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Cináed: Aus dem Feuer geboren
Cináed: Aus dem Feuer geboren
Cináed: Aus dem Feuer geboren
Ebook327 pages4 hours

Cináed: Aus dem Feuer geboren

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About this ebook

Was würdest Du tun, wenn sich Dein Leben von heute auf morgen verändert? Daniel Frayne ist ein ganz normaler Junge. Behütet wächst er mit drei Schwestern bei seinen Eltern auf. Doch dann wird er Schüler einer geheimnisvollen Akademie - und nichts ist mehr wie zuvor. Unversehens wird er Träger eines magischen, machtvollen Stifts, der großen Einfluss auf ihn hat und dem er den Namen Cináed gibt. Diesen Stift wollen bestimmte Kreise in ihre Gewalt bringen, und Daniel muss etliche Gefahren bestehen. Kann er diese Situationen alle meistern, und geht er unbeschadet aus ihnen hervor?
Ein Roman von großer Dramatik und Spannnung!
LanguageDeutsch
Release dateNov 13, 2014
ISBN9783944788135
Cináed: Aus dem Feuer geboren

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    Book preview

    Cináed - Tanja Höfliger

    Tanja Höfliger,

    CINÁED 

    AUS DEM FEUER GEBOREN

    Roman

    Fabulus-Verlag

    Band 1 der Trilogie »Cináed«

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

    in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

    Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © 2013 by Tanja Höfliger

    Überarbeitete und korrigierte Neuausgabe, 2014

    Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung

    elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    Lektorat: Elmar Klupsch, Stuttgart

    Umschlaggestaltung: Anita Dietrich, Stuttgart

    Satz und Herstellung: Fabulus-Verlag, Fellbach

    ISBN 978-3-944788-13-5

    Besuchen Sie uns im Internet unter:

    www.fabulus-verlag.de

    Für DICH!

    KAPITEL EINS

    Als ich mein Spiegelbild betrachtete, kam ich mir alles andere als männlich vor. Ich steckte in einer goldbraunen Schuluniform und fühlte mich einfach unglaublich mies. Mein bester Freund Jack meinte, sie würden uns nur deshalb in solche Anzüge stecken, um uns klar zu machen, wie klein und unreif wir noch waren.

    »Bin dann mal weg«, murmelte ich von der Diele aus in Richtung Esszimmer.

    »Warte, dein Frühstück!«, kam es wie so oft von dort. »Hab’s eilig«, rief ich über die Schulter und stürzte wie ein Verfolgter aus dem Haus.

    Noch bevor ich mich entschieden hatte, ob ich den Bus oder das Fahrrad zur Schule nehmen sollte, wurde auch schon die Haustür hinter mir aufgerissen. Als ich mich umsah, schaute ich in das Gesicht meiner älteren Schwester Emma. Sie stand im Türrahmen und hielt mir nicht nur eine, nein, sondern gleich vier Lunchboxes entgegen. Unglaublich, ich konnte es kaum fassen!

    Seit meiner Geburt wurde ich von drei älteren Schwestern bemuttert. Und jede für sich nahm ihre Pflichten sehr ernst, wie ich bei dieser Gelegenheit mal wieder bestätigt bekam.

    Doch sie vergaßen dabei etwas sehr Entscheidendes: Ich war älter geworden!

    Auch wenn die weiblichen Familienmitglieder es anscheinend nicht bemerkten oder nicht bemerken wollten, ich war fünfzehn, fast sechzehn und auf dem besten Weg, ein Mann zu werden. Das mussten sie doch endlich mal kapieren!

    Bevor ich Emma hässliche Dinge an den Kopf werfen konnte, erschien Mom und sagte nur: »Nicht hier draußen, Emma«, nahm die Dosen und verschwand damit im Haus.

    »Kauf dir etwas zu essen, hörst du?«, meinte Emma noch.

    Ich starrte sie an, bis die Tür wieder ins Schloss fiel.

