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4 Bioenergetik und Enzymologie


Thomas Kriegel, Wolfgang Schellenberger

4.1 Thermodynamik und allgemeine Bioenergetik – 100


4.1.1 Einführung in die Thermodynamik – 100
4.1.2 Energietransformation und Energiegewinnung in der Zelle – 104

4.2 Katalyse in biologischen Systemen – 107


4.2.1 Struktur und Funktion der Biokatalysatoren – 107
4.2.2 Nomenklatur und Klassifizierung der Enzyme – 112
4.2.3 Multiple Formen von Enzymen – 113
4.2.4 Ribozyme als Biokatalysatoren – 114
4.2.5 Bestimmung der katalytischen Aktivität der Enzyme – 115

4.3 Mechanismen der Enzymkatalyse – 117

4.4 Enzymkinetik – 121


4.4.1 Michaelis-Menten-Gleichung – 121
4.4.2 Enzymhemmung und Enzyminhibitoren – 124
4.4.3 Einfluss von Temperatur, pH-Wert und Oxidationsmitteln – 127

4.5 Regulation der Enzymaktivität – 129


4.5.1 Veränderung der Enzymmenge und der Substratkonzentration – 129
4.5.2 Einfluss von Enzymeffektoren – 129
4.5.3 Covalente Modifikation des Enzymproteins – 131

4.6 Enzyme in der Medizin – 134


4.6.1 Einsatzgebiete für Enzyme – 134
4.6.2 Klinische Anwendung von Enzyminhibitoren – 134
4.6.3 Bestimmung von Enzymaktivitäten und Metabolitkonzentrationen – 135
4.6.4 Diagnostische Bedeutung von Isoenzymen – 137
4.6.5 Enzyme als Signalverstärker bei diagnostischen Verfahren – 137

Literatur – 139
100 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

> > Einleitung

Für das Leben gelten dieselben physikalisch-chemischen Gesetzmäßigkeiten wie für die unbelebte Natur. Diese Erkenntnis hat
die Betrachtungsweise biologischer Systeme revolutioniert. Aus der bioenergetischen Analyse der Lebensprozesse geht hervor,
dass die Hauptsätze der Thermodynamik auch für lebende Systeme zutreffen und dass mit ihnen der Energieaustausch eines
biologischen Systems mit seiner Umgebung beschrieben werden kann. Auf diese Weise kann die Richtung der in einem Orga-
nismus ablaufenden chemischen Reaktionen vorausgesagt, nicht aber deren unerwartet hohe Geschwindigkeit erklärt werden.
Mit der Entdeckung und Charakterisierung der Enzyme als der nur in lebenden Systemen vorkommenden Katalysatoren wurde
dieses Problem gelöst. Die ungeheure Vielfalt der in den Zellen existierenden Proteinstrukturen bildet dabei die molekulare
4 Grundlage für die bislang unübertroffenen Fähigkeiten der Enzyme als Biokatalysatoren. Enzyme bilden spezifische Bindungs-
stellen aus, die nicht nur eine selektive Anlagerung und Umsetzung von Substraten ermöglichen, sondern darüber hinaus auch
eine präzise Anpassung ihrer katalytischen Aktivität an die aktuelle Stoffwechselsituation in einer Zelle gestatten.

4.1 Thermodynamik und allgemeine stoffabhängigen Oxidation komplexer organischer Mole-


Bioenergetik küle (Kohlenhydrate, Proteine, Fette) zu Kohlendioxid,
Wasser und Ammoniak bzw. Harnstoff.
4.1.1 Einführung in die Thermodynamik
! Die Hauptsätze der Thermodynamik beschreiben die
Erhaltung und Transformation von Energie.
! Die Energie zur Aufrechterhaltung der Lebensvorgänge
auf unserem Planeten entstammt dem Sonnenlicht. Aus der in . Abbildung 4.1 dargestellten Betrachtung der
Energieflüsse geht hervor, dass die Vorgänge der Energie-
In . Abb. 4.1 ist der das Leben auf der Erde bestimmende transformation für alle Lebensprozesse eine fundamentale
Energiefluss in schematischer Form dargestellt. Durch Bedeutung besitzen. Die Gesetzmäßigkeiten der Energieer-
Kernfusion entsteht in der Sonne Energie, die zum großen haltung und der Energietransformation in der unbelebten
Teil in Form von Licht abgestrahlt wird. Auf der Erde kann Natur sind in den Hauptsätzen der Thermodynamik for-
Lichtenergie zur Biosynthese der verschiedenen Bausteine muliert. Die gleichen physikalisch-chemischen Gesetz-
lebender Organismen verwendet werden. Zu diesem als mäßigkeiten gelten auch für lebende Systeme.
Photosynthese bezeichneten Prozess sind chlorophyll- Bei einer thermodynamischen Analyse ist es notwen-
haltige Pflanzen und einige Mikroorganismen befähigt. Die dig, zwischen einem System und seiner Umgebung zu un-
Leistung dieser photosynthetisch-autotrophen Organis- terscheiden. Unter einem System ist das im Zentrum der
men besteht darin, mit Hilfe von Sonnenlicht biologische Betrachtung stehende Objekt – z.B. eine Zelle – zu verste-
Makromoleküle aus einfachen Substanzen wie Kohlen- hen. Seine Umgebung besteht aus der Materie des gesamten
dioxid und Wasser herzustellen und molekularen Sauerstoff übrigen Universums. Ein System kann offen, geschlossen
zu erzeugen. Ein anderes Stoffwechselprinzip ist bei den oder abgeschlossen (isoliert) sein. Offene Systeme können
heterotrophen Organismen verwirklicht, zu denen neben Materie und Energie mit der Umgebung austauschen, ge-
Bakterien, Pilzen und tierischen Organismen auch der schlossene Systeme sind nur zum Energieaustausch befä-
Mensch gehört. Diese beziehen die zur Aufrechterhaltung higt. Isolierte Systeme tauschen weder Energie noch Mate-
ihrer Lebensfunktionen benötigte Energie aus der sauer- rie mit der Umgebung aus.

. Abb. 4.1. Quelle der biochemischen


Energie und Energiefluss zwischen
autotrophen und heterotrophen
Organismen
4.1 · Thermodynamik und allgemeine Bioenergetik
101 4

! Erster Hauptsatz der Thermodynamik: Die Energie des


Universums ist konstant.

Innere Energie. Energie kann weder erzeugt noch vernich-


tet werden. Während eines physikalischen oder chemischen
Vorganges kann ein System Energie an die Umgebung ab-
geben oder von ihr aufnehmen. Dabei muss jede Änderung
der Energie des Systems von einer entsprechend entgegen-
gesetzten Änderung des Energiegehaltes des Universums
ausgeglichen werden. Die innere Energie eines Systems
verändert sich ('U), wenn es aus seiner Umgebung Energie
aufnimmt oder an die Umgebung abgibt. Dies kann entwe-
der durch Wärmeaustausch ('Q) erfolgen oder dadurch,
dass das System Arbeit leistet bzw. Arbeit am System geleis-
tet wird ('A). Es ist üblich, den Energiefluss vom System
aus zu betrachten. Die Leistung von Arbeit bzw. die Abgabe
von Wärme wird dabei mit negativem, die Aufnahme von
Arbeit bzw. von Wärme mit positivem Vorzeichen verse- . Abb. 4.2. Zunahme der Entropie in einem thermodynamisch
hen. Entsprechend gilt geschlossenen System

(1) Die Entropie eines isolierten Systems bleibt bei völlig


reversiblen Prozessen konstant. Bei irreversiblen Prozes-
Reaktionsenthalpie. Nach dem 1. Hauptsatz der Thermo- sen kommt es zu einer Entropiezunahme. Prominente
dynamik muss eine Verringerung des Energiegehaltes kom- Beispiele für irreversible Prozesse, die von einer Zunahme
plizierter organischer Moleküle bei deren Oxidation zu an Entropie angetrieben werden, sind der Wärmeaus-
einfachen Verbindungen mit der Freisetzung von Energie tausch zwischen zwei Körpern verschiedener Temperatur
einhergehen. Dabei muss die in Form von Wärme bzw. Ar- oder der Konzentrationsausgleich zweier Lösungen durch
beit abgegebene Energiemenge der Abnahme der inneren Diffusion. Der letztgenannte Prozess ist in . Abb. 4.2 illus-
Energie der oxidierten Substanzen entsprechen. Die Reak- triert. In dem durch eine permeable Membran unterteil-
tionsenthalpie (ΔH) gibt an, wie viel Reaktionswärme un- ten Gefäß kommt es zu einem Fluss der gelösten Mole-
ter isobaren Bedingungen bei einer Reaktion frei wird oder küle vom Ort hoher Konzentration in Richtung niedri-
zugeführt werden muss. Ist die Reaktionsenthalpie negativ ger Konzentration. Obwohl es keinen Verstoß gegen den
('H < 0), so bedeutet dies, dass bei der Reaktion Wärme- 1. Hauptsatz der Thermodynamik darstellen würde, fin-
energie freigesetzt wird. Die Reaktion ist exotherm. Ist det niemals eine spontane (freiwillige) Anreicherung
'H > 0, kommt es nur dann zum Reaktionsablauf, wenn der Moleküle in einer Hälfte des Gefäßes statt. Der spon-
dem System Wärmeenergie zugeführt wird. Es handelt sich tane und irreversible Konzentrationsausgleich geht mit
um eine endotherme Reaktion einer Zunahme der Entropie des Systems einher, die dann
ihren Maximalwert erreicht, wenn die gelösten Moleküle
! Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik: Die Entropie
gleichmäßig im Lösungsraum beider Kammern verteilt
des Universums nimmt zu.
sind.
Entropie. Der erste Hauptsatz der Thermodynamik liefert Das Universum stellt ein isoliertes System dar. Betrach-
mit der Energiebilanz eine Rahmenbedingung für physika- tet man ein in das Universum eingebettetes offenes System,
lische und chemische Prozesse. Er trifft keine Aussage da- so kann man die durch einen Prozess im offenen System
rüber, ob eine Reaktion stattfindet oder nicht und welcher verursachte Entropieänderung in einen Anteil, der die Ver-
von vielen möglichen Zuständen gleicher Energie der wahr- änderung der Entropie im offenen System und einen weite-
scheinlichste ist. Der im 2. Hauptsatz der Thermodynamik ren Anteil, der die Veränderungen in der Umgebung be-
eingeführte Begriff der Entropie hat sich als ein wertvolles schreibt, zerlegen:
Instrument zur Beantwortung dieser Fragen erwiesen. In
der statistischen Thermodynamik ist die Entropie ein Maß (2)
für die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Zustandes.
Isolierte Systeme streben eine möglichst gleichmäßige Ver- Genau dann, wenn 'Sgesamt>0 ist, kann der Prozess spontan
teilung ihrer Energie auf alle möglichen mikroskopischen ablaufen. Die Entropie der Umgebung steigt dabei vor allem
Bewegungsformen an. Die Energie verteilt sich dabei auf durch die von dem System abgegebene Wärme.
dem Weg zum thermodynamischen Gleichgewicht mög-
lichst »unordentlich« auf die Freiheitsgrade des Systems. ! Lebewesen sind notwendigerweise offene Systeme.
102 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

Die Entropie eines offenen Systems kann dann abneh- der freien Enthalpie eines Reaktionssystems als Summe
men, wenn der Export von Entropie pro Zeiteinheit den der Änderungsbeträge der freien Enthalpien der einzelnen
Betrag der Entropieproduktion im Inneren übersteigt. Reaktionsschritte berechnet werden. So ist der 'G-Wert für
Ein Entropieexport kommt aber nicht spontan zustande, die Oxidation der Glucose zu CO2 und H2O unabhängig
sondern erfordert eine »Entropiepumpe«, für deren Be- davon, ob diese Reaktion im Zellstoffwechsel oder durch
trieb Energie benötigt wird. Der Betrag der zuzufüh- direkte Verbrennung stattfindet.
renden Energie muss dabei die Änderung der inneren Der Begriff »spontan« beschreibt, dass die Reaktion
Energie und die innere Entropieproduktion ausgleichen. thermodynamisch möglich ist. Er erlaubt keine Aussagen
Nach Erwin Schrödinger (1944) besteht das Wesen des über die Geschwindigkeit, mit der die Reaktion abläuft.
4 Stoffwechsels in einem Entropieexport, dessen Betrag
! Die Änderung der freien Enthalpie hängt von der
sowohl die Änderung der Enthalpie als auch die Entropie-
Gleichgewichtskonstanten der Reaktion und von der
erzeugung im System abdecken muss. Lebewesen sind des-
Zusammensetzung des Reaktionsgemisches ab.
halb notwendigerweise offene Systeme. Erst durch den
Austausch von Energie und Materie mit der Umgebung Konzentrationsabhängigkeit der freien Enthalpie. Aus-
wird die Schaffung und Erhaltung komplexer biologischer gangspunkt der Betrachtung sein eine Reaktion mit zwei Aus-
Strukturen möglich. gangsstoffen (A, B) und zwei Reaktionsprodukten (C, D):
aA + bB cC + dD (4)
Freie Enthalpie. Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik
gibt Antwort auf die Frage nach der Freiwilligkeit eines Pro- Die molare Änderung der freien Enthalpie (auch freie Re-
zesses: Die Entropie muss zunehmen. Bei der Anwendung aktionsenthalpie genannt) ist gegeben durch:
dieser einprägsamen Aussage auf offene Systeme muss al-
lerdings die Entropieänderung des Systems und die der (5)
Umgebung beachtet werden (Gl. 2). In der Gibbs-Helm-
holtz-Gleichung (Gl. 3) wird mit der Gibbs’schen freien
Enthalpie 'G (Gibbs energy) eine Zustandsgröße einge- R ist die Gaskonstante (8,314 J mol–1 K–1), T die absolute
führt, die unter isotherm-isobaren Bedingungen stattfin- Temperatur. [A], [B], [C] und [D] bezeichnen die Kon-
dende Veränderungen ausschließlich durch Veränderungen zentrationen der Reaktionspartner. Die Änderung der
von Zustandsgrößen des Systems beschreibt: freien Enthalpie unter Standardbedingungen ('G0) ist
eine reaktionsspezifische Konstante, während der
(3) Reaktionsquotient QR die Abhängigkeit der freien Enthal-
pie von der Zusammensetzung des Reaktionsgemisches
'H bedeutet die Änderung der Enthalpie des Systems, berücksichtigt.
T die absolute Temperatur und 'S die Änderung der
Entropie des Systems. Die thermodynamischen Größen Standardbedingungen. Der Standardzustand ist ein hypo-
'G, 'U und 'H werden auf die bei einer Reaktion umge- thetischer Referenzzustand, in dem alle Reaktionspartner
setzte Stoffmenge bezogen und in der Einheit kJ/mol an- bei 25°C in einer Konzentration von c = 1 mol/l vorliegen.
gegeben. Da in biologischen Systemen viele Reaktionen bei neutra-
lem pH-Wert stattfinden, hat man den Standardwert der
! Bei spontan (freiwillig) ablaufenden Reaktionen ist die
Protonenkonzentration auf c = 10–7 mol/l (pH 7) festgelegt.
Änderung der freien Enthalpie negativ ('G <0).
Die Änderung der freien Enthalpie unter diesen »biologi-
Eine Reaktion läuft unter isotherm-isobaren Bedingungen schen Standardbedingungen« bezeichnet man mit 'G0’, die
genau dann spontan ab, wenn 'G einen negativen Wert zugehörige Gleichgewichtskonstante der Reaktion mit K’.
annimmt. Man bezeichnet eine solche Reaktion als exer- 'G0 und 'G0’ unterscheiden sich nur dann, wenn Protonen
gon. Nimmt 'G einen positiven Wert an, liegt eine ender- als Substrat oder Produkt der Reaktion auftreten.
gone Reaktion vor, die niemals freiwillig stattfindet. Im
thermodynamischen Gleichgewicht ist 'G = 0. Die Thermodynamisches Gleichgewicht. Befindet sich die Re-
Änderung der freien Enthalpie entspricht der maximalen aktion im thermodynamischen Gleichgewicht ('G = 0), so
Arbeit, die ein System beim Übergang von einem Anfangs- folgt aus Gleichung (5)
in einen Endzustand zu leisten vermag. Der Betrag von 'G
(6)
liefert eine Information darüber, ob eine exergone Reaktion
den Ablauf eines endergonen biologischen Prozesses – z.B. Der Massenwirkungsbruch QR ist unter diesen Bedingun-
die Kontraktion eines Actomyosin-Komplexes – energe- gen gleich der Gleichgewichtskonstanten K der Reaktion.
tisch ermöglicht oder nicht. 'G0 charakterisiert bei einer bestimmten Temperatur die
Da es sich bei der freien Enthalpie um eine Zustands- Gleichgewichtskonstante der Reaktion auf einer logarith-
größe handelt, kann der Gesamtbetrag der Veränderung mischen Skala.
4.1 · Thermodynamik und allgemeine Bioenergetik
103 4

Biologische Reduktions-Oxidations-Reaktionen. Eine


Vielzahl biochemischer Reaktionen verläuft unter Elek-
tronenübertragung. Reduktion und Oxidation finden
dabei immer gleichzeitig statt und lassen sich als Sum-
me von zwei Halbreaktionen beschreiben. Man spricht
daher von Redoxreaktionen. Das Reduktionsmittel und
dessen oxidierte Form sowie das Oxidationsmittel und
dessen reduzierte Form bilden jeweils ein konjugiertes
oder korrespondierendes Redoxpaar. Liegen zwei kor-
respondierende Redoxpaare in einer Lösung nebeneinan-
der vor, kann es spontan zu einer Elektronenübertragung
vom Elektronendonor des einen Paares auf den Elektro-
nenakzeptor des anderen Paares kommen. Die Richtung
des Elektronenflusses wird dabei durch die Elektronen-
affinitäten der beteiligten Redoxpaare bestimmt, die
durch Redoxpotentiale quantitativ charakterisiert werden
können.
. Abb. 4.3. Messung des Standard-Redoxpotentials eines korres-
Infobox pondierenden Redoxpaares
Bestimmung des Standard-Redoxpotentials eines
korrespondierenden Redoxpaares ser Zusammenhang wird durch die Nernst’sche Gleichung
Zum Vergleich der Elektronenaffinitäten verschiedener beschrieben:
Redoxpaare misst man deren Potentialdifferenzen 'E
gegen eine Standardwasserstoffelektrode als Bezugs- (7)
system. Diese besteht aus einer Platinelektrode, die
von einer wässrigen Lösung mit einer H+-Ionen- R ist die Gaskonstante [8.314 J mol–1 K–1], T die absolute
konzentration von 1 mol/l umgeben ist und mit Was- Temperatur, n die Zahl der übertragenen Elektronen und
serstoffgas bei einem Partialdruck von 1 atm umspült F die Faraday-Konstante [96,5 kJ mol–1 V–1].
wird. Der Standardwasserstoffelektrode wird willkür- Die Potentialdifferenz ('E) einer Redoxreaktion ergibt
lich das Redoxpotential E0 = 0 V zugewiesen. sich als Differenz der Redoxpotentiale der beteiligten
In . Abb. 4.3 ist die Bestimmung eines Standard- Redoxpaare. 'E ist mit der freien Enthalpie ('G) über
potentials (früher als Normalpotential bezeichnet) am Gleichung (8) verknüpft:
Beispiel des Fe2+/Fe3+-Redoxpaares gezeigt. Die Metalli-
(8)
onen liegen jeweils in einer Konzentration von 1 mol/l
vor (Standardbedingungen). Redoxsysteme, die gegen-
über der Standardelektrode Elektronen abgeben, er- . Tabelle 4.1. Standardpotentiale (E0’) biochemischer Redox-
halten ein negatives, solche, die Elektronen aufneh- paare
men, ein positives Vorzeichen vor dem Redoxpotential. Korrespondierendes Redoxpaar n E0’ [V]
Elektronen fließen stets vom Redoxpaar mit dem nega- Sauerstoff/Wasser 2 +0,82
tiveren zum Redoxpaar mit dem positiveren Redox-
Glutathion (GSSG/2GSH) 2 +0,31
potential. 3+ 2+
Cytochrom a (Fe /Fe ) 1 +0,29
Cytochrom c (Fe3+/Fe2+) 1 +0,22
Standardpotentiale biologischer Redoxsysteme. Stan- Ubichinon/Hydrochinon 2 +0,10
dardpotentiale werden unter den bereits beschriebenen Cytochrom b (Fe3+/Fe2+) 1 +0,08
Standardbedingungen bestimmt. Misst man Redoxpoten- Dehydroascorbat/Ascorbat 2 +0,06
tiale unter biologischen Standardbedingungen bei pH 7,0,
Fumarat/Succinat 2 +0,03
so erhalten diese das Symbol E0’. In . Tabelle 4.1 sind die
FMN/FMNH2 2 –0,12
Standardpotentiale E0’ biochemisch wichtiger Redoxpaare
zusammengestellt. Oxalacetat/Malat 2 –0,17
Pyruvat/Lactat 2 –0,19
Nernst’sche Gleichung. Das Redoxpotential wird von den Acetacetat/β-Hydroxybutyrat 2 –0,27
Konzentrationen der oxidierten und reduzierten Form des NAD+/NADH+H+ 2 –0,32
korrespondierenden Redoxpaares, der Anzahl übertrage-
2H+/H2 2 –0,42
ner Elektronen (n) und von der Temperatur bestimmt. Die-
104 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

Der in Gl. (7) und (8) beschriebene Zusammenhang ist für In einem System, in dem beide Reaktionen gleichzeitig
das Verständnis der energetischen Aspekte der biologi- stattfinden, berechnet sich die freie Standard-Reaktions-
schen Oxidation bedeutsam, bei der Elektronen über eine enthalpie der gekoppelten Reaktion als Summe der 'G-
Vielzahl von Redoxsystemen auf Sauerstoff als terminalen Werte der Einzelreaktionen. Dementsprechend könnte
Elektronenakzeptor übertragen werden. Die freie Enthalpie die Gesamtreaktion durchaus freiwillig ablaufen ('G0’ =
dieses exergonen Prozesses wird zu einem Teil durch die –16,7 kJ/mol). Voraussetzung hierfür ist jedoch eine di-
Synthese von Adenosintriphosphat (ATP) konserviert, das rekte Übertragung der J-Phosphatgruppe des ATP auf
im Stoffwechsel als Überträger freier Enthalpie fungiert Glucose, sodass die Hydrolyse-Energie des ATP nicht in
(7 Kap. 15.1.3). Form von Wärme freigesetzt, sondern für chemische Ar-
4 beit verfügbar gemacht wird. In der Zelle wird die chemi-
sche Kopplung beider Reaktionen durch das Enzym Hexo-
4.1.2 Energietransformation kinase (7 Kap. 11.1.1) erreicht.
und Energiegewinnung in der Zelle Reaktionen können auch sequentiell gekoppelt sein.
Beispielgebend hierfür soll die Biosynthese des Glucose-
! Der physiologische Zustand einer lebenden Zelle wird speichermoleküls Glycogen betrachtet werden, bei der die
durch die Kopplung endergoner Prozesse an exergone exergone Hydrolyse von Pyrophosphat (PPi) genutzt wird,
Reaktionen aufrechterhalten. um die Synthese von UDP-Glucose aus Glucose-1-phosphat
(Glc-1-P) und Uridintriphosphat (UTP) zu ermöglichen
Betrachtet man die Gesamtheit der in einem Organismus (7 Abb. 11.10 in Kap. 11.2.1):
stattfindenden Prozesse, so folgt aus den Gesetzen der
Thermodynamik, dass diese insgesamt exergon ablaufen
müssen. Viele Teilprozesse, die zur Erzeugung und Erhal- (11)
tung biologischer Strukturen beitragen, sind aber endergo-
ner Natur. Diese lebensnotwendigen Vorgänge (Biosyn- (12)
thesereaktionen, Muskelkontraktion, aktiver Transport
u.a.) beziehen ihre Energie aus einer chemischen Kopp- Die stark exergone Hydrolysereaktion (12) bewirkt , dass
lung an exergone Redoxreaktionen. Die Zelle wirkt dabei die Gesamtreaktion unter den Bedingungen des Zellstoff-
als Energietransformator. wechsels nur in der beschriebenen Richtung abläuft. Man
Eine zentrale Frage der Biochemie betrifft den Mecha- bezeichnet derartige Reaktionen auch als »quasi-irrever-
nismus der Energieumwandlung in biologischen Syste- sibel«. Tatsächlich werden im Zellstoffwechsel eine Reihe
men. Hierfür bestehen in lebenden Organismen zumindest wichtiger Biosynthesereaktionen erst durch die Hydrolyse
zwei prinzipiell unterschiedliche Möglichkeiten: von Pyrophosphat durch Pyrophosphatasen thermo-
4 die chemische Kopplung exergoner und endergoner dynamisch ermöglicht.
Reaktionen unter Beteiligung »energiereicher Verbin-
! Für die Übertragung freier Enthalpie werden
dungen«
energiereiche Phosphate genutzt.
4 die chemiosomotische Kopplung durch die Erzeugung
eines Membranpotentials mit Hilfe einer exergonen Energiereiche Phosphate. Die Aufklärung der Glycolyse
Reaktion, dessen Abbau eine endergone Reaktion er- (7 Kap. 11.1.1) hat gezeigt, dass Adenosintriphosphat (ATP),
möglicht Adenosindiphosphat (ADP) und anorganisches Phosphat
(Pi) am Abbau der Glucose beteiligt sind. Erst als nachge-
Die erstgenannte Möglichkeit soll am Beispiel der Phos- wiesen werden konnte, dass ATP während der Muskelkon-
phorylierung von Glucose (Glc) zu Glucose-6-phosphat traktion zu ADP hydrolysiert wird und dessen Rephos-
(Glc-6-P) erläutert werden: phorylierung im Muskel von oxidativen energieliefernden
Prozessen abhängt, wurde die entscheidende Rolle des ATP
bei der intrazellulären Energieübertragung deutlich.
(9) Phosphoryltransfer-Reaktionen sind im Stoffwechsel
weit verbreitet. Daher wurde für diesen Reaktionstyp eine
Der positive Wert der Standard-Reaktionsenthalpie 'G10’ eigene thermodynamische Skala der so genannten Phos-
zeigt an, dass diese Reaktion unter Standardbedingungen phorylgruppenübertragungspotentiale geschaffen (. Ta-
nicht spontan ablaufen würde. Im Gegensatz dazu erfolgt belle 4.2). Diese charakterisieren die Änderung der freien
die Hydrolyse von Adenosintriphosphat (ATP) zu Adeno- Enthalpie, die bei der Hydrolyse von 1 mol einer Phosphoryl-
sindiphosphat (ADP) und anorganischem Phosphat (Pi) verbindung unter Standardbedingungen frei wird. Dem-
unter Standardbedingungen exergon: entsprechend lassen sich die zellbiochemisch bedeutsa-
men Phosphorylverbindungen in zwei Gruppen einteilen:
(10) Bei energiereichen Verbindungen ist die freie Standard-
4.1 · Thermodynamik und allgemeine Bioenergetik
105 4

