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Kinder psychisch
kranker Eltern

Entwicklungsprobleme und präventive Ansätze


von Christiane Deneke

Die Not von Kindern psychisch kranker Eltern wird Diese einsamen Schwangerschaften sehen wir häufig bei Frauen
meistens erst erkannt, wenn sie aufgrund von Ent- mit psychischen Problemen, die eine Partnerschaft nicht einge-
wicklungsproblemen in der Kinderpsychiatrie vorstel- hen und längere Zeit ertragen könnten, die aber trotzdem den
lig werden. Ein Fallbeispiel zeigt, wie sich eine ge- Wunsch nach einem Kind haben. Das Kind soll der Mutter selbst
und den Menschen um sie herum beweisen, dass sie gesund ist
störte und isolierte Mutter-Kind-Beziehung auf die
und fähig dazu, Mutter zu sein. Kinder in dieser Konstellation
geistige und seelische Entwicklung des Kindes aus-
sind also schon vor ihrer Geburt funktionalisiert. Einfühlung in
wirkt.
die Lage des Kindes ist der werdenden Mutter kaum möglich.
Empirische Studien belegen, dass psychische Erkran- Daneben sehen wir aber auch bei psychisch kranken Frauen, am
kungen durch das soziale Umfeld beeinflussbar sind. stärksten bei schizophrenen, gehäuft unwillkommene Schwan-
Je früher Hilfen erfolgen, umso mehr vermindert gerschaften, die durch mangelnde Vorsorge, oft auch verbunden
sich das Risiko der Kinder, selbst psychisch zu mit Gewalt, zustande gekommen sind.
erkranken.
Weiter in der Vorgeschichte von Alexander: Nach einer komplizier-
Zur Einführung eine Fallgeschichte aus unserer Tagesklinik: ten Geburt sei er ein schwieriger Säugling gewesen, der wegen vielen
Der neunjährige Alexander war zum Zeitpunkt der Aufnahme bei Schreiens und Nahrungsverweigerung mehrfach stationär behan-
uns schon mehr als ein halbes Jahr von seiner Mutter getrennt, er delt werden musste.
lebte ohne Kontakt zu ihr (was ihn einerseits erleichterte, anderer-
seits aber auch mit Schuldgefühlen und Sorge um sie erfüllte) in Dies ist charakteristisch für Mütter mit chronischen psychi-
einem Kinderheim. Seine Geschichte verdeutlicht viele Aspekte der schen Belastungen: Da sie schlechter für sich sorgen können,
Problematik von Kindern psychisch kranker Eltern. vielleicht auch aus Angst nicht zum Arzt gehen, ist ihre Vorsorge
für das werdende Kind schlechter als bei psychisch gesunden
Alexanders Mutter, eine nach Aussagen ihrer Eltern „immer schon Frauen. Auch haben sie häufiger schwierige Säuglinge, die durch
schwierige und eigenbrötlerische Person“, war aus einem Urlaub das nicht auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Verhalten der
beabsichtigt schwanger zurückgekommen. Mutter irritiert sind und viel schreien. Die Regulationsstörungen
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der Säuglinge, also Schrei-, Schlaf- und Fütterstörungen, weisen Kindern gesunder Eltern. Wie immer bei solchen komplexen
auf eine Störung der Eltern-Kind- Beziehung hin, die in ca. der Bedingungsgefügen ist nicht zu definieren, wie groß der jeweili-
Hälfte der Fälle mit einer psychischen Störung oder psychiatri- ge Anteil - Anlage vs. Umwelt - ist, insbesondere, da diese
