Alles auf Anfang
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Claudia Sprinz beschreibt die unterschiedlichen Phasen im Leben eines Paares, das durch ein Auf und Ab von Liebe, Begehren, Neid und Eifersucht geprägt ist - und dann geschieht das Unfassbare: Als sich der Misshandelte endlich Hilfe sucht, wird er nicht erst genommen.
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Book preview
Alles auf Anfang - Claudia Sprinz
ALLES AUF ANFANG
CLAUDIA SPRINZ
ALLES AUF ANFANG
Roman
Literaturgruppe Textmotor
Lektorat: Teresa Profanter
Umschlaggestaltung: Nikola Stevanović
Satz: Daniela Seiler
Hergestellt in der EU
Claudia Sprinz: Alles auf Anfang
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von:
MA 7 – Kulturabteilung der Stadt Wien
Land Niederösterreich
Alle Rechte vorbehalten
© HOLLITZER Verlag, Wien 2019
www.hollitzer.at
ISBN 978-3-99012-592-2
020818
Normalerweise tat er das nicht. Martin stapfte die Treppe hinauf und blickte sich erneut um. Als er das Werbeschild der Bäckerei sah, beschloss er, vorher noch einen Kaffee zu trinken. In der Filiale positionierte er sich so, dass er den Eingang im Auge behalten konnte. Er ließ sich in der hintersten Ecke nieder und hatte einen guten Blick auf die Glastür, durch welche die Kundschaft ein und aus ging. Es gab nicht viel zu sehen, die meisten Passanten gingen vorbei, nur ab und zu betraten Kunden den Backshop. Während Martin an der Tasse nippte, überlegte er, wie er die Topfengolatschen, die Krapfen und die Semmeln jeweils pyramidenförmig drapieren und einen kleinen Hund, vielleicht so einen flauschigen mit langen Haaren wie einen Bologneser, Havaneser oder Malteser, drüberspringen lassen könnte. Wie viele Versuche würden nötig sein, bis eine verkaufbare Aufnahme entstanden wäre? Er könnte die Tiertrainerin anrufen, die er unlängst beim Shooting für das Premium-Katzenfutter kennengelernt hatte. War nicht diese Freundin von Thomas in der Marketing-Abteilung des Bäckerei-Unternehmens beschäftigt? Vielleicht sollte er mit ihr reden und ihr diese Idee vorschlagen? Er stellte sich ein klassisches 24-Bogen-Plakat vor. Die drei Pyramiden mit den Backwaren und eine Momentaufnahme mit dem in der Luft schwebenden Hund von der Seite, mit wehenden Ohren und Haaren und heraushängender Zunge. Vielleicht könnte er dieses Foto bei einem Wettbewerb einreichen. Andererseits wäre damit zu rechnen, dass so ein Bild bei Umwelt- und Tierschützern zu den üblichen Protesten führen würde. Das arme Tier sei garantiert dafür stundenlang gequält worden, würde es heißen, selbst wenn man fünf Tierschützer beim Shooting zur Überwachung dabeihätte, die sich persönlich davon überzeugen könnten, dass es der Kleine freiwillig machte und Spaß dabei hatte. Auf Facebook würden garantiert etliche besorgte Gutmenschen posten, dass es Lebensmittelverschwendung sei, selbst wenn man keine frischen, sondern die steinharten alten Semmeln nehmen würde, die nicht mal mehr die von der Tafel oder einer anderen sozialen Einrichtung haben wollen. Erstens würde man die Semmeln ohnehin nicht in Großaufnahme sehen, und zweitens kann man heutzutage in der Retusche einiges machen. Man müsste nicht einmal Hund und Gebäck gemeinsam aufnehmen, sondern könnte Krapfen & Co. getrennt fotografieren und die Backwaren gleich danach einem Obdachlosenheim spenden. Ihm fiel ein, dass es diesen Hundesport gab, bei dem die Tiere über Hindernisse springen, wie hieß der noch mal schnell? Er sah auf seinem Smartphone nach. Agility, genau, so hieß das. Damals, gleich nachdem er nach seinem Abschluss an der Graphischen als Assistent von Thomas’ Vater arbeitete, hatte er so eine Veranstaltung für die Sonntags-Krone fotografiert. Vielleicht sollte er wieder einmal auf so ein Turnier gehen und mit den Hundebesitzern sprechen? Die könnte er vielleicht als Kunden gewinnen. Im Notfall ließen sich solche Aufnahmen ja auch an Bilddatenbanken verkaufen.
Er trank seinen Kaffee aus und verließ den Laden. Draußen blickte er sich um, sah nach links und nach rechts, aber nichts war auffällig. Mit zögerlichen Schritten ging er durch die Fußgängerzone Richtung Reumannplatz und kramte dabei in seiner Hosentasche: Kaugummi, Taschentuch, jedoch kein Zettel. Hatte er sich nicht die Adresse auf einer gelben Haftnotiz notiert und den Zettel eingesteckt? Verdammt! Wo war der? Egal, er nahm sein Smartphone zur Hand, rief den Browser auf und gab den Suchbegriff ein. Er tippte auf den Link und die Website wurde angezeigt. Er wischte nach unten, da war auch schon die Hausnummer zu lesen. Daneben stand: Termine nur nach telefonischer Vereinbarung. Das wusste er bereits von seiner früheren Recherche. Bevor er dort anrief, wollte er allerdings herausfinden, wo sich das Gebäude befand und wer dort aus und ein ging.
