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Fotos: Stephan Pflug

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Das Duell
Hamburg-Mitte ist der einzige Bundestagswahlkreis, in dem zwei offen schwule Kandidaten
gegeneinander antreten. Johannes Kahrs (SPD) und Farid Müller (Grüne) über Ziele, Zwang und Zickenkrieg
h Farid, glaubst du, den Wahlkreis Hamburg-
Mitte gewinnen zu können?
Müller: Ja, sonst würde ich nicht antreten!
h Farid gegen Goliath: Das klingt nicht sehr
selbstbewusst.
Müller: Wieso nicht? Es bringt die Verhältnisse, die
wir bei den letzten Wahlen hatten, auf den Punkt.
Natürlich ist einer, der mit 49 Prozent gewählt wurde,
ein Goliath im Vergleich zum grünen Ergebnis von
elf Prozent beim letzten Mal. Der Vergleich „Farid
gegen Goliath“ soll diese Spanne darstellen. Das heißt
aber nicht, dass das immer so bleiben muss.
h Johannes, bist du sicher, dass du wieder
gewinnst?
Kahrs: Das entscheidet der Wähler. Bundestagsab-
geordneter zu sein ist immer ein Vertrag auf vier
Jahre. Und im Zweifel muss ich mir am 28. Septem-
ber einen neuen Job suchen.
h Das ist ernsthaft eine Option für dich?
Kahrs: Das muss man in Erwägung ziehen. Es gibt
keine sicheren Wahlkreise.
h Was ist dein Rezept gegen Farid?
Kahrs: Wenn ich ehrlich bin, sehe ich Farid nicht als
Gegner. Ich muss mich inhaltlich vor allem mit dem
Mitbewerber von der CDU auseinandersetzen, weil
der die realistischeren Chancen hat. Deshalb muss
ich sehen, wie ich mich von David Erkalp unterscheide.
Das ist die Hauptauseinandersetzung, darauf konzen-
triere ich mich.
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Müller: David Erkalp ist zwar ein netter Kollege in der
Bürgerschaft, aber es besteht nicht ernsthaft die Ge-
fahr, dass die CDU den Wahlkreis Hamburg-Mitte ge-
winnt. Wir haben im Bund eine Große Koalition. Beide
großen Parteien tragen die Entscheidungen mit, die in
den letzten Jahren getroffen wurden – auch die SPD.
„Ich sehe Farid nicht als Gegner.
Ich muss mich vor allem mit dem
Mitbewerber der CDU auseinan-
dersetzen.” Johannes Kahrs
h Was unterscheidet SPD und Grüne beim
Thema Gleichstellung?
Kahrs: Beim Ziel unterscheidet uns gar nichts. Aber
ich glaube, dass man immer die SPD gebraucht hat,
um wesentliche Verbesserungen durchzusetzen.
Müller: In Hamburg sehen wir ja gerade, dass man
auch mit der CDU die Bürgerrechte von Lesben und
Schwulen durchsetzen kann. Ich freue mich, dass wir
den Kurs, den wir mit der SPD aufgenommen haben,
nun weiterverfolgen können.
Kahrs: Wir haben das Problem, dass die CDU im
Bundesrat alle wirklichen Verbesserungen wie bei
Steuern, Renten oder Beamtenversorgung blockiert
hat. Ähnlich wie es jetzt in der Großen Koalition pas-
siert ist. Natürlich muss man sehen, was einem
wichtiger und was realistisch ist. Und bei der Erb-
schaftssteuer hatten wir das Gefühl: Da gibt es eher
Verhandlungsspielräume. Davon haben dann auch
die bayerischen Bauern profitiert – das war fieses-
ter politischer Kuhhandel. Aber das ging, das war
machbar. Ich bevorzuge immer die Dinge, die ich
kriegen kann.
Mein erstes Ziel für die nächste Legislaturperiode
ist es, diese ganze Steuer- und Rentenproblematik
anzupacken und endlich umzusetzen. Erst dann muss
man sehen, ob man auch eine Mehrheit bekommt
für die Änderung von Grundgesetz Artikel 3 oder
eine Mehrheit für das volle Adoptionsrecht.
h Bayern hat gerade seine Klage gegen
die Stiefkindadoption in Karlsruhe zurückge-
zogen. Ist die Union wirklich noch das anti-
schwule Schreckgespenst?
Müller: Nach acht Jahren Lebenspartnerschaft ha-
ben sie dort endlich die Standesämter geöffnet und
eine aussichtslose Verfassungsklage zurückgezogen.
Das ist durchaus honorig. Aber für die bayerischen
Landesbeamten und -angestellten ist nichts gesche-
hen. Da hat sich die FDP ganz offensichtlich nicht
ausreichend engagiert. Ich denke, dass die Lesben
und Schwulen in Deutschland kapiert haben, dass
die Liberalen kein Garant für ihre Gleichstellung sind.
Die FDP darf man nicht wegen schwul-lesbischer Bür-
gerrechte wählen.
h Aus welchen Gründen denn dann?
