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Johannes Tauler Predigt 45

Diese Predigt auf den achten Sonntag (nach Dreifaltigkeit) aus


der Epistel des heiligen Paulus sagt, wie Gott bereit wäre,
unsere Werke selbst zu tun, wenn wir unsere eigenen Vorsätze
aufgeben wollten; sie berichtet sodann, wie manche Menschen
Gott nur gezwungen dienen, andere Mietlinge sind; schließlich,
dass es zwei Arten von Gotteskindern gibt.

ALLE WE R K E, die alle Menschen und Geschöpfe schufen oder


die bis zum Ende der Welt geschaffen werden, das alles
zusammen ist ein reines Nichts, wie groß das Werk auch sei,
das man ausdenken oder verwirklichen mag, gegenüber dem
geringsten, das von Gott in den Menschen gewirkt wird, damit
der Mensch von Gott angetrieben werde. Um so viel mehr als
Gott besser ist denn alle Geschöpfe, um so viel mehr überragt
sein Wirken das Werk, die Handlungsweisen, das Vorhaben, die
die Menschen mit all ihrer Anmaßung ausdenken können.
Nun kommt der Heilige Geist oft in den Menschen, mahnt und
treibt ihn an in seinem inneren Grund oder auch durch die
Lehrmeister, so als ob er spräche: "Lieber Mensch, wolltest du
dich mir überlassen und mir allein voll und ganz folgen, so
wollte ich dich auf den rechten Weg bringen; ich könnte in dir
wirken und dich selber wirken."
Ach, es ist wahrlich ein Jammer, daß nur wenige diesem weisen,
guten Rat folgen oder ihn auch nur anhören wollen; vielmehr
bleibt jeder bei seinem eigenen Vorhaben, seiner eigenen,
gewohnten Art und Weise, bei seinen blinden, sinnlichen
Werken und seiner Selbstzufriedenheit; das hindert die
liebevolle Einwirkung des Heiligen Geistes, daß (der Mensch)
dessen Sprache weder hört noch versteht und seinem gütlichen
Wirken weder Stätte noch Raum gewährt. Warum (wohl)? Man
muß es aussprechen, daß, um das Wort (des Heiligen Geistes)
zu vernehmen, man nichts besseres tun kann, als sich zu
besänftigen, zuzuhören, zu schweigen. Soll Gott sprechen, so
müssen alle Dinge schweigen. Soll Gott in eigentlicher und '
edler Weise wirken, so muß ihm eine Stätte, ein Platz
eingeräumt werden, und man muß ihn gewähren lassen. Denn
zweierlei Werk verträgt sich nicht miteinander. Eins muß leiden,
das andere wirken.
Hiermit will ich nicht sagen, daß junge, starke, ungeübte
Menschen sich nicht in werktätiger Weise üben sollten, denn die
haben nötig, sich viel und sehr zu üben durch manche gute Art
und viele gute Werke, innerlich und äußerlich, wie man sie
anweist. Ich spreche von geübten Leuten, die gerne die besten
aller Gotteskinder wären und deren Wege andere sein müssen
als die derer, die am Beginn (ihrer Heiligung) stehen.
Betrachten wir die Welt im ganzen, so sieht man, daß der
größte Teil (der Menschen) dieser ganzen Welt leider Feinde
Gottes sind. Andere wieder sind erzwungene Knechte Gottes,