. Tabelle 4.2. Änderung der freien Standardenthalpie bei der


Hydrolyse biochemisch wichtiger Phosphorylverbindungen
Metabolit ΔG0 ’ der Hydrolyse
[kJ mol–1]
Phosphoenolpyruvat –61,9
Carbamylphosphat –51,5
1,3-Bisphosphoglycerat –49,4
(1, 3-BPG + H2 O → 3-PG + Pi )
Kreatinphosphat –43,1
Pyrophosphat –33,5 . Abb. 4.4. Struktur des Magnesium-ATP-Komplexes (MgATP–2)
ATP –30,6
(ATP +H2 O → ADP +Pi )

Glucose-1-phosphat –20,9 auch andere Metabolite mit hohem Gruppenübertragungs-


Fructose-6-phosphat –16,2
potential vor, die funktionelle Gruppen auf eine Vielzahl
von Akzeptoren übertragen (. Tabelle 4.3).
Glucose-6-phosphat –13,8
Glycerin-3-phosphat –9,2 ! ATP ist eine universelle Quelle freier Enthalpie im Zell-
stoffwechsel.

In . Abb. 4.4 ist die Struktur des ATP dargestellt. Das ATP-
. Tabelle 4.3. Struktur und Vorkommen von Verbindungen mit Molekül enthält 2 energiereiche Phosphorsäureanhydrid-
hohem Gruppenübertragungspotential Bindungen. Da bei physiologischem pH-Wert die Phos-
Bezeich- Struktur Vorkommen Kapitel phatgruppen des ATP vollständig ionisiert sind, handelt es
nung (Beispiel) sich um ein negativ geladenes Molekül, das mit zweiwer-
Phosphor- ADP, ATP, allg. 4 tigen Kationen lösliche Verbindungen bilden kann. In der
säure- Nucleosiddi- Zelle kommt das Nucleotid nicht als freies Anion, sondern
anhydride und
in Form eines Komplexes mit zumeist Mg2+-Ionen vor.
-triphosphate
Obwohl es sich bei der Hydrolyse des ATP um eine
Carbon- 1,3-Bisphos- 11
stark exergone Reaktion handelt ('G0’ = –30,6 kJ/mol), er-
säure- phoglycerat
Phosphor-
folgt sie wegen der hohen Aktivierungsenergie der Reak-
säure- tion spontan nur sehr langsam. Diese kinetische Stabilität
anhydride des ATP ist für seine biochemische Funktion als Energie-
Thioester Acyl-CoA 12 carrier von größter Bedeutung. ATP wird im Zellstoff-
wechsel nur enzymatisch zu ADP oder AMP hydrolysiert.
Enolphos- Phosphoenol- 11 ! Die freie Enthalpie der ATP-Hydrolyse wird durch eine
phate pyruvat energetische Kopplung an endergone Prozesse für die
Zelle nutzbar gemacht.
Phospho- Kreatin- 31 Im Zellstoffwechsel können Phosphatgruppen des ATP auf
guanidine phosphat
Akzeptoren übertragen werden, wenn die Gesamtreaktion
exergon ('G < 0) ist. Der Phosphattransfer ist dann rever-
sibel, wenn es bei der Übertragung zu einer nur geringen
Änderung der freien Enthalpie kommt. Beispiele für enzy-
enthalpie der Hydrolyse stärker negativ als –25 kJ mol–1, matische Transphosphorylierungen sind die Adenylat-
während das 'G0’ der Hydrolyse bei energiearmen Verbin- kinase-Reaktion (7 Kap. 15.1.1) und die Kreatinkinase-
dungen weniger negativ ist. Reaktion (7 Kap. 16.2.2), die eine schnelle Regenerierung
Der Begriff »energiereich« bedeutet nicht, dass die von ATP aus ADP ermöglichen.
jeweilige Verbindung einen hohen Energieinhalt besitzt, Im Gegensatz dazu ist eine Vielzahl ATP-verbrauchen-
sondern er sagt aus, dass die Substanz eine stark exergone der Phosphorylierungsreaktionen mit der Bildung von
Reaktion mit Wasser (Hydrolyse) eingehen kann. Der Aus- Reaktionsprodukten verbunden, deren Hydrolyseenergien
druck »Verbindung mit hohem Gruppenübertragungs- beträchtlich unter der des ATP liegen. Unter zellphysio-
potential« beschreibt die energetischen Verhältnisse daher logischen Bedingungen sind diese Reaktionen in der Regel
besser als der im biochemischen Sprachgebrauch verwur- weit vom thermodynamischen Gleichgewicht entfernt
zelte Begriff der »energiereichen Verbindung«. Neben den (Nichtgleichgewichtsreaktionen) und verlaufen irrever-
Phosphorylverbindungen kommen im Zellstoffwechsel sibel. Als Beispiele hierfür können die durch die Enzyme
106 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

Hexokinase und Phosphofructokinase katalysierten Re- ! ATP entsteht durch die Kopplung der ADP-Phosphory-
aktionen der Glycolyse (7 Kap. 11.1.1, 11.6) oder die bei der lierung an exergone Reaktionen des Stoffwechsels.
hormonellen Signaltransduktion durch Proteinkinasen
katalysierten Phosphorylierungsreaktionen genannt wer- Bildung von ATP aus ADP. Die quantitativ bedeutendsten
den (7 Kap. 25.4). ATP-verbrauchenden Prozesse beim Menschen sind der
ATP kann eine zentrale Funktion im Energiestoffwech- Ionentransport durch biologische Membranen (7 Kap. 6.1.2),
sel nur deshalb erfüllen, weil sein Gruppenübertragungspo- Biosynthesen wie die der Proteine (7 Kap. 9.1) und die Mus-
tential den Transfer der J-Phosphatgruppe auf Akzeptor- kelkontraktion (7 Kap. 30.3). Die erforderliche Regenerie-
Verbindungen, aber auch die Phosphorylierung von ADP rung des ATP aus anorganischem Phosphat und ADP er-
4 unter Verbrauch anderer energiereicher Phosphorylverbin- folgt generell durch eine Kopplung der ATP-Bildung an
dungen erlaubt (. Tab. 4.2). exergone Reaktionen.
Man spricht von einer Substratkettenphosphory-
Infobox lierung, wenn die Oxidation eines Substrates zur Er-
ATP ist ein Energieüberträger – kein Energie- zeugung eines energiereichen Zwischenproduktes führt,
speicher das nachfolgend der ATP-Bildung dient. Als Substrat-
Die zellbiochemische Funktion des ATP soll anhand kettenphosphorylierung wird dabei diejenige Reaktion
einer vereinfachenden energetischen Betrachtung bezeichnet, in der ATP (oder GTP) entsteht. Beispiele
illustriert werden: Für einen 75 kg schweren Menschen hierfür sind die durch Phosphoglyceratkinase und
beträgt der tägliche Energieumsatz unter Ruhebedin- Pyruvatkinase katalysierten Reaktionen der Glycolyse
gungen ca. 6.000 kJ. Legt man den Standardwert der (7 Kap. 11.1.1).
freien Reaktionsenthalpie der ATP-Hydrolyse von Der größte Teil des täglich synthetisierten ATP entsteht
30,6 kJ/mol zugrunde, so entspricht dies einem Umsatz jedoch während der Oxidation von Substratwasserstoff mit
von ca. 200 mol oder etwa 100 kg ATP pro Tag. Nimmt Sauerstoff im Rahmen der mitochondrialen Atmungsket-
man darüber hinaus an, dass der Gesamtbestand des tenphosphorylierung (7 Kap. 15.1.3). Anders als bei der
Organismus an Adeninnucleotiden (ATP + ADP + AMP) Substratkettenphosphorylierung erfolgt die Energiekonser-
etwa 0,2 mol (ca. 100 g) beträgt, so folgt daraus, dass vierung hierbei durch die Erzeugung eines chemiosmoti-
jedes ATP-Molekül täglich mehr als 1000-mal auf- und schen Potentials an der inneren Mitochondrienmembran,
abgebaut werden muss. das die Energie für die Synthese von ATP aus ADP und
anorganischem Phosphat bereitstellt.

In Kürze
Die strukturelle und funktionelle Komplexität der Orga- In der Zelle werden endergone Reaktionen durch
nismen kann nur durch eine kontinuierliche Zufuhr Kopplung mit exergonen Prozessen ermöglicht.
freier Enthalpie ('G) aufrechterhalten werden. Diese Die energetische Kopplung wird wirkungsvoll durch
Notwendigkeit ergibt sich aus den Gesetzen der »energiereiche« Phosphate vermittelt. ATP ist die
Thermodynamik, die auch für lebende Systeme Gültigkeit wichtigste Verbindung mit hohem Gruppenübertragungs-
besitzen. Quelle der erforderlichen freien Enthalpie ist die potential.
sauerstoffabhängige biologische Oxidation komplexer Die Synthese der energiereichen Phosphate ist
organischer Verbindungen. funktionell mit dem Ablauf von Redoxreaktionen
Die Änderung der freien Enthalpie hat bei exergonem verbunden:
Reaktionsverlauf einen negativen Wert. Exergone Reaktio- 4 direkt durch Substratkettenphosphorylierung
nen laufen spontan (freiwillig) ab und können unter iso- 4 indirekt durch den Ausgleich eines chemiosmotischen
therm-isobaren Bedingungen Arbeit leisten. Ist 'G hinge- Potentials bei der Atmungskettenphosphorylierung
gen positiv, handelt es sich um eine endergone Reaktion, sowie bei Transphosphorylierungsreaktionen
die nicht freiwillig abläuft.
4.2 · Katalyse in biologischen Systemen
107 4
4.2 Katalyse in biologischen Systemen

4.2.1 Struktur und Funktion


der Biokatalysatoren

! Katalysatoren beschleunigen die Einstellung chemi-


scher Gleichgewichte, ohne die Gleichgewichtslage zu
beeinflussen.

Die Aufklärung des Zellstoffwechsels hat gezeigt, dass che-


mische Reaktionen unter den in lebenden Organismen hin-
sichtlich Stoffkonzentration, Temperatur, pH-Wert und
Druck typischen Reaktionsbedingungen nur in Gegenwart . Abb. 4.5. Energiediagramm einer Reaktion in Gegenwart und
von Katalysatoren hinreichend schnell ablaufen können. Abwesenheit eines Enzyms. Die freie Aktivierungsenthalpie ('G‡)
bezieht sich auf den Übergangszustand (S‡ bzw. ES‡) der Reaktion. Das
Die Wechselwirkung des Katalysators mit dem umzuset-
Enzym beschleunigt die Einstellung des Reaktionsgleichgewichtes
zenden Stoff steigert dessen Reaktionsfähigkeit und führt durch eine Erniedrigung von 'G‡ (grüne Kurve). Die Änderung der
zu einer enormen Reaktionsbeschleunigung, ohne die Lage freien Enthalpie ('G) und damit das thermodynamische Gleichge-
des Reaktionsgleichgewichtes zu verändern. Der Katalysa- wicht der Reaktion werden durch das Enzym nicht verändert
tor geht aus der Reaktion unverändert hervor und steht für
einen neuen Katalysezyklus zur Verfügung. Biokatalysa- einen aktivierten, d.h., in einen reaktionsfähigen Über-
toren sind auch auf allen Ebenen des intrazellulären Infor- gangszustand (S‡) überführt werden. Die energetische
mationsflusses wirksam und tragen in vielfältiger Weise zur Barriere, die dazu überwunden werden muss, wird als
Steuerung und Koordination des Stoffwechsels der Zellen, freie Aktivierungsenthalpie ('G‡) – vereinfacht als Akti-
Gewebe und Organe komplexer Organismen bei. vierungsenergie – bezeichnet. Durch die Verbindung eines
Enzyms mit seinem Substrat entsteht ein neuer Reaktions-
Übergangszustand und Aktivierungsenergie. In biolo- weg, dessen Übergangszustand eine niedrigere Aktivie-
gischen Systemen katalysieren Enzyme die weitaus über- rungsenergie aufweist als derjenige der nicht-katalysierten
wiegende Zahl der biochemischen Reaktionen. Enzyme Reaktion.
sind globuläre Proteine, deren katalytische Wirkung zu ei-
! Enzyme beschleunigen Reaktionen, indem sie die
ner Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit bis zu einem
Aktivierungsenergie der katalysierten Reaktionen
Faktor von 1017 im Vergleich zur nicht-katalysierten Reak-
erniedrigen.
tion führt (. Tabelle 4.4). Für das Verständnis der kataly-
tischen Wirkung von Enzymen ist die Kenntnis derjenigen Die Reaktionsprofile in . Abb. 4.5 illustrieren die für eine
Faktoren von Bedeutung, die allgemein die Geschwindig- enzymkatalysierte Reaktion typische Erniedrigung der Ak-
keit einer chemischen Reaktion bestimmen. tivierungsenergie. Da der Übergangszustand für die Hin-
Nach der Kollisionstheorie können Moleküle nur dann und Rückreaktion derselbe ist, unterscheiden sich die
erfolgreich miteinander reagieren, wenn sie in einer be- Aktivierungsenergien der Hin- und Rückreaktion um den
stimmten räumlichen Orientierung zusammentreffen und Betrag der freien Reaktionsenthalpie ('G), die selbst unver-
ein für die jeweilige Reaktion charakteristisches Minimum ändert bleibt. Daraus folgt, dass Enzyme – genauso wie an-
an kinetischer Energie besitzen. Damit ein Ausgangsstoff dere Katalysatoren – die Einstellung chemischer Gleichge-
(in der Enzymologie als Substrat S bezeichnet) zum Re- wichte zu beschleunigen vermögen, ohne die Gleichge-
aktionsprodukt P umgewandelt werden kann, muss er in wichtslage der Reaktion zu beeinflussen.
Im Reaktionsprofil einer enzymkatalysierten Reaktion
treten in der Regel mehrere lokale Minima und Maxima auf
. Tabelle 4.4. Vergleich der Geschwindigkeitskonstanten
(. Abb. 4.5). Die Minima kennzeichnen kurzlebige Reakti-
enzymkatalysierter Reaktionen (k+2) mit denen der nichtkataly-
sierten Reaktionen (k0) onsintermediate, die prinzipiell isoliert werden können. Die
Maxima repräsentieren Übergangszustände von Teilschrit-
Enzym k+2 /k0 Kapitel
17
ten der Reaktion. Der Übergangszustand mit der höchsten
Orotidylatdecarboxylase 10 19
Aktivierungsenergie ('G‡) bestimmt dabei die Reaktions-
12
Adenosindesaminase 10 19 kinetik.
Carboxypeptidase A 1011 32
! Enzyme wirken als regulierbare substrat- und reaktions-
9
Triosephosphatisomerase 10 11
spezifische Biokatalysatoren.
Carboanhydrase 107 4, 30
5
Enzym-Substrat-Interaktion. Im Unterschied zu den aus
Peptidyl-Prolyl-cis/trans-Isomerasen 10 3, 9
der Chemie bekannten »klassischen« Katalysatoren verfü-
108 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

gen Enzyme über weitere funktionelle Eigenschaften, die D-Hexosen, aber keine L-Hexosen, während die Lactat-
sie unter zellphysiologischen Reaktionsbedingungen als dehydrogenase tierischer Organismen die Oxidation von
Biokatalysatoren prädestinieren. Diese spezifischen Fähig- L-Lactat zu Pyruvat katalysiert, aber D-Lactat nicht als
keiten der Enzyme sind Substrat erkennt (7 Kap. 11).
4 die selektive Erkennung eines Substrates und die prä-
! Die spezifische Wechselwirkung von Enzym und Sub-
zise Unterscheidung zwischen strukturell oftmals sehr
strat erfolgt im aktiven Zentrum des Enzyms.
ähnlichen Substraten (Substratspezifität)
4 die Auswahl nur eines von mehreren thermodynamisch Das aktive Zentrum. Das aktive (oder katalytische) Zen-
möglichen Reaktionstypen für ein bestimmtes Substrat trum eines Enzyms wird von den an der Substratbindung
4 (Reaktionsspezifität) und beteiligten Aminosäuren des Enzymproteins gebildet. Die
4 die Regulierbarkeit der Enzymaktivität und damit Analyse der Raumstruktur einer Vielzahl von Enzymen hat
die Anpassung der Geschwindigkeit der katalysierten gezeigt, dass die Aminosäuren des aktiven Zentrums in der
Reaktion an die jeweilige Stoffwechselsituation Primärstruktur weit voneinander entfernt positioniert sein
können. Erst durch die Proteinfaltung (7 Kap. 9.2.1; 3.4.1)
Die Substratspezifität der Enzymkatalyse betrifft entweder gelangen sie in die für die Biokatalyse erforderliche räum-
das Substrat als Gesamtmolekül oder aber bestimmte che- liche Nähe.
mische Gruppierungen des Substrates. Niedermolekulare Aktive Zentren befinden sich oft in höhlen- oder spal-
Substrate können vom Enzym als Gesamtmolekül erkannt, tenförmigen Vertiefungen der Enzymoberfläche. Beispiel-
gebunden und umgesetzt werden. Demgegenüber kommt gebend zeigt . Abb. 4.6 die Architektur des aktiven Zen-
es bei enzymkatalysierten Reaktionen makromolekularer trums der Protease Chymotrypsin (7 Kap. 32.1.3). Funktio-
Substrate (Proteine, Polysaccharide, Nucleinsäuren) häufig nell bedeutsam sind die Aminosäurereste von Histidin-57,
zu einer auf spezifische Strukturelemente des Substrat- Aspartat-102, und Serin-195. Diese Aminosäuren bilden
moleküls begrenzten Interaktion mit dem Enzym. im aktiven Zentrum die so genannte katalytische Triade
Die räumlichen Beziehungen des Substratmoleküls und (7 Kap. 4.3). Sie sind am Katalysemechanismus aller Serin-
der an der Substratbindung beteiligten Aminosäuren eines proteasen beteiligt.
Enzyms bilden die Grundlage des als Stereospezifität der Substratmoleküle werden im aktiven Zentrum über-
Enzymkatalyse bezeichneten Phänomens. Dieser Begriff wiegend durch nichtcovalente Kräfte (Wasserstoffbrücken,
beschreibt die Fähigkeit eines Enzyms, selektiv zwischen Salzbindungen, hydrophobe Wechselwirkungen) gebun-
den optischen Antipoden eines Substrates zu unterschei- den. Dabei wird die Spezifität der Substratbindung von der
den. So akzeptieren die Enzyme des Hexosestoffwechsels genauen Anordnung der funktionellen Gruppen des En-

. Abb. 4.6a, b. Struktur des Chymotrypsins. a Schema der Primär- tat-102 und Serin-195 bilden die katalytische Triade im aktiven
struktur des Chymotrypsins. Das Enzym besteht aus drei Polypeptid- Zentrum des Enzyms. Die Disulfidbrücken sind gelb markiert. Die
ketten, die durch limitierte Proteolyse aus Chymotrypsinogen entste- Molekülgraphik wurde unter Verwendung der PyMOL-Software
hen und durch Disulfidbrücken miteinander verbunden sind. b Bän- (http://www.pymol.org) mit freundlicher Genehmigung von DeLano
der-Modell des Chymotrypsins. Die Aminosäuren Histidin-57, Aspar- Scientific LLC erzeugt. Quelle: Swiss-Prot P17538; PDB 4CHA
4.2 · Katalyse in biologischen Systemen
109 4