Nun fiel es ihm wieder ein: Als er die Adresse aufgeschrieben hatte, hatte sein Steuerberater angerufen. Er hatte irgendwas in seinen Ordnern nachgeschaut und gleich darauf die Wohnung verlassen, wohl ohne den Zettel einzustecken. Was sollte er tun, wenn Verena die Notiz fand? Wobei, sie hielt sich kaum im Arbeitszimmer auf, denn sie arbeitete praktisch nie daheim. Sein Schreibtisch war so gut wie nie aufgeräumt, da würde der kleine Haftnotizblock nicht weiter auffallen, aber wenn doch? Würde sie auf Google Maps nachschauen? Wird dort nicht alles angezeigt, was sich an einer Adresse befindet? Nicht auszudenken! Warum war er auch so dumm gewesen und hatte die Adresse aufgeschrieben? Sonst machte er ja auch nur einen Screenshot am Handy, den er zusammen mit dem Browserverlauf löschte, fertig! Es war wohl besser, wenn er wieder nach Hause fuhr. Warum war er nur so unvorsichtig gewesen? Er hatte sich doch fest vorgenommen, keine Fehler mehr zu machen. Verdammt, verdammt, verdammt! Keine Ahnung wann er wieder einen freien Nachmittag haben würde.
240908
Sabine saß auf der Treppe im Außenbereich der Hauptbücherei am Urban-Loritz-Platz, als Verena eintraf. Sie setzte sich neben ihre Freundin und begrüßte sie mit einem Küsschen auf die linke und eines auf die rechte Wange.
„Haben wir nicht gesagt viertel vor?"
„Sorry für die Verspätung, ich komme direkt aus der Agentur, die Kunden wollten wieder alle gleichzeitig was von uns."
Sabine blickte auf ihre Uhr.
„Der Inder wird sich nicht mehr ausgehen. Wenn wir beim Konzert gute Plätze haben wollen, sollten wir sofort hingehen."
„Jetzt? Ich habe ja noch gar nichts gegessen und mich schon so auf eine gemütliche Plauderei mit dir gefreut!"
„Ja, ich auch, aber du weißt doch, dass wir rechtzeitig dort sein müssen. Wir sind ja nicht so groß wie diese eins-fünfundachtzig-Frauen, die auch noch von den hinteren Plätzen aus gut auf die Bühne sehen können."
„Stimmt! Dann lad ich dich nächste Woche zum Essen ein und kauf mir jetzt ein Hotdog."
Verena und Sabine gingen zum nahe gelegenen Würstelstand, zwei ältere Männer standen davor.
„Naaa, Gösser trink’ ma ned, Stiegl is’ viel besser!"
Verena schaute Sabine an.
„Sag ich auch immer."
Der Mann vom Imbiss gab den Typen das Bier und diese gingen gleich in Richtung U-Bahn weiter. Die jungen Frauen hatten sie nicht beachtet.
„Grüß euch. Was darf’s denn sein?"
„Einen Käsekrainer-Hotdog bitte, mit Ketchup und süßem Senf."
„Für mich nix, danke – oder doch: Geben Sie mir bitte auch zwei Ottakringer."
„Die gehen auf mich, ist ja dein Geburtstagsgeschenk."
Verena zog ihre Geldbörse aus der Tasche und legte das Geld für Hotdog und Bier hin.
„Die Konzertkarten waren eh teuer genug und zum Essen lädst du mich auch ein, also kann ich das übernehmen."
„Wenn ich dich einlade, heißt das: Ich zahle heute! Das weißt du doch!"
Verena umarmte Sabine.
„Alles Gute zum Geburtstag!"
Die beiden Frauen prosteten einander zu und tranken einen Schluck von ihrem Bier.
„Danke, du bist die Beste!"
Verena nahm den fertigen Hotdog entgegen und biss hungrig davon ab, Sabine nahm die beiden Bierflaschen.
„Willst du dich auf ein Bankerl setzen?"
„Nein, ich ess’ am Weg."
Als sie die Stadthalle betraten, waren schon viele andere Besucher dort. Sabine steuerte auf den Fan-Shop zu und deutete auf ein T-Shirt.
„Das in XS bitte."
„XS?"
„Genau, damit ich endlich wieder eine Motivation zum Abnehmen hab’."
„Sabine, hör’ auf mit dem Unsinn, du bist doch nicht dick!"
„Es haben nicht alle so eine gute Figur wie du."
„Jetzt kommt das schon wieder! – Was kriegen Sie für das Leiberl?"
„Verena, es reicht jetzt! Das kann ich schon selbst zahlen!"
„Hör’ auf mit mir zu diskutieren und beeil’ dich lieber ein bisschen. Ich dachte, du willst gute Plätze haben?"
Verena legte der Verkäuferin das Geld hin, drückte Sabine das T-Shirt in die Hand und drehte sich rasch in Richtung Saaleingang um. Im selben Moment stieß sie mit einem Mann zusammen, dem fast sein Rucksack von der Schulter fiel.
„Aufpassen!"
„’Tschuldigung!"
Martin runzelte die Stirn.
„Dich kenn’ ich von irgendwoher."
„Wüsste nicht woher."
Verena sah zu Sabine.
„Hast du den schon einmal gesehen?"
„Nein, nicht dass ich wüsste."
„Deine Freundin nicht, aber du kommst mir von irgendwoher bekannt vor. Ich hab’ ein sehr gutes Personengedächtnis, das ist bei meinem Job notwendig."
Er zeigte auf das Stativ, das er in der Hand hielt.
„Fotograf? Kameramann?"
Martin nickte.
„Fotograf. Bei