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JACKSON, HÄFTLING NR.

A 63837
Ein autobiographischer Brief
Soledad Gefängnis 10. Juni 1970
Lieber Greg,
wahrscheinlich habe ich mir mit dem Folgenden nicht genug Mühe
gegeben, aber ich bin unter Zeitdruck - immer.
Ich könnte die kriminellen Aspekte meines Lebens ein wenig
herunterspielen, aber dann wäre das nicht mehr ich. Das war ein
wesentlicher Teil von mir, die Sache, daß ich mich im Laufe meiner
Schulzeit und zu Hause dauernd verweigerte.
Von Kind an habe ich meinen Leuten was vorgemacht, echt war nur das
Leben auf der Straße. Ich habe sogar den Nonnen und Priestern was
vorgemacht, habe den Ministranten gespielt, um Meßwein klauen zu
können, habe im Kirchenchor mitgesungen, weil sie das so wollten. Auf
unseren Touren durch die reichen katholischen Schulen der Weißen
wurden wir immer sehr gut behandelt, gefüttert und mit Geschenken
eingedeckt. Der alte Pater Brown konnte mich zwar nicht ausstehen,
stellte mich aber immer ganz vorne hin, wenn wir irgendwo eine
Aufführung hatten. Ich weiß auch nicht genau, warum. Ich war das
häßlichste und magerste kleine Scheusal der ganzen Gruppe.
Schwarze, die in den USA geboren werden und das Glück haben, älter als
18 Jahre zu werden, können todsicher damit rechnen, irgendwann . mal
ins Gefängnis zu kommen. Für die meisten von uns ist es einfach eine
unausweichliche Phase in einer langen Reihe von Demütigungen. Als
Sklave in diese Sklavenhaltergesellschaft hineingeboren und ohne je
etwas zu erleben, was hätte die Basis für Erwartungen an meine Zukunft
sein können, wurde auch ich von dem nach und nach zum Trauma werdenden
Unglück beeinflußt, das schon so viele Schwarze hinter die
Gefängnistore brachte. Ich War auf das Gefängnis vorbereitet. Es
bedurfte nur noch geringfügiger psychischer Anpassung.

Jede Lebensgeschichte fängt mit der Mutter an. Meine Mama liebte mich.
Zum Beweis ihrer Liebe und der Angst um das Schicksal ihres Jungen,
wie sie alle Sklavenmütter hegen, versuchte sie mich in ihrem Schoß
drin zu behalten, zu verstecken, zu bewahren. Die Konflikte und
Widersprüche, die mich bis ins Grab begleiten werden, haben genau da
im Mutterschoß begonnen. Das Gefühl gefangen zu sein ..... dieser
Sklave wird sich niemals daran gewöhnen können, ich ertrage es nicht,
weder damals noch jetzt - niemals.
Ich bin aufgefordert worden, mich "kurz" zu erklären, ehe die Welt
mich erledigt. Das ist schwierig, weil ich nichts von Einzigartigkeit
halte, nicht so, wie sie Individuen zugesprochen wird, weil mir das zu
eng mit der dekadenten kapitalistischen Kultur und ihrem Personenkult
verknüpft ist. Ich habe mich eher immer bemüht, das Verbindende zu
sehen, das die künstlichen Barrieren überwindet, die vor den
verschütteten Schichten unseres Gehirns errichtet worden sind, vor der
Gedankenwelt der Urgemeinschaft, die in allen Schwarzen existiert.
Aber wie soll ich denn den entflohenen Sklaven schildern, ohne ihn
auch in seiner persönlichen Besonderheit darzustellen?
Mit achtzehn Jahren wurde ich verhaftet und ins Gefängnis gesteckt,
weil ich mich nicht anpassen konnte. Die Akte, die der Staat über mich
angelegt hat, liest sich wie das Sündenregister von zehn Männern. Ich
werde darin als Straßenräuber, Dieb, Einbrecher, Glücksspieler,
Landstreicher, Drogenabhängiger, Revolverheld, Ausbrecherkönig,
kommunistischer Revolutionär und Mörder bezeichnet.
Als ich geboren wurde, ging gerade die Wirtschaftskrise ('Great
Depression') zu Ende. Sie ging zu Ende, weil in den USA der zweite
große Krieg um die kolonialen Märkte begann. Am 23. September 1941
entrang ich mich dem bergenden Mutterleib - und fühlte mich frei.
Meine Mutter stammte vom Lande, aus Harrisburg in Illinois.
Mein Vater ist in East St. Louis,Illinois, geboren. Sie hatten sich in
Chicago kennengelernt und wohnten bei meiner Geburt in der Lake Street
nahe Racine. Das ist einer der ältesten Stadtteile von Chicago, halb
Ghetto, halb Fabrikgelände. Die Straßenbahn fuhr dicht an unseren
Vorderfenstern (den einzigen) vorbei. Auf der anderen Straßenseite
waren Fabriken und unter unserer Wohnung eine Autoreparaturwerkstatt.
Ich fühlte mich so richtig im Mittelpunkt des Geschehens.
Unser erster sozialer Aufstieg führte um die Ecke in die North Racine
Street 211, weg von der Straßenbahn. Ich erinnere mich an jede
Kleinigkeit meiner Vorschulzeit. Ich habe eine fünfzehn Monate ältere
Schwester, Delora, damals ein hübsches Kind und heute eine schöne
Frau. Manchmal wurde uns erlaubt, eigene Schritte in die Welt zu
wagen, was zu dieser Zeit bedeutete, nicht weiter als bis auf das
eingezäunte Flachdach, das an unsere kleine Dreizimmerwohnung
angrenzte, die sich direkt über einer Kneipe befand. Allerdings
durften wir nur hinaus, wenn die nur ab und zu in unser Viertel
kommende Müllabfuhr mal wieder dagewesen war. Das Dach war gleich
hinter der Kneipe und über einem Bereich, wo die Leute ihren Müll
deponierten. Natürlich trieb ich mich draußen herum, wann immer es mir
gefiel.
Der 'Superman' war damals schon ein paar Jahre alt. Ich hielt mich
nicht unbedingt für ihn, aber mich überkam so eine Ahnung, daß ich
'Supernigger' sein könnte (meiner Zeit um 23 Jahre voraus). Ich band
mir ein Tischtuch um den Hals, kletterte über das Dachgitter und wäre
ungeachtet der Tränen Deloras in den Tod gesprungen, hinunter zwischen
die Mülltonnen, wenn sie mich, das Tischtuch und alles nicht im
letzten Moment gepackt und mir in den Hintern getreten hätte.
Meine erste Begegnung mit den weißen Jungen in einem nahen
Kindergarten war ein traumatisches Erlebnis. Ich muß vorher schon
welche in Illustrierten oder Büchern gesehen haben, aber nie aus
Fleisch und Blut. Ich näherte mich einem, betastete sein Haar, kratzte
an seiner Wange, er aber schlug mir eins mit einem Baseballschläger
über den Kopf. Man fand mich als zusammengekrümmtes Häufchen Elend vor
dem Zaun des Schulhofes liegen.
Meine Mutter schickte mich daraufhin in die katholische Missionsschule
St. Malachy. Die befand sich mitten im Herzen des Ghettos zwischen
Washington Street und Oakley Street. Die Nonnen waren alle weiß; von
den Priestern (es gab fünf in der Kirchengemeinde) war einer, glaube
ich, fast schwarz, oder fast weiß, oder wie immer man das nennen will.
Die Schule fing mit dem Kindergarten an und ging hinauf bis zur
zwölften Klasse. Ich besuchte sie neun Jahre (mit Kindergarten zehn).