. Abb. 4.7. Offene und geschlossene Konformation der Gluco- zu einem Ausschluss von Wasser aus dem aktiven Zentrum führt.
kinase (Hexokinase IV). Die Bindung des Substrates Glucose (rot) Dabei geht das Enzym von der offenen (links) in die geschlossene
induziert eine Konformationsänderung, die zu einer optimalen Posi- Konformation (rechts) über. Quelle: PDB 1v4t (links) und PDB 1v4s
tionierung des Cosubstrates Magnesium-ATP (nicht abgebildet) und (rechts)

zyms im aktiven Zentrum bestimmt. In vielen Fällen wird lyse der Enzym-Produkt-Komplex (EP) entsteht. Der
eine optimale räumliche Positionierung der Substratmole- Zerfall des Enzym-Produkt-Komplexes führt zur Frei-
küle erst durch die Beteiligung von Coenzymen und Co- setzung des unveränderten Enzyms (E), das erneut am
faktoren erreicht (7 u.). katalytischen Kreisprozess teilnehmen kann:
Frühe Überlegungen zum Mechanismus der Enzym-
katalyse gingen von einer eleganten Modellvorstellung aus, (13)
die von Emil Fischer bereits 1894 entwickelt wurde. Nach
dieser Hypothese besitzen Enzyme eine zu ihrem Substrat ES‡ symbolisiert den Übergangszustand der Reaktion.
komplementäre Struktur (Schlüssel-Schloss-Prinzip). An Nach einer von Linus Pauling (1946) entwickelten Auf-
vielen Beispielen konnte jedoch gezeigt werden, dass erst fassung muss die Struktur des aktiven Zentrums komple-
durch eine substratinduzierte Konformationsänderung mentär zu der des Übergangszustandes der Reaktion sein,
des Enzymproteins die Reaktionspartner in die erforder- um eine effiziente Katalyse zu ermöglichen. An einer Viel-
liche räumliche Nähe und Orientierung gebracht werden. zahl von Beispielen konnte gezeigt werden, dass Enzyme
Diesen Prozess der dynamischen Erkennung von Enzym tatsächlich bevorzugt den Übergangszustand der Reaktion
und Substrat bezeichnet man als induzierte Anpassung binden.
(induced fit).
So verursacht der »Eintritt« der Glucose in das aktive Übergangszustandsanaloga. Obgleich Übergangszu-
Zentrum der Glucokinase (7 Kap. 11.1) ein Umschließen stände bei Enzymreaktionen extrem kurzlebig sind und
des Zuckermoleküls durch beide Domänen des Enzyms deshalb weder direkt beobachtet noch isoliert werden kön-
(. Abb. 4.7). Erst dadurch gelangt die J-Phosphatgruppe nen, gelang es in einigen Fällen, stabile Moleküle zu kon-
des ATP in eine direkte Nachbarschaft zur OH-Gruppe am struieren, die Übergangszuständen von Substraten ähnlich
C-Atom 6 der Glucose. Gleichzeitig kommt es zu einem sind. Man bezeichnet diese Moleküle als Übergangszu-
Ausschluss von Wasser aus dem aktiven Zentrum. Die »of- standsanaloga. Sie binden in der Regel sehr viel fester an
fene« Konformation der Glucokinase geht dabei in einen das Enzym als dessen natürliche Substrate und bewirken so
Zustand über, in dem die Kontakte des Enzyms mit den eine starke und spezifische Hemmung der Enzymaktivität.
Substraten optimiert sind. Molekulare Grundlage der indu- Übergangszustandsanaloga werden als Enzyminhibitoren
zierten Anpassung ist die konformative Flexibilität des bei der Therapie verschiedener Erkrankungen eingesetzt
Enzymproteins. (7 Kap. 4.6.2).
! Die Wechselwirkungen zwischen Enzym und Substra-
Katalytische Antikörper. Eine andere Anwendung des
ten werden im Übergangszustand der Reaktion opti-
Konzeptes der Übergangszustände von Enzymreaktionen
miert.
besteht in der Erzeugung katalytischer Antikörper. Der
Der katalytische Kreisprozess. Für die Erniedrigung der Begriff »Antikörper« bezeichnet vom Immunsystem er-
Aktivierungsenergie ist es bedeutsam, dass die Substrate zeugte Proteine (Immunglobuline), die Domänen zur Bin-
in einer für den Reaktionsablauf optimalen räumlichen dung von Antigenen besitzen. Ähnlich wie bei den En-
Orientierung zu einem Enzym-Substrat-Komplex (ES) zymen werden die Wechselwirkungen von Antikörpern
zusammengeführt werden, aus dem im Verlaufe der Kata- und Antigenen durch nichtcovalente Bindungen bestimmt
110 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

(7 Kap. 34.3.4). Ein wesentlicher Unterschied zwischen En- lisiert. So wirken drei aktive Zentren des cytosolischen
zym und Antikörper besteht darin, dass Enzyme bevorzugt CAD-Proteins bei der Pyrimidinbiosynthese des Men-
energiereiche Übergangszustände binden, während Anti- schen zusammen. (7 Kap. 19.1.2). Im Falle der dimeren Fett-
körper in der Regel mit den im Grundzustand befindlichen säuresynthase des Menschen enthält jede der beiden Un-
Antigenen interagieren. Setzt man jedoch immunologisch tereinheiten die für die Synthese von Fettsäuren benötigten
wirksame Übergangszustandsanaloga als Antigene zur Im- Einzelenzymaktivitäten (7 Kap. 12.2.3).
munisierung ein, so können Antikörper mit katalytischer
! Moonlighting-Proteine sind multifunktionelle Proteine
Aktivität erzeugt werden. Katalytische Antikörper besitzen
mit einer enzymatischen Funktion.
ein großes Anwendungspotential in der Biotechnologie. Sie
4 werden auch im Zusammenhang mit der Pathogenese be- Die Benennung von Enzymen nach dem Typ der katalysier-
stimmter humaner Erkrankungen wie z.B. der Sepsis dis- ten Reaktion ist Ausdruck einer »Ein-Gen-ein-Protein-
kutiert. eine-Funktion«-Vorstellung, die sich in einer wachsenden
Zahl von Fällen als zu einfach erwiesen hat. Moonlighting
! Enzyme können aus mehreren identischen oder nicht-
(engl. to moonlight = eine Nebenbeschäftigung ausüben) ist
identischen Polypeptidketten bestehen.
ein Begriff, der dafür steht, dass ein und dasselbe Protein im
Oligomere Enzyme. Die Aufklärung der Struktur einer Organismus ganz unterschiedliche Aufgaben erfüllen kann.
großen Zahl von Enzymen hat gezeigt, dass diese oftmals Ein Vertreter der Moonlighting-Proteine ist die Phospho-
aus mehreren Polypeptidketten bestehen. Man spricht von hexose-Isomerase, die im Cytosol die reversible Umwand-
oligomeren Enzymen oder von Enzymen mit Oligomer- lung von Glucose-6-phosphat zu Fructose-6-phosphat ka-
struktur (oder Quartärstruktur). Die als Untereinheiten talysiert (7 Kap. 11.1.1). Demgegenüber fungiert das von
(subunits) bezeichneten Polypeptidketten eines oligo- verschiedenen Zelltypen sezernierte Enzym extrazellulär
meren Enzyms können identisch oder nicht-identisch sein als Cytokin. Unter dem Namen »Neuroleukin« wirkt es
(7 Kap. 3.3.4). Für das Verständnis der Stoffwechselregu- u.a. als Wachstumsfaktor für embryonale Rückenmarks-
lation bedeutsam war die Erkenntnis, dass bei oligomeren neurone und sensorische Nervenfasern.
Enzymen oftmals nur ein Typ von Untereinheiten Träger
! Viele Enzyme benötigen Coenzyme und Cofaktoren zur
der katalytischen Aktivität ist, während andere Unterein-
Katalyse der Reaktion.
heiten der Steuerung der Enzymfunktion dienen. Eine
solche »Arbeitsteilung« wird in einprägsamer Weise am Coenzyme und Cofaktoren. Eine große Zahl biochemi-
Aktivierungsmechanismus der an der intrazellulären scher Reaktionen kann von Enzymen nur in Gegenwart
Signaltransduktion beteiligten Proteinkinase A deutlich bestimmter niedermolekularer nichtproteinartiger Sub-
(7 Kap. 25.6.2). stanzen katalysiert werden. Diese Verbindungen werden
allgemein als Coenzyme oder Cofaktoren bezeichnet. Sie
! Multienzymkomplexe und multifunktionelle Enzyme
werden in stöchiometrischer Weise vorübergehend oder
vereinigen unterschiedliche Enzymaktivitäten.
dauerhaft – dann z.T. auch covalent – an das Enzymprotein
Die Analyse einiger Stoffwechselwege ergab, dass diese gebunden. Man bezeichnet das Enzymprotein allein als
durch Multienzymkomplexe katalysiert werden. Dabei Apoenzym, den Komplex aus Enzym und Coenzym als
handelt es sich um Proteinkomplexe, die mit allen für eine Holoenzym. Die Integration eines Coenzyms in das aktive
Reaktionsfolge erforderlichen Einzelenzymaktivitäten aus- Zentrum ermöglicht und optimiert die Wechselwirkung
gestattet sind. Im Falle des Pyruvatdehydrogenase-Kom- mit dem Substrat und dessen Umwandlung zum Reaktions-
plexes (7 Kap. 14.2) kooperieren drei Enzyme bei der oxi- produkt.
dativen Decarboxylierung des Pyruvats. Die räumliche Coenzyme, die bei der Katalyse der Reaktion strukturell
Koordination der Einzelreaktionen in einem Mulienzym- verändert und in modifizierter Form vom Apoenzym frei-
komplex ist mit wichtigen funktionellen Vorteilen verbun- gesetzt werden, nennt man Cosubstrate. Die veränderten
den: Durch den direkten Transfer der Reaktionsprodukte Cosubstrate müssen in einer Folgereaktion in ihren Aus-
(substrate channeling) zwischen funktionell aufeinander gangszustand zurückgeführt werden, um erneut an der
folgenden Enzymen eines Stoffwechselweges können insta- Katalyse teilnehmen zu können. Ein Beispiel für die Wir-
bile Zwischenprodukte geschützt und Nebenreaktionen kungsweise eines Cosubstrates ist die Beteiligung von
vermieden werden. Darüber hinaus wird die Effizienz des NAD+ an der reversiblen Umwandlung von Lactat zu Py-
katalysierten Prozesses infolge der direkten Weiterleitung ruvat durch das Enzym Lactatdehydrogenase (LDH):
der Zwischenprodukte durch die Vermeidung von Diffu-
sionswegen erhöht. (14)
Auch multifunktionelle Enzyme erfüllen mehrere
katalytische Funktionen. Die verschiedenen aktiven Zen- Das reduzierte Cosubstrat (NADH) ist ein löslicher Redox-
tren dieser Biokatalysatoren sind im Unterschied zu den carrier und kann in anderen enzymatischen Reaktionen
Multienzymkomplexen auf nur einer Polypeptidkette loka- reoxidiert werden. Findet die Reoxidation nicht statt, so
4.2 · Katalyse in biologischen Systemen
111 4

. Tabelle 4.5. Herkunft und biochemische Funktionen wichtiger Coenzyme


Coenzym Funktion(en) Korrespondierendes Enzym bzw. Reaktionsweg
Vitamin (Beispiel)
Thiaminpyrophosphat Oxidative Decarboxylierung Thiamin (Vitamin B1) Pyruvatdehydrogenase (7 Kap. 14.2)
Flavinmononucleotid (FMN), Wasserstofftransfer Riboflavin (Vitamin B2) Atmungskette (7 Kap. 15.1.2)
Flavinadenindinucleotid (FAD)
Nikotinamidadenindinucleotid Wasserstofftransfer Nikotinsäure(amid) Glutamatdehydrogenase
(phosphat) (NAD+, NADP+) (7 Kap. 13.3.3)
Pyridoxalphosphat Transaminierung, Decarboxy- Pyridoxin (Vitamin B6) Aspartataminotransferase
lierung (7 Kap. 13.3.2)
5’-Adenosylcobalamin 1,2-Verschiebung von Alkyl- Cobalamin (Vitamin B12) Methylmalonyl-CoA-Mutase
gruppen (7 Kap. 13.6.2, 12.2.1)
Biotin Carboxylierung und Trans- Biotin Acetyl-CoA-Carboxylase
carboxylierung (7 Kap. 12.2.3)
Coenzym A Acyltransfer Pantothenat Citratsynthase (7 Kap. 14.2)
Lipoat Wasserstoff- und Acyltransfer Lipoat Pyruvatdehydrogenase (7 Kap. 14.2)
Tetrahydrofolat C1-Gruppen-Transfer Folat Purinnucleotid-Biosynthese
(7 Kap. 19.1.1)
Ascorbat Redoxsystem, Hydroxylierung Ascorbat (Vitamin C) Prolylhydroxylase (7 Kap. 23.3.1)
Difarnesylnaphthochinon J-Carboxylierung von Naphthochinon (Vitamin K) Biosynthese von Prothrombin
Glutamylresten (7 Kap. 29.5.3)
Ubichinon Wasserstofftransfer – Atmungskette (7 Kap. 15.1.2)
Hämgruppen Elektronentransfer – Katalase (7 Kap. 15.2.1)
Adenosintriphosphat (ATP) Phosphat- und Aden(os)yl- – Phosphofructokinase (7 Kap. 11.1.1)
transfer
Cytidindiphosphat (CDP) Transfer von Lipidbausteinen – Biosynthese von Phosphatidylcholin
(7 Kap. 18.1.1)
Uridindiphosphat (UDP) Saccharidtransfer – Glycogensynthase (7 Kap. 11.2.1)
S-Adenosylmethionin (SAM) Methylgruppentransfer – Biosynthese des Adrenalins
(7 Kap. 26.3.2)
Phosphoadenosyl-Phospho- Sulfattransfer – Biosynthese der Proteoglykane
sulfat (PAPS) (7 Kap. 17.2.6)

kommt der Stoffumsatz infolge NAD+-Mangels zwangsläu- fenden Mangelernährung ein eher unspezifisches, jedoch
fig zum Erliegen. schweres Krankheitsbild auftritt.
In Abgrenzung von den Cosubstraten bezeichnet man
! Metallionen sind typische Cofaktoren von Enzymen.
solche Coenzyme, die dauerhaft an das jeweilige Apoenzym
gebunden sind und in fester Bindung an das Apoenzym Nahezu zwei Drittel aller Enzyme benötigen Metallionen
regeneriert werden, als prosthetische Gruppen. Ein Bei- als Cofaktoren. Ihr Fehlen kann einen vollständigen Verlust
spiel hierfür ist das an Carboxylierungsreaktionen beteilig- der Enzymaktivität zur Folge haben. Die Gruppe der Me-
te Biotin (7 Kap. 23.3.7). talloenzyme enthält Metallionen, die in einem stöchiome-
trischen Verhältnis fest an das Enzymprotein gebunden
! Die Mehrzahl der Cosubstrate und prosthetischen
sind. Ein typischer Vertreter der Metalloenzyme mit di-
Gruppen wird aus den Vitaminen der Nahrung ge-
rekter Bindung des Metallions ist die Carboanhydrase. Bei
bildet.
diesem Enzym ist ein durch Histidylreste komplexiertes
Einen Überblick über die äußerst vielfältigen bioche- Zinkion (Zn2+) unmittelbar in den Katalysemechanismus
mischen Funktionen der Coenzyme gibt . Tabelle 4.5. Viele einbezogen (7 Kap. 4.3). Demgegenüber sind Eisenionen
Coenzyme leiten sich von Vitaminen ab. Sie können nicht (Fe2+/Fe3+) als Bestandteile prosthetischer Gruppen an ver-
vom Organismus synthetisiert werden, sondern müssen schiedene Häm-Enzyme gebunden (7 Kap. 20).
mit der Nahrung aufgenommen werden (7 Kap. 23.1). Das Im Unterschied zu den Metalloenzymen binden Me-
breite Spektrum der Coenzym-Funktionen macht ver- tallionen-aktivierte Enzyme die Metallionen locker und
ständlich, dass bei einer häufig mehrere Vitamine betref- reversibel. Die so wirksamen Metallionen stammen vor
112 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

allem aus der Gruppe der Alkali- und Erdalkalimetalle dung -ase angefügt wurde. Enzyme, die Stärke spalten,
(Na+, K+, Mg2+ oder Ca2+). wurden Amylasen genannt, Fett spaltende Enzyme Lipa-
Metallionen können auch eine optimale Substrat- sen, die auf Proteine wirkenden Enzyme, Proteasen. Nach
konformation stabilisieren. Dies wird am Beispiel der ihren Funktionen wurden verschiedene Enzymgruppen als
ATP-abhängigen Phosphotransferasen deutlich. Der in Oxidasen, Glucosidasen, Dehydrogenasen, Decarboxylasen
Gegenwart von Magnesiumionen (Mg2+) entstehende Mg- usw. bezeichnet. Zu einem erheblichen Teil haben sich die-
ATP-Komplex (. Abb. 4.4) stellt das eigentliche Substrat se Bezeichnungen in den Trivialnamen der Enzyme erhal-
dieser Enzyme dar. Dieser Sachverhalt erklärt die Beobach- ten, die auch in diesem Buch überwiegend Verwendung
tung, dass Enzyme wie die bereits erwähnte Hexokinase in finden.
4 Abwesenheit von Magnesiumionen nicht in der Lage sind, Die unüberschaubar große Zahl der gegenwärtig be-
die Phosphorylierung ihrer Substrate zu katalysieren. kannten Enzyme macht allerdings die Notwendigkeit einer
Der Begriff des Cofaktors wird in der Literatur gele- systematischen Einteilung und Nomenklatur eindrucks-
gentlich auch als Überbegriff für Cosubstrate, prosthetische voll deutlich. Daher findet seit geraumer Zeit ein von der
Gruppen und Metallion-Cofaktoren verwendet. Internationalen Union für Biochemie und Molekularbiolo-
gie (International Union of Biochemistry and Molecular Bi-
! Enzyme können unter Erhalt ihrer katalytischen Aktivi-
ology, IUBMB) vorgeschlagenes hierarchisches Nomenkla-
tät in reiner Form dargestellt werden.
tur- und Klassifizierungssystem Anwendung, das auf einer
Isolierung von Enzymen. Das Verständnis der Funk- Beschreibung der enzymkatalysierten Reaktion beruht.
tion(en) eines Enzyms ist an die Kenntnis seiner mole- Den Nomenklaturregeln entsprechend besteht der sy-
kularen Struktur gebunden. Die Aufklärung der Enzym- stematische Name eines Enzyms aus zwei Teilen: Der erste
struktur wiederum erfordert die Verfügbarkeit des reinen Namensteil gibt das Substrat an, der zweite Teil des Namens
Enzymproteins. Bemerkenswerterweise kann die Mehrzahl spezifiziert den Typ der katalysierten Reaktion und endet
der Enzyme ohne den Verlust ihrer katalytischen Aktivität auf »-ase«. Die Namensgebung soll am Beispiel des mit Tri-
aus biologischem Material extrahiert und in reiner Form vialnamen als Hexokinase bezeichneten Enzyms erläutert
dargestellt werden. Selbst solche Enzyme, die normalerwei- werden: Hexokinasen katalysieren die unter zellulären Be-
se in einer Zelle in nur verschwindend geringer Konzentra- dingugen irreversible ATP-abhängige Phosphorylierung
tion nachweisbar sind, können durch moderne gentech- von D-Glucose, D-Fructose oder D-Mannose zum jewei-
nische Verfahren als rekombinante Proteine in ausrei- ligen Hexose-6-phosphat:
chender Menge erzeugt und nachfolgend isoliert werden
(7 Kap. 3.6.2, 3.7.1).
Ziel jeder Enzymreinigung ist die Abtrennung der un- (15)
erwünschten nieder- und hochmolekularen Komponenten
des biologischen Ausgangsmaterials und die Anreicherung Dementsprechend trägt Hexokinase den systematischen
des »Zielenzyms« bei möglichst großer Ausbeute. Eine we- Namen ATP: D-Hexose-6-Phosphotransferase.
sentliche Schwierigkeit besteht jedoch darin, das Zielenzym
in einer Mischung Hunderter anteilsmäßig oftmals domi- Enzymklassifikation. Zusätzlich zu ihrem systematischen
nierender Begleitproteine mit teilweise sehr ähnlichen phy- Namen erhalten die Enzyme eine so genannte EC-Nummer
sikochemischen und funktionellen Eigenschaften zu iden- (engl. Enzyme Commission), die aus vier Ziffern bzw. Zah-
tifizieren und aus dem Proteingemisch zu isolieren. Diese len besteht und in Klammern angegeben wird. Die erste
Sachlage hat zur Entwicklung analytischer und präparativer Ziffer ordnet das jeweilige Enzym einer der insgesamt sechs
biochemischer Methoden geführt, deren Funktionsprinzip in . Tabelle 4.6 aufgeführten Hauptklassen zu, die folgen-
sowohl die Proteinnatur der Enzyme als auch deren spezi- den beiden Zahlen beziehen sich auf chemische Einzelhei-
fische katalytischen Eigenschaften ausnutzt (7 Kap. 3.2.1). ten der katalysierten Reaktion. Die letzte Zahl dient der
laufenden Nummerierung.
Die prinzipiellen Funktionen der Enzyme der Haupt-
4.2.2 Nomenklatur und Klassifizierung klassen 1–6 sollen anhand von Beispielen näher erläutert
der Enzyme werden:
4 Oxidoreduktasen katalysieren Redoxreaktionen, die
! Die Nomenklatur und Klassifikation der Enzyme wird bei der Energiegewinnung durch oxidativen Substrat-
durch das beteiligte Substrat und den Typ der kataly- abbau, aber auch bei Biosynthesen eine große Rolle
sierten Reaktion bestimmt. spielen. Viele Hauptklasse-1-Enzyme benutzen wasser-
stoffübertragende Coenzyme wie NAD(P)+/NAD(P)H,
Enzymnomenklatur. In den Frühzeiten der Enzymologie FMN/FMNH2 oder FAD/FADH2. Oxidoreduktasen
wurden Enzymnamen dadurch gebildet, dass an den Na- werden mit Trivialnamen z.B. als Dehydrogenasen,
men des von einem Enzym umgesetzten Substrates die En- Reduktasen, Oxidasen oder Hydroxylasen bezeichnet
4.2 · Katalyse in biologischen Systemen
113 4

. Tabelle 4.6. Einteilung der Enzyme in Hauptklassen (S = Substrat)


Enzym-Hauptklasse Reaktionstyp (vereinfacht) Beispiele
1: Oxidoreduktasen S1(red) + S2(ox) S1(ox) + S2(red) Lactatdehydrogenase (7 Kap. 11.1.1)
Phenylalaninhydroxylase (7 Kap. 13.6.6)
Thioredoxinreduktase (7 Kap. 19.1.3)
2: Transferasen S1 + S2 – R S1–R + S2 Glucokinase (7 Kap. 11.1.1)
(R = übertragbare Gruppe)
Glycogensynthase (7 Kap. 11.2.1)
Alaninaminotransferase (7 Kap. 13.6.1)
3: Hydrolasen S1 – S2 + H2O S1 – H + S2 – OH Glucose-6-Phosphatase (7 Kap. 11.3, 11.4.2)
Enteropeptidase (7 Kap. 32.1.3, 4.5.3)
Adenosindesaminase (7 Kap. 19.3.1)
4: Lyasen S1 – S2 S1 + S2 Aldolase (7 Kap. 11.1.1)
Fumarase (7 Kap. 14.2)
Adenylatcyclase (7 Kap. 25.4.5, 25.6.2)
5: Isomerasen S S’ UDP-Galactose-4-Epimerase (7 Kap. 17.1.3)
(S’ = isomere Form von S)
Methylmalonyl-CoA-Mutase (7 Kap. 12.2.1, 13.6.2)
Proteindisulfidisomerase (7 Kap. 3.4.1, 9.2.2)
6: Ligasen S1 + S2 + X* S1–S2 + X Pyruvatcarboxylase (7 Kap. 11.3)
(X* = energiereiche Verbindung)
Glutaminsynthetase (7 Kap. 13.1.2)
DNA-Ligase (7 Kap. 7.2.3)

4 Transferasen sind Enzyme, die den Transfer einer Ligation geht immer mit der Hydrolyse von ATP oder
funktionellen Gruppe zwischen zwei Substraten kataly- einer anderen Verbindung mit hohem Gruppenüber-
sieren. Herausragende Vertreter dieser Hauptklasse tragungspotential einher. Ligasen werden gelegentlich
sind die als Kinasen bezeichneten Phosphotransfera- auch als Synthetasen bezeichnet
sen, die die Übertragung der J-Phosphatgruppe des
ATP auf Akzeptorsubstrate katalysieren
4 Hydrolasen sind für den Abbau biologischer Makro- 4.2.3 Multiple Formen von Enzymen
moleküle besonders bedeutsam. Sie katalysieren die
hydrolytische Spaltung covalenter Bindungen. Wich- Die Verfeinerung der biochemischen Analytik führte zu der
tige Vertreter sind die Hydrolasen des Verdauungs- Erkenntnis, dass eine große Zahl von Enzymen in multi-
traktes, der Blutgerinnung oder des Komplement- plen Formen vorkommt. Mit diesem Begriff wird die Exis-
systems tenz molekular unterschiedlicher Formen des gleichen
4 Lyasen katalysieren die nicht-hydrolytische (und nicht- Enzyms in einem Organismus beschrieben, die sich funk-
oxidative) Spaltung bzw. Ausbildung covalenter Bin- tionell wesentlich voneinander unterscheiden können. Ihr
dungen. Charakteristisch für Hauptklasse-4-Enzyme ist Vorkommen kann das Resultat einer unterschiedlichen ge-
die Teilnahme von zwei Substraten an der Hinreaktion netischen Codierung, posttranskriptionaler Veränderun-
und nur einem Substrat an der Rückreaktion bzw. um- gen (7 Kap. 8.5, 9.2) oder aber die Folge einer covalenten
gekehrt. Eine solche Reaktion verläuft ohne Beteiligung Modifikation sein (7 Kap. 4.5.3).
von ATP oder anderen Verbindungen mit hohem Grup-
! Isoenzyme katalysieren trotz struktureller Unterschiede
penübertragungspotential. Soll die Fähigkeit einer
die gleiche Reaktion.
Lyase zur Ausbildung einer Bindung durch Ligation
zweier Substratmoleküle hervorgehoben werden, wird Isoenzyme (oder Isozyme) sind strukturell verwandte
das Enzym auch als Synthase bezeichnet. Proteine eines Organismus, die die gleiche Reaktion kataly-
4 Isomerasen katalysieren die Umwandlung isomerer sieren, sich aber funktionell voneinander unterscheiden.
Formen von Substraten ineinander. Vertreter der Haupt- Häufig beobachtet man die Kombination unterschiedlicher
klasse-5-Enzyme sind die Racemasen, Epimerasen und Typen von Polypeptidketten unter Ausbildung katalytisch
cis/trans-Isomerasen, aber auch die intramolekularen aktiver oligomerer Enzymformen. Der Isoenzym-Begriff
Oxidoreduktasen und Transferasen wird nicht zur Bezeichnung von Enzymformen verwendet,
4 Ligasen katalysieren die Knüpfung covalenter Bindun- die infolge unterschiedlicher kovalenter Modifikation ent-
gen. Sie sind vor allem an Biosynthesen beteiligt. Die stehen.
114 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