    Das war ja ein toller Start in den neuen Tag, und er sollte sich nicht im Geringsten bessern. Jack war bei der Morgenversammlung nicht aufzufinden, und Sue beachtete mich – das war leider nichts Neues – überhaupt nicht. Wenn Luft sichtbar gewesen wäre, hätte sie die eher wahrgenommen als mich.

    Genervt setzte ich mich auf meinen Platz. Der Stuhl von Jack neben mir blieb leer. Selbst als Professor Zac den Englischunterricht begann, gab es von Jack noch keine Spur.

    Verdammt, ich konnte mich noch nicht einmal von meinem besten Freund ablenken lassen! Also musste ich mich irgendwie selbst beruhigen und versuchte es mit Zeichnen. Das konnte ich gut, und es brachte mir die nötige Ruhe. Dabei sank ich immer tiefer wie in eine Art Trance. Sues Gesichtszüge nahmen schnell Form an. Sie, die nur zwei Bänke links vor mir saß, war auf dem Papier fast so schön wie im Original. Ich mochte ihr langes, blondes Haar, das sich leicht wellte, und ihre wunderschönen blauen Augen, die von dunklen Wimpern gerahmt wurden. Doch etwas fehlte noch in meiner Zeichnung, jener Ausdruck in ihren Augen, dem ich fast nie widerstehen konnte. Trotzdem erwiderte sie meine Sympathie in keiner Weise.

    Ich war zu sehr mit Sue und ihrem Ebenbild beschäftigt, sodass ich erst zu spät bemerkte, dass sich jemand auf meinen Tisch zubewegte. Die hässlich braunen Wanderstiefel waren unverkennbar die meines Lehrers. Diese kamen direkt vor mir zum Stehen. Ganz langsam sah ich zu Professor Zac auf.

    Mir wurde abwechselnd heiß und kalt, als die gealterte und faltige Hand des Professors nach dem perfekt gezeichneten Gesicht von Sue greifen wollte.

    Nein, lass es bitte nicht wahr werden! Wenn Zac dieses Bild erst mal in seinen Händen hält, bin ich geliefert …

    Zacs Hand war nur noch wenige Zentimeter vom Blatt entfernt.

    Plötzlich wurde die Zimmertür so heftig aufgerissen, dass alle Köpfe sich abrupt in Richtung Tür drehten. Zum Glück!

    Jack betrat den Raum. Lässig und ohne auf Zacs empörtes Gesicht weiter zu achten, lief er mit einem knappen »Sorry, ist mir aus der Hand gerutscht« an ihm vorbei.

    Ohne es zu ahnen, hatte mir mein Freund mit seiner lässigen Art das Leben gerettet. Ich nutzte die anhaltende Empörung des Professors und ließ das Bild so schnell wie möglich in meiner Tasche verschwinden. Den tiefen Seufzer der Erleichterung konnte ich allerdings nicht unterdrücken, woraufhin der Professor sich wieder mir zuwandte. Unsere Blicke trafen sich. Nie zuvor in meinem Leben hatte ich eine solche Kälte wahrgenommen, sodass mich fröstelte.

    Als Zac nach einer halben Ewigkeit endlich seinen Blick von meinen Augen wandte, durfte ich für einen kurzen Moment erleichtert darüber sein. Dann kehrte er mir den Rücken zu und sagte: »Meyer, Frayne. Beide nachsitzen am Donnerstag!« Das konnte doch nicht wahr sein! An solchen Tagen wäre es besser gewesen, einfach im Bett zu bleiben. Doch dafür war es nun zu spät. Die Erkenntnis raubte mir beinahe den Atem.

    Nein, das kann nicht sein! Kein Nachsitzen an dem von mir so herbeigesehnten sechzehnten Geburtstag!

