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musst
der
lambo
sein.
Vortrag
Dr. Jochen Wagner
gehalten auf der Klausurtagung des Deutschen Werkbunds
Baden-Württemberg auf dem Haftelhof, Mai 2009
5

Anknüpfung an den Vortrag


„Schönes, Gutes, Wahres einmal anders: Mythos Topform und das
Ideal des Kaputten“, den Wagner anlässlich des Werkbundtags
2007 im ZKM Karlsruhe gehalten hatte und der in der Doku-
mentation „Von der Guten Form zum Guten Leben – 100 Jahre
Werkbund“ veröffentlicht ist.

Schwerpunkte des Beitrags


Das Schöne, Gute, Wahre & „Selber machen – Poetiken des Augen-
blicks“, diesseits von Dogma (fertige Wahrheit) und Konsum (fixe
Ware) geht es um das gefühlte Wissen, ein leibhaftiges Können,
um KörPerformancen, die ein Gegen- oder Ergänzungsmodell zum
„reflektorischen Ich zwischen den Ohren“ darstellen.
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REFLEXION Reflexion auf beides heißt, einem kaum beachteten Zusammen-


hang auf den Leib zu rücken, dem Kommerz.

Konkret: dass der polemisch besetzte Begriff hedonistischer


Achtlosigkeit, Gier, Umweltzerstörung usw. vom lateinischen
commercium admirabile kommt, der wundersamen Verwandlung
Gottes ins Menschsein Jesu von Nazareth, wie es dieses Weih-
nachtslied „Lobt Gott ihr Christen alle gleich“ besingt – und all
die wundersamen Verwandlungen, wie wir sie heute in 1001
Konsumwundern erleben, die allesamt ein profanes Glücks- oder
Heilsversprechen, die „theologischen Mucken und metaphysischen
Spitzfindigkeiten“, so Marx über den Fetischcharakter der Ware, mit
sich bringen – unsere liebsten Illusionen halt.
All dieser glamouröse Krimskrams scheint das Opium für uns Insas-
sen einer ausweglos verdichteten Immanenz zu sein. Alles scheint
dicht, hermetisch.
Wie Herr Dr. Göschel schon fast alles gesagt hat eben: Fülle über
Fülle allerorten – wer rettet die Leere, den Hunger vor all den An-
geboten? Und wie knapp ist die freie Zeit, der freie Raum, wo noch
nichts entschieden oder verplant ist?
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Heute haben daher wohl vor allem große konzeptionelle, institutio- Wenn ich kurz biographisch sein darf. Ich bin ja in einer Garten-
nelle Vereinigungen oder Systeme wie Parteien, Gewerkschaften, stadt aufgewachsen, ohne zu wissen, dass mich hier die Wirkungs-
Armeen, Kirche, und eben in etwa auch der Werkbund, Schwierig- geschichte des Werkbundes in der Falkenheim-Siedlung im
keiten, neue Mitglieder zu gewinnen, als ‚Kollektivkörperschaften‘ Nürnberger Süden am Alten Kanal geprägt hat. Dieses Geflecht an
für einzelne ‚Körperformancen‘ attraktiv zu erscheinen. Je weniger Leutseligkeit eben jener Nachkriegsgeneration(en), also Eltern und
Akzeptanz solche ‚corporate identities‘ nach außen erfahren, desto Großeltern in einem Haus, die sich allesamt ihre Siedlungshäuslein
mehr Selbstversicherung suchen sie nach innen, extreme Binnen- selber gebaut hatten, eine Jede und ein Jeder sich mit dem ein-
vergewisserung, wasserdichte Loyalitäten, hyperauthentisches brachte, was er an handwerklichem Können oder sonst wie beitra-
Gebaren, Stichwort ‚Wiedererkennbarkeit‘ als Profilambition... gen konnte..., und wo, um an Dr. Göschel anzuschliessen, nicht alle
alles, sondern ein jeder Haushalt was Bestimmtes an Ausstattung,
Dazu gibt es viele Gründe, eine höchst komplexe Alltagswelt,
Werkzeug, Apparatur oder Gerätschaften oder auch Beziehungen,
wo wir durch verschiedenste Systeme sausen, in differenten Leb-
Verbindungen, Kenntnisse und Knowhow usw. hatte, was dann je-
enswelten zuhause oder obdachlos sind, vernetzt oder ambulant,
weils untereinander abgerufen und zum Einsatz gebracht wurde. Es
und durch allzu viele Verpflichtungen eines zunehmend allseits
gab, um es ganz konkret und darin absolut metaphorisch zugleich
‚betreuten Daseins‘, die sog. ‚systemischen Imperative‘ eben, vor
zu sagen, wohl Besitz und Grundstücke, aber keine Zäune zwischen
allem merken, wie knapp wichtige, libidinös durchrankte Res-
den Gärten.
sourcen sind:
Aufmerksamkeit, Zeit und Raum, also alles, was man in einer Das änderte sich mit wachsendem Wohlstand spürbar:
Fundamentalontologie der Hilfsverben um sollen, müssen, können Erst seit den 70er Jahren ist die Abgrenzung in Wohngebieten
und wollen besonders mit dürfen konnotieren mag. durch Zäune, Hecken und Mauern zu beobachten. Auch das ge-
meinsame Benutzen von Werkzeug u. Ä. wird seltener, stattdessen
kauft und hat schließlich jeder alles selbst, d. h. der Konsum fängt
an, demonstrativ zu werden (Thorstein Veblen, Pierre Bourdieu), in
bestimmten Formen beginnt das Haben das Leben zu dominieren
und eine leutselige Nähe, wenn nicht zu vernichten so doch zu
verändern – nicht selten begannen Leute sich zu siezen nachdem
sie sich Jahrzehnte geduzt hatten. Neben dem Wohnen, Herr Dr.
Göschel hat es wunderbar präzise und atmosphärisch in seiner
müssen
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Groteske beschrieben, hat sich vor allem die Arbeitswelt radikal