Das medizinische Interesse an Isoenzymen wurde ge- Covalente Modifikation. Eine weitere Gruppe von En-
weckt, als man herausfand, dass im Serum des Menschen 5 zymen, die in multiplen Formen auftreten, entsteht durch
verschiedene Formen der Lactatdehydrogenase (LDH) eine covalente Modifikation des Enzymproteins. Diese Mo-
nebeneinander vorkommen und dass sich das Verhältnis difikation kann zellphysiologisch reversibel (siehe inter-
ihrer Einzelaktivitäten bei bestimmten Erkrankungen sig- konvertierbare Enzyme, . Tab. 4.9) oder irreversibel sein
nifikant verändert. Die Isoenzyme der LDH bestehen aus (siehe limitierte Proteolyse, 7 Kap. 4.5.3, 9.3). Da in beiden
jeweils vier Untereinheiten, von denen jede eine Molekular- Fällen keine unterschiedliche genetische Codierung des
masse von etwa 32 kDa besitzt. Bei der Aufklärung der Oli- jeweiligen Enzyms zugrunde liegt, handelt es sich nicht um
gomerstruktur zeigte sich, dass die LDH-Isoenzyme durch Isoenzyme.
4 die Kombination zweier Typen von Polypeptidketten, dem
H-Typ (abgeleitet von Herz) und dem M-Typ (abgeleitet
von Muskel), entstehen. Die Untereinheiten M und H wer- 4.2.4 Ribozyme als Biokatalysatoren
den durch unterschiedliche Gene codiert. In . Tabelle 4.7
sind Oligomerstruktur, überwiegendes Vorkommen und ! Ribozyme sind kleine RNA-Moleküle mit katalytischer
Aktivitätsverteilung der LDH-Isoenzyme zusammenge- Aktivität.
stellt. Eine weitere, ausschließlich in Spermien exprimierte
Form der LDH besteht aus Polypeptidketten des C-Typs Der Begriff Ribozyme bezeichnet RNA-Moleküle, die als
(LDH-C). Auf Grund einer unterschiedlichen Nettoladung Biokatalysatoren im Stoffwechsel der Proteine und Nucle-
lassen sich die LDH-Isoenzyme mittels Elektrophorese insäuren wirksam sind. Die Entdeckung der Ribozyme hat
voneinander trennen. in den Lebenswissenschaften zu qualitativ neuen Vorstel-
Der Befund, dass Isoenzyme oftmals organ- oder zell- lungen von der Entstehung des Lebens bis hin zu Konzep-
spezifisch verteilt sind, widerspiegelt die funktionelle Spe- ten für eine Anwendung dieser Moleküle in der Therapie
zialisierung der sie exprimierenden Zellen. Darüber hinaus zahlreicher Erkrankungen geführt.
kann eine unterschiedliche subzelluläre Lokalisation der Ribozyme katalysieren die Bildung und Spaltung von
verschiedenen Formen eines Isoenzyms zu einer Optimie- Phosphodiesterbindungen in Nucleinsäuren, aber auch die
rung des Zellstoffwechsels beitragen. Ein einprägsames Bildung von Peptidbindungen. Obgleich sich ihre katalyti-
Beispiel hierfür ist die Kooperation der cytosolischen und sche Wirkung auf wenige Reaktionstypen beschränkt, sind
mitochondrialen Kreatinkinase bei der ATP-Regenerie- Ribozyme für eine normale Funktion des Zellstoffwechsels
rung im Skelettmuskel (7 Kap. 16.2.2). unverzichtbar.
Ribozyme bestehen aus 40 bis 100 Nucleotiden bzw.
. Tabelle 4.7. Isoenzyme der Lactatdehydrogenase (LDH) des
entsprechend großen Domänen in größeren RNA-Mole-
Menschen (nach Sinha 2004) külen. Sie bilden – ähnlich wie Polypeptide – charakteristi-
sche Raumstrukturen aus, die zu den Bezeichnungen Ham-
Isoenzym Oligomer- Vorkommen Referenzbereich
struktur [% der LDH-
merkopf-Ribozym (hammerhead ribozyme) oder Haar-
Gesamtaktivität nadel-Ribozym (hairpin ribozyme) geführt haben. Die
im Serum] katalytische Wirksamkeit der Ribozyme hängt – wie auch
LDH-1 HHHH Herzmuskel 17–31 die der Enzyme – von einer korrekten Faltung der Poly-
Erythrozyt
nucleotidkette in eine wirksame dreidimensionale Struk-
tur ab.
Niere
RNA-Moleküle können mit Proteinen große katalytisch
LDH-2 HHHM Herzmuskel 35–48 aktive Ribonucleoproteine bilden. So sind am Aufbau der
Erythrozyt Spleißosomen über zweihundert Proteine und RNA-Mo-
Niere leküle beteiligt. Es gilt jedoch als sicher, dass entscheidende
LDH-3 HHMM Milz 15–29 Reaktionen beim Spleißen (7 Kap. 8.3.3), aber auch bei der
ribosomalen Proteinbiosynthese am Ribosom (7 Kap. 9.1.4)
Lunge
durch Ribozyme katalysiert werden.
Lymphknoten
Ein weiteres zellphysiologisch bedeutsames Ribozym ist
Thrombozyten die ubiquitär vorkommende Ribonuclease P, die an der
Endokrine Drü- »Reifung« von Prä-tRNA-Molekülen beteiligt ist. Ribo-
sen nuclease P enthält ein einzelsträngiges RNA-Molekül, das
LDH-4 HMMM Leber 3,8–9,4 in einen Proteinkomplex eingebettet und für die kataly-
Skelettmuskel tische Aktivität verantwortlich ist.
LDH-5 MMMM Leber 2,6–10
Skelettmuskel
4.2 · Katalyse in biologischen Systemen
115 4

4.2.5 Bestimmung der katalytischen


Aktivität der Enzyme

! Enzyme können durch die Bestimmung ihrer


katalytischen Aktivität identifiziert, quantifiziert und
charakterisiert werden.

Enzymkonzentration und Enzymaktivität. Die Bestim-


mung der Konzentration eines Enzyms in einer biolo-
gischen Flüssigkeit (z.B. in Blut oder in einem Zellextrakt)
ist mit klassischen physikochemischen Methoden wegen
des oftmals sehr geringen Enzymgehaltes und wegen der
begrenzten Spezifität der analytischen Verfahren proble-
matisch. Unspezifische Methoden zur Messung der Prote-
inkonzentration (7 Kap. 3.2.2) kommen für die Bestimmung
von Enzymkonzentrationen nicht in Betracht, da sie zwi-
schen verschiedenen Proteinen nicht zu unterscheiden ver-
mögen. Andererseits lässt die aufwendige spezifische Be-
stimmung der Konzentration eines Enzyms mit Hilfe hoch-
sensitiver immunologischer Methoden keinen Rückschluss
auf die katalytische Wirksamkeit des Enzyms zu, da auf
diese Weise das Enzymprotein, nicht aber dessen kataly-
tische Aktivität erfasst wird. Aus all diesen Gründen be-
stimmt man anstelle der Enzymkonzentration die kataly-
tische Aktivität eines Enzyms (kurz: die Enzymaktivität),
indem man die Geschwindigkeit der durch das Enzym ka-
talysierten Reaktion ermittelt. Diese Geschwindigkeit ist
proportional der Anzahl der katalytisch aktiven Enzym-
moleküle und damit proportional deren Konzentration.
Enzymaktivitäten werden in Maßeinheiten angegeben, die . Abb. 4.8a, b. Funktionsprinzip des optischen Tests. a UV-Ab-
sorptionsspektren und Cosubstrat-Funktion von NADH/NADPH und
die Dimension einer Reaktionsgeschwindigkeit enthalten.
NAD+/NADP+. b Aktivitätsbestimmung einer NADH-abhängigen
Die Bestimmung der Enzymaktivität erfordert entwe- Dehydrogenase. Die Extinktion bei 340 nm nimmt bei der Oxidation
der die Messung des Substratverbrauches oder die Er- des reduzierten Cosubstrates ab. Die Extinktionsänderung pro Zeitein-
fassung der Bildung des Reaktionsproduktes pro Zeit- heit ('E min–1) ist proportional der eingesetzten Enzymmenge
einheit. In der Praxis hat sich die spektralphotometrische
Messung der Substrat- oder Produktkonzentration auf
der Grundlage des Lambert-Beer’schen Gesetzes durch- des optischen Tests zur Bestimmung der katalytischen Ak-
gesetzt. Voraussetzung für die Anwendung dieser Metho- tivität einer NADH-abhängigen Dehydrogenase dargestellt.
dik ist eine spezifische Absorption von monochromati- Die Abnahme der Extinktion reflektiert den stöchiome-
schem Licht durch ein Substrat oder durch ein Produkt trischen Verbrauch von NADH und damit den zeitlichen
der Reaktion. Die Enzymaktivität kann dann aus der ge- Verlauf oder die Kinetik der enzymkatalysierten Reaktion.
messenen Extinktionsänderung pro Zeiteinheit berechnet Das Messprinzip kann daher auch als kinetisch-optischer
werden. Test bezeichnet werden.

Optischer Test. Der von Otto H. Warburg (Nobelpreis Gekoppelter optischer Test. Die Anwendung des optischen
1931) bereits 1936 in die biochemische Analytik einge- Tests ist grundsätzlich nicht auf NAD+- und NADP+-ab-
führte optische Test stellt die Anwendung des geschilderten hängige Enzyme begrenzt. Durch die funktionelle Kopp-
Messprinzips auf primär NAD+- oder NADP+-abhängige lung der durch das Zielenzym katalysierten Messreak-
Oxidoreduktasen dar. Da NADH und NADPH sich durch tion mit einer nachgeschalteten Indikatorreaktion, an
eine spezifische Lichtabsorption bei einer Wellenlänge von der NAD(P)+ oder NAD(P)H als Cosubstrat beteiligt ist,
340 nm (Absorptionsmaximum) von ihren oxidierten For- kann die Aktivität des Zielenzyms in einem gekoppelten
men unterscheiden, lassen sich Änderungen der Konzentra- optischen Test bestimmt werden. Ein zur Diagnostik von
tionen dieser wasserstoffübertragenden Cosubstrate photo- Lebererkrankungen häufig durchgeführter gekoppelter
metrisch leicht ermitteln. In . Abb. 4.8 ist die Anwendung optischer Test ist die Bestimmung der Serumaktivität der
116 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

Alanin-Aminotransferase (ALAT, Gl. 186) mit Lactatde- SI) wird seit geraumer Zeit empfohlen, das Katal (Symbol
hydrogenase (LDH, Gl. 17) als Indikatorenzym: kat) als Maßeinheit der Enzymaktivität zu verwenden.
Ein Katal entspricht einer Enzymmenge, die den Um-
satz von 1 mol Substrat zu Produkt in einer Sekunde un-
(16) ter definierten Reaktionsbedingungen katalysiert.
Für viele Anwendungen ist es zweckmäßig, die Mes-
(17) sung der Enzymaktivität unter definierten und optimierten
Reaktionsbedingungen hinsichtlich Substratkonzentration,
Sind die Substrate der ALAT-Reaktion sowie das reduzierte Temperatur, pH-Wert u.a. durchzuführen. Auf diese Weise
4 Cosubstrat (NADH) und das Indikatorenzym (LDH) im können nicht nur vergleichbare Enzymaktivitäten erhal-
Überschuss vorhanden, so ist die Geschwindigkeit der Oxi- ten, sondern auch maximale katalytische Aktivitäten be-
dation von NADH nur abhängig von der Geschwindigkeit stimmt werden. Während in der experimentellen Enzymo-
der Bereitstellung von Pyruvat und damit von der katalyti- logie nicht zuletzt aus Praktikabilitätsgründen oftmals
schen Aktivität der Alanin-Aminotransferase. Messtemperaturen von 25°C oder 30°C gewählt werden,
ist in der klinisch-chemischen Laboratoriumsdiagnostik
! Der optische Test ermöglicht die enzymatische Bestim-
eine Messtemperatur von 37°C vorgeschrieben.
mung der Konzentration von Substraten und Pro-
dukten des Stoffwechsels.
Volumenaktivität. Die Angabe einer Enzymaktivität in
Enzymatische Metabolitbestimmung. Der optische Test einer der o.g. Maßeinheiten ist nur begrenzt informativ, da
kann auch zur Bestimmung der Konzentration niedermo- sie lediglich einen bestimmten Stoffumsatz pro Zeiteinheit
lekularer Substrate oder Produkte des Stoffwechsels – so ohne quantitativen Bezug zum untersuchten Enzym angibt.
genannter Metabolite – angewendet werden. So kann die Sinnvoll ist daher oftmals ein Bezug auf das Volumen der
Konzentration von Lactat mit Lactatdehydrogenase als In- enzymhaltigen Lösung. Die auf die Volumeneinheit der
dikatorenzym spektralphotometrisch ermittelt (Gl. 17) Enzymlösung bezogene Enzymaktivität wird als Volu-
werden. Um einen vollständigen Stoffumsatz zu erreichen, menaktivität oder katalytische Aktivitätskonzentration
muss sichergestellt werden, dass die NAD+-Konzentration bezeichnet. Eine übliche Maßeinheit ist Unit pro Milliliter
im Test zu Beginn der Umsetzung mindestens so groß (U/ml) bzw. Katal pro Liter (kat/l). In der klinischen
wie die zu bestimmende Lactatkonzentration ist. Darüber Chemie und Laboratoriumsdiagnostik kommt der Bestim-
hinaus muss das entstehende Pyruvat aus dem Reaktions- mung und Bewertung der Volumenaktivität verschiedenster
gleichgewicht ständig entfernt werden. Nach einem voll- Enzyme in Körperflüssigkeiten eine herausragende Be-
ständigen Stoffumsatz lässt sich die Lactatkonzentration deutung zu (7 Kap. 4.6.3).
aus der gemessenen Extinktionsänderung berechnen.
! Die spezifische katalytische Aktivität charakterisiert den
Im Unterschied zum kinetisch-optischen Test beein-
Grad der Reinheit eines Enzyms.
flusst die bei Metabolitbestimmungen eingesetzte Enzym-
menge nicht das Messergebnis, sondern lediglich die Zeit Spezifische katalytische Aktivität. Die Bestimmung der
bis zum Erreichen des Extinktionsendwertes. Daher wird Volumenaktivität ist zur molekular-funktionellen Charak-
dieses Bestimmungsverfahren auch als Endwert-Methode terisierung eines Enzyms notwendig, aber nicht ausrei-
bezeichnet. Ein wesentlicher Vorteil der enzymatischen chend, da sie sich auf die Lösung des Enzyms, nicht aber auf
Analyse besteht in der zumeist hohen Substratspezifität der das Enzym selbst bezieht. Aus diesem Grunde wird das Ver-
Enzyme, die eine selektive Bestimmung der Konzentration hältnis von Volumenaktivität und Proteinkonzentration
von Metaboliten auch in Gegenwart strukturell ähnlicher der eingesetzten Enzymlösung angegeben. Der Quotient
Substanzen gestattet. aus Volumenaktivität und Proteinkonzentration wird als
spezifische katalytische Aktivität bezeichnet. Ihre experi-
! Die Enzymaktivität wird in Enzym-Einheiten (units) oder
mentelle Bestimmung macht die zusätzliche Messung der
in Katal angegeben.
Proteinkonzentration der Enzymlösung erforderlich
Maßeinheiten der Enzymaktivität. Die traditionelle Maß- (7 Kap. 3.2.2). Die Maßeinheit der spezifischen katalytischen
einheit der Enzymaktivität ist die Enzym-Einheit (unit, Aktivität ist Unit pro Milligramm (U/mg) bzw. Katal pro
Symbol U), die gelegentlich auch als »Internationale Ein- Kilogramm (kat/kg). Da zwischen Proteinkonzentration
heit« (international unit, Symbol IU) bezeichnet wird. und Enzymkonzentration ein erheblicher Unterschied
Eine Enzym-Einheit ist definiert als diejenige En- bestehen kann, erfordert die Interpretation einer spezi-
zymmenge (genauer: Enzymaktivitätsmenge), die den fischen katalytischen Aktivität eine differenzierende Be-
Umsatz von 1 Mikromol Substrat zu Produkt in einer trachtung. Wird die Lösung eines reinen Enzyms zur Ana-
Minute unter Standardbedingungen katalysiert. lyse eingesetzt, dann kann der Quotient aus Volumenak-
In Übereinstimmung mit dem internationalen metri- tivität und Proteinkonzentration als ein für das jeweilige
schen Einheitensystem (frz. Système International d’Unites, Enzym spezifischer Funktionsparameter betrachtet wer-
4.3 · Mechanismen der Enzymkatalyse
117 4

den. Demgegenüber erlaubt die spezifische katalytische Molare katalytische Aktivität. Die katalytische Wirksam-
Aktivität dann keinen unmittelbaren Rückschluss auf die keit eines Enzyms kann durch den Bezug der Volumenak-
katalytische Wirksamkeit eines Enzyms, wenn die zur Ak- tivität auf die molare Konzentration des in reiner Form
tivitätsbestimmung eingesetzte Lösung neben dem Zielen- vorliegenden Enzyms charakterisiert werden. Dazu ist die
zym weitere Proteine enthält. Ein solcher Fall liegt typi- Kenntnis der Molekularmasse des Enzyms erforderlich, die
scherweise bei der Analyse eines Zellextraktes oder bei der mit den in 7 Kap. 3.2.2 beschriebenen Methoden bestimmt
Untersuchung einer Blutprobe vor. werden kann. Der Quotient aus Volumenaktivität und
Die spezifische katalytische Aktivität wird routine- molarer Enzymkonzentration wird als molare kataly-
mäßig zur Kontrolle des Verlaufes der Reinigung eines tische Aktivität bezeichnet. Eine Maßeinheit der molaren
Enzyms bestimmt. Da das Wesen einer Enzymreinigung in katalytischen Aktivität ist Katal pro Mol.
der Abtrennung unerwünschter Begleitproteine besteht, Existieren mehrere aktive Zentren pro Enzymmolekül
vergrößert sich der Anteil des Zielenzyms am Gesamtpro- und ist ihre Zahl bekannt, so lässt sich die so genannte
tein mit dem Fortschreiten der Reinigungsprozedur. Dieser Wechselzahl (engl. turnover number) als Quotient aus mo-
Effekt kann leicht anhand der Zunahme der spezifischen larer katalytischer Aktivität und Anzahl der aktiven Zen-
katalytischen Aktivität erkannt werden. tren berechnen. Die Wechselzahl trägt die Maßeinheit s–1.
Sie gibt die Anzahl der Substratmoleküle an, die in einer
! Die molare katalytische Aktivität charakterisiert die
Sekunde von einem katalytischen Zentrum zu Produkt um-
katalytische Wirksamkeit eines Enzymmoleküls.
gewandelt werden.

In Kürze
Lebensprozesse sind untrennbar mit der Wirkung Multiple Formen von Enzymen können durch die
hochspezifischer molekularer Katalysatoren verknüpft. Die covalente Modifikation des Enzymproteins oder als Folge
weitaus überwiegende Zahl der in biologischen Systemen einer unterschiedlichen genetischen Codierung entstehen.
vorkommenden Katalysatoren sind Proteine. Man Das Vorkommen multipler Enzymformen besitzt eine große
bezeichnet diese Biokatalysatoren als Enzyme, ihre stoffwechselregulatorische und diagnostische Bedeutung.
katalytische Wirkung als Enzymaktivität. Enzyme können unter Erhalt ihrer strukturellen und
Enzyme besitzen die Fähigkeit, die umzusetzenden funktionellen Eigenschaften isoliert werden. Die molekula-
Stoffe auszuwählen (Substratspezifität), den Reaktions- re und kinetische Analyse der Enzyme und der an ihnen
typ zu bestimmen (Reaktionsspezifität) und die Einstel- ablaufenden Regulationsvorgänge waren Meilensteine in
lung des Reaktionsgleichgewichtes zu beschleunigen. der biochemischen Forschung. Sie haben das Verständnis
Eine Vielzahl von Enzymen erlangt erst durch die Mit- für grundlegende Stoffwechselvorgänge im menschlichen
wirkung von Coenzymen und Cofaktoren katalytische Organismus ermöglicht und der modernen Medizin zahl-
Aktivität. lose diagnostische und therapeutische Ansätze geliefert.

