Altengerechtes Wohnen in einer ländlichen Schrumpfungsregion: Eine Untersuchung zum Leben älterer Menschen im Hunsrück
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Zum einen verschlechtern sich Infrastruktur und Nahversorgung. Die Veränderungen führen zum anderen dazu, dass ein Teil der Jüngeren die Arbeitsplätze nicht mehr ausreichend in der näheren Umgebung findet. Das Leben auf dem Lande wandelt sich, besonders für die Älteren.
Gisbert Löcher
Gisbert Löcher, Jahrgang 1952, ist Gerontologe (M.Sc.) und IT-Experte und Betriebswirtschaftler. Mit einem Essay zum gelingenden Altern hat er 2012 den 1. Preis im Studierendenwettbewerb des Bundesinnenministers in der Kategorie Essay/Reportage gewonnen. Der Autor lebt in Trier.
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Altengerechtes Wohnen in einer ländlichen Schrumpfungsregion - Gisbert Löcher
Verkehrsmittel
1. Einleitung
Der demografische Wandel führt zu einem bundesweit wachsenden Bevölkerungsanteil an älteren Menschen und stellt insbesondere in ländlichen Schrumpfungsregionen diese Altersgruppe vor Herausforderungen. Diese sind zweifach geprägt:
Zum einen verschlechtern sich Infrastruktur und Nahversorgung. Diese Entwicklung veranlasst Unternehmer wie z.B. Ladenbesitzer und Ärzte, ihre berufliche Existenz in den Dörfern aufzugeben und sich in die Städte und Kleinstädte zurückzuziehen. Dort finden sie mehr Kundschaft.
Die Veränderungen führen zum anderen dazu, dass die ein Teil der Jüngeren die Arbeitsplätze nicht mehr ausreichend in der näheren Umgebung findet. Viele Berufstätige pendeln weit, um zu ihrer Arbeit zu gelangen oder ziehen gleich den weiter entfernten Arbeitsplätzen nach. Das Problem verschärft sich ohnehin dadurch, dass seit Jahrzehnten immer weniger Kinder geboren werden. In der Folge verändern sich bisherige familiäre Strukturen. All dies führt dazu, dass die Jungen nicht mehr in dem Maße wie früher im Dorf anwesend sind, um die Älteren zu unterstützen. Das Leben auf dem Lande wandelt sich.
Welche Bedeutung misst die Wissenschaft der Erforschung dieser Phänomene bei? Einen Hinweis gibt die Einschätzung Wahls, dass die Folgen des demografischen Wandels auf dem Lande in der gerontologischen Transformationsforschung als auch in der sozialen Gerontologie insgesamt keine wesentliche Rolle gespielt haben. Das Interesse am Altern beschränkte sich auch nach der Wende hauptsächlich auf urbane Gebiete. Das Altern im ländlichen Raum scheint sich allgemein konstant auf einem eher niedrigen Niveau zu halten (Wahl, 2015. S. 17).
Wie gehen nun die Älteren in ihrem Alltag mit den Herausforderungen des demografischen Wandels in einer Schrumpfungsregion um? Ist erfolgreiches Altern und altengerechtes Wohnen bei den räumlichen und sozialen Gegebenheiten ihres Zuhauses und Wohnumfeldes möglich? Welche Hindernisse stehen im Weg, aber auch welche Möglichkeiten bieten sich den Älteren, um dort altengerecht zu leben und am sozialen Leben teilzuhaben?
Der Autor suchte nach Antworten auf diese Fragen bei betroffenen älteren Bürgern einer Gemeinde im Hunsrück. Das Interesse galt den Einwohnern des Dorfes Bundenbach. Die Gemeinde liegt mit ihren 899 Einwohnern im Landkreis Birkenfeld in Rheinland-Pfalz und gehört der Verbandsgemeinde Rhaunen an ((rlp-Direkt). Damit befindet sich die Gemeinde in der Mitte des Hunsrücks. In Bundenbach sind 22,8% aller Einwohner 65+ (Altenquotient 38,2). In der Verbandsgemeinde Rhaunen liegt der Anteil nahezu gleich bei 22,7%, allerdings mit höherem Altenquotienten (38,6). In ganz Rheinland-Pfalz liegt der Anteil der Einwohner 65+ „nur" bei 20,9% (34,3).
Die Forschungsfragen und Interviewleitfäden orientierten sich an dem Ansatz der narrativen Gerontologie und wurden so konzipiert, dass sie nicht zu schnellen Ja- oder Nein-Antworten einluden. Vielmehr öffneten Wie-Fragen den Befragten den Raum, aus ihrem Leben zu erzählen und sich dabei auf die gestellte Frage zu beziehen.
Die Vorgehensweise der vorliegenden Untersuchung stellt sich so dar:
zu Beginn wird der aktuelle Stand der Wissenschaft zum altengerechten Wohnen in ländlichen Räumen analysiert. Im Hauptteil steht sodann die empirische Untersuchung anhand von Interviews mit Bewohner 70+ und Experten im Brennpunkt. Die Senioren wurden zu den räumlichen und sozialen Gegebenheiten ihres Zuhauses und Wohnumfeldes befragt. Die Befragungen der Bewohner sollten Erkenntnisse liefern über die Herausforderungen altengerechten Wohnens in Bundenbach aus der Sicht der Befragten. Zu den Ergebnissen wurden anschließend die Experten befragt.