schen Erkrankung der Mutter einhergeht. Eine psychische Bedingungen sich gegenseitig verstärken.
Erkrankung des Vaters kann von einer gesunden Mutter kom-
pensiert werden, ist aber die Mutter, wenn sie die Haupt- Aber gehen wir in Alexanders Geschichte weiter: Was war mit seiner
Bezugsperson ist, besonders die alleinerziehende, psychisch Mutter? Wir haben sie nie kennengelernt. Wie wir von den Eltern
erkrankt, so wirkt sich dies auf die Beziehung zum Kind und auf der Mutter erfuhren, habe sie seit Alexanders Geburt eine zuneh-
seine psychische Entwicklung aus. Noch verhältnismäßig gün- mende Wesensveränderung durchgemacht und viele Ängste ent-
stig ist es, wenn die Kinder, wie Alexander, auffällig und auch bei wickelt: Ängste, aus dem Haus zu gehen, andere Menschen in die
Ärzten vorgestellt werden. Schlimmer ist das stille Elend eines Wohnung zu lassen, beobachtet zu werden usw. Krankheitseinsicht
vernachlässigten Säuglings, der in Passivität und immer größe- habe nicht bestanden, Kontakte zu anderen Menschen habe sie
ren Entwicklungsrückstand versinkt und niemandem auffällt, nicht gehabt. In Zeiten der Überforderung habe sie Alexander
auch nicht seiner Mutter, die innerlich darauf angewiesen ist, manchmal zu ihren Eltern gebracht, denen sie im Übrigen miss-
dass das Kind ruhig ist und keine Beziehungswünsche an sie traute. Dort habe er ein geordnetes Leben führen können, während
hat, denen sie nicht gewachsen wäre. das Zusammenleben mit seiner Mutter offenbar immer chaotischer
und von Vernachlässigung geprägt war.
Wieder zu Alexander. Wegen Auffälligkeiten seiner Entwicklung (all-
gemeine Retardierung, Koordinationsstörung, verzögerte Sprachent- Entbindung als Auslöser für psychische Krisen
wicklung, Überempfindlichkeit auf taktile und akustische Reize) sei Auch diese Schilderung ist nicht untypisch: Nach der Geburt
er regelmäßig kinderneurologisch untersucht und krankengymna- eines Kindes wandeln sich bis dahin latent vorhandene
stisch behandelt worden. Mit 7 Jahren sei er als 60% behindert ein- Probleme gehäuft zu definierten Erkrankungen oder schon vor-
gestuft und in eine Schule für Körperbehinderte eingeschult worden. handene Krankheiten verschärfen sich. Das Risiko einer Frau,
psychotisch zu werden, ist in den ersten 30 Tagen nach der
Störungen in der Mutter-Kind-Beziehung Geburt eines Kindes 20-30 mal so hoch wie sonst in ihrem
Auch dies ist nicht untypisch: Einer psychischen Erkrankung der Leben, die Hospitalisierungshäufigkeit in der Psychiatrie 35-fach
Mutter und damit einer mehr oder weniger seinen eigenen erhöht. Postpartale(2) Depressionen treten nach ca. 10% aller
Bedürfnissen unangemessenen, nicht ausreichenden oder über- Geburten auf. So hat offenbar auch Alexanders Geburt seine
mäßigen Stimulation in der Interaktion ausgesetzt, kann ein Mutter aus einem mühsam aufrechterhaltenen psychischen
Säugling nicht, wie es sonst für ihn normal wäre, seine volle Gleichgewicht gebracht und die schizophrene Erkrankung aus-
Aufmerksamkeit der Umwelt zuwenden, allen neuen brechen lassen, die unerkannt und unbehandelt immer schlim-