4.3 Mechanismen der Enzymkatalyse trachtung können drei grundlegende Katalysemechanis-


men unterschieden werden:
! Enzyme nutzen verschiedene Katalysestrategien. 4 die allgemeine Säure-Basen-Katalyse
4 die covalente Katalyse
Die Wechselwirkungen zwischen den reaktiven Aminosäu- 4 die Metallionen-vermittelte Katalyse
reresten und Coenzymen im aktiven Zentrum eines En-
zyms mit dem jeweiligen Substrat können sehr verschie- Vielen Enzymreaktionen liegt die Säure-Basen-Katalyse
denartig sein. An der Substratbindung und am katalyti- zugrunde.
schen Prozess sind beteiligt:
4 elektrostatische Wechselwirkungen (Ionenbindungen, Säure-Basen-Katalyse. Dieser häufig anzutreffende Kata-
Wasserstoffbrückenbindungen) lysemechanismus ist dadurch charakterisiert, dass ein Pro-
4 hydrophobe Wechselwirkungen ton im Übergangszustand der Reaktion übertragen wird.
4 covalente Bindungen mit reaktionsfähigen Gruppen Dabei wirkt eine funktionelle Gruppe im aktiven Zentrum
des Substrates des Enzyms als Protonendonor oder –akzeptor. Eine beson-
dere Bedeutung bei der enzymatischen Säure-Basen-Kata-
Der Vielzahl der Interaktionsmöglichkeiten bei der Ausbil- lyse kommt der Aminosäure Histidin zu (7 Kap. 2.3.4).
dung des Enzym-Substrat-Komplexes entspricht die Viel- Histidylreste können bei physiologischem pH-Wert in pro-
falt der enzymatischen Mechanismen. Bei formaler Be- tonierter Form als Broensted-Säure, in deprotonierter Form
118 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

Wasserstoffbrückenbindung mit dem unprotonierten Imi-


dazolring von Histidin-195 eingeht. Der Histidylrest-195
wirkt als allgemeine Base und übernimmt im Übergangszu-
stand der Reaktion das Proton der OH-Gruppe. Der Sauer-
stoff am C-Atom 2 des Lactats erhält so eine negative La-
dung, die eine ionische Bindung an einen weiteren Arginyl-
rest im aktiven Zentrum (nicht dargestellt) ermöglicht.
Dadurch wird der Übergangszustand stabilisiert und der
. Abb. 4.9. Funktion der Imidazolgruppe des Histidins als korre-
Hydridtransfer auf NAD+ erleichtert. Eine erneute Konfor-
spondierendes Säure-Basen-Paar. Der Transfer eines Protons geht
4 bei der allgemeinen Säurekatalyse von der protonierten Form des mationsänderung der LDH führt zur Öffnung des aktiven
Histidylrestes im Übergangszustand der Reaktion aus. Die deproto- Zentrums und zur Freisetzung der Produkte. Die Abgabe
nierte Form des Histidylrestes wirkt bei der allgemeinen Basenkatalyse des an Histidin-195 gebundenen Protons erfolgt erst bei der
als Protonenakzeptor Bindung des nächsten Substratmoleküls.
! Bei der covalenten Katalyse entsteht übergangsweise
dagegen als Broensted-Base wirken (. Abb. 4.9). Weitere
ein covalentes Enzym-Substrat-Intermediat.
funktionelle Gruppen, die an der allgemeinen Säure-Basen-
Katalyse teilnehmen, sind die Thiolgruppen von Cysteinyl- Covalente Katalyse. Strukturelle Voraussetzung für diesen
resten, die Hydroxylgruppen von Tyrosylresten und die Katalysemechanismus ist das Vorkommen nucleophiler
H-Aminogruppen von Lysylresten sowie prosthetische (negativ geladener) reaktiver Gruppen im aktiven Zentrum
Gruppen. des Enzyms, die mit elektrophilen (positiv geladenen)
In . Abb. 4.10 ist das Prinzip der Säure-Basen-Katalyse Gruppen der jeweiligen Substrate unter vorübergehender
am Beispiel der Lactatdehydrogenase (LDH) dargestellt. Ausbildung covalenter Bindungen reagieren können. Bei
Bei der Reaktion wird ein Hydridanion (rot) stereospezi- der Reaktion entsteht übergangsweise ein covalent gebun-
fisch vom Substrat L-Lactat auf das Cosubstrat NAD+ über- denes Zwischenprodukt (ein Intermediat), das besonders
tragen. Das Hydridanion ist in wässriger Lösung instabil. reaktionsfähig ist und schnell unter Bildung des Produktes
Für den katalytischen Prozess ist deshalb eine substratindu- umgesetzt wird.
zierte Konformationsänderung des Enzyms wichtig, durch Das Prinzip der covalenten Katalyse soll am Beispiel
die das aktive Zentrum geschlossen und Wasser aus dem des Lysozyms (Muraminidase, 7 Kap. 2.1.4) erklärt werden
aktiven Zentrum ausgeschlossen wird. L-Lactat wird in der (. Abb. 4.11). Dieses Enzym hydrolysiert E-(1,4)-glycosidi-
Substratbindungstasche des Enzyms so positioniert, dass sche Bindungen in Peptidoglykanen der Zellwand grampo-
seine Carboxylatgruppe eine Salzbrücke zur Seitenkette sitiver Bakterien zwischen N-Acetylmuraminsäure (NAM)
von Arginin-171 ausbildet und seine Hydroxylgruppe eine und N-Acetylglucosamin (NAG). Die Analyse der Raum-

. Abb. 4.10. Katalysemechanismus der Lactatdehydrogenase Übernahme des Protons der Hydroxylgruppe des Lactats durch Histi-
(Säure-Basen-Katalyse). L-Lactat wird im aktiven Zentrum durch eine din-195 ermöglicht eine reversible Übertragung eines Hydridanions
Salzbrücke seiner Carboxylatgruppe mit der Seitenkette von Arginin- (rot) auf den Pyridinring des NAD+ (Pfeilpaar unten). Erst bei der Bin-
171 und durch eine Wasserstoffbrücke seiner Hydroxylgruppe mit dung eines neuen Substratmoleküls wird das an Histidin-195 gebun-
dem unprotonierten Imidazolring von Histidin-195 gebunden. Die dene Proton freigesetzt (Pfeilpaar oben)
4.3 · Mechanismen der Enzymkatalyse
119 4

. Abb. 4.11. Katalysemechanismus des Lysozyms (covalente frei und durch ein Wassermolekül ersetzt. Als zweites Reaktionspro-
Katalyse). Lysozym spaltet die β-1,4-glycosidische Bindung zwischen dukt wird das covalent gebundene NAM-Derivat (R1-NAG-O-NAM-OH)
N-Acetylglucosamin (NAG) und N-Acetylmuraminsäure (NAM) in hydrolytisch von Aspartat-52 freigesetzt. Quelle: Kirby AJ (2001): The
Peptidoglykanen. Unter Einwirkung der undissoziierten Seitenkette lysozyme mechanism sorted – after 50 years. Nature Struct Biol 8:737–
von Glutamat-35 wird das C-Atom 1 eines NAM-Restes des Peptido- 8739 (Verwendung der Abbildung mit freundlicher Genehmigung
glycan-Substrates von der Carboxylatgruppe des Aspartatrestes 52 von A.J. Kirby, University of Cambridge, UK)
nucleophil angegriffen. Das erste Reaktionsprodukt (HO-NAG-R2) wird

struktur des Lysozyms ergab, dass die zu hydrolysierende Ein repräsentatives Beispiel für die Beteiligung von Metal-
Bindung des Substrates in der Nähe der Aminosäurereste lionen an der Biokatalyse ist die reversible Hydratisierung
von Glutamat-35 und Aspartat-52 positioniert wird. Bei der von CO2 zu Hydrogencarbonat (Bicarbonat) durch das
Katalyse wirkt Glutamat-35 zunächst als allgemeine Säure. zinkabhängige Enzym Carbonanhydrase:
Unter dem Einfluss seiner undissoziierten Seitenkette kann
das C-Atom 1 eines NAM-Restes von der Carboxylatgruppe (18)
des Aspartatrestes 52 nucleophil angegriffen werden. Das
Spaltprodukt HO-NAG-R2 des makromolekularen Subs- Beim Menschen kennt man 15 Isoenzyme der Carboanhy-
trates wird frei und durch ein Wassermolekül ersetzt. Gleich- drase. Das im Erythrozyten exprimierte Isoenzym spielt
zeitig entsteht ein covalent an Aspartat-52 gebundenes R1- eine wichtige Rolle beim CO2-Transport im Blut (7 Kap.
Glycosyl-Enzym-Intermediat. Im zweiten Reaktionsschritt 29.2.2). Im aktiven Zentrum dieses Enzyms wird das für die
wirkt die dissoziierte Seitenkette des Glutamat-35 als allge- Reaktion essentielle Zn2+-Ion von den Imidazolgruppen
meine Base und unterstützt den nucleophilen Angriff des dreier Histidylreste komplexiert (. Abb. 4.12). Die vierte
gebundenen Wassermoleküls, der zur Freisetzung des Sub- Koordinationsstelle ist durch ein Wassermolekül besetzt,
stratspaltproduktes R1-NAG-O-NAM-OH und zur Regene- dessen Acidität durch Koordination an die Lewis-Säure
rierung der Carboxylatgruppe des Aspartat-52 führt. Zn2+ erhöht wird. Dadurch entsteht ein reaktionsfähiges
Hydroxylanion sowie ein Proton, das von einem weiteren
Metallionen-vermittelte Katalyse. Metallionen wirken als Histidylrest (His-64, nicht abgebildet) übernommen wird.
Cofaktoren einer Vielzahl von Enzymen, indem sie Das Substrat CO2 wird so positioniert, dass ein Angriff des
4 eine optimale Substratkonformation durch Bildung Hydroxylanions auf dessen Kohlenstoffatom erfolgen kann.
eines Metallion-Substrat-Komplexes induzieren Anschließend wird das entstandene Hydrogencarbonat
4 durch reversible Änderung ihres Oxidationszustandes durch ein Wassermolekül aus dem aktiven Zentrum ver-
an Redoxreaktionen teilnehmen drängt. Durch eine Konformationsänderung des Enzyms
4 Ladungen stabilisieren und die Reaktionsfähigkeit be- wird das an Histidin-64 gebundene Proton freigesetzt und
stimmter Atome durch Polarisierung erhöhen damit das aktive Zentrum regeneriert.
120 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

Auch andere Zinkenzyme nutzen das gleiche Reak-


tionsprinzip wie die Carboanhydrase: Die funktionelle
Gruppe ist jeweils ein reaktionsfähiges Hydroxylanion,
das als Nucleophil das Kohlenstoffatom polarer C-N- oder
C-O-Bindungen angreift.
! Der Katalysemechanismus der Serinproteasen besteht
aus zwei Reaktionsschritten, die durch ein covalent
gebundenes Intermediat miteinander verknüpft sind.

4 Kombinierte Katalysemechanismen. Die Serinproteasen


gehören zu einer weit verbreiteten Familie von Enzymen,
die die Hydrolyse von Peptidbindungen in Proteinen und
Peptiden katalysieren. Zu den Serinproteasen gehören
u.a. Verdauungsenzyme, Enzyme der Blutgerinnung (7 Kap.
29.5.3) und Enzyme der Fibrinolyse (7 Kap. 29.5.4). Dem
Gruppennamen entsprechend besitzen Serinproteasen in
. Abb. 4.12. Katalysemechanismus der Carboanhydrase (Metall-
ionen-Katalyse). Im aktiven Zentrum des Enzyms entsteht an dem ihrem aktiven Zentrum einen Serylrest, der eine entschei-
durch drei Histidylreste und ein Wassermolekül komplexierten Zinkion dende Rolle bei der Katalyse der proteolytischen Reaktion
ein reaktionsfähiges Hydroxylanion. Das gleichzeitig entstehende spielt.
Proton wird von einem weiteren Histidylrest (nicht gezeigt) übernom- Der Katalysemechanismus der Serinproteasen ist
men. Ein CO2-Molekül wird so positioniert, dass ein Angriff des Hydro-
eine Kombination von allgemeiner Säure-Basen-Katalyse
xylanions auf dessen Kohlenstoffatom erfolgen kann. Der Zink-Kom-
plex wird durch Wasser unter Freisetzung von HCO3– gespalten und und covalenter Katalyse. . Abb. 4.13 stellt den Reaktions-
das an Histidin gebundene Proton nachfolgend freigesetzt mechanismus dieser Enzyme am Beispiel des Chymo-

. Abb. 4.13. Katalysemechanismus des


Chymotrypsins (gemischte Katalyse). Die
OH-Gruppe von Serin-195 wird durch den
Imidazolrest von Histidin-57 polarisiert und
greift die Carbonylgruppe des Substrates
an der Spaltstelle nucleophil an. Der
Imidazolring von Histidin-57 übernimmt
das Proton von Serin-195 unter Bildung
eines Imidazolium-Ions. Aus dem
tetraedrischen Intermediat entsteht unter
Deprotonierung von Histidin-57 ein
Acylenzym-Zwischenprodukt. Dabei
kommt es zur Freisetzung des ersten
Reaktionsproduktes R2-NH2. Die Bindung
eines Wassermoleküls verursacht die
Spaltung der Esterbindung zwischen Serin-
195 und dem zweiten Reaktionsprodukt R1-
COOH
4.4 · Enzymkinetik
121 4

trypsins dar. Im aktiven Zentrum befindet sich die so freigesetzt. Dabei entsteht ein covalentes Acylenzym
genannte katalytische Triade, die aus den Aminosäuren R1-CO-O-Ser-195
Histidin-57, Aspartat-102 und Serin-195 besteht (7 Kap. 4.2; 4 Im zweiten Reaktionsschritt erfolgt die Freisetzung des
. Abb. 4.6). Die Seitenkette von Serin-195 ist über eine covalent gebundenen Produktes R1-COOH. Dazu wird
Wasserstoffbrücke mit dem Imidazolring von Histidin-57 ein Wassermolekül als zweites Substrat im aktiven Zen-
verbunden, die NH-Gruppe des gleichen Imidazolrin- trum gebunden und der R1-CO-Rest auf dieses Wasser-
ges durch eine Wasserstoffbrücke mit der Carboxylat- molekül übertragen. Das jetzt protonierte Histidin-57
gruppe des Aspartat-102 verknüpft. Durch diese Wech- wirkt als allgemeine Säure und überträgt ein Proton auf
selwirkungen wird die OH-Gruppe der Seitenkette von den Serylrest 195. Damit wird das aktive Zentrum wie-
Serin-195 polarisiert. Die Hydrolyse der Peptidbin- derhergestellt
dung des Proteinsubstrates erfolgt danach in zwei
Schritten: Das am Beispiel des Chymotrypsins dargestellte Wechsel-
4 Histidin-57 wirkt als allgemeine Base und übernimmt spiel zwischen der Hydroxylgruppe eines Serylrestes und
das Proton des Serylrestes 195. Der deprotonierte, stark einem benachbarten Histidylrest findet sich bei allen bisher
nucleophile Serylrest-195 greift den Carbonyl-Kohlen- untersuchten Serinproteasen. Neuere Untersuchungen zur
stoff der zu spaltenden Peptidbindung an. Es entsteht Rolle des Aspartat-102 haben gezeigt, dass die mit dem
ein Intermediat, in dem der Carbonyl-Kohlenstoff te- Imidazolrest von Histidin-57 ausgebildete Wasserstoffbrü-
traedrisch koordiniert ist. Das Oxyanion des tetraedri- cke zur Stabilisierung des Übergangszustandes beiträgt. Die
schen Zwischenzustandes wird durch Wasserstoff- Bedeutung dieser Interaktion wird eindrucksvoll durch das
brücken mit Peptidgruppierungen des Chymotrypsins Ergebnis einer gezielten Mutagenese verdeutlicht, bei der
stabilisiert, die Bestandteile der so genannten Oxy- Aspartat-102 durch Asparagin ersetzt wurde: Infolge der
anion-Tasche des Enzyms sind (nicht gezeigt). Aus dem Mutation wird die katalytische Aktivität des Chymotryp-
Intermediat wird das erste Reaktionsprodukt R2-NH2 sins auf 0,01% der Ausgangsaktivität reduziert.

In Kürze
Die Wechselwirkungen der reaktiven Aminosäurereste Die komplexen Reaktionsmechanismen vieler Enzyme
und Coenzyme im aktiven Zentrum eines Enzyms mit sind das Ergebnis der Nutzung mehrerer Katalysestrategi-
dem jeweiligen Substrat werden durch eine Vielzahl en. Bei Serinproteasen ist die Bildung und der Zerfall eines
nebenvalenter Bindungen bestimmt. covalenten Acylenzym-Intermediates (covalente Katalyse)
Die unterschiedlichen Mechanismen der Enzymkata- untrennbar mit einem reversiblen Protonentransfer (Säure-
lyse widerspiegeln die Vielfalt der Enzym-Substrat-Inter- Basen-Katalyse) unter Beteiligung von Aminosäuren
aktionen. Man unterscheidet zwischen folgenden Kataly- des aktiven Zentrums verbunden.
semechanismen: Die Kenntnis der molekularen Mechanismen der En-
4 Säure-Basen-Katalyse zymkatalyse bildet eine grundlegende Voraussetzung für
4 Metallionen-vermittelte Katalyse die Entwicklung hochwirksamer und spezifischer Enzym-
4 covalente Katalyse inhibitoren mit therapeutischem Einsatzpotential.

4.4 Enzymkinetik die beobachtete Reaktionsgeschwindigkeit von den Kon-


zentrationen aller Reaktionsteilnehmer abhängig sein
4.4.1 Michaelis-Menten-Gleichung muss.
Die Reaktionsgeschwindigkeit ist allgemein definiert
! Die Geschwindigkeit einer enzymkatalysierten Reak- als die Veränderung der Substrat- oder Produktkonzentra-
tion wird bestimmt durch die Substrat- und Enzymkon- tion pro Zeiteinheit:
zentration.
(19)
Von Leonor Michaelis und Maud Leonora Menten wurde
bereits 1913 eine einfache Theorie zur Erklärung der hy- Für den einfachsten Fall einer enzymkatalysierten Reaktion
perbolen Abhängigkeit der Geschwindigkeit einer enzym- gilt:
katalysierten Reaktion von der Substratkonzentration ent-
wickelt. Mechanistische Grundlage des Michaelis-Men- (20)
ten-Modells ist eine stöchiometrische Wechselwirkung
von Enzym und Substrat, die zur Bildung eines Enzym- Das Enzym E bildet mit dem Substrat S in einer reversiblen
Substrat-Komplexes führt. Aus dieser Annahme folgt, dass ersten Teilreaktion den Enzym-Substrat-Komplex ES. Aus
122 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

[S] bezeichnet die Konzentration des freien Substrates, [E]


die des freien Enzyms.
Unter der Annahme, dass die Substratkonzentration im
Messzeitraum größer ist als die Gesamtkonzentration des
Enzyms (ET) erhält man unter Berücksichtigung der Sum-
mengleichung

(23)

4 eine Gleichung für die quasi-stationäre Konzentration des


Enzym-Substrat-Komplexes:

(24)

In Gleichung 24 ist

. Abb. 4.14. Entstehung eines Fließgleichgewichtes während


einer enzymkatalysierten Reaktion. In der pre-steady-state-Phase (25)
kommt es zum Aufbau des Enzym-Substrat-Komplexes (ES), dessen
Konzentration über einen längeren Zeitabschnitt hinweg nahezu
konstant bleibt. In dieser Phase kann die Reaktion näherungsweise als Aus den Gleichungen 21, 24 und 25 erhält man unter Ein-
ein Fließgleichgewicht (quasi-steady state) für den ES-Komplex be- beziehung des Zusammenhanges
schrieben werden. E, S und P stehen für Enzym, Substrat und Produkt.
Die Konzentrationen von E und ES sind überproportional dargestellt
(26)

ES entsteht in einer zweiten Teilreaktion (die aus mehreren die als Michaelis-Menten-Gleichung bezeichnete Ab-
Einzelschritten bestehen kann) das Reaktionsprodukt P. hängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit von der Substrat-
Gleichzeitig wird das unveränderte Enzym freigesetzt. konzentration:
Vernachlässigt man die Möglichkeit der Rückreaktion
von E und P zu ES (weil [P] a 0 und/oder k–2 << k+2 ist), (27)
erhält man für die Geschwindigkeit der Enzymreaktion

(21) Die durch die Michaelis-Menten-Gleichung beschriebene


V/[S]-Charakteristik zeigt einen hyperbolen Verlauf
! Die Reaktionsgeschwindigkeit im Fließgleichgewicht (. Abb. 4.15). Wird die Substratkonzentration [S] erhöht,
ist der Konzentration des Enzym-Substrat-Komplexes während alle anderen Parameter konstant bleiben, so nä-
proportional. hert sich die Reaktionsgeschwindigkeit V dem Maximal-
wert VMAX an. Die Maximalgeschwindigkeit ist als exten-
. Abb. 4.14 zeigt schematisch den Verlauf der Konzentrati- sive Größe der eingesetzten Enzymkonzentration [ET] pro-
onen der Reaktionspartner bei einer enzymkatalysierten portional.
Reaktion. Die Kurven wurden nach dem in Gleichung (20) Der Parameter k+2 ist eine Geschwindigkeitskonstante
beschriebenen Reaktionsschema erhalten. Zunächst findet erster Ordnung und wird als katalytische Konstante
ein rascher Aufbau des Enzym-Substrat-Komplexes statt. (turnover number) bezeichnet (7 Kap. 4.2.5). Er gibt die
Nach dieser als »pre-steady state« bezeichneten initialen maximale Zahl von Substratmolekülen an, die pro Enzym-
Reaktionsphase bleibt die Konzentration des Enzym-Sub- molekül pro Sekunde in Produkt umgewandelt werden
strat-Komplexes (und die des freien Enzyms E) bei ausrei- können.
chender Substratverfügbarkeit für einen längeren Zeitab- Die Konstante KM ist die Michaelis-Konstante. Sie
schnitt nahezu unverändert, weil sich die Geschwindigkei- trägt die Maßeinheit einer Konzentration und besitzt eine
ten der Bildung und des Zerfalls von ES die Waage halten. anschauliche Bedeutung: Bei [S] = KM beträgt der Wert des
Diese Phase der Reaktion kann näherungsweise als ein Quotienten [S]/(KM + [S]) = ½.
Fließgleichgewicht (engl. steady state) in Bezug auf den Damit gibt die Michaelis-Konstante diejenige Subs-
Enzym-Substrat-Komplex beschrieben werden. Im Fließ- tratkonzentration an, bei der halbmaximale Reaktions-
gleichgewicht erhält man: geschwindigkeit erreicht wird.
KM ist keine Gleichgewichtskonstante, sondern eine
kinetische Konstante. Nur wenn k+2 sehr viel kleiner als k–1
(22)
ist, entspricht die Michaelis-Konstante näherungsweise der
4.4 · Enzymkinetik
123 4

eine lineare Beziehung über, da dann [S] gegenüber KM im


Nenner vernachlässigt werden kann:

(28)

Der Betrag von k+2 /KM ist ein Maß für die katalytische
Wirksamkeit eines Enzyms. Limitiert wird diese Größe
durch die Geschwindigkeit der difussionskontrollierten
Kollision der Enzym- und Substratmoleküle. In wässrigen
Lösungen ist der Wert von k+2 /KM auf etwa 109 s–1 M–1 be-
grenzt. Ein Enzym, das diesen auch als kinetisches Opti-
mum bezeichneten Grenzwert erreicht, kann diesbezüglich
als katalytisch perfekt betrachtet werden.
In . Tabelle 4.8 sind charakteristische kinetische Para-
. Abb. 4.15. Sättigungskinetik einer Enzymreaktion. Die Michae-
meter ausgewählter Enzyme zusammengestellt. Der k+2 /
lis-Menten-Gleichung beschreibt eine hyperbole Abhängigkeit der KM-Wert weist Superoxiddismutase als ein katalytisch per-
Reaktionsgeschwindigkeit einer Enzymreaktion von der Substratkon- fektes Enzym aus. Eine Erhöhung der katalytischen Effizi-
zentration. Mit steigender Substratkonzentration nähert sich die enz eines solchen Enzyms könnte nur durch eine Vermei-
Reaktionsgeschwindigkeit asymptotisch der Maximalgeschwindigkeit
dung oder Begrenzung von Diffusionswegen erreicht wer-
(VMAX). Die Michaelis-Konstante (KM) gibt die Substratkonzentration an,
bei der die Reaktionsgeschwindigkeit ½ VMAX beträgt
den. In der Zelle kann dies prinzipiell durch die Integration
von Einzelenzymen in Multienzymkomplexe erreicht wer-
den (7 Kap. 4.2.1).
Dissoziationskonstanten des Enzym-Substrat-Komplexes.
! Die Michaelis-Menten-Gleichung beschreibt nähe-
KM stellt dann ein Maß für die Substrataffinität des Enzyms
rungsweise das kinetische Verhalten vieler Enzyme.
dar. Ein Enzym mit hoher Affinität zum Substrat besitzt
eine niedrige Michaelis-Konstante und umgekehrt. Im Ge- Die Michaelis-Menten-Gleichung wurde für ein minimales
gensatz zu VMAX hängt der numerische Wert der Michaelis- Reaktionsschema (Gleichung 20) abgeleitet, bei dem der
Konstanten nicht von der eingesetzten Enzymkonzentra- Zerfall des Enzym-Substratkomplexes unmittelbar zur Bil-
tion ab. dung des Produktes führt. Man kann aber zeigen, dass viele
komplexere Reaktionsmodelle unter steady-state-Bedin-
! Der Quotient k+2 /KM ist ein Maß für die katalytische
gungen mit der Michaelis-Menten-Gleichung beschrieben
Wirksamkeit eines Enzyms.
werden können. Auch bei Enzymen mit mehreren Substra-
Enzymaktivitäten werden in vitro oft unter »Sättigungsbe- ten folgt die Abhängigkeit der Enzymaktivität von der Kon-
dingungen« gemessen, d.h., dass die Substratkonzentration zentration eines der Substrate in vielen Fällen näherungs-
den KM-Wert im Messzeitraum um ein Vielfaches über- weise der Michaelis-Menten-Gleichung.
schreitet. Auf diese Weise bestimmt man die maximale Eine wesentliche Grundlage der Michaelis-Menten-Glei-
katalytische Aktivität eines Enzyms. Demgegenüber fin- chung ist die Annahme eines Fließgleichgewichtes. In vitro
det man unter physiologischen Bedingungen häufig Subs- kann eine solche Situation erreicht werden, wenn die einge-
tratkonzentrationen vor, die sogar weit unterhalb der KM- setzte Enzymkonzentration klein im Vergleich zur Substrat-
Werte der Enzym-Substrat-Paare liegen. Die Michaelis- konzentration ist. Diese Voraussetzung ist unter zellphysio-
Menten-Gleichung geht bei [S] Ⰶ KM näherungsweise in logischen Bedingungen in der Regel nicht gegeben.