Diese kleine Gruppe von Missionaren mit ihren albernen Kutten und den
barbarischen Riten versorgten alle Altersstufen, und überhaupt alle,
die dorthin kamen, mit der vollen Palette westlicher Propaganda. Sex
war kein Thema, außer daß er mit Geflüster oder Grimassenschneiden als
etwas Verwerfliches vermittelt wurde. Du konntest dir alles
erlauben' (sie wollten ja zu gern Heilige aus uns machen), durftest
dich nur nicht dabei erwischen lassen, deine Hand an irgendeinem Rock
zu haben. Heilige Geister, Beichte und Rassismus.
St. Malachy bestand eigentlich aus zwei Schulen. Die zweite auf der
anderen Straßenseite, war privater als unsere. "Wir" spielten und
rangelten uns au f dem Bürgersteig, "sie" hatten einen großen,
reichlich mit Rasen und Bäumen ausgestatteten Garten, umgeben von
einem zweieinhalb Meter hohen schmiedeeisernen Zaun (um uns
auszusperren, denn er schien sie nicht aufzuhalten, wenn sie
rauswollten). "Sie" waren alle weiß. "Sie" wurden in großen privaten
Bussen oder in den großen Autos ihrer Eltern zur Schule gebracht und
wieder abgeholt. "Wir" von der schwarzen Seite gingen zu Fuß oder
benutzten öffentliche Verkehrsmittel, wenn wir es uns leisten konnten.
Der Schulhof der Weißen war mit Picknicktischen, Schaukeln,
Rutschbahnen und anderen, mehr für die älteren Schüler gedachten,
reizvollen Spielgeräten ausgestattet. Wir hatten jahrelang nichts als
die sehr belebten Bürgersteige und die Gasse hinter der Schule. Später
wurde eine kleine Turnhalle gebaut, aber sie stand nur ungenutzt
herum, war immer abgeschlossen. Wir durften nur mal hinein, wenn von
Zeit zu Zeit ein Basketballspiel zwischen unserer Schulmannschaft und
einer ähnlichen aus den verschiedenen anderen Ghettos der Stadt
ausgetragen wurde.
Delora und ich fuhren jeden Morgen mit der Straßenbahn von der Lake
Street zur Schule; auch sonntags, wenn wir zum Gottesdienst gehen
mußten. Ich muß mich an die hundertmal von der Straßenbahn fallen
gelassen haben. Delora klammerte sich jedesmal an mich und suchte es
zu verhindern, aber gegen meine Entschlossenheit kam sie nicht an, und
wir kullerten mitsamt unseren Büchern und allem die Lake Street
hinunter. Ein Wunder, daß wir nie unter eins der vorbeifahrenden Autos
kamen. Die anderen schwarzen Kinder, die auf dem Weg zur Schule waren,
lachten uns aus. Die Mädchen mußten eine Schuluniform tragen, die
Jungen weiße Hemden. Ich hatte den Eindruck, daß auch die Nonnen und
Priester jedesmal in ihrem Innern lachten, wenn sie uns eine ihrer
phantastischen Lügengeschichten erzählten. Heute weiß ich, daß das
Verhängnisvollste, was ein kolonisiertes Volk seinen Kindern antun
kann, ist, sie in irgendeine Bildungseinrichtung zu schicken, die von
der vorherrschenden feindlichen Kultur des Kolonisators bestimmt wird.
Bevor in meinem ersten Schuljahr der Winter kam, reinigte mein Vater
Lester (2) einmal ein fünfzig Gallonen Faß mit Benzin, um darin Öl für
unseren kleinen Ofen bevorraten zu können. Ich sah ihm dabei zu.
Während einer Zigarettenpause entfernte er sich etwas von dem Faß und
klärte mich über die Gefährlichkeit der Benzindämpfe auf. Später, als
er mit seiner Arbeit fertig war, schlich ich mich wieder auf das Dach
hinaus, meine Schwester Delora trottete wie ein treuer Bernhardiner
hinter mir her. Ich besaß ein Briefchen Streichhölzer, und die
Vorstellung, eine Explosion auslösen zu können, ließ mich nicht mehr
los. Sobald Delora bemerkte, was ich vorhatte, schaute sie mich mit
ihren großen, traurigen Augen an und begann zu weinen. Ich zündete ein
Streichholz an und ging näher und näher an das Faß heran. Dann zündete
ich das ganze Briefchen an. Nun war Delora vollends davon überzeugt,
daß unser beider Tod unmittelbar bevorstand. Sie machte einen letzten
tapferen Versuch, mir in den Arm zu fallen, aber ich war wild
entschlossen und schleuderte die brennenden Streichhölzer zu dem Faß
hinüber. Delora hielt mir instinktiv die Augen zu, als es explodierte.
Sie hat noch heute ein paar Brandnarben als Andenken an diesen Tag.
Ich wurde in der unteren Gesichtshälfte verletzt, aber bei mir sieht
man nichts mehr. Unsere Kleider waren angesengt und zerrissen. Ich
wäre heute wahrscheinlich blind, wenn meine Schwester nicht gewesen
wäre.
Meine Eltern bekamen noch zwei Töchter, Frances und Penelope, während
wir dort in North Racine hausten. Sechs Menschen in einer engen
Dachwohnung. Das einzig Erfreuliche, an das ich mich erinnere, war die
Helligkeit dort. Wir hatten viele Fenster, und kein höheres Gebäude
nahm uns das Sonnenlicht. Aber 1949 zogen wir in ein Hinterhaus auf
der Warren Street, nahe der Western Street, und mit der Sonne war es
vorbei. Wir hatten dort keine Fenster zur Straße hin, und das eine,
das zur Seitengasse hinging, war durch eine Garage zugebaut. Die
Wohnung war zwar größer, aber die Gegend war so verrufen, daß meine
Mutter mir nie, nie erlaubte, das Haus oder den kleinen Hinterhof zu
verlassen, außer wenn sie mich in einen der Supermärkte oder in
irgendeinen Laden auf der Madison Street schickte, von wo ich aber
umgehend zurückzukehren hatte. Wenn ich rauswollte, kletterte ich aus
dem Fenster, oder ich warf meine Jacke aus dem Fenster und bot mich
dann an, den Müll hinauszutragen. Bei uns gab es nur eine Tür nach
draußen. Die war in der Küche und wurde von Mutter immer streng
bewacht.
Die Sommerferien verbrachte ich in diesen Jahren meistens im südlichen
Illinois bei meiner Großmutter Irene und meiner Tante Juanita. Meine
Mutter Georgia glaubte mich dadurch vor schädlichen Einflüssen zu
bewahren. Sie war selbst dort aufgewachsen und hatte zu ihrer
Schwester Juanita, die sich um mich kümmerte, vollstes Vertrauen. Ich
war ihr einziger Sohn und darum auch das einzige Kind,das von meiner
Mutter besonders unter die Fittiche genommen wurde. Trotz dieser
Motive taten mir die Landaufenthalte gut. Ich lernte mit Gewehren,
Schrotflinten und Pistolen schiessen, ich lernte angeln, ich lernte
eine Reihe der eßbaren Pflanzen kennen, die in den meisten Gegenden
der. Vereinigten Staaten wild wachsen. Ich konnte das Haus, den Hof
und das Städtchen verlassen, ohne mich deshalb aus dem Fenster
davonstehlen zu müssen.
Im schwarzen Viertel von Harrisburg ist so ziemlich jeder irgendwie
mit mir verwandt. Es sind redliche, rechtschaffene Leute. Rein
zahlenmäßig könnte ich mit ihnen eine kleine Armee auf die Beine
stellen. Jeder besaß dort eine Waffe, und ich konnte auf meinen
Landausflügen mit jedem Typ von Gewehren und Pistolen herumhantieren.