Müller: (lacht) Die Leute, die gerne weniger Steuern
zahlen wollen zum Beispiel, oder die, die nach der Fi-
nanzkrise noch immer nichts verstanden haben.
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hamburg
h Johannes, was ist deine Bilanz nach einem
Jahr als Sprecher deiner Fraktion für Schwule
und Lesben?
Kahrs: Es war wichtig, in der SPD die Fachausschüsse
zu koordinieren, die sich alle mit dem Thema beschäf-
tigen, aber noch nicht so zusammenwirken. Mein
Bemühen war es, da eine Struktur hinzukriegen. Per-
sönlich habe ich in den letzten Jahren die Reform
der Erbschaftssteuer mitbewegt, weil ich das für sehr
wichtig halte. Wenn zwei Menschen etwas gemein-
sam aufbauen, und einer von beiden stirbt, dann
muss der andere die Möglichkeit haben, das zu er-
halten und fortzuführen. Das war nicht einfach.
Müller: Ich halte deine Bilanz für mager. Die Fragen,
die Lesben und Schwule betreffen, hast du nicht mit
dem Nachdruck betrieben, wie wir uns alle das ge-
wünscht hätten. Als das Lebenspartnerschaftsge-
setz kam, haben wir uns eine Mehrheit im Bundesrat
gewünscht. Nun gibt es sie durch die Große Koali-
tion. Wann, wenn nicht jetzt, kann man so ein Thema
über die Lagergrenzen hinweg bewegen? Das ist lei-
der nicht geschehen.
Kahrs: Man muss sich in Koalitionen immer durch-
kämpfen. Manches bekommt man hin, manches
nicht. Von unseren Leuten wie Peter Struck oder
Thomas Oppermann, die die Verhandlungen mit der
Union führen müssen, weiß ich: Die wollen nicht, da
ist keine Bereitschaft da.
Müller: Natürlich kann man immer die anderen vor-
schieben, aber dann muss sich der Wähler überle-
gen, ob er der SPD wieder seine Stimme geben soll,
obwohl sie eine Fortsetzung der Großen Koalition be-
deutet. Dann haben wir wieder vier Jahre nichts.
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Kahrs: Schwarz-Gelb wird keine Mehrheit finden –
also ist alles offen! Und da die Kanzlerin nun auch
noch Schwarz-Grün ausgeschlossen hat, ist eine Am-
pelkoalition gar nicht so unrealistisch. Da sind dann
SPD, FDP und Grüne gefragt, das entsprechend durch-
zusetzen. Deswegen muss man sehen, dass die Par-
teien, die das tragen, auch möglichst stark werden.
„Deine Bilanz ist mager. Die Fra-
gen, die Lesben und Schwule be-
treffen, hast du nicht mit Nach-
druck betrieben.” Farid Müller
h Derzeit laufen der SPD aber die Wähler in
Scharen weg.
Kahrs: Umfragen zu kommentieren, ist immer
schwierig. Bei den letzten Wahlen sind wir immer an-
ders rausgekommen, als es die Umfragen vorausge-
sehen haben.
h Der Sender Hamburg 1 hat zwischen euch
einen Zickenkrieg prophezeit. Geht ihr
anders miteinander um, weil ihr euch aus der
Community kennt?
Kahrs: Wir sind beide Mitglieder des FC St. Pauli, aber
das reicht in der Politik nicht ganz. Wenn man ähnli-
che politische Anliegen hat, wie wir beide, dann ist es
natürlich einfacher.
Müller: Ich muss ehrlich sagen, ich war sehr über-
rascht, als ich vom „Zickenkrieg“ las. Nun treten mal
zwei offen schwule Männer in der Politik gegenein-
ander an, und sofort heißt es Zickenkrieg.
Kahrs: Wir werden mit ähnlichen Vorurteilen behan-
delt wie zwei Frauen, die gegeneinander kämpfen...
Müller: Genau. Dabei ist es nur ein Stück Normalität.
Daraus sofort einen Zickenkrieg zu konstruieren,
zeigt nur, wie unsicher manche noch mit dieser Situa-
tion umgehen. Ansonsten haben wir einen sehr kol-
legialen Umgang. Ich könnte allerdings nicht genau
sagen, was Johannes Kahrs eigentlich in Berlin
macht. Die Bundeshilfen für die Katharinenkirche
habe ich noch mitbekommen, weil auch wir von der
Bürgerschaft Geld dazugegeben haben. Sonst ist mir
nicht viel eingefallen...
h Johannes, wie würdest du deinen
Konkurrenten charakterisieren?
Kahrs: Menschlich haben wir ein gutes Verhältnis. Po-
litisch weiß ich, dass er im Rathaus eine vernünftige
Arbeit macht und dass er es nicht immer leicht hat mit
der CDU. (lacht) Diese gute Arbeit in der Bürgerschaft
sollte er weiter fortsetzen!
h Farid, was wünschst du Johannes für die Bun-
destagswahl?
Müller: Ich wünsche mir, dass er einen fairen Wahl-
kampf führt. INTERVIEW: STEFAN MIELCHEN
www.kahrs.de