. Tabelle 4.8. Kinetische Konstanten von Enzymen


Enzym Substrat KM [M] k+2 [s–1] k+2/KM [s–1*M–1] Kapitel
Superoxiddismutase Superoxidanion 3,5 × 10–4 2,4 × 106 7,0 × 109 15
–4 3 8
Triosephosphatisomerase D-Glycerinaldehyd-3-phosphat 4,7 × 10 4,3 × 10 2,4 × 10 11
–5 4 8
Acetylcholinesterase Acetylcholin 9,0 × 10 1,4 × 10 1,6 × 10 32
E-Lactamase Benzylpenicillin 2,0 × 10–5 2,0 × 103 1,0 ×108 17
–2 6 7
Carboanhydrase CO2 1,2 × 10 1,0 × 10 8,3 × 10 30
Katalase H2O2 8,0 × 10–2 6,0 × 105 7,3 × 106 15
–5 5
Aspartataminotransferase Aspartat 1,5 × 10 120 1,0 ×10 13
124 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

Experimentelle Bestimmung von KM und VMAX. Enzym- 4.4.2 Enzymhemmung und


aktivitäten werden bei vielen praktischen Anwendungen Enzyminhibitoren
unter so genannten Initialbedingungen bestimmt. Dabei
wird das für die kinetische Analyse genutzte Zeitintervall Enzyminhibitoren. Verbindungen, deren Gegenwart die
so bemessen, dass die Abnahme der Substratkonzentration katalytische Aktivität eines Enzyms verändert, werden als
– genauso wie die Zunahme der Produktkonzentration – Enzymeffektoren bezeichnet. Positive Effektoren wirken als
vernachlässigbar gering ist. Grundsätzlich lassen sich die Aktivatoren, negative als Hemmstoffe oder Inhibitoren.
kinetischen Parameter VMAX und KM dann aus Messun- Physiologische Hemmstoffe der katalytischen Aktivität von
gen von Reaktionsgeschwindigkeiten bei verschiedenen Proteasen sind beispielsweise die im Serum nachweisbaren
4 Substratkonzentrationen ableiten. Praktisch ist die Schät- Proteaseinhibitoren D1-Antitrypsin oder Antithrombin
zung dieser Parameter aus der graphischen Darstellung (7 Kap. 29.5.3, 29.5.4). Zur Gruppe der unphysiologischen
der experimentell bestimmten V/[S]-Wertepaare jedoch Hemmstoffe von Enzymen gehören viele Zellgifte, aber
schwierig, da sich die Reaktionsgeschwindigkeit mit stei- auch eine große Anzahl von Arzneimitteln (7 Kap. 4.6.2).
gender Substratkonzentration nur langsam dem Maximal- Nach der Art der Reaktion des Inhibitors mit dem En-
wert nähert (. Abb. 4.15). Dieses Problem kann durch zym können zwei Hemmtypen unterschieden werden, die
verschiedene Transformationen der Michaelis-Menten- reversible und die irreversible Enzymhemmung. Eine re-
Gleichung in lineare Beziehungen gelöst werden. Das versible Hemmung ist im Vergleich zu einer irreversiblen
bekannteste Beispiel hierfür ist die Linearisierung nach Hemmung durch eine Dissoziation des Enzym-Inhibitor-
Lineweaver und Burk: Komplexes charakterisiert und kann durch die Entfernung
des Inhibitors aufgehoben werden.
(29)
! Reversible kompetitive Inhibitoren haben keinen Ein-
fluss auf die Maximalgeschwindigkeit.

Die Auftragung der reziproken Werte von Substratkonzen- Kompetitive Enzymhemmung. Dieser Hemmtyp ist da-
tration und Reaktionsgeschwindigkeit liefert eine Gerade, durch gekennzeichnet, dass die chemische Struktur des
die die Abszisse bei –1/KM und die Ordinate bei 1/VMAX Inhibitors (I) der des Substrates ähnelt und der Hemmstoff
schneidet (. Abb. 4.16). Das Lineweaver-Burk-Diagramm reversibel mit dem Enzym zum Enzym-Inhibitor-Komplex
wird auch heute noch zur Darstellung enzymkinetischer (EI) reagiert (. Abb. 4.17a). Sind Substrat und Hemmstoff
Messwerte genutzt. Die bei niedrigen Substratkonzentrati- gleichzeitig anwesend, konkurrieren sie um die gleiche Bin-
onen gemessenen V-Werte erhalten in der reziproken Auf- dungsstelle am Enzym. Ein besonders gut untersuchtes Bei-
tragung ein besonderes Gewicht, obwohl sie nur relativ spiel hierfür ist die Hemmung der Succinatdehydrogenase
ungenau gemessen werden können. Seit geraumer Zeit exi- durch Malonat.
stieren alternative Verfahren zur statistisch korrekten Erhöht man bei gleich bleibender Hemmstoffkonzen-
Schätzung von VMAX und KM aus Messdaten. tration die Konzentration des Substrates, nimmt die Wahr-
scheinlichkeit zu, dass sich ES anstelle von EI bildet. Bei
genügend hoher Substratkonzentration ist die Konzentra-
tion von EI folglich vernachlässigbar gering. Eine kompeti-
tive Hemmung kann daher durch eine Erhöhung der Subs-
tratkonzentration aufgehoben werden.
Formal besteht die Wirkung eines kompetitiven Inhibi-
tors in einer Erhöhung des scheinbaren (apparenten) KM-
Wertes für das Substrat S:

(30)

K I ist die Dissoziationskonstante des Enzym-Inhibitor-


Komplexes und trägt die Maßeinheit einer Konzentration.
Je kleiner der numerische Wert für KI ist, desto potenter ist
der Hemmstoff für das betreffende Enzym.
. Abb. 4.17b stellt die Reaktionsgeschwindigkeit in Ab-
hängigkeit von der Substratkonzentration bei verschie-
. Abb. 4.16. Linearisierung der Michaelis-Menten-Gleichung
denen Konzentrationen eines kompetitiven Inhibitors dar.
nach Lineweaver und Burk. Die doppelt-reziproke Auftragung der
Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit einer Enzymreaktion von Alle Kurven nähern sich mit steigender Substratkonzentra-
der Substratkonzentration erlaubt eine einfache Bestimmung der tion der Maximalgeschwindigkeit VMAX. In der Darstellung
kinetischen Parameter VMAX und KM nach Lineweaver und Burk (. Abb. 4.17c) schneiden sich
4.4 · Enzymkinetik
125 4

. Abb. 4.17a–c. Kompetitive Enzymhemmung. a Reaktionssche- bewirkt eine Erhöhung des apparenten (scheinbaren) KM-Wertes und
ma. Das Substrat und der Inhibitor konkurrieren um den gleichen kann durch hohe Substratkonzentrationen aufgehoben werden.
Bindungsort im aktiven Zentrum des Enzyms. b Kinetik bei verschie- c Darstellung der Kinetik im Lineweaver-Burk-Diagramm
denen Konzentrationen des Inhibitors. Die kompetitive Hemmung

die für unterschiedliche Hemmstoffkonzentrationen erhal-


tenen Geraden auf der Ordinate bei 1/VMAX.

Infobox
Sulfonamide wirken als kompetitive Inhibitoren
Mikroorganismen können die für den Zellstoffwechsel
benötigte Folsäure aus p-Aminobenzoesäure und
anderen Metaboliten synthetisieren (7 Kap. 23.3.8).
Eine Hemmung der Folsäuresynthese bewirkt eine . Abb. 4.18. Struktur von Sulfonamiden. Sulfonamide sind Struk-
Inhibition des bakteriellen Wachstums. 1932 entdeckte turanaloga der p-Aminobenzoesäure und verhindern die bakterielle
Gerhard Domagk, dass Derivate des Sulfanilamids als Synthese der Folsäure durch kompetitive Hemmung der Dihydropte-
Strukturanaloga der p-Aminobenzoesäure durch eine roat-Synthase
kompetitive Hemmung der an der Folsäurebiosynthese
beteiligten Dihydropteroat-Synthase bakteriostatisch mit dem Enzym nicht stattfindet. Ursache hierfür ist die
wirken. Seit dieser Zeit finden Sulfonamide, deren strukturelle Unterschiedlichkeit von nichtkompetitivem
Grundstruktur derjenigen des Sulfanilamids entspricht, Inhibitor und Substrat. Da Hemmstoff und Substrat mit
bei der Behandlung bakterieller Infektionskrankheiten verschiedenen Bindungsstellen des Enzyms interagieren,
Anwendung (. Abb. 4.18). Da der Mensch die Enzyme ist sowohl eine Bildung von EI als auch von EIS möglich
der Folsäurebiosynthese nicht besitzt und Folsäure für (. Abb. 4.19a). Nichtkompetitive Inhibitoren reduzieren
ihn daher ein Vitamin darstellt, ist Sulfanilamid in dieser die Maximalgeschwindigkeit VMAX eines Enzyms, ohne
Hinsicht nicht toxisch. Domagk erhielt für seine Entde- den KM–Wert zu verändern (. Abb. 4.19b,c). Formal führt
ckung 1939 den Nobelpreis für Medizin. Das Sulfona- die nichtkompetitive Hemmung zu einer Verringerung
mid Sulfamethoxazol wird heute in Kombination mit der wirksamen Enzymmenge. Im Gegensatz zur kompe-
Inhibitoren der bakteriellen Dihydrofolatreduktase titiven Hemmung ist eine Kompensation der Hemmung
(7 Kap. 19) bei der Therapie von Harnwegsinfektionen durch eine Erhöhung der Substratkonzentration nicht
eingesetzt. möglich.

(31)
! Reversible nichtkompetitive Inhibitoren reduzieren die
Maximalgeschwindigkeit einer Enzymreaktion.
K I bezeichnet wiederum die Dissoziationskonstante des
Nichtkompetitive Hemmung. Die Bezeichnung dieses Enzym-Inhibitor-Komplexes.
Hemmtyps verdeutlicht, dass eine Konkurrenz zwi- Da die Bindung eines nichtkompetitiven Inhibitors an
schen Substrat und Hemmstoff bei der Wechselwirkung ein Enzym außerhalb des aktiven Zentrums in Abweichung
126 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

. Abb. 4.19a–c. Nichtkompetitive Enzymhemmung. a Reaktions- umgesetzt. b Kinetik bei verschiedenen Konzentrationen des Inhi-
schema. Der Inhibitor bindet außerhalb des aktiven Zentrums des bitors. Die nichtkompetitive Hemmung bewirkt eine Erniedrigung
Enzyms und ist ohne Einfluss auf die Substratbindung. Der ternäre EIS- von VMAX, während der KM-Wert unverändert bleibt. c Darstellung der
Komplex wird nicht (oder nur langsam) unter Bildung des Produktes Kinetik im Lineweaver-Burk-Diagramm

von der hier getroffenen Darstellung durchaus auch die Beispielen einer unkompetitiven Hemmung gehört die
Substratbindung beeinflussen kann, gehört die reversible Wirkung des als Antidepressivum eingesetzten Lithium-
rein nichtkompetitive Hemmung zu den seltenen Formen chlorids. Dieser Inhibitor hemmt die am Abbau des Ino-
einer Enzymhemmung. sitol-1,4,5-trisphosphats beteiligte Inositolmonophos-
phatase.
! Reversible unkompetitive Inhibitoren erniedrigen VMAX
und KM eines Enzyms. ! Übergangsanaloga sind eine besonders wirksame
Gruppe von Enzyminhibitoren.
Eine unkompetitive Enzymhemmung ist dadurch cha-
rakterisiert, dass der Inhibitor nur mit dem Enzym- Übergangszustandsanaloga (transition state analogs) sind
Substrat-Komplex, nicht aber mit dem freien Enzym Moleküle, die eine strukturelle Ähnlichkeit mit dem Über-
reagiert. Die funktionelle Folge ist neben einer Ernied- gangszuständen der Substrate von Enzymreaktionen
rigung von VMAX eine Zunahme der apparenten Substrat- aufweisen. Sie binden an das aktive Zentrum der Zielen-
affinität (Abnahme des KM-Wertes). Die unkompetitive zyme oftmals wesentlich fester als deren natürliche Subs-
Hemmung wird gelegentlich auch als antikompetitive trate und Effektoren. Die Purinnucleosid-Phosphorylase
Hemmung bezeichnet, weil der Effekt des Inhibitors (7 Kap. 19.3.1) katalysiert die Reaktion:
durch eine steigende Substratkonzentration verstärkt
wird. Zu den seltenen, aber medizinisch bedeutsamen (32)

. Abb. 4.20. Hemmung von Enzymen durch Übergangszu- Farbschema (links) illustriert den Übergang von positiv geladenen
standsanaloga. Die Purinnucleosid-Phosphorylase wird durch Immu- Domänen (blau) zu Bereichen mit negativem molekularen Oberflä-
cillin-H, ein Analogon des Übergangszustandes der Reaktion, ge- chenpotential. Quelle: Schramm VL (2005) Enzymatic transition states:
hemmt (KI | 20 pM). Darstellung der elektrostatischen Oberflächenpo- thermodynamics, dynamics and analogue design. Arch Biochem
tentiale des Substrates Inosin, des (hypothetischen) Übergangszu- Biophys 433:13–26 (Verwendung der Abbildung mit freundlicher
standes der Reaktion und von Immucillin-H. Das Oberflächenpotential Genehmigung von V.L. Schramm, Albert Einstein College of Medicine,
beschreibt molekulare Eigenschaften wie nichtcovalente Wechselwir- New York, USA)
kungen, die für die Enzym-Inhibitor-Interaktion bedeutsam sind. Das
4.4 · Enzymkinetik
127 4

Immucillin-H ist ein transition-state-Analogon des Subs-


trates Inosin und hemmt das Enzym sehr effektiv. Der KI-
Wert für Immucillin-H liegt um mehr als zwei Größen-
ordnungen unter dem KM-Wert für das Substrat Inosin
(. Abb. 4.20).
! Suizidsubstrate hemmen Enzyme irreversibel.

Als Suizidsubstrate bezeichnet man Hemmstoffe, die im


aktiven Zentrum eines Enzyms gebunden und umgesetzt
werden, infolge der Umsetzung jedoch in fester Bindung
am Enzym verbleiben. Dadurch wird das Fortschreiten der
Katalyse verhindert. Die Entwicklung von Arzneimitteln
auf der Basis von Suizidsubstraten ist von besonderem me-
dizinischen Interesse, weil durch die große Substrat- und
Reaktionspezifität der Enzyme eine weitgehend selektive
. Abb. 4.21. Temperaturabhängigkeit der Enzymaktivität. Die
Interaktion des Hemmstoffes mit dem Zielenzym erfolgt
blaue Kurve zeigt den für chemische Reaktionen charakteristischen
und so schädliche Nebenwirkungen begrenzt werden kön- exponentiellen Anstieg der Reaktionsgeschwindigkeit bei steigender
nen. Zu den therapeutisch wichtigen Suizidsubstraten ge- Temperatur (Q10 = 2). Der Abfall der Enzymaktivität bei höheren
hört das Hypoxanthin-Analogon Allopurinol, das die Temperaturen (rote Kurve) wird durch die thermische Inaktivierung
Xanthinoxidase hemmt (7 Kap. 19.4.1). Die enzymatische des Enzymproteins verursacht. Die Lage des Temperaturoptimums ist
von den Konzentrationen der Substrate und Effektoren sowie von
Hydroxylierung des Allopurinols führt zur Bildung von
Milieubedingungen (pH-Wert, Ionenstärke usw.) abhängig
Alloxanthin, das fest gebunden an der Xanthinoxidase ver-
bleibt (sogen. dead-end complex).
Thermophilus aquaticus (Taq-Polymerase) bei der Poly-
merase-Kettenreaktion zur Vervielfachung von DNA-
4.4.3 Einfluss von Temperatur, pH-Wert Fragmenten. Das Enzym kann dabei wiederholt Reaktions-
und Oxidationsmitteln temperaturen um 90°C ausgesetzt werden (7 Kap. 7.4.3).
Auch einige humane Enzyme überstehen eine Hitzebe-
Temperaturabhängigkeit der Enzymaktivität. Inner- handlung ohne Verlust ihrer katalytischen Aktivität. Ein
halb eines begrenzten Temperaturbereiches erhöht sich solches Enzym ist die Ribonuclease, deren Temperatur-
die Geschwindigkeit enzymkatalysierter Reaktionen mit optimum bei ca. 60°C liegt.
steigender Temperatur. Der Beschleunigungsfaktor, der
sich ergibt, wenn die Temperatur um 10°C ansteigt, wird pH-Optimum der Enzymaktivität. Bestimmt man die ka-
auch Q10 oder Temperaturkoeffizient genannt. Die Ge- talytische Aktivität eines Enzyms bei verschiedenen pH-
schwindigkeit vieler enzymatischer Reaktionen wird bei Werten, so findet man in der Regel ein Aktivitätsmaximum
einer Temperaturerhöhung um 10 Grad etwa verdoppelt zwischen pH 4 und pH 9. Enzyme, die physiologischer-
(Q10 | 2). weise unter extremen pH-Bedingungen wirksam sind wie
. Abbildung 4.21 illustriert die Temperaturabhängig- z.B. das Pepsin im sauren Milieu des Magens, zeigen eine
keit der Geschwindigkeit einer Enzymreaktion. Diese maximale katalytische Aktivität außerhalb dieses pH-Be-
zeichnet sich durch ein Temperaturoptimum aus, jenseits reiches.
dessen die Reaktionsgeschwindigkeit steil abfällt. Ursache Die pH-Abhängigkeit der Enzymaktivität kann zurück-
hierfür ist eine Hitzedenaturierung des Enzymproteins. geführt werden auf eine
Für die meisten Enzyme liegt das Temperaturoptimum 4 reversible Dissoziation bzw. Ionisierung funktioneller
oberhalb der jeweiligen physiologischen Arbeitstempe- Gruppen des Enzyms
ratur. Beim Menschen findet man für viele Enzyme Tem- 4 reversible Dissoziation bzw. Ionisierung von Substraten
peraturoptima um 40°C. Die Lage des Temperaturopti- und/oder Coenzymen des Enzyms
mums ist von den Konzentrationen der Substrate und 4 Denaturierung des Enzymproteins
Effektoren des jeweiligen Enzyms, aber auch vom pH-
Wert anhängig. Der Einfluss des pH-Wertes auf die Enzymaktivität durch
Enzyme bestimmter thermophiler Mikroorganismen reversible (De)protonierung funktioneller Gruppen ist in
weisen Temperaturoptima nahe dem Siedepunkt des Was- . Abb. 4.22 am Beispiel der Cysteinprotease Caspase 9 il-
sers auf. Die strukturellen Besonderheiten dieser thermo- lustriert. Cysteinproteasen besitzen im aktiven Zentrum ein
stabilen Enzyme, die vor einer Hitzedenaturierung schüt- Motiv, das aus einem Cysteinyl- und einem Histidylrest be-
zen, sind noch weitgehend unbekannt. Praktische An- steht. Bei Caspase 9 wird dieses Strukturotiv durch Cystein-
wendung findet eine hitzestabile DNA-Polymerase aus 287 und Histidin-237 gebildet. Der Reaktionsmechanismus
128 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

. Abb. 4.22a–c. pH-Abhängigkeit der Enzymaktivität a Bänder-


modell der Raumstruktur der Cysteinprotease Caspase-9. Die für die
katalytische Funktion essentiellen Aminosäuren Cys-287 (gelb) und
His-237 (magenta) im aktiven Zentrum des Enzyms sind als Stab-
Modelle gezeigt b Die Titration von Cystein-287 und Histidin-237 führt
zu der für Enzyme charakteristischen Abhängigkeit der Enzymaktivität
vom pH-Wert. c Die Wendepunkte der Kurve werden durch die pKs-
Werte der proteingebundenen Seitenketten von Cys-287 und His-237
bestimmt. Die Molekülgraphik wurde unter Verwendung der PyMOL-
Software (http://www.pymol.org) mit freundlicher Genehmigung von
DeLano Scientific LLC erzeugt. Quelle: PDB 1NW9.

der Cysteinproteasen erfordert die Deprotonierung der Unter der Einwirkung von Oxidationsmitteln (darunter
Sulfhydrylgruppe des Cysteinylrestes unter Ausbildung ei- auch Luftsauerstoff) werden Sulfhydrylgruppen zu Disul-
nes stark nucleophilen Thiolat-Anions, das mit dem be- fidbrücken oxidiert. Die oxidativen Prozesse können zu
nachbarten Histidylrest ein reaktives Thiolat-Imidazolium- einer Konformationsänderung des Enzyms und damit zu
Ionenpaar ausbildet. Auf diese Weise entsteht die für einer Störung des Katalysemechanismus bis hin zu einem
einen nucleophilen Angriff des Cysteinylrestes 287 auf die vollständigen Verlust der Enzymaktivität führen.
Carbonylgruppe der Peptidbindung des Proteinsubstrates In vitro lässt sich unter Verwendung von Reduktions-
entscheidende Struktur. Die Deprotonierung von Cys-287 mitteln wie Glutathion oder Thioalkoholen eine Reaktivie-
wird durch einen Anstieg des pH-Wertes von pH 2 auf pH rung oxidierter Enzyme erreichen. Die SH-Reagenzien re-
6 erleichtert. Eine weitere Erhöhung des pH-Wertes führt duzieren dabei unter Disulfidaustausch S-S-Bindungen im
zu einer Deprotonierung von Histidin-237 und damit zur Enzym zu SH-Gruppen. In den Zellen des Organismus ist
Inaktivierung des Enzyms infolge der Zerstörung der für die Erzeugung eines bestimmten Reduktionspotentials für
die katalytische Aktivität der Protease unverzichtbaren die Aufrechterhaltung der vollen Aktivität vieler Enzyme
Wasserstoffbrücke. daher essentiell. Bemerkenswerterweise besitzt eine Viel-
zahl extrazellulärer Proteine und Enzyme nur dann eine
Oxidationsmittel. Bei einer Vielzahl intrazellulärer Enzy- biologische Aktivität, wenn spezifische Disulfidbrücken
me nehmen Sulfhydrylgruppen am Katalyseprozess teil. vorhanden sind.
4.5 · Regulation der Enzymaktivität
129 4

In Kürze

Die Michaelis-Menten-Gleichung beschreibt näherungs- Hemmung wird der Inhibitor sehr fest im aktiven Zentrum
weise das kinetische Verhalten vieler Enzyme. Grundlage gebunden oder das Enzym durch den Inhibitor dauerhaft
des Michaelis-Menten-Modells ist die reversible Bildung verändert. Im Gegensatz dazu kommt es bei der reversiblen
eines Enzym-Substrat-Komplexes, der unter Freisetzung Hemmung zu einer schnellen Gleichgewichtseinstellung
des Reaktionsproduktes zerfällt. Die Geschwindigkeit der zwischen Enzym und Inhibitor.
enzymkatalysierten Reaktion ist dabei der Konzentration Reversible kompetitive Inhibitoren konkurrieren mit
des Enzym-Substrat-Komplexes proportional. dem Substrat um den gleichen Bindungsort im aktiven
Die Michaelis-Menten-Gleichung bezieht sich auf Zentrum des Enzyms. Sie vergrößern die Michaelis-Kon-
einen stationären Zustand des Enzym-Substrat-Kom- stante, ohne die Maximalaktivität zu beeinflussen. Reversi-
plexes. Sie beschreibt eine hyperbole Abhängigkeit der ble nichtkompetitive Inhibitoren binden außerhalb des
Reaktionsgeschwindigkeit von der Substratkonzentration. aktiven Zentrums. Sie haben keinen Einfluss auf den KM–
Bei vollständiger Substratsättigung des Enzyms wird die Wert, verursachen aber eine Erniedrigung von VMAX.
Maximalaktivität VMAX erreicht. Die Michaelis-Konstante KM Suizidinhibitoren sind Hemmstoffe, die nach einem
entspricht derjenigen Substratkonzentration, bei der ½ katalytischen Schritt im aktiven Zentrum fest an das Enzym
VMAX erreicht wird. binden und dieses somit blockieren . Besonders wirksame
Enzyme können durch Inhibitoren reversibel oder Enzyminhibitoren sind Übergangszustandsanaloga von
irreversibel gehemmt werden. Im Falle der irreversiblen Enzymreaktionen.

