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Der längste Sommer: Eine Erinnerung
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Ebook137 pages1 hour

Der längste Sommer: Eine Erinnerung

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Er ist 24. Er fühlt sich als Dichter. Er schreibt ein Buch. Er sucht für das Buch einen Verleger. Er verliebt sich am laufenden Band. Er nimmt an einem literarischen Wettbewerb teil. Seine Großmutter stirbt. Er ist 28. Er stürzt beim Klettern ab. Er geht für ein Jahr nach Frankreich. Dreißig Jahre später sucht er seine Zettel von damals zusammen, versucht sich zu erinnern, aufzuschreiben: Wie es denn war, damals, als man gerade nicht mehr so richtig jung war.
Walter Klier erzählt in Der längste Sommer vom Gefühl einer ganzen Generation, vom schwierigen Erwachsenwerden zwischen Anspruch und Wirklichkeit, von Liebesnöten und Selbstzweifeln, gewährt aber auch einen ironischen Blick auf einen Literaturbetrieb, der sich selbst oft allzu ernst nimmt.
LanguageDeutsch
PublisherLimbus Verlag
Release dateDec 10, 2013
ISBN9783990390122
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    Der längste Sommer - Walter Klier

    Walter Klier

    Der längste Sommer

    Eine Erinnerung

    1 Aus dem Leben der Dichter

    Ich machte mich also ans Schreiben. Der Sommer fing an, wie es sich gehört: heiß und grün und dunstig und so, als ob dies die einzige denkbare Jahreszeit sei, die von nun an nicht mehr enden würde. Ich konnte kaum gehen und mich auch sonst nicht recht rühren, also beschränkte ich mich notgedrungen aufs Sitzen. Ich schaute in die Luft, auf die Berge gegenüber: Glungezer, Patscherkofel, Serles, Habicht, Nockspitze (von links), auf die Wiese, las dann und wann ein Buch, oder ich schrieb. Nun hatte ich ausnahmsweise genug Zeit dazu.

    Der linke Ellenbogen tat nicht mehr so höllisch weh wie am Anfang, aber immer noch spürbar, anhaltend, ein Ziehen und Stechen unter der Haut, ich war beim Klettern abgestürzt, insgesamt waren es drei sogenannte Rissquetschwunden: am Schienbein, am Knie (beide rechts) und eben am Ellenbogen.

    Ich saß all die sonnigen Vormittage, Juni, dann Juli, ein Tag schöner als der andere, sonst wäre ich natürlich klettern gegangen, ausnützen, hieß das in unserer Gebirglersprache, das Wetter ausnützen, den ganzen Sommer regnet es dann wieder, bei uns musste man jeden schönen Tag ausnützen, es gab viel zu wenige davon. Nun saß ich also und schrieb. Ich war vierundzwanzig Jahre alt. Ich schrieb, bis ich ungefähr hundert Seiten beisammen hatte, das kam mir schon ziemlich lang vor. Bis vor Kurzem hatte ich mich mehr als Lyriker gesehen, wahrscheinlich deshalb, weil die Lebensläufe der Dichter, denken Sie nur an Rimbaud oder Trakl, so jugendmäßig abgefahren und tragisch zugleich waren. Am germanistischen Institut, wo ich zumindest anfangs an verschiedenen Lehrveranstaltungen teilgenommen hatte, wurde nicht nur viel über Lyrik geredet, die Hälfte der Studenten schrieb offenbar auch welche. Zumindest die Hälfte von denen, die ich kannte. Dann schrieb ich mehr Prosa und weniger Gedichte, aber anfangs reichte es nur für kurze Geschichten; nach zehn oder zwanzig Seiten ging mir jedesmal, wie man unfreundlich sagt, die Luft aus. Meistens geriet mir meine Prosa ziemlich genau fünf Seiten lang, so viel, wie ich an einem Nachmittag, in einem Zug zusammenbrachte. Es ist ja auch egal, meine Lyrik fiel später dem Vergessen anheim, zum Glück bevor sie veröffentlicht werden konnte; die Geschichten wurden allmählich länger, das bedeutete eine Menge Arbeit, so wie im richtigen Leben, wo das Erwachsenwerden sich zunehmend prosaisch gestaltet und nach und nach in Arbeit ausartet.

