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T. S.

ELIOTS SPUREN IN DEN ANGELSÄCHSISCHEN KULTURWISSENSCHAFTEN

(aus: Müller-Funk, Wolfgang: Kulturtheorie. Einführung in Schlüsseltexte der


Kulturwissenschaften)

Es ist nicht ganz ohne Ironie, dass es ein politisch und ästhetisch konservativer Dichter war,
der den neo- bzw. postmarxistischen Proponenten der frühen Cultural Studies und dem Centre
for Contemporary Cultural Studies (CCCS) die Stichworte geliefert hat: Thomas Stearns Eliot
(1882-1965). Als Vertreter des New Criticism stand der einflussreicher Kritiker, Essayist,
Dramatiker und Lyriker T.S. Eliot naturgemäß auf der anderen Seite der intellektuellen und
akademischen Barrikade. Der Diskursbegründer der modernen Kulturtheorie – neben dem
Kommunisten Antonio Gramsci – war ein katholischer Tory.

[…] Das Entstehen seines Buches „Notes Towards the Definition of Culture“, das so wichtige
Theoretiker wie Raymond Williams beeinflussen sollte, geht auf drei in deutscher Sprache
gehaltene Rundfunkvorträge über die Einheit der europäischen Kultur zurück. Ihr historischer
Kontext war die Rückbesinnung auf die abendländisch-europäischen Werte nach der
Katastrophe des Nationalsozialismus. Auch im Kulturkonservatismus Eliots schlummert der
Gegensatz von Kultur und Zivilisation, so etwa wenn Eliot, hier in seiner Feindbildlichkeit
ganz ähnlich wie Spengler, im Hinblick auf die moderne Motorisierung „von den
barbarische[n] Nomaden […] in ihren vollmechanischen Wohnwagen“ spricht.

[…]

So betrachtet, liegt es nahe, Religion als das Fundament jedweder Kultur anzusehen. Kultur
und Religion sind nur zwei Seiten ein und derselben Medaille. Die Kultur stellt dabei den
materialen, die Religion den ideellen Aspekt dar. Eliot benützt in diesem Zusammenhang den
aus dem christlichen Traditionsfundus stammenden Begriff der Inkarnation. Kultur ist Fleisch
gewordene Religion.

Modern an dieser Auffassung ist die Überlegung, dass die Macht der Glaubensanschauungen,
Ideologien und Weltbilder sich nicht auf den geistesgeschichtlichen Ideenhimmel beschränkt,
sondern dass sie in die gelebte Kultur der Menschen eingeht. An dieser Stelle vollzieht Eliot
sozusagen eine kulturelle Wende: keine Kultur ohne religiöse Sinnstiftung, aber keine
Religion ohne kulturelle Verankerung im konkreten, körperlichen Menschen.

Aus dieser zunächst sehr konventionell anmutenden ersten Definition von Kultur entfaltet T.S.
Eliot eine weitere, die insbesondere in der Version von Raymond Williams berühmt geworden
ist, freilich ohne die positive Bezugnahme auf die christliche Religion und ohne Polemik
gegen die moderne Massenkultur. Eliot schreibt in seinem Essay von 1948:

Yet there is an aspect in which we can see a religion as the whole way of life of a
people, from birth tot he grave, from morning to night and even in sleep, and that
way of life is also ist culture. And at the same time we must recognise that when
this identification is complete, it means in actual societies both an inferior culture
and an inferior religion.
Ungeachtet seiner konservativen und elitären Grundhaltung vertritt Eliot – Etwa gegen
Matthew Arnolds kanonischem Text Culture and Anarchy (1867) – einen geweiteten Begriff
von Kultur, der diese nicht auf Kunst und intellektuelle Betätigung beschränkt. Was Eliot hier
sinnfällig macht, ist die Allgegenwärtigkeit des Kulturellen im alltäglichen Lebensvollzug. In
diesem Lebensvollzug sind auch die Bereiche des Unbewussten (Schlaf) einbezogen. Diese
praktische und implizite, der Selbstwahrnehmung entzogene Kultur bezeichnet er als niedere
Kultur. Kultur wird als Modus des Lebens bestimmt, und dieser Modus ist in allen
gesellschaftlichen Aktivitäten gegenwärtig.

