Scham verhüllte mit dem grünen Laub.
Die mädchenhaften Brüste waren klein und fest
Und ihrer Brüste Spitzen hatten sich versteift.
ARTEMIS
Was sagt denn deine Gattin Hera zu dem Bild?
ZEUS
Ich träume von der blonden Schönheit Leda noch,
Sie zählte eben vierzehn Jahre, eben reif
Zu dem Geschlechtsakt einer Hochzeitsnacht,
So jung und schön, die blonden Haare fast wie Gold,
Zusammen band sie stets ihr Haar zum Pferdeschwanz,
Die Wangen glühten ihr von innerlicher Glut,
Der blauen Augen scharfe Blicke trafen mich,
Sie schien mir die Idee der Schönheit selbst zu sein,
Und in dem Schoß der Schönheit wollte zeugen ich
Als reiner Geist und darum wurde ich zum Schwan
Und zeugte Helena von Sparta väterlich
Und zeugte einen von dem Dioskuren-Paar.
ARTEMIS
O Vater mein im Himmel! Ich hab auch ein Leid.
ZEUS
O Tochter, schütte deine Seele vor mir aus.
ARTEMIS
Als eines Tags gebadet ich in einem Teich,
Ich, denke du, die unbefleckte Jungfrau keusch,
Da schaute durch den Wassernebel mich ein Mann,
Ein Mensch betrachtete die Jungfraungöttin nackt!
Da habe ich verwandelt ihn in einen Hirsch,
Ich schickte meine Hundemeute da auf ihn
Und meine Hunde haben ihn zerrissen und
Getötet. Wehe mir! Aktäon ist nun tot!
Seit dieser Stunde liegt ein Todesschatten auf
Der Seele deiner Tochter, und ich bin betrübt,
Ich höre noch Aktäon, seine Todesangst,
Ich höre röhren ihn wie einen Hirsch in Brunft,
Ich sehe seinen Leib zerrissen, rot wie Blut,
Ich sehe seine Seele fliehen, seinen Geist,
Entweichen sehe ich der Nase seinen Hauch,
Und voller Trauer ist die Göttin, weil der Mann
Nun nicht mehr ihre nackte Schönheit betet an,
Denn doch geschmeichelt hat mir seine Lustbegier.
ZEUS
Nur Einen Menschen liebtest auf dem Erdkreis du?
ARTEMIS
Mein Kummer ist noch größer, Vater mein und Gott.
Ich hatte einen Mann, der mich sehr tief verehrt,
Geringer als ein Sklave war vor mir der Mann,
Und keusch war er, wie eine Jungfrau war er keusch.
ZEUS
Wie war der Name dieses keuschen Menschensohns?
ARTEMIS
Des Königs Theseus Sohn war er, hieß Hippolith.
ZEUS
Was wurde denn aus dem Verehrer keusch und rein?
ARTEMIS
Weil Aphrodite eifersüchtig war auf mich,
Hat sie des Königs Theseus zweite Ehefrau
Verliebt gemacht in ihren Stiefsohn Hippolith,
Und so geschah die traurige Tragödie,
Dass schließlich Hippolith von einem Ungetüm
Zerrissen wurde, und so ist mein Diener tot!
ZEUS
In meinem Reiche glüht die junge Liebeslust,
In deinem Reiche nur der Todesschatten herrscht.
ARTEMIS
Wer je wie ich so eine tiefe Qual gefühlt,
Wünscht sich des Himmels Langeweile gern zurück.
Denn Muße, diese Göttin inspirierend, ist
Der Musen wahre Mutter, Mutter aller Kunst.
ZEUS
Die Muße hat schon große Könige gestürzt,
Die Muße hat schon reiche Städte ruiniert,
Die Muße ist die Mutter der verliebten Lust.

ZWEITE SZENE

HERA
Mein Bruder und mein Gott, o Göttervater Zeus,
Die göttliche Athene sagte eben mir,
Auf Erden sei ein Weib entführt von einem Gott.
Das warst doch du! Ich kenn doch meinen Ehemann!
Es war gewiss ein junges Mädchen, neunzehn Jahr,
Vielleicht auch sechzehn Jahr, vielleicht auch vierzehn Jahr,
Du schaust ja nur noch jungen kurzen Röckchen nach,
Wie sollte ich denn da nicht eifersüchtig sein?
Ich bin doch deine Schwester, deine Ehefrau!
Und neulich, als wir lagen in dem Ehebett,
Als du vom Wein betrunken lagst und laut geschnarcht,
Da hab ich dich im Traume reden hören von
Europa: Ach Europa! stöhntest immer du.
Wie sollte ich denn da nicht eifersüchtig sein?
Ich bin dir wohl zu alt und dick geworden, wie?
Ja, so ein Götterkönig, der von Fleisch sich nährt
Der Opfergaben seiner Menschheit, der darf wohl
Ein dickes Bäuchlein haben, eine Nase rot,
Der immer zechend mit dem Gott Dionysos,
Weil Wein dir einschenkt stets der Knabe Ganymed,
Da hört man keinen lästern hoch auf dem Olymp:
Der Göttervater ist zu alt geworden und
Zu dick geworden ist sein Bauch, die Nase ist
Zu rot vom Weingenuss. So redet nicht ein Gott,
So redet Hera auch mit Lilienarmen nicht.
Ich schaue nicht zu sehr auf äußerlichen Schein,
Das ist ein Schatten nur der wahren Wirklichkeit.
Der äußre Schein ist nichts als Trug und Illusion.
Ich schaue mehr das Wesen an, der Seele Form,
Ich liebe innerliche Schönheit nur allein.
Was, Vater aller Götter, aller Menschen, was
Denn interessierte mich dein langer grauer Bart?
Solang du der Allmächtige voll Gnade bist
Und der Allweise und der Allbarmherzige,
Solange interessiert mich nicht dein grauer Bart.
Und selbst dein dicker Bauch vom vielen Fleischgenuss
Kann mich nicht stören. Und ich such Adonis nicht
Vom Busen seiner Göttin fortzureißen, nein,
Ich bin als Göttin eine treue Ehefrau
Und hab noch nie betrogen meinen Gatten Zeus.
Du aber rennst nur noch den jungen Mädchen nach,
Und wenn ich es nicht besser wüsste, Vater Zeus,
So glaubte ich, du liebtest auch den Ganymed
Unzüchtig in der Sünder Lust der Sodomie.
ZEUS
Das, Weib, verbitt ich mir, so etwas sage nicht,
Sonst ist mein Ruf als guter Vater ruiniert.
HERA
Dann sag mir, ob du wiederum auf Erden warst,
Ob du ein junges Mädchen wiederum entführt?
Sag mir die Wahrheit, Zeus, und schwöre mir beim Styx!
ZEUS
Ich schwöre, Hera mit dem Lilienarm, beim Styx,
Ich habe jüngst kein Weib der Erdenwelt entführt.
Die Sache mit Europa und mit Leda, das
Ist ja schon länger her, du hast mir schon verziehn.
Auch andre Götter lieben Menschentöchter sehr,
Denk an den Gott Dionysos, wie er im Rausch
Das Mädchen Aura sich genommen hat zur Braut
Und wie er später König Theseus’ Liebste nahm,
Er Ariadne nahm auf Naxos sich zur Braut.
Denk an den Gott Apollon auch, den Dichtergott,
Wie er dem schönen Mädchen Daphne nachgejagt,
Bis sie zu einem Lorbeer ward, was Dichter inspiriert,
Dass man sein Ideal als Lorbeerbaum lobpreist.
HERA
Ich weiß, o Gott, du schaust in ferne Zukunft nun.
ZEUS
Und warum denn auch immer junge Mädchen nur?
So manch ein Gott liebt gleichfalls eine reife Frau,
Denn junge Mädchen kichern nur und tänzeln nur
Und lassen sich anbeten zwar, doch ohne Huld
Und ohne Gegenliebe bleiben kalt sie nur.
Die reifen Frauen aber voller Dankbarkeit
Für eines Gottes Schmeichelei sind liebevoll,
Warmherzig pflegen sie die Freundschaft voller Geist
Und wissen einen Gott zu ehren auch als einen Gott.
HERA
Und du, o Gott, ob du auch eine Göttin ehrst?
ZEUS
Vergiss nun einmal all die jungen Mädchen und
Die reifen Frauen auch der armen Menschenwelt,
Du stets noch meine Göttin mit dem Lilienarm,
Des höchsten Götterkönigs schwesterliche Braut!
HERA
So sagst du also, dass du mich noch immer liebst?
ZEUS
Ich liebe dich noch immer, Himmelskönigin,
Du bist noch immer meine Throngenossin, Braut,
Mitgöttin mit dem Gott und Miterlöserin
Mit dem Erlöser, Königin der Genien
Und Mutter aller Götter, Retterin der Welt
Und Mittlerin der Gnaden von dem höchsten Zeus.
HERA
Und bin ich oft auch eifersüchtig, lieber Gott,
Weil du so viele Bräute hast in dieser Welt,
Doch übereigne ich dir meine Seele ganz.
ZEUS
Ich rufe alle Menschen auf dem Erdkreis auf,
Sich zu vertrauen ganz der Himmelskönigin,
Und sich zu weihen deinem reinen Mutterherz,
Denn keiner hat doch Gott zum Vater, wenn er nicht
Die Himmelskönigin zu seiner Mutter hat!