Meine Vorliebe für Waffen und Explosivstoffe verleitete mich zu meinem
ersten Diebstahl. Durch Geldmangel war Munition knapp, und so kam es,
daß... Ich muß auch mit einiger Scham eingestehen, daß ich gern
Kleintiere abknallte, Vögel, Kaninchen, Eichhörnchen und alles, was
mir ein Ziel bot. Ich war ein kleiner, magerer Kerl, eine Landplage
für Wald und Wiesen, ein Wegelagerer. Nach den Sommerferien kehrte ich
in den Norden und in die Schule zurück und lieferte den weißen Kindern
von gegenüber Schneeballschlachten (manchmal flogen auch Eisbrocken).

Ich weiß nicht mehr genau, wann ich Joe Adams kennenlernte.
Es muß während der ersten Schuljahre gewesen sein, ich erinnere mich
jedenfalls noch genau an die Begleitumstände. Drei oder vier Brüder
waren gerade dabei, mir meine Schulbrote wegzunehmen, als Joe dazukam.
Die Tüte zerriß und verstreute ihren Inhalt über den Bürgersteig. Joe
raffte alles wieder zusammen, während die anderen lachend
davonrannten, kam zu mir und stopfte mir alles in die Taschen. Von da
an waren wir auf unsere kindliche Weise beste Freunde. Er war ein paar
Jahre älter als ich (zwei oder drei Jahre bedeuten in diesem zarten
Alter eine Menge) und mir in vielem weit überlegen. Ich orientierte
mich an ihm, und auch John, Kenny Fox, Junior, Sonny und ein paar
andere hörten auf ihn. Wir haben so manchen Ladenbesitzer in unserem
Viertel beinahe bankrott gemacht. Meine Mutter und mein Vater wollen
es heute sicher nicht mehr wahrhaben, aber ich litt damals immer
Hunger, genau wie die anderen. Wir stahlen alles, was wir gebrauchen
konnten, von Lebensmitteln bis zu Handschuhen (für meine ewig kalten
Hände), die ich immer trug, bis sie verschlissen waren, Murmeln für
unsere Zwillen, Spiele und Krimskrams aus den billigen Warenhäusern.
In der Stadt plünderten wir nach Lust und Laune. Die City war uns
gegenüber hilflos. Aber mit Joe konnte ich nicht mithalten. Um diese
Zeit etwa wurde mein einziger Bruder Jonathan geboren.
Mein Großvater George "Papa" Davis ragt in meiner Erinnerung aus
diesen frühen Jahren viel mehr als jede andere Person meiner Umgebung
hervor. Das System nötigte ihn, von seiner Frau getrennt zu leben. In
Harrisburg war für einen Mann keine Arbeit zu finden. Er lebte und
arbeitete in Chicago und schickte den Lohn seinen Leuten weiter
südlich nach Hause. Er war ein sehr aggressiver Mann, und weil
Aggressivität auf Seiten der Sklaven gleichbedeutend mit Verbrechen
ist, steckten sie ihn hin und wieder in den Knast. Ich liebte ihn. Er
versuchte, meine überschüssige Energie in angemessene Formen von
Protest zu lenken. Er erfand lange, einfache Fabeln, in denen er die
weißen Politiker stets als Tiere (Esel, Kröten, Ziegen oder
Ungeziefer) darstellte. Gegen die Polizei hegte er eine ganz besondere
Feindschaft. Er und meine Mutter gaben sich große Mühe, mir
einzuschärfen, daß es die übelste Form des "Niggerismus" ist, andere
Schwarze zu beklauen, zu verdreschen, zu beleidigen und mit dem Messer
auf sie loszugehen.
Papa nahm mich mit zu seiner kleinen Bude in der Lake Street, gab mir
zu essen und wies mir die Wege durch den schlimmsten aller Dschungel
dieses Landes, indem er mir die Schwächen der Schwarzen in ihrer
Reaktion auf unsere von Krisen gezeichnete Existenz klarmachte. Ich
liebte ihn. Im fünften Jahr meiner Haft in San Quentin starb er allein
im südlichen Illinois. Er mußte zuletzt von einer Rente leben, die ihm
nach Abzug der Miete kaum mehr als eine Hungerdiät aus Sardinen und
Kartoffelchips erlaubte.

Von der Warren Street zogen wir in die Mietskasernen der Troop Street,
die 1958 zum Schauplatz der schwersten Rassenunruhen in der Geschichte
dieser Stadt geworden waren. Die 'cats' (3) aus der Gegend rückten
gegen die Bullen mit schweren 30er und 50 er Maschinengewehren vor,
die mit Rauchspurmunition geladen waren.
Meine Schwierigkeiten begannen, als wir in diese Mietskasernen zogen.
Ich wurde einige Male beim K lauen erwischt, aber die Bullen gingen
nie weiter, als mir was mit dem Knüppel hinter die Ohren zu geben und
mich von meinem gramgebeugten Vater abholen zu lassen.
Meine Familie wußte sehr wenig von meinem wirklichen Leben.
Ich lebte faktisch zwei verschiedene Leben, das eine zu Hause bei Mama
und den Schwestern und das andere auf der Straße. Wenn ich hin und
wieder bei irgendwas ertappt wurde, geriet meine Mutter außer sich.
Tausendmal bin ich von zu Hause abgehauen und wollte niemals
zurückkehren. Wir gingen auf Trebe, trieben uns mal hier, mal dort im
Staat herum. Ich tat nur, was ich wollte (mein Leben lang habe ich das
getan). Wenn ich zur Rede gestellt wurde, log ich.
Ich hatte~ ein Mädchen aus Arkansas, die hübscheste in der Mission,
aber die Nonnen hatten ihr mit Erfolg eingeredet, daß Liebe -
Berührung der Fingerspitzen, Münder, Bäuche, Beine - schmutzig sei.
Ich verwendete meine Zeit und mein~ Geld vorwiegend für andere lockere
und reizende Mädchen, die ich au f der Treppe unseres
fünfzehnstöckigen Hauses traf. Da hingen wir auch die meiste Zeit
herum und zogen das ganze übrige Ritual ab. Jonathan, mein neuer
Genosse, war damals noch fast ein Baby und der einzige Grund, warum
ich überhaupt noch nach Hause kam. Ich wünschte mir einen Bruder, mit
dem ich plündernd durch die Welt der Weißen ziehen könnte, und einen
Vater, der stolz auf unsere Taten sein würde - ich war ein
phantasievoller kleiner Bengel. Aber leider war mein Bruder ja noch zu
klein. Er ist jetzt erst siebzehn, und ich werde in diesem Jahr schon
neunundzwanzig. Und mein Vater war vom Kummer über mich geplagt. Ich
ging nicht mehr regelmäßig in die Schule und wurde immer öfter von den
Bullen 'aufgegriffen'. Polizeiwache, eine Strafpredigt,
Knüppeltherapie. Dieses Aufgegriffenwerden geschah hauptsächlich "auf
Verdacht': oder weil~ ich mich im falschen Stadtteil aufhielt. Mit ein
oder zwei Ausnahmen wurde ich nie wirklich bei Gesetzesübertretungen
ertappt. Kein Polizist haue bei einer Verfolgungsjagd gegen mich eine
Chance. Es ist nahezu unmöglich, ein hakenschlagendes Ziel mit einem
kurzläufigen Revolver zu treffen. Durch einen schmalen Gang mit einem
Tor, das nur wenige mit vollem Tempo passieren können (wo's zudem
sogar am Tage fast dunkel ist), dann die Treppen rauf und durch eine
Tür, von Dach zu Dach mit Sprüngen über zwei bis drei Meter weite
Zwischenräume ... (vergeßt nicht, der Bulle tut seinen Job für Geld,
ich aber renne um mein Leben!). Es gab nicht einen Bullen in der
ganzen Stadt, der auch nur der schlaffsten Ghettobande hätte au f den
Versen bleiben können.