VS.
verändert. Eine in Jahreszeiten und Naturrhythmen eingebettete,
sich selber zielführend, also auf sinnlich anschauliche Erfül-
lung hin ordnende, transparent und schier musisch strukturierte
Arbeit(swelt) gibt es nicht oder kaum mehr.

dürfen
Auch die Kommunikation erfolgt immer seltener im direkten
Gegenüber, sondern im Kontakt mit einer technisch kontaktierten
Ferne verstummt eine leibhaftig erreichbare Nähe, zugunsten einer
beliebig organisierbaren Virtualität an Kommunikation. Dabei
speisen sich sichtlich viele Themen, wenn ich heute die Gespräche
im Zug memoriere, eher aus nicht selber erlebten, sondern nur
sekundär vermittelten Sensationen, d. h. aus den Medienwelten.
Was aber ist den Menschen selber existenziell, intim, brennt ihnen
auf der Haut, macht ihre Erfahrungen aus?
Man könnte summarisch angesichts der Legionen äußerer Reize
und Aufmerksamkeitsagenten, die auf uns täglich, ja stündlich
oder sekündlich einprasseln, fragen:
Was wollte ich, bevor ich musste, und was konnte ich,
als ich noch durfte?
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So könnte ich jetzt von einer singulären Tagung von Schülern für Es war schon auch so, dass das, was man wirklich tun wollte, das
Schüler bei uns an der Ev. Akademie Tutzing berichten, wo über Begehren, als Sünde verurteilt wurde. Geschichtlich betrachtet darf
100 GymnasiastInnen unsere Erwachsenenwelt als ‚hermetische‘ auch der hedonistische Konsum als Opposition zu solcher Lust-
beschrieben, in der alles schon fix und fertig (Dogma und Kon- oder Leibfeindlichkeit betrachtet werden, wobei mit dem klerikalen
sum), also kein Platz sei für eigene kreative Prozesse, Freiräume, ‚du sollst nicht begehren‘ ein nicht minder ruinöses ‚du sollst
Spielräume, sondern letztlich der Imperativ des ‚Wachstum weiter pausenlos alles begehren‘ korrespondiert. Einmal grob mit Max
so‘ herrsche – Reproduktion des Immergleichen statt Nichtiden- Weber, Walter Benjamin, Georg Simmel usw. gesprochen: in der
tisches, Neues ausprobieren (so frei nach Adorno). ganzen Schubmasse des ‚Kapitalismus als Religion‘ wird in der pro-
fanen Ordnung des Glücks gleichsam eine säkulare Verwandlung
Das war auch in meiner Jugend so, vom Pietkong, einem end-
eben der sakralen Ordnung des Heils zum Ideal guten Lebens.
zeitlichen Pietismus verwandtschaftlicherseits umzingelt, dem alles,
was uns Sinnenglück war, als Sünde erschien: z. B. Roller fahren, Der Mythos unversehrter Leiblichkeit, ein Phantasma der körper-
Fußball spielen, Bluesmusik machen, von Verliebtheiten, Flirt und lichen Topform, das von Pop, Musik, Mode, Sport, Film, Kunst,
Sexualität ganz zu schwiegen. So haben wir Billy Graham 1970 Technik, Internet, Kino, Wellness und der ‚harten Biopolitik‘ von
gehört, aber zugleich Fußball gespielt in Puma und Adidas, Gitarre Humanmedizin, Gentechnik und Schönheitschirurgie umflirt wird.
geübt mit Jimi Hendrix oder Rory Gallagher aus dem Plattenspieler Man kann das in derlei Bildern, die ich ihnen exemplarisch zeige,
und sind mit Papas Bellaroller durch die Nacht gebrettert, waren von den liturgischen Schönheitsdarstellungen genauso herauslesen
verliebt und haben geküsst, hingelangt – und mussten manchen wie aus profansten Zeugnissen der Werbung. Und man kann diese
Korb erleiden, und laborierten daran: „Wer nicht kriegt was er will, Phantasmagorien der Körperutopien und Körpertechniken auch
muss wollen, was er kriegt.“. Ich kann das nur andeuten, diese im philosophischen Diskurs der Moderne, wie ich ihn im Komplex
Passionen, dieses Ensemble von Machen, dem sinnlichen Materiale der einstigen sog. ‚in Gott konvertiblen Transzendentalien‘ des