DRITTE SZENE

HERMES
O Vater Zeus, als Götterbote ging ich um
Und schweifte hin und her auf Erden, um zu sehn,
Wie sich die Götter und die Menschenkinder dort
Vereinigten in unsrer heitern Religion.
Ich sah in Theben eine Frau, Eurydice,
Die Ehefrau des Meistersängers Orpheus war,
Die ward von Pluton als von dem verborgnen Gott
In Bräutigamsgestalt zum Totenreich entführt.
Eurydice nahm Abschied von dem Ehemann
Und folgte ihrem Bräutigam und ihrem Gott
Und sang noch eine Ode an den dunklen Herrn.
ZEUS
Was sang die todgeweihte Braut Eurydice?
HERMES
„O Sonnengott, den Allerhöchsten preise du,
O Göttin du des keuschen Mondes, singe Lob,
Den Ewigvater Zeus Kronion preise du!
O Gaia, schwarze Mutter Erde, singe Preis
Dem großen Vater in der Himmelsregion!
In Quell und Bach, im breiten Strome und im Meer,
Ihr Nymphen, preist mit mir den allerhöchsten Zeus!
Und du, o Kerker meiner Seele, o Verließ,
Du meiner Seele Sarg, du fluchbeladnes Fleisch,
Auch du, auch du, lobpreise Gott, der mich erlöst!
Vor allem aber du, o Bräutigam, o Tod,
Du Seelenbruder meiner Seele, preise Zeus,
Dass ich als Frevlerin nicht scheide von der Welt,
Dann wird unsterblich meine Seele selig sein!“
ZEUS
Gott wohlgefällig ist dies Lied Eurydivces.
HERMES
Dein Bruder Pluton, dunkler Gott des Schattenreichs,
Mit einem Kuss hat ihre Seele ihr geraubt.
Fast wie die Hexen lehren in Thessalien,
Wenn sie vom Dämon sprechen, der da saugt das Blut
Aus eines schönen Weibes Hals wie eine Fledermaus,
So biss der Totengott mit einem Biss sie tot
Und so entführte er die Seele dieser Frau
Als seine vielgeliebte Braut ins Schattenreich,
Auf dass im Hades er auch habe eine Braut.
Der Tod Eurydices soll ihre Hochzeit sein!
Dein dunkler Bruder Pluton schon bereitet hat
Im Hades ihr das Brautgemach und Ehebett
Und will vollziehen mit der Braut das Sakrament
Geheimnisvoller Ehe in dem Totenreich.
ZEUS
Wir Götter feiern Hochzeit zwar im Himmelreich,
Die Seelenschatten in Unsterblichkeit jedoch
Nicht wie auf Erden in der Ehe leben, nein,
Sie sind so frei und selig wie die Götter selbst.
HERMES
Sonst hab ich keinen Gott gesehn auf Erden, der
Zum süßen Liebesspiel sich eine Braut geraubt.
ZEUS
Hast du’s gehört, o Hera, Himmelskönigin?
HERA
Ich hab’s gehört, mein königlicher Bruder Zeus.
ZEUS
Und ich bin froh, dass Hermes diese Botschaft bringt,
Nun siehst du meine Unschuld ein, o Schwester-Braut.
HERA
Verzeihe, Bruder mein und Gott, die Eifersucht!
Du weißt jedoch, ich habe manchen Grund gehabt,
Ich habe manchen Grund zur Eifersucht gehabt.
Ich sage nur Europa, sage Leda nur,
Ich sage nur von Danae und deinem Gold.
ZEUS
Lass die veralteten Geschichten ruhen, Frau
Und Göttin meiner Gottheit, das ist lang vorbei.
Jetzt bin ich treu allein der Himmelskönigin
Und schaue nicht mehr nach den jungen Mädchen aus.
HERA
O Vater aller Götter, aber duldest du,
Dass Pluton, der ja nur dein kleiner Bruder ist,
Ein Weib entführt vom Bette ihres Ehemanns?
Du musst als König aller Götter sorgen doch
Dafür, dass in dem Reiche festgehalten wird
Die Heiligkeit der Ehe zwischen Mann und Frau.
Ich bin der Ehe Göttin, das bedeutet viel.
ZEUS
So, Hermes, send ich dich als Götterboten aus,
Geh du zum dunklen Pluton in das Totenreich.
HERMES
Da geh ich gar nicht gerne ein, o Herr und König Zeus.
ZEUS
Gehorche mir, o Hermes! Oder vielmehr noch,
Gehorche Hera, denn die Himmelskönigin
Will, dass ich meinen Bruder Pluton lade ein
Und ihn zur Rede stelle wegen dieser Frau.
HERMES
Wenn es die Himmelskönigin so will! Ich geh.
ZEUS
So nehme Abschied von den Göttern im Olymp
Und steig hinab zur Mutter Erde und hinab
Noch tiefer, bis du in den finstern Hades kommst,
Und rede dort mit Pluton, gib ihm den Befehl
Im Namen deines Gottes Zeus Kronion, dass
Er bald erscheine bei dem Bruder im Olymp.
HERA
Ich, Himmelskönigin, geb meinen Segen dir,
O Hermes, führe du nur meinen Willen aus.