www.duell-um-berlin.de
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Kahrs war‘s!
Johannes Kahrs ist der Bad Guy der SPD. Sein Netzwerk arbeitet perfekt
Johannes Kahrs geht mit einem Hammer auf
Männerfang. An einem heißen Sonntag im Au-
gust steht er auf dem CSD-Straßenfest und
spricht Passanten an. Sie sollen sich am Hau-den-
Lukas vor dem SPD-Wagen versuchen. Lächelnd
streckt er einem schmächtigen Jungen Anfang
zwanzig den Griff des schweren Werkzeugs ent-
gegen: „Traust du dich?“ Verlegen kichernd ver-
sucht der sein Glück. Der erste Schlag landet da-
neben. „Erstmal zielen“, stichelt Kahrs. Der zweite
Schlag hebt das Gewicht um einen halben Meter.
„Das war nur Tunte“, kräht Kahrs und zeigt auf
ein gleichlautendes Pappschild, das neben dem
Metermaß klebt. „Am Ende des Griffs zupacken“,
rät Kahrs, „Physikunterricht, neunte Klasse.“ Ver-
gebens. Auch der dritte Schlag misslingt. Nun
zeigt Kahrs, wie es geht. Fünfmal lässt er den
Hammer niedersausen, fünfmal schlägt das Ge-
wicht an die Glocke. „Du kannst Kanzler“ steht
dort oben.
Bei einem Männerritual wie Hau-den-Lukas ist
Johannes Kahrs in seinem Element. „So komme
ich mit Leuten ins Gespräch, die nie mit einem
Politiker reden würden“, erklärt er und beschreibt
damit seine größte Stärke: das Netzwerken in der
Sprache der Mehrheit. „In Billstedt wohnt ja nicht
die Crème, sondern die Wurzel des Volkes“, meint
eine pensionierte Pharmareferentin, die zum Kaf-
feeklatsch ins Kurt-Schumacher-Haus gekommen
ist. „Da ist es wichtig, dass man in klaren, einfa-
chen Sätzen spricht. Johannes kann das.“
Pfandfinder, Reserveoffizier, Verbindungs-
student – Kahrs hat alle Stationen einer klassi-
schen Männerkarriere hinter sich. Dass er seit 15
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Jahren mit einem Mann zusammenlebt, ist kein
Geheimnis. Doch die meisten seiner Wähler dürf-
ten das nicht ahnen. Er habe nie einen Hehl aus
seiner Homosexualität gemacht, versichert Kahrs.
Aber: „Jeder muss sein Coming-out selbst orga-
nisieren und seinen eigenen Weg finden.“
Den Weg des Johannes Kahrs verfolgen viele
Sozialdemokraten mit Misstrauen. „Die Art, wie
er seine Mehrheiten aufbaut, das ist nicht OK“,
rügt ein schwuler Genosse. Egal ob Wahlzettel
verschwinden oder der Bundestagsabgeordnete
Niels Annen nicht mehr aufgestellt wird – sofort
heißt es in der Hamburger SPD: Kahrs war’s. „Er
hat überall seine Jünger sitzen“, so der Kritiker.
„Das geht soweit, dass er in einer Vorstandssit-
zung anruft, und nach dem Telefonat dreht der
Angerufene seine Meinung um 180 Grad.“
Kahrs ist zu sehr in seiner rauen Männerwelt
gefangen, als dass er solche Vorwürfe verstehen
könnte. „Es ist bedauerlich, dass viele Leute Ver-
schwörungstheorien nachhängen“, meint er ach-
selzuckend. „Wenn ich bestimmte Dinge will, dann
setze ich mich dafür ein – mit einer klaren Ansage.
Die kann man dann gut oder schlecht finden.“
So einflussreich er im Kleinen ist, so sehr fehlt
ihm die Lust an großen Themen. Kahrs ist kein
Visionär. „Eigentlich müsste Johannes in der in-
nerparteilichen Diskussion dem rechten SPD-Flü-
gel häufiger seine Stimme leihen“, kritisiert Arne
Platzbecker. Doch für Theoriedebatten sei Kahrs
nicht zu begeistern. „Seine Stärke ist die direkte
Ansprache im Kegel- und Kleingartenverein. Im
Grunde“, so Platzbecker, „ist Johannes der Horst
Schlämmer von Hamburg-Mitte.“ PHILIP EICKER
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hamburg
D
er Mann ist eher rundlich. Obwohl Farid Mül-
ler deutlich abgespeckt hat, um für den Wahl-
kampf fit zu sein, besitzt er wenig Ecken und
Kanten. Das ist keine Profillosigkeit. Farid Müller ist
vor allem: nett.
Als Angreifer im Kampf um das Mandat in Mitte
nennt er seine Website etwas martialisch „Duell um
Berlin“. Es ist ein ungleicher Kampf, „Farid gegen Go-
liath“. Müller hat dieses Bild selbst zur Kernbotschaft
seiner Kampagne gemacht. Er gibt den Außenseiter.
Müller bittet: „Vergeben sie auch im Wahlkreis ihre
Stimme wegen der Inhalte! Dann hat dort auch ‚David’
eine Chance.“ Besonders selbstbewusst klingt das
nicht. Aber es ist typisch für ihn.