und dem Aufkommen von Reflexion, Bewertung. ‚Wahren, Guten, Schönen‘ schon einmal versucht habe darzus-
tellen, entlang der drei Kantischen oder Adorno/Horkheimer/
Habermas’schen Vernunftkritiken der reinen, d. h. instrumentell-
kognitiven, der praktischen, d. h. moralisch-praktischen und der
‚Kritik der Urteilskraft‘, d. h. der ästhetisch-expressiven Rationalität
reflektieren (also dort, wo die Jugend ihre Signaturen, Parolen,
Codes und Sounds hat).
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So gesehen ist dann der Konsum, wo er nicht nur der Befriedigung gleichsam wie in Schillers ästhetischer Erziehung des Menschen,
der Bedürfnisse dient, oftmals auch eine Art profaner Kommunion ich nicht nur nach Andacht und Gehorsam funktioniere, sondern
mit den schönen Dingen, Teilhabe an einem Unversehrtheits- oder spiele.
Glücksversprechen zu erlangen, das vielfach – religionskritisch
Im homo ludens scheint mir denn auch eine Rehabilitation des
gesprochen unter leerem Himmel, also transzendentaler Ob-
animal rationale aufzuscheinen, im Spieler ein Gegenmodell zum
dachlosigkeit (Georg Lukács) – einer Messianisierung der Leb-
vielfach betreuten Exemplar des systemisch deformierten Insassen
enswelt ähnelt: „Fußball ist die letzte heilige Handlung“, so
eines entstellten Daseins bewundert, angeschaut, angehimmelt,
Pier Paolo Pasolini.
gefeiert zu werden – wo die Lust, die im eigenen Leibe keine rechte
In all den vielen Bildern, die ich Ihnen zur demonstratio zugemutet Bleibe mehr hat, nun eben nicht in einem merkantilen Simulakrum
habe, also worin Heiliges profan und Profanes heilig zu lesen, zu (Pierre Klossowski), also einem toten, artifiziellen Double sich wie
sehen ist – signum et verbum, wie in der katholischen Barock- in einem Asyl niederlässt (um immerhin am ‚anderen Schauplatz‘
kirche, wo die Predigt eben jene Sinnlichkeit verteufelt (verbum), wie in einem lacan’schen Doppelgänger sich halluzinatorisch zu
die als liturgische Opulenz in Putten und Engeln wie rehabilitiert erleben: wir sagen ja beim Parken oft, „ich steh’ da drüben“, als
(signum) um die Kanzel schwirrt. sähen wir dort, wo wir nicht sind, in unserer mechanischen Skulp-
tur das bessere Selbst, die Wunschmaschine), sondern wo in der
Wie Walter Benjamin einmal gemeint hat: „Nicht die Sinnenlust
Passion, in der ich hingegeben ans Tun, an die Welt (‚exzentrische
ist die Sünde, sondern ihre Vertreibung aus ihrer geschöpflichen
Positionalität‘, so Helmut Plessner oder Arnold Gehlen) mich selbst
Nähe zu Gott, das ist die Sünde des Abendlandes.“ Geht es aber
vergesse, aber gerade darin bei mir bin, leibhaftig in der Welt bin
nicht nur um eine körperliche oder technische Perfectio (einen
(Maurice Merleau-Ponty, Heinrich Schmitz) und eben im erfüllen-
Lamborghini haben, ist ein bissle wie ein Lamborghini sein, als
den Machen komplett mich fühle (das hebräische tamin, meist mit
wäre das technische Artefakt der metallene Schorf auf der Wunde
‚fromm‘ übersetzt, bedeutet auch ‚ganz sein, vollständig‘), also wo
der Scham, eben imperfekt, mangelhaft zu sein...). Es geht auch
Kopf und Bauch, räsonables Formstreben und sinnlicher Stoffhun-
nicht nur um demonstratives Haben, sondern es geht insbesondere
ger (Schiller) spielerisch, d. h. automatisch in eins fallen, also die
bei den Praxeologien des Leiblichen, wie wir sie in all den kreativen
Entfremdung sich aufhebt.
Körpertechniken der Musik, der Kunst, des Sports usw. sehen, um
ein intuitives Körperkönnen, um ein selber machen, griechisch
‚poiein‘, um Poetiken des Augenblicks, wo ich ein Anderer bin,
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artistik Gottfried Benn nennt eben diese Körpertechniken, diese ästhetisch-