VIERTE SZENE

ZEUS
Willkommen, junger Bruder, hier auf dem Olymp,
Nun kommst du einmal her aus deiner dunklen Nacht,
Das Licht zu sehen auf dem himmlischen Olymp,
Es fehlte nur Poseidon, dritter Bruder er,
Der in dem Meere liegt in Amphitrites Bett,
Poseidon, Pluton, Zeus, drei Brüder wären wir
Und stellten uns der Großen Mutter Rhea vor,
Der Großen Göttermutter, ihr zu huldigen.
PLUTON
Was ließest du mich kommen in die Götterburg?
Familientreffen sind mir ganz zuwider, Zeus!
ZEUS
Nun, kommen wir zur Sache. Es geht ein Gerücht,
Du habest dir ein Weib ins Totenreich entführt?
PLUTON
Des willst du Richter sein, du buhlerischer Gott?
ZEUS
Nun, Hera will es wissen, denn die Königin
Des Himmels fürchtet, dass man bricht den Ehebund
Von Mann und Frau allein durch eines Gottes Wahl.
PLUTON
Ich habe nichts dergleichen je getan, o Zeus,
Das sage bitte du der Himmelskönigin,
Dass ich bin unbeweibt in meinem Totenreich
Und breche nicht die Ehe zwischen Mann und Frau.
ZEUS
Gut. Aber wer kommt da? Die Göttin dort erscheint
Mit einem sterblichen Gefährten im Olymp.
Das ist die Göttin Pheme doch, die bringt den Ruhm,
Ihr sterblicher Gefährte muss wohl sein berühmt,
Ein Weiser oder ein Poet? O Göttin, sprich!
PHEME
Der Mann an meiner Seite, das ist ein Poet,
Aus eigner Tugend hätte niemals er gewagt,
Zum Vater Zeus zu treten hoch auf dem Olymp,
Doch ich als seine Schutzfrau, ich begleite ihn,
Und ich ermutige den Dichter: Sprich mit Zeus,
Zeus ist ein Vater voller Huld und Zärtlichkeit.
ZEUS
Das bin ich wohl. So rede, Menschensohn, zu mir.
ORPHEUS
Mein Name Orpheus ist und ich bin ein Poet,
Ich hatte eine Frau, die meine ganze Lust
Und Liebe war, und wenn wir oft auch stritten uns,
Und voller Langeweile unsre Ehe war,
Nun, da sie tot ist, weiß ich erst: Ich liebte sie!
ZEUS
Tot deine Lieblingin und ist im Totenreich?
ORPHEUS
Ja, Pluton hat sie mir entführt, o Vater Zeus,
O Vater, Vater, gib mir meine Frau zurück!
ZEUS
Da stehen Worte zueinander, Gegenteil
Zu Gegenteil, da ist zuerst das Gotteswort
Und ihm zu widersprechen wagt das Menschenwort.
Der Gott des Todes, Pluton, legt das Zeugnis ab,
Er habe nicht des Dichters Ehefrau entführt.
Kann Pluton lügen? Ist er doch ein großer Gott!
Dagegen steht des Meistersängers Menschenwort
Aus seiner menschlichen Erfahrung, ihm geraubt
Sei seine Frau geworden von dem Totengott,
Und Göttin Pheme legt ein Wort ein für den Mann.
Wenn Gott und Mensch im Streite miteinander sind,
Dann muss der Gott der Götter und der Menschen wohl
Die Sache untersuchen, und das soll geschehn,
Ich werde selber steigen in das Totenreich
Und untersuchen dort die Angelegenheit,
Weil Richter ich der Götter und der Menschen bin.
Jedoch, wenn mir des Dichters Ehefrau gefällt,
So will ich selber haben sie zu meiner Braut!
Denn keiner Ehre könnte größer sein, als Gott
Zum Bräutigam zu haben, aller Götter Gott!
Ich weiß, dass keine sterbliche Geliebte je
Zum Erdkreis wiederkehren möchte, wenn sie schon
Beging mit Gott die Hochzeit in Elysium!
Ich werde also steigen in die Unterwelt
Und bitte alle euch, die mit mir Götter sind,
Zu folgen mir zum Hades in die Unterwelt.
HERMES
Mit Flügeln an Sandalen und am Helm, o Zeus,
Ich folge dir, o Herr, ins Totenreich hinab.
Ich bin der Götterbote ja und werde einst
Auf Erden Kunde geben von dem Totenreich
Und der Unsterblichkeit der Seele in dem Geist.
ARTEMIS
In meiner immerwährenden Jungfräulichkeit
Ich folge dir, o Vater, in das Totenreich,
Denn wiedersehen will ich meinen Hippolith.
DIONYSOS
Ich, kein Olympier, doch Gott auf dem Olymp,
Ich werde Zeus Kronion folgen auch hinab,
Weil ich der Kummerbrecher bin, und Schatten sind
Im Hades voller Kummer, oder weil ich bin
Der Seelensorger, und ich sorge für Manie,
Für heitern Wahnsinn bei den Unterirdischen.
ZEUS
Und du, o Göttin Pheme, kommst du mit hinab?
PHEME
Des Ruhmes Göttin liebt ja sehr das Totenreich,
Weil große Dichter erst nach ihrem Tod berühmt
Geworden sind, nicht alle, aber viele doch,
Die erst nach ihrem Tod auf Erden anerkannt
Als Meister worden sind, und darum komm ich mit.
ZEUS
Wohlan, ihr lieben Götter, auf! Wir brechen auf!

FÜNFTE SZENE

CHOR DER EROTEN

Bei den Göttern


Ist Liebe.
Liebe ist
Der älteste Gott.
Liebe ist
Der Anfang
Von Himmel und Erde.

Schaut die Götter,


Wie sie sich lieben,
Gott und Göttin
In heiliger Ehe.

Die Götter im Olymp


Sind alle verliebt.
Kein Gott ist unter ihnen,
Der ohne Liebe wäre.

Artemis liebt auch,


Sie liebt die Jungfraun.
Hestia liebt auch,
Sie liebt die Vestalinnen.
Athene liebt auch,
Sie liebt die Philosophen.

Die Götter im Olymp


Sind eine heilige Familie.
Zeus und Hera
Sind Mann und Frau.
Artemis, die Große,
Ist Tochter Gottes.

Rhea, die Göttermutter,


Ist die Große Mutter
Von drei Göttern.

Zeus und Poseidon und Pluton


Sind Brüder
Und lieben sich
Wie treue Brüder.

Zeus ist Pflegevater


Vom Knaben Ganymed
Und liebt ihn
Wie seinen eigenen Sohn.

O heilige Familie
Der Götter im Olymp,
Segnet die Familie
Der Menschheit auf Erden!

Eurydice fragte
Den weisen Orpheus:
Gibt es die Götter wirklich?
Und Orpheus sprach:
Die Menschen haben
Die Götter erschaffen
Nach ihrem Ebenbild.

Die Götter des Olymp


Sind des Menschen
Bild und Gleichnis.

Wie die Menschen


Brechen sie die Ehe.
Wie die Menschen
Sind sie begierig nach Lust.
Wie die Menschen
Streiten sie sich.
Wie die Menschen
Führen sie Krieg.

Das ist die Würde


Eines Gottes im Olymp,
Dass er Ebenbild ist
Eines griechischen Menschen.
Das ist die unvergängliche
Würde des Gottes
Und sein unverbrüchliches
Recht als Gott.

Seht den Gott


Der Götter,
Den Vater
Der Götter und Menschen,
Den König,
Wie er sich neigt
In Gnade herab
Zur Tochter des Menschen,
Denn er will als Geist
Zeugen in ihrer Schönheit.

Die Menschentochter
Ward von Gott erwählt
Zur heiligen Göttermagd,
Dass sie Mutter wurde
Des Sohnes Herakles.

Herakles, Sohn des Zeus,


Von der Menschentochter
Jungfräulich geboren,
Wird aufgenommen
Im Olymp
Und von Zeus adoptiert
Zu einem Gott.

DRITTER AKT

(Im Hades, genauer: In Plutons Schlafzimmer.)

ERSTE SZENE

PLUTON
Eurydice, komm mit mir in mein Schlafgemach,
Ins Brautgemach des Gottes dunkler Unterwelt.
Ich will verbergen dich vor allen Toten hier,
Mein sollst du sein allein, die Meine ganz allein,
Und krönen will ich dich zur Königin des Reichs.
Hier unten ist von Ewigkeit zu Ewigkeit
Dein Bett bereitet, schau, des Gottes Ehebett,
Hier sollst du liegen in den Kissen weich und warm,
Sollst Heldenepen liegen haben auf dem Bett
Und lesen die Gebete an die Götter hier
Und mit den Oden meiner Sänger schlafen ein.
Ich will verschließen hinter dir die Flügeltür
Und niemand soll dir stören deinen tiefen Schlaf.
EURYDICE
Der schönste Ort im Universum ist mein Bett!
Und Todessünde ists, zu stören meinen Schlaf.
PLUTON
Von Ewigkeit zu Ewigkeit dein tiefer Schlaf
Soll dir in Träumen zeigen die Glückseligkeit.
Dass keiner von den Toten störe deinen Schlaf,
Hab ich den Styx zu deinem Wächter hier bestellt.
EURYDICE
Mein lieber Pluton, du verlässt mich wieder jetzt?
PLUTON
Ich geh, zu richten Tote und Lebendige.