Mein Vater hielt es für notwendig, mich aus dem Chicago-Milieu


herauszubringen, und ließ sich deshalb 1956 an ein Postamt in Los
Angeles versetzen. Er kaufte einen alten Hudson, Baujahr '49, packte
mich hinein und ab ging's in den Westen mit uns beiden. Der Rest der
Familie sollte Ende des Jahres nachkommen. Ich hatte keine Ahnung von
Autos. Dies war das erste, das meine Familie sich gekauft hatte. Mit
größtem Interesse beobachtete ich meinen Vater dabei, wie er den
Hudson in nur zwei Tagen über die zweitausend Meilen von Chicago nach
Los Angeles jagte. Danach war ich fest davon überzeugt, Kupplung und
Pedale bedienen zu können. Nach unserer Ankunft in Los Angeles bat ich
ihn sofort, es mal ausprobieren zu dürfen. Er sah mich nur mit so
einem Blick an, als wollte er sagen "Ach, verflixter Nigger, vergiß
es!". Anfangs sollten wir bei seinem Cousin Johnny Jones in Watts
wohnen, bis der Rest der Familie nachkommen könnte. Vater ging gleich
mit Johnny los, um andere Verwandte zu besuchen, und ich blieb mit den
Schlüsseln und dem Auto allein zu Hause. Ich fuhr um die nächste Ecke,
die Straße entlang, stoppte an einer roten Verkehrsampel, biß die
Zähne zusammen, schluckte trocken - schaffte es noch um die nächste
Ecke und beendete meinen kleinen Ausflug in der Schaufensterscheibe
und Eingangstür eines Friseurladens. Die' Jungs drinnen im Laden
(Watts) waren schon so abgebrüht, daß kaum einer aufschaute. Ich
versuchte es mit einer Entschuldigung. Der Bruder, dem der Laden
gehörte, erlaubte meinem Vater, die Reparaturen selber auszuführen.
Das war eine Sache unter Brüdern, deshalb wurden auch keine Bullen
gerufen. Allerdings kam doch einer zufällig vorbei, und ich erhielt
deswegen später noch eine Ladung zur gerichtlichen Vernehmung. Aber
der Bruder hatte gleich gespürt, daß mein Vater arm war wie er selbst
und mit einem schrecklich gedanken- und verantwortungslosen und etwas
ausgerasteten Kind geschlagen war. Vielleicht hatte er auch so einen
Sohn und bestand deshalb nicht darauf, den knarrenschwingenden Bullen,
den Hüter der feindlichen Kultur der Weißen, zur Regelung der Probleme
herbeizurufen, die wir unter uns klären müssen.
Mein Vater kaufte das notwendige Material und brachte den Laden des
Bruders eigenhändig wieder in Ordnung. Ich wurde wegen des Schadens
nicht angezeigt. Mein Vater beulte die Motorhaube wieder aus, flickte
die Löcher im Kühler, beulte die Knicke im Kotflügel aus, kaufte einen
neuen Scheinwerfer und befestigte ihn mit Klebestreifen an der
vorgesehenen Stelle des Kotflügels. Er fuhr mit dem Wagen zur Arbeit
und nach Hause, mit Mutter zum Supermarkt, mit meinen Schwestern zur
Kirche - und das noch vier Jahre lang! Er konnte sich keinen anderen
leisten und genierte sich deswegen nicht im geringsten. Und mir
gegenüber hat er nie ein Wort über die ganze Sache verloren. Ich
glaube, er hatte mittlerweile schon eingesehen, daß Worte bei mir
nichts halfen. Ich bin ein Dummkopf gewesen - oft.

Nach unserer Übersiedlung nach Los Angeles stellte ich schlimme Sachen
an, aber dieser Mann hat mich niemals aufgegeben. Er schämte sich,
mich per Kaution herausholen zu müssen, wenn ich mal wieder mit dem
Gesetz in Konflikt geraten war, aber er war im mer zur Stelle. Für
einen angeblichen Warenhauseinbruch (bei Gold's auf der Central
Street) und einen versuchten Straßenraub saß ich mehrere Monate in
Paso Robles. Ich war damals fünfzehn und schon ausgewachsen (seitdem
bin ich keinen Fingerbreit größer geworden). Bei dem Job schoß ein
Polizist sechs mal voll auf mich, als ich schon mit erhobenen Händen
dastand. Nach dem zweiten Schuß, als mir klar wurde, daß er mich
umbringen wollte, ging ich auf ihn los. Bis ich mit ihm fertig war,
hatte er seine Kanone leergeschossen, mich aber nur zweimal getroffen
und schrie: "Haltet mir diesen wildgewordenen Nigger vom Leib!" Meine
Mutter fiel glatt in Ohnmacht, als sie am Telefon darüber informiert
wurde, daß ich bei einem versuchten Straßenraub von der Polizei
angeschossen worden war. Bei dem Job hatte ich übrigens noch zwei
Kumpels bei mir. Sie konnten aber entkommen, während ich mich mit den
Bullen herumschlug.
Da alle Schwarzen wie Ratten behandelt werden, ging das Verhör los,
noch ehe ich ins Krankenhaus gebracht wurde. Die ärztliche Hilfe wurde
mir als Lohn für die Zusammenarbeit mit der Polizei in Aussicht
gestellt. Zuerst merkten sie gar nicht, daß ich getroffen war, aber
kaum sahen sie das Blut durch meinen Ärmel sickern, ging die Fragerei
los. Eine Kugel haue den Unterarm durchschlagen, die andere das Bein
aufgeschlitzt. Ich saß im Fond des Bullenautos und blutete zwei
Stunden lang, bis ihnen klar wurde, daß ich vor lauter Schmerzen schon
einen Kiefermuskelkrampf hatte. Sie brachten mich in eine kleine
Klinik nahe der Bahnstation Georgia Street. Eine schwarze
Krankenschwester oder Ärztin kümmerte ich um mich. Sie war jung,
voller Mitgefühl und gab mir gute Ratschläge. Meine Beine sähen so
kräftig aus, daß ich doch besser Footballspieler werden oder einen
anderen Sport treiben sollte, statt mich mit der feindlichen
Staatsgewalt zu bekriegen. Wenn sie die Bullen für einen Augenblick
auf den Flur lotsen würde, könnte ich abhauen, sagte ich, und würde
vielleicht irgendwoanders noch mal mit Football von vorn anfangen.
Einen Monat bevor das alles passierte, hatte mir ein Typ ein Motorrad
verkauft und dazu eine Lizenz vorgelegt, die sich als gefälscht oder
zumindest manipuliert erwies. Die Karre war geklaut und ich wurde
damit erwischt. Die beiden Sachen zusammen genügten nun, mich ins
Jugendgefängnis zu stecken, das man in Kalifornien 'Youth Authority
Corrections' nennt. Ich kam nach Paso Robles.
Beim allerersten Mal glaubt man zu sterben. Es erfordert schon eine
massive psychische Umorientierung, um überhaupt in so einem Käfig
existieren zu können. Ich habe mich schon immer am meisten davor
gefürchtet, gefangengenommen zu werden. Diese Angst ist

möglicherweise angeboren, sie gründet sich auf die Erfahrung


jahrhundertelanger Versklavung der Schwarzen. Ich bin mein Leben lang
davor geflohen. Als sie mich 1957 einholte, war ich fünfzehn Jahre alt
und für eine so plötzliche Umstellung nicht sehr gut gerüstet.
Jugendgefängnisse sind Orte, die einem bedingungslose Kapitulation
abfordern; man muß jeden Widerstand aufgeben, sonst ...
