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KCTOS 2007 Wien

Sekt. 8.14., Gemeinschaft in Differenz, Kollektive Agenten im interkulturellen Kontext

Wolfgang Cernoch

COLLECTIVE AGENTS IN DER ORGANISATION DER


ORGANISATIONSFORMEN UND DIE POLITISCHE
IDENTITÄT

1. Zum Zusammenhang von Multikulturalität und Interkulturalität.


Leitkultur, Integration und Assimilation

Das Konzept des kollektiven Agenten entstammt der politischen


Spätphilosophie von Luis Villoro, einem mexikanischen Philosophen, der von
einer neuen Seite ein konstruktives Element in die Diskussion um die
Konzepte von Parallelgesellschaften eingebracht hat und sich von da aus auf
eine Perspektive beziehen kann, welche das Menschenbild von der
Verklammerung der Gesellschaftsorganisation nach Wissenschaft, Technik,
Wirtschaft, Markt und Lebenswelt (Jürgen Habermas, Wissenschaft und Technik
als Ideologie, 1968) in Richtung der Rahmenbedingungen der Multikulturalität
durch Konstitutionsgeschichte und Migration verschiebt. Bertold Bernreuther
hat das folgendermaßen zusammengefaßt (Vortrag: Gemeinschaft und kulturelle
Differenz in der politischen Philosophie von Luis Villoro, Vortrag in: Knowledge,
Creativity and Transformations of Societies, Vienna, 7-9 December 2007,
Sektion: Community in Difference. Collective Agents in Intercultural
Contexts):

»Die Fundierung eines dynamischen Gemeinschaftsbegriffs abseits kultureller


Homogenisierungen ist ein zentrales Anliegen der politischen Theorie des
mexikanischen Philosophen Luis Villoro. Er versucht dabei, die Irrungen des
liberalen Modells ebenso zu vermeiden wie die Zumutungen seines egalitären
Gegenmodells. Stattdessen nimmt er die Anerkennung des konkreten
Anderen zum Ausgangspunkt für einen Entwurf einer in sich differenzierten
Gemeinschaft, die Identität nicht auf Kosten der Differenz gewinnt, sondern
im solidarischen Ringen um Gerechtigkeit«.

Ich will in diesem Zusammenhang auf die Fruchtbarkeit dieser Perspektive für
Migrationspolitik nicht näher eingehen. Zur Erörterung der Entstehung von
Parallelgesellschaften durch Migration gehörte auch eine konstruktive
Diskussion von Parallelgesellschaften und ihren positiv-schützenden und
negativ-retardierenden Konsequenzen. Vielmehr sollen die Begriffe von
Parallelgesellschaft, Integration und Assimilation im Rahmen bestehender
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multikultureller Gesellschaftsformen weiter ausgelegt werden.

Das Konzept des »kollektiven Subjekts« Villoros berührt die Fragen der
Integration, ohne sofort Integration mittels Konzepte der Assimilation
operationalisieren zu müssen. An Stelle einer Leitkultur, in die sich
Parallelgesellschaften assimilieren müssen, tritt das romantisch gewordene
weltbürgerliche Individuum der Aufklärung auf, assimiliert sich teilweise in
einigen kulturellen Parallelgesellschaften, integriert sich in anderen, und wird
so zum Träger einer neuen Leitkultur, die Integration möglich macht, ohne
vollständig eine konkrete, traditionelle Leitkultur assimilieren zu müssen.
Assimilation betrifft nun die Aneignung von einem Set von Grundwerten.
Integration sollte in einer kulturell komplexen Gesellschaft hingegen von
»Eckwerten« ausgehen, die man auch als relevante, aber spezifische Auswahl
aus dem Set der »Grundwerte« einer konkreten, historisch gewordenen
Leitkultur und deren Leitbilder ansehen kann. Das Ergebnis kann als fraktale
Leitkultur angesehen werden, die nie ohne regionale, traditionell entstandene
Kultur auskommen kann, auch wenn diese fraktale Leitkultur eine neue
Errungenschaft ist.

Dieser Entwurf von Villoro wird sich ohne historisch gewordene bürgerliche
Leitkultur nicht umsetzen lassen, zumindest können Staaten mit Immigration
auf die zusammenhängende Vorstellung einer in der Geschichte erworbenen,
also insofern ihrerseits traditionellen Leitkultur auch dann nicht verzichten,
wenn der kulturelle Pluralismus auf Grund historischer Erfahrung etwa mit
der Internationalität von Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft bereits zu einem
Leitbildinhalt der Leitkultur geworden ist. M. a. W., hat z. B. der europäische
Nationalstaat sowohl Geschichte und somit auch traditionelle Leitbilder, aber
spätestens ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat sich die Vorstellung des
demokratisch legitimierten Rechtstaates durchgesetzt, und mit der
Entwicklung der Wirtschaft und des Tourismus eine vorsichtige Öffnung zum
kulturellen Pluralismus zumindest in der Konsumation hergestellt.