Erfahrungsstoff begierig aufnehmen und in funktionierende mer wurde. Und wie so oft in solchen Fällen hat die Mutter trotz
Hirnstrukturen umwandeln. Inadäquate elterliche Antworten auf fehlender Krankheitseinsicht gespürt, dass sie in ihren schwere-
Signale des Babys erzeugen Verwirrung und - wie geschildert - ren Krankheitszuständen nicht gut für das Kind da sein konnte
im günstigeren Fall eine Regulationsstörung, die auffällt, im und hat es dann zeitweilig zu ihren Eltern gegeben. Diese
ungünstigeren Fall aber mit der Zeit eine Abstumpfung und Selbstreflexion ist auch in schweren Krankheitsfällen erstaunli-
Retardierung des Kindes. Bei Alexander hat es sich um den gün- cherweise oft noch vorhanden, allerdings nicht regelhaft: Auch
stigeren Fall gehandelt. Misshandlungen und Tötungen der Kinder kommen bei psychi-
Die Verwirrung des Kindes zeigt sich im frühen Lebensalter schen Krisen nach der Geburt vor, die letzteren meist als
nicht nur kognitiv, sondern in einer ganzheitlichen Weise, die erweiterte Suizidversuche.
ihre Spuren in der Entwicklung der Intelligenz - verdeutlicht an
der Sprache -, der Sinneswahrnehmung - verdeutlicht an der So ist es Alexanders Mutter offenbar schlechter gegangen. Als sie das
beschriebenen akustischen und taktilen Überempfindlichkeit -, Kind zunehmend vernachlässigte und auch noch unübersehbar
sowie der motorischen Fähigkeiten - verdeutlicht an der misshandelte, habe das Jugendamt schließlich Alexander in Obhut
Koordinationsstörung - hinterlässt. Auch die frühe sozial-emo- genommen und in das Kinderheim gebracht. Zu dieser Zeit habe
tionale Entwicklung ist betroffen, darüber wissen wir im Fall des Alexander von Stimmen gesprochen, die er höre, von Händen, die
kleinen Alexander nichts, aber es ist anzunehmen, dass sie nicht aus der Wand kämen, von Blut, das überall zu sehen sei. Er habe
reibungslos verlaufen ist. Zum Zeitpunkt der Aufnahme bei uns sich in das alte Ägypten phantasiert, sich merkwürdig bewegt, von
jedenfalls bestanden erhebliche Probleme auch im sozial-emo- anderen Kindern verlangt, dass sie ihn schlagen sollten, er habe
tionalen Bereich. Alpträume und Schlafstörungen gehabt. Deshalb kam er zu uns in
Neben den eben beschriebenen Einflüssen der unmittelbaren die Tagesklinik. Neben einer individuellen Beschulung bestand unse-
sozialen Umwelt spielt die Veranlagung bei der Ausprägung der re Aufgabe darin, herauszufinden, wie seine komplexe Problematik
Entwicklungsstörung eine Rolle: Bei ca. 40% der Verwandten 1. zu verstehen und zu behandeln sein könnte.
Grades schizophrener Menschen liegen Anzeichen für eine
Vulnerabilität des Zentralnervensystems in Form von neurointe- Ansteckung mit der Psychose (folie à deux)
grativen Defiziten vor. Bei den Kindern affektiv Erkrankter(1) liegt Die Auffälligkeiten von Alexander zeigen, wie sehr er selbst in
die Zahl dieser Auffälligkeiten bei 22% gegenüber 15% bei die irreale Erlebniswelt seiner Mutter hineingeraten war. Diese
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So viel von Alexanders Geschichte, die vieles von den Problemen


