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Referat
gehalten von Markus Saxinger
am 9. Dezember 2005
Die „Hottentotten-Venus“.
Konstruktionen schwarzer Weiblichkeit zwischen „Kunst“ und „Wissenschaft“
Fachbereich 09 - Kunstwissenschaften
Universität Bremen
Inhaltsverzeichnis
10)Resumé 17
11)Abschliessende Gedanken 18
1.1) Intention dieses Referates
Mit dem Ende des Apartheid Regimes in Südafrika entstand eine neue 3
Südafrikanische Nation, eine Nation, die nicht mehr wie zuvor eine Minderheit
repräsentieren sollte, sondern ihrem Anspruch nach alle Bewohnerinnen und
Bewohner des Landes. Wie weit die post-apartheid Nation Südafrikas diesem
Anspruch gerecht zu werden vermag, übersteigt die Beurteilung durch eine
einfache Hausarbeit. Jedoch möchte ich in diesem Kontext das Bild einer Frau in
Betracht ziehen, das sehr häufig im Zusammenhang mit dem südafrikanischen
Nationenbildungsprozess steht: ein Bild von Saartje Bartmann. Ich möchte in
diesem Text der Frage nachgehen, welche Frauenrolle mit diesem „Frauenbild“
verkörpert wird und ob ausgehend von diesem Frauenbild in der entstehenden
Nation Frauen eine gleichberechtigte Repräsentation und Partizipation erfahren
können?
1 „No Longer in a Future Heaven“ Nationalism, Gender, and Race in Becoming National: A Reader
von Geoff Eley and Ronald Grigor Suny - Seite 260
Begriffszuweisungen wie z.B. „Vaterland“ oder „Mutterland“ oder, wie in der
englischen Sprache gängig, AusländerInnen ein anderes Land „adoptieren“ und
sich in die Nationale „Familie“ integrieren, „Foreigners „adopt“ countries that are
not their native homes and are naturalized into the national „family““2. Für das
Verhältnis der verschiedenen Nationen zueinander steht im englischen der Begriff:
„Family of Nations“. In den USA werden der Präsident und seine Ehefrau als
„First Family“ bezeichnet und in Südafrika galt Winnie Mandela vormals als
„Mutter der Nation“.
Dass diese Implizierung von Nation mit Familie in keiner Weise harmlos ist, zeigt
die von McClintock herausgearbeitete Feststellung, dass Hierarchien innerhalb der
jeweiligen Nationen durch familiäre Begriffe legitimiert wurden, bzw. als
naturgegeben und deshalb nicht veränderbar dargestellt wurden. „Hierarchies
within the nation could be decipted in familial terms to guarantee social difference
as a category of nature“. Koloniale Herrschaft wurde ebenso mit familiären
Vergleichen legitimiert, indem der „Weisse Vater“ die „Schwarzen Kinder“
beschützen und erziehen müsse „the colony as a „family of black children ruled
over by a white father““3
In dem Kapitel „The national family of Man: A domestic Genealogy“ wird auf den
paradoxen Umgang mit dem Familienbild im Zusammenhang mit Nationen
hingewiesen. Denn zum Einen betont Anne McClintock: „nations are symbolically
figured as domestic genealogies“4, was den geschichtlichen Verlauf der Nation
untermalt, gleichzeitig stellt sie heraus, dass im westlichen Kulturkreis seit dem 19.
Jhd. die Familie als die Antithese zur Geschichte herausgebildet wurde, d.h. es
wird impliziert, dass die Familie in ihrer bestehenden Form seit jeher existierte und
auch immer in dieser bestehenden Form existieren wird: „The family itself has
been figured as the antithesis of history.“ Anne McClintock betont in diesem
Zusammenhang, dass das Sinnbild „Familie“ eine Schöpfungsgeschichte für die
Nation bietet, während die Familie als Institution von jeglicher Geschichtlichkeit
und damit auch von jeglicher Macht losgelöst wird. Wichtig ist hierbei, was im
weiteren Verlauf dieser Arbeit noch stärker herausgearbeitet wird, die Tatsache,
dass die als ahistorisch betrachtete Institution „Familie“ der Frau zugeordnet wird:
„...the family itself (conventionally the domain of private, female space) was
figured as beyond history.“5
Zeit wurde nicht nur „säkularisiert“, sie wurde auch „domestiziert“13: Hierbei
kommen wieder Begriffe aus dem Bereich „Familie“ ins Spiel, sowie der bereits
behandelte „Stammbaum“. Der vorherrschende Sozialdarwinismus versuchte die
nationale Politik auf eine Zeitschiene des menschlichen Stammbaumes zu
projizieren, um so den Vergleich zur Familie zu erzielen. Daran sollte die
Überlegenheit der weissen Rasse und der westlichen Nationen dargestellt und
Kolonialismus und Imperialismus gerechtfertigt werden, indem von „erwachsenen“
Nationen geredet wurde, den Nationen, die Kolonien bilden und von den Völkern,
die noch nicht in diesem Stadium, d.h. noch nicht reif seien und sich noch in einem
früheren, d. h. weiter zurück liegenden Stadium befänden.