    Während ich da saß und schrieb, sehnte ich mich unbändig und ununterbrochen nach meiner geliebten Viktoria, die im fernen Wien saß und dann ab Ferienbeginn im fernen Bregenz, jedenfalls immer nicht bei mir. Drei Tage vor meinem Unfall war ich noch bei ihr gewesen und wir hatten einen furchtbaren Streit, ich weiß nicht mehr warum, aber es war aus nichtigem Anlass und kam für mich wie der Blitz aus heiterem Himmel, obwohl sie ganz gewiss einen guten Grund hatte, so wütend auf mich zu werden, dass unsere ganze Beziehung, so hieß das damals in den siebziger Jahren, in dem einen Augenblick zu Staub zerfallen uns zu Füßen lag, wir im letzten Moment, bevor es endgültig aus gewesen wäre, auf die Knie fielen und den Staub mit unseren Händen, noch zitternd vor Entsetzen, Empörung, Verzweiflung, auf dem Fliesenboden ihrer Wohnküche im fünfzehnten Wiener Gemeindebezirk zu einem Häuflein zusammenschoben und mit weiterhin zitternden Händen versuchten, daraus wieder die ursprüngliche Figur zu formen. Am Ende sah sie fast genauso aus wie vorher, bloß dass in der ganzen Aufregung doch etwas von dem Material verlorengegangen war und die Figur kleiner ausfiel als zuvor. Wenn wir nicht achtgaben, würde sie beim nächsten solchen Zwischenfall wieder kleiner sein und so weiter, es war ja nicht das erste Mal. Wir schworen einander hoch und heilig, in Zukunft besser achtzugeben.

    Noch zittrigen Schritts stapfte ich hinaus auf die sonnenwarme, heruntergekommene Wiener Straße, nebenan ratterte eine Tramway; in dem Maß, wie alles wieder gut war, war es zugleich ungut, sogar ganz schlecht, der Schirm über mir hatte einen Riss bekommen und durch diesen Riss sah ich in die Welt hinaus, eine Welt ohne Viktoria und demgemäß eine Welt zwar voller Menschen, aber ohne Liebe. Ich könnte auf dieser Vorstadtstraße weitergehen, ohne mich noch einmal umzudrehen, ein neues Leben beginnen, eine neue Liebe suchen, ich könnte alles vergessen, was war, alles anders machen, und diese Vorstellung war nicht auszuhalten. Ich würde nun zwar tatsächlich weitergehen, aber nur bis zur nächsten Haltestelle, um in die Stadt hineinzufahren, dorthin, wo sie auch damals schon weniger grau, weniger schmuddelig war, in eine Ausstellung gehen, ins Kaffeehaus, Zeitungen lesen, und mich später am Nachmittag, wenn sie dann frei hätte, wieder mit meiner ersten, einzigen und immerwährenden Geliebten treffen. Von den drei Adjektiven stimmt freilich inzwischen nur noch das erste, aber für die Schilderung der damaligen Zustände in mir und um mich herum sind doch alle drei notwendig.

    Der Schatten des Balkongeländers auf dem betonierten Boden wanderte so langsam wie in einem modernen französischen Roman. Er wanderte unerbittlich, eine stille, grausame Allegorie, also ein Bild für etwas anderes, was war es gleich? Jedenfalls wanderte der Schatten, Wiese und Wald ringsum strahlten grell gelbgrün, mit der ahnungslosen Präpotenz, die allem Frühsommerlichen innewohnt, es ist dieser Moment im Jahr, wo man sich keine Zukunft vorstellen kann, bloß das Immerwähren des Augenblicks, die ewige Fortsetzung der Gegenwart, dabei kann es, wenigstens in unserer Gegend, schon am nächsten Tag zu regnen beginnen und bis zum Herbst nicht mehr aufhören damit.

    Die erzwungene Ruhe tat eigentlich gut. Die Schmerzen waren durchaus erträglich und nahmen von Tag zu Tag ab; vor allem wenn ich mich wenig rührte und die Beine hochgelagert hielt (eine von mir ohnehin bevorzugte Haltung), merkte ich bald fast gar nichts mehr. Ich schrieb so zügig und planvoll wie nie zuvor oder danach.

    Ich schrieb alles auf, die ganze Geschichte, wie ich auf die Uni ging, wie ich anfangs sogar richtig studierte, voll ernsthaftem Bemühn, mich in die Wissenschaft einzuleben, wochenlanges Herumwursteln an Seminararbeiten, Der Genetiv als Objektskasus und dann das System der Konsonanten in meiner heimischen Mundart, und währenddessen das Geschäft der Partnersuche nicht weniger ernsthaft betrieb, ich war schließlich neunzehn, zwanzig, einundzwanzig Jahre alt und im Sinne des Zeitgeists längst überständig, in akuter Gefahr, als alte Jungfer zu enden.