    Am Nachmittag saßen Jack und ich auf unseren Surfboards in der Caswell Bay. Händeringend suchten wir nach einer Möglichkeit, den Professor zu besänftigen. Doch wir mussten uns schon bald eingestehen, dass Zac nicht umzustimmen war. Ganz im Gegenteil, umso wichtiger wir den Tag erscheinen ließen, desto länger würden wir wohl nachsitzen müssen.

    Hinzu kam, dass Zac mich nicht leiden konnte. Dessen war ich mir sicher. Ob es daran lag, dass ich im letzten Jahr eine Klassenstufe übersprungen hatte, als ich zu ihm gekommen war, oder ob er meine Nase einfach nicht mochte, konnte ich nicht sagen.

    Leider trugen unsere Grübeleien nicht dazu bei, unsere Stimmung zu heben. Selbst die hohen Wellen, die eigentlich für den perfekten Wellenritt gesorgt hätten, konnten uns nicht ablenken. So saßen wir in unseren Neoprenanzügen mit einem Handtuch über der Schulter am Strand und starrten wortlos aufs Meer hinaus.

    Dieser Horrortag war damit für mich allerdings noch nicht vorbei. Mir wurde schlagartig schlecht, als ich zwei Gestalten erblickte, die ich nur zu gut kannte: Sue schlenderte Händchen haltend mit Ken aus unserer Klassenstufe am Wasser entlang. Sie schien nur Augen für ihn zu haben. Dann lachte sie und rannte vor ihm davon. Verdammt, sie kommt direkt auf uns zu!

    Plötzlich sah sie genau zu uns rüber und hörte auf zu lachen. Ken hatte sie eingeholt und schlang seine Arme von hinten um ihre Hüften. Als Kens Kopf auf Sues Schultern ruhte, suchte ihr Mund sein Ohr. Meine Gedanken spielten bei diesem Anblick verrückt. Wie gern hätte ich jenen Lufthauch an meinem Hals gespürt …

    Als die beiden auf uns zukamen, spürte ich, wie mein Gesicht heiß wurde – und ein riesiger Kloß meine Kehle zuschnürte.

    »Tag, Jack, und ähhmmm …«, brachte Sue stockend vor.

    »Daniel«, meinte Jack nach einer peinlich langen Pause.

    »Ja klar, stimmt … Damian … Hört zu, das mit Ken und mir weiß niemand an der Gore School. Wenn ihr beiden versteht, was ich damit meine?«

    »Na klar, wir sind ja nicht völlig bescheuert. Wo ist das Problem?«, fragte Jack schlagfertig.

    Nachdem von mir weiter nichts kam – ich hatte immer noch mit dem Kloß in meinem Hals zu kämpfen –, meinte Jack nur: »Na ja, kann uns ja auch egal sein …« Er schien kurz zu überlegen, wobei er Sue anschaute, und fuhr schließlich fort: »Kurz was anderes: Am Freitag steigt hier ’ne Party. Wie sieht’s aus, hast du Lust zu kommen?«

    Was dann geschah, nahm ich nicht mehr richtig wahr. Erst auf dem Nachhauseweg kehrte ich allmählich in die reale Welt zurück.

    Mit aller Macht versuchte ich die vergangenen Minuten in mein Gedächtnis zurückzurufen. Doch sie waren wie ausradiert. Ich hatte nicht mehr die leiseste Erinnerung daran. Als ich zu Hause ankam, stand die Haustür offen. Ich war verwirrt und wusste damit nichts anzufangen. Mir schossen alle möglichen Ursachen durch den Kopf. Doch einer Sache konnte ich mir absolut sicher sein: Niemand aus meiner Familie hätte die Tür zufällig offen gelassen. Meinen Eltern war es schon immer ein wichtiges Anliegen gewesen, unsere Haustür durch zweimaliges Abschließen zu sichern. Wer als Letzter das Haus verließ, hatte diese Aufgabe zwingend zu übernehmen. Um diese Uhrzeit war für gewöhnlich niemand zu Hause. Mir hatten die Eltern erst nach langem Drängen und vielem Drohen einen Haustürschlüssel ausgehändigt, als sie mich ein halbes Jahr zuvor endlich für reif genug erklärt hatten.