Auch hierfür eignet sich das Beispiel des Tweede Trek hervorragend: McClintock
beschreibt, dass alle nachgebauten Planwagen nach einem (männlichen) Helden
des Tweede Trek benannt wurden und ein Wagen wurde ganz allgemein der Name
„Frau und Mutter“ gegeben. Sie konstatiert dazu: „This wagon, creaking across the
country, symbolized woman's relation to the nation as indirect, mediated through
her social relation to men, her national identity lying in her unpaid services and
sacrifices, through husband and family, to the volk.“18
Wichtig ist noch einmal zu betonen, dass mit der Herausbildung nationaler Einheit
einer Nation auch der Ausschluss derer die nicht dazugehören einhergeht. Das hat
das erwähnte Beispiel des Tweede Trek eindrucksvoll darlegen können. Indem eine
Nation weisser Siedler begründet wird, werden alle, anderen Bewohner des Landes
ausgeschlossen. Für die schwarze Bevölkerung Südafrikas bedeutet das eine
ideologische Verdichtung der Kolonialerfahrung.Sie werden per Definition der
neuen weissen Nation und mit der Erringung deren unabhängigen Nationalstaates
zu quasi Fremden im eigenen Land deklariert. Dies erfordert nach dem Ende des
Apartheitsregimes erhebliche Anstrengungen, um eine neue Nation herauszubilden,
die keine Bevölkerungsgruppe mehr ausschliesst.
Doch wie sieht der Nationenbildungsprozess in Bezug auf die Rolle der Frauen im
Postkolonialen Kontext aus? McClintock konstatiert in dem Aufsatz: „Yet with
the notable exeption of Frantz Fanon, male theorists have seldom felt moved to
explore how nationalism is implicated in gender power.“ Und alle Klassiker des
postkolonialen Theorien waren Männer. Auch bei dem gerade gelobten Frantz
Fanon stellt McClintock letztendlich fest, dass er zwar das Prinzip der gendered
power erkannt, aber keine praktischen Rückschlüsse gezogen hat. So bringt sie ein
Beispiel von Fanon, wo er die Wünsche des „native“ beschreibt; „...to sit at the
settlers table, to sleep in the settlers bed, with his wife if possible“19 und
schlussfolgert: „For Fanon both colonizer and colonized are here unthinkingly
male and the Manichean agon of decolonization is waged over thr territoriality of
female, domestic space.“20
3.„bringing nationalist institutions into critical relation with other social structures
and institutions“25, d.h. das Verhältnis der nationalen Institutionen zu z.B.
Familienstrukturen, Ethnizität oder Religion, sowie politische und kulturelle
Organisationen und die Auswirkungen auf diese, bedürfen einer besonderen
Aufmerksamkeit.