die man zum Dienst Gottes nötigen muß. Und das wenige, was
sie tun, geschieht nicht aus Liebe zu Gott oder aus Andacht,
sondern aus Furcht. Und das sind geistliche Leute ohne Gnade
und Liebe, die man zum Chordienst und zu vielen anderen
Diensten drängen muß. Dann sind (ferner) da die gewöhnlichen
gedungenen Knechte Gottes. Das sind Geistliche und
Ordensfrauen und alle die, welche Gott dienen um des Ertrages
ihrer Pfründe willen oder ihrer Präsenzgelder; wären sie derer
nicht sicher oder erhielten sie die nicht, so wäre es mit ihrem
Gottesdienst vorbei; sie gingen ins andere Lager und würden
Gefährten der Feinde Gottes. Von all diesen Leuten hält Gott
nichts, derart, daß sie nach der Art, wie sie Gott dienen, nicht
Kinder oder Söhne Gottes sein können; freilich tun sie nach
außen viele große Werke: aber Gott kümmert sich darum nicht,
denn nicht er ist der Grund (dieser Werke), sondern diese Leute
selbst sind die Ursache dessen, was sie tun.
Die Leute der vierten Gruppe sind Kinder Gottes, doch nicht
seine allerliebsten : sie beharren auf ihrem äußeren oder
inneren Vorhaben, auf ihrer eigenen Weise; so wirken sie ihre
guten Werke; und weiter geht ihr Streben nicht.
Diese Leute stehen unten an des Baumes Rinde; und daran
halten sie sich mit aller Kraft fest; aber auf den Baum steigen
wollen sie nicht. Sie lassen sich in ihrer eigenen Art genügen,
die sie in ihrer Anmaßung üben, denken gar sehr in sinnhafter
Weise und lieben nach eigener Absicht, in bildhafter Weise und
ebensolchen Übungen. Doch lieben sie Gott gar sehr, und unser
Herr liebt sie auch. Sie sind zwar Kinder Gottes, aber nicht seine
allerliebsten: denn sie beharren auf ihren eigenen Werken und
haben keinen Frieden, wenn sie die nicht vollenden (können).
Die liebsten Kinder Gottes, die, von denen Sankt Paulus spricht,
werden vom Geist Gottes angetrieben gemäß dem Wort, daß
man vom Geist Gottes getrieben werde. Wie dieser Antrieb
geschehe, davon sagt Sankt Augustinus: »Das Wirken des
Heiligen Geistes in den Menschen geschieht auf zweifache Art:
die erste ist so, daß der Mensch zu jeder Zeit vom Heiligen
Geist geleitet und bewegt wird, der ihn stets zu einem
geordneten Leben mahnt, antreibt, lockt und zieht. Das tut der
Heilige Geist bei all denen, die ihn erwarten und seinem Wirken
Raum geben, um ihm zu folgen. Die andere Art, die der Heilige
Geist befolgt in seinem Wirken in den Seinen, besteht darin,
daß er sie plötzlich und auf einmal über alle Weisen und Wege
(des Lebens) an ein Ziel bringt, das hoch über ihrem Wirken und
ihren Fähigkeiten liegt: das sind Gottes liebste Kinder.
Nun wagen es viele Menschen nicht, und sie wollen es (auch)
nicht, sich Gottes Wirken zu überlassen. Sie wollen stets auf
ihrem eigenen Wirken beharren.