zeigt, denen Kinder seelisch kranker Eltern ausgesetzt sein kön-
nen. Zum Glück verlaufen nicht alle Lebensgeschichten dieser
Kinder so dramatisch. Die fehlende Krankheitseinsicht der
Mutter einerseits, ihre offensichtliche Intelligenz andererseits,
die ihr ein Abdecken der häuslichen Probleme lange möglich
machte, verhinderten, dass Außenstehende, die den Jungen ja
regelmäßig zu Gesicht bekamen, eine Handhabe zum Eingreifen
fanden. So fehlten Alexander Menschen, die (neben den selbst
recht hilflosen Großeltern) ihm Verständnis, Sicherheit, altersan-
gemessene Lebenserfahrung und die Möglichkeit der
Realitätsprüfung hätten vermitteln können, was den krankma-
chenden Einfluss der Mutter hätte relativieren können.

Wissenschaftliche Studien
Was sagt die Wissenschaft zu den Problemen der Kinder psy-
chisch kranker Eltern?

Die sogenannten Risikostudien, die seit den 70er Jahren des


„folie à deux“, quasi eine Ansteckung mit der Psychose, tritt letzten Jahrhunderts durchgeführt worden sind, belegen, dass
dann auf, wenn ein seelisch und intellektuell abhängiger Kinder psychisch kranker Eltern einem erhöhten Risiko ausge-
Mensch mit einem psychotischen Menschen eng zusammen- setzt sind, selbst wiederum psychische Krankheiten bzw. unspe-
lebt und keine Möglichkeit der Realitätsprüfung durch die zifische Störungen zu entwickeln. Einen Überblick gibt Abbil-
Anwesenheit einer gesunden Person gegeben ist. Selbstver- dung 1.
ständlich gilt auch: Je jünger oder unreifer der abhängige
Mensch, desto größer ist die Gefahr für ihn, Vorstellungen des
Abb.1
oder der Kranken zu übernehmen. Die Alpträume und Schlaf-
störungen lassen auf starke Ängste des Kindes schließen, der
Erkrankungsrisiko
Wunsch, geschlagen zu werden, auf Gewalterfahrungen.

1. bei Schizophrenie eines Elternteils


Während die psychotische Symptomatik rasch zurückging (der folie
- Schizophrenierisiko von 1% auf 13% erhöht.
à deux war durch die Trennung die Basis entzogen), traten die
- Unspezifische Auffälligkeiten der psychischen
Entwicklungsdefizite und ihre situativ sehr unterschiedliche
Entwicklung in 40-60%.
Ausprägung in den Vordergrund. Im Verlauf besserten sich durch
Kleinkinder: motorische und sensorische
intensive Ergotherapie Koordination und sensorische Integration, bei
Dysfunktionen, Hyperirritabilität, verringerte kommu-
Unsicherheit und Anspannung verschlechterten sich sein
nikative Kompetenz.
Bewegungsbild und die sensorischen Funktionen wieder. In der
Vorschulkinder: häufiger depressiv, zurückgezogen,
Schule fing Alexander an zu lernen, z.B. lernte er lesen. Die allge-
ängstlich, zerstreut.
meine Intelligenz blieb aber im Bereich der Lernbehinderung.
Schulkinder: Defizite in Aufmerksamkeit, affektiver
Kontrolle, sozialer Kompetenz.
Hohe Anfälligkeit für psychische Erkrankungen
Adoleszenz: Neigung zu kognitiven Störungen.
Dies entspricht Ergebnissen der Forschung: Bei Kindern schwer
2. Affektive Erkrankungen
psychisch kranker Eltern, die ohne kompensierende Beziehungs-
Risiko für Depression dreifach, für Alkoholabhängigkeit
und damit Lernerfahrungen aufwuchsen, sind häufiger Intelli-
und Angststörung fünffach erhöht
genzdefizite als bei Kindern gesunder Eltern festzustellen. (Über-
Unspezifische behandlungsbedürftige Störungen in 40-
sicht bei Remschmidt und Mattejat, 1994)
60%.
3. Persönlichkeitsstörungen, Sucht
Im sozialen Leben der Tagesklinik und in der Psychotherapie konnte
Ungünstigste Entwicklungsbedingungen, da Gewalt und
das Kind anfangen, andere Beziehungserfahrungen als die gewohn-
Vernachlässigung gehäuft.
ten zu machen und zu verinnerlichen, Beziehungen, in denen er als
4. Angststörungen
eigene Person gegenwärtig war. In schwierigen Zeiten aber entfloh
Siebenfach erhöhtes Risiko für Angststörung
er immer wieder einmal nach „Ägypten“, in seine eigene
Vorstellungswelt am Rande der Psychose. Trotz aller Veränderungen
ist er nach wie vor ein vulnerables Kind, das durch die nicht mehr
ausgleichbaren Defizite in seiner Entwicklung in erhöhter Gefahr
steht, später selbst psychotisch zu werden. Während die Risikostudien Annahmen über die Erblichkeit und
über die Zuverlässigkeit biologischer Marker als Zeichen zur
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Früherkennung einer spezifischen


