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Psycholinguistische Grundlagen
Die Psycholinguistik nimmt in der Fremdsprachendidaktik einen wichtigen Platz ein. Sie
versucht die zu beobachtenden sprachlichen Leistungen auf die zugrundeliegenden
psychischen und mentalen Prozesse zurückzuführen, um daraus das Sprachlehr- und
lernverhalten zu definieren und zu optimieren.
Über eine allgemeingültige Theorie des Erst- und Zweitspracherwerbs herrscht unter
den Forschern bis heute keine Einigkeit. Ich werde im Folgenden die wichtigsten
Theorien zum Erstspracherwerb kritisch erörtern und im Anschluss die des Zweit- bzw.
Fremdsprachenerwerbs und seine Relevanz für den primaren Fremdsprachenerwerb
darlegen.
2. 2. 5. 2 Erstspracherwerbsforschung
Für den Prozess des Muttersprachenerwerbs sind zwei Theorien der amerikanischen
Psycholinguistik wegweisend. Der behavioristische Ansatz nach B. F. Skinner und der
nativistisch/kognitive nach Noam Chomsky.
Skinner definiert sprachliches Verhalten als ein ,,Verhalten, das durch die Vermittlung
anderer Personen bekräftigt wird."5[5] Ohne die entsprechenden Reize, die dem Lerner
immer wieder angeboten werden und die er imitieren kann, ist Spracherwerb nicht
möglich.
Spracherwerb wird heute nicht als ein Kopieren vorgegebener Muster nach dem
Schema Reiz-Reaktion-Verstärkung interpretiert, sondern als ein Prozess interner
Regelbildung, für den der Mensch genetisch in besonderer weise ausgestattet ist.
Kinder entdecken ihre Muttersprache und in ähnlicher Weise auch andere Sprachen,
indem sie vermittels ihres Regelbildungsapparates Hypothesen über Wortbedeutungen
und Strukturen bilden, die sie anhand des gegebenen Materials überprüfen. Der
Prozess der Regelbildung kann nur bei genügend Input funktionieren.
Mit Beginn der Pubertät geht man nicht mehr entdeckend-intuitiv, sondern formal-
logisch an die Sprache heran. Der Mensch verfügt über formale Operationen und will
diese einsetzen.
Beide Ansätze vernachlässigen den sozialen und den handelnden Aspekt. Das Kind
kann ohne Umwelt und Handeln keine Sprache erwerben. Mit Sprache als sozialem
Handlungsaspekt setzt sich die Pragmatik auseinander. Sie stellt besonders die
zwischenmenschliche Bedeutung von kommunikativen Handlungen in den
Vordergrund.9[9]
2. 2. 5. 3. 1 Die Kontrastivhypothese
Die Kontrastivhypothese ist angelehnt an die behavioristische
Spracherwerbsforschung. Sie wurde 1947 von Fries initiiert und 1957 von Lado
fortgeführt.10[10] Man geht davon aus, dass die Erstsprache den Erwerb der
Zweitsprache in dem Maße beeinflusst, dass in Erst- und Zweitsprache identische
Regeln und Elemente leicht und fehlerfrei erlernbar sind, unterschiedliche jedoch
Lernschwierigkeiten bereiten und Fehler bedingen. Kontrastiv meint das
Gegenüberstellen zweier Sprachsysteme, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede
herauszufinden. Das Bewusstsein, die ,,inneren" Vorgänge, werden im
behavioristischen Sinne nicht weiter betrachtet.
Für den Fremdsprachenunterricht hieße das, dass die Differenzen und
Gemeinsamkeiten systematisiert werden müssten, um den größtmöglichen Erfolg zu
erlangen. Spezielle Lernprogramme wurden nach diesem System in den siebziger
Jahren erstellt, wie die Sprachlabore, die das monotone Lernen förderten. Die
Kopfhörer, die die Kommunikation um einiges ärmer machen, Gestik und Mimik als
unwichtig erscheinen lassen, unterstützten diese These ,,von Spracherziehung als
Sprachdressur".
Die Hypothese ist nur im syntaktischen Bereich für den Zweitspracherwerb von
gewisser Bedeutung; inhaltliche und thematische Vergleiche sind nicht möglich.
Das Übertragen von Wörtern der Erstsprache auf die Zweitsprache birgt Risiken, die
Juhász, ein wichtiger Vertreter dieser Hypothese, ,,Interferenzen" oder ,,negativen
Transfer"11[11] nennt. Das Gegenteil bildet der ,,positive Transfer", wenn die
Übersetzung fehlerfrei möglich ist, wie beispielsweise bei dem Satz: ,,Sie öffnet die
Tür", der, ins Englische übersetzt, ,,She opens the door"12[12] heißt. Als Fazit könnte
folgen, dass Strukturen der Zweitsprache, die mit den entsprechenden Strukturen der
Erstsprache übereinstimmen, schnell und leicht gelernt werden. Dies ist aber nicht
immer der Fall, denn ,,dieses Buch lese ich heute", wäre dann ins Englische
übertragen: ,,This book read I today".