Unsicherheiten versteckt Müller gerne hinter jo-
vialem Gebaren. Im direkten Duell verrät seine Kör-
persprache, dass das Austragen von Konflikten nicht
zu seinen Lieblingsdisziplinen zählt. Er spricht lieber
mit gesenkter Stimmer als im fordernden Staccato.
Moderat, nicht offensiv. Kaum vorstellbar, dass er je-
mals aus der Haut fährt.
Die Pose des auf Krawall gebürsteten Kahrs-Her-
ausforderers nimmt Müller nicht ein. Er grenzt sich
ab und versucht zu sticheln. Doch Farid ist Realist ge-
nug um zu wissen, dass ein grünes Direktmandat die
absolute Ausnahme ist. Die Strahlkraft und Popula-
rität eines Hans-Christian Ströbele, die er hierfür
bräuchte, besitzt er nicht. Auch wenn St. Georg ein
Heimspiel für Müller ist: Der Wahlkreis reicht über den
Horizont der Langen Reihe weit hinaus. Hamm, Horn,
Barmbek – nicht eben grünes Terrain. Er weiß das.
Seine Schwäche: Er lässt es sich anmerken. Müller
sagt nicht laut, dass es ihm reicht, dem Konkurren-
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Farid Nett
Er ist Hamburgs bekanntester Schwulenpolitiker.
Seine neueste Rolle: der Außenseiter
ten Schaden zuzufügen. Doch jeder spürt es.
„Farid Müller nach Berlin“: Der Slogan seines Wahl-
plakates erfreut die Spötter. „Prima Lösung“ sagt
eine, die ihm schon lange in herzlicher Abneigung
verbunden ist. „Er teilt keine Erfolge“ heißt es bei Ko-
alitionspartnern. „Wenn etwas gemeinsam auf den
Weg gebracht wurde, reklamiert er die Ergebnisse
stets für sich.“
In der schwarz-grünen Koalition, die das Kuscheln
zum obersten Prinzip erklärt hat, fühlt sich Müller
sichtbar wohl. Er ist in der Gemütlichkeit des Stadt-
staates gut aufgehoben. Warum sollte er sie gegen
das betriebsame Berlin und die Geschäftigkeit der
Die Pose des auf Krawall gebür-
steten Kahrs-Herausforderers
nimmt Müller nicht ein. Er grenzt
sich ab und versucht zu sticheln
Bundespolitik tauschen wollen? Farid Müller strahlt
eher behäbige Selbstzufriedenheit aus als perspek-
tivischen Drang.
Als Oppositionspolitiker hatte er für Ole von Beust
selten mehr als bissige Lästereien übrig. Heute kommt
kaum noch ein kritisches Wort zum Ersten Bürger-
meister oder zu dessen schwulem Lebensstil über
Müllers Lippen. Dass die Union den Hamburger Grü-
nen mehr homo-politische Zugeständnisse machte,
als allgemein erwartet wurde, ist auch sein Verdienst.
Aber keine Überraschung: In ihrer wertkonservativ-li-
beralen Haltung sind sich Müller und von Beust recht
nahe.
Beide stehen nicht für law and order. Doch als die
Selbstverpflichtungserklärung der schwulen Wirte zur
HIV-Prävention diskutiert wurde, drohte Müller: Wer
nicht mitmacht, dem soll mit Lizenzentzug gedroht
werden. Bürgerliche Schwulenpolitik in Reinkultur –
das hätte auch ein CDU-Mann unterschrieben. In sol-
chen Momenten schlagen die Mitarbeiter der schwul-
lesbischen Projekte die Hände über dem Kopf zu-
sammen. In ihren Kreisen genießt Farid keinen be-
sonders guten Ruf. Denn er agiert, wie es ihm poli-
tisch in den Kram passt, häufig ohne Rücksprache.
Müller setzt Themen dann, wenn sie ihm nützen sol-
len. Er lässt sie wieder einschlafen, wenn der öffent-
liche Widerhall nicht groß genug ist.
Sein neuestes Lieblingsprojekt, das schwule Ju-
gendzentrum, schlugen ihm Experten und Betroffene
unlängst um die Ohren. Ausgerechnet in einer Ver-
anstaltung der CDU-Fraktion während der Hambur-
ger Pride Week. Er sitzt so etwas aus, wie vieles, über
das er sich ärgert. Selbst wenn er richtig sauer ist,
packt er seine Kritik gerne in Watte, windet sich – um
nur ja keinen großen Streit vom Zaun zu brechen.
Diese Leisetreterei hat Vorteile. Wer nicht allzu stark
austeilt, muss auch nicht groß einstecken. Die vorge-
haltene Hand ist ein wirkungsvolles Schutzschild.
Denn wirklich offen wird Müller selten kritisiert.
Auch, weil er selbst stets einen ruhigen Ton anschlägt.
Vielleicht auch, weil Schwule lieber übereinander re-
den als miteinander. Aber bestimmt, weil er vor al-
lem: nett ist. STEFAN MIELCHEN
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Gefangen
Schwule müssen nicht links wählen. Von Dirk Ludigs