So beleuchtet Villoros Überlegungen auch die Gegliedertheit der modernen


Gesellschaft eines europäischen Nationalstaates jenseits der
institutionssoziologischen Perspektive. Die Gegliedertheit kann selbst aus
historischen oder sozialen Gründen als System von parallelen Gesellschaften
dargestellt werden. Diese sind allerdings durchwegs besser integriert als
Parallelgesellschaften, die durch Kolonisierung oder Migration entstanden
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sind. Darüber hinaus wird damit auch die Frage nach einer internationalen
fraktalen Leitkultur aufgeworfen, welche einen systematischen Aufbau des
interkulturellen Austausches auf verschiedenen Ebenen verbindlich, also
geregelt machen kann. Abgewandelt kann die Idee einer europäischen
Leitkultur in der EU nur integrative Wirkung besitzen, eventuelle
assimilierende Auswirkungen zwischen den Nationalstaaten könnten
einstweilen nur in bestimmten Bereichen mit Hilfe der Einsicht in die
Verschiedenheit in der Ähnlichkeit mit anderen großregionalen Kulturkreisen
zu erwarten sein.

Die Abwandlung zur konzeptuellen Perspektive von relativ gleich


berechtigten Parallelgesellschaften mit differenten historischen Wurzeln,
ergänzt um die Frage vorhandener oder zu erzeugender Leitbilder einer
fraktalen Leitkultur wird durch die Absehbarkeit des steigenden Bedürfnisses
nach der Implementierung von Aspekten der Idee einer »Global
Gouvernance« immer wichtiger werden. Die gesuchte interkulturelle globale
Leitkultur kann nun nicht alle bereits modernisierten, aber traditionell
entstandenen Gesellschaften verdrängen oder assimilieren. Diese angedachte
fraktale globale Leitkultur soll aber bestimmte Steuerungsfragen für
verschiedene Kulturkreise nachvollziehbar und gleichermaßen verbindlich
machen können. Aktuell steht die Finanzmarkt- und Lebensmittelmarktkrise
ganz oben auf der Agenda globaler Regelungsdefzite. Ich betrachte diese
Frage als Zielsetzung einer minimalen globalen Integrationsstrategie.

Ich werde das Konzept des nicht entindividualiserten bürgerlichen Subjekts,


das in der vorrevolutionären Aufklärung wurzelt, in seiner
kultursoziologischen und bildungssoziologischen Rollenmannigfaltigkeit im
horizontalen Konzept der Parallelgesellschaften um eine vertikale Dimension
erweitern, indem ich die Komplexität des Organisationsgrades über
verschiedene Parallelgesellschaften hinweg als Darstellungsebene einführe.
Unter dieser abstrakten Perspektive wird das von den traditionellen
Parallelgesellschaften zugleich familiär gehaltene wie politisch davon befreite
Individuum zum Mitglied der modernen Vergesellschaftung und bürgerlichen
Individualisierung-

Der nächste Schritt der Erweiterung des Konzepts des »kollektiven Agenten«
geht zum Problem der politischen Organisation einer multikulturellen
(mehrsprachlichen) Gesellschaft über. Mit dem Staat als Rahmenbedingung
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der historischen gesellschaftlichen Entwicklung wie der soziologischen


Theorieperspektive führt das zur abstrakten Bestimmbarkeit erster und
einfachster Elemente der vertikalen Dimension der Gliederung der
Gesellschaft, deren organisierter Zusammenhang ich mit dem Formenkreis
von Individuen, Gruppen, Organisationen, und Öffentlichkeit oder M a r k t
beschreiben möchte. Diese vertikale Dimension verläuft nicht nur entlang
politischer Institutionen, sondern auch entlang den Organisationsformen
verschiedener wirtschaftlicher Organisationen, und auch quer zu ouverten
Parallelgesellschaften. Diese Art von Kulturation durch ein Produkt-, Markt-
und Verbraucher-System hat die politische und militärische Konstitution in
weiten Bereichen ersetzt.

2. Einfache soziale Formationen, deren Komplexitätsgrade, Organsisation


und Interpretation in Hinblick auf politische Identität

Kollektive wie individuelle Agenten handeln in einen schon existierenden


Sozialraum. Kollektive Agenten handeln über ihre Mitglieder nach außen und
nach innen. Der individuelle Agent vermag bestehende Organisationen und
Stabsstellen (Prä-Organisationen, Stabstellen von Organisationen) auch
informell zu benutzen, wenn in der Interessenslage und Themenstellung
Übereinstimmung besteht. Kognitiv geht es bereits nicht mehr um konkrete
Zielsetzungen allein, sondern immer auch um eine Strategie der symbolischen
Handlung (Metaphorik), von einer Liste möglicher Themen die als dringlich
erkannten zu kombinieren, aber auch zu wechseln, da in einer mediatisierten
Massengesellschaft der umfassende Sozialraum als Bedeutungsraum bereits
über Negationen von Wesentlichkeit und Simulationen von Wichtigkeit durch
Aktualität, nicht über die Vorstellung von allgemeiner Zweckrationalität
identitätsstiftend wirkt.