Man könnte ihr Tun vergleichen mit dem von Leuten, die einen
großen, teuren, edlen Schatz fortbringen sollten über einen
schrecklich tiefen See und die ihn mit großer Mühe und viel
Anstrengung auf einem Irrweg wegbrächten, der finster und
neblig wäre und wo unreine Tropfen auf den Schatz fielen und
ihn beschmutzten und ihn rostig und fleckig machten. Käme
dann ein ehrenhalber, wackerer Mann und spräche: "Folge mir!
Wende dein Steuerruder! Ich will dich führen und auf einen
köstlichen Weg bringen, wo das Wetter heiter, klar und schön
ist, ruhig und hell, wo die Sonne scheint und dir deinen Schatz
schön und trocken machen wird, wo der Rost verschwindet und
du dich nicht so sehr abmühen mußt wie jetzt inmitten dieser
Wogen!" wer antwortete nicht: "Gerne!" So ist es mit dem
Menschen bestellt, der einen solch teuren Schatz über das wilde
Meer dieser schrecklichen Welt geleiten muß.
Das Schiff, in dem wir fahren, ist unsere Sinnestätigkeit. Auf
diesem Schiff fahren wir weit voran gemäß unserer Anmaßung
und Wirksamkeit und arbeiten stets nach unserem eigenen
Vorhaben; so fahren wir in finsteren Nebel hinein, das ist
wahrhafte Verblendung und mangelnde Selbsterkenntnis. Auf
diesem Weg läßt der böse Feind unreine und schädliche Tropfen
in uns fallen, die unseren Schatz beschmutzen: das Behagen an
unserer eigenen Wirksamkeit und anderer Art Hoffart mehr,
Eigenwilligkeit, Selbstzufriedenheit, Ungelassenheit,
Schwermut, Missgunst und manch andere unreine Tropfen, die
der Feind in uns fallen läßt, womit ' er uns unseren edlen Schatz
befleckt. Wird der Mensch dieser Tropfen in ihm gewahr, so will
er alles durch die Beichte in Ordnung bringen und gerät durch
Laufen und Suchen da draußen noch mehr in den Nebel.
Kehrtet ihr euch zu euch 'Selber, erkenntet ihr eure Schwächen,
klagtet ihr sie Gott und bekenntet ihr ihm eure Schuld, dann
wäre alles gut: dafür wollte ich meinen Kopf lassen.
Dann kommt der Heilige Geist: "Wolltest du mir glauben, du
lieber Mensch, und mir folgen, ich führte und geleitete dich auf
einem sicheren Weg." Wer wollte einem solch guten, getreuen
Rat nicht Glauben schenken und ihm nicht folgen? Wäre der
Mensch so beglückt und weise, daß er sich (diesem Ruf)
überließe und dem Geist Gottes folgte, seinen Weisungen,
seinen Mahnungen, seinem Antrieb sich fügte, das wäre ein
köstliches Ding! Aber leider tut das der arme Mensch nicht und
bleibt bei seinen äußeren Vorhaben, bei seinen äußeren,
sinnlich faßbaren Weisen (der Heiligung), die er sich nach
eigenem Gutdünken zurechtgelegt hat.
Versteht das nun nicht so, als ob man gute Vorsätze und
Gewohnheiten guter innerlicher Übung nicht haben solle. Aber
man soll nicht an ihnen hängen, sondern in ihnen auf den
allerliebsten Willen Gottes warten, auf sein Wirken in aller
Gelassenheit, und Gottes Tätigkeit nicht zunichte machen in
vermessener Selbstgefälligkeit.
Mit denen, die bei ihrer vernunftgemäßen Verstandeskraft