[…]

Eliot hatte eingangs die Kultur auf drei sozialen Ebenen eingeführt. Nun führt er in seinem
Essay noch eine weitere Unterscheidung ein, die ganz offenkundig mit seiner Definition der
Kultur als „way of life“ zusammenhängt. Er unterscheidet nämlich zwei Manifestationen von
Kultur:

Eine niedere und unbewusste Ebene von Kultur

Eine höhere und bewusste Ebene von Kultur

In ihrem alltäglichen Vollzug sind Kultur und Religion unbewusst, das heißt, die
Bedeutungen, Werte, die ihren Handlungen zugrunde liegen, sind nicht manifest, sondern
latent, das heißt aber auch, sie kommen von Zeit zu Zeit, nur unter ganz bestimmten
kulturellen Umständen, zum Vorschein […]

Im intellektuellen Haushalt des 20. Jahrhunderts ist der Terminus des Unbewussten durch den
Diskurs der Psychoanalyse bestimmt und besetzt. Aber bei Eliot meint er etwas gänzlich
anderes. Das Unbewusste bei Freud ist eine Dimension unseres durch den Körper bestimmten
Daseins, die uns zwangsläufig entgeht und die sich nur indirekt (durch Symptome) mitteilt.
Das Unbewusste ist das, was dem Bewusstsein unzugänglich bleibt. Natürlich ist das Reden
über dieses Unzugängliche – bei Freud wie bei Lacan – höchst paradox, denn es wird über
etwas gesprochen, über das sich eigentlich nicht sprechen lässt – wenn es dieses unzugänglich
Unbewusste ist. Dieses Unbewusste wird als etwas Quasi-Natürliches gesehen, das sich der
kulturellen Formung entzieht. Das Un- oder Unterbewusstsein hat keine Geschichte.

Das Unbewusste, wie es Eliot versteht, ist latent Bewusstes, etwas, das eingelernt und
(sodann) automatisiert worden ist. Es kann vergessen werden, weil es gleichsam
internalisiert und automatisiert worden ist. Das führt uns zu einem erstaunlichen Befund, dass
nämlich ein Gutteil dessen, was wir unter Kultur verstehen, gar nicht bewusst und explizit,
sondern vielmehr unbewusst und implizit ist, unserem alltäglichen Bewusstsein entgeht.
Kultur lässt sich als etwas bestimmen, dass Unbewusstheit produziert.

Das lässt sich an einem Beispiel veranschaulichen. Wir haben alle das Autofahren gelernt.
Irgendwann einmal ist uns diese Kulturtechnik zur Selbstverständlichkeit geworden. Wir
denken nicht daran, wie wir unsere Beine zwischen Gaspedal, Kupplung und Bremspedal hin-
und herbewegen, wir schalten automatisch oder schauen wie von selbst in den Rückspiegel.
Deshalb auch ist es uns möglich, uns mit unseren Beifahrern und Beifahrerinnen zu
unterhalten.

Wie gründlich wir vergessen haben, was wir tun, tritt zutage, wenn wir jemandem das
Autofahren beibringen wollen und z.B. die Tochter aufgeregt fragt, ob sie erst auf die
Kupplung und dann auf die Bremse treten soll, und sich damit präzise nach der korrekten
Reihenfolge der Bewegungsabläufe erkundigt.

In dieser erstaunlichen Situation, in der der Lehrende länger darüber nachdenken muss, was er
denn eigentlich tut, wenn er Auto fährt, fällt ihm dann auch jenes Phänomen auf, das Eliot als
Kontrast zwischen religiösem Glauben und praktischem Verhalten beschrieben hat. Der
religiöse Glauben ist hier die allgemeine Straßenverkehrsordnung, deren Regeln die lernende
Tochter sehr viel bewusster wahrnimmt als der fahrtüchtige Vater, der sich anhören muss, wie
oft er –ein klein wenig- gegen den Katechismus des modernen Straßenverkehrs verstößt. […]

Das bewusste Moment in der Kultur ist gewissermaßen die Spitze eines Eisberges, die aus
dem Meer des Unbewussten lugt. Aber so klein der Anteil des Bewusstseins auch sein mag,
für das Schicksal der jeweiligen Kultur ist die bewusste Ebene von Kultur – etwa in Gestalt
von Kunst, Wissenschaft, Mythos und Glauben – von zentraler Bedeutung. Denn in diesen
symbolischen Formen werden die Veränderungen der kulturellen Landkarten durchgesetzt und
ausgehandelt. Unter den Bedingungen der Moderne werden Kunst und Wissenschaften zu
Produzenten kulturellen Wandels. Aber immerhin könnte es auch zutreffen, dass
Veränderungen statthaben, die sich in unserer alltäglichen Fahr- und Sprachpraxis vollziehen
und die erst später dem Bewusstsein unserer Kultur zugänglich werden.

Fragen:

1. Definieren Sie kurz die im Text unterstrichenen Wörter: New Criticism, Tory,
Inkarnation, Katechismus!
2. Welche Hilfsmittel haben Sie benutzt, um die Definitionen zu finden? (Titel der
Enzyklopädie, Internetseite, …)
3. Wie lautet das Thema jedes Absatzes?
4. Was wird über jedes Thema ausgesagt?
5. Fassen Sie den Text mit eigenen Worten zusammen!

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