Die Art der Entstehung kollektiver Agenten hängt von der


Ausgangsformation ab: Gruppen und Großgruppen können spontan
entstehen, Organisationen müssen geplant und gegründet werden,
Massen benötigen eine Infrastruktur, einen Anlass, und ein
spontanes Netzwerk, daß sich zu Bildung von Stabsstellen eignet.
Bei Bestand gibt es je nach Organsisationsform verschieden wahrscheinliche
Felder möglicher Folgen, zur Identitätsstiftung ist die abermalige
Organisation der verschiedenen sozialen Formationen (A)
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organisierten Gruppen, (B) Organisationen, und (C)


Massenbewegungen einerseits, und deren kultursoziologische
Beschreibung als (a) flanierende Trendsetter in Politik, Wirtschaft
und Kultur, (b) Wirtschaftsunternehmen bzw. politische
Organsisationen und c) Öffentlichkeit bzw. Markt andererseits in
einer Massengesellschaft Voraussetzung.

Die Zielsetzung von sozialen Agenten überhaupt ist erstens idealiter die
Artikulation der allgemeinen Zweckrationalität in ihren Abstufungen der
Staatsaufgaben eines zivilisierten Gemeinwesens und zweitens praktisch
vorrangig die Betonung der jeweiligen Interessen und Wertsetzungen.
Paternalismus als Rechtfertigung von Politik ist im Wesentlichen als
antihumanistische Restform von Authentizität und Legitimität anzusehen.
Allerdings können paternalistische Legitmierungen im Zusammenhang mit
emanzipatorischen Wirkungen national wie sozial nicht gänzlich
ausgeschlossen werden. So könnte man meinen, das Problem der
Koordination verschiedener Agenten läge in der demokratischen
Legitimierung, oder die Legitimität läge allein in der rechtsstaatlichen Form.
Hier sagt uns die wirtschaftliche Rationalität der Politik manchmal etwas
anderes als die historisch-soziologische Rationalität der Politikwissenschaft
und Rechtsphilosophie.

Die Legitimität in rechtsstaatlicher Hinsicht rückt in soziologischer


Perspektive ein in die Randbedingungen der umfassenden Gesamtgesellschaft,
die nicht ident mit dem Staat ist. Damit wird die Frage der Legitimität eines
Rechtsstaates in die Frage der Moral und der Bewertung verschiedener
Agenten in der Geschichte überführt. Mit der Methode bloßer historischer und
soziologischer Klassifikation wird Objektivität allerdings nur simuliert und
bringt tendenziell eine Verharmlosung der politischen Dimension der
demokratisch-rechtsstaatlich strukturierten Öffentlichkeit mit sich. Der
Spielraum der Interpretation und Bewertung ergibt sich u. a. auch daraus, daß
grob gesagt, zwischen Struktur- Ziel- und Leitbildbewußtsein verschiedene
Rationalitätstypen zur Ausformulierung tätig sind, sodaß die allgemeine
Zweckrationalität nicht grundsätzlich als System oder Handlungsanweisung
oder Algorithmus zu behandeln sein kann, sondern nur punktuell aus Einsicht
ins Mögliche und Notwendige (die eigentliche allgemeine Zweckrationalität)
zu einem wechselseitig nachvollziehbaren Handeln als Gesamtgesellschaft im
(innen-)politisch relevanten Sinn gelangen kann.
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Im Zuge der Globalisierung setzt sich die nicht-staatliche Organisationsform


von Interessensvertretung international fort. Vorläufer waren etwa
Gewerkschaften, humanistische und politische Gesinnungsgemeinschaften.
Allerdings benötigten diese neben nationaler und internationaler Organisation
Anschluss an staatliche politische Institutionen, jedenfalls entsprechende
Einflußmöglichkeiten, um die hier formulierten Bedingungen der
Organisation der Organisationsformen ausreichend zu erfüllen. Das hat sich in
den letzten Dreißig Jahren des Zwanzigsten Jahrhundert insofern durch
Weiterentwicklung des Sponsorings, der Werbewirtschaft und überhaupt mit
dem Wandel der Publizistik zu einem Teil der Medienindustrie geändert.

3. »Collective Agents« am Beispiel des Problems der Vielsprachlichkeit als


innerstaatliches und interkulturelles Organsisationsproblem.
Konstruktion und Destruktion von Rationalitätstypen

Ausgangspunkt dieses Abschnitts ist die Aussterberate der Sprachen und der
teilweise Erfolg des Modells vom modernen europäischen Nationalstaat mit
einer Hauptsprache und einer Leitkultur.

Zwei- oder mehrsprachliche Kulturen trennen die Bevölkerung mit der


Herrschaftsfunktion der Verkehrssprache. Insofern besteht ein Vorteil der
europäischen Nationen gegenüber manchen anderen Kulturnationen, weil sie
im Zuge der Industrialisierung und verzögert auch der Demokratisierung die
paternalistisch-feudale Phase der Konstitution (Herrschafts- und
Verkehrssprache versus Vielsprachlichkeit, Leitkultur versus multikulturellen
Ansatz) im historischen Maßstab weitgehend hinter sich gelassen haben. Doch
ist eine Engführung im aufgeklärten Absolutismus des Achzehnten
Jahrhunderts von Reichsidee (Herrschschafts- und Verkehrssprache) und ein
Übergang zur zentralen Nationalsstaatlichkeit (Nation als politischer
Ausdruck einer Sprach- und Kulturgemeinschaft) vorangegangen, die,
trotzdem nur eine Minderheit der europäischen Nationalstaaten im
Feudalismus zentralsstaatlich organisiert waren, dem modernen Staatsbegriff
mit zugrunde liegt.