4.„paying scrupulous attention to the structures of racial, ethnic and class power
that continue to bedevil privileged forms of feminism“26, d.h. andere Herrschafts-
und Unterdrückungsverhältnisse ausser acht zu lassen, würde den Feminismus
entwerten. Sie Kritisiert in diesem Zusammenhang auch Europäische
Feministinnen mit dem Vorwurf: „Issues of ethnicity and nationality have tended to
19 „No Longer in a Future Heaven“ Nationalism, Gender, and Race – Seite 261
20 „No Longer in a Future Heaven“ Nationalism, Gender, and Race – Seite 261
21 „No Longer in a Future Heaven“ Nationalism, Gender, and Race – Seite 261
22 „No Longer in a Future Heaven“ Nationalism, Gender, and Race – Seite 260
23 „No Longer in a Future Heaven“ Nationalism, Gender, and Race – Seite 261
24 „No Longer in a Future Heaven“ Nationalism, Gender, and Race – Seite 261
25 „No Longer in a Future Heaven“ Nationalism, Gender, and Race – Seite 261
26 „No Longer in a Future Heaven“ Nationalism, Gender, and Race – Seite 261
be ignored.“
Vor diesem Hintergrund möchte ich mich nun diesem Frauenbild zuwenden, das an
verschiedenen Stellen des heutigen Südafrika auftaucht:
Es ist ein Bild von Saartje Bartmann, die unter der Bezeichnung „Hottentotten
Venus“ bekannt wurde. Bartmann war eine Khoi Frau, die Ende des 18. Jhd. noch
als Teenager von Südafrika nach Europa, zuerst nach England und dann nach
Frankreich, gebracht wurde. Dort wurde sie als Kuriosität öffentlich ausgestellt und
viele Wissenschaftler der Zeit, wie z.B. Pasteur oder Cuvier, betrachteten sie als
Untersuchungsobjekt. Das Bild ist der Onlineausgabe von Sephadi27 entnommen,
dem Mitteilungsmagazin des ANC, der vorherigen Dachorganisation des
Wiederstands gegen das Apartheid Regime und der heutigen Regierungspartei
Südafrikas.Das Bild basiert auf folgender Illustration aus dem Jahr 1815:
27http://www.anc.org.za/ancdocs/pubs/sephadi/2002/3rd-term/
Bei dem Bild, ursprünglich entnommen aus einer biologischen Abhandlung
„Histoire naturelle des mammiferès“, gemalt von einem unbekannten Künstler,
handelt es sich um eine wissenschaftliche Illustration -eine Zeichnung ausgefüllt
mit Wasserfarben auf Pergament, im Hochformat.
Der Hintergrund ist ausgespart. Ein Untergrund auf dem sie platziert ist, leicht
angedeutet in einer felsartigen mit gräulich-naturfarbenen Wasserfarben
ausgefüllten Schraffur, versehen mit einigen angrenzenden groben, lockeren grünen
Pinselstrichen.
In Auftrag gegeben wurde die Abbildung von dem französischen Zoologen und
Paläontologen Frederic Cuvier und seinem Landsmann dem Zoologen Etienne
Geoffroy Saint-Hilaire für obig genannte „Abhandlung“ über Säugetiere.
Bei genauer Betrachtung stellt sich heraus, dass in der modernen Version der Kopf
runder ist, als in der ursprünglichen Illustration. Ansonsten ist die
Übereinstimmung sehr groß. Ich nehme an, dass es keine einfache Kopie der
Illustration aus dem 19 Jhd. ist, diese aber zum Vorbild genommen wurde, weil es
das Aussehen der Saartje Bartmann anscheinend sehr überzeugend getroffen hat
(ohne dass man heute wissen kann, wie sie wirklich ausgesehen hat).
6.4)Der Bildkontext
Der Kontext in dem das Bild auf der Internet Seite von Sephadi steht, ist die
Zeremonie um die Rückführung der sterblichen Überreste der Saartje Bartmann im
Vorfeld des 9. August 2002. Der 9. August ist der nationale Frauentag Südafrikas.
Der offizielle Rahmen zur Begehung des nationalen Frauentages ist im Jahr 2002
die Beisetzung der Saartje Bartmann. Im selben Text des Sephadi befindet sich
weiter unten das selbe Bild der Saartje Bartmann mit einem roten Festband
eingelegt, das den Schriftzug „National Womens Day 9thAug“ trägt. Das Bild
mutete wie ein offizielles Plakat zum Frauentag an:
Der 9 August wurde zum nationalen Frauentag erkoren, im Gedenken daran, dass
im Jahr 1956: „... about 20,000 women marched to the Union Buildings in Pretoria
to protest against the proposed amendments to the Urban Areas Act of 1950. This
Act was meant to "tighten up control of movement of African women to town,
registration of their service contracts, and a compulsory medical examination for
all African women town-dwellers" (Walker; 1982: p.129). This Act was also meant
to extend passes to African women in a form of reference books . The march was
organised under the banner of the Federation of South African Women, and
challenged the idea that 'a women's place is in the kitchen', declaring it instead to
be everywhere'.“28 Anlässlich des 50. Jahrestags dieses Protestes wurde das Jahr
28http://www.sahistory.org.za/pages/specialprojects/womens-struggle/frameset.htm
2006 zum "Year of the Women in South Africa"29 erkoren.
