BRENNPUNKT
Stuttgart 21
Genial, modern, umstritten: Das von Anhängern als
Jahrhundert-Chance gefeierte Milliardenprojekt der
Bahn stößt bei vielen Schwaben auf Widerstand
s ist ein Vorhaben gigan-
E tischen Ausmaßes. Bis
2019 soll der Stuttgarter
Hauptbahnhof komplett unter
die Erde verlegt werden. Das
Versetzen eines Prellbocks am
2. Februar markierte den Bau-
start für Stuttgart 21.
Seitdem vergeht kaum ein
Tag, an dem das Projekt nicht
in die Schlagzeilen gerät.
Denn Tausende Schwaben
widersetzen sich den Plänen
der Initiatoren. In Anlehnung
an die Demonstrationen, die
1989 zum Sturz des DDR-Re-
gimes führten, ziehen sie jeden
Montag durch die Innenstadt.
Neben friedlichem Protest
registriert die Polizei immer
mehr Straftaten – von Bedro-
hungen über Nötigungen bis
zu Tätlichkeiten. Einer der
prominentesten Widerständ-
ler, der Schauspieler Walter
Sittler, bezeichnete das Projekt
als Werk eines „Kartells“, das
man „eher bei Silvio Berlus-
coni und seinen Hintermän-
Stuttgart Europas größte Baustelle
���
� � � � ��������
��
������ ���
��������� ����������
����������
���������
����� �������������
Schnelle Schiene Durch den Neubau
der Strecke Wendlingen–Ulm (Kosten:
2,9 Mrd. Euro) dauert die Fahrt Stutt-
gart–Ulm künftig 28 statt 54 Minuten
52
Die Bahn kommt – unterirdisch
nern vermutet hätte“. Damit
habe er demokratisch legiti-
mierte Gremien in die Nähe
der Mafia gerückt, empörten
sich Fans von Stuttgart 21. Gestutzter Koloss
Befürworter des 4,1 Milliar- Die Seitenflügel des
den Euro teuren Vorhabens – Kopfbahnhofs sollen
hinzu kommen 2,9 Milliarden abgerissen werden,
für den Neubau der ICE-Stre- der Rest bleibt erhalten.
cke Wendlingen–Ulm – stüt- Auch künftig werden
zen sich auf gute Argumente. dort Reisen gebucht
Stuttgart und sein Flugha- und Fahrkarten verkauft.
fen würden effizient an das
regionale und europäische
Schnellbahnnetz angeschlos-
sen. Die derzeit durch Bahn-
gleise getrennten Stadtteile
im Norden und Osten würden
zusammenwachsen. Der mo-
derne Tiefbahnhof dürfte die
Lebensqualität der Stuttgarter
langfristig erheblich erhöhen.
Doch viele sind gegen das
XXL-Projekt. Wohl auch, weil
sie die Nachteile jahrelanger
Bauarbeiten – Lärm, Schmutz,
Sperrungen – fürchten. �
GÖRAN SCHATTAUER
Diese Gebäudeteile werden abgerissen
Die Vision von Stuttgarts neuer Mitte
Quellen: Bahn, Stadt Stuttgar t; eigene Recherchen
���������
geplante Bauzeit 2010–2019 Seit mehr als 100 Jahren
���������� diskutieren die Stuttgar-
geschätzte Kosten 4,1 Mrd. Euro ter, ob ein Durchgangs-
�� bahnhof ihren histo-
gewonnene Fläche 134 Hektar rischen Kopfbahnhof
������ neue Dauerjobs 10 000 ersetzen soll. 1994
wurden entsprechende
heute nach München 140 Minuten Pläne vorgestellt, Anfang
����������
��� 2010 erfolgte der Bau-
künftig nach München 102 Minuten beginn von Stuttgart 21.
���
Ulm
 Tiefergelegt Pro
Der neue Bahnhof soll
quer zu den heutigen Glei-
� Raumfreiheit
sen entstehen. Links das Durch den Abriss alter
alte Hauptgebäude, der Gleisanlagen gewinnt die
sogenannte Bonatz-Bau im Kessel gelegene Stadt
immens an Fläche. In
bester Lage entstehen
Wohn- und Arbeitsplätze
für 35 000 Menschen.
� Zeitgewinn
Die Reisezeiten reduzieren
sich erheblich. Die neue
Strecke Stuttgart–Ulm, auf
der Züge künftig Tempo
250 fahren, ersetzt eine
Bahntrasse von 1850.
� Standortvorteil
Das Projekt schafft Tau-
sende Jobs und zieht In-
vestitionen nach sich. Es
verhilft Stuttgart zu einem
neuen Image: modern,
mutig, zukunftsorientiert.

Neubau-Fan:
Stuttgarts OB
Wolfgang
Schuster (CDU)

Glas und Stahl

Die Stadt wird die von Contra
der Bahn gekauften
Gleisflächen bebauen. � Milliardengrab
Hier könnte die neue Die Kosten, getragen von
Schlossgarten-Phil- Bahn, Bund, Land, Stadt,
harmonie entstehen. Flughafen und dem Ver-
band Region Stuttgart,
steigen stetig. Kritiker
rechnen mit bis zu zehn
Mrd. Euro und großen Las-
ten für die Steuerzahler.
23 Lichtkelche
Aus der 400 Meter � Umweltsünde
langen und 100 Meter Gegner fürchten einen
breiten Decke ragen Kahlschlag im Schloss-
fünf Meter hohe garten, die Zerstörung
Kuppeln zur Beleuch- von Grünflächen und eine
Klimaverschlechterung.
tung und Belüftung
des Tiefbahnhofs. � Bürgermissachtung
Viele Stuttgarter lehnen
das Projekt strikt ab, weil
die Nachteile angeblich
Bitte absteigen überwiegen. Es gehe um
Unter der Erde rein wirtschaftliche und
verlaufen insge- politische Interessen.
samt acht Gleise
Fotos: adolph press, ddp

an vier jeweils
420 Meter langen
���

Mittelbahnsteigen. S-21-Gegner:
��
��

Schauspieler
��

Walter Sittler
��

F OCUS 33/2010 53