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„Seht, das sind die Effekte“

Aufräumen. Soll die Politik das Primat über die Wirtschaft erobern – oder sollen besser
die Bürger ihr Primat über die Politik zurückholen?

MARTIN STRICKER

Der Glaube an die wundersame Selbstvermehrung von Geld war unerschütterlich. Die Politik
war als Verbündeter mit im Boot.

Eine der Folgen der Finanzkrise ist die Forderung, dass die Politik ihr Primat über die
Wirtschaft zurückerobern soll. Aber hat die Politik jemals dieses Primat gehabt?

Puntscher-Riekmann: Historisch haben sich Staat und kapitalistische Marktwirtschaft


gleichzeitig entwickelt. Warum, das bleibt umstritten. Die Frage ist, ob sich diese zwei
Elemente der Moderne gegenseitig bedingen, aber auch bekämpfen und in Schach halten. Wir
beobachten im Lauf der Zeit jedenfalls eine dialektische Fortentwicklung. Aber die volle
Entfaltung des Kapitalismus entsteht erst, als es den wirtschaftlichen Akteuren gelingt, den
Staat zu einer Haltung zu bewegen, die wir als Laisser-faire bezeichnen.

Zuletzt wurde die globale wirtschaftliche Entwicklung von den politischen Akteuren als eine
Naturgewalt begriffen, die sich der menschlichen Kontrolle entzieht.

Puntscher-Riekmann: Das halte ich für groben Unfug. Das ist mit Sicherheit nicht wahr, denn
Märkte mussten ja auch geschaffen werden. Sie haben viele Voraussetzungen, die staatliches
Handeln bedingen, etwa die Herstellung von Transport- und Kommunikationswegen und vor
allem die Garantie von Rechtssicherheit.

Haben wir es mit einer Situation zu tun, in der die Finanzmärkte als eigener Teil des
Kapitalismus verrückt geworden sind, indem sie an die wundersame Selbstvermehrung des
Geldes geglaubt haben?

Puntscher-Riekmann: Was offenkundig erscheint ist, dass jetzt die Politik eingreifen muss.
Sie muss die Kreditfähigkeit und Liquidität der Geldinstitute wieder herstellen, weil es keinen
anderen Akteur gibt, der das kann. Das Faszinierende ist, dass heute der angeblich so
ohnmächtige Staat wieder als einzige Instanz anerkannt wird, die handlungsfähig ist.

Trägt die Entmystifizierung der Finanzwelt also auch eine Erneuerungskraft in sich?

Puntscher-Riekmann: Das können wir wahrscheinlich erst in fünf oder zehn Jahren
beantworten. Ich würde erst einmal die Politik mit in die Verantwortung nehmen. Dass alles
so kommen konnte, ist nicht nur eine Verrücktheit der Finanzmärkte, sondern da war auch der
verrückte Glaube der Politik, dass diese Finanzmärkte schon das Gute von selbst
hervorbringen werden. Die ganze Liberalisierung ist eine politische Entscheidung gewesen.

Woher kam die? Wann war der Paradigmenwechsel?

Puntscher-Riekmann: Das ist eine alte Geschichte. Schon die Merkantilisten des 17.
Jahrhunderts hatten den Staat als starken Akteur vorgesehen gehabt. Das wurde durch die
Unternehmen durchbrochen, die sagten: So können wir nicht wirtschaften, wir brauchen mehr
Freiheiten. Der Liberalismus des 18. Jahrhunderts ist zuerst einmal die Umsetzung der Idee,
die Unternehmen würden dann im Sinn des Allgemeinwohls wirken, wenn sie frei sind, ihre
Interessen zu verfolgen. Es wurde aber klar, dass das eben nicht so ist – sondern dass in einer
vollkommen unregulierten Laisser-faire-Welt sehr viel Zerstörung entsteht, und es zu einer
Monopolisierung von Geld sowie Macht kommt.

. . . und die Politik dabei an Macht verliert.

Puntscher-Riekmann: Genau. Die wirklich Neoliberalen wollten nicht das Laisser-faire,


sondern den fairen Wettbewerb. Sie waren der Ansicht, dass dieser Wettbewerb nur politisch
hergestellt werden kann. Er ist kein Naturphänomen, denn das führt zum Monopol. Der
Wettbewerb bedarf der politischen Regulierung, damit er überhaupt stattfindet.

Unternehmen scheinen ja prinzipiell eher wenig Freude am Wettbewerb zu haben. Sie


empfinden ihn mehr als Störfaktor. Puntscher-Riekmann: Stimmt. Die EU-Kommission als
starke Wettbewerbsbehörde sollte nichts anderes tun, als den Wettbewerb zu ermöglichen.
Deshalb sind ja manche Staaten der Union oder große Unternehmen völlig aus dem
Häuschen, wenn die Kommission sagt, nein, ihr dürft nicht fusionieren, weil das führt zu einer
marktbeherrschenden Stellung und damit zum Ende des Wettbewerbs.

