Die “Quasselbude“
Macht kam, setzten zumindest Teile entgegengesetzter Interessen sieht. In Worch genüsslich als Beleg für die
der extremen Rechten auch nach 1945 der von Carl Schmitt geprägten politi- automatisch einsetzende Korrumpier-
auf die parlamentarische Karte. Teil- schen Theorie der extremen Rechten barkeit der Abgeordneten gewertet.
weise mit Erfolg. In den 1960er Jahren in Bezug auf den Parlamentarismus Wenn der frisch gebackene Chef der
gelang der NPD der Einzug in eine Rei- existiert keine Legitimität individueller mecklenburg-vorpommerschen NPD-
he von Landtagen, für die Bundes- oder partikularer Interessen, sondern Landtagsfraktion, Udo Pastörs, in
tagswahl 1969 sagten Prognosen et- nur das statisch verstandene Existenz- den Tagen nach dem Wahlerfolg sei-
wa 9 % für die NPD voraus. Tatsäch- recht des Staates und des volksge- ner Partei eine “knallharte Opposition“
lich erreichte die NPD nur 4,3 % der meinschaftlich begriffenen Staatsvol- ankündigt, wird das von Seiten der
Stimmen. Gründe dafür waren die ab- kes. Parteiunabhängigen bei aller Faszina-
lehnende Berichterstattung durch die Dies berücksichtigend wird ver- tion für die Macht skeptisch betrach-
Medien und die Arbeit von Antifa- ständlich, weshalb rechtsextreme Ab- tet.
schistInnen, die immer wieder auf den geordnete das Parlament ursprünglich
neonazistischen Charakter der NPD nicht als eigentlichen Ort der Politik, Strategischer Spagat
hinwiesen. sondern lediglich als Podium für die
Bei vielen NPDlern machte sich nach eigene Propaganda und materielle So gesehen vollführt die NPD mit
der Wahlniederlage das Gefühl breit, Ressourcenquelle betrachten. ihrem “Drei-Säulen-Konzept“ auch
dass mit Wahlen und Parteiarbeit Dennoch entwickelt die Präsenz ei- einen strategischen Spagat. Propa-
nichts zu erreichen sei. Daraus folgte ner extrem rechten, in ihrem Selbst- gierte man in der Partei jahrelang den
eine Umorientierung. Ein Teil radikali- verständnis systemantagonistischen Primat des Kampfes um die Straße, so
sierte sein Aktionsrepertoire, organi- Partei im Parlament eine nicht inten- scheint man diesen inzwischen den
sierte sich in Wehrsportgruppen und dierte Eigendynamik, die der rituali- Kameradschaften überlassen zu woll-
propagierte den militanten Kampf. Ein sierten Form des parlamentarischen len. Eine sämtliche Aspekte des Dre i -
anderer Teil favorisierte das Agieren im Politikverständnisses und seiner Funk- Säulen-Konzeptes gleichberechtigt
so genannten “vorpolitischen Raum“ tionsweise geschuldet ist. So bediente integrierende politische Praxis umzu-
und gründete die “Neue Rechte“, die sich die sächsische NPD-Landtags- setzen, gelingt der NPD regional in
versuchte, über das Prägen von Be- fraktion bei der Inszenierung ihrer po- unterschiedlichem Maße. Ausschlag-
griffen in der außerparlamentarischen litischen Skandale gezielt der Formen gebend für die Realisierung papierner
Bewegung Einfluss zu gewinnen. Ob und Rituale eben jener parlamentari- politischer Konzepte ist immer noch
mit Partei oder ohne: Dies war also zu schen Geschäftsordnung, die von ihr die vorhandene Basis an Kadern und
den unterschiedlichen Zeiten eher eine immerfort angeprangert wurden. Zu- Aktivisten. Und hier unterscheiden sich
Frage der Strategie als des grundsätz- dem ist der einzelne Abgeordnete, die Regionen erheblich. Im Rahmen
lichen Standpunktes. wenn auch bei der NPD bisher nur be- der Diskussion um das “Befreite Zo-
dingt, in ein ganzes Geflecht von in- nen“-Konzept des Nationaldemokra-
Neues aus der NPD formellen politischen Verbindlichkei- tischen Hochschulbundes wurden
ten verwoben, in dem materielle An- auch mehr “Bürgernähe“ und eine
In der NPD wurde in den vergange- reize und sozialer Prestigegewinn des kommunale Anbindung eingefordert.
nen Jahren eine intensive Debatte über Abgeordnetenstatus eine Entfrem- Darin sah man die Chance, Themen,
Sinn und Zweck parlamentarischer Ar- dung von der Orthodoxie extrem Emotionen und Identitäten im vorpoli-
beit geführt. So präsentierte Jürgen rechter Weltanschauung bewirken tischen Raum der Hegemonie des bür-
Schwab in der NPD-Parteizeitung können. gerlichen Parteienstaates zu entwen-
Deutsche Stimme unter Bezugnahme Und so vollzog sich die Integration den und langfristig so zu besetzen,
auf den NS-Staatsrechtler Carl der NPD in den Parlamentsbetrieb dass dies die Voraussetzungen für ei-
Schmitt den Parlamentarismus als auch nicht ohne interne Widersprü- nen Systemwechsel schafft. Dies alles
Instrument der Alliierten, “eine am che. Bereits kurze Zeit nach dem Ein- dient dem Ziel, es im Verlauf einer
Gemeinwohl des Staatsvolkes orien- zug der Partei in den Dresdner Land- “nationalen Revolution“ nicht nur zu
tierte Regierungspolitik bei den Be- tag klagten Kameraden von der Basis, einer funktionalen Machtübernahme
siegten präventiv zu verhindern.[...] dass die Mitglieder der Landtagsfrak- innerhalb einer Legislaturperiode zu
Das Parlament ist das Instrument der tion Privilegien in Anspruch nähmen, bringen.