Die Bediensteten dort sind die gleichen Durchschnittstypen, wie sie in
allen Gefängnissen herum lungern. Sie brauchen einen Job, egal
welchen, und der Staat braucht seine Büttel. Paso Robles war damals
noch fast neu. Die Trakte des Regelvollzugs waren so angeordnet, daß
man von dort aus immer den Trakt mit den Bunkerzellen sehen konnte.
Ich glaube, er wurde dort 'X' genannt. Wir lebten tagein, tagaus nur
in dem Bestreben, ihm zu entgehen. Es wurde genauestens kontrolliert,
wieviel wir aßen. Nicht anders war es in Bezug auf den Schlaf. Nachdem
das Licht gelöscht war, konnte sich niemand aus seinem Bett bewegen,
ohne vom Lichtstrahl der Handlampe eines Bullen getroffen zu werden.
Tagsüber durfte das Bett nicht angerührt werden. Es gab so viele
Vorschriften, daß es trotz aller Anstrengungen nur wenige von uns
schafften, nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Alles und jedes war
vorprogrammiert, sogar die Menge, die ein Suppenlöffel enthalten
durfte. Wir mußten im militärischen Gleichschritt marschieren, egal
wohin wir gingen - in die Turnhalle, in den Speisesaal, zum
Pflichtgottesdienst. Es kam aber auch vor, daß wir nur marschieren
mußten. Ich tat so, als wäre ich etwas schwerhörig und könnte nur die
simpelsten Anweisungen verstehen. Ich bekam daher nur einfache
Arbeiten übertragen. Ich hatte Glück. Wenn mich mein Verstand mal im
Stich ließ, hatte ich schon immer das Glück, mich irgendwie
durchzuschlagen.
Mein Leben lang habe ich genau das getan, was ich wollte, und genau
dann, wann ich es wollte - nicht mehr, vielleicht manchmal weniger,
aber niemals mehr, was die Erklärung dafür ist, warum ich eingekerkert
werden mußte. "Der Mensch wurde frei geboren, und doch liegt er
überall in Ketten." Ich habe mich nie angepaßt. Sogar jetzt habe ich
mich noch nicht angepaßt, nachdem ich schon die Hälfte meines Lebens
im Gefängnis verbracht habe. Ich kann wahrhaftig nicht behaupten, daß
das Gefängnis heute weniger schlimm ist als damals, als ich diese
Erfahrung das erste Mal machte.
Während meiner ersten Gefängnisjahre las ich alles von Rafael
Sabatini, besonders 'Die Löwenhaut'. "Es war einmal· ein Mann, der
eine Löwenhaut verkaufte, als die Bestie noch lebte, und dann von dem
Löwen getötet wurde, als er ihn jagen wollte." Diese Geschichte
faszinierte mich. Sie ließ mich sogar noch unter der Peitsche lächeln.
Der Gejagte pirscht sich an den Jäger heran, der Jäger unterliegt. Das
größte Raubtier auf dieser Erde wendet sich gegen seinen Unterdrücker
und tötet ihn. Zu der Zeit existierte diese Idealvorstellung nur in
meinem Unterbewußtsein. Sie half mir, meine eigene Identität zu
finden, aber es dauerte noch einige Jahre, bis ich auch meinen wahren
Feind genau definieren konnte. Ich las Jack Londons Seefahrernovellen
des Nordwestens - "roh und nackt, wild und frei" - und träumte davon,
meine Feinde total zu zerschmettern, sie zu überwältigen, zu
bezwingen, sie zu zermalmen, meine Pranken in den Nacken des Jägers zu
schlagen, und nie, nie mehr loszulassen.
Gefangenschaft, Einkerkerung kommt der Erfahrung des Todes
wahrscheinlich am nächsten. Es gab keine Prügel in diesem
Jugendgefängnis (für mich jedenfalls), und das Essen war nicht allzu
schlecht. Ich kam durch. Wenn ich was tun sollte, spielte ich einfach
den Idioten und gewann auf diese Weise Zeit zum Lesen. Der
geistesabwesende Bücherwurm - nachdem sieben Monate um waren, befand
ich mich innerlich in völligem Aufruhr.
In Paso Robles nahm ich am Schulunterricht teil, schaffte das Pensum,
das im kalifornischen Schulsystem verlangt wurde, und stieg dann in
den handwerklichen Unterricht für die elfte Klasse ein. Nach meiner
Entlassung machte ich die elfte Klasse weiter, aber mit wenig
Begeisterung. Das Interesse, das ich an Waffen entwickelt hatte, nahm
den größten Teil meiner Zeit in Anspruch. Ich hatte schon lange die
Vorteile davon erkannt, seine eigene Munition herzustellen, konnte mir
aber die notwendigen Kenntnisse dazu nicht aneignen, weil es mir an
Geld für eine Grundausstattung an Werkzeugen zum Nachfüllen von
Patronenhülsen mangelte. Wenn jemand den Gebrauch von Faustfeuerwaffen
wirklich erlernen will, dann müssen bei jedem Übungsschießen Tausende
von Patronen verschossen werden. Das kann sehr teuer werden. Deshalb
besorgte ich mir zusammen mit ein paar Freunden das Geld zum Kauf
einer gebrauchten Herter-Nachlademaschine mit C-Rahmen, dazu Gußformen
und Kugelschneider, um die 9mm und die .25er Automatiklader nachfüllen
zu können. Wir experimentierten auch mit manipulierten Nachfüllungen.
Die 9mm kann so verändert werden, daß sie eine ähnliche
Durchschlagskraft hat wie eine .45er oder eine .44er-Spezial. Es kommt
nur auf die richtige Kombination von Gewicht und Form der Kugel mit
einer größtmöglichen Pulverladung an.
Ich hatte drei bevorzugte Pistolen; neben Schrotflinten und Gewehren.
Eine kleine .25er Automatik mit der speziell dafür von mir
angefertigten Munition - ein dreiviertellanges 60 Gran Mantelgeschoß,
angefüllt mit soviel Pulver, wie ich nur hineinkriegen konnte. Eine
9mm Browning 'High Power' mit einem 13-Schuß Magazin, die eine der
schrecklichsten Handfeuerwaffen der Welt ist. Mit vollem Magazin
feuert sie vierzehnmal, bevor sie nachgeladen werden muß. Ich schnitt
150 Kugeln dafür zurecht, nahm dazu eine dreiviertellange Mantelhülse
und stopfte so viel Pulver wie möglich hinein, ohne daß dadurch die
Kugel locker in der Hülse saß. Ich habe damit

mal ein Karnickel getroffen und habe von ih m danach nur noch ein
Büschel Haare und einen blutigen Klumpen Fleisch gefunden. Meine
dritte Pistole war ein alter sechsschüssiger .45er Colt Revolver der
US-Armee. Mit ihr wurden die gängigen A.C.P.s verschossen, die meiner
Meinung nach die schwerste Munition au f der Welt ist, die man mit
einem Revolver verschiessen kann. Ich halte nicht viel von der
automatischen .45er Pistole, obwohl sie wiederum auch nicht so
schlecht ist, wie manche Leute einem einreden wollen. Der .45er A.
C.P. ist in meinen Augen dagegen einer der besten Revolver, der mit
einem schweren Rahmen gebaut wird. Ich habe sie fast alle ausprobiert.
Die 5,5 Inch Trommel kann äusserst schnell mit dünnen Halbmond-
Ladestreifen nachgeladen werden. Mit der Ausrüstung zum
Munitionnachfüllen kann man die .45er A.C.P.-Patronen fast auf das
Ausmaß der Feuerkraft einer .44er Magnum hochtreiben. Noch besser ist
es, das Gewicht der Kugel zu erhöhen und die Pulverladung zu
verringern, wodurch sich die Waffe auch für einen Schalldämpferaufsatz
eignet. Kein ernsthafter Schütze kommt ohne Werkzeug zum Selbstladen
aus. Die Kosten für die Schießübungen sind sonst untragbar. Wir
schafften es, eintausend .45er Patronen für zwölf bis fünfzehn Dollar
herzustellen. Wenn wir das Blei klauen konnten, sogar für acht Dollar.