Die Frage kann demnach nur sein, wie kann bei vielsprachigen Staaten die
angezeigte Konstitutionsphase hinsichtlich der Einführung einer
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allgemeinverständlichen Verkehrssprache intelligent ersetzt oder umgangen


werden. Die USA hat durch eine Volksabstimmung Englisch als
Landessprache gewählt, vergleichbare Akzeptanz scheint für viele Staaten
Afrikas, Asiens und Lateinamerikas nicht vorstellbar, auch nicht für Europa.
Die EU hat das Problem der Vielsprachigkeit noch nicht wirklich gelöst.

Die Probleme der Konstitutionsleistung, die ich in der Installierung einer


Verkehrssprache noch erkennen kann, scheinen mir mit der Auswahl einiger
wichtiger Sprachen, die die Vorherrschaft einer Verkehrsprache ergänzen und
einschränken, letztlich nur verschoben worden zu sein. Ich ersehe daraus, daß
die Vielsprachlichkeit ungeachtet der berechtigten Forderung nach Erhaltung
von Kulturräumen weiterhin auch als Problem in der Organisation eines
Staatswesens angesehen werden muß.

Die Frage, die sich mir stellt, ist also doppelt gefaßt:

(1) Wie können mehrsprachliche Wirtschaftsräume oder auch eng


zusammenarbeitende Nationen das Problem der Vielsprachlichkeit
bei ihrer Organisation angemessen lösen.
(2) Wie können mehrsprachliche Wirtschafts- und Kulturräume
innerhalb eines Staates das Problem der Vielsprachlichkeit bei ihrer
Organisation angemessen lösen.

Wie bereits deutlich geworden ist, liegt die eigentliche Schwierigkeit darin,
was man jeweils als »angemessen« ansehen will. Die militärische Konstitution
ist weitgehend zu recht geächtet, ähnlich zwangsweise
Assimilierungsmethoden, obwohl weltweit in verschiedenen Formen
verbreitet.

Meine erste globale These ist nun, daß die Organisationsformen von
Wissenschaft, Bildung und Wirtschaft, auch lokale soziale Institutionen, in
einer gewissen Unabhängigkeit von politischen Institutionen die Aufgabe der
Vereinfachung der Sprachenmannigfaltigkeit übernehmen. Das kann nicht
ohne entsprechende politische Willensbildung erfolgen, sehe ich aber
grundsätzlich als Verlagerung der Aufgabenstellung von staatlichen zu nicht-
staatlichen Organisationen, die allerdings dann auch staatlich aus
verschiedenen Gründen und im verschiedenen Ausmaß unterstützt werden
müssen.
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Meine zweite, speziellere These zur Vereinfachung der Sprachmannigfaltigkeit


zu einem System von Verkehrssprachen ist, daß eine Organisationsform der
Grundformen der sozialen Interaktion gefunden werden muß, welche also
Gruppe, Großgruppe, Organisation und Öffentlichkeit bzw. Markt umfaßt, um
nachhaltig eine große Zahl in der Bevölkerung zu erreichen. Unter diesem
Aspekt kann man die Computerbranche betrachten, indem sowohl mehrere
Sprachen, aber eben nicht alle, ein muttersprachliches Betriebssystem haben.
Insofern fungiert die Computerbranche als »collective agent« hinsichtlich der
Selektion der Vielsprachlichkeit zur Mehrsprachlichkeit.

Wie zu beobachten ist, unterliegen auch europäische Sprachen in Bereichen


der Wissenschaft und der Wirtschaft der Verdrängung der einzelnen National-
und Kultursprachen. M. a. W., die Konstitution erfolgt nach Branchen entlang
der Vorstellungen der Wissenschaftsrationalität und der
Wirtschaftsrationalität. Somit kann ohne weiters gesagt werden, daß
wissenschaftliche und wirtschaftliche Organisationen nicht nur die Rolle von
»collective agents« wahrnehmen und historisch wahrgenommen haben,
sondern auch als Teil dieser intelligenteren Weise der Konstitution angesehen
werden können. Dazu ist unabhängig vom Ausgangsinteresse der
Konstitution einer interkulturellen Ebene der Widerstreit von Konstitution
und Regionalkultur in den Blick zu nehmen und in welcher Hinsicht die
Argumente der einen wie der anderen Seite zumindest funktional sind.
Grundsätzlich ist für eine Mischung von Leitsprachen je nach Kulturbereich
zu plädieren.

An dieser Stelle der Überlegung halte ich es auch für angebracht, auf die
Verschiedenheit von Rationalitätstypen hinzuweisen, was aber nicht dazu
führen soll, die mit dem Widerstreit von allgemeineren Konstitutionsinteresse
und besonderen Regionalinteresse aufgetane Problematik nur unter der
Perspektive des Übersetzungsproblems behandeln zu wollen, oder
vorzugeben, es ließe sich dieser Widerstreit grundsätzlich durch Analyse so
weit bringen, daß es einfache Lösungsmodelle für die aufgeworfenen Fragen
geben könnte, die befriedigend sein könnte. Der Gebrauch des Konzepts von
Rationalitätstypen kann hier nicht vollständig erörtert werden, doch es gibt
zwei Richtungen weiterer Differenzierung: Die eine Klassifizierung beruht auf
historische Gemeinbilder, und ist veränderbar, die andere Klassifizierung
versucht, geregelt kommunizierbare und formalisierbare Typen von
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Vorgangsweisen zu vergleichen und nach Adequanz der Kriterien der


Erfüllung einzuteilen. Doch sind letztere ebenfalls veränderlich und im
Nachhinein als Reaktion auf das Gewöhnte (Rupert Riedel: ratiomorphically),
vielleicht sogar als Reflexion auf Verhaltensmuster, deren Prinzipien und
Konsequenzen zu denken.