(Pluton ab. Auftritt Styx.)

STYX
O herrliche Eurydice, o Königin,
Du Königin der Toten und der Lebenden,
Ich, Styx, ich bin der Wächter deinen Brautgemachs,
Mich hat mein Gott und Herr, der dunkle Pluton hat
Beauftragt mich, zu schützen deine Seelenruh.
Ich stehe hier vor deinem Bett mit meinem Schwert
Und halte jedes Alptraums Schrecken von dir fern.
Auch sollen nicht die Fledermäuse nahen dir
Und nicht Dämonen saugen Blut aus deinem Hals.
Entkleide dich, du schöne Königin des Reichs,
Entkleide dich und ziehe dir das Nachthemd an,
Ich singe dich mit einem Lied in süßen Schlaf.
EURYDICE
O Styx, wenn du der Wächter meiner Ruhe bist,
So fürchte ich mich nicht vorm tiefen Todesschlaf!
Und wenn du morgen in der Frühe mich erweckst,
So will ich mich erinnern an den Traum vom Glück.
STYX
Wenn ich dich sehe so in deinem Nachthemd schön,
Wie schön die Haare flattern dir um deinen Leib,
Dann will ich dir bekennen: Ich begehre dich!
EURYDICE
O Styx, mein lieber Freund, ich bin doch Plutons Braut!
STYX
Doch ich bin auch nicht zu verachten, Königin,
Ich war dereinst ein König in Arkadien.
Mir haben alle Hirten dieser Welt gedient
Und Lämmer haben sie geopfert für mein Heil.
Und alle Nymphen und Najaden sangen süß
Die Liebeslieder mir zu Ehren, Lob und Preis.
Die Nymphen in den Bäumen säuselten betört
Und die Dryaden rauschten lauter Lobpreis mir.
Ich war der Vielgeliebter aller Geisterwelt
Und hatte unter mir ein goldnes Friedensreich.
Die Schäfer und die Nymphen waren stets verliebt
Und stets war Frühlingszeit in meinem Friedensreich.
Das goldene Äon des göttlichen Saturn
Mit seiner Einfalt, Lauterkeit und Heiligkeit
Verwirklicht war in meinem Reich Arkadien.
Genug des Lobes meiner Wenigkeit, o Frau,
Erhabne Frau und Herrscherin, ich liebe dich
Und möchte gerne steigen zu dir in das Bett!
EURYDICE
O Styx, mein lieber Freund, jawohl, das schmeichelt mir,
Ich werde gern begehrt, o Styx, doch nicht zu sehr,
Ich bin doch schließlich meines Gottes Pluton Braut.
STYX
Doch träumen darf ich wohl von dir und deinem Bett?
EURYDICE
Nun, träume was du willst, doch komm mir nicht zu nah,
Berühre meinen keuschen Leib nicht in dem Bett,
Denn ich bin eine Gottgeweihte, Gottes Braut,
Und nicht Objekt der sinnlichen Begierde mehr.
STYX
Ja, kann ich gar nicht dich verführen, Königin?
Ich hatte in Arkadien vor langer Zeit
Auch eine Königin in meinem Königtum,
Und sie hat stets bescheinigt mir: Die Liebe war
Mit mir gelungen und die Wollust in dem Bett!
EURYDICE
O Styx, o Styx, du denkst nur irdisch und gemein,
Ich aber bin ein Geist und bin ein Luftgespenst,
Ich habe doch im Hades keinen Körper mehr,
Das, was du siehst an mir, ist nur ein Schattenbild,
Ein Seelenschatten nur, ein flüchtiges Phantom,
Ich denke jetzt nicht mehr an die Begierdelust,
Ich denke nur noch an die heilige Union
Mit meinem Gott und Herrn, dem Gott im Totenreich.

ZWEITE SZENE

EURYDICE
Ich möchte meinen lieben Orpheus wiedersehn!
Ich träume jede Nacht im tiefen Todesschlaf
Von meinem Vielgeliebten, er ist immer da,
Als lebe er unsterblich mir in meinem Geist.
Gestorben bin ich zwar und bin im Totenreich,
Doch seh ich allezeit vor mir den Lebenden.
Ach, wenn ich wieder auf die Erde dürft zurück!
Doch ist der Weg ins dunkle Schattenreich der Weg,
Von dem es keine Wiederkehr zur Erde gibt.
Zwar lehren weise Männer, dass die Seele kann
Zur Buße ihrer Sünden wiederkehren auf
Die Erde und ein Tugendleben fangen an,
Doch anders ist es in der Wahrheit, denn der Tod
Ist ein für allemal, endgültig ist der Tod.
Doch nach dem Tode dauert noch die Sehnsucht an
Und Liebe ist unsterblich, ja, die Liebe bleibt.
Die Religion hat aufgehört, ich seh den Gott,
Die Hoffnung ist vorbei, ich bin am letzten Ziel,
Doch Liebe bleibt, die Liebe bleibt in Ewigkeit.
Ich hab genug vom Todesschatten, hab genug
Von dieser dunklen Nacht der trüben Ewigkeit,
Ich will nicht mehr ein Schattendasein führen nur
In einer dunklen Welt der Todesschatten, nein,
Ich will nichts hören mehr vom Tod, vom Totenreich,
Ich will nicht mehr die Königin des Hades sein.
Ihr guten Götter, gebt mir meinen Leib zurück
Und lasst mich leben wieder in der schönen Welt!
Zwar Menschen gibt es auf der schwarzen Erde, die
Begehren von den Göttern nichts als frühen Tod
Und sagen: Wen die Götter lieben, lassen sie
In seiner Jugend sterben! Aber ich nicht so,
Ich liebte sehr das Leben und die Erdenwelt,
Ich liebte überaus die göttliche Natur,
Und wenn ich in den Wäldern Thebens bin spaziert,
So hab ich eingeatmet sehr bewusst den Wind
Und wusste nicht: Ist es mein Atem, ists der Wind?
Wenn ich am Meere saß im Sonnenuntergang,
So hatt ich selbst ein ozeanisches Gefühl.
Und wenn ich unter Eiche saß und Apfelbaum,
Im Wipfel gurren hörte dann das Taubenpaar,
Dann war ich mit der Seele der Natur vereint.
Dagegen dieses Schattenreiches Düsterkeit
Und dieses tristen Nebels finstre Ewigkeit,
Wo Seelenschatten seufzen nur noch nach dem Glück,
Des bin ich überdrüssig, hört, ihr Götter, hört,
Gebt meinen Orpheus mir und meinen Leib zurück,
Ich will zurück in meines Mannes Ehebett,
Ich sehne mich zurück nach süßer Liebeslust,
Zurück nach der Geschlechtlichkeit, dem Liebesakt!
Was soll mir eines Schattens Geisterliebe hier?
Gott kann mir geben nicht, was Orpheus einst mir gab!
In Theben nun, ich seh es hier vom Jenseits aus,
In Theben ist des finstern Winters Ende da.
Lang Orpheus litt an solcher dunklen Finsternis,
Da hinter Wolken war die matte Sonne schwach
Und Winde schnitten scharf und stritten mit dem Frost.
Schnee lag auf Bergen und im Wipfel auch des Baums
Und harter Hagel schoss aus schwärzlichem Gewölk.
Sturm bog die Bäume und erschütterte das Haus
Und schöne Frauen trugen winterlichen Pelz.
Der Winter dauerte ein halbes Jahr lang zwar,
So hatte Orpheus melancholisch doch im Weh
Um seiner Liebsten Tod und Winters Dunkelheit
Noch einen Freund, der sagte: Schau, es kommt der Lenz!
Dann wird die Sonne siegen ob der dunklen Nacht
Und mit der Sonne siegen wird auch dein Gemüt!
Doch Orpheus glaubt es kaum. Er war voll Traurigkeit
Und war so müde, hatte keine Hoffnung mehr
Und hoffte nicht auf Freude mehr in dieser Welt.
Nein, Orpheus wünschte nur noch zu erlöschen, ach,
Sich aufzulösen in der Todesruhe Schlaf!
Doch kamen bald die ersten Blumen in dem Hain,
Die weißen Glockenhäupter an der Stängel Grün,
Und Krokus blühte weiß und gelb und violett,
Narzisse sprosste selbstverliebt am Wasserteich.
Die ersten Tage strahlten von der Sonne Sieg
Und Orpheus wollte Rosen pflanzen mir am Grab,
Der Liebe rote Rose, stärker als der Tod!
So trat er in das Licht und sein Gemüt ward heil
Und im Triumph der Sonne Orpheus ward gesund.
Wie Blumen blühten Mädchen in der Frühlingswelt
Mit Rosenlippen und Narzissenlocken und
Der blauen Augen tief bescheidnem Veilchenblau.
Die Blumenmädchen sanft spazierten auf dem Markt,
Zur Schau die Anmut tragend und den heitern Reiz.
Der Frühling siegte so, und bald der Sommer kommt,
Im Sommer wäre gerne ich bei meinem Mann
Und baden ging ich gern im Wasser mit ihm nackt,
Ich äße gern zum goldnen Honig weißen Quark,
Tränk gern die süße Milch, wenn Orpheus in der Nacht
Im Schutze der Platanen tränke roten Wein,
Läg gerne in den Amen des Geliebten in dem Bett,
Liebkoste gerne ihm die nackten Glieder sanft –
Doch weh! Im Totenreiche ist Eurydice!