„Lieber von Frau Thatcher regiert werden, als von Herrn Thatcher!“ Mit diesem
Satz machte Alice Schwarzer schon vor 30 Jahren klar, wie sie Feminismus be-
greift: nicht links, nicht rechts, sondern im Zweifel immer für die Frau. Auf eine
wie Alice darf Guido Westerwelle nicht hoffen. Von den bewegten Schwulen des
Landes erntet der mögliche nächste Außenminister Häme und Verachtung. Der
aufrechte Schwule in Deutschland ist erst links, dann grün, dann schwul.
Denn Grün ist der Fortschritt. Solange man nicht so genau hinschaut. Bei-
spiel Stammzellenforschung: Was passieren könnte, wenn die „rote Gen-
technik“ soweit wäre, Krankheiten wie Aids, Krebs, Alzheimer oder Parkinson
zu heilen, dämmert der Grünen Jugend auf ihrer eigenen Website, wo sie voll
Selbsterkenntnis schreibt: „Schnell sähen sich die vermeintlich Aufgeklärten
– zumindest in der Art und Weise – in einem ähnlichen Diskurs wie die Reak-
tionäre der katholischen Kirche.“ Also, lieber gleich verbieten – und folgerich-
tig stimmen Grüne wie Volker Beck regelmäßig mit Leuten wie Norbert Geis
(CSU) einträchtig gegen die Freiheit der Forschung.
In den Wahlprüfsteinen der LGBT*-Verbände taucht das Thema natürlich
nicht auf. Wichtiger ist den grünen Wahlkampfhelfern vor allem Symbolpolitik
wie die Änderung des Artikel 3 Grundgesetz: Das kostet nichts, das ändert
nichts, aber man kann den politischen Gegner vorführen und sich anbiedern.
Tatsächlich gibt es de facto längst eine Viereinhalb-Parteien-Koalition in allen
entscheidenden LGBT-Fragen, die Bruchlinie läuft mitten durch die CDU/CSU.
So schrecklich das für die schwul-lesbischen (d.h. grünen) Lobbygruppen auch
sein mag: Ihre Themen sind zum großen Teil unumstritten.
Der betrunkene Schwuso am Hamburger LSU-Stand sieht das freilich an-
ders: „Als Schwuler CDU wählen, das ist, als würde ein Jude die Nazis wählen.“
Hinter dem verbalen Ausrutscher lugt die ganze ideologische Verblendung
hervor. Andere dagegen freuen sich auf die Aussicht, dass vielleicht bald sau-
dische Prinzen einem offen schwulen Außenminister die Hand schütteln müs-
sen, wo sie ihm doch viel lieber den Kopf abhacken würden und eine Kanzle-
rin auch dort gegen Menschenrechtsverletzungen den Mund aufmacht, wo
ihr Vorgänger nur lupenreine Demokraten sah. Zum Beispiel Frau Schwarzer
und ich.