beharren, steht es so wie mit .einem Obstgarten voll
fruchtbeschwerter Bäume. Die Apfel fielen noch unausgereift ab
und würden alle wurmstichig. In dem gleichen Garten wüchse
aber gutes Kraut, das dahin welkte. Dann kämen die unreinen
Würmer aus den wurmstichigen Äpfeln und fielen über das gute
Kraut her und fräßen Löcher hinein. Die Apfel aber, die da am
Boden liegen, sehen so frisch und schön aus wie die guten, ehe
man sie anrührt, aufhebt und in die Hand nimmt.
Jeder sehe also zu, daß sein Grund nur Gott sei, ganz lauter;
anders wird nichts daraus. Unter jenen Früchten fände man,
glaube ich, kaum zwei wirklich gute Apfel, die nicht wurmstichig
wären; wie schön sie auch von außen anzuschauen sind, innen
sind sie voller Löcher. Ebenso ist es mit gar vielen guten
Übungen (der Frömmigkeit) bestellt. Es gibt da solche von
großem und hohem Aussehen und wunderbarer Lebensführung
an hohen Worten und Werken. Und doch ist das alles in dem
Grunde wurmstichig oder kann es noch werden; davon ist
weder tätiges Leben noch Beschauung, noch Jubel, auch nicht
Betrachtung (ausgenommen), nicht daß man bis zum dritten
Himmel entrückt werde, wie das dem edlen Paulus geschehen
ist, der sagte, er habe die Nackenschläge der Versuchung
erfahren, um sich nicht selbst falsch einzuschätzen und in der
Höhe der (ihm erwiesenen) Gnade zu irren: all das und auch das
große Voraussagen und Zeichen, Krankenheilungen,
Durchschauung der innersten Geheimnisse (eines
Menschenherzens), Unterscheidung der Geister, Blick in die
Zukunft, kurz gesagt: alle Lebensführung, alles kann
wurmstichig werden, wenn der "Mensch nicht auf seiner Hut ist.
Besprechen wir jetzt das unterste und gröbste. Die Leute geben
Almosen, tun große Werke oder Dienste der Liebe, geben große
Gaben: und ist ihnen (doch gar) nicht gleichgültig, ob die
Menschen es wissen oder erfahren und vernehmen oder
niemand anders als Gott allein; solche Gaben, solche Dienste,
das merket, sind wurmstichig. Da geben die Leute Almosen und
wollen, dass andere darum wisseri, damit diese für sie beten.
Oder sie stiften Kirchenfenster, Altäre und Priesterkleidungen
und wollen, dass die Menschen das erfahren; si,e lassen ihr
Wappen darauf anbringen, daß jedermann den Stifter erfahre.
Wisset: sie haben ihren Lohn bereits empfangen.
Sie entschuldigen sich (damit), daß sie wollen, man bete für sie.
In Wahrheit, freilich, wäre ihnen ein kleines Almosen, verborgen
im Schoß Gottes, ihm allein bekannt, nützlicher, als dass sie
eine große Kirche bauten mit Wissen aller Leute und dass diese
alle für sie beteten. Gewiß, Gott würde ihnen wohl das geben,
was a1J,e Leute mit ihrem Gebet für sie (bei ihm) gewönnen,
wenn sie ihm (nur) ihre guten Werke überließen und Vertrauen
zu ihm hätten. Denn die Almosen, die aus einem Gott
ergebenen Herzen kommen und nichts als Gott im Sinn haben,
bitten mehr durch sich selbst, als alle Menschen, die (von jenen
Almosen) wissen, es könnten.