Wir kauften kleine Bleistangen, die fast schon das richtige Kaliber
hatten. Wir mußten sie nur noch mit einem sehr ein fach zu
handhabenden Spezialwerkzeug auf das entsprechende Gewicht und die
passende Größe zurechtschneiden. Während der Schulwoche luden wir die
Messinghülsen nach. Am Wochenende schossen wir damit in der Wüste um
Bakersfield auf Karnickel und gelegentlich auch auf Wildschweine.
Ich bot diese Übungen auch anderen Freunden an, deren Interesse in
dieselbe Richtung ging wie meines. An den Wochenenden, die wir in der
Einöde verbrachten, zeigten sich die Kaninchen nur zu bestimmten
Tageszeiten als bewegliche Zielscheiben, nämlich früh am Morgen und
spät abends. Tagsüber, wenn wir nicht scharf auf die Cottonwood Road
und ihre Billardhallen und Bierkneipen waren, knallten wir uns ein
kühles Faß Bier und ein paar Lebensmittel (meistens Melonen und
Weintrauben, die wir uns nach unserem "Wiedergutmachungsprinzip" von
den umliegenden Farmen und Feldern geholt hatten) ins Auto· und fuhren
wieder in die Wüste zurück. Die Landschaft dort ist sehr uneben und
von vielen Gräben durchzogen, durch die früher Regenwasser abfloß.
Einer von uns legte sich immer bequem in so einen schützenden Graben,
hatte Massen von leeren Bierdosen dabei und schleuderte sie für die
anderen hoch, die Schießübungen darauf machten. Anfangs gab es nicht
besonders viele Treffer. Für eine Weile mußten wir auch Zielscheiben
aus Pappe einsetzen, aber im Laufe der Monate wurde es für uns schon
zur Routine, die hochsausenden Dosen zu treffen. Wenn einer von den
Jungs runter in den Graben wollte, wo das Bierfaß verstaut war, mußte
er erst mal zwanzig Treffer erzielen.

Zehn mit der linken, zehn mit der rechten Hand. Meine beiden Kumpels
bevorzugten die .38er Spezial und den .380er Revolver, aber ich war
ganz vernarrt in den .45er 'smokeless': Die letzten drei Finger
greifen um die Griffbacken der Waffe, der Zeigefinger legt sich um den
Abzug, während der Daumen die Knarre fest umschließt ...
Manchmal nahmen wir auch Mädchen mit, denen Sonne und Staub nichts
ausmachten. Wir lebten meist von Melonen, Trauben und Kaninchen,
vergnügten uns mit Mädchen und Bier. Ich muß leider zugeben, daß es
mir gefiel - was für erbärmliche Tage! Wir schliefen im Auto oder au f
der Erde, eingerollt in ausrangierte Armeedecken.
Das Schuljahr endete im Juni 1958. Meine beiden Kameraden meinten, es
wäre wohl etwas Geld nötig, wenn wir uns den geplanten Urlaub in
Mexico leisten wollten. Das verleitete uns zu dem Raub in Burbank, bei
dem es zu einer Schießerei kam. Die ganze Sache hatte uns derart
mitgenommen, daß wir uns trennten und jeder seiner Wege ging. Wir
hätten keine Chance gehabt, aus dieser Situation herauszukommen, wären
wir nicht mit unseren Waffen so vertraut gewesen. Die 9mm Browning hat
eine schreckliche Feuerkraft und Zielgenauigkeit. Die Bullen haben
sieben- bis achthundert Stunden Schießtraining, bevor sie ihre Prüfung
ablegen, aber sie kriegen auch beigebracht, sich in acht zu nehmen,
wenn das Feuer erwidert wird, und das bedeutet dann natürlich, daß sie
sich in das nächste Loch schmeißen und darin in Deckung gehen. Die 9mm
Browning kann dafür sorgen, daß sie recht lange in ihrem Loch drin
bleiben - vierzehn Schuß lang, ohne nachzuladen. Ich hätte sie alle
vier erschießen können, wenn ich genauso tollwütig gewesen wäre wie
sie. Aber ich wollte einfach nur von da wegkommen - was uns auch
gelang - trotz des vernichtenden Dauerfeuers aus Schrotflinten und
automatischen Pistolen, mit dem die Bullen uns eindeckten.
Als ich in Bakersfield halt machte, wollte ich eigentlich nicht mehr
als ein oder zwei Wochen bleiben. Ich lernte aber eine Frau kennen,
der das Leben fast genauso mies vorkam wie mir. Wir "sündigten"
miteinander, und ich blieb. Ich war damals sechzehn Jahre alt und noch
nicht besonders stämmig, und diese wundervolle Schwester, so schön
rund und wild, fest und geschmeidig zugleich, und schon eine reife
Frau ..... es dauerte keinen Monat, und meine Gesundheit war dermaßen
ruiniert, daß ich das Bett hüten mußte. Ich war elf Tage krank, hatte
Fieber und Brustschmerzen (irgendwas an der Lunge). Als ich mich von
da wieder davonmachte, war ich ziemlich fertig. Ich trommelte danach
ein paar Freunde zusammen. Zwei von ihnen waren zu allem bereit, Mat
und Obe. Wir quatschten miteinander, liehen uns ein Auto und hauten
ab.
Wenige Tage später fanden wir drei uns im Bezirksgefängnis von Kern
County wieder, weil wir verdächtigt wurden, ein paar Raubüberfälle
begangen zu haben. Da die Gegenseite immer reinen Tisch macht, wenn
sie die geeigneten Opfer findet, wollten sie uns gleich eine Reihe von
Überfällen anhängen, von denen wir überhaupt keine Ahnung hatten. Weil
sie mir schon einen Überfall nachweisen konnten, bekam ich auch noch
mein Fett für einen anderen ab und entlastete Mat und Obe wegen eines
dritten. Sie "erlaubten" Obe, sich wegen nur eines Überfalls schuldig
zu bekennen, statt der drei, die sie ihm anzuhängen drohten. Dadurch
wurde Mat völlig entlastet. Zwei Monate nach unserer Verhaftung war er
von jeder Anklage befreit und wurde entlassen.
Ich war in der Abteilung für Kurzstrafer untergebracht, statt in der
für so genannte Schwerverbrecher, weil sie von der letzteren Abteilung
nur zwei hatten (es war ein altes Bezirksgefängnis), und sie wollten
uns drei ja getrennt halten. Nach Mats Entlassung kam ein schwarzer
Bruder in meine Abteilung, um eine Strafe von zwei Tagen abzubrummen.
An dem Morgen, als er wieder entlassen werden sollte, ging ich mit ein
paar Bettlaken nach hinten zu seiner Zelle und fragte ihn, ob er mir
bei einem Fluchtversuch helfen würde. Er reagierte nur mit einem
verächtlichen Blick und einer abwinkenden Handbewegung. Unter seinen
Augen fing ich an, die Laken in Streifen zu reissen. "Was machste denn
da?", fragte er mich, als ich fertig war. "Wie Du siehst", erwiderte
ich, "reiße ich die Laken in Streifen." - "Warum machst'n das?" -
"Weil ich einen Strick daraus drehen will." - "Und was willste hier
mit 'nem Strick anfangen?" - "Ich werde Dich damit fesseln!"