*Lesben, Schwule, Bisexuelle

und Transgender

Dirk Ludigs (43) ist Nachrichten-

leiter bei TIMM und war davor
Chefredakteur der bundeswei-
ten Schwulenmagazine
Front und Du&Ich

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hamburg

„Die Menschen hier sind ortstreu“, sagt

Rainer Stubbe. „Das gilt auch für mich –
leider.“ Seit zehn Jahren bewirtschaftet
der 46-jährige Landschaftspfleger den
Familienhof in Billwerder, gegründet 1896.
Haupterwerb ist der ökologische „Hofla-
den an der Bille“. „Manchmal ist es ein
Fluch: Wenn ich meinen Kuchen nicht ver-
kauft bekomme und den Hühnern hin-
schmeißen muss“, berichtet Rainer. „Aber
ich bin ein verbohrter Idealist.“
Hier ist er aufgewachsen, war bei der
Feuerwehr, hat mit dem Dorfverein alte
Häuser vor dem Abriss bewahrt. Hier hat
er erst seine Familie gegründet und dann
sein Coming-out durchgezogen – mit 37.
Die Zukunft sieht Rainer nüchtern: „Mit
den Bio-Supermärkten können wir nicht
mithalten. Der Hof kann nur überleben,
wenn wir ihn weiterentwickeln.“ Schul-
und Kitakinder bestaunen die Mutterkuh-
herde, Partygäste mieten das Café im al-
ten Kuhstall. Alternative: keine. Rainer
trotzt dem Fluch: „Das ist mein Ding. Hier
bin ich geboren, hier will ich begraben
werden.“

Billwerder Billdeich 480

www.hofladen-an-der-bille.de

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nerk

Rainer Stubbe ist Bergedorfer von Geburt. Der Familienhof in Billwerder bedeutet ihm alles

Barockglocke
Als Azubi zum Landschaftsgärtner hat Rai-
ner geholfen, den wunderschönen Barock-
garten des Glockenhauses herzurichten. Um
1600 hat sich ein wohlhabender Hamburger
Bürger das Landhaus errichten lassen. Nun
residiert dort das Maler- und Lackierer-
Museum.
Billwerder Billdeich 72, Sa/So 10-13 Uhr
www.malermuseum.de