Der Text zu dem Nationalen Frauentag 2002 trägt die Überschrift: „Sarah
Bartmann dignity finally restored“ und er leitet ein mit: „History has always been
harsh to Africans but to Sarah Bartmann, a daughter of the soil, it was even worse.
A sober atmosphere filled the National Assembly as parliamentarians put aside
their differences and paid tribute to our ancestor on the 8th of August 2002.“30
Saartje Bartmann wird mit dieser Aussage zum Sinnbild für die Rassistische
Ausbeutung und Unterdrückung aller Menschen Afrikas stilisiert. Ihr leidvolles
Schicksal wird zu einem Ursprungsmythos des Südafrikanischen Volkes erkoren
und gleichzeitig (wohl weil sie vor über zwei Jahrunderten lebte) vom Autor des
Textes zu „unserer Vorfahrin“ ernannt.
Am Ende zitiert er den südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki aus seiner Rede
zum Nationalen Frauentag. „We cannot undo the damage that was done to her. But
at least we can summon the courage to speak the naked but healing truth that must
comfort her whenever she may be. I speak of courage because there are many in
our country who would urge constantly that we should not speak of the past. They
pour scorn on those who speak about who we are and where we come from and
why we are where we are today. They make bold to say the past is no longer, and
all that remains is a future that will be. But, today, the gods would be angry with us
if we did not, on the banks of the Gamtoos River, at the grave of Sarah Bartmann,
call out for restoration of the dignity of Sarah Bartmann, of the Khoi-San, of the
millions of Africans who have known centuries of wretchedness.“31 Ich stimme
zweifellos zu, dass es bedeutend ist, sich über die eigene Vergangenheit und die
eigenen Ursprünge bewusst zu sein, um sich die Gegenwart zu erklären. Interessant
hierbei ist jedoch, dass in diesem Fall eine Frau, die Saartje Bartmann, vergleichbar
wie in McClintock's Analyse, als Synonym der archaischen Vergangenheit der
Nation herangezogen wird. Der Wesentliche Unterschied ist hierbei, dass nicht
neben der Frau, die für den Ursprung steht, der Mann im Streben nach Fortschritt
in diesem Nationalen Kontext in den Vordergrund tritt, sondern die
entpersonalisierte archaische Frau als Opfer eben dieses nach Fortschritt
strebennden Mannes einer anderen Nation - Europas. Dieser Mann, bzw. die
Männer, die für ihr Schicksal verantwortlich sind, sind eindeutig personalisierbare
Männer. Man weiss, wer sie ausgestellt, wer sie untersucht und wer über sie
geschrieben hat. Die Namen dieser Männer sind bekannt und viele Schriften von
ihnen und über sie sind überliefert – sie haben Geschichte gemacht. Aber man
weiss in diesem Fall gar nicht, wer diese Frau eigentlich war. Über sie persönlich
ist nichts überliefert, ausser dass sie ein Opfer von Rassismus und von Sexismus
war.
Aber der Alltag der südafrikanischen Frauen zeigt davon leider wenig. Von den
40% Arbeitslosen in dem Land sind 57% Frauen. Ein nicht unerheblicher Teil von
diesen sind alleinerziehende Mütter33, D.h. die Armut in Südafrika ist weiblich. In
dem Land finden 1,5 Millionen Vergewaltigungen pro Jahr statt, eine der höchsten
Raten weltweit34.
Dass Mbeki vor diesem Hintergrund behauptet, das Land würde sich mit hoher
Geschwindigkeit auf eine nicht-sexistische Gesellschaft zubewegen, erscheint fast
zynisch.
Vor diesem Hintergrund Frage ich mich auch, ob eine inszenierung einer Frau als
Opfer sinnvoll ist, wo doch so viele Frauen Opfer sind. Wäre nicht eine Frau die
Kämpft, eine Frau, die sich wehrt ein Symbol, das südafrikas Frauen erheblich
mehr Kraft und Inspiration geben könnte. Denn letztendlich vermittelt die
Regierung den Eindruck, da sie die Würde des Opfers wieder hergestellt hat:
verlasse Dich auf Deine Regierung.