expressiven Spielarten mit dem alten, meist der Oberflächlichkeit
verdächtigten Begriff der Artistik, und er meint damit, weit dies-
seits von Zirkus, Kirmes und Trallalaaa, Clownerie, Show und Unter-
haltungsquote, das Vermögen, sich selbst als Inhalt zu erleben,
und er nennt diese Poetik der geschöpflichen Lust am selber ma-
chen eben die letzte Transzendenz zu allem bereits Gemachten, m.
m. W. von Dogma und Konsum. Zudem braucht dieses leibeigene
Können natürlich Übung, also Talent allein reicht nicht, sondern
die lebendige Arbeit erst macht den Könner, denn „Genie ist
Fleiß“, wie es von Goethe bis Benjamin zitiert wird – siehe die
Clips von Diego Maradona am Ball, Casey Stoner auf seiner Renn-
Ducati, Jimi Hendrix an der Gitarre, Alberto Giacometti an seinen
filigranen Figuren oder den Huber Buam in der Felswand. Es geht
um feeling, um jene Sprezzatura, der Coolness, das Schwerste
ganz mühelos easy ausschauen zu lassen, und darin um eine
emanzipatorische Sinnlichkeit, die mehr ist als virtuelle Nähe qua
Mouseclick zur ‚Welt‘ – es geht um eigene Erfahrung – are you
experienced? – um outdoor statt indoor. Wo also nun sind aber in
der instrumentell-kognitiven und moralisch-praktischen Rationa-
lität diese Freiräume für Passionen, Poesien des eigenen Eigenen,
für jene sichtlich heiß begehrten Artistiken?
Wo Menschen sich begegnen wird über bewegte Bewegung, auto-
mobiles sein, bewegte Objekte, alles, was den Tanz assoziierbar
macht, den großen Befreier und Verwandler der Menschen (Augus-
tin) Nähe simuliert. Im Spiel geht das recht schnell. Auch in der
Liebe. Aber im Gestell des gesellschaftlichen Seins erstarrt oft der
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Schwung. Erziehung und Bildung sind indes langwierige Prozesse. aus der Dynamik, aus der Bewegung heraus, einem ‚tacit knowing‘,
Wo der Werkbund 1907 auf ‚lebenslange Prozesse‘ der Verwand- einem prozessualen Wissen, wo ‚der Zustand es ist, der mich weiß‘
lung setzt, opponiert etwa schon 1909 der italienische Futurismus, (Kleist) und nicht ich mich idealistisch (Fichte) selber projektiere.
etwa in Marinettis Futuristischem Manifest, dagegen. Einzig Speed,
Gewiss, wie die Produktion perfekter Dinge beinhalten auch die
tempo, die Furie Geschwindigkeit könne uns möblierte Menschen
Körperästhetiken eine Art Selbstschöpfungsanspruch: gratia non
in befreite Akteure verwandeln. Vielleicht ist es das, was uns an so
tollit, sed perficuit ed supponit naturam – analog Technik zerstört
vielen dynamischen Sportarten fasziniert: elegante, rhythmische
nicht, sondern hebt auf und vervollkommnet die Natur. Es geht im-
Körpertechniken, durch koordinierte Improvisationen die Zufälle,
mer um die absolute Form, im Dogma wie im Konsum, oder womit