Pausenschloss
Nach der Arbeit aß Azubi Rainer seine Pau-
senbrote im Schloss Bergedorf. Die einzige
mittelalterliche Anlage auf Hamburger Boden
war damals Stützpunkt der Landschaftsgärt-
ner. Inzwischen gehört es ganz dem
„Museum für Bergedorf und die Vierlande“.
Bergedorfer Schlossstr. 4
www.bergedorfmuseum.de

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Barockblumen
Bald zehn Jahre kennen sich Rainer und Holger Bremer (49, rechts). Der Flo-
rist betreibt das einzig schwul-lesbische Unternehmen in Bergedorf: Mit
Tobias (Mitte) und Viola (im Urlaub) sind drei Viertel der Belegschaft homose-
xuell. Seit 25 Jahren gibt es den Blumenladen, seit 1994 schmückt er die Alte
Holstenstraße. „Ich bin Purist, mag es schlicht und pur“, erzählt Holger. „Aber
im Spätsommer darf‘s auch mal ein barocker Strauß sein.“
Alte Holstenstraße 74, www.lebenslust-bergedorf.de/holger_bremer_decoration.php
Fotos: Stephan Pflug
Boberger Bulle
Als Landwirt ist Rainer auf ursprüngliche Tierarten spezialisiert: Neben Bent-
heimer Schweinen hält er Galloways, eine vom Aussterben bedrohte Rinder-
art. Seine Kunden schätzen das feine, dunkle Fleisch. Doch Galloways wach-
sen langsam. Ihre Weide liegt unweit des Boberger Sees. Der ist eines der
beliebtesten schwulen Cruising-Gebiete Hamburgs. „Obwohl“, so Rainer, „der
Rückzug ins mittlere Buschwerk aus Naturschutzgründen verboten ist.“
www.stiftung-naturschutz-hh.de/boberg
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Muss das sein?
Der Auftritt der SM-Szene sorgte für Diskussionsstoff beim CSD
Die diesjährige CSD-Parade war noch
nicht am Jungfernstieg angekommen,
da hatte sie schon ihr Diskussions-
thema: der Auftritt der gemischt-ge-
schlechtlichen SM-Gruppe „Schlag-
werk“ hatte nicht nur viele der am
Rand stehenden Besucher irritiert.
Auch Schwule und Lesben selbst er-
eiferten sich: „Muss das sein?“ Eine
eher rhetorische Frage, denn die meis-
ten hatten die Antwort längst parat.
Tenor: Mit denen wollen wir nicht in ei-
nen Topf geworfen werden – die scha-
den unserer Sache.
Menschen, die in Pferdekostümen
einen Sulky ziehen oder Fetischisten,
die die Parade auf allen Vieren absol-
vieren: das kommt auch 2009 noch
einer Überforderung des Publikums
gleich. Dies gilt auch für den rollenden
Hundezwinger der schwulen Fetisch-
bar „Strictly Men“.
Hier wird einerseits ein Tabu be-
rührt: Das Spiel von Sex und Gewalt
gehört für viele Menschen in den Be-
reich der Perversion. Die öffentliche
Zurschaustellung (und sei es nur das
Herzeigen von Kostümen und Spiel-
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zeugen) wird als Grenzüberschreitung
empfunden. Man erinnere sich: Ho-
mosexualität wurde vor noch nicht
allzu langer Zeit von der Mehrheit der
Gesellschaft ebenso bewertet. Und
viele Hamburger sind immer noch der
Meinung: Schwul- und Lesbischsein ist
Privatsache und gehört in die eigenen
vier Wände.
Die Empörung vieler Schwuler und
Lesben ist ebenso leicht erklärt. Das
offensive Auftreten der SM-ler stört
für sie das Bild des anständigen, des
bürgerlichen Homosexuellen, das man
gerne abgeben möchte. Die Nachbarn,
die Kollegen, die Familie: sie alle könn-
ten ja glauben, man sei auch so. Jetzt,
wo man es sich in der Mitte der Ge-
sellschaft gemütlich eingerichtet hat,
stört alles, was von der Norm ab-
weicht.
Tatsächlich alles? Ginge es nach
dieser Logik, müssten auch die Tun-
ten und Dragqueens aus der Parade
verbannt werden. Doch sie werden als
(entsexualisierte) Spaßelemente
durchaus geduldet und sind als Foto-
motive nicht nur bei der Hetero-Presse
Foto: Andrey Ditzel
beliebt, sondern auch bei Schwulen
und Lesben selbst.
Wo also soll man eine Grenze zie-
hen? Der Kölner CSD war der erste,
der in diesem Jahr mit einer „Be-
nimm-Charta“ hantierte. Hier ging es
aber vor allem darum, Sex in der Öf-
fentlichkeit zu unterbinden. In Ham-
burg erregte allein schon der öffentli-
che Auftritt einer SM-Gruppe, obwohl
gar nichts „passierte“. Das sagt mehr
aus über jene, die sich ereifern, als
über die, die in Lack und Latex durch
die Stadt marschieren.
Wer das vermeintlich Schrille an der
Parade schätzt, das sich in vielen bun-
ten Kostümen darbietet, muss auch
das vermeintlich Dunkle und Abseitige
akzeptieren. Denn nach wie vor gilt
der alte Satz von Hamburgs Dameni-
mitatorin Blessless Mahoney: „Vielfalt
ertragen – auch, wenn‘s schwer fällt!“
STEFAN MIELCHEN
Mehr Berichte und Fotos zum CSD
unter www.hinnerk.publigayte.com
und ab Seite 36
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 www.hinnerk.publigayte.com

