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Sie sind hier: Start - Ausgabe 7 (2007), Nr. 5 - Rezension von: "Menschenschinder vor dem Richter"
andere Kommentatoren nur ein Elitenphänomen erkennen, weil die Mehrzahl der Redaktionelle Betreuung:
Menschen von der Auseinandersetzung im Gerichtssaal überhaupt nicht erreicht
Stephan Laux
werde.
Empfohlene Zitierweise:
Die ursprünglich als Staatsexamensarbeit vorgelegte Studie von Dirk Lukaßen über
Jörg Zedler: Rezension von: Dirk Lukaßen:
den so genannten "Hoegen-Prozess" stößt in das Zentrum dieser Fragestellung vor. "Menschenschinder vor dem Richter".
Das Verfahren von 1949 gegen fünf Männer der Kölner Gestapo verhandelte einen Kölner Gestapo und Nachkriegsjustiz. Der
"Hoegen-Prozess" vor dem Kölner
ganzen Komplex an Verbrechen - Folter, Aussageerpressung, Körperverletzung, z. Schwurgericht im Jahr 1949 und seine
T. mit Todesfolge -, die zwischen 1933 und 1944 an politischen Gegnern im Rezeption in den lokalen Tageszeitungen,
Rheinland verübt wurden. Hinzu kommen ein BGH- und ein Revisionsverfahren. Siegburg: Rheinlandia Verlag 2006, in:
sehepunkte 7 (2007), Nr. 5 [15.05.2007],
Lukaßen beleuchtet zunächst die institutionellen Rahmenbedingungen der Vergehen URL: http://www.sehepunkte.de
und ihrer Ahndung: Aufgaben und Strukturen der Gestapo einerseits, die /2007/05/11753.html
strafrechtliche Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen (NSG) - und um
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser
diese geht es hier, nicht um "Kriegsverbrechen" oder "Kriegsverbrecherprozesse" Rezension die exakte URL und das Datum
(13, 24) - seitens alliierter und deutscher Instanzen andererseits. In seinem Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Klar schildert Lukaßen die Taten der Angeklagten, von denen Hoegen lediglich der
bekannteste war und die höchste Strafe erhielt. Über den Einzelfall hinausgehend
kommen Elemente zur Sprache, wie sie auch für spätere Verfahren typisch werden
sollten: die Beurteilung der Angeklagten als im Privatleben "anständige Menschen"
(55), die strafmildernd in das Urteil einfließen sollte; die Taktik der Täter, minder
schwere, ohnehin erwiesene Fälle zuzugeben, während sie schwere Delikte
leugneten (60); die Berufung auf den Befehlsnotstand (62); schließlich die zum Teil
absurde Bewertung von Aussagen seitens des Gerichts, die Zeugen eher als
aufschneiderisch, irrelevant oder vergesslich erscheinen ließ, denn als Opfer (71).
Trotzdem kommt Lukaßen zu dem Schluss, dass das erstinstanzlich zuständige
Schwurgericht in seinen "allgemeinen Ausführungen über die Verbrechen" die
"Verwerflichkeit der Taten" eindeutig erkannt habe und zu einer "angemessenen"
Beurteilung gekommen sei (63): Verantwortlichkeiten wurden klar benannt, die
Berufung auf einen Befehlsnotstand wurde verworfen, fehlende Reue
strafverschärfend gewertet. Das eigentliche Skandalon bestehe vielmehr in den
Strafzumessungen, die sich durchweg nahe der vorgeschriebenen Mindeststrafen
bewegten. Dabei hätte nicht einmal der Nachweis individueller Schuld geführt
werden müssen: Als Verurteilungsgrundlage kam bis 1951 neben dem
bundesdeutschen Strafgesetzbuch das Kontrollratsgesetz (KRG) Nr. 10 vom
Dezember 1945 infrage, das "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" oder die
Inwieweit die Ablösung des in der Hauptverhandlung tätigen Staatsanwalts vor der
Revision die veränderte Verfolgungsintensität beeinflusste, bleibt offen. Die
Bedeutung des biografischen Faktors wird freilich bereits durch den bloßen Hinweis
auf den Amtswechsel und die zeitgleich zurückgezogenen Revisionsanträge der
Staatsanwaltschaft evident.