4.5 Regulation der Enzymaktivität meisten Fällen ist hierfür eine Neueinstellung der Trans-
kriptionsmaschinerie erforderlich, die mehrere Stunden in
Vielzellige Organismen sind notwendigerweise bestrebt, Anspruch nehmen kann. Da auch die Halbwertszeit von
ihr intrazelluläres und extrazelluläres Milieu in engen Enzymen Minuten bis Tage beträgt, erscheint die Enzym-
Grenzen konstant zu halten. Dieses auch als Homöostase ausstattung einer Zelle relativ stabil.
bezeichnete Phänomen setzt voraus, dass sich die Ge-
! Die Änderung der Substratkonzentration kann eine
schwindigkeit und Richtung einer großen Zahl von Stoff-
schnelle Anpassung der Enzymaktivität bewirken.
wechselreaktionen den äußeren Bedingungen wirkungsvoll
anpassen lässt. Zellen und erst recht vielzellige Organismen Die Geschwindigkeit einer enzymkatalysierten Reaktion
müssen imstande sein, bestimmte Einzelreaktionen oder ist von der Enzymkonzentration und von der aktuellen
Stoffwechselwege zu verlangsamen oder stillzulegen und Konzentration der Substrate abhängig (7 Kap. 4.4.1). En-
gleichzeitig andere zu beschleunigen. Die Kontrolle enzym- zyme besitzen in der Regel eine Sättigungskinetik in Bezug
katalysierter Prozesse erfordert deshalb eine Vielzahl von auf die Substratkonzentration: Bei hohen Substratkonzen-
Mechanismen, die sowohl eine Veränderung der Enzym- trationen führt eine Veränderung von [S] zu nur geringen
menge als auch der Eigenschaften bereits vorhandener En- Änderungen der Reaktionsgeschwindigkeit, während im
zymmoleküle erlauben. Bereich niedriger Substratkonzentrationen bereits relativ
kleine Veränderungen von [S] vergleichsweise große Än-
derungen der Reaktionsgeschwindigkeit zur Folge haben
4.5.1 Veränderung der Enzymmenge können. Da sich die Konzentrationen der meisten Substra-
und der Substratkonzentration te in der Zelle unterhalb der KM-Werte der zugehörigen
Enzyme bewegen, können schon geringe Veränderungen
! Induktion und Repression sind Möglichkeiten der Lang- von Substratkonzentrationen in vivo funktionell bedeut-
zeitregulation der Enzymaktivität. same Veränderungen von Umsatzgeschwindigkeiten zur
Folge haben.
Die Anpassung des Enzymbestandes von Zellen oder Orga-
nismen an veränderte Umweltbedingungen ist die Folge
einer Modulation der Biosynthese und/oder des proteoly- 4.5.2 Einfluss von Enzymeffektoren
tischen Abbaus von Enzymen. Eine Stimulierung der Prote-
insynthese durch Anregung der Transkription des codie- ! Die Aktivität vieler Enzyme wird wirksam und schnell
renden Gens bezeichnet man als Induktion, den gegentei- durch allosterische Effektoren reguliert.
ligen Prozess als Repression. Veränderungen dieser Art
erfolgen oft auf ein extrazelluläres Signal hin und dienen Eine Vielzahl von Enzymen zeigt ein wesentlich komple-
einer längerfristigen Steuerung des Stoffwechsels. In den xeres kinetisches Verhalten als die durch die Michaelis-
130 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

. Abb. 4.23. Sigmoidale Kinetik allosterischer Enzyme. Die funkti-


onelle Interaktion der Substratbindungsstellen allosterischer Enzyme
führt zu einer sigmoidalen Abhängigkeit der Enzymaktivität von der . Abb. 4.24. Symmetrie-Modell allosterischer Enzyme (Monod-
Substratkonzentration (rote Kurve), die sich deutlich von der durch die Wyman-Changeux-Modell). Die Wechselwirkung der Untereinheiten
Michaelis-Menten-Gleichung bestimmten hyperbolen V/[S]-Charakte- des dimeren Enzyms erzwingt symmetrische Konformationszustände,
ristik unterscheidet (graue Kurve). S0,5 gibt diejenige Substratkonzent- die in einem allosterischen Gleichgewicht stehen. Der Übergang
ration an, bei der halbmaximale Reaktionsgeschwindigkeit erreicht zwischen R- und T-Zustand erfolgt nach dem »Alles-oder-Nichts-
wird Prinzip«. Mit steigender Substratkonzentration kommt es zu einer
Verschiebung des allosterischen Gleichgewichtes zugunsten des für
das Substrat (grün) hochaffinen R-Zustandes. Auch ein allosterischer
Aktivator bindet bevorzugt an den R-Zustand des Enzyms (nicht
Menten-Gleichung beschriebene hyperbole Abhängigkeit dargestellt). Die Bindung eines allosterischen Inhibitors (rot) hingegen
der Enzymaktivität von der Substratkonzentration. Be- stabilisiert den T-Zustand
sonders häufig werden sigmoidale Kennlinien beobachtet
(. Abb. 4.23), die eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit der
Sauerstoffbindungskurve des Hämoglobins erkennen las- wird. Man spricht von homotroper Kooperativität, wenn
sen (. Abb. 3.32). Regulatorisch bedeutsam ist, dass Enzy- der kooperative Effekt durch das Substrat selbst ausgelöst
me mit sigmoidaler V/[S]-Charakteristik oftmals am An- wird. Handelt es sich bei Effektor und Substrat hingegen um
fang von Reaktionswegen positioniert sind oder Reaktionen unterschiedliche Moleküle, so liegt heterotrope Koopera-
an Verzweigungspunkten des Zellstoffwechsels katalysie- tivität vor.
ren. Die katalytische Aktivität dieser Biokatalysatoren kann Ein zellphysiologisch wichtiges Beispiel für kooperati-
durch Effektoren (Inhibitoren und Aktivatoren) in einer ves Verhalten und Allosterie ist die Phosphofructokinase-
reversiblen Weise äußerst wirksam moduliert werden. 1 der Glycolyse (7 Kap. 11.1.1). Die bei diesem Enzym beob-
Strukturuntersuchungen haben ergeben, dass derartige En- achtete sigmoidale Anhängigkeit der Enzymaktivität von
zyme aus mehreren Untereinheiten bestehen. der Substratkonzentration ist Ausdruck einer positiven
Die sigmoidale Kinetik – wie auch die S-förmige Sauer- homotropen Kooperativität.
stoffbindungskurve des Hämoglobins – beruht auf Inter-
! Struktur-Funktions-Modelle allosterischer Enzyme
aktionen von Bindungszentren, die auf verschiedenen
erklären die sigmoidale Kinetik und den Einfluss allos-
Untereinheiten lokalisiert sind. Zur Beschreibung dieses
terischer Effektoren.
Phänomens wurde der Begriff der Allosterie (griech:. allo
= anders, steros = Ort) geprägt, der die Bindung von Ligan- Funktionell wesentliche Aspekte des komplexen kineti-
den an räumlich voneinander getrennte Zentren (Orte) schen Verhaltens allosterischer Enzyme können durch ein-
eines Enzyms zum Ausdruck bringt. Die strukturelle und fache Modelle näherungsweise beschrieben werden. Jac-
funktionelle Kommunikation zwischen den Substrat- und ques Monod, Jeffries Wyman und Jean-Pierre Changeux
Effektorbindungsstellen eines allosterischen Enzyms be- entwickelten 1965 ein Modell, das als konzertiertes oder
zeichnet man als Kooperativität. Symmetriemodell bezeichnet wird. Ausgangspunkt der
In der Enzymkinetik wird zwischen positiver und nega- Betrachtung bei diesem Modell ist ein dimeres Enzym, des-
tiver Kooperativität unterschieden. Im Falle einer positiven sen Untereinheiten in zwei Zustandsformen vorliegen, die
Kooperativität führt die Bindung eines Substrat- bzw. Ef- als T-Form (tense: gespannt) und R-Form (relaxed: rela-
fektormoleküls zu einer erleichterten Bindung weiterer xiert) bezeichnet werden (. Abb. 4.24). Beide Zustands-
Substratmoleküle an andere katalytische Zentren des glei- formen besitzen prinzipiell die Fähigkeit zur Substratbin-
chen Enzymmoleküls, während bei negativer Koopera- dung und Katalyse, jedoch ist die Affinität der R-Form zum
tivität die Substratbindung durch die zunehmende Beset- Substrat größer als die der T-Form. Das Symmetriemodell
zung von Effektorbindungsplätzen sukzessive erschwert basiert auf der Annahme, dass infolge der Wechselwirkung
4.5 · Regulation der Enzymaktivität
131 4

der Untereinheiten des Enzyms nur symmetrische oligo-


mere Strukturformen existieren (TT oder RR), hybride Zu-
stände (RT) hingegen nicht auftreten. Die symmetrischen
Konformationszustände stehen in einem allosterischen
Gleichgewicht miteinander. Zwischen beiden Konforma-
tionszuständen sind folglich nur »Alles-oder-Nichts-Über-
gänge« möglich.
Bei einer Erhöhung der Substratkonzentration kommt
es zu einer Verschiebung des R/T-Gleichgewichtes zuguns-
ten des R-Zustandes. Die Vergrößerung des Anteils der En-
zymmoleküle, die infolge der Bindung eines Substratmole-
küls in der hochaffinen R-Form vorliegen, erleichtert die
Bindung weiterer Substratmoleküle (positive homotrope
Kooperativität). Der sigmoidale Charakter der V/[S]-Cha-
rakteristik ist das Resultat einer Veränderung der relativen
Konzentrationen der R- und T-Form des allosterischen
Enzyms.
Häufig werden allosterische Enzyme wirksam durch
Liganden reguliert, die mit dem Substrat strukturell nicht
verwandt sind und an Bindungsstellen außerhalb des akti-
ven Zentrums binden. Im Kontext des Symmetriemodells
beruht die Wirkung dieser Effektoren darauf, dass sie das
Gleichgewicht zwischen R- und T-Form durch eine bevor-
zugte Bindung an einen der beiden Konformationszustände
verschieben. Negative allosterische Effektoren binden be-
vorzugt an die T-Form des Enzyms und verschieben so das
allosterische Gleichgewicht zugunsten des für das Substrat
niedrigaffinen T-Zustandes (. Abb. 4.24). Im Gegensatz
dazu bewirken positive allosterische Effektoren – ähnlich
. Abb. 4.25. Sigmoidale Kinetik eines allosterischen Enzyms
wie das Substrat – eine Stabilisierung der R-Form. Durch
nach dem Symmetrie-Modell. a Die orangefarbene hyperbole Kurve
hinreichend hohe Konzentrationen eines positiven alloste- entspricht der V/[S]-Charakteristik des R-Zustandes, die blaue – eben-
rischen Effektors kann das allosterische Gleichgewicht so- falls hyperbole – Kurve der des T-Zustandes. b Bei kleinen Substrat-
gar so weit verschoben werden, dass bei Variation der Subs- konzentrationen liegt das Enzym überwiegend im T-Zustand vor. Mit
tratkonzentration eine hyperbole Kinetik beobachtet wird, steigender Substratkonzentration nimmt der Anteil des R-Zustandes
zu. Die rote charakteristisch-sigmoidale Kurve in a entsteht durch die
die dann die katalytischen Eigenschaften des R-Zustandes
gewichtete Überlagerung beider Michaelis-Menten-Kurven
widerspiegelt (. Abb. 4.25).
Generell kann die Wirkung von Liganden die Maxima-
laktivität VMAX allosterischer Enzyme verändern (V-Sys- meren Enzyms ersetzt. Eine wichtige Eigenschaft des se-
teme) oder die Substratkonzentration beeinflussen, bei der quentiellen Modells besteht darin, dass dieses im Gegensatz
halbmaximale Reaktionsgeschwindigkeit beobachtet wird zum Symmetriemodell auch eine negative Kooperativität
(K-Systeme). Oft verändern Effektoren beide Parameter. beschreiben kann, bei der die Bindung eines Substrat-
V-Effekte erhält man im Symmetriemodell dann, wenn sich moleküls an ein aktives Zentrum die Affinität der noch
die Maximalaktivitäten der R- und T-Form des alloste- unbesetzten Substratbindungsstellen erniedrigt.
rischen Enzyms unterscheiden.
Von Daniel E. Koshland Jr., wurde eine alternative Mo-
dellvorstellung entwickelt, die als sequentielles Modell 4.5.3 Covalente Modifikation
(Koshland-Nemethy-Filmer-Modell) bezeichnet wird. des Enzymproteins
Im Unterschied zum konzertierten Modell wird darin pos-
tuliert, dass die Bindung eines Liganden an eine Unterein- ! Schlüsselenzyme des Zellstoffwechsels werden häufig
heit eines oligomeren Enzyms eine Konformationsände- durch covalente Modifikation reguliert.
rung unmittelbar in dieser Untereinheit und mittelbar in
benachbarten Untereinheiten induziert (induced fit). Die Die covalente Modifikation stellt einen Mechanismus
im konzertierten Modell eingeführte Symmetrieforderung der Regulation der Enzymaktivität dar, der auf einer zell-
wird durch eine thermodynamische Beschreibung der physiologisch reversiblen covalenten Anheftung be-
Wechselwirkungen zwischen den Untereinheiten des oligo- stimmter funktioneller Gruppen oder auf einer irrever-
132 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

kinase (AMPK) aktiviert, die eine große Zahl verschie-


dener Proteine phosphoryliert und so eine zellphysiologisch
sinnvolle Umstellung des Zellstoffwechsels ermöglicht
(7 Kap. 16.1.4). Andererseits kann ein und dasselbe Enzym
durch unterschiedliche Proteinkinasen an verschiedenen
Aminosäureresten phosphoryliert werden. Prominente
Beispiele hierfür liefert die Steuerung des Zellzyklus durch
cyclinabhängige Proteinkinasen (7 Kap. 7.1.3).
Die Phosphorylierung von Enzymen erfolgt oftmals im
4 Rahmen vernetzter und hierarchisch organisierter Regula-
tionssysteme, die ein schnelles und wirkungsvolles An- und
. Abb. 4.26. Mechanismus der Phosphorylierung und Dephos- Abschalten von Stoffwechselwegen und physiologischen
phorylierung eines Enzyms. Durch eine Proteinkinase wird ein Prozessen ermöglichen. Derartige Phosphorylierungs-
spezifischer Serylrest des Enzymproteins in einer irreversiblen ATP- kaskaden führen zu einer enormen Verstärkung des regu-
abhängigen Reaktion phosphoryliert. Die Wiederherstellung des
latorischen »Eingangssignals«. Als Beispiel kann die hor-
Ausgangszustandes erfolgt durch Phosphoprotein-phosphatasen, die
ebenfalls eine irreversible Reaktion katalysieren. Durch das Zusam-
monelle Regulation des Glycogenstoffwechsels angeführt
menspiel von Proteinkinasen und Proteinphosphatasen ist die cova- werden (7 Kap. 11.5).
lente Modifikation zellphysiologisch reversibel. Die phosphorylierten Die Steuerung der Enzymaktivität durch Phosphory-
Formen der Enzyme unterscheiden sich funktionell von den nicht lierung und Dephosphorylierung ist häufig von einer
phosphorylierten Enzymen
allosterischen Kontrolle überlagert. So wird die Phospho-
rylasekinase des Muskels (7 Kap. 11.5) durch Phosphory-
siblen proteolytischen Veränderung des Enzymproteins lierung und durch Ca2+-Ionen aktiviert Phosphorylie-
beruht. Man bezeichnet Enzyme, die sich durch den Besitz rung und allosterische Aktivierung wirken dabei syner-
bzw. Nichtbesitz einer funktionellen Gruppe voneinander gistisch, da die durch beide Effekte erreichte Aktivi-
unterscheiden und durch covalente Modifikation ineinan- tätssteigerung wesentlich größer als das Produkt der
der umgewandelt werden können, als interkonvertierbare Einzelwirkungen ist.
Enzyme.
! Die limitierte Proteolyse dient der irreversiblen Aktivie-
Die häufigste covalente Modifikation ist die enzyma-
rung inaktiver Enzymvorstufen.
tische Phosphorylierung von Enzymen durch ATP-abhän-
gige Proteinkinasen und die Dephosphorylierung der Enzyme wie die im Gastrointestinaltrakt wirksamen Pro-
Phosphoenzyme durch Phosphoproteinphosphatasen. teasen des exokrinen Pankreas werden als katalytisch in-
Sowohl Proteinkinasen als auch Proteinphosphatasen kata- aktive Vorstufen – sog. Zymogene – synthetisiert, als sol-
lysieren irreversible und regulierte Reaktionen (. Abb. 4.26). che intrazellulär gespeichert und bei Bedarf sezerniert.
In . Tabelle 4.9 ist eine Auswahl von Enzymen des Inter- Erst am Wirkungsort werden diese Proenzyme durch eine
mediärstoffwechsels zusammengestellt, deren katalytische enzymkatalysierte irreversible Abspalt ung eines Teils ihrer
Aktivität durch Phosphorylierung und Dephosphorylie- Polypeptidkette in die katalytisch aktive Form überführt.
rung reguliert werden kann. Dabei wird das aktive Zentrum freigelegt und die Substrat-
Für die Regulation des Stoffwechsels ist es von wesent- bindung ermöglicht. Die extrazelluläre Aktivierung durch
licher Bedeutung, dass ein und dieselbe Proteinkinase meh- limitierte Proteolyse stellt sicher, dass eine unphysiologi-
rere Substratproteine phosphorylieren kann. So wird bei sche intrazelluläre Hydrolyse körpereigener Proteine nicht
ATP-Mangel eine durch 5’-AMP aktivierbare Protein- stattfindet.
In . Abbildung 4.27 ist das Prinzip der Enzymaktivie-
rung durch limitierte Proteolyse am Beispiel verschiedener
. Tabelle 4.9. Interkonvertierbare Enzyme, deren Aktivität durch als Verdauungsenzyme wirksamer Hydrolasen dargestellt.
Phosphorylierung/Dephosphorylierung reguliert wird Die initiale proteolytische Aktivierung des Trypsinogens
Enzym Aktive Form Kapitel erfolgt durch Enteropeptidase (»Enterokinase«), eine von
den Enterozyten des Duodenums sezernierte Endopeptidase.
Glycogensynthase dephosphoryliert 11.2.1
Dieses Enzym katalysiert spezifisch die Abspaltung eines
Glycogenphosphorylase phosphoryliert 11.2.2
N-terminalen Hexapeptids, sodass aktives Trypsin entsteht.
Phosphorylasekinase phosphoryliert 11.5 Beim Chymotrypsinogen handelt es sich um ein aus 245
Pyruvatdehydrogenase dephosphoryliert 14.2 Aminosäuren bestehendes Polypeptid, das durch 2 Disul-
Acetyl-CoA-Carboxylase dephosphoryliert 12.3.5 fidbrücken stabilisiert wird. Chymotrypsinogen wird aus
Hormonsensitive Lipase phosphoryliert 12.3.1
der inaktiven Proform durch Abspaltung von 2 Dipeptiden
in Chymotrypsin überführt. Dieser Vorgang wird durch
HMG-CoA-Reduktase dephosphoryliert 18.3.3
Trypsin oder schon vorhandenes Chymotrypsin katalysiert.
4.5 · Regulation der Enzymaktivität
133 4

. Abb. 4.27a–c. Aktivierung der Hydrolasen des exocrinen Pank-


reas durch limitierte Proteolyse. a Schematische Darstellung der
Aktivierungskaskade. b Trypsinogen-Aktivierung: Trypsin entsteht aus
Trypsinogen durch Abspaltung eines N-terminalen Hexapeptids. Das
hierfür benötigte Enzym ist die von den Mukosazellen des Darmes
gebildete Enteropeptidase. Trypsinogen kann auch autokatalytisch
aktiviert werden. c Chymotrypsinogen-Aktivierung: Durch Abspaltung
zweier Dipeptide entsteht Chymotrypsin aus Chymotrypsinogen.
Diese limitierte Proteolyse wird durch Trypsin und durch bereits ge-
bildetes Chymotrypsin katalysiert (Autokatalyse)

Die Disulfidbrücken verhindern dabei eine Trennung der Die Aktivierung eines Proenzyms durch geringe Men-
Fragmente. Auch bei der Blutgerinnung (7 Kap. 29.5.3), der gen des bereits aktiven Enzyms wird als Autokatalyse be-
Fibrinolyse (7 Kap. 29.5.4), der Aktivierung des Komple- zeichnet. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die Aktivierung
mentsystems (7 Kap 34.4) und bei der Apoptose (7 Kap. von Pepsinogen zu Pepsin im sauren Milieu des Magens
7.1.5) findet eine Aktivierung von Proenzymen durch limi- (7 Kap. 32.1.2). Meist sind jedoch spezifische Proteasen in
tierte Proteolyse statt. den Aktivierungsvorgang eingeschaltet.

In Kürze
Die Regulierbarkeit der katalytischen Aktivität der En- Veränderung der katalytischen Aktivität des Enzyms ver-
zyme ist eine notwendige Voraussetzung für Wachstum, bunden sind.
Differenzierung und Zellteilung sowie für die Anpassung Die covalente Modifikation stellt einen weiteren Me-
des Zellstoffwechsels an spezifische Bedingungen. chanismus der Regulation der Enzymaktivität dar. Eine
Eine längerfristige Regulation der Enzymaktivität in herausragende Rolle kommt dabei der zellphysiologisch
einer Zelle wird durch die Veränderung der Enzymmenge reversiblen Phosphorylierung und Dephosphorylierung
erreicht. Wesentlich schneller jedoch wirken allosterische verschiedenster Enzyme zu. Demgegenüber hat die Ab-
Effektoren. Diese regulatorischen Liganden binden re- spaltung von Peptiden unterschiedlicher Größe durch
versibel an Stellen außerhalb des aktiven Zentrums und limitierte Proteolyse eine irreversible Veränderung der
induzieren Konformationsänderungen, die mit einer Enzymaktivität zur Folge.
134 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