Dazu querstehend bleibt m. E. grundsätzlich zum interdisziplinären Aspekt in


aller Kürze nur sagen übrig, daß die Verwandtschaft und Verknüpfungen
zwischen Wirtschaftsrationalität und Wissenschaftsrationalität keineswegs so
durchgehend sind, daraus auf einen gemeinsamen Rationalitätstypus
schließen zu können; ich hielte dergleichen, erst recht eine Identifikation, für
eine erkenntnisidealistische Übertreibung. Zum Beispiel: Nachdem
Wissenschaft, Technik, Wirtschaft und Markt organisatorisch
zusammengeschlossen worden sind, wird Wirtschaftsrationalität mit
wissenschaftlichen Rationalitätsformen, insbesondere mit der
Rationalität der mathematischen Naturwissenschaften identifiziert. Das
sind drei grobe Mißverständnisse.

Allerdings spricht auf niedrigerer Anspruchsebene für die organisatorische


Verlagerung der Konstitution vom Staat zu Wirtschaft die Eigenschaft,
gesellschaftliche Probleme nicht zu analysieren, sondern in der Reihenfolge
des Auftretens pragmatisch zu lösen. Diese allgemein aus
bildungssoziologischer Sicht beklagenswerte Tendenz kann im Sinne der
Beteiligten funktional sein, schon allein dadurch, indem auch durch diesen
blinden Prozess das Problem in Teilprobleme zerlegt wird.

4. Kognitiv-affektive Positionen im affektiven Feld der Gesellschaft


unter einer Staatsidee. State-building in schwachen Staaten.

Im Fall eines einfachen Staates mit hinreichend erfüllten Funktionen (insbes.


Ulrich Schneckener: States at Risk, FoS Staatsbildung und Staatszerfall, Eva
Kreisky, SoSe 2007. Zur Analyse fragiler Staatlichkeit) behaupte ich ein affektives
Feld zwischen Individuen und Gruppen und dem Staatswesen. das zugleich
ein Integrationsfaktor der Gesellschaft ist. Die Bindung ist einerseits an den
Erwartungshaltungen an die Gesellschaft und an den Staat zu ersehen und
wird andererseits kognitiv mit Vorstellungen von der eigenen Position in der
Gesellschaft nach Struktur (Organisationsform), Zielsetzungen in Gesellschaft
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und im Staatswesen und geschichtlichem Leitbild ausgedrückt (nach Struktur,


Ziel, Leitbild als symbolisches »Meta-Alpha« einer Organisation, in: Herbert
Rauch, Prinzip der Herausforderung — in Gruppe, Masse, Organisation und
Gesellschaft. Entwurf einer psychosozialen Theorie des „Politischen“, 1986). Ich
verknüpfe damit idealiter die Idee der politischen Identität.

Schon ab dem 17. Jahrhundert wurde die Frage nach der Herrschaftsform
allmählich im Zusammenhang mit der Frage nach der allgemeinen
Zweckmäßigkeit gestellt. Die Modernisierung der traditionellen Gesellschaften
in Europa ab dem späten 18. Jahrhundert, die bis in das frühe und mittlere 20.
Jahrhundert gedauert hat, hat auch gezeigt, daß sich die Fragen der
Organsiation von Wirtschaft und politischen Entscheidungsfindungsprozessen
entlang von Strukturfragen und Zielsetzungsfragen entwickelt haben (Adam
Smith in England, Quasnay in Frankreich). Das aber berührt die zentralen
Fragen, die zum politischen Kern des Leitbilds einer Gesellschaft gehört.

Insofern ist die bürgerliche Existenz, obwohl als universielles Menschenrecht


proklamiert, schon in sich selbst in der Krise: Das europäische Bürgertum hat
die Spaltung in idealistisches vorindustrielles und vorrevolutionäres
Bürgertum und in zuerst romantisches, industrielles, politisch nur teilweise
postrevolutionäres Bürgertum offenbar nicht ganz überwunden, und
exportiert eine bleibende politische Dissoziation zwischen vorindustrieller
Aufklärung und postindustriellem Kapitalismus in der westlichen Gesellschaft
als Modell eines Staates, der nicht nur an den Leistungen nach innen gemessen
wird, sondern in Hinsicht seiner Funktionalität für die Nachbarn und
nunmehr insbesondere für die Weltwirtschaft zu beurteilen ist (vgl. auch
Kalevi J. Holsti: The strenght of states, 6. perils of the weak, in: Eva Kreisky, FoS
Staatsbildung und Staatszerfall, ebenda).