internationalen Finanzoligarchie“. die dem nationalen Moralkodex nicht
Kernpunkt in der rechtsextremen entsprächen, seien es nun schwere Die weichen Themen besetzen
antiparlamentarischen Argumentation Autos, hohe Diäten oder Arbeitsstellen
ist somit eine Agententheorie, die das für Frau oder Freundin. Dies wurde “Wie man mittlerweile feststellen
Parlament als Instrument fremder, vom Bewegungsflügel der extremen konnte, stößt die NPD bei der Mitglie-
dem Begriff der “Volkssouveränität“ Rechten in Gestalt von Christian derentwicklung und bei den
Wahlergebnissen (...) auf Grenzen“, scheidungsprozessen hat dieses nichts Linke und rechte
stellt Frank Hölder im NPD-Partei- zu tun. Parlamentarismuskritik
blatt, der Deutschen Stimme fest. Er
hält es daher für “überlegenswert, Überlebte Regime entsorgen In der politischen Theorie der Extre-
innerhalb des sogenannten ,Drei-Säu- mismusforschung wird der völkische
len-Konzeptes’ neue Wege zu be- “Sind Parlamente noch zeitgemäß? Antiparlamentarismus der extremen
schreiten“. Seiner Analyse nach waren Lassen sich die vor uns liegenden Rechten mit linker Kritik am bürger-
“die Demonstrationen der NPD gegen Jahrhundertaufgaben mit Parteien lichen Parlamentsbetrieb gleichge-
die Anti-Wehrmachtsausstellung rich- und parlamentarischen Mehrheiten setzt. Sowohl historische Abhandlun-
tig und wichtig“, sprächen aber immer noch lösen? Oder waren Parlamente gen über das phasenweise Zusam-
nur einen bestimmten Kreis ohnehin nicht vielmehr schon immer eine Fehl- menwirken von KPD und NSDAP in
bereits national eingestellter Personen konstruktion?“, fragt Karl Richter, und außerhalb des Reichstages, als
an. Es gehe jedoch darum, mehr und parlamentarischer Berater der NPD- auch heutige lineare Vergleiche zwi-
andere Menschen zu erreichen und für Landtagsfraktion in Sachsen, in einem schen PDS und NPD dienen dem Ziel,
die Politik der NPD zu gewinnen. Artikel für die Publikation Hier & Jetzt linke Kritik am bürgerlichen Parla-
“Warum also beim Kampf um Straße, der sächsischen Jungen Nationalde- mentsbetrieb zu diskreditieren. Ohne
Köpfe und Parlamente nicht einmal mokraten. Daraufhin bemüht er alle Zweifel gab es zwischen der radikalen
neue – vor allem auch sogenannte Punkte einer rechten Parlamentaris- Ablehnung des parlamentarischen
weiche – Themen aufgreifen?“, fragt muskritik. “Ineffizient“, “träge“, “re- Systems durch den Syndikalismus und
er. 25 % habe eine unabhängige formresistent“, “verfilzt“ und “volks- der des Faschismus Berührungspunk-
Wählergemeinschaft im nach Bochum fern“ seien die bundesdeutschen Par- te. Die historische Tatsache, dass in
eingemeindeten Wattenscheid bei der lamente, “Quasselbuden“ eben. Und der stalinisierten KPD bürgerliche
Kommunalwahl geholt, führt er aus. doch erkennt er ihnen zurzeit eine Grundrechte nicht hoch im Kurs stan-
“Warum sollte also die nächste Demo- wichtige Funktion zu. “Das demokra- den, ist heute weitgehend unstrittig.
Welle nicht einmal gegen die Aus- tische System mag viele Nachteile ha- Doch hinter der linken Kritiktradition
löschung lokaler Identitäten erfol- ben, doch einer seiner größten Vorzü- am Parteienparlament im Spektrum
gen?“, lautet seine Schlussfolgerung. ge sind die verhältnismäßig kurzen zwischen Anarchismus, Rätekommu-
Angst vor einem Profilverlust hat er Reaktionszeiten, mit denen sich ge- nismus und Autoren der Neuen Linken
dabei nicht: “Die harten Themen, für sellschaftliche Veränderungen in par- wie Johannes Agnoli steht ein radi-
die die NPD bisher bekannt war, wer- lamentarischen Mehrheiten abbilden, kaldemokratischer Impuls, der auf eine
den durch neue Strategien weder ent- Schieflagen und ungelöste Fragen zu egalitären Teilhabe aller in der Polis
wertet noch aufgegeben. Im Gegen- neuen Mehrheiten führen.“ Allerdings zielt. Die Parlamentarismuskritik von
teil: sie werden bei verbesserter Ak- geht es hier nicht um ein Korrigieren rechts hingegen hat den autoritär ver-
zeptanz der NPD weitaus besser ver- politischer Entscheidungen, nicht um fassten Führerstaat zum Ziel, in dem
mittelbar sein.“ Es geht hier also nicht Reform, sondern das Parlament ist nur das Parlament ganz aufgelöst oder zur
darum, den lokalen Raum politisch zu ein Mittel: “Verbrauchte, überlebte Schaubühne degradiert wird.
gestalten, sondern mittels lokaler Poli- Regime können so ungleich schneller
tik mehr Menschen zu erreichen und und im Normalfall viel unblutiger ent-
diese an die Inhalte der NPD heranzu- sorgt werden als unter totalitären
führen. Die politischen Gremien wer- Vorzeichen“, fährt Richter fort.
den hier nur als Schaubühne betrach-
tet, auf der sich die NPD profilieren
und präsentieren kann. Mit der Ak-
zeptanz von demokratischen Ent-