die Kontingenzen des offenen in der Weltseins slalomhaft zu meis-
definiert sich das Individuum hundert Prozent? Das Ding doubelt
tern, Hindernisse in Ideen, Querschläge in Strukturen, dynamische
sozusagen den Benutzer, den Käufer. Alles was in Dingen ist, war
Unübersichtlichkeit in Habitus und Routine zu verwandeln.
vorher in uns bzw. was in uns ist, wird durch Dinge ausgedrückt.
Das pure Sein gibt es nicht, so wenig man Obst pur, oder Sinn Besonders die Mode: heiles Kleid ums wunde Fleisch – carne vale,
pur essen kann, man muss Bananen, Äpfel, Birnen, Kirschen fliehendes Fleisch, carrus navalis, fliehender Wagen – ja, zur ‚Poesie
probieren, d. h. dies und jenes tun, Bedürfnisse befriedigen und das des Leiblichen‘ gehört die ganze Welt als ein ‚Haufen Wäsche‘,
Begehren stimulieren, diesen eigentlichen Motor, Beweger, élan aber damit eben auch dreckiger Wäsche, blutig, vom Tod versaut –
vital der Menschen. Unsere körperliche Fragmentiertheit sehnt sich oder warum sonst schließt noch eine jede Modenschau mit der
wohl nach der Unfragmentiertheit des Perfekten. Aber die perfekte Braut im weißen reinen Kleid, jenem Linnen, das uns, so die Apoka-
Körperlichkeit bleibt ‚unerreichbar nah‘ – ein Phantasma. Es geht lypse des Johannes, übergestreift werden soll zuletzt, beim letzten
vielmehr als um das Anhimmeln um ein anderes sein, anders zu Trikottausch, wenn der Messias seine Braut heiratet, und die ganze
l(i)eben – um Spontaneität, Intuition, Instinkt, mitunter um die Schöpfung vom Tod, von der Gewalt, von Schuld und Scham und
Überraschungen, dass der ‚geheime Plan‘ erst nach der Aktion Leid befreit eine Welt des allseitigen Spiels sein wird?
durchschimmert (Kleist).
So weit aber sind wir noch nicht. Wir erleben ja im Diskurs der drei
Vielleicht gibt es ein Können das an pures Sein heran rührt, das genannten Transzendentalien auch ein sensationelles Schönes, das
sich aber körperlich abspielt. Eine Soziologie des Erfahrungswissens für Betroffene ein Grauen, der Tod, Vernichtung ist (so New York
befasst sich inzwischen mit dem ‚gefühlten Wissen‘, einem über- 9/11 aus der Beobachterperspektive, oder Beirut aus dem Auto im
wiegend körperlich, intuitiven Wissen, einem spontanen Handeln letzten Libanonkrieg usw.). Das Schöne ist bei uns, so wenig wie
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in der dogmatischen Tradition oder bei Kant, immer auch zugleich ein Feedback abzuarbeiten, das wir, allein wenn wir älter werden,
als Gutes und Wahres in der Erfahrung beisammen – nein, sie sind erleiden: dass wir eben nicht perfekt, sondern imperfekt,
explodiert diese drei Hyperattribute. dass wir eben nicht unversehrlich, sondern zerstörliche Leiber sind.
Unterm Maximum beginnt nicht das Nichts, so könnte man unsere
Und: der gegenwärtige hedonistische Kapitalismus reißt alles