Und so gibt es gar manche Menschen, die all ihr Werk


verdorben und zerstört haben, so daß sie all ihr Lebtage wenig
(gute) Werke getan haben; sei es Dienst Gottes oder der
Menschen, Gebet, Wachen, Fasten oder Almosen, immer haben
sie ihren Nutzen dabei im Auge, sei es von Seiten Gottes oder
der Menschen; immer wollen sie die Gewissheit eines Entgeltes
haben, irgend etwas des Ihren von Ihrem guten Werk
davontragen, Anerkennung, Belohnung, Gunst, Gegendienst,
Sicherheit, (kurz) irgendeinen eigenen Nutzen.
Alle solche Werke sind wurmstichig, und reichten sie über die
ganze Welt. Das faßt nicht als meine eigene Meinung auf; ich
verweise euch an den Mund der Wahrheit. Er sagt dergleichen
gar oft (in der Heiligen Schrift) und bekräftigt dies im
Evangelium des heiligen Matthäus, wo er spricht: "Macht es
nicht wie die Heuchler, die ihr Fasten zur Schau tragen; sie
haben ihren Lohn dahin. Verbirg dein Fasten" - und ein gleiches
gilt von allen deinen guten Werken -, "und dein Vater, der ins
Verborgene sieht, wird dir vergelten." Und anderswo heißt es:
"Habt acht, daß ihr eure Gerechtigkeit nicht vor den Menschen
übt, um von ihnen gesehen zu werden; sonst habt ihr keinen
Lohn von eurem Vater im Himmel zu erwarten. Und posaune
(deine guten Werke) nicht aus" - das bedeutet die Wappen, mit
denen ihr eure frommen Stiftungen ziert -, "wie die Gleisner
tun. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn (bereits)
empfangen.
Wenn du Almosen gibst, so wisse deine linke Hand nicht, was
deine rechte tut, damit dein Vater, der ins Verborgene sieht, es
wisse und dich belohne." Und anderswo heißt es: "Wenn du
betest, geh in deine Kammer, schließ die Tür hinter dir zu, und
im verborgenen sprich zu deinem Vater." Ihr Lieben!
Haltet euch an Gottes Wort und nicht an das meine! Und jeder '
sehe zu, welche Frucht er bei Gott finden könne für Werke, die
nicht allein für euren Vater im Himmel getan wurden, und ob sie
nicht wurmstichig sind.
Vier Stücke gibt es zu beachten. Wer dies täte, der wäre gegen
den Wurmfraß wohl gesichert, daß er dem nimmer verfiele. Das
erste wäre, daß der Mensch entschlossen sei; von seinen
Werken nichts für sich zu erhalten, sondern sie innen und
außen täte im ausschließlichen Hinblick auf Gott und daß er ihn
allein liebe und im Sinn habe. Sind diese Werke Gott lieb und
wert, so mag er sich dessen freuen, sind sie das nicht, so sind
sie gewißlich verloren, weil er sie nicht Gott zuliebe und zum
Lobe getan hat1.
1
Corins Vorschlag, Sermons 11, 277 und Anm. 1 zu Vetter 187,7 darf angesichts der
verdorbenen Stelle in den Texten als befriedigende Lösung gelten.
Das zweite Stück besteht darin, daß der Mensch sich Gott und
allen Menschen unterordne in grenzenlosem Gehorsam und
tiefer Demut, die er vor den geringsten wie vor den höchsten
zeigen soll. So tat der große, ehrwürdige Meister Thomas, der,
ohne zu zögern und ohne ein Wort zu sagen, eine Laterne in der
Hand, einen scheltenden Bruder in die Stadt begleitete, wo er
wohnte, und ihm in aller Demut folgte. So soll der Mensch sich
jeglichem unterwerfen in dem Gedanken, daß alle Menschen
mehr im Recht seien als er, und niemandem und auf keine
Weise Widerstand leisten und jeden recht haben lassen, denn
er soll denken im Grunde, daß alle Menschen mehr im Recht
seien als er.
An dritter Stelle soll der Mensch eine tiefe Demut besitzen und
sich halten an das, was ihm eigen ist, das heißt an sein Nichts.
Was an anderem noch in ihm ist, das ist in keiner Weise sein
eigen. Er soll all seine Tätigkeit und all seine Werke, soweit sie
von ihm sind, für böse halten und sich selbst auch. So stand
(einst) ein heiliger Mitbruder, durch den Gott manche Zeichen
und große Wunder getan hatte infolge seines gottseligen
Lebens, in unserem Chor und sprach aus dem Grunde seines
Herzens zu mir: "Wisse, daß ich der allerböseste und gröbste
Sünder bin, der in der ganzen Welt lebt."
Diese Meinung soll der Mensch von sich haben vom Grunde
seines Herzens aus. Denn hätte Gott dem schlimmsten Sünder
soviel und so mancherlei Gutes erwiesen, als er dir getan hat,
so wäre der wohl ein großer Heiliger geworden. Und die auf
diesem wahren, sicheren Grunde stehen, die brächten es nicht
fertig, einen Menschen in irgendeiner Weise, deren sie fähig
wären, zu verurteilen. Und wäre (was ein anderer Mensch tut)
auch durch und durch böse, sie schauten sogleich auf ihre
eigene Schwäche, und (in diesem Gedanken) würden sie auf
eines anderen Menschen Verurteilung verzichten.
Das vierte Stück besteht darin, daß der Mensch , sich allzeit
demütig verhalte und in Furcht vor den verborgenen Urteilen
Gottes, nicht so wie die, denen es an Vertrauen gebricht,
sondern wie ein wahrhaft liebender Freund, den stets die Furcht
bewegt, sein lieber Freund könne ihm zürnen. - Diese vier
Punkte sind vom heiligen Bernhard aufgestellt, einem Heiligen
voller Liebe, und wisset: wer in Wahrheit sich nicht auf diesen
Boden stellt, könnte so viele gute Werke tun als alle Menschen
zusammen: sie würden alle wurmstichig.
Meine Lieben, wisset, wie es sich damit verhält. Im Garten der
heiligen Kirche gibt es viele köstliche, fruchttragende Bäume,
das heißt viele gute, demütige Menschen: diese allein tragen
Frucht und sonst niemand. Aber zwischen den guten Bäumen
sind solche, die wurmstichiges Obst tragen. Ihr Obst oder ihre
Äpfel sind von Aussehen (zwar) üppig und schön, vielleicht
üppiger und schöner als das Obst der guten Bäume.