Stoßen wir da nicht auf ein Grundproblem der EU? Sie besteht von Anfang an aus
wirtschaftlichen Interessen. Stets hieß es, die Politik werde schon nachkommen. Jetzt
scheinen die politischen Instrumente plötzlich sehr stumpf gegenüber denen der Wirtschaft.
Puntscher-Riekmann: Also was hat die Wirtschaft wirklich gemeinsam mit der Politik
durchgebracht? Da ist einmal der Binnenmarkt, aber unter Bedingungen einer starken
Wettbewerbskontrolle, die einmal besser, einmal schlechter funktioniert. Das Zweite ist die
Währungsunion. Das ist nicht unbedingt eine Wirtschaftspolitik. Die ist nach wie vor sehr
stark nationalstaatlich und bestenfalls auf europäischer Ebene koordiniert.

Ein neuer Aspekt der Finanzkrise ist ihre Internationalität. Alle Regierungen sind nun
plötzlich einig: Wir brauchen klare Regeln, an die sich alle halten müssen. Glauben Sie
daran?

Puntscher-Riekmann: Nein, ich rechne nicht damit, dass es sich in Richtung einer weltweiten
Regulierungsstrategie entwickeln wird. Sie hören auch aus den USA, dass es nur
Regulierungen geben kann, die die Staaten für sich definieren. Ich sehe schon wieder die
Rückzugsgefechte aus diesem Diskurs, der im ersten Schrecken über die Krise aufgebrochen
ist.

Es fordern doch immer mehr Bürger, sowohl in USA als in Europa, dass es nicht so
weitergehen kann wie bisher. Es ist schließlich ihr Geld, das entweder vernichtet oder zur
Rettung von Banken eingesetzt wurde. Puntscher-Riekmann: So ist es, aber ich fürchte, dass
es am Ende nicht der Wille der Bürger sein wird, der das bestimmt.

Liegt nicht wenigstens ein Stück Befreiung für die politischen Akteure in der Tatsache, dass
sich die egoliberalen Supermänner der Finanzwelt am Ende als völlige Nieten entpuppt
haben? Puntscher-Riekmann: Es macht wohl freier in dem Sinn, als diese Leute nicht mehr
die Definitionshoheit haben über das, was gut und böse ist auf der Welt.

Das ist ja schon ein großer Sieg. Puntscher-Riekmann: Das ist ein großer Sieg, aber keiner der
Politik, sondern das ist so passiert. Dazu kommt, dass es ja einen Konsens gegeben hat
zwischen Politik und Finanzwelt, die ja de facto unter einem Hut steckten und der Meinung
waren, das ist jetzt schon die beste aller Welten. Nun hat zwar jene Politik, die dagegen war,
so viel Macht dazugewonnen, dass sie sagen kann: Seht, das sind die Effekte. Zugleich hat sie
aber auch den Scherben auf, denn sie muss die Probleme lösen. Und es ist die Frage, ob sie
das kann. Denn was wir natürlich auch verloren haben im Lauf der vergangenen paar
Jahrzehnte, das sind politische Konzepte. Derzeit kann nur reagiert werden. Wir haben es mit
einer enormen Vertrauenskrise zu tun.

Entschuldigung, aber würden Sie noch einer Bank trauen? Puntscher-Riekmann (lacht): Jein,
weil am Ende bin ich darauf angewiesen. Wenn ich sage, der Kapitalismus muss erhalten
bleiben – zumal es ja alternative Systeme mit ähnlicher Mächtigkeit bis jetzt nicht gegeben
hat – dann brauchen wir ein funktionierendes Kreditwesen. Es wird uns wahrscheinlich nichts
übrig bleiben, als den Banken wieder zu vertrauen. Das eigentliche Problem war die gewaltige
Intransparenz.

Da ist es oft geradezu erleichternd, wenn sich nun herausstellt, wie simpel etwa ehemalige
Gurus wie Bernard Madoff ihre Finanztricks aufgebaut haben. Puntscher-Riekmann: Das
wirklich Erschreckende ist, dass diese Leute als Genies klassifiziert worden sind. Das ist
beinahe ein religiöser Wahn gewesen.

Jetzt aber macht sich so eine gemütliche Atmosphäre der Verantwortungslosigkeit breit. Es
zeigt sich, dass eine Umverteilung wenigstens ein Mal klappt, nämlich die der
Verantwortung: Nun sind alle schuld an der Misere, die ganze Gesellschaft.

Puntscher-Riekmann: Na ja, unsere Begierden waren schon Teil dieser Konstruktionen. Doch
es existiert eine Schuld der politischen Akteure, die uns seit vielen Jahren einreden, wir
brauchen zweite Standbeine in Pensionsversicherungen, wir sollen uns nicht nur auf den Staat
verlassen – also die ganze Debatte mehr privat und weniger Staat ist natürlich nicht vom
einfachen Bürger vom Zaun gebrochen worden. Die Leute jetzt mit Schuld zu belegen, die
versucht haben, ihre Pensionen über den Finanzmarkt zu sichern, weil man ihnen gesagt hat,
dass das der Weg ist, halte ich für zynisch.

Vielleicht sollten wir eher daran denken, dass die Bürger das Primat über die Politik
zurückerobern sollten. Puntscher-Riekmann: Das wäre etwas, wenn die Bürger ihre politisch
Verantwortlichen ganz anders als bisher in die Pflicht nähmen. Wir sind sehr oft mit sehr
inkompetenten politischen Spielern konfrontiert – die aber auch gewählt werden. Insofern ist
der mündige Bürger, der sich um die Welt kümmern muss, gefragt.

Aussen / 01.04.2009 01.04.2009 / Print

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