Das bereits beschriebene Bild der Saartie Baartman erscheint noch an anderen
Stellen. So war es auch auf einer großen Tafel bei einer sogenannten
Kleidungszeremonie abgebildet, die im Vorfeld von Baartmans Beerdigung, nach
Vorgaben der Khoi Riten am 4. August 2002 in der Stadthalle von Kapstadt
stattfand.
Folgendes Foto ist in der Onlineausgabe der Zeitung Dispatch35 anlässlich dieses
Ereignisses abgebildet worden:
32http://www.anc.org.za/ancdocs/pubs/sephadi/2002/3rd-term/
33http://www.socialistworld.net/eng/2006/03/01iwd_02.html
34http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/4080162.stm
35http://www.dispatch.co.za/2002/08/05/southafrica/BART.HTM
Es trägt die Bildunterschrift: „Thought-Provoking: Khoisan leader John Little
listens to tributes to Sarah Bartmann at her enrobement ceremony“.
In dem Zugehörigen Artikel über die Kleidungszeremonie schreibt der Autor, dass
Südafrikas Botschafter in Frankreich Thuthu Skweyiya (die sterblichen Überreste
Baartmans wurden aus einem Museum in Frankreich überführt) dort sagte: „...she
was a symbol of the emancipation of South Africans and also a symbol of freedom
for Africa.“36 Die Frage an diesem Punkt ist allerdings, warum ist sie ein Symbol
für Freiheit und Emanzipation? Sie wird sich möglicherweise nach Freiheit und
Emanzipation gesehnt haben – wie die meisten Menschen. Dass gerade Sie zu
diesem Symbol wird liegt schlichtwegs daran, dass sie im Zuge dieser, von der
politischen Elite des Landes beigewohnten Zeremonie, dazu gemacht wurde.
Warum wurde ausgerechnet Sartie Baartman zu diesem Symbol gemacht, wo von
ihr doch hinsichtlich Befreiung oder gar Emanzipation gar nichts überliefert ist?
Die Frau zu wählen, die eine jede Frau Südafrikas zu jedem Beliebigen Zeitpunkt
in der Vergangenheit hätte sein können, weil man eben nichts über sie weiss, ist ein
bequemer Schritt. Man muss ihre Taten und ihre Worte nicht rechtfertigen – es gibt
sie nicht. Alle können sich so mit ihr identifizieren, indem sie wie in Sephadi zu
unser aller Vorfahr erklärt wird. Man muss nicht rechtfertigen, warum man statt
dessen der einen oder der anderen Gruppe bzw. Vertretern der Gruppe diese
Symbolhaftigkeit zuspricht. Der einzigen Gruppe, der man sie tatsächlich
zuspricht, sind die Khoi, eine der Marginalisiertesten Bevölkerungsgruppen des
Landes.
Darauf bezieht sich der Artikel im nächsten Absatz, indem er Themba Wakashe,
den Vize General-Direktor des Department of Arts and Culture bezgl. der
Zeremonie mit den Worten „apropriate and affirming to the Khoisan community“
zitiert, und er er fährt fort: „It is more than symbolic; it is an articulation of the
constitutional principles of this country. It's about nation building.“37 Saartie
Baartman soll eine Figur bilden, die als Symbol für die Befreiung und
Emanzipation des Landes symbolisiert und hinter der alles Bevölkerungsgruppen
stehen. Indem sie als eine Vertreterin der Khoi zu dieser Figur Gewählt wurde,
sollen die Khoi in die gemeinsame Nation integriert werden. Die Gedanken, die
mit dem Foto von John Little vor Baartmans Bildnis provoziert werden sollen,
sind vor allem die, dass mit dieser Zeremonie Südafrika einschließlich der
36http://www.dispatch.co.za/2002/08/05/southafrica/BART.HTM
37http://www.dispatch.co.za/2002/08/05/southafrica/BART.HTM
marginalisiertesten Gruppen als Nation zusammen geschlossen wird.
Dass dieser Prozess des Nation Building dennoch nicht so einfach von statten geht,
zeigt sich aus einem Artikel der South African Broadcasting Corporation, der am 3.