Als er an diesem Vormittag zur Entlassung gerufen wurde, ging ich an
seiner Stelle hinaus. Ich habe etwas gelernt, was ganz bedeutend für
unseren Kampf hier in den Vereinigten Staaten ist: Für viele Weiße
sehen Schwarze alle gleich aus. Überhaupt neigen Weiße aus Gewohnheit
dazu, die Schwarzen sehr zu unterschätzen. Dafür überschätzen Schwarze
die Weißen aus einem Reflex heraus, auf den sie ihr Leben lang
getrimmt werden.
Ich hatte die .45er 'smokeless' bei der Schießerei in Burbank nicht
benutzt, so war sie mir neben einer 12 Gran Kanone, Modell 12, als
einzige geblieben, aber die war viel zu riesig. Also grub ich die .
45er aus, wo ich sie versteckt hatte, und rannte im Dauerlauf bis an
den Stadtrand, wo die Mutter eines Freundes ein Haus hatte. Vor ihrer
Hintertür klappte ich zusammen. Sie ist eine wunderbare schwarze Frau,
die eines Tages für ihre Loyalität belohnt werden sollte. Sie ließ
mich herein, versteckte mich auf ihrem Dachboden und gab mir von dem
wenigen, das sie hatte, zu essen. Brötchen mit Schinken und Gelee.
Während ich mich oben in dem beengten Raum zwischen Zimmerdecke und
Dach aufhielt, fummelte ich ein Loch in das Drahtgeflecht des
Ventilators, um notfalls abhauen zu können, und preßte mein Ohr an den
Boden. Ein paar Stunden später drangen die Bullen in das Haus ein und
schlugen die Frau im Beisein ihrer Kinder, um aus ihr etwas über
meinen Aufenthaltsort herauszubekommen. Sie verhörten sogar die
Kinder, ernteten aber nur sture Blicke (in solchen Momenten bekomme
ich immer wieder bestätigt, daß wir ganz bestimmt siegen werden). Ich
hatte die .45er bei mir und eine halbes Dutzend HalbmondLadestreifen.
Es kostete mich ganz schöne Überwindung, mich nicht durch die
Zimmerdecke auf diese Kerle zu stürzen und mit ihnen in der einzigen
Sprache zu reden, die sie nur zu verstehen scheinen. Aber das hätte
auch den Tod dieser wunderbaren Frau bedeutet. Die Bullen glaubten ihr
und hauten zufrieden wieder ab, weil sie annahmen, diese Nigger seien
so verängstigt, daß sie es nicht wagen würden, die allmächtigen
Gesetzeshüter zu belügen. Um zehn Uhr nachts brachte mir die schwarze
Mama noch eine Tüte mit belegten Brötchen und eine Pappschachtel mit
einer Scheide für das Schlachtermesser, das sie mir gegeben hatte, als
sie mir das Versteck hinter dem kleinen Loch über dem Kleiderschrank
zuwies. Sie wußte nicht, daß ich eine Knarre hatte. Ich verließ mein
Versteck durch die Ventilatoröffnung, folgte den Schienen zum
Güterbahnhof und erwischte noch einen Expressgut Transport, der mich
in derselben Nacht noch aus der Stadt brachte.
In vier Bundesstaaten war ich zur Fahndung ausgeschrieben. Ich weiß
nicht, ob die Bullen jeweils wußten, daß sie auf mich, den Gesuchten,
gestoßen waren, aber in verschiedenen Güterbahnhöfen des Landes
überraschten sie mich. Es war jedesmal finsterste Nacht, und dann war
das Bellen meiner .45er zu hören, gefolgt vom blauweißen Mündungsfeuer
schwerer Revolver, das die Nacht für ein paar Sekunden erleuchtete.
Querschläger prallten vom Stahl der Güterwagen ab, Metallsplitter und
Rost spritzten mir ins Gesicht. Aber zu meinem Glück ist es annähernd
unmöglich, jemanden in einem Güterbahnhof zu packen, wenn nicht eine
ganze Armee ausschwärmt. Ich entkam ihnen jedesmal. Schließlich
tauchte ich in der Masse des gemeinen Volkes in meiner Geburtsstadt
Chicago unter.
Es war Winter, saukalt und feucht. Ich war für den kalifornischen
Sommer angezogen, mit Ausnahme von ein paar Sachen, die ich unterwegs
von ein oder zwei Landstreichern genommen hatte. Ich hatte Stiefel,
Handschuhe und ein dickes Wollhemd, das ich über einer sehr dünnen
Pendleton- Jacke trug. Eine Lady sah mich und dachte angesichts meiner
etwas schmierigen äusseren Erscheinung und meiner roten Nase, daß mir
etwas Güte nicht schaden könnte. Sie nahm mich mit in ihre Wohnung auf
der Near North Side und schickte mich erstmal ins Bad. Am nächsten Tag
kaufte sie mir Patronen, eine von diesen großen, warmen, dunkelblauen
Marinejacken, einen Schal, Handschuhe und eine dicke Wollhose. Ich
versuchte einen Verwandten zu erreichen, von dem ich mir Hilfe
erwartete, mich außer Landes zu bringen, und hinterließ ihre Adresse.
Die Frau war eine braunhäutige Weiße, vielleicht Italienerin, was auch
immer. Sie sah jedenfalls sehr weiß aus, hatte die sehr blauen
Augen einer Nordischen und das tiefschwarze Haar einer Mediterranen.
Sie war anfang vierzig und ein bißchen schwerfällig, aber sonst ganz
fit. Ich denke, sie hatte Nerven wie zehn Königskobras. Sie handelte
nämlich mit Drogen. Ich mochte sie.
Die meiste Zeit verbrachte ich damit, an der Seite eines
Vorderfensters herumzuhängen und den Hauseingang im Auge zu behalten.
Die Wohnung hatte auch Seitenfenster. In greifbarer Nähe verliefen
neben diesen Fenstern Telefonleitungen. Im Falle eines
Überraschungsangiffs oder von Verrat sollte das mein Fluchtweg sein.
Man stelle sich einen Narren in Handschuhen und Marinejacke vor, der
sich zwischen Fenster und Dach an eiszapfenbehangenen Telefondrähten
drei Stockwerke nach oben hangelt.
Wenn sie mich dazu bewegen konnte, mal etwas ruhiger zu werden, dann
setzten wir uns auf die Couch. Sie tat mir zu Gefallen dann
wahrscheinlich so, als seien wir in Algerien oder Vera Cruz. In den
Ländern wurde zu dem Zeitpunkt gekämpft (4). Es gab ein gebrochenes
Dielenbrett im Flur direkt vor ihrer Tür. Jedesmal wenn jemand draußen
vorbeilief und auf dieses Brett trat, stieß ich reflexartig ihren
Couchtisch um. Ich zückte die .45er, robbte über ihren Teppich und
versuchte mich hinter dem Couchtisch zu verstecken, der die Größe von
ungefähr zwei Briefmarken hatte. Aber wenn jemand die Tür aufgebrochen
hätte, wäre alles, was sie von mir zu sehen gekriegt hätten, bevor ich
sie in den grossen Schweinestall oben im Himmel geschickt hätte, die
Mündung dieses .45er Armee Colts und mein scharfes Auge gewesen, mit
dem ich hinter dem Tisch hervorgelugt hätte.
Sie hat mich trotz alledem ertragen. Warum eigentlich? Das verstehe
ich einfach nicht. Es gibt wohl eine Menge mehr verborgene Schichten
des Verstandes, als wir sie bis heute herausgefunden und analysiert
haben. Ich bin ein überzeugter Kommunist und (dialektischer)
Materialist, was heißt, daß ich nichts glaube, was nicht irgendwie
nachweisbar ist. Aber ich habe auch Träume, in denen ich mich in ganz
unterschiedlichen Posen und Aktivitäten sehe. Später erlebe ich diese
Posen und Aktivitäten in der Realität, vielleicht einen oder zwei
Monate später, aber stets erinnere ich mich daran, daß ich "das schon
geträumt habe" oder "schon erlebt habe". Sie hatte Angst, war
erschreckt, wenn wir draußen waren, und ich den Inhalt aus meiner
rechten Jackentasche auspacken mußte und dann die Knarre in meiner
Hand hielt. Eines nachts bin ich einfach gegangen. Ich weiß, daß sie
es verstanden hat. Eine wundervolle Frau.