Dieser Druck von Außen kann nun helfen, die Kohärenz der Gesellschaften in
eher schwachen Staatswesen, aber mit Resourcen als gemeinsame
Herausforderung zu sehen, die innerstaatliche Vielssprachlichkeit und
Multikulturalität (ob historisch gegeben oder durch Migration innerhalb der
letzten drei bis vier Generationen entstanden) durch eine Prioritätenliste den
Identitätskonflikt als Staatswesen gegenüber den Parallelgesellschaften
aufzuschieben, und zu vereinbaren, diesen Konflikt nicht aggressiv und
gewaltsam auszutragen, sondern in Teilkonflikte zu zerlegen, die wenigstens
teilweise lösbar sein sollten.
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Wie ersichtlich geworden ist, gibt es schon vorneweg verschiedene


Rationalitätstypen zu beachten, die zum statebuilding benötigt werden, bevor
noch historisch gegebene regionale Binnenunterschiede zur Interpretation
herangezogen werden. Kann man nun ein gemeinsames affektives Feld um die
Idee eines gemeinsamen Staatswesen annehmen, möchte ich damit auch eine
Topologie der affektiv-kognitiven Orientierbarkeit annehmen, ohne wie
Herbert Rauch noch eine bestimmte soziale Organisationsform (Gruppe,
Großgruppe, Organisation und Stab, Masse und Öffentlichkeit) konkret
weiters anzusprechen. Ich muß ein Mindestmaß an Organisiertheit der
Gesellschaft über die gruppale Organisiertheit der Familie und
Sippengesellschaft hinaus voraussetzen können, damit auch ein Mindestmaß
der Organisiertheit der verschiedenen grundlegenden sozialen Formationen.
— Ich will nun von einer Situation ausgehen, die zwischen dem idealisierten
Staat, der selbst schon zwischen Gewaltmonopol nach innen und dessen
Legitimationsproblematik einerseits und völkerrechtlichen und
weltwirtschaftlichen äußeren Bedingungen als Idee eine dissoziative
Vorstellungsmasse ist, und der Vorstellung eines »failured state« liegt (risk
state). Ich will mich desweiteren wieder vorwiegend auf die inneren
gesellschaftsbauenden Funktionen eines Staatswesens abstrakt beziehen.

Das vorin postulierte affektive Feld einer Staatsidee kann nun nach den
gruppendynamischen und soziodynamischen Positionen (nach Raoul
Schindler und Herbert Rauch) von Alpha, Beta, Gamma und Omega (hier A,
B, C, D) orientiert werden. Hiebei verstehe ich folgende soziodynamische
Orientierungsachsen im Falle erkennbarer Aktivität als Faktoren
stabilisierender Beziehungspotentalitäten:

A — C : Mainstream

A — B : Stab, Bürokratie als Herschaftsinstrument

B — C : Bürokratie als Dienstleistung

Folgende aktive soziodynamische Achsen sind als Hinweise auf


destabilisierende Konfliktzonen zu betrachten:

A — O : Vorherrschaft oder Versagen


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B — O : Verschwörung oder Ausschluß

C — O : Rebellion oder Progrom

In Folge eines Mangels von A — C kann es zu A — O unter Drohung von C —


O oder beiden kommen, wobei B — O nur eine Durchgangsphase wäre. Dieser
Mangel von A — C kann durch einen Mangel von B — C und/oder A — B
hervorgerufen worden sein.

Ein Mangel von A — B kann aber auch zu B — O –Potentialität führen, wenn


A — C noch hinreichend funktioniert (vielleicht weil B — C noch funktioniert
oder ein politischer Wechsel für diesen Bereich als noch schlimmer dargestellt
werden kann). Dann gerät A — B wegen des Mangels genügend unter
internen Druck und B unter verstärktem Druck von A, sodaß eben B — O
Potentialität aufbaut, ohne das ein offener A — O – Konflikt ausbricht
und/oder C — O – Potentialität aktualisiert wird.

Ein Mangel von B — C führt zur einseitigen A-lastigen Stärkung von A — B,


die zwar C — O – Potentalität aufbaut, aber ohne B — O zu schwache
Konzepte oder eine zu schwache Position für die Aktualisierung, oder der
Drohung mit Aktualisierung besitzt (vgl. hingegen Carl Schmitts Definition
des Machtzentrums).

Entlang dieser soziodynamischen Orientierungsachsen, die selbst strikt


inhaltsneutral zu denken sind, kann man wieder von Rationalitätsmuster
sprechen, woraus sich eine konkrete Rationalitätsform der Kommunikation
über die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen den genannten
Dimensionen des kollektiven Selbstverständnisses erst zusammensetzen läßt.
In der idealen Zusammensetzung dieser Rationalitätsmuster entlang A — C
kommen verschiedene Rationalitätstypen vor: Leitbild beinhaltet historische
und wertende Überlegungen, Ziel beinhaltet teleologische, ökonomische und
betriebswirtschaftliche Ziele (aktive soziale Erwartungshaltungen), Struktur
beinhaltet passiv soziale Erwartungshaltungen und hat selbst wieder starke
Anteile bloß gewohnheitsmäßiger Erwartung (ratiomorphically). Aus dieser
Zusammenfassung geht zwanglos hervor, daß verschiedene Rationalitätstypen
in den jeweiligen Feldern der Überlegungen vorkommen, und daß diese
entlang der inneren Bezogenheit der Reflexionsstruktur auf Leitbild, Ziel,
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Struktur in verschiedenen (nicht in allen denkmöglichen) Kombinationen


vorkommen.