    Wieso in aller Welt stand ich also vor einer offenen Haustür, die meine Eltern mit einem Spezialschloss zur sichersten Haustür von ganz Swansea, nein, von ganz Wales, wenn nicht sogar von ganz Großbritannien gemacht hatten?

    Mit einem flauen Gefühl im Magen betrat ich das Haus. Mein Herz hämmerte plötzlich wie verrückt in meiner Brust.

    Zuerst schaute ich mich in den Zimmern im Erdgeschoss um. Leer. Keine Menschenseele.

    Ängstlich stieg ich die Stufen nach oben, um die Räume dort zu inspizieren. Ich wusste nicht, was genau mich erwartete. Panisch versuchte ich, alle aufkeimenden Sorgen aus meinem Gehirn zu verbannen, die sich mit blühender Fantasie darin festsetzen wollten. Immer wieder dachte ich: »Was ist, wenn …?«

    Doch auch in den Zimmern im oberen Stockwerk war nichts. Nichts und niemand.

    Erst jetzt bemerkte ich, dass mein rechter Arm schmerzte, mit dem ich nach wie vor das kurze Surfboard umklammert hielt. Erschöpft ließ ich es zu Boden gleiten.

    Warum nur stand die verfluchte Haustür offen? Das konnte doch kein Zufall, kein unachtsames Vergessen gewesen sein. Nie hätten meine Eltern das Haus ungesichert verlassen!

    Wie durch einen Geistesblitz fiel mir das letzte Zimmer im Haus ein, in dem ich noch nicht nachgeschaut hatte: das Arbeitszimmer meines Dads.

    Der Schlüssel für die stets verschlossene Tür befand sich in einem Schubfach in der Küche. Wir durften ihn nur im äußersten Notfall verwenden. Heute war für mich dieser Fall eingetreten.

    Etwas stank gewaltig, und ich musste dem auf den Grund gehen.

    Ich nahm zwei Stufen auf einmal, um zurück ins Erdgeschoss zu gelangen. Mit dem Schlüssel in der Hand lief ich rasch in Richtung Arbeitszimmer, das am Ende der Diele lag. Ich bog um die Ecke und steckte mit zitternder Hand den Schlüssel ins Schloss. Was genau ich im Arbeitszimmer zu suchen hatte, wusste ich selbst nicht. Fast gleichzeitig vernahm ich Schritte in der Diele.

    Verdammt, ich Idiot! Vor lauter Aufregung hatte ich ebenfalls vergessen, die Haustür hinter mir zu schließen. So blöde stellte ich mich doch sonst nicht an!

    Langsam richtete ich mich wieder auf. Mein Herz schien kurz stehenzubleiben, nur um dann wild und ungestüm in der Brust gegen die Rippen zu boxen. Meine Augen fixierten die Dielenecke. Die Schritte wurden langsamer, bis sie anhielten. Außer dem Vorschlaghammer in meinem Körper konnte ich absolut nichts mehr hören.

    Leise drang eine Stimme zu mir durch.

    »Daniel, bist du das?«

    Mein Gehirn benötigte mehrere Anläufe, bis die Worte mich erreichten. Plötzlich sah ich den Kopf meines Dads.

    Ich musste ihn wohl mit verwirrtem Ausdruck angestarrt haben. Auch er schien nach einer Erklärung für jene sonderbare Situation zu suchen. Mit leicht irritiertem Lächeln sah er mich an.