Ich schaffte es bis hinunter nach Harrisburg, Illinois, dem Geburtsort
meiner Mutter, verbarg mich dort und wartete auf eine Gelegenheit,
noch weiter in den Süden runter bis zur Grenze zu kommen. Dort wurde
ich von der Staatspolizei verhaftet - eine meiner Tanten hielt es für
sinnvoll, mich anzuzeigen. Es ging ihr natürlich darum, mich vor
weiteren Problemen zu bewahren! Ein paar Leute denken immer noch so.
Bei der Verhaftung hatte ich aber meine Waffe nicht bei mir - ich war
bei Verwandten und bei denen gibt es keine richtigen Polizisten im
Städtchen. Ich glaube, sogar der Dorfbulle arbeitet gleichzeitig noch
als Klempner.
Als ich an die kalifornische Polizei ausgeliefert wurde, kam ich
sofort in Handschellen und wurde sie nicht mehr los, bis ich zwei oder
drei Tage später ganz sicher in der Schwerverbrecher-Abteilung des
Bezirksgefängnisses von Bakersfield untergebracht war. In den ganzen
Tagen habe ich weder gegessen, geschlafen noch mein Haar gekämmt. Die
Überstellung lief per Zug, und es schien den Bullen Spaß zu machen,
mich durch den Panorama- und Speisewagen zu führen und zur Schau zu
stellen - wie Sklavenjäger ihre Beute. Es war demütigend. Ich hätte
revolutionären Selbstmord begangen, wenn ich nur die geringste
Gelegenheit dazu gehabt hätte, aber sie hielten ihre Waffen vor mir
versteckt und benutzten eine extra lange Kette, um mich in ihrer Nähe
fest anzuketten.
Kaum war ich in meiner Zelle eingeschlossen, arbeitete ich schon einen
neuen Fluchtplan aus. Einen Monat später war ich wieder au f und
davon. "Oh, Captain, Captain count your men, I think that nigger's
gone again!" M.G. und ich hatten einen Streit vorgetäuscht, kurz bevor
der Nachtverschluß durchgeführt wurde. Es war zehn Uhr abends. Sie
brachten uns zu einem Landkrankenhaus, um ihn zu nähen und mich zu
untersuchen. Zwei Bullen und zwei Gefangene in Handschellen. Wir
knallten mit ihnen zusammen, nahmen ihnen die Knarren ab und
verschwanden. Flucht aus dem Gewahrsam. M.G. schaffte es. Ich bin aber
nicht weit gekommen. Sie packten mich vierundzwanzig Stunden später,
als ich mich in einem der Gräben in der Wüste nördlich der Stadt
versteckt hatte. Die Schläge setzten sofort ein, als sie mich
eingeholt, mir die Handschellen um die Handgelenke gelegt (sehr, sehr
fest) und sie an einem Türgriff des Bullenwagens befestigt hatten. Sie
schlugen dermaßen auf mich ein, daß der Türgriff abriß. Mein Mund war
wie Hackfleisch, und die Nase ist nie wieder geworden wie vorher. Es
scheint, daß die weißen Bullen ein besonderes Vergnügen daran haben,
einen Schwarzen in die Leistengegend zu hauen. An der Stelle bekam ich
am meisten ab. Sie wollten wissen, wo M. ist. Sie wissen es bis heute
nicht. Sie schienen mich umbringen zu wollen. Warum sie den Fehler
begangen haben, es nicht zu tun, liegt wohl ein fach daran, daß sie
einander nicht trauen. Wie sollen es fünfzig Idioten schaffen, ein und
dieselbe Lüge zu erzählen? Das ist der Grund, warum ich in dem Laden
hier noch am leben bin.
Meine Eltern bezahlten einen Anwalt für mich, und der kaufte mir eine
Jugendstrafe, statt einer normalen Knaststrafe im Erwachsenenvollzug.
Richter sind widerlich. Er nahm unser Geld und gab mir eine
scheinheilige Schrift über die Vorteile des Gehorsams.

Dann schickte er mich nach Tracy. Dort leistete ich noch eine Weile
Widerstand, aber der Typ, der die gewerblichen Ausbildungsprogramme
unter sich hatte, brachte mich mit Auszeichnung als Fleischerlehrling
durch. Die Anstaltsleitung war tief davon beeindruckt, und nach
fünfzehn Monaten war ich wieder draußen. Ich arbeitete dann so lange
als Fleischer, bis ich mir ein Auto und ein paar Waffen kaufen konnte
- ich hatte eine kriminelle Mentalität.
Später, als mir vorgeworfen wurde, ich hätte eine Tankstelle um
siebzig Dollar beraubt, erklärte ich mich zu einem Kuhhandel bereit:
Ich würde mich der Tat schuldig bekennen, um dem Gericht Kosten zu
ersparen, und dafür nur eine leichte Strafe erhalten, die ich in einem
Provinzgefängnis absitzen könnte. Ich legte also ein Geständnis ab,
als aber der Zeitpunkt der Urteilsverkündung gekommen war, erhielt ich
ein Jahr bis lebenslänglich und wurde in eins der berüchtigten
Zuchthäuser geworfen. Das war 1960. Ich war damals achtzehn Jahre alt.
Seitdem bin ich ununterbrochen im Gefängnis. Im Gefängnis begegnete
ich Marx, Lenin, Trotzky, Engels und Mao, die mir halfen, mich zu
befreien. Während der ersten vier Jahre studierte ich nichts anderes
als Ökonomie und Militärwissenschaften. Ich kam in Kontakt mit
schwarzen Guerilleros wie George 'Big J ake' Lewis und James Carr,
W.L. Nolen, Bill Christmas, Tony Gibson und vielen, vielen anderen.
Wir gingen daran, die kriminelle Mentalität der Schwarzen in eine
revolutionäre Mentalität zu verwandeln. Ergebnis davon war, daß der
Staat uns alle jahrelang der schlimmsten reaktionären Gewalt
unterwarf. Unsere Sterblichkeitsrate ist fast so hoch, wie man es
sonst nur aus der Geschichte von Dachau kennt. Drei von uns wurden vor
ein paar Monaten von einem Gefängnisbullen ermordet, der sie von einem
Wachturm zehn Meter über ihren Köpfen mit einem Armeegewehr abknallte.
Jetzt stehe ich mit zwei anderen Brüdern, John Clutchette und Fleeta
Drumgo, wegen der angeblichen Tötung eines Gefängniswärters vor
Gericht. Das bedeutet automatisch die Todesstrafe für mich.
Lebenslänglich kann ich nicht mehr bekommen - das habe ich ja schon.
Ein Jahr bin ich nun im Soledad Gefängnis gewesen, wo der Wärter zu
Tode kam. Als ich letzte Woche wieder nach San Quentin zurückverlegt
wurde, schrieb mir ein Bruder, der sich bislang gegen die
proletarische Logik des revolutionären Sozialismus für die Schwarzen
in Amerika gesträubt hat, diese paar Zeilen:
"Ohne die Kälte und Trostlosigkeit des Winters, gäbe
es nicht die Wärme und leuchtende Pracht des Frühlings! Leid und Elend
haben meinen Geist gestählt!!
Alle Macht dem Volk!"
George

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