Krankheitsdisposition relativierten, hat
sich gerade durch sie herausgestellt,
wie wichtig die Umgebungsfaktoren
sind. Sameroff (1987) fasste die Ergeb-
nisse der Studien so zusammen:
Sozialstatus sowie Schwere und
Chronizität der mütterlichen Erkran-
kung haben den weitaus größeren
Einfluss auf die psychische Entwick-
lung der Kinder als die jeweilige
Diagnose. Interessant ist in diesem
Zusammenhang auch die finnische
Adoptivkinderstudie. Dies zeigte, dass
adoptierte Kinder von schizophrenen
Müttern erwartungsgemäß doppelt so
häufig schwere psychische Störungen
entwickelten wie adoptierte Kinder von
nicht schizophrenen Müttern. Aber:
setzte man dies in Beziehung zum
Beziehungsklima in den betreffenden
Adoptivfamilien, so zeigte sich, dass
von den in nicht bis wenig gestörten
Familien untergebrachten Kindern kei-
nes später eine Psychose oder Border-
line - Persönlichkeitsstörung aufwies,
während dies bei 37% der von stark
gestörten Familien adoptierten Kinder
der Fall war.

Andere Untersucher haben die Kinder psychisch kranker Eltern


Abb.2 nicht nur auf mögliche Schäden der psychischen Entwicklung
hin untersucht, sondern sind auch auf besonders resiliente
Risikofaktoren für die kindliche Entwicklung Kinder gestoßen. Die Gruppe um den amerikanischen Forscher
Anthony prägte den Begriff der „unverletzbaren Kinder“.
1. Elterliche Erkrankung
Schwere und Chronizität, unabhängig von der Aus der Vielzahl von Untersuchungen lassen sich für die psy-
Diagnose chische Entwicklung von Kindern psychisch kranker Eltern fol-
Beginn vor oder bald nach der Geburt gende Risikofaktoren ableiten (siehe Abb. 2):
Einbezug des Kindes in ein elterliches Wahn-, Angst-,
Zwangssystem Festzuhalten ist, dass eine Reihe intervenierender Variablen von
2. Kindliche Faktoren Fall zu Fall in unterschiedlicher Zusammensetzung und Stärke
Biologische Vulnerabilität durch Frühgeburt, wirksam sind, so dass jeder Fall für sich genau angesehen wer-
Krankheit usw. den muss, will man die hier jeweils passenden Interventions-
Schwieriges Temperament und Unterstützungsmöglichkeiten identifizieren.
Geringe intellektuelle und soziale Kompetenz
3. Allgemeine psychosoziale Risikofaktoren Ansatzpunkte für Prävention
Schwierige Eltern–Kind–Beziehung Die Faktoren, die Entwicklungsrisiken verstärken oder abschwä-
Abwesenheit bzw. mangelnde emotionale chen, können als mögliche Ansatzpunkte für Präventions-
Verfügbarkeit des anderen Elternteils projekte verstanden und genutzt werden, wie sie z.B. in Boston
Fehlen emotional verfügbarer Außenstehender durchgeführt wurden. Hier wurden Familien mit affektiv erkrank-
Mangelnder Familienzusammenhalt ten Eltern langfristig in Abständen gesehen und die psychische
Niedriger sozialer Status der Familie Entwicklung der Kinder in Relation zu unterschiedlichen präven-