N O A N G E L S

W E L C O M E T O T H E D A N C E

Paten sammeln 4444 Euro

Rekordergebnis beim Walk for Money: Der Spendenmarsch durch St. Georg
brachte zum Auftakt der Pride Week 4 444 Euro. Die Zahl der Teilnehmer hätte
weit größer sein können, doch auf das Ergebnis ist die Patenaktion trotzdem
stolz: „Unser Dank gilt allen Unterstützern, Spendensammlern und Sponso-
T H E N E W A L B U M
ren“, betonten Micco Dotzauer und Harald Greßl, die den Marsch zum zwei-
O U T N O W
ten Mal organisiert hatten. Zur Spendenübergabe beim Hein & Fiete-Som-
merfest kamen (v.l.) Micco Dotzauer, Michael Rack (Aidshilfe), Harald Greßl und ALBUM
—
Marc Grenz (Hein & Fiete). www.die-paten.net W E LC O M E TO
T H E DA N C E

SINGLE
—
ONE LIFE

Neues schwules Netzwerk W W W . N O A N G E L S - M U S I C . D E

Wo finde ich einen schwulenfreundli-

chen Arbeitsplatz? Eric Sommer (31)
will diese Suche mit seiner neuen In-
ternetplattform Truto erleichtern. Hier
können Schwule und Lesben ihre Er-
fahrungen in der Arbeitswelt bewerten
und sich darüber austauschen. Für den
Spätsommer ist eine Jobbörse geplant.
Unternehmen will Truto helfen, den Di-
versitygedanken in ihren Alltag zu inte-
grieren. Eric Sommer hat mit diesem
Konzept den mit 10 000 Euro dotierten
Preis „Timm in Aktion“ des schwulen
TV-Senders gewonnen. www.truto.org

Coming out im Netz

Das schwule Jugendportal dbna.de ruft
zu einem Videowettbewerb auf: Zum
Coming-out-Tag am 11. Oktober können
Videos eingeschickt werden, die dann
im Youtube-Channel des Portals gezeigt
werden. Darin sollen sich Lesben,
Yes, Pet Shop Boys, the new album
Schwule oder Heteros bis 27 Jahre prä-
sentieren. Die Aussage ist klar: Wir
brauchen uns nicht zu verstecken – die 5.12. BERLIN - O2 WORLD • 6.12. ROSTOCK - STADTHALLE
Umsetzung ist allein den Teilnehmern 09.12. HAMBURG - CCH 3 • 11.12. MAGDEBURG - STADTHALLE
überlassen. Einsendeschluss ist der 12.12. MÜNSTER - HALLE MÜNSTERLAND • 14.12. FRANKFURT - JAHRHUNDERTHALLE
8. Oktober. Wer die höchsten Klickzah- KARTEN AN DEN BEKANNTEN VVK-STELLEN,
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