Bewegt sich nun ein risk state mit Mängel in Funktion und Legitimation in
Richtung failured state, so gibt es ein privilegiertes Staatsvolk, daß zum
realpolitischen A die A — C – Achse ergibt, und eine institutionalisierte
Tendenz, diejenigen, die nicht zum Staatsvolk gezählt werden, zu
diskriminieren., also in Richtung O zu verschieben. Das betrifft zuerst A — B
und B — C, und geht im Falle von Widerstand bis zur eingeschränkten
terrirorialen Verfügung, was das Potential von A — O gefährlich hoch
schraubt, auch wenn O keine reelle Chance hat, selbst die Position von A
einzunehmen, oder sich territorial wie der Staatsidee nach vom Ausgangsstaat
zu trennen.

Auf dieser theoretischen Abstraktionsebene lassen sich nun entlang der


Verhältnisse der Achsen zwischen den aus der Gruppendynamik gewonnenen
dynamischen Positionen ein Gerüst affektiv-kognitiver Orientierung
konstruieren, das erst erkenntlich machen soll, wann die allgemeinen
Vorbedingungen für einen wirksamen rationalen Diskurs eingetreten sind,
und bei welchen Themenkreisen der Diskurs zu beginnen hat.

5. Skizze einer dreidimensionalen Dynamik des Gesellschaftsmodells.


Bildung und bürgerliche Individualität

Das angestrebte Modell soll die horizontale Ebene der Parallelgesellschaften


und die vertikale Ebene der Organisationsformen mit dem Feld der affektiv-
kognitiven Orientierung verbinden. Letzteres ist unter diesen
Voraussetzungen immer das der selbst fraktalen Leitkultur.

Ich formuliere drei Ziele der projektierten Theoriezusammenführung:

(a) Die Fraktionierung des Gesellschaft nach Parallelgesellschaften in


traditionelle Kulturen, soziale Schichten (Bildung/Einkommen),
politische Parteien.
(b) Die Fraktionierung der Parallelgesellschaften nach verschiedenen
kulturellen und politischen Vorstellungen von Struktur-, Ziel- und
Leitbild der fraktalen Leitkultur
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(c) Die Rekombination der sich aus der doppelten Fraktionierung


ergebenden Elemente zu Projekten mit optimierten Synergien und
wahrscheinlicher Akzeptanz der öffentlichen Argumentation.

Diese grobe Vorplanung hat die Neigung, konsensuale Projekte zu


begünstigen, was als Rahmenbedingung des jeweiligen Maßnahmenkatalogs
diesen auch zu sehr beschneiden könnte. Allerdings ist der Horizont der
Themenstellung hier ein besonderer: Es geht gerade um die Organisation der
Gliederung der Gesellschaft, und derjenigen Problemstellungen, die diese
Gliederung jeweils mit sich bringt. Geht man vom extremen Fall eines
Übergangs von risk state zu failured state aus, versteht sich von selbst, daß
koordinierte integrative Maßnahmen Priorität besitzen.

Weiterhin bleiben aber gewisse zentrale Vorstellungen mit dem bereits


erreichten Problembewußtsein der Organisation von modernen
Massengesellschaften notwendigerweise verbunden, die nur durch
persönliche Überzeugungskraft zustande kommen. Insofern krankt das
Konzept an der nämlichen Stelle wie der Entwurf von Villoro. Es reicht nicht
aus, Konzepte der Organisation zu implementieren, es muß auch an den
Gründen der Motivation gearbeitet werden.

Man kann aus der oben gegebenen Darstellung verschiedene Schichten


postulieren, die eine bestimmte Variation von Motiven erwarten lassen. So ist
anzunehmen, daß die sozial besser ausgerüsteten Schichten durchwegs einen
höheren Anteil an Motivation aus Inhalten der Leitbilder der fraktalen
Leitkultur besitzen. Man ersieht daraus, wie die Leitbilder der fraktalen
Leitkultur in einer Gesellschaft mit funktionierendem Staat auch aus einen
inhaltlichen, konzeptuellen Grund einen politischen Anteil, nicht nur eine
politische Funktion haben.

Aus einer ganz anderen theoretischen Perspektive könnte man auch von
Flächen von Werthaltungen sprechen, die negativ durch Gewichtung oder
Ausblendung von Themenkreisen, positiv durch Hervorhebung von
Themenkreisen und Personalisierungen umrissen werden können. — Die
historische Dimension der Werthaltungen und der Gründe deren
Veränderungen führt zum nächsten Perspektivenwechsel: Bildung ist
keinesfalls nur Ausbildung in Techniken der Organisation von
Organisationsformen, Bildung ist auch nicht einfach gleich zu setzen mit
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Wissen (als geordnete und prüfbare Kenntnis). Bildung benötigt einen


Standpunkt und Wissen, das in der Welt orientiert ist. Aber obwohl ich mich
um eine allgemeine, kulturinvariante Terminologie der Bildungssoziologie
bemühe, ist doch klar, daß damit Varianten des westlichen demokratisch
legitimierten Rechtstaates (interne) mit liberalen Wirtschaftsgesetzen (externe
Herausforderung) anvisiert werden.