Soziale Isolation der Familie tiven Interventionsmethoden eingeschätzt (Beardslee, Salt
Instabilität der Lebensbedingungen 1993). Schon eine einfache Information der Kinder über die
Natur der elterlichen Erkrankung hatte einen nachhaltig günsti-
gen Einfluss. Eine längerfristige Beratung der ganzen Familie
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aber erschien als das Mittel der Wahl, um den verschiedenen So früh wie möglich die
Bedürfnissen gerecht zu werden und die Entwicklung der selbst- Eltern-Kind-Beziehung fördern
reflektiven Fähigkeit der Kinder so zu unterstützen, dass sie in Weitere wichtige Gesichtspunkte kommen aus der Säuglingsfor-
der Beziehung zum kranken Elternteil eine gute Balance zwi- schung, der Beobachtung der Eltern-Kind-Interaktion bei gesun-
schen Nähe und Distanz finden konnten. den und bei kranken Eltern. Hier zeigt sich: Je jünger ein Kind
ist, desto umfassender ist es dem Einfluss einer krankheitsbe-
Auf die Bedürfnisse der Kinder achten dingten Störung der Beziehung bzw. der Kommunikation aus-
Hinweise auf Befinden und Bedürfnisse betroffener Kinder fin- gesetzt, wenn Mutter oder Vater seelisch krank ist - wobei natür-
den sich auch in einer Studie über Kinder zum Zeitpunkt der lich die Erkrankung der Hauptbezugsperson, i.d.R. der Mutter,
psychiatrischen Krankenhausaufnahme eines Elternteils. den stärkeren Einfluss auf das Baby hat. Auch in der Geschichte
von Alexander fanden wir ja Hinweise auf eine frühe Regula-
tions- und Beziehungsstörung. Lynn Murray, eine der renom-
miertesten Forscherinnen auf dem Gebiet der postpartalen
Abb. 3
Depression, stellt fest (Murray, 1992), dass eine mütterliche
Depression die kindliche psychische Entwicklung in den ersten
Probleme bei Krankenhausaufnahme eines Elternteils
Lebensmonaten stärker beeinflusst als in jeder späteren
Entwicklungsperiode.
1. Alleingelassensein
Nur selten rasch verfügbare Ersatz – Bezugspersonen
Ungenügende Information und Gesprächsmöglichkeit
Nur selten werden Kinder in die Gespräche im Abb. 5
Krankenhaus einbezogen
Ansatzpunkte für Prävention
2. Reaktive Symptome
Schlafstörungen, Weinen, Appetitlosigkeit, sozialer 1. Eltern–Kind–Beziehung (Unterstützung, Beratung,
Rückzug, Abfall der Schulleistungen Behandlung)
2. Selbstreflektive Funktion der Eltern (Beratung,
3. Zugrunde liegende seelische Befindlichkeit: Behandlung)
Angst durch Trennung, unheimliche krankhafte 3. Verfügbarkeit gesunder Bezugspersonen (Aufbau des
Veränderung des Elternteils sozialen Netzes, Sozialpädagogische Familienhilfen,
Zukunftsängste Patenfamilien usw.)
Schuld, Loyalität, Scham 4. Günstige Zeitpunkte für Interventionen: Zeitraum um die
Geburt eines Kindes, Beginn einer Behandlung