Und solange das Wetter still und milde ist, bleiben sie hängen.
Kommen aber Unwetter, Wind und Sturm, so fallen alle diese
Früchte ab, und da sieht man (denn), daß sie voller Würmer und
zu nichts gut sind, und dazu verderben und beschmutzen ihre
Würmer auch noch das gute Gemüse, das im Garten wächst.
Die Bäume, die diese schlechten Früchte tragen, das sind die
selbstsüchtigen, ungelassenen, ungezügelten Menschen, die
sich auf ihre großen guten Werke stützen; sie tun auch mehr
und stehen daher in besserem Ansehen als die gerechten
Menschen.
Sie beharren bei ihren absonderlichen Weisen, die die heilige
Kirche nicht eingeführt hat; sie verlassen sich auf ihre
Frömmigkeitsübungen, ihr gutes Verständnis, auf ihre Werke
und ihr großes Ansehen.
Meine Lieben! Solange gut Wetter ist und sie ihren Frieden
haben und die Sonne ihnen scheint in ihrer Lebensführung und
in ihrer Selbstgefälligkeit, so lange erscheint ihr Tun schön und
besser als das anderer guter und gerechter Leute. Kommen
aber Wind und Wetter über sie, das heißt schreckliche
Versuchungen und Anfechtungen ihres Glaubens, wie man dies
auch zu unserer Zeit erleben kann, oder andere heftige
Erschütterungen, dann fallen sie gänzlich ab und sind in ihrem
Grunde durchaus wurmstichig.
So daß ihrer keiner etwas taugt; die Würmer aber, die in ihnen
sind, schlüpfen heraus und beschmutzen das gute Kraut, das
heißt, sie verderben arme, unwissende, schlichte Leute mit
ihrer falschen Freiheit und ihren Lehren.
Ach; ihr Lieben, welche Angst, welchen Jammer wird man dann
in der Stunde ihres Todes erleben, wenn Gott nicht seinem Sein
nach, sondern nur als erdichtetes Ding in ihrem Grunde
gefunden wird: Wird (auch nur) einer von diesen (Menschen)
gerettet, so hat er großes Glück! Diese Leute sind den weiten,
breiten Weg gewandelt, heimlich, in Befolgung ihrer eigenen
natürlichen Antriebe und ihrer Neigungen. Aber den engen Pfad
wahrer, unergründlicher Gelassenheit, den haben sie nie
betreten, denn sie wollten sich nie von Grund aus lassen und
der (eigenen) Natur entsagen. Zuweilen streifen sie den
schmalen, engen Pfad, aber gIeich schwenken sie wieder auf
den breiten Weg der Natur ein.
Wir kehren jetzt wieder zu unserem Gegenstand zurück, den wir
über den wurmstichigen Leuten (doch) nicht allzu sehr
vergessen haben. Die Menschen, die von Gottes Geist
angetrieben werden, das sind Gottes liebste Kinder. Das sind
die, denen stets daran liegt, den allerliebsten Willen Gottes zu
befolgen und seinen Einsprechungen und seinen Mahnungen
genugzutun.