Nach der Darstellung der empirischen Untersuchung werden die Ergebnisse präsentiert und diskutiert.
Die Untersuchung schließt mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick ab.
2. Theoretische Aufarbeitung des Problemfeldes
2.1 Individuum und Umfeld
Die vorliegende Untersuchung untersucht, inwiefern altengerechtes Wohnen in einer Gemeinde einer ländlichen Schrumpfungsregion für die Älteren eine Herausforderung darstellt und wie sie versuchen, diese zu meistern. Der theoretische Teil der Untersuchung beginnt mit der Analyse wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Thema Individuum und Umfeld. Im Anschluss wird der Blick zunehmend auf die allgemeinen Lebensbedingungen im ländlichen Raum eingegrenzt, sodann auf altengerechtes Wohnen und das Altern im ländlichen Raum. Zum Abschluss der theoretischen Aufarbeitung des Problemfeldes folgt eine Analyse der strukturellen Bedingungen ländlicher Schrumpfungsregionen.
In der Forschung gewann die Frage an Bedeutung, ob räumliche Strukturen Auswirkungen auf die Lebensqualität der älteren Bewohner haben könnten. So äußert sich Wahl (Wahl, 11.06.2005/) zu dem Thema: „ … it would appear that simple urban-rural contrasts relating to older people no longer provide convincing answers to the challenges in the field of gerontology. Instead, a more differentiated approach is demanded which focuses on specific urban or rural areas. Wahl führt weiter aus, dass
the urban-rural divide may be perceived as being too broad an umbrella for investigating concrete empirical research questions."
Wahl zitiert an dieser Stelle Golant (2004), der als zentrale Herausforderung des „urban-rural divide" die Frage ansah: „Does the place one grows old in matter and does it matter more for some groups of older people than for others?".
In demselben Aufsatz verbindet Wahl Golants Frage mit Erkenntnissen der angewandten Gerontologie oder auch der „environmental gerontology". Diese erforscht die Interaktionen eines Individuums innerhalb eines Kontextes und zwischen Individuum und Umwelt, um Alternsprozesse und Auswirkungen zu verstehen: „ … it is assumed that competencies and needs of ageing individuals are supported by or can be threatened by existing person-environment constellations (Carp 1987). This view is also driven by the assumption of environmental gerontology that vulnerability to environmental characteristics represents a fundamental feature of the ageing process and, because of this, the consideration of the environment is crucial for any research approach to ageing."
Nach Golant und Wahl sollte also das jeweilige Umfeld (environment) eines Individuums bei Forschungen zum Alternsprozess berücksichtigt werden. Die vorliegende Untersuchung greift diesen Ansatz auf. Sie geht von der Richtigkeit der These aus, dass „the place one grows old in matters".
In die gleiche Kerbe schlagen Beetz et al. Ihrer Ansicht nach kommt dem Umweltaspekt in der Alternsforschung eine zentrale Rolle zu: ganz allgemein ist er neben den individuellen Faktoren maßgeblich für die räumlichen, sozialen und institutionellen Bedingungen des Alterns verantwortlich. Dabei geht die ökologische Alternsforschung von einem Passungsverhältnis zwischen Individuum und Umwelt aus. Es gibt nicht die alternsgerechte Umwelt, sondern je nach individueller Lage und Situation können Umwelten förderlich oder blockierend wirken (Beetz, Müller, Beckmann & Hüttl, 2009), S. 18).
Die Autoren heben die geografische Lage als Erklärung für viele Unterschiede räumlicher Muster hervor. Regionen mit ungünstiger Erreichbarkeit weisen häufig erschwerte Lebensbedingungen für ältere Menschen auf. Darüber hinaus wird ein ökonomischer und sozialer Strukturumbruch in stark landwirtschaftlich geprägten Regionen von abnehmenden Bevölkerungszahlen sowie einem sehr hohen Anteil alter Menschen begleitet (Beetz et al., 2009), S.82). Weiter heißt es: „Eine wichtige Dynamik in der Verschärfung räumlicher Ungleichheiten bilden Wanderungsbewegungen, die ausgesprochen selektiv verlaufen, weil die weniger Mobilen, die Armen, die Älteren, die Unqualifizierten in den Abwanderungsgebieten zurückbleiben." (Beetz et al., 2009), S.83).
Schließlich verweisen die Wissenschaftler im Zusammenhang mit der vergleichsweise geringen Wohnsitzmobilität Älterer auf den Begriff des Aging in Place. Er „wird vor allem in kritischer Wertung benutzt, um aufzuzeigen, dass insbesondere ältere Menschen über viele Jahre an eine Wohnung oder einen Wohnort bzw. an eine nicht-gesundheitsförderliche Umwelt gebunden sind. Sie sind auf Güter, Dienstleistungen und conveniences