uns erwartende Entzugsarbeit von der Droge Topform, wie sie Os-
Sein in eine technisch-fortschrittliche Zertrümmerungsmaschinerie
tern und Biopolitik in ideengeschichtliche Nähe zusammenzoomt,
hinein – das Symptom der Endlichkeit ist schon jetzt als trauma-
formulieren. Also: Was heißt dann Liebe, wenn sie das Vermögen
tische Wiederkehr des Verdrängten zu spüren – der Globus ist zu
der Intimität, der verlässlichen Zuwendung, nicht Abspaltung,
klein, auch wenn aus künstlichen Füllhörnern die Realabstrak-
Auslagerung, Wegsperren, Pflegeindustrie... von versehrten Men-
tionen unendlicher Opulenz sprudeln, aus den endlichen Quellen
schen meint? Ein Ideal des Kaputten? Wer liebt, tauscht nicht
und Stoffen diese gigantische Komfortorgie für 3, 4, 5, 6 usw. Mrd
– sondern? Unterläuft den methodischen Nihilismus der immer
Menschen bereit zu stellen. Gibt es da Hoffnung, rast der Kapi-
schneller werden Produkterneuerungsserien der Konsumindustrie.
talismus wie alle monotheistischen Gebilde auf seinen Karfreitag
Wir brauchen bloß einmal das improvisierte Schaubild des Just be
zu oder können wir uns noch selbst begrenzen, wie der große alte
anzuschauen, wo wir die drei Kanäle unserer ‚Zufuhr‘, das tria-
Gott Allmacht in Liebe zu limitieren, technische Megapotenz in
dische Bündel aus Bedürfnis, Anspruch, Begehren ‚auszubalan-
Humanität, Mitgeschöpflichkeit, Achtsamkeit verwandeln?
cieren‘ haben.
Commercium admirabile?! Aufmerksamkeit ist das ‚natürliche
Gebet der Seele‘ x ‚friss, wirf und weg‘ – der Werkbund hat auch Es geht wohl in allem um den Körper, den Schauplatz aller
darum immer schon gewusst. Utopien, genauer: Heterotopien, so Foucault. Um die Balance von
+ und +, Gaben + Schwächen: „Gesundheit ist die Wahrheit des
Wir haben also an der bildhaft dargestellten Schubkraft jenes
Körpers.“ (Canguelheim), die heute dem Bürger als persönliches
zuerst sakralen, dann profanen commercium admirabile, der
Projekt in die eigene Verantwortung gestellt wird, und vielleicht
wundersamen Verwandlung Gottes in einen Menschen wie der
alsbald z. B. ungesunde Lebensstile nicht mehr versichert werden
aufklärerischen Säkularisierung dieser Doppelnatur-Christologie in
könnten, wenn die Schuld an einer Krankheit von jedem selbst
den Fetischcharakter der Ware, den Zauberdingen des Konsums,
zu verantworten wäre. Aber das ist noch mal ein anderes Thema,
worin der verdinglichte Mensch und vermenschlichte Dinge solche
diese Umwidmungen und Entsolidarisierungen alla Hartz IV.
‚Körperphantasmagorien‘ oder Topformen und Superlative bilden,
wir haben an diesen Kollektivimperativen oder Kollektivbildern alle
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Kunst Lieben lernen, bei jemand/etwas bleiben, es bejahen können,