4.6 Enzyme in der Medizin . Tabelle 4.10. Pharmakologisch wichtige Enzyminhibitoren


Pharmakon Zielenzym Anwendungsgebiet
4.6.1 Einsatzgebiete für Enzyme
Acetylsalicyl- Cyclooxygenase Antiphlogistikum
säure (COX-1-Isoenzym)
Die vielseitige Nutzung der Enzyme als Katalysatoren, In-
Allopurinol Xanthinoxidase Uricostaticum
formationsträger und molekulare Werkzeuge in der Medi-
Anastrozol Aromatase Antiestrogen
zin kann hier nur exemplarisch angedeutet werden. Eine
herausragende Bedeutung kommt Enzymen als potentiel- Captopril angiotensin-converting Antihypertonikum
enzyme (ACE)
len Angriffpunkten von Pharmaka zu, die als Enzymin-
hibitoren bei der Therapie von Infektions-, Stoffwechsel-, Fluorouracil Thymidylatsynthase Cytostatikum
4
Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen eingesetzt werden Lovastatin HMG-CoA-Reduktase Cholesterolsenker
(7 Kap. 4.6.2). Voraussetzung für die Identifizierung und Mercaptopurin Adenylosuccinat- Cytostatikum
Modellierung möglichst spezifischer Enzymhemmstoffe synthetase
mit therapeutischem Einsatzpotential ist neben der Kennt- Methotrexat humane Dihydrofolat- Cytostatikum
nis der Stoffwechselfunktion die Verfügbarkeit der Raum- reduktase
struktur des Zielenzyms, die durch dessen Isolierung, Kris- Moclobemid Monoaminoxidase Anitdepressivum
tallisation und Röntgenstrukturanalyse gewonnen werden (MAO-A-Isoenzym)
kann. Man bezeichnet diesen multidisziplinären Ansatz zur Ritonavir HIV-Protease Chemotherapeutikum
Schaffung hochwirksamer Medikamente und zur Minimie- bei HIV-Infektion
rung unerwünschter Nebenwirkungen als strukturbasier- Trimethoprim bakterielle Dihydro- Bakteriostatikum
tes oder rationales drug-design. folatreduktase
Zu den Anwendungsgebieten von Enzymen und en-
Zanavir Neuraminidase Chemotherapeutikum
zymologischen Methoden gehört auch die Bestimmung bei Virusgrippe
von Enzymaktivitäten und Metabolitkonzentrationen
(7 Kap. 4.6.3) sowie die Isoenzym-Analytik (7 Kap. 4.6.4)
im Rahmen der klinisch-chemischen Laboratoriumsdiag-
nostik. Gleichermaßen unentbehrlich sind Enzyme bei en- Enzyminhibitoren gesteuert werden kann. Eine Auswahl
zymimmunologischen Analyseverfahren (7 Kap. 4.6.5). moderner Pharmaka, deren Wirkungsmechanismus in der
Ziel der Therapie vererbbarer monogenetischer Stoff- Hemmung eines bestimmten Enzyms besteht, ist in . Ta-
wechselkrankheiten mit Hilfe der rekombinanten DNA- belle 4.10 zusammengestellt.
Technologie ist die Reparatur des jeweiligen Stoffwechsel- Exemplarisch soll hier auf Inhibitoren der HIV-Prote-
defektes auf DNA- oder Proteinebene (7 Kap. 7.4). Die ase eingegangen werden, die im Rahmen der AIDS-Thera-
hierzu erforderliche Identifizierung, Veränderung und Ver- pie zum Einsatz kommen: Die für den Replikationszyklus
vielfältigung von Nucleinsäuren gelingt nur unter Einsatz des HI-Virus benötigte HIV-Protease ist ein homodimeres
von Enzymen, die spezifische Nucleinsäurestrukturen er- Enzym aus der Familie der Aspartatproteasen. Charak-
kennen und Reaktionen auch im Reagenzglas mit großer teristisch für diese Enzymfamilie sind zwei Aspartylreste
Effizienz zu katalysieren vermögen. Biokatalysatoren, die im aktiven Zentrum. Die Aufklärung der Raumstruktur
diese Voraussetzungen erfüllen, sind in der forensischen der HIV-Protease und ihres Reaktionsmechanismus er-
Medizin z.B. bei der Erstellung des genetischen Fingerab- möglichte die Konstruktion von Übergangszustandsana-
druckes gleichermaßen unersetzlich. loga (7 Kap. 4.2.1), die das Enzym hochwirksam hemmen.
Ritonavir ist ein durch strukturbasiertes drug-design ent-
wickelter Hemmstoff, der von der HIV-Protease mit hoher
4.6.2 Klinische Anwendung Affinität gebunden wird (KÎ a 0.1 nM).
von Enzyminhibitoren . Abb. 4.28 zeigt die Raumstruktur des HIV-Protease-
Ritonavir-Komplexes und die Struktur des Hemmstoffes.
! Zahlreiche moderne Pharmaka wirken als Enzyminhibi- An der Bindung des natürlichen Peptidsubstrates im ak-
toren. tiven Zentrum sind mehrere Bindungsdomänen des En-
zyms beteiligt. Ritonavir besitzt eine zentrale OH-Gruppe
Die molekulare Grundlage der Wirkung eines Pharmakons (. Abb. 4.27c), die einen der katalytischen Aspartylreste im
besteht in dessen möglichst spezifischer Wechselwirkung aktiven Zentrum des Enzyms bindet und die Position des
mit einem Zielmolekül. Das Pharmakon kann die biologi- Carbonylsauerstoffes des natürlichen Substrates im tetrae-
sche Aktivität des Zielmoleküls stimulierend (agonistisch) trischen Übergangszustand der Reaktion einnimmt. Der
oder inhibierend (antagonistisch) beeinflussen. Zu den the- klinischen Einsatz von Ritonavir wird begrenzt durch die
rapeutisch bedeutsamen Zielmolekülen gehören an vorde- hohen Mutationsraten des viralen Genoms, die zu einem
rer Stelle verschiedenste Enzyme, deren Aktivität durch Verlust der Bindung und damit auch der Hemmwirkung
4.6 · Enzyme in der Medizin
135 4

. Abb. 4.28. Komplex der HIV-Protease mit dem Inhibitor Ritona- reste im aktiven Zentrum und an der Bildung eines tetraedrischen
vir. Die homodimere Aspartatprotease ist im Bänder-Modell (a) und Komplexes ist die OH-Gruppe des Moleküls (rot) beteiligt. Die
im Raum-Modell (b) dargestellt. Der kompetitive Inhibitor Ritonavir ist Molekülgraphik wurde unter Verwendung der PyMOL-Software
als Ball-und-Stab-Modell gezeigt. Die Darstellung der Proteinoberflä- (http://www.pymol.org) mit freundlicher Genehmigung von DeLano
che (b) demonstriert die Passfähigkeit des durch strukturbasiertes Scientific LLC erzeugt.
drug-design entwickelten Hemmstoffes. c Struktur von Ritonavir. Quelle: PDB 1HXW; Kempf D et al. (1995) Proc Natl Acad Sci 92: 2484-
Ausgangspunkt für die Entwicklung des Inhibitors war das natürliche 2488 (Verwendung der Abbildung mit freundlicher Genehmigung
Peptidsubstrat des Enzyms. An der Interaktion mit einem der Aspartyl- von K. Kahn, University of California at Santa Barbara, USA)

führen können. Darüber hinaus ist Ritonavir ein potenter im Plasma oder Serum diagnostizieren und den Krank-
Inhibitor von Cytochrom-P450-abhängigen Monooxyge- heitsverlauf sowie den Therapieerfolg durch die Bestim-
nasen und verlangsamt den Abbau weiterer Medikamente, mung von Enzymaktivitäten in diesen Körperflüssigkeiten
die im Rahmen der antiretroviralen Therapie Anwendung kontrollieren zu können. Die im Plasma oder Serum nach-
finden. weisbaren Enzyme können nach ihrer Herkunft und Funk-
tion in drei Gruppen eingeteilt werden:
4 Plasmaspezifische Enzyme: Diese werden als »Export-
4.6.3 Bestimmung von Enzymaktivitäten proteine« von den Erzeugerzellen in das Blut sezerniert
und Metabolitkonzentrationen und erfüllen dort eine physiologische Funktion. Bei-
spiele sind die in der Leber synthetisierten Enzyme der
! Die Enzymaktivitäten im Blut sind Indikatoren der Blutgerinnung und des Komplementsystems. Eine
morphologischen Integrität und des Funktionszustan- Schädigung des Herkunftsorgans kann zu einer Ein-
des der Zellen, Gewebe und Organe. schränkung der Proteinbiosynthese und damit zu einem
Absinken der Aktivität dieser Enzyme im Blut führen
Die Erkenntnis, dass sich der Enzymgehalt des Blutes infol- 4 Enzyme exokriner Gewebe: Zu dieser Enzymgruppe
ge pathologischer Prozesse in einem Organ in typischer gehören die Hydrolasen des Pankreas, deren Funktion
Weise verändern kann, hat die Bestimmung von Enzym- in der Verdauung der Nahrungsstoffe im Darmlumen
aktivitäten im Serum und in anderen Körperflüssigkeiten besteht. Verdauungsenzyme können unter physiologi-
zu einem unverzichtbaren Instrument der Diagnostik ver- schen Bedingungen in nur sehr geringem Maße durch
schiedenster Erkrankungen werden lassen. Gleichermaßen Gefäßwände diffundieren. Erst bei einer Schädigung
bedeutsam ist der Einsatz von Enzymen bei der Bestim- des Pankreas kommt es zu einem Anstieg der intravasa-
mung von Metabolitkonzentrationen in Körperflüssig- len Enzymaktivität. Im Falle einer chronischen Organ-
keiten. schädigung kann die Einschränkung der Biosynthe-
seleistung besonders niedrige katalytische Aktivitäten
Enzymaktivitäten im Blut. Die medizinische Bedeutung der Pankreas-Enzyme im Blut verursachen
der Enzymdiagnostik besteht in der Möglichkeit, Erkran- 4 Zell-Enzyme: Mit diesem Begriff werden Enzyme des
kungen anhand eines charakteristischen »Enzymmusters« Intermediärstoffwechsels bezeichnet, die in vielen Zell-
136 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

typen des Organismus nachgewiesen werden können. besondere Bedeutung für die Homöostase der Metabolit-
Ein Anstieg der intravasalen Enzymaktivität über den konzentrationen im Blut kommt der koordinierten Steue-
Normalbereich hinaus zeigt eine Schädigung der Her- rung der Organfunktionen durch Hormone zu. Dement-
kunftszellen an. Dabei kann es infolge einer Permeabi- sprechend kann die Veränderung der Plasmakonzentration
litätsstörung der Zellmembran oder einer Nekrose von eines Metaboliten auf eine abnorme Stoffwechselfunktion
Zellen zu einer Freisetzung von Enzymen mit intrazel- eines Organs und/oder auf eine endokrine Störung hin-
lulärer Funktion kommen weisen.
Ein klinisch bedeutsames Anwendungsbeispiel ist die
Während die Bestimmung eines Sekretenzyms im Plasma Stoffwechselsituation bei Diabetes mellitus, in der es zu
4 in der Regel einen Rückschluss auf das Herkunftsorgan und einem pathologischen Anstieg der Glucosekonzentration
dessen Funktionszustand erlaubt, ist die Interpretation des in Blut und Harn kommen kann (7 Kap. 26.4). Durch die
Nachweises von Zell-Enzymen im Blut häufig komplizier Bestimmung der Glucosekonzentration in den genannten
ter. Eine gewisse Organspezifität ergibt sich aus dem unter- Körperflüssigkeiten kann eine derartige Entgleisung des
schiedlichen Gehalt einzelner Zelltypen an bestimmten Stoffwechsels erkannt werden. Dazu findet der in 7 Kap. 2.1.4
Enzymen. So kommen z.B. die Enzyme der Harnstoffsyn- beschriebene gekoppelte optische Test mit Hexokinase
these in nennenswerter Aktivität nur in der Leberzelle vor. und Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase Anwendung.
Sie werden daher als organspezifische Zell-Enzyme be- Eine Alternative ist die elektrochemische Blutzucker-
zeichnet. bestimmung mit Glucose-Biosensoren nach folgendem
Der Grad der morphologischen Integrität einer Zelle Reaktionsprinzip:
und die Schwere einer Störung des Zellstoffwechsels sind
auch am Auftreten von Zell-Enzymen mit unterschied- (33)
licher intrazellulärer Lokalisation zu erkennen. Findet
man bei leichter Zellschädigung bevorzugt einen Austritt Diese Reaktion wird durch das stabil auf eine Platin-Mess-
der löslichen Enzyme des Cytosols aus der Zelle, so werden elektrode aufgebrachte mikrobielle Enzym Glucoseoxidase
beim nekrotischen Zelltod (7 Kap. 7.1.5) auch mitochondri- katalysiert. In einer elektrochemischen Folgereaktion
ale Enzyme im Blut nachweisbar. Ein Anwendungsbeispiel kommt es zur Oxidation des Wasserstoffperoxids zu Sauer-
hierfür ist die Bestimmung des Aktivitätsverhältnisses von stoff unter Freisetzung von Elektronen, die den Stromfluss
Alanin-Aminotransferase (ALAT) (7 Kap. 13.3.2) und Glu- proportional zur Glucosekonzentration der Probe ver-
tamatdehydrogenase (GlDH) bei Lebererkrankungen. ändern:
Während ein Anstieg der cytosolischen ALAT eine eher
leichtere Zellschädigung signalisiert, kann bei einer Erhö- (34)
hung der mitochondrialen GlDH-Aktivität im Blut ein
schwerer Zell- bzw. Organschaden erwartet werden. Die Eine entscheidende Rolle spielt die enzymatische Metabo-
katalytische Aktivität der Zell-Enzyme im Blut wird dabei litbestimmung bei der Blutzucker-Selbstkontrolle von Dia-
u.a. durch das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Schä- betikern, aber auch bei der Überwachung der Stoff-
digung der Herkunftszellen, aber auch durch die Vaskulari- wechselparameter von Intensiv-Patienten bei künstlicher
sierung des betroffenen Gewebes und die Geschwindigkeit Ernährung. Hier dient die Kontrolle der Blutglucosekon-
des Enzymabbaus sowie der Enzymausscheidung be- zentration der Verhinderung einer schädlichen Hyper-
stimmt. glykämie. Die Bestimmung der Harnstoffkonzentration in
Ein besonders gut untersuchtes Beispiel für die Schädi- Blut und Harn mit Hilfe des Enzyms Urease (7 Kap. 13.5.3)
gung eines Organs, die mit einer charakteristischen Freiset- bildet die Grundlage für die Erstellung der Stickstoffbilanz
zung von Zell-Enzymen und anderen zellulären Proteinen und erlaubt eine Beurteilung des Aminosäure- und Protein-
einhergeht, ist der akute Myokardinfarkt, bei dem es infol- stoffwechsels des Patienten. Durch eine ergänzende en-
ge einer akuten Mangeldurchblutung zu einer Nekrose des zymatische Bestimmung der Lactat- und Triacylglycerin-
Myokardgewebes kommt. Konzentration im Blut kann die Verwertungs- bzw. Oxida-
tionskapazität des Patienten kontrolliert werden mit dem
! Die Metabolitkonzentrationen im Blut spiegeln den
Ziel, diese durch die künstliche Nährstoffzufuhr nicht zu
Funktionszustand und die Kooperation der Zellen,
überschreiten.
Gewebe und Organe wider.

Enzymatische Bestimmung von Metabolitkonzentra-


tionen. Zu den zentralen Verbindungen des Intermediär-
stoffwechsels gehören Substanzen wie Glucose, Lactat und
Harnstoff. Die Konzentrationen dieser Metabolite im Blut
werden durch deren Aufnahme oder Biosynthese, Um-
wandlung und Abbau bzw. Ausscheidung bestimmt. Eine
4.6 · Enzyme in der Medizin
137 4
4.6.4 Diagnostische Bedeutung sen werden. Die Aktivität der CK-MB wird durch die Be-
von Isoenzymen stimmung der »Restaktivität« der Kreatinkinase nach
Hemmung aller M-Typ-Untereinheiten mit Hilfe eines
! Isoenzyme können bei einer Zellschädigung im Blut spezifischen Anti-M-Antikörpers in einem Immuninhibi-
nachgewiesen werden. tionstest ermittelt.
In . Abb. 4.29 ist der Verlauf der katalytischen Aktivi-
Die medizinische Bedeutung der Isoenzym-Analytik soll tätskonzentrationen von LDH, CK und CK-MB im Serum
am Beispiel Kreatinkinase (creatine kinase, CK) im Rahmen nach einem akuten Myokardinfarkt dargestellt. Während
der Diagnostik und Verlaufskontrolle des Myokardinfark- die Bestimmung der LDH-Aktivität im Rahmen der aktu-
tes sowie von Skelettmuskelerkrankungen dargestellt wer- ellen kardialen Diagnostik in den Hintergrund getreten ist,
den. Bei den Isoenzymen der cytosolischen Kreatinkinase gilt die Aktivität der CK-MB im Blut als ein notfalltaugli-
handelt es sich um Dimere, die aus katalytisch aktiven Un- cher Parameter der Myokardschädigung, der oft durch eine
tereinheiten des M-Typs (muscle) und/oder B-Typs (brain) Bestimmung der kardialen Troponine (7 Kap. 30.3.3) er-
mit einer Molekularmasse von jeweils 40 kDa zusammen- gänzt wird.
gesetzt sind:
4 CK-1 (CK-BB) kommt in hoher Konzentration und
Menge nur im Gehirn vor und wird daher als Hirn-Typ 4.6.5 Enzyme als Signalverstärker
bezeichnet bei diagnostischen Verfahren
4 CK-2 (CK-MB) kann sowohl im Hermuskel als auch im
Skelettmuskel nachgewiesen werden. Da die Konzent- ! Die katalytische Aktivität der Enzyme kann zur Verstär-
ration dieses Isoenzyms im Myokard am höchsten ist, kung molekularer Signale benutzt werden.
wird es als Myokard-Typ bezeichnet
4 CK-3 (CK-MM) wird neben CK-2 im Herz- und Ske- In der medizinischen Diagnostik ist es oftmals erforderlich,
lettmuskel gefunden und als Muskel-Typ bezeichnet bestimmte Moleküle in Körperflüssigkeiten, Zellen oder an
mikroskopischen Schnittpräparaten selektiv nachzuweisen,
Die intravasale CK-Gesamtaktivität ist beim Gesunden zu lokalisieren, ihre Konzentration zu bestimmen oder sie
überwiegend auf das Isoenzym CK-MM zurückzuführen. molekular zu charakterisieren. Erschwerend wirkt sich da-
Bei einer akuten Schädigung des Herzmuskels ist ein An- bei die häufig geringe Konzentration der Zielmoleküle und
stieg der CK-Aktivität im Blut gelegentlich bereits 4 Stun- ihre Ähnlichkeit mit anderen Substanzen aus. Diese Sach-
den nach dem Auftreten der Symptomatik nachweisbar. lage hat zur Entwicklung enzymimmunologischer Verfah-
Das Aktivitätsmaximum wird nach 12–24 Stunden erreicht ren unter Verwendung von Enzym-Antikörper-Konjuga-
und geht nach 3–4 Tagen auf Referenzbereich-Niveau zu- ten geführt, die aus spezifischen Immunglobulinmolekülen
rück. Das Isoenzym CK-MB kann schon ab 3 Stunden nach und geeigneten Enzymen erzeugt werden können.
Einsetzen der Beschwerden in erhöhter Konzentration im Das zugrunde liegende Funktionsprinzip ist in . Abb.
Blut gefunden und über viele Stunden hinweg nachgewie- 4.30 gezeigt. Das Zielmolekül (das Antigen, rot) wird fest an
die Oberfläche eines entsprechend präparierten Reaktions-
gefäßes gebunden (. Abb. 4.30a). Anschließend wird ein
Enzym-Antikörper-Konjugat zugegeben. Dieses besteht
aus einem gegen das Zielmolekül gerichteten Immunglobu-

. Abb. 4.29. Verlauf der LDH-, CK- und CK-MB-Aktivität im Serum . Abb. 4.30a, b. Verstärkung immunologischer Signale durch
nach akutem Myokardinfarkt. Die Enzymaktivitäten sind in relativen Enzyme. a Test mit einem Enzym-Antikörper-Konjugat (grün/blau),
Einheiten so normiert, dass der Normalbereich (schraffiert) der drei dessen Antikörper (grün) das Antigen (rot) direkt erkennt. b Detektion
gemessenen Aktivitäten 100 relativen Einheiten entspricht. Absolut eines Primärantikörpers gegen das Antigen mit einem enzymgekop-
betragen die Normalwerte der Serumaktivitäten der LDH <480 U/l, pelten Sekundärantikörper. Die große Zahl der Produktmoleküle führt
der CK <140 U/l und der CK-MB <24 U/l zu einer enormen Verstärkung des Eingangssignals (Antigen)
138 Kapitel 4 · Bioenergetik und Enzymologie

4
. Abb. 4.31a,b. Immunhistochemische Darstellung des CD10- dukt. Die Gegenfärbung der Zellkerne (blau) erfolgte mit dem Farb-
Proteins in der Niere. Die neutrale Endopeptidase CD10 wurde in stoff Hämatoxylin. Die histologischen Veränderungen im Tumorgewe-
gesundem Nierenparenchym (a) und in einem Nierenzellkarzinom (b) be werden durch die enzymimmunologische Visualisierung des CD10-
mit einem monoklonalen Anti-CD10-Antikörper der Maus als Primär- Proteins erkennbar. (Aufnahmen freundlicherweise zur Verfügung
antikörper und einem peroxidasemarkierten Anti-Maus-Immunglobu- gestellt von M. Haase, Institut für Pathologie der Medizinischen Fakul-
lin als Sekundärantikörper dargestellt. Das Indikatorenzym Peroxidase tät Carl Gustav Carus und OncoRay/Zentrum für Innovationskompe-
oxidiert Diaminobenzidin zu einem braungefärbten Reaktionspro- tenz der TU Dresden)

linmolekül (dem Antikörper, dunkelgrün), an das ein En- eines Antigens auch dessen molekulare Charakterisierung
zymmolekül (blau) covalent gebunden ist. Die hohe Spezi- erfordern. Dies gelingt durch die Kombination von elektro-
fität der Antigen-Antikörper-Wechselwirkung ermöglicht phoretischer Analytik und enzymimmunologischer Detek-
die selektive Erkennung und Bindung des Antigens (7 Kapi- tion. Das Funktionsprinzip des als Western Blot bezeich-
tel 34.2.1). Nach der Entfernung von überschüssigem En- neten Verfahrens ist in 7 Kapitel 10.4.2 dargestellt. Klinisch
zym-Antikörper-Konjugat wird ein für das gekoppelte En- wichtige Anwendungsgebiete sind die Bestätigungstests
zym geeignetes Substrat zugesetzt und das gebildete Reak- im Rahmen der HIV-, Borreliose- und Hepatits-C-Diag-
tionsprodukt anhand der Lichtabsorption oder Fluoreszenz nostik.
erkannt bzw. quantifiziert. Steht nur ein normaler (unkon-
jugierter) Antikörper (dunkelgrün) zur Verfügung, kann Immunhistochemie. Die Visualisierbarkeit eines be-
dieser als Primärantikörper eingesetzt und mit einem en- stimmten Proteins an einem Gewebeschnitt demons-
zymgekoppelten Sekundärantikörper (hellgrün), der den triert die große Spezifität und Sensitivität enzymimmuno-
Primärantikörper als Antigen erkennt, nachgewiesen wer- logischer Nachweisverfahren. Ähnlich wie beim Enzym-
den (. Abb. 4.30b). immunoassay kommen oftmals zwei Antikörper zum
Einsatz, von denen der Sekundär-Antikörper mit einem
Enzymimmunoassays. Enzymimmunologische Tests fin- Enzym markiert ist. Die Bildung gefärbter Reaktions-
den häufig zum Nachweis und zur Bestimmung solcher produkte erfolgt dabei nur am Ort der Lokalisation des
Antigene Anwendung, die im Blut in einer sehr niedrigen Antigens.
Konzentration vorliegen. Das dem Enzymimmunoassay Eine Anwendung der immunhistochemischen Metho-
zugrunde liegende Funktionsprinzip wird in 7 Kapitel 10.4.2 dik im Rahmen der Differentialdiagnostik des Nieren-
und 25.2.4 ausführlich beschrieben. Grundsätzlich wird da- karzinoms ist in . Abb. 4.31 gezeigt. Die Lokalisation
bei entweder die zu bestimmende Substanz oder der Anti- der neutralen Endopeptidase CD10 ist anhand der mit
körper mit einem geeigneten Enzym markiert. Medizinisch Peroxidase als Indikatorenzym verursachten Braunfär-
bedeutsame Anwendungsbeispiele sind die Bestimmung bung vor allem im Bereich des proximalen Tubulus
des prostataspezifischen Antigens (PSA) im Rahmen der und des Glomerulums der gesunden Niere zu erkennen
Früherkennung des Prostatakarzinoms, die Analytik der (. Abb. 4.31a). Die enzymimmunologische Darstellung
Schilddrüsenhormone oder die Bestimmung der Hepatitis- des CD10-Proteins macht histologische Veränderungen
Antigene. sichtbar und trägt zur Bestimmung der Herkunft von
Tumoren bei, die von metastasierenden Krebszellen
Western Blot. Spezifische Fragestellungen können neben des proximalen Tubulussystems der Niere abstammen
dem selektiven Nachweis und der sensitiven Bestimmung (. Abb. 4.31b).
Literatur
139 4

In Kürze

Die Aufklärung der Enzymfunktionen im Stoffwechsel und Die Konzentrationen zentraler Metabolite im Blut cha-
die Analyse ihrer Raumstruktur hat zur Entwicklung spezi- rakterisieren den Stoffwechsel der Organe und ihre funktio-
fischer Enzyminhibitoren geführt, die als Antibiotika, Viro- nelle Kooperation. Daher stellt die enzymatische Metabolit-
statika, Zytostatika, Statine, Blutdrucksenker und Entzün- Analytik eine sinnvolle Ergänzung der Bestimmung von
dungshemmer wirksam sind. Enzymaktivitäten dar.
Die Bestimmung von Enzymaktivitäten und Metabolit- Enzyme können zur Verstärkung molekularer Signale
konzentrationen ist ein wesentliches Instrument der kli- eingesetzt werden. Covalente Konjugate von Enzymen und
nisch-chemischen Diagnostik. Zelluläre Enzyme, die in das Antikörpern bilden dabei die Grundlage hoch empfindli-
Gefäßsystem übertreten, vermitteln Informationen über cher und selektiver Nachweisverfahren für klinisch bedeut-
das erkrankte Organ, die Schwere und den Verlauf einer same Moleküle in Körperflüssigkeiten und histologischen
Gewebeschädigung sowie den Erfolg einer Therapie. Eine Präparaten.
besondere diagnostische Bedeutung kommt der Isoen-
zym-Analytik zu.

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