Diese werden zuweilen auf einen gar wüsten und


beschwerlichen Weg gewiesen, auf dem sie sich voranwagen
müssen. Wagten sie kühn diesen Weg zu betreten im Geist, im
Glauben und voll Vertrauen, wahrlich, daraus entstünde ein
edel Ding! Kehrten sie sich nur in sich selber und achteten auf
Gottes Wirken in sich: da sähen sie ' wunderbare Werke, die
Gott in ihnen wirkte, Werke, die alle Sinne, alle Natur, allen
Verstand überträfen.
Und ließe ein Mensch ein gutes Jahr verstreichen und täte
nichts anderes, als Gottes Wirken in sich zu betrachten: dann
wäre kein Jahr von ihm je so gut genutzt worden. Und hätte er
während dieser Zeit nie ein anderes gutes Werk verrichtet,
gleich welcher Art, und es würde ihm zu Ende eines Jahres ein
einziger Blick gewährt in das verborgene Wirken Gottes in
seinem Grunde, ja und würde ihm dieser Blick sogar nicht
gewährt: selbst dann hätte dieser Mensch dieses Jahr besser
genutzt als alle die, welche aus ihrer eigenen Wirksamkeit
große Werke getan hätten. Denn mit Gott kann man sich in
nichts versäumen; und dieses Werk ist Gottes Werk und nicht
des Menschen.
Nun ist kein Zweifel: Gott ist bei weitem edler als ein Geschöpf.
So steht auch sein Werk hoch über allen Geschöpfen. Jenem
Menschen fällt alle äußere Wirksamkeit ab; doch. hat er noch
immer genug des inneren Werkes zu tun. Da wird er Friede und
ganze Sicherheit finden. Das wollen die Leute nicht glauben und
machen mir mit ihren Einwänden den Kopf warm. Wisset: "AlIe
Pflanzen, die unser himmlischer Herr nicht gepflanzt hat,
werden mit der Wurzel ausgerissen werden." Aber mit welcher
'Liebe, glaubt ihr wohl, würde Gott den Menschen lieben, der
ihm in seinem Herzen einen Platz bereitete, damit er dort sein
edles, köstliches Werk vollenden und sich. seiner selbst
erfreuen könnte? Welche Liebe ist so groß und überragend?
Das überschreitet alle menschliche Erkenntniskraft, ja, weit
auch die der Engel, denn (hier) wird der Mensch mit der Liebe
geliebt, mit der der himmlische Vater seinen eingeborenen
Sohn umfaßt. Der Stand, in den der Mensch hier versetzt wird,
führt in einen Abgrund.
Timotheus war einer jener Menschen, der Gott in sich. Wirken
ließ und diesem Wirken entsprach. Die Schüler des heiligen
Dionysius wunderten sich, wie er so gewaltige Fortschritte vor
ihnen allen machte; sie übten ebenso viele gute Werke wie er,
und (doch) überragte er sie alle und schritt ihnen weit voraus.
Der Meister sagte, das komme daher, daß er Gott in sich wirken
lasse. Das alles vollzieht sich in den Grenzen des lebendigen
Glaubens und geht unaussprechlich hoch über all das hinaus,
was alle Welt außerhalb dieses Glaubens wirkt. Für dieses
höhere Leben muß, sich der Mensch vor allem tief in den Grund
seines eigenen Nichts sinken lassen, derart, daß er sich nichts,
aber auch gar nichts von Gottes Werk zuschreibe, daß er Gott
das Seine lasse und er das Seine behalte: das (aber) ist sein
Nichts.

Denn wollte der Mensch sich dessen etwas anmaßen, so wäre


das der bedenklichste Sturz von allen. Gebe uns Gott, der
liebreiche, daß wir uns seinem Wirken gegenüber edel
verhalten; dazu helfe uns der, welcher es allein uns geben und
(in uns) wirken kann.
AMEN

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