In einem letzten Teil untersucht Lukaßen die Wahrnehmung der Verfahren in der
örtlichen Presse. Die Auswahl der vier Tageszeitungen deckt das politische
Spektrum von christdemokratisch bis kommunistisch ab. Grosso modo, so Lukaßens
Fazit, stimmten die Zeitungen in Form und Inhalt der Berichterstattung überein: Sie
verurteilten die Angeklagten, hatten eine - zumindest quantitativ - hohe
Informationsdichte während der ersten Verhandlung und schwiegen zu BGH-Urteil,
Revisionsverhandlung und (vorzeitiger) Entlassung der Angeklagten. Der Form nach
waren die Beiträge meist sachlich und fanden sich im Lokalteil. Kommentare waren
selten und dem prominentesten Angeklagten Hoegen wurde deutlich mehr
Aufmerksamkeit zuteil als den Mitangeklagten. Lukaßen bestätigt mit diesen
Erkenntnissen bisherige Forschungen. Inwieweit die kommunistische "Volksstimme"
aus dem Rahmen fiel, bleibt offen. Indem der Autor die Berichte über verschiedene
Delikte aneinanderreiht, kommt er zu unterschiedlichen Ergebnissen ohne eine
These daran zu binden: Einmal dominiert auch bei diesem Blatt die Sachlichkeit
(83), dann die Emotionalität (84), einmal wird intensiv kommentiert (84), dann
wieder darauf verzichtet (81). Überhaupt kann die Medienanalyse nicht das Niveau
des ersten Teils halten, weil Lukaßen zwar zu wichtigen Erkenntnissen kommt, auf
deren Interpretation aber verzichtet: So stellt er fest, dass es praktisch keine
Kommentare gibt, weist aber nicht darauf hin, dass die Presse sich mit diesem
Verzicht um die Möglichkeit brachte, Defizite in der Strafzumessung aufzudecken
und ihre selbst proklamierte Kontrollfunktion wahrzunehmen. Daneben deutet er
an, dass die Angeklagten in den düstersten Farben gezeichnet werden
("grauenhafteste Methoden"; 79), unterlässt es aber, die medial entworfenen
Täterbilder nachzuzeichnen. Einblicke in die gesellschaftlichen
Wahrnehmungsmuster von Tätern kann er deshalb nur begrenzt geben. Die
Schwäche in den medientheoretischen Überlegungen führt zudem zu einigen
einseitigen Urteilen: Zwar wurde der Prozess in Köln intensiv rezipiert; darin aber
"einen angemessenen Beginn im Umgang mit den NS-Verbrechen in der deutschen
[...] Öffentlichkeit" (9; ähnlich 91) zu sehen, ist vorschnell, hätte doch eine Analyse
überregionaler Zeitungen deren Ignoranz gegenüber dem Verfahren offenbart: die
FAZ berichtete zweimal, die SZ einmal und die ZEIT gar nicht. Dass ein lokales, sich
auch aus dem Sensationscharakter des Prozesses speisendes Interesse neben die
gesellschaftspolitische Auseinandersetzung trat, hätte aber zumindest in Betracht
gezogen werden müssen. Damit wäre das weitgehende Verstummen der Presse
während des BGH- und des Revisionsverfahrens nicht mehr (ausschließlich) als
anbrechende "Zeit der Stille" (H. Lübbe) interpretiert worden, sondern auch als
Verzicht auf eine Meldung, die eben nichts Sensationelles mehr hergab.
Dennoch handelt es sich bei der Fallstudie um einen guten Beitrag zu den frühen
NSG-Prozessen. Indem Lukaßen die mediale Wahrnehmung in die Untersuchung
einbezieht, wirft er ein Schlaglicht auf den Umgang einer lokalen Öffentlichkeit mit
NS-Tätern und somit auf einen der Selbstvergewisserungsprozesse in der frühen
Bundesrepublik. Viele Probleme der späteren NSG-Prozesse waren bereits in dieser
Phase zu erkennen. Trotzdem, so zeigt die Studie eindrucksvoll, war eine intensive
Verfolgung und angemessene Verurteilung der Taten möglich. Dass sie nur in
Ansätzen gelang, hing ebenso von der von Kaltem Krieg und Wiederaufstieg der
Bundesrepublik Deutschland geprägten Atmosphäre wie von den handelnden
Personen ab.
Anmerkungen:
Jörg Zedler