    »Hallo, Daniel, du bist aber früh zu Hause. Schau nicht so verwirrt. Bei uns in der Firma gab es heute nichts mehr zu tun. Deshalb bin ich auch früher dran als sonst.«

    »Aha.« Mehr brachte ich in diesem Augenblick nicht heraus, denn erst am Vortag hatte sich mein Dad beim Abendessen darüber beklagt, dass Berge von Arbeit auf ihn warteten und er deshalb in nächster Zeit nicht früh zu Hause sein könnte.

    Na, so etwas?

    Natürlich spürte er mein Misstrauen sofort und machte etwas, was ihm bei mir immer wieder gelang. Langsam kam er auf mich zu und säuselte mit einem Lächeln, jedoch mit unverkennbar ironischem Unterton: »Ja, und erlaubst du mir die Frage, was du in meinem Arbeitszimmer zu suchen hast?«

    Wie zum Kuckuck schaffte es Dad immer wieder, mich innerhalb von wenigen Sekunden wie einen kleinen, trotteligen, vierjährigen Jungen dastehen zu lassen?

    Dann erinnerte ich mich an den eigentlichen Grund, warum ich mich hier aufhielt.

    Als ich mich nach Mom und Emma erkundigte und von der geöffneten Haustüre erzählte, jagte mir das Entsetzen in Dads Augen Angst ein.

    »Was ist mit Mom?«, fragte ich voll Panik.

    »Nichts. Sie wollte mit Emma nach London fahren und hat mir im Büro Bescheid gegeben, dass es heute später werden könnte. Aber die Haustür stand offen, sagtest du?«

    »Ja, keine Ahnung, was das zu bed …«

    Dad unterbrach mich mit einem knappen: »Stopp, warte!«

    Dabei klopfte er sein Jackett in Brusthöhe ab, als wollte er etwas in der Innentasche ertasten. Ich beobachtete ihn genau, konnte mit seiner weiteren Reaktion aber wenig anfangen.

    Fast erleichtert ließ er seine Hände sinken, setzte ein strahlendes Lächeln auf und sagte dann wie ausgewechselt: »Mom hat sicherlich vergessen, die Haustür zu schließen. Alles halb so wild. Was soll hier im Haus auch schon wegkommen?

    Was hältst du davon, wenn wir bei Tonys zusammen Pizza essen gehen? Bei uns scheint die Küche heute kalt zu bleiben, und ich habe einen Bärenhunger.»

    Tonys mit Dad oder verhungern. Klasse Auswahl. Auf der Fahrt im Auto sprachen wir nicht viel miteinander, und ich konnte endlich meinen widersprüchlichen Gedanken nachhängen.

    Was hatte all das zu bedeuten? Trotz des außergewöhnlichen Vorfalls machte sich mein Dad noch nicht einmal die Mühe, nach der Ursache zu suchen. Außerdem war er meines Wissens zuvor nie bei Tonys gewesen und kannte die Pizzeria, wenn überhaupt, nur vom Vorbeifahren. Das ist genau genommen mein Lokal, weil sich dort immer irgendwelche Leute aus unserer Schule treffen. Nachdem wir Platz genommen hatten, suchte ich mit den Augen das Lokal ab. Glücklicherweise war niemand zu sehen, den ich kannte.

    Nach den ersten Bissen der genialsten Pizza des Landes schoss mein Dad den Vogel ab. Und zwar fragte er mich allen Ernstes, als ich gerade ein riesiges Stück von der Pizza im Mund hatte, ob er und Mom bei meiner Geburtstagsparty am Strand dabei sein dürften. Das war nun wirklich zu viel des Guten!

    Vor Schreck verschluckte ich mich fürchterlich und begann zu husten.

    Nachdem ich endlich wieder Luft bekam, war es endgültig um meine Fassung geschehen. Immer noch hustend benötigte ich einige Anläufe, um die Frage herauszupressen: »Dad, was soll dieser ganze Scheiß? Sorry, aber ich hab genug für heute! Was ist da in der Innentasche deines Jacketts? Denkst du, ich sei zu blöde und würde nicht merken, dass ihr seit Jahren bei uns zu Hause etwas versteckt?«

    Bedächtig lehnte Dad sich zurück und stützte sein Kinn nachdenklich mit der rechten Hand ab.