DRITTE SZENE

HERMES
Ihr Götter des Olymp, hier ist das Totenreich,
Hier irgendwo im Hades muss das Weibchen sein.
Hier ist die Halle des Gerichts und hier der Saal,
Wo Totenschatten sitzen festlich beim Bankett.
Eurydice jedoch, ich seh die Schöne nicht.
ARTEMIS
Wie sieht sie aus? Beschreibe uns Eurydice.
HERMES
Sie hatte braunes Haar, das fiel ihr auf die Brust,
Sie hatte Augen, bläulich wie der Ozean.
Die Augenbrauen wie die Waage des Gerichts,
Die Lippen voll und zu Liebkosungen gemacht.
Der Körper eher klein, die Schenkel voller Kraft,
Der Busen hüpfte wundervoll in Üppigkeit.
DIONYSOS
So war sie ganz nach meinem göttlichen Geschmack,
Doch sehe ich sie nicht in diesem Totenreich.
ZEUS
Mein Bruder Pluton hat sie sicherlich versteckt,
Ich ahne auch, wo er Eurydice versteckt.
Ihr Götter der Olympus, lasst mich jetzt allein.

(Die Götter ab. Zeus verwandelt sich in eine Honigbiene und fliegt durch das Schlüsselloch in
Plutons Schlafzimmer, wo er Eurydice findet und sie summend umschwärmt.)

EURYDICE
Wie kommt die Honigbiene in das Totenreich?
Das ist ein Zeichen und Symbol des Frühlingslichts!
Das ist ein Zeichen und Symbol des Lebens, ja,
Des Lebens und der Liebe, denn im Frühling stets
Die Honigbienen bohren ihren Stachel scharf
In offne Blütenkelche, Rosen, Krokusse,
Narzissen, Hyazinthen und Vergissmeinnicht
Und saugen aus dem Stempel dort den Nektarseim.
So ist es in der Liebe auch. Ach, Orpheus, ach,
Wie wir im Frühling stets im Garten saßen und
Den Bienen und den Schmetterlingen sahen zu
Beim hochzeitlichen Liebesspiel in der Natur!
Ich weiß, du sprachest von dem Gotte Eros oft,
Dem ältesten und ersten aller Götter, der
Im Inneren der Seele der Natur bewirkt
Das Leben der Natur als göttliches Gesetz,
Und dieses Weltgesetz der Liebe nanntest du
Den immanenten Logos oder großen Zeus.
Was willst du, Biene? Willst du meinen Honigseim?

(Zeus verwandelt sich aus der Biene wieder in den Vater der Götter und Menschen.)

ZEUS
Ich bin der Herr, dein Gott, der Vater allen Seins.
EURYDICE
Du, Vater Zeus, bist hier in deines Bruders Reich?
Wo immer du auch bist, o Zeus, ich bet dich an!
ZEUS
Anbetung, Weisheit, Lobpreis, Dank gebühren mir.
EURYDICE
So bist du mächtiger als Pluton, Vater Zeus?
ZEUS
Der Himmel ist des Zeus, Poseidons ist das Meer,
Des Bruders Pluton Eigentum der Hades ist,
Und doch ist Zeus der Vater aller Götter, der
Der Herr des Himmels ist, der Herr des Meeres ist,
Und Zeus ist Herrscher auch der dunklen Unterwelt.
EURYDICE
Wie aber komme ich dazu, dass du, o Zeus,
Dass du zu mir kommst, Vater, in die Unterwelt?
ZEUS
Hab keine Angst, Eurydice, hab keine Angst,
Denn du hast Huld gefunden in den Augen Zeus’.
EURYDICE
O Gott, mit mir geschehe, was du immer willst.
ZEUS
So ganz ergibst du meinem Willen dich, o Magd?
EURYDICE
Ja, mach mit mir, was immer du nur machen willst!
ZEUS
Mein Wille ist die Rettung deiner Seele, Mensch!
EURYDICE
So willst du mich erlösen von dem dunklen Tod?
ZEUS
Ich schenke die Unsterblichkeit der Seele dir
Und geb dir einen neuen Körper ganz aus Geist!
EURYDICE
O Vater, Lob und Preis sei dir, mein Seelenheil
Verdank ich deiner göttlichen Barmherzigkeit.
ZEUS
Der Vater hat dich lieb, weil er die Liebe ist.
EURYDICE
In der Unsterblichkeit der Seele, großer Gott,
Wo soll ich leben ewig in der Ewigkeit?
ZEUS
Ich habe dich erwählt und dich berufen, Magd,
Du sollst beim Vater leben in der Götterburg,
Vereint mit den Olympiern auf dem Olymp
Sollst sitzen du mit mir beim himmlischen Bankett.
EURYDICE
Ich danke dir von Ewigkeit zu Ewigkeit.

VIERTE SZENE

CHOR DER EROTEN

Vor allen Göttern


Der Erste
Und Älteste
Ist Eros, der Gott,
Der allmächtig ist.
Eros herrscht
Über Himmel und Erde
Und Meer und Unterwelt
Und über alle Götter
Und über alle Menschen,
Männer und Frauen,
Knaben und Mädchen,
Selbst über die Greise noch.
Alles ist ihm untertan,
Auch die Tiere der Erde,
Die Vögel des Himmels
Und die Fische im Meer,
Selbst die Schlangen der Unterwelt.
Eros ist allein
Allmächtig
Und beherrscht das All
Als König des Universums.