obwohl es nicht perfekt, sensationell usw. ist? Und: poetisch sein,
kreativ agieren können.
Vielleicht ist das Problem des Werkbunds die Fixierung auf die
Dinge, die Gestaltpraxis und, wie Parteien, Gewerkschaften,
Armeen und Kirchen auch, seine systemische Selbstreproduktions-
rationalität, seine Sorge um sich, statt also Anderen in sich Raum
zu bieten, sich in Anderen meint reproduzieren zu müssen. Chris-
tologisch ernst genommen, müsste ja die Kirche um des Reiches
Gottes willen sich selber in eine befreite Gesellschaft aufheben,
also statt Werkbündler zu werben, mit helfen, dass aus Menschen
Artisten ihres Selbermachens werden, Poeten geschöpflicher Lust,
die sich selbst als Inhalt erleben. An der Selbstdurchsetzung und
Systemerhaltung krankt aber wohl jede idealistische Emphase,
konzeptionell lebenslang erziehen und Ganzheitlichkeit erzeugen
zu wollen. Ästhetik also als Versuch der Kunst, des Handwerks,
einmal endlich einer lebendigen Arbeit, sich selbst zu erleben als
Agent denn als Patient betreuten Daseins, in welcher Form einer
schöpferischen Lust auch immer? Die Kunst als die eigentliche
Aufgabe des Lebens?
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Die Aufgabe des Werkbunds könnte es sein, die Ästhetik zu för- Zugleich heißt das für unsere Kinder: Wir müssen sie sich selber
dern und Räume zu schaffen, wo Menschen sich begegnen können, riskieren lassen, sich ausprobieren, statt mit Konsum + Dogma zu
um etwas Kreatives selbst auszuprobieren. Vielleicht hilft dazu, sedieren, damit sich ihre Passionen zeigen, andeuten, entfalten
an Thomas Hobbes Leviathan, die politische Urschrift des mod- können.
ernen Staates zu erinnern, und das Frontispiz, jenen genialen
Der Werkbund braucht, auch da bin ich ganz eins mit Herrn
Kupferstich zu zeigen, worin der Leib des Königs aus lauter kleinen
Dr. Göschel, Projekte, wohl nicht statt, sondern mit Visionen, und
Leibern der Untertanen komponiert erscheint (vgl. dazu Horst
nicht nur eigene Ideen, sondern Allianzen mit anderen, fremden,
Bredekamps Buch zum Leviathan und der visuellen Strategien,
ungewohnten und vielleicht noch ganz unbekannten Ideen-
ideen-, politik- wie kunstgeschichtlich).
trägern, d. h. der Werkbund hat selber umso mehr Kraft, je mehr
Demnach ist jedweder Kollektivcorps, jedeweder ‚Körper des andere Kräfte er integrieren bzw. mit denen er, wie punktuell und
Königs‘ von zwei Körpern (Kantorowicz) gebildet, der Imago des fragmentarisch auch immer, kooperieren kann. Denn das Spiel,
großen Leibs und dem empirischen Repräsentanten, das Amt usw., der Wettbewerb, ist ja nicht nur eine dekadente Verfallsvariante
das den imaginären Leib repräsentiert und die kleinen ‚Menschen- von ‚Brot und Spielen‘, sondern im Competition steckt ein Modell,
körper‘ darin integriert bzw. damit konsolidiert. Der kluge König, so Konkurrenz und Kooperation zu vermitteln, die Logik der Anerken-
etwa Hegels Selbstbewusstsein-Kapitel in der Phänomenologie, der nung noch so weit zu realisieren, dass der Kombattant zwar
Dialektik von Herr und Knecht, weiß um seine mittelbare Macht geschlagen, aber nicht mehr vernichtet zu werden braucht wie
bzw. Herrschaft, die er nur via seiner einzelnen Glieder ausüben im Theater Agon der exklusiven Heilsreligionen, sondern wo das
kann – der dumme Herr vergisst diese Dialektik, weswegen eben Spiel über alles Trennende und fix+fertige hinweg weiter geht,
auch der kluge Knecht, die kluge Magd, sich im Selbst-Bewußtsein Dogma und Konsum transzendiert, weil cum petere (wie es in der
der unmittelbaren Teilhabe an der Arbeit, der Herrschaft, souverän Petition wie im Gebet anklingt) eben meint: gemeinsam etwas
und emanzipatorisch realisieren könne – so er den Tod nicht bestreben.
fürchte. (So wie halt die Heroen unserer Spiele, Maradona, Hendrix,
Stoner usw. halt immer auch ein Team um sich, also eine permis-
sive Umwelt gebraucht haben, um groß heraus zu kommen).
Dr. Jochen Wagner
Ev. Akademie Tutzing
Schlossstraße 2 + 4
82324 Tutzing
Tel. 08158 / 2 51-1 13
Fax 08158 / 99 64 23
E-Mail: wagner@ev-akademie-tutzing.de
www.ev-akademie-tutzing.de
Fachgebiete:
Theologie und Gesellschaft, interreligiöser Dialog, Spiritualität,
Philosophie
Themen:
Religion, Kirche, Ökumene
Kultur, Philosophie, Ethik
Gesellschaft, Staat, Zeitgeschichte