    Je länger er grübelte, desto unwohler fühlte ich mich in meiner Haut.

    Als ich gerade begann, meine Worte zu bereuen, antwortete er mir in sehr langsamem und bedächtigem Tonfall.

    »Daniel, erstens haben wir damals gemeinsam im Familienrat entschieden, dich eine Klassenstufe überspringen zu lassen. Das wirst du noch wissen. So komme ich auch schon zum zweiten Punkt: Mir ist nicht verborgen geblieben, dass du ein sehr cleverer und intelligenter Junge bist.«

    Reflexartig funkelte ich ihn böse an. Also ehrlich, das hätte Dad sich wirklich sparen können.

    »Entschuldige bitte, du bist auch ein sehr intelligenter Mann. Das ist mir sehr wohl bewusst. Und da mir all das nicht neu ist, möchte ich dir gern ein paar wichtige Dinge erzählen, die unsere Familie betreffen. Jedoch nicht hier in diesem Lokal. Lass es uns machen, wenn wir zu Hause einen Moment der Ruhe finden. Am besten nach deinem Geburtstag in drei Tagen. Oder besser noch nach deiner Feier in der Caswell Bay, wenn du wieder einen Kopf dafür hast.«

    Wow! Ich sollte in Familiengeheimnisse eingeweiht werden. Endlich!

    Schlagartig änderte sich die angespannte Atmosphäre, und es wurde noch ein einigermaßen gemütliches Abendessen. Ich dachte erst wieder an all die seltsamen Dinge des Tages, als wir mit unserem Auto in die Einfahrt der Queensroad einbogen und ich das Gesicht von Mom erblickte.

    Mom schien auf uns gewartet zu haben. Sie stand an der Einfahrt direkt unter einer Straßenlaterne, die ihr Gesicht erhellte. Blass, mit dunklen Augenringen. Dad stellte den Wagen ab, stürzte schnell auf sie zu und fragte in unüberhörbar besorgtem Ton: »Hallo, Schatz. Was ist los? Ist irgendetwas mit den Mädchen?«

    »Nein, alles in Ordnung. Emma ist oben am Packen. Deine SMS hat mich nur ein wenig nachdenklich gemacht, John.«

    Sofort sah Dad sich nach mir um. Dann packte er Mom am Arm und sagte: »Das klären wir gleich. Komm, lass uns noch eine Runde drehen, ich könnte etwas frische Luft gebrauchen.«

    Unter anderen Umständen hätte mich die Geheimniskrämerei extrem genervt. Doch mir schossen Erinnerungen in den Kopf, die unter anderem Sue betrafen. Ich musste allein sein, und zwar so schnell wie möglich.

    In meinem Zimmer legte ich mich für einen Moment aufs Bett und schaltete das Radio des Handys ein, um Musik zu hören. Trotzdem war meine Stimmung auf dem Nullpunkt. Sue war mit Ken zusammen, einem arroganten Schönling. Der Gedanke daran brachte mich fast an den Rand des Wahnsinns. Mit einem Satz war ich wieder auf den Beinen.

    Trinken, das war es!

    Ich hatte einen unbändigen Durst. Ein kaltes Getränk würde hoffentlich auch die überhitzten Gedanken abkühlen. Meine Augen suchten das Zimmer ab. Außer einer angebrochenen Dose Coke war nichts zu finden. Genervt lief ich nach unten und hoffte inständig, niemandem über den Weg zu laufen. Ich hätte es nur schwer ertragen in meinem Zustand jemandem aus meiner Familie zu begegnen.

    Als ich am Arbeitszimmer vorbeikam, hörte ich die Stimme meiner Mom. Sie waren also wieder zurück. Ich wollte schon weitergehen, doch etwas an Moms Tonfall ließ mich aufhorchen.