Aber die Weisen sagen auch:


Eros ist in allem,
Eros lenkt die Bahnen
Der Erde um die Sonne,
Des Mondes um die Erde.
Eros führt hinauf
Des Tierkreises Zeichen,
Eros gibt den Wolken
Ihre Wanderung vor
Und bestimmt den Weg
Des Donners, der Blitze,
Des Schnees und Hagels,
Eros lässt es regnen
Auf die schwarze Erde,
Eros führt herauf
Die Jahreszeiten
Und Tag und Nacht
Und lässt alles wachsen
Und lehrt die Tiere,
Sich zu vermehren.
Eros ist Grünkraft in den Pflanzen,
Eros ist Instinkt in den Tieren,
Eros ist Geist in den Menschen,
Eros ist die Weltseele
Und macht die Seelen
Der Menschen unsterblich.

Die alten Dichter fragten,


Ob Eros herrsche
Auch im Hades?
Und so erfanden sie
Den heiligen Mythos
Von Pluton und Kore,
Dem heiligen Mädchen.
Ja, Eros herrscht
Auch im Hades.
Tantalus ist ewig
Voller Begierde
Nach dem unerreichbaren
Objekt seines Verlangens!
Eros herrscht
Auch in der Unterwelt.
Aber seine Herrschaft
Im Hades
Ist die Herrschaft
Der ewig unbefriedigten Liebe!
Selbst die Dämonen
Begehren vergebens
Die schönen Jungfraun Elysiums.

Eros ist die Lust.


Und alle Lust
Der Männer und Frauen
Will Ewigkeit,
Will tiefe, tiefe Ewigkeit!
Darum stiftet Eros
Das schöne Reich
Der glückseligen
Inseln Cytheres!
Denn die Weisen sagen:
Die gerechten Seelen
Leben in Elysium
Gemeinsam mit den Nymphen,
Den Jungfrauen von Elysium,
Und schauen selig
Die göttliche Schönheit
Und ergötzen sich
Und genießen
Die Schöne Liebe
Der Göttin Urania!
Eros hat den Seelen
In ihr Herz gelegt
Den Sinn der Ewigkeit,
Denn Eros treibt
Die liebenden Seelen
Zur Schau der göttlichen Schönheit,
Zum Genuss der göttlichen Liebe,
Aphrodite Urania!

VIERTER AKT

(Ort: Im Hades und vor dem Tor zur Erde.)

ERSTE SZENE

PLUTON
Willkommen seid zu meinem ewigen Bankett.
Demeter gab uns reichlich ungesäuert Brot,
Dionysos hat Mengen Wein uns eingeschenkt.
ARTEMIS
Ich habe einen Hirsch gejagt, hier ist sein Fleisch.
ZEUS
Ich habe regnen lassen auf der Erde Kreis
Und fruchtbar machte ich die Mutter Erde so.
Mein Sohn Apollon gab dazu den Sonnenschein
Und alles wuchs heran in großer Fruchtbarkeit.
HERMES
Die Menschen haben ihre Arbeit auch getan
Und wir nun speisen festlich ihrer Hände Werk.
ZEUS
Eurydice soll kosten von dem leckern Brot.
EURYDICE
Ich liebe dieses Brot mit Honig und mit Quark.
DIONYSOS
Und jetzt die Becher roten Weines eingeschenkt,
O Vater Zeus, der Rotwein ist mein rotes Blut.
HERMES
Auch mich soll Rotwein fröhlich machen, aber doch
Soll meine Weisheit immer bleiben mir im Sinn.
ZEUS
Ich hab den Wein geschaffen für der Menschen Lust.
ARTEMIS
Die Könige bedürfen nicht des roten Weins,
Doch Elende bedürfen reichlich Wein und Schnaps.
DIONYSOS
Beim Saitenspiel und wenn der Wein die Becher füllt,
So spart, ihr Himmelsgötter, eure Weisheit nur.
ZEUS
Dionysos, du hast den allerbesten Wein
Zurückgehalten in dem Hades noch bis jetzt.
ARTEMIS
Eurydice hat keinen Wein mehr in dem Kelch.
DIONYSOS
Sechs Fässer hab ich hier mit allerbestem Wein,
So trinke nur, Eurydice, und sei berauscht,
Dionysos ist auch betrunken schon und schon
Ist mir Eurydice die allerschönste Frau.
ZEUS
Ich bin betrunken, Götter ihr im Totenreich,
So schlag die Zymbel, o Dionysos, ich will
Als König aller Götter tanzen einen Tanz.
Wisst ihr, wie einst das Universum worden ist?
Die Göttin Nacht getanzt hat ihren großen Tanz,
Der Wind als eine Schlange hat sich beigesellt,
Die Göttin Nacht getanzt hat mit dem Schlangenwind,
Erotisch war der Tanz, erotisch und lasziv,
Ein Bauchtanz wars, ein Schleiertanz der Göttin Nacht,
Die Schlange schlang sie sich um ihren nackten Leib,
Und so im Tanz begattet ward die Göttin Nacht,
Und da sie schwanger war, da legte sie ein Ei,
Ein Urkeim war es, in dem Eros hat gewohnt,
Und Eros hatte aufgebrochen dieses Ei
Und alle Samen in dem Ei entfaltete
Gott Eros und gestaltete das ganze All.
Und nun bin ich der König aller Himmlischen
Und aller Sterblichen auf Mutter Erde Kreis
Und tanze meinen Tanz im dunklen Totenreich.
Und siehe da, mein Tanz, er wird noch zum Galopp
Und Hengst bin ich und Reiter bin ich und ich stürm
Durchs Totenreich und schaffe Auferstehungen
Durch meinen Tanz und meinen stürmischen Galopp!
Wo aber ist die Göttin, welche mit mir tanzt?
ARTEMIS
Ich tanze nicht, und wenn ich tanze, so nicht schön.
ZEUS
Eurydice, komm, tanze einen Schleiertanz!
EURYDICE
Ich bin die Tänzerin, die Tänzerin vor Gott,
Ich schwenk die Hüfte, schüttle meines Busens Paar,
Ich bin die Tänzerin und Frühling ist mein Tanz.
Doch wenn mich Orpheus sehen könnte bei dem Tanz!
Ich bin die Tänzerin und tanz mit meinem Gott,
Erotisch und lasziv vor Göttern ist mein Tanz!
Komm, Zeus, sei du die Schlange und der Wind,
Ich bin die Göttin Nacht, die süße Frühlingsnacht!
Ja, wisst ihr nicht, ihr Götter, dass geschaffen ward
Das Universum in der ersten Frühlingsnacht?
Am ersten Mai erschaffen ward der Welten All!
Und ich, betrunken von der Liebe und dem Wein,
Im Rausch hab ich der Schöpfung Tanz getanzt!
Ich lass mein Becken kreisen in der Ewigkeit
Und aus dem hocherotischen Getändel wird
Das Universum als ein wunderschöner Schmuck!
Ihr Götter, ob ihr auch vor Lustbegier vergeht,
Ich tanze dieses Universums Schöpfungstanz!
Ich bin die Göttin dieser süßen Frühlingsnacht,
Die erste Morgenröte aller Ewigkeit!
Und Gott der Vater ist mein Tänzer und mein Mann,
Gott ist der Tänzer und wir alle sind der Tanz!