    Also zuerst die Geschichte mit Grete, woraus bloß eine langjährige Freundschaft wurde, wogegen an und für sich nichts einzuwenden wäre, außer dass es damals darum nicht ging. Dauernd landete ich mit meinen Versuchen in feinsinnigen Frauenbekanntschaften. Auch mit Viktoria, die gleich mir Deutsch, aber statt Englisch Französisch studierte, war ich schon auf dem besten Wege dazu, und sie sah es auch so, nämlich dass eine Freundschaft mit mir genau das Richtige für uns zwei wäre. Was ich nicht begreifen konnte, schließlich waren wir jung und dazu auf der Welt, uns eine Frau respektive einen Mann zu suchen, oder? Und alles andere war eher nebensächlich. Freunde hatten wir auch so genug.

    Nach entbehrungsreichen Wochen und Monaten schaffte ich es doch noch, sie eines Besseren zu belehren, und es wurde eine Liebe draus, mit den wiederkehrenden katastrophischen Zwischenfällen, Streit und Zwietracht und Drohung des sofortigen Endes, Versöhnung im letzten Moment. Das vorherrschende Lebensgefühl war ungefähr so: gerade noch mit den Fingerspitzen an einer Kante über dem Abgrund hängen, noch eine falsche Bewegung, und man fiel in die Tiefe, die entsprechende reale Grenzsituation war die beim Klettern, mir gut bekannt, wo man diese Gefahr aber suchte und mit ihr umging, hantierte, als sei sie das Gewöhnlichste, was sie klarerweise nicht war. In der Liebe war das anders, da tappte man blöd und blind in die Löcher, die sich unversehens auftaten. Und dann: Welche unendliche Mühsal, meine Fehler jedesmal wieder gutzumachen, jedesmal meine Fehler, die die Lunte gezündet hatten; während dieses Auf und Ab für sie ganz in der Ordnung der Dinge schien, laugte es mich von einem zum nächsten Mal immer weiter aus. Im Kern der Geschichte, die ich nun darüber schrieb, stand meine Verwunderung darüber, welche unerhörten Schwierigkeiten sich zwischen zwei Liebenden auftürmen, deren Glück, rein äußerlich betrachtet, nichts im Wege steht. Die größere Verwunderung, die mich während der ganzen Zeit beherrscht hatte, die wir zusammen waren, drei Jahre ungefähr, kam in der Geschichte (dem Text, musste man auf Germanistisch sagen) mit keinem Wort vor. Nämlich darüber, dass es mir überhaupt gelungen war, eine Frau aufzutreiben, die für mich die wundersamste, schönste, tollste usw. auf Gottes weiter Erde war, und mit ihr nicht nur einmal im Bett zu landen, was auch schon ein unvergesslicher Erfolg gewesen wäre, sondern sozusagen an einem Tisch und in einem Bett, wiewohl diese – Tisch und Bett – noch nicht ständig gemeinsam genutzt, sondern abwechselnd entweder bei ihr oder bei mir vorhandene Möbelstücke waren, mit gewissen, manchmal als qualvoll empfundenen Pausen dazwischen, wo jeder wieder allein seinen Tisch, sein Bett benutzte. Wobei zum Kapitel Bett anzumerken wäre, dass es sich in beiden Fällen um Exemplare handelte, die für das Zusammenleben bzw. -schlafen zweier Leute nicht geeignet, weil zu schmal waren; mit dem Heroismus der Jugend kämpften wir uns durch diese so gut wie schlaflosen Nächte; sie hatte in ihrem Domizil dann schließlich an Bettes statt vier zehn Zentimeter dicke Schaumgummiunterlagen auf den Boden gelegt, die nur durch das darübergebreitete Leintuch zusammengehalten waren, sodass sie im Lauf der Nacht, auch wenn man nichts tat als schlafen, allmählich auseinanderdrifteten. Immer wieder fand man sich im Dunkeln auf einer Schaumgummiinsel im Format von etwa siebzig mal hundert Zentimetern wieder und versuchte im Halbschlaf, zur Geliebten zurückzurudern.

    Dann mein Auslandsjahr, während dessen wir die Sache sozusagen auf Eis legten, indem dass wir so zeitgeistig-fortschrittlich waren, so kühl, fast schon cool über unseren Dingen standen – die Formulierung lautete: Wir schwören einander ewige Untreue und nach dem Jahr der Trennung schauen wir dann, ob es gehalten hat, das was da war zwischen uns, was immer das genau war.

    Und als ich nach dem Jahr in der Ferne wieder heimkehrte, blickten wir einander in die

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