Diese oben bereits erwähnten Interferenzen führen zu ,,proaktiven
Hemmungen"13[13] (Lernbehinderungen, Anm. d. Verf.), die durch bestimmte
Verhaltensmuster der Erstsprache hervorgerufen werden.
Dies ist der entscheidende Fehler der Kontrastivhypothese.
Die Lernschwierigkeiten lediglich anhand der unterschiedlichen Strukturen zweier
Sprachsysteme auszumachen, wäre falsch; vielmehr können Fehler auch von
strukturellen Ähnlichkeiten hervorgerufen werden, wie folgende Beispiele
verdeutlichen: Trouble ~ Trubel, to ring ~ ringen, brave ~ brav, etc.
Die Interferenzen erweisen sich häufig als Merkmal des (Fremd-)Spracherwerbs, nicht
als Resultat aus dem Einfluss der Muttersprache. Bis heute ist nicht geklärt, wie der
Lerner Ähnlichkeiten und Unterschiede zweier Sprachsysteme wahrnimmt, bzw.
inwieweit psycholinguistische Gründe das Lernen beeinflussen.
2. 2. 5. 3. 2 Identitätshypothese
Die Identitätshypothese basiert auf der Theorie Noam Chomskys, dass jeder Mensch
einen angeborenen Spracherwerbsmechanismus habe. Demnach ist es nicht von
Bedeutung, ob der Lerner bereits eine Sprache beherrscht, denn Erst- und
Zweitsprache besitzen die gleichen grammatikalischen Universalien, die genetisch im
Menschen verankert sind.
Der Erwerb der Zweitsprache verläuft identisch zum Erwerb der Erstsprache.14[14]
Der Lerner aktiviert in beiden Fällen angeborene mentale Prozesse, die bewirken, dass
die Regeln und Elemente in der gleichen Abfolge erlernt werden wie die der
Erstsprache.
,,Die Identitätshypothese beruht auf dem Verständnis, dass Zweitspracherwerb im
wesentlichen ein kreativer, kognitiver Prozess ist, [...] in dem der Lernende
systematisch Hypothese über die Struktur der zu erwerbenden Sprache bildet,
überprüft und revidiert."15[15] Diese Aussage Stephan Mertens spiegelt die
Erstspracherwerbstheorie Chomskys wider. In Bezug auf den Zweitspracherwerb gehen
die radikalen Vertreter der Identitätshypothese entgegen denen der
Kontrastivhypothese davon aus, dass die Erstsprache keinerlei Einfluss auf das
Erlernen der Zweitsprache nimmt.16[16]
Selinker, der den Begriff entscheidend geprägt hat, berücksichtigt bei der
Charakterisierung der ,,Interlanguages" verschiedene psycholinguistische Prozesse, die
er in fünf Punkte unterteilt:
Des weiteren können sogenannte ,,Fossilierungen" auftreten. Sobald der Lerner glaubt
die Sprache zu beherrschen, weil er gut kommunizieren kann, beschäftigt er sich nicht
mehr mit der Verbesserung seiner Fehler.
Über einen längeren Zeitraum kommt es zum ,,back-sliding", bei dem der Lerner in ein
früheres Stadium seiner Interlanguage zurückfällt.19[19]
Die Interlanguage-Theorie räumt dem Zweitspracherwerber ein, in bestimmten Phasen
Fehler zu machen, Zwischensprachen zu benutzen. Es sollte aber stets die
Perfektionierung das Ziel bleiben. Wird von Beginn an nur der korrekte Gebrauch der
Zweitsprache gefordert, nimmt man dem Lerner die Lust am Lernen.
2 [2] Vgl. Sarter, H.: Fremdsprachenarbeit in der Grundschule. Neue Wege - Neue
Ziele. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Darmstadt 1997. S. 4.
5 [5] Merten, S.: Wie man Sprache(n) lernt. Eine Einführung in die Grundlagen der
Erst- und Zweitspracherwerbsforschung mit Beispielen für das Unterrichtsfach Deutsch.
Peter Lang Verlag. Frankfurt/M. 1997. S. 52.
6 [6] Ebd. S. 61.
8 [8] Zwischen dem, was der Sprecher über seine Sprache implizit weiß (seine
Sprachkompetenz), und dem was er mit seiner Sprache tut (seine Sprachverwendung,
Performanz) muss unterschieden werden.
11 [11] Vgl. Juhász, J.: Probleme der Interferenz. Max Hueber Verlag. Ismaning 1970.
S. 9.
19 [19] Vgl. Selinker, L.: Interlanguage. In: Richards, J. C. (Hg.): Error Analysis.
London. Longman 1984. S. 36.
22 [22] Vgl. Apelt, W.: Lehren und Lernen von Fremdsprachen in aktueller Sicht.
Potsdam 1990. S. 15.