Dieser Vortrag wurde von Dr. Jochen Wagner erstmals im Mai


2009 auf der Klausurtagung des Deutschen Werkbundes Baden-
Württemberg gehalten, welche auf dem Haftelhof – Werkstatt für
verborgene Talente – stattfand.
Mehr Informationen zum Deutschen Werkbund finden Sie unter:
www.deutscher-werkbund.de
Mehr Informationen zum Haftelhof finden Sie unter:
www.haftelhof.org

Gestaltung: Nelly Brunkow


Schrift: Nancy von Masa Busic
Dr. Jochen Wagner ist ein fränkisches Original. Das fällt recht
schnell auf, wenn man ihm zuhört.
Er liebt Fussball, Lamborghinis, Musik & Tanz genauso wie schnelle
Motorräder – bevorzugt der Marke „Ducati“.
Er ist Pfarrer, Philosoph, Autor und Vortragsredner. Seine Vorträge
drehen sich ums Leben selbst, um Design, um Lebensgestaltung
jenseits von Dogma und Konsum, und sie sind allein deshalb eine
runde Sache, weil Jochen Wagner dabei immer wieder auf den
Fussball zu sprechen kommt. Es geht ihm dabei um das Spiel als
Ausdruck von Lebendigkeit. So zeigt er bei seinen Vorträgen gerne
den Mitschnitt eines Maradonna-Warm-Ups, der bei YouTube zu
finden ist. Sein Ausspruch „Du musst der ‚Lambo‘ sein!“ bringt auf
den Punkt, worum es ihm als gutem Spieler im Leben geht – ums
Sein und nicht ums Haben.

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