    »John, das mit Patrick darf sich nicht wiederholen! Ich halte das nicht mehr durch. Wäre es doch nur schon Donnerstag, dann wüssten wir mehr. Aber stell dir mal vor, wenn es so weit kommen sollte … Daran darf ich gar nicht erst denken!«

    Die anschließende Stille hinter der Arbeitszimmertür wurde nur durch einen Seufzer und ein Schniefen unterbrochen.

    Dann hörte ich Dad.

    »Ja, Schatz, mir geht es auch nicht viel besser. Wie gut, dass ich ihn in den letzten Tagen nicht mehr hier gelassen habe. Wir dürfen ihn bis Donnerstag nicht mehr aus den Augen lassen. Deshalb werde ich ihn immer bei mir tragen, natürlich geschützt durch die Folie. Vielleicht hat es auch keine Bedeutung, aber wir müssen das hier auf jeden Fall zu Ende bringen. Du hast Recht, an Daniels Geburtstag wissen wir mehr, und bis dahin sind es immerhin noch drei Tage. Vielleicht haben wir ja auch Glück, und unsere Ängste sind unbegründet.«

    Was ging da eigentlich vor sich? Was durfte sich nicht wiederholen? Und warum wurden mir Dinge vorenthalten, die ganz ohne Zweifel mich und meinen Geburtstag betrafen?

    Mir war endgültig alles zu viel.

    Meine Gedanken sausten in meinem Gehirn wie auf einer Achterbahn herum. Wie auf der Loopingbahn überschlug sich alles. Ich wollte nur noch eins: so schnell wie möglich in mein Bett, um dem schrecklichen Tag ein Ende zu setzen. Die Bettdecke über den Kopf ziehen und vergessen. Nach Möglichkeit alles.

    KAPITEL ZWEI

    Als ich am Donnerstagmorgen meinen Wecker ausmachte, hörte ich unten schon geschäftiges Treiben. Das hielt mich jedoch nicht davon ab, mich wie jeden Morgen zu duschen. Meine blonden Haare waren ein wenig zu lang, sodass sich ein paar Wellen formten, die ich aber mithilfe des Föhns und jeder Menge Gel in den Griff bekam.

    Eigentlich war mit mir und meinem Selbstbewusstsein alles okay. Bis auf die Sache mit Sue und Ken.

    Sofort verdrängte ich den trüben Gedanken und machte mich auf den Weg nach unten, um die ersten Geburtstagsglückwünsche entgegenzunehmen. Selbst meine beiden älteren Schwestern Maggie und Jil, die in Conwy arbeiteten, waren unter den Gratulanten.

    Als Letzter stand Dad vor mir. Er überreichte mir ein kleines, verpacktes Geschenk.

    »Alles Gute zum Geburtstag, Daniel! Mom und ich haben für dich ein etwas außergewöhnlicheres Geschenk. Wenn es dir nicht gefällt, bekommst du natürlich ein anderes.«

    Die Worte machten mich zwar neugierig, da es in unserer Familie aber ein Geburtstagsritual war, zum einen beim Frühstück zu schweigen und zum anderen eines der Geschenke erst am Abend zu öffnen, wählte ich enttäuscht das kleine Päckchen meiner Eltern dafür aus. Denn eins stand schon mit Sicherheit fest: Ein neues Brett zum Wellenreiten würde ich darin nicht finden. Auch keins zum Zusammenklappen. Nachdem ich die Geschenke meiner Schwestern ausgepackt hatte, stand ich vom Tisch auf, nickte jedem freundlich zu und machte mich auf den Weg in die Schule.

    Draußen blies ein angenehm kühler Wind, doch ich war so in Gedanken, dass ich ihn kaum wahrnahm.