Kultursoziologisch und bildungssoziologisch muß gesagt werden, daß das


Ideal des unternehmenden, selbstständigen Bürgers nach wie vor im
Menschenbild dieser Konstruktion einen zentralen Platz einnimmt. Allerdings
muß auch gesagt werden, daß die für den verstärkten Konkurrenzdruck im
Zuge der neuen Qualitäten der Globalisierung (Tempo, Vernetztheit) passende
neoliberale Konzepte die Globalisierung noch schneller vorantreiben. Das läßt
zweierlei erkennen:

(1) Das individuelle Modell des Bürgers ist nicht für alle explizte
vorgesehen. Das verstärkt die Konkurrenz, was zunächst Vorteile mit
sich bringt, aber ohne Kanalisierung unkontrolliert in
zusammenhängende Demotivation umschlägt.
(2) Das individuelle Modell des Bürgers ist zunehmend von der
Wirtschaftsrationalität dominiert. Das wirkt als Erleichterung, denn die
Verschiebung des Staatsgedankens von einer schmalen Elite zu einer
breiteren Elite hat Politik historisch mit dem spätromantischen
Nationalismus assoziert (der zeitgenössische österreichische
Dramatiker Grillparzer: Von der Aufklärung zum Nationalismus zur
Bestialität).

Wie schon vorbereitet, driftet die Bildung, die zur Innovationen im Bereich des
Formenkreises der Parallelgesellschaften zwischen Multikulturalität und
Interkulturalität vorausgesetzt ist, von der Bildung des nach Kriterien der
wirtschaftlichen Rationalität ausgebildeten Bürgers zunehmend weg. Das ist
eine Kritik an der globalen interkulturellen Leitkultur, die vom Westen
ausgeht (Max Webers Hypothese der protestantischen Wirtschaftsethik hat
sich insofern indirekt historisch bestätigt). Bleibt die Frage, die ich im ersten
Punkt aufgeworfen habe: Das Konzept der Parallelgesellschaften als
Gliederungskriterium der Gesellschaft befähigt die moderne bis postmoderne
Bildungsidee damit auch Konzepte nur für »implizite Bürger« zu entwerfen,
die, von der gesellschaftlichen Dynamik weitgehend abgekoppelt, als
-— 16 —

Parallelgesellschaft nur mehr mit einer noch weiter eingeschränkten


Solidarität rechnen dürfen. Diese Auslagerung entzieht öffentliche
Aufmerksamkeit, somit in Folge auch tendenziell soziale Solidarität. Das
berührt entscheidend die Frage nach der Gewichtung und Ausblendung von
Leitbildinhalten der Leitkultur.

Diese Kritik soll nicht davon ablenken, daß die Nachhaltigkeit der
Themenstellung der Multikulturalität und Interkulturalität von der
Wirtschaftsdynamik der Globalisierung zugleich befördert wird. Das kann
man als Rückkoppelung verstehen, die der historischen und humanistischen
Bildungstradition im Verbund mit der kritischen Betrachtung aller Gründe der
gesellschaftlichen Dynamik anhand der Perspektive der Gegliedertheit der
Gesellschaft in Parallelgesellschaften einen neuen Ansatz erlauben könnte.

Bertold, Bernreuter, Kultureller Pluralismus als zivilisatorische Option:


Dekonolisierung des Denkens bei Guillermo Bonfil Bataila, in: PostModerne
De/Konstruktionen: Ethik, Politik und Kultur am Ende einer Epoche. Papers from the
5th Konferenz zur Postmoderne, held Nov. 22-24, 2002, at the Friedrich-
Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Hrsg. von Susanne Kollmann,
Kathrin Schödel

Wolfgang Cernoch, Zwei dynamische Perspektiven der Gesellschaftslehre:


Nationalökonomie und Kultursoziologie, in: Verdrängter Humanismus —
Verzögerte Aufklärung, Bd. 5, Im Schatten derTotalitarismen. Vom
philosophischen Empirismus zur kritischen Anthropologie. Philosophie in Österreich
1920-1951. Hrsg. Michael Benedikt, Reinhold Knoll, Cornelius Zehetner,
Wiener Universitätsverlag 2005

Kalevi J. Holsti: The strenght of states, six perils of the weak, in: Eva Kreisky,
FoS Staatsbildung und Staatsverfall, SoSe 2007, Protolkoll 09. 05. 2007

Herbert Rauch, Prinzip der Herausforderung — in Gruppe, Masse, Organisation


und Gesellschaft. Entwurf einer psychosozialen Theorie des „Politischen“.
Konzeptionen, Fallstudien, Vergleichsanalysen, Studien zur Hochschulbildung,
Hrsg. E. A. van Trotsenburg, K. Ulbrich, K. Zillober, Bd. 5. Peter Lang,
Frankfurt am Main, Bern, New York, 1986
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Ulrich Schneckener: States at Risk. Zur Analyse fragiler Staatlichkeit, in: Eva
Kreisky, FoS Staatsbildung und Staatsverfall, SoSe 2007, Protolkoll 09. 05. 2007

Luis Villoro, Estado plural, pluralidad de culturas, México City – Buenos Aires –
Barcelona 1998

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