Signale wahrnehmen
Auch die Berichte inzwischen erwachsener Kinder psychisch So ist es besonders notwendig, in Fällen mütterlicher postparta-
kranker Eltern sind aufschlussreich (Dunn, 1993). Die Proble- ler Erkrankungen die frühe Beziehungsentwicklung im Auge zu
me, die sie regelhaft erwähnen, sind: haben. Diese Erkenntnis wird hierzulande erst langsam in die
Praxis umgesetzt. Beispiele sind Mutter-Baby-Einheiten an psy-
chiatrischen Kliniken (wobei darauf zu achten ist, dass die Babys
bei gemeinsamen Aufnahmen nicht nur als Co-Therapeuten für
die Mütter, sondern auch mit ihren eigenen, durch Anpassung an
Abb. 4
pathologische Interaktionsweisen entstandenen, Entwicklungs-
problemen gesehen und angemessen behandelt werden).
Problembereiche im Zusammenleben

(Berichte inzwischen erwachsener Kinder, Dunn, 1993)


Die Kinder in ihrer Wahrnehmung stärken
Ein weiterer geeigneter Ansatzpunkt ist der Beginn der elter-
1. Vernachlässigung, Misshandlung
lichen Krankheit bei Klinikaufnahme oder Konsultation des
2. Isolation
Psychiaters in der Praxis. Wir hören immer wieder, wie bitter die
3. Schuld und Loyalität
Kinder eine angemessene Information über die Krankheit ver-
4. Mangelnde soziale Unterstützung
misst haben, wenn sie - oft in guter Absicht - mit Lügen oder
5. Negative Erfahrungen mit den Behandelnden, die
Halbwahrheiten abgespeist worden sind. Kinder sind die besten
sich in die Lage der Kinder nicht hineinversetzen
Beobachter. Sie müssen in ihrer Wahrnehmung ernst genom-
konnten
men und damit in ihrer Realitätsprüfung bestärkt werden, gera-
de, wenn es sich um ein teilweise „verrücktes“ häusliches Milieu
handelt.
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Gruppenprojekte für Kinder, tes Prinzip wirksam werden darf. Allerdings muss die immer
Jugendliche und junge Erwachsene vorhandene Angst der Familien vor Außenstehenden, die auf
Neben der Beratung der ganzen Familien hat es sich auch als den Gedanken kommen könnten, sie auseinander zu reißen,
sinnvoll erwiesen, den Kindern getrennt von ihren Eltern die dabei berücksichtigt werden, die Angst der Eltern, als schlechte
Möglichkeit zu geben, sich im Kontakt mit anderen Betroffenen, Eltern angesehen zu werden, die Loyalität der Kinder zu ihren
über ihre Belastungen auszusprechen. Dieses Angebot ist für Eltern, die sie schweigen lässt. Es muss Vertrauen gewachsen
die durch Loyalität und Schuldgefühle stark in sich zurückgezo- sein, bevor die Familien sich öffnen können.
genen Familien ziemlich hochschwellig. Es erfordert eine ver-
trauensvolle Beziehung der Familien zu den Anbietern, ausge-
dehnte Vorarbeiten und begleitende Elternarbeit. Wenn die
Familie es aber zulässt, dass das Kind solch eine Gruppe Literatur:
besucht, nutzen die Kinder dies sehr intensiv für sich. In
Hamburg wie in einigen anderen Städten gibt es solche präven- Dunn, B. (1993): Growing up with a psychotic mother: A retrospective
study. Am. J. Orthopsychiat., 63(2),177-189.
tiven Gruppenprojekte, die „Auryn“ - Gruppen (s. Beitrag in die-
sem Heft).
Murray, L.& Cooper, P.(Hrsg.) (1997): Postpartum depression and child
development. New York, London: The Guilford Press.
Auch Gruppen für die adoleszenten oder inzwischen erwachse-
nen Kinder sind sinnvoll, denn die aus diesen schwierigen pri- Remschmidt, H.& Mattejat, F. (1994): Kinder psychotischer Eltern.
mären Beziehungen stammenden Konflikte und zwiespältigen Göttingen: Hogrefe.

Gefühle lassen sich nicht leicht bewältigen. Das trifft auch für
Sameroff, A. et al. (1987): Early indicators of developmental risk:
die ca. 40% der Kinder psychisch kranker Eltern zu, die ihre Rochester Longitudinal Study. Schiz. Bull. 134(3), 383-394.
Situation gut bewältigt haben und daran gewachsen sind. In
dem Maße, in dem das Thema enttabuisiert wird, wächst auch Beardslee, W.R., Salt, P. et.al. (1993): Comparison of preventive interven-
der Wunsch der betroffenen Eltern nach Austausch und tions for families with parental affective disorders. J. Am. Acad. Child
Adolesc. Psychiatry, 32, 254-263.
Beratung in Elterngruppen.

Offenheit, Interesse und Gesprächsangebote Anmerkungen


Festzuhalten ist am Ende, dass nicht nur spezialisierte (1) Affektive Erkrankungen sind diejenigen psychischen Erkrankungen, die
Angebote den Familien helfen, ihre schwierige Lage so zu bewäl- vorwiegend die Emotionen und die Stimmung betreffen, also
tigen, dass die Kinder gesund aufwachsen können. Dinge, die Depressionen, Manien und manisch-depressive Erkrankungen.
(2) postpartal: nach der Entbindung von einem Kind
alle tun können, sie aber angesichts des bestehenden Tabus
leicht unterlassen, können sehr hilfreich und entlastend wirken:
Die Frage: „Und wie geht es dir dabei?“ und die Bereitschaft, die
Antwort auch zu hören, einfache, altersangemessene
Information über die Krankheit, ein Angebot an die Familie, ein-
mal gemeinsam über alles zu sprechen u.Ä.. Solche Angebote
zeigen den Kindern und ihren Familien, dass jemand ihre Lage
erkennt. Solche scheinbar kleinen Dinge können Reflexion anre-
gen, Türen öffnen, die aus der Enge der krankhaften Beziehung
herausführen, indem ein hilfreiches außenstehendes, d.h. drit-

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