    Na super! Selbst ein eigentlich simpler Geschenkwunsch wurde mir nicht erfüllt. Kein neues Surfboard. Und in der Schule würde ich mich wieder selbst kasteien. Seit Jack und ich Sue mit Ken gesehen hatten, schenkte sie mir noch weniger Beachtung als zuvor – wenn das überhaupt möglich war.

    In Gedanken versunken stand ich immer noch auf der Türschwelle, als die Haustür hinter mir wieder aufgerissen wurde. Gereizt wollte ich meiner Schwester schon die Meinung sagen. Als ich mich aber umdrehte, stand nicht Emma in der Tür, sondern Mom, mit glasigen Augen.

    Sie zog mich in die Diele zurück, umarmte mich fest und überschwänglich und sagte mit leicht zitteriger Stimme: »Danny, ich bin fürchterlich neugierig darauf, ob dir unser Geschenk gefällt, und kann einfach nicht bis heute Abend warten.«

    Sie streckte mir das kleine Päckchen entgegen. Da ich ihr nur schlecht etwas abschlagen konnte, öffnete ich auch das letzte Geschenk noch am Morgen. Was zum Vorschein kam, konnte ich kaum glauben: Es war ein Stift, ein ganz stinknormaler Stift! Weder hatte er eine besondere Gravur noch ein besonderes Aussehen. Er war durchsichtig mit einer dicken, roten Mine darin. Das war aber auch das einzig Außergewöhnliche.

    Unter dem erwartungsvollen Blick meiner Mom packte ich ihn aus der Plastikhülle. Als ich wieder aufschaute, um mich für das »unglaublich supertolle Geschenk« zu bedanken, sah ich ins Leere. Ein Schlag – und Mom kippte ohnmächtig zu meinen Füßen. Die anderen Familiemitglieder waren sofort da und kümmerten sich um Mom. Nachdem sie in ihrem Bett wieder zu sich gekommen war, schickte sie mich vehement zur Schule. Natürlich wollte ich nicht, doch wer könnte schon einer schwächelnden Mom etwas abschlagen?!

    Widerwillig machte ich mich auf den Weg. Doch das hätte ich lieber bleiben lassen sollen! Professor Zac hatte die nächste Gelegenheit gefunden, mir eine weitere Extrastunde aufzubrummen. Natürlich schenkte er mir keinen Glauben, als ich ihm in etwas abgewandelter Form von dem Zwischenfall zu Hause erzählte.

    Somit musste ich mich durch zwei Stunden mit kniffeligen Grammatikaufgaben in Englisch quälen. Noch diesen letzten Satz hinschmieren und die beiden vergangenen Stunden würden mir wegen meinem Geburtstag immer in Erinnerung bleiben … Mit einem Stein im Magen verließ ich das Schulgebäude. Ich war sauer und enttäuscht und hatte nicht mehr die geringste Lust zu Feiern, geschweige denn auf den komischen Stift in meiner Jackentasche.

    Emotionsgeladen steuerte ich auf einen Papierkorb zu und zog das Geschenk meiner Eltern aus der Tasche. Mit Zorn, der zwischenzeitlich ins Unermessliche gestiegen war, betrachtete ich den Stift. Hektisch wickelte ich ihn aus der Folie und donnerte ihn mit voller Wucht in den Papierkorb. Warum ich anschließend tat, was ich tat, wusste ich nicht. Doch ich beugte mich nach dieser Aktion sofort wieder über den Abfalleimer, um den Stift zu suchen. Nachdem ich ihn entdeckt und herausgeholt hatte, durchströmte mich ein unglaubliches Glücksgefühl, dass ich ihn wieder zwischen meinen Fingern spürte.

    Na, jetzt geht’s aber los! Das ist doch bloß ein blöder Stift!

    Ich war wohl auf dem besten Weg, verrückt zu werden. Überrascht von den Glücksgefühlen, die ein gewöhnlicher roter Stift in meiner Hand hervorrief, ließ ich ihn erneut in den Mülleimer fallen. Fast fluchtartig rannte

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