ZWEITE SZENE

ORPHEUS
Ihr Götter auf dem Fest im Hades, drunten seid
Ihr fröhlich, unbesorgt? Ich Dichter aber muss
Auf Erden in dem Licht voll Traurigkeiten sein?
Die Muse ging mir fort und ohne Stimme muss
Ich leider klagen stumm, selbst ohne Tränenflut
Mein Herz ist mir verstummt und ich bin fast schon tot,
Ich leb als Schatten nur an einem öden Ort
Und bin mein eigenes Gespenst, nicht mehr ich selbst.
ZEUS
Was wagst du Sterblicher zu stören unser Fest?
DIONYSOS
Wir tranken grade Wein in schöner Fröhlichkeit.
ORPHEUS
Den Frohen kommt ja nicht der Trauervolle recht.
PHEME
Bei Orpheus und dem Ruhm, ihr hohen Götter, hört,
Hier hat ein Sterblicher ein Wünschen, das gerecht.
ZEUS
Nein, Menschen sollen all vom Wünschen lassen ab,
Mein Wille nur geschieht, was ihnen sei genug.
ARTEMIS
Mir aber sage an, was du vom Vater wünschst!
ORPHEUS
Ich bitte Vater Zeus und alle Götter hier,
Eurydice mir wieder zuzuführen rasch.
ZEUS
Eurydice, die eben so sehr schön getanzt?
ORPHEUS
Ihr Götter habt genug geliebte Sterbliche,
Denn Zeus hat ja Europa und hat Leda auch,
Dioysos hat Ariadne, Aura auch,
Apollon Daphne, Syrinx hat der wilde Pan,
Ich aber habe nur Eurydice, nur sie.
PLUTON
Eurydice ist tot! Eurydice ist tot!
ORPHEUS
So wende ich mich zum Allmächtigen, zu Zeus,
Dass er sie auferwecke aus dem Totenreich!
PLUTON
Ich habe sie gebannt in diese Unterwelt.
ORPHEUS
O Zeus, enttäusch mich nicht, du bist allmächtig doch!
Der Tod ist unser letzter Feind, der alte Tod.
Du hast den Tod doch nicht geschaffen, Vater Zeus,
Du hast doch kein Gefallen an des Menschen Tod.
ZEUS
O Tod, wo ist dein Stachel, Tod, wo ist dein Sieg?
PHEME
O Zeus, gib doch Eurydice den Mann zurück,
Der Dichter kann ja ohne Muse dichten nicht.
ZEUS
Ich sehe Artemis mich lieblich lächeln an
Und seh der Jungfrau Augen bittend sehn mich an.
Nun gut, ich bin bereit, Eurydice darf nun
Verlassen diesen Hades, diese Unterwelt,
Eurydice darf wieder in die Oberwelt.
EURYDICE
Ich weiß, es herrscht der Frühling auf der Erde jetzt,
In meinem Garten blühen Tulpen rot und gelb
Und Hummeln summen durch die süß gewürzte Luft,
Die Sperlinge bereiten sich ein Nest im Baum
Und Tauben-Ehepaare sitzen an dem Teich.
ZEUS
Die Schöpfung ist sehr schön, o freue dich daran!
ORPHEUS
O Zeus, ich bin voll Dankbarkeit für deine Gunst,
Wie kann ich je genug dir danken, Vater Zeus?
Eurydice empfange ich voll Zärtlichkeit
Und will ermuntern sie mit Heiterkeit und Scherz.
ZEUS
Nun, Orpheus, wenn du aufsteigst aus der Unterwelt,
Eurydice wird folgen dir als Totengeist.
Doch schaue dich nicht um! Wenn du auch nicht verstehst,
Warum ich dies gebiete, achte mein Gebot!
Der Götter ewige Gebote achte du,
Dann ist dein Leben sicher und dein Lebensglück.
ORPHEUS
Und wenn ich sterben müsste, schau ich mich nicht um.
ZEUS
Eurydice, du folge immer Orpheus nur,
Doch lock ihn nicht, sich umzuschaun, nach dir zurück
Ins Totenreich zu schauen. Das Vergangne sei
Vergangen, und der Hades bleibe still zurück.
Dich, Orpheus, Göttin Pheme wird begleiten dich,
Die dich begleitet in die Unterwelt hinab,
Sie führt dich auch nach oben in die lichte Welt.
Eurydice, und dich begleiten wird der Styx,
Der König von Arkadien gewesen einst,
So nimmt der ganze Hades von dir Abschied, Frau.
PLUTON
Wenn Vater Zeus gebietet, muss gehorchen ich,
Denn Vater Zeus ist König aller Götter ja.
Doch dich vermissen werde ich, Eurydice,
Behalten hätte gern ich dich im Totenreich,
Doch triumphierte Vater Zeus, des Lebens Herr.

DRITTE SZENE

PHEME
Nun, Orpheus, auf zur Oberwelt, ins helle Licht,
Vergangen ist die Nacht, der Winter ist vorbei,
Der Regen ist vergangen und der Lenz ist da,
Die Feigenbäume künden schon den Sommer an!
ORPHEUS
Ich hab zu tief geschaut ins Schattenreich,
Noch wohnt der Schatten dunkler Nacht in meinem Geist.
Kaum kann ich glauben, dass ich wieder seh das Licht.
Vergangen ist die Kraft der schönen Hoffnung mir,
Ich träum nicht mehr von einem süßen Erdenglück,
Von lichter Sonne, heißem Süden und dem Meer.
PHEME
Die Dichter sind doch immer melancholisch, Sohn,
Auf dunklem Grund der Iris Bogen leuchtet auf,
Auf melancholischem Gemüt der Genius.
ORPHEUS
O schwarze Schwermut, lässt du mich nicht glücklich sein,
So sorge in der Nachwelt du für meinen Ruhm!
PHEME
Noch bin ich ja bei dir, des Ruhmes Göttin ich,
Doch heiße ich dich hoffen, hinter dir geht ja
Eurydice den steilen Weg aus Nacht ins Licht.
EURYDICE
Mein Orpheus, drehe dich nicht um, doch lausche mir,
Auch mir ist meine Seele düster-depressiv,
Genossin deines Leidens bin geworden ich,
Doch folg ich dir aus dunkler Nacht ins helle Licht.
STYX
Und ich an deiner Seite, Frau Eurydice,
Ich folg dir wie ein Schatten, den man nicht verkauft.
EURYDICE
O Styx, du König von Arkadien, bleib dort,
Wo du gewesen bist, im untern Schattenreich,
Was sollen wir mit dir im Süden und im Licht?
Du bringst ja nur den Tod, den Krieg, den Männermord.
STYX
Auch Pluton selber, wenn das Schicksal es erlaubt,
Auch Pluton selber lebte lieber doch im Licht.
Die trunknen Dichter prophezeiten ja dereinst,
Das ganze Reich der Toten würde noch erlöst
Und Hades dann verwandelt in Elysium.
Ich glaube nicht, dass das geschieht. Das Schicksal will
Den Hades ewig, ewig auch Elysium.
EURYDICE
O blinde Macht des Schicksals, du bist fürchterlich,
O Moira, welcher selbst der höchste Zeus gehorcht!
STYX
Ich glaube nicht an Zeus, ich glaub ans Schicksal nur.
PHEME
Hier ist Ortygia, der Eingang in die Welt
Der Schatten und der Aufgang in die lichte Welt.
ORPHEUS
Ich sehe schon von ferne dort die Perlentür.
PHEME
Die Pforte zu dem Licht sich öffnet einen Spalt.
ORPHEUS
Und jenseits ist ein Licht, ein blendend weißes Licht.
EURYDICE
Ich ahne schon den Süden und das Sonnenlicht,
Ich ahne schon so reinlich wie Kristall das Meer.
ORPHEUS
O meine Vielgeliebte, o Eurydice,
Noch einmal Süden, Sommer, Sonne, lichtes Meer!
EURYDICE
Noch einmal baden nackt im Licht im klaren Meer!
ORPHEUS
Noch einmal Sinnlichkeit und Übersinnlichkeit!
STYX
Mich blendet dieses Licht, ich kann nicht schaun hinein.
ORPHEUS
Wär nicht mein Auge sonnenhaft, ich könnte nicht
Die Sonne schauen. Wär in mir nicht Gottes Geist,
Ich könnt nicht schauen Götter in Elysium.

(Zeus schleudert einen Blitz.)

ORPHEUS
O Gott und alle Götter, welch ein greller Blitz!
Bist du getroffen, Lieblingin Eurydice?

(Orpheus schaut sich nach Eurydice um.)