Mai 2002, dem Tag von Baartmans Rückführung nach Südafrika erschien. Dort
heißt es, die Khoi Gemeinschaft im Northern Cape werfe der Regierung
Frankreichs und dem Department of Arts and Culture vor, sie nicht am Prozess der
Rückführung zu beteiligen. Und führt aus: „However, the Northern Cape
Department of Arts and Culture denies the charge. While the return of Baartman's
remains is being hailed by many, some members of the Khoisan community are
unhappy. They claim they were excluded even though they originally initiated the
campaign, and the Khoisan leaders, believe an explanation is still necessary as to
why this was so.“38 Interessant ist, das in dieser Internet Seite das vollständige Bild
Baartmans, wie es im Französischen Buch über Säugetiere abgebildet ist dargestellt
wird.
Dass das Ansinnen Saartie Baartman als Symbol für Freiheit und Emanzipation in
Südafrika Akzeptanz findet, zeigt sich daran, dass es auch jenseits der offiziellen
Veranstaltung dafür Verwendung findet. Ein Beispiel hierfür ist das Saartie
Baartman Centre for Women and Children, einem Frauenhaus, in dem Frauen seit
1999 Zuflucht vor sogenannter häuslicher Gewalt finden. Im Projektbericht39, der
die Ergebnisse der Arbeit von 1999 – 2004 auf 48 Seiten darlegt befindet sich das
gleiche Bild der Saartie Baartman auf dem Deckblatt umrundet von dem „o“ der
Überschrift „The Story“.
Dieses Bild taucht in Südafrika noch in einem ganz anderen Zusammennhang auf:
In einer Internetseite für Tourismus in der Region Bavianns40, auf der Seite, die
über den größten Ort der gegend namens Hankey berichtet. Hier wird der Kopf der
Saartie Baartman in den original Farben neben diversen Fotografien der dortigen
Landschaft gezeigt. Das Bild kann angeklickt werden und man kommt auf eine
Seite, auf der das selbe Bild noch einmal großformatig erscheint und in der
Baartmans Geschichte kurz dargestellt wird. Man erfährt, dass sie in der Nähe von
Hankey begraben wurde. Nicht ohne Stolz endet der Text mit der Bemerkung, dass
Präsident Mbeki den Friehof zum nationalen Kulturerbe erklärt hat.
38http://www.sabcnews.com/politics/the_provinces/0,2172,33518,00.htm
39http://www.preventgbvafrica.org/Downloads/SBaartmanFINAL.july05.pdf
40http://www.baviaans.net/hankey.htm
10)Resumé
Es hat sich gezeigt, dass bei der Verwendung dieses Bildes der Saartie Baartman
im Kontext des nationalen Frauentags nationale Einheit und Würde wieder
herzustellen und gleichzeitig ein Symbol der südafrikanischen Emanzipation und
für die Freiheit des afrikanischen Kontinents zu schaffen viele der Muster
wiederholt werden, die Anne McClintock am Beispiel des europäischen
Nationenbildungsprozesses wiederholt werden. Vor allen, dass ein Frauenbild
benutzt wird, das ein Ideal einer archaischen vergangenheit Verkörpert und selber
auch ahistorisch ist, in dem Sinne, dass sie zwar opfer bestimmter historischer
Begebenheiten wurde, selber aber keine bestimmte Zeit verkörpert. Man weiß
nichts über sie als Person. Stattdessen betrachtet man sie als gemeinsame Urahnin
der Nation.
Abschliessend möchte ich noch einmal die vier Punkte, die McClintock zur
feministischen Theoriebildung in Bezug auf Nationalismus als bedeutend ansieht,
in Bezug auf die Verwendung von Saartie Baartman als Frauenbild für Südafrika
anwenden.
Es bedarf nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, wie sich der unbekannte Künstler,
der einst die Illustration der Hottentotten Venus für ein Buch über Säugetiere malte,
von der Tatsache geehrt fühlen würde, dass seine Illustration gut 200 Jahre später
die gestalterische Grundlage für ein Nationalsymbol einer neu entstandenen Nation
werden würde. Und sein Model? Wie hätte Saartie Baartman den Gedanken
gefunden, während sie gemalt wurde, dass dieses Bild das von ihr Angefertigt
wurde, in einer 200 Jahre später entstehnenden Nation in ihrer fernen Heimat von
Millionen von Menschen betrachtet wird?