EURYDICE
Verloren! Wehe, wehe mir, ich bin verlorn!
Unrettbar sink ich nieder in das Totenreich!
Die schöne Hoffnung auf das Licht ist mir versagt!
Nie mehr die Erde seh ich, nie die Mutter mehr,
Die feuchte Mutter Erde nie im Sonnenlicht!
Jetzt bin ich tot! Gestorben bin zum zweiten Mal
Ich durch die Laune eines blinden Schicksals! Weh!
Weh, Weh und dreimal Weh! Weh ist ein gutes Wort.
ORPHEUS
O Vater Zeus, so treibst du deinen Spott mit mir?
Bin ich ein Spielball deiner blinden Laune nur?
O Vater, nicht mehr Vater! Vater bist du nicht!
So alt die Liebe ist, doch älter ist der Schmerz!
PHEME
Bring, Orpheus, deine Leiden in ein Klagelied.

(Pheme und Orpheus steigen auf die Erde, Eurydice und Styx versinken im Totenreich.)

VIERTE SZENE

PLUTON
Da bist du wieder, o Eurydice, o Braut!
ZEUS
Du, Bruder Pluton, sollst nicht haben diese Frau!
Schau sie dir jetzt noch einmal aufs Genauste an,
Und dann entsage ihrer Schönheit, ihrer Reize!
PLUTON
Die lichten Augen sind noch blauer als das Meer,
Die braunen Haare fluten auf die Schultern ihr,
Des Mundes volle Lippen sind voll Sinnlichkeit,
Die Brüste, der Gazelle Zwillingskitze sie!
ZEUS
Ich male sie dir unerreichbar vor den Sinn,
Du staune sie nur an und dann entsage du!
PLUTON
Und hab sie doch besessen hier im Brautgemach,
Ich sah die Brüste nackt und nackend ihren Leib,
Jetzt aber ist sie mir genommen, weh mir, weh,
O Zeus, o lass mir nur ihr Busentuch noch da!
ZEUS
In meiner Vorsicht hab ich andres mit ihr vor,
Sie soll nicht Königin im Totenreiche sein.
PLUTON
Wenn es der Ewigkeit der Vorsicht Zeus’ gefällt,
Wir haben uns dem Schicksal ja zu beugen stets.
Und so entsage ich nach deinem Willen, Zeus,
Nur nimm mir nicht das Recht, zu träumen von der Braut,
Die ich für kurze Zeit genossen hab im Schlaf.
ZEUS
Die Königin der Unterwelt wird eine sein,
Die dazu ist vom höchsten Schicksal auserwählt.
PLUTON
In einer göttlichen Vision ich schaute schon
Auf Blumen wandeln meine Braut Persephone,
Die reine Jungfrau Kore, meine Königin.
ZEUS
Und schaust du schon Persephone, die Königin,
Empfindest du da Trost der Providentia,
Dass du Eurydice entsagen musst und doch
Nicht ewig einsam bleiben musst im Totenreich?
PLUTON
Eurydice war schön, ich liebe sie noch jetzt,
Drum weihe ich Eurydice dem König Zeus
Und auch dem makellosen Herzen Artemis’,
Geschehe nur der ewiglichen Vorsicht Plan,
Ich aber will verzichten auf Eurydice
Und traue mich der reinen Jungfrau Kore an.
ZEUS
Wir Götter müssen tun, was nur das Schicksal will.
EURYDICE
Ihr redet über mich, als wäre ich nicht da.
ZEUS
Jetzt wende ich mich dir zu, liebe Freundin mein,
In meiner Vollmacht als der Götter König und
Der Menschen Vater, will ich dich verwandeln jetzt
Aus einer Menschentochter nach des Fleisches Art
In eine Himmlische nach einer Göttin Art.

(Eurydice wird in eine göttliche Aureole gestellt.)

EURYDICE
O Zeus, wie wird mir? Bin ich eine Göttin jetzt?
ZEUS
Ich, Gott von Art, von Ewigkeit zu Ewigkeit,
Aus Gnade ich zur Göttin dich vergötterte.
EURYDICE
Wie ist mein neuer Name und was ist mein Amt?
ZEUS
Dein neuer Name, heilige Eurydice,
Ist Aphrodite, Liebesgöttin sollst du sein!
EURYDICE/APHRODITE
Und werde steuern ich den Kriegen in der Welt?
ZEUS
Nein, Tochter Aphrodite, Krieg ist nicht dein Amt,
Nein, die Mysterien des Ehebettes du
Verkünde als die keusche Königin der Lust!
APHRODITE
So breche also jetzt das Reich der Liebe an,
Die Liebe breche in dem Frühling immer aus,
Wenn Täuberich und Taube gurren liebevoll,
Die Hündinnen in ihrer heißen Läufigkeit
Beschnuppern lassen sich vom Rüden, auch von zwein,
Die Knaben mit den Mädchen spielen in dem Grün,
Die Philosophen schauen zu den Jünglingen,
Die alten Männer schauen nach den Mädchen jung,
Der alte Ehemann die alte Ehefrau
In jugendlicher Zärtlichkeit liebt bis zum Tod,
Die Liebe sei das Weltgesetz, sie sei im All
Die Harmonie, die alle Welt zusammen hält.

(Aus der Ferne tönt die Leier des Orpheus und seine Stimme.)

ORPHEUS
Zeus’ Tochter Aphrodite, komm von deinem Thron,
Komm rasch zu mir, du listenreiche Königin,
Die Sperlinge, sie führen deinen Wagen an,
So komm zur schwarzen Mutter Erde doch herab,
Steh mir im Kampf zur Seite, meine Herrin du!
ZEUS
Nun, Aphrodite, zieh hinan ins Himmelreich!

FÜNFTE SZENE

CHOR DER EROTEN

Eros, Eros,
Göttlicher Eros,
Eros, Eros!

Du bist der älteste


Gott
Und doch ein Kind!

Reiße auf
Den Himmel
Und komm herab
Wie Tau auf die Erde!

Siehe, siehe,
Wir sehen,
Und was wir sehen,
Siehe, es ist
Die Kenosis
Des göttlichen Eros!

Er kommt,
Er kommt,
Der Sieger kommt,
Der Triumphator,
Der Pantokrator,
Eros kommt!

Er schreitet herbei
Und umschlingt
Den Pfahl
Der Leiden der Liebe!

Eros leidet!
Eros leidet
Für seine Braut!

Wer ist sie,


Schön wie die Morgenröte,
Strahlend wie die Sonne,
Mild wie der Mond,
Geordnet wie Sterne?

Psyche ist es!


Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser,
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Sturm!

Ha! Wir schauen


Und was wir schauen
Ist Eros
Am Pfahl der Leiden
Aus göttlicher Liebe,
Umschlingend
Seine heilige Braut!

Psyche, Psyche,
Wir lieben dich!
Und glauben
An die Unsterblichkeit
Menschlicher Seele!

Eros, der Sieger


Über den Tod,
Triumphator
In Ewigkeit,
Pantokrator
In Elysium,

Eros reißt sie hinan,


Psyches Entelechie
Strebt hinan,
Ins Ewiggöttliche
Hinan, hinan!

Ha! Wir schauen


Und was wir schauen, ist:
Die Kenosis des Eros
Bewirkt aus Gnade
Die Theosis
Der menschlichen Psyche!

Psyche, willkommen
In allen Himmeln!
Alle sieben Himmel
Heißen dich willkommen,
Göttliche Psyche,
Von Eros vergöttlicht,
Göttin Seele!

Die Himmel neigen sich


Vor deiner Herrlichkeit,
Eros, unser Herr!

Wir feiern die Hochzeit,


Die heilige Hochzeit
Des göttlichen Eros
Und der menschlichen Psyche!

Eros ist eins und alles!


Eros ist alles in allen!

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